Grundlegung einer Librettologie: Musik- und Lesetext am Beispiel der ‚Alceste‘-Opern vom Barock bis zu C.M. Wieland 9783110445787, 3110445786

Das Libretto ist die vielleicht letzte terra incognita der Literaturwissenschaft. Doch einmal vom Status einer randständ

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Grundlegung einer Librettologie: Musik- und Lesetext am Beispiel der ‚Alceste‘-Opern vom Barock bis zu C.M. Wieland
 9783110445787, 3110445786

Table of contents :
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Librettologie – Entwurf einer Methodik
2. Oper – Operntext – Lesetext
3. Alceste 1660–1719
4. Die Königin kehrt zurück – Christoph Martin Wieland und Anton Schweitzer Alceste (1773/1775)
5. Das Libretto als Geschichts-Gedicht – Alceste zwischen linearem und zyklischem Geschichtsbild
6. Epilog – Opern-Libretto, Leselibretto und Roman
7. Glossar – Wielands Kontakte zu Oper und Musiktheorie bis ca. 1777
8. Literaturverzeichnis
9. Abbildungsverzeichnis
10. Register der Namen und Werke

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Tina Hartmann Grundlegung einer Librettologie

Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Herausgegeben von

Ernst Osterkamp und Werner Röcke

86 (320)

De Gruyter

Grundlegung einer Librettologie Musik- und Lesetext am Beispiel der ‚Alceste‘-Opern vom Barock bis zu C.  M. Wieland von

Tina Hartmann

De Gruyter

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT

ISBN 978-3-11-044119-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-044578-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043714-0 ISSN 0946-9419 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞  Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Für Berganza, Renate und Berndt Hartmann

Danksagung Mein besonderer Dank gilt Jan Philipp Reemtsma, der diese Studie angeregt und in unzähligen Gesprächen begleitet hat. Wulf Konold hat vor seinem frühen Tod im Jahr 2010 noch kostbare Hinweise zu den musikhistorischen Kontexten gegeben, die die Studie ebenso bereichert haben wie die Anmerkungen von Klaus Manger und Detlef Altenburg. Gedankt sei Karin Vorderstemann für Hinweise zur Asiatischen Banise und Bärbel Pelker für ihre erhellende Editionsarbeit an der Rosamunde, die Expertise bezüglich Schweitzerscher Autographe sowie ihren unerschöpflichen Wissensschatz zur Oper in Mannheim und Schwetzingen. Dem wissenschaftlichen und künstlerischen Leitungsteam der Alceste-­ Produktion 2007/2008 sei gedankt für eine unvergessliche und inspirierende Aufführungsserie und die Beratung in musikalischen und musikwissenschaftlichen Fragen: Stephan Hörner, Sabine Erdmann, Hendrik Müller, Mira Voigt, Michael Hofstetter, Concerto Köln mit Jochen Schäfsmeier und Martin Sandhoff sowie den Sängern Simone Schneider, Cyndia Sieden, Christoph Genz, Josef Wagner und der Klassik-Stiftung Weimar, namentlich Hellmut Seemann. Für die Unterstützung bei den Recherchen danke ich der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar, namentlich Angelika Wilamowitz-Moellendorff, den Mitarbeitern der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, besonders Bettina Bock, Dagmar Bunk, Martina Rommel und Regine Rohne, dem Wieland-Archiv Biberach, Yvonne Dellsperger und Viia Ottenbacher, der Herzog Anton Ulrich Bibliothek Wolfenbüttel, der Staatsbibliothek zu Berlin  – Preußischer Kulturbesitz, der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, namentlich Jürgen Neubacher, dem Stadtarchiv Erfurt, namentlich Rudolf Benl, und schließlich, dafür umso herzlicher, für ihre Unterstützung meiner Familie: Renate, Berndt, Berganza und Kim Hartmann und Stephan Trüby. Die Studie wurde ermöglicht durch die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Alceste 1660–1773 und das Libretto als Musik- und Lesetext . . . . . . . . . 2 1. Librettologie – Entwurf einer Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1.1 Die Königin der Poesie – Opern- als Librettogeschichte . . . . . . . . 9 1.2 Die Oper als Lesetext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.3 Librettologie – eine philologische Disziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.4 Die Oper, das gesellschaftliche Kunstwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.5 Alceste, die paradigmatische Reformoper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.6 Der Autor, die Oper und das kulturelle Gedächtnis – Philologie als Archäologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

2. Oper – Operntext – Lesetext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.1 Die italienische Oper im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.2 Die venezianische Oper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.3 Venedig – Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.4 Soziale und politische Implikationen der deutschen Barockoper – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.5 Die Tragédie lyrique . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.6 Anfänge der deutschen Barockoper in Nord- und Mittel deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.7 Zur Wechselbeziehung von Libretto und Roman . . . . . . . . . . . . . . 71 2.8 Die Libretti Anton Ulrichs von Braunschweig und Lüneburg . . . . 76 2.9 Die Romane Anton Ulrichs von Braunschweig und Lüneburg . . . . 89 2.9.1 Die Durchleuchtigte Syrerin Aramena – der Einbruch der Affekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.9.2 Die Römische Octavia – darf der Herrscher auf die Bühne? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2.9.3 Pastorale vs. Historie – zyklisches und lineares Geschichtsbild im Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2.10 Heinrich Anselm von Zigler und Kliphausens Die Asiatische Banise . 118 2.10.1 Makrostruktur und Mikrostruktur des Leselibrettos im Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2.10.2 Vom Roman zur Oper – Librettobearbeitungen der Asiatischen Banise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

X Inhaltsverzeichnis 3. Alceste 1660–1719 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3.1 Eine griechische Königin in Venedig und Hannover . . . . . . . . . . . 137 3.1.1 Prolog – Welfische Affären und die Ankunft einer venezianischen Oper in Norddeutschland . . . . . . . . . . . . 137 3.1.2 Antigona delusa da Alceste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3.2 Die erste klassizistische Tragédie lyrique – Alceste, oder wie rettet man einen König? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3.2.1 Querelle d’Alceste – der Stein des Anstoßes . . . . . . . . . . . . . 164 3.2.2 Text oder Musik? Was ist die Leitgattung? . . . . . . . . . . . . 172 3.3 Alceste oder der Triumph des Herkules? Deutsche Alceste Adaptionen zwischen venezianischer Oper und Tragédie lyrique in Hamburg, Braunschweig, Leipzig und ihr Nachleben bei Wieland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3.3.1 Alceste und die Hamburger Dramaturgie 1680–1696 . . . . . 176 3.3.2 Johann Wolfgang Franck Alceste (1680–1693) – von Hanswurstens Geschlechterkrieg zur Galanterie des weisen Narren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3.3.3 Alceste und die Leipziger Dramaturgie – Transformation einer venezianischen zur deutschen Barockoper . . . . . . . . 198 3.4 Reformoper im teutschen vermischten Geschmack – Johann Ulrich König und Georg Caspar Schürmann Die Getreue Alceste (1719) . . . 207 3.4.1 Die Königin reformiert sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.4.2 Die Getreue Alceste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3.4.3 Die Braunschweiger Dramaturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3.4.4 Georg Caspar Schürmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.4.5 Johann Ulrich König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3.4.6 Braunschweig und „die teutschen Opern pur teutsch“ . . . 224 3.4.7 Die Hamburger Dramaturgie 1696–1719 . . . . . . . . . . . . . 227 3.4.8 Die Einleitung Königs – eine Poetik der empfindsamen Oper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3.4.9 Die Getreue Alceste oder der liebenswürdige Admetus . . . . 243 3.4.10 Die paradigmatische Reformoper . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

4. Die Königin kehrt zurück – Christoph Martin Wieland und Anton Schweitzer Alceste (1773/1775) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 4.1 Die erste deutsche Oper? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 4.2 Wielands Essays zum Musiktheater. Eine Singspieltheorie? . . . . . . 285 4.3 Wielands Kontakte zu Musik und Theater 1733–1770 . . . . . . . . . . 289 4.3.1 Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 4.3.2 Schweizer Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 4.3.3 Biberach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 4.3.4 Erfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

Inhaltsverzeichnis

XI

4.4 Im Portikus der Alceste 1770–1773 – ein Singspiel nach dem Muster der Alten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 4.5 Anton Schweitzer – ein vielgeschmähter Komponist . . . . . . . . . . . 322 4.6 Aurora – die Geburt des durchkomponierten Singspiels . . . . . . . . . 341 4.7 Alceste im Kontext der Opernästhetik des 18. Jahrhunderts . . . . . . 361 4.8 Dichter und Komponist auf dem Weg zu ihrer Alceste . . . . . . . . . . 380 4.9 Die Königin ist zurück – Wieland und Schweitzers Reformoper Alceste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 4.9.1 Erster Akt – von Metastasio zur Empfindsamkeit . . . . . . 391 4.9.2 Zweiter Akt – vom König zur sozialen Mutter . . . . . . . . . 415 4.9.3 Dritter Akt – wie benimmt sich ein moderner Held? . . . . 436 4.9.4 Exkurs – Die Wahl des Herkules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 4.9.4.1 Der zivile Herkules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 4.9.4.2 Übersetzung der antiken Muse ins Musiktheater und eine Neuauflage der Querelle d’Alceste . . . . . . 451 4.9.5 Von Göttern, Menschen, Halbgöttern und Parzen – die Theologie der Alceste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 4.9.6 Vierter Akt – Arie vs. Melodrama; Parthenias verkanntes Selbstopfer und Admets Schuldkomplex des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 4.9.7 Fünfter Akt – Heroismus oder Empfindsamkeit, wem gehört das Happy End? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 4.10 Vom vermischten Geschmack zum Singspiel als Landschaft der Seele . . . . 515 4.11 Alceste, die paradigmatische Reformoper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 4.12 Zur Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 4.12.1 Wechselwirkungen mit Christoph Willibald Glucks Opernreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 4.12.2 Die empfindsame Reformoper – von Calzabigi und Gluck zu Wieland und Schweitzer, von Wieland und Schweitzer zu Du Roullet und Gluck . . . . . . . . . . . . . . . . 538 4.12.3 Glucks Bitte um ein Libretto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544

5. Das Libretto als Geschichts-Gedicht – Alceste zwischen linearem und zyklischem Geschichtsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 6. Epilog – Opernlibretto, Leselibretto und Roman . . . . . . . . . . . . . . . 551 6.1 Opernlibretto – Rosamunde, eine Reformoper für Mannheim und Schwetzingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 6.2 Leselibretto – Das Urtheil des Midas und Pandora . . . . . . . . . . . . . . . 567 6.3 Transformation der Oper in den Roman – Geschichte der Abderiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 6.4 Schluss – vom Musik- zum Leselibretto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575

XII Inhaltsverzeichnis 7. Glossar: Wielands Kontakte zu Oper und Musiktheorie bis ca. 1777 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 7.1 Librettisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 7.2 Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 7.3 Theoretische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 8. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591

8.1 Abgekürzt zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 8.2 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 8.3 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598

9. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 10. Register der Namen und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619

Einleitung Wer einmal 4 ½ Stunden Tristan und Isolde (1865) durchsessen hat, während derer von Isolde kaum ein einziges Wort zu verstehen war, dem dämmert, dass selbst oder gerade Richard Wagners (1813–1883) Musik ohne den Text nicht zum Musiktheater werden kann. Wer mit der szenischen Uraufführung einer Barockoper bei der Kritik scheitert, weil in Ermangelung von Über­ titeln und abermals verständlicher sprachlicher Artikulation niemand im Pu­ blikum die sorgsam Text und Musik aufeinander abstimmende Dramaturgie und Inszenierung auch nur erahnen kann, der gelangt unweigerlich zu der Überzeugung: Die Oper ist ein textlich-musikalisches Kunstwerk, das nur gelingt, wenn beide Schwesterkünste zur Geltung kommen können. Wer dann noch immer an der fundamentalen Relevanz des Operntextes zweifelt, dem sei empfohlen, sich die konzertante Aufführung einer in ihrer Musik und Textvorlage gänzlich unbekannten italienischen Oper anzusehen, ohne zuvor einen Blick in das Textbuch oder die Synopsis zu werfen. Zu diesen Einsichten in denkbar scharfem Kontrast steht das häufig an Verachtung grenzende Desinteresse, das dem Libretto als eigenständigem Kunstwerk noch immer landläufig entgegengebracht wird. Einer überschau­ baren Anzahl an Pionierarbeiten der Librettoforschung seit den 1970er Jah­ ren1 stehen noch immer ganze Bibliotheken gegenüber, die alleine der Musik der Opern respektive ihren Komponisten gewidmet sind, wobei der Text nicht selten als Marginalie oder gar notwendiges Übel abgetan wird – das Diktum von der göttlichen Musik (etwa Giuseppe Verdis [1813–1901]) zum schlechten Text (etwa Francesco Maria Piaves [1810–1876]) ist sprichwört­ lich.2 Angesichts dieser Schieflage und der eingangs erwähnten empirischen Beobachtungen zur Bedeutung (im doppelten Wortsinne!) des Librettos für einen gelungenen Opernabend, kommt man kaum umhin sich zu fragen, wel­ 1

2

Darunter: Patrick J. Smith: The Tenth Muse. A Historical Study of the Opera Libretto. Lon­ don 1971; Klaus Günther Just: Das Opernlibretto als literarisches Problem. In: Ders.: Mar­ ginalien. Probleme und Gestalten der Literatur. Bern, München 1976, S. 27–45; Steven Paul Scher (Hg.): Literatur und Musik. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatisti­ schen Grenzgebietes. Berlin 1984. Jens Malte Fischer (Hg.): Oper und Operntext. Heidelberg 1985. Besondere Bedeutung kommt der Pionierstudie zu von Albert Gier: Das Libretto. Theorie und Geschichte einer musikoliterarischen Gattung. Darmstadt 1988. Vgl. Kurt Honolka: Opern. Dichter. Operndichter. Eine Geschichte des Librettos. Stuttgart 1962, S. 9.

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Einleitung

ches Kunstwerk überhaupt interpretiert werden soll, wenn die am Text entzün­ dete und für den Text komponierte Musik wie Fleisch von dem sie tragenden Skelett gelöst serviert wird? Glücklicherweise hat in der Opernforschung längst ein Umdenken ein­ gesetzt. Die Erkenntnisse der Librettoforschung werden nicht nur dankbar zur Kenntnis genommen, häufig wird die Oper inzwischen ausgehend vom Libretto interpretiert und erschlossen, was jedoch ebenfalls problematisch werden kann, wenn das Libretto vorschnell mit der Oper gleichgesetzt wird. Was also fehlt dem Libretto zu einer ihm angemessenen Würdigung, die wie­ derum Voraussetzung für das Gelingen der Oper ist? Ihm fehlt eine textzentrierte Librettoforschung, die es weder als unam­ bitionierten Gebrauchstext abtut noch nach Gesichtspunkten der Dramen­ analyse bemisst und für zu leicht befindet, sondern es als eigenständige Gat­ tung unter jenen komplexen Gesichtspunkten interpretiert, nach denen es geschrieben wurde: als Operntext. Dem Libretto fehlt eine eigene Disziplin: die Librettologie. Während die frühe Librettoforschung noch in dem Ruch einer Feier­ abendbeschäftigung dilettierender Philologie stand,3 dominiert inzwischen der Librettologe, der sowohl Philologe als auch Musikwissenschaftler (oder vice versa) ist, sich in den Spezialdiskursen der (musikwissenschaftlichen) Opernforschung und Musikwissenschaft glänzend auskennt und dessen Texte bezüglich ihrer Wissenschaftlichkeit keine Wünsche übrig lassen. Die Texte dieser genuin komparatistischen Forschung zielen in der Regel auf die Opernforschung respektive werden vor allem von ihr zur Kenntnis genom­ men.

Alceste 1660–1773 und das Libretto als Musik- und Lesetext Die vorliegende Studie verfolgt eine etwas andere Zielrichtung. Sie möchte die Librettoforschung an eine informierte Philologie anbinden4 und dazu eine Methodik entwickeln, wie die narrativen Strategien der deutschen Oper über einen Zeitraum von gut 100 Jahren erfasst werden können. 3

4

Albert Gier summierte 1998 folgendermaßen: „Literaturwissenschaftler neigen dazu, entwe­ der ein Libretto mit seiner literarischen Vorlage zu vergleichen oder die produktive Rezeption eines (bedeutenden) Autors auf der Opernbühne durch Zeit und Raum zu verfolgen. Die Verfasser sind oft Spezialisten für das Werk jenes Autors, die die Gelegenheit ergreifen, Beruf (Literaturwissenschaft) und Hobby (ihre Liebe zur Oper) zusammenzubringen.“ (Gier 1998), S. 28. Die Terminologie lehnt sich an den Begriff der informierten Praxis an, der die ältere Begrifflich­ keit der historischen Aufführungspraxis mit vorklassischer Musik im Umgang ersetzt.

Einleitung



3

Am Beispiel der Durchdringung von Libretto und Roman um 1700 sowie sechs Librettobearbeitungen des Alceste-Stoffes zwischen 1660 und 1773 wird ein Vorschlag unterbreitet, wie sich die literaturwissenschaftliche Analyse systematisch dem bislang von ihr stiefmütterlich behandelten Feld der deutschen Librettistik des 17. und 18. Jahrhunderts nähern kann, ohne dabei notwendig auf eine musikologische Ausbildung angewiesen zu sein. Um die Librettoforschung als Librettologie an eine informierte Philologie heranzuführen und die Studie zugleich als Einführung benutzbar zu machen, wird eingangs ein Abriss zur Geschichte der Oper in Italien und Frankreich gegeben, der die methodischen Grundlagen für die späteren Analysen legt, die Spezialdiskurse umreißt und zugleich direkt auf die untersuchten Texte hinleitet. Die deutsche Barockoper steht, wie sich dabei zeigen wird, keinesfalls in einem epigonalen Verhältnis zur italienischen und französischen, und ihre textlichen, dramaturgischen und musikalischen Qualitäten verdienten eine weitaus breitere Rezeption sowohl in der Philologie als auf der Opernbühne. Insofern möchte diese Studie auch eine Anregung für die Bühnenpraxis sein, indem sie mit der deutschen Barockoper die Herkunft jenes für den heuti­ gen Zuschauer besonders anschlussfähigen Phänotypus’ beschreibt, der in den Opern Georg Friedrich Händels (1685–1759) inzwischen zum festen Bestandteil des Opernrepertoires geworden ist. Der Begriff deutsche Barockoper wird hier verwendet für die Oper des Zeitraums von ca. 1660 bis 1740. Dass die späteren Opern eigentlich nicht mehr mit dem Begriff barock zu belegen sind, ist der Autorin bewusst. In der Forschung verbreitet ist der Begriff der „Hamburger Gänsemarktoper“, der jedoch die anderen Orte mit ihren zum Teil deutlich von Hamburg abwei­ chenden Dramaturgien ausschließt. Die vor allem in der älteren Forschung verbreitete Bezeichnung „frühdeutsche Oper“5 impliziert hingegen, dass es sich dabei um die Vorläufer der eigentlichen deutschen Oper Wagners gehan­ delt habe. Die ebenfalls (vor allem in der DDR-Forschung) gebräuchliche Bezeichnung „frühbürgerliche Oper“6 verkennt hingegen, wie sehr es sich bei diesem Gegenstand um eine in aristokratischen Kontexten stehende Kunstform handelt.7 Die Bezeichnung deutsche Barockoper stellt die Opern dagegen an die Seite der italienischen und französischen Opern dieses Zeitraums, mit welchen sie 5 6 7

Vgl. Böhme (1931). Vgl. Meyer (1984), S. 21–22. Vgl. Dorothea Schröder: Zeitgeschichte auf der Opernbühne. Barockes Musiktheater in Hamburg im Dienst von Politik und Diplomatie (1690–1745). Abhandlungen zur Musik­ geschichte. In Verbindung mit Ulrich Konrad und Hans Joachim Marx herausgegeben von Martin Staehelin. Göttingen 1998.

4

Einleitung

in engem intertextuellem Austausch stehen und die ebenso wie die Opern Händels gebräuchlicherweise unter dem Begriff Barockoper zusammenge­ fasst werden. Der Leser wird gebeten, unter dem Begriff Barockoper die genauere, doch im Text etwas umständliche Definition Oper des Generalbass­ zeitalters mitzudenken, die selbst jedoch wiederum insofern ungenau ist, als auch die Opern des späteren 18. Jahrhunderts noch in diese Kategorie fallen, aus der sich erst u. a. Anton Schweitzer (1735–1787) just mit Alceste (1773) herauszulösen beginnt. Methodisch wird das Libretto als vollwertige Gattung der Literatur betrach­ tet, die auf rein textlicher Basis gewinnbringend zu untersuchen ist, da sich – wie im Einzelnen zu zeigen sein wird – aus seiner Textstruktur weitreichende Befunde zur musikalischen Dramaturgie erschließen lassen. Das Libretto als Gattung umfasst dabei verschiedene Textsorten und Textebenen: das zur Vertonung bestimmte Libretto, die Partitur, begleitende Texte wie Vorreden und Abhandlungen, das Leselibretto sowie Romanformen, in die Opern­ libretti integriert sind. Die deutschen Alceste-Opern sind für das Vorhaben eines solcherart umgreifenden Abrisses ein philologischer Glücksfall. Denn sie bieten die vielleicht einmalige Chance, exemplarisch eine kontextualisierte Poetik der deutschen Barocklibrettistik zu entwickeln, die die lokalen Drama­ turgien der zentralen Aufführungsorte Braunschweig, Hamburg, Leipzig be­ rücksichtigt und überdies in einem Brückenschlag deren bislang noch nicht hinreichend beachtete Kontinuitäten zum frühklassischen Opernkonzept Christoph Martin Wielands (1733–1813) und damit der Oper der Mozartzeit aufzuzeigen. Neben weitreichenden Kontinuitäten der Opernkonzepte und Strukturen wird sich überdies herausstellen, dass diese vornehmlich über die verschiedenen Textsorten des Librettos vermittelt wurden. Die Geschichte der Oper erweist sich damit wesentlich als Geschichte des Librettos. Die Bedeutung des Librettos als regelrechtes Literatursystem von Lese­ texten erschließt die Analyse zum Librettoschaffen und den Romanen An­ ton Ulrichs von Braunschweig und Lüneburg (1633–1714), Die Durchleuchtigte Syrerin Aramena (1669–1673) und Die Römische Octavia (1673–1713). In ihnen sowie in Zigler von Kliphausens (1663–1696)8 Die Asiatische Banise manifes­ tiert sich die feste Verankerung des Librettos in der Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts9 sowie seine innovative formgebende Qualität.

8 9

Die Schreibweise differiert. Häufig auch Ziegler. Die Bernhard Jahn als erster erkannt hat. Bernhard Jahn: Das Libretto als literarische Gat­ tung am Ende des 17. Jahrhunderts? Zu Zi(e)glers Roman Die Asiatische Banise und seinen Opernfassungen. In: Die Oper am Weißenfelser Hof. Eleonore Sent (Hg.). Rudolstadt 1996, S. 143–169.



Einleitung

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Die Natur der Oper als gesamteuropäisches Phänomen bringt es mit sich, dass auch eine primär germanistische Untersuchung Texte der Nach­ barsprachen einbezieht. Zum Gegenstand gehören daher die jeweils ersten Bearbeitungen des Stoffes für die italienische und französische Opernbühne, Aurelio Aurelis (ca. 1630–nach 1708) Antigona delusa da Alceste (1660) und Phi­ lippe Quinaults (1635–1688) Libretto für Jean-Baptiste Lullys (1632–1687) Alceste ou le Triomphe d’Alcide (1674), die in vielfältiger Weise auf die deutschen Alceste-Libretti eingewirkt haben, sowie ggf. sie flankierende Texte. Ausführliche Analysen widmen sich den vier Libretti, Alceste (1680) von Johann Wolfgang Franck (1644–1710), Alceste (1693) von Paul Thymich (1656–1694) nach Aureli, Die getreue Alceste (1719) von Johann Ulrich Kö­ nig (1688–1744) für Georg Caspar Schürmann (1672–1751) und schließlich ­Alceste (1773) von Wieland für Schweitzer. Für die letzten beiden ist die Ver­ tonung überliefert und kann in die Analyse einbezogen respektive der Über­ gang von der Libretto- zur Partituranalyse umrissen werden. Die Alceste-Bearbeitungen der deutschen Barockoper zeigen, wie die verschiedenen Aufführungsorte (Hannover/Braunschweig-Wolfenbüttel/ Hamburg/Leipzig) eine jeweils eigene Dramaturgie entwickelten; teils aus den lokalen, den Produktions- und Rezeptionsbedingungen, teils als indivi­ duelle Setzungen der Produzenten. Selbst Texte, die so abhängig sind von ausländischen Vorbildern, dass man sie (wie jüngst Herbert Schneider) als „Übersetzungen“10 bezeichnen kann, zeigen, wie die Autoren gezielt die Bandbreite erzählerischer Möglichkeiten der europäischen Barockoper nutz­ ten und sich der Implikationen der Vorlagen souverän zu bedienen bzw. zu entledigen wussten. Alceste ist ein vergleichsweise seltener, doch dabei überproportional häu­ fig mit gattungs- programmatischen Intentionen auftretender Opernstoff. In den Bearbeitungen von Quinault und Lully, König und Schürmann, Rai­ niero de Calzabigi (1714–1795)/François-Louis Gand Le Blanc Du Roullet (1716–1786) und Christoph Willibald Gluck (1714–1787) sowie Wieland und Schweitzer manifestieren sich daher zentrale Paradigmen (nicht nur) der deutschen Oper, ihre unterschiedlichen Ausrichtungen und ihre Erzähl­ weisen. Wielands Alceste bildet den Zielpunkt dieser Entwicklung und da­ mit auch der vorliegenden Studie, da mit ihr das deutsche Singspiel als der Sonderfall eines gesprochenen Schauspiels mit Gesangseinlagen wieder in den dargestellten Bezugssystemen aufgesucht und erfolgreich in die Tradi­ tionen der großen europäischen Oper zurückgeführt wird. Wie sich zeigen wird, knüpft Wieland dazu in hohem Maße an Intentionen und Verfahrens­ 10

Herbert Schneider: Philippe Quinaults Alceste ou le triomphe d’Alcide in drei deutschen Adap­ tionen. In: Barock. Geschichte–Literatur–Kunst. Deutsch-polnische Kulturkontakte im 16.–18. Jahrhundert. Sondernummer. Warschau 2006, S. 131–171.

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weisen der deutschen Barockoper an, wozu er sich gezielt mit den früheren ­Alceste-Fassungen auseinandersetzte und Aspekte ihrer Dramaturgie in einem Brückenschlag über die opernlose Zeit  – nach dem Verklingen der deut­ schen Barockoper ab 1735 – in die Opernexperimente der Weimarer Klas­ sik (Johann Wolfgang von Goethes [1749–1832], Johann Gottfried Herders [1744–1803] und anderer) transferierte. Beweise für die Durchschlagskraft seines radikalen Experiments sind neben dem beispiellosen zeitgenössischen Erfolg seiner Alceste ihr Nachleben in Glucks Pariser Fassung (1776) und den großen Opern Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791) Die Entführung aus dem Serail  11 (1782), Idomeneo12 (1779) und Die Zauberflöte13 (1791). Dass Wieland Alceste für seine programmatische erste deutsche Oper wählte, ist kein Zufall, denn auch er knüpfte gezielt an die reiche Stoff- und Formgeschichte an. Die deutschen Alceste-Libretti bilden damit eine zusam­ menhängende Narration, die das eigentlich unmögliche Unterfangen mög­ lich macht, exemplarisch die Formgeschichte, gesellschaftliche Funktionen sowie die Einbindung des Librettos in das System der deutschen Literatur zu skizzieren und die jeweilige individuelle hermeneutische Gestalt der Libretti über einen so langen Zeitraum zu beschreiben. Auf diese Weise finden in Wieland und Schweitzers Alceste die Fäden der vorangegangenen Analysen zusammen und versammeln alle Textsorten des Librettos vom Essay über den Lese- bis zum Aufführungstext, um mit der zweiten Oper der Autoren Rosamunde (1776/1780) Libretto und Oper abermals im Roman Geschichte der Abderiten (Buchfassung 1781) wenigstens für Wieland ihren abschließenden Knoten knüpfen zu lassen.

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Libretto: Johann Gottlieb Stepanie d. J. (1741–1800) Libretto: Giambattista Varesco (1735–1805). Libretto: Emanuel Schikaneder (1751–1812).

1.  Librettologie – Entwurf einer Methodik Theater, insbesondere Musiktheater,1 ist eine Kunstform in verschiedenen Aggregatzuständen. Anders als ein reiner Lesetext, der in seiner Textur relativ stabil ist, hat ein dramatischer Text die Ausrichtung auf die Bühnenpräsenz und damit zur Transformation in ein raumzeitliches Ereignis, das tendenziell einzigartig und unwiederholbar ist.2 Für die Librettologie stellt sich somit die Frage nach dem zentralen Gegenstand der Untersuchung: Während die rein textzentrierte Analyse das theatrale Ereignis aus dem Blick verlieren mag, steht ihr gegenüber der theaterwissenschaftliche Ansatz einer Opern­ forschung, die das performative Ereignis fokussiert und möglichst genau zu rekonstruieren versucht. Dabei stehen neben Fragen der Fassungen die Pro­ duktionsbedingungen im Zentrum des Interesses, wodurch möglicherweise Hermeneutik und ästhetische Setzungen des Textes vom Spezialfall der Auf­ führung überdeckt werden, man sich also mit der Interpretation einer Inter­ pretation befasst. Denn für das Musiktheater sind die Produktionsbedingun­ gen besonders determinierend: Anzahl und Güte der Musiker, insbesondere der Sänger, ihr Geschlecht, ihre Stärken und Schwächen bestimmen bereits die Abfassung der Partitur durch den Komponisten, je nach Machtverhältnis­ sen mal freiwillig, mal eher unfreiwillig. Vor allem die musikwissenschaft­liche Forschung fördert diesbezüglich eine Fülle erhellender Details zur Praxis der Oper im 17. und 18. Jahrhundert zu Tage, doch droht mitunter das Werk in seiner Aussage dahinter zu verschwinden. Dieselbe Tendenz haben Unter­ suchungen zur Einbindung des Musiktheaters in soziale Netze und Funk­ tionen. Die Oper als das gesellschaftlichste aller Kunstwerke braucht noch stärker als das Sprechtheater den Rückhalt in Produktionszusammenhängen und eignet sich daher besonders als Gattung zur sozialen Rückversicherung einer herrschenden Person oder Gruppe. Entsprechend ist Opernkritik im 18. Jahrhundert häufig Gesellschafts- bzw. Herrschaftskritik. Im Gegenzug zielen auch die Opernreformen in hohem Maße auf gesellschaftliche Verän­ 1

Soweit keine genauere Gattungsbezeichnung sich anbietet, wird der Begriff Musiktheater als gattungsübergreifender verwendet. Er impliziert keine genaue Struktur, sondern lediglich das dominante Vorhandensein von Musik in einem theatralen Ereignis. Allerdings sind die begrifflichen Grenzen zum Schauspiel mit Schauspielmusik fließend. 2 Für die Begrifflichkeit des Performativen sei exemplarisch verwiesen auf: Erika Fischer Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a. M. 2004.

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derungen bzw. bringen die Utopie einer besseren Gesellschaft wenigstens als Möglichkeit (etwa im Lieto fine) auf die Bühne. Wie aber lässt sich eine historisch-hermeneutische Werkinterpretation mit einem (tendenziell) intertextuellen und kulturwissenschaftlichen Litera­ turbegriff verbinden? Zwar führt kein Weg an den Kontexten vorbei zu einer Analysemethode zurück, die den Autor als alleinige Instanz für das Werk begreift, was für die Oper als einem Kunstwerk mit zwei Urhebern ohnehin verfehlt wäre. Gleichwohl ist bei aller Zuneigung zum kulturwissenschaft­ lichen Blickwinkel auch danach zu fragen, ob sich im kulturwissenschaft­ lichen Gewand nicht mitunter in neuen Begriffen ein alter Ansatz von De­ terminismus in die Forschung zurückschleicht? Mit Blick auf diese Problemstellung und als produktives Gegenüber einer Opernforschung, die ihren Blick auf Feinheiten richtet, möchte die vorliegende Studie eine Betrachtung von Vernetzungen unterbreiten. Diese manifestieren sich neben dem bereits erwähnten intertextuellen Gewebe auch in den Beziehungen der Urheber als historische Persönlichkeiten, die die Studie durchziehen und zusammenbinden. Beginnend mit Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg, einem Pionier der deutschen Librettistik, der das Libretto in den Roman überführt und eines der einflussreichsten Opernhäuser des nord- und mitteldeutschen Raums begründete. Er stellte 1706 Georg Caspar Schürmann als Kapellmeister an, der eine zentrale Po­ sition für die Entwicklung und Profilierung der deutschen Barockoper ein­ nehmen sollte. Gemeinsam mit Ulrich von König schuf Schürmann 1719 Die getreue Alceste. König übernahm später gegenüber Johann Christoph Gottsched (1700–1766) die Verteidigung der Gattung und schlug sich da­ her gemeinsam mit Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) und anderen auf die Seite Johann Jacob Bodmers (1698–1783) und Johann Jacob Brei­ tingers (1701–1776), was ihn in unmittelbare Nähe zu Wieland bringt, der mit seinem Werk vertraut war und ihn wohl auch deshalb zu den wichtigen Schöpfern einer deutschen Librettosprache zählte. Schließlich sollte Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807), die Urgroßnichte An­ ton Ulrichs, die sogar noch einige Jahre ihres Lebens mit Schürmann am selben Hofe verbracht hatte, in Weimar jenen Faden wieder aufnehmen, den ihr Urgroßvater angeknüpft hatte.3 Mit ihrer Förderung der ersten deutschen Oper Wielands und Schweitzers setzte Anna Amalia auch in eindrucksvoller Weise eine Familientradition fort.

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Dem korrespondiert als räumliche Komponente die enge Beziehung zwischen den Opern­ bestrebungen in Braunschweig und Thüringen. Vgl. Gudrun Busch: Wolfenbüttel, Halle, Weißenfels und wieder Wolfenbüttel. Glanz und Abglanz höfischen Musiktheaters zwischen Oker und Saale (1635–1695). In: Die Oper am Weißenfelser Hof (1996), S. 209–246.

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1.1  Die Königin der Poesie – Opern- als Librettogeschichte Das Libretto erweist sich bis weit ins 18. Jahrhundert geradezu als stabiler Kern der Oper, denn ihm wird bereits zeitgenössisch jener Werkstatus zu­ gestanden, den die Vertonung erst im Laufe des 18. Jahrhunderts für sich erlangen sollte. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer der wichtigsten ist, dass Partituren lediglich in wenigen handschriftlichen Kopien zirkulierten, das Libretto hingegen in großen Stückzahlen über ganz Europa verbreitet werden konnte. Gedruckte Partituren gibt es aus der Zeit der venezianischen Oper des 17. und frühen 18. Jahrhunderts praktisch nicht. Das Notenmaterial hatte buchstäblich Materialwert, lediglich bezogen auf die jeweilige Aufführung, da die Partitur in der Regel auf die Stimmlagen der vorhandenen Sänger, deren individuelle Tessitura und Fähigkeiten hin angepasst und für die zur Verfügung stehenden Instrumente arrangiert wurde. Eine solche Partitur zu drucken wäre insofern sinnlos, als nach Einschätzung der Zeit bei einer Neu­ aufführung ohnehin für andere ausführende Kräfte das komplette Material erneut um- und abgeschrieben werden müsste. Sich in das maßgeschneiderte Kleid 4 einer/eines anderen zu zwängen, hätte kein Komponist einer Sänge­ rin/einem Sänger zumuten dürfen. Im Gegenteil bildete jede Stimme ein ein­ zigartiges Instrument, das man zuerst kennenlernen musste, um seine ganze Kompositionskunst mit ihm auszuspielen. Diese Situation gilt grundsätzlich für die Oper der Barockzeit und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sowie insbesondere für Mozart. Die Vorstellung, dass Sänger sich nach Rollen und innerhalb von Rollenfächern ausbilden und einteilen lassen, ist eine sehr mo­ derne, die in Deutschland erst im Zuge der kanonischen Mozartpflege ab 1800 entstand und mit der Repertoirebildung der Oper unserer Gegenwart voll zur Geltung kommt. Lediglich die französische Tragédie lyrique Lullys liegt von Anfang an in gedruckten Partituren vor,5 da bereits mit seinen Opern ein Repertoire entstand, in dem die Werke über einen langen Zeitraum hinweg immer wie­ der aufgenommen und gespielt wurden. Da es sich um grundlegende Werke der Hofoper im absolutistischen Frankreich handelte, spielten repräsentative 4 5

„gutgemachts kleid“, wie Mozart am 28. 2. 1778 schrieb. In: Mozart: Briefe und Aufzeich­ nungen. Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg (Hg.). Gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch. Kassel u.  a. 1963. Bd. II, S. 304. Lully nutzte das ihm 1672 verliehene Druckprivileg und ließ ab 1679 alle seine Opern als partition générale erscheinen, teilweise sogar die Stimmen drucken. Damit begründete er die französische Tradition der Partiturdrucke, die sogar die Opéra comique übernehmen sollte. Ab 1708 erschienen überdies partition réduite (Klavierauszüge) aller Opern, darunter auch die zuvor noch nicht als Partitur gedruckte Alceste ou le triomphe d’Alcide. Vgl. MGG Bd. 11, Sp. 584 und Sp. 588.

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Funktionen bei der Drucklegung eine zentrale Rolle. Außerhalb Frankreichs mussten für eine Drucklegung der Partitur hingegen externe Faktoren hinzu­ treten. Die Partitur von Sigmund Theophil Stadens (1607–1655) Seelewig er­ schien daher nicht zufällig in einem anderen Medium, dem der Frauenzimmer­ gesprächsspiele, einer frühen Art von Zeitschrift. Obgleich die Noten durchaus zum praktischen Gebrauch bestimmt waren, wurden sie also erst in einem vornehmlich als Lesetext vertriebenen Medium realisierbar und waren zum geselligen Hausgebrauch im Rahmen gemeinschaftlicher Lektüre, nicht etwa zur professionellen Aufführung auf einer Bühne bestimmt.6 Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts, der klassischen Periode und ihrer Reformopern, insbesondere Glucks, erhielt der Partiturtext in seiner Eigen­ schaft als Programmkunstwerk derart modellhaften Charakter, dass die ge­ druckte Partitur den Anspruch vertreten konnte, künftige Sänger möchten sich an ihr bilden und in der Orchesterbesetzung sei der freien Entscheidung des Komponisten Rechnung zu tragen (beides wurde allerdings in der Praxis zunächst nicht streng befolgt). Erst am Ende dieses Prozesses konnte die gedruckte Partitur folglich zuerst sich selbst als modellhaftes, repetierbares Ereignis repräsentieren und tendenziell den Anspruch des Kunstwerkes auf Autonomie von den Produktionsbedingungen formulieren. Die Drucklegung einer Partitur war bis zum späteren 18. Jahrhundert ausgesprochen kostspielig, da jedes Blatt wie ein Kupferstich gestochen wer­ den musste. Der Notendruck mit beweglichen Typen wurde erst ab 1730 entwickelt und blieb auch danach ein aufwendiges Verfahren mit mehreren Arbeitsgängen. Setzt man eine Partitur mit etwa dreihundert Seiten dazu in Bezug und das Faktum, dass sie als italienische oder deutsche Oper ledig­ lich einen geringen Wiederverwendungswert hatte, so erhellt sich, dass eine Drucklegung gute außerästhetische Gründe haben musste – das sind in der Zeit vor 1800 in der Regel repräsentative. So sind eine Reihe der frühesten Opern, darunter Claudio Monteverdis (1567–1643) L’Orfeo (1607), gerade deshalb in prächtigen Partiturdrucken überliefert, weil diese keinen Nutzen hatten und damit als Dokumente eines insgesamt besonders ressourcenin­ tensiven Hoffestes nachdrücklich Macht und Reichtum des veranstaltenden Adelsgeschlechtes demonstrierten.7 Aus merkantilen Gründen lohnten sich lediglich Ariensammlungen und Klavierauszüge,8 die als Hausmusikalien einem aristokratischen und später 6 7 8

Und präludiert damit die Funktion gedruckter Musikalien des mittleren 18. Jahrhunderts als Hausmusik. Vgl. dazu ausführlich: Tina Hartmann: Singen über Geld. Die Opernbühne, (k)ein Ort klin­ gender Münze? In: Geldkulturen. Gerhard Burmann und Stephan Trüby (Hg.). München 2014, S. 219–240. Bereits 1710 erschien in Hamburg ein Ariendruck zur Begleitung auf dem Cithrinchen ­(einem speziellen Tasteninstrument).

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bürgerlichen Publikum verkauft werden konnten. Dies setzte eine breitere bürgerliche Schicht voraus, wie sie erst Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts entstand. An dieses Publikum wenden sich die verblüffend umfassenden Publikationen der Noten bereits aus der Frühzeit des Norddeutschen Sing­ spiels,9 gerade weil dessen Gesänge viel einfacher waren als Opernarien und damit für nahezu jeden bürgerlichen Haushalt als Hausmusik verwendbar. Die Publikation der Alceste von Wieland und Schweitzer, die damit als erste deutsche Oper seit Stadens Seelewig vollständig im Druck erschienen ist (!), steht diesbezüglich in der Tradition des Norddeutschen Singspiels und schlägt zugleich den Bogen zum Anspruch, ein kanonisches Musikwerk zu sein, wie ihn die Partiturdrucke Glucks formulieren. Der erste Druck der Alceste von 1774 wurde just deshalb kritisiert, weil er als Particelldruck mit angedeuteten Instrumenten zu anspruchsvoll für den Gebrauch als Hausmu­ sik war, sich also schon zu weit in Richtung auf eine professionelle Rezeption bewegte. Ein reiner Klavierauszug folgte daher wenige Jahre später. Vicente Martín y Soler (1754–1806), ein Zeitgenosse Mozarts in Wien, sollte schließ­ lich gar seine Opern zunehmend mit populären Kanonformen und gut sing­ baren Arien auf die lukrative Zweitverwertung als Musikalien für bürgerliche Hausmusik zuschneiden.10 Für die italienische und deutsche Oper bedeutet dies aber, dass Noten in der Regel nur handschriftlich und auf Grund der zahlreichen Theaterbrände der vergangenen Jahrhunderte eher durch Zufall überliefert sind. Ganz anders die Libretti. Dank des beweglichen Letterndruckes waren sie wesentlich günstiger zu erstellen und billig zu vervielfältigen. Auch wenn der Druck der Repräsentation der Librettisten gedient haben mag, ihr Haupt­ zweck lag darin, an eine breite Käuferschicht verkauft zu werden.11 Viele Be­ sucher der Aufführungen waren bereit, den Kosten für die Eintrittskarte noch die für das Textbuch hinzuzufügen, um den Text mit einer kleinen Kerze während der Aufführung mitzulesen – wie Wachsflecken auf den Textseiten bezeugen. Das allein erklärt jedoch nicht, warum Libretti in erstaunlicher An­ zahl und Dichte überliefert sind. Offenbar bildeten sie kostbare Andenken an die besuchte Aufführung und übernahmen damit die Funktion prachtvoller Partiturdrucke in nuce. Bereits im 17. und 18. Jahrhundert entstanden Libret-

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Die Terminologie folgt Thomas Bauman: North German Opera in the Age of Goethe. Cam­ bridge 1985. Vgl. Dorothea Eva Link: Der musikalische Stil von Martin y Solers Opern für Wien. In: Vicente Martín y Soler: Una cosa rara ossia Belezza ed onestá. Programmbuch zur Aufführung. Staatsoper Stuttgart 2003/2004, S.  84–87. Auszugsweise Übersetzung aus. Dies.: The Da Ponte Operas of Vicente Martín y Soler. University of Toronto 1991. Die Preise wurden in Venedig von der Kommune festgelegt. Vgl. Ellen Rosand: Opera in seventeenth-century Venice. The creation of a genre. Berkeley u.  a. 1991, S. 15.

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tosammlungen, die mit großer Vollständigkeit die Opernproduktion der Zeit dokumentieren. Libretti wurden folglich auch für eine Relektüre aufbewahrt und unabhängig von der Opernaufführung gesammelt. Die Musik zu Monteverdis L’incoronazione di Poppea (1642) ist lediglich über­ liefert, weil sie wieder aufgeführt wurde und die Dokumente dieser Wieder­ aufnahme von (vermutlich) 1651, also ein knappes Jahrzehnt nach seinem Tod, erhalten sind.12 Das bedeutet sehr wahrscheinlich auch, dass Monteverdis13 Musik für diese Aufführungen überarbeitet und wenigstens teilweise moder­ nisiert wurde. Während die Musik also nicht nur in hohem Maße den Produk­ tionsbedingungen unterworfen war, sondern überdies nach wenigen Jahren als so veraltet galt wie die Mode der damaligen Saison, konnte das Libretto auch nach Jahrzehnten noch Bestand haben. Eventuelle Neufassung oder andere Positionierung der Arien, Streichung oder Hinzufügung von Neben­ figuren greifen selten in seine Grundstruktur ein. Einzige Ausnahme einer konstanten Beziehung von Libretto und Vertonung ist abermals die franzö­ sische Tragédie lyrique, die jedoch außerhalb Frankreichs nur vereinzelt in Form vollständiger Werke rezipiert wurde, sondern überwiegend als Struk­ turmodell Pate stand. Dies ist umso bemerkenswerter im Sinne der These vom Libretto als Rezeptionskern, als – obwohl in diesem Falle die Partituren gedruckt vorlagen und vergleichsweise gut zugänglich waren – das Libretto Quinaults zu Alceste eine ausgesprochen intensive Rezeption auf der deut­ schen barocken Opernbühne erfuhr und  – wie die Analyse im Einzelnen darlegen wird – in den Bearbeitungen die zentrale konstante Größe der Oper Quinaults und Lullys bildet. Offenbar inkorporierte das Libretto nach dem Verständnis des 18. Jahr­ hunderts bereits den wesentlichen Teil der Oper. Das ist eben nicht nur die Geschichte, sondern auch die Form, die von einer Vertonung erfüllt wird, wogegen sich die Vertonung selbst als verblüffend austauschbar erweist. Dies gilt sowohl für die zahlreichen Vertonungen desselben Librettos in der italie­ nischen Oper seit Ottavio Rinuccinis (1562–1621) Euridice (1600),14 als auch für die frühe deutsche Oper, die sich in hohem Maße bereits existierender Melodien (geistlicher oder weltlicher Lieder) bediente, so dass von einer re­

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Für die Diskussion und die Darstellung der Forschung vgl. Rosand (1991), S. 22–33. Tatsächlich ist Monteverdis Urheberschaft nicht eindeutig nachzuweisen, wird jedoch von den meisten Forschern auf Grund musikalisch-dramaturgischer Befunde, die so nur in Mon­ teverdis an der Madrigalkunst entwickelter Musiksprache ihr Vorbild haben, als die wahr­ scheinlichste angesehen. Doch gilt auch als wahrscheinlich, dass der Monteverdi-Schüler und Mitarbeiter Pietro Francesco Cavalli (1602–1676) bei der Überarbeitung eine zentrale Rolle gespielt hat. Von Jacopo Peri (1561–1633) und Giulio Caccini (1545–1618).



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gelrechten Vertonung oder Partitur häufig nicht die Rede sein kann,15 wie schließlich für die vielfach vertonten Libretti Pietro Metastasios (1698–1782). Aus dieser Unabhängigkeit von einer bestimmten Vertonung konstituiert sich das Libretto als Lesetext. Gerade weil es die konstante Größe einer Oper ist, kann es problemlos in verschiedene Lesetextsorten wie Leselibretto oder Roman transformiert werden, ohne aus der Gattung Opernlibretto heraus­ zufallen: Seine Grundstruktur bleibt unangetastet, die Musik ist arbiträr. Die musikwissenschaftlich fundierte Opernforschung hat die Bedeu­ tung des Librettos inzwischen erkannt, wie die Studie Saskia Maria Woykes zu Pietro Andrea Ziani (1616–1684)16 oder Ludwig Finschers Aufsatz über Friedrich Schillers (1759–1805) Semele (1780)17 exemplarisch zeigen. Hier wird über weite Strecken ausschließlich mit den Transformationen des Li­ brettos argumentiert. Dies geht so weit, dass die gedoppelte Urheberschaft aus Librettist und Komponist ausgeblendet und die Strukturen des Libret­ tos zur Beschreibung etwa von Zianis Opernkunst verwendet werden. Wie die vorliegende Studie ausführlich darlegen wird, birgt diese Verfahrens­ weise jedoch ein zentrales Problem, wenn mit dem Libretto Aussagen über den Komponisten respektive über die Oper als textliches und musikalisches Kunstwerk gemacht werden sollen. Denn mitunter stellt sich beim Blick auf die Textstruktur sogar die Frage, ob bei der Übernahme oder Übersetzung eines Opernlibrettos überhaupt etwas von dessen mit dem Namen des Erst­ komponisten verbundener Vertonung übernommen werden konnte. Das Plädoyer dieser Studie – um Missverständnissen vorzubeugen, sei es an dieser frühen Stelle betont und vorweggenommen – ist nicht, die er­ freuliche Aufmerksamkeit, die dem Libretto von Seiten der musikwissen­ schaftlichen Opernforschung widerfährt, zu kritisieren oder gar in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Sie versteht sich ausdrücklich als Beitrag dazu, und ihr kritischer Impetus beschränkt sich darauf, den Blick für Probleme und Fallstricke dieser Vorgehensweise zu schärfen. Vor allem aber wendet sie sich an die germanistische Literaturwissenschaft und möchte klarstellen, dass das Libretto eine primär literarische Gattung ist; ferner zeigen, wie diese Gattung 15

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Vgl. Gudrun Busch: Herzogin Sophie Elisabeth und die Musik der Lieder in den Singspielen Anton Ulrichs zu Braunschweig und Lüneburg. In: Studien zum deutschen weltlichen Kunst­ lied des 17. und 18. Jahrhunderts. Gudrun Busch und Anthony J. Harper (Hg.). Amsterdam, Atlanta 1992, S. 127–182. Saskia Maria Woyke: Pietro Andrea Ziani. Varietas und Artifizialität im Musiktheater des Seicento. Perspektiven der Opernforschung. Jürgen Maehder und Thomas Betzwieser (Hg.). Frankfurt a. M. u.  a. 2004. Ludwig Finscher. Was ist eine lyrische Operette? Anmerkungen zu Schillers „Semele“. In: Schiller und die höfische Welt. Achim Aurnhammer, Klaus Manger und Friedrich Strack (Hg.). Tübingen 1990, S. 154.

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im 17. und 18. Jahrhundert ein enormes innovatives Potential entfaltete und dass sie von den Zeitgenossen gar als höchste aller poetischen Gattungen geschätzt wurde, die entsprechend in andere Literaturformen ausstrahlte. Die Zustän­ digkeit für das Libretto als eigenständige Literaturgattung und nicht nur als Grundstruktur der Opernforschung mindestens für das 17. und 18. Jahrhun­ dert in Deutschland – also für ein zentrales Feld des literarischen Lebens vom Barock bis zur Weimarer Klassik – gehört demnach zum genuinen Aufga­ benfeld der Germanistik und sollte dringend vom Status eines Randgebietes befreit und ins Zentrum germanistischer Forschung gerückt werden.

1.2  Die Oper als Lesetext Die Lektüre des Opernlibrettos wird von zeitgenössischen Ästhetiken als eine der zentralen Rezeptionsformen beschrieben. Bereits die Vorrede weist das gedruckte Libretto in der Regel als Lesetext aus,18 und u.  a. Barthold Feind (1678–1721) führt 1708 in seinen Gedancken von der Opera „Leser und Zuschauer“ beständig in einem Atemzug, etwa als „ein Knabe/ wenn er zum erstenmal eine Opera lieset und siehet“.19 Überdies ist es vor allem das Li­ bretto, das die intertextuellen Bezüge zu anderen Stoffen und Gattungen herstellt. Die Oper ist somit nicht nur auf den europäischen Bühnen der Zeit zwischen 1660–176020 die erfolgreichste Gattung,21 sie ist auch als Lese­ text omnipräsent und erreicht damit überdies all jene Orte des deutschen Sprachraums, in denen es weder ein Hoftheater gab, noch in die sich eine Operntruppe verirrte. Die Libretti sorgten somit für eine breitere Kenntnis der aus den Texten zu ersehenden Strukturen der Oper, als es die Dichte an Aufführungen jemals ermöglicht hätte. Im Gegenzug ist die Verbreitung der Librettolektüre die einzige Erklärung für das Phänomen, dass allen halb­ wegs literarisch interessierten Zeitgenossen des deutschen Sprachraumes die

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Vgl. Reinhart Meyer (Hg.): Die Hamburger Oper. Eine Sammlung von Texten der Hambur­ ger Oper aus der Zeit 1678–1730. München 1984, S. 104. Bartold Feind: Gedancken von der Opera. In: Ders.: Deutsche Gedichte. Stade 1708, S. 74– 114, hier S. 77 und 94. Auch Hoftheater waren häufig für Bürger zugänglich bzw. rechneten geradezu mit nichtade­ ligem Publikum. Vgl. Hellmuth Christian Wolff: Das Opernpublikum der Barockzeit. In: Festschrift Hans Engel zum siebzigsten Geburtstag. Horst Heussner (Hg.). Kassel 1964, S.  442–452. Und Reinhart Meyer: Der Anteil des Singspiels und der Oper am Repertoire der deutschen Büh­ nen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Das deutsche Singspiel im 18. Jahrhundert. Kolloquium der Arbeitsstelle 18. Jahrhundert (Hg.). Gesamthochschule Wuppertal. Heidel­ berg 1981, S. 27–76.



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Strukturen der Oper geläufig waren. Libretti wurden von privaten Samm­ lern, vor allem aber von aristokratischen Häusern gesammelt, bewahrt, über Generationen weitergegeben und wanderten später in öffentliche Bibliothe­ ken. Goethe hat diese prototypische Rezeptionsform des Leselibrettos in Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795–1796) als Librettosammlung des Großvaters beschrieben und sie später in Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1811– 1833) autobiographisch verankert.22 Das Libretto als Lesetext bleibt bis zur Romantik mit den übrigen Gat­ tungen der Literatur eng verwoben. Denn nicht nur die Oper insgesamt wurde als Gattung der Literatur rezipiert, das Libretto wurde auch ohne Ver­ tonung benutzt als Literaturgattung, deren ersten Zweck die Lektüre bildete. Dass diese Lektüre nicht nur vor oder während einer Aufführung stattfand, sondern auch später und häufig sogar in völliger Unkenntnis der mit ihm ur­ sprünglich verbundenen oder überhaupt einer Vertonung, beweist neben den Sammlungen vor allem die Gattung des reinen Leselibrettos, das offenbar überhaupt nicht zur Vertonung gedacht war, ferner die Rolle des Librettos für den Roman. Dank dieser Funktion konnte das Libretto in Deutschland die opernlose Zeit ab 1740 überbrücken und die wesentlichen Strukturen der Oper und die Errungenschaften einer deutschen Librettosprache in die frühe Mozartzeit tradieren. Ist der Blick erst einmal dafür geschärft, entpuppt sich die doppelte Funktion des Librettos als Opern- und Lesetext gar als Konstante der Rezep­ tion bis weit in die Weimarer Klassik, etwa wenn Goethe gegenüber Herder bei der Übersendung seiner italienischen Fassungen der Singspiellibretti Er­ win und Elmire und Claudine von Villa Bella betont, dass darin, „auch fürs Lesen gesorgt“23 sei. Wieland verfuhr ähnlich mit der im Unterschied zu den Dra­ men vollständigen (!) Aufnahme der Libretti in die Werkausgabe letzter Hand sowie den separat gedruckten Libretti zu seinen Opern Alceste und Rosamunde, die keine Drucke zu Aufführungen waren, letztere erschienen zusätzlich. In diese Praxis reiht sich auch Christian Felix Weißes (1726–1804) Übersetzung von Metastasios Alcide al Bivio (Herkules auf dem Scheideweg) ein, das 1770 ebenfalls als eigenständiges, zweisprachiges Heftchen (mit Metastasios Ori­ ginal) und reiner Lesetext „zur Beförderung der Tugend“ publiziert wurde, ohne dass eine Vertonung der Übersetzung überhaupt beabsichtigt gewesen wäre. Metastasio reiht sich – wie vor ihm Apostolo Zeno (1668–1750) – in diese Tradition ein, die aber tatsächlich schon über ein halbes Jahrhundert älter ist als er. Gleichwohl verkörpert der Italiener das alles überstrahlende 22 Vgl. Wilhelm Meisters Lehrjahre FA I, Bd. 9, S. 23–24, und Dichtung und Wahrheit, FA I, Bd. 15, S. 101–102. Wobei in diesem Falle beinahe unbedeutend wird, ob diese Operntextsammlung tatsächlich existierte, da sie als prototypisches Stadium des deutschen Theaters fungiert. 23 FA I, Bd. 15.1, S. 554.

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Vorbild im 18. Jahrhundert. Seine Libretti waren in ganz Europa in Lese­ ausgaben verbreitet und wurden breit rezipiert,24 jeder literarisch gebildete Zeitgenosse kannte seine Texte; sie bilden einen Dreh- und Angelpunkt des Nachdenkens und Schreibens über die Oper bis zum 19. Jahrhundert.25 Bei der Librettolektüre wurden offenbar die im Text durch Fettdruck und/oder Einzug hervorgehobenen Arien aus dem Gedächtnis mit vergan­ genen Musikerlebnissen unterlegt. Da die ungefähre Klanggestalt aus dem Libretto ersichtlich ist (Gliederung, Wiederholungsstruktur, Affekt und daraus resultierend auch etwa Tempo und Charakter der intendierten Mu­ sik) und die Vertonungsweise den Rezipienten geläufig war, funktionierte das Libretto als Oper im Kopf, bereitete beim Lesen offenbar Vergnügen und funktionierte sogar, wenn der Leser nie eine Vertonung des konkret vor ihm liegenden Arientextes gehört hatte. So konnte der Leser eines Librettos im Geiste den Arientexten jedes ihm bekannte Lamento oder jede Aria di Bra­ vura unterlegen, im Zweifel also gedanklich seine Lieblingsstücke aufrufen. Da Libretti mehrfach vertont wurden, konnte ein weitgereister und langle­ biger Leser bei der Textzeile „Ombra mai fu“ nicht nur Händels Largo26 vor dem inneren Ohr haben, sondern eventuell auch die Töne Pietro Francesco Cavallis (1602–1676). Erst am Ende des 18. Jahrhunderts wurde mit Mozarts kanonischen Opern undenkbar, den Text der Zauberflöte ein zweites Mal zu vertonen, da die Zeile „der Vogelfänger bin ich ja“ sofort die entsprechende Melodie evoziert. Der Text des Leselibrettos respektive der Roman, in den es integriert ist, ersetzt damit nicht das Erklingen von Musik,27 kann aber ihre lustvolle Erinnerung abrufen, die das Funktionsprinzip Oper vermittelt, auch wenn der Musikklang ebenso wie die optischen Reize von Bühnenbild, prächtigen Kostümen und ggf. Maschinen hinzugedacht werden müssen. Die These von der Oper im Kopf bestätigt u.  a. die in Anna Amalias Sammlung vorherrschende Form von Opernmusikalien. Vollständige Par­ tituren finden sich nur in Ausnahmefällen. Zumeist sind es einzelne Arien. Um das Werk genießen zu können, war Vollständigkeit nicht erforderlich. Entlang dieser Rezeptionsweise wurden auch Ariensammlungen mit den besten Stücken verschiedener Opern herausgegeben, und ohnehin war es bei 24 25

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Worauf im Kontext der sog. neapolitanischen Reformoper noch zurückzukommen sein wird. Vgl. Metastasio im Deutschland der Aufklärung. Bericht über das Symposium Potsdam 1999. Laurenz Lütteken und Gerhard Splitt (Hg.). Tübingen 2002. Darin insbesondere: Laurenz Lüttken: Metastasio im Spannungsfeld der deutschsprachigen Opernkritik des 18. Jahrhun­ derts und Volker Kapp: Metastasio und die Aufklärung. Aus der Oper Serse (1738). Auf der Basis der Vorlagen von Nicolò Minato (1630–1698) und Silvio Stampiglia (1664–1725). So wenig wie Reiseliteratur das Reisen ersetzte, aber gleichwohl demjenigen, der nicht reisen konnte oder wollte, einen Abglanz ferner Länder in Dorf oder Kleinstadt brachte.



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Aufführungen italienischer Opern durchaus üblich, Einlage- und Austausch­ arien28 einzufügen, die die Sänger als ihre Bravurstücke mitbrachten (die sog. Arie aus dem Koffer) und die häufig von anderen Komponisten als dem der aufgeführten Oper stammten. Das Leselibretto als Vermittlungsmedium librettistischer Verfahrens­ weisen funktionierte so gut, dass es sogar die zur Librettoproduktion er­ forderlichen Kenntnisse vermittelte. Wieland vermochte sich wie knapp hundert Jahre zuvor beispielsweise Zigler von Kliphausen29 auf diesem Wege offenbar problemlos die Verfahrensweisen der Oper anzueignen, ohne ein Opernhaus betreten zu haben, das in der Lage gewesen wäre, Opern (Opere serie) der von ihm besonders geschätzten italienischen Komponis­ ten Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736), Niccolò Jommelli (1714–1774), Baldassare Galuppi (1706–1785) und der italienisch komponierenden Johann Adolf Hasse (1699–1783) und Carl Heinrich Graun (1704–1759) aufzufüh­ ren. Möglicherweise ließ ihn gerade der Zugang über die Lektüre, also über die im Text definierten Strukturen (Arie und Rezitativ, deren Wechsel und Verhältnis, die knappe Dramaturgie zur Evokation mannigfaltiger und star­ ker Affekte etc.), die Funktionsweise der Oper so genau erschließen, dass er (sehr wahrscheinlich auch Dank der Beratung Schweitzers) praktisch beim ersten Versuch in der Lage war, ein in seiner formalen Gestalt unver­ wechselbares Libretto mit einer starken inneren strukturellen Logik zu entwerfen. Für die Wirksamkeit des Leselibrettos gibt es demnach kaum einen bes­ seren Garanten als Wieland, der in den ersten 40 Jahren seines Lebens zwar viel Musik gehört, aber nach allem, was halbwegs gesichert anzunehmen ist, vor seiner eigenen wohl nie eine vollständig komponierte Oper auf der Bühne gesehen hat, denn für die Zeit vor 1773 lassen sich in seinem Umfeld nur kon­ zertante (Teil-)Aufführungen, Laientheater und die Singspiele im Repertoire

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Sänger brachten häufig neben ihren eigenen Kostümen auch eigene, gleichfalls „maßge­ schneiderte“ (Mozart) Arien mit, die in die Opern an einer passenden Stelle eingefügt wur­ den. „Passen“ konnten diese in beinahe jede Oper nach der Metastasianischen Dramaturgie, da der Inhalt der Arien in der Regel nicht handlungsrelevant ist, sondern die Affekte der Figur (also die Effekte der Handlung auf sie) in Form von Emblemen zum Inhalt hat. Durch klug eingefügte Einlagearien mochte sich also das aufgefächerte Affektspektrum einer Figur etwas verschieben, die Handlung musste dadurch jedoch nicht unbedingt gestört werden, zumal sie ohnehin so eingerichtet wurde, dass die zentralen Affekte als Anlässe für Arien hervorgerufen wurden. Und damit auch deutlich vor Menantes gedruckter Anweisung zur Librettoproduktion in: Menantes (Christian Friedrich Hunold) (1680–1721)/Neumeister: Die allerneueste Art, zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen. Allen edlen und zu dieser Wissenschaft geneigten Gemüthern zum vollkommenen Unterricht, mit überaus deutlichen Regeln und angenehmen Exempeln ans Licht gestellet. Hamburg 1707.

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der Seylerschen Truppe nachweisen. Gleichwohl gelang ihm mit Schweitzer nicht nur wirkungsvolles Musiktheater innovativen Zuschnitts, Wieland traf mit erstaunlicher Sicherheit auch die Bedürfnisse eines Genres, das er und Schweitzer zugleich wenigstens in Teilen neu erfinden mussten. Im Gegen­ zug brauchte der musiktheatererfahrene Goethe von 1774 bis in die Mitte der 1780er Jahre (wie sich insbesondere an Scherz, List und Rache manifestiert), ehe er wirksame und gut vertonbare Libretti verfassen konnte. Das Libretto als Lesetext führt damit nicht notwendig weg vom Musiktext, sondern kann je­ derzeit wirkungsvoll zu ihm zurückkehren.30 Berücksichtigt man diese Text­ zentriertheit der Oper, erhellt sich auch, warum die Poetiken der Oper im 17. und 18. Jahrhundert im Wesentlichen Librettopoetiken sind. Dies gilt nicht nur für die sog. neapolitanische Opernreform – die von Zeno und Metas­ tasio vollendet wird – und für Librettisten wie Feind und Wieland, sondern eben auch für die Komponisten und Musiktheoretiker Johann Mattheson (1681–1764) und Gluck. Relativ konstant bleiben dabei seit den Poetiken der deutschen Barockoper die mit der Quinault’schen Alceste (und der Querelle d’Alceste) verknüpften und selbst bei Wieland noch spürbaren Überlegungen, inwieweit die Oper für sich in Anspruch nimmt, eine Wiederbelebung der antiken Tragödie zu sein, sich gegen sie absetzt, oder ob sie diese für die Zeitgenossen übersetzt und sogar überbietet.

1.3  Librettologie – eine philologische Disziplin Die doppelte Urheberschaft der Partitur durch Librettist und Komponist bildet eine der zentralen methodischen Herausforderungen bei der Analyse einer Oper. Obgleich noch immer die Ansicht vorherrscht, dass der Kom­ ponist (so er kein Stümper ist) notwendig in Entscheidungen der Partitur das letzte Wort behält, berücksichtigt die aktuelle historisch-hermeneutisch orien­tierte Opernforschung zunehmend die fundamentale Rolle des Libret­ tos in der Oper des 17. und 18. Jahrhunderts. Da die alleinige Verbindung einer bestimmten Vertonung zu einem Text erst mit der Mozartzeit entstand, stellt sich das Prima-la-musica-Problem, also die Frage nach dem Primat von Wort oder Ton, auch erst mit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Die kulturwissenschaftlich orientierte Philologie hat im Gegenzug den Blick für die Kontexte geschärft, in die literarische Texte eingebunden sind, und damit den Boden bereitet für die gemeinsame Betrachtung des scheinbar Disparaten. Diesen doppelten Blick benötigt die Librettologie. Bezeichnete

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So verfasste auch Zigler nach seinem Beitrag zum Libretto im Roman noch ein Bühnen­ libretto.



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Ulrich Weisstein noch 1982 Libretto und Oper als „siamesischen Zwilling“31, um die Herausforderung für die Analyse dieses „unmöglichen Kunstwerks“32 zu beschreiben, vermag die Analyse heute die Metapher (mit einer Anleihe an Wieland33) in ein wohlgestaltetes Zwillingspärchen zu wenden, das die Besonderheit aufweist, zwei Väter (respektive Mütter) zu haben. Dies reflek­ tierend wird im Folgenden häufig von „den Autoren der Oper“ die Rede sein, womit sich Librettist und Komponist bequem zusammenfassen lassen, ohne sich um das Primat streiten zu müssen. Die deutsche Barockoper hat in der Zeit zwischen ca. 1890 und 1933 im Zuge der Wiederentdeckung barocker Literatur und der Anfänge der Al­ te-Musik-Bewegung erste Beachtung gefunden, deren Ergebnisse auch heute noch in vieler Hinsicht Bestand haben. Dies insbesondere, da sich die For­ scher vor dem Zweiten Weltkrieg eines wesentlich breiteren, leider auch in Zeiten weltumspannender Internetrecherche nicht wiederkehrenden Quel­ lenschatzes erfreuen konnten. Schon deshalb kommt keine neuere Arbeit um ihre Darstellungen herum, auch wenn, wie etwa im Falle von Erdmann Werner Böhme, manche Fehler Zweifel an der Verlässlichkeit aufkommen lassen,34 die sich oft nicht mehr abschließend klären lassen. Lange Zeit war die Opernforschung vor allem Domäne der Musik­ wissenschaft und näherte sich der Partitur von der Seite der Komposition. Noch immer fühlt sich die Germanistik für das Libretto nicht recht zustän­ dig und ist oft wenig kompetent, seine spezifischen Strukturen und Leistun­ gen zu erkennen. Daher harrt mit den Libretti insbesondere der deutschen Barockoper ein noch weitgehend ungehobener Schatz in den Bibliotheken auf die längst überfällige Würdigung als Hochblüte deutscher dramatischer Literatur.35 Dies besonders, weil die frühen Arbeiten von Hermann Kretsch31 32

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34

35

Ulrich Weisstein: Librettology: The Fine Art of Coping With a Chinese Twin. In: Kompara­ tistische Hefte ‚Literatur und die anderen Künste‘ 5/6 (1982), S. 23–42. Mit dem sprichwörtlich gewordenen Diktum leitet Oscar Bie sein 1913 erstmals erschienenes Buch über die Oper ein: „Die Oper ist ein unmögliches Kunstwerk. Aus einem Mißverständ­ nis, der Nachahmung der antiken Tragödien, geboren, kostet sie alle Sünden theatralischer Schaustellungen durch, um sich einem fürstlichen Publikum feilzubieten.“ Oscar Bie: Die Oper. Berlin 1913, S. 9. Der sein Libretto Rosamunde im Brief an Johann Heinrich Merck, 4. 4. 1777 als „wohlgestal­ tetes Kind“ anpries. Wielands Briefwechsel. Hg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR (Bd. 1–5 durch Hans Werner Seiffert) und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Siegfried Scheibe, Berlin 1963–2006. Bd. 5, S. 605. Etwa die Zuschreibung von Wielands Aufsatz Über einige ältere t eut s che Sing spiel e, die den Nahmen Alceste führen an Anton Schweitzer. Vgl. Erdmann Werner Böhme: Die Frühdeut­ sche Oper in Thüringen. Stadtroda 1931, S. 208. Vgl. dazu auch Michael Maul: Barockoper in Leipzig (1693–1720). 2 Bde. Freiburg i. Br. u.  a. 2009, Bd. 1, S. 483–487. Bodo Plachta hat bereits vor fünfzehn Jahren ein Plädoyer für die Edition unvertonter Libretti gehalten, dem unbedingt zuzustimmen ist. Ders: Libretti: Eine von den Editoren vergessene

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mar36, Gustav Friedrich Schmidt37 und vieler anderer just in den Libretti den Hemmschuh sehen, der die deutsche Barockoper davon abgehalten habe, die ihrer Musik zustehende Würdigung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erlangen. Hellmuth Christian Wolff versucht in seiner in diesem Punkt dem Zeitgeist des Nationalsozialismus verpflichteten (1942 fertigge­ stellten) Arbeit über die Hamburger Gänsemarktoper aus der Rechtferti­ gungsnot eine Tugend zu machen, indem er das vermeintlich Niedere als das Volkstümliche im aristokratischen Kunstwerk aufwertet.38 Anders als die Forschungsarbeiten der Frühphase und der 50er Jahre kann die heutige Librettologie, sofern sie sich vornehmlich als deskriptive Librettologie versteht,39 ihrem Gegenstand einigermaßen ideologiefrei und ohne Wertungszwang begegnen. Librettoforschung besteht nicht mehr in der bloßen Auflistung von Motiven oder Nacherzählungen der Handlung, sondern legt mit dem Fokus auf sprachliche und szenische Vorgänge sowie musikstrukturelle Implikationen ein solides Fundament für die Analyse des Notentextes, weshalb kaum eine umfängliche musikwissenschaftliche Arbeit inzwischen noch ohne die detaillierte Untersuchung der Libretti auskommt.40 Eine Reihe von Studien hat hervorragende Pionierarbeit geleistet. Zu den Gründungstexten des Faches im deutschen Sprachraum gehört Albert Giers Das Libretto. Theorie und Geschichte einer musikoliterarischen Gattung 41 das aller­ dings den Bereich der deutschen Barockoper ausspart. Zur deutschen Ba­ rockoper und dem Norddeutschen Singspiel entstanden seit den späten 70er Jahren umfassende Arbeiten der angloamerikanischen Germanistik: Judith P. Aikins A Language for Opera42, Thomas Baumans North German Opera in the Age of Goethe43, Gloria Flahertys Opera in the Development of German Critical

36 37 38 39 40 41 42 43

Gattung? Überlegungen zur kommentierenden Herausgabe von Operntextbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Kommentierungsverfahren und Kommentarformen. Hamburger Kolloquium der Arbeitsgemeinschaft für germanistische Edition. 4. bis 7. März 1992. Gunter Martens (Hg.). Tübingen 1993, S. 25–37. Geschichte der Oper. Leipzig 1919. Die frühdeutsche Oper und die musikdramatische Kunst Georg Caspar Schürmanns. 2 Bde. Regensburg 1934. Hellmuth Christian Wolff: Die Barockoper in Hamburg. Wolfenbüttel 1957. Zur Abgrenzung der deskriptiven von der älteren normativen Librettologie vgl. Gier (1998), S. 9–11. Exemplarisch sei neben der bereits erwähnten Arbeit von Woyke auf Ellen Rosands Buch über die venezianische Oper des seicento verwiesen. Vgl. ferner Rosand (1991). Darmstadt 1998. Gloria Flaherty: A Language for Opera. The Development of Forms and Formulas for Re­ citative and Aria in Seventeenth-Century German Libretti. Wiesbaden 2002. Auf der Basis seiner umfänglicheren, leider schwer zugänglichen aber ausgesprochen lesens­ werten Dissertation von 1977.



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Thougt 44 und in Deutschland Jörg Krämers umfassende Abhandlung Deutsch­ sprachiges Musiktheater im späten 18. Jahrhundert 45 sowie Bodo Plachtas Studie zur opernkritischen Debatte im 18. Jahrhundert46. Besonders die Arbeit Krä­ mers muss auf Grund ihrer überwältigenden Materialfülle und der Intention, einen Typus zu beschreiben, auf eine engere Anbindung an die Personalphi­ lologie verzichten respektive die Behandlung notwendigerweise unter her­ meneutischen Gesichtspunkten unterkomplex bleiben. Wie für jedes andere sprachliche Kunstwerk hat sich die Personalphilologie jedoch am Beispiel Goethes auch für das Libretto als ausgesprochen ergebnisreich erwiesen.47 Dennoch gilt das Libretto für die Philologie noch immer als der Sonderfall in einer literarischen Karriere. Wenigstens für die Autoren des 18. Jahrhunderts wird zudem selten davon ausgegangen, dass Erfahrungen auf dem Gebiet der Oper das Schaffen eines Autors nachhaltig geprägt haben. Die Voraus­ setzung dafür, diesen blinden Fleck der Germanistik zu beheben ist eine literaturwissenschaftliche Methodik, die den Librettotext nach Textkriterien untersuchbar und damit anderen Texten eines Autor vergleichbar macht. Die Musik gilt erst seit dem 19. Jahrhundert als die dominante Kunst der Oper. In der Opernforschung wird dieses Diktum jedoch als Qualitäts­ kriterium in einem Anachronismus überwiegend unausgesprochen auch für die Oper des 17. und 18. Jahrhunderts angewendet.48 Die Betrachtungsweise einer Oper als vorwiegend musikalischem Kunstwerk ist besonders dann sinnvoll, wenn sie sich als Verständnishilfe für die musikalische Praxis ver­ steht. Obgleich sich die Musikwissenschaft und mit ihr die Opernforschung von dieser Funktionszuschreibung emanzipiert hat, gilt noch immer weitge­ hend unwidersprochen das Diktum, man könne ein Libretto nicht ohne die Musik betrachten. Die Literaturwissenschaft hat bislang zumeist bescheiden dazu genickt, doch möchte die vorliegende Studie zeigen, dass dies mit Blick auf das Paradigma von der Oper als Textkunstwerk im 17. und 18. Jahrhundert nicht uneingeschränkt gilt.

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Princeton 1978. Jörg Krämer: Deutschsprachiges Musiktheater im späten 18. Jahrhundert. Typologie, Drama­ turgie und Anthropologie einer populären Gattung. Tübingen 1998. Bodo Plachta: „Ein Tyrann der Schaubühne“? Stationen und Positionen einer literatur- und opernkritischen Debatte über Oper und Operntext im 18. Jahrhundert. Berlin 2003. Vgl. Tina Hartmann: Goethes Musiktheater. Singspiele, Opern, Festspiele, Faust. Tübingen 2004. Wie beispielsweise Bernhard Jahns Studie, die mit der Sinnlichkeit in der Oper und der „Ma­ terialität des Ereignens“ letztlich auf der Suche nach einer vom Text autonomen Musik in der Barockoper ist. Vgl. ders.: Die Sinne und die Oper. Sinnlichkeit und das Problem ihrer Versprachlichung im Musiktheater des nord- und mitteldeutschen Raumes (1680–1740). Tü­ bingen 2005 u.  a., S. 14–43, hier S. 14.

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Librettologie ist also nicht gleichzusetzen mit Opernforschung,49 son­ dern ist eine primär philologische Disziplin. Sie leistet ein Heranschreiben an die Grenze zur musikwissenschaftlichen Analyse und kann ggf. den Über­ gang in eine oder mehrere Vertonungen weisen, an den die Partituranalyse anzuknüpfen vermag. Doch ihr Fokus bleibt das Libretto mit seinen auf die Vertonung hin ausgerichteten dramaturgischen Funktionen, daher ist sie in der Lage, das Libretto unabhängig von einer Vertonung zu analysieren. Evident wird dieses Potential der Librettologie, führt man sich vor Au­ gen, dass fast 90 % der Libretti der deutschen Barockoper in Drucken über­ liefert sind, jedoch nur etwa 10 % der Partituren.50 Die musikwissenschaft­ liche Opernforschung interessiert sich naturgemäß nur am Rande für dieses Korpus. Die Literaturwissenschaft hingegen fühlt sich zurecht bislang weder zuständig noch kompetent. Dies zu ändern ist Ziel der Librettologie. Wer ein Libretto ohne die Musik untersucht, sieht ein anderes Kunstwerk, als wenn die Partitur oder eine Aufführung analysiert werden. Was also kann die literaturwissenschaftliche Opernforschung leisten, das die Musikwissen­ schaft nicht leistet? Der Blickwinkel liegt bei der Musikwissenschaft zwangs­ läufig auf der Vertonung, die Theaterwissenschaft wird sich wiederum für das Performative, die Aufführung und ihre Bedingungen interessieren. Auf­ gabe der Librettologie ist es, die Oper vom Blickwinkel des sprachlichen Kunstwerks aus zu interpretieren und vornehmlich nach narrativen und for­ malen Strukturen zu fragen, die dem Libretto seine eigene Erscheinungs­ form geben und das Verhältnis von Wort und Vertonung vorformulieren. Die librettologische Analyse zeitigt damit andere Ergebnisse als die einer auf die Partitur konzentrierten Analyse und bildet die Brücke, die beide in der Opernforschung zusammenfindenden Wissenschaften methodisch ver­ knüpft. Denn mindestens bis ins 19.  Jahrhundert lassen sich aus dem Li­ bretto weitgehende Aussagen über das Kunstwerk Oper treffen, werden die Typologien der Gattung berücksichtigt. In einem ersten Schritt wird der Librettotext dazu historisch-herme­ neutisch verortet, unter Berücksichtigung seiner formalen Lösungen. Das Libretto neigt in besonderem Maße zu prozessualem Erzählen, also dazu, beispielsweise über die Verwendung von Gesangsformen (Lied, Arie, Accom­ pagnato) etwas über die singenden Figuren auszusagen. Das gilt sowohl für die Opernlibretti, die Leselibretti als auch für Librettoelemente im Roman. Es wäre in diesem Zusammenhang einer größeren Untersuchung wert, in­ 49 50

Bereits Gier hat vorgeschlagen, den Begriff Librettologie im Sinne einer literaturwissenschaft­ lichen Disziplin von der Librettoforschung im allgemeineren Sinne abzugrenzen. Vgl. Gier (1998), S. 19. Jahns Schätzung ist noch pessimistischer, er geht von ca. 5 % aus, dabei teilweise nur als Fragment vorhandene Partituren. Vgl. Jahn (2005), S. 1.

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wiefern neben Goethe und Wieland auch andere Autoren der Weimarer Klassik, insbesondere Schiller, diese bereits in der deutschen Barockoper wirkungsästhetisch ein aufklärerisch-empfindsames Menschenbild präludie­ rende, und in Wielands Konzept der Psychagogie (Seelenführung) mündende Verfahrensweise direkt aus der Oper bezogen haben. Überdies können aus der librettologischen Analyse Rückschlüsse auf die musikalische Gestaltung gezogen werden. Der Blick auf die musikdramatischen Implikationen des Librettos ermöglicht es demnach, verlorene Musik in ihrer Grundstruktur so weit zu ergänzen, dass eine angemessene Betrachtung des Librettos auch ohne die Vertonung möglich wird. Die beschriebene Methodik soll ermöglichen, Text und Partitur in einem gemeinsamen analytischen Vorgang unter Berücksichtigung der gedoppelten Autorschaft zu beschreiben, ohne permanent auf die Primatsfrage gestoßen zu werden. Die Studie folgt dabei der Spur des Leselibrettos, um zum Musik­ theater zurück- bzw. weiterzuführen und mündet in die ausführliche Analyse der beiden Libretti und ihrer Vertonungen, die vollständig überliefert sind: Schürmanns/Königs Die getreue Alceste und Schweitzers/Wielands Alceste.

1.4  Die Oper, das gesellschaftliche Kunstwerk Kaum ein Kunstwerk ist so stark in gesellschaftliche Diskurse eingebunden wie die Oper. Dies zeigt u. a. der das gesamte 18. Jahrhundert durchziehende Streit um die Oper insbesondere in Frankreich (respektive seinem Zentrum Paris), vom Aufflammen der Querelle des anciens et des modernes an der Alceste Quinaults und Lullys über den Zwist der Enzyklopädisten mit Jean-Philippe Rameau (1683–1764) bis hin zum Kampf der Gluckisten gegen die Piccinnisten. Stets werden dabei gesellschaftliche und politische Entwürfe auf dem Feld der Oper und ihrer Ästhetik verhandelt. Anders als Frankreich hatte Deutsch­ land kein politisches und gesellschaftliches Zentrum. Dennoch wirkten die französischen Diskurse (nicht nur) in ihren ästhetischen Dimensionen auch auf die deutsche Operndebatte ein. Der Föderalismus des deutschen Sprach­ raums stellte die Oper jedoch vor ganz andere Herausforderungen, insbeson­ dere, weil kaum längere Zeiträume für die Opernpraxis an einem Ort bestan­ den als die Herrschaftsdauer eines einzelnen Fürsten. Mit Ausnahme weniger Zentren wurden bei jedem Regierungswechsel Ensemble und Kapelle auf­ gelöst und bestenfalls eine neue Konstellation eingesetzt. Flaherty betont gleichwohl überzeugend51 das aus dem Föderalismus und dem Nebeneinan­ 51

Flaherty (1978).

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der italienischer, französischer und deutscher Oper entspringende kreative Potential. Die Hamburger Gänsemarktoper bildete, entgegen aller von der Opernkritik, insbesondere Gottsched, über sie ausgeschütteten Häme mit ih­ rer fast 50 Jahre dauernden Praxis eine erstaunliche und lange Blüte, die sich mühelos mit den großen venezianischen Opernhäusern messen kann. Dabei hatte die deutsche Barockoper, ausdrücklich nicht nur die Hamburger, son­ dern insbesondere auch die Braunschweig-Wolfenbüttelsche, weitreichenden Einfluss auf die deutsche Literatur bis hin zur Weimarer Klassik. Dazu trug bei, dass über eine ideale deutsche Oper von der deutschen Theorie wei­ terhin ausführlich debattiert wurde, auch als es nach 1735 keine praktische deutsche Opernpflege mehr gab. Es sind diese Debatten, die u. a. Positionen von Feind und Mattheson tradieren und weiterschreiben, Fragestellungen und Errungenschaften der deutschen (Barock-)Oper tradieren und Kontakt mit den aktuellen Diskussionen der Ästhetik halten bis zur Renaissance des Musiktheaters ab den 1760er Jahren. Die Opernkritik Gottscheds hat nach inzwischen weitgehend einhel­ liger Forschungsmeinung kaum ursächlich zum Niedergang der deutschen Barockoper52 beigetragen. Gottsched mochte noch so sehr gegen die Oper schimpfen, verhindern konnte er damit keine einzige Aufführung. „Aus der Sicht der Zeitgenossen betrachtet könnte man Gottscheds lebenslangen Kampf gegen die Oper als Marginalie abhandeln, so wie seine ganzen litera­ turtheoretischen Positionen, was ja schon Lessing boshaft vorschlug.“53 Die Auflösung der deutschsprachigen Opernbühnen zwischen 1720 und 1730 hatte auf der Seite der städtisch getragenen Bühnen rein merkantile Gründe und das aristokratische Publikum interessierte sich ohnehin nicht für Gott­ scheds Kritik. Der höfische Geschmack sollte sich aber für ca. 40–50 Jahre vollständig der italienischen Oper zuwenden, ehe um 1770 plötzlich in Wei­ mar, Wien und Mannheim wieder adelige Förderer einer deutschen Oper auftraten. Erfolgreich war Gottsched allerdings, wie Jahn treffend dargestellt hat, damit, diesen Eindruck zu erwecken und damit vornehmlich die litera­ turwissenschaftlichen Debatten über Theater und Musiktheater des späteren 18., 19. und bis ins 20. Jahrhundert54 maßgeblich zu bestimmen.55 Sogar in diesem, zugegebenermaßen sehr erfolgreichen Schachzug seiner Literatur­ politik bezog sich Gottsched auf ein französisches Vorbild: Auch in Frank­ reich entbrannte der Streit der Vertreter der Tragédie nach klassizistischem Vorbild um eine Alceste, Quinaults Alceste ou le triomphe d’Alcide. Obgleich die 52 53 54 55

Vgl. Meyer (1984), S. 12, und Jahn (2005), S. 173–174. Jahn (2005), S. 171. So argumentiert etwa Wolff (1957), S. 341–342 noch, Gottsched habe ursächlich zum Unter­ gang der Opern respektive zum Geschmackswandel beigetragen. Vgl. Jahn (2005), S. 4.



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Verfechter des klassizistischen Sprechdramas im Kampf um die Bühne auf hoffnungslos verlorenem Posten standen, vermochten sie durch die Ober­ hoheit in der Literaturdebatte der Nachwelt zu suggerieren, ihr Modell sei um die Jahrhundertwende das vorherrschende gewesen. Für beide gilt also, dass sie zwar direkt für die Oper folgenlos, doch in der Folge diskursbestimmend waren.56 Es ist wohl eine der schönsten Ironien der Literaturgeschichte, dass gleichwohl ausgerechnet Gottsched höchst persönlich eine zentrale Vermitt­ lungslinie der deutschen Barockoper gesichert hat. Für die Abfassung seiner Schrift Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst 57 hatte er u. a. eine umfangreiche Sammlung deutscher Librettodrucke zusam­ mengetragen. Anfang der 1770er Jahre kaufte Anna Amalia diese Sammlung von seinen Erben. Sie hat (nicht nur) Wieland für seinen Entwurf einer deut­ schen Oper wichtige Dienste geleistet. Wie dicht die Oper mit den übrigen kulturellen Diskursen verwoben ist und wie weit mit ihr kulturwissenschaftliche Aussagen zu treffen sind, hat Jahn in seiner innovativen Studie zum Ereignischarakter der Oper ein­ drucksvoll gezeigt.58 Wenngleich die hiermit vorgelegte Studie mit der These vom Libretto als eigenständiger literarischer (Lese-)Gattung scheinbar eine Gegenposition einnimmt, teilt sie Jahns kulturwissenschaftliche Sichtweise, der zufolge sich mit der Oper gesellschaftliche Praxen verbinden. Diese kön­ nen so unterschiedlich sein wie der Ereignischarakter der Aufführung und die Lektüre auf einem abgeschiedenen Landsitz oder in einer deutschen Klein­ stadt, mit Fragmenten der Musik vor dem inneren Ohr oder gar ohne jemals eine Vertonung dieses Librettos gehört zu haben. Beide Rezeptionsweisen wirken auf die weitere Entwicklung des Phänotyps Libretto und damit der Gattung Oper ein. Die Alceste-Opern bieten sich aus verschiedenen Gründen für die Verortung des Librettos und der Oper als gesellschaftlichen Kunstwerken an. Alceste ist einen Sonderfall für die deutsche ernste Oper des 18. Jahrhunderts, denn Euripides’ (485–406 v. Chr.) Geschichte von der an Stelle ihres Ehemanns in den Tod gehenden Königin ist ein relativ junger Opernstoff mit nur einer Bearbeitung als italienisches Opernlibretto bis 1700. Auch Metastasio schuf kein kanonisches Alceste-Libretto, doch existiert eine für die Tragédie lyrique programmatische Bearbeitung. Für die deutsche Barockoper in Hamburg, Hannover, Weißenfels und Leipzig auf der Suche nach einer eigenen Posi­ 56 57 58

Vgl. Jahn (2005), S. 170–175. Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst/ ges. und ans Licht gestellet von Johann Christoph Gottsched. Kleine Nachlese/ Gottfried Christian Freies­leben. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1757–1765. Hildesheim 1970. Jahn (2005).

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tion mit Blick auf die Opern der beiden großen Kulturnationen,59 war diese Konstellation offenbar besonders inspirierend. Denn zwischen 1680 und 1719 entstanden gleich drei unterschiedliche Texte (mit jeweils mindestens einer Vertonung) und zum Teil unterschiedlichen Fassungen, die sich zwar mehrheitlich auf Quinault bzw. Aureli berufen, aber zugleich einen eigenen Weg suchen und besonders in der letzten Fassung von Schürmann und Kö­ nig auch finden. So lässt sich einmal der Umgang mit den fremdsprachigen Paradigmen zeigen und überdies, welche unterschiedlichen Herangehenswei­ sen sich selbst an so eng verschwisterten Bühnen wie Hamburg, Hannover und Braunschweig-Wolfenbüttel und Leipzig abzeichnen und wie diese als Dramaturgien beschreibbar werden.

1.5  Alceste, die paradigmatische Reformoper Alceste wurde nicht erst mit Glucks Vertonung von 1767 zur Reformoper. Be­ reits für die venezianische Alceste, mit dem Titel Antigona delusa da Alceste (Ve­ nedig 1660), beruft sich der Librettist Aureli im Vorwort auf das antike Ori­ ginal und setzt sich in einer Art früher (und italienischer) modernes-Position davon ab. Der zweite Schritt erfolgt mit Quinault und Lully, die mit Alceste ou le triomphe d’Alcide, ihrer ersten Tragédie lyrique nach einem antiken Drama, erfolgreich den alleinigen Anspruch der Tragédie auf diese Stoffe brachen und mit Charles Perraults (1628–1703) Reaktion in der Querelle d‘Alceste be­ reits 1674 eine erste Stufe der Querelle des anciens et des modernes auslösten. Die deutsche Barockoper brachte zwischen 1680 und 1720 beide Vor­ lagen in verschiedenen Fassungen auf die Bühne. König schließlich syn­ thetisierte sie (gemeinsam mit Schürmann) mit dem Ziel, die vorzüglichen Qualitäten beider Nationalopern für die deutsche Oper zu verbinden. Die­ sen Impetus sollten Wieland und Schweitzer genau wie Gluck und seine Li­ brettisten Calzabigi und Du Roullet übernehmen. Bei Wieland bündeln sich die Diskurse, denn er kannte alle genannten Bearbeitungen – wenigstens als Libretti, teilweise zudem die Partituren – und offenbar war ihm wichtig, dass auch die Rezipienten der Alceste, ganz gleich ob des Librettos, des Particell­ druckes der Noten oder der gespielten Oper, diese Vorlagen kennen lernten. Bereits 1773 publizierte er im Teutschen Merkur einen ausführlichen Aufsatz Über einige ältere teutsche Singspiele, die den Nahmen A l c e s t e führen und damit über die im Unterschied zu Quinaults und Glucks Bearbeitungen schwer zugänglichen Exemplare.60 59 60

Wobei Feind ausdrücklich darauf hinweist, dass die französische Oper jünger ist als die deut­ sche. Vgl. Ders.: (1708), S. 74–75. Wielands Werke. Bd. 11.1 (2009), S. 88–115.



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Die Gründe dafür, warum gerade der Alceste-Stoff an Gelenkstellen der Gattung auftaucht, sind zahlreich: Zunächst verbindet er eine Tragö­ dienhandlung mit einem Lieto fine, jenem glücklichen Schluss, der bis ins 19. Jahrhundert ein zentrales Merkmal der Oper bildet. Untrennbar mit der Fabel verbunden ist ferner das Wunderbare, der zweite große programma­ tische Diskussionspunkt innerhalb der Operngeschichte. Schließlich bindet Euripides’ Vorlage komische Elemente ein, die für die venezianische und deutsche Barockoper konstitutiv waren. Spätere Bearbeitungen seit König und Schürmann benutzen die komische Tradition, um ihre ernsthaften, von der Komik gereinigten Entwürfe davon abzusetzen. Während die Ur-Oper über den mythischen Sänger Orpheus für die Ursprünge des Musiktheaters aus dem Festspiel steht, mit dem ein statisch wiederkehrendes Ereignis innerhalb eines zyklischen Geschichtsbildes ge­ feiert wird (Karneval, Namens- oder Geburtstage der Herrscher61), bezeich­ net ­Alceste den Übergang zur Tragödie, in der Götter und Halbgötter zwar noch die Fäden ziehen, in deren Zentrum jedoch Menschen mit vornehmlich menschlichen und individuellen Eigenschaften stehen, die ungefähr in histo­ rische Zeit zurückverfolgt werden können und sich auch mit sehr mensch­ lichen Problemen herumschlagen (etwa dem Fortbestand der Dynastie, Untreue und Eifersucht). Alceste steht mit ihren vier Bearbeitungen der deut­ schen Barockoper zwischen 1674 und 1719 genau am Übergang zum Genre des Dramma per musica – des tendenziell historischen Dramas in der Oper. Anders als bei Iphigenie (des zweiten zentralen Reformopernstoffes aus dem Kreis der Euripides-Dramen) ist Alceste bereits eine Liebesgeschichte und damit insofern grundsätzlich opernaffin, als es um Liebes-Affekte geht und das Opfer der Alceste erotisch motivierbar ist, ohne dass eine Neben­ handlung erfunden werden müsste. Das Problem galanten bzw. ritterlichen Handelns (mit dem sich besonders Quinault herumschlagen sollte) ist, sozu­ sagen avant la lettre, bereits bei Euripides vorhanden, dessen Admet einen sozialen Lernprozess durchläuft. In der Barockoper treffen in Alceste das zyklische und das lineare Ge­ schichtsbild aufeinander. Das zyklische manifestiert sich in der Pastorale, die vor allem im Festspiel und der Festa teatrale62 erscheint; dem gegenüber steht das lineare des Dramma per musica respektive der Haupt- und Staatsaktio­ nen, das mit der auf historische Stoffe ausgerichteten sog. neapolitanischen Reformoper zunehmend an Gewicht gewinnt und das im Kontext des mit der Querelle des anciens et des modernes entstehenden historischen Denkens steht. 61 62

Das mythologische Festspiel lässt sich aber auch auf so einmalige Feste wie die Hochzeit oder die Geburt eines Fürsten anwenden, weil damit grundsätzlich die Stabilität und der Fortbe­ stand des Geschlechts betont wird. Monteverdi und Glucks Orfeo beispielsweise.

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In Deutschland verbindet sich die Pastorale in der frühen Oper beson­ ders gut mit christlich-theologischen Inhalten. Sie steht allegorisch für die statische Weltordnung (sei sie christlich oder das goldene Zeitalter), die durch den Einbruch des Bösen/der Sinnlichkeit gestört wird. Die Handlung be­ steht darin, die Störung zu beseitigen und die Harmonie wiederherzustellen, wie beispielsweise in Georg Philipp Harsdörffers (1607–1658) Seelewig. Die historische Handlung des Dramma per musica realisiert dagegen eine fort­ schreitende christliche Teleologie respektive historische Geschichtsauffas­ sung, an deren Ziel das jüngste Gericht (Märtyrerdrama) bzw. die diesseitige Belohnung guten Handelns durch den weltlichen Herrscher als Stellvertreter Gottes (Lieto fine der Oper) stehen. Hier bestätigt das historische Exemplum die gerechte Weltordnung oder aber erweist sich als besonders widerspenstig und nur unter Beugung der historischen Quellen integrierbar. Beim Alkestis-Stoff, so die These, überschneiden sich beide Tendenzen. Die Pastorale bildet dabei auch stofflich die Klammer: Apollon war während seiner Verbannung aus dem Olymp als Schäfer bei Admet untergeschlüpft, und entsprechend kehrt er bei Quinault auch am Ende der Handlung im Gefolge von Schäfern zum Freudenfest ein. Als mythischer Stoff eröffnet die Geschichte der Alceste grundsätzlich beide Herangehensweisen.63 Die fran­ zösische Bearbeitung entwickelt sich aus dem pastoralen Ansatz, realisiert durch Chöre und ein antikes Pantheon, das die statische Welt der Harmonie vorstellt. Gestört wird diese Harmonie durch Leidenschaft und Eifersucht, die sogar den Helden Herkules ergriffen haben. Diese Störung gilt es durch die Handlung erfolgreich zu beseitigen, worauf sich die Harmonie wieder einstellt. Durch die Fokussierung auf die statischen Tugenden der Herku­ les-Figur gelingt das Lieto fine. Insbesondere König und Schürmanns Hamburger Fassung der Getreuen Alceste reduziert die pastoralen Elemente und verlagert die Konflikte in die Figuren. Bereits Euripides hatte das Märchen durch die Fokussierung auf die Figuren, ihre individuellen charakterlichen Züge und Beweggründe in eine historische, lineare Geschichte übertragen mit dem Ergebnis, dass bei der Geschichte zum glücklichen Ende ein unlösbarer Rest bestehen bleibt, der seitdem die Interpreten beschäftigt. Die Alcesten Glucks versuchen grundsätzlich mit ihren Chören wieder an die Festa teatrale anzuknüpfen, respektive die Geschichte als eine vor­ bildhafte und überzeitliche zu erzählen. Da Alceste jedoch als individuelle Heldin des Dramma per musica auftritt (also einer einigermaßen historischen Herrschergeschichte mit gesellschaftlichen Implikationen wie der Frage nach

63

Auch die Proserpina-Geschichte lässt sich entweder als emblematisches Fest für den Frühling oder als Tragödie darstellen.



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der dynastischen Erbfolge der Kinder etc.), entsteht ein unlösbarer Zwie­ spalt zwischen dem Opfer aus individuellen Beweggründen und seinen ge­ sellschaftlichen Folgen. Während dieser in der Frühfassung dramaturgisch einleuchtend mit der (antiken) Tradition der durch Heldenmut unsterblich werdenden Frau erklärt und überdies durch Herkules die Harmonie wieder hergestellt wird, gerät in der Spätfassung Alcestes Opfer zu einem eigentüm­ lichen Zwang gegenüber den Kollektiven des Chores, dessen Sinnhaftigkeit sich auch durch den deus ex machina nicht mehr glaubhaft herstellen lässt. Das einmalige und unerhörte Selbstopfer gerät in die Gefahr, in der auf Wie­ derholbarkeit angelegten Pastorale und durch die Gegenwart der Kollektive eine gesellschaftliche Erwartungshaltung zu evozieren.64 Wieland schließlich beseitigt radikal alle Anklänge an das zyklisch-mythi­ sche Geschichtsbild. Er erzählt die Geschichte eines Ehepaars; Vorbildhaf­ tigkeit wird nicht mehr suggeriert. Alceste ist keine allegorisch-treue Gattin, die Übertragbarkeit der alten Geschichte vollendet sich in dem Übersetzungsvor­ gang des antiken Dramas für das Opernpublikum von 1773.65

1.6  Der Autor, die Oper und das kulturelle Gedächtnis – Philologie als Archäologie Die Zeiten eines unreflektierten philologischen Positivismus sind unwieder­ bringlich vorbei. Der Begriff Autor war nach dessen öffentlichkeitswirksamer Sterbeurkunde Anfang der siebziger Jahre66 des vergangenen Jahrhunderts in der literaturwissenschaftlichen Debatte beinahe zum Unsagbarkeitstopos geworden. Ersetzt wurde er u. a. durch den Text an sich, der sich mit poten­ tiell unendlich vielen Texten zum Metadiskurs formiert. Nicht zu bestreiten ist, dass Texte aufeinander Bezug nehmen. Der praktische Nutzen dieser Sichtweise ist überdies, dass nicht mehr ein Forscherleben darauf verwendet zu werden braucht um herauszufinden, ob die Augen eines Textproduzenten den fraglichen Text der Gegenüberstellung jemals zu Gesicht bekamen und ob dies rechtzeitig geschah, um die federführende Hand zu beeinflussen. Doch birgt diese Sichtweise nicht nur die Gefahr grober Eseleien mit sich wie Ecos Aperçu, dass „gay“ in einem Text des 19. Jahrhunderts eben nicht „schwul“ bedeuten kann, sie überspitzt;67 vielmehr erbringt mitunter gerade 64 65 66 67

Wie Jossi Wieler in seiner Stuttgarter Inszenierung eindrücklich gezeigt hat. Krämer argumentiert für die Tradierung der Empfindsamkeit durch das Singspiel und quer zu den gesellschaftlichen Gruppen Bürgertum und Adel. Vgl. Krämer (1998), S. 253–254. Roland Barthes: Der Tod des Autors. 1968. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Fortis Jan­ nidis, Gerhard Lauer, Mathias Martinez und Simone Winko (Hg.). Stuttgart 2000, S. 185–193. Vgl. Umberto Eco: Zwischen Autor und Text. In: Ebenda, S. 280.

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die Sisyphos-Suche nach der Nadel im Heuhaufen unterwegs die erhellendsten Befunde. Die Autorenkonzeption, die diese Studie leitet, ist von der romantischen eines genialisch aus sich selbst schöpfenden Autor-Gottes etwa so weit ent­ fernt wie Wielands Literaturbegriff. Die Vorstellung einer originalen Lite­ ratur, die die Inventio als zentrales Qualitätskriterium begreift, war bereits Wieland weitgehend fremd. Ob eine Geschichte frisch erfunden wurde oder einen bereits vielfach erzählten Stoff aufgreift, stellt für seine Werke kein Qualitätskriterium dar; eher das Gegenteil. Der neue Amadis macht erst das volle Vergnügen, wenn man den, respektive die alten Amadisen wenigstens in Ausschnitten kennt. Für seine erste Oper wählte Wieland daher gezielt einen Stoff, der bereits mit einer so reichhaltigen und komplexen Reformopern­ tradition beladen war, wie vielleicht sonst nur die Geschichte des mythischen Sängers Orpheus und der zum Entwurf einer (neuen) deutschen Oper nicht nur eine reiche Stoff-, sondern zudem eine kaum minder reiche Formgeschichte mitbrachte. Wielands intertextueller Literaturbegriff avant la lettre fordert eine äqui­ valente Herangehensweise geradezu heraus. Dies gilt umso mehr, als das Libretto die intertextuelle Gattung schlechthin ist und Wieland mit Alceste nichts Geringeres im Sinne hatte, als die deutsche Oper, wo nicht gänzlich zu be­ gründen (auf diese Ehre verzichtet er ausdrücklich in seinen Beitrag zu den älteren Alcesten), ihr wenigstens jenen Rang einer Gattung der schönen Lite­ ratur zu verschaffen, den er in den bisherigen Werken des Norddeutschen Singspiels vermisste. Folgerichtig versuchte Wieland keine creatio ex nihilo, sondern setzte seine Alceste mit der deutschen Barockoper, der französischen Tragédie lyrique, der italienischen Oper und den Reformbewegungen um sie in Beziehung, insbesondere mit jenen durch Metastasio, Francesco Algarotti (1712–1764) und Gluck/Calzabigi.68 Wie aber lassen sich die Kontexte des Autors definieren? Die Diskurse der Zeit in ihrer Gesamtheit aufzunehmen führte unweigerlich zur Belie­ bigkeit, insbesondere wenn die Dichtung sich mit einem so breiten Feld wie der musikalischen Praxis und Theorie überlagert. Zwar lässt sich gerade auf dem stark intertextuellen Feld der Oper mit einiger Berechtigung argumen­ tieren, dass praktisch jede in Europa aufgeführte Oper die nachfolgenden Werke der Gattung beeinflusst habe, doch ist es in hohem Maße unbefrie­ 68

Die Diskussion um das frühe Deutsche Singspiel ist hier nur bedingt zu berücksichtigen (vgl. dazu die Arbeit von Jörg Krämer), weil es sich dabei (zunächst) ausdrücklich um eine einfache und komische Unterhaltung handelte. Erst mit Weiße und Johann Adam Hillers (1728–1804) späteren Werken, Lottchen am Hofe (1767) und vor allem Die Jagd (1770), wird das Norddeut­ sche Singspiel langsam eine ernstzunehmende Gattung. Folgerichtig ist das Norddeutsche Singspiel die einzige Gattung des Musiktheaters, die Wieland für die Alceste kategorisch aus­ schließt.



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digend, den Einfluss eines Werkes auf ein anderes zu konstatieren, ohne eine wenigstens wahrscheinliche Vermittlungslinie aufzeigen zu können. Es muss also Auswahlkriterien geben, und was eignete sich hierzu besser als ein Autorenkonzept, mit dem durch oder in einem Autor wie in der Engstelle eines Stundenglases ein Ausschnitt der Werke und Diskurse gebündelt wird?69 Ziel dieser Vorgehensweise ist jedoch keine Einflussgermanistik. Es geht weniger darum, von wem Wieland seine Argumente leiht, sondern wie er es tut und zu welchem Ziel. Erhellend sind dabei gerade die Verschiebungen, die sich in Alceste auf der Basis einer, wie sich zeigen wird, nur vermeintlich Metastasianischen Dramaturgie offenbaren. Um Wielands Texte im Feld der Operndebatten des 18. Jahrhunderts verorten zu können und dabei nicht der Beliebigkeit anheimzufallen, kommt man allerdings kaum umhin, Wielands Opernhorizont so genau zu erschließen, wie es die zeitliche Distanz, der Wandel in den Bibliotheken und die daraus resultierenden spärlichen Be­ funde erlauben. Wobei auch fehlende Befunde mitunter erhellende Ergeb­ nisse bringen. Über weite Strecken ist die Analyse jedoch auf Rückschlüsse aus Wielands Schriften angewiesen, die seinen Horizont und damit mitunter auch den seiner Leser andeuten. Nach knapp 40 Jahren kehrt der Autor nun in die literaturwissenschaft­ liche Debatte zurück,70 und sicherlich kein Zufall ist, dass sich gleichzeitig eine Wiederaufwertung philologischer Editionsarbeit abzeichnet,71 die ohne eine wie auch immer geartete Autorenkonzeption schwer vorstellbar ist. Die germanistische Philologie erinnert sich an den Autor als Element einer funk­ tionierenden kulturellen Praxis. Doch dieser wiederkehrende Autor ist nicht mehr notwendig die höchste Autorität, deren Zeugnisse als unumstößliche Interpretationsanweisung für die Werke zu gelten haben. Es ist eine bruch­ stückhafte, durch vielerlei Kontexte beleuchtete Gestalt, gegen die die Phi­ lologie ein gewisses produktives Misstrauen hegt und deren Selbstzeugnisse nach möglichen Intentionen hinterfragt, vor dem Hintergrund ihrer Zeit kontextualisiert und interpretiert werden müssen. Bei der Suche nach den Vermittlungslinien zwischen den Kontexten und dem Autor wird Philologie zur Archäologie. Doch mit ihrer Kreisbe­ wegung, die von einem gezielt wählenden Autorensubjekt ausgeht, das sich aus dem kulturellen Kontext bedient und ihn mit seinen Werken zugleich 69

70 71

Vgl. dazu Fotis Jannidis: Der Nützliche Autor. In: Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matías Martínez, Simone Winko (Hg.).Tübingen 1999, S. 378–382, der eine „Selektionsfunktion“, eine „Bedeutungsfunktion“ und eine „Erkenntnisfunktion“ des Autorenkonzepts unterscheidet. Vgl. u.  a. Jannidis u.  a. (1999). „Noch nie im vergangenen Jahrhundert stand etwa die Philologie als materielles Handwerk so hoch im Kurs wie heute.“ Hans Ulrich Gumbrecht in der FAZ vom 19. März 2008, S. N3.

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mit einer individuellen Intention weiterschreibt, grenzt sich diese Archäo­ logie deutlich vom Archäologiebegriff Michel Foucaults ab,72 und bezieht wesentliche Anregungen aus den Schriften Jan Assmanns zum kulturellen Gedächtnis, zum Ursprung der Geschichte und zur ägyptischen respektive antiken Zeitauffassung73 berühren sie sich doch wesentlich mit Vorstellungen zur Zeitauffassung der Querelle des anciens et des modernes und der Pastoraloper mit ihrer zyklischen Geschichtsauffassung. Der Autor, die verwendeten Zeugnisse und seine Werke sind demnach beides: Gegenstand und Teil des kulturellen Gedächtnisses. Auch der Ana­ lysevorgang ist idealiter ein zyklischer, bei dem die kulturwissenschaftlichen Befunde die philologische Analyse bedingen und ihre Ergebnisse wiederum in das kulturgeschichtliche Geflecht eingehen. Wielands Auseinandersetzung mit dem Musiktheater ist der ideale Ge­ genstand, die Tauglichkeit einer solchen Methode zu prüfen. Anders als beispielsweise Goethe, der freimütig in Briefen über entstehende Werke er­ zählte, weite Reisen unternahm und akribisch über Theaterbesuche und Ge­ lesenes Tagebuch führte, überdies eine große, durchgängige und bis auf den heutigen Tag überlieferte Bibliothek hinterließ, schweigt sich Wieland über die Genese der Werke und insbesondere seine Materialrecherchen in Briefen weitgehend aus. Die Faustregel der Wieland-Philologie ist geradezu: Wenn Wieland in Briefen über ein Werk berichtet, war es entweder bereits fertig, oder aber der Plan dazu bereits wieder verworfen.74 Dass es im Falle der Alceste relativ viele Briefzeugnisse aus der Konzeptionsphase gibt, verdankt sich dem Zufall, dass Wieland erst auf Umwegen zur eigenen schöpferischen Tätigkeit am Genre Oper gelangte. Auch von Wielands Bibliothek haben sich nur Bruchstücke erhalten. Ohnehin muss man davon ausgehen, dass sie sich als Hand- und Arbeitsbi­ bliothek in stetigem Wandel befand und er vieles ausgeliehen hat. Dies gilt insbesondere für Musikalien, da Partituren (italienischer Opern) in den meis­ ten Fällen nur handschriftlich verfügbar respektive Partiturdrucke französi­ scher Opern sehr teuer waren. Eher erschwinglich waren die Klavierauszüge 72

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Michel Foucault: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. München 1973. Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a. M. 1983. Anzumerken ist ferner, dass der Begriff Diskurs und seine Abwandlungen im Folgenden nicht im Foucault’schen, sondern im landläufigen Sinne einer kontextualisierenden Einbin­ dung in ein Gespräch von Texten und Positionen verwendet wird. Vgl. ders.: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992; Ägypten. Eine Sinngeschichte. Frankfurt a. M. 1999; Der Ursprung der Geschichte, archaische Kulturen, das alte Ägypten und das frühe Griechenland. Jan Assmann und Klaus E. Müller (Hg.). Stuttgart 2005. Vgl. Siegfried Scheibe: Zur Entstehungsgeschichte von Wielands Singspiel ‚Rosamund‘. In: Wieland Studien. Wieland-Archiv Biberach, Klaus Manger und Viia Ottenbacher (Hg.). Sig­ maringen 1994, S. 98.



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mit den Gesängen der Norddeutschen Singspiele, doch diese in­teressierten Wieland eher am Rande. Grundsätzlich sind wir über diese Praxis u. a. aus Briefen an und von Sophie La Roche (1730–1807) informiert, doch in den seltensten Fällen wissen wir erschöpfend, was er ausgeliehen hat, da bei­ spielsweise die Ausleihverzeichnisse der Weimarer Bibliothek erst in den 1790er Jahren beginnen. Man darf getrost annehmen, dass er sich, Interesse für ein Gebiet vorausgesetzt, praktisch alles in seinem Umkreis Befindliche angesehen hat. Sandra Dreise-Beckmann hat die Musikaliensammlung Anna Amalias zwar in Teilen rekonstruiert,75 doch ist dies insbesondere auf dem Feld der Oper schwierig, da die Schlossbibliothek 1774 das erste Mal ab­ brannte. Ohnehin muss ein Großteil des Entwicklungsprozesses für Alceste bereits vor Wielands Ankunft in Weimar vollzogen worden sein. Wieland war ausgesprochen reiseunlustig, was wohl auch mit seiner Kurzsichtigkeit zusammenhing, und bei den bis 1773 stattgefundenen Reisen u. a. nach Zürich, Bern, Erfurt, Leipzig, Darmstadt ist kein einziger Opern­ besuch dokumentiert. Auch in Briefen berichtete er nirgends, dass er vor seiner Weimarer Zeit jemals ein regelrechtes Opernhaus von innen gesehen habe;76 lediglich von Konzerten oder konzertanten Teilaufführungen ist die Rede. Gleichwohl war Wieland seit 1759 ein begeisterter Theatergänger. Das relative Schweigen bezüglich des Musiktheaters könnte also auch damit zu­ sammenhängen, dass er unter seinen Briefpartnern keinen Adressaten für es hatte. Die Jacobi-Brüder interessierten sich für die Oper nur am Rande, der Briefwechsel mit Weiße ist ebensowenig überliefert wie der mit Schweitzer, überdies kommunizierte er mit letzterem wohl hauptsächlich mündlich. Wieland war ein Vielleser. Welche Musikzeitschriften er im Einzelnen konsultiert hat, lässt sich zwar nicht mehr eindeutig feststellen, doch von der Vielzahl musikkritischer Zeitschriften kommen besonders in Betracht: ­Johann Adam Hillers (1728–1804) Wöchentliche Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend, Friedrich Wilhelm Marpurgs (1718–1795) Der Critische Musicus an der Spree, Kritische Briefe über die Tonkunst und Historisch kritische Bey­ träge zur Aufnahme der Musik. Der ausführliche Artikel Oper in Johann Georg Sulzers (1720–1779) Allgemeine Theorie der schönen Künste (1771–1774) erschien im dritten Band und somit zu spät um noch auf Wielands Alceste einzuwirken, zeigt dafür aber umgekehrt auffällige Parallelen zu Wielands Auffassungen. Auch vom zweiten Autor der Alceste, Anton Schweitzer, dessen Wege Wielands ab 1771 kreuzen, gibt es nur wenige überlieferte direkte Quellen. 75 76

Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Musikliebhaberin und Mäzenin. Schneverdingen 2004, S. 194–294. Erst von seinem Besuch in Mannheim 1777/1778 versprach Wieland sich, sich einmal an der Musik so richtig „ersättigen“ zu können. An Merck am 24. November 1777. WBr Bd. 5, S. 682–683.

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Die wichtigste bilden daher seine Werke. In diesem Fall ermöglicht sogar erst die Zusammenschau des Komponisten mit dem Librettisten einen Einblick in die ganze Komplexität seiner Musik, denn das innovative Potenzial von Schweitzers Komposition offenbart sich als direkte Fortsetzung von Wielands Ideen, zum Teil als deren Transformation oder gar Überbietung. Dies gilt insbesondere für die Tendenz einer Synthese aus italienischen und französi­ schen Elementen und die empfindsame Ausrichtung der Oper. Für sie entwi­ ckelte Schweitzer analog zu Wieland im vielfältigen Aufgriff zeitgenössischer Elemente des Musiktheaters verschiedener Gattungen und Nationalitäten in der Partitur der Alceste sowohl strukturell eine neue Form als auch eine weit­ gehend solitär stehende Musiksprache.

2.  Oper – Operntext – Lesetext Die Oper ist seit ihren Anfängen eine ausgesprochen kontaktfreudige Gat­ tung, trifft in ihr doch die performative Bühnenkunst aus Wort, Musik und Szene in der Regel in prachtvoller Ausstattung mit dem gedruckten Text zusammen, um auf diese Weise alle bildenden und Zeitkünste miteinander zu vereinigen. Das Libretto ist dabei das Bindemittel für die in der Oper verbundenen Künste, hält sie mit ihren dramatischen Nachbargattungen in engem Austausch und verknüpft die poetischen Bühnenkünste mit der Prosa, indem die poetologischen Vorworte der frühen Libretti zugleich als kleine Traktate eine erste Poetik der Oper entwerfen. Die Oper war gerade wegen ihrer alle Formen der Kunst einschließenden Tendenz von Beginn an die diskussionsträchtigste aller Kunstgattungen, vermochte wie kaum eine zweite die Kritik der Zeitgenossen in ihre Form zu übernehmen und zugleich die Diskurse und gesellschaftlichen Praxen in Gattungen wie Zeitschrift und Roman einzuschreiben. So freundlich wie zu den Schwestergattungen neigt sich insbesondere die deutsche Barockoper auch zu den philologischen wie musikalischen Nachbarsprachen, und wenngleich nationale Unterschiede zwischen der italienischen, deutschen und später französischen Oper stets reflektiert werden, taucht der abgrenzende Impetus einer ‚Nationaloper‘, erst mit dem Ende des 18. Jahrhunderts auf. Vorläufer hatte die neue Gattung in Italien wie in Deutschland in viel­ fältigen Formen pantomimischen, gesungenen und gesprochenen Theaters oft pastoralen Inhalts, von den prächtigen Umzügen und Tänzen der Renais­ sance-Höfe bis zu vielfältigen Passions- und Mysterienspielen mit Musikan­ teil. Doch die Geschichte der deutschen Barockoper beginnt in Italien, wo sich in drei Städten drei verschiedenen Typologien ausbildeten, die auf die verschiedenen Stufen der frühen deutschen Oper einwirken sollten.

2.1  Die italienische Oper im 17. Jahrhundert Die Geburt der Oper vollzog sich am Abend der Renaissance in Florenz. Als Keimzelle gelten Intermedien mit selbständiger Handlung, die mit Vorliebe die Macht der Musik thematisierten und insbesondere am Hofe der Medici zwischen den Akten von Schauspielen aufgeführt wurden. Erhalten haben sich zwei vollständige Musiken von Giovan Battista Strozzi (1504–1571),

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Rinuccini/Francesco Corteccia (1502–1571) von 1539 und von 1589 mit Musik u. a. von Jacopo Peri (1561–1633), Giulio Caccini (1545–1618) und Emilio de Cavalieri (1550–1602). Die zweite Muttergattung der frühen Oper sind Pastoralspiele wie An­ gelo Polizianos (1454–1494) Favola d’Orfeo. Wichtige Impulse dazu gaben die pastoralen Dichtungen Torquato Tassos (1544–1595) wie Aminta (1573) und Giovanni Battista Guarini (1538–1612) Il pastor fido (1590), die der Oper lange als zentrale Stoffe erhalten bleiben sollten. Zur eigenständigen Gattung formte die Oper die Idee einer Wieder­ belebung des antiken Theaters, das im Unterschied zu den neuzeitlichen Mischformen aus Musik und Sprechtheater als vollständig gesungen vorzu­ stellen sei. Die Florentiner camerata im Hause des Grafen Giovanni de Bardi (1543–1612) war nur einer von mehreren adeligen und akademischen Zir­ keln, die sich ab 1573 um eine Wiedergeburt antiker Musik und Ethik be­ mühten, mit der als Gipfelpunkt aller Errungenschaften der Renaissance der mythische Sänger Orpheus das goldene Zeitalter zurück in die Gegenwart bringen sollte. Der Dichter Rinuccini und der Komponist Peri wollten der Musik vor al­ lem jene tiefe Emotionalität verleihen, die sie für die antike Musik annahmen. Nachdem Bardi nach Rom ging, sammelte sich die Gruppe um Rinuccini und Peri im Hause des Florentiner Edelmannes Jacopo Corsi (1561–1602). Dort wurde 1598 die erste Oper Dafne von Rinuccini und Peri aufgeführt, deren Musik weitgehend verloren ist. 1600 folgte Euridice von denselben Autoren zur Hochzeit Heinrich IV. von Frankreich (1553–1610) mit Maria de’ Medici (1575–1642). Die Vorworte zu Euridice von Peri und der zwei Jahre später aufgeführ­ ten Vertonung von Caccini umreißen die für die frühe Oper bestimmende monodische Kompositionsweise als stile rappresentativo,1 als solistischer, in­ strumental begleiteter Sprechgesang, der etwa die Mitte hält zwischen der schnellen Rede des Sprechens und der langsamen des Gesangs: Erkennend, daß es eine Frage der dramatischen Dichtung war und daß man deshalb mit Gesang denjenigen, der spricht, nachahmen sollte […] urteilte ich, daß die alten Griechen und Römer (die nach verbreiteter Meinung ihre Tragödien auf der Bühne vollständig sangen) eine Harmonie benutzten, die, über die der gewöhnlichen Spra­ che hinausgehend, so nahe der Gesangsmelodie war, daß sie eine Zwischenform annahm […]. Jede andere Art des bisher gehörten Gesangs verwerfend, setzte ich mich selbst daran, die für diese Dichtungen notwendige Form der Nachahmung zu entdecken, und ich zog in Erwägung, daß die Art des Ausdrucks, die von den Alten zum Singen bestimmt war […] einen Zwischenpfad einschlug zwischen den schwe­

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Anfangs gleichbedeutend mit stile recitativo.

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benden und langsamen Bewegungen des Gesangs und den fließenden, schnellen der Sprache […].2

Gleichwohl war bereits für Peri die Oper eher das Ergebnis einer Anregung und Übersetzung des antiken Musiktheaters denn die Idee einer archäologi­ schen Rekonstruktion: Und so (obgleich ich zögern würde zu behaupten, daß dies die Art des Gesangs war, wie er in griechischen und römischen Schauspielen verwendet wurde) habe ich ihn für die einzige Art und Weise gehalten, in der die Musik sich unserer Sprache anzupassen vermag.3

Entsprechend steht bereits an der Wiege der Oper weniger die Tragödie, denn bereits Euridice endet mit einem Lieto fine, in dem die Titelfigur den Hades dauerhaft wieder verlässt, und auch Tragedia im Prolog reflektiert ausdrücklich die Differenz dieser neuen tragedia in musica4 zur antiken Tragödie: Io che d’alti sospir vaga e di pianti, spars’or di doglia hor di minaccie il volto, fei negl’ampi teatri al popol folto scolorir di pietà volti e sembianti, non sangue sparso d’innocenti vene, non ciglia spente di tiranno insano, spettacolo infelice al guardo humano, canto su meste e lacrimose scene.5

Der Verweis auf rührende Szenen an Stelle der ausgerissenen Augen des Ödipus sollte sich genau in dieser Verdichtung 173 Jahre später in Wielands 2

Zit. nach: Tim Carter. In: Illustrierte Geschichte der Oper. Robert Parker (Hg.). Stuttgart 1998, S. 11. 3 Zit. nach: Ebenda, S. 13. 4 Das Titelblatt gibt bezeichnenderweise noch keine Gattungsbeschreibung, anders als sieben Jahre später Monteverdis und Striggios Fassung der Geschichte als favola in musica. 5 Die Tragödie. Ich, die ich einst begierig nach hohen Seufzern und Weinen, Mit einem Gesicht verzerrt von Schmerzen und Drohungen Das in den großen Theatern dicht gedrängte Volk Erblasst vor Mitleid ihre Gesichter abwenden ließ. Kein Blutvergießen mehr aus unschuldigen Venen! Keine vom wahnsinnigen Tyrannen ausgerissen Augen, Unseliges Spektakel vor dem menschlichen Blick, Nun singe ich auf einer rührenden und tränenvollen Bühne. Booklet zur CD-Aufnahme, Artis 1995, S.  52 (Übersetzung T.H.). Im Folgenden werden Rezitative einfach, Arien doppelt eingezogen.

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Singspiel-Theorie wiederfinden, die damit (auf welchen Vermittlungspfaden auch immer) an diese erste Oper anknüpft6 und mindestens programmatisch das empfindsame Musiktheater viel näher an den Ursprüngen der Oper baut als mancher Interpret bislang zu sehen vermochte. Bereits Rinuccinis Text der Euridice begründete die Grundstruktur des Opernlibrettos in der Abfolge von Rezitativversen in frei gereimten Siebenund Elfsilbern mit regelmäßig versifizierten und gereimten Textpassagen für die Gesänge. Die Musik folgt der Sprache in ihren Bewegungen und Affek­ ten, verdichtet sich dabei zwar gelegentlich zu kleinen Chören und liedhaften Abschnitten, behält aber doch einen stark linearen Verlauf. Monteverdi, der sich durch seine ersten fünf Madrigalbücher bereits höchste Fertigkeit in der dramatischen Textvertonung mit szenischen Implikationen erschlossen hatte, sollte für Orfeo nach einer Dichtung Alessandro Striggios (1573–1630) nicht nur das Orchester reicher besetzen und das Rezitativ verdichten, son­ dern vor allem mit zahlreichen geschlossenen musikalischen Formen wie Strophenliedern mit Ritornellen, Chören und Tänzen die Oper als eine Ab­ folge kontrastierender musikalischer Formen etablieren, die die Grundlage für den späteren Wechsel von Rezitativ und Arie schuf. Für die römische Oper kommt der szenischen Aufführung der Rappresenta­ tione di Anima et di Corpo (1600) von Cavalieri eine ähnliche Gründungsfunk­ tion zu wie Peris Opern in Florenz, gefolgt von der Pastorale Eumelio (1606) von Agostino Agazzari (1578–1640) und schließlich Stefano Landis (1587– 1639) La Morte d’Orfeo (1619). Der aus Rom stammende Cavalieri hatte in den 1590er Jahren die Florentiner Intermedien mitbestimmt, kehrte dann jedoch nach Rom zurück. War die Florentiner Oper Medium zur prächtigen Selbst­ darstellung des Adels, wurde in Rom vor allem die Rappresentatione ein religiö­ ses Propaganda-Medium, weshalb die Musik eher melodisch als dramatisch ist und dazu auch auf populäre ältere Formen zurückgreift. Die Oper in Rom sollte dem Hochklerus lange eng verpflichtet bleiben, mit der Konse­ quenz eines Wechselbades aus Förderung und Opernbann. Librettisten wie Kardinal Giulio Rospigliosi (1600–1669) – der spätere Papst Clemens IX. –, Komponisten und Sänger (häufig in Personalunion wie im Falle Landis, Luigi Rossis [1598–1653] und Marc-Antonio Pasqualinis [1614–1691]) waren Mit­ glieder des direkt dem Papst zugeordneten Chors der Sixtinischen Kapelle. In Rom sangen erstmals Kastraten in der Oper, da in der heiligen Stadt ein weitgehendes Bühnenverbot für Frauen herrschte bzw. etabliert wurde. Neben pastorale Stoffe wie Landis Morte d’Orfeo traten Geschichten aus dem Leben der Heiligen Sant’Alessio (1631, Libretto von Rospigliosi, Musik 6

Immerhin beschreibt der von Wieland verwendete Algarotti in Saggio sopra l’opera in musica (1755) präzise das Rezitativ der Euridice bzw. Peris im Kapitel Von der Musik.

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ebenfalls Landi) und sogar die erste komische Oper, ebenfalls nach einem Libretto von Rospigliosi nach Giovanni Boccaccio (1313–1375). Wenngleich das Rezitativ das Medium der Handlungsführung blieb, wurde es im Flo­ rentiner Ausmaß als ermüdend empfunden und zugunsten mannigfaltiger geschlossener Gesangs- und Tanzformen reduziert. Die Oper, wie sie in ihrer Gestalt und ihren sozialen Funktionen noch heute besteht,7 entstand erst ab der Mitte des 17. Jahrhunderts in Venedig. Noch Händel sollte diesen Typus der späteren neapolitanischen Librettoreform Zenos und Metastasios vorziehen, und für seine Opern häufig auf alte Li­ bretti der venezianischen Oper zurückgreifen, die durch seine Bearbeiter mehr oder weniger an den Typus der aktuellen Opera seria angenähert wur­ den. Dieses Vorgehen könnte durchaus mit seiner Sozialisation durch die deutsche Barockoper in Hamburg zusammenhängen, die sich wesentlich aus dem Typus der venezianischen Oper entwickelte und lange deren formale Vielfalt bewahren sollte. Während die Oper an den meisten Orten Italiens von eher kurzlebigen Phasen klerikaler oder feudaler Förderung abhängig war, herrschte im repu­ blikanisch organisierten Venedig jährlich zur Zeit des Karnevals mit seinem schon damals kosmopolitischen, wenigstens gesamteuropäischen touristi­ schen Publikum ein ideales Klima für diese neue, zugleich spektakuläre wie kultivierte Form der Unterhaltung. Hier entstanden in rascher Folge die drei späten Opern Monteverdis, der bereits zu Lebzeiten als größter Komponist seiner Zeit galt8 und einen enormen Einfluss auf die Werke der zeitgleichen und späteren Komponis­ ten und Librettisten ausübte. Während die überlieferten Opern Monteverdis Meisterwerke von höchst individueller und jeweils sehr unterschiedlicher Form sind (man vergleiche nur die in zeitlicher Nähe entstandenen Il ritorno d’Ulisse (1640) und L’Incoronazione di Poppea (16429), bildete der Montever­ dischüler und Mitarbeiter Cavalli mit den Librettisten Giovanni Faustini (1615–1651) und Giovanni Francesco Busenello (1598–1659) die charak­ teristische Opernform aus. Erst sie schufen ein repetierbares Modell, das der Oper eine für Produzenten wie Rezipienten vorhersehbare Gestalt gab. Besonderen Einfluss hatte Cavallis Giasone (1749), eine der meist gespielten und meist angefeindeten Opern des 17. Jahrhunderts nach einem Libretto des bedeutenden Dramatikers Giacinto Andrea Cicognini (1606–1651). Die

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Rosand (1991, S. 8) weist darauf hin, dass die venezianische Oper der ersten Blütephase alle wesentlichen Merkmale ausbildete, die bis heute Konstanten der Gattung darstellen. Vgl. ebenda, S. 3. Deren überlieferte Fassung allerdings von 1651 stammt.

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Komponisten Antonio Cesti (1623–1669), Ziani, Antonio Sartorio (1620– 1681) und andere sollten Cavallis Tendenzen aufnehmen und weiterführen. Ab den 1690er Jahren gab Venedig seine dominante Stellung in der Ent­ wicklung der Oper an Neapel und Wien ab. Es entstand die sog. neapolita­ nische Opernreform und aus ihr die von komischen Elementen bereinigte Opera seria, die das 18. Jahrhundert bis hin zu Wielands Zeit bestimmen sollte.

2.2  Die venezianische Oper In Venedig entwickelte die Oper jene Formen und gesellschaftlichen Funk­ tionen, die die direkten Vorbilder für die Blütephase der deutschen Barock­ oper in Hamburg, Braunschweig und Leipzig bildeten; darüber hinaus die narrative Grundstruktur aus dramatischem Rezitativ und statischen Arien, die bis zum 20. Jahrhundert formgebend bleiben sollte sowie ihre soziale Funktion als Publikumsoper. Die Morphologie der venezianischen Oper10 unterscheidet sich grundsätzlich von der frühen Oper in Florenz und Rom, wie sich exemplarisch an Monteverdis erster und letzter Oper, L’Orfeo und L’incoronazione di Poppea aufzeigen lässt. Erst diese letzte und venezianische Oper ist Oper im Sinne einer neuen Gattung, gegen die sich frühere und außervenezianische Ansätze eher rückwärtsgewandt denn zukunftsweisend ausnehmen.11 Als Glanzlichter höfischer Feste und Jubiläen standen Werke wie Euridice, Dafne und L’Orfeo weit außerhalb merkantiler Zwänge und der Notwendigkeit, einem breiteren Publikum über längere Strecken zu gefallen. Als singuläre Ereignisse mit vornehmlich repräsentativem Charakter waren die anspielungs- und voraussetzungsreichen Kunstwerke auf einen kleinen Kreis Eingeweihter zugeschnitten.12 Themen und Decorum orientierten sich lediglich an Geschmack und Vorlieben eines gebildeten Auftraggebers, der nahezu unbegrenzte, jedenfalls komfortable Produktionsbedingungen zur Verfügung stellte. Die Oper diente erst in zweiter Linie der Unterhaltung. Ihr Hauptzweck war die Zurschaustellung von Macht, Reichtum und Bildung. Allein diesem Umstand verdanken wir den Partiturdruck von Monteverdis L’Orfeo13, der als Dokument einer prächtigen Veranstaltung, an anderen euro­ 10 11 12 13

Eine vollständige oder nur hinreichende Darstellung der venezianischen Oper kann an dieser Stelle nicht gegeben werden. Hierzu sei verwiesen auf: Rosand (1991), auf deren Darstellung auch im Folgenden noch häufiger Bezug genommen wird. Ebenda, S. 10. Ebenda, S. 10–11. Sie erklärt sich folglich nicht in erster Line aus der Wertschätzung der Musik Montever­ dis, sondern als Dokumentation eines besonders kostbaren und einzigartigen Ereignisses. Demgegenüber war die Musik der merkantilen venezianischen Oper, was auch später für die



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päischen Höfen von der Macht und dem Wohlstand des Gönners Vincenzo Gonzaga (1562–1612) kündete. Prachtvolle Beschreibungen der Dekoratio­ nen und Festivitäten, beispielsweise von Michelangelo Buonarrotti dem Jün­ geren (1568–1646) über Peris Euridice, die zu denselben Zwecken im Druck verbreitet wurden, sind heute kostbare und seltene Quellen.14 Ein Beispiel für diese Funktionalisierung des Ereignisses Oper im deutschen Sprachraum ist Cestis überdimensionale Festa teatrale auf einen Text Francesco Sbarras (1611–1668) Il Pomo d’oro. Ursprünglich für die Hochzeit von Kaiser Leo­ pold I. (1640–1705) mit Margarita Theresa von Spanien (1651–1673) in Wien 1666 geplant, wurde das eigens für das Stück gebaute Theater erst 1667 fertig und das Stück wegen der Schwangerschaft der Kaiserin und des frühen To­ des des kleinen Thronfolgers erst zwei Jahre später gegeben. Die spektaku­ lären Bühnenbilder Lodovico Ottavio Burnacinis (1636–1707) wurden 1668 als Kupferstiche publiziert. Sie bildeten eine der wichtigsten Vorlagen bei der Gestaltung der Hoffeste im deutschsprachigen Raum, und blieben bis in die Goethezeit hinein präsent.15 Erst die venezianische Oper adressierte dagegen von Anfang an ein breites Publikum und musste sich ihren kommerziellen Interessen entspre­ chend dessen Geschmack anpassen – respektive Versuchen, letzteren zu for­ men. Entsprechend rasch entwickelte sie strukturelle Unterschiede zu ihren älteren Geschwistern. Der erste, vergleichsweise lange Lebensabschnitt der Oper von 1590 bis 1637 (der Ankunft der Oper in Venedig) hatte sich vor allem durch seine Vielgestaltigkeit ausgezeichnet, sei es in der Pluralität der Bezeichnungen des musikalischen Kunstwerkes, seiner Länge, seiner Aus­ richtung als Tragödie oder Komödie oder der Verbindung beider Gattun­ gen. Auch die frühe venezianische Oper zeigt diese Vielgestaltigkeit, doch vollzieht sich ihre Entwicklung wie im Zeitraffer, und so entstand während nur eines weiteren Jahrzehnts der Typus, der bis zu Zeno/Metastasios ers­ ter Reform und in Teilen darüber hinaus im Kern konstant bleiben sollte. Diese strukturellen Wandlungen des Typus vollziehen sich zunächst auf der texlichen Ebene – im Libretto – für das langsam die Bezeichnung dramma per musica, also Drama für Musik als unvollständige, gleichwohl funktional genau bestimmte Textsorte entsteht. Die venezianische Oper adaptierte demnach

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frühdeutsche Oper gelten wird, nur als Aufführungsmaterial von Wert, wie die Überliefe­ rungsgeschichte von Monteverdis Poppea lediglich in Abschriften späterer Wiederaufnahmen belegt. Vgl. ebenda, S. 22–23. Vgl. ebenda, S. 10. Vgl. Geschichte der italienischen Oper. Systematischer Teil. Lorenzo Bian­ coni und Giorgio Pestelli (Hg.). Bd. 4: Die Produktion: Struktur und Arbeitsbereiche. Laaber 1990, S. 17. Noch Goethe besaß einen Prachtband mit Drucken der Bühnenbilder. Vgl. meine Darstel­ lung des Einflusses auf die Festspielkonzeption Goethes und insbesondere die Faustdichtung in Hartmann (2004), S. 455–527.

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das musikalische Kunstwerk Oper in seiner konzeptionellen Grundstruk­ tur eines durchgängig gesungenen Dramas, wie Rinuccini, Peri, Caccini und Monteverdis frühe Experimente es entwickelt hatten. Seine Funktion hinge­ gen wandelte sich grundlegend. Die Republik Venedig hatte sich als Hort der Freiheit und relativen Unabhängigkeit etabliert und stilisiert. Auch wenn diese republikanischen Strukturen, mit dem Dogen als Stellvertreter eines monarchischen Herr­ schers und einem Senat aus Angehörigen einer strengstens über ihre adelige Abstammung wachenden Aristokratie mit erblichen Ämtern (in einer konsti­ tutionellen Oligarchie) weit von demokratischen Strukturen abwich, verstand sich Venedig doch als regimen temperatum und als Staat mit ausgewogener Gewaltenteilung. Die Parallele zum Stadtstaat Hamburg liegt damit auf der Hand und begünstigte wesentlich die Übernahme der venezianischen Oper in Hamburg mitsamt ihren politischen und sozialen Funktionen.16 Die enge Verbindung der Aristokratie zum aktiven Handel beeinflusste deren Haltung zur Kunst insgesamt und zur Oper im Besonderen: Das En­ gagement für die Oper folgte nicht in erster Line dem klassischen Mäzena­ tentum (Geld gegen Ruhm), sondern bildete zunächst eine Investition in dem festen Vorsatz, mit der Oper Geld zu verdienen. Auch das Mäzenaten­ tum des europäischen Hofadels in Form von Logenmiete vollzog sich ab ca. 1660 innerhalb dieser merkantilen Struktur. Als Handelsstadt hatte Venedig vor allem während der Renaissance pro­ speriert, im 17. Jahrhundert seine bedeutende Stellung hingegen bereits weit­ gehend eingebüßt. Im Westen kontrollierten die Portugiesen die Meere, der Handel am schwarzen Meer lag in türkischer Hand und Venedig befand sich in einem langsamen, doch spürbaren Abschwung. Dennoch zog die Stadt mit ihren prachtvollen Bauten und der ruhmreichen Vergangenheit Besucher aus ganz Europa an, sicherlich begünstigt durch die relative Nähe zu den Län­ dern Nord- und Zentraleuropas. Bereits das 15. und 16. Jahrhundert hatte Venedig während des Karnevals ein reges Theaterleben beschert. Mit seinem exotischen Flair der internationalen Handelsstadt bildete der venezianische Karneval eine willkommene Attraktivität für die zumeist adeligen Touristen, die auf diese Weise Jahr um Jahr beträchtliche Summen in die Kassen der Lagunenstadt spülten. Nach Silke Leopold befand sich zur Karnevalszeit der gesamte europäische Hochadel in Venedig und die Logen waren weitgehend unter den fremden Fürsten aufgeteilt.17 Hier fand die venezianische Oper ihr

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Vgl. Schröder (1998). Silke Leopold: Höfische Oper und feudale Gesellschaft. In: Der schöne Abglanz. Stationen der Operngeschichte. Oper als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen. Udo Bernhard und Wulf Krudal (Hg.). Hamburg 1992, S. 68.



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breitgefächertes Publikum, das auf gänzlich anderem Wege zu ihr gelangte als die Zuschauer der frühen römischen Oper: Es bezahlte Eintritt. Die Investitionen in die venezianischen Opernhäuser erfolgten von Sei­ ten adeliger Familien, die zunächst nach kaufmännischen Grundsätzen Ka­ pital in ein Unternehmen einbrachten, einen Pächter mit der Durchführung betrauten und das Risiko des Scheiterns zumindest mittrugen. Verschiedene Studien zur Sozialgeschichte der Oper deuten jedoch darauf hin, dass mit dem Betrieb eines Opernhauses auch ein bedeutsamer Prestigegewinn für die Familien verbunden war. Die Familie Grimani eröffnete bereits 1640 mit dem Teatro SS. Giovanni e Paolo eines der langlebigsten und erfolgreichsten Theater in Venedig, dem später sogar noch mit S. Giovanni Crisostomo ein zweites, allerdings klug in einem andern, hochpreisigen Marktsegment an­ gesiedeltes folge.18 Die Theaterunternehmungen erwiesen sich nicht nur als gelungene Investitionen, sie festigten überdies den Ruf der Familie weit über Venedig hinaus und gaben das Vorbild für andere Opernunternehmungen im Europa des 17. Jahrhunderts, die sich alle auf einer Achse zwischen den Polen Kommerz und sozialem Gewinn durch Profilierung verorten lassen, wobei in den größeren grundsätzlich beide Intentionen präsent sind. Dies gilt, wie noch ausführlich darzustellen sein wird, besonders für die Opern­ unternehmungen des nord- und mitteldeutschen Sprachraums, nicht nur in Hamburg, sondern auch in Braunschweig und Leipzig. Selbst die vornehm­ lich von Herrscherseite finanzierten Hofopern (ausgenommen sind hier nur die kleinen Hoftheater, die vor allem für eine geschlossene Hofgesellschaft spielten19) rechneten häufig mit dem Zustrom eines breiteren und in der Re­ gel zahlenden Publikums und damit einer teilweisen Rückvergütung der in die Oper investierten Kosten (etwa in Braunschweig20). Mitunter wurden die Eintrittskarten aber auch planmäßig unentgeltlich an die Untertanen ver­ schenkt. Das „Volk“, zu dem zuweilen nur der Adel und das Militär, ab dem 18. Jahrhundert zunehmend auch das Bürgertum gezählt wurde, sollte an den prachtvollen Schauspielen teilnehmen21 oder wurde gar zum zentralen Adressaten der in der Oper entfalteten Inhalte. Herrscherliche Selbstdarstel­ 18 19 20

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Die venezianischen Opernhäuser bedienten nicht nur unterschiedliche Publikumsschichten, sondern auch unterschiedliche soziale Klassen. Bereits Hellmuth Christian Wolff hat allerdings darauf hingewiesen, dass auch diese Gesell­ schaften häufig durchlässig waren. Ders. (1964), S. 447. Auch das paritätisch zwischen Stadtverwaltung und dem Herzog von Modena organisierte Opernunternehmen in Reggio Emilia wurde zur Messezeit gegeben. Vgl. Lorenzo Bianconi und Thomas Walker: Production, Consumption and Political Function of Seventeenth-Cen­ tury opera. In: Early Music History. Studies in medieval and early modern music. Ian Fenlon (Hg.). Cambridge 1984, S. 240. Friedrich der Große (1712–1786) betrachtete sein 1742 eröffnetes Opernhaus, dessen Ein­ trittskarten kostenlos unter den besseren Kreisen verteilt wurden, als Bildungsinstitut für seine Untertanen. Vgl. Wolff (1964), S. 449.

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lung, Prachtentfaltung, Unterhaltung und Bildung der Untertanen laufen in der Oper je nach Zeit, Anlass, historischer und topographischer Situation in variabler Gemengelage zusammen und sollten in den Opernunternehmen Friedrichs II. von Preußen (1712–1786) und Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach eine späte Blüte finden. In Venedig hatte grundsätzlich jeder Zugang zu den Opernhäusern, der in der Lage war, eine Eintrittskarte zu bezahlen. Der Preis für einen Einzelplatz im Parkett22 lag bei etwa anderthalb Tageseinkommen eines Arbeiters,23 ent­ spricht damit in etwa heutigen Verhältnissen. Selbst gemessen an den frühen Huldigungsopern stellte dies die Publikumsstruktur nicht gänzlich auf den Kopf. Das Publikum auch der venezianischen Oper bestand hauptsächlich aus Adeligen, die in der Regel über die gesamte Saison eine Loge mieteten, ferner einer Schicht aus wohlhabendem Bürgertum und Amtsträgern, die ihren Lebensstil dem Adel anzugleichen bestrebt waren.24 Die Senkung der Eintrittspreise von vier auf zwei Lire, die Francesco Santurini (1627–1688) 1674 im Teatro S. Mosè vorgenommen hatte,25 stieß auf breite Ablehnung bei der Intelligenzia, weil sie einer Schicht den Zugang ermöglichen könnte, die als einfältig, ungebildet, roh und primitiv galt.26 Die Abgrenzung nach unten in der Oper spiegelte sich in der räumlichen Anordnung und wurde von den Logenpächtern bewusst als solche wahrgenommen. Die Oper war zwar allen zugänglich, ein öffentliches Phänomen, jedoch keines der Allgemein­ heit: Das Volk der Oper blieb in Venedig (und anderswo) die herrschende Klasse. Tatsächlich empfehlen zeitgenössische Quellen, nicht in bester Gar­ derobe das Parkett aufzusuchen,27 doch Übergriffe wie das Herabspucken und Herabwerfen von Unrat aus den Logen auf das Parkett entstammen Berichten über die Komödie.28 22 23 24 25 26 27 28

Nach Wolff vier Lire für den Platz und zusätzlich zwei für einen bequemen Stuhl, zudem das Libretto und eine kleine Kerze, um es mitlesen zu können. Vgl. ders.: Die venezianische Oper in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Berlin 1937/Leipzig 1974, S. 19–20. Vgl. Lorenzo Bianconi und Thomas Walker: Production, Consumption and Political Func­ tion of Seventeenth-Century opera. In: Early Music History. Studies in medieval and early modern music. IV (1984), S. 209–296, hier S. 227. Vgl. Bianconi/Pestelli (1990), S. 20. Die übrigen Theater zogen auf Grund des Konkurrenzdruckes bald nach. Lediglich das exklusive Theater S. Giovanni Crisostomo behielt die alten Preise bei. Vgl. Bianconi/Pestelli (1990), S. 26–27. So Christoforo Ivanovich in: Le memorie teatrali di Venezia. Die Passage ist abgedruckt in: Rosand (1991), S. 430. Vgl. ferner Bianconi/Walker (1984), S. 242. Tatsächlich erschien das Publikum häufig in Kostüm und Maske. Alexandre Toussaint de Limojon Sieur De Saint Disdier: La ville et la république de Venise. Paris 1680. Vgl. Hellmuth Christian Wolff: Die venezianische Barockoper in der zweiten Hälfte des 17.  Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der Musik und des Theaters im Zeitalter des Barock. Berlin 1937/Leipzig 1975, S. 20.



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Bianconi/Walker haben 1977/84 ihre Beobachtung formuliert, dass die Stofflichkeit der venezianischen Oper auf politische Ereignisse reflektiert. Konkret beschreiben sie eine Steigerung heroischer Stoffe im Kontext des Krieges gegen die Türken. Andreas Hoffmann hat daraufhin 1996 mit eini­ gem Aufwand diese These durch eine genaue Untersuchung einer Reihe von in diesem Zeitraum entstandenen Opern mit entsprechender Stofflichkeit widerlegt respektive gezeigt, dass diese Wahrnehmung einer statistischen Überprüfung nicht standhält.29 Andererseits hat Dorothea Schröder am Bei­ spiel der Hamburger Oper eindrucksvoll zeigen können, dass sie in der Tat gezielt für politische Zwecke eingesetzt wurde.30 Die Oper wird, insbesondere in sozial so komplexen Verhältnissen wie der Republik Venedig, von einem Feld dezentral wirkender Kräfte be­ stimmt. Dazu gehören akademische (normative) und kritische (deskriptive) Aus­einandersetzungen ebenso wie stoffliche Vorlieben und die Neigung der Zuschauer zu geschlossenen Gesangsformen, beispielsweise der des Lamen­ tos,31 sowie Einflüsse aus anderen Gattungen der Literatur. Auf stofflicher Seite gibt es tatsächlich eine Koinzidenz von Politik und Themen, wie sich etwa am Aufkommen und den Modifikationen des Soliman II.-Stoffes zeigen lässt, der im Zuge der Bedrohung durch die Türken auf die Bühne gelangte als grausame Geschichte eines barbarischen Vaters, der kaltblütig seinen ­eigenen Sohn ermorden lässt. Sie wandelte sich mit dem Machtverlust des Osmanischen Reiches langsam bis zu Hasse und Giannambroglio Migliavac­ cas (1718–1795) Solimano (1753), in dem der Vater im Lieto fine dem Sohn vergibt und schließlich 1782 in Mozarts Entführung aus dem Serail als Bassa Selim zur Lichtgestalt des wahren Humanismus wird. Anders als für von Herrscherhäusern geleitete Opern (und in einer we­ sentlich komplexeren Organisationsform auch für die Hamburger Opern) ist für die venezianische Oper kein klares Auftraggeber-Rezipienten-Schema mehr nachweisbar, da das Kunstwerk nicht länger dem Geschmack eines ein­ zelnen Auftraggebers Rechnung tragen muss, sondern den Vorlieben ­einer zahlreich gewordenen Kundschaft. Der Impresario, der die Stücke auswählt und produziert, ist zunächst seinem eigenen wirtschaftlichen Erfolg ver­ pflichtet und damit dem Geschmack des Publikums, seinen Sorgen und Nö­ ten, wodurch die politische Großwetterlage Einfluss auf den Spielplan ge­ winnt. Die Konkurrenzsituation zu anderen Opernhäusern kann bewirken, dass ein bestimmter Stoffkreis aufgegriffen oder gerade vermieden wird. Eine gezielte Funktionalisierung des Genres insgesamt ist unter diesen Umstän­ 29 30 31

Ders.: Tugendhafte Helden – lasterhafte Tyrannen. Italienische Oper am Ende des siebzehn­ ten Jahrhunderts. Bonn 1996. Schröder (1998). Vgl. Bianconi/Walker (1984), S. 254.

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den nicht wahrscheinlich, doch gibt es über Betreiber und Publikum mannig­ faltige Verbindungen zur herrschenden Klasse. Aus der fürstlichen Preziose entstand auf diese Weise eine frühe Unterhaltungsindustrie, die rasch von anderen italienischen Städten übernommen wurde. Folge der Oper als kommerziellem System war die Professionalisierung des Personals. Das Orchester wurde unter dem Druck finanzieller Ökonomie zunächst tendenziell kleiner, die Gesänge in geschlossenen Formen dagegen wichtiger, da das Publikum seine Lieblingssänger in melodiösen Soli hören wollte. Damit erst gewann die Arie ihr Gewicht. Die frühe Oper hatte im Wesentlichen ein durchgehendes, sich drama­ tisch verdichtendes und elegisch verlangsamendes Rezitativ auf der Basis von Sieben- bis Elfsilbern mit variablem Reim und der Tendenz zu variabler Zeilenlänge in den (dramatischen) Solopartien; hingegen regelmäßiger Zei­ lenlänge in programmatischen Passagen wie dem Prolog und Chören ge­ bildet. Solange die Vertonung der Linie der Sprache folgte, blieben jedoch die Möglichkeiten für das musikalische Eigenleben in geschlossenen Formen (liedhaften Elementen) begrenzt. Nach dem Postulat strenger Wahrschein­ lichkeit des dramatischen Geschehens mussten sie als Lieder (beispielsweise die Gesänge Orpheus’), Tänze und Chöre aus der Handlung heraus motiviert werden. Bereits in den ersten 20 Jahren hatte die Oper auf diese Weise ein System von Gesangsformen entwickelt, das sich in den Libretti im Wech­ sel von variablem madrigaleskem Rezitativ mit Blöcken regelmäßiger Verse und mitunter strophischen Arientexten niederschlägt. In Landis La Morte d’Orfeo auf eine Dichtung Alessandro Mattheis32 beispielsweise ermöglich­ ten ein breites mythologisches Personal und Chöre eine Vielzahl geschlos­ sener Formen. Innerhalb mythologischer Erzählungen war das Problem der Wahrscheinlichkeit ohnehin weniger drängend, weshalb operntheoretische Traktate bis zu Algarotti und Wieland mythologische Sujets empfehlen. Die venezianische Oper geht in ihren ersten Werken der 1640er Jahre zunächst hinter diesen Status quo zurück. Die Librettisten der ersten Gene­ ration in Venedig waren vornehmlich aristokratische Nebenerwerbs-Dichter, die im Wesentlichen dem elitären und machtpolitisch bedeutsamen Zirkel der 1630 gegründeten Accademia degli Incogniti angehörten und das Li­ brettoschreiben als akademischen Zeitvertreib betrieben. Die auf Cesare Cremonini (1550–1631) rekurrierenden intellektuellen Paradigmen beinhal­ 32

Lebensdaten unbekannt, möglicherweise ein Verwandter des Komponisten, der eigentlich Stefano Mattei hieß. Andere Quellen schreiben das Libretto Landi selbst zu bzw. führen als Dichter „unbekannt“. Vgl. Silke Leopold: Stefano Landi. Beiträge zur Biographie – Unter­ suchungen zur weltlichen und geistlichen Vokalmusik. Hamburger Beiträge zur Musikwis­ senschaft. Begründet von Georg von Dadelsen. Constantin Floros (Hg.). Hamburg 1976, S. 56–58 und S. 236–237. Vgl. ferner: Dies.: Stefano Landi. In: MGG2 Bd. 10, Sp. 1127.



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teten neben einer eher laxen Haltung gegenüber den Dogmen der Kirche und hoher Wertschätzung der Sinnlichkeit auch die strikte Orientierung an Aristoteles.33 Vor allem Letzteres hatte direkte Auswirkungen auf ihre Hal­ tung zur Oper, die einerseits als Erbin der antiken Tragödie erschien und doch zugleich deren Regeln brechen oder zumindest herausfordern musste. Allerdings lässt sich an den Vorreden beobachten, wie die aristotelischen Postulate, namentlich die drei Einheiten und die Fünfaktigkeit der Tragö­ die, zunehmend beliebig wurden. Je nach den Bedürfnissen des Stoffs, der eigenen wie der vermuteten Verfassung des Publikums, vielleicht auch des Komponisten werden mal fünf, mal gerade drei Akte respektive die eine oder andere Einheit gegenüber den anderen mit Bezug auf antike Autoritäten in Anspruch genommen. Doch die Bedürfnisse des modernen (Musik-) Thea­ ters treten immer selbstbewusster in den Vordergrund und die Eloquenz des Autors, praktisch alles mit Anbindung an antike Traditionen und Autoren zu belegen, wird zu einem akademischen und etwa im Falle Busenellos offen­ kundig augenzwinkernden Spiel von relativer Unverbindlichkeit34 angesichts einer Gattung, die sich Abend für Abend vor modernen Augen und Ohren beweisen musste. Die theoretischen Prämissen, insbesondere das Problem der Wahrscheinlichkeit eines gesungenen Dramas, an denen sich die Libret­ tisten abarbeiten, bleiben zwar relativ konstant von der Florentiner Camerata bis zur deutschen Oper auf der einen und Metastasio auf der anderen Seite, doch herrscht in den venezianischen Vorreden bald ein spielerischer Tonfall vor, in dem die Abweichungen von der Wahrscheinlichkeit, den drei Einhei­ ten, die Wahl des dreiaktigen oder fünfaktigen Schemas, oder gar der Abfall vom dem Personal angemessenen Decorum mit ad libitum herbeizitierten und nicht selten widersprüchlichen Argumenten verteidigt und das Argomento zu einem poetologischen Schattenboxen wird, das seine gattungsprogram­ matische Funktion gegenüber der Lust am Fabulieren einbüßt.35 Das Lieto fine, von Aristoteles (384–322 v. Chr.) in der Poetik als „zweitbeste“ Mög­ lichkeit der Tragödie immerhin zugelassen,36 wird von Busenello sogar für seine Bearbeitung von La Didone (vertont von Cavalli, 1641) in Anspruch genommen, in der Dido am Ende Jarbas heiratet! Die Frage des glücklichen Schlusses mündet direkt in die nach der Zuordnung des Genres. Dabei wird,

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Ausführlich, s. Rosand (1991), S. 37–39. Vgl. ebenda, S. 51. Vgl. die ausführliche Darstellung ebenda, S. 40–65. „Die zweitbeste Tragödie, die von manchen für die beste gehalten wird, ist die mit einer zweifach zusammengefügten Fabel, wie die Odyssee, d.  h. in der die Guten und die Schlechten ein entgegengesetztes Ende finden. Sie gilt als die beste, weil sie der Schwäche des Publikums entgegenkommt.“ Artistoteles: Poetik. Übers. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, 1453a, S. 41.

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beispielsweise von Giulio Strozzi (1583–1652),37 mit Bezug auf Plautus (254–184 v. Chr.) unterschieden zwischen der Tragikomödie, verstanden als einer Mischung ernster respektive hoher Figuren mit niederen, komischen Figuren und der Tragödie mit glücklichem Schluss. Die komische Figur ist demnach ein klarer Verstoß gegen die Regel der Tragedia mit Lieto fine, er­ wies sich gleichwohl als ebenso erfolg- wie folgenreich. Ihre Spur führt von Monteverdis/Giacomo Badoaros (1602–1654) Iro, dem verfressenen Para­ siten im Gefolge der Freier der Penelope in Il ritorno d’Ulisse in patria, hin zu den ambivalenten, oft mit Alternativkommentaren ausgestatteten Figuren wie Besso in Cavallis/Cicognini Giasone oder der Amme in L’incoronazione di Poppea von Monteverdi/Busenello. Die Beliebtheit der komischen Figur(en) bei den Zuschauern, die selbst die Librettisten der Hamburger Oper nicht oder nur schwer abschütteln konnten, bedarf kaum einer Erklärung, und der Gewinn für die Variabilität der Narration liegt gleichfalls auf der Hand. Doch lieferten die komischen Ammen und Diener vor allem der Vertonung ein breites Spektrum musikalischer Farben und Formen und boten und öff­ neten ein Experimentierfeld, ohne das die venezianische Oper auf ein be­ grenztes Gleichmaß reduziert geblieben wäre. Mit Blick auf die Soziologie der Oper sollte die Rolle der Komik jedoch nicht, wie durch Wolff für die Hamburger Oper, als Moment des „Volkstümlichen“ oder gar explizit als Stimme des Volkes missverstanden werden. Tatsächlich handelte es sich um eine Art sozialer Vogelschau. Man lachte über die komischen Figuren, weil sie verlachenswert, in der gesellschaftlichen Hierarchie tiefstehend und mit­ unter moralisch verwerflich waren.38 In der venezianischen Oper verschwinden die Chöre zugunsten der So­ listen. Dem Chor als zentralem Element der antiken Tragödie nach Aristote­ les und Horaz (65–8 v. Chr.) war im frühen Musiktheater so lange besondere Bedeutung zugekommen, als sich die neue Gattung explizit als Renaissance des antiken Theaters verstand. Während Monteverdis erste florentiner Adel­ soper L’Orfeo genau wie Peris Gestaltung derselben Geschichte von Chören durchsetzt ist, sind die Chöre in den beiden venezianischen Opern Monte­ verdis marginal, im Falle der späten Poppea sogar als Solistenchöre zu reali­ sieren. In Monteverdis heute verschollener Arianna (1607–1608) nach einem Text von Rinuccini wurden, wie aus dem überlieferten Libretto ersichtlich, für die Wiederaufführung in Venedig 1640 vor allem die Chöre reduziert. Die marginalisierte Rolle des Chores schuldet sich in Venedig allen theoretischen und antiken Argumenten zum Trotz den Produktionsbedingungen des kom­ merziellen Theaters, das an einem möglichst geringen personellen Aufwand 37 38

Vorwort zu Erotilla. In: Rosand (1991), S. 413. Vgl. Reinhard Strohm: Die italienische Oper im 18. Jahrhundert. Wilhelmshaven u.  a. 1979, S. 118.



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interessiert sein musste, wenngleich dieses verglichen mit dem Personal spä­ terer Metastasio-Libretti noch immer sehr reichhaltig ist. Mit dem Chor ver­ schwand auch eine der Hauptquellen für musikalisch geschlossene Formen (Chorlieder und Tänze), was abermals die Notwendigkeit steigerte, diese auf Seiten der Solisten auszugleichen. Eine relativ unproblematische Motivation für geschlossene musikalische Formen waren Götterfiguren, deren Artikula­ tionsweise nicht oder zumindest weniger den Gesetzen der Wahrscheinlich­ keit unterliegt, worauf noch Wieland verweisen sollte.39 Eine zweite und musikalisch weitaus ergiebigere Möglichkeit bildeten jedoch zunächst komische Figuren, denen geschlossene Liedformen leichter ohne Verstoß gegen die Wahrscheinlichkeit in den Mund zu legen waren als den Helden der Handlung, insbesondere wenn letztere nicht mehr mytholo­ gische Gestalten, sondern historische Figuren waren. Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria steht für diese Übergangsform, die Rosand als Signatur für den auf rigide dramatische Wahrscheinlichkeit bedachten Konservativismus der (akademischen) venezianischen Librettisten ausgemacht hat.40 Aus dem Text ergeben sich eindeutig nur drei geschlossene Formen. Die erste wird von einer Dienerin gesungen, die zweite von Minerva, also einer allegori­ schen Gestalt, die dritte von der komischen Figur Iro. Der übrige Text ist ein sich verdichtender und streckender Rezitativtext, dem Monteverdi aller­ dings in der Vertonung wiederkehrende Elemente beifügte, um Passagen an geschlossene Formen anzunähern.41 Die Oper beginnt mit einer Szene, die man als situativ geschlossene Form bezeichnen kann – dem Lamento. Das Lamento gilt als eine der Keimzellen der Oper. Das bekannteste ist Mon­ teverdis Lamento d’Arianna, das in drei Madrigalfassungen, als Solostück, zu drei Stimmen und abermals als späte Bearbeitung überliefert ist.42 Auch für die Vertonungen des Orpheus-Stoffes ist das Lamento des Helden zentral. Monteverdis Lamento della Ninfa wiederum ist ein direktes Vorbild für die Lamenti Cavallis,43 der die Lamentoszene zunehmend auf die Lamento-Arie verdichtet.44 Da das Lied in jedem Fall ein episches Moment ist – sei es gleich situativ motiviert – kommentiert es die singende Figur, respektive sie sich selbst und häufig die Handlung der Oper oder die Opernpraxis selbst. Ein besonders drastisches frühes Beispiel ist das Lied des Eunuchen in La finta pazza (1641) 39 Im Versuch über das Teutsche Singspiel. Wielands Werke. Bd. 12.1 (2009), S. 323. 40 Vgl. Rosand (1991), S. 248–251. 41 Von denen einige erst von Monteverdi geschaffen wurden. Vgl. ebenda, S. 152. 42 Vgl. Gary Tomlinson: Madrigal, Monody and Monteverdi’s via naturale alla immitatione. In: Journal of the American Musicological Society 34 (1981), S. 60–108. 43 In Cavallis Dramaturgie wird das Lamento überdies häufig zum Auslöser der finalen Wen­ dung zum Lieto fine. 44 Wie sich beispielsweise an der späteren Version des Giasone zeigt.

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Francesco Sacratis (1605–1659)/Giulio Strozzis von 1641. Der Eunuch (eine Kastratenpartie) tritt zugleich als Diener und als programmatische Sänger­ figur auf. Seine geschlossenen Liedformen werden eingeleitet bzw. gerahmt von Kommentaren und Anspielungen über die Verbindung von Kastration und musikalischer Praxis respektive Oper.45 Wenngleich die Kastration zu musikalischen Zwecken seit wenigstens hundert Jahren in Italien gängige Praxis war und Kastraten neben Falsettisten und Knaben in den Kirchen­ chören die Oberstimmen sangen, bedeutete der Schritt auf die Bühne doch eine zunächst ungewöhnliche Ausstellung des dritten Geschlechts. Auch wenn die Kastraten bereits zu den frühen Erscheinungen der italienischen Oper gehörten, war im 17. Jahrhundert ihre Stellung noch vergleichsweise prekär. Die ersten großen Opernstars in Venedig waren Sopranistinnen wie Margherita Basile46 und die frühen heroischen Männerpartien wie (nicht nur) Monteverdis Orfeo waren Tenöre. Erst mit der Wende zum 18. Jahrhundert sollten sich mit der neapolitanischen Gesangsschule und ihren großen hero­ ischen Sopranpartien der ersten Reformoper Zenos und später Metastasios Ruhm und Erfolg wie ein schützender Mantel um die soziale Stellung der Kastraten legen.47 Die frühen Libretti enthalten noch keine der für die hochbarocke Seria typischen allegorischen Arien. An Monteverdis Poppea48-Libretto von Buse­ nello lassen sich allerdings erste Anzeichen für diesen später so erfolgreichen Arientypus ausmachen. Die geschlossenen musikalischen Formen werden noch immer weitgehend von den komischen Figuren gesungen und es gibt vergleichsweise wenige strophische Lieder respektive formale Liedformen. Das Diktum der Wahrscheinlichkeit im Dramma per musica ist gleichwohl un­ merklich so weit zurückgetreten, dass musikalische Verdichtungen innerhalb der Handlung und deren Realisierung durch die zentralen Figuren möglich werden. Die Tendenz zur Allegorisierung bzw. zum kommentierenden Retar­ dieren der Handlung zeigt sich bei den Singenden etwa an Ottone, Poppeas Gemahl, der sich in seiner Auftrittsarie einer Line und einem Fluss vergleicht, die zum Zentrum respektive Meer zurückkehren muss. Poppea erscheint als Sonne und Gravitations-Zentrum seiner Bewegungen. Der erste Teil wird von derselben Zeile und Melodie eingeschlossen („E pur io’torno qui, qual linea al cento“), der zweite Teil der Arie in vier Dreizeilern wird durch kleine 45 46 47

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Vgl. Rosand (1991), S. 118–119. Lebensdaten unbekannt. Vgl. John Rosselli: The Castrati as a Professional Group and a Social Phenomenon, 1550– 1850. In: Acta Musicologica 60 (1988), S. 143–161. Vgl. ferner Franz Haböck: Die Kastraten und ihre Gesangskunst. Eine gesangsphysiologische, kultur- und musikhistorische Studie. Berlin und Leipzig 1927. Wobei unter dieser Perspektive die Diskussion um die tatsächliche Autorschaft Monteverdis respektive seinen Anteil eher zweitrangig ist.



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Zwischenspiele strophisch gegliedert und parallelisiert Poppea der (aufgehen­ den) Sonne. Auch Poppea singt eine Arie mit allegorischer Tendenz, wenn sie sich in der vierten Szene an die Hoffnung wendet und ihr Glück kommentiert. Hier wiederholen die ersten beiden Zweizeiler dieselbe Melodie. Ab 1645 beginnt mit der Zusammenarbeit zwischen Cavalli und Faus­ tini ein neuer Abschnitt der venezianischen Oper. Als erster bekennender professioneller Librettist begann Faustini seine Geschichten frei zu erfin­ den, brachte exotische Schauplätze, Zauberer und Ritter in den Reigen der Figuren ein, die die Schaulust befriedigten und Gleichförmigkeit vorbeugten. Verfahrensweisen der Komödie wie Maskeraden, abgefangene Briefe und belauschte Gespräche hielten Einzug in die trotz der phantastischen Ele­ mente gegenüber früheren mythologischen Plots detailrealistischen Hand­ lungen. Er begründete die Tradition der beiden adeligen Liebespaare, die in Begleitung ihrer Vertrauten alle Unwegsamkeiten für ein glückliches Ende aus dem Weg räumen müssen und entwickelte gemeinsam mit Cavalli die Dramaturgie der erst in letzter Sekunde gelösten Verwicklung. Als Faustini 1651 jung verstarb, hinterließ er seinem Bruder Marco (1606–1676) einen wahren Schatz unvertonter Libretti, die dieser in den folgenden Jahren als Impresario verwenden sollte und die auf diese Weise die venezianische Oper noch für eine weitere Dekade beeinflussten. Die freiere Stofflichkeit abseits antiker und historischer Vorbilder ermöglichte, geschlossene musikalische Formen in reicherer Zahl und Variation zu motivieren, ohne dabei gegen das Diktum der Wahrscheinlichkeit zu verstoßen. Hinzu traten Soloszenen, die den Gesang als inneren Monolog plausibler machten und häufig in einer strophischen Arie enden. Allein die Motivation der Arien für die zentralen Charaktere blieb weiterhin problematisch. Cicognini realisierte in Giasone49 für Cavalli zwar endgültig die klare Unterscheidung von Rezitativ- und Arien­ text, doch mit dem Ergebnis, dass die (heroischen) Hauptpartien nur ein- bis zwei Arien zu singen haben, während es die komischen Nebenpartien auf bis zu fünf Arien bringen. Mit Nicolò Minato (1630–1689) und Aureli betrat ab 1650 eine dritte Generation von Librettisten die Bühne, die sich bereits auf eine Reihe von Grundlagen der Opernpraxis stützen konnte. Dazu gehörte die Scheidung von Rezitativ- und Arientext, strophische Arientexte oder alternativ Arien­ texte mit refrainartigen Wiederholungen und die Position der Arien tenden­ ziell am Ende der Szene. Dank der Vorliebe des Publikums für Arien bzw. geschlossene musikalische Formen hatte sich deren durchschnittliche Anzahl 49 Wie Giasone ist auch Giovanni Legrenzis (1626–1690) Il Giustino (1683) (Libr. Niccolò Be­ regan – 1627–1713) in seiner Konzeption als heroisch-komische Oper ein weitreichendes Modell. Noch in Benedetto Marcellos (1686–1739) Il Teatro alla moda (1720) sind es Arien aus dem Giustino, die die junge Sopranistin anstatt neuerer Musik vorsingen möchte.

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in einer Oper in den vorangegangenen zehn Jahren verdoppelt.50 Minatos Xerxes für Cavalli51 (1654) zeigt bereits den gleichförmigen Wechsel zwischen Arie und Rezitativ, der die Oper über die folgenden einhundertfünfzig Jahre bestimmen sollte. Die Arienformen sind um die Jahrhundertmitte gleichwohl noch variabel52 und loten musikalische Wiederholungsstrukturen zwischen zwei zentralen Grundformen aus. Den einen Pol bilden strophische Ge­ sangsformen mit tendenziell beliebig häufig wiederkehrender Melodie, den anderen zwei- oder mehrteilige Arienformen, aus welchen sich langsam das klassische Schema der Da capo-Arie herauskristallisiert, bei der ein Teil wiederholt und mit Verzierungen variiert wird. Das grundsätzliche Motiva­ tionsproblem geschlossener Formen ist dabei grundsätzlich noch latent prä­ sent. Als zweiteilige und mit einer Sentenz oder übergeordneten Betrachtung schließende Arie am Ende einer Szene (Abgangs-Arie) konnte die solcherart reflektierende Da capo-Arie jedoch langfristig zugleich zu ihrer eigenen for­ malen Rechtfertigung der geschlossenen Form werden. Refrainstrukturen in den Rezitativen greifen zunächst noch zusätzlich direkt die situative und strukturell für den Zuschauer nicht vorhersehbare Emotionalität der Handlung auf und damit auch auf die älteste Verfahrens­ weise der Oper zurück. Refrainstrukturen treten auch in mehrteiligen Arien noch auf, wenn innerhalb einer Strophe für die (in der Regel) letzten beiden Verse die Zeilenlänge und ggf. das Metrum variieren. Bei mehrstrophigen Arien kehren häufig dieselben Verse am Ende wieder, ggf. in sinnstiftenden Variationen. Die in der Regel kürzeren B-Teile werden durch eine eingängi­ gere musikalische Bearbeitung aufgewertet, auch durch Wiederholungen von Text und Musik.53 Selbst Da capo-Arien konnten noch Refrainstrukturen enthalten. Das spätere Glanzstück virtuoser Gesangskunst entstand in der venezianischen Oper zunächst als Artikulation der komischen Figur und bot ihr Gelegenheit, als Spiel-im-Spiel-Handlung in Miniatur das Publikum an­ zusprechen; aus der Adresse an den Zuschauer ergab sich leicht der Schritt zu sentenzhaften und später allegorischen Inhalten. Da zunächst für Schau­ spielersänger geschrieben, war sie musikalisch lange eher bescheiden, auch 50 51

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Vgl. Rosand (1991), S. 282. Das Textbuch wurde 1689 von Christian Heinrich Postel (1658–1705) als Der mächtige Monarch der Perser, Xerxes, in Abydus in Hamburg übertragen. Noch Händel verwendete das Textbuch in einer Bearbeitung. Sein berühmtes „Ombra mai fu“ zeigt deutliche Anklänge an Cavallis Vertonung der Arie. Und lassen sich nach Rosand (1991, S. 282) weder mit der von Worsthorne vorgenomme­ nen Einteilung in strophische und Da capo-Formen noch mit Hjelmborgs Kategorien von Rondo-Refrain und Rondo-Da capo fassen. Alternativ schlägt sie eine Reihe verschiedener Arientypen vor, die jeweils Form und Inhalt berücksichtigen. Vgl. Rosand (1991), S. 281–360. Alfred Lorenz nannte diese Form die „Seicento Arie“ In: Scarlattis Jugendoper. Augsburg 1927. Bd. I, S. 213–218).



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als ernste Figuren sie zu übernehmen begannen. So wendet sich beispiels­ weise in Cavalli/Faustinis Doriclea (1645) mit Eurinda eine ernste Heroine direkt an die Liebenden im Publikum54 und gibt mit diesem gewöhnlich den komischen Figuren vorbehaltenen Austritt aus der Handlung ihrem Text eine besondere Schlüsselposition. Während die komischen Da capo-Arien hin­ sichtlich situativer Verortung und formaler Gestaltung weitgehend konstant blieben, entwickelten Minato und Aureli für ihre ernsten Charaktere drama­ turgisch determinierte Typen, die direkt auf eine dramatische Situation oder Zuspitzung antworten und solchermaßen als affektive Ausbrüche motiviert, mit der Wahrscheinlichkeit eher zu vereinbaren waren. Frühe Da capo-Arien beginnen häufig mit einer Refrainzeile, die den Mittelteil umarmt und ggf. in der zweiten Strophe unverändert oder in Variation wiederkehrt.55 Das „Om­ bra mai fu“ in Cavallis Xerse56 beginnt direkt mit den bekannten Zeilen. Der Mittelteil (B-Teil) besteht aus dem Textmaterial, das bei Händels 82 Jahre späterer Bearbeitung das einleitende Rezitativ bildet. Die Da capo-Arien nahmen mit den wachsenden Kräften der Sänger und ihrer Beliebtheit beim Publikum als musikalisch elaborierte Passagen bis in die 1670er Jahre stetig zu.57 Mit der zunehmenden Regelhaftigkeit der Da capo-Arie konzentrierten sich die Librettisten auf die Darstellung eines Affekts pro Arie. Die Figuren entfalteten ihre Charaktere und Disposition im Verlauf der Oper also mosa­ ikartig Arie für Arie. Die strophige Arie hingegen, gewissermaßen das Urmodell der ge­ schlossenen musikalischen Form in der Oper, verschwindet zunehmend aus der venezianischen Oper bzw. bleibt nur für die komische Figur noch eine Weile der angemessene Ausdruck. Die häufig auf venezianische Libretto­ vorlagen der 1660er Jahre zurückgreifende deutsche Barockoper sollte sich formal ebenfalls zwischen diesen beiden Polen bewegen.

2.3  Venedig – Deutschland Fürsten des deutschen Sprachraums besuchten eifrig den venezianischen Kar­ neval und brachten die neue Kunstform der Oper gewissermaßen als Souve­ nir mit. Deshalb und auch wegen der relativen räumlichen Nähe (verglichen etwa mit Rom) ist die Oper des deutschen Sprachraums besonders eng mit der 54 55 56 57

Vgl. Rosand (1991), S. 302–303. Vergleichbar der von Schneider für die Tragédie lyrique Lully/Quinaults beschriebene Rah­ menform. Libretto: Minato. Rosand (1991, S. 321) sieht im Siegeszug der Da capo-Arie das Signal für die Übernahme der Bühne durch die Sänger.

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venezianischen Oper und ihren Komponisten verbunden. Cesti, der zunächst selbst in Cavallis Giasone auf der Opernbühne gestanden hatte und ihm als Organist in San Marco nachgefolgt war, trat 1666 als Vizekapellmeister in Wien in Habsburgische Dienste. Er komponierte anlässlich der Hochzeit von Leopold I. mit der Infantin Margarita Theresa von Spanien zu dem Text Sbar­ ras die bereits erwähnte, überdimensionale, für den deutschen Sprachraum vorbildhafte und doch nie wieder erreichte Festa teatrale Il pomo d’oro. Die Welfen-Herzöge Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg und Ernst August von Braunschweig-Lüneburg (1629–1698) unternahmen vor 1686 regelmäßige und monatelange Reisen nach Venedig während des Karnevals und der Opernsaison, mit entsprechenden Kosten für eine dor­ tige, standesgemäße Hofhaltung. Besonders Ernst August zeichnete sich durch solche Freigiebigkeit gegenüber den venezianischen Opernhäusern aus, dass es sich schließlich als ökonomischer erwies, ein eigenes Opernhaus in Hannover zu gründen, das 1689 seinen Spielbetrieb aufnahm.58 Anton Ulrich hatte bereits 1688 in Wolfenbüttel ein Schlosstheater einrichten lassen, das sich sogar baulich an einem venezianischen Vorbild59 orientierte. Auf beide wird noch ausführlich einzugehen sein.

2.4  Soziale und politische Implikationen der deutschen Barockoper – ein Überblick Im deutschen Sprachraum angekommen, entwickelte sich die deutsche Ba­ rockoper trotz ihrer mitunter hohen Eigenständigkeit als eine Hybridgat­ tung, die im beständigen Bezug auf das italienische und bald hinzutretende französische Musiktheater fortgeschrieben wurde. Anders als für die beiden Nachbarnationen, deren Autoren und Autoritäten sich mitunter vehement für die Vorzüge des landeseigenen Musiktheaters einsetzten, war die deut­ sche Barockoper zeitgenössisch kaum Medium besonderen nationalen Sen­ dungswusstseins. Beispielsweise reflektiert Harsdörffer, dass sie als Übertra­ gung in die deutsche Sprache und auf die sozialen (und ggf. konfessionellen) Bedürfnisse des Publikums ein angemessenes Äquivalent schaffen muss. In der Blütephase der deutschen Barockoper erlangten schließlich Autoren wie Feind, König, Christian Friedrich Hunold (Menantes) (1680–1721) und ihre Komponisten das Selbstbewusstsein, mit dem typisch deutschen vermischten Geschmack von den Leistungen der um das Primat zankenden Nachbarnatio­ nen das jeweils Beste zu nehmen und gerade dadurch zu einer besonderen Blüte führen zu können. 58 59

Vgl. Schröder (1998), S. 18–19. Teatro Grimani. Vgl. Rosand (1991), S. 3.



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Das Musiktheater im deutschsprachigen Raum orientierte sich zwar vor­ nehmlich an der italienischen Oper in den Formen, die das öffentliche vene­ zianische Theater entwickelt hatte, jedoch nicht so ausschließlich, wie zuwei­ len in der Forschung behauptet wurde.60 Die venezianische Oper war eine Oper weitgehend ohne bzw. mit sehr subtilen repräsentativen Funktionen, damit war sie auch unter dem Aspekt der sozialen Schichtungen für die kom­ merziellen Bühnen von Hamburg und später Leipzig bestens übernehmbar. Im höfischen Kontext hingegen war die Oper seit ihren Anfängen als repräsentative Gattung wie keine andere darauf verpflichtet, Feste und Fest­ lichkeiten zu krönen und den Ruhm der Herrscher sinnfällig zu machen, auch und gerade wenn diese sich im Exil befanden oder das Herrschaftsgebiet wie im zersplitterten deutschen Sprachraum kaum die Dimension eines größeren Gutshofes überstieg. Für repräsentative Funktionen eigneten sich besonders pastorale Formen nach dem Muster der frühen italienischen Oper sowie der ganz auf die Überhöhung Ludwigs XIV. (1638–1715) von Frankreich ver­ pflichteten Tragédie en musique und späteren Tragédie lyrique: Auftretende Götterfiguren dienen als Allegorien zur Verherrlichung der Tugenden des Herrschers. Merkmale des französischen Musiktheaters wie Chöre, Tänze und Götterfiguren (in allegorischer Funktion) ballen sich mitunter auch an Aktschlüssen von Opern mit historischem Sujet, die bis dahin eher italieni­ schen Vorbildern gefolgt waren.61 Doch auch die vordergründig republikanische venezianische Oper und die ihrem Vorbild nacheifernde Bühne in Hamburg bot sich an als Krönung von Festlichkeiten, sei es des Karnevals oder seines deutschen merkantilen Äquivalents: der Messen. In Leipzig und Braunschweig wurde daher Oper zur Messezeit angeboten.62 Hier feierte das aufstrebende Bürgertum, mit­ unter im trauten Verein mit der ortsansässigen Aristokratie und/oder dem Herrscher und letztlich eine ganze Stadt sich selbst. Wie Dorothea Schröder eindrucksvoll dargestellt hat, diente im Falle der Hamburger Festopern die Oper der Stadt zudem als Medium, um mit den Herrschern des europäischen Kräftefelds zu kommunizieren, in das Hamburg als freie Hansestadt einge­ woben war. Oper war demnach neben der Diplomatie die Sprache, in der mit den Herrschenden gesprochen werden konnte. Allerdings erfolgte dieses 60 61

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Vgl. Ute Daniel: Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahr­ hundert. Stuttgart 1995, S. 42. Wie Sabine Henze-Döhring am Beispiel von Giuseppe Antonio Bernabeis (1649–1732) ­L’Ermione (München 1680 anlässlich Krönung von Maximilian Emanuel II. v. Bayern) gezeigt hat. Dies.: Götter am Hofe. Zur Rezeption der ‚Tragédie lyrique‘ an deutschen Residenzen. In: Beträge zur Musik des Barock: Tanz – Oper – Oratorium. Bericht über die Symposien der Internationalen Händel-Akademie Karlsruhe 1994–1997. Günter Könemann zum 65. Ge­ burtstag. Hans Joachim Marx (Hg.). Laaber 1998, S. 260–161. Vgl. Schröder (1998), S. 19.

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Sprechen im Gegenteil und offenbar auch in Ergänzung zur geheimen Di­ plomatie im hellen Lichte der europäischen Öffentlichkeit. Wenngleich diese noch keine den heutigen Demokratien vergleichbare Macht ausüben konnte, kommt dem Begriff der Repräsentation für das 17. und frühe 18. Jahrhundert doch eine für das 20. und 21. Jahrhundert wieder fassliche Bedeutung zu. Ein griffiges Beispiel hierfür ist der Clemenza-Topos. Die Bereitschaft zu Verzeihung und Gnade gehörte nach dem barocken Tugendkanon zu den Kardinalstugenden eines jeden Herrschers. Selbst der Tyrannentenor der Opernbühne begreift sie am Ende, wenngleich er häufig von einer Degen­ spitze dazu angestachelt werden muss. Die Habsburger Herrscher attes­ tierten sich selbst eine durchgängige Grundstimmung zur Milde als quasi angeborene Neigung, die es abseits des normalen politischen Alltags und seiner notwendigen Brutalität immer wieder zu inszenieren galt. Dass die Oper sich hierfür vorzüglich eignete, zeigt das kanonisch gewordene Lieto fine der Opera seria, deren Librettoreform von Zeno und Metastasio just in ihrer Funktion als Habsburger Hofdichter vollendet wurde und von Wien aus die italienische Oper des Kontinents für mehr als 60 Jahre dominieren sollte. La Clemenza di Tito, 1734 zum Namenstag des Herrschers in Wien in der Ver­ tonung Antonio Caldaras (1670–1736) uraufgeführt, gehört zu Metastasios am häufigsten und über den längsten Zeitraum vertonten Libretti.63 Die Stadt Hamburg griff es in einer Vertonung von Hasse 1745 auf, um anlässlich der Krönung von Franz I. (1708–1765) zum deutschen Kaiser wieder Anschluss an Österreich zu suchen, appellierte also mit einem öffentlichen emblema­ tischen Vergleich an die Erbtugend der Habsburger.64 Obgleich die Stadt Hamburg mit ihren Huldigungsopern selten die intendierten politischen Ziele erreichte, wurde das System der Huldigungsopern nicht grundsätz­ lich in Frage gestellt, solange es ein stehendes Opernhaus in Hamburg gab. Offenbar ist die mit der Oper verbundene und realisierte Selbstdarstellung auch unter so harten merkantilen Bedingungen wie in Hamburg stets als ein lohnendes Verlustgeschäft begriffen worden nach dem Prinzip: Würde man darauf verzichten, käme es wohl noch schlimmer. Doch an der Hamburger Oper entbrannte immer wieder der Streit zwischen der Oligarchie und der einfachen Bürgerschaft: Während die Räte den repräsentativen Mehrwert der Oper schätzten und sich damit an das Betragen von Landesfürsten annäher­ ten, betrachteten Teile der Bürgerschaft die Institution bestenfalls als puren Luxus und, soweit sie vom Rat subventioniert wurde, als Geldverschwen­ dung. Abseits der Hamburger Opernbühne, des rein privatwirtschaftlichen Opernhauses in Leipzig und Mischformen wie in Braunschweig handelte 63 64

Mozart sollte noch 1791 eine Vertonung schaffen. Vgl. Schröder (1998), S. 282.



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es sich jedoch bei den Pflegstätten der Oper im mittel- und norddeutschen Sprachraum in der Regel um Hoftheater kleiner Höfe. Für Thüringen hat Böhme 1931 eine Bestandsaufnahme vorgelegt, die ein Bild des deutschen Musiktheaters zeichnet, wie es Ute Daniel für das Deutsche (Hof-)Theater insgesamt beschrieben hat, die allerdings, anders als Böhme, Verbreitung und Funktionen des adeligen Laienspiels unterschätzt.65 Die Territorialstaaten des deutschen Sprachraums bildeten im 17. und 18. Jahrhundert einen Flicken­ teppich von Kleinstaaten, deren Hofhaltung oft nur den Umfang eines grö­ ßeren Familienverbandes hatte oder nicht wesentlich überstieg. Ein großer Teil der Kulturanstrengungen an diesen Höfen bezog sich auf die Diszipli­ nierung der Gemeinschaft, die Einschränkung der gröbsten Grausamkeiten, Verhinderung außerehelichen Beischlafs sowie darauf, die Grundregeln des Zusammenlebens genauer abzustecken und mehr oder weniger einzuhalten. Der Unterhaltung kam in diesen kleinen Gemeinschaften besondere Bedeu­ tung zu. Ein gesondertes Hoftheater mit einer französischen oder später italienischen Theatertruppe zu finanzieren war nur wenigen großen Höfen möglich. Die kleinen und mittleren Höfe waren darauf angewiesen, eine kluge Personalpolitik mit Doppelverwendungen zu betreiben und Musiker zugleich zum Kammerdienst zu verpflichten, oder die Kunst durch hand­ feste Maßnahmen herbeizuführen wie Herzog Ferdinand Albrecht von Be­ vern (1636–1687), der seine Diener notfalls zum Theaterspiel prügeln ließ.66

2.5  Die Tragédie lyrique Das Herrschaftsbild, das auch diesen kleinen Höfen zum Vorbild diente, war gleichwohl das absolutistische Ludwigs des XIV., der abseits der un­ übersichtlichen und letztlich unkontrollierbaren Hauptstadt Paris einen Reiß­ bretthofstaat errichtet hatte, der den Adel des Landes zwang, am Hofe des Königs und damit permanent unter dessen Kontrolle zu leben. Weitgehend abgeschnitten von ihren Gütern waren die Adeligen nur noch eingeschränkt dazu in der Lage, diese zu kontrollieren und überdies gezwungen, sich einer Hofhaltung anzupassen, die in den meisten Fällen über kurz oder lang ihre finanziellen Mittel überstieg und sie von der Freigiebigkeit des Königs abhän­ gig machte. Ludwigs prunkvolle Hofhaltung diente also sowohl der Selbstre­ präsentation als auch dazu, potentielle adelige Konkurrenten zu kontrollieren und auszuschalten. Dem theatralen Ereignis kam hier erst in zweiter Linie

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Daniel (1995). Hier: S. 68–73. Ebenda, S. 70.

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unterhaltende Funktion zu. Seine vornehmste Aufgabe war, ein artifizielles Abbild des symmetrisch um den Sonnenkönig zentrierten Staates zu liefern.67 Die Entstehung der französischen Oper lässt sich als Serie von Anzie­ hungen und Abstoßungen mit der italienischen beschreiben, denn die fran­ zösische Kultur war im 17. Jahrhundert so eng um den königlichen Hof in Paris und später Versailles konzentriert, dass auch die Oper Spielball poli­ tischen Kalküls werden musste. Bereits Catharina de Medici (1519–1589) hatte die prachtvollen Tanzveranstaltungen italienischer Renaissancehöfe in Frankreich eingeführt. Von dem Ballett Comique de la Reine (1681) ihres ersten Geigers und Tanzmeisters Balthazar de Beaujoyeux (1535–1587), auch er ein gebürtiger Italiener, ist sogar die vollständige Partitur erhalten. Der so begeisterte wie begnadete Tänzer Ludwig XIV. hatte schon früh das Bal­ lett zur zentralen Theatergattung erhoben, bei der Unterhaltung und Par­ tizipation des Hofstaates um den tanzenden König mit der Repräsenta­ tion des aufgeklärten Absolutismus Hand in Hand gingen. Kardinal Jules Mazarin (1602–1661), wiederum ein Italiener, förderte hingegen sehr zum Missfallen der Nationalisten und des jungen Kronprinzen Gastspiele itali­ enischer Opern in Paris. 1645 wurde Sacratis La finta pazza, 1646 Cavallis Egisto (1643)68 und 1647 der für Paris geschriebene Orfeo von Rossi aufge­ führt. Obgleich die Opern mit Balletten durchsetzt und so den örtlichen Gepflogenheiten angepasst worden waren, blieben sie fremde Kunstwerke, die überdies bald mit der antiitalienischen Stimmung der 1650er Jahre in Paris zu kämpfen hatten. Die italienische Oper sah sich in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert beinahe durchgängig mit einer grundsätzlich ablehnenden Haltung konfrontiert, die letztlich außerästhetische Gründe hatte und in der Überzeugung wurzelte, dass die französische Kultur jeder anderen und damit auch der italienischen überlegen sei. Entsprechend wurde die Oper als prototypische italienische Kunst seit den 1750er Jahren heftig befehdet durch französische Pastoralen mit Musik, um – wie der Verfasser der Pastorale d’Issy, Pierre Perrin (1620–1675), in seinem Vorwort formuliert – „unsere Sprache, unsere Dichtkunst und unsere Musik über eine fremde Sprache, Dichtkunst und Musik triumphieren zu sehen“69. 1660 beauftragte Mazarin zu den Hochzeitsfeierlichkeiten Ludwig XIV. jedoch abermals Cavalli mit einer Oper Ercole amante70, die jedoch erst 1662 fertiggestellt und aufgeführt 67

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Vgl. dazu: Barocktheater als Spektakel. Maschine, Blick und Bewegung auf der Opernbühne des Ancien Régime. Nicola Gess, Tina Hartmann, Dominika Hens (Hg.). Eikones. Heraus­ gegeben vom Nationalen Forschungsschwerpunkt Bildkritik an der Universität Basel. Pader­ born 2015. Libretto von Faustini. Wozu er die Verfahrensweisen der italienischen Oper einer ausführlichen Kritik unterzieht. Zit. nach: Illustrierte Geschichte der Oper (1998), S. 41. Libretto von Buti.



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wurde.71 Für die Feierlichkeiten griff Cavalli auf seine ältere Oper Xerse zu­ rück, die mit Balletten von Jean-Baptiste Lully aufgeführt wurde. Lully, der bereits die Arbeit an Ercole Amante im Auftrag des jungen Königs erfolgreich sabotiert hatte, ließ Xerse in ausufernden Balletten förmlich versinken.72 Im Verein mit der bekannten Ablehnung der italienischen Oper durch Ludwig XIV. sorgte er damit für einen kalkulierten Misserfolg, der zugleich seinen eigenen Aufstieg wie einen Sieg des jungen Königs im Kräftemessen mit dem Kardinal bedeutete. Der gebürtige Italiener Lully war bereits als Knabe an den Pariser Hof gekommen. Den vielseitig gebildeten Musiker und Tänzer verband so etwas wie eine Jugendfreundschaft mit dem König und beider geradezu fanatische Leidenschaft für den Tanz und die französische Musik. 1661 gründete der König die Académie royale de danse, die jene Lücke der szenisch-musikalischen Kunst neben dem Schauspiel füllte, die in Italien und zunehmend auch an anderen Orten des Kontinents von der Oper besetzt war. Zwar tanzte der König ab 1669 nicht mehr selbst, da ihn die komplexen Choreographien zu überfordern begannen und er Gefahr lief, mehr unsouverän als herrscher­ lich zu erscheinen, doch transportierten die Tänzer noch immer die Position einer systematisch auf ihn zugeschnittenen hierarchischen Weltordnung.73 Lullys Zusammenarbeit mit Molière (1622–1673) und die gemeinsame Erfindung der Ballett-Komödie 1661 verdankt sich dem Zufall, dass Molière für die anstehende Festaufführung zur Eröffnung des Neuen Palastes von Nicolas Fouquet (1615–1680) nicht genügend Schauspieler hatte. Lully ar­ rangierte daraufhin Ballette, die zwischen die Szenen eingeschoben wurden und auf diese Weise wenigen Schauspielern ermöglichten, zahlreiche Rollen zu verkörpern. Damit war jener Prototyp des französischen Musiktheaters geschaffen, der sich bis zu Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) Melodrama-­ Experiment fortsetzen sollte, bei dem eine instrumental elaborierte Musik mit

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Auch diese Aufführung sollte für Cavalli zum Desaster werden, da sich alle Aufmerksamkeit nur auf den Auftritt des Königs als Apollon in Lullys Ballett Hercule amoureux konzentrierte. Cavalli soll anschließend geschworen haben, nie mehr für die Bühne zu komponieren. Xerse dehnte sich auf diese Weise zu einer Dauer von acht Stunden, Ercole amante noch im­ merhin sechs Stunden. Vgl. William Brooks, Buford Norman und Jeanne Morgan Zarucchi: Einleitung. In: Philippe Quinault: Alceste suivi de La Querelle d’Alceste. Anciens et modernes avant 1690. Textes de Ch. Perrault, Racine et P. Perrault. Edition critique par William Brooks, Buford Norman et Jeanne Morgan Zarucchi. Genf 1994, S. 26. Künftig zitiert als „Alceste (1994)“. Dazu u.  a. die Darstellung von Fritz Reckow: Der inszenierte Fürst. Situationsbezug und Stilprägung der Oper im absolutistischen Frankreich. In: Die Inszenierung des Absolutismus. Politische Begründung und künstlerische Gestaltung höfischer Feste im Frankreich Ludwigs XIV. Atzelsberger Gespräche 1990. Fünf Vorträge. Fritz Reckow (Hg.). Erlangen 1992, S. 71–104.

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dem deklamierten französischen Wort verbunden wird, ohne dessen Autono­ mie einzuschränken. Lullys Comédies-balletts, vornehmlich gemeinsam und mit Texten von Molière, entstanden in den folgenden zehn Jahren. Noch die erste ernste Konzeption Psyche von 1671 war eine Zusammenarbeit und sogar an der ersten Tragédie en musique Les Fêtes de l’Amour et de Bacchus (1672) war Mo­ lière beteiligt. Seit 1671 festigte sich jedoch die Zusammenarbeit mit Philippe Quinault, und es gelang dem intrigenbegabten und -erfahrenen Lully, das Privileg der Académie d’Opéra an sich zu bringen und damit Molière von künftigen Unternehmungen auszuschließen. Buford Norman betont, dass Lully das beträchtliche finanzielle Risiko wohl nicht eingegangen wäre, hätte er nicht mit Quinault einen Librettisten an seiner Seite gewusst, auf dessen erfolgsträchtige Texte er bauen konnte.74 Während Lully für die Aufführun­ gen am Hof befriedigende Aufführungsbedingungen in der Salle de balletts du château de Saint Germain hatte, waren die Räumlichkeiten für die Auffüh­ rungen von Cadmus und Hermione (1673) in Paris zunächst sehr provisorisch. Erst nachdem es Lully gelungen war, das Privileg zu erhalten und Molière mit seiner Truppe aus dem Palais Royale zu vertreiben, hatte er auch in Paris einen Ort für die große Ausstattungsoper, zu der der Bühnenbildner Carlo Vigarani (1637–1713), also abermals ein Italiener, das Bühnenbild entwerfen sollte. Alceste ou le triomphe d’Alcide war 1674 das Stück, mit dem der Anspruch als neue theatrale Leitgattung begründet und die beliebten Maschinenstücke ausgestochen werden sollten. Entsprechend großzügig und zahlreich legte Quinault die Tableaus an, die im zweiten Akt sogar Gelegenheit für eine Schlacht mit Sturmböcken auf der Bühne boten.75 In der Tragédie lyrique kulminierten die bisherigen Tendenzen von Lul­ lys Schaffen. Den zentralen Unterschied zu den Comédie-balletts und ih­ ren strukturell verwandten ernsten Formen bildet der Gesang. Mit der Ein­ führung der durchgehend gesungenen Sprache begibt sich die französische Oper aber zugleich in die Gefahr eines Sündenfalls, war doch das gesungene und damit in seinem Primat eingeschränkte Wort einer der zentralen Kritik­ punkte an der italienischen Oper. Bereits die Bezeichnung als „tragédie“ ist eine Verbeugung vor der klassizistischen Tragödie und völlig unabhängig da­ von, ob ein Stück tatsächlich tragisch endet, oder wie Alceste einen glück­lichen Ausgang findet. Zum Vorbild für seine deklamatorische Wortvertonung nahm Lully sich die für ihre Racine-Deklamation gerühmte Schauspielerin La

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Buford Norman: Touched by the Graces. The libretti of Philippe Quinault in the Context of French Classicism. Birmingham, Alabama 2001, S. 73. Vgl. Herbert Schneider: Jean-Baptiste Lully: Alceste. In: Pipers Enzyklopädie des Musikthea­ ters. Bd. 3 (1989), S. 597.



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Campmeslé (1642–1698).76 Auch diese Vorgehensweise sollte typisch franzö­ sisch bleiben bis zu Glucks Pariser Reformopern. Wenngleich die Tragédie lyrique zahlendem Publikum offenstand, blieb sie wie eine Kompassnadel auf die höfische Repräsentation und die Apotheose des Sonnenkönigs aus­ gerichtet. An Lullys Atys (1776) soll Ludwig XIV. sogar selbst mitkomponiert haben, weshalb die Oper den Untertitel „Oper des Königs“ erhielt. Die Tragédie lyrique verbindet gesungenes Schauspiel mit Chören, Bal­ lett- und Instrumentalmusik. Das Einzige, was man in Lullys Opern vergeb­ lich sucht, sind Arien in der Form, wie die italienische, vornehmlich venezia­ nische Oper sie bereits in den 1660er Jahren entwickelt hatte.77 Die Arien der Tragédie lyrique sind kurz, häufig in offenen Formen geschrieben und damit so dicht in das ebenfalls orchesterbegleitete Rezitativ eingebettet, dass ein an der italienischen Oper geschultes Ohr den Eindruck gewinnen konnte, die ganze Oper hätte keine einzige Arie.78 Im Gegenzug liegt das Augenmerk des Komponisten auf der deklamatorischen Wortvertonung des Rezitativs und dem Orchestersatz. Abgesehen von der sologesanglichen Abstinenz im Sinne der italienischen Oper bieten Lullys Partituren jedoch eine dichte gesangliche Verflechtung und wiederholte Solo- und Chorpassagen, die die Szenen refrainartig zu größeren Komplexen verklammern. Ihnen wird eine praktisch durchgängige abwechslungsreiche instrumentale musikalische Textur unterlegt, die in Ritournellen und Balletten kulminiert. Insbesondere für die Komponisten der deutschen Barockoper empfahl sich die Tragédie lyrique als Gegenentwurf zur italienischen Oper venezianischer Prägung79 und als Gegenüber und Ergänzung zum italienischen Wechsel aus Rezitativ und Arie. Auch inhaltlich stehen sich beide Opernentwürfe diametral gegenüber. Legitimiert durch den Karneval, dessen Teil die venezianische Oper blieb, brachte sie gegen Ende des 17. Jahrhunderts in karikierende Rundumschlä­ gen lustvoll die erotischen Konflikte und das Fehlverhalten hochstehender Figuren auf die Bühne oder zeigte das Pantheon der antiken Göttergestalten als Zerrbild einer aus den Fugen geratenen Welt, wie sie dem Zuschauer aus seinem täglichen Leben oft nur allzu vertraut vorgekommen sein dürfte.

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Vgl. Tim Carter in: Illustrierte Geschichte der Oper (1998), S. 43. Gleichwohl gaben die Formen der venezianischen Oper der 1660er Jahre die zentralen Anre­ gungen für die Tragédie lyrique. Darüber beschwerte sich der italienische Sopranist Filippo Balatri (1682–1756) nach einem Opernbesuch 1714 in Paris. Vgl. Christine Wunnicke: Die Nachtigall des Zaren. Das Leben des Filippo Balatri. München 2001, S. 166. Obgleich Lully in vielerlei Hinsicht zugleich auf Verfahrensweisen und Strukturen der älte­ ren italienischen Oper zurückgreift, wie beispielsweise auf das Accompagnato-Rezitativ als heroische Exposition.

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Dies geschah mitunter unter Integration recht derber Komik durch Am­ men-, Pagen- oder Satyrfiguren. Während im Zentrum der venezianischen Oper einzelne Figuren standen, die bald überdies von Gesangsstars verkör­ pert wurden, denen das Publikum zujubelte, lässt sich die französische Oper (von Lully bis Rameau) als das Idealbild einer geordneten Gesellschaft be­ schreiben. Dies manifestiert sich ebenso in den großen Kollektiven Chor und Corps de Ballet wie in ihrer Neigung zu antiken Tragödienstoffen. Individua­ lität erscheint als die dramatische Störung des statischen (Ideal-)zustandes, aus dem sich eine Handlung entwickelt, doch bleibt Individualität eingebun­ den in Kollektive und Handlungsabläufe. Die Störung löst sich am Ende wieder in die überzeitliche Harmonie der Pastorale auf, oder aber endet mit der Vernichtung des Individuums im Tragödienschluss. Bei Rameau sollte sich diese Weltsicht später sogar in seiner musikalischen Theorie spiegeln, nach der Musik als konstante, mathematisch fassbare Harmonie besteht, von der sie sich nur in kurzen Abweichungen entfernt, um wieder zur Harmonie zurückzukehren. Nicht zufällig bezogen sich die Enzyklopädisten, als sie gegen dieses sta­ tische Musikverständnis Sturm liefen und ein individualistisches Menschen­ bild auch auf der Opernbühne sehen wollten, auf die italienische Oper und zwar auf die von der ersten Reformoper aus der Oper ausgegrenzte und in der Folge zur eigenen Gattung entwickelte Opera buffa – die komische Oper, die in Frankreich zur Opéra comique werden und als solche wiederum das Norddeutsche Singspiel prägen sollte. Gegenüber den streng auf die antike Tragödie rekurrierenden Model­ len von Pierre Corneille (1606–1684) und Jean Racine (1639–1699) bot die Tragédie lyrique die Integration des Wunderbaren, des „merveillieux“, im Medium von Musik und Tanz und damit eine Erweiterung der theatralen Ebenen. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit sollte jedoch für die französische Oper zum Zankapfel werden, den die Befürworter als ihre zentrale Tugend hervorheben, die Gegner als Argument für ihre Verdammnis verwenden. Gleichwohl erschöpft sich „Vraisemblance“ nicht einfach in der späteren Bedeutung von „Natürlichkeit“. Der barocke Begriff der Wahrscheinlichkeit ist Gegenstand einer ausgedehnten ästhetischen Diskussion und lässt sich wenigstens für das Musiktheater noch am Besten als die Forderung nach einer organisch aus dem Kunstwerk erwachsenden, gleichwohl ornamen­ talen Logik umschreiben. Grundsätzlich gehört allerdings eine künstliche/ künstlerische Überformung der Natur zum Decorum der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Entsprechend widerspricht das Auftreten der bösen und der guten Träume als Tänzer in geordneten Reihen in Lullys Atys und etwa hundert Jahre später der Erinnyen in Glucks Iphigénie en Tauride nicht der Wahrscheinlichkeit – zumindest nicht der des Musiktheaters. Nicht die Tänze selbst standen in der Gefahr, gegen die Forderung nach Wahrscheinlichkeit



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zu verstoßen, lediglich ihre Positionierung innerhalb des Stückes.80 Bezüg­ lich der Wahrscheinlichkeit hatten die Franzosen weitaus größere Probleme mit der gesungenen Sprache an sich. Textverständlichkeit ist das Primat, dem sich während des 17. und 18. Jahrhunderts alle Komponisten der französi­ schen Oper unterzuordnen hatten. Entsprechend entwickelte der Gesang in der französischen Oper nie jene musikalische Autonomie, die die italienische Opernarie bereits mit Cavallis Opern ausgebildet hatte.

2.6  Anfänge der deutschen Barockoper in Nordund Mitteldeutschland Die Entwicklung des Musiktheaters im deutschen Sprachraum vollzog sich parallel zu der in Italien und später in Frankreich, nahm vielfach deren Fäden auf und spann sie weiter. Bereits ab den 1740er Jahren machten sich die bes­ ten deutschen Dichter die Entwicklung und Pflege der neuen Gattung Oper zur vornehmsten Aufgabe. Neben Martin Opitz (1597–1639) und Harsdörf­ fer schrieben Simon Dach (1605–1659), Augustus Buchner (1591–1661), Constantin Christian Dedekind (1628–1715), David Schirmer (1623–1686), Johann Rist (1607–1667), Justus Georg Schottelius (1612–1676), Johan­ nes Klaj (1616–1656), Caspar von Stieler (1632–1707), Sigmund von Bir­ ken (1626–1681), David Elias Heidenreich (1638–1688), Andreas Gryphius (1616–1664), Johann Christian Hallmann (1640–1716) und schließlich An­ ton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg Libretti.81 Bezogen auf die Situation des Musiktheaters an den Höfen der deut­ schen Kleinstaaten überkreuzen sich die Parameter des italienischen und französischen Musiktheaters: Während die reale politische Situation eher der Italiens mit seinem ebenfalls zersplitterten Territorium und vereinzelten, mehr oder weniger republikanisch organisierten Stadtstaaten entsprach, war das Ideal der deutschen Fürsten ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts das des französischen Absolutismus. Im Ergebnis lieferten sie zumeist, man­ gels empirischer Möglichkeiten, kleine Zerrbilder der Versailler Verhältnisse, die jedoch bezogen auf das Musiktheater die Chance bargen, aus der Not der kleinen Mittel eine Tugend zu machen: Wer sich keine Gesangsvirtuosen und Schauspieler leisten konnte, der hatte nach dem Vorbild Ludwigs XIV. 80 81

Vgl. Leopold (1992), S. 75. Vgl. Aikin (2002), S. 173, und Rand Henson: Duke Anton Ulrich of Braunschweig-Lüne­ burg-Wolfenbüttel (1633–1714) and the politics of baroque musical theatre. Diss. Masch. Berkley, Univ. of California (1980), S. 84. Zu Gryphius Singspielen/Festspielen Majuma und Piastus. Vgl. ferner Marian Szyrocki: Die deutsche Literatur des Barock, Stuttgart 1979/2003, S. 315–316.

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die Absolution dafür, selbst in den Stücken zu agieren. Umso mehr, als die Musikerziehung mindestens der Töchter/Prinzessinnen Gesangsunterricht einschloss und der Tanzmeister sich doppelt rentierte, wenn er mit der Ju­ gend des Hofstaatchens ein Ballett einstudierte. In den geschlossenen Veran­ staltungen des Hofes konnte von einem unsittlichen Sich-zur-Schau-Stellen, wie es für die öffentlichen Bühnen ein Diskussionspunkt war und blieb, nicht die Rede sein. Häufig darf man sich die Aufführungen allerdings wie eine er­ weiterte Hausmusik vorstellen. Ein spätes Dokument dieser Tradition findet sich noch in Goethes Triumph der Empfindsamkeit, wie überhaupt das Weima­ rer Liebhabertheater und die späteren Redouten und Maskenzüge Fortfüh­ rung dieser kulturellen Praxis sind. Für die Oper ist sie jedoch vor allem auf die Frühphase bis zu den 1680er Jahren und auf kleinere Höfe konzentriert.82 Mit zunehmender Professionalisierung nahmen die Auftritte adeliger Fami­ lien in singenden Rollen ab, blieben in Balletten aber noch länger präsent.83 Das Musiktheater in Nord- und Mitteldeutschland spiegelt bereits in der Phase zwischen 1650 und 1720 diese Tendenzen wider. Es wird domi­ niert von den Kleinformen der frühen Oper. Dass die Fürstenhöfe und ihre Residenzen trotz ihres überwiegend eher bescheidenen Ausmaßes in der Lage waren, über Jahre einen Spielplan fortzuführen84 beweist, welch ho­ her Stellenwert dem Musiktheater beigemessen wurde. Größere Höfe wie Dresden komplettieren das Bild, und insbesondere Weißenfels entwickelte sich zu einer der zentralen Pflegstätten der deutschen Barockoper,85 die bis nach Hamburg ausstrahlte, indem bedeutende Komponisten wie Georg Phi­

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Bianconi/Walker beschreiben für 1674 sogar eine Aufführung von Minato/Antonio Draghis (1634–1700) La lanterna di Diogene, in der der Kaiser höchst persönlich in der Rolle Alexanders auftrat. Vgl. dies.: (1984), S. 261–262. Wolff (1957, S. 447) beschreibt öffentliche Aufführun­ gen der Hofgesellschaften in Opern Hasses in Wien noch für 1744/1750. Vgl. Roswitha Jacobsen: Die Weißenfelser Libretti und Spielszenarien. In: Eleonore Sent: Die Oper am Weißenfelser Hof (1996), S. 267. Vgl. Böhme (1931), S. 11. Nach Torsten Fuchs ist „spätestens seit Arno Werner […] die Weißenfelser Hofoper Syno­ nym für frühe deutsche Oper überhaupt“. Neben der Hamburger Gänsemarktoper ist die Weißenfelser Hofoper mit zahlreichen Sammelbänden und Kongressen der am besten un­ tersuchte Bereich der deutschen Barockoper. Ders.: Die Weißenfelser Hofoper-Beziehungen zu anderen deutschen Opernbühnen. In: Eleonore Sent: Die Oper am Weißenfelser Hof. Rudolstadt 1996, S. 305. Verwiesen sei an dieser Stelle ferner auf: Musik der Macht – Macht der Musik. Die Musik an den Sächsisch-Albertinischen Herzogshöfen Weißenfels, Zeitz und Merseburg. Henrike Rucker (Hg.). Weißenfels 2001. Roswitha Jacobsen (Hg.): Weißenfels als Ort literarischer und künstlerischer Kultur im Barockzeitalter. Vorträge eines interdisziplinä­ ren Kolloquiums vom 8. bis 10. Oktober 1992 in Weißenfels. Chloe. Beihefte zum Daphnis. 18 (1994). Thorsten Fuchs: Studien zur Musikpflege in der Stadt Weißenfels und am Hofe der Herzöge von Sachsen-Weißenfels. Ein Beitrag zur mitteldeutschen Musikpflege des 17. und 18. Jahrhunderts. Diss. Halle 1990.; Arno Werner: Städtische und fürstliche Musikpflege in Weißenfels bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1911.



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lipp Telemann (1681–1764), Johann David Heinichen (1683–1729), Johann Philipp Krieger (1649–1725) und Reinhard Keiser (1674–1739) ihrem Um­ feld entstammten oder in Weißenfels Station machten, ferner Librettisten wie Erdmann Neumeister (1671–1756) und Paul Thymich dort die Gattung für sich entdeckten.86 Nicht zuletzt hielt sich Heinrich Schütz (1585–1672) ab 1651 bevorzugt in Weißenfels auf, obgleich er in Braunschweig als Hofkapell­ meister von Haus aus bestallt war und engste Kontakte zu Herzogin Sophie Eli­ sabeth (1613–1676) unterhielt, die einen seiner Schüler, Johann Jacob Löwe von Eisenach (1629–1703) als Kapellmeister berief.87 Obgleich auch hier dem Absolutismus Ludwigs XIV. in Hofhaltung und Zentralisierung des Staates nachgeeifert wurde,88 orientieren sich wie im ge­ samten deutschen Sprachraum die Stücke eher an der italienischen Oper. Die für die französische Oper ab der Mitte der 1770er Jahre typischen Massen von Chören, Tänzern, großem Orchester und aufwendigen Maschinen war grundsätzlich schwieriger zu übertragen, als die italienischen Formen, die sich mit einigen Rezitative und Arien singenden Figuren und notfalls auch mit wenigen begleitenden Instrumenten einer bescheidenen Hofkapelle rea­ lisieren ließen. In die klare italienische Opernstruktur von Rezitativ und Arie ließen sich an die Stelle virtuoser Soli problemlos einfachere Liedformen setzen, die für die deutsche Barockoper (wie auch später für das Singspiel) konstitutiv werden sollten. Neben diese strukturellen Implikationen treten historische Querverbin­ dungen von Weißenfels, Halle und Meiningen zu Braunschweig-Wolfenbüt­ tel,89 das mit seiner früh beginnenden, intensiven Opernpflege nach italie­ nischen Vorbildern ausstrahlte, wie später auch nach Hamburg, Leipzig und Dresden.90 Viele thüringische Höfe waren durch Heiraten mit weiblichen Angehörigen der Familie Herzog Anton Ulrichs verbunden. Die Töchter die­ ses seit Generationen kunstliebenden und -pflegenden Hofes brachten das Musiktheater quasi in ihrer Mitgift ins Land und bald zu der Blüte, die die jeweiligen Verhältnisse eben zulassen wollten.91 Ein Beispiel für diese weit verbreitete Praxis spielte sich am 24. Mai 1683 anlässlich des Geburtstages von Herzog Albrecht von Coburg (1648–1699) ab. Herzogin Marie Elisa­ 86 87 88 89 90 91

Vgl. Klaus-Peter Koch: Die Weißenfelser Hofoper 1682–1736 und ihre Beziehungen zu an­ deren Bühnen. In: Barockes Musiktheater im mitteldeutschen Raum im 17. und 18. Jahrhun­ dert. Friedhelm Brusniak (Hg.). Köln 1994. Vgl. Busch (1996), S. 214. Vgl. Böhme (1933, S. 8): „Friedrich II. von Gotha wird direkt als der thüringische Nachahmer des französischen Königs und als eine Parallele zu August dem Starken von Sachsen ange­ sehen.“ Vgl. Busch (1996), S. 209–245. Vgl. Fuchs (1996), S. 308. Vgl. Böhme (1931), S. 13.

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beth (1638–1687) selbst trat als Schäferin Diana auf, um dem als Schäfer Endymion ebenfalls auf der Szene anwesenden Herzog eine Geburtstagsarie darzubringen. Erst kurz zuvor hatte die Braunschweigische Prinzessin, nun Landesherrin von Coburg und mutmaßlich gute Sängerin, die Kunstform Oper mitgebracht. Ein knappes Jahr später begann der eigentliche Spielbetrieb auf der neuen Opernbühne, deren Zuschauerraum Platz für etliche 100 Personen bot. An Coburg zeigt sich exemplarisch die vielfältige Vernetzung auch der kleineren Hoftheater: Das Eröffnungsspiel der neuen Bühne, die Oper nach einem biblischen Sujet Der gehorsame Wunderglaube Abrahams in der willigen Op­ ferung seines Sohnes Isaacs (Musik von Johann Löhner [1645–1705]), war zuvor bereits in Nürnberg für den Pegnesischen Blumenorden, einer 1644 gegründeten92 Sprachgesellschaft aufgeführt worden. Der Textdichter Christoph Adam Negelein (1656–1701), Mitglied unter dem Kunstnamen Celadon, stand wie­ derum in enger Verbindung zum Braunschweig-Lüneburgschen Hof.93 Die Opernbühne zu Weißenfels stand nicht nur als Beratung für den bis Ende des 18. Jahrhunderts bestehenden und mit voller barocker Bühnenmaschinerie ausgestatteten Coburger Theaterbau Pate, für die ersten Opernaufführungen wurden sogar Sänger und Sängerinnen ausgeborgt.94 Zu diesem Beziehungsgeflecht gehört, dass der Weißenfelser Altsän­ ger, Kammermusikus und Konzertmeister Johannes Beer (1655–1700) 1687 für Coburg die Oper Die keusche Susanne fertigte. Leider ist Beers musikali­ sches Œvre nur spärlich überliefert und keine seiner Arbeiten für das Mu­ siktheater hat überdauert.95 Von der keuschen Susanne, deren Libretto nach Einschätzung von Roswitha Jacobsen ebenfalls von Beer stammte, während er sonst auf Libretti anderer Autoren u. a. von Heidenreich zurückgegriffen habe,96 wissen wir vor allem aus seinen Selbstzeugnissen.97 Johannes Beer war ein schillernder Grenzgänger, dessen offizielles Schaffen ihm heute wohl kaum einen Artikel in den entsprechenden Kompendien verschaffen würde, da seine Opern (sofern es mehrere gab) bis auf das Libretto der Susanne nicht überliefert sind. Gesichert sind nur wenige Kompositionen, vornehm­ lich geistliche Vokalwerke.98 Wie bei so vielen (späteren) Komponisten war 92 93 94 95 96 97 98

Und bis heute existierenden. Vgl. Böhme (1931, S. 47), der allerdings Negelein als Komponisten führt. Vgl. ebenda. Vgl. MGG², Bd. 2, Sp. 662. Vgl. ferner: Fuchs (1996), S. 305–316. Roswitha Jacobsen: Fürstendienst, Hofdichter und Johann Beer. In: Beer. 1655–1700. Hof­ musiker. Satiriker. Anonymus. Eine Karriere zwischen Bürgertum und Hof. Andreas Brandt­ ner und Wolfgang Neuber (Hg.). Wien 2000, S. 111. Johann Beer: Sein Leben, von ihm selbst erzählt. Mit einem Vorwort v. Richard Alewyn. Adolf Schmiedecke (Hg.). Göttingen 1965, S. 27. Vgl. MGG², Bd. 2, Sp. 662.



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es die Stimme, die Beer schon früh als Knabensopran ein Auskommen si­ cherte.99 21-jährig wurde Beer im Oktober 1676 als Altist100 an der fürst­lichen Kapelle Herzog Augusts in Halle eingestellt, ab 1680 schließlich als Hofmu­ siker in Weißenfels. Dort gehörte Beer bei sehr mäßigem Salär zu den niede­ ren Bediensteten mit begrenzten Aufstiegsmöglichkeiten. Dennoch blieb er, wenngleich er einige Zeit lang versuchte, eine bessere Stellung in Regensburg zu bekommen. Da Beer weder einen Adelstitel noch ein abgeschlossenes Universitätsstudium nachzuweisen hatte, blieben ihm die offiziellen literari­ schen Kreise und damit selbstverständlich auch die Fruchtbringende Gesellschaft versperrt, was sich nachhaltig auf seine literarische Tätigkeit auswirkte. Wäh­ rend Beers Gelegenheitsdichtungen für offizielle Veranstaltungen verloren sind, gehört er heute wegen seiner Nachtstücke, seiner anonym veröffentlich­ ten und überwiegend satirischen Schriften, die Richard Alewyn Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt hat, zu den zentralen Gestalten einer nicht allegorischen, diesseitigen Barockdichtung. Beers Pseudonyme waren zwar lange erfolgreich101 in Bezug auf die Nachwelt, doch dürften sie auf Grund des häufig wiederkehrenden lateinischen „ursus“ im fingierten Verfasserna­ men für die Zeitgenossen und den Hof leicht zu durchschauen gewesen sein  – so sich überhaupt jemand dafür interessierte. Dass sich der Autor Beer zu dem schamlosen und feurigen Erzähler entwickeln konnte, hängt auf paradoxe Weise mit seiner Stellung als Hofmusiker zusammen: ­Einerseits war er so in das kulturelle und gesellschaftliche Leben am Hof inte­griert, hatte vermutlich überdies ein nicht selbstverständliches Maß an Frei-

99 In Beers autobiographischem Roman Die Abenteuer des jungen Jan Rebhu (1677) findet sich eine Episode, die unter diesen Umständen die Katastrophe des Stimmbruchs eindrücklich beschreibt. 100 Bemerkenswert ist die Anzahl der deutschen bzw. in Deutschland wirkenden Komponisten, die ausdrücklich als Sänger tätig waren, teilweise sogar noch während ihrer Tätigkeit als Kom­ ponisten und z.  T. in ihren eigenen Opern (z.  B. Telemann, Schürmann, Mattheson, Hasse, Graun und Fasch). Davon wiederum scheint der Anteil an Tenören und Altisten die übrigen Stimmgattungen zu überwiegen (Altisten: Beer, Fasch, Schürmann, Tenöre: Hasse, Graun, Mattheson, der späte Schürmann), woraus sich wiederum auf den absoluten Anteil hoher Männerstimmen schließen lässt. Nach Koch (1994, S. 56 und 57), waren Johann Friedrich Fasch und Samuel Ernst Döbricht Diskantisten, also Sopranisten. Der Vater des letzteren, Daniel Döbricht, wird am 9. Juli 1681 als Diskantist neben dem Altisten Beer bestallt (Ja­ cobsen 1994, S. 253). Im selben Jahr ersucht er um Urlaub, um Frau und Kinder nachholen zu können, woraus sich eindeutig ergibt, dass er zu diesem Zeitpunkt das Erwachsenenalter erreicht hatte. Er bleibt als Falsettist (Altist) in Weißenfels angestellt bis zu seinem Tod 1694. 1706 sang S. E. Döbricht neben Schürmann eine Altpartie in dessen Oper, während Joh. Döbricht abermals als Diskantist in einer Sopranpartie geführt wird (Schmidt 1933, Bd. I, S. 199). Dahinter könnte sich ein weiterer Sohn, oder aber die Sängerin Johanna Döbricht (1692–1786) verbergen. Offenbar gab es aber in dieser Sängerfamilie eine regelrechte Coun­ tertenor-Tradition, die jeweils vom Vater auf den Sohn vermittelt wurde. 101 Erst 1932 gelang Richard Alewyn der Verfassernachweis.

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zeit102 und offenbar auch ein gutes Verhältnis zu seinem Dienstherren, auf der anderen Seite blieb sein Stil von allen offiziellen Regelungen unberührt und als bissiger Alternativkommentar erhalten. Thematisch spielt das Mu­ sikertum in seinen oft autobiographisch gefärbten Schriften eine zentrale Rolle, auch mit Bezügen zur damals populären Gattung der Musikerromane. Gegen den Auftritt Angehöriger der Herzogsfamilien auf der Opern­ bühne war von Seiten der pietistischen Geistlichkeit relativ erfolglose Wider­ rede gekommen. In Reaktion auf Heinrich Elmenhorsts (1632–1704) Ver­ teidigung der Oper in Dramatologia antiquo-hodierna publizierte der Rektor des Gothaer Gymnasiums Gottfried Vockerodt (1694–1727) 1696 eine Schrift Von falscher Artzeney unrichtiger Gemüther, in der entschieden vor den Gefah­ ren übermäßigen Musikgenusses warnte.103 Beer, der privat durchaus mit Vockerodts Positionen sympathisierte, schrieb vermutlich im Auftrag seines Dienstherrn104 die scharfzüngige Replik Ursus murmurat105. In seiner der Ant­ wort darauf beigegebenen Erläuterung Missbrauch der freyen Künste erläuterte Vockerodt wiederum am warnenden Beispiel des antiken Nero106, wie ge­ fährlich und unziemlich es für einen Herrscher sei, verkleidet auf der Musik­ theaterbühne zu erscheinen. Ferner zeigte er sich skeptisch, ob in Schauspiel und Oper gezeigtes moralisches Fehlverhalten tatsächlich abschreckende Wirkung auf den Betrachter habe oder nicht doch zur Nachahmung anre­ gen könne.107 Dass einzelne Vertreter der protestantischen Geistlichkeit der Bühne mitunter viel schärfer, wie insgesamt deutlich skeptischer gegenüber standen, als die katholische Geistlichkeit, deren Hochschätzung für das rhe­ torische Märtyrerdrama als Mittel der Bekehrung und Erziehung im Jesui­ tendrama gipfelte, ist eine Tendenz, die sich für die Bühne des 17. Jahrhun­ derts insgesamt feststellen lässt, und schließlich im Hamburger Opernstreit der Pietisten gipfeln sollte.108 Parallel zu den Opernformen nach italienischem Vorbild entwickelte sich kontinuierlich die am französischen Musiktheater orientierte Form der Sing­ 102 Anders als an vielen kleinen Höfen hatten die Hofmusiker hier keine Zusatzaufgaben zu erfüllen. 103 Vgl. Jahn (2005), S. 130. 104 Dem Jacob Lorber aus Weimar und Christoph Wentzel aus Altenburg fleißig in diesem mu­ siktheoretischen Federkrieg sekundierten. 105 Das ist: klar und deutlicher Beweis, welcher gestalten Herr Gottfried Vockerod […] in seinem […] Programmate der Music […] zuviel gethan. Weißenfels 1697; Ursus Vulpinatur. List wieder List oder musicalische Fuchs-Jagdt, darinnen Gottfried Vockerodens […] Apologie, der Balg abgejagdt […] wird. Weißenfels 1697. 106 Der Vergleich sollte noch ein Echo in Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburgs Römi­ scher Octavia finden. 107 Vgl. Jacobsen (2000), S. 119–121. 108 Vgl. das Kapitel zur Hamburgischen Dramaturgie 1680–1696.



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ballette, die vom Tanzmeister inszeniert, also choreographiert wurden.109 Der doppelte Blickwinkel auf das Musiktheater Frankreichs und Italiens ist also erstaunlicher Weise schon vor und parallel zur Entstehung einer regelrechten französischen Oper eine Konstante der deutschen Barockoper. Eine regelrechte italienische Hofoper war allerdings nur dort anzutreffen, wo man sich die dazu erforderlichen italienischen Virtuosen leisten konnte und wollte, was nur für die großen Höfe in Wien, München und ab 1690 in Dresden,110 für kurze Zeit in Hannover und schließlich unter Friedrich II. in Berlin der Fall war. In Dresden gingen deutsche und italienische Oper in den 1670er Jahren eine eigentümliche Symbiose ein. Der Hof verfügte be­ reits seit den 1650er Jahren wenigstens über zwei ausgezeichnete italienische Gesangskastraten, Bartolomeo Sorlisi (1632–1672) und Andrea Bontempi (1624–1705). Von dem 1624 in Perugia geborenen Bontempi, der überdies als Theaterarchitekt und Musiktheoretiker wirkte, stammen nach seiner ita­ lienischen Oper Il Paride111 von 1662 wenigstens zwei deutsche Opern Apollo und Dafne (1671), deren Text er ebenfalls, gemeinsam mit Schirmer und Hei­ denreich schrieb und die als älteste vollständig in Text und Partitur erhaltene deutsche Barockoper (!) gilt, sowie 1672 Jupiter und Jo, abermals nach einem eigenen Text bzw. in Zusammenarbeit mit Dedekind.112 Auf den Sonderfall Braunschweig, wo italienische und deutsche (und kurzzeitig französische) Barockopern zwischen 1680 und 1730 Seite an Seite gespielt wurden, wird noch ausführlich einzugehen sein. Kleinere Städte ohne fürstliche Residenz und ohne die Mittel zu einem eige­ nen Opernhaus forcierten das Schulschauspiel, das mit Liedern, kleinen Arien und instrumentalen Zwischenspielen durchsetzt wurde, je nachdem, welche Fähigkeiten die Gymnasiasten aufzuweisen hatten.113 Christian Weise (1642–1708) steht für die typisch mitteldeutsche Verbindung zwischen Hof und Gymnasium, bei der sich Unterhaltungsbedürfnis und Bildungspolitik

109 Vgl. Böhme (1931), S. 16. 110 Vgl. Renate Brockpähler: Handbuch zur Geschichte der Barockoper in Deutschland. Emsdet­ ten/Westf. 1964, S. 136–137. 111 Zur Dramaturgie der italienischen Oper in Dresden vgl. Norbert Dubowy: Italienische Opern im mitteldeutschen Theater am Ende des 17.  Jahrhunderts: Dresden und Leipzig. In: Barockes Musiktheater im mitteldeutschen Raum im 17. und 18. Jahrhundert. Friedhelm Brusniak (Hg.). Köln 1994, S. 23–33. 112 Vgl. Brockpähler (1964), S. 135 und Fn. 12.; Mary E. Frandsen: Eunuchi Conjugium. The Mariage of a Castrato in Early modern Germany. In: Early Music History 24 (2005), S. 58, und Hubert Ortkemper: Engel wider Willen. Die Welt der Kastraten. Berlin 1993, S. 189– 193. Möglicherweise war der Italiener Marco Giuseppe Peranda (1625–1675) ebenfalls an der Komposition beteiligt. 113 Vg. Böhme (1931), S. 71.

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trafen. Eine Reihe von Libretti zu repräsentativen Anlässen stammt aus sei­ ner Feder114 und die Schuldramen enthalten Arien. Die kleine Residenz der Fürsten zu Gera zeigt exemplarisch, wie Schul­ spiele und Hofoper vor 1700 und dann wieder ab 1712 miteinander ver­ schmelzen. Der Hof besaß keine eigene Theatertruppe für die Aufführung musikalischer Werke. Zugleich jedoch hatten unter dem Rektor des Geraer Gymnasiums, Georg Ludwig Golder,115 die Schulspiele wie insgesamt die Musikausbildung ein hohes Niveau erreicht, was sich u. a. darin zeigt, dass sowohl Gottfried Gottlieb Heinrich Stötzel (1690–1749) wie auch bereits sein Lehrer und Hofkapellmeister Emanuel Kegel (1655–1724) dort ihre Ausbildung erhalten hatten. Verstärkt wurde die Bindung von Hof und Gymnasium durch die Personalunion von Musiklehrer und Kapellmeister, die von Stötzel und dem eng mit ihm befreundeten Johann Friedrich Fasch (1688–1758) gehalten wurden. Fasch war selbst Altist mit reichlicher Erfah­ rung an der Weißenfelser Oper. Auch in Gera dürfte er als Solist mitgewirkt haben, während die meisten übrigen Rollen der Singspiele von den Gymna­ siasten gespielt wurden,116 wobei mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­ lichkeit alle Rollen mit Knaben und Männern besetzt waren. Seine eigenen Opern wurden zur selben Zeit u.  a. in Naumburg aufgeführt. Fasch und Stötzel gehören durchaus zu den profilierten Musikerpersönlichkeiten ihrer Zeit, die von späteren Zeitgenossen wie Marpurg117 und Hiller118 gewürdigt wurden. Weitere musikalische Kräfte lieh man sich nach Bedarf von befreun­ deten Höfen aus der Umgebung.119 In seiner Doppelfunktion als lehrreiches Schultheater und höfische Repräsentation spiegelt das Repertoire dieser Auf­ führungen also die Dilettanten-Aufführungen der Residenzen.

114 Tod der ersten Herzogin Anna Maria Dorothea von Sachsen Weißenfels, geborene Herzo­ gin zu Mecklenburg (1627–1669), Hochzeit Herzog Augusts d. Ä. von Sachsen Weißenfels (1614–1680) mit Johanna Walpurgis von Leiningen-Westerburg (1647–1687) 1672 und die Hochzeit des Thronfolgers August d. J. von Sachsen Weißenfels (1650–1674) 1773. Christian Weise: Sämtliche Werke. John D. Lindberg (Hg.). 21. Bd.: Gedichte II. Berlin und New York 1978. 115 Lebensdaten nicht ermittelbar. 116 Vgl. Böhme (1931), S. 76–77. 117 Ders.: Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik, 5 Bde., Berlin 1754–1778, Hier: Bd. I (1754), S. 410, und Bd. III (1757), S. 124–129. 118 Ders.: Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrten und Tonkünstler neuerer Zeit. Leipzig 1784, S. 59–65 und S. 256–266. 119 Vgl. Böhme (1931), S. 73.



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2.7  Zur Wechselbeziehung von Libretto und Roman In der Person Anton Ulrichs und seiner Hannoveraner Verwandten bün­ delten sich Tendenzen und Entwicklung der deutschen Opernpflege und wurden von dem Librettisten und Romanautor zugleich exeptionell voran­ getrieben. Seine Texte beweisen die hohe Eigenständigkeit deutschsprachi­ ger Librettistik, die italienische und französische Vorbilder aufnimmt und im Sinne einer Frühaufklärung transformiert, die die Emanzipation der Ra­ tio, Menschlichkeit und Empfindsamkeit von konfessionellen Zwängen als ­eigenständiges und bis zu Wieland wirksames Prinzip der Literatur entfaltet und sich schließlich in den Romanen auf ein historisches Denken zubewegt. Die dichte Durchdringung von Lese- und Musiktext spielt bei dieser Ent­ wicklung eine zentrale Rolle, da mit dem Libretto als Keimzelle der die Oper bestimmenden unmittelbaren Affekte diese als Grundlage einer frühen Emp­ findsamkeit in die Prosatexte überführt werden können. Der zweite überlebende Sohn Herzog August des Jüngeren von Braun­ schweig und Lüneburg (1579–1666) wuchs in einem standesbewussten, doch in materieller Hinsicht beinahe bürgerlich geführten Fürstenhaus auf. Das geistige Klima war geprägt von wissenschaftlich-literarischem In­teresse, praktischer Toleranz in Glaubensfragen sowie klaren Moralitäts- und Tu­ gendbegriffen, die gleichwohl menschliche Fehltritte einkalkulierten. As­ pekte, die Anton Ulrichs Lebensführung und literarisches Schaffen prägen sollten. Von früher Jugend an hatte er Teil am sich rasch entwickelnden deutschen Musiktheater und sollte schließlich mit der Braunschweiger Oper eines seiner Zentren begründen. Die Herren des Braunschweiger Musen­ hofs waren nicht nur Auftraggeber, Rezipienten und Partizipanten des Mu­ siktheaters, sondern in sehr weitgehendem Maße auch seine produzierenden Kräfte. Entsprechend lernte Anton Ulrich vor seiner Kavalierstour nach Paris das Musiktheater weniger als rauschende Festivität kennen, denn als familiäre und didaktische Kleinformen, die er mit seinen Geschwis­ tern unter Leitung der Stiefmutter zumeist zum Geburtstag des Vaters aufführte.120 Im Zentrum der Wolfenbütteler Festkultur stand Augusts dritte Gemah­ lin Sophie Elisabeth von Mecklenburg-Güstrow, die 1635 als 18-Jährige den damals bereits 56-jährigen August von Braunschweig-Lüneburg geheiratet hatte und der Gudrun Busch die „regierende“ Rolle bei Aufbau und Pflege

120 Smart betont, dass die frühen Ballette zwar allgemein didaktischen Inhalts waren, aber keine propagandistische Ausrichtung hatten, wohingegen die späteren Ballette Anton Ulrichs den Vater als Landesvater feiern. Vgl. Sara Smart: Doppelte Freude der Musen. Court Festivities in Brunswick-Wolfenbüttel 1642–1700. Wiesbaden 1989, S. 95 und 146.

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des Musiktheaters zuschreibt.121 Sie selbst war von ihrer zweiten Stiefmutter, der gerade mal 13  Jahre älteren Eleonore Marie geb. Prinzessin von An­ halt-Bernburg (1600–1657), in die 1617 – im selben Jahr wie die Fruchtbrin­ gende Gesellschaft – gegründete Académie des Loyales eingeführt worden, einen Gesprächs- und Kunstzirkel, in dem die Frauen nicht nur wie in den Frauen­ zimmer Gesprächsspielen Teilnehmerinnen, sondern selbst Produzentinnen „feiner künstlicher Sachen“ – von Musik über Gedichten bis zu kunstvollen Handarbeiten – waren, „was ihnen und ihresgleichen rühmlich ist, und wohl anstehet, nach einer jeden Fähigkeit“122. Anton Ulrichs Stiefmutter war über­ dies bereits während ihrer Jugend am Kasseler Hof von keinem geringeren als Schütz, dem Komponisten der ersten deutschen Oper auf das von Opitz ins Deutsche übertragene Libretto Daphne,123 zu einer ausgezeichneten Lai­ enkomponistin ausgebildet worden. Schütz lebte zwischen 1639 und 1641 in unmittelbarer Nachbarschaft in Calenberg, Hildesheim und Hannover,124 wurde 1643 von Sophie Elisabeth zum Kapellmeister „von Haus aus“ er­ nannt und stand ihr in musikalischen Fragen beratend zur ­Seite.125 Ihr Verhältnis zu den drei Stiefkindern war liebevoll, und sie unter­ stützte insbesondere die begabten Geschwister Sibylla Ursula (1629–1671) und Anton Ulrich in ihren literarischen und musikalischen Bestrebungen.126 Sophie Elisabeth verwendete kleine Singspiele und Ballette zur Erziehung der Kinder. Die ersten Stücke wurden noch vom Prinzenerzieher Schottelius verfasst. In der Vorrede zu Friedens Sieg. Ein Freudenspiel, das 1642 in einer Vertonung von Sophie Elisabeth zur Feier des Goslarer Friedens in Braun­ schweig am Hof aufgeführt worden war,127 preist er den Nutzen des Theater­ spiels, weil „dadurch zugleich die Sprachen erlernet, die Ausrede wolklingend gebildet, die Lust zur Beredsamkeit eingetröpfelt, das Gedächtniß gestärket, der Verstand gescherfet, anstendliches Gebärde angenommen, undienliche Blödigkeit abgelegt und ein Tugenwilliges Hertz zu vielen Guten aufgefri­ schet“128 werden.

121 Vgl. Busch (1996), S. 209–245. Vgl. ferner: Dies.: (1994), S. 127–182, Smart (1989) und Karl Wilhelm Geck: Sophie Elisabeth Herzogin von Braunschweig und Lüneburg (1613–1676) als Musikerin. Saarbrücken 1992. 122 Zit. nach: Busch (1996), S. 211. 123 Rinuncini/Peri (1598). 124 Vgl. Busch (1992), S. 131. 125 Vgl. Blake Lee Spahr: Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg. In: Deutsche Dich­ ter des 17. Jahrhunderts. Harald Steinhagen und Benno v. Wiese (Hg.). Berlin 1984, S. 597. 126 Vgl. Smart (1989), S. 54. 127 Justus Georg Schottelius: Friedens Sieg. Ein Freudenspiel. 1648. Friedrich E. Kaldewey (Hg.). Halle 1900, S. 12. 128 Ebenda.



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Das berühmteste Vorbild für diese Praxis ist die 1644 gedruckte129 Tra­ gikomödie L’Art de Regner, die Gillet de La Tessoneries (1620–ca. 1660) 1645 zur unterhaltsamen Unterweisung des erst fünfjährigen Ludwig XIV. auf­ führen ließ. In der Rahmenhandlung sucht ein junger Mann bei einem Ma­ gier Heilung von den Leidenschaften Eitelkeit, Wollust, Ehrgeiz, Eifersucht und Hass. In fünf Bildern – von Minerva und Attalus, Camille und Lucippe, Tod des Pompeus, Alexander und Statira bis Perseus, König der Macedonier – wird dem Prinzen darauf hin vorgeführt, dass ein König zu allererst sich selbst regieren lernen muss.130 Ab 1652 komponierte und inszenierte Sophie Elisabeth Anton Ulrichs eigene Texte auf den Geburtstag des Herzogs als kunstvolle Festspiele, in denen die Kinder und sie selbst als Tänzer und zuweilen auch als Sänger auftraten. Anton Ulrich sollte dies fortsetzen und bis 1663 die Hauptrollen in seinen Stücken selbst spielen und singen.131 Ende 1645 wurde der damals 20-jährige Nürnberger Literat Sigmund von Birken zum stellvertretenden Prinzenerzieher und Mitarbeiter von Schottelius nach Braunschweig berufen. Eine maßgebliche Rolle bei der Ver­ mittlung dieser Stelle hatte Harsdörffer gespielt, der während Birkens Anstel­ lung in beständigem Briefkontakt mit ihm blieb. Birken fasste offenbar sofort eine besondere Zuneigung zu dem damals 12-jährigen Anton Ulrich, den er Harsdörffer sogar als prospektiven Vorsitzenden des Pegnesischen Blumenordens vorschlug.132 Obgleich Birken seine Anstellung, mutmaßlich in Folge einer Intrige, bereits nach einem guten Jahr wieder verlor, blieben er und sein ehe­ maliger Zögling ein Leben lang verbunden und Birken blieb Anton Ulrichs und Sibylla Ursulas engster Berater und Mitarbeiter in literarischen Fragen. Die Fruchtbringende Gesellschaft flankierte die musiko-literarischen Bestrebun­ gen des Braunschweigischen Hofes. Bereits 1634 war Herzog August mit dem Gesellschaftsnamen der Befreyende eingetreten. Anton Ulrich wurde 1659 als der Siegprangende in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen, und selbstverständlich gehörte auch Birken unter dem Namen Betulius dazu. Bir­ ken fungierte auch als Distributor der von Harsdörffer verfassten Frauen­ zimmer Gesprächsspiele,133 in deren viertem Band 1644 die älteste vollständig überlieferte Oper in deutscher Sprache Das Geistliche Waldgedicht oder Freu­ denspiel genannt Seelewig mitsamt der Partitur des Nürnberger Organisten und 129 130 131 132

Reprint: P. E. Chaplin (Hg.). Exeter 1993. Es handelt sich damit um eine Spielart von Herkules am Scheideweg. Vgl. Spahr (1984), S. 598 und S. 601. Vgl. Hartmut Laufhütte: Harsdörffer als Organisator des Zusammenspiels der Künste. In: Georg Philipp Harsdörffer und die Künste. Doris Gerstl (Hg.). Nürnberg 2005, S. 110. 133 Vgl. ebenda, S. 118.

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Stadtpfeiffers Staden abgedruckt wurde,134 und das Sophie Elisabeth 1654, kurz vor Anton Ulrichs Aufbruch zu seiner Kavalierstour, aufführen ließ. Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächsspiele sind konzipiert als spielerische Belehrung in Dialogform mit eingestreuten Liedern135 und anderen Theater­ formen, die gelesen oder im geselligen Kreis durchgespielt werden können und sollte ausdrücklich zur Nachahmung anregen.136 Die überwiegend ade­ ligen Figuren der Rahmenhandlung mit den sprechenden Namen Angelica von Keuschewitz, Julia von Freudenstein, Vespasian von Lustgau, Cassandra Schönlebin und Denckwert von Ruhmeck kommentieren die Handlung, die der (bürgerliche?) Student Reymund Discretin vorträgt. Vorbild für das For­ mat der Frauenzimmer Gesprächsspiele sind die Ende des 16. Jahrhunderts im Umfeld der Sieneser Accademia degli Intronati entstandenen Dialoge,137 die Harsdörffer vermutlich bei seiner Italienreise 1629 bis 1630 kennen lernte. Auch die Struktur des Librettos greift italienische Musiktexte der Jahrhun­ dertwende auf, wie Agazzaris pastorale Eumelio und Cavalieris Rappresenta­ zione di anima e di corpo, die oder ähnliche Werke er auf seiner Reise gesehen hatte.138 Seelewig ist auf den ersten Blick eine Pastorale um die versuchte Ver­ führung der Nymphe Seelewig durch den Waldgeist (Satyr) Trügewalt und greift damit die pastorale Frühform der italienischen Oper auf, wie sie im deutschen Sprachraum seit 1618 vereinzelt aufgeführt wurde und als deren ­literarisch und operngeschichtlich bedeutsamste Opitz’ Übersetzung von Rinuccinis Dafne zu gelten hat. Im Kontext der um die Belebung der deut­ schen Sprache und Literatur bemühten Sprachgesellschaften steht Harsdörf­ fers Versuch, den italienischen Typus in eine angemessene deutsche Form zu übertragen, die nicht wie die aus dem Welschen gedolmetschte Schäfergedichte ihr Anmutigkeit gantz verlih­ ren/ und wie die zarten Pflantzen/ so vom feisten in ein dürres Erdreich gesetzet werden/ nicht recht anschlagen; wie der verteutsche Aminta der getreue Schäfer und andere dessen Beyspiele weisen können139.

134 Vgl. Peter Keller: Die Oper Seelewig von Sigmund Theophil Staden und Georg Philipp Harsdörffer. Bern und Stuttgart 1977, S. 16. 135 Seelewig ist kein Einzelfall, sondern geht lediglich mit ihrem Umfang und dem Abdruck der Instrumentierung weit über das sonst übliche Maß hinaus. Vgl. ebenda, S. 81. 136 Vgl. Rosmarie Zeller: Spiel und Konversation im Barock: Untersuchungen zu Harsdörffers ‚Gesprächsspielen‘. Berlin 1974. 137 Insbesondere Girolamo Bargaglis (1537–1586) Dialogo de giouchi, che nelle vecchie sanesi si usano fare. Vgl. Keller (1977), S. 48. 138 Vgl. ebenda, S. 39–48 und S. 60–65. 139 Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächsspiele. Irmgard Böttcher (Hg.). IV. Teil. Repr. der Ausgabe von 1644, Tübingen 1968, S. 31 [75].



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Dazu wählte er deutsche, sprechende Namen, die bereits andeuten, dass „in dem Hirtēspiel ein verborgener Verstand verhüllet“140 ist, der die Pastorale als „Geistliches Waldgedicht“141 in eine christliche Allegorie um die Rettung der ewigen Seele vor den Nachstellungen des Verführers überführt und damit gegen die „thörichten Liebesfantzen“142 absetzt. Das Bild der idealisierten, unbeschwerten Hirtenwelt steht für eine har­ monische christliche Weltordnung, die durch den Einbruch des Bösen/der Sinnlichkeit in Gestalt des Trügewalt mit seinen Genossen Ehrelob und Rei­ chimut gestört wird, die versuchen, die reine Seelewig (die unsterbliche Seele) vom rechten Pfad abzubringen. Die Handlung besteht darin, die Störung zu beseitigen und die Harmonie wiederherzustellen. Während diese Narration grundsätzlich der Konzeption der statischen oder zyklischen Pastorale ent­ spricht, erfährt das ihr zugrunde liegende Weltbild eine grundlegende Um­ deutung. Nach antikem Verständnis beschreibt die bukolische Dichtung ein außer- respektive prähistorisches goldenes Zeitalter, das die Menschen als eine idealisierte Schäfergesellschaft im Kontakt mit den Naturwesen vor­ stellt. In der höfischen Renaissancebelustigung diente diese Stofflichkeit ein­ mal als hochartifizielle imaginäre Fluchtwelt aus gesellschaftlich-politischen Zwängen, zum anderen aber auch als ein Gegenentwurf, der, gerade weil er sich auf eine antike Tradition berief, ohne die Verbindlichkeit christlicher Parameter auskam. Die Zentrierung auf in der Regel erotische Konflikte tat ein Übriges, die Pastorale mit einem Hauch von Anarchie zu umgeben. Harsdörffers spezifisch nordische Umdeutung der Pastorale von einem prähistorischen (und immer latent außermoralischen Ort) zum Emblem ­einer christlich überzeitlichen Weltordnung erfolgt vornehmlich über die im Text verwendeten allegorischen Namen und steht im Kontrast zu der von Staden verwendeten „Gesangsweis auf italianische Art gesetzet“143. Dem Bestreben der Nürnberger Pegnitz-Schäfer folgend, die Grenzen zwischen religiöser und weltlicher Literatur zu verschleifen in der Hoffnung, eine artifiziell hochstehende, gleichwohl der Seele nützliche Poesie zu er­ schaffen, welche „nicht nur belustigen/ sondern auch lehren“144 sollte, ging es Harsdörffer jedoch weniger um eine Errettung der moralisch leichtfüßigen musikalischen Pastorale; er hatte vielmehr deren hohe Wirksamkeit erkannt und sah in ihr eine ideale Form, sozialen und religiösen Zwecken eine arti-

140 Georg Philipp Harsdoerffer: Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht= und Reimkunst/ ohne Behuf der Lateinischen Sprache/ in VI. Stunden einzugiessen. Nürnberg 1748–53/Repr.: Darmstadt 1969, S. 101 (Die zwölffte Stund). 141 Frauenzimmer Gesprächsspiele (1644), Bd. IV, S. 33 [77]. 142 Ebenda, Bd. IV, S. 32 [76]. 143 Angabe auf dem Titelblatt. Frauenzimmer Gesprächsspiele (1644), Bd. IV, S. 489 [533]. 144 Poetischer Trichter (1748–53/1969), S. 101.

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fiziell hochstehende Form zu geben. Bereits Wolfgang Huber hat für das Musiktheater und die frühe Oper des deutschen Sprachraums auf ein durch­ gängiges und besonders starkes Bedürfnis nach ethisch-sozialer Lehrhaftig­ keit hingewiesen,145 das in der Tat zu ihren auffälligen Charakteristika zählt und durchaus keinen Beschwichtigungsversuch gegenüber der Geistlichkeit darstellt, sondern als Qualität für sich steht.146 Möglicherweise waren es die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges in Verbindung mit den konfessionel­ len Grabenkämpfen, die das Bedürfnis nach teleologischer Sinnsetzung auch auf der Opernbühne wachhielten.

2.8  Die Libretti Anton Ulrichs von Braunschweig und Lüneburg147 Dass Harsdörffer sich für Seelewig – auch in Abgrenzung von Opitz’ Dafne – die römische statt die Florentiner Oper zum Vorbild nahm,148 ist symptoma­ tisch für die Entwicklung der frühen deutschen Barockoper und beschreibt ein Grundparadigma wie Dilemma, das bis zu Wielands Zeit und darüber hinaus prägend für das deutsche Musiktheater bleiben sollte: Das Problem des gesungenen Rezitativs und das Lied als Vorbild für die Gesänge. Harsdörffer und Staden entwickelten in den Gesängen der Seelewig ein Repertoire von Lied- und Sonett-Formen, das für die weitere Entwicklung der deutschen Barockoper formgebend werden sollte, wobei die vollstän­ dige Vermeidung der populären Volksliedstrophe den hohen Charakter des Singspiels unterstreicht.149 Es wäre interessant zu erfahren, ob der gefeierte Shake­speare-Darsteller Emanuel Schikaneder (1751–1812) Harsdörffers See­ lewig kannte und mit der Sonett-Form der Bildnisarie Taminos in der Zau­ berflöte gezielt auf diese spezifische deutsche Form einer Opernarie Bezug nahm. Zugänglich müssten ihm die als Druck weit verbreiteten Frauenzimmer Gesprächsspiele eigentlich gewesen sein. Obgleich Harsdörffers Libretto dramatische und vertonte Dialoge vor­ sieht, gelingt noch keine Versform, die Grundlage für einen an das italieni­ 145 Wolfgang Huber: Das Textbuch der frühdeutschen Oper. Untersuchungen über literarische Voraussetzungen, stoffliche Grundlagen und Quellen. Diss. München, 1957, S. 52. 146 Wie noch ausführlich zu erläutern sein wird. 147 Die Zuschreibung der in der Folge untersuchten Texte zu Anton Ulrich darf als gesichert gelten. Vgl. Blake Lee Spahr in seinem Vorwort zur Edition der Singspiele. Anton Urich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Werke. Historisch-Kritische Ausgabe. Im Auftrag der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). Rolf Tarot (Hg.). Bd. I.1: Bühnendichtungen. Bearbeitet und herausgegeben von Blake Lee Spar. Stuttgart 1982, S. X–XXXI. 148 Vgl. Aikin (2002), S. 113. 149 Vgl. ebenda, S. 93 und S. 110.



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sche parlando anschließenden Rezitativfluss hätte sein können.150 Passagen mit paargereimten Alexandrinern (etwa didaktischen Inhalts wie im Prolog) wechseln mit vierhebigen trochäischen Versen. Obgleich das Reimschema im Dienste stärkerer Natürlichkeit variiert, bleibt das Rezitativ insgesamt zu re­ gelmäßig.151 Nur vier Jahre später sollte er gleichwohl selbst für Trauerspiele den italienischen Madrigalvers fordern: „doch scheinet der Italiäner neuste Reimart am thunlichsten/ in welcher die Reimwort gleichsam ungezwungen in die Rede eingeflochten/ und die Verszeile nicht mit gewiser [sic!] Zahl verbunden werden.“152 Möglicherweise vermied Harsdörffer das italienische Modell für das Singspiel auch gezielt, um den Versuch, eine dem Deutschen angemessene Form zu finden, nicht voreilig zu konterkarieren.153 Caspar Zieglers (1621–1690) Abhandlung Von den Madrigalen (Leipzig 1653) sollte knapp zehn Jahre später die Grundlagen für ein deutsches Re­ zitativ beschreiben und damit den Grundstein für die lyrisch-dramatische Dichtung wie die Singspiele Anton Ulrichs legen.154 Auch wenn Ziegler das Madrigal vornehmlich als kurze Gedichtform behandelt, empfiehlt er es ab­ schließend für zur Komposition vorgesehene Texte und verwendet dabei explizit die termini technici der italienischen Oper: Weil nun ein Madrigal viel freyer ist und sich der Reime halber so sehr nicht binden darff/ auch der natürlichen Art zu reden näher kömt/ so meyn Ich/ sol es einem Componisten auch viel leichter und besser auf seinem Chartelle/ als ein Sonnet/ fal­ len. Sonsten aber wird ein Madrigal/ (was die blossen Verse/ nicht aber die composi­ tion belanget) dem Stylo recitativo fast gleich gemacht/ und halt Ich besagten Stylum re­ citativum, wie ihn die Italianer in der Poesie zu ihren Singe Comedien gebrauchen vor einen stets werenden Madrigal/ oder vor etliche Mardigaln/ doch solcher gestalt/ daß ie zuweilen darzwischen eine Arietta, auch wohl eine Aria von etlichen Stanzen lauffe/ welches denn so wohl der Poet als der Componist sonderlich in acht neh­ men/ und eines mit dem andern zu versüssen/ zu rechter zeit abwechseln muß.155

Weitreichend ist nicht nur die Empfehlung der fließenden und variablen Versform, sondern die darin ausgesprochene Auffassung, dass der Opern­ text aus einer Grundform besteht, die durch die Gesänge alterniert und belebt wird, aber immer wieder dahin zurückkehrt. Damit war der Opitz’sche Fli­ ckenteppich an Versformen abgelöst und eine Urform für das Opernlibretto

150 151 152 153 154 155

Vgl. ebenda, S. 100 und S. 107. Vgl. ebenda, S. 95. Poetischer Trichter (1648–1653/1969). II. Theil, Par. 5 (Die eilffte Stund), S. 85. Vgl. Aikin (2002), S. 96. Vgl. ebenda, S. 177. Von den Madrigalen (1653). Mit einer Einleitung und Anmerkungen von Dorothea Glodny-­ Wiercinsky. Frankfurt a. M. 1971, S. 41–42.

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begründet, die bis zu Wielands Singspielen und darüber hinaus immer wieder als Idealform aufgegriffen werden sollte. Anton Ulrichs ab 1656 entstehende Libretti zu den musiktheatralischen Familienfestivitäten bis zur Hochzeit seiner Lieblingsschwester Sibylla Ur­ sula stehen genau an dieser von Aikin als „turning point“156 apostrophierten Stelle in der Entwicklung der formalen Grundlagen des deutschen Opern­ librettos. Die wichtigste Anregung des jungen Adeligen scheint seine Ka­ valierstour von September 1655 bis März 1656 via Göttingen, Frankfurt, Darmstadt, Stuttgart, Durlach, Straßburg bis Paris gewesen zu sein. In der französischen Hauptstadt hatte er den prächtigen Balletten Ludwigs XIV. beigewohnt und möglicherweise auch Gelegenheit gehabt, die wenige Jahre zuvor unter Mazarins Ägide aufgeführten italienischen Opern La finta pazza von Sacrati, Cavallis Egisto und Francesco Butis (1604–1682) Orfeo (1647) in der Vertonung Rossis wenigstens in ihren textlichen Zeugnissen kennen zu lernen. Unmittelbar nach seiner Rückkehr, eventuell sogar schon während des Parisaufenthaltes,157 setzte seine eigene Tätigkeit als Ballett- und Sing­ spiellibrettist ein. In Anton Ulrich kulminieren die musiko-literarischen Bemühungen ­einer ganzen höfischen Umwelt: Die frühe Förderung durch den Vater und die komponierende Stiefmutter, eine so geliebte wie begabte Schwester und vermutlich gerade die begrenzte materielle Ausstattung, die die Familien­ mitglieder in der Vorbereitung und Produktion der Aufführungen zusam­ menbrachte; schließlich der Kontakt zu bürgerlichen Gelehrten wie Birken und das Engagement in der Fruchtbringenden Gesellschaft, die allesamt auf sein Libretto- und späteres Romanschaffen starken Einfluss ausübten und es aus dem Feld bloßer fürstlicher Nebenbeschäftigung herausführten. In Braun­ schweig-Wolfenbüttel zeigt sich in nuce bereits jenes symbiotische Verhält­ nis des Musiktheaters zu den anderen Dichtungsarten, denen die Oper als die höchste ästhetische Durchformung der Künste wie eine Krone aufsitzt. Neumeister formuliert: „Eine Opera oder ein Sing=Spiel ist gewiss das galan­ teste Stück der Poesie/ so man heut zu Tage zu aestimiren pfleget“.158 Bemerkenswert ist der von Anfang an weite Bogen an Stoffen und na­ tionalen Einflüssen, den Anton Ulrich in seinen Texten aufspannt. Die al­ legorischen Schäferspiele Amelinde (1657) und Selimena (1663) stehen in der Tradition der frühen und frühesten deutschen Oper nach dem Vorbild der

156 Aikin (2002), Kapitel IV. 157 Vgl. Spahr (1984), S. 600. 158 Erdmann Neumeister: Die Allerneueste Art, zur Reinen und galanten Poesie zu gelangen (1695–97). Publiziert unter dem Pseudonym von Christian Friedrich Hunold ‚Menantes‘, 1707, S. 394.



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Seelewig. Wie Der Regier-Kunst-Schatten (1658) verbindet Amelinde dabei noch gesprochene Verse mit Strophenliedern als Soli oder Ensembles.159 Spätestens seit Andromeda (1659) sehen die Libretti gesungene Rezitative vor. Andromeda nach Corneilles Androméde (1650) und die eng an Striggios Orfeo-Libretto für Monteverdi angelehnte Bearbeitung Orpheus aus Thrazien (1659) sowie die Iphigenia nach venezianischem Vorbild (1661) greifen Stoffe der antiken Mythologie nach genuin romanischen Vorbildern auf. Sie ste­ hen neben biblischen Stoffen wie Jacob, des Patriarchen Heyrat (1662) und Der Hofmann Daniel (1663) die durchaus keine Rückkehr zur christlichen Moral bedeuten, sondern diese zum Fürstenspiegel modernisieren. Solitär steht schließlich eine späte Dramen-Adaption des historischen Dramas mit Die verstörte Irmenseul (1670), der bei einer weiteren Überarbeitung ebenfalls Ge­ sänge eingefügt wurden. Die höfisch-repräsentative Vorstellung des absolutistischen Herrschers als solarem Zentrum im Sonnensystem des Staates, wie sie in den Balletten Ludwigs XIV. zelebriert und in den Balletten Anton Ulrichs an Gewicht ge­ winnen wird, bleibt in den allegorischen Singspielen Amelinde und Selimena vergleichsweise dezent. Sie manifestiert sich noch am deutlichsten in Der Regier-Kunst-Schatten auf der Grundlage von L’Art de Regner.160 Anton Ulrich verwendet Alexandriner für eine freie Gestaltung des Textes als Singspiel mit Zwischenreden von Hofmeister und Prinz in Prosa, die die didaktischen Funktionen des Textes vervielfältigen. Der Vater Herzog August steht als idealer Herrscher im Hintergrund des Stückes. Der begabte Sohn als Autor des Stückes zeigt, dass er die Kunst des Regierens bereits so gut durchschaut, dass er sogar in der Lage ist, das richtige Regieren darzustellen. In die Position des zu Belehrenden wird vornehmlich das anwesende Hofpersonal gesetzt, dem damit implizit auch der kindliche Status des rein rezeptiv Lernenden zugewiesen wird. Diesen Impetus, aber auch diese Haltung gegenüber der höfischen Zu­ schauerschaft haben auch die beiden allegorischen Singspiele. Amelinde be­ ginnt mit einem Prolog, der die didaktische Zielsetzung klar formuliert. Das Stück zeigt die schöne Schäferin Amelinde, die sich dem Schäfer Coelidamas versprochen hat. Regiert wird das Land von Trompiares, dem Erzverführer in Gestalt eines alten geilen Königs, seiner Frau Welt Mondiane und dem ge­ meinsamen Sohn Volamis, der fleischlichen Lust. Volamis versucht Amelinde zu verführen, was ihm ein Stück weit auch gelingt, allerdings mit dem Ziel, sie dem alten König zuzuführen. Amelinde selbst ist durchaus empfänglich für die Verheißungen von Stand, Ehre und Reichtum, die der Königssohn ihr

159 Vgl. Busch (1996), S. 215. 160 Vgl. Henson (1980), S. 313.

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vorspiegelt, indem er sie aus dem ‚,lustigen Wald“ in den „lustigen Garten“161 führt, doch vor allem betrachtet sie es als ihre erste Pflicht, dem Willen der Herrschenden zu gehorchen. Der zentrale Konflikt besteht darin, dass Ame­ linde (abermals die menschliche Seele) sich dazu durchringen muss, für sich selbst eine eigene Entscheidung zu treffen. Dass ihr dabei die Zuwiderhand­ lung gegen den Willen der obgleich relativ offenkundig schlechten Herrscher schwer fällt, spricht zusätzlich für ihre guten Qualitäten, und dass sie für die weltlichen Verlockungen durchaus empfänglich ist, macht ihren Charakter wirklichkeitsnah.162 Die dramatis personae sind keine blutleeren Allegorien, sondern in erster Linie Beispiele für gut oder schlecht und mitunter komplex handelnde menschliche Figuren. Der gute Schäfer Coelidamas mit seinen beiden Begleitern Jusitinedas und Clemantides steht so zwar für Christus, den wahren Bräutigam der Seele, doch in der Logik der Erzählung ist er ein verkleideter Prinz und muss lernen, nicht Justinedas Rat zu folgen und die gestrauchelte Amelinde zu verdammen, sondern sie auf Clemantides bestän­ dige Fürsprache hin zu retten. Der durchaus wörtlich zu nehmende Prinz lernt so die zentrale Herrschertugend des Absolutismus: die Clementia, die verzeihende Milde, die selbst vor Recht zu gehen hat, wenn es darum geht, eine Seele zu erretten. Eine undogmatische, universell christliche163 Heilsge­ schichte mit antiken Anleihen verbindet sich zu einem Lehrstück über den richtigen Umgang Herrschender mit ihren Untertanen. Bemerkenswert für ein Stück höfische Literatur ist dabei, dass nicht nur Amelinde im Unge­ horsam gegen die Königsfamilie die richtige Entscheidung trifft, sondern überdies der Prinz Volamis von Amelindes Hand stirbt.164 Die Brisanz wird durch die allegorische Zuordnung (die Seele befreit sich selbst von der Flei­ scheslust) zwar gemildert, nicht aber beseitigt. Formal nimmt Amelinde eine Mittlerstellung zwischen dem Vorbild See­ lewig und den aus Zieglers Von den Madrigalen gelernten Lektionen ein. Der durchgehend jambische Dialog verwendet zwar variable Verslängen, doch herrschen dabei noch Alexandriner bzw. halbe Alexandriner und vers com­ muns vor.165 Die Gesangsformen sind vornehmlich Lieder, die sich durch ihr trochäisches oder daktylisches Metrum aus dem umgebenden jambischen Dialog absetzen. Gleichwohl gelingt Anton Ulrich durch die starke Variation der Zeilenlänge gerade auch in den Gesängen eine an die italienische Libret­ 161 Anton Ulrich: Werke. Bd. I.1 (1982), S. 8 und S. 23. 162 Und damit deutlich natürlicher als ihre späteren Schwestern im Norddeutschen Singspiel. 163 Anton Ulrich kam immer wieder in Konflikt mit der protestantischen Orthodoxie. Er selbst wechselte in seinem Leben einmal die Konfession, seine Enkelinnen wurden mit einem orthodoxen Zaren respektive katholischen spanischen König verlobt. Vgl. Henson (1980), S. 456–457. 164 Vgl. Anton Ulrich: Werke I.1 (1982), S. 47. 165 Vgl. Aikin (2002), S. 189.



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tistik heranreichende Variabilität und Lebhaftigkeit. Deren Errungenschaf­ ten greifen auch die Drucke der Amelinde auf, insbesondere der Zweitdruck von 1662, der die Gesänge bereits in Fettdruck wiedergibt.166 In der anlässlich der Hochzeit seiner Halbschwester Marie Elisabeth (1638–1687) mit Herzog Adolf von Sachsen-Eisenach (1632–1688) am 21. Januar 1663 aufgeführten Selimena wird eine vergleichbare thematische Konstellation in weitaus elaborierterer Allegorik in der Geschichte eines kö­ niglichen Zwillingspaares erzählt, das pastorale Umfeld jedoch ausgeblendet. Bemerkenswert ist vor allem die Arie, in der Selimena das Bild ihres Gelieb­ ten Deocharus besingt: Nichtes weiß ich dir zu geben/ als mein Will/ Gemüht und Sinn/ du mein ander ich und Leben gieb dein Hertz/ nimb meines hin/ dein Hertz meine Wohnung bleib/ mein Hertz deine Ruh beschreib ich bin dein/ du bist mein Prangen/ du bist mein/ ich dein Verlangen.167

Auch wenn die durchsichtige Allegorie diese empfindsame Sprache als eine in beinahe pietistischer Manier auf Christus bezogene adelt, manifestiert sich in ihr doch ein hohes Maß an Sinnlichkeit, mit der hier eine junge Frau von ihrem Geliebten spricht. Die mythologischen Singspiele Anton Ulrichs sind mehr oder weniger dicht an ihre Vorlagen angeschlossene Bearbeitungen romanischer Quellen. Mit der Singspielfassung von Corneilles Androméde168 beschritt der Braun­ schweiger bezeichnenderweise bereits mehr als zehn Jahre vor Quinault und Lully den Weg, den diese mit der französischen Tragédie lyrique einschlagen sollten. Dazu gehören auch die vier im Libretto angegebenen breiten Chor­ partien der „Nereiden/ oder Wasser-Nymphen“ der Ritter, Äthiopier, der Priester und des Volkes.169 Doch ausgerechnet die Stoffvorlage der französischen klassizistischen Tragödie dient in Andromeda zur vollständigen Erschließung der italienischen Opernform.170 Dabei reduziert sich die Zeilenlänge, die Reime werden va­ riabler, und in der Folge grenzen sich die regelmäßiger gestalteten Gesänge 166 Vgl. ebenda, S. 190. 167 Werke I.2: Bühnendichtungen (1982), S. 336. 168 Vgl. Frederick Robert Lehmeyer: Anton Ulrichs Andromeda und ihre Quellen. Europäische Tradition und deutscher Literaturbarock. G. Hoffmeister (Hg.). Bern 1973. 169 Werke, Bd. I.1 (1982), S. 171 und S. 177. 170 Vgl. dazu: Pierre Béhar: Anton Ulrichs Andromeda als Verwandlung von Corneilles Andomède. In: ‚Monarchus Poeta‘. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lü­

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deutlicher vom Rezitativ ab.171 Während Andromeda dabei noch immer etwas hinter dem von Ziegler entwickelten Phänotyp des Madrigalverses zurück­ bleibt, erreicht Anton Ulrich in seiner zweiten, im selben Jahr entstandenen Striggio-Adaption Orpheus aus Thrazien ein vollständiges Secco-Rezitativ mit variabler Zeilenlänge und Reim vornehmlich mit semantischer Bedeutung, wechselnden Rhythmen auf jambischer Basis und gelegentlichen Enjam­ bements. Auch die Gesangsformen werden variabler,172 was für eine enge Zusammenarbeit mit dem Komponisten spricht und dafür, dass Löwe von Eisenach, der die italienische Oper u. a. in Wien kennengelernt hatte, der Partner dieser Entwicklung war. Orpheus bildet die höchste Stufe von An­ ton Ulrichs Librettokunst173 in einem an die italienische Librettistik heran­ reichenden, innovativen deutschen Text mit dem Verhältnis 1:2 von Arie zu Rezitativ und der Einführung der Da capo-Arie neben den traditionellen deutschen Liedformen174: Anton Ulrich makes the leap not only to successful and mature German-­language versification for opera recitative, arietta, and aria, but also to establishing the pro­ portion of recitative to aria that will define the practice for German opera for decades to come.175

Die hervorstechendste Änderung gegenüber dem italienischen Vorbild ist der Schluss. Orpheus wird zwar von den Bacchantinnen zerrissen, doch an­ schließend gemeinsam mit Euridike in die elysischen Felder entlassen. Wie einflussreich Anton Ulrichs Entwurf selbst für spätere Romane war, hat Martin Erich Schmidt gezeigt, der Orpheus als Quelle zum Pariser Opernka­ pitel in Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens (1622–1676) Simplicis­ simus176 beschrieben hat.177 Orpheus aus Thrazien war eine Geburtstagshommage an die komponie­ rende Stiefmutter Sophie Elisabeth. Dass nur in diesem Fall der Kapell­ meister Johann Jacob Löwe ausdrücklich auf dem Titelblatt als Komponist genannt wird, hat Henson zu der Vermutung veranlasst, dass die übrigen Singspiele zumindest in der Mehrzahl weiterhin von Sophie Elisabeth ver­

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neburg. Akten des Anton-Ulrich-Symposion in NANCY (1983). Chloe. Beihefte zum Daph­ nis 4 (1985), S. 173–179. Vgl. Aikin (2002), S. 191. Ebenda, S. 194. Gudrun Busch beschreibt Orpheus als Anton Ulrichs avancierteste Arbeit (Dies. 1994, S. 151), eine Einschätzung, der sich Aikin anschließt. Aikin (2002), S. 195. Ebenda, S. 196. Vgl. Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Stuttgart 1996, IV. Buch, III. Kapitel, S. 368–372. Vgl. Martin Erich Schmidt: Orpheus. Grimmelshausen – Anton Ulrich – Francesco Buti. In: Argenis I, 1–4 (1977), S. 279–299.



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tont worden waren. Im Falle des Geburtstagsgeschenkes ist die Abweichung von dieser Regel sehr plausibel.178 Gudrun Busch hat anhand der gedruck­ ten Liedersammlung Sophie Elisabeths Christfürstliches Harpfen-Spiel nachwei­ sen können, dass sogar bei diesem Libretto ein Teil der darin publizierten Lieder den Gesängen unterlegt werden können.179 Damit lässt sich nicht nur die Annahme, in Sophie Elisabeth die Komponistin der Singspiele zu sehen, erhärten, sondern die Praxis der weitgehend problemlosen Umtex­ tierung erklärt auch, warum sich keine Musikalien erhalten haben: Sie la­ gen zum Teil in anderen Formen (etwa als christliche Gesangsbücher) vor und konnten so durch Kontrafaktur jederzeit problemlos herangezogen werden.180 Wahrscheinlich müssen wir uns diese frühe Singspiel-Praxis viel buntscheckiger vorstellen, viel gebrauchsbezogener und den wechselnden musikalischen und thea­ tralischen Möglichkeiten der großen und kleinen deutschen Höfe mehr angepaßt, auch der repräsentativen, im besten Sinne „dilettierenden“ Mitwirkung des Adels noch offen.181

Damit wird auch erhellt, wie nah Liedformen seit den frühen Ansätzen von Opitz und Schütz an der Wiege der deutschen Barockoper stehen und wes­ halb sie bis über die Wende zum 18. Jahrhundert ein bestimmendes Idiom bleiben sollten. Nicht nur Schütz, auch Johann Georg Conradi (1645–1699) und Franck entstammten der kirchenmusikalen Tradition und waren vor al­ lem Liedkomponisten. Das Lied ist dabei nicht gleichbedeutend mit einer volkstümlichen Form, sondern wendet, wie anhand von Harsdörffers Seele­ wig beschrieben, eine große Bandbreite artifizieller Formen an. Ein weiterer Vorzug der Liedformen ist, dass der Vortrag weniger sängerische Virtuosität erforderte, was erst die Aufführbarkeit in adeligen Dilettantenkreisen ermög­ lichte, und ebenso durch die noch nicht systematisch ausgebildeten Sänger der frühen deutschen Barockoper, deren hohe Stimmen überdies vornehm­ lich von Knaben und Jugendlichen übernommen werden mussten. Die Tradition der Kontrafraktur reiht sich damit direkt ein in die Re­ zeption des Librettos als Lesetext. Analog zu ihr als aufführungspraktischem Prinzip konnten auch vom Rezipienten in seiner Kammer aus dem Gedächt­ nis auf die Versformen der Gesänge passende Melodien unterlegt werden, die sie oder er auswendig kannte. Ein konkreter Notentext war für die Lek­ türe damit verzichtbar. 178 Vgl. Henson (1980), S. 351. 179 Vgl. Busch (1994), S. 153–154. Seither hat auch Aikin (2002, S. 203–204) dem Vorschlag zugestimmt, dass die Mehrzahl der Libretti von Sophie Elisabeth vertont wurde. 180 Vgl. Busch (1994), S. 127–181. 181 Ebenda, S. 168.

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Mit Iphigenia, ein königliches Fräulein von 1661 erweiterte Anton Ulrich den Reigen seiner Experimente auf die venezianische Oper. Auch wenn die Arien­ formen sich wieder dem liedhaften Modell annähern, vermutlich weil die Vertonung abermals von Sophie Elisabeth übernommen wurde, zählt Iphi­ genia zu den formal interessantesten Konzeptionen. Nicht zuletzt ist es ein bemerkenswert komisches Stück mit zwei Liebespaaren, einer Verkleidungs­ szene mit einer falschen Diana, die an Cavalli/Faustinis La Calisto (1651) erinnert, und einer stotternden buffo-Figur namens Hircander, wie sie seit Cavallis Giasone fest zum Personal der venezianischen Oper gehört. Woher Anton Ulrich deren Phänotypus schon zu diesem frühen Zeitpunkt – gerade zehn Jahre nach dessen Genese – so genau gekannt hat muss offen bleiben, es ist aber anzunehmen, dass ihm eher Libretti als vollständige Vertonungen zugänglich waren. Iphigenia ist so venezianisch, dass man dahinter eigentlich eine Übersetzung vermuten möchte, doch nicht nur gibt es kein direktes Vor­ bild,182 nach derzeitigem Forschungsstand ist Anton Ulrichs Libretto sogar die erste Bearbeitung dieses Stoffes für die Opernbühne überhaupt! Für das Singspiel Jacob, des Patriarchen Heyrath gilt die Zuschreibung zu Anton Ulrich als unsicher, da es häufig mit dem in der Aramena eingestellten Libretto Birkens gleichen Stoffes verwechselt wird183 und kein Manuskript existiert.184 In der zweiten späten Bearbeitung eines alttestamentarischen Stoffes Der Hofmann Daniel wird bereits 1663 jener Gegensatz zwischen friedlichem Landleben und verderbtem Hofleben aufgemacht, der hundert Jahre später die Opéra comique und das Norddeutsche Singspiel beherr­ schen sollte.185 Der Hofmann Daniel ist mit dem geläufigen Begriff biblisches Singspiel nur schwer zu fassen. Es handelt sich vielmehr abermals um e­ inen Fürstenspiegel, in dem jedoch nicht der König oder ein Königssohn im Zentrum steht, sondern der treue Höfling (!), den eine Hofintrige und eine unbedachte Unterschrift seines etwas begriffsstutzigen Königs in die Löwen­ grube bringen, aus der ihn nur das christliche Wunder als deus ex machina errettet. Dabei wird der Gegensatz zwischen Verstand und Vernunft betont. Verstand steht für Klugheit und Berechnung und damit für die negative Seite der Geistesgaben, während Vernunft Treue und Aufrichtigkeit bedeu-

182 Henson (1980), S. 363, vermutet zwar ebenfalls ein weiteres Vorbild außer Euripides, sieht in Versen wie: „Bey Hoff gibt Schma Schma Rotzerey/ Die besten bi bi bissen/ Drumb bin ich auch beflissen/ Das ich ein solcher Hofman sey./ Da leck leck lecker Braten/ Mir kommen wol zu statten.“ (Anton Ulrich: Werke Bd. 1.1 [1982], S. 273–274) jedoch vor allem den Nie­ derschlag von Anton Ulrichs Sinn für Humor. 183 So Wolfgang Kelsch: Wolfenbüttel 1592–1992: Vierhundert Jahre Theater in einer fürstlichen Residenz. Wolfenbüttel 1992, S. 50. 184 Vgl. Spahr in: Anton Ulrich: Werke. Bd. I.1 (1982), Einleitung. S. XXV–XXVI. 185 Vgl. Smart (1989), S. 180.



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tet.186 Beide Libretti nach alttestamentarischen Stoffen greifen teilweise wie­ der auf formale Lösungen der frühen Stücke zurück, mit vergleichsweise langen Redepassagen und einer Häufung von Alexandrinern, die gezielt rhe­ torische Passagen kennzeichnen, wie beispielsweise die Wechselreden zwi­ schen Daniel und Sesbazar.187 Konservative Liedstrophen wechseln mit pro­ gressiven Da capo-Arien.188 Dieser Formwandel könnte dafür sprechen, dass die biblischen Libretti wieder von Sophie Elisabeth vertont wurden, wenn man wie Aikin gegen Buschs einleuchtende Befunde davon ausgeht, dass die progressiveren mythologischen Sujets von Löwe vertont wurden. Dafür spräche, dass Anton Ulrichs Librettotätigkeit abbricht, nachdem Löwe 1663 den Hof verlassen hatte. Tatsächlich schließen sich beide Befunde nicht aus. Vielmehr ist anzunehmen, dass Sophie Elisabeth und ihr Hofkapellmeister für alle Vertonungen zusammenarbeiteten, zumal sie beide Schütz-Schüler waren. Wobei je nach Sujet oder Anlass mal die eine, mal die andere Kom­ positionsweise überwogen haben mag, sich also die musikalische Form an den Sujets orientierte und entsprechend für biblische Stoffe andere formale Lösungen zum Einsatz kamen, als für mythologische, genuine Opernstoffe romanischer Provenienz.189 Für Anton Ulrichs letztes (Opern-)Projekt Die verstörte Irmenseul von 1670 ist eine Aufführung im Familienkreis190 und eine spätere 1710 von Gymnasiasten in Blankenburg am Hof seines zweitältesten Sohnes Ludwig Rudolf (1671–1735) realisierte bekannt, die dem Text Gesänge einfügte.191 Es fällt damit aus dem Rahmen fürstlicher Repräsentation, hatte vielmehr of­ fenbar didaktische Zwecke, die sich jedoch in erster Linie auf die Spielenden und Singenden bezog.192 Das Stück spielt in der Zeit der Christianisierung Deutschlands. Im Zen­ trum stehen das Götzenbild des Irmenseul und die Bekehrung der Sach­ sen zum Christentum. Der Bruder des Dänischen Königs, Clodobaldus, ist mit seinem letzten noch verbliebenen Sohn Jacintus auf der Suche nach der von den Sachsen entführten Tochter. Ein älterer Sohn verschwand schon vor Jahren. Versehentlich tötet der Vater im Wald ein heiliges Schwein und verspricht zur Buße den zum Opfer zu bringen, der als erstes seinen Weg 186 187 188 189 190 191

Vgl. ebenda (1989), S. 181. In I/2. Vgl. Anton Ulrich: Werke, Bd. 1.2 (1982), S. 468. Weshalb Aikin die Stücke als relativen Rückschritt einstuft. Vgl. Aikin (2002), S. 201–202. Ebenda, S. 201. Mit den Kindern Anton Ulrichs und denen seines Bruders als Darstellern. Laut Spahr (1984, S. 608) stammen die für eine späte Aufführung durch Anton Ulrichs Kinder eingefügten Gesänge wohl nicht von Anton Ulrich selbst. 192 Die Überlieferung und Datierung ist komplex, doch lassen zwei Briefe an Birken, in denen 1670 die geplante Drucklegung des Werkes erwähnt wird, den Schluss zu, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war. Vgl. Henson (1980), S. 449–450.

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kreuzt – es ist Jacintus. Als Priesterin des Irmenseul treffen sie die gesuchte Schwester Hildegardis an. Zwei Liebespaare ergeben sich aus der im Wald umherirrenden und von zwei Helden geretteten Rothrudis, Tochter des in Sachsen eingefallen und bereits christlichen Charlemagne (Karl der Große). Einer der Helden hatte ihr bereits in Frankfurt vergeblich den Hof gemacht und verbirgt nun seine Identität. Er ist der verloren geglaubte Sohn Clodo­ baldus, sein Freund der ebenfalls verloren gegangene Sohn des Sachsen­ königs Wittekind, der sich sofort in Hildegardis verliebt. Jacinthus ist mit seinem Opfer einverstanden, da es der Wille seines Vaters und der verbind­ lichen Gottheit ist. Auch Wittekind fragt den Irmenseul um Rat und Beistand gegen die Invasoren und soll seinen soeben wiedergefundenen Sohn zum Opfer bringen. Hildegardis versieht den blutigen Tempeldienst ungern und will als zweite Iphigenie dem noch unbekannten Bruder und seinem Freund zur Flucht aus dem Tempel verhelfen: Ich finde euren stand mit meinem fast gemein. Aus meines vatters haus ward ich gar jung entführet/ kam hier in dienstbarkeit. Ich meyn’/ ihr habt gespüret/ daß dieses amt/ das ich vertritt/ mir widrig sey. Ich wünsche tag und nacht/ mich bald zu sehen frey. Drüm führet mich von hier/ ihr mehr als kühne helden! Ihr hört mich euch hiermit den wahren grund vermelden. Ach! rettet euch und mich. Ich helf euch hier hinaus: daß ihr mich bringen solt in meines vatters haus.193

Den Widerpart bildet der Hohepriester des Irmenseul, eine echte Schur­ kenfigur, was sich fast zwingend ergibt, wenn ein Mensch der Hohepriester der Zerstörung ist. Die heidnische Gottheit ist durchaus kein Aberglaube, sondern wie im wenige Jahre später entstanden letzten Teil der Durchleuch­ tigten Syrerin Aramena von zerstörerischer Kraft. Als die beiden jungen Män­ ner geopfert werden sollen, taucht Charlemagne als Invasor und Retter auf. Statt ihre Kinder zu töten, bekehren sich die Wittekind und Cleobaldus zum Christentum und schließen Frieden mit Charlemagne, der durch die doppelte Hochzeit besiegelt wird. Vorbild für das Stück war ein lateinisches jesuitisches Ordensdrama194 von 1647 Clodobaldus, Saxonia conversa sive Clodobaldus, Danicae princeps cum tota familia a Carlo Magno, superato Vitigindo conversus des Nicolaus von Avancini

193 Anton Ulrich: Werke, Bd. II.2. Bühnendichtungen. Bearbeitet und herausgegeben von Blake Lee Spar. (1985), S. 289–290. 194 Anton Ulrich konvertierte 1709 zum katholischen Glauben, ohne dass dies allerdings nen­ nenswerte Auswirkungen auf seine Untertanen gehabt hätte.



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(1611–1686).195 Während im Ordensdrama die Christianisierung als Erlösung der Menschen aus heidnischer Barbarei glorifiziert wird, wobei „die Heiden in geschmackloser, oft grotesker Weise lächerlich gemacht, verunglimpft und zu Barbaren gestempelt“196 werden, sind Anton Ulrichs Germanen (die Wel­ fen/Guelfen) bereits edle Charaktere. Was ihnen zu einer gloriosen Zukunft fehlte, war nur noch die Konversion von der alten zerströrerischen Gottheit zum versöhnenden neuen Bund als ein Akt der Aufklärung von heidnischer Verwirrung. Ganz gleich, wie man die Anteile von Geschichte und Legende veran­ schlagen möchte: Mit Irmenseul hat Anton Ulrich zum ersten Mal eine klar historische Konzeption geschaffen. Zwar erscheint das Christentum in Per­ son Charlemagnes als der rettende deus ex machina, gleichwohl wird hier keine gestörte Harmonie wiederhergestellt, sondern eine chaotische Situa­ tion nachhaltig geordnet, der Gang der Geschichte mithin als ein sinnvoller, eschatologischer dargestellt. Das Christentum ist ein historisch zu verste­ hendes Ereignis auf dem Wege einer linearen Geschichtsentwicklung, das die Guelfen weniger in ein glückliches Jenseits als in eine glorreiche Zukunft führt – also aus Anton Ulrichs Sichtweise seine Gegenwart. Damit prälu­ diert Anton Ulrich die spätere Adelung seines eigenen Geschlechtes durch seine Vettern in Hannover mit der Oper Enrico Leone (1689) von Agostino Steffani (1654–1728) nach einem Libretto von Ortensio Bartolomeo Mauro (1634–1725). Die Repräsentation des Herrschers im (Musik-)Theater wird von der allegorischen auf die historische Ebene verschoben. Damit hatte Anton Ul­ rich – offenbar noch vor seiner ersten Reise nach Venedig und buchstäblich am Vorabend der ersten großen italienischen Librettoreform, die zu histo­ rischen Stoffen hinführen sollte – bereits den Schritt hin zum Dramma per musica vollzogen, und nach meiner Kenntnis das erste Stück nach ­einem his­ torischen Stoff des (frühen) Mittelalters geschaffen, das in engem Bezug zur Opernbühne steht. Selbst in Venedig entstammten die Opernstoffe zu dieser Zeit noch dem antiken Sagenkreis, der griechisch-römischen Historie und den Epen Tassos und Ludovico Ariosts (1474–1533).197 Auch wenn die fünf195 Jean-Marie Valentin vertritt hingegen die These, dass Anton Ulrich der vollständige Text nicht bekannt gewesen sein kann, da er erst 1675 erstmals vollständig gedruckt wurde und plädiert dafür, Nicolas Causssins (1583–1651) L’impieté domptée sous les fleurs de lys von 1629 als gemein­ same Quelle anzunehmen. Vgl. Jean-Marie Valentin: Anton Ulrichs Verstörte Irmenseul und Caussins Impiete Domptee. In: ‚Monarchus Poeta‘. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. Akten des Anton-Ulrich-Symposion in NANCY (1983). Chloe. Beihefte zum Daphnis 4 (1985), S. 290–302. 196 Elida Maria Szarota: Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts. Bern und München 1976, S. 47. 197 Vgl. Rosand (1991), S. 60.

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aktige198 Irmenseul in der ersten Fassung keine Gesänge hat, steht sie in der Linie der Libretti Anton Ulrichs, der nie ein weiteres gesprochenes Drama geschaffen hat. Entsprechend folgt der Text der Librettodramaturgie der ge­ doppelten Liebespaare als treibender Kraft der Handlung und dem Lieto fine, nicht etwa der des Märtyrerdramas. Der Text ist am besten als eine ver­ hinderte Oper zu beschreiben, da Anton Ulrich um 1670 seiner singenden und spielenden wie komponierenden Familienmitglieder beraubt war, gleich­ wohl noch nicht auf eine professionelle Hofkapelle zurückgreifen konnte. Anton Ulrichs Libretti entwickeln sich nicht auf einen statischen Idealtypus nach italienischen Vorbild (Orpheus nach Florentiner bzw. Iphigenie nach ve­ nezianischem Vorbild) zu, sondern bilden eine Serie von Experimenten, die in direktem Zusammenhang mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und Partnern eine Fülle verschiedener Verfahrensweisen erschließen.199 Mit zu­ nehmender Souveränität werden diese Formen selbst zum Ausdrucksmittel, wie beispielsweise der Alexandriner als Signatur für rhetorische Inhalte, und sollten mit diesen Verfahren prozessualen Erzählens ab ca. 1673 direkt in Anton Ulrichs Romane übergehen. Anton Ulrichs Tätigkeit als Librettist endete weitgehend, als sein Bruder Rudolf August (1627–1704) nach dem Tod des Vaters im September 1666 ein Jahr später die Regentschaft antrat. Der eher der Jagd als den Künsten verpflich­ tete, zurückgezogen lebende und überdies pietistischen Anschauungen zunei­ gende Herzog hatte schon bei seinem Amtsantritt die Hofkapelle aufgelöst. Sophie Elisabeth lebte auf ihrem Witwensitz in Lüchau, Johann Jacob Löwe 198 Die Akteinteilung steht bei Anton Ulrich im direkten Zusammenhang mit der formalen Aus­ richtung. Während die frühen und allegorischen Stücke Amelinde, Regier-Kunst-Schatten und Seli­ mena fünfaktig sind, sind die ausdrücklich auf die italienische Librettoform bezogenen Stücke Andromeda, Orpheus und die umfangreiche Iphigenie sowie der späte Hofmann Daniel in drei Akte untergliedert. 199 Damit steht Anton Ulrich voll in der Tradition der deutschen Barockoper, die eine beson­ dere Bandbreite dramatischer Formen vom christlichen Moral- und Erbauungsstück und Märtyrerdrama über (antikisierende) Schäferspiele und Trionfi bis zur historischen Hauptund Staatsaktion entwickeln und pflegen sollte. Exemplarisch sei auf Lucas von Bostel (1649–1716)/Reinhard Keisers Croesus (1711) verwiesen, in dem eine (christliche) Morallehre (Hochmut und Fall) den Rahmen bildet für eine historische Geschichte. Hinzu kommt die galante Liebeshandlung zweier Paare nach dem Vorbild des italienischen Dramma per musica, die in sich wieder eine bemerkenswerte Moral birgt, in der man geneigt ist, bereits vorbür­ gerliches Bewusstsein zu erkennen: In einer reversen Vorwegnahme von Carlo Goldonis (1707–1794) La buona figliuola (1760) muss hier die Prinzessin lernen, in dem stummen und als Bauer verkleideten Prinzen Atys den Menschen zu lieben und nicht die gesellschaftliche Posi­ tion. Die Überkreuzung der verschiedenen Gattungen zeigt sich u.  a. an den Stimmlagen der Figuren. Crösus ist als Bass eher der deutschen Operntradition verpflichtet (nach italienischer Tradition wäre er eher eine Tenorpartie), die beiden jungen Adeligen der galanten Handlung sind hingegen Altisten und bilden somit die italienische Praxis hoher Männerstimmen ab.



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hatte bereits 1663 den Hof verlassen und Sibylla Ursula war im selben Jahr nach Holstein verheiratet worden. Damit waren Terpsichore und Polyhymnia für die folgenden 20 Jahre aus Braunschweig vertrieben, und Anton Ulrich muss nicht wenig darunter gelitten haben, als er seine sang- und klanglose Irmenseul schrieb. Er benötigte einige Jahre, um seine Position als jüngerer Bruder zu festigen, ehe er ab 1674 daran gehen konnte, abermals Rahmenbedingungen für Musiktheater zu schaffen und eine neue Hofkapelle aufzubauen. Sein Bruder ernannte ihn erst zum Statthalter und damit zum zweiten Mann im Staate. 1680 reiste Anton Ulrich erstmals zum Karneval nach Venedig und bereits im folgenden Jahr begleitete ihn seine Familie mit standesgemäßer Dienerschaft. In seiner Opernleidenschaft traf sich Anton Ulrich mit seinen Cousins des Hauses Hannover. Gegenüber der aufstrebenden jüngeren Welfenlinie stets an Macht, Einfluss und finanziellen Mitteln im Hintertreffen, versuchte Anton Ulrich doch auf dem Feld der Oper mit ihnen zu konkurrieren, wenn­ gleich die lediglich zwei ihm gewidmeten Libretti  – eines davon von Au­ reli200 – auch hier das Kräfteverhältnis überdeutlich zeigen.201 Bereits 1682 brachte Anton Ulrich den opernerfahrenen Komponisten Johann Rosenmüller (1619–1684) aus Venedig als Hofkapellmeister für Wol­ fenbüttel mit. Rosenmüller starb nur zwei Jahre später, und ihm folgte für kurze Zeit Johann Theile (1674–1724) im Amt nach. Nachdem er 1685 Mit­ regent seines Bruders geworden war,202 gründete Anton Ulrich gemeinsam mit ihm das erste Opernhaus in Wolfenbüttel. Im Wettstreit mit den Cousins in Hannover folgte schließlich 1690 der Bau des Braunschweiger Opernhau­ ses, das zu Messezeiten auch bürgerlichem Publikum offenstand und dank seiner Finanzkraft eine größere Anzahl von Aufführungen erlaubte.

2.9  Die Romane Anton Ulrichs von Braunschweig und Lüneburg Die Libretti in den Romanen haben entstehungsgeschichtlich Brückenfunk­ tion zwischen dem dramatischen und dem epischen Werk. Anton Ulrich kompensierte damit die opernlose Zeit zwischen dem Ende der familiären Opernaufführungen und dem Wiedereinsetzen der Oper in Wolfenbüttel und Braunschweig respektive seinen Reisen nach Venedig. Darüber hinaus halten mit den Libretti darstellerische Methoden Einzug in den Roman, die

200 Olimpia Vendicata 1682. Vgl. Smart (1989), S. 233. 201 Für Anton Ulrichs politische Bestrebungen vgl. u.  a. ebenda, S. 195–230. 202 Vgl. ebenda, S. 195.

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in der Folge direkt in den Prosatext übertragen werden.203 Das Ende der Li­ bretti ist zugleich der Anfang von Anton Ulrichs Romanwerk. Mit Die Durch­ leuchtigte Syrerin Aramena (begonnen ca. 1663204, erschienen 1669 bis 1673) und Die Römische Octavia (1673 bis 1713 unvollendet) schuf er den Typus des höfisch-galanten Barockromans, den u. a. Daniel Caspar von Lohenstein (1635–1683) für Arminius (1689) aufgreifen sollte.205 Verglichen mit Arminius sind die Romane Anton Ulrichs mit ihrer sprachlichen Eleganz und innerhalb der einzelnen Episoden geradlinigen Erzählführung für den heutigen Leser sehr viel besser zugänglich, was allerdings im Gegensatz zur Forschungslage steht.206 Barock sind vor allem die Ausmaße der Romane in fünf, respektive die unvollendete Octavia in 8 Bänden. Die Lebens- und Liebesgeschichten des zentralen hochadeligen Personals vollziehen sich in Verschlingungen, Täuschungen, Trennungen und Verwechslungen, durchbrochen durch un­ zählige kleinere Lebensgeschichten und Episoden, die zuweilen von den Fi­ guren selbst, häufiger aber von einer nahestehenden Person erzählt werden. Dabei können kleine Details nach vielen hundert Seiten plötzlich tragende Funktion entfalten und demonstrieren die Lust ihres Schöpfers an der Er­ schaffung einer der Realität vergleichbar komplexen und zugleich bei allen Verschlingungen geordneten Welt. Die Liebesgeschichten vollziehen sich vor zwei historischen Gelenkstellen der christlichen Zeitrechnung. Aramena in alttestamentarischer Zeit am Übergang vom Heidentum zum mosaischen Glauben, der hier großzügig als Analogie zum Christentum verstanden wird, Octavia im Rom der Christenverfolgungen der Nerozeit. Beide Romane dre­ hen sich, wie Blake Lee Spahr und Stephan Kraft gezeigt haben, um die Dar­ stellbarkeit von geschichtlichen Ereignissen innerhalb eines angenommenen göttlichen Heilplans. In beiden Romanen sind Libretti eingestellt;207 in der Aramena im 5. Band und in den unmittelbar nacheinander zwischen ca. 1673 und 1679 entstanden ersten drei Büchern des ersten Bandes der Römischen Octavia. 203 Beispielsweise die Komik. 204 Vgl. Spahr (1966), S. 11. 205 Vgl. Günther Müller: Barockromane und Barockroman. In: Literaturwissenschaftliches Jahr­ buch der Görres Gesellschaft 8 (1936), S. 1–29, hier: S. 27. Vgl. Stephan Kraft: Geschlossen­ heit und Offenheit der Römischen Octavia von Herzog Anton Ulrich. „Der Roman macht ahn die ewigkeit gedencken, den er nimbt kein endt“. Würzburg 2004, S. 12–13. 206 Vgl. Kraft (2004), S. 7–8. 207 Im achten Band des zweiten Teils von Lohensteins Arminius (Daniel Caspers von Lohenstein Arminius anderer Theil. Mit angenehmen Kupffern gezieret. Leipzig 1690, S. 1404–1456.) finden sich ebenfalls drei dramatische Einlagen, die zwar als „Schauspiele“ bezeichnet, gleich­ wohl zur Musik gesungen werden. Abgedruckt sind die strophischen Gesänge (häufig wech­ selnd zwischen vierhebigen Jamben und Alexandrinern) und einige wenige Rezitativpassa­ gen, die dramatische Handlung wird von Prosatext zwischen den Gesängen berichtet. Breite Tanzszenen runden das Spektakel ab. Auch hier versuchen die Romanfiguren das allegori­



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Auf die eingestellten Libretti wird von Kraft wie von Spahr eingegan­ gen, ohne dass jedoch ihre spezifische Funktion innerhalb des poetischen Gefüges – jenseits der gebräuchlichen Theatermetapher208 und der eher va­ gen Vorstellung von der Inkorporation des Welttheaters in die epische Welt­ darstellung – geklärt werden könnte. Kraft betont den innovativen Zugriff auf die verschiedenen Stilebenen: Die hier vorgeführte Fähigkeit zur Transformation durch Inkorporierung von Ele­ menten des jeweiligen Gegenstücks [der Komik, Elementen des niederen Romans, Anm. T.H.] wurde von der Forschung […] bisher fast ausschließlich beim niederen Roman gesucht.209

Zu klären ist also, welche Rolle die Libretti in dieser Öffnung und Pluralität spielen.

2.9.1  Die Durchleuchtigte Syrerin Aramena – der Einbruch der Affekte Der Roman entstand auf der Basis eines ersten Manuskripts von Anton Ul­ richs begabter Schwester Sibylla Ursula und wurde vor der Drucklegung von Anton Ulrichs Supervisor Birken redigiert.210 Er erschien zwar anonym, doch in für die Leserschaft leicht zu durchschauendem Inkognito. Nicht, weil lite­ rarische Tätigkeit einem Herzog unziemlich gewesen wäre, vielmehr konnte es sich der adelige Literat leisten, inkognito zu publizieren, da er nicht darauf angewiesen war, vom Ertrag seiner Feder zu leben. Durch seine Welthaltigkeit unterscheidet sich der galante Roman von der Hand des Herrschers von staubiger bürgerlich-humanistischer Buchgelehr­ samkeit. Aus diesem Grundsatz heraus ist die parallel zum Erscheinen der hier betrachteten Romanteile ausbrechende Querelle des anciens et des modernes in Frankreich mit ihrer Aufwertung humanistisch informierten Schreibens auch als ein früher Akt bürgerlicher Emanzipation zu verstehen, in dem die sche Geschehen an die Handlung rückzubinden indem sie sich bemühen, die Figuren der Schauspiele den Personen der Handlungsebene zuzuordnen, was jedoch nicht gelingen kann und zu einer ironischen Brechung der Handelnden führt, weil die Schauspiele gerade keine allegorische Überhöhung der Handlung sind, sondern als Gegenthese zum Staatsroman die Ethik der Liebesheirat thematisieren. Vgl. Thomas Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik. Eine Re­konstruktion des Lohensteinschen Arminiusromans. Tübingen 1992, S.  430–442. Vgl. außerdem: Elida Maria Szarota: Lohensteins Arminius als Zeitroman. Sichtweisen des Spätbarock. Bern und München 1970, S. 410–419. 208 Vgl. Kraft (2005), S. 37. 209 Ebenda, S. 48. 210 Vgl. die ausführliche Darstellung von Blake Lee Spahr: Anton Ulrich und Aramena, Genesis and Development of a Baroque Novel, University of California Publications in modern Phi­ lology. Vol. 76. Berkeley und Los Angeles 1966, S. 25–51 und S. 80–130.

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Oper als aristokratische Gattung und Vollendung des galanten Ideals im All­ gemeinen und Alceste ou le triomph d’Alcide im Besonderen eine noch im Detail zu erläuternde Rolle spielen. Selbst Gottscheds halsstarrige Unbelehrsamkeit gegenüber der Oper hängt u. a. damit zusammen, dass er sich die Oper nicht als eine genuin bürgerliche Kunst vorstellen konnte. Anton Ulrich zieht immer wieder die unbescheidene Parallele zwischen dem Schöpfergott und dem Romanautor als Poeta Serenissimus. Der Roman­ autor ist dem Herrscher affin, der ein Staatsgebilde ordnet und lenkt. Beide Romane sind daher auch Staatslehrschriften über den richtigen Umgang im komplexen Geflecht höfischer Gesellschaften. Die Staatsromane des späten 17. Jahrhunderts fungieren entsprechend als Lehrbücher des galanten und politischen Betragens211, wie Christian Thomasius (1655–1738) in den Mo­ natsgesprächen betont: und bin ich der Meynung/ daß ein junger Mensch/ wenn ein Hoffmeister z. e. die Octavie mit ihm durchgehen/ und ihm darbey die darinnen gebrauchte Kunst nebst denen darinnen versteckten sowol Politischen als Sitten=Lehren zeigete/ daraus tausendmahl mehr Nutzen haben solte/ als wenn er alle libros ad Nicomachum nebst denen magnis moralibus und libris Politicorum außwendig könte.212

Der Roman gliedert sich damit ein in den für das deutsche Musiktheater festgesellten pädagogischen Impetus, den Anton Ulrich in der Serie seiner Libretti konsequent von der geistlichen auf eine weltliche Deutung verscho­ ben und dabei am Ende sogar alttestamentarische Sujets und mit Irmenseul ein jesuitisches Propagandastück in eine Schule für gute Herrscher verwandelt hatte. Damit bilden Anton Ulrichs Libretti und Romane das genaue Gegen­ über zu Weißes Schuldramen und Romanen,213 die Schüler auf das Leben als höfische Untertanen vorbereiten und dazu mit den Finessen politischen Betragens vertraut machen sollten. Schließlich sollte die deutsche Barock­ oper besonders im nahen Hamburg den Faden wieder aufnehmen und sich ab 1700 als Schule galanten Verhaltens für ein aristokratisches wie ein sich an dessen Regeln orientierendes großbürgerliches Publikum verstehen.214 Aramena ist ein Schlüsselroman, in dessen Figuren Mitglieder des Hochadels portraitiert sind. Auch wenn die Entschlüsselung einen Gutteil des Lesever­ gnügens für die Eingeweihten ausmachte,215 war sie für die breitere Rezep­ 211 Vgl. Kraft (2004), S. 65–66. 212 In: Monatsgespräche, Freymüthiger Jedoch Vernunfft- und Gesetzmäßiger Gedancken/ Uber allerhand/ fürnehmlich aber Neue Bücher Augustus des 1689. Jahrs, S. 659. 213 Insbesondere Die drey ärgsten Ertz-Narren in der gantzen Welt. 1672. 214 Vgl. die ausführliche Darstellung im Kapitel: Die Hamburger Dramaturgie 1696–1719. 215 Und lange das Interesse der Forschung dominierte.



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tion nicht ausschlaggebend, denn Aramena und Octavia blieben bis weit ins 18. Jahrhundert ein weit verbreiteter Lesestoff, an dem sich sowohl der junge Goethe als auch Wieland vergnügten.216 Jeder der Bände ist einer Spielart der Freundschaft aus Anton Ulrichs Umfeld gewidmet, Band III mit der Wen­ dung „Bluts-Freundschaft“ an Sibylla Ursula, Band  IV „Der Vermählten Freundschaft“ zu Anton Ulrichs Gemahlin Elisabeth Juliane (1734–1704) und schließlich Band V „Der unbekanten Freundschaft“ zu Regina Catharina von Greiffenberg (1633–1694), die Anton Ulrich nie persönlich kennen lernte.217 Der 1673 erschienene letzte Teil der Durchleuchtigten Syrerin Aramena entstand nach Sibylla Ursulas Tod.218 Er trägt den Zusatztitel Mesopotamische Schäferei, der bereits das poetologische Programm andeutet und ist von der vorangehenden Romanhandlung deutlich abgesetzt. Nach Lösung der zen­ tralen Konflikte, die zumeist von der Elterngeneration durch unpassende Heiratspläne oder Begehrlichkeiten alternder Könige ausgelöst wurden, trifft sich das aus den vorhergehenden Bänden vertraute hochadelige Personal der jungen Generation abseits ihrer Reiche und Wirkensgebiete auf Einladung Aramenas im als arkadischer Ort fungierenden Mesopotamien. Einige der noch offenen bzw. im vierten Teil unbefriedigend gelösten Liebeskonflikte werden zu einem Ende geführt: So taucht beispielsweise der tot geglaubte Eliser in Gestalt des Tuscus Siceaneus wieder auf, und es erfüllt sich die Liebe der Ahaliabama, die ihrem Gemahl nur in einer Scheinehe angetraut war, wodurch dieser frei wird für ihre Cousine gleichen Namens. Weitere totgeglaubte Prinzen und Prinzessinnen kehren am Ende wieder und werden mit ihren treu gebliebenen Partnern zusammengeführt. Aus der noch vollzogenen Handlung erklärt sich die Notwendigkeit eines 880 Seiten umspannenden fünften Teils freilich nicht, der relativ problemlos als in sich abgeschlossener Roman lesbar ist. Die Pastorale ist bereits auf der Handlungsebene eine doppelte. Das Volk Mesopotamiens sind tatsächlich Schäfer. Darüber existiert eine Füh­ rungsschicht von Schäferfürsten wie Laban, die in ihrem Bestreben, dem Hochadel nachzueifern zwar mehr oder weniger ironisiert werden, denen gleichwohl hohe Gefährlichkeit bescheinigt wird. Die Fürstensöhne wiede­ rum verkleiden sich als Schäfer auf der Suche nach ihren verschollenen Ge­ liebten respektive die entführten Prinzessinnen auf der Flucht vor ungebete­ nen Verehrern. Dennoch ist diese Pastorale weit entfernt von porzellinernen Melkeimern à la Marie Antoniette. Das Inkognito ist für den Leser wie für 216 So lässt Goethe seine Schöne Seele im 6. Buch von Wilhelm Meisters Lehrjahren schreiben: „aber die Römische Oktavia behielt vor allen den Preis“. FA I, Bd. 9, S. 730. Vgl. ferner: Christoph Martin Wieland: Was ist Hochdeutsch? In: Ders.: Schriften (2005) Bd. I, S. 12. 217 Vgl. Spahr (1966), S. 18. 218 Am 12. Dezember 1671.

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das fürstliche Personal nicht immer gleich durchsichtig. Manch einer verrät sich durch sein edles Betragen, doch die Grenzen sind fließend. Dass hinter den Schäferinnen Aprite und Balise zwei Damen von Adel stecken müssen (die sich als Inkognita die weiblichen Formen der Namen ihrer Geliebten gegeben haben) ahnt der Leser vor allem auf Grund des Umfangs, der ihren Abenteuern eingeräumt wird. In ihrem Verhalten sind sie (insbesondere die spöttische Aprite) kaum von der weniger tugendhaften tatsächlichen Schä­ ferin Amphilite unterschieden, und beide werden als hart mit handfesten Dreschflegeln arbeitende Mägde geschildert. Breiten Raum nimmt im Ro­ man die Diskussion um die Vielehe ein als vermeintliche Lösung verschie­ dener Liebeskonflikte. Etwa für die Liebe des mit der einen Ahaliabama ver­ heirateten Fürsten von Dison, der die zweite Ahaliabama liebt und von ihr wiedergeliebt wird. Als Zweitfrau wäre die vermeintliche Schäferin Aprite für den Fürstensohn Nahor eine schickliche Option, doch ebenso schicklich erscheint allen Beteiligten, dass eine tugendhafte junge Frau aus unterster sozialer Stellung (!) sich dagegen wehrt. Nahor entschließt sich daher bald, sie zu seiner einzigen und Hauptfrau zu machen mit der Begründung, sie sei wenn auch nicht von Geburts- so doch von einem solchen Tugend- bzw. Seelenadel, dass sie eine schickliche Partnerin für einen Fürsten darstelle (!). Im Verlauf der Handlung schwenken immer mehr der adeligen Figuren auf diese Position ein, am Ende sogar der etwas dünkelhafte Vater Nahors Laban und sein standesbewusster Bruder. Lediglich Aprite (alias Amorite) weigert sich standhaft und wird am Ende durch die Wiederkehr ihres verschollenen Apris belohnt. Der freilich prekärste Gegenstand dieser Diskussion ist die scheinbar noch immer bestehende Liebe des syrischen Königs Aramenes zu seiner Schwester Aramena, Königin von Mesopotamien. Unter anderen Na­ men und ohne Kenntnis ihrer nahen Verwandtschaft waren beide über weite Strecken des Romans ein Liebespaar. Als sie ihre Verwandtschaft erkennen, gehen beide andere Beziehungen ein, die im Roman zwar als glückliche Auflösung beschrieben werden, doch bleibt die große Liebe der Geschwis­ ter das unauflösbare tragische Moment des Romans. Die syrische Königin Cölidiane, die wegen der beständigen Schwermut ihres Gemahls um dessen Gesundheit fürchtet, argumentiert daher mit Beispielen aus der Historie für die Möglichkeit einer Ehe zwischen Bruder und Schwester und wäre sogar bereit, den Platz der Erstfrau an Aramena abzutreten, die diese Option frei­ lich von sich weist. Bereits auf den ersten zwanzig Seiten des fünften Buches wird der das Buch umspannende politische Konflikt exponiert. Demnach hat der syrische König Aramenes seine Schwester Aramena mit deren Einverständnis dem Tuscus Siceaneus zur Frau versprochen. Aramena wartet in Mesopotamien auf ihren Bräutigam, den sie unter dem Namen Cimber einst kennen und lieben gelernt hat. Dieser jedoch verhält sich befremdlich. Nicht nur, dass



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er sich sorgsam von der Königin fernhält und ihr auch in größter Bedräng­ nis nicht zu Hilfe eilt, als der rückhaltlos in Aramena verliebte König von Basan sich seinem Nebenbuhler in einer Schlacht gegenüberstellt, tritt er diesem seine Verlobte bereitwillig ab. Die Berichte, die zu Aramena gelan­ gen, sind zwiespältig und sorgen dafür, dass die Titelfigur nicht nur einem beständigem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt ist, sondern, was schlim­ mer ist, nicht weiß, ob sie den am meisten geliebten Menschen noch trauen kann: ihrem Bruder und ihrem Verlobten. Trug, Verstellung, Verwechslung, Eifersucht und Treue sind die Zentralmotive der Handlung, die in zahlrei­ chen Einschüben verschiedener Lebensgeschichten und Rückblenden in die vorangegangenen Bände erzählt werden, so dass der Leser viele Episoden aus verschiedenen Blickwinkeln erfährt und dabei stets das zentrale Pro­ blem epischen Erzählens mit zu berücksichtigen hat: Wer erzählt gerade die Geschichte? Der fünfte Band ist mit strophischen Gedichten unterschiedlicher Art durchzogen, die anders als in den vorangegangenen Teilen häufig als Lieder definiert sind. Spahr hat zahlreiche dieser Gedichte anderen Autoren als An­ ton Ulrich zugewiesen, allen voran Birken, gefolgt von Marie Elisabeth (der Schwester Anton Ulrichs)219 und der begeisterten Leserin der Aramena Catha­ rina Regina von Greiffenberg, die unter dem von ihr selbst verwendeten In­ kognito Uranie220 auftaucht und natürlich von Sibylla Ursula.221 Spahr sieht in der pastoralen Verortung des fünften Bandes das Konzept des von einem Kollektiv erstellten respektive unter Einbindung fremder Anteile (anonym) publizierten Kunstwerks – eine Praxis, die vor allem für die Nürnberger Peg­ nitz Schäfer typisch war.222 Allerdings gilt der Befund einer intensiven Koope­ ration von mindestens drei Personen im Rahmen eines anonym (gleichwohl durchsichtig) publizierten Romans auch für die vorangegangenen vier Bände. In der Mesopotamischen Schäferei verbindet sich das vielfältig gebrochene Inkog­ nito der Urheber und Romanfiguren mit den retardierenden Elementen Lied bzw. Gedicht und den eingeschobenen Libretti jedoch zu einem Sprechen über den Roman. Im ersten Libretto findet die versammelte hochadelige Gesellschaft zu einem „geschichts=spiele“223 zusammen, das der Fürst Barzes und Hofmeis­ ter der Aramena im Garten ausgerichtet hat. Obgleich es die historisch-poli­ tische Abteilung innerhalb der Trias der eingestellten dramatischen Texte er­ 219 220 221 222 223

Vgl. Spahr (1966), S. 145. Vgl. ebenda, S 140. Vgl. ebenda, S. 139. Ebenda, S. 132. Mesopotamische Schäferei/ Oder Die Durschleuchtigte Syrerin Aramena. Der Fünfte und letzte Theil. Der Unbekannten Freundschaft gewidmet. Nürnberg 1673, S. 304.

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füllt, wird es über den Spielort in die pastorale Konzeption eingebettet. Das Publikum besteht ebenso wie die Spielenden exklusiv aus der Adelsgesell­ schaft, weil die „Syrische Fürsten/ nicht ratsam fanden/ solche belustigung in öffentlicher versamlung vorzunemen/ indem hiedurch leichtlich/ dem königlichen ansehen/ einiger abbruch hätte wiederfahren können.“224 Wie bei den Darbietungen der fürstlichen Familie zu den Geburtstagsfesten des Herzogs ist es durchaus nicht anrüchig für die adeligen Spieler, sich auf der Bühne zu produzieren und dabei auch von einem größeren als dem Familien­ kreis gesehen zu werden, sofern dieser ebenfalls aus adeligen Personen (und einigen Dienern) besteht. Die Der-Pöbel-bleibt-draußen-Politik vermehrt al­ lerdings den Unmut wenigstens bei den Mitgliedern der Schäfer-Oligarchien, namentlich bei den einflussreichen Richtern und ihren Gattinnen, die vor dem zweiten Spiel lautstark Einlass begehren und sich nur unter Drohungen zurückziehen225 – bereits als Vorgeschmack auf die Ereignisse am Ende des Romans. Das Stück beginnt mit einer Auflistung der Rollennamen und ihrer aus dem Romangeschehen vertrauten Spieler. Der Leser hat die gespielte Epi­ sode bereits auf den ersten Seiten des fünften Bands226 als die Geschichte von Baleus und Herzine erfahren, ist also in derselben Position wie die ade­ ligen Spieler und Zuschauer. Der Text ist in Alexandrinern mit ausladenden Monologpassagen abgefasst227 und grenzt sich damit deutlich vom Rezitativ der Anton-Ulrich’schen Singspiele ab. Doch mit den Regieanweisungen ver­ wandelt der Roman das Sprech- zum Musiktheater. Dem Stück voran geht „eine [vom Leser sich vorzustellende] verborgene musik von trompeten und pauken […] und zwar auf eine solche weise/ daß die zuhörer hierbei eine feldschlacht ihnen fürbilden musten“.228 Zwischen den Szenen ertönt aber­ mals eine „kriegerische musik“229. Der erste Zwischenraum provoziert einen aufschlussreichen Kommen­ tar des Königspaars von Syrien. Als Schutzreaktion gibt der König vor, dass der Sinn des Spiels sich ihm nicht erschließe, doch seine Gemahlin Cölidiane konfrontiert ihn mit seiner verräterisch affektiven Reaktion, als Aramena in der Rolle der Morine hatte verlauten lassen, dass Sie erst einmal geliebt habe und diese Liebe keine Glückliche gewesen sein, da, so die Königin „seufzete

224 225 226 227

Aramena (1673), Bd. 5, S. 305. Ebenda, S. 420. Ebenda, S. 21. Was allerdings nicht grundsätzlich dem gesungenen Rezitativ entgegensteht, denn auch Fried­ rich Christian Bressands (1670–1699) Libretti der 1690er Jahre verwenden Alexandriner für das Rezitativ. 228 Aramena (1673), Bd. 5, S. 305. 229 Ebenda, S. 312.

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mein König nicht allein/ sondern sagte auch bei sich selber : dieses ist wol die warheit !“230 Das Musikdrama demonstriert die Brüchigkeit der auf der Narrations­ ebene als glücklich beschriebenen Lösungen, indem es die verdrängten Lie­ besaffekte zwischen Bruder und Schwester aufscheinen lässt und folglich im Medium des Librettos die auf der Handlungsebene realisierte Affektkon­ trolle als Aporie entlarvt respektive deren prekäres Schwanken offenlegt. Zentral ist die Szene des gefangenen Jaboth: Da „hörte man von weiten eine sehr traurige Feldmusik anstimmen“231. Sein musikbegleiteter Monolog im Kerker ist ein schrittweiser Abschied von der Welt und dem Leben und die Vorbereitung auf den Tod in vier Strophen, die mit der Zeile schließen: „drum fort mit mir ! ich bin bereit.“232 Die Verse sind vierhebig jambisch mit Reimschema abbacc. Die erste Zeile mit ihrer angedeuteten Mittelzäsur und die beiden folgenden rhythmisch fließenderen (stärker affektiven) – wieder aufgefangen von den wiederum stärker reflektierenden Zeilen mit Mittel­ zäsur – evozieren die Melodie dieses Lamentos. Die erste Halbzeile jeder Strophe kehrt als Aussage und Fazit an ihrem Ende wieder. „Dieses lied wurde von dem König Armizar/ der den gefangenen Jaboth fürstellte/ in ein verborgenes seitenspiel gar beweglich gesungen/ massen dieser herr überaus wol die musik verstunde : und wurden alle zuhörer dadurch beweget/ son­ derlich aber seine schwester/ die Prinzessin Indaride.“233 Eine Mittelstellung zwischen Klage und Reflexion nimmt der Entschei­ dungsmonolog des Oxiartes eine Szene zuvor ein. Oxiartes muss entweder den Gefangenen Jaboth gegen den Willen seines Volkes freilassen, womit er einen Staatsstreich zu provoziert, bei dem er Reich und Krone verlöre, oder aber ihn hinrichten lassen und damit das Leben seiner von der Gegen­ seite als Geisel genommenen Geliebten, der Prinzessin Balinde, verwirken. Staatsräson und Liebe, Vernunft und Affekt liegen miteinander im Wider­ streit, was der Text durch den Wechsel zwischen Alexandrinern (in denen die Staats- und Vernunftsargumente verhandelt werden) und vierhebigen Jamben umsetzt, die regelmäßig zwei und zwei wechseln, jedoch durch das paarige Reimschema untereinander verbunden sind:     Was soll ich immermehr beginnen? für welchen teil ist hier ein rath wohl aus zusinnen? es wackelt meine kron : es bebet meine lieb.     Wan ich Balinden mich ergib/     So gehet Bactra ganz verloren. 230 Ebenda. 231 Ebenda, S. 314. 232 Ebenda, S. 315. 233 Ebenda.

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Oper – Operntext – Lesetext Erwehl’ ich mir das reich : muß die/ die ich erkoren/ des bittren todes seyn. was kies’ ich unter euch?     da ich ja leider ! nicht zugleich     für beyde hier vermag zu leben.234

Symptomatisch beginnt die Passage mit einem emphatischen Kurzzeiler: „Was soll ich immermehr beginnen?“ und schließt mit dem Sieg von Ra­ tio und Staatsräson, sinnfällig in der letzten Alexandrinerzeile: „Wolan der Schluß ist fast. Laß Rodias ! dich sprechen.“235 Oxiartes fasst den rationalen Fehlentschluss, Jaboth hinrichten zu lassen und anschließend mit einem An­ griff entweder Balinde zu befreien oder wenigstens mit ihr zu sterben. Wenig später erscheint die Geisel jedoch im Lager, um den König Ja­ both mit ihrer Person auszulösen. Oxiartes kann auf den Handel nicht ein­ gehen und die Prinzessin möchte lieber zurückgehen und sterben als wort­ brüchig ihre Ehre zu verlieren. Damit befindet man sich auf der Peripetie der Handlung, die vom Strukturmoment des Opernlibrettos (Lieto fine) entschieden wird: Ausgerechnet der vorherige Kriegstreiber Siparis kommt mit der Kunde, das Heer sei vom Beispiel der Prinzessin angerührt und be­ schwichtigt, wolle nun Frieden statt der Hinrichtung. Dass hier ausdrücklich der „pöbel“236 zum deus ex machina wird, wird einigermaßen überraschend mit der göttlichen Gnade und Vorsehung erklärt, die ihm diesem Wandel eingegeben habe, und augenblicklich herrscht Friede und innige Verbunden­ heit zwischen der künftigen Königin und dem ehemaligen Hauptfeind des Landes. Gerade auf Grund der Verbindung einer ernsten und tendenziell tra­ gischen Handlung unter hohem Personal bot sich das Muster der Oper für die in diesem Stück vertretene historische Abteilung an: Nur so ließ sich die Teleologie guten und lauteren Verhaltens und göttlicher Gnade zum guten Ende unmittelbar darstellen, und wie mit Irmenseul wird auch hier das histori­ sche Drama mit Verfahrensweisen des Librettos verbunden.237 Das Stück entwickelt die Textgestalt des Leselibrettos mit wenigen, deutlich situativ-klanglich (etwa als Lamento) verorteten und als Arien zu denkenden dramatischen Monologen gegenüber breiten Alexandriner-Pas­ sagen. Der regelhafte Alexandriner ist (nicht nur) bei Anton Ulrich Signatur ­eines dramatischen Lesetextes. Seine zur Komposition bestimmten Libretto­ texte verwenden bekanntlich bereits seit den 1660er Jahren den Madrigal­ vers für das Rezitativ. Doch auch sein in der Fassung des Erstdruckes über­ 234 235 236 237

Ebenda, S. 313–314. Ebenda, S. 314. Ebenda, S. 321. Die Komik tritt dabei zurück und die Dienerfiguren sind eher nieder als verlachenswert.



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wiegend in Alexandrinern gestaltetes Schauspiel Irmenseul unterscheidet sich deutlich von der hier vorliegenden Textform. Denn dort sind, eine frühere Praxis aus der Amelinde238 aufgreifend, die im Druck eindeutig als einem Vers zugehörenden Teile der Alexandrinerverse in zügigem Wechsel häufig zwi­ schen zwei Sprechern geteilt,239 wie überhaupt die Wechselrede gegenüber dem Monolog dominiert. Das zweite in die Aramena eingestellte Stück Der Tugend und der Laster Lohn, ist fast durchgängig in allerdings achthebigen trochäischen Versen ge­ staltet. Das Stück kommt ohne explizite Gesangsstücke aus, lediglich Adoni­ sedech, die Tyrannenfigur hat einen Monolog in vier symmetrisch gebauten Strophen, die alle nach dem selben Muster gebaut sind (jambisch, 6–4-4–64–6, Reimschema aabcbc). Auf das Musiktheater verweisen abermals die Musik zwischen den Szenen und das Lieto fine. Ungewöhnlicherweise treten hier die Spieler unter ihren eigenen Namen auf, wie von Aramena angemerkt wird: „Dieses ist frömd genug ersonnen/ (sagte die Königin von Mesopo­ tamien) indem sie ihre eigene namen behalten/ und mit denen die rechten verbergen wollen/ die sie vorzustellen gedenken : wird also das errahten zwar schwer fallen/ iedoch sehr angenehm seyn.“240 Die Handlung entwickelt sich nach dem Muster einer galanten Märtyrer­ tragödie: Das liebende Paar ist auf einer wüsten Insel einem weiblichen und einem männlichen Tyrannen ausgeliefert und wird von ihnen damit bedroht, dass, sollten sie dem Werben nicht nachgeben, der bzw. die Geliebte getötet wird. Während der Mann eher geneigt ist, auch unter diesen Bedingungen das Leben der Geliebten zu retten, besteht diese darauf, lieber das Leben als den Geliebten oder die Treue zu verlieren. Die Lösung kommt abermals unvermittelt, indem die Freunde des Paares zur Rettung auf der Insel ein­ treffen, worauf das böse lüsterne Weib, verkörpert von Jaelinde, sich selbst entleibt.241 Mord und Selbstmord auf offener Bühne sind stets ein heikler Vorgang. Gleichwohl ist hier vermutlich kein textinternes Irritationssignal gegeben, da es sich um eine zutiefst negativ gezeichnete Figur handelt und zudem um einen Lesetext. Der Selbstmord ist denn auch das zentrale Ereignis, an dem Aramena sofort die gemeinte Episode erkennt und kundtut. Auch hier kann die Funk­ tion des Textes also nicht sein, dem Leser derartige Rateaufgaben zu geben bzw. quasi seine genaue Lektüre des vorangegangenen Romans abzufragen. Vielmehr zeigt auch dieses Spiel im Spiel die feinen Risse in der vermeint-

238 239 240 241

Vgl. Aikin (2002), S. 189. Beispielsweise in Irmenseul III/3. In: Anton Ulrich: Werke, Bd. II.2 (1985), S. 276. Aramena (1673), Bd. 5, S. 421. Ebenda, S. 435.

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lichen Harmonie der vereinten Paare, denn es gibt noch einen zweiten Mord in dem kurzen Stück: Der Tyrann, von der Romanfigur Adonisedech verkör­ pert, rettet die von ihm geliebte Frau vor dem tödlichen Stoß der rasenden Tyrannin, indem er ihn mit dem eigenen Körper abfängt und, tödlich getrof­ fen, damit zumindest seine Ehre einigermaßen rettet. Diese außerordentlich dramatische Aktion,242 die mit enormem Realismus vollzogen wird, da er „aus einer blase voll blut/ die er unter den kleidern verborgen gehabt/ das blut hervor springen ließe“243, lässt die Königin von Thyro mit einem Schrei des Entsetzens aufspringen und so eine offenbar geheime Zuneigung für Adonisedech verraten. Das Spiel im Spiel fördert abermals die wahren Af­ fekte zu Tage, die der galante Diskurs sonst so elegant zu verbergen trachtet. Der König von Thyro verschwindet denn auch eifersüchtig und beleidigt sofort nach dem Spiel während die übrige Gesellschaft sich noch zu einem Festmahl trifft. „Niemand/ als seine gemalin und seine schwester/ vermute­ ten die eigentliche ursache dieser absonderung : wiewohl solche dem Print­ zen Adonisedech auch nicht allerdings unbekannt ware.“244 Die dramatischen Texte geben dem Romangeschehen ein Maß an Unmittelbarkeit und affekti­ ver Wirkung, dass weder der auktoriale, noch die fiktiven Figuren-Erzähler innerhalb der Geschichte leisten können, das aber aus den Theaterstücken immer weiter auf die Romanhandlung ausgreift. Das letzte Stück trägt ausdrücklich die Gattungsbezeichnung Schäferspiel von Jacob Lea und Rahel. Der Lebensraum der biblischen Patriarchen wird als arkadischer Raum vorgestellt, in dem sich die bekannte Geschichte abspielt. Eingeführt wird das Schäferspiel als ein Werk des allseits bekannten und geschätzten Dichters Belisar, worunter sich das für die Aramena gültige Pseu­ donym für Birken verbirgt.245 Allerdings ist diese Quellenfiktion bereits auf der Ebene des Romans ein ironisches Vexierspiel. Anders als die vorange­ gangenen Spiele hat dieses keinen emblematischen Titel und ist auch nicht als ein Ratespiel inszeniert, sondern gibt von vornherein die Personen an, die behandelt werden. Da der Leser diese Figuren bereits ab Seite 37 aus Nahors Erzählungen als lebende Figuren der Romanhandlung kennengelernt hat, verstößt es damit gegen das Decorum, nach dem keine lebenden Personen und schon gleich keine aus Herrscherhäusern auf der (Opern-)Bühne dar­ gestellt werden dürfen. Mit dem Verweis auf den (abwesenden) berühmten Dichter wird die Schuld für diesen Decorumsverstoß abgewälzt und mit der 242 Die durchaus auch als Verstoß gegen das Decorum zu deuten wäre. 243 Aramena (1673), Bd. 5, S. 433. 244 Ebenda, S. 435. 245 Wegen der Titelähnlichkeit zu Anton Ulrichs Singspiel Jacob des Patriarchen Heyrath wurden beide Stücke zuweilen in der Forschung verwechselt bzw. falsch zugeschrieben. Vgl. Spahr: Einleitung. In: Anton Ulrich: Werke Bd. I.1 (1982), S. XXIV–XXVII.



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Wendung „etliche Mesopotamische hirten [hätten das Stück] in ihrer bewah­ rung gehabt/ und uns mitgeteilet“246 wird eine zeitliche Entfernung simu­ liert, die nicht den Tatsachen der Romanhandlung entspricht. Wenig später taucht praktisch das gesamte Figurenpersonal des Stückes in vivo im Roman auf und es wird deutlich, dass die behandelte Geschichte kaum länger als zwei bis drei Jahre zurückliegen kann. Sie wurde im Roman zwar immer wie­ der gestreift, aber noch nicht vollständig erzählt, so dass dieses, ohnehin dem Umfang nach längste der eingefügten Stücke, auch eine erzählerische Lücke füllt, die bezogen auf den Leser des Romans, der die Geschichte natürlich aus der Bibel kennt, aber weniger informativ als interpretierend ist. Geschildert werden die Ereignisse rund um die erste Hochzeit Jacobs, bei der ihm zwar Rahel vom Priester angetraut, doch dann von Laban Lea ins Bett gelegt wird. Lea, die von allen Beteiligten außer Jacob als hässlich geschildert wird, musste von ihren Eltern zu dem Handel gezwungen werden und leidet darunter ebenso wie Rahel, die zunächst glaubt, diese Schmach nicht überleben zu können, und schließlich noch am Folgetag ebenfalls mit Jacob vereint wird, der seine zweiten sieben Jahre Dienst erst anschließend antreten wird. So ist das für das Singspiel erforderliche Lieto fine ohne allzu große Beugung der Geschichte zu bewerkstelligen. Der Dialogtext ist regelmäßig in fünfhebigen Jamben und Paarreim gestaltet, die Gesänge sind strophische Liedformen mit vorherrschend vier Hebungen und trochäischem Metrum. Es sind vor allem die niederen Figu­ ren, die Schäfer und Schäferinnen, die singen und tanzen. Mitunter sind ihre Gesänge von Dialogen durchsetzt und umspannen eine ganze Szene (II/5). Die Hochzeit vollzieht sich in einer Szene mit Wechselchören und abermals einem langen strophischen Wechselgesang der Schäfer und Schäferinnen (III/3), wie in der frühen römischen und florentiner Oper und zeitgleich in der Tragédie lyrique. Lediglich die beiden Zentralfiguren haben jeweils eine Arie. Rahel singt den einzigen jambischen Gesang, in dem sie ihren Entschluss, lieber zu sterben als mit der Schande und ohne Jacob zu leben, kundtut (IV/2). Ihre Arie steht wirkungsvoll am Ende der Szene und gemahnt, obgleich aus dem Reimschema klar drei Strophen ersichtlich sind, an die (Lamento-)Arien der italienischen Oper. Auch Jacobs Arie ist eine Abgangsarie, doch resümiert sie eher den zuvor bereits gefassten Entschluss, dann eben zwei Frauen zu neh­ men, und verknüpft diesen mit der Weissagung Gottes, seine Nachkommen würden so zahlreich sein wie die Sterne am Himmel. Dem trägt offenbar die metrische (trochäische) Gestaltung Rechnung, so dass sich mindestens für dieses Stück konstatieren lässt, dass die kommentierenden und konstatie­ 246 Aramena (1673), Bd. 5, S. 462.

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renden Gesänge sich dieses handfesteren, aber eben auch typisch liedhaften Metrums bedienen, während der Ausdruck von Affekt und Verzweiflung die stärker schwingende, jambische Form nach sich zieht. Das Schäferspiel ist das mit Abstand elaborierteste der im Roman einge­ stellten Stücke. Das gilt sowohl für seine Länge und die klassische Einteilung in fünf (!) Akte als auch für den Anteil der Gesänge. Die Schäfer und Schä­ ferinnen sind weniger in das Geschehen integriert als sie die Handlung kom­ mentieren, folglich wie ein antiker Chor fungieren. Sie treiben ihre Scherze damit, wie man denn nur freiwillig zwei Frauen nehmen kann, wo doch eine schon Plage genug sei – was ein Hanswurstkommentar der späteren Hambur­ ger Oper sein könnte und auf der Ebene des galanten Romans eine undenk­ bare Entgleisung wäre –, wie sie sich die Freiheit nehmen, den Herrscher La­ ban scharf dafür zu kritisieren, dass er seine Töchter regelrecht verschachert und den treuen Jacob betrügt. Auch wenn dieses Stück einem zur Vertonung bestimmten Libretto näher kommt als die vorhergehenden, erweist es sich letztlich doch anhand der breiten und regelmäßigen Monologpassagen und zahlreichen Szenen ganz ohne Gesänge wiederum als explizites Leselibretto. Anton Ulrichs eigenes Libretto Jacobs Heyrath hat demgegenüber typische Librettoform mit variablem Rezitativvers und zahlreichen Gesängen, darun­ ter bereits eine emblematische Arie Rahels.247 Somit ist auch klar, dass diese Stücke nicht für die Figuren der Handlung gespielt werden und entsprechend keine direkten Abbilder einer zeitgenössischen höfischen Musiktheaterpra­ xis sein können, sondern romanpoetologische Funktion entfalten: Nicht in erster Linie den Figuren wird Theater vorgespielt, sondern dem Leser. Und auch ihm wird nicht eins zu eins ein Theatertext geboten, sondern dieser zuvor in einen Lesetext transformiert. Die niederen Figuren übertragen die bei den vorangegangenen Stücken erfolgten Kommentare der Zuschauer in das Singspiel: Anders als zuvor wird das Schäferspiel an keiner Stelle durch affektive Reaktionen unterbro­ chen und auch direkt im Anschluss248 nicht weiter kommentiert. Als der Fürst249 Laban später von dem Stück erfährt, beschwert er sich lauthals 247 „Was ist das Glück zunennen?/ Ein Kugelrundes Raad/ Das stetig sich verdreht/ Und nir­ gends bleiben hat.“ III/1. Anton Ulrich: Werke. Bd. II.2 (1985), S. 368. 248 Aramena (1673), Bd. 5, S. 487. 249 Labans Adelsstatus bleibt eigentümlich in der Schwebe. Einerseits geriert sich die Familie als Fürstengeschlecht Haran, was sich vor allem in der Ablehnung von Nahors Liebe zur vermeintlichen Magd Aprite zeigt, andererseits scheinen sie keine größeren Ländereien zu besitzen, die sie dem hochadeligen Personal von Prinzen und Prinzessinnen gleichstellen wür­ den. Gegenüber dem hochadeligen Personal scheinen sie eher Duodezfürsten bzw. Empor­ kömmlinge zu sein, was Labans Anfälligkeit für die Intrigen der Dorfrichter erklärt. Auffällig viele Mitglieder der Familie sind gemischte oder regelrecht kritisch gezeichnete Charaktere wie Laban, zunehmend Reha (!) und der treue aber glücklose Nahor.



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gegenüber seinem Sohn Bethuel darüber, dass ein Teil seiner Familienge­ schichte als Abendunterhaltung hatte dienen müssen: „Weißt du/mein sohn! […] wie man neulich so wohl dich/ als deinen vatter/ bei hofe hat herdurch gezogen/ und unsere personen durch andere schimpflich fürgestellet?“ Ob­ gleich Bethuel dem Vater versichert, dass seines Wissens „bei fürstellung des Jacobs und meiner beiden schwestern/ nichts fürgefallen/ so uns verklei­ nerlich sein könte“, beharrt Laban doch drauf „Man hat aber […] wie ich verneme/ nicht vergessen/ auf das spöttischste vorgestellet/ die art und weise/ wie ich den Jacob um meine töchter dienen lassen/ und wie der geitz mich behersche.“250 In der Tat erscheint Laban in keinem allzu guten Licht. Sein Protest gegen den Decorumsverstoß ist folglich völlig berechtigt und zwar in doppelter Hinsicht. Einmal gilt die Regel, wonach keine lebenden Herrscherfiguren auf der Bühne dargestellt werden dürfen, zum anderen ist die Darstellung reichlich starker Tobak. Das Libretto hat einer vergleichs­ weise kräftigen Komik das Tor in den Roman geöffnet, die die Figur sich in der Folge subtil selbst desavuieren lässt, womit ihr berechtigter Protest in eine weitere Persiflage umschlägt. Zum einen reagiert Laban reichlich spät, nämlich auf der großen Reise zum Teraphim und nachdem er gezielt von der kaum bemäntelt aufständischen Partei der Dorfrichter mit Informationen gefüttert wurde. Zum anderen ist er in durchaus unrühmlicher Weise sofort bereit, diesen zu glauben und in der Folge mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, womit er als komische Intrigantenfigur seine Darstellung im Stück nachträglich und nachhaltig legitimiert. Sein Sohn Bethuel, obgleich sonst sehr standesbewusst, nimmt die Sache denn auch wenig ernst, reagiert also im Unterschied zum Vater standesgemäß, und um seinen nörgelnden Alten loszuwerden, schickt er ihn buchstäblich dem „guten Ausicles […] auf den hals“251, in dessen Figur sich just Anton Ulrich maskiert,252 mit dem Vermerk, bei ihm sei eine Niederschrift des Spiels gefunden worden. Ausicles wie­ derum weist alle Schuld von sich, indem er die Verfasserschaft bestreitet und auf den abwesenden Belisar alias Birken verweist.253 Noch eine Schicht kom­ plexer wird dieses Spiel für jene Leser, die wissen, dass das vorgestellte Stück wiederum auf ein Stück von Ausicles alias Anton Ulrich zurückgeht, sich hier also Urheber und Bearbeiter eines Librettos nach einer biblischen Geschichte gegenüber der behandelten Figur wechselseitig die Schuld zuschieben.254 Mit diesem ironischen Spiel zwischen Libretto und Romanhandlung legt Anton 250 Aramena (1673), Bd. 5, S. 610. 251 Ebenda, S. 611, wofür er später wiederum von der Gemahlin des Ausicles, Eidania, zurecht­ gewiesen wird. Ebenda, S. 613. 252 Vgl. Spahr (1966), S. 136. 253 Aramena (1673), Bd. 5, S. 611. 254 Vgl. zu diesem Spiel auch Spahr (1966), S. 136–137.

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Ulrich eine Hellhörigkeit bezüglich der Verfasstheit auch historischer Texte und Quellen an den Tag, die Wieland ein Jahrhundert später zum zentralen Verfahren seines Erzählens machen sollte. Kaum zufällig manifestiert sich dieser Konflikt um die Darstellbarkeit des Faktischen an der Gattung des Bühnenstücks, das wegen seiner unmittelbaren Wirkung weit stärker als der epische Bericht als öffentliche Zurschaustellung einer Faktizität empfunden wird und daher am Ende des Romans noch weitgehende Folgen zeitigen wird. Entsprechend ist Jacob und Rahel anders als die vorangegangenen Ein­ lagen auch kein Rätselstück, wenngleich die Darstellerin der Rahel im Schä­ ferkleid offenbar so bezaubernd aussieht, dass Aramena die ältere, „die Kö­ nigin von Ninive nicht leiden kunte/ wan ihr Dison sie zu viel ansahe“.255 Abgesehen vom hier wieder aufgenommenen Eifersuchtstopos ist die Funk­ tion des Singspiels jedoch, eine grundsätzliche Zäsur im Roman einzuleiten: Angeregt von der Pastorale beschließt die Gesellschaft, das Spiel zu über­ nehmen und „sich nicht wieder in so öffentliche versamlung einzufinden/ bis daß sie alle in ihren schäfer-kleidungen würden erscheinen können“.256 Die Pastorale gibt somit die neue Stilhöhe der Romanhandlung vor und löst damit die im Nebentitel des Romanbandes gegebene Definition der Mesopo­ tamischen Schäferey ein. Tatsächlich vermischen sich die als Schäfer verkleideten Adeligen mit dem Schäfervolk von Mesopotamien dahingehend, dass sie alle gemeinsam zum Jahresfest des lokalen Gottes aufbrechen; Aramena und einige ihrer engsten Freunde gleichwohl mit innerem Unmut, da sie sich bereits der neuen Religion des mosaischen Monotheismus zugewendet haben, die hier die Stelle des Christentums vertritt. Doch Aramenas Macht ist offenbar nicht so uneingeschränkt, als dass sie nicht dem Gott des Volkes die Ehre erweisen müsste, um den allgemeinen Frieden zu erhalten.257 Auch haben ihre in den vorangegangenen Büchern geschilderten Wohltaten gegen das Volk ihr nicht nur Freunde gemacht: Die einflussreiche Schicht der Richter und Priester, deren Machtmissbrauch sie damit teilweise ausgehebelt hat, beäugt die Herr­ scherin mit Neid und Argwohn.258

255 Aramena (1673), Bd. 5, S. 487. 256 Ebenda, S. 487. 257 Dieser Topos der lokalen bzw. Volksgötter, die ein Herrscher abseits seiner persönlichen Glaubensgrundsätze respektieren muss, spielt auch in der Römischen Octavia eine zentrale Rolle. 258 Die Welt der tatsächlichen Schäfer wird wenig bukolisch als eine sehr materielle geschildert, in der die Unschuld eher Missgunst als Bewunderung erntet und Ehen vornehmlich der Macht und Besitzstandssicherung dienen, wie an der ausführlichen Geschichte des Chersis und der Amphilite deutlich wird (Aramena [1673], Bd. 5, S. 153–178).



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Die Gottheit der Schäfer, der Teraphim, ist ein rituell hingerichteter jun­ ger Mann,259 dessen präparierter Kopf für eine Zeitspanne von etwa zehn Jahren als Orakel fungiert und dabei vergleichbar dem antiken Orakel von Delphi verschlüsselte, von den Gläubigen zu interpretierende Weissagungen gibt. Auf der Ebene des Romans wird dies keineswegs als Priestertrug und Aberglauben dargestellt, sondern der Teraphim spricht in der Tat vor der versammelten Gemeinde und in Anwesenheit der Königen, und die bereits Rechtgläubigen neigen durchaus dazu, den Teraphim auch als Sprachrohr Gottes zu interpretieren. Die Verzerrung seiner Weissagungen erfolgt erst durch die im Priester- und Ältestenrat versammelten Partikularinteressen. Diese führen gleichwohl zu einem beispiellosen Volksaufstand, in dessen Verlauf mehrere Könige und Prinzessinnen beinahe geopfert werden bis am Ende der Tempel in Flammen steht und bis auf die Grundmauern nieder­ brennt. Nur eine in den Mauern verborgene Inschrift, die die neue Religion als legitime Nachfolgerin und Garant für zukünftiges Glück bestimmt, kann den allgemeinen Volksaufstand aufhalten.260 Doch nicht genug, dass die Herrschenden dem Volk weitgehend schutz­ los ausgeliefert sind, am Ende des Romans stehen sich zwei gewaltige Heere gegenüber, die buchstäblich die halbe Welt in Flammen zu setzen drohen, da Aramena gezwungen werden soll, den in sie verliebten König von Basan zu heiraten. Abermals ist es nicht der verliebte Ritter selbst, der zu solchen Mitteln greift, sondern er wird selbst von seinem (allerdings nach besten Intentionen handelnden) Vasallen gefangen gehalten, der damit droht, den entführten Bruder Aramenas zu töten, sollte sie sich nicht ergeben. Die Lö­ sung ist ein deus ex machina echt Anton-Ulrich’scher Prägung: Der König von Basan erweist sich als eben jener Cimber, den Aramena liebt und den sie wie ihr Bruder mit dem Tuscus Siceaneus verwechselt hatten, weil jener sich kurz ebenfalls dieses Rufnamens bedient hatte, sich nun aber als der tot­ geglaubte Eliser entpuppt261 und seine ihm treu gebliebene Ahaliabama zur Frau erhält. Das Lieto fine des Romans ist wie die scena ultima der barocken Oper die glückliche Zusammenführung aller Paare. Nur wenige der gemisch­ ten Charaktere bleiben solo, darunter der bis an den Rand des Wahnsinns in Aprite verliebte Nahor. Die Libretti stellen also der Reihe nach die Grundaffekte des Romans in verschiedenen Aggregatzuständen vor. Anders als in der epischen Erzäh­ lung einzelner Figuren, die die Geschichte als eine, die sie durchlebt, folglich überlebt haben und aus einer beruhigten Endposition heraus als Abgeschlos259 Der sich normalerweise freiwillig dazu stellen und der Erstgeborene seiner Familie sein muss. 260 Aramena (1673), Bd. 5, S. 771–773. 261 Um dessen Wiederbelebung Catharina Regina von Greiffenberg dringend gebeten hatte.

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senes berichten, vermitteln die Libretti dem Leser des Romans wie den Zuschauern im Roman bereits bekannte Geschichten erneut als gegenwärtige. Die dramatischen Handlungen entfalten dabei so starke Wirkungen, dass sie regelmäßig zu affektiven Ausbrüchen bei den Figuren führen, die dann wie­derum weitreichende Folgen für die Romanhandlung haben. Das Wech­ selspiel der Formebene verweist zugleich auf die Brüchigkeit der im Roman angelegten Teleologie, indem die Libretti die Übermacht des Affekts vorfüh­ ren. Sie leisten dies sowohl in ihren Handlungen, die ungeachtet des dreifa­ chen Lieto fines gerade zeigen, wie Liebe und Begehren respektive Rach­ sucht jede vernünftige menschliche Entscheidung durchkreuzen und selbst den göttlichen Plan in prekären Zugzwang bringen und sind damit sowohl auf der formalen wie auf der semantischen Ebene Fenster im eschatologi­ schen System des Romans. Der göttliche Plan mag zwar am Ende zu seinem Ziel kommen, doch er ist kein Selbstläufer, sondern schwebt in der beständi­ gen Gefahr, von den menschlichen Affekten über den Haufen geworfen zu werden. Damit ist präzise das Schema vorweggenommen, das 40 Jahre später (ab ca. 1710) mit der sog. neapolitanischen Reformoper und vor allem durch Pietro Metastasio die Oper des 18. Jahrhunderts beherrschen sollte. Wie in Anton Ulrichs Texten manifestiert sich dort der göttliche Plan nicht mehr durch den leibhaftig auftretenden deus ex machina, sondern in der plötz­ lichen Einsicht des Tyrannen, den marodierenden Soldaten, den wiederkeh­ renden Freunden etc. Die rationalistisch gebaute Handlung konfligiert mit dem menschlichen Affekt, dem die Opera seria formal in den Da capo-Arien statische Gesangs- und Gefühlsinseln im dramatischen Rezitativ-Text zuge­ stehen sollte. Dass die Librettoreform der Opera seria in Wien entstand und Metastasios Operntexte einen beispiellosen Siegeszug gerade im deutschen Sprachraum antreten konnten, könnte durchaus mit der Vorbereitung dieses Schemas durch Anton Ulrichs (und später auch Ziglers) Romane zusammen­ hängen. Zentrales Gegenstück des Affekts ist für Aramena wie in noch stärkerem Maße für Anton Ulrichs zweiten Roman Römische Octavia der galante Diskurs, der beständig die wahren Gefühle bemänteln und falsche vorspielen muss, was zu dem Paradoxon führt, dass ein aufrechtes Liebesgeständnis reflexartig als Verneinung jeglicher Zuneigung verstanden wird.262 Die im Roman einge­ stellten Libretti führen diesen Diskurs auf höherer Ebene weiter und hebeln ihn zugleich aus: In der Maske der Rolle wird ein eindeutiges emotionales Sprechen abermals möglich, da die Zuordnung der Rollennamen dem in­ 262 Vgl. Kraft (2004), S. 35.



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terpretierenden Zuschauer überlassen bleibt, und die Ambivalenz von Rolle und Figur (wer spricht?) das Decorum wahrt.263 Die Opernlibretti realisieren die Pastorale in verschiedenen Spielarten auf der formalen wie auf der inhaltlichen Ebene. Zunächst stehen sie als histori­ sche Entwürfe in einem pastoralen Rahmen, um zunehmend zyklisches und historisches Erzählen miteinander zu konfrontieren. Damit wird die Oper zum Strukturmodell des fünften Bandes und für ein Geschichts-gedicht,264 das Teleologie, Historie und Poesie vorübergehend miteinander versöhnt. Spahr hat darauf hingewiesen, dass das Spiel mit der durchsichtigen pastoralen Maske auch die literarische Praxis der Pegnitzschäfer reflektiert: When Strefon and Clajus stroll through the Hallerwiese outside the walls of Nürn­ berg, singing their songs in the Arcadian atmosphere, they are fictional characters, yet their identities correspond to the real persons of the authors. Strefon sings the songs of Harsdörffer, while Clajus replies with the poems of his namesake and real identity, Johann Klaj. The Hallerwiese is Arcadia, and the reader is aware of both levels of identity. The fiction of the surroundings demands the appropriate fictional identity. The Nürnberg patrician and senator, Georg Philipp Harsdörffer, could scarcely in his real person wander through the fields in shepherd garb singing pastoral encomia.265

Das zeitgenössische Lesepublikum war auf Grund der emblematischen/ al­ legorischen Deutungstradition daran gewöhnt, Texte mit doppeltem Blick zu lesen. Daher ist beispielsweise die Ebene des Schlüsselromans stets ge­ genwärtig, ohne jedoch die zentrale (oder gar allein gültige) Perspektive der Lektüre vorzugeben. Die Elemente des Theaters respektive Musiktheaters thematisieren direkt dieses Prinzip der durchsichtigen Maskierung und fügen damit eine weitere Reflexionsebene ein, die (scheinbar) nicht mehr von einer Erzählerinstanz (wie bei den berichteten Ereignissen) vermittelt wird, son­ dern mitten im epischen Bericht dem Leser ein Fenster zum unmittelbaren Miterleben in Echtzeit öffnet; nicht als Mimesis faktischen Theaters, sondern als perspektivische und artifizielle Erweiterung der Romanform, die das Pro­ blem der Perspektivität epischen Erzählens in verschiedenen Lösungsvor­ schlägen verhandelt. Mit dem prekären Verhältnis von Teleologie und Individuum respektive Ratio und Affekt in den Stücken wie ihrem Verhältnis zur Rahmenhand­ 263 Übrigens eine Verfahrensweise, die im Kontext des Hoftheaters erstaunlich konstant bleibt: Noch für die Aufführungen des Weimarer Liebhabertheaters lässt sich eine mitunter drasti­ sche Darstellung lebender Mitglieder unter dem Deckmantel der Rollen feststellen. 264 Vgl. Spahr, (1966), S. 160–167. 265 Ebenda, S. 131.

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lung entfaltet der fünfte Band das poetologische Programm der Aramena. Der spielerische Umgang der Herrschergeneration mit den teilweise trau­ matischen Erlebnissen und Geschichten des Romans ist jedoch nur möglich im befriedeten Raum des arkadischen (außerzeitlichen) Mesopotamien und unter der unangefochtenen Herrschaft Aramenas. Am Einbruch des Histo­ rischen zerbricht dieses Spiel.

2.9.2  Die Römische Octavia – darf der Herrscher auf die Bühne? In Anton Ulrichs zweitem, 1673 unmittelbar nach Beendigung der Aramena begonnenem Roman Die Römische Octavia radikalisiert sich der Konflikt zwi­ schen dem Anspruch auf eine im Einklang mit der Historie stehende Dar­ stellung und einem heilsgeschichtlichen Darstellungsziel. Der Roman spielt im Rom der Christenverfolgung unter Nero und sei­ nen Nachfolgern und sollte ursprünglich auf ein goldenes Zeitalter unter der Herrschaft Vespasians zuführen. Die Titelfigur Octavia hat nach der Fiktion des Romans Neros Mordanschlag überlebt, sich zum Christentum bekehrt und lebt zusammen mit einer Reihe historischer und auf ähnliche Weise von der Oberfläche der historischen Geschichtsschreibung verschwundener Fi­ guren in den Katakomben der verfolgten Frühchristen. Octavia (die auch un­ ter dem Pseudonym Neronia auftritt) gerät allerdings über Strecken aus dem Blickfeld, wenn der Roman die Schicksale der anderen Figuren (insbesondere des als Lichtgestalt geschilderten Germanicus) ausbreitet und die politischen Querelen um die Absetzung und Nachfolge Neros behandelt. Der Roman wandelt sich über die Entstehungszeit von knapp 40 Jahren bis zu Anton Ulrichs Tod 1714 von einem zunächst klar eschatologisch aus­ gerichteten Konzept immer mehr zu einem offenen und auch konzeptionell unabschließbaren Werk.266 Damit entwickelt der Roman eine zunehmend auf eine moderne Welterfahrung hinführende Darstellung, deren Vertrauen in einen zielgerichteten göttlichen Heilsplan im Akt des Schreibens langsam zerbricht, und sich gerade in der Schwellenzeit um 1700 vor und am Beginn der Frühaufklärung in einer Stilpluralität realisieren kann, für die Dirk Nie­ fanger den Begriff sfumato vorgeschlagen hat.267 Nach Kraft und Niefanger ist es gerade die Unbekümmertheit, mit der die Epochenschwelle noch keine Notwendigkeit sieht, sich nach hinten abzugrenzen, um zugleich neue ästhe­ tische Formen und Tendenzen zu inkorporieren, die ihre spezifische Moder­ 266 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung von Kraft (2004). 267 Dirk Niefanger: Sfumato: Traditionsverhalten in Paratexten zwischen „Barock“ und „Aufklä­ rung“. In: Barock. Helmut Kreuzer (Hg.). Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguis­ tik. 25 (1995), S. 94–118.



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nität ausmacht – eine Modernität, die sich auch für die Libretti der deutschen Barockoper, insbesondere Königs Die getreue Alceste beschreiben lässt und die den konzeptionellen Neuansätzen der Frühaufklärung, namentlich Gottsched, nicht mehr möglich war. Für das Verhältnis von Oper und Roman ist vor allem die erste Textschicht268 der zwischen 1677 und 1679 erschienenen Bücher 1–3 des ersten Bandes der Römischen Octavia relevant, in die im dritten Teil beide Libretti in dichter Folge eingestellt sind.269 Sie führen die mit den Leselibretti der Aramena aufgewor­ fenen Fragen weiter, treten dabei aber zunehmend mit der Rahmenhandlung in Konflikt, woraus sich Fragen nach dem (fiktiven) Urheber und seinen in­ tendierten Affektlenkungen der (fiktiven wie lesenden) Rezipienten radikali­ sieren: Wer spricht respektive singt? und: Darf der Herrscher auf die Bühne? Das erste Libretto wird angekündigt als „Tanz-Spiel“ Der Siegende Eneas. Das Ballett, das Nero aufführen lässt und an dem er selbst als Titelfigur teilnimmt, stellt den Sieg des Eneas über die Rutuler als Voraussetzung für die Gründung Roms vor. Der Librettotext wird immer wieder direkt durch Kommentare und Reaktionen der Zuschauer unterbrochen. Auch die In­ tention der Inszenierung wird in Zwischentexten mitgeteilt. Auf der Hand­ lungsebene zielt Nero darauf ab, seine Linie auf den Gründer Roms zu­ rückzuführen und damit sich selbst zu glorifizieren. Der Verweis auf die Strategie Ludwig XIV. ist unübersehbar, der zwischen 1653 und 1669/70 selbst bevorzugt in der Rolle des Apollo in den Hofballetten aufgetreten war. Zugleich versucht Nero seine Gegner respektive die von ihm bereits ermordeten Familienmitglieder, namentlich Octavia, Antonia und Agrippina, zu diffamieren, indem die negativen Gestalten Masken nach deren Physio­ gnomie tragen. Er selbst trägt eine Maske nach seinem eigenen Gesicht und ebenso seine Spießgesellen, die in eigener Maske die Trojaner mimen. Das Stück beginnt mit Musik von Blasinstrumenten, während der akro­ batische Tänzer als Faunen die Göttin Juno begrüßen und diffamierende Rollenbeschreibungen unter das Volk geworfen werden. Sie sind, ebenso wie die (ebenfalls auf der Handlungsebene ausgeteilten) Beschreibungen zu den Ballettpassagen in Alexandrinern abgefasst. Ein Gespräch der Juno mit Diana wird „bey einer gelinden Music gesungen“270, mit der Juno den Un­ tergang Eneas oder wenigstens seine größtmögliche Unbill herbeiwünscht. Vier virtuos symmetrisch gebaute Strophen geben in jeweils elf Madrigal­ versen von drei bis sechs Hebungen nach einem gleichbleibenden Schema 268 Zu den verschiedenen Textschichten vgl. Kraft (2004), S. 16–18. 269 Anton Ulrich: Werke. Die Römische Octavia. Band III.3 (1993), bearbeitet von Rolf Tarot. S. 784–813 und S. 852–911. 270 Vgl. ebenda, S. 786.

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von Hebungszahl und Reimendung die Melodie vor. Diana antwortet mit drei zehnversigen, ebenfalls symmetrischen Antistrophen, worauf Juno wie­ der ihr Schema entgegensetzt, ehe ein kurzes Wechselgespräch die Szene beendet. Die Madrigalverse der Soli beziehen ihre Spannung aus den stark un­ terschiedlichen Zeilenlängen, wogegen die die Ballette erläuternden Texte als reine Lesetexte für das Publikum innerhalb des Romans wie den Leser in Alexandrinern abgefasst sind. Allein der Gesang, nach dem die Opfer-Pries­ ter der Vesta ein Ritual tanzen, ist in fünf Alexandriner-Chorstrophen ab­ gefasst  – hier wohl, um das getragene Ebenmaß des langen Gesanges zu betonen. Damit bildet dieser Chor den denkbar größten Kontrast zum schwungvoll daktylischen, gleichwohl ebenfalls strophischen Chorlied der Liebesgötter. Im strophischen Wechselgesang zwischen Göttern und den Trojanern und Ausonierinnen schließlich verkündet der Chor der Götter die Apotheose Eneas’ und sein Nachleben in Nero wiederum in Alexandrinern, wozu die refrainartig einfallenden Menschen in fünfhebigen Versen den Se­ gen der Himmlischen für das Paar erbitten. Während die eingeschobenen Prosatexte mit den Publikumsreaktionen und der Einbindung in den Roman von Anton Ulrichs Hand stammen, ist für die Verspassagen die Urheberschaft nicht eindeutig festzustellen. Sehr wahrscheinlich stammen sie von Birken, der dazu auf eine in den 1660er Jahren begonnene, aber unvollendete Übersetzung der Aeneis zurückgriff.271 Vier Textschichten überlagern sich: die Handlung des Singe-Balletts, die bei der Aufführung geschehenden Zwischenfälle auf der Handlungsebene des Romans mitsamt der Reaktionen des Publikums, die im Roman über­ lieferten späteren Interpretationen der Figuren und schließlich die daraus erschließbare Position des Textes, die dem Leser vermittelt wird. Auf den ersten Blick bildet das Singballett, in dem ein Herrscher sich in einem alle­ gorischen oder historischen Bild selbst in Szene setzt, die zeitgenössische Praxis ab und folgt in seiner Struktur deutlich dem französischen Vorbild der Handlungsballette Lullys der 1660er bis 1680er Jahre, die Anton Ulrich bei seiner Parisreise gesehen und selbst für die Hoffeste in Wolfenbüttel auf­ gegriffen hatte. Doch was tut Nero, dass er sich als siegender Eneas zum Gespött seiner Untertanen macht? Nichts grundsätzlich anderes, doch über­ spannt er den Bogen mit der eindeutigen Zuordnung der allegorischen und historischen Gestalten zu Zeitgenossen oder den Zeitgenossen noch vor Au­ gen stehenden Menschen, deren Gesichter er in den Masken abbilden lässt. Damit verstößt er einmal gegen das Decorum, die Darstellung Lebender auf

271 Vgl. Anton Ulrich: Werke, Bd. III.1 (1993), bearbeitet und eingeleitet von Rolf Tarot, Einlei­ tung S. CLXXVI.



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der Bühne betreffend. Doch schwerwiegender ist, dass er keine Allegorie darbietet, was der Fall wäre, träte er in einer idealisierten Maske als Eneas auf. Ohne die allegorische Verweisstruktur beraubt er den Zuschauer jedes Inter­ pretationsspielraums für die Zuordnung der Geschichte, und entsprechend reagiert das Publikum mit Unwillen auf die Darbietungen. Damit erweist sich die Romanpassage als ein zeitgenössisches Dokument für die Praxis und Rezeptionshaltung gegenüber dem Festspiel, wie Schröder sie am Beispiel der Hamburger Festopern beschrieben hat,272 die auch bei klarer Lesbarkeit immer einen Interpretationsspielraum lassen mussten und wirft abermals ein Licht auf das Spiel mit den Schlüsselgeschichten und verschlüsselten Figuren der Aramena wie der Römischen Octavia, denen ebenfalls eine vexierbildhafte Offenheit zu eigen ist.273 Auf diese konkrete aber abstrahierende Weise deu­ tet die Episode wohl auch auf den letzten Auftritt Ludwig XIV. 1769/70 hin, bei dem sich der 31-jährige König – sei es aus mangelnder Übung oder fortschreitender Komplexität der Choreographie – überfordert zeigte und daraufhin klüglich nie mehr als Tänzer auftrat. Wie der weitere Verlauf des Romans zeigen wird, lernt Nero anders als Ludwig XIV. (und Anton Ulrich!) diese Lektion nicht, dass es für Herrscher einen Zeitraum geben mag, in dem sie auf der Bühne eine gute Figur machen, aber diese Vergnügen der Zeit­ spanne der Jugend (oder der Jugend der von ihnen geförderten Gattung) vorbehalten sind. Nach Kraft ist für die Erzählstrategie jener Passagen mit Schlüsselfunktion, die eine zeitgenössische (Skandal-)Geschichte im Gewand der antiken Handlung schildern, charakteristisch, dass der Text nicht genau zum Wahrheitsgehalt der Geschichte Stellung bezieht.274 Stattdessen wird, etwa durch Unterbrechungen oder Desavouierung der erzählenden Figur und/oder Kommentare anderer Figuren, dem Leser ein breiter Interpreta­ tionsspielraum eingeräumt. Genau diese Verfahrensweise bei der Verschlüs­ selung eines gegenwärtigen Vorgangs in einen zeitlich zurückliegenden ver­ weigert Nero als der Spielleiter auf der Handlungsebene und bestätigt damit ex negativo die Verfahrensweise seines herrscherlichen Autors. Erst die kom­ mentierenden Texte der Romanebene fügen sie wieder ein. Der Siegende Eneas macht damit eines der zentralen poetischen Funk­tionsprinzipien des Romans sinnfällig und wird darüber hinaus zum poetologischen Kommentar. Der für den Roman gesetzte Anspruch auf Wahrung des Dekorums und der barocke Anspruch auf künstliche Überformung der dargestellten Gegenstände treffen sich in den auf Geheiß Neros nachgestellten, gleich­ wohl für die Darsteller tödlichen Schlachten und Seeschlachten der antiken 272 Vgl. Schröder (1998). 273 Vgl. Kraft (2004), S. 95–102. 274 Wie etwa die Königsmarck-Affaire, die u.  a. in der Geschichte der Prinzessin Solane im sechsten Band der ersten Fassung erscheint. Vgl. Kraft (2004), S. 96–99.

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Geschichte. Man fühlt sich an die entsetzten Berichte über eine Hamburger Störtebeker-Aufführung erinnert, bei der die gefangenen Seeleute durch Kälber ersetzt wurden, denen dann tatsächlich auf der Bühne der Kopf ab­ geschlagen wurde. Obgleich ein Vorgang, den zu Zeiten von Hausschlach­ tungen jeder Besucher kannte, war der Chronist wenig angetan, einen so blutigen (und überdies für das Kalb qualvoll langen) Vorgang auf der Bühne zu sehen. Als ein solches Intermezzo lässt Nero die Schlacht zwischen den Rutulern und Trojanern aufführen, wobei er sich selbst sofort entfernt und damit der Naturalismus der Schlacht sein Fabel und Darstellungsintention widersprechendes ängstliches Verhalten umso lächerlicher macht. Die Epi­ sode ist besonders aufschlussreich im Bezug auf die barocke Ästhetik. Muss man doch davon ausgehen, dass auch die zahlreichen wilden Tiere – Bären, Löwen, Eber und Elefanten275 – auf der Opernbühne in der Regel verklei­ dete Menschen waren. Ausdrücklich erwähnt wird dies freilich nur, wenn der Darsteller über das Maß hinaus vermochte, sein Tier lebhaft vorzuführen. Die Metapher von Brot und Spielen wird präzise in das Singballett ein­ geflochten: Als Nero wegen eines heftigen Nasenblutens das Spiel unterbre­ chen muss, werden, um Zeit zu gewinnen, den Zuschauern (der besseren Gesellschaft) Erfrischungen gereicht.276 Dass Nero offenbar nicht mehr in der physischen Verfassung ist, um die Veranstaltung durchzustehen, sich überdies am Ende durch seinen eher lauten als (nicht mehr?) schönen Ge­ sang lächerlich macht, sind nur noch die Endpunkte seiner übertriebenen propagandistischen Ausbeutung der Gattung. Das Stück selbst bleibt aller­ dings frei von Ironiesignalen und dies, obgleich die Rahmenerzählung nahe­ legt, der Text stamme aus der Hand des Kaisers. Das Singballett bietet damit eine konzentrierte und differenzierte Dar­ stellung der Persönlichkeit Neros, der als Künstler wie als Mensch über aus­ gezeichnete Anlagen und Talente verfügt. Die Anfänge seiner Herrschaft werden als gute Zeit beschrieben, und während des ersten Buches legt Nero immer wieder beste Manieren und echte Herzlichkeit an den Tag. Doch können diese jederzeit in Jähzorn und Rachsucht umschlagen, was Nero an­ schließend wiederum bereut. Mit Nero ist ein Herrscher gezeigt, der kein einseitiger Tyrann ist, sondern in dem die Anlagen zum Künstler und zum empfindsamen Menschen beständig mit einer in seinem Charakter ebenso angelegten Maßlosigkeit konfligieren. Diese ist es, die ihn den Bogen bis zur Lächerlichkeit überspannen lassen und die ihn auch sein eigenes Vermö­ 275 Während Bären (Tanzbären) noch erwartbare dressierte Tiere darstellten, steht insbesondere der Eber seit der Antike für ein besonders gefährliches und unkontrollierbares Wildtier. Die Eberjagd ist in Europa eine vergleichbare Mutprobe wie in Afrika die Löwenjagd. Völlig unvorstellbar ist auf einer Hamburger wie italienischen Opernbühne ein Elefant. 276 Vgl. Römische Octavia, Bd. III.1 (1993), S. 799.



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gen (Kraft und Gesang) überschätzen lassen und letztlich in Rachsucht und Grausamkeiten münden: Nero, so wie ihn die antike Überlieferung und hier vor allem Sueton zeichnet und wie er auch in der Römischen Octavia porträtiert wird, ist geradezu ein Musterbeispiel für die Rollenkollision von Künstler und Herrscher.277

Als Poeta Serenissimus tritt Nero in unübersehbare Parallele zum Autor der Römischen Octavia. Dies umso mehr, als er auf dem Gebiet der musikalischen Bühnenkunst porträtiert wird mit der auch Anton Ulrich sein Schaffen begon­ nen hatte und in dessen Hauptrollen er wie seine Figur sprechend, tanzend und singend aufgetreten war278 und Nero überdies in der zeitgenössischen Diskussion nicht zuletzt von Vockerodt als Menetekel für diese Praxis her­ angezogen wurde. Obgleich Nero also auf den ersten Blick wenig schmei­ chelhaft für sein eigenes Konzept eines harmonischen Nebeneinanders von Künstlertum und Herrschaft ist, verfolgt Anton Ulrich die Figur mit einer Mischung aus Faszination, Anteilnahme und Quellentreue und lässt so den ambivalentesten und vielschichtigsten Charakter der ersten Textschicht ent­ stehen,279 der überdies heutigen Einschätzungen über Nero frappierend na­ hekommt. Virtuos verbindet die Episode das moderne Singballett der antiken Pra­ xis, indem sie im Roman als coleur historique mit den Mitteln der flankieren­ den Erzählung zwanglos in die Handlung eingebunden wird und auf diesem Wege eine Rekonstruktion des antiken pantomimischen Balletts liefert. Auf der Bühne wäre dies in Ermangelung genauer Kenntnisse über die antike Musik bzw. den großen historischen Abstand der zeitgenössischen Musik zur antiken völlig unmöglich. Doch als Leselibretto können die topischen Verweise der Oper auf das antike Theater durch eine recht präzise, beinahe schon archäologische Rekonstruktion ersetzt werden, wie sie Anton Ulrich vermutlich aus Lukians Tanztraktat De Saltatione280 bekannt waren. Denn wie in Lukians Beschreibung ist der pantomimische Tanz hier ein narrativer, mit Masken und zu einem gesungenen Dialog, wobei Sänger und Tänzer ent­ weder personell getrennt sind, oder aber abwechselnd tanzen und singen.281 Darüber hinaus werden Flugmaschinen barocken Ausmaßes beschrieben und Nero integriert eine blutige Schlacht.282 Im Rahmen des Antikenromans verbindet das barocke Singballett auf der Basis der Aeneis also antikes und 277 278 279 280

Kraft (2004), S. 119. Spahr (1966), S 13. Vgl. Kraft (2004), S. 118–120. Vgl. Mathias Sträßner: Tanzmeister und Dichter. Literaturgeschichte(n) im Umkreis von Jean Georges Noverre, Lessing, Wieland, Goethe, Schiller. Berlin 1994, S. 74–89. 281 Vgl. Sträßner (1994), S. 76. 282 Römische Octavia, Bd. III.3 (1993), S. 796.

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modernes Musiktheater und liefert mit lockerer Hand ein Exempel für die These vom zeitgenössischen Musiktheater als Renaissance des antiken. Eine weitere Gelenkstelle in Neros Untergang bildet das Trauerspiel Der sterbende Ödipus.283 Das Stück ist eine freie Bearbeitung des Ödipus auf Kolonos von Sophokles (497/496–406/405 v. Chr.), in den Elemente der Antigone und des Ödipus von Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr.-65 n. Chr.) eingeblendet werden.284 Auch hier stammen lediglich die einleitenden Prosatexte von An­ ton Ulrich, der aussichtsreichste Kandidat als Urheber des Dramentextes dürfte wiederum Birken sein.285 Im Romantext wird kein Autor genannt, was impliziert, dass abermals Nero selbst der Urheber ist.286 Beim zeitgenössi­ schen Leser durfte Anton Ulrich die Kenntnis der Tragödien des Seneca sogar mit größerer Sicherheit voraussetzen als die des Sophokles, woraus sich für das Spiel ergibt, dass Nero in einem Stück respektive einem Plagiat seines von ihm selbst ermordeten Lehrers auftritt und dabei im Verlauf des Stückes von der als Geistererscheinung auftretenden Figur Senecas eingeholt wird. Die gesungenen Passagen befinden sich jeweils am Aktende und kommen­ tieren das Geschehen in der aus dem barocken Trauerspiel bekannten Weise (einmal durch den Chor, einmal durch Antigone).287 Der dritte Gesang leitet den zweiten Akt ein und folgt ganz der Situation einer Arie: Antigone glaubt sich alleine und gibt „ihr innerliches Leyden genungsam zu erkennen“288. Ihr Gesang ist also ein Lamento. Im Gegensatz zu den Reyhen, die in Strophen mit jambischen Versen zu drei bzw. vier Hebungen tatsächlich problemlos singbar sind, erinnert Antigones Gesang an ein Accompagnato-Rezitativ mit achtzeiligen Strophen, deren Alexandrinerverse nach der dritten von ei­ ner vierhebigen Zeile retardiert werden und dessen Schlusszeile jeweils am Anfang der nächsten Strophe refrainartig wiederkehrt. Als Vorbild drängt sich folglich die frühe venezianische Oper mit ihren langen dramatischen Lamenti auf, etwa Monteverdis Ulisse oder Poppea. Die Libretti verschwinden nach 1680 aus der Römischen Octavia – also genau zu dem Zeitpunkt als die Oper wieder als Bühnenkunst in Anton Ulrichs Leben tritt – zugunsten einer gleichförmigeren Struktur des Romans. Die Trias der antiken Theatergattungen im Antikenroman sollte ursprünglich of­ fenbar auch eine Komödie umfassen. Im siebten Band wird sie angekündigt, um Octavia von ihrer Melancholie zu heilen. Bemerkenswert ist, dass dies 283 Die Deklamationsweise wird nicht gesondert erwähnt, obgleich Anton Ulrich über die gesun­ gene antike Tragödie informiert war. 284 Vgl. Römische Octavia, Bd. III.3 (1993), Einleitung S. CLXXVI. 285 Vgl. ebenda. 286 Vgl. Kraft (2004), S. 119. 287 Römische Octavia, Bd. III.3 (1993), S. 872–873 und S. 905–906. 288 Ebenda, S. 873.



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offenbar nur durch das affektive Miterleben eines Bühnengeschehens, nicht durch eine komische Erzählung geschehen kann.289 Allerdings bleiben von der Komödie nur die Ankündigung und ein Requisit, ein Hirschkopf mit Geweih, der als Gespenst die tragendende Rolle in einer der Schwankerzäh­ lungen erhält.290 Die Typen der Komödie sind folglich bereits in die Roman­ textur übergegangen, womit sich der heroische Roman auf die Ästhetik eines gemischten Stils in Zigler von Kliphausens 1689 erschienener Die Asiatische Banise zubewegt. So schließt sich der ehemalige Hofnarr Vatinius nach Neros Tod Octavia an und fungiert dann ähnlich wie der Scandor der Banise als ko­ mische oder satirische Brechung der hohen Handlung.291 Die Komik dieser Romanfiguren ähnelt der komischen Figur in der Oper, jedoch bereits in der von Feind 1708292 propagierten milden und tendenziell humanistischen Form, die in der komischen Figur nicht mehr das Derbe, Verlachenswerte sondern vor allem einen scharfsichtigen Satiriker und Kommentator vor­ stellt. Die Komik im heroischen Roman eröffnet diesem jene Unmittelbar­ keit und Multiperspektivität, die die Brüchigkeit der Welt darstellbar macht und sich von ­einer eindeutigen Deutung der Welt verabschiedet – und die in der Aramena und in den ersten Bänden der Octavia durch die Libretti einge­ bracht wurde. Der von Kraft dafür verwendete Begriff des Karnevalesken293 führt auf die Leitgattung dieser Weltsicht und Verfahrensweise: die mit dem Karneval verknüpfte heroisch-komische Oper venezianischer Prägung bis ca. 1700. Der Roman nimmt die Gattungsdefinition des eroi-comico als das Prinzip des vollendeten Weltspiels auf und überträgt die Motivik zunehmend in die Textstruktur.294 Dabei werden ganze Figurentypen präzise übernom­ 289 290 291 292 293 294

Der Topos erinnert an Goethes knapp hundert Jahre später entstandene Lila. Vgl. Kraft (2004), S. 43–44. Vgl. ebenda, S. 43. In: Gedancken von der Opera. Vgl. das Kapitel zur Hamburger Dramaturgie 1696–1719. Vgl. Kraft (2004), S. 48. Eine weitere Facette für die komplexe Interaktion von Roman und Oper bildet Messalina (1679), allerdings als komische Oper und Parodie auf das Ideal der Constantia. (Vgl. Wolff [1937/1975], S. 131–139) von Carlo Pallavincini (1630–1688) nach einem Libretto von Fran­ cesco Maria Piccioli (1654–1729). Pallavincini war von 1667 bis 1688 Hofkapellmeister in Dresden (Vgl. Brockpähler [1964], 133), unterbrochen von einem zehnjährigen Venedigauf­ enthalt 1674–1685. Der aus Padua stammende Librettist schrieb 1685 fünf Oden für Herzog Ernst August, die diesem von Marco Contarini (1631–1689) bei dessen Besuch in Hanno­ ver überreicht wurden (vgl. Wolff [1937/1975], S. 131), er hatte also offenkundig Kontakt mit den Welfenherzögen. Anton Ulrich könnte in Venedig diese Oper gesehen haben, die offenbar mit seinem Roman und damit mit den Leseerfahrungen der Welfenherzöge auf Venedigreise spielt: Im dritten Akt der Oper wird die von Claudio entführte Florabella von ihrem Ehemann, der sie deshalb der Untreue bezichtigt, an einen Baum gefesselt und soll von ihm erschossen werden, als ihn das Geräusch feindlicher Truppen verscheucht. Die allein Zurückgebliebene singt in dieser Position ein Sterbelied (unter Zitat auf die alte kirchliche Polyphonie. Vgl. Wolff [1937/1975], S. 137). Dies ist genau die Situation, in der Tyridates Ne­

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men: Im ersten Buch wird ausführlich die Liebesgeschichte des Britannicus, Sohn des Kaisers Claudius und der britischen Prinzessin Caledonia geschil­ dert. Um den Nachstellungen der Kaiserin Agrippina zu entgehen und sich wechselseitig von der fortdauernden Liebe des Partners zu überzeugen, ver­ kleidet sich Caledonia als der Junge Galgacus, Britannicus als Jüdin Salome. So bringen sie dem Partner die Versicherungen von Liebe und Treue. Es ist dies eine typische Situation der venezianischen Oper, in der die zweite oder dritte männliche Partie (bevorzugt ein junger Kastrat) als Mädchen verkleidet an den Hof kommt, um seiner Geliebten nah zu sein.295 Die weibliche Tra­ vestie war ebenso beliebt, hier folgt eine Dame beispielsweise dem Gatten in den Krieg296 oder tritt verkleidet auf, um die Treue des Partners zu prüfen.297 Der galante Diskurs respektive die Vorsicht, mit der beide hinter der jewei­ ligen Verkleidung eine Falle der Agrippina vermuten, lassen dabei die wech­ selseitige Verzweiflung immer höher steigen, weil sich nach dem Diktum des uneigentlichen Sprechens im galanten Diskurs hinter der heißen Beteuerung der Liebe Gleichgültigkeit, hinter Gleichgültigkeit jedoch echte Liebe ver­ bergen muss,298 zumal sie beide des jeweils anderen Verkleidung bald durch­ schauen.

2.9.3  Pastorale vs. Historie – zyklisches und lineares Geschichtsbild im Roman In den Romanen Anton Ulrichs überkreuzen sich das zyklische und das li­ neare Geschichtsbild. Die Durchleuchtigte Syrerin Aramena greift im fünften Teil ausdrücklich die Gattung der Pastorale auf und evoziert damit das zyklische Geschichtsbild von im statischen Kontinuum des goldenen Zeitalters sich vollziehenden, letztlich außerhistorischen Handlungen der galanten Liebesgeschichten. Mit dem Kampf der neuen Religion gegen die Götzenverehrung wird dieses in eine lineare und teleologische Abfolge überführt, die allerdings über das Tä­ felchen mit der Götterdämmerung der alten Götter die Anknüpfung an die mythische Vergangenheit herstellt. Die pastorale Zeit des alten Testaments ronia alias Octavia auffindet (mit dem Detail bereits aufgeschnittener Pulsadern) und zugleich die Behandlung, die seine Schwester Parthenia unter dem Namen Acte erfährt, weshalb er sie vorübergehend für Neronia hält. Die Pose ist auch deshalb so hervorstechend, weil sie dem Druck als Kupferstich beigefügt wurde (Anton Ulrich: Römische Octavia. Werke, Bd. III.3 [1993], S. 978.). 295 Beispielsweise in Beregan/Legrenzis Giustino von 1683. 296 Ebenfalls Giustino. 297 Antigona delusa da Alceste von Aurelio Aureli. 298 Vgl. Kraft (2004), S. 33–35.



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erscheint in der Logik des Romans als jüngste Vergangenheit und Beginn des historisch-linearen Zeitverlaufs der christlichen Eschatologie. Wilhelm Vosskamp hat das Geschichtsbild des höfisch historischen Ro­ mans als eine „Projektion des Gegenwärtigen ins Vergangene“ gefasst und damit von der Definition Lukacs (Vergangenheit als Vorgeschichte der Ge­ genwart) abgesetzt.299 Kraft hingegen beschreibt für das Verhältnis von rö­ mischer Antike und höfischer Gegenwart des 17. Jahrhunderts einen „eigen­ tümlichen Rückkopplungseffekt“.300 Nicht nur bilden die Schriften Publius Cornelius Tacitus’ (58–120 n. Chr.) eine der wichtigsten Quellen des Romans, überdies hatte die höfische Gesellschaft ihre Verhaltensmuster wesentlich an ihnen geschult. So erweisen sich die Verhaltensmuster der beschriebenen An­ tike und der lesenden Zeitgenossen über weite Strecken als genuin identisch. „Von der vertrauten Lektüre unseres Tacitus, der die gegenwärtige Weltszene in nicht wenigen Fällen unter antiken Personen darbietet, kann ich meine Au­ gen und meine Hand noch nicht lassen.“301 Spricht sich hierin zwar noch die emblematische Denkweise des 16. und 17. Jahrhunderts aus, die gewohnt ist, Analogien der Gegenständlichkeit auf allgemeingültige Prinzipien der gött­ lichen Weltordnung zu beziehen, so realisiert die Römische Octavia gleichwohl kein statisches Geschichtsbild mehr, vielmehr konfligiert diese Sichtweise ge­ rade mit der historisch linearen Abfolge des Romans, der sich über zwei Fas­ sungen und sieben bzw. acht Bände302 als nicht abschließbar erweist: Anders als in der arkadischen Fiktion der Durchleuchtigten Aramena mit den Legenden des alten Testaments war der historische Roman der römischen Kaiserzeit, der auf grundsätzliche Übereinstimmung mit den historischen Quellen be­ dacht war,303 nicht mehr zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen, so­ fern er diese mit der christlichen Teleologie einer sinnvollen Entwicklung der Geschichte hin auf ein goldenes Zeitalter304 verbinden wollte: Die Aufklärung ist nicht erst anläßlich des Erdbebens von Lissabon und auch nicht erst bei Lessing auf den inneren Widerspruch von Rationalismus und Empirie, von Utopie und Realismus gestoßen oder gestoßen worden. Auch Christian Thoma­ sius hat bereits den Widerspruch zwischen der Forderung nach der Regierung der

299 Vgl. Wilhelm Vosskamp: Romantheorie in Deutschland. Von Martin Opitz bis Friedrich von Blanckenburg. Stuttgart 1973, S. 19. 300 Kraft (2004), S. 66, Fußnote 172. 301 So der Humanist und Lehrer von Opitz Matthias Bernegger (1582–1640) am 15. Juli 1663. Zit. nach: Wilhelm Kühlmann: Geschichte als Gegenwart: Formen der politischen Reflexion im deutschen „Tacitismus“ des 17. Jahrhunderts. In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann (Hg.). Wiesbaden 1987, S. 325–348, hier: S. 328. 302 Vgl. Kraft (2005), S. 7–8. 303 Vgl. Kraft (2004), S. 8–10. 304 Wie dies beispielsweise in der Irmenseul durch die Christianisierung erreicht ist.

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Oper – Operntext – Lesetext Vernunft und dem Erkennen des Widerlagers in der eigenen Triebnatur nur noch durch den Rekurs auf die göttliche Gnade auflösen können. Wie später Lessing in der Erziehung des Menschengeschlechts benötigt er also einen nicht mehr hinterfragbaren Glaubenssatz, der außerhalb der eigenen, aufklärerisch geprägten Basis steht, um sein Grundkonzept nicht völlig aufgeben zu müssen.305

Allerdings wird im Roman wie in der Oper die Belohnung richtigen Verhal­ tens noch im Diesseits, was bedeutet, innerhalb der dargestellten Handlung erwartet. Darin liegt der fundamentale Unterschied zur Tragödie und jeder Form des Märtyrerdramas und der Bezug zum Lieto fine der Oper. Der Roman blieb bei Anton Ulrichs Tod unabgeschlossen. Lieselotte von der Pfalz (1652–1722) hatte schon 1706 geunkt, „der roman macht an die ewigkeit gedenken, denn er nimbt kein end“.306 Die historisch-lineare Konzeption, in die die statisch-emblematischen Elemente eingefügt sind wie die emble­matischen Arien der zu dieser Zeit entstehenden Reformoper Zeno und Metastasios in das Dramma per musica, ließ sich nicht mehr mit dem deus ex machina der Oper abschließen, der in der Durchleuchtigten Syrerin Ara­ mena die große Katastrophe noch im letzten Moment zum Guten gewendet hatte.

2.10  Heinrich Anselm von Zigler und Kliphausen Die Asiatische Banise Heinrich Anselm von Zigler und Kliphausens 1689, im selben Jahr wie Lo­ hensteins Großmütiger Feldherr Arminius erschiene Die Asiatische Banise, oder das blutig- doch muthige Pegu führt die Tendenzen der Romane Anton Ulrichs auf vielfältige Weise weiter und übernimmt insbesondere die Interaktion von Leselibretto und Roman in ihre Makro- wie Mikrostruktur. Anders als bei Anton Ulrich, dessen Librettoschaffen in den Roman mündet, generiert sich das Libretto in der Asiatischen Banise förmlich aus dem Roman und spiegelt damit den auch opernspezifischen Werdegang seines Autors. Der einem alten meißnischen Adelsgeschlecht entstammende Zigler wurde 1663 in Radmeritz geboren. Ob er während seiner Schulzeit in Görlitz 305 Kraft (2004), S. 170. 306 Am 23. 09. 1706. Briefe der Lieselotte von der Pfalz. Helmuth Kiesel (Hg.). Frankfurt a. M. 1981, S. 159. Zwei Jahre zuvor hatte sie freizügig über ihre Lektüregewohnheiten berichtet: „Wenn ich die romans lange und an einem stück lesen müßte, würden sie mir beschwerlich fallen; ich lese aber nur ein blatt 3 oder 4, wenn ich met verlöff auf dem kackstuhl morgens und abends sitze, so amüsierts mich und ist weder mühsam noch langweilig so“. Ebenda, S. 152. Vgl. ferner: Olaf Simons: Marteaus Europa oder der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. Amsterdam u. a. 2001, S. 445.



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oder dem späteren Studium in Frankfurt an der Oder mit über Schulthea­ ter hinausgehendem Musiktheater konfrontiert wurde, kann mit Sicherheit nicht entschieden werden. Sein drei Jahre älterer Bruder Joachim Sigismund (1660–1734), der während seiner Kavalierstour 1687 und 1688 in Paris und später am Dresdner Hof lebte, könnte den begeisterten Leser der Dramen Lohensteins und Hallmanns mit Operntextbüchern versorgt haben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat sich Zigler seine Opernkennt­ nisse aber bereits früher über die Librettolektüre angeeignet, zu der er als Adelsspross vermutlich die standesgemäße Grundausbildung in Tanz und Musik erhalten hatte. 1695, sechs Jahre nach dem Roman, entstand schließ­ lich sein einziges Libretto Die lybische Talestris für den Weißenfelser Hof. Die Asiatische Banise gehörte zu den beliebtesten und meistgelesenen Ro­ manen des 18. Jahrhunderts und erlebte alleine bis 1764 elf Ausgaben. Gott­ sched bezeichnete sie als den besten deutschen Roman, Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) und noch die Generation der Sturm- und-Drang-Au­ toren, unter ihnen Karl Philipp Moritz (1756–1793) und Goethe lasen das Buch in ihrer Jugend neben Werken der Aufklärung wie Johann Gottfried Schnabels (1692–vor 1760) Insel Felsenburg als mitunter verbotene, aber un­ widerstehlich spannende Lektüre. Ziglers höfisch-historischer respektive historisch-galanter Roman weist zwar eine große, mehrere Königreiche und Dynastien umspannenden Stofffülle auf, umfasst jedoch mit nur drei Bü­ chern, verglichen mit anderen Barockromanen, eine überschaubare Text­ masse. Zigler verarbeitete historische Quellen- und Reisebeschreibungen der exotischen Schauplätze in Birma und Siam,307 die er zu einem einheitlichen Werk zu verschmelzen vermochte, dessen Stil sich mitunter markant von der Gattung des höfischen Romans absetzt. Verfasst in einer „leichten und gewöhnlichen Redens-Art“308, also im mittleren Stil, könnte man die Banise auch als einen der ersten Unterhaltungsromane bezeichnen. Sie fand nicht nur auf dem Gebiet des Romans zahlreiche Nachfolger, sondern regte wie Arminius neben Schauspielen auch Dramatisierungen für die Opernbühne und weitere Leselibretti an. Da die Asiatische Banise in ihrer Struktur bereits die Oper und ihre Verfahrensweisen rezipiert, entsteht daraus ein tendenziell ad infinitum sich fortsetzender Dia­log beider Gattungen.

307 Weshalb der Roman bis ins 19. Jahrhundert hinein auch als Nachschlagewerk zur asiatischen Geschichte, Sitten und Gebräuchen Verwendung fand. Vgl. Nachwort zu: Heinich Anselm von Zigler und Kliphausen: Die Asiatische Banise. Historisch-kritische und kommentierte Ausgabe des Erstdrucks (1689). Werner Frick, Dieter Martin und Karin Vorderstemann (Hg.). Berlin und New York, 2010, S. 534. Vgl. ferner: Wolfgang Pfeiffer-Belli, Die asiati­ sche Banise. Studien zur Geschichte des höfisch-historischen Romans in Deutschland. Berlin 1940, Reprint: Nendeln 1969. 308 Banise (2010), S. 10.

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2.10.1  Makrostruktur und Mikrostruktur des Librettos im Roman Ziglers Roman erzählt die Liebesgeschichte des Prinzen Balacin von Ava und der Prinzessin Banise von Pegu. Ihnen zugesellt sind als weitere hoch­ adelige Liebespaare Balacins Schwester Higvanama und der Prinz Nherandi von Siam sowie der Hauptmann Abaxar alias Prinz Palekin von Prom und die Prinzessin von Siam Fylane. Sie alle werden durch den so widerwärtigen wie triebhaften und mit seiner Brutalität und Hinterlist zunächst erfolgrei­ chen Tyrannen Chaumirgrem in ihrer Liebe gehindert, zum Teil aus ihren angestammten Reichen vertrieben und Banise überdies entführt und gefan­ gen gehalten. Der zunächst heiratsscheue Diener Balacins, Scandor, und die ausgesprochen ehelustige Lorangy bilden das komische Paar, das bereits zu Anfang des zweiten Buches an sein vorhersehbares Ziel kommt: Lorangy hat sich in den inkognito bei ihrem Pflegevater einquartierten Balacin verliebt, und da ihre kupplerische Pflegemutter ganz richtig das hohe Blut des frem­ den Herren wittert, soll Lorangy sich des Nachts in seine Kammer und zu ihm ins Bett schleichen, worauf die Mutter in Begleitung zweier Geistlicher die Kammer stürmen und das ertappte Paar vor die Wahl stellen will: Tod oder Ehe. Der Plan wird durchgeführt, doch hat Balacin rechtzeitig Wind davon bekommen, mit seinem Diener das Bett getauscht und ihm für die Übernahme der Braut eine stattliche Aussteuer versprochen. Scandor willigt zögernd ein, doch zeigt das Lied, das der im Bett des Prinzen auf die Braut Wartende singt, wie sehr er sich auf das Mädchen freut und nur hofft, „[d]aß/ gleich wie er/ Lorangy Jungfer sey“309. Der Betrug glückt und als die trium­ phierende Mutter am Morgen die Vorhänge aufzieht und statt des erwarteten Prinzen dessen Diener als Schwiegersohn vorfindet, könnte das der Beginn eines langjährigen Ehekriegs sein. Doch Scandor, inzwischen bis über beide Ohren verliebt, beweist neben seinem guten Humor auch seine gute Erzie­ hung und kann Braut und Mutter rasch für sich gewinnen. Scandor ist somit nicht einfach ein Hanswurst, der als triebverhaftetes Wesen wegen seiner zweifelhaften Moralität letztlich außerhalb des Handlungssystems verbleibt. Scandor ist ein Pikaro mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, der zum einen (ähnlich wie seine Braut Lorangy) von Balacin fast wie ein Pflegesohn behan­ delt wird, zum anderen mit seinem gesunden Menschenverstand für letzteren oftmals eine Schutzfunktion übernimmt. Überdies werden weite Strecken des Romans von Scandor berichtet, während Balacin schweigt. Scandor ist dabei in der Lage, auch die hohen Galanterie-Diskurse seiner Herrschaften korrekt wiederzugeben und ist wenigstens im ersten und zweiten Buch die Figur, an die der mittlere Stil des Romans gekoppelt ist. Erst in dem Maße, 309 Ebenda, S. 207.



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in dem die Erzählung auf das Präsens der Handlung trifft, verliert sich seine Bedeutung, und der auktoriale Erzähler übernimmt. Der Roman zeigt mit Prinz Zarang von Tangut und der Prinzessin von Savaady noch ein mittleres Paar. Die Prinzessin lebte als landloser Flücht­ ling am Hofe von Banises Vater Kaiser Xemindo und betete vergeblich den ebenfalls am Hofe verweilenden Günstling des Kaisers Prinz Zarang an, der jedoch nur Augen für die schöne Prinzessin Banise hatte, letztere jedoch wiederum nichts von ihm wissen wollte. Diese Dreiecksgeschichte durch­ zieht den Roman und beide Protagonisten stellen immer wieder ihre Nei­ gung zur Intrige unter Beweis, ohne jedoch ganz auf die Seite des Schurken Chaumigrem geschlagen zu werden, da ihr einziges Intrigenziel eben der jeweils Geliebte ist. Schließlich, als sie wie auch Banise in der von Balacin belagerten Stadt eingeschlossen ist, gibt sich die Prinzessin von Savaady ge­ schickt gegenüber Zarang als Banise aus, stürzt sich in Männerkleidung in die Schlacht und lässt sich von Zarang retten. Erst nahe der Grenze bemerkt der Prinz mit Entsetzen, dass er einem Trug aufgesessen ist und weist sie abermals ab. Die Prinzessin verlangt daraufhin, er solle sie töten, respektive will sich selbst einen Dolch in die Brust stoßen. Der Anblick des entblößten Busens führt dem Prinzen ihre unverbrüchliche Liebe und Treue ebenso eindrücklich vor Augen wie ihre Schönheit und er erklärt sie freudig auf der Stelle zu seiner „liebwerten Gemahlin“ und Königin von Tangu – worauf sich das nun glückliche Paar mit seinem Gefolge endgültig aus dem Staube macht.310 Galanterie, von Scandor in seinem Liedchen zur Hochzeitsnacht als „die Hülffe zur Ehlichen Müh“ bezeichnet,311 ist ein Schlüsselbegriff des Romans. Wo Chaumigrem sich in seinem Werbungsverhalten stets von neuem als so ungeschickt wie ekelhaft und brutal verhält, dass eine Prinzessin eher sterben möchte als an seiner Seite zu leben, da beweisen die Prinzen Balacin, Nherandi und Palekin vollendete Umgangsformen und ritterliche Tugenden, die ihnen zugeordneten Prinzessinnen Treue und Reinheit. Während die drei hohen Paare bis zum Schluss des Romans durch äußere Mächte verhindert werden, muss das mittlere Paar zunächst gegeneinander ankämpfen, wozu die Mit­ tel der Intrige letztlich gerechtfertigt sind. Scandor und Lorangy schließlich kommen erst gar durch einen handfesten Betrug zueinander. Diese heitere bis komische und mitunter pastoral anmutende Handlung wird kontrastiert mit der blutigen Historie, bei deren Schilderung Zigler sich bemerkenswert eng an die Quellen hielt.312 Dabei wird der Untergang dreier Königreiche 310 Ebenda, S. 372–377. 311 Ebenda, S. 207. 312 Vgl. Pfeiffer-Belli: Nachwort zu: H. A. Zigler: Die Asiatische Banise. München 1956, S. 475– 477. Vgl. Ferner: Schröder (1998), S. 148.

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mit jeweils fast dem gesamten Herrschergeschlecht geschildert. Die De­ tailtreue, mit der Zigler die Folterungen und Todesarten insbesondere der weiblichen Angehörigen und der Kinder wiedergibt, widerspricht jeg­lichem galantem decorum, greift Strategien des Märtyrerdramas auf und führt im Leser jene Affektwechsel herbei, die die Oper durch die Musik bewirkt. So wird die nach Martabane verheiratete Schwester der Banise, Nhai Canato gemeinsam mit den 140 Adelsfrauen des Reiches und ihren vier Kindern von Chaumigrem hingerichtet, nachdem er ihr Reich überfallen und durch Verräterei besiegt hat. Mit unverkennbar sexuell konnotiertem Sadismus sind die Kinder halb nackt und werden die Frauen an den Füßen aufgehängt, damit sie qualvoller sterben. Die Königin soll wie die heilige Katharina von Georgien313 als Gipfel der Marter zunächst zusehen, wie ihre Kinder gehängt werden, um dann daneben langsam zu sterben. Der „gütige Himmel“ lässt sie jedoch beim Abschied von den Kindern tot zusammensinken, worauf man die Tote rasch aufhängt, „hernach die vier andern Frauen/ und end­ lich zu ihrer Rechten die zwey jungen Printzen/ zur Lincken aber die zwey kleine Princeßinnen“.314 Die aufrichtige Liebe und ihr selbst unter dem Gal­ gen noch vorbildliches Verhalten untereinander315 befähigt die Frauen zum Märtyrertod. Dagegen sind die Herrscher der von Chaumigrem überfalle­ nen Reiche oftmals selbst höchst zweifelhafte Gestalten. Der Vater des Prin­ zen von Siam etwa lässt auf Einflüsterung seiner zweiten Frau seine eigene Tochter hinrichten, der Vater Balacins verstößt wegen des damals als Günst­ ling am Hofe lebenden Chaumigrem seine beiden Kinder und selbst Kaiser Xemindo ist zunächst ein kühl kalkulierender Herrscher, dem die Neigung seiner Tochter Banise herzlich egal ist. Doch wird er durch die seiner Hin­ richtung vorangehenden Foltern Stück um Stück geläutert, bis er auf dem Weg zum Galgen zu einem der in seinem Reich ansässigen Portugiesen sagen kann: Ich muß gestehen/ wann es GOTT gefiehle/ möchte ich ietzo noch eine Stunde leben/ um zu bekennen/ die Vortreffligkeit des Glaubens/ welchem ihr andern zugethan seyd. Dann nachdem ich vormals davon habe reden hören/ so ist euer GOTT allein der wahre/ u. alle andere Götter sind Lügner316

worauf ihm der Henkersknecht eine Ohrfeige gibt, dass ihm das Blut aus der Nase läuft, der Kaiser jedoch seine Konversion zum Christentum be­ reits durch seine Gleichmut beweist: „Mein Freund! laß mich mit diesem 313 Etwa im Trauerspiel von Gryphius (1657). 314 Banise (2010), S. 140. 315 So erweisen die Frauen der Königin noch die ihr gebührende respektvolle Verabschiedung, die Königin bittet die Damen jedoch, den Kindern zu helfen. Vgl. ebenda, S. 139. 316 Ebenda, S. 192.

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Blute Nutzen schaffen/ auf daß dir nichts abgehe/ sondern du mein Fleisch ­darinne backen und rösten könnest“.317 Der Roman ist in mehrfacher Hin­ sicht auch eine Allegorie auf die deutschen Verhältnisse. Die asiatischen Kriege des 16. Jahrhunderts mit ihren Grausamkeiten und die detailrealis­ tischen Beschreibungen der Leichen gleich zu Beginn erinnern daran, dass die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges noch in unferner Erinnerung lagen. In den heidnischen Priestern sind seltener exotische Bräuche als ausgespro­ chen heimische Untugenden beschrieben, beispielsweise wenn sie sich von Lorangys Mutter zur erzwungenen Eheschließung oder von Chaumigrem zu politisch motivierten Hinrichtungen missbrauchen lassen. Der greise, vor­ geblich zölibatär lebende Rolim schließlich versucht mit allen Mitteln der Beredsamkeit die ihm anvertraute Banise zu verführen und, da sie standhaft bleibt, schließlich zu vergewaltigen. Zigler spielt die heidnischen nicht ge­ gen christliche Bräuche aus und ergreift auch nicht Partei für die eine oder andere Gottheit des asiatischen Pantheons. Mit geradezu Lessingscher To­ leranz macht er nicht die asiatischen Götter oder Götzen für die Missstände verantwortlich, sondern alleine die Menschen. Entsprechend durchsichtig erscheinen die heidnischen Priester häufig als „Pfaffen“. Die Bezüge zum Musiktheater im Roman sind vielfältig und manifestieren sich auf formaler wie inhaltlicher Ebene. Den auffälligsten bildet der Schluss des Romans. Als sich die drei Paare zur ersten gemeinsamen Ruhe begeben, führt die in Pegu ansässige portugiesische Minderheit eine Huldigungskan­ tate vom Sieg der Venus über Mars auf, mit der zugleich die Herstellung eines dauerhaften Friedens gefeiert und das dreifache Beilager begleitet wird. Am folgenden Tag wird den frischvermählten Paaren dann eine Oper (!) vorge­ spielt, deren Libretto vollständig im Roman abgedruckt ist. Die Situation, in der das Musiktheater hier gegeben wird, bildet also geradezu die von Schrö­ der beschriebene Funktionalisierung der Huldigungsopern der Hamburger Gänsemarktoper ab. Am Morgen nach der Hochzeit warteten die Portugiesen unterthänigst auf: und weil ihnen ein freyer Handel durch das gantze Reich zugelassen worden/ baten sie um allergnädigste Erlaubniß/ ihre Danckbarkeit durch eine Theatralische Handlung/ nach Europäischer Art/ in der Burg vorstellen zu lassen [.]318

Die Portugiesen, wie die Hamburger ein Volk von Händlern und Seefahrern, huldigen dem Herrscher nicht etwa für Religionsfreiheit und Bürgerrecht, sondern für freien Handel. Genau dieses Ziel (Schutz, Wegfall der Zölle und

317 Ebenda, S. 193. 318 Ebenda, S. 406–407.

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Steuern etc.) hatte der Hamburger Senat mit seinen Huldigungsopern an­ lässlich von Hochzeiten, Thronbesteigungen und Jubiläen europäischer Herrscher, insbesondere aber 1689/1690, also parallel zum Erscheinen des Romans mit der ersten Festoper Ancile Romanum von Johann Philipp Förtsch (1652–1732)/Christian Heinrich Postel (1658–1705) gegenüber dem Habs­ burger Kaiserhaus verfolgt.319 Die Oper erscheint als Exportartikel der Portugiesen, die hier die Euro­ päer vertreten. Damit verkehrt sich der Exotismustopos, mit dem die Oper und noch stärker das französische Ballett sein Publikum mit exotischen Ge­ schichten und Schauplätzen unterhielt, die gleichwohl nach einheimischen Bedingungen funktionieren. Die europäischen Bräuche werden hier vor staunenden Asiaten aufgeführt, wie bereits im Roman Balacin und Scandor in ­einer burlesken Marktszene320 den Damen am Hof Chaumigrems europä­ ische Schönheitswässerchen verkaufen wollen.321 Für das Huldigungsspiel stellt Zigler das vollständige Libretto L’Heraclio von Nicolò Beregan, (Venedig 1671; Musik von Ziani) ein, das Hallmann 1684 übersetzt und in seinen Trauer-, Freuden- und Schäffer-Spielen publiziert hat­ te.322 Zigler versifiziert die von Hallmann in Prosa übersetzen Rezitative, die Liedeinlagen behielt er mit wenigen Veränderungen bei.323 Bereits Hallmann hatte die italienischen Arien gezielt in strophische Lieder umgewandelt, die sich, wie Irmgard Scheitler nachweisen konnte, überwiegend auf die Melo­ dien geistlicher deutscher Lieder singen lassen, die einem nord- und mittel­ deutschen Lesepublikum vertraut waren324 und damit die von Busch-Salmen für die frühen Singspiele Anton Ulrichs und Sophie Elisabeths festgestellte Praxis aufgreifen. Da Zigler auf ein bereits bestehendes Libretto zurückgriff und die Um­ wandlung der Prosarezitative in Alexandriner einen beträchtlichen Aufwand darstellte, der sich von einer Neuschöpfung nur unwesentlich unterschied, wollte er mit dem Libretto offenbar ausdrücklich auf die italienische, und zwar auf den Typus der venezianischen Oper verweisen, die sich tatsächlich als

319 320 321 322

Vgl. Schröder (1998), S. 89–93. Der Marktschreier ist ein beliebter Pikaro und taucht z.  B. in Feinds Masaniello auf. Banise (2010), S. 248–251. Zu den Transformationen des L’Heraclio-Librettos vgl. Bernhard Jahn: L’Adelaide und L’He­ raclio in Venedig, Breslau und Hamburg. Transformationen zweier Bühnenwerke im Span­ nungsverhältnis zwischen Musik- und Sprechtheater. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 68  (1994), S.  650–694. Vgl. ferner Schröder (1998), S. 148–149. 323 Vgl. Banise (2010), Nachwort, S. 669–670, und Jahn (1996), S. 146–147. 324 Vgl. Irmgard Scheitler: Die Metamorphosen des Heraclius. In: Die europäische Banise. Re­ zeption und Übersetzungen eines barocken Bestsellers. Kongressbericht. Dieter Martin und Karin Vorderstemann (Hg.). Berlin u.  a. 2013, S. 51–66.



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poetische Folie für den gesamten Roman entpuppt,325 wodurch sich Libretto und Roman jenseits der unterschiedlichen historischen Stoffe zu einem hö­ fisch-historisch-galanten Grundprinzip verbinden. Das Opernlibretto hat mehrfach allegorische Funktion. Die erste manifestiert sich im Doppeltitel, Die listige Rache oder Der Tapffere Heraclius. Wie A ­ lbrecht Schöne gezeigt hat,326 sind die Doppeltitel der barocken Dramatik, die sich im Übrigen in der Oper und insbesondere in den komischen Opernformen noch bis in die Mozartzeit halten sollten, eine emblematische und damit al­ legorische Verfahrensweise, mit der in einer konkreten Handlung/Figur ein abstraktes Prinzip (hier die listige Rache) gezeigt wird. Zusätzlich wird dem eigentlichen Stück ein gesungener Prolog vorangestellt, „wurde die Applica­ tion dieser fernen Handlung/ auf des Reichs Pegu vergangenen Zustand/ folgender massen in eine höchst-bewegliche Music abgesungen“.327 Die Li­ brettohandlung steht also für die Vorgänge in Pegu, präzise ab Chaumigrems Okkupation des Reiches Pegu und dem grausamen Mord an der kaiserlichen Familie. Obgleich sich in den zentralen Paaren klar die Figuren Banise und Balacin respektive Higvanama und Nherandi spiegeln, tritt doch an die Stelle der konkreten Entschlüsselung der Libretto- durch die Romanfiguren die emblematisch-allegorische Zuordnung, die sich damit in beide Richtungen lesen lässt: Von Byzanz über Pegu bis Venedig nach Deutschland. Das Li­ bretto erzählt eine Episode aus der byzantinischen Geschichte, die wenige Jahre zuvor bereits von Corneille (1646) und (1659/1664) Pedro Calderón de la Barca (1600–1681) bearbeitet worden war.328 Auf der Stoffebene gibt es keine direkte Verbindung, wohl aber bezüglich den der Romanhandlung Ba­ nise und L’Heraclio unterliegenden Strukturen. In beiden Fällen hat ein bruta­ ler und ausgesprochen triebgesteuerter Despot Reich und Dynastie (beinahe) ausgelöscht und wird durch eine Mischung aus List und Tapferkeit besiegt. Das Verkleidungsmotiv kehrt ebenso wieder wie das der in den Krieg ziehen­ den bzw. in Rüstung auftretenden Prinzessin. Das venezianische Libretto ist auch und vor allem eine Parodie auf die heroischen Heraclius- und Martian­ dramen, indem es Verkleidung und Rollentausch zwischen den Geschlech­ 325 Mit der die ältere Forschung gleichwohl nichts anfangen konnte. Vgl. Adolf Haslinger: Epi­ sche Formen im höfischen Barockroman. Anton Ulrichs Romane als Modell. München 1970, S. 236. 326 Albrecht Schöne: Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. 3. Auflage. Mit Anmer­ kungen. München 1994, S. 194–196. 327 Banise (2010), S. 408. 328 Die Bearbeitungen sind sich so ähnlich, dass seit Voltaire behauptet wurde, Corneilles Bear­ beitung sei ein Plagiat Calderóns. (Vgl. Edmund Schramm: Corneilles Héraclius und Calderons En esta vida todo es verdad y todo mentira. In: Revue Hispanique 71 [1927], S. 225–308.) Mög­ licherweise gab es ein heute nicht mehr bekanntes Vorbild.

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tern zum Movens der Handlung und daraus eine Schule der Täuschung und des beständigen Wechsels von Affekterregung und Affektkontrolle macht.329 Am Ende erstrahlt in Heraclio der neue Herrscher von Byzanz, der nach der Stofftradition (deren Kenntnis Zigler wenigstens bei Teilen seiner Le­ serschaft voraussetzen konnte) zum Kaiser des Orients wird und ihm in treuer Freundschaft verbunden als Nebenpaar Honoria und Siroe, der persische Erbprinz. Spiegelbildlich zu Scandor ist es im Libretto Aspasia, die komische, gleichwohl treue Amme der Theodosia,330 die letztere mit so vernünftigen Argumenten wie „Sie denke [‚bedenke‘ Anm. T.H.], wie ein Stoß dem Fleisch oft wehe tut“331 vom Selbstmord abhält. Alexandriner sind bekanntlich in deutschen Libretti der 1680er Jahre die Ausnahme,332 werden jedoch bereits von Anton Ulrich wie von Birken explizit für das Leselibretto eingesetzt, und auch Hallmanns Sammlung von Leselibretti verwendet Alexandriner, etwa für L’Adelaide.333 Ziglers eigenes Bühnenlibretto Die lybische Talestris (1696 für Weißenfels) bevorzugt hingegen freie Versformen. Die regelmäßigen Alexandriner-Rezitative substituieren hier also weniger die Rolle der Musik, wie Jahn annimmt334 – zumal die Vor­ stellung, dass ein Libretto ohne Musik ein defizitäres Genre sei, eine genuin moderne ist – sondern realisieren die für das Leselibretto angemessene Form als andere Spielart der Gattung, die – mag es auch auf den ersten Blick pa­ radox erscheinen – trotz ihrer Nähe zum Barockdrama durch die Anweisun­ gen im Text wie die Rezeptionstradition unmissverständlich vom Leser als gesungene Rezitative vorzustellen sind,335 wenngleich die Begriffe, mit denen das Libretto belegt wird, zwischen „Opera“, „Theatralische Handlung“ und „Schauspiel“ oszillieren. Dass dazu die verstechnischen Verfahrensweisen 329 Vgl. Jahn (1994), S. 664. 330 Die Amme ist eine der Lieblingsgestalten der venezianischen Oper und oft von vorneherein als Travestierolle (also für einen Tenor, Bass oder Falsettisten) konzipiert. 331 Banise (1969), S. 429. 332 In Lucas von Bostels Cara Mustapha (1686) verteilen sich die Alexandriner-Passagen einmal auf die feierliche Erscheinung Mahomets (Mohamed) und die typischen sentenzhaften Streit­ gespräche, bei denen die Diskutanten ein Argument mit einem anderen beantworten, bis einem von beiden der Stoff ausgeht. Diese ‚Diskussionskultur‘ des gegenseitigen Schlagab­ tausches gilt als typisch auch für das barocke Trauerspiel. Der Alexandriner mit seinen langen Zeilen und Mittelzäsur eignet sich besonders für sentenzhafte Zeilen. 333 Trauer=/ Freuden=/ und / Schäffer=/ Spiele. Breslau 1684. Jahn argumentiert, dass diese Sammlung sogar für spätere Hamburger Bearbeitungen der Libretti die wahrscheinliche Quelle darstellt. Vgl. Jahn (1994), S. 660. 334 Zumal Madrigalverse kaum als weniger klanglich einzustufen sind als Alexandriner. Vgl. Jahn (1996), S. 147. 335 Vgl. ebenda, der damit Elisabeth Frenzels Einschätzung, bei dem Libretto handele es sich um ein „Schauspiel mit Musik und Gesangseinlagen“ (H. A. von Zigler als Opernlibrettist. Die lybische Talestris – Stoff, Textgeschichte, literarische Varianten, In: Euphorion 62 [1968], S. 278–300) korrigiert.



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eines für die Aufführung bestimmten Librettos nicht im Detail eingehalten werden müssen bzw. gezielt der Lesevers Alexandriner verwendet wird, deckt sich mit den Leselibretti Anton Ulrichs und macht geradezu den besonderen ästhetischen Reiz des Leselibrettos als Oper im Kopf aus.336 Anders als bei der Mehrzahl der Musiktheatereinlagen in den Romanen Anton Ulrichs wird das Libretto nicht von den Figuren kommentiert und wegen seiner Schlussposition nur knapp auf die Handlungsebene rückge­ führt. Jahn vermutet dahinter eine Signatur für die zunehmende Autonomie der Oper vom höfischen Ritual und zunehmende personelle Professionali­ sierung, „weiter zum Repertoire-Theater“.337 Jahns Überlegung, ob sich in der Banise die zunehmende Autonomie des Musiktheaters von der höfischen Funktionalisierung zum bloßen Rezeptions- (Unterhaltungs-)Theater mit höherer ästhetischer Freiheit spiegle, darf jedoch bezweifelt werden, schließ­ lich sind die Portugiesen keine fahrende Operistenbande, sondern vor allem jene europäische Nation, die in der indischen Welt anzutreffen ist und der man als romanischem Volk eine italienische Oper halbwegs zutrauen kann. Als Beschreibung der Rezeptionspraxis der tatsächlichen Opernbühne hätte Zigler ein (eigenes) Libretto auf dem Stand der formalen Entwicklung und eventuell sogar wie bei Seelewig einige Seiten Noten einrücken können, was im Rahmen der im Roman wiedergegebenen Lieder durchaus möglich gewesen wäre und dem technischen Aufwand von Illustrationen entsprochen hätte. Es geht also ausdrücklich um die Oper im Kopf, nicht um ein multimediales Kunstwerk wie in den Frauenzimmer Gesprächsspielen. Daher wird der Roman­ text mit einer weiteren Lesegattung, dem Leselibretto formal erweitert,338 das ähnlich wie die zeitgleichen Beispiele aus der Römischen Octavia und Lohen­ steins Arminius dem mit den Strukturen des Musiktheaters vertrauten Leser einen imaginären Musikgenuss beschert, der auf der grundsätzlichen Unab­ hängigkeit des Funktionsprinzips Oper von einer konkreten Vertonung bis in die Mozartzeit aufbaut. Gleichwohl greift Zigler anders als seine beiden 336 Insofern schärft Irmgard Scheitlers Argumentation, Hallmans L’Heraclio als (Prosa-)Schau­ spiel mit Liedeinlagen zu betrachten und analog dazu als Schauspiel mit Musik, den Blick für die Differenzen des Leselibrettos vom zur Vertonung und Aufführung bestimmten Libretto, ohne damit dessen zentrale Funktion als Oper im Kopf zu widerlegen. Vgl. Dies.: (2013), S. 51–66. 337 Vgl. Jahn (1996), S. 149. Jahn gebührt allerdings die Ehre erstmals die Durchdringung von Roman und Libretto erkannt zu haben, wohingegen Haslinger (1970, S. 236) das Libretto als zusammenhanglosen Appendix beschreibt, Elisabeth Frenzel (1968, S. 278–300, hier: S. 280) es gar als Schauspiel einstuft. 338 Entsprechend geht Irmgard Wirtz hier knapp am Ziel vorbei, wenn sie für die Asiatische Banise konstatiert, „mit dem Opernlibretto wird die Musik zum Interpretanten der Erzählung“. Vgl. Dies.: Galante Affektinszenierung im spätbarocken Roman. Heinrich Anselm von Ziegler und Klipphausens Asiatische Banise. In: Der galante Diskurs. Kommunikationsideal und Epo­ chenschwelle. Dresden 2001, S. 331–345, hier: S. 336.

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Vorbilder mit ihren historischen bzw. konzeptionellen Librettoformen, auf einen sehr konkreten und gegenwärtig am weitesten entwickelten Typus zu, der das charakteristische heroi-comico seiner mittleren Schreibart idealty­ pisch verkörpert: die venezianische Oper der 1670er Jahre. Entsprechend richtet sich das Musiktheater auch in diesem Roman nicht mehr in erster Linie an die Kollektive der Handlung, sondern quasi über sie hinweg an den Leser. Banises gesungene Sterbeszene wird lediglich vom Erzähler als herzzerreißend geschildert, bei den Priestern und dem der Op­ ferung beiwohnenden Volk scheint sie hingegen keinen nennenswerten Af­ fektwechsel (!) hervorzurufen. Im Moment höchster Bedrängnis seiner He­ roine wechselt der Roman in die Opernszene, die das Grauen für den Leser zugleich ästhetisiert und mit einem Höchstmaß an Wirksamkeit ausstattet. Anders als die ebenso eindringlich geschilderten (und tatsächlich vollzoge­ nen) Morde an ihrem Vater und ihrer Schwester erhält Banises Todesszene bereits Züge der Verklärung. Der grausame Akt wird mit den Mitteln des Musiktheaters zu einem ästhetischen, ‚schönen‘ überformt. Hier trifft sich die Forderung des Romans nach Wahrhaftigkeit, nach präziser Wiedergabe der Quellen mit der Forderung der Oper nach „künstlicher“, künstlerischer Überformung. Es geht also nicht darum, innerhalb der Handlung einen Theaterraum zu öffnen und die Figuren mit diesem in Bezug zu setzen, als vielmehr dem Leser jene Gattung zu präsentieren, die den gesamten Roman durchzieht und die sich als poetischer Schlüssel zu Ziglers den Leser bewegenden höfisch-heroisch-komisch-galanten Romans erweist. Dieser beginnt mit einem dramatischen Monolog Balacins, dessen Ver­ wandtschaft zum dramatischen Opernrezitativ sich in mehrfachen Affekt­ wechseln manifestiert. Der Auftaktsaffekt ist Balacins Schrei nach Rache: „Blitz/ Donner/ und Hagel/ als die rächenden Werckzeuge des gerechten Himmels/ zerschmettere die Pracht deiner gold-bedeckten Türme/“. Nach wenigen Zeilen wechselt der Affekt zum Zweifel „Doch/ Ach! wie irre ich? Was rede ich?“, bis der Prinz sich wiederum mit einem Affektwechsel selbst Mut macht: „Auff! Derowegen/ Prinz von Ava! Erinnere dich desjenigen/ womit du Banisen verpflichtet bist/“.339 Es folgt der abermalige Zweifel, als Balacin sich erinnert, dass sein Vater ihn verbannt hat, und schließlich der Entschluss, zur Not mit bloßer Faust und unter Einsatz des Lebens um Ba­ nise zu kämpfen. Auf der ersten Seite340 erfährt der Leser alles, was er über Balacin wissen muss, um die folgenden Ereignisse zu begreifen. Wie in einer Oper exponiert sich der Held selbst mit dem, was für seine Figur am wich­ tigsten ist: seiner emotionalen und affektiven Verfasstheit der Wut und Liebe. 339 Banise (2010), S. 11. Jahn (1996, S. 150) hat ‚Rache‘ als den bestimmenden Grundaffekt des Romans bestimmt. 340 Im modernen Druck.

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Die auf engstem Raum angedeuteten Ereignisse, die zu dieser Konstellation geführt haben, werden später in ausführlichen epischen Berichten nachge­ tragen. Balacin zeigt sich einerseits als ein Prinz von aufrechten ritterlichen Idealen und beträchtlichem Mut. Andererseits stürzt ihn sein leidlich scharfer Blick für die Realität der Kräfteverhältnisse auch immer wieder in boden­ lose Verzweiflung, während der ihn nur das gute Zureden der Freunde oder des beherzten Scandor vom Selbstmord abhalten können. Er ist damit weit entfernt vom stoischen Ideal eines Dramenhelden, vielmehr ein typischer, af­ fektgesteuerter Opernheld, der als guter primo uomo zur gesamten Bandbreite der Affekte fähig ist. Das zentrale Emblem des Romans ist der Tiger. Balacin selbst führt zwei seiner siegreichen Kämpfe just gegen eine Raubkatze, einmal in Selbst­ verteidigung, einmal rettet er Banise vor einem entwichenen Panther und gewinnt dabei ihr Herz. Der Tiger steht für Wildheit, Gefahr und Kampf, aber auch für die beherzte Verteidigung der eigenen Jungen, selbst wenn es das eigene Leben koste und sollte eines der beliebtesten Arien-Embleme der Opera seria werden. Die in den Roman eingefügten Gesänge sind hingegen nicht emblema­ tisch. Sie stehen an Klimaxstellen der Handlung, wenn die Sprache Unsag­ bares nicht mehr auszudrücken vermag und die Empfindung des Herzens in Gesang überquillt. Genauso sollte noch ein knappes Jahrhundert später (nicht nur) Wieland für die Rolle der Musik in einer empfindsamen Sing­ spielästhetik argumentieren. Dabei handelt es sich stets um originale Schöp­ fungen der Sänger, nur einmal zitiert Banise ausdrücklich ein „europäisches Lied“341. Allerdings wird häufig auf europäische Musiklehrer bzw. -vermittler verwiesen.342 Die Arientexte – zuweilen berichtet der Erzähltext auch etwas über die Musik und ihre Ausführung – sind somit stets eine Exposition des Schöpfers/ Sängers. Für alle Gesänge ist das traurige Sehnen nach dem/ der Geliebten die Voraussetzung, sei die Trennung nur eine räumliche oder eine des Schicksals. Banise und Balacin versichern sich ihre Liebe hingegen in zwei Alexandrinerbriefen343 in einer noch ungetrübten Situation ohne innere oder äußere Widerstände. Banises Vanitas-Zitat ist, nachdem das Schicksal in Gestalt des Chaumigrem zugeschlagen hat, ebenfalls ein Alexandriner-Text, wird aber als Gesangstext bezeichnet.344 Vor Banises (Beinahe-)Opferung wird auf ihren Wunsch ein von ihr komponierter, mehrstimmiger und von Instrumenten begleiteter Chor gesungen, in dem sie als lyrisches Ich präsent

341 342 343 344

Ebenda, S. 292. Ebenda, S. 45 und S. 291. Ebenda, S. 159–161. Ebenda, S. 292.

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ist, aber nicht selbst singt.345 Opernhafter könnte man sich die Szene, mit der Banise ihren eigenen Tod inszeniert, kaum vorstellen. Die Musikeinlagen deklinieren verschiedene Stilhöhen und Affektlagen der verliebten Paare durch. Die Gesangsstücke sind strophisch, werden zu­ meist als Arie bezeichnet und realisieren damit die in der deutschen Barock­ oper bis ca. 1700 vorherrschende Gesangsform. Higvanama eröffnet den Reigen mit einer Sehnsuchts-Arie an den fernen Geliebten, dieser übersendet kurz darauf eine nicht minder sehnsuchtsvolle, von seiner Hand verfasste und komponierte (!) Arie, an deren Ende er chiastisch ihre Zeilen aufnimmt und sie seiner ewigen Liebe versichert. Der Gesang vermag noch stärker als der beigelegte Brief die Distanz der Liebenden zu überbrücken und ein Band zu knüpfen, das sie allen Wirrnissen der folgenden Handlung unangefoch­ ten Stand halten lässt. Die Parodie auf dieses vollendete Exempel galanter Liebe ist Chaumigrems ungeschickt vorgetäuschter Tod des Prinzen. Auf den knappen Brief, in dem der vorgeblich im Sterben Liegende seiner Braut anträgt, sich zügig nach einem passenden Nachfolger umzusehen, folgt eine Abschiedsarie, die in dem läppischen Tonfall mit dem in jeder Zeile doppelt wiederkehrenden Vers „Ich sterbe“346 geradezu wie eine Anleitung avant la lettre Menantes347 erscheint, wie gute Arientexte nicht zu verfertigen sind. Doch obgleich die kluge Prinzessin den Trug durchschaut, vermag auch die Geschmacklosigkeit noch ihr Herz zu rühren. Mit der fingierten Sterbearie verfehlt Chaumigrem nach der Logik des Musiktheaters doppelt den ‚guten Ton‘. Figuren, die auf der Bühne sterben und ihr Sterben dabei noch be­ singen, sind in der Regel ambivalente oder komische Figuren.348 Mit seiner Lüge vom an einer Krankheit dahinsterbenden Königssohn offenbart Chau­ migrem überdies sein eigenes, unheroisches Selbstverständnis, das sich zuvor bereits in seinen ungalanten Beschreibungen der eigenen Dysfunktionen des Verdauungsapparates gezeigt hatte. Das nächste Exempel liefert der unglücklich in die Prinzessin von Sa­ vaady verliebte Prinz Xemin, der die grausame Härte und Kälte seiner Ge­ liebten mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung besingt. Die mittle­ ren Charaktere, Prinz Zareng und die Prinzessin von Savaady haben keine Gesänge, wohl aber Scandor, dessen erwartungsvolles „Liedgen“ in der 345 Ebenda, S. 385–386. 346 Banise (2010), S. 70. 347 Menantes (Christian Friedrich Hunold) [Neumeister]: Die allerneueste Art, zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen. Allen edlen und zu dieser Wissenschaft geneigten Gemüthern zum vollkommenen Unterricht, mit überaus deutlichen Regeln und angenehmen Exempeln ans Licht gestellet. Hamburg 1728. (Erstmals erschienen 1707). 348 Seneca in Monteverdi/Busenellos Poppea dürfte das heute bekannteste Beispiel sein. Händels Bajazet in Tamerlano ist ein eindrucksvoller Ausnahmefall, in dem sich der gestürzte König selbst das Leben nimmt, um sich den Demütigungen des Andronikus zu entziehen.



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Brautnacht seine Bedeutung als Figur innerhalb des Handlungsgefüges ver­ deutlicht und die Liebesgesänge der hohen Herrschaften alterniert, deren Strophenform und Reimschema (ababcc) er aufgreift, doch die Verslänge stärker variiert, womit er an Chaumigrems (niedere) Sterbearie anschließt: Nun ruft Scandor! Lorangy komm/ mein Schatz!/     Und laß dich betrügen. Ich mache dir im Hertz und Lager Platz/     Mich an dich zu schmiegen. So wird/ man/ wirst du mich nicht heinte verschmähn/    In Jahres-Frist/ drey junge Narren sehn.349

Dennoch ist Scandors Arie keine Parodie, sondern komplettiert als eine et­ was handfeste Variante die Exempla gesungenen Werbungsverhaltens, de­ nen die Romanhandlung noch die Variante der hässlichen, alten ehebrecheri­ schen Verführerin und den geilen alten Geistlichen hinzufügt, mithin also das gesamt Pantheon der Typen vorstellt. Chaumigrem macht dabei als einziger eine Entwicklung durch, vom geilen, aber in Ermangelung körperlicher Vor­ züge erfolglosen Werber um adelige Mädchen, der die Galanterie-Diskurse komisch und ungeschickt verkehrt,350 hin zum perversen Sadisten, dessen Libido sich darin sublimiert hat, die ehedem begehrten Frauen (und ihre Kinder) zu massakrieren.351 Zigler erkannte offenbar das enorme emotionale Potential, das die Li­ brettostrukturen für den Roman boten. Noch konsequenter als in Anton Ul­ richs Romanen transportieren sie affektive, ja sogar empfindsame Elemente in den Roman. Zwar zeichenhaft im Bezug auf die Musik, aber sehr konkret im Bezug auf den Affekt und jene Form von Empfindsamkeit, für die der Text sonst nur die vielfach wiederkehrende Floskel von den „heißen Zähren“ hat. Anders als sie erlaubt das lyrische Gedicht oder Lamento die Innenansicht, das intime Geständnis der Figuren. Fünfzig Jahre vor dem Entstehen einer empfindsamen Literatur finden sich hier im Kontext der Oper bereits Ansätze zu einer verwandten Intention und Sprache, die ebenfalls wirkensästhetisch auf den Leser zielt. Im sfumato zwischen Barock und Frühaufklärung stattet die Oper als galantestes Stück der Poesie den galanten Roman mit einem ins Empfindsame gewendeten Affekt aus, der den Leser zu Tränen rühren soll. 349 Banise, S. 207. Es erscheint wie ein positiv gewendeter Querverweis auf Rochas Lied „Mein Brautle“ in der Alceste von 1680. 350 Etwa, wenn er Higvanama damit zu beschwören sucht, sie sei heilsamer als das beste Vomitiv der Kaiserlichen Leibärzte, und als die vom Liebesschmerz verursachten Krankheiten Durch­ fall beschreibt. 351 Der Topos des ‚verliebten Tyrannen auf Schäfersfüßen‘ ist in der Oper etwa in Händels Tamerlano und Rodelinda (Libretto: Nicola Francesco Haym [1678–1729] nach Antonio Salvi [1664–1724]).

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2.10.2  Vom Roman zur Oper – Librettobearbeitungen der Asiatischen Banise Ziglers Asiatische Banise integriert nicht nur Elemente der Oper, sondern bil­ det selbst in ihrem Schwanken zwischen höfisch-historischer Haupt- und Staatsaktion und galantem Liebesroman mit komischen Elementen die Gat­ tungsposition der Oper ab, die hohe Standespersonen einer ernsten und ten­ denziell tragischen Liebeshandlung aussetzt, die erst im letzten Augenblick zum Guten gewendet wird. Daher erscheint geradezu naheliegend, dass der Opernroman wiederum Librettobearbeitungen hervorbrachte, die jedoch nicht alle für die Opernbühne bestimmt waren. Die Rezeption begann zwischen 1710 und 1712. Über die Datierung der Textbücher der großen Banisetrilogie gab es bis vor kurzem zahlreiche verschiedene Ansätze, was vor allem mit fehlenden Datierungen auf den Titelblättern und wahrscheinlich fehlerhaften Angaben Gottscheds zusam­ menhängt. Michael Maul hat in seiner ausführlichen Studie zur Leipziger Oper nun auf der Basis eines als Unikat überlieferten Drucks der Leipziger Fassung der Trilogie eine plausible Chronologie vorgelegt,352 derzufolge alle drei Teile Balacin,/ oder/ Die Erste Abtheilung/ Der Asiatischen/ BANISE, ferner Chaumigrem,/ oder/ Die Andere Abtheilung/ Der Asiatischen BA­ NISE und BANISE/ oder/ Die Dritte Abtheilung/ Dieser/ Asiatischen Prinzeßin 1712 zur Ostermesse für die Leipziger Bühne entstanden.353 Eine derart ausgedehnte Behandlung, die dem zahlenden Zuschauer gleich drei Opern­ besuche in enger Folge abverlangte, war wohl nur im Rekurs auf den mittler­ weile zum Bestseller avancierten Roman möglich. Böhme354 ging noch davon aus, dass die Libretti von dem selbst als Librettist tätigen Zigler stammten, was jedoch in Anbetracht der sprachlich minderen Qualität der Libretti wie der Tatsache, dass Zigler bereits 1696 verstorben war, ausgeschlossen wer­ den kann. Aussichtsreichste Kandidatin ist Christina Dorothea Lachs geb. Strungk (1672–nach 1716), die Tochter des Leipziger Alceste-Komponisten 352 Zur Chronologie, früheren Datierung und Überlieferungsgeschichte vgl. Ders.: Barockoper in Leipzig (1693–1720). 2 Bde. Bd. 1, S. 483–487. 353 Die Textbücher des ersten und zweiten Teils existieren noch in zwei Ausgaben, ein Paar wird in der Coburger Landesbibliothek aufbewahrt, ein anderes in Wolfenbüttel. Das Cobur­ ger Paar wird bislang noch auf 1710 datiert, das Wolfenbütteler auf 1714. Da beide jedoch übereinstimmend als Druckort für den ersten Teil Meiningen und die fürstlich sächsische Hof-Buchdruckerei angeben, wogegen der zweite Teil in Coburg bei Moritz Hagen erschien, handelt es sich vermutlich um dieselbe Druck-Serie. Jahn (1996) hat die Datierung nach den in Bd. 8 von Zedlers UNIVERSAL LEXICON (1734) angegebenen Hochzeitsdaten auf 1714 festgelegt. In der HAAB Weimar liegen Exemplare aller drei Teile, zusammengebunden ohne Angaben zu Verfasser, Komponist und Jahr mit dem Vermerk. „auf dem Durlachischen Schau=Platz in einer Opera vorgestellet“. Sie wurden für diese Studie eingesehen. 354 Böhme (1931), S. 52–53.



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und ersten Impresario der Leipziger Oper und Schwägerin von Samuel Ernst Döbricht.355 Die Leipziger Textbücher enthalten eine Reihe italienischer Ein­ lagearien, was die Vorrede mit der „reichere[n] delicatesse der italienischen als teutschen Poesien“356 begründet. Den italie­nischen Einlagearien stehen jedoch keine getreuen Übersetzungen gegenüber, sondern ähnliche, jedoch besser in den Text des Librettos passende Arientexte, die überdies durch Fettdruck in derselben Art wie die übrigen Arien erscheinen und lediglich durch die italienischen, in magerer lateinischer Typographie eher als Margi­ nalie erscheinenden Arien etwas aus der Mitte verschoben werden. Offenbar waren die italienischen Arien also eine Konzession an die unter dem Direk­ torat Döbrichts wie an der Hamburger Bühne üblich gewordene Praxis, der gegenüber das Libretto nach einem Roman in deutscher Sprache aber weiter­ hin sein Eigenleben fristete.357 Von den knapp 30 italienischsprachigen Arien der Banisetrilogie, die ihr Komponist Georg Melchior Hoffmann (1679 oder 1685–1715)  – der Leiter der Leipziger Oper und spätere Nachfolger von Telemann im Amt des Musikdirektors und Organisten an der Neunkirche in Leipzig – sei es aus arbeitsökonomischen Gründen oder im Dienste einer größeren Variablilität eingefügt hat, entstammen zwölf der 1710 in London aufgeführten Oper Idaspe fedele von Francesco Mancini (1672–1737) auf ein Libretto von Giovanni Pietro Candi358, deren Arien im selben Jahr im Druck erschienen waren, und drei von Händel, die teilweise ebenfalls gedruckt wa­ ren, teilweise nur handschriftlich vorlagen, was darauf hindeutet, dass Hoff­ mann bei seiner Londonreise 1710 mit seinem offiziell noch in Hannover als Kapellmeister angestellten Landsmann zusammengetroffen sein muss.359 In Leipzig blieb die Banise über mehrere Jahre auf dem Spielplan und wurde 1714 in Coburg übernommen.360 Erst eine spätere Aufführung in Durlach (die Datierungen schwanken zwischen 1712 und 1716/17)361 greift die Leipziger Textbücher in einer rein deutschsprachigen Version auf, zu der Johann Philipp Käfer (1672–1728), eine neue Vertonung schuf, von der einige Arien in einer Arienhandschrift362 erhalten sind, die Böhme den ers­ ten beiden Teilen hat zuordnen können. Da die erhaltenen Textbücher der 355 Vgl. MGG, Bd. 16, S. 215–216. Lebensdaten unbekannt. 356 Zit. nach Maul (2009), S. 488. 357 Lediglich vier der insgesamt 29 Einlagearien wurden korrekt übersetzt. Vgl. Maul (2009), Bd. 1, S. 505. 358 Lebensdaten nicht ermittelbar. Aktiv zwischen 1696 und 1730. 359 Vgl. dazu ausführlich: Maul (2009), S. 401, und ders.: Zur mitteldeutschen Rezeption von Händels italienischen Opern und Kantaten vor 1715. In: Händel-Jahrbuch 53 (2007), S. 131– 160. 360 Wobei die Teile zwei und drei vertauscht wurden. Vgl. Maul (2009), S. 485. 361 Ebenda, S. 484, und Brockpähler (1964), S. 156. 362 In Sondershausen, Hs. M. 18, Nr. 166 und 144. Vgl. MGG², Bd. 9, Sp. 1345.

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Durlacher und der Coburger Aufführungen bis auf die italienischen Arien identisch sind, könnten aber auch Teile der Musik aus Leipzig übernom­ men worden sein.363 Teil eins und drei der Durlacher Fassung wurden 1714 anlässlich der Hochzeit von Ernst Ludwig I. (1672–1724) Herzog zu Sach­ sen mit seiner zweiten Frau Elisabeth Sophie Prinzessin von Brandenburg (1674–1748) erneut aufgeführt. Hierzu wurden die Arientexte teilweise ins Italienische übertragen. Der Oper wurde ferner ein auf das Ereignis zuge­ schnittener Prolog und Epilog beigefügt und für den ausgelassenen Mittelteil eine Inhaltsangabe. Die Doppeltitel der Trilogie sind ungewöhnlicherweise nicht emblematisch, sondern rücken jeweils eine Figur des Romans in den Titel. Den nahelie­ genden emblematischen Doppeltitel Die Siegende Unschuld/ In der Person der asiatischen Banise weist erst eine Wanderbühnenbearbeitung von 1722 auf, de­ ren mutmaßlich auf das bereits beschriebene Libretto zurückgehender Text verloren ist und nur ein Szenar sich erhalten hat.364 Für Leipzig verzeichnet Gottsched 1718 ferner eine offenbar einteilige und in sich abgeschlossene Version: Die durch Treue und Rache sich krönende Liebe, oder die Asiatische Banise.365 In Hamburg wurde die Banise nicht aufgeführt. Die dortige Bühne rea­ gierte 1712 jedoch mit einem Auszug der Banise, der diese wieder näher an die dort forcierte Ästhetik der italienischen Oper rückte: Ulrich v. König und Reinhard Keiser schufen mit Die wiederhergestellte Ruh/ oder/ die gecrönte Tapfer­ keit des HERACLIUS eine Oper anlässlich des Krönungsfestes Karl VI. von Ungarn und setzten damit die Festoper im Roman wieder auf die Bühne. Prolog und Epilog schaffen, wie im Roman, den Bezug zur Funktion des

363 In diesem Zusammenhang interessant ist Böhmes Verweis auf eine „Coburger Operisten­ bande“, die ab 1718 von Coburg aus unter Führung des ehemaligen Durlacher Kapellmeis­ ters Schweitzelsberger bis nach Nürnberg vordrang. (Böhme [1931], S. 61.) Sollten spätere Mitglieder dieser Gruppe bereits 1712 bei den Durlacher Aufführungen mitgewirkt und die spätere Coburger ebenfalls bestritten haben, könnte das die Konstante der Musik erklären. (Adolf Sandberger liefert ein Repertoire der Gruppe in: Ders.: Ausgewählte Aufsätze. Mün­ chen 1921, S. 92). 364 Vgl. Jahn (1996), S. 145, und Anton Schlosser: Ziegler’s Asiatische Banise auf der Bühne. Ein Beitrag zur Geschichte der Haupt= und Staatsaktionen in Oesterreich. In: Ders.: Oesterrei­ chische Cultur= und Literaturbilder mit besonderer Berücksichtigung der Steiermark. Wien 1879, S. 65–96. Vgl. Karin Vorderstemann: Medienwechsel als Mittel der Popularisierung: Ziglers Asiatische Banise von 1689 bis heute. In: Medienwandel/Medienwechsel in der Edi­ tionswissenschaft. Anne Bohnenkamp (Hg.). Berlin u.  a. 2012, S. 63–74. Die Wanderbühnenfassung ist digital im Internet einsehbar unter: http://portal.uni-freiburg. de/ndl/forschung/banise/siegendeunschuld. Weitere Texte zu Banise-Bearbeitungen finden sich unter: http://portal.uni-freiburg.de/ndl/forschung/banise/banisemedien (eingesehen am 18. 1. 2016). 365 Gottsched (1757–65/1770), S. 291.



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Stückes,366 das bezeichnenderweise Anton Ulrich gewidmet ist.367 Dass König sich nicht direkt auf das italienische Original bezieht, sondern tatsächlich den Umweg über den bei Zigler von Kliphausen abgedruckten Text geht,368 zeigen die teilweise wörtlich übernommenen Szenenanweisungen und Ma­ schinenbeschreibungen und Königs Vermerk in der Vorrede zur Ausgabe in den Theatralischen Gedichten von 1716, mit dem er seine Neufassung damit be­ gründet, „weil aber beyde Ubersetzungen zu keinem Sing=Spiel taugen“369. König publizierte den Text 1713/1716 in seinen Theatralischen Gedichten, und wenigstens in dieser Fassung enthält er keine italienischen Arien. Die Hand­ lung wird statt der drei in fünf Akte aufgeteilt und bezieht sich damit aus­ drücklich auf die Experimente zu einem Regeldrama in der Oper, die die frühe Phase der ersten Opernreform charakterisieren,370 davon unabhängig wird die Szenenfolge jedoch weitgehend übernommen. Die Figuren sind weitgehend identisch, doch ersetzt König die komische Amme der Theodosia durch eine ihr befreundete persische Prinzessin Lao­ dice, die das Schicksal der Theodosia spiegelt und mit Emilianus symmet­ risch das dritte Liebespaar bildet. Die erotische Handlung wird ausgedehnter behandelt und offenkundig um der Vertonung größere Vielfalt zu ermög­ lichen, zerstreiten sich die Paare vorübergehend trotz der prekären Situation. Die langen Monologe von Ziglers Leselibretto werden durch abwechslungs­ reiche Wechselrezitative der Figuren mit variabler Verslänge zwischen vier und sechs Hebungen ersetzt, die in der Regel paarig gereimt sind, und der Auftritt schließt mit einer Da capo-Arie. Joachim Beccau (1690–1754) veröffentlichte 1720 eine zweiteilige Fassung (Blutiges doch muthiges Pegu, oder Banise, 1. Theil und Der Banise 2. Theil ), deren Band371 überdies Amadis von Gaula,372 und Holofernes, ein Singspiel enthielt, die abermals ein Kommentar zum Roman und zum Spiel mit der Gattung des Opern-Lesetextes ist. Beccau nimmt sich die Freiheit, ein den Anforderun­ gen der Bühne enthobenes, von den Produktionsbedingungen autonomes Libretto zu verfassen, das nicht nur in seinen mitunter langen Monologpas­ 366 Vgl. Schröder (1998), S. 148–155. 367 Ulrich König: Theatralische, geistliche, vermischte und Galante Gedichte. Allen Kennern und Liebhabern der edlen Poësie, zur Belustigung, ans Licht gestellet. Hamburg 1716, S. 147. 368 Vgl. Jahn (1994), S. 658. Jahn liefert einen ausführlichen Vergleich zwischen Hallmanns und Königs Version. 369 König: Theatralische […] Gedichte. Vorrede o. S. 370 Vgl. das Kapitel: Die erste große Opernreform. 371 Joachim Beccau: Theatralische Gedichte und Übersetzungen: denen Liebhabern der deut­ schen Poesie mitgeteilt von Beccau. Hamburg 1720, S. 103–246. 372 Übersetzung von (vermutlich) Hayms Libretto (nach Giacomo Rossi?) für Händels Oper mit den Arien teilweise zweisprachig italienisch-deutsch.

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sagen, sondern vor allem mit der mehr als sechs Seiten und alleine hier sechs große Arien für Banise umfassenden Opferszene373 abermals offenkundig ein Leselibretto ist. Allerdings hebt es sich formal mit seinen Rezitativen in Mad­ rigalversen und den teilweise in Rahmenform, teils als Da capo definierten und häufig am Schluss der Szene stehenden Arien (ausschließlich in deut­ scher Sprache), weniger von der praktischen Librettistik der Zeit ab als die zuvor besprochenen Texte. Dafür eröffnet Beccau gezielt ein intertextuelles Spiel mit dem Roman, in dem der Leser viele der Anspielungen nur versteht, wenn er auch den Roman gelesen hat.374 Noch 1743 verfasste schließlich der Parteigänger Gottscheds und spä­ tere Pariser Enzyklopädist Friedrich Melchor Grimm (1723–1807) seinen einzigen Beitrag zum dramatischen Genre mit Banise. Ein Trauerspiel. Das in der Deutschen Schaubühne publizierte, fünfaktige Alexandrinerschauspiel nach den Regeln rationalistischer Tragödiendogmatik sollte als „Gegengift“ zu den kursierenden derben Haupt- und Staatsaktionen der Wanderbühnen wirken.375 Es spiegelt damit aber auch die etwa um die gleiche Zeit zu beob­ achtenden Experimente, Metastasios Opernlibretti zu Tragödien umzufor­ men.376

373 Theatralische Gedichte und Übersetzungen. Hamburg 1720, S. 235–242. 374 Vgl. Jahn (1996), S. 155. 375 Vgl. Grimms Brief an Gottsched vom 28. 8. 1741. In: Gottsched und seine Zeit. Auszüge aus seinem Briefwechsel. Zusammengestellt und erledigt von Th. W. Danzel. Leipzig 1848, S. 346–347. 376 Demophoon, ein Schauspiel in 3 Abhandlungen, aus dem Metastasio übersetzt. Frankfurt und Leipzig 1745 (Gottsched [1757–65/1770], S. 321.) und Demetrius. Trauerspiel aus einer Oper des Metastasio. Wien 1749. (Ebenda, S. 331) und Demetrius, ein Schauspiel des Abts Metas­ tasio, in 3 Aufzügen in Versen. In: Deutsche Schaubühne 1749. (Ebenda, S. 333).

3.  Alceste 1660–1719 3.1  Eine griechische Königin in Venedig und Hannover 3.1.1  Prolog – Welfische Affären und die Ankunft einer venezianischen Oper in Norddeutschland Zwischen der venezianischen Oper und den Residenzen der deutschen Wel­ fen bestanden im späten 17. Jahrhundert vielfältige und enge Beziehungen. Nicht nur die Familie Anton Ulrichs, auch die mit ihr konkurrierende Hanno­ veraner Linie, bzw. drei der vier Brüder, waren außerordentlich opernbegeis­ tert.1 Während in Braunschweig Oper zunächst nur erklingen konnte, wenn sie selbst geschrieben und aufgeführt wurde, delektierten sich die reichen Vettern aus Hannover von Anfang an an den besten Kompositionen Euro­ pas. Seit den 1650er Jahren2 reisten Johann Friedrich (1625–1679), Georg Wilhelm (1624–1705) und Ernst August (1629–1698) regelmäßig nach Ve­ nedig und zwischen 1654 und 1688 wurden allein 28 venezianische Libretti den drei Brüdern und ihren engsten Angehörigen gewidmet.3 Georg Wil­ helm unterhielt jahrelang eine Loge in den Theatern SS Giovanni e Paolo, S.  Samuele, S.  Moisè, S.  Cassiano sowie in S.  Luca und später auch noch im neuen Edeltheater S.  Giovanni Gristomo, während der jüngere Ernst August rauschende Karnevalsfeste veranstaltete. Die Miete gleich mehrerer Logen, die trotz der häufigen Aufenthalte ihrer Besitzer über lange Strecken leer standen, erscheint aber nur auf den ersten Blick als privater Luxus. Aus dem Briefwechsel zwischen Francesco Maria Massi (1617–1676), einem ve­ nezianischen Adeligen, der Johann Friedrichs Logen verwaltete, und dem 1

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Herzog Georg von Calenberg (1582–1641) hatte vier Söhne hinterlassen und testamentarisch verfügt, dass die beiden Fürstentümer Braunschweig-Lüneburg (Celle) und Calenberg (Han­ nover) nicht in einer Hand vereinigt werden durften, solange noch zwei männliche Nach­ kommen lebten. Jeweils der älteste sollte in Hannover regieren, dem zweiten stand Celle zu. Immer wenn einer der regierenden Brüder starb, setze folglich ein rotierendes System ein, in dem die Fürstentümer dem Testament entsprechend ausgetauscht wurden. Vgl. Wallbrecht (1974), S. 4–5. Vgl. Wendy Heller: The Beloved’s Image: Handel’s Admeto and the Statue of Alcestis. In: Jour­ nal of the American Musicological Society. 58 H. 3 (2005), S. 591. Vgl. Vassilis Vavoulis: A Venetian World in Letters. The Massi Correspondence at the Haupt­ staatsarchiv in Hannover. In: Notes – Quarterly Journal of the Music Library Association 59 (2003) H. 3, S. 556–609.

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Fürsten geht hervor, dass häufig durchreisenden Mitgliedern des Hochadels der Besuch in der Loge gestattet wurde. Die Loge war eine Art beständige Visitenkarte auf dem Silbertablett des venezianischen Karnevals und so­ mit eine wichtige repräsentative Ausgabe. Entsprechend bedeutsam war die Qualität der Loge, und Massi verwendete sein ganzes diplomatisches Ge­ schick darauf, für Johann Friedrich die beste im neueröffneten S. Giovanni Gristomo zu sichern.4 Gleichwohl waren die Ausgaben der Welfen für die Vergnügungen während des Karnevals in Venedig Jahr für Jahr immens5 und wurden unter anderem damit finanziert, dass die für besonders tapfer gel­ tenden Landeskinder als Soldaten ins Ausland verkauft wurden – u. a. nach Venedig für dessen Krieg gegen die Türken.6 1672 wurde in Venedig die Oper L’Adelaide von Sartorio nach einem Libretto des venezianischen Adeligen Pietro Dolfin7 aufgeführt. Das Stück ist augenscheinlich das erste mit einem mittelalterlichen Stoff auf der vene­ zianischen Opernbühne8 und hat deutliche Bezüge zu dem Mäzen aus dem Norden, Herzog Johann Friedrich, dem es gewidmet ist. Händel sollte die Geschichte der standhaften Witwe Adelheid (die von Berengar II. gefangen gesetzt und bedrängt wird ihn zu heiraten, und schließlich von Otto I. nicht nur befreit, sondern auch geehelicht wird) später gleich zweimal verarbeiten, 1723 als Ottone9 unter der Regierung von George I. (1660–1727) und aber­ mals 1729 als Lotario10 unter George II. (1683–1760).11 Der erste Komponist dieses Stoffes also, Sartorio und zugleich einer der profilierten venezianischen Komponisten war von 1666 bis 1675 Ka­ pellmeister in Hannover, ehe er 1676 als vice maestro di capella nach San Marco berufen wurde.12 Sartorios Opern für Venedig entstanden in diesem Zeitraum also zum Großteil in Hannover (!)13, was zeigt, dass der Austausch zwischen Venedig und Deutschland alles andere als ein epigonales Verhältnis

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Vgl. ebenda, S. 597–598. Nach Wolff (1937/74), S. 18, verdiente alleine ihr venezianischer Bankier an der Familie 500 000 Livres, mit denen er sich in die venezianische Aristokratie einkaufen konnte. Vgl. ebenda, S. 18–19. Lebensdaten unbekannt. Entstand damit deutlich nach Irmenseul. Vgl. Christian Seebald: Libretti vom ‚Mittelalter‘. Ent­ deckungen von Historie in der (nord-)deutschen und europäischen Oper um 1700. Tübingen 2009, S. 37. Libretto von Haym nach Stefano Benedetto Palavincinos (1672–1742) Teofane (1719). Libretto von Giacomo Rossi nach L’Adelaide (1722) von Salvi. Händel verwendete zeitlebens immer wieder Libretti, die mit der Hannoveraner Linie in Ver­ bindung standen respektive in Hannover, Braunschweig und Hamburg aufgeführt worden waren. Vgl. Vavoulis (2003), S. 560. Vgl. MGG², Bd. 14, Sp. 989.



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war.14 Allerdings sind in Hannover keine Aufführungen nachweisbar, da die Fürstenfamilie die mit größerem Aufwand und Sozialprestige ausgestatteten Aufführungen ‚ihres‘ Komponisten vor dem versammelten Hochadel in Ve­ nedig genießen konnte. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich Johann Friedrich nicht nur als kompetenter Zuschauer, sondern auch als Headhunter, immer dazu geneigt, die besten Sänger für Konzerte oder seine Hofkapelle zu en­ gagieren.15 Letztere zählte bereits 1668, drei Jahre nach Regierungsantritt, 17 Musiker, darunter 8 italienische Sänger und eine französische Sängerin.16 Auch wenn die vornehmste Aufgabe der Kapelle in der katholischen Kir­ chenmusik für Johann Friedrich und seine Familie bestand (er war 1651 zum Katholizismus konvertiert, während seine beiden Brüder Georg Wilhelm und Ernst August protestantisch blieben), lässt die Tatsache, dass viele der Sänger von der Opernbühne weg engagiert wurden und die Kapelle von zwei bühnenerfahrenen Komponisten geleitet wurde (Nikolaus Adam Strungk [1640–1700] war 1665 auch zur Vertretung des wegen seiner Opernverpflich­ tungen oft abwesenden Sartorio hinzugekommen) den Schluss zu, dass auch die weltliche Musik einschließlich der aktuellen Opernliteratur jederzeit ab­ rufbar war. Den Sängern wurde gestattet, wie ihr Kapellmeister während des Karnevals in venezianischen Opernhäusern zu gastieren.17 Sowohl der Librettist Beregan (für SS.  Giovanni e Paolo) als auch Impresarii wie der des Teatro S. Luca richteten entsprechende Petitionen an Johann Friedrich, und die Beregans waren auch erfolgreich,18 denn diese Gastspiele der Sänger in den venezianischen Opern Sartorios oder anderer kündeten ebenso vom Glanz ihres Dienstherren wie die Logen in den Theatern. 1679 brach Johann Friedrich zu seiner letzten Venedig-Reise auf und starb unterwegs in Augs­ burg. Nachfolger in der Herrschaft wurde jedoch nicht der nächst älteste Georg Wilhelm, sondern der fünf Jahre jüngere Ernst August, dem Georg Wilhelm bereits 1658 seine Erbansprüche abgetreten hatte. Wendy Heller hat die Ereignisse, die zu diesem Vertrag geführt haben und leicht Stoff für eine Shakespear’sche Königstragödie hätten abgeben können, in Hannover aber buchstäblich in ein Lieto fine überführt wurden, in direkten Zusammenhang mit Aurelis Alceste-Oper Antigona delusa da Alceste (Venedig 1660) und ihrer 14

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Grundsätzlich lässt sich für die Zeit um 1700 ein reger Austausch und Wechsel der Kompo­ nisten zwischen insbesondere Venedig und Hannover, Wien, München, Dresden und Ham­ burg feststellen. Beispielsweise Ziani, der in Wien war, ehe er in San Marco Organist wurde, Sartorio, Agostino Steffani, wenig später Hasse und natürlich Händel. Beispielsweise den Kastraten Antonio Rivani, gen. Cecolino. Brief von Francesco Maria Massi an Johann Friedrich vom 17. 03. 1673. Zit. nach: Vavoulis (2003), S. 584–585. Vgl. Brockpähler (1964), S. 215. Beispielsweise im Karneval 1672, namentlich der Bass Nicola Gratianini (erneut 1677) und 1675 der Soprankastrat Vicenzino (Vicenzo Antonini). Vgl. Vavoulis, S. 583, 595 und S. 597. Vgl. ebenda, S. 578–580.

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Bedeutung für das Hannoveraner Fürstengeschlecht gebracht, die bis hin zu Händels Vertonung als Admeto, Re di Tessaglia von 1727 reicht.19 Bereits Mitte der 1650er Jahre hatten Georg Wilhelm und Ernst August die damals 15-jährige Sophie von der Pfalz (1630–1714) kennengelernt, und will man deren späteren Memorien glauben, so hatten sie und der genau zehn Jahre ältere Ernst August sofort Zuneigung zueinander gefasst, die mit der gemeinsamen Liebe zur Musik zusammenhing und sich noch einige Zeit in Briefen niederschlug. Als Partner kam der jüngste der vier Brüder leider nicht in Betracht, und so wurden für Sophie zunächst Eheverhandlungen mit Prinz Adolph Johann von Zweibrücken (1629–1689) geführt, der in Venedig stolz das Porträt seiner außergewöhnlich schönen Braut herumzeigte, obgleich diese und ihre Familie bereits wieder von der Verbindung Abstand genom­ men hatten und statt dessen rasch und klammheimlich mit Georg Wilhelm übereingekommen waren. Den noch geheimen Ehevertrag in der Tasche, stürzte sich dieser zurück in das venezianische Karnevalstreiben und zog sich prompt, wie die höfliche Formulierung in Sophias Memorien impliziert,20 die Syphilis zu, was die Unversehrtheit des prospektiven Nachwuchses (und nebenbei der Braut) nachhaltig gefährdete. Die Lösung dieses Problems ist in ihrer Radikalität auch aus heutiger Sicht noch beeindruckend: Georg Wil­ helm trat die Braut mitsamt seinen Erbansprüchen an Ernst August ab und verpflichtete sich überdies, niemals zu heiraten und legitime Nachfolger in die Welt zu setzen. Auch wenn er sich nicht ganz daran hielt und 1665 seine Mätresse Eleonore d’Olbreuse (1639–1722) heiratete, stand er doch stets zu seinem dynastischen Verzicht.21 Im September 1658 fand die Hochzeit von 19

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Deren Librettobearbeitung wahrscheinlich Hayms nach Reinhard Strohm auf die 1681er Version des Hannoveraner Textbuches zurückgeht. Vgl. ders. Handel and his Italian Opera Texts. In: Essays on Handel and Italian Opera. Cambridge 1985, S. 34–79. Hier: S. 54–55. Händel sollte sogar weite Teile des argomento übernehmen, das aus der italienischen Version in die Hannoversche übergegangen war. Vgl. Heller (2005) S. 559–637 und S. 580. Memorien der Herzogin Sophie nachmals Kurfürstin von Hannover. Adolf Köcher (Hg.). Leipzig 1897, S. 55. Das Kind dieser Ehe, die Erbprinzessin Sophie von Celle, wurde zunächst mit Anton Ulrichs ältestem Sohn August Friedrich von Braunschweig und Lüneburg (1657–1676) verlobt. Als dieser jedoch 1676 fiel, erhielt Ernst August den Zuschlag für seinen Sohn Georg Ludwig, den späteren George I. von England. Die Ehe verlief katastrophal. Die wunderschöne junge Frau ließ sich mutmaßlich auf eine Affäre mit einem schwedischen Grafen ein (sog. Kö­ nigsmarck-Affäre. Der Unterzeichner der Vorrede zum Hannoveraner Alceste-Libretto von 1681, Nikolaus de Montalban soll die Ermordung des schwedischen Grafen übernommen haben) und wurde nach der Scheidung 1694 auf Schloss Ahlden verbannt, was eher einer Gefangenschaft gleichkam. Sie durfte ihre Kinder nie wieder sehen. Hier liegt auch die Ur­ sache für die bittere Feindschaft zwischen George I. und seinem ältesten Sohn George II., der seinem Vater die Trennung von der Mutter nie verzieh, während der Vater im Sohn die Mutter hasste. Erstaunlich genug, dass Händel von beiden Königen unterstützt wurde. Der Vater-Sohn-Konflikt setzte sich noch eine Generation weiter fort, zwischen George II. und



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Ernst August und Sophie statt, im Karneval 1660 wurde die junge Herzogin der Gesellschaft in Venedig vorgestellt und ihr das Libretto der Oper Gl’av­ venimenti d’Orinda22 von Francesco Piva23 gewidmet.24 Dass das Libretto der Antigona delusa mit seinen vertauschten Bräuten und Porträts hingegen den beiden Herzögen gewidmet wird, kann man kaum anders als augenzwinkernd verstehen, insbesondere wenn man die ausdrück­ lichen Verweise auf die sowohl wahrscheinliche wie „curiosi successi“25 mit­ bedenkt, eine ins Deutsche kaum übertragbare Mischung von spannender Sensation und Neuigkeit. Was hundert Jahre später unter dem Einfluss des bürgerlichen Ehrenkodex einen handfesten Skandal, zumindest eine Pein­ lichkeit ersten Ranges bedeutet hätte, war in dem zeitgenössisch heiß um­ kämpften Heiratsmarkt um potenzielle Thron- und Reichsanspruchs-Ver­ erberinnen26 offenbar eher ein gelungener Coup. Mehr noch, Antigona delusa da Alceste, aus der zunächst L’Alceste und dann Admeto wurde, ist das einzige Libretto aus dem Konvolut der dem Geschlecht gewidmeten Texte, das in Hannover erneut aufgeführt wurde27 und scheint für die Hannoveraner fast eine Art Gründungsmythos geworden zu sein. Retrospektiv betrachtet ließe sich sogar die Parallele ziehen zwischen dem von Sophia vererbten eng­ lischen Thronanspruch und Antigonas und Trasimedes Rückerhalt des tro­ janischen Throns von Herkules am Ende des Stücks.28 Noch von dem eher mäßig opernbegeisterten George I. wird berichtet, er habe in seinem letzten Lebensjahr alle 19 Aufführungen des Händel’schen Admeto angesehen29 – of­ fenbar für ihn eine kostbare Erinnerung an die Hannoveraner Aufführungen seiner Jugend.

dem (nie an die Regierung gekommen) Prince of Wales Friedrich Ludwig (1707–1751). Die­ ser Zwist wurde wesentlich auf dem Gebiet der Oper ausgetragen: Händel stand dabei für die Partei des Königs. Die italienische Adelsoper auf der Gegenseite konterte zeitweilig mit Nicola Porpora (1686–1768) und Farinelli (1705–1782), auf der Seite des Prince of Wales. Das Ergebnis war der Bankrott und das Aus für beide Unternehmungen. 22 Daniele da Castrovillari (1613–1678)/Pietro Angelo Zaguri. 23 Lebensdaten nicht ermittelbar. 24 Vgl. Heller (2005), S. 595. 25 Aureli: Antigona delusa da Alceste. Argomento. Venedig 1660, S. 12. 26 Letztlich vererbte Sophie von der Pfalz den englischen Thronanspruch nach Hannover. Georg Schnath hat besonders eindrucksvoll das regelrechte Geschacher um die Hand von Sophie Dorothea von Celle dargestellt. Vgl. ders.: Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674–1714. Bd. I: 1674–1692. Hildesheim 1982, S. 153–156. 27 1670 war die Oper im Teatro Vendramino di San Salvatore in Venedig wieder aufgeführt worden. 28 Der allerdings bei Händel entfiel. 29 Vgl. Donald Burrows und Robert D. Hume: George I, the Haymarket Opera Company and Handel’s Water Music. In: Early Music 19 (1991), S. 323–341, hier: S. 323–325.

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3.1.2  Antigona delusa da Alceste Unter der Widmung „Serenissime altezze Di Giorgio Guglielmo, et Ernesto Augusto Duchi di Bransuich, e Luneburgh“30 wurde Aurelis Antigona delusa da Alceste 1660 am Teatro San Giovanni e Paolo in Venedig in der Vertonung von Ziani uraufgeführt. Wie häufig für seine Libretti hatte Aureli eine antike Vorlage gewählt und sich damit in die Tradition der akademischen Libret­ tisten der frühen Oper eingereiht. Gleichwohl bearbeitete er sie so frei und lediglich den Konventionen und Modellen der Oper folgend, als seien die Stoffe Produkte seiner freien Erfindung. In Aureli und Minato spiegelt sich das Selbstbewusstsein einer Librettistengeneration, die die eigene Erfindung als Wahrscheinlichkeit definiert und diese wie selbstverständlich an die Stelle der Wahrheit rückt.31 Mit dieser Mischung aus historischer Quelle und poe­ tischer Erfindung – bei der die Erfindung häufig deutliche Überhand nahm – hatte Faustini das Erfolgsmodell der kommenden beiden Dekaden generiert und Aureli folgte dem Schema mit zwei Liebespaaren, gab seinen Figuren aber durch die Anbindung an antike Quellen individuellere Zeichnung und konnte die Gefahr stereotyper Gleichförmigkeit der Handlung durch die Einbettung standardisierter Elemente wie Lamento, Wahnsinnsszene etc. et­ was abmildern. Gegenüber Faustinis Libretti verknappte er den Rezitativtext und steigerte, der Vorliebe des Publikums Rechnung tragend, die Anzahl der Arien. Auch dem Verlangen nach immer neuen Stoffen und Wendun­ gen versuchte er nachzukommen, was die heute teilweise bizarr anmutende Handlungsführung der Opern erklärt. In der Vorrede seines Librettodruckes referiert Aureli zunächst die Al­ kestis-Geschichte, knapp doch relativ getreu, wie auch Euripides sie erzählt, allerdings mit einer entscheidenden Interpretation: Demnach war es Alcestes Übermaß an Zärtlichkeit, das die Krankheit des Gatten hervorrief: „Alceste, die Ehefrau Admetos, des Königs von Tessalien, sei so zärtlich zu ihrem Gat­ ten gewesen, dass dieser erkrankte“32. Sie opfert sich daraufhin für den auf den Tod erkrankten Ehemann, wobei impliziert wird, dass sie frisch vermählt sind. Die bei Euripides auftretenden Eltern des Admet entfallen. Tief betrübt vom Tod der treuen Gemahlin bittet Admet darauf hin „mit Tränen in den Augen“33 den an seinem Hof weilenden Herkules darum, in den Hades zu steigen und Alceste wieder zu bringen. Herkules kommt der Bitte bereitwil­ lig nach und mit beider glücklicher Rückkehr schließt das Stück. Dieser, wie Aureli sich ausdrückt, „märchenhaften Erfindung“ des antiken Poeten, fügte 30 Antigona delusa […] Venedig 1660, S. 3. 31 Ebenda, Argomento, S. 12. Vgl. Rosand (1991), S. 177. 32 Ebenda, S. 11, Übersetzung Woyke (2008), S. 74. 33 Ebenda, S. 12.



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er, der moderne Dichter, eine Reihe von Begebenheiten hinzu, von denen er annehmen konnte, dass sie erstens wahrscheinlich sind und zweitens die Struk­ tur des Dramas bereichern würden.34 Aureli stuft die Geschichte von Alceste gar nicht erst als eine wie auch immer verbürgte antike Historie ein, sondern als märchenhaftes, somit bereits fiktives Werk der Dichtung. Entsprechend braucht die Bereicherung der Handlung durch die moderne Erfindung nicht weiter gerechtfertigt zu werden. Der gebildete Autor schildert genau, wel­ chen Teil seines Dramas er der antiken Quelle entnommen und welchen er dazu erfunden hat („si finge“35). Allerdings bewegt sich auch die Erfindung durchaus im Rahmen gelehrter antiker Quellenkenntnis. Tatsächlich überlie­ fert Ovid36 den Namen Antigona für eine Tochter des Laomedon, den Her­ kules samt seiner Söhne (bis auf Priamus) erschlagen hatte, nachdem jener ihm die zuvor versprochenen Pferde des Zeus verweigert hatte. In Antigona delusa da Alceste gibt es eine Vorgeschichte, in der Admeto37 seinen Bruder Trasimede38 nach Troja entsendet hatte, damit dieser für Admeto um die Hand der Prinzessin Antigona anhalten sollte. Trasimede jedoch verliebte sich in Antigona und brachte dem Bruder statt ihres ein anderes (mutmaßlich hässliches) Bildnis, das Admeto dazu bewegte, unter einem geeigneten Vor­ wand Abstand von der beabsichtigten Verbindung und stattdessen Alceste39 zur Frau zu nehmen. Kurz drauf zerstörte Herkules40 (!) Troja und tötete Antigonas Vater Laomedon. Während Trasimede nun glaubt, seine Geliebte sei beim Brand ums Leben gekommen und halb wahnsinnig vor Schmerz mit Antigonas (echtem) Bild umherläuft, trifft diese41 am Ende des ersten Aktes gemeinsam mit ihrem Erzieher Meraspe42 als Hirten verkleidet am Ort des Geschehens ein, um ihre älteren Rechte an Admeto einzuklagen. Die bei­ den hohen Liebespaare Admeto/Alceste und Trasimede/Antigona werden von einem komischen Paar flankiert, der Hofdame der Alceste Eurilla43, die in Trasimede verliebt ist und ihrerseits von Trineo44, dem ersten Kavalier des Reiches begehrt wird. Die wirklich komischen Figuren sind Lesbo, der Diener des Königs und Orindo, der kecke Page, der sich in Antigona verlie­ 34 Ebenda. 35 Ebenda. 36 Sechstes Buch, Verse 93–95. Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Epos in 15 Büchern. Übersetzt von Hermann Breitenbach (Hg.) mit einer Einleitung von L. P. Wilkinson. Stuttgart 1971, S. 183. 37 In Zianis Vertonung ein Tenor. 38 Mezzosopran. 39 Sopran. 40 Bass. 41 Sopran. 42 Bass. 43 Mezzosopran/Alt. 44 Tenor.

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ben wird. Sie sind an ihrer Stimmlage deutlich differenziert. Der Page ist ein Sopran und als der typische pubertierende Knabe gezeichnet, der sich noch außerhalb der Verbindlichkeiten bewegt und dem man alles zugestehen muss. Lesbo hingegen ist ein Bass und damit sowohl komisch als auch Quelle entlarvender Kommentare. Seine Kommentare zu Admetos Impotenz durchziehen die 1660er Fassung und wurden für die späteren Fassungen gestrichen45, auf die noch zurückzukommen sein wird. Eine weitere Be­ sonderheit der ersten Fassung ist, dass Admeto das Orakel selbst anruft und die Antwort selbst berichtet, also weder ein Gott auftritt noch die stellver­ tretende sprechende Statue vorkommt, die für späteren Bearbeitungen des Stoffes charakteristisch werden sollte. Im zweiten Akt sieht man Alceste, die (wegen ihres Selbstmordes?) von zwei Furien gequält wird und den Stoß, mit dem sie sich das Leben nahm, verflucht.46 In der Hannoveraner Fassung von 1679 und 1681 wurde ihre Reue etwas abgemildert; die noch ausführlich zu besprechende Leipziger Fassung von 1693 geht wieder sehr nah an den ursprünglichen Text zurück. Rettung bringt Herkules, der den Cerberus ankettet und Clotho in vollendeter Höflichkeit davon überzeugt, Alceste dem Leben zurückzugeben. Als Pluto wutschnaubend dem Paar seine Schatten auf dem Leib schicken will, greift Merkur ein und hält ihn zurück. In der Oberwelt trifft derweil Antigona auf Trasimede, der sie erkennt, sich gleichwohl von ihrer Verkleidung als Schä­ ferin Rosilda täuschen lässt. Von ihm möchte sie sich an den Hof bringen lassen, um das ihr zustehende Herz Admetos doch noch zu erobern. Eurilla hat nun allen Grund zur Eifersucht, woraus Trineo eine Intrige spinnt, mit der er am Ende Herz und Hand der Hofdame gewinnen wird. Durch Eurillas eifersüchtigen Verweis auf das Bild der Antigona wird Admeto erst darauf aufmerksam, dass er ehedem ein anderes zu sehen bekommen hatte. Da er weiß, dass es mit seiner Standhaftigkeit für den Fall einer tatsächlich schönen Antigona nicht weit her ist, wünscht er sich die wiederbelebte Alceste wenn, so möglichst rasch zurück. Doch diese hat inzwischen festgestellt, dass sie die Hölle in Form der Eifersucht mit sich genommen hat. Als geharnischter Rit­ ter verkleidet will sie die Treue Admetos prüfen. Am Hofe geht derweil die Verwirrung um das vertauschte Bild und die fremde Schöne weiter, von der Admeto am Anfang des dritten Aktes gleichzeitig erfährt, dass sie tatsächlich Antigone ist, wie dass Trineo sie entführt hat (was, gesetzt den Fall, sie sei 45 46

In I/4 Admeto sei nur „der Bezeichnung nach ein Ehemann“ und „wie Admeto zwei Ehe­ frauen haben wolle, wo er schon einer nicht gerecht werde“ II/10. Zit. nach Woyke (2008), S. 74–75. „Verdammter Stoß, der mir das Herz durchstochen und meinen Lebensdraht zerbrochen.“ Der „Lebens-Draht“ ist hier keine Skurrilität, sondern findet sich auch bei Lohenstein und Hallmann. Vgl. Schöne (1994), S. 142.



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nur eine Schäferin, buchstäblich ein Kavaliersdelikt wäre, über den höchstens Eurilla böse sein dürfte). Mitten in die Aufregung um die Wahrung der hoch­ geborenen Unschuld der Antigona platzt Herkules und behauptet, er habe Alceste im Hades nicht finden können, worüber Admet überaus erleichtert ist, sein künftiges Glück mit Antigona preist und Herkules desillusioniert feststellt, dass Alceste hier offenbar von niemandem mehr vermisst wird. Während Antigona unversehrt wieder an den Hof gebracht wird, wird die verkleidete Alceste um ein Haar verhaftet. Abermals rettet Herkules sie und berichtet ihr von der Untreue des Gemahls. Admeto ist nun im Begriff, sich mit Antigona zu verbinden, als der eifersüchtige Trasimede sich auf den König stürzt, von Alceste jedoch entwaffnet wird, die damit Admeto ein zweites Mal das Leben rettet. Dieser ist sichtlich bestürzt über die Heimkehr seiner Gemahlin und wahrt nur mühsam die Fassung als edler Regent, indem er Trasimede verzeiht und ihm Antigona zur Frau gibt, während er sich mit der seinen wieder vereint. Herkules gibt als Brautgeschenk Antigona den geraubten Trojanischen Thron zurück. Admeto ist mit unverkennbarer Ironie und in der Tyrannenlage eines Tenors gezeichnet. Geradezu augenzwinkernd wird Aurelis Verweis auf die hinzuerfundenen, gleichwohl so wahrscheinlichen wie interessanten Elemente der Geschichte angesichts von Admetos Neigung, der ersten Versuchung sofort nachzugeben – wenn sie nur schön ist. Seine Undankbarkeit zeigt sich auch gegenüber Herkules, den er nach dessen (angeblich ergebnisloser) Rückkehr aus der Unterwelt mit einigen standardisierten Floskeln zum immerwähren­ den Ruhm auf die Seite winkt, um seiner neuen Liebschaft nachsetzen zu können. Trasimede hat als Mezzosopran noch etwas von der Ambivalenz der frühen Kastratenpartien47 und erscheint als einigermaßen intriganter und gewaltbereiter, allerdings durch den Wahnsinn aus Liebe rehabilitier­ ter secundo uomo. Die Lichtgestalt hingegen ist Herkules, der immer zur Stelle ist, wenn er gebraucht wird und zuverlässig ohne Eigennutz handelt. Typisch für den erwachsenen Herkules ist er ein Bass und damit der eher seltene Fall für eine in dieser Stimmlage singende Figur, die weder komisch noch ein alter Mann ist.48 Auch ist er hier alles andere als ein Raufbold (le­ diglich den Caniden Cerberus fasst er etwas härter an). Während Amor alle menschlichen Figuren an seinem Gängelband einherführt, bleibt Herkules der Halbgott und permanente deus ex machina ein relativ unbeteiligter Kom­ mentator mit seiner Arie „Amor, è un tiranno“. Selbst Alceste ist mit einigen ironischen Verweisen gezeichnet. Zwar erfolgt ihr Selbstopfer spontan und uneigennützig, doch bereut sie es bereits in der ersten Szene des zweiten 47 48

Wie vergleichsweise Jarbas in Cavallis La Didone, der an seiner Liebesverzweiflung zwischen­ zeitlich wahnsinnig wird. Im 18. Jahrhundert sollte Christus im Oratorium häufig als Bass erscheinen.

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Aktes angesichts der Furien und verfällt sofort nach ihrer Wiederbelebung der vorgeblich weiblichen Untugend der Eifersucht. Auch Antigona ist am­ bivalent. Einerseits pocht die leidgeprüfte, aus der Heimat vertriebene und von Admeto unter fadenscheinigen Gründen entlobte Prinzessin auf ihre älteren Rechte, andererseits schreckt sie nicht davor zurück, sich den frisch Verwitweten mit einer handfesten Intrige zu nehmen. Aurelis Libretto zeichnet sich durch eine Fülle verschiedener Arienty­ pen, überwiegend mit Refrain aus,49 wobei die Szenen – ähnlich wie in Caval­ lis/Minatos Xerse – häufig mit einer Arie beginnen. Zwanzig zweistrophigen Arien stehen 62 einstrophige gegenüber und variable Verslängen innerhalb der Arien herrschen vor. Die letzte große Arie der Alceste in III/13 folgt mit ihrem vierversigen A-Teil und siebenversigen B-Teil mit abweichender und innerhalb der Verse wechselnder Verslänge, aber wiederholtem A’-Teil, der Form einer Da capo-Arie. Manche Arien füllen eine ganze Szene aus, wie die der Alceste in I/5 „Luci care, addio posate“, die in allen Bearbei­ tungen des Librettos bis hin zu Händel und sogar noch in Königs Getreuer Alceste auftaucht. Aureli verkehrt hier den Topos, mit dem gewöhnlich der männliche Held seine schlafende (schwache und bewusstlose) Geliebte anund besingt.50 Dass hier Alceste zu ihrem schlafenden, schwachen Ehemann singt, der sich von seiner starken Frau retten lassen muss, kommt im galanten Verständnis auch 250 Jahre vor Freud einem Kastrationskomplex nahe. Was die Interpreten der Geschichte seit Euripides irritierte und Quinault gut zehn Jahre später für sein Libretto Anlass zu einschneidenden Veränderungen der Geschichte geben sollte, wird hier mittels prädefinierter Formen und Topoi subtil durch die Arienform überhöht. Dass auf der anderen Seite Alkestis bereits in der griechischen Vorlage eine Frau mit männlichen Qualitäten ist (sie erhält die Chance zu unsterblichem Ruhm zu gelangen und nutzt sie auch), prädestiniert sie überdies für die beliebte Cross-dressing-Episode der venezianischen Oper, in der die Heroine als Mann zurückkehrt. Die Arien der Alceste sind häufig große Formen und füllen in drei Fällen ganze Sze­ nen. Die der Antigona ebenfalls, doch sind die Ausmaße etwas bescheidener. Meraspe und Trasimede singen nicht nur die meisten Arien, sondern auch die komplexen Formen der Männerstimmen. Admeto bleibt dagegen blass, seine zwielichtige Rolle auf der Handlungsebene wird mit musikalischer Un­ terrepräsentanz bestätigt. Formal folgenreich ist ein Streit-Duett zwischen Eurilla und Trineo in II/17. Trineo singt darin einen fünfversigen A-Teil, darauf antwortet Eurillas vierzeiliger B-Teil in einem anderen Versmaß, aber mit textlichem Bezug,­

49 50

Vgl. die ausführliche Darstellung in Woyke (2008), S. 94. Vgl. Heller (2005), S. 606.



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darauf wiederum Trineo mit der Wiederholung im gleichen Versschema, aber mit anderem Text, also mit derselben Melodie. Diese Art des Streitens oder Überredens mit musikalischen Mitteln sollte auch in der deutschen Ba­ rockoper beliebtes Mittel werden und u. a. in Francks Alceste wiederkehren. Ungewöhnlich für eine venezianische Oper sind die Genre-Chöre und Ballette. Der erste Akt schließt mit einem Chor der Schäfer, angeführt von Lesbo, dem komischen Diener des Königs; der zweite Akt mit Orindo, den ein Chor der Handwerker, Dörfler und Narren begleitet. Die Chöre haben keine erkennbare Funktion für die Handlung. Sie erscheinen wie Intermedien und sind unverkennbare Signaturen des pastoralen Erbes des Alceste-Stoffes. Die ersten Opernaufführungen in Hannover fanden ab 1677 mit Werken Sartorios statt. Der im selben Jahr in Venedig uraufgeführte und Johann Friedrich gewidmete51 Antonio e Pompejano, ging möglicherweise noch im Ballhaus und wahrscheinlich unter szenisch bescheidenen Bedingungen über die Bühne.52 Erst mit der Eröffnung des kleinen Schlosstheaters mit L’Al­ ceste 1681 scheinen standesgemäße Opernvorstellungen möglich geworden zu sein, wie sie die Librettodrucke dokumentieren.53 Eine briefliche Bemer­ kung von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) „Ce n’est pas une tra­ duction de l’opera de Paris, mais une tout autre piece.“54 und die erhaltenen Textbücher belegen, dass es sich dabei ungeachtet des Titels nicht um die französische Version Lullys/Quinaults, sondern um Aurelis Antigona delusa da Alceste handelte. Diese erste Aufführung fand noch unter der Herrschaft von Johann Friedrich statt. Als Bearbeiter des Textes55 ist in einem 1968 von Philip Keppler beschriebenen Katalog Mauro verzeichnet.56 Der in Verona geborene Geistliche kam 1674 nach Hannover57 und wurde 1675 zum Hof­ dichter ernannt.58 Nach Johann Friedrichs Tod verließ er den Hof, kehrte jedoch 1683 zurück, wurde unter Ernst August Kammerherr und dessen Sekretär, schrieb aber auch die meisten der für den Hof vertonten Libretti59 51 52 53 54 55 56 57 58 59

Erich Rosendahl nennt Johann Friedrich den „Begründer der Hannoverschen Oper“. Ders.: Geschichte der Hoftheater in Hannover und Braunschweig. Hannover 1927, S. 10. Vgl. Rosemarie Wallbrecht: Das Theater des Barockzeitalters an den welfischen Höfen Han­ nover und Celle. Hildesheim 1974, S. 177–178. Textbuch von 1681, Vgl. http://diglib.hab.de/drucke/textb–13/start.htm; Sig. A3 A–14 K2 (aufgerufen am 18. 1. 2016). Vom 28. Januar/7. Februar 1679. Zit. nach Wallbrecht (1974), S. 180. Dessen Stadium dann wiederum Vorlage für Händels Admeto bildete. Vgl. Ders. Agostino Steffani’s Hannover Operas and a Rediscovered Catalogue. In: Studies in Music History. Essays for Oliver Strunk. Harold Powers (Hg.). Princeton 1968, S, 345. Wallbrecht (1974), S. 180. Vgl. Brockpähler, S. 220. Herzogin Sophie nennt ihn daher im Brief an Leibnitz vom 3. Juli 1700 „nostre Apollon“. Zit. nach Wallbrecht (1974), S. 180.

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und erscheint sogar bei einer Reihe aus Hannover übernommener (italienisch orientierter) Opern in Hamburg als Textdichter.60 Für die Musik zu L’Alceste wurde dem Hoforganisten Mattio Trento61 1678/79 die, gemessen am Jahresgehalt des späteren Kapellmeisters Strungk von 460 Talern, exorbitante Summe von 139 Talern ausbezahlt. Der Ak­ tenvermerk „dem Musikanten, so die Opera in die Musik komponieret“62 spricht eigentlich mit hinreichender Sicherheit dafür, dass es sich dabei um eine (vollständige?) Neukomposition gehandelt haben muss. Wie viel von Zianis Musik dabei übrig geblieben ist, kann nicht entschieden werden, wenn die Partitur überhaupt jemals nach Hannover gelangt war.63 Aus den von Wallbrecht gelieferten Namen und Stimmfächern der für die Kirchenmusik engagierten Sänger64 lassen sich Rollen und Stimmfachverteilung für die Ver­ tonung der L’Alceste von 1679 rekonstruieren: Alceste – Vincenzo Antonini (Vincenzino) – Soprankastrat Admet – Morselli – Tenor Antigona – Josepino Pitentino – Sopran(?)kastrat Trasimede – Gioseppo Simoncini – Soprankastrat Eurilla – Mad. Ursulcar – Mezzosopran oder Alt Trineo, Clodo und Apollon – Guiliano Guiliani – Alt Hercules – Francesco Gratanini – Bass Meraspe und Pluto – Girolamo Navarra – Bass Lesbo, Jäger und Mercurium – Alexandro Cesare Borgiani – Tenor Orindo – (Knaben-)Sopran Bei der Besetzung herrschten in Hannover also Geschlechterverhältnisse beinahe wie in Rom. Alle größeren Frauenpartien wurden von Kastraten gesungen, aus deren Gagen man rückschließen kann, dass es sich um ausge­ zeichnete Solisten gehandelt haben muss.65 Lediglich die komische kleinere Rolle der Eurilla wurde von einer Sängerin verkörpert. Admeto ist auch in Hannover ein Tenor, die typische Stimmlage für den (am Ende geläuterten) Tyrannen, wie aus den charakterlichen Vorgaben im Libretto kaum anders 60

61 62 63 64 65

Brockpählers Angabe (1964, S. 203), er habe für Der siegende Alcides (Hamburg 1696) Quinaults Text übersetzt, ist jedoch äußerst unwahrscheinlich (vgl. die Erörterung dieser Frage in Ka­ pitel: Alceste 1680/1693/1694–96, da Mauro Italiener war und seine übrigen Texte in der Regel von Gottlieb Fiedler übersetzt wurden, was dafür spricht, dass Mauro jedenfalls nicht genügend Deutsch konnte, um seine eigenen Texte zu übertragen. Mit Leibnitz korrespon­ dierte Mauro in französischer Sprache. Lebensdaten unbekannt. Zit. nach Wallbrecht (1974), S. 180. Die überlieferten Partituren der Antigona delusa von Ziani liegen beide in Italien. Vgl. Woyke (2008), S. 337. Vgl. Wallbrecht (1974), S. 190 und S. 191. 600 Taler pro Jahr. Vgl. ebenda (1974), S. 191.



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denkbar. Die Stimmverteilung für die Aufführung von 1681 lässt sich nicht bestimmen, da Ernst August bei seinem Regierungsantritt als protestanti­ scher Herrscher die katholische Hofkapelle im Mai 1680 auflöste und die Sänger entließ. Die anschließend neu zusammengestellte Hofkapelle bestand vornehmlich aus französischen Musikern unter der Leitung des Violinisten Jean-Baptiste Farinelli (1655–?), der mit einer Unterbrechung bis 1713 be­ stallt blieb.66 Welchen Anteil der häufig als Komponist geführte Nikolaus Adam Strungk an der Vertonung der 1679/81er L’Alceste hatte, kann aus den Do­ kumenten nicht bestimmt werden. Das stichhaltigste Indiz dafür, dass er be­ reits an der Komposition der Hannoveraner Fassung der Oper beteiligt war, ist, dass er zwölf Jahre später das eigene Leipziger Opernunternehmen mit diesem Stück eröffnete. Der Oper in der 1681er Fassung wurde ferner ein neuer Prolog aus der Feder eines Sig. Valente in der Vertonung Pier Antonio Fioccos (1654–1714) vorangestellt.67 Die Vorrede „sacra Maesta“ ist hinge­ gen von Nikolaus de Montalban68 unterzeichnet.69 Die Stimmverhältnisse der zentralen Charaktere, Antigona, Alceste, Ad­ meto, Trasimede und Herkules wurden also in Hannover aus Zianis Kom­ position übernommen; lediglich Lesbo und Trineo rutschen eine Stimmlage weiter nach oben, was aber kaum ins Gewicht fiel, da beides Nebenfiguren sind. Ob dies bedeutet, dass auch Musik von Ziani ganz oder teilweise über­ nommen wurde, ist nicht zu entscheiden. Immerhin hatte Ziani 1669 selbst die Oper überarbeitet, die Musik war damit nur noch zehn Jahre alt und die Vorrede ließe sich auch dahingehend lesen, dass nur einige Arien (an die Sänger) angepasst70 wurden. Da das Libretto der Hannoveraner Aufführun­ gen über weite Strecken entweder der 1669 oder der 1660er Version folgt,71 scheint eine Übernahme der Musik Zianis zumindest möglich, wenn auch angesichts der Begleitumstände- und Dokumente nicht eben wahrscheinlich. Das Hannoveraner Libretto versucht Admeto etwas zu entlasten. Dazu gehört, dass die Anspielungen auf seine Impotenz getilgt wurden (der Ver­ merk im Argomento verblieb allerdings). Ferner erhält er in I/14 eine Solo­ szene bzw. Arie, die seiner Hoffnung, Alceste wieder zu sehen, glaubhaft 66

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Nach Wallbrecht (1974, S. 175) ist dieser ein Onkel des späteren berühmten Kastraten. Da Farinelli jedoch mit bürgerlichem Namen Carlo Broschi hieß und Farinelli ein Künstlername ist, der in seinem familiären Umfeld nicht auftaucht, sondern von seinen Mäzenen, den Farini, abgeleitet ist, kann das ausgeschlossen werden. Nach Wallbrecht ist der übrige Librettotext bis auf „minimale Textveränderungen“ identisch. Lebensdaten unbekannt. Dem mutmaßlichen späteren Auftragsmörder des Grafen von Königsmarck. Vgl. Schnath (1952/53), S. 179–341. „da qualche Arietta muttata“. Antigona delusa da Alceste … A chi legge. o. S. Vgl. Woyke (2008), S. 122–124.

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Ausdruck verleiht.72 Händels Bearbeiter Nicola Francesco Haym (1678– 1729) sollte diese Tendenz weiterverfolgen und Händel ermöglichen, 1727 aus Admeto einen in Altlage singenden und damit nach der Stimmhierarchie auf der Basis einer wesentlich sympathischeren Charakterzeichnung einen leidenden Liebhaber zu machen.73 Damit folgte Händel in erster Linie Schür­ manns Vorbild von 1719, der erstmals Admet als Sympathieträger aus der französischen Tradition mit der italienischen Tradition der heldischen ho­ hen Männerstimme verbunden hatte – ein Exempel, das Händel sicherlich bekannt war. In den folgenden Jahren wurde im Hannoveraner Hoftheater nur selten Oper gespielt, da der Herzog zum Karneval lieber nach Venedig zu reisen pflegte. Im Bestreben, die exorbitanten Ausgaben des Fürstenhauses für die Oper wenigstens im Land zu behalten, betrieben die Hannoveraner Stände aber ab Mitte der 1680er Jahre die Gründung eines eigenen Opernhauses.74 1682 kehrte Nicolaus Adam Strungk nach drei Jahren in Hamburg, während der er als Ratsmusiker auch Opern für die Hamburger Bühne komponiert hatte, als Kapellmeister nach Hannover zurück.75 1688 folgte ihm zusätzlich Steffani, der zuvor bereits in München als Kapellmeister tätig gewesen war. In Hannover übernahm der geweihte Priester zunehmend diplomatische Aufgaben und aus den daraus resultierenden häufigeren Abwesenheiten des Abbé erklärt sich der Luxus zweier Kapellmeister.76 Ab 1687 wurde eilig an einem neuen Opernhaus gebaut, wohl auch um der direkten Konkurrenz der von Anton Ulrich vorangetriebenen Wolfen­ bütteler Aufführungen zu begegnen.77 Offenbar hatten die Aufführungen dort trotz ihres improvisierten Aufführungsortes im Ballhaus große Strahl­ kraft entfaltet und so wurde in Wolfenbüttel, möglicherweise wiederum als Reaktion auf die kulturelle Aufrüstung in Hannover, 1688 ein kleines Schlosstheater eingeweiht. Die 1689 eröffnete Hannover Oper stand nicht nur als prächtiges Ereignis78 im Dienst der Repräsentation. Mit der für die Eröffnung von Mauro79 verfassten und von Steffani komponierten Oper Enrico Leone in italienischer Sprache wurde einmal gezielt die Legende von 72 73 74 75 76 77 78 79

Vgl. Heller (2005), S. 622. Vgl. ebenda, S. 621–622. Vgl. Rosendahl (1927), S. 11. Nach Wallbrecht (1974, S. 175.) wird jedoch keine seiner Hamburger Opern in Hannover aufgeführt. Vgl. ebenda, S. 176. Vgl. ebenda, S. 46. Enrico Leone bietet die erwarteten Spezialeffekte, darunter den Seesturm mit scheiterndem Schiff. Seit 1675 Sekretär in Hannover.



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der Gründung der Welfenlinie durch Heinrich den Löwen (1129–1195) auf die Bühne gebracht, und zum anderen der Anspruch des Hauses Hannover auf die Führung innerhalb der Linie artikuliert.80 Oper diente hier in ähnlich direkter Weise der Propaganda, wie bei den Festspielopern am Hamburger Gänsemarkt.81 Dort wurde Enrico Leone 1696 in der Übersetzung von Gott­ lieb Fiedler82 aufgenommen83 und 1697 schließlich sogar in Braunschweig.84 Das Hannoveraner Opernhaus galt rasch als das schönste des deutschen Sprachraums. Von den zahlreichen Äußerungen sei hier das am ehesten neut­ rale Urteil von Feind angeführt, wonach „das Leipziger wohl das pouvreste, das Hamburgische das weitläufftigste [sic!]/ das Braunschweigische das vollkom­ menste/ und das Hannoversche das schöneste“ Theater sei.85 Mit Ernst Augusts Tod 1698 endet die Oper in Hannover jedoch be­ reits nach kurzer Blüte, sein Nachfolger Georg Ludwig entließ abermals die Opernsänger und behielt nur die Kapelle und vorerst auch Steffani, der 1710 Händel die Stelle als Kapellmeister vermittelte. Da in Hannover keine Oper aufgeführt wurde, erbat Händel bereits im ersten Jahr Urlaub, um in London seine Oper Rinaldo (1711) aufführen zu können. Von einem zweiten Arbeitsurlaub 1712 kehrt er nicht wieder, wodurch das Verhältnis zu seinem Dienstherrn jedoch kaum getrübt worden zu sein scheint,86 denn wenige Jahre später fand sich Händel abermals in Diensten Georg Ludwigs wieder, nachdem dieser 1714 als George I. den englischen Thron bestiegen hatte.

3.2  Die erste klassizistische Tragédie lyrique – Alceste, oder wie rettet man einen König? Das ab der Mitte der 1770er Jahre in Frankreich von Lully und Quinault ent­ wickelte Konkurrenzprodukt zur italienischen Oper wurde von den Opern­ schaffenden des deutschen Sprachraumes umgehend als zweites machtvolles Paradigma des Musiktheaters erkannt, doch wirkte der französische Ge­ genentwurf zunächst stärker auf die Librettisten als auf die Komponisten. Wenngleich der Typus der französischen Tragédie lyrique über mehrere Stü­ cke entwickelt wurde (Cadmus et Hermione 1773, Alceste 1774, Thésée 1775 und Atys 1776), trat erst Alceste, ou le triomphe d’Alcide als erste französische Oper nach einer antiken Dramenvorlage mit dem selbstbewussten und folgenrei­ 80 81 82 83 84 85 86

Vgl. die ausführliche Darstellung bei Seebald (2009), S. 59–165. Vgl. Schröder (1998). Lebensdaten unbekannt. Brockpähler (1964), S. 203. Ebenda, S. 91. Feind: Gedancken von der Opera (1708), S. 89. Vgl. Wallbrecht (1974), S. 177.

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chen Gründungsanspruch auf, der im streit- wie diskussuionsfreudigen Paris bald die Wellen hochschlagen lassen sollte. Quinault und Lully schrieben das Stück im ersten Halbjahr des Jahres 1673. Die Proben begannen zum Jahres­ ende in Versailles in den Gemächern der Mätresse des Königs Mad. Monte­ span (1641–1707). Ludwig XIV., vom fanatischen Verächter der italienischen zum obersten Förderer einer französischen Oper gewandelt, besuchte die Proben regelmäßig, gewährte jedoch sonst nur wenigen Personen Zutritt87 und diese Vorbereitungen im Allerheiligsten der Macht bereiteten den idea­ len Nährboden für Neid und Intrigen all jener, die nicht daran partizipier­ ten. Im Falle von Quinault waren das Nicolas Boileau-Despréaux (1636– 1711), Racine, Jean de La Fontaine (1621–1695) und Charles de Marguetel de Saint-Denis, Seigneur de Saint-Évremond (1610–1703).88 Am 19. Januar 1774 wurde die Oper schließlich im Palais Royal aufgeführt. Der König liebte Alceste ganz besonders und in Paris traf sie auch deshalb auf eine regelrechte Kabale,89 wurde aber dennoch im Schnitt alle zehn Jahre wieder aufgenom­ men und blieb im Spielplan bis 1757 – eine im 18. Jahrhundert außerhalb Frankreichs völlig undenkbare Kontinuität für eine Oper. Euripides’ Drama als Grundlage für eine Oper zu verwenden, die in letz­ ter Konsequenz das absolutistische Königtum verherrlichen sollte, ist grund­ sätzlich nicht eben naheliegend. Euripides verbindet in seinem Drama90 die Geschichte eines Königs aus der Zeit der Heroen, also der Frühgeschichte der griechischen Antike, mit dem Märchenstoff vom Stellvertretertod. Dass Alceste nicht direkt auf eine historische Begebenheit Bezug nimmt (wie etwa die Iphigenie-Handlung auf den trojanischen Krieg), sondern ein Mythen­ stoff ist, hat denn auch von Aureli bis zu Königs Vorwort als Begründung für besondere poetische Freiheit gedient. Dass Quinault für den erwartungs­ gemäß kontrovers diskutierten Anspruch, antike Dramenvorlagen auch für die Tragédie lyrique zu reklamieren, gerade Alceste wählte, könnte aber auch damit zusammenhängen, dass das Stück bis dahin kaum als Tragédie für die Sprechbühne bearbeitet worden war, jedenfalls keine kanonische Bearbei­ tung, etwa durch Corneille oder Racine, erfahren hatte. Solveig Malatrait geht so weit, Alceste in Frankreich als eine „Leerstelle“ zu bezeichnen, die erst durch Quinault und Lully gefüllt wurde.91 87 88 89 90 91

Vgl. Herbert Schneider. In: Piper (1989), S. 596. Vgl. Norman (2001), S. 9. Vgl. ebenda, S. 95. Der Begriff Drama für die Alkestis des Euripides trägt dessen Sonderstellung zwischen Tragö­ die und Komödie Rechnung. Solveig Malatrait hat die für eine derart prominente antike Dramenvorlage ausgesprochen spärlichen Bearbeitungen zusammengestellt und kommentiert. Vgl. dies. Alceste in Frankreich oder der missglückte Triumph des amour conjugal. In: Alkestis: Opfertod und Wiederkehr. Interpretationen. Hamburg 2007, S. 139–160.



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Euripides zeigt einen König, der einem unheroischen Tod fernab von Abenteuern und Schlachtenruhm entgegensiecht. Unheroisch ist überdies seine Weigerung zu sterben, mit der er das Orakel anruft. Als die Antwort kommt, er könne weiterleben, wenn jemand bereit sei, freiwillig an seiner Stelle zu sterben, sinkt Admet noch eine Stufe tiefer, indem er das Orakel annimmt und sich auf die Suche macht. Die Eltern weigern sich, doch hat der Vater bei Euripides dafür durchaus gute Argumente: Denn jeder muss seinen eigenen Tod sterben.92 Das Opfer seiner Gattin Alceste93 nimmt Ad­ met an und macht sich damit nicht nur im Kontext der Antike zu einem, der buchstäblich auf Kosten seiner Frau lebt, sondern positioniert sich für die Moderne überdies diametral gegen das Ritterlichkeitsideal, wonach der Mann seine Männlichkeit gerade im Kampf für eine Frau beweist. Ein Admet, der das Opfer der Alceste annimmt, macht sich im Frankreich des 17. Jahrhun­ derts somit gleich mehrfach unmöglich. Erschwerend kommt hinzu, dass das Opfer von der Ehefrau erbracht wird und damit überdies mit dem Konzept der strikten Trennung zwischen der Ehe als einem Vertrag, der mit Neigung nichts oder wenig zu tun hat, und der galanten (außerehelichen) Liebe kon­ fligiert.94 Quinaults Handlungsführung nimmt sich daher aus wie ein Par­ courslauf um die Stolperfallen der Admetfigur herum. Der Librettist be­ ginnt seine Geschichte viel früher als Euripides, am Tag der Hochzeit von Alceste und Admète. Er konfrontiert Alceste dabei mit zwei weiteren Lieb­ habern: dem abgewiesenen Licomède, Herrscher von Scyros, und einem ge­ heimen, Herkules, der hier nach seinem Großvater Alcide heißt. Unter den refrainhaften Lobpreisungen des Chors beginnt der erste Akt mit Alcide, der seine ­Eifersucht durch schnelle Flucht weiterhin zu verbergen trachtet, sowie ­einer Lehrstunde in galanter Liebe zwischen den komischen Figuren Straton, Lychas und Céphise. Straton konfrontiert Céphise mit dem unter galantem Aspekt fehlgeleiteten Anspruch auf ewige Treue, während Lychas grob damit prahlt, dass er Céphise erobert habe. Céphise rügt beider Fehlver­ halten, doch dass die Belehrung aus dem Munde einer Dienerfigur kommt, deutet schon an, dass die Oper möglicherweise eine abweichende Position beziehen wird. In der fünften Szene tritt der abgewiesene Licomède auf und heuchelt Gleichgültigkeit. Doch die in Liebesdingen erfahrene Céphise wit­ tert zu Recht unter der zur Schau getragenen Ruhe ein drohendes Unwetter.

92 93 94

Euripides: Alkestis. Griechisch/Deutsch. Übersetzt von Kurt Steinmann (Hg.). Stuttgart 1981, S. 64. Dass Alkestis einigermaßen gute, nämlich dynastische Gründe für das Opfer hat, ist hier zu vernachlässigen und wird an späterer Stelle ausführlich behandelt. Malatrait (2007), S. 153.

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Die Hochzeit findet als rauschendes Fest am Hafen statt. Jubelchöre preisen das Brautpaar, das mit der gemeinsamen Zeile: „Quand l’Himen et l’Amour sont bien d’accord ensemble,/ Que les nœuds qu’ils forment sont doux!“95 erst­ mals in Erscheinung tritt und damit gleichsam das Programm der Oper for­ muliert: die Vereinbarkeit von Liebe und Ehe. Meerjungfrauen und Trito­ nen führen ein Seefest mit Tanz und Gesang auf, in das sich Matrosen und Fischer mischen. Die Vergnügungen finden ein jähes Ende, als Licomèdes Alceste auf sein Schiff lockt, die Schiffsbrücke einstürzen lässt ehe Admète folgen kann und mit Alceste und ihrer Hofdame als Beute davonsegelt. Die aus dem Meer auftauchende Meergöttin Thétis prophezeit Admète einen frühen Tod, wenn er ihrem Bruder nacheilt, wovon sich der Held natürlich nicht abbringen lässt. Den von ihr hervorgerufenen Seesturm beschwichtigt sofort Eole und versichert im Gegenzug Admète „Le Ciel protege les Heros“96. Admètes und Alcestes Schicksal erweist sich damit als eingebunden in die Schachzüge der Götter. Der zweite Akt zeigt zunächst Céphise auf der Insel Skyros, die Straton wort- und listenreich wieder ihrer Liebe versichert und zugleich einer so­ fortigen Eheschließung zu entgehen weiß. Spiegelbildlich dazu erscheinen darauf Alceste und Licomède. Alceste erklärt zu ihrer Verweigerung, dass sie und Admète schon als Kinder einander versprochen wurden, sie also nie die Wahl gehabt habe, einen anderen als ihn zu lieben. Damit ist wiederum klar, dass die bevorstehende Ehe von Alceste und Admète grundsätzlich eine typische dynastische Verbindung ist, der zu folgen zunächst eine Sache der Pflicht ist, welcher das Herz, dem Verstand folgend, gehorcht. Der Tyrann gebärdet sich dagegen mit bedenklich modern anmutendem Sadismus und kündigt an, sich nun für seine vergeblichen Liebesqualen an der rächen zu wollen, die sie hervorgerufen hat. Glücklicherweise kommt es nicht so weit, da die Stadt von Admètes Truppen in einem großen Spektakel auf offener Bühne bestürmt und eingenommen wird. Während Alceste noch ahnungslos versucht, Herkules zum Bleiben zu bewegen und dieser angesichts ihres Liebreizes seine Tugend wanken fühlt (was schon fast wie eine Drohung klingt), wird Admète vom sterbenden ­Licomède tödlich verwundet und erscheint in der folgenden Szene gleich­ falls als Sterbender. Alceste klagt den Himmel an, der statt der verhießenen Freuden von Liebe und Eheglück den Tod schickt, doch Admète verkündet, 95

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Quinault: Alceste. In: Querelle d’Alceste. Künftig zitiert als: Alceste (1994). Übersetzungen aus Quinaults Libretto: Tina Hartmann. Übersetzung der Einleitung sowie der darin enthalte­ nen Texte zur Querelle d’Alceste von Perrault und Racine für diese Studie: Silvia Brucker, masch. 2008. Künftig zitiert als: Querelle d’Alceste (1994) mit der Seitenzahl des frz. Originals. „Wenn Hymen und Amor so schön verbunden werden/ wie süß sind ihre Fesseln.“ „Der Himmel beschützt die Helden.“ Alceste (1994), S. 31.



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mit seinem Schicksal zufrieden zu sein „Avec le nom de vostre Espoux/ J’eusse esté trop heureux de vivre/ Mon sort est assez doux/ Puis que je meurs pur vous.“97 Gemessen am Ritterlichkeitsideal gibt es in der Tat kaum einen besseren Tod, als siegreich die Ehre der Geliebten und Braut zu verteidigen und zu­ gleich in ihrem Dienst zu sterben. Admète hat so gesehen keinen Grund zur Klage und sein Bedauern über den Verlust des gemeinsamen Lebens hält sich in mustergültig stoischen Grenzen. Ob der junge König den unmittelbar folgenden Auftritt Apollons, in dem der Gott das Orakel und letzte Mittel zu Admètes Rettung verkündet, noch bei Bewusstsein erlebt, lässt der Text offen. Der dritte Akt zeigt Alceste vor dem Monument, in dem das freiwillige Opfer verewigt werden soll. Ihre Klage gegen die Götter, die nur als „Cruels“ adressiert werden, verstößt in seiner Heftigkeit deutlich gegen das Decorum. Ausgerechnet Admètes Vater Phérès und die Hofdame Céphise weisen die Braut zurecht: Plus vostre Espoux mourant voit d’amour, et d’appas, Et plus le jour qu’il perd luy doit faire d’envie:     Ce sont les douceurs de la vie     Qui font les horreurs du trépas.98

Als Alceste klagt, dass niemand sich für Admet opfern will, entschuldigt sich Phérès damit: Pour prolonger son sort je mourrois sans effroy, Si je pouvois offrir des jours dignes d’envie;     Je n’ay plus qu’un reste de vie     Ce n’est rien pour Admete, et c’est beaucoup pour moy.99

Phérès’ Argumentation ist klug gewählt, doch dem aufmerksamen Zuhörer ist nicht entgangen, dass Apollo keinerlei Einschränkungen bezüglich des Stellvertreters gemacht hatte. Dass Admète nur die noch übrige Lebenszeit übertragen bekommt, ist eine Erfindung des Greises und somit eine bloße Ausrede, die ihn den ausführlich heuchlerisch vorgeführten Eltern in einer früheren Bearbeitung des Stoffes von Alexandre Hardys (1570–1632) an die

97 Ebenda, S. 43. „Als dein Gemahl zu leben,/ wäre zu schön gewesen./ Mein Los ist gleichwohl süß,/ sterb ich doch für dich.“ 98 Ebenda: „Je mehr dein sterbender Gatte deiner Liebe und deiner Schönheit gewahr ist,/ Desto schwerer wird ihm sein Todestag./ Es sind die Freuden des Leben,/ Die uns das Ster­ ben so grausam machen.“ 99 Ebenda, S. 47: Um das Leben meines Sohns zu verlängern würde ich ohne Furcht sterben. Wenn die Tage, die ich ihm bieten kann, begehrenswert wären./ Es ist nicht mehr, als ein Rest des Lebens,/ Der nichts ist für Admete, doch viel für mich.

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Seite stellt.100 Schon bei der Erstürmung von Skyros hatte Phérès seinen gro­ ßen Auftritt in Waffen zu einem Zeitpunkt lanciert, als der Kampf bereits vorbei war und dann ausführlich über die Last des Alters geklagt.101 Anders als das junge Kammermädchen Céphise, von der niemand eine derart hero­ ische Tat erwartet und die freimütig die Zumutung des Orakels aussprechen kann, Mais peut-on renoncer à vivre Quand on n’a vescu que quinze ans?102

wird der alte König damit zu einer in hohem Maße unheroischen und verach­ tenswerten Figur, zum Stereotyp des geizigen, egoistischen Alten und damit zum eigentlichen Gegenbild für Alceste. Die blühende Braut bleibt zurück und reflektiert: Le Devoir, l’Amitié, le Sang, tout l’abandonne,     Il n’a plus d’espoir qu’en l’Amour.103

Die nächste Szene zeigt bereits das Freudenfest für den genesenen Admète, doch als das Bild des stellvertretend Gestorbenen enthüllt wird, zeigt es die Statue der Alceste, wie sie sich einen Dolch in die Brust stößt. Die hinzustür­ zende Céphise berichtet, dass sie die Tat nicht verhindern konnte. Dies ist Quinaults zweite gravierende Änderung der antiken Vorlage. Admète bittet weder um Orakel noch Opfer. Indem er sich erst wieder nach seiner Ge­ nesung äußert, legt Quinault nahe, dass der König bewusstlos ist, während sich sein Schicksal entschieden hat. Zwar goutiert er als König grundsätzlich, dass sich ein Untertan für ihn opfert, doch in diametralem Gegensatz zu Euripides würde dieser Admète niemals akzeptieren, dass seine Braut dieses Opfer ist. Durch den Trick mit der Ohnmacht gelingt es Quinault, Admète diesbezüglich über jeden Zweifel erhaben zu machen. Die bedingungslose Liebe von Alceste zu Admète ist gepaart mit e­ inem Höchstmaß an Distanz. Ob sie ihren künftigen Gatten vor dem Hochzeits­ tag überhaupt zu Gesicht bekommen hatte, bleibt völlig offen. Die Ehe, die ausdrücklich nicht durch eine freie Herzensneigung zustande kam, hat somit von Anfang an den Charakter einer bedingungslosen Unterordnung. Die Sterbeszene Admètes konfrontiert zwei völlig unterschiedliche Liebes­ konzepte. Während Alceste den Verlust ihres Lebenszieles beklagt, weil sie nun nicht mehr in der Ehe mit Admet aufgehen kann, versucht Admète die 100 101 102 103

Vgl. Malatrait (2007), S. 144–145. Vgl. Schneider (2006), S. 144. Alceste (1994), S. 47 „Aber kann eine auf das Leben verzichten/ Die erst fünfzehn ist?“ Ebenda. „Pflicht, Freundschaft und Blut, alle verlassen ihn,/ Die einzige verbleibende Hoff­ nung ist die Liebe.“



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Haltung zu bewahren, die er der öffentlichen Person des Königs schuldet. Sein Abschied von Alceste ist entsprechend nicht der private eines Bräuti­ gams, sondern buchstäblich ein höf-licher Abschied, der die Trauernde mit Komplimenten wie Belle Alceste ne pleurez pas, Tout mon sang ne vaut point vos larmes.104

liebevoll doch deutlich zu Mäßigung und Haltung ermahnt. Es ist nicht zu erkennen, dass der Text die eine oder die andere Haltung ausdrücklich kritisiert, doch liegt in Alcestes übergroßer und letztlich viel­ leicht sogar unköniglicher Hingabe eine Sprengkraft, die sich zeichenhaft darin manifestiert, dass der König angesichts ihres Opfers die Besinnung verliert. Die Leerstelle wird durch die Trauerchöre der Untertanen gefüllt. Sie nutzen Admètes erneute Bewusstlosigkeit, ihm seine Waffen abzunehmen. Ein unerhörter Vorgang, denn er bedeutet, dass dem König die Autorität genommen wird. Er ist außer sich, nicht zurechnungs- und damit auch nicht mehr handlungsfähig. Alceste hat mit ihrem Opfer den im König verkörper­ ten Staat ins Wanken und an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Den Tod seiner Gattin hätte der König mit Haltung ertragen können. Nicht aber, dass sie für ihn gestorben ist. Obgleich Admète durch sein ritterliches Ver­ halten und den Umstand, dass er dieses Opfer weder bestellt noch goutiert hat, im Auge des Zuschauers moralisch gerechtfertigt ist, verursacht dieser beispiellose Vorgang noch immer seinen ultimativen Moment der Schwäche und die Demütigung seiner Ehre. Erst jetzt, im rasenden Zustand eines Liebhabers, der seine Geliebte verloren hat, kann Admète das ganze Ausmaß seiner Zuneigung zu Alceste offenbaren. Die Distanz zu ihr, die durch den Tod kaum größer sein könnte, adelt die Artikulation seiner Zärtlichkeit, die gegenüber einer lebenden Braut in hohem Maße unschicklich wäre. Nun kann Admète selbst sagen, wofür er seine von Angesicht zu Angesicht weinende Braut sanft gerügt hatte: Sans Alceste, sans ses appas, Croyez-vous que je puisse vivre?105

Da erscheint Alcide (Herkules) und bietet an, Alceste wieder aus der Un­ terwelt zu holen. Seine Argumentation entspricht vollständig der Logik der galanten Liebe:

104 Ebenda, S. 44: „Schöne Alceste, weine nicht länger/ All mein Blut ist nicht deiner Tränen wert.“ 105 Ebenda, S. 54: „Glaubt ihr, dass ich stark genug bin,/ Ohne Alceste, ohne ihre Reize weiter­ zuleben?“

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Alceste 1660–1719 Elle meurt, ton amour n’a plus rien à pretendre; Admete, cede-moy la Beauté que tu perds: Au palais de Pluton j’entreprends de decendre:106

Demnach befindet sich Admète mit seiner Liebe geradezu in einer Winwin-­Situation: Einen größeren Liebesbeweis als den Stellvertretertod gibt es nicht, die edle Liebe Alcestes hat sich somit auf schönste Weise erfüllt und wird ihm erhalten bleiben. Alcide ist sich durchaus klar darüber, dass er von Alceste lediglich den Körper erwarten kann. Indem Admète ihm „die ver­ lorene Schöne“ abtritt, verlängert er zudem seine gegenseitige galante Liebe mit Alceste, die unkontaminiert von den Niederungen einer vollzogenen Ehe ad infinitum andauern kann. Die sentenzhafte Kürze und überspitzte Logik deuten gleichwohl die Distanzierung der Oper von diesem Konzept an. Der vierte Akt spielt vollständig in der Unterwelt. Damit greifen Qui­ nault und Lully die beliebte Ombra-Szene der venezianischen Oper auf und vollziehen den radikalsten denkbaren Verstoß gegen die von der klassizisti­ schen Tragédie verlangten Einheit des Ortes. Wohl nicht zufällig deckt sich just diese Episode weitgehend mit Aurelis Version der Geschichte. Alcide trifft in einer burlesken Szene auf Charon, der gerade dabei ist, mit seiner Barke überzusetzen, zwingt ihn in seinen Dienst und bringt dabei beinahe das Boot zum Kentern. In Plutons Palast wird derweil ein Freudenfest zu Ehren von Alcestes Schatten gefeiert, dem Pluton und Proserpine die Erfüllung aller Wünsche und ewigen Frieden gewähren. In das Fest platzt Alecton und verkündet den Eindringling Alcide, der den auf ihn gehetzten Cerberus in Ketten legt, dann aber höflich den Hausherrn um Verzeihung für seinen ungebetenen Besuch bittet: D’entrer par force dans ta Cour, Pardonne à mon Courage Et fais grace à l’Amour.107

Proserpine und in der Folge auch Pluton geben Alcestes Schatten willig frei und stellen dem Paar zudem ihren Wagen zur Verfügung, der sie standesge­ mäß zurück auf die Erde bringt. Der fünfte Akt zeigt wieder die Oberwelt. Admète gibt generös selbst die Losung für die Jubelchöre aus:

106 Ebenda, S. 55: „Sie starb, mehr kann deine Liebe nicht erwarten./ Überlasse mir die Schöne, die du verloren/ Ich unternehme es, zum Palast Plutos hinabzusteigen.“ 107 Ebenda, S. 63: „Ich betrat deinen Hof mit Gewalt./ Verzeih meinem Vorwitz/ Und lass mit der Liebe Gnade walten.“



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ALCIDE est vainqueur du Trépas L’Enfer ne luy resiste pas.108

Bei sich diagnostiziert er die Trauer darüber, dass Alceste an die Seite eines anderen zurückkehrt, doch weist er sich im nächsten Moment selbst dafür zurecht, dass sich Seufzer in seine Freudenrufe gemischt haben.109 Während die Dienerfiguren Strato und Lychas in einem kurzen Intermezzo auf Cé­ phises Vorschlag eingehen, ohne Trauschein in einer fröhlichen Menage a trois zusammenzuleben, steht diese Variante den hohen Figuren der Oper naturgemäß nicht zur Wahl. Alcides erste Anrede an seine neue Braut oder Mätresse ist ein Verweis: Vous détournez vos yeux! Je vous trouve insensible? Admede a seul icy vos regards les plus doux?110

Anders als gegenüber Licomède reagiert Alceste gegenüber Alcide jedoch mit einer Geste vollständiger Unterordnung: Je fais ce qui m’est possible Pour ne regarder que vous.111

Analog zum Verhalten eines Ehemannes betont Alcide seinen Besitzan­ spruch, schließlich habe sie ihm das Leben zu verdanken. Und überdies habe Admète ihm alle Rechte abgetreten. Er vertritt jene Trennung von Leib und Herz, die für Alceste gerade nicht mehr gilt. Alceste rechtfertigt sich damit, dass mit dem Leben auch die Liebe in ihr wiedergekehrt sei. Beides, Leib und Herz seien bei ihr untrennbar verbunden. Admète rechtfertigt Alceste gegenüber sein Verhalten damit, dass allein Alcide sie dem Leben wieder­ geben konnte und lässt damit zugleich durchblicken, dass der Handel einer Erpressung gleichkam. Für Admète bedeutete die (versuchte) Trennung von Leib und Herz einen Verzicht, der ihn Alcestes Opfer nachträglich würdig macht. Beide kommen in der Sentenz zusammen: Ah que ne fait-on pas Pour sauver ce qu’on aime!112

108 Ebenda, S. 65. „Alcides ist der Überwinder des Todes/ Selbst die Hölle vermag ihm nicht zu trotzen.“ 109 Ebenda, S. 66. 110 Ebenda, S. 68. „Ihr wendet eure Augen ab! Empfindet ihr für mich so wenig?/ Sind eure süßesten Blicke alleine für Admet?“ 111 Ebenda, S. 69. „Ich tue mein Bestes/ Niemanden als euch anzusehen.“ 112 Ebenda. „Ah, was tut man nicht,/ Um zu retten was man liebt.“

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Alcide wirft ihnen daraufhin vor, nicht zu ihrem Wort zu stehen. Alceste und Admète bitten nur noch um ein Lebewohl in einem letzten Duett, in dem die Liebenden nun endlich zu jener Vereinigung in der Musik finden, die ihnen bislang verwehrt war und die ihrer Liebe unter dem Siegel der Un­ erfülltheit den höchsten Adel verleiht. Als Admète daraufhin zurücktreten will und Alceste sich zu Alcide wendet, gibt dieser Alcestes Hand an Admète zurück und verkündet, er wolle als Sieger über Tyrannen nicht selbst einer werden und nach dem Sieg über den Tod auch noch zum Sieger über die Liebe werden. Er lernt damit endlich die wohlvertraute Lektion aus L’Art de Regner – sich selbst zu beherrschen – und stellt sich in dieser Selbstüberwin­ dung buchstäblich erst in letzter Minute noch auf eine Stufe mit Alceste und Admète. Daraufhin erscheint Apollon mit einem Gefolge von Schäfern und Schäferinnen, die die Oper in einem pastoralen Tableau enden lassen. Die Herkules-Figur ist wiederholt als Allegorie auf Ludwig XIV. gedeutet worden.113 In der Tat legt der gedoppelte Titel, der der Heldentat der Al­ ceste den „Triumph des Herkules“ gleichberechtigt an die Seite stellt, diese Deutung nahe. Der Oper ist überdies ein Prolog vorgestellt, in dem die Nymphe der Seine die Abwesenheit eines Helden beklagt, der im Krieg weilt und von der Siegesgöttin getröstet wird, die seine baldige Rückkehr ankün­ digt, welcher sie vorauseile. Hier wird tatsächlich Ludwigs Rückkehr aus dem niederländisch-französischen Krieg gefeiert,114 was aber nicht automatisch bedeutet, dass der Held des Prologs mit dem Held des Titels identisch ist. Einer eindeutigen Übertragung der Herkulesfigur auf den König stehen die zahlreichen Ironiesignale der Oper so stark entgegen, dass man für diesen Fall schon fast eine Parodie vermuten müsste.115 Dass Ludwig XIV. sich bei anderen Gelegenheiten direkt der Herkules-Allegorie bediente, bedeutet noch keine automatische Zuschreibung, denn der Vergleich des Herrschers mit Herkules ist ein Stereotyp des 17. und 18. Jahrhunderts, dessen sich viele Künstler wie Herrscher bedienen und dabei auch nicht zurückschrecken, ­einen kränklichen neunjährigen Knaben zum Gegenstand zu machen, wie Picander alias Friedrich Henrici (1700–1764) und Johann Sebastian Bach (1685–1750) in ihrer Kantate BWV 213. 113 U. a. von Malatrait (2007), S. 153. 114 Vgl. Gabriele und Wilhelm Seidel: „Alceste“ und „Alkestis“. Lullys Oper und das Drama des Euripides. In: Musik und Dichtung. Neue Forschungsbeiträge. Viktor Pöschl zum 80. Ge­ burtstag gewidmet. Michael von Albrecht und Werner Schubert (Hg.). Frankfurt a. M. u.  a. 1990, S. 287. 115 Der höfische Adel war stets dazu geneigt, in Theaterhandlungen politische und personelle Implikationen auszumachen. Brooks/Norman/Zarucchi schlagen jedoch vor, statt eine ein­ deutige Spiegelung historischer Ereignisse zu unterstellen, eher ein Changieren von „Epis­ themen“ zu „Ästhemen“ anzunehmen. Vgl. Querelle d’Alceste (1994), S. XXIV.



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Herkules erscheint als einer, für den Alceste von sich aus nichts als Freundschaft empfindet. Wie Licomède verkündet er den stoischen Sieg über seine eigene Leidenschaft, um dann die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, sich die Braut des besten Freundes unter den Nagel zu reißen. Beredsamkeit ist nicht seine Stärke, und wenn er auch einem galanten Liebesideal im Sinne der Trennung von Ehe und Liebe das Wort redet, so verhält er sich doch Alceste gegenüber am Ende wie ein eifersüchtiger Ehemann vom Lande. Bedenkt man zudem, dass 1674 Ludwig XIV. gewaltsam die Ehe seiner Mai­ tresse Mme. Montespan mit ihrem gegen alle höfischen Gepflogenheiten bis zum Skandal eifersüchtigen Ehemann scheiden ließ, so erscheint Herkules’ Beharren auf den Besitz der Frau und das gegebene Wort in doppelt schee­ lem Licht. Der Halbgott tritt einerseits in seinem ganzen göttlichen Vermö­ gen auf, doch zugleich erweist er sich als menschlichste unter den Figuren und gerät in die Gefahr, damit zu einem zweiten Licomède zu werden. Die Herkulesfigur ist im 18. Jahrhundert zwar eine beliebte Herrscherallegorie – am Scheideweg für die jungen,116 als Sieger für die regierenden Herrscher – doch zugleich bleibt die antike Tradition des komischen, unsensiblen Kraft­ protzes präsent, auf die hier ganz offenkundig ebenfalls angespielt wird.117 Der Triumph des Herkules ist in dieser Oper nicht in erster Linie der Sieg über den Tod, sondern der Sieg über seine Besitzansprüche auf Alceste. Der Held dieser Oper ist also kein durchgängig leuchtendes Vorbild, sondern einer, der in ihrem Verlauf etwas lernt. Demgegenüber erscheint Admète als Muster eines vollendeten Königs. Als direkten Verweis auf den Sonnenkönig liegt daher Admète ebenso nahe wie Apollon, der anders als bei Euripides direkt in die Handlung eingreift bzw. das Geschehen lenkt. Die Signale der Oper schließen sich nicht in einem eindeutigen Liebeskon­ zept zusammen, wie die problematische Fixiertheit der Alceste zeigt, deren Selbstmord mit dem König beinahe das Reich zum Wanken bringt. Muss Ersterer doch nach dem Ritterlichkeitsideal seiner Geliebten eigentlich in den Tod zu folgen – sollen sich seine Schwüre nicht wie in Aurelis Fassung als Heuchelei entpuppen. Insofern hilft Herkules dem König doppelt aus der Patsche: Dieser kann ohne Gesichtsverlust nur am Leben bleiben, wenn auch Alceste wieder ins Leben zurückkehrt. Der Begriff „galant“, der von Anfang an auf die neue Gattung ange­ wendet wurde,118 in den 1670er Jahren aber nicht mehr allein für ein Liebes­ konzept, sondern für eine ganze Stilrichtung steht, changiert zwischen dem 116 Vgl. das Kapitel zu Die Wahl des Herkules. 117 Auch Cavallis Ercole amante in der Oper zu Ludwigs Hochzeit war kein strahlender Held. 118 Vgl. Charles Perrault: Critique de l’opera, ou examen de la tragiedie intitulée Alceste, ou le triomphe d’Alcide. Dialogue. In: Querelle d’Alceste (1994), S. 79–102.

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Höflichen, auch Höfischen, aber ebenso Humorvollen, Zarten, Liebevollen, dem Bestreben zu gefallen, aber auch sich selbst zurückzunehmen (daher fällt Herkules mit seiner durchgehenden Erotik deutlich aus dem galanten Stil heraus) und bildet das Gegenstück zum gelehrten Stil des Pedanten.119 Das französische galante Liebeskonzept ist mit dem antiken (wenigstens so weit sich dieses in der Alkestis ausspricht) kaum in Einklang zu bringen. Ge­ genüber der Ehe als Vertrag, der – zumal in hochadeligen Kreisen – ohne persönliche Neigung und Entscheidung auf der Basis dynastischer Überle­ gungen zustande kommt, beruht die galante Liebe rein auf erotischer und geistiger Anziehung und ist keinen Zwängen unterworfen. Die Rolle der Se­ xualität ist dabei ambivalent. Selbst wenn in der Realität auch die galante Liebe sich häufig erfüllte, insbesondere in Gestalt des institutionalisierten Mätressenwesens am französischen Hof, so bleibt diese Erfüllung doch in der Literatur in der Regel ausgespart, wodurch die Liebe eine auf Distanz bleibt und ihr das Moment der Vergeblichkeit anhaftet. Die Zärtlichkeit unter Eheleuten hingegen wäre nicht nur unspannend, sondern auch latent unanständig, weil sich dem Betrachter stets deren problemlose nächtliche Erfüllung aufdrängt.120 Quinault vermeidet dieses Problem, indem er Alceste und Admète eingangs an ihrem Hochzeitstag zeigt. Durch Admètes Verwun­ dung und Alcestes Stellvertretertod wird das Paar am Vollzug der Ehe ge­ hindert und trifft sich erst wieder, als Alceste scheinbar unabwendbar ­einem Anderen gehört. Die Liebe des Paares ist durch die Handlung bereits als die größtmögliche erwiesen, mit dem Moment ihrer Unerfüllbarkeit und der bevorstehenden Trennung wird sie zudem zur tragischsten. Das Stück endet mit der Wiedervereinigung des Paares, doch die Ehe selbst bleibt ausgespart. Doch wie steht dem Alcestes Verbindung aus Ehe und Liebe gegen­ über? Die große Herausforderung für Quinault war, dass das Thema von Euripides’ Drama die Apotheose der ehelichen Liebe ist und er dazu zumin­ dest Stellung beziehen musste. Ohne ein nachahmbares Konzept vorzustel­ len, versöhnt die Darstellung beide Konzepte bzw. schafft einen Ausgleich. Einzig Admète erscheint dabei in durchweg tadellosem Licht als Herrscher und im Verlauf der Oper auch als Liebender. Zweifellos haben die Autoren der Oper für diese Figur den größten dramaturgischen Aufwand betrieben und daher bietet sich an, in ihm eine sehr allgemeine Verherrlichung des aufgeklärten Absolutismus zu sehen, dessen König in jeder Lebenslage zum 119 Vgl. Malatrait, (2007), S. 151. 120 Noch kurz vor 1900 amüsierte Oscar Wilde die englische Gesellschaft mit dem Aperçu, wie unanständig es von einer jungen Lady sei, ständig mit ihrem eigenen Ehemann zu flirten. Al­ gernon beschwert sich im ersten Akt von The Importance of being Earnest „Mary Farquhar, who always flirts with her own husband across the dinner-table. […] The amount of women in London ho flirt with their own husbands is perfectly scandalous.“ In: Complete Works of Oscar Wilde. London und Glasgow 1987, S. 327.



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Vorbild dienen kann. William Brooks, Norman und Jeanne Morgan Zarucchi verweisen darauf, dass Herkules demgegenüber eher für eine Zeit steht, in der der herausragende Held noch ungestraft die Hand der Königin fordern konnte, und machen die Oper damit auch als ein Lehrstück für den Adel lesbar, dass man das heute eben nicht mehr tut (ohne sich lächerlich zu ma­ chen) und dass man mit dem König nicht mehr konkurriert, sei man auch gleichwohl in der Lage, die Toten wiederzubringen.121 Selbst die „Symme­ trien in den Arien der Nymphe („Les héros que j’attends“, Prolog) und Alcestes („O trop heureux Admète“, III/3)“122 deuten eher darauf, dass der Held des Prologs (Ludwig) im König der Handlung seinen Spiegel findet. Der Prolog präfiguriert nicht nur die Handlung der Oper – die Wiedervereinigung von Ruhm, Liebe und Freuden – er ist auch symmetrisch mit dem Schlussfest der Schäfer um Apollon verklammert, womit sich der Held des Prologs und Apollon als Allegorien auf Ludwig XIV. zusammenschließen. Quinaults Text nimmt die in Euripides’ Stück bis auf Alkestis praktisch alle Figuren durchziehende Komik auf und setzt sie in Tragik und Komik gezielt kontrastierende Figuren und gedoppelte Handlungsstränge um. Mit dieser Strategie griffen die Autoren eine italienische Verfahrensweise auf, die Alceste mit einer breiten musikalischen Varianz ausstattet. Damit steht die erste regelrechte Tragédie lyrique singulär, denn aus den späteren Opern sollte die Komik weitgehend verschwinden. Die Dopplung respektive der Kommentar der heroischen Handlung durch komische Dienerfiguren ist eine erprobte Verfahrensweise der venezianischen Oper, doch fungieren darin die komischen Figuren häufig als ein entlarvender oder subversiver Kommentar auf das Verhalten der hohen Figuren. Verglichen mit den travestierenden anarchischen Ammen ist Céphise aber eher harmlos und in ihrer lebens­ praktischen Unbeständigkeit aber auch Selbstständigkeit das Gegenbild zu Alceste und komplettiert das in Herkules und Phérès angelegte Pantheon des Menschlichen und Allzumenschlichen. Die Stimmlagenverteilung der französischern Oper unterscheidet sich in einem Punkt grundlegend von der venezianischen bzw. der zeitgleichen italienischen Oper, da die französische Oper keine Kastraten123 und entspre­ 121 Vgl. Querelle d’Alceste (1994), Einleitung, S. XXIII. 122 Schneider. In: Piper (1998), Bd. 3, S. 597. 123 Die Franzosen sind dem Charme des Kastratengesangs auf der Bühne nie erlegen. Erst un­ ter Napoleon Bonaparte (1769–1821) feierte einer der letzten großen Kastraten, Girolamo Crescentini (1762–1846) in Paris Triumphe. Allerdings sangen in den königlichen Kapellen des 17. und 18. Jahrhunderts durchgängig Kastraten und genossen sogar besondere Privi­ legien. Wenigstens einen genuinen französischen Kastraten gab es zur Zeit Ludwigs XIV., den aus der italienischen Schweiz stammenden Antonio Bagniera (1638–1740), der sogar in zahlreichen Opernaufführungen in Versailles und Paris auftrat, unter anderen in der 1677er Aufführung der Alceste. Vgl. Lionel Sawkins: For or against the order of Nature. Who sang the

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chend keine hohen Männerstimmen kannte. Ihr Äquivalent zum Helden­ sopran und -alt ist der haute-contre, der lyrische hohe Tenor zu dem auch Admète gehört.124 Der haute-contre vertritt allerdings die Position der hohen Männerstimme. Wenngleich die Stimmlagenhierarchie in der französischen Oper nie so klar definiert wurde wie in der italienischen, ist dies die Lage für den Helden und Liebhaber und damit diametral der italienischen Oper entgegengesetzt, deren Tenor spätestens seit 1660 in aller Regel die Lage des Tyrannen ist. Die übrigen Stimmlagen differieren weniger in ihrer Bedeutung, so ist auch hier Alceste ein Sopran und Herkules ein Bass.

3.2.1  Querelle d’Alceste – der Stein des Anstoßes Die französische Literaturdebatte des 17. und 18. Jahrhunderts lässt sich als eine Serie von Querelles beschreiben, von denen die 1687 durch Perraults anlässlich der Genesung Ludwigs XIV. von einer Operation vorgetragenes Gedicht Le Siècle de Luis le Grand ausgelöste nur den Gipfelpunkt markiert.125 Ausgangspunkt dieser Querelle war die humanistische Ausrichtung der Li­ teraturästhetik, die antiken Autoren als Zeugnisse einer vollendeten Epoche zu betrachten. Aufgabe der Zeitgenossen sei es demnach, sich die antiken Autoren zum Vorbild zu nehmen, wohl wissend, dass sie kaum jemals wieder erreicht werden können.126 Einen Erklärungsversuch dafür bietet die Klima­ theorie, nach der die idealen Bedingungen der Antike für die Hochblüte der antiken Kunst verantwortlich waren und in der Gegenwart nicht mehr zu finden seien. Die Anklänge an die Idee vom pastoralen goldenen Zeitalter soprano? In: Early Music 15 (1987), S. 321. Eine besonders amüsante Episode zum Thema Franzosen und Kastratengesang liefert der Opernverächter und Verfechter des französischen Gesangs Saint Évremond. In London versuchte er (erfolglos) den Knabensopran Dery in einem redegewandten Schreiben davon zu überzeugen, sich doch kastrieren zu lassen, um seine Stimme zu erhalten, ferner den Umgang mit Adel und König weiterhin zu genießen und Zugang zu so vielen Geliebten als ihm beliebe, ohne jemals Ärger mit Ehefrau und Kindern zu haben. Vgl. Quentin M. Hope: Saint Evremond and his Friends. Genf 1999, S. 429. 124 Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, ob die Höhe unter Verwendung des Falsettregisters erreicht wurde. Bei den herausragendsten haute-contres wie Pierre Jélyotte (1713–1797) soll dies aber nicht der Fall gewesen sein (oder, was wahrscheinlicher ist, es war als Falsettregister nicht wahrnehmbar). Der Regelfall wird aber ein zwangloser Übergang ins Falsett mit gut verbundenen Registern gewesen sein. Noch die Tenorpartie des Arnold in Gioachino Ros­ sinis (1792–1886) (der jene Tenöre scharf kritisierte, die die Höhe mit voller Stimme, also ohne Falsett zu erreichen versuchten) letzter Oper Guillaume Tell (1829) ist eine klassische Haute-contre-Partie. 125 Vgl. H. R Jauss in: Charles Perrault: Parrallèle des anciens et des modernes en ce qui regarde les Arts et les Sciences. Mit einer Abhandlung von H. R. Jauss und kunstgeschichtlichen Exkursen von Max Imdahl. München 1964, S. 8. 126 Vgl. ebenda, S. 14. und S. 23–26.



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der Menschheit, bei dem die Vollendung am Anfang der Geschichte steht, sind unverkennbar. Demgegenüber sah die Partei der modernes im Zeitalter Ludwigs XIV. eine Vollendung erreicht, die das Ende der geschichtlichen Entwicklung markiere und über die hinaus keine Blüte, sondern nur noch der Verfall vor­ stellbar sei: „Auch das Denken der fortschrittsgläubigen Modernes bewegt sich noch im klassischen Zirkel der Vollkommenheit, nur daß der ‚Punkt der Vollendung‘ jetzt aus einer unwiederbringlichen Vergangenheit in eine zu er­ strebende Zukunft verlegt ist.“127 Beide Parteien stellten die Entwicklung der Weltgeschichte als eine Zwei-Gipfel-Theorie dar, eine periodische Entwick­ lung von Aufstieg und Abstieg mit dunklen Zwischenzeiten.128 Das zyklische Geschichtsbild blieb somit auch bei Perrault und den Modernes prinzipiell noch erhalten,129 wenngleich in Perraults Vergleich zwischen den Sitten der Antike und der Moderne bereits Ansätze für das historische Denken der Aufklärung auszumachen sind. Saint Évremond nimmt diese Position in seiner bereits 1672 entstande­ nen Schrift De la tragédie ancienne et moderne vorweg mit der Feststellung, dass die Schriften der Antike zwar im höchsten Maße verehrungswürdig blieben, aber keinen direkten Vorbildcharakter für die Gegenwart haben könnten, da sich die Sitten gewandelt hätten.130 Der musikalisch ausgesprochen gebildete Saint Évremond, von dem auch eine Reihe von Kompositionen überliefert ist, und der zu den frühen Verfechtern des französischen Gesangs gehörte, war zwar einer der scharfzüngigsten Kritiker der Oper, und seine Abhand­ lung Sur les operas und die Komödie Les operas (beide 1676) sollen eine direkte Reaktion auf Alceste sein, gleichwohl verehrte er Lully, seit dessen Stern am Versailler Hof aufgestiegen war als die Reinkarnation des Orpheus.131 Die Opernimporte unter Mazarin hatte er noch direkt verfolgen (und aus der eigenen Anschauung heraus verurteilen) können, Lullys Opern konnte er jedoch erst spät in einzelnen Szenen sehen, die in seinem Londoner Exil aufgeführt wurden. Obgleich Saint Évremond die gesungene Sprache in den Opern zum zentralen Kritikpunkt machte, empfahl er kleine gesungene

127 128 129 130

Vgl. ebenda, S. 32. Vgl. ebenda, S. 14 und S. 27. Vgl. ebenda, S. 14 und S. 28. „est fort peu du goût de nôtre siècle“. Zit. nach Carsten Zelle: Alte und neue Tragödie – My­ thos, Maschine, Macht und Menschenherz. Beiträge zur Querelle des Anciens et des Moder­ nes von Saint Évremond, Lenz, Molitor, Robert und Kürnberger. In: Germanisch-Romani­ sche Monatsschrift. N.F. 41 (1991), S. 296, Fn 9. 131 Allerdings mit einem Seitenhieb auf Lullys Vorliebe zum eigenen Geschlecht; dieser Orpheus hätte Euridice im Hades links liegen gelassen und stattdessen „un jeune Criminel“ mitge­ bracht. Zit. nach: Hope (1999), S. 431.

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Intermezzi als Alternative132 und verfasste ab 1676 selbst eine Reihe von Exempelszenen.133 Saint Évremonds scharfe Verurteilung der Oper in den späten 1670er Jahren bezog sich vor allem auf die (vermeintlichen) Unge­ reimtheiten der Gattung und die Furcht davor, diese könnte den Geschmack des Publikums an der Tragödie verderben.134 Von seinem Londoner Exil aus nahm er jedoch zu beiden Parteien der Querelle eine distanzierte Position ein: Gegenüber den Parteigängern der antiken Musterkulturen verneint er deren nor­ mative Geltung. Gegenüber den Adepten eines kulturellen Vorrangs der modernen, höfischen Zivilisation steht der ehemalige Frondeur auf Distanz, denn die neue Kunst ist weder vollkommener noch weiter fortgeschritten als zu früheren Zeiten, sondern sie ist schlicht nur anders.135

Mit dieser Position gehörte Saint Évremond bereits am Beginn der eigent­ lichen Querelle zu ihren progressivsten Denkern, und erst aus dieser Verbin­ dung von Opernkritik und historistischer Querelle-Position wird verständlich, warum sich Wieland Mitte der 1770er Jahre mit Saint Évremonds Positionen bezüglich der Oper abermals auseinandersetzte. Weit weniger bekannt als die Querelle-Schriften nach 1687 ist, dass bereits mehr als zehn Jahre zuvor Quinaults und Lullys erste große Tragédie lyrique einen wahren Sturm der Kritik entfacht hatte, der bereits Protagonisten und zentrale Argumente der Querelle von 1687 in Stellung brache. Da Lully und Quinault sich bereits im Vorfeld eine veritable Liste an Feinden gemacht hatten, spielten bei der Querelle d’Alceste neben ästhetischen Differenzen auch persönliche Animositäten und Verletztheiten eine bedeu­ tende Rolle.136 Zentrale Kontrahenten sind in dieser Hinsicht Charles und Claude Perrault (1613–1688) auf der einen und Boileau-Despé­raux auf der anderen Seite. Während Boileau den ehemaligen Arzt Claude Perrault für ­einen Behandlungsfehler verantwortlich machte,137 unter dem er schwer ge­ litten habe und er überdies schon seit den 1660er Jahren auf der Seite Molie­ res gestanden und gegen Quinault polemisiert hatte,138 gehörte Charles Per­ rault nicht nur zu den Freunden und wichtigsten Förderern Quinaults (und 132 Einen Vorschlag, den Gottsched ebenfalls übernehmen sollte. 133 Vgl. Hope (1999), S. 427–428. 134 Vgl. Fubini, Enrico: Geschichte der Musikästhetik. Von der Antike bis zur Gegenwart. Stutt­ gart 2008, S. 134. 135 Zelle (1991), S. 285. 136 Vgl. Buford Norman: Touched by the Graces. The libretti of Philippe Quinault in the Con­ text of French Classicism. Birmingham, Alabama 2001, S. 93–94. 137 Was 1674 in zwei Pamphleten gipfelte, in welchen Perrault als „berühmter Mörder“ tituliert wurde. Vgl. Querelle d’Alceste (1994), Einleitung, S. XXXI. 138 Vgl. seine Satire A M de Moliere. Auszüge in: Querelle d’Alceste, Einleitung, S. XXXIII.



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als es um die Tragédie lyrique ging, auch Lullys), sondern hatte naturgemäß auch Partei für seinen Bruder ergriffen.139 Bei Boileau, der hier als Stellvertreter für die Positionen der anciens ste­ hen darf, begegnet man einer generellen Skepis gegenüber der Leistungs­ fähigkeit des Genres: Dass man nie eine gute Oper machen kann, weil die Musik nicht erzählen könnte; dass die Leidenschaften nicht in dem Umfang ausgemalt werden können, den sie verlangen; dass es ihr oft nicht gelingt, die wirklich erhabenen und mutigen Ausdrü­ cke in den Gesang zu bringen.140

Die Aufnahme der Alceste bei Hofe war ein großer Erfolg, obgleich die Unter­ schiede zu dem ehedem vom König heftig befehdeten frühen venezianischen Typus von Cavalli, retrospektiv betrachtet, gar nicht so groß sind. Worin lag also das Skandalon der Alceste, bedenkt man, dass sowohl Cadmus et Hermione wie auch die früheren französischen Pastoralopern sich antiker Stoffe bedient und an die (antike) Idee gesungenen Theaters angelehnt hatten? Quinault und Lully waren aus Sicht der anciens schon mit dem ersten Schritt zu weit gegangen, indem sie sich eine antike Tragödie141 von Euripides zur Vorlage wählten. Doch das eigentliche Skandalon lag offenkundig ­darin, diese überdies beinahe bis zur Unkenntlichkeit zu bearbeiten und damit un­ verkennbar den Anspruch zu formulieren, das antike Drama zu verbessern indem es in eine zeitgemäße Form und zeitgemäße Geschichte überführt wurde. Gezielte Provokation oder nicht, Quinault trieb die Position der mo­ dernes von der Überbietung der antiken durch die moderne Dichtung bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf die Spitze, indem er das antike Drama nicht nur als durch die moderne Dichtung erreich- und überbietbar proklamiert, sondern überdies impliziert, der antike Text müsse geradezu erst überarbeitet werden, um zeitgenössisch aufführbar zu werden, ohne Anstoß zu erregen; ein Argument, das Wieland exakt einhundert Jahre später aufgreifen sollte, mit durchaus vergleichbaren Folgen. Charles Perrault veröffentlichte 1674 eine umfängliche Critic d’Alceste, in der er diese Implikationen ausformulierte und damit den Stein der Querelle ins Rollen brachte. Sie trägt den bezeichnenden Titel Critique de L’Opera ou Examen de la Tragédie intitulée Alceste, ou le Triomphe d’Alcide. Oper und Tragödie werden darin von vorneherein als parallele und somit ebenbürtige Gattun­ gen definiert. Der Text erscheint in Dialogform, wobei die Figur Aristippe, 139 Indem er eine Fabel mit dem Titel Le corbeau guéri par la Cigogne (Der Rabe, der vom Storch geheilt wurde) verfasste. 140 Querelle d’Alceste (1994), Einleitung, S. XXXIV. 141 Perrault spricht in der Critique hingegen sogar von einem „Lustspiel“. In: Querelle d’Alceste (1994), S. 81.

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programmatisch mit einem antiken Namen ausgestattet, die Position der an­ ciens vertritt, Cleon die der modernes. Cleon weist eingangs auf die Kabale im Umfeld der Oper hin, benennt sie als einen der Gründe für die Ablehnung, die dem Stück von vielen Seiten widerfuhr, beginnt seine Analyse dann aber mit einer ausführlichen Inhaltsangabe von Euripides’ Drama. Dabei stellt er vor allem drei Aspekte negativ heraus: 1. Alceste verabschiedet sich von den Kindern ohne eine Träne und bricht dann über dem Ehebett weinend zusammen. Ich kann mir gut vorstellen, dass man in Griechenland seine Freude daran haben konnte, eine bereits gealterte Prinzessin zu sehen, die schon Kinder im heiratsfähi­ gen Alter hat und in ihrem Bett wegen den Erinnerungen an ihre verlorene Jung­ fräulichkeit weint. Die Sitten jener Zeit erlaubten es. Doch ich bin mir sicher, dass das in keiner Weise nach dem Geschmack unseres Jahrhunderts ist. Man ist daran gewöhnt, auf der Bühne nur junge galante Liebende zu sehen, die nicht verheiratet sind. Man hätte wohl die Zärtlichkeiten der überalterten Ehegattin verachtet.142

2. Admet, der das Opfer seiner Frau erbeten und angenommen hat Er hat die Feigheit, es zu billigen, dass seine Frau für ihn stirbt, und Verachtung für die Frau, die einfach genug ist, ihr Leben für einen Mann herzugeben, der es so wenig verdient. […] Das Unredliche der Figur Admets macht sie so verachtens- und hassenswert, dass man sich nicht freut, dass er dem Tod entkommen kann; dass man seiner Frau nicht dankbar dafür sein kann, ihr Leben so schlecht benützt zu haben und dass man sich im Folgenden nicht freuen kann, als Herkules sie aus dem Orkus zurück bringt.143

3. Herkules, der wie zufällig vorbeikommt Die erste Sache, die er hinzugefügt hat, ist die Liebe von Herkules zu Alceste. Diese Liebe scheint mir gut ausgedacht zu sein, denn sie verbindet noch mehr die Figur Herkules mit dem Thema der Tragödie. Denn, soweit die Fabel nicht bekannt ist, kann man darüber überrascht sein, dass Herkules Alceste aus dem Orkus befreien kommt und nicht der heuchelnde Geliebte von Alceste seit Anfang des Stücks dort­ hin geht. Es ist natürlicher zu sehen, dass Herkules diese Expedition unternimmt, sowohl aus dem Grund der Liebe, als auch um sein Schicksal zu erfüllen, das ihn für das Gemeinwohl der menschlichen Rasse erschaffen hat. Zusätzlich dient diese Liebe wunderbar dazu, die Ehre von Herkules zu erhöhen. Denn man sieht ihn nicht nur als Sieger über den Tod wie bei Euripides, sondern auch im Folgenden als Sieger über seine Liebe und über sich selbst.144

142 Ebenda, S. 88–89. 143 Ebenda, S. 90–91. 144 Ebenda, S. 92.

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Dem stellt Perrault eine ausführliche Inhaltsangabe der Oper gegenüber, die herausstreicht, wie Quinaults Handlungsführung die Probleme der Euripi­ des’schen vermeidet. An Stelle eines eingespielten Ehepaares sehen wir ein frisch vermähl­ tes bzw. ein Paar am Hochzeitstag, das somit noch als galantes, verliebtes Paar durchgehen kann. Die Zweiteilung der Handlung beschert Admet einen ritterlichen Grund für seinen Tod und Alceste eine nachvollziehbare Moti­ vation, für einen derart liebenswürdigen Gatten zu sterben. Schließlich ver­ schafft Herkules’ Leidenschaft dem Stück eine dramatische Geschlossenheit, die „den Vorfall der Fabel in gewisser Weise verdoppelt […] und anstatt wie Euripides nur die Liebe von Admet und Alceste zu behandeln, verarbeitet unser Autor auch die Liebe von Herkules und der Ehre, seiner wahren Ge­ liebten“.145 Cleon (Perrault) sieht Herkules also in seiner Moral straucheln, um am Ende wieder zu sich zu finden. Auch wenn Cleon hauptsächlich die textliche Grundlage der Oper ana­ lysiert, berücksichtigt er doch die Funktionsweise der Musik, wenn er den direkten Auftritt Apollons damit verteidigt, dass der Tempel mit dem Bild des Opfers eine lange Erzählung über das Opfer der Alceste ersetze, „die in Musik gefasst nur langweilig hätte sein können“.146 Cleon sieht in der Szene eine Transformation der von Aristoteles gerühmten Szene der Sophoklei­ schen Antigone, in der Haimon voller Hoffnung und mit guten Nachrichten zum Gefängnis der Antigone läuft, sie tot vorfindet und durch den Kontrast von Freude und Schmerz im Zuschauer die stärkste Bewegung auslöst: „all die Wirkung erzeugt, die das Theater bereitstellen kann: das Entsetzen und Mitgefühl zur gleichen Zeit zu wecken.“147 Er streicht triumphierend heraus: „Ich weiß nicht, ob ich irre. Doch es scheint, dass diese Bewegungen, die Aristoteles sich vor allem in der Tragödie wünscht, weniger stark und weni­ ger gewaltig bei Haimon sein müssen als bei Admet.“148 Aristippe antwortet darauf hin halb irritiert, halb belustigt: […] ich befürchte, dass Sie nichts beweisen können, indem Sie zu viel beweisen wol­ len. Denn wenn man Ihnen glaubt, hat unser Autor besser gehandelt als Euripides. Und man würde der Antike heutzutage nicht nur gleichkommen, sondern sie auch übertreffen, was meiner Meinung nach das seltsamste Paradoxon ist, das es jemals geben konnte.149

145 Ebenda, S. 96. 146 Ebenda, S. 95. 147 Ebenda. 148 Ebenda. 149 Ebenda, S. 97.

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Doch genau auf dieses Paradoxon zielt die Abhandlung. Cleon formuliert in seiner Antwort keine schlichte Abwertung Euripides’, sondern eine im Kern historische Einordnung, die damit bereits den Schlüssel für die Auflösung der Querelle im historischen Denken des 18. Jahrhunderts enthält und kaum zufällig zum zentralen Anknüpfungspunkt für Wielands Argumentation in den Briefen an einen Freund über das teutsche Singspiel ‚Alceste‘ werden sollte: CLEON. Sie konnten feststellen, dass wenn ich unseren Autor dafür gelobt habe, dass er Euripides an einigen Stellen nicht imitiert hat, es nicht war, weil ich diese Stellen absolut schlecht fand, sondern weil sie nicht den Sitten unserer Zeit entspre­ chen. So gut und so göttlich die Gefühle von Euripides im Verhältnis zu seiner Zeit auch sein mögen, haben die Kritiker dennoch wenig Recht dazu gehabt, unseren Autor dafür zu tadeln, dass er sie nicht in sein Stück mit eingebaut hat. Denn es reicht nicht, dass die Dinge in sich selbst gut sind. Sie müssen auch zu den Orten, zu der Zeit und zu den Personen passen. Folglich können Sie mir keine Vorwürfe machen, ich hätte Euripides schlecht behandelt. Es ist nicht so, um Ihnen die Wahr­ heit zu sagen, dass ich unglaublich von der Göttlichkeit der Antike überzeugt wäre, noch dass ich blind alles hoch lobe, was sie gesagt haben. Sie waren sicher große Genies, die zu ihrer Zeit sehr gut waren, zu der sie auch noch bewundert worden wären, wenn sie weniger gemacht hätten. Doch zu wollen, bloß weil sie die Besten ihres Zeitalters waren, dass sie es für immer zu allen folgenden Zeitaltern wären, damit wäre ich nicht einverstanden.150

Während Cleon den antiken Autoren einräumt, dass sie „mehr Geist als die dieser Zeit hatten, um Dinge der Natur, der Gefühle des menschlichen Her­ zens und um alles, was den Ausdruck angeht zu beschreiben“,151 nimmt er doch für die Modernen einen Zuwachs an Wissen und Fertigkeit, sozusagen an Wissenschaft in Rechnung, die nur im Verlauf der Zeit aufgehäuft wer­ den konnte. Entsprechend fordert er, bei der Bewertung unterschiedliche Kriterien in Rechnung zu stellen, was zugleich impliziert, dass eine direkte Vergleichbarkeit nicht mehr gegeben ist. Dieser Linie folgend, fordert er an Stelle eines normativen Dichtungsbegriffes die Gliederung der Bewer­ tungskriterien nach Gattungen. Denn „daher kommt es, dass die größten Fehler einer Komödie die größten Schönheiten eines Maschinenstückes sind“.152 So ist für die Komödie nur das Wahrscheinliche, für die Tragödie hinge­ gen in Maßen auch das Wunderbare zulässig.153 Während die Tragödie also die Waage zwischen dem Wahrscheinlichen und dem Wunderbaren halten muss,

150 Ebenda, S. 98. 151 Ebenda. 152 Ebenda, S. 99–100. 153 Ebenda, S. 99.



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entstammt die Oper dem Maschinenstück und setzt damit eine Gattung fort „die nur außergewöhnliche und übernatürliche Ereignisse erlaubte.“154 Racine155 verteidigt im Vorwort zu Iphigenie ausführlich Euripides ge­ gen Perraults Polemik, und besteht darauf, dass der Erfolg seiner [Racines] Dramen beweise, „dass der Geschmack von Paris gemäß dem Athens ist. Meine Zuschauer waren von den gleichen Dingen bewegt, die auch früher das gelehrte Volk Griechenlands zu Tränen rührte“156. Er begründet aus­ führlich, warum er in manchen Aspekten von Euripides’ Handlungsführung abgewichen ist und belegt diese wiederum mit antiken Quellen, greift dann aber als Begründung für den Verzicht auf die dea ex machina am Schluss auf eines der zentralen Argumente Perraults zurück: „Unvorstellbar auch, meine Tragödie durch die Hilfe einer Göttin und einer Maschine zu lösen und durch eine Metamorphose, die zu Zeiten des Euripides einigen Glauben finden konnte, die aber bei uns zu absurd und unglaublich wäre.“157 Dass Racine so stark auf Alceste reagierte, obgleich er zuvor zu Cadmus et Hermione geschwiegen hatte, lag am mit Alceste formulierten Anspruch dieser Oper, auch eine Tragédie zu sein.158 In gewisser Hinsicht hatte die Oper bei der Frage, wer der legitime Nachfolger der antiken Tragödie ist, sogar sozusagen die besseren Karten: Schließlich galt das antike Theater als eine Verbindung von Sprache, Musik, Chören und Tanz und war ursprünglich genau mit die­ sem Anspruch aufgetreten. Die Querelle d’Alceste bezog sich weitgehend auf Quinaults Text. Sie ist eine literarische Debatte, bei der es auch um die Frage ging, wer das Urteil über ­einen Text fällen soll und darf. Auf der Seite der anciens wird dieser An­ spruch vornehmlich den Gelehrten vorbehalten, worüber sich Perrault mo­ kiert und in einer frechen Geste auf das Urteil eines galant homme zählt sowie „ein fast unfehlbares Urteil […], das jeder von uns, wenn man auch nur etwas vernünftig ist, in sich trägt“ bei der Beurteilung eines gelunge­ nen Bühnenstückes ins Feld führt. Dabei legt Perrault mit seinem Alter Ego Cleon Wert auf die Feststellung, dass er selbst eine den anciens vergleich­ bare Kenntnis der antiken Schriften habe und sehr wohl in der Lage sei, die griechischen Dichter im Original zu lesen. Wenn Racine in seinem Vorwort

154 Ebenda. 155 Der möglicherweise selbst vorhatte, eine Alceste zu schreiben, als ihm Quinault zuvorkam. Vgl. Norman (2001), S. 96. 156 Vorrede zur Iphigenie. In: Querelle d’Alceste (1994), S. 107. 157 Ebenda, S. 106. 158 Vgl. Norman (2001), S.  102. Racine vertritt eine eher moderate Anciens-Position, indem er etwa die Verwendung von Maschinen (das Wunderbare) in der Tragödie ablehnt und die Überlegenheit der Autoren des 17. Jahrhunderts durchaus geneigt ist anzuerkennen.

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zu Iphigenie Euripides gegen Perraults Kritik vornehmlich damit verteidigt, der (man verstehe: halbgebildete) Verfasser habe eine fehlerhafte lateinische Ausgabe konsultiert, in der Alcestes Verse, in denen sie sich selbst zur Eile (beim Sterben) auffordert fälschlich Admet in den Mund gelegt waren, so kontert Perrault in seinem als Erwiderung auf das Vorwort abgefassten Brief an François Charpentier (1620–1702) (den Vorsitzenden der Academie française) in dem er die wesentlichen Argumente der Critique nochmals zusammenfasst, diese Zuschreibung sei in seiner griechischen Ausgabe abge­ druckt und, ja er besitze noch weitere lateinische, in denen es so stünde wie Racine schreibt (man lese: weil er eben nur die lateinische konsultiert habe). Dass es sich bei der Tragédie lyrique um eine Tragédie en musique han­ delt, bildet auch deshalb das unterschwellige Skandalon, weil diese Gattung gerade nicht mehr mit der Renaissance der antiken Tragödie assoziiert, son­ dern als genuin moderne Gattung verstanden wird. Auch wenn Apollons Auf­ tritt zum Schluss, umgeben von Schäfern und Schäferinnen, die Pastorale wieder als umschließende Gattung zitiert.

3.2.2  Text oder Musik? Was ist die Leitgattung? Aus diesem Grunde glaubt mancher, ein Parteigänger Lullis [sic!] zu sein, der nur die Dichtungen Quinaults liebt.159

Dass sich sogar Racine mit großer Schärfe in die Querelle d’Alceste einschaltete, wird nur verständlich, wenn man berücksichtigt, dass Quinault und Lully ein neues Genre geschaffen hatten, von dem Jen de La Fontaine bald sagen konnte, „dass der Franzose […] nur für die Oper eine Leidenschaft hat, die auch anhält.“160 Auch Racine hatte sich 1670 mit Britannicus in einer Zusam­ menarbeit mit Lully erprobt, doch es war Quinault, dem dieser Wurf gelang und der in den folgenden Jahren beinahe der alleinige Librettolieferant Lullys bleiben sollte. Noch Voltaire (1694–1778) betrachtete Quinault als „unse­ ren zweiten großen Dichter“161, und Gluck sollte sich mit der Vertonung des beinahe unveränderten Librettos der Armide 1777 das Adelsdiplom als französischer Komponist erwerben.162 In der Verbindung mit Lullys Musik verzeichneten Quinaults Libretti nicht nur eine höhere Aufführungsdichte als 159 Michel-Paul Guy de Charbon: De la musique. Zit. nach: Musik zur Sprache gebracht. Mu­ sikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und kommentiert von Carl Dahl­ haus und Michael Zimmermann. Kassel 1984, S. 117. 160 Zit. nach: Querelle d’Alceste (1994), Einleitung, S. XVI. 161 Zit. nach: Norman (2001), S. IX. 162 Vgl. dazu: Schmidt (2001).



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die Tragödien Racines,163 sie wurden überdies während des gesamten ancien régime als Lesetexte unter der Bezeichnung Tragédie publiziert und gelesen. Dabei integrieren die direkten Librettodrucke sogar Aspekte der Auffüh­ rung, indem sie die jeweilige Ausstattung und neben den allgemeinen Sze­ nenanweisungen deren spezifische szenische Realisationen aufführen. Ent­ sprechend sind die Regieanweisungen in den Libretti nach Aufführungen in Versailles, wo die Szenerie vor allem mit Kostümen, Tanz und Kulissen auskommen musste und nur wenige Theatermaschinen zur Verfügung stan­ den, weniger detailliert als in Paris, wo ab 1674 die Theatermaschinen einen wichtigen Aspekt der Aufführungen bildeten, wie Christian Quaeitzsch aus­ führlich dargestellt hat.164 Unbeschadet dessen, dass sie die Position der modernes mustergültig zu realisieren scheint, reiht sich die Tragédie lyrique zugleich in das System der klassizistischen Tragödie ein. „The Quinault-Lully operas share the Aris­ totelian goals of Racinian tragedy (imitation of the passions and catharsis ­through rather formal and stylized means) and many of its principles (order, restraint, verisimilitude, necessity, propriety, and the dominance of the writ­ ten word)“.165 Bis auf drei Opern zwischen 1684 und 1686, die die romani­ schen Vorlagen des Orlando furioso von Ariost und Tassos La Gerusalemme liberata (Armida) verwenden, greift Quinault durchgängig antike Stoffe auf. Ferner sind seine Libretti in fünf Akte eingeteilt wie die Tragédie, entgegen der dreiaktigen Teilung der italienischen Oper. Die hochstehenden Figuren bei Lully äußern sich vornehmlich im Rezitativ und zeigen auch darin ihre Nähe zur Tragédie166 (wie zur frühen italienischen Oper). Innerhalb dieses Rahmens setzt sich Quinault jedoch über die Begrenzungen der klassizis­ tischen Tragödie hinweg. Während Racines Stücke die Einheit des Ortes wahren, außerhalb liegende Ereignisse über Berichte integrieren und weder Wunderbares noch Gewalt auf der Bühne zeigen, forcieren Quinaults Li­ bretti spektakuläre Auftritte der Götter in Maschinen, häufige Ortswechsel und breite Tableauszenen. Das Wunderbare sollte neben den Tänzen künftig das zentrale Moment der Tragédie lyrique werden, mit dem sie sich (ab ca. 1700) von der italienischen Opera seria abgrenzte. Auch die formale Textform unterscheidet sich deutlich von der klassi­ zistischen Tragödie. Nur 252 der 1035 Verse der Alceste sind Alexandriner. Unter den zwischen drei und 12 Silben wechselnden Versen beherrscht der Achtsilber mit 401 Versen bei weitem das Feld, gefolgt von den kürzeren 163 Norman (2001), S. 1. 164 Ders.: „Une société de plaisirs“. Festkultur und Bühnenbilder am Hofe Ludwigs XIV. und ihr Publikum. Berlin 2010. 165 Norman (2001), S. 4. 166 Schneider (2006), S. 141.

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Versen gerader Zahl. Die Versstruktur von Quinaults Libretto ähnelt da­ mit durchaus dem Rezitativ der italienischen Oper. Diese Struktur im Verein mit der Vielfalt szenischer Angebote unter Integration komischer Elemente bildete das Erfolgsrezept Quinaults für Lullys Vertonung, mit dem er alle Kontrahenten ausstechen musste. Denn solange die Musik so eng auf das Wort bezogen blieb wie im Generalbasszeitalter, musste das Libretto die An­ lage für die Variabilität der Musik bereits vorzeichnen. Das bedeutet auf der strukturellen Ebene den Wechsel von kurzen und langen Versen, der der Musik die Möglichkeit zur Abwechslung und zur Darstellung dramatischer Situationen gibt, sowie textliche Wiederholungsstrukturen wie Chöre oder kleine Ensembles oder größere Festszenen. Doch auch inhaltlich müssen die Stile der Musik bereits im Text angelegt sein, um in der Musik ausge­ staltet werden zu können – vom pathetischen Abschiedsduett Alcestes und Admètes bis hin zu den leichten Liedchen der Céphise, die in Paris bald als Gassenhauer kursieren sollten.167 Norman warnt mit Verweis auf Spielmann168 davor, aus Boileaus Kri­ tik an der Tragédie lyrique zu schließen, diese sei eine Abweichung von der dominanten Leitgattung Tragédie gewesen. Tatsächlich dominierten andere Theaterformen die Spielpläne „le genre esthétiquement dominant, à partir des années 1670, c’est justement l’opéra“, die Tragédie nach den strengen Regeln der Alten sowie die sie flankierenden Texte waren eher ein „projet classique“ als ein „fait accompli“.169 Gleichwohl hatten die Texte der Querelle zur Folge, dass bereits mit dem Abstand von wenigen Jahrzehnten die fran­ zösische klassizistische Tragödie in Deutschland als dominante Gattung des französischen Theaters rezipiert werden konnte. Mit Gottscheds Texten sollte sich bald die Geschichte wiederholen: Während er zeitgenössisch auf eher verlorenem Posten gegen die Oper anschrieb, entwickelten seine Texte in der Rezeption des 19. und 20. Jahrhunderts ihre volle Wirkung, indem sie die Verbreitung und Bedeutung des gesungenen Theaters verdeckten.170 Alceste ist die letzte Oper Quinaults, in der komische Figuren auftreten. Obgleich Céphise, Strato und Lychas wichtige Funktionen für die Balance des Stückes haben, gehörten sie zu den zentralen Kritikpunkten – besonders im 18. Jahrhundert.171 Unterschwellig bis heute gelten die komischen Ele­ mente als Defekt der Alceste respektive wird Quinault dafür gelobt, dass er bald auf sie verzichtete. 167 Critique, Querelle d’Alceste (1994), S. 94. 168 Guy Spielmann: Spectacle, théâtre, texte: esquisse d’une problématique. L’Esprit Créateur 39 H. 3 (1999), S. 76–88. 169 Zit. nach Norman (2001), S. 4, Fn. 1. 170 Vgl. Jahn (2005), S. 4. 171 Vgl. Norman (2001), S. 88.



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Blickt man auf das Fortleben der Lully/Quinault’schen Alceste in den deut­ schen Barockopern, so wird die Frage evident, ob man hierzu eine Oper oder ein Libretto als Grundlage einer Bearbeitung annehmen muss. Vollständige Aufführungen der Opern Lullys in mehr oder weniger originaler Form waren in Deutschland eher selten, sie erfolgten gelegentlich auf Anregung einzel­ ner Musikerpersönlichkeiten wie Johann Sigismund Kusser (1660–1727)172 und fanden vornehmlich während der 1680er und 1690er Jahre statt. Spätere Aufführungen sind singuläre Ereignisse. Für Alceste ou le triomphe d’Alcide ist bislang keine Aufführung des französischen Originals auf deutschen Opern­ bühnen nachweisbar.173 Diesem am nächsten kommt eine singbare, bis auf den Prolog getreue Übertragung des Textes für eine Aufführung in Hamburg 1696, zu der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Lullys Kom­ position erklang.174 Die schwache Rezeption der Lully’schen Musik ist eini­ germaßen erstaunlich, schließlich lagen deren Partituren – im Unterschied zu den in der Regel nur in wenigen Abschriften vorhandenen italienischen und deutschen Barockopern – als Partiturdrucke vor und waren auch an vielen deutschen Höfen vorhanden.175 Offenbar war der personelle und maschi­ nenmäßige Aufwand insbesondere der Alceste für die meisten Höfe zu groß. Gleichwohl war der Alceste von allen Quinault’schen Operntexten das vermutlich intensivste Nachleben auf der deutschen barocken Opernbühne beschieden. Zwei Bearbeitungen des Librettos durch Franck und König ent­ standen zwischen 1680 und 1719, die in Hamburg und Braunschweig über einen Zeitraum von über zehn Jahren, offenkundig also mit gutem Erfolg aufgeführt wurden und die Lektüre des Quinault’schen Textes bis weit in die Hochphase der deutschen Barockoper fortsetzten. Wo die Operngeschichte also bislang von einer Rezeption der Oper Lullys ausgegangen war, handelt es sich tatsächlich um das Fortleben eines Librettos und der in ihm ange­ legten musikdramatischen Verfahrensweisen. In welcher Weise sich auch Lullys Musik in den Kompositionen der bearbeitenden Komponisten nie­ dergeschlagen hat, ist im Einzelfall zu prüfen, was allerdings nur noch für Schürmanns Oper möglich ist, da von den übrigen Bearbeitungen nur die Libretti überliefert sind.

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Etwa die Aufführungen in Ansbach und Braunschweig. Für Ansbach ist kein Aufführungsdatum nachweisbar. Vgl. Brockpähler (1964), S. 35–36. Vgl. Schneider (2006), S. 133. Vgl. Brockpähler (1964), S. 36 und 127.

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3.3  Alceste oder der Triumph des Herkules? Deutsche Alceste-Adaptionen zwischen venezianischer Oper und Tragédie lyrique in Hamburg, Braunschweig, Leipzig und ihr Nachleben bei Wieland 3.3.1  Alceste und die Hamburger Dramaturgie 1680–1696 Von allen deutschsprachigen Opernunternehmungen der Barockzeit ist die Hamburger Oper mit Abstand am besten untersucht. Bereits die ältere For­ schung interessierte sich unter verschiedenen Gesichtspunkten für die Oper am Gänsemarkt, sei es, um sie als „frühdeutsche Oper“ in eine Genealogie der deutschen Oper zu stellen und so als Vorläufer des Gluck’schen und gemeinsam mit diesem (und Wielands Alceste) auf das Wagner’sche Konzept einer deutschen Oper hinzuführen,176 oder um sie wie Friedrich Chrysander im Zuge der ersten Händel-Renaissance als kontextualisierende Umgebung für das Genie Händel zu beschreiben. Dabei wurden allerdings häufig die Vorurteile des 18. und 19. Jahrhunderts (allen voran Gottscheds üble Nach­ rede) tradiert und ungeprüft übernommen. Demnach sei die Funktion der Oper zunehmend ein reines Spektakel gewesen, in dem Ströme von Blut flossen, weibliche Reize und leibhaftige Tiere ausgestellt wurden.177 Die erste umfassende und bis heute grundlegende Abhandlung stammt von Hellmuth Christian Wolff und erschien 1957 als Habilitationsschrift. Sie entstand während der 1940er Jahre und zeigt eindrücklich, wie die Na­ zidiktatur selbst in Wolfs Forschung ihre Signatur hinterlassen hat. In dem Bestreben, das „Deutsche“ an der Hamburger Gänsemarkt-Oper zu defi­ nieren, stellt Wolff besonders die komischen Elemente und lokalen Bezüge heraus und rehabilitiert sie gegenüber der älteren Kritik.178 Die Forschung der DDR179 beschritt ähnliche Wege und rückte im Versuch, die Hamburger Gänsemarktoper nach dem Hegelschen Geschichtsmodell als eine „frühbür­ gerliche“ und damit direkte Vorläuferin einer gegenwärtigen proletarischen Oper zu vereinnahmen, die Darstellungen von Handwerkern und niederen Personen in den Vordergrund. Das Verdienst, dieser tendenziösen bzw. ver-

176 Etwa bei Ludwig Schiedermair: Die deutsche Oper. Grundzüge ihres Werdens und Wesens. Leipzig 1930, S. 124. 177 Vgl. dazu den so ausführlichen wie vergnüglich zu lesenden Forschungsbericht Reinhart Meyers, der zeigt, dass diese Form der „üblen Nachrede“ noch bis in die späten 1970er Jahre ungebremst in der Forschung zirkulierte. In der Einleitung zu: Die Hamburger Oper (1984). S. 14–26, hier: S. 17. 178 Wolff (1957). 179 Vgl. Meyer (1984), S. 21.



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einnahmenden Forschung ein Ende bereitet zu haben, gebührt vor allem Reinhart Meyer, der neben seinen Forschungen auch breit angelegte Mate­ rialsammlungen zur Hamburger Gänsemarktoper herausgegeben und unter anderem bereits die Funktion der Oper in den Machtkämpfen zwischen Rat und Bürgerschaft umrissen hat.180 Ihm gefolgt ist Hans Joachim Marx mit sei­ nen umfangreichen Schriften zur Hamburger Oper.181 Schröder hat schließ­ lich in ihrer Habilitationsschrift zu den Hamburger Festopern182 Hinweise Meyers183 aufgreifend das komplexe Beziehungsgeflecht zu den europäischen Herrschern und die zentrale politische und repräsentative Funktion der Oper für die Politik der Hansestadt dargestellt und damit nachgewiesen, dass die Förderer und Verantwortlichen der Gänsemarktoper vornehmlich die die Stadt regierenden hanseatischen Oligarchen im Verein mit in Hamburg le­ benden Abgesandten der europäischen Aristokratie ausmachten, unterstützt von bürgerlichen Künstlern, die allesamt entweder nach hohen städtischen Ämtern strebten oder sie bereits inne hatten. Lucas von Bostel (1649–1716), der Ratsherr und Hamburger Bürgermeister und Verfasser des Cara Musta­ pha (1686), Musik von Franck, ist nur der prominenteste unter ihnen; Postel und Menantes waren angesehene Juristen. Damit fügt sich die Hamburger Gänsemarktoper durchaus in das Gesamtbild der deutschen Barockoper ein, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen: Während an vielen Höfen – wie in Braunschweig – die Fürsten zwar die Initiatoren der Oper waren, für die Durchführung jedoch auf das Kapital ihrer Untertanen und die (bürger­ lichen) Messebesucher angewiesen waren, so trat sie in Hamburg (wie in Venedig) zunächst als rein merkantiles Unternehmen auf, das sozusagen in zweiter Reihe von den aristokratischen Zuwendungen abhängig war, dafür aber umso nachhaltiger. Für das Gros der gespielten Stücke bedeutet dies daher eine grundsätzliche Kompatibilität zu primär höfischen Theatern wie in Braunschweig und Hannover, die neben London184 noch zu den zentralen Lieferanten zählten.185

180 Ebenda, S. 62. 181 Darunter: Geschichte der Hamburger Barockoper. Ein Forschungsbericht. Hellmuth Chris­ tian Wolff zum 70.  Geburtstag. In: Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft Bd.  3. Constantin Floros, Hans Joachim Marx und Peter Petersen (Hg.). Hamburg 178, S. 7–34; Hans-Joachim Marx und Dorothea Schröder: Die Hamburger Gänsemarkt-Oper. Katalog der Textbücher (1678–1748). Laaber 1995; Händels Lehrjahre an der Hamburger Gänse­ markt Oper unter Reinhard Keiser. In: Aspekte der Musik des Barock. Bericht der Int. Hän­ del-Akademie Karlsruhe. Laaber 2006, S. 343–359. 182 Schröder (1998). 183 Vgl. Meyer (1984), S. 41–45. 184 Händels Opernunternehmungen in London wiesen übrigens eine der Hamburger Oper sehr ähnliche Struktur auf. 185 Vgl. Meyer (1884), S. 45–48.

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Das Hamburger Opernhaus am Gänsemarkt wurde 1678 eröffnet und bildete damit die erste stehende Bühne im deutschen Sprachraum, die nicht an ein Herrscherhaus angeschlossen war. Sie bestand, aller Höhen und Tiefen unbeschadet, als Opernunternehmen bis 1738, also 60 Jahre, als weitgehend freies Unternehmen und bildet damit eine bis ins 19. Jahrhundert beispiellose Kontinuität. Wie praktisch im gesamten deutschen Sprachraum speiste sich auch die frühe Hamburger Oper aus dem regen kirchenmusikalischen Leben der Stadt, und mehrere der späteren Opernkomponisten (Kapellmeister)186, hatten zuvor kirchenmusikalische Ämter inne. Dies traf zusammen mit der regen Anteilnahme wenigstens von Teilen der lutherischen Geistlichkeit, die nicht nur im Opernstreit mit den Pietisten Partei für die Oper ergriffen,187 sondern zum Teil auch selbst die Bühne mit Libretti versorgten, wie Elmen­ horst, der Archidiakon von St. Hiob, und Pastor Friedrich Christian Feuste­ king (1678–1739). Das „Vergnügen“ und „Ergetzen“ in den Vorreden zu den Libretti beschreibt daher eine mit Moral und Religion zusammenhängende, jedenfalls ausdrücklich nicht konfligierende Qualität der Oper, wie sie sich auch in der vielgelesenen Gedichtsammlung Irdisches Vergnügen in Gott (1721– 1748) manifestiert, die nicht zufällig von einem der wichtigsten geistlichen Librettisten und Schöpfer der nach ihm benannten Passion stammt – von Barthold Heinrich Brockes.188 Der erste Komponist und Kapellmeister der Gänsemarktoper Johann Theile hatte vor seinem Amtsantritt weder eine Oper geschrieben noch je italienischen Boden betreten. Letzteres sollte lange eine weitgehende Kons­ tante der Hamburger Opernkomponisten und vor allem Librettisten bleiben. Auch deshalb blieb bis um 1700 die Kirchenmusik mit Choral- und Liedfor­ men eine wichtige Inspirationsquelle.189 Menantes sollte die mehrstrophigen Liedformen mit formal identischen Strophen später als „Ode“ definieren, 186 Vgl. Brockpähler (1964), S. 198. 187 Mit seiner Verteidigungsschrift: Dramatologia antiquo-hodierna, Das ist: Bericht von denen Oper-Spielen/ Darinn gewiesen wird/ Was sie bey den Heyden gewesen/ und wie sie des darbey vorgegangenen abgöttischen und lasterhafften Thuns halber von den Patribus und Kirchen-Lehrern verworffen […]. Hamburg 1688. 188 Vgl. Meyer (1984), S. 109. Die These hat neuerdings Jahn (2005) wieder aufgegriffen. Hier u.  a. S. 207–220. 189 Gegen die verbreitete Annahme, die biblischen Singspiele zu Beginn der Hamburger Oper seien ein vorauseilendes Versöhnungsangebot an die pietistische Geistlichkeit gewesen (so Eberhard Haufe: Die Behandlung der Mythologie in den Textbüchern der Hamburger Oper 1678–1738, Frankfurt a. M. 1994, S. 55 argumentiert Meyer (1984, S. 30): „es ist nicht einzuse­ hen, weshalb eine Institution, die aus religiösen Gründen verworfen wird, dadurch akzeptabel werden soll, dass sie biblische Stoffe in den Kot zieht.“ Meyers Sichtweise wird einerseits gestützt durch das verbreitete Bühnenverbot für biblische Stoffe (in England bis um 1900 gül­ tig) sowie andererseits dadurch, dass die Frühformen des Musiktheaters in ganz Deutschland neben antiken vor allem auf biblische Stoffe rekurrierten, wie auch Anton Ulrichs Libretti zeigen. Die Hamburger Oper wiederholt demnach mit biblischen Stoffen mit einiger Verspä­



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gegenüber der kürzeren und zugleich artifizielleren Arie, die „mehr Nach­ sinnen“ erfordere.190 Menantes’ Abhandlung Die allerneueste Art, zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen schlägt insofern auch eine Brücke zwischen der frühen und der späteren Hamburger Dramaturgie der Oper, als sie auf Erd­ mann Neumeisters in Weißenfels entstandenen Poetik-Vorlesungen basiert191 und sich „als die einflußreichste deutsche Dichtungstheorie im ersten Drittel des 18. Jh. erweisen sollte“.192 Später bewirkte die Vermittlung der italienischen Oper vornehmlich über deren Libretti und über Bearbeitungen an benachbarten Fürstenhöfen wie Braunschweig und Hannover das langsame Verschwinden der Liedfor­ men und ihre Ersetzung durch die Arie.193 Durch diesen langsamen Übergang und weil Librettisten und Komponisten stets ein Auge auf die französische Oper gerichtet hielten, behielten die Hamburger Opern einen besonderen Innovationsspielraum. Der zweite Kapellmeister der Hamburger Oper, Johann Wolfgang Franck, wurde 1644 in Unterschwanningen in Mittelfranken geboren und wuchs vermutlich in Ansbach auf. Ab 1665 ist er als Schreiber und Hofmu­ siker in Ansbach angestellt. Dass eine 1668 angetretene Reise ihn u. a. nach Venedig führte, kann als gesichert gelten, da Wolff in Francks überlieferten Opern eine Fülle venezianischer Verfahrensweisen nachweisen konnte, die der Komponist nur direkt aus der Quelle geschöpft haben kann. 1672 kehrte er an den Ansbacher Hof zurück und blieb, bis ihn 1679194 ein aus Eifersucht begangener Mord zur Flucht zwang und er noch im selben Jahr mit vier Opern in Hamburg in Erscheinung trat. Franck gilt als einer der wichtigsten Komponisten des geistlichen Liedes,195 was man kaum vermuten würde in

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tung Grundtendenzen der deutschen Barockoper, die die italienische und französische Oper so ausgeprägt wenigstens nicht kennt. Vgl. Menantes (Neumeister): Die Allerneueste Art/ zur Reinen und Galanten Poesie zu ge­ langen … Hamburg 1728, S. 216–217. Vgl. George J. Buelow: Hunold, Christian Friedrich. In: The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Stanley Sadie (Hg.). London 1980, Bd. 11, S. 872. Jahn in MGG², Bd. 9, Sp. 531. Vgl. dazu auch Dirk Niefanger: Die Chance einer ungefestigten Nationalliteratur. Traditionsverhalten im galanten Diskurs. In: Der galante Diskurs. Kommu­ nikationsideal und Epochenschwelle. Thomas Borgstedt und Andreas Solbach (Hg.) Dresden 2001, S. 147–163, hier: S. 151. Vgl. Johannes Mattheson: Der vollkommene Capellmeister. Studienausgabe im Neusatz des Textes und der Noten. Friederike Ramm (Hg.). Kassel u.  a. 1999, S. 316–317 (Hamburg 1739, S. 211–122). Da für die Aufführungen der Lully’schen Opern in Ansbach keine Daten vorliegen, kann nicht geklärt werden, ob sie schon zu Francks Zeiten stattfanden. Es liegt aber nahe, sie erst mit den frankophilen Nachfolgern Johann Georg Conradi und Johann Sigismund Kusser in Verbindung zu bringen. Vgl. Hermann Kretschmar: Geschichte des neuen deutschen Liedes. Leipzig 1911, S. 137– 140.

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Anbetracht einer Lebensgeschichte, die leicht der Stoff für einen barocken Musiker-Roman sein könnte.196 Während Francks Wirken in Hamburg wurden dort alle Partien noch von Männern gesungen, die durchweg keine mit den Sängern der italieni­ schen Oper dieser Zeit vergleichbare Ausbildung genossen hatten. Die häufige Verwendung liedhafter Formen hat sicherlich auch darin ihre Be­ gründung.197 Franck war auch als Librettist tätig und verwendete dabei wie überhaupt zu seinen Kompositionen auffällig häufig französische Texte.198 Seine früheste Oper Andromeda (Ansbach 1675)199 ist eine nahezu wört­liche Übersetzung von P. Corneilles Andromède.200 Für die Hamburger Fassung (1679)201 wurden aus Soleil und Melpomene im Prolog die italienischen Fortuna, Fortitudo, Innocentia und Invividua und ferner der komische Die­ ner Phorbas hinzugefügt.202 Die Änderungen folgen unverkennbar dem Vor­ bild der venezianischen Oper und verfolgen genau dieselbe Tendenz wie in der Alceste von 1780. 1678 entstand für Ansbach Der verliebte Phöbus, ebenfalls nach einem französischen Text, für den kein Librettist vermerkt ist, vermut­ lich also wiederum Franck selbst die Übersetzung besorgte.203 Für Don Pedro oder die abgestrafte Eifersucht (Hamburg 1679) nach Molières Le Sicilien ist seine Übersetzer-/Bearbeiterschaft204 namentlich verbürgt.205 Offenbar übersetzte Franck also Libretti französischer Vorlagen selbst, während er für italienische Stoffe und Originallibretti die Partnerschaft anderer Textbearbeiter suchte. In der deutschen Barockoper trafen ab 1680 die Stofflinien von Aurelis An­ tigona delusa da Alceste, und Quinaults Alceste ou triomphe d’Alcide aufeinander und sollten sich in den folgenden Jahren immer wieder wechselseitig be­ fruchten. Beide Versionen der Geschichte haben mit Euripides’ Drama ja kaum mehr als den Titel und das Selbstopfer der Alceste gemeinsam, bilden dafür aber umso stärker die Dramaturgien der jeweiligen Nationalopern ab 196 1687 verließ Franck Hamburg, Frau und Kinder. In den 1690er Jahren tauchte er in London auf, dann verliert sich seine Spur abermals und „manche Autoren behaupten, Franck sei in Spanien ermordet worden“. Meyer (1984), S. 33. 197 Wolff weist zudem darauf hin, dass die überlieferten Arien kaum den Umfang einer Oktave überschreiten, was vermutlich ebenfalls mit den begrenzten sängerischen Möglichkeiten zu­ sammenhing. Vgl. Wolff (1957), S. 216. 198 Vgl. ebenda, S. 214. 199 Vgl. Brockpähler (1964), S. 34. 200 Vgl. Wolff (1957), S. 214–215. 201 Von der eine Arie erhalten ist, die das früheste erhaltene Beispiel einer Hamburger Arie mit Koloraturen bildet. Vgl. ebenda, S. 215. 202 Vgl. ebenda. 203 Vgl. Busch (1996), S. 240. 204 Vgl. Wolff (1957), S. 64–67. 205 Vgl. Brockpähler (1964), S. 200. Vgl. Marx/Schröder (1995), S. 39–41.



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und geben damit auch Aufschluss über die unterschiedlichen sozialen Veror­ tungen der Gattung. Die Alcesten der deutschen Barockoper verwenden zu­ nächst spiegelbildlich beide Stofflinien, bis König und Schürmann sie in der dritten Bearbeitung systematisch verbinden werden. Die französische Linie beginnt 1680 in Hamburg mit Alceste. Für den Text werden in der Forschung Johann Philipp Förtsch (1652–1732) oder Franck genannt, Wieland würde sie 1773 in seiner Abhandlung Über einige ältere t e u t s ch e S i n g s p i el e die den Nahmen Alceste führen206 gerne dem als Librettist tätigen und wacker für die Sache der Oper streitenden Pastor Elmenhorst zuschreiben,207 verweist aber darauf, dass Mattheson einen gewissen Matsen als Textdichter der 1680er Fassung angebe208 und verwechselt dabei Alceste mit dem in der Auflistung nachfolgenden Stück Jodelet oder sein selbst Gefangener (1726), dessen Libretto tatsächlich aber von Johann Philipp Praetorius (1696–1766) stammt. Mat­ theson gibt als Urheber lediglich an „Ingleichen“209, was bedeuten soll, dass der Urheber identisch ist mit den beiden vorangehenden Stücken. Das hat dazu geführt, dass in der Forschung auch der in der Liste an zehnter Stelle auftauchende Nikolaus Adam Strungk genannt wird, der von 1679 bis 1682 Dom- und Ratsmusikdirektor in Hamburg war.210 Matthesons Angaben sind bekanntermaßen häufig ungenau. Zusätzlich trägt zur Verwirrung bei, dass Strungk tatsächlich die Musik zu einer Alceste-Vertonung geschrieben hatte, 1693 die Leipziger Adaption der Antigona delusa da Alceste von Aureli.211 Im dritten Druck wird jedoch ausdrücklich angegeben „aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzet/ und In die Music gebracht von Joh. Wolfgang Fran­ cken C.M.“212. Die Librettodrucke für die Aufführungen der Alceste von 1680 kommen hingegen ohne Verfasser- und Komponistenangabe aus, vermutlich weil dieser sie selbst als Kapellmeister geleitet hatte und keine Verwechslung möglich war. In seinem Aufsatz behandelt Wieland alle drei deutschen Alceste-Bearbeitun­ gen von Franck, Thymich und König:

206 1773 im Teutschen Merkur erschienen. Vgl. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 88–115. 207 Allerdings lehnte Elmenhorst in seiner Schrift den Gebrauch der „heidnischen Götzen“ ab, wegen derer auch Alceste beim Gutachten der Rostocker und Wittenberger Theologen 1687 durchgefallen war. Vgl. Haufe (1994), S. 135, und Irmgard Scheitler: Deutschsprachige Ora­ torienlibretti von den Anfängen bis 1730. Beiträge zur Geschichte der Kirchengeschichte. Hans-Joachim Marx und Günther Massenkeil (Hg.), Paderborn u.  a. 2005, S. 167. 208 Vgl. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 104. 209 Mattheson (1728), S. 178. 210 Vgl. Brockpähler (1964), S. 196. Von 1682 bis 1686 wirkte er als „Hof-Kammer-Komponist“ in Hannover. Vgl. ebenda, S. 215. 211 Vgl. Brockpähler (1964), S. 256; Scheitler (2005), S. 167. 212 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 104.

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Alceste 1660–1719 Ich hatte meine Alceste bereits vollendet, und empfieng die Glückwünsche dazu mit der Treuherzigkeit eines Unwissenden, der sich gar nicht einfallen ließ, daß er hinter drey Vorgängern, welche ihm vielleicht schon das Beste weggenommen hatten, herschlendere: als ich […] drey teutsche Singspiele gleiches Nahmens und Inhalts mit dem meinigen, zu Gesichte bekam, deren Anblick meine Eigenliebe nicht wenig hätte kränken müssen, wenn die E h r e, der erste zu seyn der einen gewissen Stoff bearbeitet, einigen Werth in meinen Augen hätte.213

Wieland entspinnt an ihnen eine Genealogie der deutschen Oper in anstei­ gender Linie, zu der die Franck’sche und Aureli/Thymich’sche Alceste als Negativfolie herhalten müssen, und an deren Ende er unausgesprochen un­ übersehbar seine eigene Bearbeitung positioniert. Z u f ä l l i g e Umstände und gutes Glück haben entschieden, welche von den barbarischen Nationen des neuern Europa’s zuerst den wohlthätigen Einfluß der Musen und Grazien empfinden sollten. Keine hat Ursache, den frühern Genuß dieses Glückes sich für ein Verdienst anzurechnen; und vielleicht ist diejenige am glücklichsten, die es unter allen am letzten erhält.214

Wie die Autoren der deutschen Barockoper betrachtet Wieland die Oper ganz selbstverständlich als zentralen Teil der Literatur einer Nation und präludiert damit die systematischen Überlegungen zur Gattung im Hand­ buch und im zwei Jahre später publizierten Versuch über das Teutsche Singspiel und einige darin einschlagende Gegenstände, der sich allerdings auf die Genealo­ gie von Wielands Experiment aus der italienischen Oper Pietro Metastasios konzentriert. Der Text zeigt, wie intensiv sich Wieland mit den Libretti und den sie flankierenden Diskussionen befasst hat und an den knappen Verwei­ sen auf Personen und Schriften der 1720er und 1730er Jahre wird deutlich, dass er auch bei seinen Lesern dieses eher journalistischen als fachspezifi­ schen Textes noch ein vergleichsweise umfangreiches Wissen voraussetzen konnte. Das von Wieland verwendete Exemplar des dritten Druckes der Franck’schen Alceste von 1693 verbrannte beim Weimarer Schlossbrand 1774. Durch einen schönen Zufall gelangte 1835 mit der Michael Richey’schen Li­ brettosammlung wieder ein Exemplar desselben Druckes nach Weimar, das den Bibliotheksbrand von 2004 unbeschadet überstanden hat.215 Das Exem­ plar wird dort unter der Datierung 1680 geführt, was jedoch aus verschie­ denen Gründen ausgeschlossen ist; nicht zuletzt, da der Vorbericht für die Figur des Rochas mit einer Schrift argumentiert, die 1682 erstmals erschienen

213 Ebenda, S. 89. 214 Ebenda, S. 109–110. 215 HAAB, Signatur 14,5:75[a].



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ist.216 Dreizehn Jahre nach ihrer Uraufführung war die Oper in Hamburg also erneut aufgeführt worden, ohne dass dazu das Textbuch geändert werden musste.217 Abweichend von den beiden früheren Drucken wird im dritten Druck218 jedoch die Vorrede um eine umfangreiche theologische Rechtfer­ tigung des antiken mythologischen Sujets erweitert, die Wieland in seiner Abhandlung ausführlich referiert: In dem ziemlich weitläufigen Vorberichte glaubt der Dichter, es werde nicht un­ dienlich seyn, wegen der Heydnischen Götter, die in seiner Oper hin und wieder vorkämen, ein und anders zu erinnern; indem etliche der Meynung seyen, daß man vermöge Exod. XXIII. v.13. der Heydnischen Götter nicht einmal gedenken, vielwe­ niger dieselbigen auf einem öffentlichen Schauplatze aufführen sollte. Er setzt aber dieser strengen Meynung unterschiedliche triftige Gründe entgegen […]219

Zwischen Druck zwei und drei bzw. unmittelbar vor dem letzten Druck hatte sich in Hamburg offenbar etwas ereignet, das plötzlich eine umfangreiche Rechtfertigung erforderlich machte. Bereits ab 1681 waren die Opernaufführungen auf zunehmenden Wi­ derstand bei der Hamburger Geistlichkeit pietistischer Prägung gestoßen. Dabei stand die Oper stellvertretend für das Theater überhaupt. Den streit­ baren Theologen ging es darum, jegliche Art von stehender Bühne zu verhin­ dern, und da es in Hamburg nur eine Oper gab, wurde dieser Kampf auf ihrem Rücken ausgetragen.220 Das gilt insgesamt für die pietistische Thea­ terkritik und macht verständlich, warum Gottsched später die Oper als Sün­ denbock vom Theater separierte und ihr die Last der Kritik aufzubürden trachtete, um das Sprechtheater auf ihre Kosten zu retten. Wieland nennt in seinem Aufsatz die in einer noch späteren Fehde gegen Oper und Theater wetternden Pastoren Johann Melchior Goeze (1717–1786) und den Kanonikus Christian Zigera (1719–1778) mit ihren Initialen und dem ironischen Verweis, sie mögen nun endlich ihre Lästerzun­ gen schweigen lassen.221 Anton Reiser (1628–1686) wäre noch zu ergänzen, dessen Schrift Theatromania Oder Die Werke der Finsternis in denen Öffentlichen 216 Daniel Georg Morhof: Unterricht von der teutschen Sprache und Poesie. Kiel 1682. Aller­ dings fiel Wieland, der sich für seine Datierung auf Matthesons Datum der Erstaufführung beruft, dieser Anachronismus ebenfalls nicht auf. 217 Druck b). Vgl. Marx und Schröder (1995), S. 39. 218 Tatsächlich handelt es sich um den vierten Druck. Es existiert ein weiterer Druck, der bereits den Verfassernamen führt, aber noch nicht die erweiterte Vorrede. Vgl. ebenda, S. 40. 219 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 105. 220 Vgl. Sieghard Döhring: Theologische Kontroversen um die Hamburger Oper. In: Festschrift für Klaus Hortschansky zum 60. Geburtstag. Axel Beer und Laurenz Lütteken (Hg). Tutzing 1995, S. 111–123, hier: S. 111. 221 „Favete Linguis!“ Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 104.

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Schau=Spielen (Ratzeburg 1681) die Kritikpunkte zusammenfasst.222 Die In­ tervention der Geistlichkeit führte 1686 vorübergehend zur Schließung der Gänsemarktoper und nebenbei dazu, dass Franck Hamburg verließ und nach London ging.223 Nach Reisers Tod sollte sich ausgerechnet sein Nachfolger im Amt zu St. Jacobi, Johann Friedrich Meyer (1719–1798), als Unterstützer der Oper hervortun. Zu ihrer Wiedereröffnung Ende 1687 forderte der Ma­ gistrat bei den Universitäten von Rostock, Wittenberg und Jena Gutachten ein,224 für die eine Auswahl an Libretti, darunter die Alceste von 1680 einge­ reicht wurden. Die Gutachten stuften die Oper als ein Adiaphoron ein, also einen aus christlicher Sicht neutralen Gegenstand, der sich je nach Gebrauch zum Guten oder Bösen wenden lässt. Schließlich veröffentlichte der Pastor und Librettist Elmenhorst 1688 seine Verteidigungsschrift Dramatologia An­ tiquo-hodierna. Bemerkenswererweise wurden alle Schriften des Hamburger Opernstreites außerhalb Hamburgs verlegt. Offenbar wollte kein Hamburger Drucker es sich mit der einen oder anderen Partei verscherzen. Ab 1693 sollte der Opernstreit schließlich in eine weitere Phase tre­ ten, die zu heftigen und sogar handgreiflichen Auseinandersetzungen führte und ihr Echo im bereits erwähnten Thüringer Opernstreit um Vockerodt und Beer (1697) fand, in dessen Umfeld auch Neumeisters Dissertation De Poetis Germanicis225 anzusiedeln ist. Wohl im Zuge dieser neuen Eskalation erschienen die Gutachten 1693 im Druck.226 Offenbar reagiert die erweiterte Vorrede der Alceste direkt auf diese Veröffentlichung, denn die aufgeführten Gründe der Vorrede nehmen Bezug auf die im Gutachten vorgebrachten Einwände gegen Alceste, die als eine Oper nach einem antiken Stoff ausdrück­ lich verworfen wurde.227 Damit scheidet Elmenhorst als Verfasser der Vor­ rede aus, denn auch er wendet sich in der Dramatologia gegen antike Stoffe,228 wenngleich man den Eindruck bekommt, dass es sich hierbei möglicherweise 222 Auf die u.  a. der Hamburger Opernsänger Christian Rauch nicht weniger blumig antwortete mit Theatrophania […] Vertheidigung der Christlichen/ vornehmlich […] Musicalischen Operen (Han­ nover 1682). Vgl. Scheitler (2005), S. 67, Fn. 20. 223 Worauf seine Frau mit den 10 gemeinsamen Kindern in ihre Heimat Schwäbisch Hall zurück­ kerte. 224 Döhring (1995), 118. 225 Leipzig 1695. 226 Die Gutachten erschienen 1693 unter dem Titel: Vier Bedencken Fürnehmen Theologischen und Juristischen Fakultäten, Wie auch Doct. Johann Friedrich Meyers […] Was doch von denen sogenanndten Opern zu halten. Frankfurt am Mayn 1693. Gerhard Schott (Hg.). Der Hamburger Jurist und Ratsherr Gerhard Schott war der Gründer und Leiter der Hamburger Gänsemarktoper. Vgl. ferner: Bodo Plachta: Aus der Fremde. Reflexe Barocker Opernkunst in Ernst Jandls Sprechoper. In: Ach, Neigung zur Fülle. Christiane Caemmerer und Walter Delabar (Hg.). Würzburg 2001, S. 199–212, hier: S. 199, Fn. 4. 227 Vgl. Haufe (1964/1994), S. 135. 228 Vgl. ebenda, S. 135.



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um eine eher kulturpolitische Angleichung an die Positionen seiner theo­ logischen Kollegen handelt. Der Verfasser der Vorrede scheint gleichwohl Theologe oder zumindest ein theologisch ausgesprochen versierter Schreiber gewesen zu sein. Der aussichtsreichste Kandidat für die Verfasserschaft der Vorrede ist der Pfarrerssohn und Advokat Postel, der 1690 bis 1696 fast alleinige Textlieferant für Conradi in Hamburg.229 Postel verfasste selbst mit Ariadne (1691) und Pygmalion (1693) wenigstens zwei Libretti nach antiken mythologischen Sujets und übersetzte 1692 Achille et Polixène von Lully, wes­ halb Schneider in ihm auch den Übersetzer der unter dem Titel Der siegende Alcides 1696 aufgeführten Alceste Lullys sieht.230 Der hartnäckig als Verfas­ ser der Alceste durch die Forschung geisternde Förtsch231 scheidet jedenfalls auch als Verfasser der Vorrede aus, denn er hatte 1690 seine literarische und musikalische Tätigkeit beendet. Von Bedeutung ist aber vor allem, dass es anders als 1680 eines beträchtlichen argumentativen Aufwandes bedurfte, um mitten im Opernstreit ein in den Gutachten verworfenes Werk dennoch wieder aufzuführen, dass dieses Werk offenbar von den Verantwortlichen als so gut und erfolgversprechend eingeschätzt wurde, dass es dennoch aufgeführt wurde und dies sogar, obgleich seine 13 Jahre alte Vertonung eigentlich als hoffnungslos veraltet gelten musste. Wieland interessiert sich fast mehr für die Argumente der Vorrede denn für das Stück, an dem er vor allem die komischen Figuren, allen voran den Hanswurst Rochas, heftig kritisiert.232 Im Zentrum seines Interesses steht offenbar der Umgang der Oper mit der Antike, doch könnte die Vorrede ge­ nauso oder passender vor einer Nero-Oper stehen, denn um den Alceste-Stoff geht es hier kaum, lediglich die Verteidigung der darin vorkommenden Göt­ terfiguren nach rationalen Gesichtspunkten gegen einen universellen christ­ lichen Weltdarstellungsanspruch. Demnach gehöre die Kenntnis der antiken Götterwelt zum Bildungskanon und ihre Kenntnis ist die Voraussetzung zum Verständnis der antiken „heydnischen Autoribus“, ferner haben sich die Geschichten der Bibel selbst zu heidnischen Zeiten vollzogen, so dass selbst das Buch der Bücher mit ihnen kontaminiert sei. Und schließlich bilde man ja sogar in den Kirchen den Teufel ab, ergo habe nicht jeder in der Kunst dargestellte Gegenstand automatisch Vorbildcharakter für den Beschauer. Die Verteidigung mündet schließlich in der Feststellung „man schreibe als ein Poet, und glaube wie ein Christ.“233

229 230 231 232 233

Vgl. Brockpähler (1964), S. 201–202. Vgl. Schneider (2006), S. 133. Vgl. u.  a. Brockpähler (1964), S. 202, und Haufe (1964/1994), S. 137. Vgl. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 106–109. Beides zit. nach: ebenda, S. 106.

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Da die Textbücher der Fassungen von 1680 bis 1693 identisch sind, zog die ältere Forschung daraus teilweise den Schluss, dass die plötzliche Verfasserangabe auf eine Neukomposition verweise, der Komponist der Ur­ aufführung also jemand anders als Franck gewesen sein musste, was schon deshalb ausgeschlossen ist, weil Franck sich zur Zeit der Wiederaufnahme mutmaßlich irgendwo in England, jedenfalls seit sieben Jahren weit weg von Hamburg aufhielt. Marx/Schröder deuten den Grund für die plötzliche Ver­ fasserangabe hingegen zutreffend als eine Konkurrenzsituation. Dass diese aber quasi in Vorhersehung der erst 1696 aufgeführten getreuen Übersetzung zu Lullys Musik als Der siegende Alcides gegeben sein sollte, scheint schon auf Grund der hinlänglich unterschiedlichen Titel weniger wahrscheinlich, als dass zeitgleich Verwechslungsgefahr bestand mit einem Werk, das nicht nur den identischen Titel trug, sondern ebenfalls 1693 in Leipzig aufgeführt wurde: Alceste nach dem venezianischen Libretto von Aureli in einer Bearbeitung von Thymich und mit der Musik von Nikolaus Adam Strungk. Die Besorgnis war berechtigt, wie bereits Matthesons Verwechslung zeigt.234

3.3.2  Johann Wolfgang Franck Alceste (1680–1693) – von Hanswurstens Geschlechterkrieg zur Galanterie eines weisen Narren Der Vorbericht verkündet Alceste als „Exempel der ehlichen Treue/ welches halben sich Tessalien weit mehr/ als seiner anmuthigen Tempe [235] wegen rühmen kan“.236 Offen bleibt, ob Admetus an einer Kranckheit/ oder/ wie dem Frantzösischen Autori die Um­ stände zu verändern gefallen hat/ an seinen Wunden darnieder gelegen/ wird ver­ hoffentlich keine Gewissenssache seyn; Dahero einem jeden frey stehet zu glauben was er will.237

Anders als im italienischen Argumentum der venezianischen Oper üblich und von Aureli überspitzt, geht Franck nicht weiter auf antike Quellen zur Rechtfertigung seiner Adaption ein, denn auch in der französischen Vorlage fehlt eine solche Vorrede, an ihrer Stelle steht die Huldigung an den König. Francks Vorrede gleicht eher einer Synopsis im modernen Sinne und gibt 234 Auch in Haufes Studie gehen die Zuschreibungen noch munter durcheinander: Vgl. Haufe (1964/1994), S. 71–72 und S. 95. 235 Die Tempe ist ein thessalischer Fluss. Das Tempe-Tal galt als eine der schönsten Gegenden in Thessalien. 236 Vorbericht, (1680) o. S.; identisch mit 1693 (A2). Hervorhebungen im Original. 237 Ebenda.



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eine knappe Interpretation der Handlung vorweg. Die Verbindung von Liebe und Ehe ist im Kontext der Hamburger Oper naturgemäß unproblematisch, wie im Vorbericht schon durch das Schwanken der Bezeichnungen deutlich wird. Als Apotheose ehelicher Treue eingeführt, werden Alceste und Admet in der Folge nur noch als „Liebster“ und „Geliebte“ angeführt. Die Vorrede deutet bereits eine Transformation des Stückes von Leidenschaft zu Selbst­ kontrolle an: Um ihren Liebsten zu retten/ nimmt sich Alceste selber das Leben. Admetus, ob er die Alceste gleich noch so hoch liebet/ dirigirt doch seine Affecten so vernünfftig/ daß es ihm endlich gleich viel gilt/ ob er seiner Geliebten geniessen kan/ oder nicht/ wenn sie nur wieder beym Leben ist. Hercules zeiget noch die allergroßmüthigste Uberwin­ dung [sic!]/ indem er lieber seiner eignen Passion Gewalt anthun/ als die Vergnü­ gung zween so vollkommener Personen stören will. Gedencket jemand hieran ein Beyspiel zu nehmen? Gut! Wir wollens weder rathen noch wehren; denn wie das erste sonder Zweiffel vergeblich wäre/ so wird gewißlich das letzte unnöthig seyn.238

Der letzte Satz könnte gut auch am Schluss von Wielands Bearbeitung des Stofes knapp 90 Jahre später stehen. Der Vorbericht des 1693er Druckes übernimmt den von 1680 und er­ weitert ihn durch eine zweifache Anrede an den Leser, mit der die Figuren nochmals kurz erläutert werden, bis auf die gegenüber der französischen Vorlage eingefügte Figur Rochas, von der es heißt, „dass mag der Leser er­ rathen“239. Der Prolog des französischen Librettos fehlt, doch sonst hält sich Franck im Rezitativ recht genau an die Vorlage. Sein Libretto markiert einen deutlichen Wendepunkt gegenüber den älteren Libretti des Braunschwei­ ger Hofpoeten Friedrich Christian Bressand (1670–1699), deren Rezitative noch in Alexandrinern geschrieben sind. Auch die vereinzelten Alexandriner Quinaults, die Norman so weit geht, als „Fehler“ zu apostrophieren, nimmt Franck nicht auf. Bezüglich der Reimendungen und sprachlich folgt Franck jedoch sehr eng Quinaults Vorlage.240 Sein Rezitativvers orientiert sich hin­ gegen eindeutig an italienischen Vorbildern. Die Verse sind praktisch durch­ gehend in jambischem Metrum mit vorherrschend drei bis fünf Hebungen und wechselnd männlicher und weiblicher Kadenz gestaltet. Die fünffüßi­ gen Verse haben oft eine Zäsur nach der zweiten Hebung, lehnen sich also an den ursprünglich ebenfalls aus dem Französischen stammenden und vor allem durch Opitz in die deutsche Dichtung überführten vers commun an. Die Reimbindung ist durchgängig mit gelegentlichen Waisen; Kreuz-, Paar­ reim und gelegentliche umarmende Reime wechseln zwanglos. Damit setzt 238 Ebenda. 239 Ebenda (1693), S. 0. 240 Wie Schneider ausführlich dargestellt hat. Vgl. ders. (2006), S. 142–147.

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Franck um, was bereits Caspar Ziegler 1653 in Von den Madrigalen als ideale Rezitativform vorgeschlagen hatte: den (bezüglich der Zeilenvarianz etwas eingeschränkten) Madrigalvers.241 Während in der französischen Vorlage die Einwürfe des Chores im selben Metrum stehen wie der Rezitativtext, ragen sie bei Franck schon durch das trochäische Liedmetrum als Gesangspassagen höherer Ordnung hervor. Bemerkenswert ist die Arienverteilung. Ihr zufolge ist wie in der frühen venezianischen Oper Cephisa die eigentliche Primadonna des Stückes, denn sie führt die Arienbilanz mit sieben Sologesängen und zwei Duetten an, was vergleichbar ist mit einer Titelpartie in einer Metastasio-Oper. Herkules, Ad­ met und Alceste haben jeweils drei Sologesänge und ein Duett (wobei bei dem Abschiedsduett von Admet und Alceste aus dem Libretto nicht ein­ deutig zu unterscheiden ist, ob es sich dabei nicht eher um eine ins Rezitativ eingebettete Form handelt). Der Hanswurst Rochas hat wie die Hauptfiguren drei Sologesänge, Strato und Pheres haben jeweils zwei, Licomedes und Ly­ chas je einen. Die übrigen Gesänge verteilen sich auf Nebenfiguren. Diese Verteilung der Gesänge hätte sich um 1680 bereits kein italienischer Kom­ ponist mehr erlauben können, weil seine Primadonna Alceste sich bestimmt geweigert hätte, die Bühne zu betreten, wenn ihre Zofe mehr als doppelt so viele Soli singt. Die einleuchtendste Erklärung dafür ist, dass Franck schlicht keine Primadonna hatte. Wie bereits erwähnt, wurden in den Anfangsjahren der Hamburger Oper alle Partien der Hamburger Oper von Männern gesun­ gen und es ist reizvoll sich vorzustellen, dass Schürmann, der später die Reihe der deutschen Alceste-Barockopern beschließen sollte, als 20-jähriger Mez­ zosopran oder Alt bei der 1693er Wiederaufnahme vielleicht eine der beiden Frauenrollen verkörperte. Nun ist zwar auch Cephisa eine weibliche Figur, doch haben ihre Gesänge bereits im französischen Original den Charakter von einfach(er)en Liedern, die von einem Knaben oder Falsettisten eher zu bewältigen waren242 als die dramatischen Arien der Alceste, für die man wohl eine deutlichere Orientierung an der Musiksprache der venezianischen Oper annehmen darf. Auch wenn die Sologesänge im Libretto einheitlich mit „Arie“ über­ schrieben sind, deuten bereits die Texte auf sehr unterschiedliche Formen. Herkules singt zwei seiner Soli bereits in der ersten Szene. Beide Arien sind jambisch und haben wechselnde Zeilenlängen. In der ersten Arie „Ach was für Angst/ Ach was für Höllen=Pein“243 wird der dreihebige vierte Vers durch Reimbindung an den ersten angeschlossen, so dass eine Zweiteiligkeit

241 Vgl. Aikin (2002), S. 174–181. 242 Vgl. Wolff (1957), S. 216. 243 Alceste (1680) o. S.; (1693), S. 2.



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vermieden ist. Die zweite Arie „im süßen Liebes=Streit“244 verbindet fünf dreihebige Verse mit einem fünfhebigen. Die letzte Arie hat ein ähnliches Schema, allerdings nur drei dreihebige Verse. Damit weisen Herkules’ Arien die extremsten Formabweichungen innerhalb des Stückes auf, und es liegt nahe anzunehmen, dass sie auch formal anspruchsvoll komponiert waren, was möglicherweise den edlen Charakter des Helden betonte und zusätzlich die herausragenden sängerischen Fähigkeiten des Darstellers, der vermutlich wie in der französischen und italienischen Oper ein Bass war und über eine längere kirchenmusikalische Ausbildung verfügte. Seine Arien haben keine Entsprechung in der französischen Vorlage, sondern sind beide reflektie­ rend, nehmen also bereits Feinds spätere Anforderung an die Arie vorweg: Die Arien sind fast in der Opera die Erklährung des Recitatifs, das zierlichste und künstlichste der Poesie/ und der Geist und die Seele des Schauspiels. Ich habe schon gesagt vor 2 Jahren/ daß dieselbe nicht durch das blosse Metrum oder grö­ bern Druck vom Recitatif müssen unterschieden werden/ sondern/ daß dieselbe ein Morale, Allegorie, Proverbium und Gleichnis im Antecedente haben müssen/ und die Application im Consequente, entweder auf das/ was im Recitatif gesaget worden/ oder üm eine neue Lehre/ Unterricht oder Rath zu geben.245

Ganz anders Cephisa. Fünf ihrer sieben Arien haben ein regelmäßiges, 4-he­ big trochäisches Metrum und erscheinen damit in der typischen Liedform. Die Texte sind mehr oder weniger freie Übersetzungen der französischen Vorlage, keine der Arien hat reflektierenden Charakter. Lediglich an einer Stelle singt Cephisa eine etwas anspruchsvollere Arie, doch ist die Form buchstäblich nicht ihre originäre Leistung, sondern sie greift dort die Aus­ drucksform eines anderen imitierend auf: Licomedes einzige Arie nähert sich in ihrer Textform von allen am deutlichsten der Da capo-Form. Ein vierhe­ biger A-Teil von vier Versen wird gefolgt von drei dreihebigen Versen, an­ schließend folgt die Wiederholung des ersten Verses, ohne dass aus dem Text ersichtlich würde, ob es bei der Wiederholung nur des ersten Verses bleibt. Allerdings ist der Text keine eingeschobene Reflexion, sondern eine Adap­ tion von Licomedes’ Rezitativtext aus der französischen Vorlage, in dem er betont, wie froh er darüber ist, nicht mehr in Liebe an Alceste gefesselt zu sein. Nach zwei zweifelnden Rezitativzeilen greift Cephisa diese Form bis in das Geschlecht der Reimenden genau auf, singt also offenbar dieselbe Arie mit einem anderen Text und straft damit Licomedes’ ausgestellte Gleichgültigkeit Lügen.246 244 Ebenda. 245 Feind: Gedancken von der Opera (1708), S. 95. 246 Diese Verfahrensweise findet sich auch in Strungks Esther, die ebenfalls 1680 in Hamburg aufgeführt wurde.

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Alceste 1660–1719 Licomedes.

Wie süß ist es in Freyheit schweben!/ Wie angenehm ist ihre Frucht/ Nachdem man bey dem Sclaven=Leben Sie lange seufftzend hat gesucht; Wie füllet sie die Brust Mit angenehmer Lust/ Die ihr sich hat ergeben; Wie süß ist es in Freyheit schweben.

Cephisa. Wen Amor einmahl hat gebunden/ Der kommt so bald nicht wieder frey/ Oft wenn man meint er sey verschwunden/ So werden erst die Bande neu/ Wer recht getroffen ist/ Der spühret wol die List/ Er fühlt stets neue Wunden; Wen Amor einmahl hat gebunden.247

Obgleich die Passage den französischen Text aufnimmt und nur formal an­ ders anordnet, transformiert sie das Rezitativ in zwei reflektierende Arien. Diese Grundtendenz und die Verdichtung der Gesangspassagen zu Arien ist durchgängig in Francks Bearbeitung auszumachen und überführt Quinaults Libretto in Richtung auf die Dramaturgie der italienischen Oper. Die späte Fassung (1693 „dritter Druck“) verstärkt diese Tendenz in der großen Festszene am Hafen. Der Gesang der Schiffer ist neu textiert und zeigt zusätzlich zu seiner Zweiteiligkeit noch Da capo-Binnenstruktur.248 Die Gesänge von Cephisa und der Wassernymphe sind ebenfalls neu textiert, offenkundig aber mit einem Parodietext auf die Musik Francks. Pheres’ Ausrede in II/5, warum er nicht kämpfen kann, ist in allen Fas­ sungen eine Klage über die Gebrechen des Alters als zweistrophige Arie und seine Ermahnung Alcestes zu Beginn des dritten Aktes, Admetus das Sterben nicht durch ihre Klagen noch schwerer zu machen, eine regelrechte Senten­ zarie „Bey des Lebens süssen Freuden/ Läst es sich nicht willig scheiden/“249. Admetus und Alceste singen wie Herkules jambische Arien mit überwiegend leicht variablen Verslängen und teilweiser Wiederholung der Anfangszeilen, die sich somit stark von den regelmäßigen und trochäischen Liedformen u. a. Cephisas absetzen und wie im französischen Original stimmt Admetus 247 Alceste o.  J. (1680) o. S., und (1693), S. 9–10. Identische Passagen werden nach dem 3. (einzi­ gen paginierten) Druck zitiert. 248 Ebenda, S. 10–12. 249 Alceste o.  J. (1680) o. S., und (1693), S. 24.



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selbst bei Hercules’ Wiederkehr zu Beginn des V. Aktes als Vorsänger den Lobgesang auf den Helden an, in den der Chor als Refrain einfällt. Aus dem Libretto ersichtlich sind 36 Solo- bzw. Chorgesänge. Die Ari­ enformen sind ausgesprochen variabel. Dreizehn einsätzige Arien stehen vierzehn zweisätzigen gegenüber, drei respektive vier wiederholen entweder den oder die beiden Anfangsverse und zwei der zweisätzigen Arien haben ein eingeschobenes Rezitativ. Franck griff hier vermutlich die von Lully als Al­ ternative zur italienischen Da capo-Form eingeführte Rahmen-Form auf.250 Hinzu kommen mehrstrophige Lieder und Chöre, wobei die Übergänge der trochäischen Arien zu Liedformen fließend sind. Am Beispiel des zwei Jahre später entstandenen Diocletianus, ursprünglich vertont von Carlo Pallavincini (1630–1688); (Venedig 1675), hat Wolff gezeigt, dass Lied- und Arien­form noch in hohem Maße austauschbar blieben: Einmal schreibt Franck zwar ein schlichtes Lied ohne jede Textwiederholung und Pallavicini in der gleichen Szene eine Arie mit Koloraturen […] dann tritt aber auch der umgekehrte Fall ein, daß Pallavicini ein heiteres Tanzliedchen schreibt und dass Franck an der gleichen Stelle größere Koloraturen verwendet.251

Schon das Libretto zeigt, dass Franck mit offenbarer Freude an der Variabi­ lität der neuen Gattung ein dichtes Gewebe aller zur Verfügung stehender Gesangsformen schuf. Dabei wechseln üppige Gesangsszenen wie das Meer­ fest in I/8 mit Soli und Chor252 mit längeren Rezitativstrecken wie in II/3, die Alcestes wüstes Elend und den Wechsel des Glücks in regelrecht dürrer Musik, durchbrochen nur durch ihre eigene kurze Klage, sinnfällig macht. Die hervorstechendste Änderung Francks gegenüber Quinaults Text ist die Einführung einer weiteren komischen Figur. Nach Haufe handelt es sich bei Alceste um die erste Hamburger Oper mit einer komischen Figur.253 Rochas, der Opernhanswurst, vertritt dabei eine gänzlich andere Komik, als die in das Geschehen eingebundenen und die Handlung prismatisch verviel­ fältigenden Dienerfiguren Strato, Lychas und Cephisa. Rochas steht als eine Art Hofnarr außerhalb der Handlung,254 seine mitunter sehr zotigen Kom­ mentare bleiben wirkungslos und ungestraft. Als komische Figur entlarvt er 250 „Sie unterscheidet sich von dieser im wesentlichen dadurch, dass die den Rahmen bildenden Verse keine Strophen ergeben, deren Musik nicht durch ein Ritornell von dem Rest der Arie separiert wird und eher ein Motto als einen eigenständigen Formteil gegenüber einem ausge­ prägten zweiten Teil darstellt.“ Schneider (2006), S. 149–150, Fn 20. Auch die venezianische Oper hatte diese Form seit Mitte der 1640er Jahre entwickelt, und sie zählte spätestens seit Cavallis Xerse zu ihren zentralen Gestaltungsmitteln. Vgl. Rosand (1991), S. 314–315. 251 Wolff (1957), S. 220. 252 Allerdings reduziert Franck insgesamt die Zahl der Chöre gegenüber der französischen Vorlage. 253 Vgl. Haufe (1994), S. 251. 254 Vgl. Meyer (1984), S. 75.

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einerseits Strato in I/5, der behauptet, von Cephisa eigentlich nichts wissen zu wollen, und beider Disput nimmt Cephisas Entlarvung von Licomedes einen Auftritt später vorweg. In seinem dreistrophigen Lied greift er das Thema vom Wechsel in der Liebe auf, um es dann auf die Ebene von Essen und Trinken und das Vagabundentum herabzuleiten. In der Hochzeitsszene I/8 drängt er sich zwischen die Honoratioren, und bringt Alceste ein Ständ­ chen, das so zotig ist, dass sich die Frage aufdrängt, ob Frauen zu dieser Zeit überhaupt schon als Publikum zugelassen waren. Rochas wird in seinem Gesang jedoch erst unterbrochen, als er in die dritte Strophe einmündet, und nach Ehebett und Ehekreuz von den Kindern zu singen anfängt. Die späte Fassung schließlich sollte die Figur des Rochas einer grundlegenden Revision unterziehen, wie bereits im Vorbericht angekündigt wird: Weil nun in voriger Edition ein oder andere Aria und Redens-Arth gewesen/ die allen Leuten nicht gleiche wolgefallen/ als hat man dieselben herausgenommen un- andere zu munterer Gemüther Belustigung hineingerücket; Solten vielleicht et­liche Comparationes in denselben extra vagant scheinen/ so wird ein Verständiger schon wissen/ daß in dieser Schreib=Arth die Worte nach qualität der Person/ die sie vorbringet/ müssen eingerichtet werden: Unterdessen bleibet ferne von uns jemand mit dem geringsten zu ärgern/ oder durch dergleichen Handelung den Christlichen Tugend=Lauff aufzuhalten.255

Rochas erhält in dieser Fassung nach dem Gesang zu dritt mit Cephisa und Strato „Man muss mit stetem Wechsel lieben“ eine im Druck als Da capo definierte Arie zum Abschluss der Szene Die Medgens sind recht gut von Hertzen/ Und wenn sie gleich bißweilen schertzen/     Daß mancher meint es ist vorbey/     So halten sie doch Wort und Treu/ Und solt es gleich ein bißgen heimlich schmertzen/ Die Medgens sind doch gut von Hertzen.256

Mit der er das weibliche Geschlecht ausdrücklich in Schutz nimmt. Zuvor war bereits Cephisas Arie Wenn ich wechsel in dem Lieben/ Findestu was Neues dran? Sag! Wer ist beständig blieben? Wechselt doch fast jedermann; Wenig Jungfern sind zu finden Die sich stets an einen binden.257 255 Alceste (1693), Vorbericht., o. S. 256 Ebenda, S. 7. 257 Alceste o.  J. (1680), o. S.

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durch einen Parodietext ersetzt worden, der weiblichen Wankelmut zur Not­ wehr erklärt: Unbeständigkeit im Lieben Wird den Mädgens nachgesagt/ Aber wer ist treu geblieben; Wenn man bey den Männern fragt? Sind wir von der Treu entfernet/ Haben wirs von euch gelernet.258

Auch Rochas dreistrophiges Lied in I/5 ist neu textiert. Statt abermals Pro­ miskuität und Völlerei zu preisen, nimmt Rochas nun die französische Mode der Galanterie aufs Korn und mutiert damit zu jenem Satiriker, als den Feind knapp 15 Jahre später die komische Figur alleine gelten lassen will:       1 Thorheit hat zu diesen Zeiten Sich in solchen Ruhm gebracht/ Daß sie auch bey klugen Leuten Wird der Tugend gleich geacht. Was vor diesem Thorheit voll/ Stehet nun galant und wol.       2 Vormals musten Mädgens schweigen/ Sittsam seyn den gantzen Tag. Aber nun will jede zeigen Was Galanterie vermag Weil sie ihren klugen Geist So galant im Reden weist.259

Schließlich wird aus dem zotigen Brautlied der ersten Fassung       1 Mein Brautle nunmehr ists geschehn/ Weil ihr mit den Gesellen Heut Abend sollt zu Bette gehen/ Wie werd ihr euch anstellen? Die Meisterschaft ist ausgethan/ Der Mann gehört nun oben an.       2 Die Complimenten hören auf So bald man ja gesaget/ Da reuet manche dann der Kauff/

258 Alceste o.  J. (1693), S. 6. 259 Ebenda, S. 8.

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Alceste 1660–1719 Weil man sie nicht mehr fraget: Was sie befehl/ o nein/ o nein! Da heißts/ du must gehorsam seyn.260

bereits in der ersten Strophe zu einem noch immer sehr sinnlichen Loblied auf die Ehe: Es ist das beste Thun der Welt Das Zukker=süsse Freyen. Wer Hochzeit macht und Kindtauff hält Dem wird es nicht gereuen/ Es schmeckt als lauter Marzipan/ Wenn man selb=ander schlaffen kan.261

Als anstößig an den vorherigen Liedern Rochas galten also ganz offenbar nicht die sexuellen Anspielungen, denn die neue Liedfassung ist diesbezüg­ lich noch deutlich expliziter. Was eliminiert wird, ist der Geschlechterkampf. Das galante Ideal ist nicht länger nur Thema der hohen Opernhandlung, sondern hat bereits in die Lebenswelt der Zuschauer so weit Einzug gehalten, dass es einmal persifliert, zugleich aber auch in den Umarbeitungen befolgt wird: Rochas darf als Hanswurst von der Bühne aus fast alles – nur sich nicht über Frauen lustig machen. Hier vollzieht sich bereits, was Menantes und andere ab 1700 als vornehmste Aufgabe der Oper formulieren sollten: eine Schule galanten Betragens zu sein.262 Dessen unbenommen ist und bleibt Rochas drittes Lied schließlich ein derbes Sauflied, mit dem er vor der glücklichen Lösung der Opern nochmals für einen denkbar starken Kontrast sorgt. Eine Figur wie Rochas taugte daher für keinen der anwesenden Opern­ besucher als Identifikationsfigur, noch brachte er eine wie auch immer von der Oper als erstrebenswert dargestellte Volkstümlichkeit zum Besten. Ähn­ lich wie das venezianische und neapolitanische Publikum lachten die bes­ seren und besten Kreise der Hamburger Bevölkerung, die die Vorstellung besuchten, über eine soziale Klasse, die weit unter ihnen lag und sicherlich nur in Ausnahmefällen einen Fuß ins Opernhaus setzte: Indem das adlig-patrizische Publikum die komische Figur protegiert und ihr er­ laubt, seine Normen zu kritisieren und sogar ab und zu in unverbindlicher Weise lächerlich zu machen, zeigt es, wie machtlos diese Kritik und wie unbedingt seine Macht ist.263 260 261 262 263

Alceste o.  J. (1680), o. S. Alceste o.  J. (1793), S. 12. Vgl. Jahn (2005), u.  a. S. 36. Meyer (1984), S. 76.



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Bedenkt man diese, für den Erfolg der Hamburger Opern wenigstens dieser frühen Phase offenbar noch bedeutsame Funktion, wird auch klar, war­um Cephisa, Strato und Lychas als komische Figuren nicht ausreichten: Ihr Diskurs ist in seiner sophistischen Auslegung der Galanterie zu fein und als Confidente von Königen und einer Königin ist ihre soziale Herkunft der des Pu­blikums viel zu nahe, um aus vollem Halse verlacht werden zu kön­ nen. Rochas ist der Hanswurst der Sprechbühne und Franck akzentuiert dies noch, indem er ihn neben den Liedern auch im Rezitativ seine Herkunft enthüllen lässt: In seinem ersten Auftritt in I/5 bringt Rochas den Alexan­ driner der Sprechbühne mit, in den vorübergehend sogar Strato einfällt. Bei Rochas ist sichergestellt, dass niemand im Publikum sich in ihm wiederer­ kennen kann, denn auch wenn er wie seine venezianischen Vorbilder manchen treffenden Kommentar gibt, negiert er sowohl bürgerliche wie adelige Normen. 1707 sollte sich die Frage nach der sozialen Ausrichtung der Oper, die in Venedig knapp 40 Jahre zuvor die Gemüter erhitzt hatte, an der komischen Oper Der angenehme Betrug oder der Carneval von Venedig264 entzünden265, die auf den breiten Bevölkerungsgeschmack zugeschnitten war und eine Reihe ähn­ licher, teilweise mit Plattdeutsch untermischte Stücke wie die berüchtigte Die Hamburger Schlacht-Zeit/ Oder Der Mißgelungene Betrug266 von 1725 präludierte, die noch lange als Schreckensgespenst deutscher Barockopern-Missgeburten durch die Opernkritik geistern sollten. Der Übergriff des Niederen rief nicht nur sofort die ästhetische Kritik etwa Feinds auf den Plan, der beklagte: „die Bauer=Knechte selber“ würden „ihr Geld dahin tragen“267, sondern schließ­ lich die städtische Obrigkeit. Doch dies geschah erst, als die Ständeklausel dergestalt auf den Kopf gestellt wurde, dass nicht mehr die komische Figur als die verlachenswerte dargestellt wurde, sondern beispielsweise die herr­ schende Kaufmannskaste.268 Gerade seine ästhetische Narrenfreiheit macht Rochas Auftritt in der Lei­ chenprozession der Alceste in III/5 zum wohl berührendsten Moment der Oper. Er erscheint in Trauerflor und reiht sich mit einer Arie in den Chor: 264 Musik: Keiser, Text: Meister (Lebensdaten nicht ermittelbar), Mauritz Cuno (?–1712). Vgl. Reinhart Meyer: Hanswurst und Harlekin oder: Der Narr als Gattungsschöpfer. Versuch einer Analyse des komischen Spiels in den Staatsaktionen des Musik- und Sprechtheaters im 17. und 18. Jahrhundert. In: Théâtre, nation et société en Allemagne au XVIIIe siècle. Roland Krebs (Hg.). Nancy 1990, S. 19. 265 Vgl. die ausführliche Besprechung der des Carneval von Venedig und der Hamburger Schlachtzeit als Vorläufer des Lokalsingspiels durch Wolff (1957), S. 75–108. 266 Text von Praetorius, Musik von Keiser. 267 Gedancken von der Opera (1708), S. 104, und vgl.: Meyer (1990), S. 14. 268 Vgl. ebenda, S. 15.

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Alceste 1660–1719 Ach! weine doch du niemals trockner Bach/ Ihr Krebse weint/ die ihr darinnen seyd/ Ihr Frösche weint und ruffet stetig ach/ Ach weinet doch/ beweinet unser Leid.

Die Metapher vom immerwährenden Strom der Tränen nimmt Rochas wört­ lich und bevölkert sie mit dem dazugehörigen Getier. Für Wolff gab es keinen Zweifel, dass die Arie den tragischen Affekt der Szene kontrastieren und ins Komische verkehren sollte.269 Ob das tatsächlich der Fall war, ließe sich am besten mit Hilfe der Vertonung entscheiden. Dagegen spricht allerdings die Reaktion des Chores: Etliche zerreissen ihre Kleider/ andere reissen die Haar aus/ und den Zierrath (…) zerbrechen sie vor dem Altar (vor der Alcestis Bildnis) Last uns des Zierraths stoltzen Uberfluß Verderben und zerstören/ Und last ohn Unterlaß die neue Klagen hören/ Daß unsrer Thränen=Bach stets rinnen muß.

Anders als an früherer Stelle wird Rochas hier nicht unterbrochen und gerügt, der Chor greift sogar sein Bild vom Tränenbach auf; und Rochas schließt die Szene: Ach weine doch du Nase/ Hand und Fuß. Zerreißet alles was er hat/ sampt Peruque und Kragen270

Rochas Trauer um Alceste ist hier zweifellos genauso echt wie die der übri­ gen Anwesenden. Der Hanswurst reiht sich in den Trauerzug ein und behält nicht nur seine Sprache, ihm gelingt sogar der herzzerreißendste Ausdruck, weil er an kein Decorum gebunden ist. Wolffs Verweis auf das Vorbild der Clowns bei William Shakespeare (1564–1616), dessen Stücke im norddeut­ schen Raum durch fahrende Truppen in Wanderbühnenfassungen verbreitet wurden, weist daher durchaus den richtigen Weg, aber eben im Sinne einer kontrastierenden, den Affekt der Szene durchaus nicht negierenden Komik. Wie qualitätvoll Francks Partitur gewesen sein muss, beweist nicht zuletzt die Wiederaufnahme nach mehr als zehn Jahren und nachdem Franck Hamburg längst verlassen hatte. Es ist sicherlich kein Zufall, dass diese unter Con­ radi erfolgte. Conradi gehört mit Kusser zu den Vermittlern der Tragédie lyrique in Deutschland, und beide hatten Franck bereits in Ansbach beerbt.

269 Vgl. Wolff (1957), S. 148. 270 Alceste o.  J. (1680), o. S.; (1693), S. 28–29.



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Wahrscheinlich unter Conradis Leitung wurden dort 12 Werke Lullys aufge­ führt, darunter möglicherweise sogar Alceste ou le triomphe d’Alcide,271 und auch in Hamburg gelangten unter seiner Leitung zwei Opern von Lully auf die Bühne, 1689 Acis et Galathee (1686) und 1693 die letzte, von Pascal Colasse (1649–1709) vollendete Oper Lullys Achille et Polixène (1687).272 Offenbar war er froh, mit Francks Partitur ein Werk vorzufinden, das die Tragédie lyrique für Hamburg adaptiert hatte und darüber hinaus mit der Verbindung ve­ nezianischer, französischer und deutscher Traditionen sehr ähnliche Wege beschritt, wie Conradi selbst in seinen Opern.273 Nachfolger Conradis an der Hamburger Oper wurde 1695 Kusser (Cousser). Kusser war vermutlich bereits in Ansbach mit Conradi bekannt gewesen, nachdem er zuvor von 1674 bis 1680 in Paris gelebt hatte und dort direkt von Lullys ausgebildet worden war.274 Kusser ist die zentrale Figur, was die Vermittlung nicht nur der französischen Oper, sondern vor allem der französischen Orchesterspielweise in Deutschland angeht. 1690 war er als Kapellmeister an das neu eröffnete Operntheater in Braunschweig beru­ fen worden, 1694 übersiedelte er nach Hamburg. Auch wenn seine direkte Leitung der Hamburger Oper nur für das Jahr 1695 festzumachen ist, wur­ den Opern aus seiner Feder dort als Übernahmen aus Braunschweig bereits seit 1693 gespielt. 1695 folgte ihm bereits Keiser im Amt nach. Doch geht die Vorbereitung einer weiteren Alceste unter dem Titel Der siegende Alcides (1696) auf der Hamburger Bühne sicherlich noch auf Kusser zurück, und Keiser übernahm sie dankbar neben Opern von Steffani aus Hannover, um seine ersten Jahre zu füllen, ehe er die Oper für zehn Jahre vor allem mit eigenen Kompositionen versorgte. Die Partitur des siegenden Alcides ist ver­ schollen. Herbert Schneider hat jedoch nachweisen können, dass es sich bei dem Libretto um eine singbare Übertragung von Quinaults Text ins Deut­ sche für Lullys Musik handelt.275 Der Übersetzer ist nicht überliefert, doch ist es sicherlich nicht Mauro, der Italiener war (und zum Umfeld der italieni­ schen Alceste-Übertragung gehört)276, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach Postel. Der Übersezter hat sogar den Prolog liebevoll Hamburger Verhältnis­ sen angepasst. Es erscheint die Nymphe der Alster, die das Verfließen des menschlichen Lebens betrauert und die Ehre anklagt, „[d]aß du uns aller Lust beraubst/ Ja was Ergötzung sich läst nennen/ Gar selten/ oder nie 271 Genaue Aufführungsdaten und damit ein letztgültiger Nachweis fehlen allerdings. Vgl. Brock­ pähler (1964), S. 34–36. 272 Vgl. ebenda, S. 201–202. 273 Beispielsweise in Ariadne (1691). 274 Vgl. MGG², Bd. 10, Sp. 907. 275 Ders: (2006), S. 133. 276 Vgl. Brockpähler (1964), S. 203.

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erlaubst“277, worauf die Ehre sich gegen den Vorwurf verwahrt, sie „sey der Freude Feind“ und vorschlägt, ein Schauspiel zu geben, „[w]ie sich Alcides zwar die Liebe ließ entzünden/ Und dennoch sie besiegt mit Kühnheit voller Brust“278 um damit zu zeigen, wie Ehre und Lust zusammengehen können – ein Motiv, das viel später in Metastasios Bearbeitung der Fabel von Herkules am Scheideweg wiederkehren sollte. Bemerkenswert ist, wie der Librettodruck von 1696 der musikalischen Eigenart der Tragédie lyrique gerecht zu werden trachtet, nach der die Arien sich weniger stark aus dem Rezitativ abheben. Sie erscheinen im Druck ohne den sonst üblichen Einzug oder eine Leerzeile, sondern sind lediglich etwas fetter gedruckt. Die umfangreichen Ballette wurden offenbar gestrichen. Die von Schneider rekonstruierte Fassung einer singbaren deutschen Überset­ zung markiert eine rare Ausnahme innerhalb der gängigen Praxis, ein Li­ bretto zu übernehmen und mit einer neuen Vertonung auszustatten. Die französische Tragédie lyrique bildete vor allem in der Frühphase der deutschen Barockoper eine bedeutsame Anregung. Im Bestreben, in Ham­ burg und Norddeutschland aus den mitunter improvisierten Gegebenheiten eine eigene Operntradition aufzubauen versammelten die Komponisten, die oftmals selbst nur wenig eigene Opernerfahrung hatten, alle Formen und Vorbilder, die ihnen zugänglich waren und realisierbar schienen. Da die italienische Oper vom Ende des 17. Jahrhunderts mit ihren bereits hohen sängerischen Anforderungen auf die Hamburger Bühne nicht ohne Weite­ res übertragbar war, bot sich das Modell der französischen Oper offenbar besonders als Alternative an. So ist vielleicht nicht verwunderlich, dass die an sich älteste und via Hannover eng mit dem norddeutschen Raum ver­ bundene italienische Stofftradition der Antigona delusa da Alceste erst 1693 den Weg in die deutsche Sprache fand, und dies fernab von Hamburg – in Leipzig.

3.3.3  Alceste und die Leipziger Dramaturgie – Transformationen einer venezianischen zur deutschen Barockoper In dem Komponisten der einzigen deutschen Adaption von Aurelis Alceste-­ Libretto traf sich die norddeutsche Barockoper mit der venezianischen Ausrichtung der Hannoveraner Fürsten. Nikolaus Adam Strungk wurde 1640 in Braunschweig geboren und gehörte zu den besten Violinisten sei­ ner Zeit. Um 1660 erhielt er zunächst eine Anstellung in Wolfenbüttel, dann an der Hofkapelle in Celle und siedelte 1665 nach Hannover über, wo er 277 Alceste (1696), A 3. 278 Ebenda.



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neben Sartorio wirkte. Die italienische Oper lernte er u. a. bei einer Wi­ en-Reise 1661 und 1662 kennen. 1679–1682 war er Dom-Musikdirektor in Hamburg und steuerte in dieser Zeit auch dem Spielplan der Gänse­ marktoper eine Reihe von Opern bei. 1682 ging er als Hofkammerkom­ ponist zurück nach Hannover und begleitete seinen Dienstherrn 1685 bis nach Venedig. Wegen unerlaubter Abreise im April 1686 wurde er jedoch aus dem Dienst entlassen. Nach einem erneuten Aufenthalt in Wien wurde er 1688 Vizekapellmeister der Dresdner Hofkapelle. 1692 erhielt er vom sächsischen König Johann Georg IV. (1668–1694) das Privileg, während der Leipziger Messe Opernaufführungen zu veranstalten.279 Der Hinter­ gedanke seines Dienstherren war wohl, dass das Strungk’sche Unterneh­ men den einen oder anderen brauchbaren Musiker auch für die eigene Hofkapelle erziehen würde.280 Wenigstens für die Sängerschaft traf diese Hoffnung zu. Eine Reihe profilierter Sänger (und Komponisten) sammelte an der Leipziger Bühne erste Erfahrungen oder machte dort Station. Dar­ unter Schürmann, Telemann, Samuel Ernst Döbricht, Fasch, Heinichen, Johann Paul Kuntzen (1696–1757) und natürlich die Töchter Strungks. Eine zentrale Rolle in der Ausbildung spielten die Thomaner Sängerknaben und die Chance für sängerisch versierte Studenten, sich auf der Opernbühne etwas dazuzuverdienen.281 Wie in Hamburg war die Leipziger Oper ein rein privates Unternehmen, das Strungk binnen kürzester Zeit in den Ruin trei­ ben sollte, aber seinen Spielbetrieb bis 1720 aufrechterhielt. Theologische Einwände gegen die Oper wie im Hamburger Opernstreit scheint es in Leipzig dagegen nie gegeben zu haben.282 Das rasch eingerichtete Theater283 wurde von Girolamo Sartorio (?–1707) gestaltet, der auch das Hamburger Opernhaus erbaut hatte und den Strungk noch aus Hannoveraner Zeiten kannte.284 Dabei musste es offenbar so zügig wie ökonomisch zugehen, denn Feind nennt das Theater später das „pauverste“285 – armseligste der deutschen Opernhäuser. Es wurde bereits 1693 mit einer Oper eröffnet, die Strungk aus Hannover mitgebracht hatte, und die nun mit einem deutschen Text und einer ihm angepassten Vertonung versehen wurde – aus L’Alceste wurde Alceste. Norbert Dubowy hat stichprobenartig die starke Abhängigkeit des Leipziger Opernunternehmens von der italienischen, insbesondere venezia­

279 280 281 282 283 284 285

Zur ausführlichen Darstellung der Leipziger Oper vgl. Maul (2009), Bd. 1, S. 201–229. Vgl. Heinrich Blümer: Geschichte des Theaters in Leipzig. Leipzig 1918, S. 440. Vgl. Blümer (1918), S. 451–463. Vgl. ebenda, S. 469. Für die ausführliche Darstellung vgl. ebenda, S. 441–445. Vgl. Dubowy (1994), S. 34. Vgl. Gedancken von der Opera (1708), S. 89.

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nischen Oper aufgezeigt.286 Demnach handelt es sich bei vielen Stücken, wie bei der hier untersuchten Alceste, mindestens beim Textbuch eher um Adap­ tionen, weniger um Bearbeitungen. Auch in der von Dubowy untersuchten Oper Agrippina (Leipzig 1699)287 ist gegenüber dem venezianischen Vorbild Nero fatto Cesare (Venedig 1693)288 die hervorstechende Änderung die erneut verstärkte Rolle der komischen Figur.289 Die Gründe für diese Abhängigkeit dürften vielfältig sein, doch scheint die unmittelbare Konkurrenz zu Ham­ burg und Dresden entscheidend. Dresden mit seiner Hofoper bot einem einigermaßen mobilen (Messe-)Publikum echte italienische Oper, weshalb Strungk in Leipzig vermutlich mit diesem Typus konkurrieren musste und dies tat, indem er neben Erfolgsstücken aus Hamburg und Braunschweig dieses Genre in deutscher Sprache anbot.290 Für die Leipziger Alceste fand Strungk in dem Thomasschulehrer Thy­ mich einen Librettisten, der den Text Aureli/Mauros als deutsches Libretto bearbeitete. Die Anrede an den „Hochgeneigte[n] Leser“ im Textbuch nennt ausdrücklich den „Chur=Sächs. Capell-Mr. Hr. N.A.Str. als Urheber“.291 Ent­ sprechend unverständlich ist, dass Alceste noch immer weithin292 mit Fran­ cks Fassung verwechselt wird. Thymichs Frau Anna Catharina293 war eine begabte Sängerin, die die Titelpartie der Alceste übernahm,294 nachdem sie zuvor schon am Hof zu Weißenfels gewirkt hatte,295 wo Alceste noch im sel­ ben Jahr unter dem Titel Hercules auf den Spielplan gesetzt wurde.296 Auch Strungks Töchter sangen in dem neuen Unternehmen und damit standen in Leipzig früher Frauen auf der Opernbühne als in Hamburg. Noch Wieland hob lobend hervor, dass nicht nur niemand Anstoß daran nahm, sondern es nicht einmal als despektierlich galt für die Frau eines Lehrers.297 286 287 288 289 290

291 292 293 294 295 296 297

Vgl. Dubowy (1994), S. 23–46. Libretto: Christian Ludwig Boxberg (1670–1729). Musik: Giacomo Antonio Perti (1661–1756), Text: Noris. Vgl. Dubowy (1994), S. 38. Erst ab 1709 sollte sich auch in Leipzig die Sitte italienischer Einlagearien durchsetzen. Vgl. Gustav Friedrich Schmidt: Die älteste deutsche Oper in Leipzig am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts. In: Festschrift zum 50. Geburtstag von Adolf Sandberger. Überreicht von seinen Schülern. München 1918, S. 213. Paul Thymich: Alceste, in einer Opera mit Chur=Fürstl. Sächs. Gnädigster Bewilligung auff/ Dem neu=erbauten Schau=Platze zu Leipzig in der Oster=Messe des 1693. Jahres fürzustel­ len. Dresden 1693, Vorbericht, o. S. U. a. in MGG², Bd. 16, Sp. 213. Lebensdaten unbekannt. Wie bereits Erdmann Neumeister berichtet. Ders: De Poëtis Germanicis (1695/1978). Vgl. ferner: Blümer (1918), S. 447. Vgl. Bümer (1918), S. 447. Vgl. Brockpähler (1964), S. 376. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 104. Allerdings musste sich Frau Thymich doch vermut­ lich aus diesem Grund bald von der Bühne zurückziehen.



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Unter der Überschrift „Inhalt“ gibt Thymich eine leicht gekürzte, sonst aber weitgehend getreue Übersetzung von Aurelis Argomento mit der ein­ zig wesentlichen Änderung, dass er Meraspe vom Erzieher zu Antigonas Großvater promoviert. An die Stelle des originalen Prologs, einem für die venezianische Oper der 1660er Jahre typischen Streitgespräch zwischen den Allegorien von Frieden, Musik, Freude und Wut gepaart mit Apollo und ­einem Choro d’Amorini, tritt in Leipzig als „Vorrede“ ein kleines Vorspiel, in dem Cupido das Theater eröffnet und Johann Georg weiht. Obgleich die Übersetzung dem Original recht genau folgt und manch­ mal sogar die Arien an derselben Stelle stehen, entfernen sich doch die Verse in Metrum und Quantität so weit vom italienischen Libretto, sei es der vene­ zianischen von 1660 oder der Hannoveraner Fassung, dass eine Übernahme der Musik höchstens in Ausnahmefällen denkbar ist, ganz unabhängig von der Frage, ob Strungk als alleiniger Urheber oder teilweiser Urheber der Hannoveraner Aufführungen von 1679 und 1681 in Frage kommt. Dies gilt besonders für die Arien, die sich mit ihrem vorherrschend liedhaften (regel­ mäßig vierhebig-trochäischen) Metrum und der Strophenform kaum je mit Verslänge und Metrum des italienischen Textes als austauschbar erweisen, was aber die Voraussetzung für eine Parodie298 wäre. Grundsätzlich muss auf Grund dieser Befunde überdacht werden, ob hier überhaupt von der Übernahme einer Oper gesprochen werden kann, da es sich wahrscheinlich um komplette Neuvertonungen handelte. Übernom­ men wurde eigentlich nur das Libretto. Dieses bleibt jedoch, vom metrischen Wandel in der Übersetzung abgesehen, erstaunlich konstant.299 So konstant, dass für die beiden italienischen Fassungen die Frage, wer nun tatsächlich die Texteinrichtung in Hannover erledigte (ob Mauro oder Montalban) beinahe vernachlässigt werden kann. Die eigentlich naheliegende Annahme, dass Strungk für seine Eröffnung ein Werk auswählte, das bereits vorlag und das bereits anderswo seine Erfolgstauglichkeit bewiesen hatte300, muss nach der vergleichenden Analyse der Libretti also zugespitzt werden. Die Übernahme eines Erfolgsstückes bezog sich lediglich auf die Trägersubstanz der Oper. Wiederaufgeführt wurde nicht die Oper als Partitur, sondern das Libretto.301

298 Unterlegung eines neuen Textes unter eine vorhandene Melodie. 299 Vgl. die vergleichende Analyse der italienischen Texte durch Woyke (2008, S. 122–124), die vor allem eine zunehmend verallgemeinernde Tendenz in den Arien festgestellt hat, die wohl mit der Entwicklung der emblematischen Arie im Zusammenhang stehen dürfte. 300 Dubowy (1994), S. 34–36. 301 Da auch die Musikwissenschaft häufig vor allem die Libretti zur vergleichenden Analyse heran­zieht (weil Partituren seltener überliefert und schwerer zugänglich sind) ist dies ein Befund mit weitreichendem Irritationspotential. Ein aktuelles Beispiel für die Bedeutung des Librettos für die musikwissenschaftliche Analyse ist die Arbeit von Saskia Maria Woyke, die

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Thymich setzte im Libretto die inzwischen kanonischen Strukturen der italienischen Oper weitaus deutlicher um, als dies noch gut zehn Jahre zuvor Franck in seiner Fassung getan hatte. Genau die Hälfte der Szenen schließt direkt mit einer Arie bzw. besteht ohnehin nur aus einer einzigen. In den ver­ bleibenden steht häufig eine Arie am Ende, auf die nur noch wenige Zeilen Rezitativ folgen. Insgesamt ist die Arienverteilung jedoch sehr ungleichmä­ ßig. Manche Szenen haben ein Verhältnis von Rezitativ- zu Arientext von an­ nähernd 50 : 50, dann wieder folgen lange Rezitativstrecken, teilweise meh­ rere Szenen hintereinander, ohne eine Arie. Die Szene, in der Admetus vom Selbstopfer der Alceste erfährt und befremdlicher Weise seinem Schmerz nicht in einer Arie Ausdruck zu verleihen vermag, sticht hervor. Vielleicht war aber ein Teil des Rezitativs auch als Accompagnato gesetzt. Auch diese Alceste zeigt zaghafte Ansätze zu einer Verbindung von franzö­ sischer und italienischer Oper. Als sich Hercules in I/2 von dem siechen Admetus verabschiedet, wird dem Libretto eine längere (accompagnato?) Rezitativpassage eingefügt, wie sie in der französischen Oper üblich ist, um den Helden, also Hercules, zu etablieren und die zu einer bereits in der Han­ noveraner Fassung vorhandenen Arie auf die „Ruhm=Trompeten“ führt. Auch dass Alceste, die in der Besetzung ausdrücklich als Admetus’ Gemahlin aufgeführt wird, ihn in ihrer Arie in I/4 mit „Bräutigam“ anredet, dürfte eher Quinaults Betonung eines ganz frischen Eheglückes als der Flüchtigkeit des Librettisten geschuldet sein. Anders als bei Aureli, der im Geiste Euripides’, Admeto das Orakel selbst berichten ließ, spricht bei Thymich wie in Hanno­ ver 1681 und achtzig Jahre später bei Gluck eine Statue Apollos. Von Aureli ererbt sind hingegen eine Reihe komischer Figuren. Thymich und Strungk haben die Reihe der komischen Figuren um Lillus, einen Pagen der Alceste und eingeschobene Szenen in I/6 und II/6 erweitert. Dort bekommt Orindus von der Hofdame Eurilla einen Korb, was er in seiner Arie damit kommentiert, dass dies das übliche Verhalten einer Spröden sei, die nur seine Kunst des Werbens weiter herausfordern wolle. Worauf Lillus im folgenden Auftritt ebenfalls in einer zweiteiligen Arie in vierhebig-trochäischen Versen, also wohl auf dieselbe Melodie, das Werbungsverhalten eine Stufe weiter dekliniert, dass nämlich die Frauen vor allem darauf achten, einen reichen Mann zu bekommen (was Orindus offenbar nicht ist).302 Dass Eurilla und der „tessalische Cavalier“ am Ende doch zusammenkommen, zeichnet sich allerdings bereits in I/10 ab, wenn sie ein Duett singen, das zwar zum Inhalt hat „Meine Brust kann dich nicht über weite Strecken mit dem Libretto argumentiert, dieses aber ganz selbstverständlich mit dem Komponisten (Ziani) assoziiert. 302 Alceste (1693), S. 37–38.



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lieben“303, doch über die Duettform bereits jene Harmonie (und Überein­ stimmung des Standes) verrät, die beide am Ende nicht nur wie bei Aureli versöhnt, sondern in der Schlussszene als drittes Brautpaar zusammenführt. Die Duettform ist in dieser Oper eine Seltenheit; das zweite Duett singen Al­ ceste und Hercules (!), das dritte Admetus und Antigona, unmittelbar bevor sie wieder getrennt werden. Bei den hohen Paaren ist es also eine Signatur innerer Harmonie und äußerer Trennung. Lillus, der Page Alcestes und Lesbus, „des Königs Liebling“ sind wie Zwillinge als entlarvende Kommentatoren der hohen Handlung, die sich ungestraft lauthals über die Zumutung des Orakels auslassen oder Alcestes Opfer als „Thorheit ohn Exempel“304 bezeichnen dürfen. Bereits Wieland hatte sich über Lillus respektloses Couplet empört, Wie viel Männer in der Stadt Stellten sich wohl kranck und matt/ Hätten sie nur einen Bürgen/ Daß sich ihr verdrießlich Weib Auch einmahl zum Zeit vertreib Mit Alcesten möcht’ erwürgen.305

der nicht wissen konnte, dass der Text schon im italienischen Original steht, dort bezeichnenderweise vom Dienerbass Lesbus im Wechsel mit dem Pagen Orindus gesungen,306 und durch Thymich nur noch pointiert wird. Im Ge­ genzug sagt Lesbus (weil er seinen Herren kennt?), als Admetus in II/12 das Bildnis der Antigona sieht, sofort voraus, was kommen muss: „Nun wirds ihm bald gereuen/ Daß er/ Alcesten zu befreyen/ Den Hercules zum Ache­ ron geschickt.“307 Alceste und Hercules bilden auch in dieser Fassung das Heldenpaar. Abgesehen von ihrer raschen Neigung zur Eifersucht (zu der sie aber auch allen Grund hat) ist Alceste eine integere Heldin. Antigona bildet eine weit­ gehend würdige Gegenspielerin, doch ist ihre Zuneigung zu Admetus eher ein Besitzanspruch, den sie nicht aufgeben möchte, als eine Herzensneigung. Admetus hingegen ist ein lächerlicher Charakter. Seine Affekte mögen zwar jeweils echt sein in dem Moment, in dem er sie äußert, doch er liefert sich ihnen vollständig aus, und so bleibt von seinen Gefühlen vor allem das der Selbstliebe übrig. Seine Trauer über Alcestes Tod mag aufrichtig sein, seine hyperbolische Klage „Räumt dieses Jammer=Bild hinweg/ Und endet mei­ 303 304 305 306 307

Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 24. Antigona delusa (1660), S. 34, und Antigona delusa (1681), S. 23–24. Alceste (1693), 42.

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nen Lebens=Zweg [Zweck]  :“ entlarvt er selbst bei sich „Doch nein/ es möchte mich gereuen/ (Ich will mein Liebstes Hertz/ Ich will noch länger leben./ Und auch dem Tode wiederstreben“308). Wahrscheinlich bleibt ihm als einem Heuchler deshalb in dieser Szene eine Arie vorenthalten. Alceste wieder aus dem Orkus zu befreien ist hier kein Angebot Hercules’, sondern ein Befehl des Königs, doch bleibt Hercules die Lichtgestalt des Stückes, wird noch über Aureli hinausgehend als ruhmvoller Held etabliert und konnte folglich als bereitwilliger Helfer in der Not309 bei der Weißenfelser Über­ nahme zum Titelhelden der Oper werden. Als Hercules – auf Alcestes Bitte hin – gegenüber Admet behauptet, er habe Alceste in der Hölle nicht finden können, weil sie wohl sofort in die elysischen Felder übersiedeln durfte, ist Admets Antwort „Antigone/ Glück/ Himmel/ Höll’ und Liebe/ Vermin­ dern dein bißher’ges Weh.“310, was so viel heißt wie „Gott sei Dank“ und Hercules trocken kommentiert „Es scheint/ daß sich kein Mensch allhier betrübe.“311 Neben Alceste und Hercules bleibt Trasimede die dritte halbwegs sym­ pathische Gestalt, was sich in Venedig und Hannover bereits in der Stimm­ lage als Mezzosopran/Alt niedergeschlagen hatte.312 Zwar ist er weiterhin der Urheber der Intrige, doch ist die Ursache dafür nicht Niedertracht oder Machtgier, sondern eine bis zum Wahnsinn gehende Verliebtheit,313 die alle verübten und versuchten Schandtaten (bis hin zum versuchten Bruder- und Königsmord!) verzeihbar macht. Auch in Leipzig blieb das anarchische Po­ tential der venezianischen Oper erhalten, dass er dabei noch nicht einmal lernen muss, seine Affekte zu beherrschen (wie dies später Metastasios Lieb­ lingsthema werden sollte), sondern er für seine Treue oder Halsstarrigkeit am Ende mit Antigonas Hand und einem Königreich belohnt wird. Die Arienformen des Librettos variieren zwischen einsätzigen Arien mit oder ohne Rahmen, zweiteiligen und dreiteiligen Arien. Ein regelrechtes Da capo ist weder vermerkt, noch aus dem Druck ersichtlich.314 Die mehrteiligen Arien sind strophisch und wurden möglicherweise auf eine wiederkehrende 308 Alceste (1693), S. 23. Im Druck fehlt die schließende Klammer. 309 Der selbst in der Unterwelt stets freundlich ist, so dass Clotho sofort seinem Charme erliegt und Alcestes Lebensfaden wieder anknüpft. Lediglich die Furien, die die wie Prometheus an einen Felsen geschmiedete Alceste gepeinigt hatten, bekommen seine Keule zu spüren. 310 Ebenda, S. 56. 311 Ebenda. 312 Was einigermaßen ungewöhnlich ist. Junge, in ihrer ersten Liebe unzurechnungsfähige Prin­ zen wurden (sofern Kastraten vorhanden waren) bevorzugt als (hohe) Soprane portraitiert. Etwa Nerone in Händels Agrippina (Libretto: Vincenzo Grimani) 1709 oder Adelberto in Antonio Lottis Teofane (Libretto: Palavincino), Dresden 1719. 313 Das Motiv des Wahnsinns aus Liebe findet sich auch in Cavallis La Didone bei Jarbas, der ebenfalls am Ende mit Didos Hand für seine Anhänglichkeit belohnt wird. 314 Etwa durch die charakteristische Unterteilung der beiden Versteile.



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Melodie gesungen,315 wie etwa Antigonas eher seltenes Beispiel für eine Arie mit variablen Verslängen in I/4.316 Die meisten Arien haben vierhebig tro­ chäisches Metrum. Selbst Alcestes und Antigonas große Einzelszenen317 ver­ wenden diese liedhaften Verse. Die Chöre aus der Vorlage fehlen, vermutlich aus finanziellen Gründen. Stattdessen stehen zwei Ballette formal am Schluss des ersten und zweiten Akts, die jedoch offenkundig eine Konvention sind und keinen weitergehenden Bezug zur Handlung haben. Das pastorale Ele­ ment wird auch inhaltlich weiter zurückgedrängt, indem sich die Schäfer der Vorlage in Jäger verwandelt haben (I/19).318 Wieland schickt seinem Kommentar entschuldigend voraus „Von der Poesie des Styls und von der Sprache des Originals kan ich nichts sagen, da ich es nur aus der vor mit liegenden Übersetzung eines Ungenannten kenne“319, um sich dann wie bei Francks Alceste mit den Entgleisungen der komischen Figuren zu befassen. Seine strukturelle Kritik an dem Libretto setzt jedoch tiefer an. Au r e l i o Au r e li scheint bey Entwerfung seines Plans nichts angelegners gehabt zu haben, als in seinen Zuschauern nicht den Schatten eines Zweifels zu erwecken, als ob er die Alceste des Euripides kenne. Das ganze Stück hat von Anfang bis zu Ende, die Nahmen ausgenommen, nicht den mindesten Geschmack von dem Lande und der Zeit, woraus die Begebenheit genommen ist. Admet, Alceste, und alle übrige Personen dieser Oper sind Leute aus einer anderen Welt, […] Sie emp­ finden, reden und handeln nach ganz andern Naturgesetzen, als wir armen Erden­ bewohner. Die Dichter dieser wundervollen Schauspiele verdienten den Nahmen der Schöpfer in einem viel höhern Sinne, als Homer oder Sophokles. Diese bilden ihre Personen nach den Menschen, welche GOtt geschaffen hat; jene bringen We­ sen von ihrer eigenen Erfindung hervor; Geschöpfe, die uns zwar zu wenig ähnlich sind, um uns i n tereßieren zu können, aber eben dadurch desto geschickter sind, uns in E r s t a u n en zu setzen […]. Das E i n f a ch e im Plan würde in den Augen dieser seltsamen Schöpfer ein eben so grosser Fehler gewesen seyn, als das Natürliche in der Ausführung.320

Da Wieland selbstverständlich an das Libretto dieselben Qualitätskriterien anlegt wie an jede andere Gattung der Literatur, folgt seine Kritik einem Dreischritt. Dass Wieland, dessen Alceste man ebenfalls keine besondere 315 Wolff beschreibt allerdings am Beispiel von Strungks Esther aus dem Jahr 1680 die Technik durchkomponierter Strophenarien, die die Melodie bei den verschiedenen Strophen variieren. Vgl. Wolff (1957), S. 207. 316 Alceste (1693), S. 35. 317 In I/5 (S. 15) und I/16 (S. 25). 318 Alceste (1693), S. 30. 319 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 91. 320 Ebenda, S. 90.

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Nähe zu Euripides vorwerfen kann, Aureli zuerst dafür kritisiert, sich vom griechischen Original weit entfernt zu haben, mag verwundern, zumal er auf die ausführliche Rechtfertigung des (auch in der Übersetzung vorhan­ denen) Argomento mit keiner Silbe eingeht. Die bloße Abweichung vom griechischen Original an sich ist es denn auch nicht, was Wielands Unmut hervorruft, sondern dass an dessen Stelle kein ebenbürtiger Ersatz geliefert wird, die Figuren der emotionalen Disposition der Zuschauer, wenigstens des späteren 18. Jahrhunderts, nicht näher, sondern eher ferner werden als die antiken Figuren Euripides’. Schließlich steht die auf die Erzeugung kontrastierender Affekte aus­ gerichtete Handlungsführung Aurelis mit ihren zahlreichen Intrigen und Verwicklungen Wielands für Alceste (1773) entworfener Dramaturgie eines Singspiels, das mit wenigen, auf die tiefe Erschütterung des Zuschauers aus­ gerichteten Situationen auskommt, diametral entgegen,321 indem die (komi­ schen) Figuren „mit einer angenehmen Abwechslung, welche den Zuschauer, wenn es auch möglich wäre gerührt zu werden, keinen Augenblick in einem so beschwerlichen Gemüthszustande schmachten lassen.“322 Die venezianische Operndramaturgie Aurelis, nach der dieser Alceste zum Anlass für einen parodistischen Bilderbogen über die Laster und Schwä­ chen des Menschengeschlechts nutzte, ist für Wieland nicht nur das denkbar entfernteste Gegenüber zu seiner Auffassung von dem Stoff als Märtyrertra­ gödie,323 sondern lässt ihn die Reform herbeizitieren, die diesem Treiben ein Ende bereitete. Das Singspiel, oder die sogenannte Opera, war zu der Zeit, da Aurelio Aureli für einen grossen Operndichter paßierte, von der Würde, wozu es durch Apos­ t o l o Z e no und Pietro Metastasio erhoben worden ist, noch unendlich weit entfernt. Es war eine Art von Raritäten- K asten […] wo die Sinnen immer auf Unkosten des Menschenverstandes belustiget und das Wahrscheinliche, Anständige und Schickliche, eben so sorgfältig vermieden wurde, als ob es mit dem Wesen der Opera nicht bestehen könnte.324

321 Vgl. dazu die ausführliche Besprechung im vierten Teil. 322 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 91. 323 Wobei er übersah, wie sehr auch Aureli die Tragödie einer Märtyrerin geschrieben hat – einer, die feststellt wie schnell ihr Opfer im Angesicht einer undankbaren Menschheit vergessen wird. 324 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 90.



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3.4  Reformoper im teutschen vermischten Geschmack – Johann Ulrich König und Georg Caspar Schürmann Die getreue Alceste (1719) 3.4.1  Die Königin reformiert sich Die Oper ist per se eine Gattung im permanenten Umbau, die einmal ent­ wickelte Formen und Strukturen spätestens nach zehn Jahren variiert oder durch neue ersetzt. Doppelt verwunderlich ist daher, dass sich über dieses Perpetuum mobile des Wandels in der Operngeschichte noch eine Serie von Opernreformen legt. Im 18. Jahrhundert fanden gleich zwei dieser größeren Zäsuren statt, in denen die Autoren der Oper den aus dem Ruder gelaufe­ nen dezentralen Umbauaktionen durch Sänger, Publikum und Mäzene durch eine systematische Restrukturierung mit Blick auf die Ideale der Alten zu begegnen suchten. Die erste dieser Reformen, an deren Ende die Opera seria Zeno und Metastasios steht,325 firmiert in Musikwissenschaft und Opern­ forschung weithin unter Begriffen wie neapolitanische Schule oder neapoli­ tanische Opernreform, nach der neapolitanischen Komponistenschule um Alessandro Scarlatti (1660–1725). Der Begriff stammt aus der Zeit einer Opernforschung, die dem Kom­ ponisten das uneingeschränkte Primat für den Phänotypus einer Oper bei­ maß und harrt dringend einer kritischen Überprüfung.326 Scarlatti, der über­ strahlende Komponist der ersten Reform, stand von 1684 bis 1702 und 1708 bis 1717 als maestro di capella in den Diensten des Viezekönigs in Neapel, doch schrieb er auch für das römische Patriziat und war in die venezianische Musikkultur eingebunden. Von ihm stammt die Einführung der dreiteiligen Sinfonia (Ouvertüre) in der Form schnell–langsam–schnell, die weitgehende Trennung von Rezitativ und Arie, die langsame Abkehr von der strophischen Arie hin zur Da capo-Arie und die feine psychologische Ausdeutung des Librettos. Gleichwohl fügte Scarlatti noch lange komische Szenen in seine Opern ein, die ein zentraler Kritikpunkt der Reformautoren waren. Scarlatti bezog seine Anregungen aus der venezianischen Opernkunst von Monte­ verdi, Cavalli und Legrenzi,327 die allesamt vorwiegend in Venedig gewirkt hatten, vor allem aber stammten seine Libretti aus Venedig. Der begriff­liche Bezug auf Neapel ist doppelt irreführend, da die erste Opernreform in be­ 325 Vgl. Metastasio im Deutschland der Aufklärung (2002). 326 Die beispielsweise Helmut Hell bereits Ende der 90er Jahre angemahnt hat. In: Metzler Sach­ lexikon Musik. Stuttgart 1998, S. 705. 327 Vgl. Karl H. Wörner: Geschichte der Musik. Ein Studien- und Nachschlagebuch. 8. Auflage. Göttingen 1993, S. 202.

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sonderem Maße eine Librettoreform328 war, die in Venedig begann und spä­ ter in Wien ihr wichtigstes Zentrum fand, wo nacheinander ab 1708 deren Vertreter Silvio Stampiglia (1664–1725), Zeno und schließlich Metastasio als Hofdichter angestellt waren. Sie entstand aus der Unzufriedenheit einer ganzen Reihe von Librettisten mit dem überbordenden satirischen und ko­ mischen Personal der venezianischen Oper, und maßgeblich unter dem Ein­ fluss der französischen Operndiskussion um Quinaults Alceste329 sowie der opernkritischen Schriften Saint Évremonds330. Francesco Fulvio Frugonis (1620–1686) Essay und Musterlibretto L’Epulone erschien bereits 1675 in Venedig. L’Epulone wurde mit seinen fünf umfangreichen Akten nie kom­ poniert und war – beinahe ist man versucht zu sagen: selbstverständlich – zunächst als Leselibretto konzipiert.331 Die Opera seria, wie sie später heißen sollte, strebte als Librettoreform die Rückführung der Oper zum antiken Drama an und wollte ausdrücklich die Dominanz der Musik in der Oper reduzieren, mit dem Ziel einer besseren Balance zwischen dem literarischen und dem musikalischen Anteil der Oper. Zu den Kernstücken der Reform gehört die Eliminierung der lustigen Figuren und vorübergehend eine fünfaktige Aufteilung,332 ferner die Ein­ haltung der drei Einheiten und vor allem eine an der (französischen) klassi­ zistischen Tragödie geschulte Figurenzeichnung. Denn wenngleich sich die Traktate auf die Tragödie der Alten berufen, war das konkrete Vorbild doch stets die französische Tragédie Corneilles und Racines, die als zeitgenössi­ sches Äquivalent der antiken Dichtung galt. Zeno, der gemeinhin als librettistischer Begründer der Opera seria ge­ nannt wird, systematisierte eher diese Ansätze333 der Librettisten334 Girolamo Frigimelica Roberti (1653–1732)335, Adriano Morselli (?–1791), Carlo Sigis­ mondo Capece (1652–1728), Matteo Noris (1640–1714), Francesco Silvani 328 Grundsätzlich waren aber alle Opernreformen Librettoreformen. Das gilt für Gluck ebenso wie für Wagner. 329 Vgl. Freeman, Robert S.: Opera Without Drama. Currents of Change in Italian Opera, 1675– 1725. Princeton 1967/1981, S. 4–6. 330 Vgl. ebenda, S. 5. 331 Ebenda, S. 4. 332 Beispielsweise Frigimelica Robertis Midridate für Scarlatti (Venedig 1707). 333 Vgl. Freeman (1967/1981), S. 93. 334 Die alle bereits in den Jahren 1695 (!) bis 1715 in Braunschweig-Wolfenbüttel aufgeführt wurden. 335 Robertis Libretti entstanden zwischen 1694 und 1708. Sie haben alle fünf Akte, wenigstens der letzte schließt mit einem Chor und Roberti legte besonderen Wert auf die Einhaltung der drei Einheiten – wie er in den Vorreden (in denen er sich als einziger der venezianischen Librettisten auch über seine Vorstellungen vom antiken Drama vertieft) zu seinen Libretti ausführlich begründete – die eine sehr begrenzte Zahl von Szenenwechseln zur Folge hat. Auch er betont die grundsätzliche Tauglichkeit eines Librettos als Lesetext als Signatur seiner Qualität.



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(1660–1728?)336 und Stampiglia.337 Obgleich er als Dichter bereits 1695 mit einem Libretto hervorgetreten war,338 war und blieb Zeno relativ unmusi­ kalisch, zeigte ein bemerkenswertes Desinteresse an den musikalischen Möglichkeiten seiner Libretti und förderte statt dessen deren Aufführung als Sprechdramen, in denen die Arien einfach gestrichen wurden.339 Er, der während seiner Zeit in Venedig kein reguläres Amt innehatte, verdiente sei­ nen Lebensunterhalt und die Mittel, die er für seine humanistischen Samm­ lerinteressen benötigte, mit den Libretti, verachtete aber zugleich diese Tätig­ keit. 1718 wurde Zeno als Hofdichter nach Wien berufen und blieb dort bis 1729, als er von Metastasio abgelöst wurde und sich dankbar nach Venedig zu seiner Münzsammlung zurückzog.340 Zentral für die Verlagerung des Opernschwerpunktes von Venedig nach Neapel und dessen Aufstieg zu einem europäischen Musikzentrum waren erst zu Metastasios Zeit seine Conservatorien, die Schüler aus dem In- und Ausland anzogen. Nicola Porpora (1686–1768) war ab 1715 als Gesangsleh­ rer am Conservatorio S. Onofrio in Neapel tätig und brachte in kurzer Folge mit Carlo Broschi unter dem Künstlernamen Farinelli (1705–1782) und Gae­ tano Majorano als Caffarelli (1710–1783)341 zwei der berühmtesten Gesangs­ kastraten des 18. Jahrhunderts hervor. Erst mit ihrer Gesangskunst wurde die Opera seria genuin ‚neapolitanisch‘. Am 28. August 1720 debütierte Farinelli in einer privaten Aufführung der Serenade Angelica e Medoro auf den ersten vertonten Text eines jungen Dichters, der seinen Namen gerade von Pietro Trapassi in das klangvollere griechisch-lateinische Metastasio übersetzt hatte. Farinelli und Metastasio sollten sich wegen dieses gemeinsamen Debüts stets mit „geliebter Zwillingsbruder“ anreden und über ein achtzigjähriges Le­ ben lang in brieflichem Kontakt bleiben. Nicht zuletzt die Verbindung mit dem besten und berühmtesten Sänger, der seine Texte in den Vertonungen Hasses,342 Porporas und vieler anderer auf den großen Bühnen der Welt prä­ 336 Silvani verabschiedet sich etwa um dieselbe Zeit von den komischen Charakteren wie Zeno. Die Anzahl an Arien in seinen Libretti ist relativ gering und sie stehen vornehmlich am Schluss der Szene. Die Handlung entfernt sich von der reinen Liebesintrige. Vgl. Freeman (1967/1981), S. 105. 337 Obgleich von Zeno einigermaßen gehasst, soll es Stampiglia gewesen sein, der in Wien den Grundstein für die Reform legte, in Wien aber 1718, kurz nach Zenos Ankunft das Feld räumte. Von den einen für die Elimination manieristischer Elemente gerühmt, von den ande­ ren als Vertreter eines kunstlosen Stils kritisiert, fügte er gelegentlich noch komische Szenen in seine Libretti ein. Vgl. ebenda, S. 135. 338 Gli inganni felici, vertont 1696 von Carlo Francesco Pollarolo (1653–1723). 339 Vgl. Thomas Bauman in: Metzlers illustrierte Geschichte der Oper (1998), S. 56. 340 Um nur noch jährlich einen Oratorientext zu produzieren. Vgl. Freeman (1967/1981), S. 31. 341 Der in Dresden und Berlin wirkende Salimbeni und der deutschstämmige Porporino, der die meiste Zeit seines Lebens in Berlin verbrachte, wären noch zu ergänzen. 342 Arbace aus Metastasios Artaserse in der Vertonung von Hasse war Farinellis Paraderolle.

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sentierte, verhalf Metastasios Opera seria ab den 1720er Jahren zum un­ eingeschränkten Siegeszug und machte den Italiener zum meistgespielten Dramatiker des 18. Jahrhunderts, dessen Werke in zahlreichen Werkausga­ ben gedruckt und nach seinem eigenem Bekunden auch als Sprechtheater aufgeführt wurden.343 Die (Star-)Heldensoprane und die Dramaturgie der Opera seria bedingten einander gegenseitig. Waren die (Titel-)Figuren der ve­ nezianischen Oper überwiegend gebrochene Charaktere oder gar regelrechte Despoten,344 schuf die Opera seria den Typus des durch alle Anfeindung des Lebens lauter und aufrecht an Recht, Gesetz und der Geliebten fest­ haltenden Helden, der nach dem Prinzip des Rationalismus am Ende dafür belohnt wird. Während die Primadonnen sich in der venezianischen Oper von Anfang an großer Verehrung erfreuten,345 hatten die Kastraten dort wie beschrieben einen ambivalenten oder gar prekären Status.346 Nun aber traf die inhaltliche Fokussierung auf einzelne, herausragende Individuen und ihre exemplarischen Lebensläufe in einer formal konzentrierten Dramaturgie auf die kunstvoll verzierte solistische Arie und eine atemberaubend virtuose Sän­ gerausbildung. Farinelli verkörperte Metastasios lautere Helden in den Ver­ tonungen der besten Komponisten der Zeit zwischen 1720 und 1737 (also einer relativ kurzen Zeitspanne!) mit einer nie zuvor erhörten Gesangskunst und mutmaßlich auch Sinnlichkeit auf den wichtigsten Bühnen der Welt. 343 Die Befunde für diese Behauptung sind allerdings spärlich. Möglicherweise folgt Metastasio hier eher dem Mythos Zenos. 344 Der Titelheld von Cavallis Giasone, Nerone und die Titelfigur von Monteverdis Poppea und als spätes Echo fast alle Zentralfiguren in Händels Agrippina – um nur einige berühmte Beispiele herauszugreifen. 345 “The Castrato was a favourite butt of sexual satire throughout the seventeenth century“ Ro­ sand (1991), S. 227–236, und vgl. Roselli Singers of Italian Opera, Cambridge 1992, S. 56–70. 346 In Francesco Sacrati/Giulio Strozzis La finta pazza (1641) „The second ‚music‘ scene mixes a similar variety of apposite musical references. Again the Eunuch plays the unwilling singer who, having stopped another song after a single stanza, is accused by the ‚mad‘ Deidamia of castrating canzonette. He himself alludes in various ways to his own ambiguous sexua­ lity, mixing musical and sexual metaphors: references to chords or ducts (corde, as above), to serving as bass in the (sexual) music of the world, and to supporting the counterpoint of others. Castratos, of course, represented a special class of singer. Though they had long performed as church musicians, their appearance on the operatic stage must have elicited particular curiosity on the part of the audience.“ Vgl. Rosand (1991), S. 118–119 und Fn 26. In Cavalli/Minatos Pompeo (1666) lässt sich der Diener Delfo die Zukunft aus der Hand lesen und bekommt eine Karriere vorhergesagt, in der er vom Diener zum Darsteller der Helden Nerone und Ciro auf- und bald darauf zum Darsteller komischer Rollen absteigen wird. Und die Wahrsagerin fügt hinzu: „Se non fosse che Castrato tu sei, saresti un Capro (Wenn du kein Kastrat wärst, dann wärst du ein Hahnrei“ (zit. nach Wolff: 1937/1974, S. 42), eine Formulierung die überdies mit der Bedeutung Capro = Gockel und Capone = Kapaun = zur Mast kastrierter Hahn und Schimpfwort für Kastrat spielt. Vgl. Roselli (1992), S. 32–55 und ders. The Castrati as a Professional Group and a Social Phenomenon, 1550–1850. In. Acta Musicologica 60 (1988), S. 143–161.



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Diese Trias etablierte nicht nur einen Sängermythos  – den Farinelli auch abseits der Bühne durch über jede Kritik erhabenes menschliches Betragen flankierte –, der bis heute fortlebt,347 sondern vor allem die Form der Opera seria als die alleingültige Opernform für die folgenden knapp 50 Jahre. Anders als Zeno fühlte sich Metastasio in seinen Libretti den Möglich­ keiten der Dichtung wie der Musik zu gleichen Anteilen verpflichtet, pflegte engen Umgang mit Sängern, Komponisten sowie mit anderen Literaten und inszenierte sogar mitunter selbst seine dramme per musica. Seine Arien glie­ dern sich in zwei kontrastierende Teile, die der Vertonung den charakteris­ tischen Tempo- und Tonartwechsel der Seria-Arie vorzeichnen und zumeist am Ende einer Szene stehen. Er antizipierte Tonartenübergänge ebenso wie musikalische Verzierungen, indem der ungeschickte Vokale an diesen Stellen vermied. Seine Opern zentrieren sich um fünf bis sieben Solisten, deren innere Kämpfe zwischen Pflicht und Neigung in zahlreichen emblematischen Arien („Son qual Nave agitata“ – „ich bin wie ein Schiff auf tosender See …“ sollte eine von Farinellis Paradearien werden) über den Abend ausgebreitet wer­ den. Chöre fielen weg (bis auf den gemeinsamen Schlusschor der Solisten) und Ensembles wurden zurückgedrängt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden seine Texte über achthundertmal vertont, und das nicht nur, weil sich die Komponisten von ihrem musikalischen Wert ange­ zogen fühlten […]. Weitaus wichtiger war, daß Metastasio die wesentlichen Eigen­ schaften, die Adel und Machtausübung in einem Zeitalter der Vernunft charakteri­ sieren sollten, mit einer verfeinerten und befriedigenden Sinnlichkeit deutlich zum Ausdruck brachte.348

Die deutsche Barockoper steckte noch zu sehr in einer frühen Entwicklungs­ stufe und in Grabenkämpfen mit Teilen der protestantischen Geistlichkeit, als dass ihre Librettisten sie bereits als reformbedürftiges Genre begriffen hätten. Auch hatte sie einen wesentlich breitgefächerteren Phänotypus ent­ wickelt. Gleichwohl trafen die Reformüberlegungen aus Italien auch hier auf offene Ohren, zumal der Blick auf Frankreich für die Autoren der deutschen Barockoper ohnehin stets eine Selbstverständlichkeit war. In einem Punkt jedenfalls waren sich die italienischen Reformer, die Autoren der Tragédie lyrique und die Mehrheit der deutschen Librettisten rasch einig: Sie alle woll­ 347 Bereits zu Farinellis Lebzeit rankten sich zahlreiche Anekdoten, Opern, Singspiele und Ope­ retten um ihn als exemplarische Sängergestalt und neuen Orpheus. Die jüngste Literatur hat neben einer Anzahl von Romanen Gérard Corbiaus breit rezipierten Film Farinelli (1994) und Siegfried Matthus’ Oper Farinelli oder die Macht des Gesanges (nach einer Texvorlage von Walter Jens), UA Karlsruhe 1989, beigesteuert. 348 Thomas Bauman: Das achtzehnte Jahrhundert. In: Metzlers Illustrierte Geschichte der Oper. (1998), S. 59–60.

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ten die komische Figur am liebsten ganz aus der Oper verbannen. Kaum verwunderlich ist dabei, dass die italienischen Tendenzen besonders rasch an jener norddeutschen Bühne rezipiert wurden, deren Herzog selbst ein Librettist war.

3.4.2  Die Getreue Alceste In einer Inversion sollten König und Schürmann den „vermischten Ge­ schmack“ als Opernideal des deutschen Sprachraumes für ihre Getreue Alceste aufgreifen und in den Kontext der Reformen zur Opera seria stellen. Sie arbeiteten um 1720 zugleich innerhalb eines relativ fest etablierten Typus’ und im Kontext der ersten umwälzenden Opern- bzw. Librettoreform, mit der die Opera seria entstand. König und Schürmann gehören zu den hoch­ karätigsten Paarungen der deutschen Barockoper, da sie nicht nur beide auf ihren jeweiligen Feldern qualitätvoll und innovativ wirkten, sondern überdies eine gemeinsame Vision der deutschen Oper im Feld der europäischen Opern­ formen und vor dem Hintergrund der Frühaufklärung verfolgten, die eng in Verbindung steht mit den spezifischen Dramaturgien der Braunschweigi­ schen (für die die erste Fassung der Getreuen Alceste entstand) und der Ham­ burger Bühne (für die zweite Fassung).

3.4.3  Die Braunschweiger Dramaturgie Zur Wiederbelebung der Theater- und Festkultur durch Anton Ulrich in Wolfenbüttel ab Mitte der 1680er Jahre gehörte 1689 die Berufung des erst 17-jährigen und hochtalentierten Christian Friedrich Bressand als Hofdich­ ter.349 Bressands weitgespannte literarische Tätigkeit umfasste neben der Abfassung von Opernlibretti auch die Übersetzung französischer Tragödien für die höfischen Aufführungen.350 Deren Präsentation in deutscher Sprache spannt in Braunschweig den Bogen von den Bemühungen der Sprachgesell­ schaften aus Anton Ulrichs Jugend bis zur Braunschweiger Dramaturgie und den Aufführungen von Gottscheds Sterbendem Cato (1732) und Stücken der Neuber’schen Truppe in den 1730er Jahren.351 349 Bressand stammte aus Baden, war Sohn eines Kochs und wurde von der Universität abbe­ rufen, weil seine Eltern krank waren. Als er Zuhause ankam, waren sie bereits verstorben, er ohne Unterstützung und die Stadt von den Franzosen belagert. Besitz- und mittellos fand er Unterschlupf in Braunschweig. 350 Vgl. Smart (1989). S. 202 und S. 206. 351 In der Vorrede zum Sterbenden Cato lobt Gottsched Bressand entsprechend als Übersetzer französischer Dramen.



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Bressand verwendete für seine Opernlibretti noch den Alexandriner im Rezitativ, weshalb sie von den meisten Librettisten der zweiten Generation als ein veraltetes Modell abgelehnt wurden,352 die gleichwohl seine Sprache als vorbildhaft loben. Er starb 1699 mit nur 29 Jahren. Obgleich er keine eigenen Arbeiten zur Gattung mehr beisteuerte, för­ derte Anton Ulrich als Mitregent seines Bruders ab der Mitte der 1780er Jahre eine Braunschweiger Dramaturgie, die eine so starke Eigendynamik entwi­ ckelte, dass sie ihre Tendenz nicht nur über die wechselnden Kapellmeister fortsetzte, sondern unter Schürmann sogar weit über Anton Ulrichs Tod hinaus zur Entfaltung kam und über die Urgroßnichte Anna Amalia bis nach Weimar ausstrahlen sollte. Nachdem sich der Hausherr vom Librettisten zum Intendanten gewandelt hatte,353 trat die Oper auch in Braunschweig aus dem höfisch-häuslichen Zirkel heraus und wurde zu einer professionellen Institu­ tion. Anders als u.  a. ihre Hannoveraner Verwandten machten Anton Ulrich und seine nicht minder opernbegeisterten Nachfolger die Oper jedoch nicht zu einem expliziten Propagandamedium.354 1685 wurde mit Lullys Proserpine (1680) erstmals eine Tragédie lyrique in Wolfenbüttel aufgeführt. 1686 folgte Psyche (1678), für die bereits weibliche Sänger nachweisbar sind,355 also gut zwanzig Jahre früher, als dies an den meisten deutschen Bühnen möglich wurde. Als Grund dafür liegt auf der Hand, dass die lange Tradition des Braunschweigischen Hoftheaters stets weibliche Mitglieder der Herzogsfamilie auf der Bühne vereint und damit ähnlich wie am französischen Hof die Bühnenauftritte buchstäblich geadelt hatte. 1687 folgte Lullys Thesée (1775). Zentral für die Vermittlung der fran­ zösischen Oper war zweifellos Kusser.356 Anfang der 1680er Jahre war dieser noch in Ansbach als Violinist tätig, ab 1683 ist er in Braunschweig aktenkun­ dig,357 erhielt jedoch erst ab 1690 eine offizielle Stellung als Leiter des neuen Opernhauses. Dazwischen leitete er vermutlich eine Wandertruppe, die die plötzliche Präsenz französischer Opern in Wolfenbüttel und Ansbach ver­ antwortete, denn die drei ab 1685 in Wolfenbüttel aufgeführten Opern Lul­ lys tragen seine Handschrift.358 Die Kontakte nach Franken waren offenbar stark, und möglicherweise spielten bis zu Birkens Tod 1681 Anton Ulrichs Kontakte zu den Nürnberger Pegnitz-Schäfern eine Rolle. Vor 1686359 sind für Nürnberg in dichter Folge acht im französischen Original aufgeführte Opern 352 353 354 355 356 357 358 359

Etwa von Feind: Gedancken von der Opera (1708), S. 97 und S. 99. Vgl. Meyer (1984), S. 119. Just zu dieser Zeit verschwindet die Oper wieder aus der Römischen Octavia. Vgl. Smart (1989), S. 278. Vgl. ebenda, S. 236. Vgl. Busch (1996), S. 228. Als Ehemann einer Braunschweiger Bürgertochter. Ebenda. Busch (1996), S. 228. Genauere Datierung nicht möglich.

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Lullys nachweisbar. Offenbar war die Operntruppe ausschließlich auf dieses Repertoire spezialisiert, und es liegt daher nahe anzunehmen, dass es sich um eine Art längeres Gastspiel gehandelt hatte. Vielleicht war Kusser vor oder nach seiner Übersiedelung nach Braunschweig nach Paris gereist und hatte die Truppe und das von ihr gespielte Repertoire kennengelernt. Nach 1687 gab es auch in Braunschweig keine französische Oper mehr, daher ist wohl eher unwahrscheinlich, dass das Ensemble der späteren Oper aus der Truppe hervorgegangen ist. Wohl aber dürfte Kusser sich selbst als Impresario emp­ fohlen haben. Die von ihm in den folgenden Jahren vertonten Libretti stam­ men vornehmlich von Bressand,360 der z. T. auf französische Vorlagen zu­ rückgriff. Von Kussers Opernkompositionen sind lediglich zwei gedruckte Ariensammlungen (aus Ariadne 1692 und Erindo 1694361) überliefert. Darin finden sich neben dem deutlichen Einfluss Lullys auch schon großangelegte italienische Da capo-Formen,362 was einigermaßen bemerkenswert ist, be­ rücksichtigt man die frühen Entstehungsdaten dieser Opern. Die deutliche Neigung zur Tragédie lyrique und zugleich das Bestreben, sie mit der italie­ nischen Oper zu verschmelzen, sollte der Braunschweiger Dramaturgie aber bis hin zu Schürmann und Königs Getreuer Alceste verbleiben. Die Opernaufführungen fanden bis 1687 wohl unter sehr improvi­ sierten Bedingungen vermutlich entweder im Schloss oder im Rathaus von Braunschweig statt.363 Erst 1688 wurde an der Westseite des Wolfenbütteler Schlosses ein Theater eingeweiht. 1694 war zudem ein kleines Theater im Lustschloss Salzdahlum eingerichtet worden. Ein regelrechtes Opernhaus errichtete Anton Ulrich erst ab 1690 mit der finanziellen Unterstützung wohlhabender Braunschweiger Bürger, so dass künftig zur Messe Opern­ vorstellungen stattfanden, zu denen der Adel eingeladen wurde und die Bür­ gerschaft gegen Bezahlung Zutritt hatte. Gespielt wurden die Opern von den Mitgliedern der herzoglichen Hofkapelle. Braunschweig steuerte damit ein vergleichsweise paritätisches Modell von Hof- und Bürgerschaftsoper zur Vielfalt der deutschen Erscheinungsformen bei. Denn wenngleich das künst­ lerische Personal in direkter Abhängigkeit vom Hof stand, stellte die Bür­ gerschaft nicht nur die Finanzierung des Hauses, sondern auch das zahlende Publikum, auf dessen Einnahmen das Unternehmen angewiesen war. Über das Messepublikum stand die Braunschweiger Oper überdies im ständigen Vergleich mit der Hamburger Oper. Der zunächst ausschließlich aus deutschsprachigen Opern bestehende Spielplan wurde zwischenzeitlich durch die bereits beschriebenen Tragédies 360 361 362 363

Bis er sich gegen 1694 mit ihm zerstritt. Texte beide von Bressand. Vgl. MGG², Bd. 10, Sp. 908–909. Vgl. Rosendahl (1927), S. 7, und Brockpähler (1964), S. 86–87.



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lyriques ergänzt. Ab 1685 erhöhte sich vorübergehend die Frequenz der Opernaufführungen, und ab 1686 fanden sich auch italienische Opern im Spielplan. Auffällig ist Aurelis anfängliche Dominanz als Librettist, somit han­ delte es sich um venezianische Opern der 1660 bis 1680er Jahre. 1685 brach mit Davids und Jonathans treuer Liebe Beständigkeit die Reihe der Eigenproduk­ tionen Anton Ulrichs endgültig ab, und bis 1688 wurden nur fremdsprachige Opern gespielt. Man gewinnt den Eindruck, dass sich hier der provisorische Charakter der Spielstätten im Spielplan widerspiegelte. Erst ab 1690 und mit der Bestallung Kussers als Kapellmeister begann ein regelrechter Spielbe­ trieb mit bis zu sieben Stücken pro Jahr. Das Verhältnis von deutschen zu italienischen Opern war etwa paritätisch, allerdings stammte die italienische Musik bis 1692 vornehmlich von dem am Hof angestellten Clemente Mo­ nari (1660–1728) und zwei weiteren Komponisten, die nur in Braunschweig nachweisbar sind.364 Bereits mit Bressands Libretti der späten 90er Jahre Die sterbende Euridice und Die verwandelte Leier des Orpheus (beide 1699) zeichnet sich ab, dass vor allem mythologische Sujets mit Tänzen und Chören stets formal der französischen Oper zuneigen.365 In diesen beiden Fällen handelt es sich zwar einerseits um die zweimalige Bearbeitung des Gründungsstoffes der italienischen Oper, doch steht die mit dem Orpheus-Stoff stets eng ver­ knüpfte Form der Pastorale mit ihren Chören und Tänzen um 1700 formal dem Typus der Tragédie lyrique näher als der italienischen Oper auf dem Weg zum Dramma per musica. Ab 1694 liest sich das italienische Repertoire des Braunschweiger Spiel­ plans wie ein Who’s Who der frühen neapolitanischen Reformoper. In Braun­ schweig wurden ab 1694 Opern von Carlo Francesco Pollarolo (1653–1723) nach Libretti des Architekten, Dichters und Librettisten Roberti, sowie von Zeno und Noris überwiegend noch im Jahr der venezianischen Urauffüh­ rung (!) gespielt.366 1696 und 1700 folgen Opern Alessandro Scarlattis nach Texten Morsellis und Capeces367, und 1712 Francesco Gasparinis (1661– 1727) Fredegunda von Silvani.368 Braunschweig fühlt damit sensibler am Puls der Opernentwicklung als jede andere deutsche Bühne. Insbesondere der in Braunschweig besonders häufig gespielte Pollarolo flankierte die librettisti­ sche Orientierung an der Tragédie zudem mit kompositorischen Anleihen 364 Giovanni Battista Alveri (1617–nach 1719) und Giuseppe Fedrizzi. Vgl. Brockpähler (1964), S. 89–90. 365 Vgl. Smart (1989), S. 266. 366 Il Pastore d’Anfriso, Faramondo und Lucio Vero. Da der venezianische Kalender das neue Jahr am 1. März beginnt, sind die Daten mitunter unsicher, da 1640 m. v. (more veneto) 1641 bedeuten kann. Vgl. Rosand (1991), S. 27. 367 Der Textdichter von Händels in Rom entstandenem Oratoriuim La Resurrezione. 368 Daneben stehen Ortensio Mauros Texte für Agostino Steffani und weiterhin vereinzelt ältere Stücke u.  a. von Aurelio Aureli.

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an der Tragédie lyrique Lullys. Dies mag einerseits ein Grund sein, warum Lully selbst nicht mehr im Spielplan auftaucht und zugleich, warum Pollaro­ los Opern sich in Braunschweig bis ca. 1710 besonderer Beliebtheit erfreu­ ten. Auf der Seite der deutschen Komponisten dominiert bis 1693 Kusser, gefolgt von Keiser, der wiederum ab 1700 von Schürmann abgelöst wurde. Die Braunschweiger Dramaturgie, die Schmidt hyperbolisch als die „einzige Pflegstätte einer internationalen Kunst“ bezeichnet,369 versammelt in ihrem Spielplan tatsächlich nicht nur die Avantgarde der Opernkunst, son­ dern zeigt überdies die Tendenz eines Ausgleichs zwischen italienischer und französischer Oper. Offenbar wurde auch in den später als neapolitanische Opernreform bekannten Tendenzen der italienischen Oper um 1700 eine Tendenz zur Tragédie lyrique erkannt, die die direkte und wegen des enor­ men Aufwandes auch kaum realisierbare Pflege der Opern Lullys ersetzte und sie zugleich als befruchtenden Gegenpol zur italienischen Oper erhielt. Während die Opern von Mauro und Steffani später unter Keisers Führung auch in Hamburg auftauchten, blieb die Braunschweiger Sensibilität für die italienischen Reformopern singulär. Sie könnte durchaus von Kusser mit an­ gestoßen worden sein und natürlich von den Venedigreisen Anton Ulrichs in den 1680er Jahren. Offenbar wurde sie aber nicht von Keiser, sondern direkt vom Herzog vorangetrieben. Anders als Keiser zeigte Schürmann sich in höchstem Maße sensibel für die Tendenzen der Braunschweiger Dramaturgie. Bereits 1700 vertonte er ein italienisches Libretto von Francesco de Lemene (1634–1704) und 1715 vermutlich sogar direkt Regnero von Zeno.370 Dass die Braunschweiger Dra­ maturgie über den Tod Anton Ulrichs hinaus bis weit in die 1720er Jahre fortgeführt wurde, spricht sehr dafür, dass Schürmann selbst sie verinnerlicht und aufrechterhalten hat.

3.4.4  Georg Caspar Schürmann Georg Caspar Schürmann wurde 1672 oder Anfang 1673 in Idensen bei Hannover als Sohn eines Pfarrers geboren.371 Über seine Herkunft ist nichts weiter bekannt, offenbar entstammte er keiner Musikerfamilie, der Verweis auf „wissenschaftliche Studien“372 könnte aber darauf deuten, dass er aus dem gehobenen Bürgertum stammte. Er verlebte offenbar seine Jugend in 369 Schmidt (1933), Bd. I, S. 42. 370 Die Einrichtung italienischer Opern sollte später, nach Ende der deutschen Oper in Braun­ schweig, zu Schürmanns Hauptaufgaben werden. Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 78–80. 371 Vgl. MGG² Bd. 15, Sp. 348. 372 Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 14.



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Hamburg, wo er 1693, also 20-jährig, als Altsänger für die Kirchenmusik und an der Hamburger Oper angestellt wurde,373 also noch bevor Frauen auf der Bühne zugelassen waren.374 Schürmanns sängerische Laufbahn lief, noch stärker als bei dem ebenfalls lange als Sänger (Tenor) aktiven Hasse, ein Sängerleben lang gleichberechtigt neben den Tätigkeiten als Kapellmeister und Komponist. Sie bietet damit auch einen seltenen Einblick in die Tessi­ tura und Entwicklung einer Stimmgattung, die man heute als Countertenor bezeichnet. Während seiner Kapellmeistertätigkeit in Meiningen und den Gastspielen in Naumburg 1706 sang Schürmann als Mittdreißiger nachweis­ lich noch Altpartien.375 Gut ablesbar ist seine stimmliche Entwicklung an den männlichen Hauptpartien, die Schürmann in der Regel für sich selbst kreierte. So ist Jason in der ein Jahr später entstandenen gleichnamigen Oper noch eine Altpartie.376 Leider sind von Schürmanns Opern der kommen­ den zehn Jahre entweder keine Besetzungszettel oder keine Noten überlie­ fert, weshalb sichere Angaben über das Stimmfach nicht zu machen sind. 1721 sang Schürmann in Hasses erster Oper Antioco377 aber nachweislich die Tenorpartie des Seleuco, die Hasse ihm sozusagen in die Kehle geschrieben hatte. Offenbar hatte die Stimme in den späten Vierzigern seines Lebens an Höhe verloren,378 und er wechselte ins Tenorfach.379 Admetus in Alceste ist hingegen noch eindeutig eine Altpartie und es ist sehr wahrscheinlich, dass Schürmann sie in Braunschweig noch selbst gesungen hat,380 da kein ver­ gleichbar profilierter Altist in Braunschweig nachweisbar ist und die Tessitura der Stimme für eine weibliche Altistin zu tief liegt. Schmidt verweist jedoch darauf, dass Schürmann bereits 1717 die Titelpartie seines Telemachus selbst gesungen hatte und nach den allerdings nur auszugsweise erhaltenen Noten war dies eine Tenorpartie, die später von Hasse übernommen wurde. Mög­ 373 Auf die enge Verflechtung von Kirchenmusik und Oper in Hamburg hat Reinhart Meyer (1984, S. 30) hingewiesen, dasselbe gilt wenigstens für die Oper in Leipzig. Dazu gehört neben den Doppeltätigkeiten vieler Sänger, dass die Kirchenmusiker Opern beisteuern und unter den profilierten Librettisten bemerkenswert häufig Pastoren sind. 374 Vgl. Jahn (2005), S. 144. 375 Vgl. die bei Schmidt (1933) abgedruckte Besetzungsliste. Bd. I, S. 199. 376 Die bei der Wiederaufnahme in Braunschweig 1722 von dem Kastraten Campioli übernom­ men wurde. Vgl. Schmidt (1933), S. 209. 377 Nah einem Libretto von Metastasio. 378 Auch heutige Countertenorstimmen verabschieden sich häufig während des vierten Lebens­ jahrzehnts von der Bühne und selbst die historischen Kastraten zogen sich zumeist zwischen 35 und 40 Jahren von der Oper zurück. 379 1717 in der Titelpartie des Telemachus. Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 201. Ob es sich bei dieser Oper um eine Umarbeitung der 1706 in Naumburg aufgeführten oder um eine vollständige Neukomposition handelte, muss offen bleiben. 380 Dabei mag entgegengekommen sein, dass Admet trotz seiner tragenden Rolle relativ wenig auf der Bühne zu sehen ist, was es Schürmann eher ermöglicht haben dürfte, gleichzeitig die musikalische Leitung der Oper zu leisten.

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lich wäre, dass die Partie für Hasse umgeschrieben wurde und nur die Noten dieser späteren Fassung überdauert haben – ein Stimmwechsel von Alt nach Tenor ist allerdings schwieriger als etwa von Sopran zu Tenor.381 Da Telema­ chus ursprünglich in der Naumburger Fassung von 1706 eine Sopranpartie war, ist wahrscheinlicher, dass Schürmann eine Übergangszeit lang wahlweise Tenor und Alt sang, bis er für die letzten Jahre seiner langen Sängerlauf­ bahn ganz ins Tenorfach wechselte. Dass er auch dann noch in der Lage war, weiterhin große Partien zu singen, spricht ohnehin sehr dafür, dass das Tenor-Register der Stimme stets mit ausgebildet und geübt worden war.382 Dafür spricht insbesondere, dass die Partie des Admet in zwei verschiede­ nen Schlüsseln notiert ist: Während die Arien im Altschlüssel stehen, sind die Rezitative im Tenorschlüssel notiert und wurden wahrscheinlich auch mit der Bruststimme gesungen. Schürmanns Countertenorstimme mit zwei Registern korrespondiert mit der Musik- und Gesangspraxis des 17. Jahr­ hunderts und kann möglicherweise als prominenter Beleg für René Jacobs 1983 vorgelegten und kontrovers diskutierten Vorschlag historischer hoher Männerstimmen mit gleichermaßen voll ausgebildetem Brust- und Falsett­ register gelten.383 Die von Schmidt gesammelten Besetzungszettel aus Braunschweig und Naumburg zeigen die große Vielfalt der in der deutschen Barockoper ver­ sammelten Sänger. Es steht ein Sopran384 neben dem Countertenor Schür­ mann und drei Kastraten, von denen aber nur der Altkastrat Antonio Gu­ alandi (1690–?), genannt Campioli, große Partien übernahm. Der deutsche Kastrat Conrad Christian Wellhausen,385 der zugleich als Instrumentalist an­ gestellt war, stieg in den 1720er Jahren zum Secondo uomo auf, und erhielt den bereits 1710–1714 als „Fürstl. Cammer laquay“386 geführten, ebenfalls 381 Bei der aus denselben Noten, eine Oktave tiefer gesungen werden kann. 382 Die Stimme hätte damit Ähnlichkeit mit dem französischen Haute-Conte. 383 René Jacobs: The Controversy Concerning the Timbre of the Countertenor. In: Alte Musik. Praxis und Reflexion. Peter Reidemeister und Veronika Gutmann (Hg.). Winterthur 1983, S. 288–306. Jacobs’ primäres Anliegen, wonach ein hauptsächlich das Falsett-Register nut­ zender Countertenor nicht die nötige Brillanz und Kraft für die großen Kastratenpartien des 18. Jahrhunderts entfalten könne, ist durch die aktuelle Generation von Sopran und Mezzo­ sopran-Countertenören eindrucksvoll widerlegt. Doch umreißt sein Beitrag die große Varianz hoher Männerstimmen im 17. und 18. Jahrhundert, die eine (heute in Gesangsausbildung und Besetzungspraxis weitgehend exklusiv mit dem Brustregister assoziierte) Tenorstimme mit ­einem ausgebildeten Falsettregister verbanden; seien dies die Haute-contres der fran­ zösischen Tragédie lyrique oder die tiefen (für heutige Countertenöre zu tiefen) Counter­ tenorpartien Henry Purcells (1659–1695) wie in „’Tis Nature’s Voice“ (Ode for St. Cecilia’s Day – 1792). Ebenda, S. 294–295. 384 Johanna Döbricht sang in Naumburg 1706 die Sopran-Titelpartie des Telemachus. Vgl. Schmidt (1933), S. 199. 385 Lebensdaten unbekannt. 386 Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 122–123.



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deutschen Kastraten Johann Christoph Warnecke387 später zum Kollegen. Hinzu kamen Sängerinnen in Hosenrollen, die aber wenigstens in Braun­ schweig nicht oder nur in Ausnahmefällen in Titel- oder großen Partien be­ setzt wurden. Bereits in Hamburg lernte Schürmann die Opern Steffanis kennen, des Komponisten, Diplomaten und zeitweiligen Kapellmeisters in Hanno­ ver, dessen Werke ungeachtet der politischen Konkurrenzsituation auch in Braunschweig aufgeführt wurden und denen eine zentrale Vermittlungspo­ sition italienischer Kompositionsweisen im norddeutschen Raum zukommt. Ebenfalls bereits in Hamburg wurde Schürmann Schüler des ehemaligen Braunschweiger Kapellmeisters Kusser, der dort mit Keiser, Mattheson, Händel und Telemann eine ganze Generation deutscher Komponisten prägte. Was Steffani für die Errungenschaften der italienischen Oper war, vermittelte Kusser u. a. für die französische. Anton Ulrich erkannte bei einem Gastspiel der Gänsemarktoper in Braunschweig das Ausnahmetalent Schürmanns und holte ihn bereits 1697 als Kapellmeister nach Braunschweig, wo Schürmann vermutlich Keiser im Amt nachfolgte.388 Es ist anzunehmen, dass der Herzog ihm 1701 den etwa einjährigen Venedigaufenthalt zur Fortbildung im Herzen des italienischen Opernbetriebes finanzierte, und man darf getrost annehmen, dass Schür­ mann, der „in Venedig mit den berühmtesten damahligen Componisten [389] und Musicis sich bekannt gemacht“390, die Gelegenheit nutzte, sich auch als Sänger weiterzubilden, so dass man in ihm einen barocken Countertenor fin­ det, der seine Technik bei den besten Gesangskastraten der venezianischen Opernhäuser perfektioniert hatte.391 1703–1706 wirkte Schürmann am Hof zu Meiningen. Offenbar borgte Anton Ulrich, dessen herzliches Verhältnis zu seinen Kindern, insbesondere seinen Töchtern aktenkundig ist,392 seinen jungen Kapellmeister an seine 1675 nach Meiningen verheiratete und wie er universell musikalisch gebil­ dete Tochter Elisabeth Eleonore Sophie (1658–1729) aus. Nach den bereits erwähnten Gastspielen in Naumburg kehrte Schürmann 1707 wieder nach 387 388 389 390

Lebensdaten unbekannt. Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 19. Mutmaßlich Pollarolo und Gasparini. Vgl. MGG², Bd. 15, Sp. 348. Johann Gottfried Walther: Musicalisches Lexicon oder Musicalische Bibliothec. Leipzig 1732, S. 558. Zit. nach MGG², Bd. 15, Sp. 348. 391 Natürlich waren die an deutschen Höfen angestellten Gesangskastraten ohnehin beliebte (Gesangs-)Lehrer, besonders auch für die Komponisten der deutschen Barockoper, so dass hier ein reger Wissenstransfer anzunehmen ist. 392 Als Anton Ulrichs Tochter Henriette Christine (1669–1753) als Äbtissin von Gandersheim unverheiratet und angeblich ohne ihr Wissen und Zutun schwanger wurde, verteidigte er sie öffentlich und privat. Vgl. Kraft (2005), S. 110–111.

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Braunschweig zurück. Unter seiner Führung erblühte das Braunschweiger Opernleben. Ab 1710 gehörte der 1685 in Deutschland geborene, doch in Italien ausgebildete Altkastrat Campioli393 zum Ensemble, von dem im Kontext der Hamburger Aufführungen der Alceste noch die Rede sein wird. Campioli gehört zu den bedeutenden Gesangskastraten mit internationaler Karriere,394 der in den späten 1720er Jahren als Sänger neben der gefeier­ ten Faustina Bordoni (1697–1781), der Ehefrau Hasses, in Dresden auf der Bühne bestand. Darüber hinaus war er ein herausragender Gesangslehrer, dem der Dresdner Hof den Vorzug vor Porpora (dem Gesangslehrer von Farinelli und Caffarelli395) gab und ihm in Venedig die Ausbildung der für Dresden bestimmten Gesangskastraten anvertraute.396 Mit ihm hatte der Falsettist und Kapellmeister Schürmann über einige Jahre also einen der besten Gesangslehrer für sein Stimmfach zum Kollegen. Vorübergehend gehörte auch Mattheson (als Tenor) zum Sängerensemble und Schmidt vermutet die Wurzeln der Feindschaft Matthesons gegenüber Schürmann in dieser Zeit.397 Schürmann war überdies als Bearbeiter italienischer Opern und deutscher Libretti, Übersetzer italienischer Libretti und selbständiger Librettist tätig.398 In Schürmanns Opern verbindet sich der liedhafte Stil der deutschen Barockoper mit der venezianischen Operntradition. Auch wenn die Da capo-Form überwiegt, teilweise mit virtuosen, jedoch nie do­ minanten Koloraturen, so liegt das Hauptaugenmerk stets auf der melodi­ ösen Führung der Singstimme und dem mitunter kontrapunktischen Zwie­ gespräch mit den (ebenfalls melodiös geführten) Instrumenten. Seine große Melodiebegabung ist eine von Schürmanns hervorstechendsten Eigenschaf­ ten.399 Die sorgfältige Gestaltung des Rezitativs, das zentraler Träger des dra­ matischen Geschehens ist, und die gesteigerte Rolle der Tänze verbinden Schürmann wie viele seiner deutschen Zeitgenossen zugleich intentional mit der Tragédie lyrique. Schürmann’s operas move clearly beyond his Hamburg heritage and in many ways remind one of the later works of Handel. […] Schürmann’s music, in fact, points strongly in the direction of the Classical style and suggests that this composer, 393 Vgl. Ortkemper (1993), S. 360. 394 Noch mit knapp 50 Jahren sang er in London eine Partie in Händels Oper Sosarme (Libretto: anonyme Bearbeitung von Salvis Dionisio, Re di Portogallo (1707). 395 Eigentlich: Gaetano Majorano (1710–1783). 396 Was allerdings auch mit den hohen Geldforderungen Porporas zusammenhing. Vgl. Haböck (1927), S. 446–447. 397 Mattheson war berüchtigt dafür, sich mit zahlreichen Musikerkollegen zu zerstreiten, darun­ ter auch Händel, mit dem ihn ein kompliziertes Verhältnis aus Hass und Verehrung verband. 398 Vgl. MGG², Bd. 15, Sp. 349, und Schmidt (1933), Bd. I, S. 60–61. 399 Georg J. Buelow: Schürmann. In: The new Grove Dictionary of Music and Musicians. Lon­ don, New York 1980, Bd. 21, S. 821.



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who worked with both C.H. Graun and Hasse at Wolfenbüttel, may have played a significant part in the style’s development in Germany during the first half of the 18th century.400

3.4.5  Johann Ulrich König Johann Ulrich König wurde 1688 in Esslingen ebenfalls als Sohn eines Pfar­ rers geboren. Nach Schul- und Studienzeit in Stuttgart und Tübingen ver­ suchte er bereits um 1706 vergeblich in Braunschweig und Hamburg eine Anstellung zu bekommen. Vermutlich rührte sein Kontakt zu Schürmann bereits aus dieser Zeit. Nach Reisejahren als Hofmeister eines Grafen fand er schließlich 1710 Gönner und eine leitende Anstellung in Hamburg am dortigen Opernhaus. Im folgenden Jahrzehnt entstand der überwiegende Teil seiner Libretti, die teilweise auf venezianische Operndichtungen zurückgehen und von den bes­ ten deutschen Komponisten vertont wurden, darunter Mattheson, Heini­ chen, Schürmann, Keiser, Telemann und Graun, ferner zahlreiche Texte zu Hochzeitsmusiken und Serenaden, die mehrheitlich von Keiser und Matthe­ son vertont wurden, wie bereits vor 1713 ein von Keiser vertonter Herkules am Scheideweg401. Mit dem bibeltextfreien Der zum Tode verurteilte und gecreuzigte Jesus schuf König 1715 den neben Karl Wilhelm Ramlers (1725–1798) Der Tod Jesu bedeutendsten Oratorientext des 18. Jahrhunderts. Er war eng be­ freundet mit Brockes, mit dem er 1714 die Teutsch-übende Gesellschaft gründete, ~ t ausnehmend ebenso mit Mattheson, der „alles was von seiner Feder köm 402 schön/ und treflich musicalisch“ schätzte. Das Opernlibretto bildete für König wie für Feind „das Meisterstück der Dicht=Kunst“403, in dem sich alle Gattungen der Kunst zu einem Zweck verbinden. Ziel der Oper wie jeder Dichtkunst ist die Beförderung der Moral. König war mit einer Sängerin verheiratet, und obgleich über eigene musikalische Praxis nichts bekannt ist, verfügte er offenbar über ein geschätztes Urteilsvermögen in sängerischen Fragen. Sowohl Hasse als Graun verdanken ihre erste Anstellung als Sänger an der Braunschweiger Oper Königs Empfehlung (mutmaßlich gegenüber Schürmann). 1716 bis 1718 zog König über Leipzig und Weißenfels nach Dresden, wo er schließlich 1720 eine Anstellung als Geheimsekretär und Hofdichter August des Starken (1670–1733) erhielt. Er betätigte sich als Herausgeber der 400 401 402 403

Ebenda, S. 821–822. Abgedruckt in: Theatralische […] Gedichte. (1716), S. 251–262 Ders. Critica Musica. 4 Tle, Hamburg 1722–1725, S. 7, S. 252 und hier S. 288. Vorrede zu Theatralische […] Gedichte (1716), o. S.

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Werke von Johann von Besser (1654–1729) und Friedrich Ludwig Rudolph von Canitz (1654–1699). In seiner Ausgabe von Des Freyherrn von Canitz Ge­ dichte (1727) entwirft er eine Theorie des Geschmacks, in der er den Ge­ schmack als aus rationalistischen Beweggründen erlernbaren darstellt („der Geschmack ist das Gefühl des Verstandes“404), wobei er sich an die französi­ schen Rationalisten, besonders an Boileau anschließt.405 König, der anfänglich durchaus mit Gottscheds Regelpoetik sympathi­ siert und den Leipziger Literaturreformer unterstützt hatte, entzweite sich mit ihm zwangsläufig über die Oper. Gottsched rekurrierte bekanntlich vornehmlich auf die französische Opernkritik Saint Évremonds, ohne je­ doch dessen differenziertes Urteil aufzugreifen. Gleichwohl häufte er über die Jahre eine Sammlung von 661 Textbüchern auf.406 Er musste demnach eigentlich über eine hervorragende Librettobildung verfügen, sofern er die Texte auch gelesen hat, was allerdings nicht unbedingt zwingend der Fall sein muss, da die Libretti Teil seines Versuches waren, in Wielands Worten „alle Arten von Schauspielen, die seit Erfindung der Buchdruckerkunst in Teutschland zum Vorschein gekommen, […] aus allen Bibliotheken, Plun­ derkammern, Maculaturgewölben und Pfefferbuden des heiligen Römischen Reichs teutscher Nation“ zusammenzusuchen,407 die Libretti also im Kontext einer Bestandsaufnahme grauer, durch die Regelpoetik zu überwindender Vorzeiten und weniger unter dem Aspekt des Bewahrenswürdigen standen. Vermutlich hat Gottsched nie eine Oper auf der Bühne gesehen, und dass er in seiner Opernkritik nicht mit eigenen Lesefrüchten argumentiert, sondern in geradezu kauziger Weise mantraartig eine veraltete französische Opernkri­ tik wiederkäut, beweist, dass er sich nicht nur dem Opernereignis verschloss,408 sondern auch einer Lektüre der aktuellen Libretti – die auf die Saint Évre­ mond’sche Kritik längst mit der rationalistischen Opera seria reagiert hat­ ten – und die zur Revision seiner Position hätte führen können und müs­ sen. Johann Friedrich von Uffenbach (1687–1769) warf Gottsched deshalb gezielte Ignoranz der Opern Königs und Metastasios vor, gegenüber deren Neuerungen seine Positionen unhaltbar werden müssten.409 Zum zentralen 404 Untersuchung von dem Guten Geschmack in der Dicht= und Rede=kunst. In: Des Frey­ herrn von Canitz Gedichte. Leipzig und Berlin 1727, S. 248. 405 U. a. dessen L’art poétique (1674), die bereits für Canitz’ Gedichte prägend war. 406 Vgl. Gottsched: Catalogus Bibliothecae. Leipzig o.  J., Repr. München 1977, S. 158. Vgl. Jahn (2005), S. 173. 407 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 88. 408 Wobei durchaus offen bleiben muss, ob Gottsched nicht doch Opernvorstellungen, nament­ lich 1735 eine Dresdner Aufführung von Hasse/Zenos Caio Fabrizio besucht hat. Vgl. Jahn (2005), S. 174, Fn 25. 409 In: Ders.: Gesammelte Neben=Arbeiten, Worinnen, nebst einer Poetischen Auslegung des Sinnbildes CEBETIS des Thebaners, verschiedene Moralische Schrifften, zu Ausbesserung menschlicher Sitten, enthalten, Und nebst einer Vorrede von der Würde der Singe=Gedichte,



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Argument der Opernverteidiger Uffenbach, Ludwig Friedrich Hudemann (1703–1770), Mattheson, aber auch des um eine vermittelnde Position be­ mühten Johann Adolph Scheibe (1708–1776) wurde Königs Libretto Sancio, oder Die Siegende Großmuth, das in der Vertonung Telemanns ab 1727 in Ham­ burg und in der Vertonung Grauns 1729 in Braunschweig unter dem Titel Sancio und Sinilde aufgeführt wurde.410 Der Text war offenbar bereits vor 1722 entstanden, da Mattheson ihn in diesem Jahr in der Critica Musica in einer (nie vollendeten) Vertonung Keisers ankündigte.411 Der auf einem veneziani­ schen Libretto des Reformers Silvani412 aus der frühen, an der französischen Tragédie orientierten Phase der Opera seria basierende Text rückt damit in zeitliche Nähe zu Königs Getreuer Alceste und mag Mitte der 1720er Jahre bereits in Abschriften zirkuliert haben. Gottsched scheint König gegenüber sogar bestätigt zu haben, dass der Sancio ihn von der Möglichkeit einer Oper nach den Gesetzen der Tragödie überzeugt habe.413 Entsprechend verärgert war König, als er im Opernkapitel der Critischen Dichtkunst abermals eine anachronistische Aburteilung der Oper lesen musste, die seine Reformen mit Nichtachtung strafte.414 In Des Herrn von Besser Schriften (1732) wendet sich König auch gegen die strikten metrischen Einschränkungen Gottscheds. Als Parteigänger der Züricher Literaturkritiker Bodmer und Breitinger und schärfsten Antipoden Gottscheds vor Lessing trat König nun für eine Aufklärung ein, die zwar den Einfluss des französischen Klassizismus aufnahm und sich von den Manie­ rismen der hochbarocken Literatur absetzte, sich gleichwohl in Kontinuität mit der älteren deutschen Dichtung sah und deren Transformation auf der

410 411 412 413 414

Mit dessen Genehmhaltung ans Licht gestellet. Hamburg 1733. Gottsched-Rezension von 1735, S. 628–629. Sancio Oder Die in ihrer Unschuld Siegende Sinilde/ In einer Opera/ Auf Dem grossen Braunschweigischen Theatro vorgestellet/ In der Sommer-Messe 1729. Wolfenbüttel 1929. Mattheson: Critica Musica, Bd. I, S. 288. Vgl. Jahn (2005), S. 221. Ferner Joachim Birke: Gott­ sched’s Opera Criticism and Its Literary Sources. In: Acta Musicologica 32 (1960), S. 194–200. Il Miglior d’ogni Amore per il preggior d’ogni Odio (1703). Das impliziert ein Brief von Königs Bruder von 1730 an Gottsched. In: Alfred Pelz: Die vier Auflagen von Gottscheds Kritischer Dichtkunst in vergleichender Betrachtung. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte. Diss. Breslau 1929, S. 67. Besonders skurriles Licht auf Gottscheds Unbelehrbarkeit wirft ein Ereignis ausgerechnet aus Braunschweig. Dort hatte Caroline Neuber (1697–1760) erstmals das Operntheater 1735 mit einem Schauspiel bespielen dürfen und dazu Gottscheds Sterbenden Cato gewählt. Für die Festaufführung hatte kein geringerer als Schürmann die Schauspielmusik besorgt und Gottsched schwärmte noch in der Vorrede zum II. Teil der Deutschen Schaubühne davon, dass der Sterbende Cato „mit aller Pracht einer Oper“ aufgeführt worden war. Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 73–74. Auch diese Anekdote stützt den Verdacht, dass es sich bei Gottscheds verba­ lem Schlachtzug gegen die Oper schlicht um einen Verteilungskampf handelte, bezüglich der Mittel, des Sozialprestiges und bezüglich der durchgängig höheren Frequenzen der Opern­ aufführungen gegenüber dem Schauspiel.

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Basis seiner in Des Freyherrn zu Canitz Gedichten entworfenen Theorie des goût anstrebte. In den 1730er Jahren hielt er sich nochmals einige Jahre in Ham­ burg auf, kehrte jedoch nach Dresden zurück, wo er 1741 nobilitiert wurde und 1744 am Fleckfieber starb. Königs Libretti, insbesondere Die getreue Alceste, verwenden bereits in Teilen eine empfindsame Sprache, die der Roman erst ab den 1770er Jahren entwickeln sollte.415 Dass der Librettotext dem Roman hier in der Entwick­ lung sprachlicher Ausdrucksmittel vorangeht, ist nur natürlich, schließlich ist die Oper, und damit auch das Libretto, definiert als das Medium für die Dar­ stellung der Affekte. Affekt und Rationalität stehen bei König nicht länger in konfligierendem Spannungsverhältnis, sondern beginnen sich im Gefühl auszusöhnen, wie König bereits in der Vorrede der Getreuen Alceste betont. Auch der Selbstmord Alcestes auf offener Bühne – ein deutlicher Verstoß gegen das Decorum und eine der zentralen Neuerungen Königs gegenüber der Stoffgeschichte  – anstelle der Präsentation einer buchstäblich kühlen marmornen Statue gehört in diese Linie, die die Poesie ähnlich radikal in den Dienst der Rührung stellt, wie gut fünfzig Jahre später Wieland in seiner Alceste.

3.4.6  Braunschweig und „die teutschen Opern pur teutsch“ Die Opera anlangend, so machen wir die teutschen Opern pur teutsch, wann wir aber etliche mahl italiänische Opern ins teutsche übersetzet, so haben wir wohl die arien mehrentheils italiänisch gelassen, wir machen zu weilen lustige partheien ­hinein, zu weilen nicht, wie sichs denn schicken will. Ballette haben wir ordinair nach dem ersten und andern act eins; weil man auch itzund die arien in der Music gern ein bischen lang ausführet, so werden nicht uber etliche dreißig aufs höchste 4 bis 6 und dreissig [sic!] hinein gemacht. Von Decorationen können Eure Hoch­ wohlgeb. setzen was Sie wollen, wir können alles machen.416

Mit diesen Worten beschrieb Schürmann 1726 gegenüber Uffenbach die Grundzüge der Braunschweiger Dramaturgie, nach der sich dessen Libretto Pharasmenes, die Dramatisierung einer Episode aus Anton Ulrichs Römischer Octavia, richten sollte. König hatte sich bereits in seiner Vorrede zur ersten Publikation seiner Theatralischen Werke 1713 vehement gegen die Vermischung der Sprachen in der Hamburger Oper ausgesprochen,

415 Vgl. Jahn (2005), S. 336. 416 Zit. nach Schmidt (1933), Bd. I, S. 92.



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[d]a [ich] dann in den Theatralischen Gedichtē/ wegen der Italiänischen Arien/ welche in der Opera Diana beybehalten/ alle Liebhaber der Teutschen Sprache versichere/ daß es mit meinem grösten Verdruß geschehen; Weil aber eine solche vermischte Schreib=Art dazumalen in Hamburg schon als eine langhergebrachte Gewohnheit eingerissen/ wuste ich es im Anfange nicht zu hintertreiben/ wie mich aber nach der Hand allezeit davor gehütet/ so soll michauch [sic!] ins künftige nichts/ als ein höherer Befehl wieder dazu bewegen[…].417

War König offenbar in seiner Hamburger Zeit gegenüber diesem Brauch weitgehend machtlos, traf er sich nun mustergültig mit der Braunschweiger Dramaturgie. Dazu gehörten offenbar auch regelhaft Elemente wie das Bal­ lett, dem Alceste somit bereits in ihrer Grundanlage entgegen kam. Spätestens seit August Wilhelm (1662–1731) 1721 eine regelrechte Bestallung der kurfürstlichen Kapelle durchgeführt hatte mit fünf Sängerinnen, zwei Altisten (beides Kastraten), zwei Tenören (darunter Hasse, der Kapellmeister Schürmann kam noch hinzu) und drei Bässen418 gehörte die Braunschweiger Oper zu den besten Bühnen des deutschen Sprachraums und hatte Hamburg den Rang abgelaufen. Hasse war bereits 1718 als Tenor419 eingetreten, sicher auch weil er sich an diesem Ort und unter Schürmann die beste Ausbildung erhoffte. Das Verhältnis zu Schürmann muss herzlich gewesen sein, denn Hasse übernahm schon bald Dirigate und trat 1721 mit seiner ersten Oper Antioco nach einem Libretto von Zeno auf, in die er bekanntlich auch eine Rolle420 für Schürmann schrieb. Ähnlich unterstützend wirkte Schürmann ein knappes Jahrzehnt später für Graun, der ihm 1725 abermals als Tenor von König empfohlen worden war und später der Hofkapellmeister Fried­ richs des Großen wurde.421 Ausgerechnet aus der Braunschweiger Oper mit ihrer Pflege der deutschen Barockoper und unter der Förderung eines ihrer wichtigsten Komponisten gingen damit zwei Komponisten hervor, die sich als Deutsche dezidiert der italienischen Oper verschreiben sollten und mit Hasse überdies einer ihrer wichtigsten Vertreter im 18. Jahrhundert, dessen bereits auf den frühen klassischen Stil verweisende Opernkunst sich in vieler Hinsicht von Schürmanns Musik herschreibt422 und dem gelang, was Händel versagt blieb: seine Opern wurden an den großen Opernhäusern Italiens auf­ geführt und ihm von den Italienern der Ehrentitel „caro sassone“ – geliebter Sachse – verliehen. 417 418 419 420 421 422

König: Theatralische … Gedichte (1716), o. S. Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 51, 58 und S. 124–125. Vgl. ebenda, S. 56. Die Tenorpartie des Seleuco. Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 64. Vgl. Buelow. In: The New Grove (1980), Bd. 22, S. 822.

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Die Braunschweiger Pflege der deutschen Barockoper bis in die späten 1730er Jahre wurde offenbar begleitet von großer Offenheit für die verschiede­ nen Ausrichtungen der Oper, für deren Realisation sich das Bedürfnis nach deren Originalform (oder einer ihr nahekommenden Bearbeitung) abzeich­ net; Schürmann selbst sollte ab den 1720er Jahren zunehmend auch Bear­ beitungen italienischer Opern vornehmen, deren Libretti er teilweise selbst übersetzte, teilweise, wie im Brief an Uffenbach erwähnt, erheblich bearbei­ tete.423 Uffenbach und Schürmann lernten sich 1728 schließlich persönlich kennen, wie Uffenbach in seinem Tagebuch ausführlich berichtet.424 Die ge­ meinsame Oper war nie zustande gekommen, möglicherweise hatte Uffen­ bach gegenüber Schürmann eine sprachliche Mischfassung für sein Libretto vorgeschlagen und damit dessen programmatische Äußerung provoziert. Denn noch 1733 stellte Uffenbach in der Vorrede zur Publikation seiner Ge­ dichte unter dem Titel Gesammelte Neben=Arbeiten in gebundenen Reden425 auch eine Vorrede von der Würde der Singe=Gedichte ein, in der er der italienischen vor der deutschen Sprache in der Opern den Vorzug gibt und ausführlich aus­ führt, warum das Deutsche zum Singen weniger geeignet sei. Gleichwohl gehörte er zu den standhaften Verteidigern der Gattung ge­ genüber Gottsched, dem er vorwarf: „Wenn ich aber jedoch die gantze Sache kürtzlich betrachte, so kan ich nicht anders muthmassen, als man müsse, wenn man also schreibet, nicht allein der Music gantz unkündig sein […], sondern auch dieselbe hassen“426. Im Übrigen rühre dieser Hass aus weitge­ hender Unkenntnis des Genres. Gottscheds Vorwurf, die gesungene Sprache verstoße gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit kontert er damit, dass dies ebenfalls für die Tragödie gelte, da niemand sich in gebundener Rede unterhalte und die Kulissen des Theaters ebenfalls nur eine zeichenhafte Darstellung der Schauplätze gäben.427 Demgegenüber jedoch sei der Oper in ihrer Wirkung ein besonderer Nutzen zuzuschreiben, der den der Tragö­ die übersteige. Denn wo die Tragödie antritt, „Schrecken, Betrübnis, Zähren und Furcht allein zu erregen“428, da ist das Bestreben der Oper, dass dem 423 Vgl. Schmidt (1933), Bd. I, S. 61. 424 Auszüge ebenda, S. 102–111. Uffenbach beschreibt auch Schürmanns eigentümliche Sprech­ weise, die an Stottern erinnert: „des guten H. capellmeisters zwar nathürlicher aber unerhört seltsamer Fehler im reden, dass ihme so übel stammelnd, und gepresset abgehet, dass einem der mit ihm zuerst zu thun hat, der angsschweiss ausbricht.“ (zit. nach ebenda, S. 103). 425 Worinnen, nebst einer Poetischen Auslegung des Sinnbildes CEBETIS des Thebaners, ver­ schiedene Moralische Schrifften, zu Ausbesserung menschlicher Sitten, enthalten, Und nebst einer Vorrede von der Würde der Singe=Gedichte, Mit dessen Genehmhaltung ans Licht gestellet. Hamburg 1733. 426 Neben=Arbeiten, (1733), o. S. („b2“). An anderer Stelle heißt es: „ein einzelner Hasser der edlen Music“. 427 Ebenda, o. S. („b5“). 428 Ebenda, o. S. („c3“).



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Zuschauer „eine löbliche Helden=That nach hergebrachter oder hypotheti­ schen Wahrscheinlichkeit zur Nachahmung tugendhafter und guter Sitten vorgestellet wird.“429 Es ist sicherlich kein Zufall, dass als Replik der Gottsched’schen Opern­ kritik just von diesem Genre ausgehend eine erste Erhabenheits-Kritik an der Tragödie und ihrer Ästhetik des „angenehmen Schreckens“ formuliert wird,430 wie sie Wieland später aufgreifen sollte und wie sie noch pointierter Hudemann vorbringt: Sollte man sich nun nicht wundern, daß es noch Leute gebe, die sich schreckhafte und traurige Stunden mit Gelde erkaufen, da sie doch, wenn sie überhaupt auf das menschliche Elend ihre Gedanken richteten, genugsame Gelegenheit bekämen, umsonst, und in ihrer Kammer, zu erzittern und zu trauren?431

3.4.7  Die Hamburger Dramaturgie 1696–1719 Obgleich zwischen der Hamburger und der Wolfenbütteler Opernbühne ein enger Austausch bestand und Librettisten wie König beide Bühnen mit Stü­ cken versorgten, zeichnet sich deutlich eine unterschiedliche Dramaturgie ab, wie sich an Schürmanns und Königs auf beiden Bühnen im selben Jahr aufgeführter Getreuer Alceste in mustergültiger Weise darstellen lässt. Unter Conradi hatte die Hamburger Oper besonders stark unter fran­ zösischem Einfluss gestanden. Unter Kusser, Keiser und später Mattheson fand diese ihren Höhe- und zugleich Wendepunkt in der französischen Melodieführung der allerdings nach italienischem Muster gebauten Arien und vor allem einem ausdrucksstarken Rezitativ.432 Der aus der Symbiose französischer und italienischer Opernkunst erwachsende „vermischte Ge­ schmack“ der frühen deutschen Barockoper mit seiner formalen Vielfalt sollte auch nachhaltige Spuren im Opernschaffen Händels hinterlassen, der sich nach seinen Lehrjahren in Hamburg unter Keiser nie ganz dem Typus der Metastasianischen Reformoper verschrieb, sondern bis hin zu seinen 429 Ebenda, o. S. („c“). 430 Vgl. dazu Carsten Zelle: Angenehmes Grauen. Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schreckens im achtzehnten Jahrhundert. Hamburg 1987, S. 38–42. Vgl. ferner Laurenz Lüt­ teken: Poesie als Klang: Johann Friedrich von Uffenbachs Gottsched-Replik und Telemanns Opernschaffen. In: Telemann in Frankfurt. Peter Cahn (Hg.). Mainz u.  a. 2000, S. 253–255. 431 Ludwig Friedrich Hudemann: Proben einiger Gedichte und Poetischen Uebersetzungen. De­ nen ein Bericht beygefügt worden, welcher von den Vorzügen der Oper vor den Tragischen und Comischen Spielen handelt. Hamburg 1732, S. 160. 432 Vgl. Hansjörg Drauschke: „dass ihm die Singspiele in der That eine musikalische Universität wären“. Johann Mattheson als Schüler und Lehrer am Hamburger Gänsemarkt. In: Göttinger Händel-Beiträge XI (2006), S. 135–169, hier: S. 142, 144 und S. 147.

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letzten Opern aus dem Reformpotential der französischen Tragédie lyrique schöpfte.433 Im Umfeld der Hamburger Bühne entstand in den ersten beiden Jahr­ zehnten eine Reihe von Schriften zur Oper, die den Grundstock zu einer Poetik der deutschen Barockoper ergeben und zugleich auf die Hamburger Situation Bezug nehmen. Die wichtigste dieser programmatischen Schriften ist zweifelsohne Feinds Abhandlung Gedancken von der Opera (1708), die stark reflektierenden Charakter hat, wohingegen Menantes in Galante und Geist­ liche Gedichte434 und Die allerneueste Art zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen praktische Anleitung zur Abfassung eines guten Operntextes geben und da­ mit gleichzeitig dem Konzept der galanten Oper zum Durchbruch verhelfen will.435 Königs Einleitung zu seinen Theatralischen Gedichten hat neben den pro­ grammatischen Äußerungen den Charakter einer Apologie, während Mat­ thesons umfangreiches Schrifttum später einsetzt und in die Richtung einer Systematisierung und Dokumentation der Leistungen der Hamburger Bühne geht. Über Mattheson verbindet sich die Oper überdies mit den moralischen Wochenschriften. Bereits ab Mai 1713 und damit parallel zur Hochblüte der Gänsemarktoper erschien in Hamburg die erste moralische Wochenschrift Der Vernünftler. Herausgeber dieses eng an den englischen moral weeklies Spectator und Tatler angelehnten Blattes war kein Geringerer als der Sänger, Komponist und zeitweilige Dirigent der Hamburger Gänsemarktoper Mat­ theson. Feind entwickelt anhand des Librettos eine Poetik der deutschen Ba­ rockoper, die zwischen dem älteren italienischen Vorbild und der jünge­ ren französischen Schwestergattung verortet wird. So empfiehlt Feind den italienischen Madrigalvers zum Rezitativ, aber auch dessen durchgängige Reimbindung nach französischem Vorbild. Gegenüber dem Übergewicht des Wunderbaren in der Tragédie lyrique verhält Feind sich eher ablehnend, ebenso gegenüber mythologischen und biblischen Stoffen. Bezüglich Letz­ teren nimmt er eine abwägende Position ein, nach der die antiken Stoffe von den Sitten der Gegenwart zu sehr abstechen und daher die dem Kulturkreis eher entsprechenden biblischen Geschichten eigentlich eine größere Eig­ nung aufweisen. Doch gegen ihre Verwendung auf der Opernbühne spricht vor allem das rezeptionsästhetische Argument, dass, wer aus religiösen Vor­ behalten keine Opern mag, sich über die „Veroperung“ der Bibel nur noch 433 Vgl. u.  a. Drauschke (2006), S. 149. 434 Hamburg 1706. 435 Zur Rolle des Galanten vgl. Bernhard Jahn: Christian Heinrich Postels Verstöhrung Jerusa­ lem (1692). Zur Konfrontation divergierender barocker Poetiken und ihrer Destruktion im Opernlibretto. In: Compar(a)sion. An International Journal of Comparative Literature 2 (1994), S. 127–152.



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mehr ärgern müsste. Hinzu kommt, dass die Verbindlichkeit der biblischen Geschichten durch eine poetische Bearbeitung in den Stand von Literatur versetzt und damit eingeschränkt würde.436 Empfohlen werden daher, aller­ dings indirekt mit Verweis auf die Praxis der italienischen Oper, historische Sujets. Feinds Text geht gezielt auf Saint Évremonds Opernkritik ein und setzt sich überdies ernsthaft und informiert mit dessen Abwertung des italieni­ schen Gesanges gegenüber dem französischen auseinander. Ausgesprochen hellsichtig ist dabei seine Einschätzung, nach der die von Saint Évremond hochgelobte „Natürlichkeit“ des französischen Gesanges stets in der Gefahr stehe, den Unterschied zum Gewöhnlichen, nicht Kunstvollen einzuebnen: „Die Vertu ihrer Virtuosen, so viel ich derselben gesehen und gehöret/ ist so mittelmäßig/ daß man kaum einen Unterscheid unter dem ordinairen/ natür­ lichen und künstlichen Gesang vernehmen kan“437. Das ist durchaus nicht reine Polemik, sondern umreißt hellsichtig das zentrale Problem auch des späteren Singspiels, das seine Theorie und Entstehung wesentlich aus den französischen Überlegungen zur Natürlichkeit einer gesungenen Gattung verdankt. Aus dem Gegenüber von Künstlichkeit und Natürlichkeit als zwei Optionen der Oper entwickelt Feind jene Position von der eigengesetzlichen Wahrscheinlichkeit des musikalischen Kunstwerks, die die deutsche Diskus­ sion bis zu Wieland bestimmen sollte.438 Feind zeichnet in seinen Opern individuelle Charaktere, für die er im Traktat fordert: Ein Philosophus, Grosmüthiger/ Verliebter/ Verzweifelnder/ Rasender/ Misträui­ scher/ Eyfersüchtiger/ Zweifelmüthiger [etc.] muß nach seiner Gemüths=Beschaf­ fenheit seine Person præsentiren/ und seine eigne/ von den andern weit abgeson­ derte/ Reden vorbringen: wozu aber viel und eine grosse Capacitè [sic!] erfordert wird/ da denn nicht hundert/ sondern tausenderley Veränderungen vorkommen/ darnach die Zeiten/ die Lebens=Art und Sitten allerhand Nationen differiren.439

436 Gedancken von der Opera (1708), S. 83–84. Vgl. Jahn (2005), S. 143–146. Die von Smart vertretene Interpretation, Feind setze sich in dieser Position entschieden von der referierten Position Saint. Évremonds ab, ist mir aus dem Text nicht ersichtlich. Vgl. Sara Smart: Die Oper und die Arie um 1700. Zu den Aufgaben des Librettisten und zur Form und Rolle der Arie am Beispiel der Hamburger und Braunschweiger Oper. In: Gudrun Busch und Anthony J. Harper (Hg.): Studien zum deutschen weltlichen Kunstlied des 17. und 18. Jahrhunderts. Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 12 (1992), S. 127–182; vgl. ferner: Smart (1989) und Geck (1992), S. 201–202. 437 Gedancken von der Opera (1708), S. 75. 438 Vgl. die ausführliche Diskussion im Kapitel Alceste im Kontext der Opernästhetik des 18. Jahrhunderts. 439 Gedancken von der Opera (1708), S. 86.

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Damit verabschiedet Feind das Libretto von typisierten Charakteren der Ty­ pen- oder Säftelehre,440 nimmt de facto Lessings Definition des gemischten Charakters vorweg441 und fordert ferner die Kohärenz von Charakter und Passion ein: daß/ wie die Rede/ als des Hertzens Dolmetscher/ die Beschaffenheit des Ge­ müthes andeuten soll/ selbige auch nohtwendig nach dem Caracter der eingeführ­ ten Person eingerichtet seyn muß/ und nach der Passion, davon solche beherrscht wird.442

Er geht so weit, vom Poeten zu verlangen, bei der Abfassung des Librettos bereits das besondere Vermögen der Darsteller, also etwa eine besondere Geläufigkeit, die Neigung zu virtuosen und heroischen Arien oder aber her­ vorstechende Tiefe des Ausdrucks, die zu Lamenti befähigt, bei der Gestal­ tung der Charaktere einzuberechnen. Diese Aufgabe obliegt gewöhnlich dem Komponisten, wirft aber ein deutliches Licht auf die enge Kooperation aller Kräfte im Umfeld der Hamburger Oper und abermals darauf, wie sehr das Libretto zeitgenössisch bereits für die gesamte Oper steht.443 Zu den hervorstechenden Merkmalen der Hamburger Dramaturgie ge­ hören die italienischsprachigen Arien, die mit deutschsprachigen abwech­ seln. Die erste italienische Einlagearie erklang 1695 in Armida (Text: Fiedler, Musik: Pallavincini),444 die bereits 1693 vollständig in italienischer Sprache aufgeführt worden war.445 Als erste systematisch mit Arien in italienischer Sprache ausgestattete Oper gilt Keisers Claudius 1703 nach einem Libretto von Heinrich Hinsch (1650–1712).446 Die Einführung der italienischen Arien ging vermutlich auf Keiser zurück,447 der sich u.  a. damit als italienischer Komponist profilieren wollte. Dass die italienischen Arien in Keisers Opern (Ausnahmefälle oder zeitübliche Übernahmen beiseitegelassen) von Keiser selbst komponiert sind, gilt als gesichert, es gibt daher bis zum Beweis des Gegenteils keinen Grund, dies nicht auch für die anderen Komponisten an­ zunehmen. 440 Zu den Transformationen der Säftelehre in die Diskurse der Empfindsamkeit vgl. Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München Fink, 1999, insbesondere S. 112–134 und S. 211–218. 441 Vgl. Meyer (1984), S. 118–119. 442 Gedancken von der Opera (1708), S. 100. 443 „So wird der Text zur eigentlichen Quelle der Inventio.“ Meyer (1984), S. 117. Auch Wieland sollte seine Rollen bereits mit Blick auf die Darsteller konzipieren. 444 Vgl. Schmidt (1918), S. 212. 445 Brockpähler (1964), S. 202. 446 Vgl. Arno Lücker: Reinhard Keisers Orpheus-Opern – Anmerkungen zu den Libretti. In: FZMw 7 (2004), S. 69–92. Hier: S. 82. 447 Dass Keiser die Arientexte selbst verfasst hat, wie Chrysander annahm, ist aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich. Vgl. ebenda, S. 82–85.



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Die italienischen Arien fanden beim Publikum offenbar so großen Ge­ fallen, dass das Prinzip bis zu Telemann erhalten blieb, der es mit seinem Or­ pheus, oder die wunderbare Beständigkeit der Liebe von 1726 auf die Spitze treiben sollte, dessen anonymes Libretto ein Pasticcio448 unter Verwendung von Tex­ ten in Deutsch, Italienisch und Französisch ist,449 gleichwohl auch hier mit originaler Musik von Telemann. Gegen die Annahme der älteren Forschung, es handle sich bei den italienischen Arien grundsätzlich um Einlagearien aus italienischen Opern spricht bereits auf der Textebene, dass keiner der überlieferten Librettodrucke einen Urheber oder eine Quelle für die Texte benennt. Da die Libretti nicht immer, aber in manchen Fällen sehr genau die verschiedenen Urheber, z.  B. den eines neuen Prologs verzeichnen, darf man wohl in der Regel davon ausgehen, dass die italienischen Arientexte vom Librettisten des Librettos stammen.450 Die meisten Librettisten waren auch als Übersetzer italienischer Libretti tätig und beherrschten diese Sprache gut genug, um mit entsprechender Übung und unter Verwendung häufig wieder­ kehrender Textbausteine italienische Arientexte herzustellen. Dafür, dass der Librettist gleichzeitig der Urheber der italienischen Texte war, spricht über­ dies, dass diese, sofern sie deutsche Arien ersetzen, diesen sehr ähnlich sind. Im Libretto wird den Arien überdies eine deutsche Übersetzung beigefügt. Bei der Zusammenarbeit von König und Schürmann wäre überdies sogar der Komponist in der Lage gewesen wäre, die erforderlichen Arientexte zu verfassen. Gegen die lustige Person wendet sich Feind zum ersten Mal mit beson­ derer Schärfe, obgleich auch er gezwungen war, sie in seinen Stücken auftre­ ten zu lassen, und formuliert dazu eine Poetik des guten und bösen Lachens: Noch einmahl mein Bedencken davon zu sagen/ wie offt geschehen/ so gehören dieselbe gar nicht in die Opera, und das Theatrum wird nur dadurch prostituiret/ denn es lässt/ als wann man mit Fleiß die Leute zum Lachen wolte reitzen/ welches nicht allein allen ehrbaren Sitten zuwider/ sondern auch eine Verachtung involvirt, und nicht wares Plaisir ; denn was mir gefällt/ da erfreue ich mich wol über/ aber ich verlache es nicht : Nur das belachet man/ was einem verächtlich fürkömmt. In Hamburg ist die üble Gewonheit eingerissen/ daß man ohne Arlechin keine Opera auf dem Schauplatz führet/ welches warlich die grösseste bassesse eines mauvait goût

448 Von Johann Philipp Praetorius auf der Basis von Michel du Boulays Orphée für Lully (1690). 449 Bereits 1716 enthielt Johann David Heinichens Die Römische Großmuth/ Oder Calpurina, eine Übersetzung von Bracciolis Libretto durch Ulrich König neben italienischen auch zwei fran­ zösische Arien. Vgl. ebenda, S. 88. 450 Selbstverständlich gab es auch andere Praxen, wie Maul am Beispiel der Banise-Opern für Leipzig beschrieben hat, doch zeigt sich hier, dass die italienischen Arien teilweise signifikant vom Text der Geschichte abweichen, sich also regelrechte dramaturgische Kleberänder aus­ machen lassen.

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Alceste 1660–1719 und schlechten Esprit des Auditorii an den Tag leget. Was bey der gantzen politen Welt für abgeschmackt und ridicul passiret/ findet daselbst die grösseste Approbation.451

Einzig als alternativen Kommentator möchte Feind die komische Figur ak­ zeptieren: Wenn es endlich ein unümgänglicher Zwang/ lustige Personen einzuführen/ so thut man am sichersten und besten/ daß man selbige das Amt eines Satyrici vertre­ ten/ und die gemeine/ im Schwange gehende Laster/ durchziehen läst.452

König hatte bereits 1713453 für Heraclius versichert, „die darin eingeführte Gärtner=Wittwe aber ist/ wie die die andre lustige Personen in meinen Schau=Spielen/ wider meine Neigung/ und bloß denjenigen zu Gefallen hinzugekommen/ welche meynen/ daß sie ihr Geld sehr übel angewendet/ im Fall sie nicht etwas zu lachen gefunden.“454 Ähnlich beurteilt Menantes die lustige Person als eine Konzession insbesondere an den Hamburger Publi­ kumsgeschmack, erkennt aber gutmütig auch die durch sie gegebene formale Bereicherung des Stückes an. Endlich wird auch eine lustige Person in den Opern erfordert/ woran viele einen solchen N. gefressen/ daß/ wenn diese nicht darinnen/ so gehen sie nicht hinein/ die andern Sachen mögen noch so schön seyn/ als sie wollen. Also ist es hier in Hamburg ein nohtwendiges Stück/ und kan noch wohl geduldet werden/ wenn man klug damit verfähret/ indem eine Abwechslung beliebt.455

Die Librettisten folgen damit der allgemeinen Tendenz der italienischen Opera seria, die zu einer vollständigen Austreibung der Komik aus der Oper und in die Intermezzi der Zwischenakte führen sollte, aus welchen wie­derum die komischen Opernformen als eigenständige Gattung hervorgingen. Kö­ nig war für Die Getreue Alceste 1719 schließlich in der für ihn komfortablen Position, tatsächlich auf die lustige Person verzichten zu können, wie es be­ reits Feind in seinen letzten Opern der Jahre 1715 und 1716 gelungen war. Der Hamburger Spielplan zeigt in den Jahren vor der ersten Phase des Opernstreits die mit anderen Bühnen vergleichbare Mischung aus biblischen, historischen, mythologisch-pastoralen (z.  B. Andromeda und Perseus 1679456) 451 452 453 454 455 456

Gedancken von der Opera (1708), S. 103. Ebenda, S. 104. Mit diesem Jahr ist die Vorrede unterzeichnet. König: Theatralische … Gedichte (1716), Vorrede, o. S. Theatralische/ Galante und Geistliche Gedichte/ von Menantes. Hamburg 1706, S. 119. Musik von Franck.



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und mythologisch-historischen Stoffen (z.  B. Aenae, des Trojanischen Fürsten Ankunft in Italien 1680457). Eberhard Haufe fasst die beiden letzten Ausrich­ tungen als „mythologische Stücke“ zusammen,458 was allerdings einige Pro­ bleme mit sich bringt, weil damit die Scheidelinie verwischt wird zwischen der Pastorale, die tatsächlich einen Mythos als zyklisch wiederkehrendes, je­ denfalls dauerhaft gültiges Paradigma auf die Opernbühne bringt, und den mehr oder weniger historischen Gründungsmythen der griechischen und römischen Antike, die als singuläre Ereignisse dargestellt werden. Letztere bilden aber nachgerade das Rückgrat der Zeno’schen und Metastasianischen Libretto-Reform und fungieren somit als Dramma per musica. Innerhalb dessen fungieren auch mythologische Stoffe für den Betrachter gerade nicht mehr mythologisch, nämlich als unverbindliche Relikte einer abgelebten Reli­ gion, sondern historisch, als relevante Exempel für die Gegenwart. Da die griechische Mythologie für das christliche Publikum keine ge­ lebte war, gerät sie in das Feld humanistischer Bildung, sobald nicht mehr die weithin bekannten Geschichten von Orpheus, Diana und Theseus erzählt werden. War diese beim venezianischen Publikum offenbar immerhin so weit vorauszusetzen, dass, aufgefrischt durch das Argomento, die Handlung ge­ nossen werden konnte, so klagt Feind 1708: In Hamburg ist man gantz degoutirt für die Heydnische Götter-Fabeln/ und wüste ich kein eintziges Exempel von dieser Sorte, welches recht rëussiret : Wiewohl ich der sichern Meynung bin/ daß daselbst kaum 20 anzutreffen/ die die Delicatesse einer Opera, oder derselben Vertu und Beschaffenheit/ aus dem Grunde inne haben/ und aus dieser so geringen Zahl ist oft keiner zugegen.459

Das Hamburger Publikum verfügte offenbar schlicht nicht über die erfor­ derliche Bildung, um die Darstellung der antiken mythologischen Stoffe zu genießen. Während für die Hofoper genuin mythologische Sujets mit ihrem zyklischen Geschichtsbild in ihrer Funktion des emblematischen Herrscher­ lobes bzw. zu wiederkehrenden Anlässen wie Hochzeiten, Jahrestagen etc. ihren festen Platz behielten, wandelte sich der Umgang mit antiken Stoffen vom allgemeingültigen, interpretationsbedürftigen Prinzip (z. B. Orpheus, Persephone) zum historischen Exempel, das bereits aus seiner Faktizität ­heraus interessant und lehrhaft ist. So empfiehlt Hunold bereits 1706, his­ torischen Sujets den Vorzug zu geben, „weil/ wo eine denckwürdige Ge­ schichte wohl aufgeführet wird/ man dadurch in der Leute Gedächtniß eine angenehme Erinnerung und einen lebhafften Abdruck in den Gemüthern

457 Musik von Franck, Text von Förtsch. 458 Haufe (1964/1994), S. 34–54. 459 Gedancken von der Opera (1708), S. 85.

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durch die Actionen verursachet“, nicht ohne zuvor zu vermerken, dass er in Weissenfels, also an einer Hofoper, mythologische Opern gesehen habe „die nicht uneben/ sondern theils recht schön waren.“460 Als wahre Begebenheit, also als Dramma per musica dargestellt, eignen sich antike Sujets wie die Geschichte von Alceste also zur Identifikation des Zuschauers, unabhängig davon, ob er den Stoff in den humanistischen Kon­ text einordnen kann. Das ist wie ein fernes Echo auf Cleons Argumente in der Critique d’Alceste, der in Admète vor allem einen galanten Liebhaber sehen wollte, und erhellt den weiteren Wandel der Admetus-Figur in Königs Fassung. Haufe erklärt das Verschwinden der mythologischen Oper im Sinne der Pastorale mit einem Generationswechsel unter den Librettisten; Feind, Menantes und König wurden alle erst in den ersten beiden Gründungsdeka­ den der Hamburger Oper geboren. Allerdings steht der Paradigmenwechsel vor allem im Zusammenhang mit der ersten großen Librettoreform, die be­ reits kurz nach 1700, also praktisch ohne Verzögerung auch an den Spielstät­ ten der deutschen Barockoper wirksam wurde. Die Getreue Alceste wurde 1719 zunächst in Braunschweig aufgeführt. Beide Librettodrucke sind erhalten,461 jedoch nur die Partitur der Hamburger Auf­ führung.462 Diese wird in der Forschung durchgängig als „Pasticcio“ verzeich­ net,463 da Gustav Friedrich Schmidt in seiner Monographie zu Schürmann „Einlagen von 14 ital. Arien und einem ital. Duett anderer Komponisten“ angibt.464 Die Verfahrensweise italienischer Einlagearien war offenbar typisch für Schürmanns Arbeitsweise, wenigstens wenn er seine für Braunschweig 460 Menantes (Hunold): Theatralische/ Galante und Geistliche Gedichte (1706), S. 126. 461 Ulrich König: Die Getreue Alceste. In einer Opera vorgestellet auf dem Braunschweigischen Theatro. In der Winter=Messe. Anno 1719. Braunschweig 1719. Und ders.: Die getreue Al­ ceste. In einer Opera Auf dem Hamburgischen Theatro vorgestellet. Anno 1719. Hamburg 1719. 462 Schürmann, Georg Caspar: Die Getreue Alceste. Ms. der Partitur. O. J. 1719. 463 Vgl. MGG², Bd. 15, Sp. 350. 464 Schmidt (1933), Bd. II, S. 246. Im Falle der Alceste kann Schmidt keine genauen Angaben über die Herkunft der Arien machen. Es ist durchaus denkbar, dass die Arien wenigstens teilweise Neuschöpfungen sind, wie bei Keiser. König war fraglos in der Lage, italienische Arientexte zu verfassen, Schürmann ebenfalls (vgl. ebenda, Bd. I, S. 37–38. Mattheson, der 1719 in Der Musicalische Patriot (Hamburg 1728, Repr. Kassel 1975) angibt, die Oper sei von „Capellmeis­ ter Schürmann zusammengesetzt“ (S. 190) ist in diesem Falle keine sonderlich verlässliche Quelle, da er, wie Schmidt ausführlich belegt, vermutlich aus persönlichen Gründen Schür­ manns kompositorische Eigenleistung maliziös gegenüber Anleihen anderer Komponisten „vermutlich wider ihr Wissen und Willen“ (S. 190) herabsetzt. Noch Abert übernimmt fraglos die unbewiesene Behauptung von den „italienische[n] Originalarien anderer Komponisten“. Vgl. Anna Amalia Abert: Der Geschmackswandel auf der Opernbühne, Am Alkestis-Stoff dargestellt. In: Die Musikforschung VI (1953), S.  214–235, hier zit. nach: Gluck und die Opernreform. Klaus Hortschansky (Hg.). Darmstadt 1989, S. 69.



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durchgängig deutschsprachigen Opern für Aufführungen auf der Hambur­ ger Bühne bearbeitete, wie beispielsweise auch Heinrich der Vogler. Der Begriff Pasticcio ist bezogen auf Alceste aber hochgradig irreführend, denn die Bezeichnung beschreibt die vor allem im 18. Jahrhundert verbrei­ tete Praxis aus dem Feld der italienischen Oper, beliebte Arien verschiede­ ner Komponisten mit einem eher locker geknüpften Handlungsfaden zu versehen. Diese wunschkonzertartigen „Pasteten“, deren locker gebackene dramatische Hülle mithin also nur die Funktion hatte, das leckere Musik-Ra­ gout zusammenzuhalten, orientierten sich häufig an den beliebtesten Arien großer Gesangsstars, etwa Farinellis oder Gaetano Guadagnis (1728–1792) in London. Die Bezeichnung „Pasticcio“ für die Hamburger Fassung der Alceste impliziert somit zu Unrecht eine eher beliebig und möglicherweise gar von fremder Hand zusammengekleisterte Partitur, die mit den ursprüng­ lichen Intentionen von König und Schürmann wenig mehr gemeinsam hat. Schürmanns Praxis eingelegter italienischer Arien ist jedoch kaum vergleichbar mit einem italienischen Pasticcio. In der Hamburger Fassung stehen noch immer 18 deutsche Arien und Duette 14 italienischen Arien und Duetten gegenüber. Hinzu kommen die 10 verbliebenen Chöre, die teilweise ganze Szenen umspannen. Abgesehen vom natürlich schmerz­ lichen Verlust der 14 durch italienische Arien ersetzten Kompositionen lässt das Libretto der Braunschweiger Fassung im Verein mit der Ham­ burger Partitur ferner zu, nicht nur die Braunschweiger Fassung in ihrer Form und Dramaturgie weitestgehend zu rekonstruieren, sie ermöglichen geradezu einen Blick in die Werkstatt der deutschen Barockoper und auf die aufschlussreichen dramaturgischen Verschiebungen zwischen zwei sich personell und räumlich so nahestehenden Opernhäusern wie Braunschweig und Hamburg. Daran zeigt sich, wie stark die unterschiedlichen Dramatur­ gien wirkten, die sich auch aus der Funktion der Oper ergaben: einmal als immerhin semihöfisches Unternehmen in Braunschweig, in dem kein Text vertont wurde, ohne dass er vom Herzog zuvor geprüft wurde,465 und das andere Mal als reine Publikumsoper mit sehr gemischter Besucherschaft in Hamburg. Die heute in Berlin aufbewahrte Hamburger Partitur466 weist mindestens zwei verschiedene Handschriften für die Noten auf. Grundlage ist offen­ kundig eine Reinschrift der Alceste der Braunschweiger Aufführungen. Aus der Partitur wurden Seiten entfernt und durch eingenähte Einlagen ergänzt.

465 Vgl. Schmidt (1933), Bd. II, S. 16–17. 466 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Sig. Mus. ms. 20360.

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Die Ergänzungen decken sich (weitgehend) mit der im Hamburger Text­ buchdruck dokumentierten Fassung467 und gehören demnach zur Schicht der Umarbeitungen für die Hamburger Bühne. Teile dieser Umarbeitungen, ­darunter alle italienischen Arien der Männerfiguren bis auf die des Pluto, sind von derselben Hand vorgenommen worden, die auch die Vorlage ge­ schaffen hat (Hand I). Damit ist anzunehmen, dass wenigstens dieser Teil der Ergänzungen vom Braunschweiger Kopisten vorgenommen wurde. Eine zweite Hand mit wesentlich großzügigerem und eigentümlich modernem Duktus ergänzt teilweise nur ein Vorsatzblatt und Arienritornell, schreibt Re­ zitativstücke, die wegen der Einlageblätter nicht mehr gut lesbar sind ab oder verändert sie, vermutlich um die tonartliche Hinleitung zur neu eingelegten Arie zu vollziehen und realisiert die eigentliche Umgestaltung der Partitur. Drei der italienischen Einlagearien der Alceste stammen von dieser Hand, Admetus „Gute Nacht/ ihr schönen Blicke“, der Schluss der Szene 7 mit dem Duett „allzu früh muss ich dich lassen“ sowie Szene 8 und die Arie der Hyppolite „Mit dieser Faust will ich mich selbst bestraffen“, das Duett von Alceste und Admetus „Fahr ewig wohl!“ und Alcestes Schlussarie „Torna al alma“. Es wurden also maßgeblich die Arien der Alceste umgestaltet, was vermutlich mit der in Hamburg für die Partie vorgesehenen Sängerin und ihren Fähigkeiten zu tun hatte. Hand II wird gegen Ende des Manuskripts zunehmend dominant, und ist, wie gelegentliche Einlagen beweisen, einer zweiten Arbeitsschicht zuzuordnen. Sie scheint einem eng mit Komponisten arbeitenden Schreiber zuzugehören, der direkte Änderungen ausführt. Leider sind keine gesicherten Notenautographe von Schürmanns Hand überliefert, die eine eindeutige Zuordnung erlauben würden. Dass überdies mitunter Li­ bretto- und Notentext von verschiedenen Schreibern eingetragen wurden, erschwert eine Zuordnung zusätzlich. Die autographen Briefe Schürmanns an Uffenbach aus dem Jahr 1727468 zeigen zwar einen vergleichbar raum­ greifenden Duktus, doch ist die, für Dokumente dieser Zeit ausgesprochen modern anmutende, durchgängig lateinische Schrift verwendende und her­ vorragend lesbare, zugleich eigentümlich exzentrisch wirkende Handschrift Schürmanns für eine sichere Zuschreibung nicht hinreichend identisch mit den Texteintragungen von Hand II.

467 Lediglich die Arie „Sento ancor del dolce labbro“ fehlt in der Partitur. Ob sie kurzfristig entfernt oder für eine spätere Aufführung aus der Partitur herausgetrennt wurde, muss offen bleiben. Wahrscheinlicher ist letzteres. Denn sonst hätte man die Seiten eher zugenäht und bei der Aufführung überblättert. Die Arie entstammte Michelangelo Gasparinis (1675–1732) Arsace (Venedig 1718) und wird aufbewahrt in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Sig. 30176. 468 Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Cod. Ms. Uffenbach 20: II, Bl. 476–479.



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Die italienischen Einlagearien der Tenorpartien Licomedes und Strato von Hand I weisen eine Besonderheit auf. Anders als die früher, doch von derselben Hand geschriebenen deutschen Arien, die im Tenor- bzw. Bass­ schlüssel notiert sind, sind diese im Sopranschlüssel notiert. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass der Kopist (?) all jene Arien zum Einfügen erhielt, die nur abgeschrieben werden mussten und es sich dabei teilweise um So­ pranarien handelte, weil die Auswahl an eingängigen Tenorarien der hier be­ nötigten Affektlagen zeitgenössisch eher begrenzt war. Tatsächlich gehört wenigstens eine von ihnen, Stratos „A questo core“ zu den fünf italieni­ schen Einlagearien, für die Reinhard Strohm die Quellen ausfindig machen ­konnte.469 Sie entstammt Antonio Vivaldis (1678–1741) Ottone in Villa 470, der 1713 in Vicenza uraufgeführt wurde. Allerdings mit einem anderen Text als „L’esser amante“.471 Als Arie des Decius aus der 2. Szene des III. Aktes ist sie dort ebenfalls eine Tenorarie472 und im entsprechenden Schlüssel notiert. Weitere identifizierbare Einlagearien sind die beiden Arien der Hyppolite „Non ha fortuna“ aus Mario fuggitivo von Giovanni Bononcini (1670–1747)/ Stampiglia, 1708 für Wien entstanden und 1709 von Telemann für die Leip­ ziger Oper adaptiert, ferner „Vantar un cor“ aus Antonio Lottis (1667–1740) 1716 für Wien entstandenen Costantino473, der 1718 in Braunschweig aufge­ führt worden war. Hercules’ „Non paventa già mai le cadute“ entstammt Vivaldis Orlando finto pazzo, 1714 in Venedig aufgeführt und ist dort ebenfalls eine Bassarie. Die auf Quellen rückführbaren Arien entfallen damit, relativ zur Gesamtzahl der Arien betrachtet, überwiegend auf die Nebenpartien. Alcestes „Hai sete di sangue“ entstammt ebenfalls einer Vivaldi-Oper, dem 1718 für Venedig entstandenen Artabano, der 1719, unmittelbar vor Alceste als Tigranes in Hamburg gegeben wurde. Für die Einlagearien wurden also gezielt Arien aus Werken verwendet, die im mittel- und norddeutschen Raum bereits aufgeführt worden waren474 bzw. zwei weitere Arien des insgesamt überwie­ genden Vivaldi. Jürgen Neubacher konnte ferner in der Admetus-Arie „Con empia crudeltà“ eine weitere Komposition Lottis aus dessen Oper Foca su­

469 In: Reinhard Strohm: Italienische Opernarien des frühen Settecento (1720–1730). Analecta Musicologica. Veröffentlichungen der musikgeschichtlichen Abteilung des deutschen histori­ schen Instituts in Rom. 2 Bde. Köln 1976, Bd. 2, S. 275. 470 Libretto von Domenico Lalli. 471 Es liegt bei Ricordi eine moderne Edition vor: Domenico Lalli – Antonio Vivaldi: Ottone in Villa. Partitura dell’opera in facsimile. John Walter Hill. (Hg.). Mailand 1983, hier: S. 201–206. 472 Gesungen von dem Tenor Gaetano Mozi (Mossi) aus Bologna (Lebensdaten nicht ermittel­ bar), der 1718 noch in Vivaldis Scanderbeg (1718) sang. 473 Libretto von Apostolo Zeno. Ein Manuskript der Partitur ist in der Österreichischen Natio­ nalbibliothek, Wien erhalten, OCLC-Nummer 38085121. 474 Wobei die beiden von Hand II notierten Arien just jene unmittelbar vor der Getreuen Alceste in Braunschweig und Hamburg aufgeführten sind.

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perbo475 (Venedig 1716) identifizieren.476 Die übrigen neun italienischen Arien sowie die italienischen Duette von Alceste und Admetus müssen bis zum Beweis des Gegenteils als Eigenkompositionen Schürmanns gelten, worin Schneider zu folgen ist, der mit Verweis auf die von König selbst verfass­ ten italienischen Einlagearien in Fredegunda dafür plädiert, die Arientexte und Vertonungen bis zum Beweis des Gegenteils pauschal zunächst den beiden Autoren zuzuschreiben.477 Tatsächlich gibt es keinen Grund davon auszuge­ hen, dass just Schürmann, der in vielfältiger Weise auch als Bearbeiter ita­ lienischer Opern aufgetreten war, für diese – nach der Logik der Hamburger Dramaturgie – Glanzstücke seiner Oper grundsätzlich die Inspiration ver­ lassen haben sollte. Die Überarbeitung ging offenbar Hand in Hand mit dem Komponisten und in Wolfenbüttel vor sich, da die Hamburger Oper nach dem Weggang Keisers 1717 und der vorübergehenden Schließung des Hauses von 1718 bis zu Telemanns Ankunft 1721 keinen halbwegs profilierten Kapellmeister hatte, dem eine derart systematische Einrichtung zuzutrauen wäre.478 Ein­ lagen und Striche erfolgten vermutlich in enger Abstimmung zwischen Li­ brettist und Komponist, folgen sie doch einer klaren dramaturgischen Linie, wie die Analyse im Einzelnen aufzeigen wird. Bei der Hamburger Partitur handelt es sich somit um eine (mindestens) von Schürmann selbst veranlasste bzw. autorisierte Modifikation, die genauso als Werk des Komponisten ein­ zustufen ist wie die ursprüngliche Braunschweiger Fassung.

3.4.8  Die Einleitung Königs – eine Poetik der empfindsamen Oper Die Braunschweiger Fassung des Librettodrucks leitet König mit einem na­ mentlich unterzeichneten Vorbericht ein. Demnach entstand das Stück als Auftragsarbeit für die Braunschweiger Oper und wurde bereits während Königs Hamburger Jahren, also vor 1716 begonnen. Es steht damit in di­ rekter Nachbarschaft zu den Aufführungen der anderen Alcesten, und Kö­ 475 Libretto von Antonio Maria Lucchini (1690?– nach 1730). 476 Für die moderne Wiederaufführung in Hamburg am 9. 3. 2016 unter Leitung von Ira Hoch­ man. 477 Vgl. Schneider (2006), S. 134. 478 Darauf deutet auch eine Notiz Matthesons in Der Musicalische Patriot, wonach Die Getreue Alceste „von Hrn. Capellmeister Schurmann [sic!] zusammengesetzt sei“. Zitiert nach: Walter Schulze: Die Quellen der Hamburger Oper (1678–1738). Eine bibliographisch-statistische Studie zur Geschichte der deutschen Oper. Hamburg und Oldenburg 1938, S. 41. Schürmann nutzte das kapellmeisterliche Interregnum in Hamburg offenbar dazu, die Hamburger Bühne von Braunschweig aus mit seinen Opern zu versorgen und beherrschte für vier Jahre erfolg­ reich deren Spielplan. Vgl. ebenda. S. 40–43.



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nig verweist auf die „frantzösis. Opera Alceste“479 und deren Aufführungen in Hamburg in zwei Übersetzungen, weshalb das Stück wenigstens dem Kenner geläufig sein solle und lädt ausdrücklich zu einem Vergleich seiner Bearbei­ tung mit dem Vorbild ein, von dem noch „Die vielen Tänze/ Chöre/ Flug­ wercke und andere Machinen und Gottheiten“ zeugten. Dem gegenüber steht als zentrale Neuerung „die gantze intrigue der Hyppolite“480, die eine Erfindung Königs ist, und neben den französischen Strukturmomenten die italienische Oper vertritt. Sie sorgt einmal für deren klassische Doppelintrige zweier Lie­ bespaare und bringt mit der Frau in Männerkleidern auf der Suche nach ih­ rem Geliebten einen beliebten Topos der italienischen (venezianischen) Oper ein. Auch wenn König nicht ausdrücklich auf Aureli verweist, hat er dessen zentrale Ergänzung der Geschichte, Alcestes Wiederkehr in Harnisch, in der Figur der Hippolyte in sein Libretto integriert. Da Aurelis Oper zunächst in Hannover, dann überdies in einer deutschen Übersetzung in Leipzig auf­ geführt worden war, kann man für König und wohl auch für einen Teil des Publikums die Kenntnis dieser Form der Geschichte annehmen.481 Die Engführung der beiden Traditionen, mit der „der Italiänische und ~ en vereiniget worden/ welches/ wie ich aus der Er­ Frantzösis. Gout zusam fahrung überzeugt bin/ allezeit bey der Aufführung die beste Würckung ge­ habt“482 gibt somit das poetische Gerüst für Die Getreue Alceste ab. Auf das zentrale Strukturmoment der italienischen Oper, die Arie, geht König natur­ gemäß nicht ein, da sie eine Selbstverständlichkeit bedeutet. Doch begründet er ausführlich eine weitere Änderung gegenüber Quinaults Vorlage: da jener nach der Gewohnheit seiner Nation die Selbstentleibung der Alceste nur Erzehlungs=weise angeführet ; ich hingegen solche würcklich auf den Schau=platz gebracht/ um durch die sichtbare Vorstellung einer so heroischen Action und die von mir hinzugefügte zärtliche Gedancken die Hertzen der Zuschauer desto kräfftiger zu rühren/ welches zwar das schwerste/ aber auch das vornehmste Kunst=Stücke der theatralischen Poesie.483

Der Selbstmord auf offener Bühne ist ein zentraler Verstoß gegen das De­ corum. Auch wenn er hier ein heroisches Selbstopfer ist, bleibt seine Dar­ stellung problematisch. Bereits Aureli hatte Alcestes Selbstmord in eine 479 Getreue Alceste (1719), Vorbericht, o. S. 480 Ebenda. 481 Königs Schlussanmerkung „Der Inhalt des Schau=Spiels an sich selbst ist so bekandt/ und weil er nur aus der Fabel=Geschichte der Alten genommen/ der Critique so wenig unterworf­ fen/ dass ein weitläufiger Vorbericht allhier überflüßig seyn würde“ scheint geradezu eine di­ rekte Replik auf Aurelis elaboriertes Argomento zu sein. Getreue Alceste (1719), Vorbericht, o. S. 482 Ebenda. 483 Getreue Alceste (1719), Vorbericht, o. S.

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Statue überführt, da bei ihm weniger ihr Opfer als die Verwicklungen um ihre Wiederkehr im Zentrum stehen. Die französische Tragédie lyrique steht mindestens in diesem Punkt in der Nachfolge der klassizistischen Tragödie, den Selbstmord ebenfalls hinter die Bühne zu verbannen und nur Alcestes Statue zu zeigen.484 Der Selbstmord auf offener Bühne desavouiert die Fi­ gur eigentlich so weit, dass er nur komischen respektive prekären Figuren wie Seneca in Monteverdis Poppea oder etwa Bajazet in Händels Tamerlano485 zugemutet werden kann. Bemerkenswert ist daher, dass König weder mora­ lische noch theologische Argumente für die Darstellung vorbringt, sondern einzig die Rührung des Zuschauers. Bereits zehn Jahre zuvor hatte Feind den Selbstmord seiner Lucrezia auf offener Bühne verteidigt.486 Etlichen weichmüthigen kömmt es cruel vor/ eine Person auf dem Theatro erstochen zu sehen […]. Und was ist doch wol grausames daran/ wenn man siehet/ wie eine Person sich ersticht/ auf dem Stuhle in der Ferne sitzet/ […] und den Kopff sinken läst? Ich glaube/ die Handwercks=Leute bilden sich ein/ es müsse in solchem Casu, wie auf der Schau=Bühne der Arlechins, ein hauffen klares Blut aus der Wunde des ermordeten rinnen/ und den Schauplatz färben. Solche naturalia sind keine Mode in den Opern […].487

Feind argumentiert, dass der Selbstmord auf der Bühne sehr wohl zuläs­ sig ist, wenn die Geschichte seine Darstellung erfordert und grenzt diese schickliche Darstellungsweise zugleich entschieden von den sensationellen Grausamkeiten der Wanderbühnen ab. Mit demselben Verweis aufs De­ corum, und damit meint er: den guten Geschmack, lehnt er auch Bettszenen auf offener Bühne ab.488 Die starken Mittel müssen demnach im Dienst der Wirksamkeit stehen, im Leser des Librettos (!) und Zuschauer der Oper den richtigen Affekt auslösen, denn „Wo sonst keine Affecten sind/ da sind auch keine Actiones, und wo keine Actiones sind/ da wird es auf dem Theatro sehr frieren“489 Entsprechend bemisst sich die Natürlichkeit der Oper nun an der Wirkung auf den Zuschauer: Das heist nun natürlich darstellen/ wenn der Leser oder Zuschauer bey der Durch­ lesung oder Præsentation gerühret wird : wenn ihm die Sache in der That wahr zu seyn vorkömmt/ und er entweder zum Zorn/ Furcht/ Hoffnung/ Mitleid oder Rache geleitet wird.490 484 485 486 487 488

Zur Bedeutung des Statuenmotivs vgl. Heller (2005). Libretto: Haym nach Conte Agostino Piovene und Ippolito Zanelli. Feind: Gedancken von der Opera (1708), S. 108. Ebenda, S. 106–107. „Ein anders ist jedoch/ auf dem Bette der Buhlschaft wegen/ ein anders/ der Ruhe oder Krankheit halber liegen.“ Ebenda, S. 108. 489 Ebenda, S. 106. 490 Ebenda, S. 108.



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Die innere Bewegung des Zuschauers wird hier bereits mit dem Begriff der Rührung gefasst. Dabei besteht eine Differenz zwischen dem dargestellten Affekt und dem beim Zuschauer hervorgerufenen Gefühl, wo im mit ganz ähnlicher Terminologie arbeitenden bürgerlichen Drama später Illusion und Identifikation stehen. „Die von der Barockbühne im Zuschauer evozierten Affekte sind primär reflektorisch vermittelt, die des späteren bürgerlichen Dramas emotional unmittelbar.“491 Königs Begriff der Rührung beginnt je­ doch gut zehn Jahre später zwischen beiden Haltungen zu oszillieren: Auf das Herz, nicht auf den Verstand des Zuschauers zielen die zärtlichen Ge­ danken der Figuren ab und mit ihnen die Oper. „Da hingegen ein wahrer Kenner in den allertraurigsten und tiefsinnigsten Vorstellungen sein Ergöt­ zen suchet“492. Indem er das Herz des Zuschauers an oberste Stelle setzt, verschwindet die reflektorische Distanz des Zuschauers wenigstens vorüber­ gehend und grenzt sich König sowohl von dem etwas älteren Zeitgenossen Feind als auch von Mattheson ab, der die Wirkung der Oper auf Verstand und Moral an oberste Stelle setzt und sie als die vornehmste Bildungsstätte des Musikers den Universitäten vergleicht: „Opern stehen bey mir, NB. quoad Musicam, in eben dem praedicato, als Universitäten, quoad caetera Studia.“493 Spä­ ter führte er weiter aus: Meines wenigen Erachtens ist ein gutes Operntheater nichts anders, als eine hohe Schule vieler schönen Wissenschaften, worinn zusammen und auf einmal Archi­ tektur, Perspective, Mahlerey, Mechanik, Tanzkunst, Actio oratoria, Moral, Historie, Poesie und vornehmlich Musik, zur Vergnügung und Erbauung vornehmer und vernünftiger Zuschauer, sich aufs angenehmste vereinigen und immer neue Proben geben.494

Auch mit Menantes’ Poetologie der Oper als Schule galanten Verhaltens495 trifft sich Königs Entwurf nicht vollständig. Denn wie Zigler in der Asia­ tischen Banise und vor ihm Anton Ulrich in der Aramena bereits vorführen, wird zum Problem des galanten Diskurses, dass eine eindeutige sprachliche Liebeserklärung nicht mehr möglich ist, da das sprachliche Zeichen in der Codierung des galanten Diskurses arbiträr wird bis zu dem Extrem, dass eine direkte Liebeserklärung nur bedeuten kann, dass der Sprecher gerade für die­ sen Partner nichts empfindet (und vice versa). Die Oper hat jedoch mit der direkten Affektäußerung in der Musik, aber auch dem (in der Vorstellung der 491 492 493 494

Meyer (1984), S. 131. König: Theatralische Gedichte … (1716), Vorrede, o. S. Ders.: Der Musicalische Patriot. Hamburg 1728/ Repr. Kassel 1975, S. 141. Mattheson: Die neueste Untersuchung der Singspiele. Nebst beygefügter Geschmacksprobe liefert hiermit Aristoxenus, der jüngere. Hamburg 1744/ Repr. Leipzig 1975, S. 86–87. 495 Vgl. ders: Die Allerneueste Art (1707), S. 394.

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Zeit) natürlichen Zeichen der Gestik Korrektive gegenüber dem unverläss­ lichen Logos zu bieten. Auch wenn die Barockoper zugleich exemplifiziert, dass man sehr wohl singend lügen kann – vielleicht nicht gegenüber dem Betrachter, wohl aber gegenüber seinen Mitfiguren.496 Während das galante Ideal gerade ermöglicht, eine Person zu heiraten und eine andere zu lieben, weil die Liebe als sprachliches und geistiges Phänomen vom Körper getrennt werden kann, forcieren die Figuren in Königs Alceste eine Übereinstimmung von Liebe und Leib, die nur noch die Paarung mit dem einen geliebten Partner möglich macht. Die zentrale Umgestaltung trifft daher eine Nebenfigur: Cephise, die Hofdame der Alceste. Während sie bei Quinault als Kokette zwischen zwei Liebhabern schwankt und am Ende fröhlich mit beiden eine Menage à trois eingeht, verliebt sie sich in Königs Libretto ausschließlich in die als Mann verkleidete Hyppolite. Erst nachdem sich ihre Liebe nicht nur als unerwi­ derte, sondern als unmögliche entpuppt, da der geliebte Mann nicht nur ­einen anderen liebt, sondern überdies eine Frau ist, reicht sie Strato, ihrem früheren Verehrer, die Hand. Selbst das schlichter gestrickte Herz kann also nicht mehr zwei gleichzeitig lieben. In der Hamburger Fassung des Librettos fehlt neben dem Vorbericht auch die Beschreibung der Tänze „der verkleideten Gratien und Amours. Der verkleideten Najaden und Tritons. Der Westwinde/ welche im Tanzen die 496 Vgl. Jahn (2005), S. 105–111. Jahn übersieht bei seiner im Ganzen einleuchtenden Gegen­ überstellung von arbiträren (textlichen) und natürlichen (Bühnen-)Zeichen die ambivalente Rolle der Bühnengestik. Wenn man die Gestik als natürliches Zeichen betrachtet, wie das die von Jahn zitierten Traktate mehrheitlich tun, so ist diese als Korrektiv des arbiträren sprach­ lichen Zeichens bei jedem Bühnenereignis konstant präsent. Der Körper lieferte demnach eine konstante zweite Sprachebene, die ggf. als Korrektiv der arbiträren Sprache fungieren könnte. Allerdings ist der Gestenkanon ein rhetorischer und ebenfalls Gegenstand des ga­ lanten Diskurses respektive geregelt durch die Rhetorik, die beide versuchen, das natürliche Zeichen Gestik zu kontrollieren und es somit in die Richtung eines arbiträren Zeichens zu modifizieren. Sprache und rhetorische Gestik liefern demnach sehr wohl die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterlaufen, etwa wenn die Königin in Händel/Hayms (nach Noris und Domenico Lalli) Radamisto (1719) ihren tot geglaubten, incognito zurückkehrenden Gatten erkennt, dieses sprachlich verschleiert (da der Tyrann gerade neben ihr steht), ihm aber durch ihre Gesten zu verstehen gibt, dass sie ihn erkannt hat. Die Gestik hat somit das Potenzial eines gedoppelten Lügens. Der Musik kommt im Gegenzug in der Regel die Rolle zu, den wah­ ren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Allerdings tut sie dieses auf der Basis eines Textes, der ihren Grundaffekt bereits vorgibt. Eine bewusste, diametral dem Arientext entgegengestellte Aussage der Musik ist mir für den Zeitraum der Untersuchung nicht bekannt und wäre in den Poetiken auch wohl eher als Ungeschicklichkeit beschrieben worden. Noch Mozarts berühmte Arie der Fiordiligi „come scoglio“ (sog. Felsenarie) unterläuft ja nur sehr subtil mittels Überzeichnung mit der Musik ihre Selbstdarstellung, mit der sie vor allem sich selbst überzeugen möchte. Selbst wenn eine Arie das Lügen so deutlich ausstellt wie Ruggieros Arie an Alcina in der gleichnamigen Oper Händels „Mio bel tesoro“, ist das im Text bereits vorgegeben.

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Nordwinde vertreiben. Der Künste/ welche den Tempel der Ehren erbauen. Des Pluto und Proserpinen Bediente/ welche über der Alceste Ankunft ihre Freude bezeugen.“497 Die Beschreibung erlaubt, die gestrichenen Tänze ge­ nau innerhalb der Partitur zu verorten, was im Zuge der Analyse geschehen soll.

3.4.9  Die Getreue Alceste oder der liebenswürdige Admetus Die Partitur eröffnet das Stück mit einer französischen Ouvertüre im Wech­ sel langsam, schnell, langsam. Im Gegensatz zur alternativen italienischen Sinfonia (schnell, langsam, schnell) ist die Ouvertüre eine betont ernste, der Tragödie zugewandte Einleitungsform, der Schürmann allerdings noch ein Menuett nachstellt, wie einen Querverweis auf die höfische Sphäre der Handlung. Bereits in der Ouvertüre hat Schmidt eine direkte Entlehnung des Abschiedsmotivs aus Lullys Alceste ausgemacht, das leitmotivartig als Klage in den beiden großen Accompagnati der Alceste wiederkehrt,498 womit en pas­ sant auch der Beweis erbracht wäre, dass die Partitur der französischen Alceste an einem Hof wie Braunschweig (wo sie nie aufgeführt wurde) sowohl dem Komponisten zugänglich als auch wenigstens einem Teil der Zuhörerschaft vertraut war. König verwendet für das Rezitativ durchgängig den Madrigalvers, jambi­ sche Verse von ein bis sechs Hebungen mit wechselnd weiblicher und männ­ licher Kadenz und vornehmlich paarigen Reimen. Schürmanns sorgfältige und ausdrucksstarke Rezitativvertonung orientiert sich an der französischen Tradition melodiöser Rezitative, allerdings ohne in die regelrechten kleinen ariosen Ausblühungen der Tragédie lyrique überzugehen. Analog zur italie­ nischen Rezitativtradition verzichtet Schürmann auf Taktwechsel, die etwa Lully einsetzt, um die Musik eng an den Rhythmus der Sprache anzuschmie­ gen. Der erste Akt eröffnet mit Cephise, die die als Mann verkleidete Hyppo­ lite mit ihren Liebesbeteuerungen am Aufbruch hindern möchte. Die Arie unterteilt die Szene, steht also noch nicht regelhaft am Ende wie in der re­ formierten Opera seria. Mit ihrer als Largo überschriebenen, kurzen und ohne Koloraturen vermeintlich kunstlosen, nur bassbegleiteten Da capoArie „Kanns möglich sein, mich zu verlassen“499 exponiert sich Cephise als wenig heroische Figur. Zugleich bescheinigt ihr jedoch bereits diese liedhafte

497 Getreue Alceste, Hamburg 1719. 498 Vgl. Schmidt (1933), S. 177–178. 499 Getreue Alceste, Part. I/1 o. S.

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Auftrittsarie mit ihrem melodiösen Reichtum und ihrer Tiefe die Fähigkeit zu aufrichtiger Empfindung und damit zu mindestens musikalisch tragischem Potenzial und musste die Kenner der Quinault’schen Vorlage aufhorchen las­ sen: An die Stelle der koketten Kammerkatze der französischen Vorlage mit ihren Gassenhauern tritt mit Cephise jene Figur, die die breiteste emotionale und charakterliche Fächerung der Oper aufweist und deshalb auch in ihrer musikalischen Artikulation näher an die beiden großen Heldinnen Hyppolite und Alceste herangeführt wird. Ganz anders Hercules, der in figurentypischer Basslage mit einer tutti begleiteten Koloraturarie auftritt und schmettert: „Mich wollen gefährliche Feinde bekriegen“500. Die Arie fasst die Geschichte von Herkules am Schei­ deweg in nuce zusammen: Liebe und Schönheit fechten den Helden an, doch dieser wappnet sich mit der Vernunft und hofft mit ihr den Sieg über die eigene Liebe zu erringen. Dabei steht der vergnügte Orchestersatz in ohrfäl­ ligem Kontrast zu den etwas hohlen Koloraturen, die den stoischen Helden bereits bei seinem Auftritt als Schaumschläger entlarven. Die geharnischte Hyppolite, die Hercules inkognito begleitet und überdies eifersüchtig auf dessen Neigung zu Alceste ist, drängt im folgenden Rezitativ zum Aufbruch und erinnert Hercules an frühere Siege. Doch listig mahnt Cephise, die ihre angebetete Hyppolite noch einige Stunden bei sich halten möchte, dass die überstürzte Abreise ein Affront gegen den Hof sei und weckt überdies wie­ der Hercules Begehren mit der Verheißung „so kannstu diesen Tag doch noch Alcesten sehen“.501 In der Hamburger Fassung schließt Hyppolite die Szene mit einer ursprünglich als Largo, dann als Andante überschriebenen, tutti beglei­ teten, doch eher schlichten italienischen Arie ohne Koloraturen. „Non ha fortuna“.502 Strato tritt auf mit einer Koloraturarie „Um euch zu küssen/ schönste Hände“503, die keinen Zweifel an seinem ernsten und edlen Charak­ ter lässt, mit dem er Cephise sein Herz zu Füßen legt und im Gegenzug von ihr in harten Worten einen Korb erhält. Du lehrtest mich zu erst/ wie man sich muß verbinden/ Ich weise dir/ um solches zu ersetzen/ Wie man im Wechseln kan Vergnügen finden.504

500 501 502 503 504

Getreue Alceste, Part. I/2, o. S. Getreue Alceste (Hamburg 1719), o. S. Ebenda. Eingefügt durch Hand I. Ebenda, I/3. Getreue Alceste (Hamburg 1719), o. S. [„B“].



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Die kleine Arie „Weg Sclaverey!“, mit der sie diesen Entschluss bekräftigt, ist abermals nur bassbegleitet, gleichwohl mit ihren Koloraturen505 hochvirtuos und durch ein Orchesterritornell geadelt. Schürmann demonstriert damit geradezu poetologisch die wandelbare Form der bassbegleiteten Arie, die direkt mit der emotionalen und musikalischen Mehrsprachigkeit seiner Figur korrespondiert.506 Allerdings demonstriert Cephise mit dem Abbruch ihrer Beziehung zu Strato, der offenbar ihr erster Liebhaber war, auch ein unter ihren sozialen Lebensbedingungen ausgesprochen vernünftiges Verhalten, denn dieser ist der vertraute Diener des von Alceste zugunsten von Admetus abgewiesenen Licomedes. Es wäre also in hohem Maße unschicklich, sollte die Hofdame an ihm festhalten. Der abgewiesene Freier Licomedes tritt auf und heuchelt Gleichmut an­ gesichts der Niederlage, wirft sich gleichwohl in die Brust und prahlt mit sei­ ner semigöttlichen Abstammung, die ihn, den Sohn der Latona und Bruder der Meeresgöttin Thetis, seiner Meinung nach weit über den gewöhnlichen sterblichen Admetus stellt. In der Braunschweiger Fassung schloss der fünfte Auftritt mit einer stoischen, oboenbegleiteten Arie, deren durchgestrichenes Vorspiel noch in der Abschrift verblieben ist. Die italienische Arie der Ham­ burger Fassung „Cangie voglie e cangi affetto“507 hingegen ist textlich und musikalisch aggressiver und entlarvt mit dem Aufruf an das eigene Herz, die Flammen der Liebe in Verachtung zu wenden, einmal die zuvor gezeigte Ruhe als Heuchelei und gibt überdies einen Vorgeschmack auf seinen rach­ süchtigen Charakter. Stärker könnte der Kontrast zwischen den beiden Liebhabern der Al­ ceste kaum sein, mit dem nun Admetus neben Alceste auftritt und nach ­einem kurzen Rezitativ seiner Freude in einem zärtlichen, leicht tändelnden und hauptsächlich vom Bass und den – über Strecken parallel zur mit klei­ neren Koloraturen bestückten Singstimme geführten – Violinen begleiteten Andante Ausdruck gibt.508 Der hocherotische italienische Arientext („Nudo arcier, che alato va,/ con due mamme alabastrine …“509) ist tatsächlich noch etwas expliziter als Königs beigefügte deutsche Übersetzung „Geflügelter Schütze [statt: nackter Schütze]/ du richtest deinen Pfeil nach zwey alabas­ ternen Hügeln [statt: Brüsten]/ welche das Ziel meines Hertzens sind.“ Die alabasternen Brüste transportieren einen letzten Rest barocken Petrakismus buchstäblich nur noch als Oberfläche, denn diese Geliebte ist dem Sänger 505 Die dramaturgische Verwendung der Koloratur – hier als Verteidigung – zitiert gezielt deren heroische Bedeutung und gemahnt damit bereits an die spätere dramaturgische Verwendung u.  a. im Norddeutschen Singspiel. 506 Getreue Alceste, Part. I/3, o. S. 507 Getreue Alceste, Part. I/5, o. S. 508 Getreue Alceste, Part. I/6, o. S. 509 „Nackter Schütze, der du deinen Pfeil nach den beiden alabasternen Brüsten richtest“.

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ebenso hautnah (auch wenn sie in der Szene stumm bleibt, steht sie laut Szenenanweisung ausdrücklich neben Admetus) wie geneigt und die Vereini­ gung des sehnenden Herzens mit dem ersehnten Busen, also die Vereinigung beider Herzen zu einer familiären Einheit, steht unmittelbar bevor. Die Arie grenzt sich damit deutlich ab von Menantes’ Definition der Galanterie-Arie mit ihrer auf das Rokoko vorausweisenden Erotik, die wiederum auf das von Perrault für die Tragédie lyrique geforderte galante Liebesideal Bezug nimmt, für die Komposition analog eine „artige Frantzösische […] Music“510 empfiehlt und, um in Ermangelung starker Affekte der drohenden Flachheit der Musik vorzubeugen, ferner einen ausgeklügelten Text, der „ein nettes Gleichniß/ eine nachdrückliche Sentenz/ geschickte Metaphora“511 bietet. Kein Zweifel, bei der hier geschlossenen Ehe vereinen sich zwei Herzen und zwei Körper in vollendeter Harmonie. Diese intime und für die Dra­ maturgie des Stückes zentrale Szene zwischen Braut und Bräutigam fehlte in der Braunschweiger Fassung, die sofort nach französischer Manier das große Fest am Hafen beginnen lässt, in dem der Hofstaat als Najaden, Trito­ nen und sonstiges Meeresvolk seine Aufwartung macht und in der Tradition der Tragédie lyrique zwei Ballette tanzt. In Hamburg ist davon nur noch der einleitende Chor der Bootsleute und Soldaten und das nachfolgende (im Libretto nicht verzeichnete) „Entrée der Gratien und Amours“512 geblieben, woraufhin Licomedes Alceste (wie zuvor bereits Cephise) auf sein Schiff lockt, als Admetus und Hercules folgen wollen, die Brücke fallen lässt und auf den Wellen eines kleinen Ritornells mit seiner kostbaren Beute davon­ segelt. Der Chor ruft vom Ufer „Zu Schiffe! zur Rache!“513, da erscheint Licomedes Schwester Thetis und erzeugt einen Seesturm, um die Verfolger aufzuhalten. Das auf die Sinfonia pur la tempeste („presto“) folgende Entree der Nordwinde ist in der Hamburger Fassung gestrichen, und es folgt direkt Aeolus, der in denkbar starkem Kontrast zur vorangegangenen Sturmmusik mit einem flötenbegeleiteten Andante gefolgt vom Entree der Westwinde das Meer besänftigt und den Verfolgern den Weg frei macht.514 Unterdessen findet sich Cephise bereits in Stratos Begleitung auf der Insel Scyros und versucht ihren Verehrer davon zu überzeugen, dass ihre alte Liebe wiedergekehrt ist. Strato ahnt zwar die Verstellung, und in der Braun­ schweiger Fassung geht diese in der Tat so weit, dass Cephise mit ihm ein Duett, das Zeichen für die Harmonie zweier Liebender singt. In der Ham­

510 Menantes: Theatralische Gedichte (1706), S. 7. 511 Ebenda, S. 24. 512 Getreue Alceste, Part. I/7, o. S. 513 Ebenda. 514 Ebenda, I/9, o. S.

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burger Fassung singt an dieser Stelle Strato alleine „A questo core“515. Doch ist Cephises Wankelmut lediglich Maske und abermals der Versuch, sich den gewandelten Herrschaftsverhältnissen anzupassen: Als Strato sie beim Wort nehmen und auf der Stelle die Ehe vollziehen möchte, weicht sie zurück, schürzt die Sorge um ihre Herrin vor, bis letztere am Ende der Szene „Oh Glück! Da kommt Alceste“516 wie zu ihrer Rettung erscheint. Licomedes spreizt gegenüber Alceste das Pfauenrad seiner Galanterie, beklagt in der Arie „Dein schönstes Auge gleicht der Sonne“517 die zornige Haltung der Angebeteten und im nachfolgenden Rezitativ ihr „Felsenherz“. Doch obgleich Alceste Licomedes ausgeliefert ist, denkt sie nicht daran, an sein Erbarmen zu appellieren: Ich lache nur bey deinen Schmertzen/ Und weine/ weil kein Strahl [den Licomedes soeben besungen hatte] aus meinen                                  Augen Mir kan zum Blitz auf deinen Scheitel taugen.518

Auf Cephises Bitte, den Tyrannen nicht noch weiter zu reizen, antwortet sie nur mit einer wütenden italienischen Arie „Hai sete di sangue“, deren A-Teil als Allegro den Tyrannen auf Distanz hält, der B-Teil als Largo von ihm maximal den Tod erbittet.519 In der Braunschweiger Fassung stand an dieser Stelle noch eine Arie auf die Beständigkeit ihrer Keuschheit und Liebe, auf die Licomedes in einer Arie und auf Knien antwortete Ach! nennstu Lieben ein Verbrechen/ So ist mein Fehler allzuschön.

Und damit schloss: So laß mich nur den Tod von deinen Händen sehn.520

Worauf Alceste, ihn gegen jede galante Gewohnheit beim Wort nehmend, einem der Soldaten den Degen entreißt und versucht, Licomedes zu erste­ chen. In der Hamburger Fassung fehlt dieses Spiel mit den unterschied­lichen Sprechweisen und der ungewöhnliche Vorgang, dass die Arie direkt eine Handlung hervorruft. Alcestes Angriff steht im Rezitativ und bewirkt hier 515 Ebenda, I/10, o. S. 516 Getreue Alceste. (Hamburg 1719), o. S. 517 Ebenda. 518 Ebenda. 519 Getreue Alceste, Part. I/11, o. S. 520 Getreue Alceste (Braunschweig 1719), o. S. [B2].

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wie dort, dass Licomedes sie fesseln und in den Kerker sperren lässt. Ab­ schließend ruft der Tyrann (presto) seine Getreuen zu den Waffen. Den zweiten Akt eröffnet Hyppolite, die mit ihrer Arie „Sanfte Lüfte“521 den Wind nach dem Verbleib von Hercules befragt, ehe im zweiten Auftritt Admetus in Begleitung der Kämpfer erscheint. In Braunschweig war Adme­ tus mit einer eher klagenden Arie „Ein Augenblick der bittren Stunden/ Drin unser Gegenstand verschwunden/ Kehrt sich durch Sehnsucht in ein Jahr“522 und aller Wahrscheinlichkeit nach in eher moderatem Tempo und zärtlichem Grundaffekt aufgetreten. Er war damit der Letzte aus der Reihe der Solisten, der sich mit einem Solostück vorstellte, und sollte sich bei dieser Gelegenheit dem treuen Anhängen seiner Braut als würdig und liebenswert erweisen. In der Hamburger Fassung hat Admetus seine glänzenden Eigenschaften als Liebhaber hingegen bereits im ersten Akt unter Beweis gestellt. Seine zweite italienische Arie „Con empia crudeltà“523 ist presto und aggressiv, zeigt seine kämpferischen Fähigkeiten und macht ihn Alceste ebenbürtig, deren Wehr­ haftigkeit in Ton und Tat der Zuschauer bereits bezeugen kann. Admetus fordert Alceste zurück, was Licomedes verweigert, und es folgt in beiden Fassungen eine Kampfszene zwischen dem Chor der Belagerer und dem Chor der Belagerten, die mit einem „kriegerischen Ritornell“ und einem kurzen Rezitativ den Sieg von Admetus und Hercules besiegelt, wobei Hyp­ polite als vollendeter „Kavalier“ Cephise aus den Händen Stratos befreit.524 Nun stürmt auch mit wehendem Mantel und gezücktem Schwert Adme­ tus’ Vater Pheres aus dem Zelt und ruft: Frisch auf! frisch auf! weicht nicht zurücke/ Mein tapffrer Arm verspricht euch Sieg und Glücke. Dies graue Haupt will ich noch an Alcesten wagen/ Doch wie? der Feind ist schon geschlagen/ Und Stadt und Wall schon eingenommen. Des Alters Schwachheit hindert meine Pflicht/ Die Tapfferkeit weiß nicht wohl fortzukommen/ Wo ihr der Jugend Krafft gebricht.525

Was er anschließend in einer nur bassbegleiteten Arie mit humpelndem Rhythmus nochmals bekräftigt. Dieser Pheres ist unzweifelbar eine lächer­ liche Figur, doch er ist nicht komisch, denn das Lachen bleibt einem ange­ sichts dieses Königsvaters im Halse stecken. Die kurze Szene zeigt, dass sich 521 522 523 524 525

Getreue Alceste, Part. II/1, o. S. Getreue Akceste (Braunschweig 1719), o. S. Getreue Alceste, Part. II/2, o. S. Getreue Alceste, Part. II/3, o. S. Getreue Alceste (Hamburg 1719), o. S. [„C2“ f].



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Admetus noch in keiner Situation auf ihn verlassen konnte. Denn die Musik verrät noch etwas über ihn, was er mit seinen Worten zu verschleiern sucht: Pheres ist bei weitem nicht so alt und gebrechlich wie er tut, denn die alten Männer der Barockoper sind bekanntlich Bässe. Pheres aber ist ein Tenor, hat also die Stimmlage eines Mannes im besten Alter (und obendrein die Tyrannenlage), was ihn als Feigling und Simulanten entlarvt, der hier ein fal­ sches Lamento absingt. Dabei sind die musikinternen Ironiesignale eher sub­ til, legen beispielsweise die Worte „Alter“ und „Last“ auf demonstrativ hohe Töne und zelebrieren das Wort „erschlaffen“. Doch die Komik ergibt sich vor allem durch das Spiel mit der Stimmlage und das enge Wort-Ton-Ver­ hältnis und ist durchaus nicht lustig.526 Der Rückzug der Siegreichen führt Strato in Ketten mit sich, der sich über sein Schicksal und noch mehr über die neben ihm triumphierende Ce­ phise beklagt. Hyppolite ermahnt das Mädchen denn auch „Ach schertze nicht mit seiner Pein“ und klagt leise in einer kurzen Arie ihr eigenes Herz­ leid, ehe sie sich mit Hercules verabschieden möchte, der sich kaum von Al­ ceste trennen kann, die ihn überdies arglos bittet, noch zu bleiben und damit bei Hyppolite erneute Eifersucht entfacht. Hercules muss sich erst in einer nur vom Bass begleiteten Arie Der Himmel weiß (und meine Liebe) Wie gern ich lenger bey euch bliebe/ Doch die Vernunfft spricht: nein/527

von seiner eigenen Entsagung überzeugen – wobei unter anderem das ex­ trem tiefgelegte „nein“ beim Zuhörer abermals Zweifel an der Beständigkeit seines Stoizismus aufkommen läßt – ehe das allseitige Lebewohl und eine oboenbegleitete Triumpharie der Hyppolite endlich „prestissimo“ den Ab­ schied besiegeln und Alceste, der mit Hercules „ein treuer Freund entrissen“ wird, mit eigentümlichen Vorahnungen zurücklässt. Alcestes Arie ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: Mich tröstet die Hoffnung mit schmeichelndem Schertzen/ Doch schreckt mich ein heimlicher Zweiffel im Hertzen/     Wem zu glauben/weiß ich nicht?    Weil das Wancken    Der Gedancken     Bald von Lust und Zuversicht/     Bald von Last und Kummer spricht.                   DC528 526 Getreue Alceste, Part. II/4, o. S. 527 Getreue Alceste (Hamburg 1719), o. S. 528 Getreue Alceste (Hamburg 1917), o. S.

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Sie gibt eine Vorausdeutung auf die Vorgänge, die über Alcestes Äußerungen im Rezitativ weit hinausgehen und entfaltet ein Bild ihres Inneren. Spiegel­ bildlich zur Cephises bassbegleiteten Arien wird hier der extrem plastische Orchestersatz punktuell fast zum a capella gedrosselt und die Singstimme in engem Wort-Ton-Verhältnis geführt, aus dem die Dramatik der Situa­ tion unmittelbar hervorgeht. Ihre in den Schlangenlinien der Koloraturen sinnfällig werdenden gemischten Gefühle: das „Wanken der Gedancken“,529 sind als dunkle Vorahnung kaum fassbar und deshalb schwierig als Affekt zu beschreiben.530 Mit dieser Sensibilität wird Alceste weit über das übrige Personal der Oper hinausgehoben. Blieb die Musik bis dahin unbekümmert vornehmlich in b-Vorzeichen, so schlägt in dieser Arie mit drei vorgezeich­ neten Kreuzen der Ton um. Prompt wird Admetus hereingetragen, dem der sterbende Licomedes noch eine tödliche Wunde zugefügt hat. Die folgende Szene zwischen dem Sterbenden und Alceste zeigt, mit welcher Sorgfalt Librettist und Komponist die Oper gerade in den Rezitativen überarbeitet haben. Allein im siebten Auftritt fallen dreizehn Verse Admetus’ weg, in denen er auf den bei Alcestes Rettung erworbenen Ruhm verweist und gefasst dem Tod entgegensehen möchte respektive Alceste Anweisung dafür gibt, wie sie seiner künftig gedenken solle. Was in der Hamburger Fas­ sung bleibt, ist eine intime Abschiedsszene zwischen zwei Liebenden, für die in diesem Moment Stand, Vergangenheit und Zukunft keine Rolle spielen: Admet. Mein Leben/ laß nicht so viel Thränen fliessen/ Da ich itzt soll die treuen Augen schliessen/ Bedencke/ wie es den betrübt/ Der dich/ auch sterbend/ noch so zärtlich liebt. Alc. Ach dieses Blut/ daß du vergossen/ Sind Thränen/ die aus meiner Brust geflossen. Admet. Und deine Zähren/ werthes Licht/ Sind auch mein Blut/ das durch dein Auge bricht. Komm/ reiche mir das Tuch/ mein Kind/ Worauf die Tropffen eingesammlet sind/ Durch die du mich beweint. Alc. Hier ist es gantz benetzt. Admet. O Schmertzens=Pfand! das mich zugleich ergötzt. Ihr werthe Perlen reiner Treu/ Vergönnet/ eh ich sterbe/

529 Man denkt unweigerlich an die „Schlangen“ aus Bachs vierzehn Jahre später entstandener Kantate Laßt uns sorgen, laßt uns wachen (BWV 213). 530 Getreue Alceste, Part. II/6, o. S.



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Daß meine Lieb euch noch mit ihrem Purpur färbe. Er küßt das empfangene Tuch/ legt es auff die Wunde und gibt es ihr wieder. Nimm es nun wieder hin zum ewgen Angedencken/ Alc. Ach! kan ich mich denn nicht zu Tode kräncken!531

Nach dem ritterlichen und galanten Code müsste Admetus bekanntlich zu­ frieden sein (und ist es bei Quinault auch), an dieser Stelle zu sterben, indem er sein Leben im siegreichen Kampf um eine geliebte Frau verliert. Doch Admetus leidet darunter, dass ihn der Himmel just abruft, ehe er gemeinsam mit Alceste in den zuvor vielfach beschworenen „Hafen seines Vergnügens“ einlaufen konnte. Er ist mehr Liebender als König, und er liebt Alceste „zärt­ lich“, also mit Herz und Körper. Die Szene ist der verzweifelte Versuch des Paares, die ihnen vorenthaltene Vereinigung der Hochzeitsnacht doch noch zu vollziehen. Alcestes Taschentuch transportiert den Körpersaft ihrer Trä­ nen zu Admet, der dieses Blut ihrer Augen mit dem aus seiner Brustwunde quillenden in einer reversen Defloration vermischt. Das Zeichen ist so deut­ lich, dass Alceste sich anschließend als seine Witwe bezeichnet und das Tuch als Reliquie ihres Geliebten und ihres Ehestandes aufbewahren wird.532 Die Szene könnte sentimentaler, empfindsamer, erotischer und, mindestens in der Hamburger Fassung, wirksamer kaum sein. Admetus verabschiedet sich darauf von Alceste mit einer Arie, deren Gesangslinie und Streicherbegleitung immer wieder von Achtel- und Vier­ telpausen unterbrochen wird, wie das zunehmende Kurzatmig-Werden eines Sterbenden.533 König adaptiert an dieser Stelle sehr frei den Arientext von Aurelis „Luci care“, aus Antigona delusa, das dort jedoch von Alceste gesun­ gen wird und bis zu Händels Admeto Signatur für den schwachen Helden Admeto bleiben sollte. Dass hier Admetus selbst den Abschied singt, ist also eine weitere Aufwertung seiner Figur. Es folgt der dramatische Ab­ schied aller Umstehenden von dem Sterbenden, in dem sich besonders Phe­ res hervortut mit der Frage „Ists möglich/ daß mich nicht der Schmertz entseele?“534

531 Getreue Alceste (Hamburg 1917), o. S. 532 Dabei bedient sich der Pfarrerssohn König, wie Jahn treffend betont, katholischer Bildlich­ keit. Vgl. Jahn (2005), S. 310. Die Szene mit dem Taschentuch voller Tränen, das zur Reliquie wird, kehrt in Königs mutmaßlich bereits in den frühen 1720er Jahren geschriebenen Sancio wieder. Ob König die Silvanische Vorlage (in der die Szene mit dem Taschentuch ebenfalls vorkommt) bereits bei der Arbeit an der Getreuen Alceste kannte, kann nicht entschieden wer­ den, ist aber durchaus denkbar. 533 Das in Schweitzers Partitur für Alceste wiederkehren sollte und auch dort mit seinem Natu­ ralismus den stärksten Eindruck auf die Zuschauer macht. 534 Getreue Alceste (Hamburg 1719), II/7.

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Georg Caspar Schürmann/Ulrich von König: Die Getreue Alceste (1719) II/7. Rezitativ Alceste und Admet und Arie des Admet „Gute Nacht/ ihr schönsten Blicke“. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

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Alceste klagt darauf in einem orchesterbegleiteten Rezitativ (Accom­ pagnato) den Himmel an und leitet mit dieser dramatischen Form zum Ab­ schiedsduett mit Admetus über, das nun buchstäblich mit den letzten Kräf­ ten des Sterbenden, auch musikalisch das Paar vereint und beider unbedingte Harmonie deutlich macht sowie als dezidierte Gegenthese zu Quinault und Lully fungiert, die ihrem Paar die Vereinigung im Duett erst unter dem Vor­ zeichen eines zwar lebendigen, doch durch Hercules getrennten galanten Liebespaares gestatteten. In Braunschweig erschien daraufhin Pallas, umge­ ben von den Künsten und ihren Attributen um das Orakel zu verkünden, in Hamburg erschien sie offenbar nur in einer Maschine,535 der das vorgestellte Präludium entsprechende Auftrittszeit gab. Auch das ihren Auftritt abschlie­ ßende Ballett der Künste fehlt in der Hamburger Fassung. Die folgende Szene beginnt mit einer „traurigen Symphonie“ von sechs Takten, mit der Pheres seine Trauerklage anstimmt und rhetorisch verkün­ det „Wohlan! ich will mit Lust vergehn/ Kan ich nur dir geholfen sehn –“536, um gleich darauf (in strahlender Tenorlage) zu betonen, dass er schon so alt sei, dass Admetus mit seinem noch verbleibenden Leben nicht geholfen sei und statt seiner den Pagen Cleantes zum Selbstopfer auffordert. Der Knabe jedoch antwortet ehrlich und frei heraus mit seiner einzigen bassbe­ gleiteten Arie „Der Ruhm ist ein zu schwacher Sporn/ Uns in das Grab zu jagen“537. Abermals tritt Alceste mit einem Accompagnato auf und klagt den tau­ ben Himmel an. Alles will sie dem Schicksal gerne geben, Stand, Herrschaft und Reichtum. Admetus ist das einzige, was sie vom Schicksal einfordert. Doch der tragische Tonfall leitet diesmal nicht über in eine Arie  – buch­ stäblich „trocken“ (secco) kommentiert sie, wie alle sich davonschleichen, angeführt von Pheres.538 Ihr Entschluss reift in einem schlichten Secco-Re­ zitativ, das in Braunschweig von einem Largo („Da mein Leitstern muss ent­ weichen“) gefolgt wurde, dessen durchgestrichene erste Seite noch in der Hamburger Partitur verblieben ist. Der Librettodruck aus Hamburg stellt an diese Stelle eine italienische Arie,539 die in der Partitur jedoch fehlt, so dass sich direkt Cephises Bericht vom schwindenden Leben Admetus’ anschließt und Alceste sich selbst zur Eile aufruft „Durch einen Stoß für meines Liebs­

535 Auf eine etwas weniger aufwendige Szenerie deutet auch, dass die im Braunschweiger Li­ bretto lautende Textzeile „Der wird ein ewig Ehren-Mahl/ Durch dieser Künste Hand er­ werben“ in Hamburg zu „aller Künste Hand“ wurde. Vgl. Getreue Alceste (Hamburg/Braun­ schweig 1719), o. S. 536 Getreue Alceste, Part. II/9, o. S. 537 Ebenda. 538 Getreue Alceste, Part. II/10, o. S. 539 „Senti ancor quel dolce labro“.



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ten Leben/ Mein Blut zum Opffer hinzugeben“540, und damit auf den Disput zwischen Perrault und Racine Bezug nimmt, ob nun Admetus seine Frau oder sie sich selbst zur Eile beim Sterben auffordert. Cephise, die sie von ih­ rem Entschluss abbringen will, verbietet die Königin den Mund und wendet sich in einem Accompagnato an das Porträt Admetus’, in dem sie das der Oper unterliegende Liebeskonzept zusammenfasst: Ein Leib/ ein Herz/ ein Geist und eine Liebe Vereinigte stets unsre keuschen Triebe; […] Mir wünsch’ ich bloß dies zärtliche Vergnügen/ Daß meine Knochen einst bey deiner Asche liegen/ So schließt mich/ kann es ja kein Braut=Bett seyn/ Doch einst das Grab zu deiner Seiten ein.541

Dann schließt direkt, ohne einen Ton Vorspiel (!)542 das kleine Arioso „Ich lebe dir getreu/ Und will getreu ersterben“ an, das an Stelle eines Da capos mit dem refrainartigen Satz endet, „ich sterbe dir getreu“, mit dem Schür­ mann direkt das dramatische Potenzial der Arienform nutzt. Alcestes ein­ teiliges Arioso steht nicht nur solitär inmitten der das Stück dominierenden Da capo-Arien, sie schneidet sich förmlich selbst die Wiederholung nach dem ersten Vers ab, indem sie sich ersticht. Wirkungsvoller hat wohl kaum ein Komponist vor Schürmann den Selbstmord musikalisch in Szene ge­ setzt.543 Cephises Hilferuf folgt direkt und ohne einen Notenwert Pause, verhallt jedoch wirkungslos und eine traurige Sinfonia (Andante) beschließt die Szene.544 Sie ist, besonders nach dem Wegfall der beiden in Braunschweig noch alternierenden Arien, virtuos gestaffelt und führt das Geschehen unter effizienter Verwendung der musikalischen Mittel zügig seinem dramatischen Höhepunkt zu. In denkbar größtem Kontrast dazu öffnet sich daraufhin der Tempel der Ehren, und unter Trompetenschall besingt der Chor das edle Opfer. Aus Admetus’ Rezitativ ist in der Hamburger Fassung der Verweis auf Alceste gestrichen, so dass ihn das unter einem kleinen Prelude enthüllte Bildnis der sich erstechenden Alceste völlig unvorbereitet trifft. Die Partitur staffelt den Rest der Szene abweichend von beiden Librettodrucken.

540 Getreue Alceste, Part. II/12, o. S. 541 Getreue Alceste (1719), II/12. 542 Damit bereits eine Forderung Glucks für das Hervorquellen der Arie aus dem Affekt des Rezitativs vorwegnehmend. 543 Die Parallelität zu Schweitzers und Wielands späterer Realisierung von Alcestes Sterben ist überdies berückend. 544 Getreue Alceste, Part. II/12, o. S.

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Alceste 1660–1719 Doch Himmel! Was muß ich erblicken! Welch Jammerspiel! entsetzliches Gesicht! O Anblick/ der mein Hertze bricht!545

Leitet Admetus seine italienische Arie „E qual delitto o cieli“ ein und schließt mit den Rezitativzeilen „Wo bin ich? Ach! was seh ich an?/ Was hastu doch vollbracht; was hastu doch gethan!“. Ein Klagechor folgt seinen Sätzen, und als Admetus schwört, dass er bald auf ihrem Grab sein Leben „selbst dem Tod zum blutgen Opffer geben“546, sich also ebenfalls selbst töten werde, erscheint Hercules, vom Klagegeschrei wieder auf den Plan gerufen. Als er die Vorgänge erfährt, offenbart sein simples „Alceste Todt? Wie sehr bin ich betrübt“, im Kontrast mit Admetus’ vorangegangenem Zeugnis tiefer Emp­ findung ebenso seine emotionale Kurzsichtigkeit wie das folgende unbeküm­ merte Geständnis seiner Liebe zu Alceste, mit dem dem er Admetus erpresst: Willstu mir nun die Schönheit überlassen/ Die du doch schon verliehrst durch ihr Erblassen/ So soll mein Arm biß in das finstre Land Der nie bestürmten Hölle dringen/ Den Pluto selbst zur Wiedergabe zwingen/ Und aus dem Grab Alcesten wieder bringen.547

Auch hier war es offenkundig mit der anderthalb Akte lang im Mund ge­ führten Entsagung nicht allzu weit her, und Hercules wartet Admetus’ Ant­ wort gar nicht erst ab, sondern singt sofort begeistert „Mich spornet der Eifer/ mich waffnet die Liebe“ und kommt damit zum ersten Mal in der Oper hörbar zu sich selbst. Admetus gibt die vergleichsweise umfängliche Koloraturarie immerhin die Chance, seine Fassung wieder zu erlangen, und er reagiert mit vollendeter Selbstlosigkeit: „Hat sie zur Braut das Schicksal dir erkohren/ So bleib ich dennoch auch beglückt/ Wenn sie mein Auge nur noch einmahl hier erblickt.“ So sehr Admetus also, der italienischen Tra­ dition folgend, Liebhaber ist, ist er doch wie bei Quinault frei von jenem Laster, das alle übrigen Männer in diesem Stück foltert, oder doch zumindest in der Lage, es zu überwinden: die Eifersucht. Diana erscheint und sichert Hercules die Unterstützung der Olympier zu. Der Chor ruft „Glück zu“, und nur Admetus schleicht ver-zweifelnd zur Seite und beklagt sein elendes Los in einer in der Hamburger Fassung an Stelle des „Hoffe nicht mehr/ armes 545 Getreue Alceste (Hamburg 1719), o. S. 546 Getreue Alceste, Part. II/13, o. S. Die Braunschweiger Fassung fügte noch an; „Mein halbes/ ach! mein gantzes Hertz,/ Was hab ich wider dich verbrochen/ Daß du mein Bild in deiner Brust durchstochen?“ 547 Getreue Alceste (Hamburg 1719), o. S. und Part. II/15, o. S.



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Hertze“ gesetzten Arie „Per render m’in felice“, die abermals einen Blick in das Herz eines Charakters zeigt, der seine wahren Gefühle verbergen muss.548 Der dritte Akt beginnt mit einer vergleichsweise burlesken Szene, die weitgehend identisch zu Quinault Charon als einzigen wirklich komischen Charakter des Stücks in seinem Kahn mit den verstorbenen Seelen zeigt und darauf einen reichlich rüpelhaften Auftritt Hercules’, der seine Überfahrt er­ zwingt. Ganz anders der Duktus der folgenden Szene, mit dem ehrenvollen Empfang von Alcestes Geist durch Pluto und Proserpina, die im Wechsel­ gesang mit dem Chor „ewig-süße Ruh und steten Frieden“ versprechen,549 die der Chor anschließend unter bukolischem Flötenklang als „Einsahme Stille! Seeliger Ort!“ besingt. Da erscheint Alecto, kündigt den Eindringling Hercu­ les an, worauf Pluto den Cerberus auf ihn hetzt und dem Halbgott (nur in der Hamburger Fassung) in einer wütenden Arie einen qualvollen Tod wünscht. Als er jedoch erfährt, dass Hercules gar nicht sein Reich, sondern nur Alceste haben möchte, was er überdies mit einer Arie auf die Macht der Liebe begründen kann (der der Chor in der Braunschweiger Fassung be­ geistert sekundiert), stimmt Pluto versöhnliche Töne an, befiehlt Alcestes Geist „Beziehe wiederum des Leibes schöne Höhle“550 und lässt Hercules mit einem Menuett als einen erfolgreicheren Orpheus mit seiner Angebe­ teten ziehen. Auf der Erde erfährt derweil die betrübte Cephise die wahre Gestalt der Hyppolite: „Bistu denn kein Mann?/ Nennst dich Hyppolite? und liebst den Hercules?“551 Diese bejaht und kündigt an, sich ihm bei seiner Rück­ kehr zu erkennen zu geben und sich anschließend das Leben zu nehmen, was sie mit einer hoch virtuosen und reich orchestrierten Arie „Mit dieser Faust will ich mich selbst bestraffen“552 bekräftigt. Angesichts dessen, dass sich ihr Geliebter gerade in eine Frau aufgelöst hat, ist Cephise nun doch bereit, mit Strato den Zweitbesten zu nehmen. Der lässt sich willig davon überzeugen, dass Cephise stets von Hyppolites Verkleidung gewusst und alles nur zur Prüfung seiner Beständigkeit inszeniert habe, und so kommen sie schließlich in der Arie a due „Con due faci & con due strali“553 zusammen. Der Chor preist den siegreich wiedergekehrten Hercules, und in der Braunschweiger Fassung hatte sogar Admetus wie bei Lully/Quinault das Fest mit einem kleinen Lobgesang auf Hercules eröffnet, der in der Hambur­ ger Fassung ebenso gestrichen ist wie das Rezitativ, mit dem er seine Leiden­ schaft in Gleichmut zu verwandeln trachtet. Was bleibt, ist seine Zerrissenheit 548 Getreue Alceste (Hamburg/ Braunschweig 1719), o. S. und Part. II/16, o. S. 549 Wieland sollte an der Passage mokieren, dass Pluto die von ihm beschriebenen elysischen Felder als „Höllen-Reich“ bezeichnet. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 115. 550 Getreue Alceste (Hamburg 1719), o. S. 551 Ebenda. 552 Getreue Alceste, Part. III/6, o. S. 553 Ebenda III/7.

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„O hartes und doch gütiges Geschicke!/ Alceste kommt[554] zurücke/ Doch nicht zu meinem Trost/ doch nicht zu meinem Glücke.“555 Auch Alceste leidet, da mit dem Leben ihre Liebe zu Admet zurückgekehrt ist, doch beide stehen zu dem gegebenen Wort und versuchen, sich voneinander loszurei­ ßen, während Hyppolite sich nun endlich den Dolch in die Brust stoßen will, woran die, offenbar mit reichlicher Menschenkenntnis ausgestattete Cephise sie aber hindern kann („Halt eine kurtze Zeit noch ein!“). Verlangt Hercules am Ende des Rezitativs noch rücksichtslos „Die Liebe muss der Großmuth weichen“,556 so zeigt sich kurz darauf die Macht der Musik. Wenn die Lie­ benden in einem großen Duett mit breiter Orchesterbegleitung voneinander Abschied nehmen, gelingt ihnen, was Hercules selbst nicht vermochte: Sie bezwingen sein Herz. Weder durch Vernunft noch Stoizismus vermochte der Held sich selbst zu überwinden, erst die menschlichste aller Empfindung machte es ihm möglich: das Mitleid, getragen von der Musik.557 Der Chor preist anschließend den Helden, der nach Hölle und Tod auch noch sich selbst bezwungen hat, und in der Hamburger Fassung obliegt es Alceste, in einer Schlussarie ihr Glück zu verkünden, ehe Cephise die noch ausstehende Verbindung stiften kann und den Halbgott bittet, da er sich nun schon so weit bezwungen hat, nun doch auch noch die treue Hyppolite als Gattin zu akzeptieren. Hercules antwortet, nun wieder ganz Stoiker „Zu un­ ser aller Ruh/ Soll sich das Werck mit diesem Ende schliessen.“558, was alle in einem Schlussgesang bekräftigen und den pathetischen Schluss mit einer Prise Humor würzt. Offenbar war die sängerische Besetzung zwischen Braunschweig und Ham­ burg ähnlich, denn es wurden über die eingelegten Arien hinaus keine Rol­ lenanpassungen vorgenommen. Die Frauen sind alle durchgehend im Sopranschlüssel notiert, die Tes­ situra von Alceste und Hyppolite ist ähnlich, die von Cephise etwas tiefer. Hyppolite ist mit fünf Arien die virtuosere Partie im klassischen Sinne. Al­ ceste singt dagegen nur drei Arien und zwei Duette (mit Admetus). Das der Titelpartie zustehende Gewicht erhält ihre Partie jedoch durch die bei­ den großen Accompagnato-Passagen. Auch diese Alceste musste also, der französischen Tradition folgend und genau wie später die von Wieland und Gluck, eher eine Tragödin sein, die herausragend spielen und (gesungene) Sprache gestalten konnte, als eine virtuose Sängerin. Ihr gegenüber steht Ad­ 554 Im Hamburger Druck fehlt das ‚t‘. 555 Getreue Alceste (Hamburg 1719), o. S. III/8. 556 Beides Ebenda III/9. 557 Getreue Alceste, Part. III/9 (scena ultima), o. S. 558 Ebenda.



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metus mit fünf Arien und zwei Duetten als die mit Abstand größte Partie des Abends und heimliche Titelfigur. Seine Partie reicht bis d’’ und liegt damit für einen Tenor, selbst für einen Haute-contre französischer Tradition, deutlich zu hoch. Es handelt sich demnach um einen männlichen Alt, der solitär aus dem Feld der übrigen, normalen Männerstimmen herausragt. Die deutsche Barockoper musste häufig ohne hohe bzw. virtuose hohe Männerstimmen auskommen, und griff daher stärker als die italienische auf Tenöre und Bässe in Titelrollen zurück. Allerdings stand dem die Stimmhierarchie der Zeit ent­ gegen, in der der Held entsprechend seiner strahlenden Eigenschaften auch die höchste (oder doch eine der höheren) Stimmlage haben, idealerweise also ein Sopran sein sollte, und im Gegenzug die Tenorlage traditionell für die Tyrannenfiguren reserviert war, die Basslage für alte und komische Figuren respektive Diener und Nebenfiguren. Während auf italienischen Opernbüh­ nen oder auch durch Händel in London Titelpartien häufig als Hosenrollen besetzt wurden, scheint dies, wie bereits erwähnt, zumindest in den deut­ schen Barockopern seltener vorgekommen zu sein. Die Komponisten der deutschen Barockoper haben auf das Problem mit verschiedenen Lösungs­ ansätzen reagiert, darunter die Kultivierung einer lyrischen Bariton- bzw. Bassstimme und der variablere Einsatz der Tenorstimme. Eventuell tragen aber auch die häufiger als in der italienischen Oper der Zeit auftretenden, eher problematischen männlichen Titelfiguren (Masaniello, Störtebecker, Crösus) diesem Problem Rechung. Im Rahmen solcher Geschichten konnten die Helden mit hohen Männerstimmen (besetzt durch Falsettisten, Knaben oder Kastraten) in kleineren und damit einfacher zu besetzenden Nebenpar­ tien auftreten. Im Rahmen der stimmlichen Möglichkeiten sind besonders integere, ideale Figuren häufig die einer Kastratenstimme besonders nahe­ kommende, relativ gut für einen normalen Mann zu produzierenden Lage notiert, als Altisten. Etwa Prinz Attis in Keiser/Lucas von Bostels Crösus (1711) und der Duca d’Arcos559 in Masaniello furioso (1706) von Keiser/Feind. Admetus ist als eine große Partie für einen Händels Altpartien vergleichbar virtuosen Contraaltisten hingegen eine Seltenheit. Für Braunschweig kann als gesichert gelten, dass Schürmann diese Rolle selbst gesungen und sich hier abermals eine Hauptrolle auf den Leib geschneidert hat.560 Eine alter­ native Besetzung für eine derart große Altpartie stand nicht zur Verfügung, da Antonio Campioli erst am 24. 4. 1719 von Darmstadt her kommend in 559 Vgl. Silke Leopold: Aufstieg und Fall des Tommaso Aniello. Ein barockes Lehrstück über die Ordnung der Welt. In: Reinhard Keiser. Masaniello furioso. Programmbuch zur Aufführung. Stuttgart 2001, S. 14. 560 Aus dem Umstand, dass in Braunschweig in der Regel der Kapellmeister und seine potenziellen Assistenten gemeinsam auf der Bühne standen, muss eigentlich folgen, dass die Opern nicht dirigiert wurden respektive lediglich von der ersten Geige aus der Takt geschlagen wurde.

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Hamburg erschien und erst ab 1721 wieder in Braunschweig sang.561 Die „bereits fünf Monate nach der Uraufführung in Braunschweig“562, also im zweiten Halbjahr aufgeführte Getreue Alceste bot nicht zufällig prompt eine Paraderolle für den frisch in Hamburg eingetroffenen Star, ehemaligen Weg­ gefährten, mutmaßlichen Gesangslehrer und Freund Schürmanns.563 Tessi­ tura, Gesangstechnik und Stärken kannte Schürmann folglich bestens, und sie scheinen mit den eigenen weitgehend kompatibel gewesen zu sein, denn an den Arien wird, bis auf die neuen italienischen, nichts geändert. Dies gilt auch für die im Tenorschlüssel notierten Rezitative, was ein Licht darauf wirft, dass die Stimmen der besten Altkastraten offenbar ebenfalls über eine besondere Tiefe verfügten.564 Womit das historische Beispiel bestätigt, was die heutige Aufführungspraxis ebenfalls nahelegt: dass der Unterschied zwi­ schen einer guten Countertenor- und einer Kastratenstimme kein so grund­ sätzlicher war, wie die ältere Forschung lange annahm, sondern eher eine Frage der Ausbildung – und entsprechend bereits zeitgenössisch sängerisch zwischen einem guten Countertenor und einem Altkastraten kein nennens­ werter Unterschied gemacht werden musste.565 Die Umgestaltungen bzw. die neu eingefügten Arien lassen dennoch einige Rückschlüsse auf die Stärken des Italieners zu. Offenbar waren eher Liebhaber-Rollen als heroische Arien seine Stärke, zugleich aber wird die Amplitude der Affekte verstärkt. Genau mit dieser Mischung als „affetuoso“-Charakter sollte sich wenig später auch Farinelli darstellen.566 Für Hamburg wird Admetus als einzige Figur auch einer sorgfältigen Überarbeitung seiner Rezitative unterzogen und dabei alles beseitigt, was ihn auch nur entfernt in den Geruch eines Stoikers und Moralisten brin­ gen könnte. Systematisch sind die Passagen gestrichen, in denen er Alceste Vorschriften zu ihrem Verhalten macht oder zu lange über sein eigenes re­ 561 Vgl. Klaus Zelm: Die Sänger der Gänsemarkt-Oper. In: Studien zur Barockoper. Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft. Bd. 3. Constantin Floros, Hans Joachim Marx, Peter Peter­ sen (Hg.). Hamburg 1978, S. 35–73. Hier: S. 49. 562 Marx/Schröder (1995), S. 192. 563 Campioli hat nachweislich in der Getreuen Alceste gesungen (Vgl. Zelm 1978, S. 50) und dafür kommt lediglich die Partie des Admet in Frage. 564 Die tiefe Lage wird häufig als besondere Qualität hervorgehoben. So in den Bravourarien Fa­ rinellis, der ein Sopran war, jedoch offenbar überdies über ein kräftiges Tenorregister verfügte. Der englische Musikkritiker Charles Burney (1726–1814) beschrieb den Kastraten Giovanni Carestini (1700–1760) – dessen Stimme sich gegen Ende seiner Karriere vom Sopran zum Alt gesenkt hatte, was bei den Kastraten nicht selten vorkam – als „fullest, finest and deepest countertenor“. Zit. n. Jacobs (1983), S. 301. 565 So tritt beispielsweise ab 1724 der „neue Altsänger“ Ms Hebert in Hamburg auf, von dem nicht festzustellen ist, ob er ein Kastrat oder ein Falsettist war. Vgl. ebenda, S. 53. 566 Vgl. Daniel Heartz: Farinelli and Metastasio. Rival Twins of public favour. In: Early Music 8 (1984), S. 364–365.



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flektiert. Zentral für diesen Wandel eines in Braunschweig im Kontext der Hofoper eben auch vorbildlichen Königs zu einem empfindsamen und lie­ benswürdigen Ehemann ist der kurze gemeinsame Auftritt von Admetus und Alceste im ersten Akt. Traf sich das Paar in der Braunschweiger Fassung wie in der französischen Vorlage und für Figuren von Stand gehörig zum ersten Mal bei ihrem Hochzeitsfest, sieht man Braut und Bräutigam hier nur in Begleitung von Admetus Pagen in der Vertrautheit der Kammer beisammen, und der Bräutigam begegnet ihr mit einer erotischen Zärtlichkeit, die nicht nur überdeutlich macht, dass dies eine Liebesheirat ist, sondern vor allem zeigt, auf wie vertrautem Fuß das Paar bereits miteinander steht. Auf der Bühne eines Hoftheaters wäre eine solche Szene wohl anstößig erschienen, doch ein städtisches Publikum konnte und musste davon berührt werden. In neuem Licht erscheint so auch, warum Licomedes gegen diese Liebesheirat mit der unter höfischen Bedingungen vielleicht sogar gerechtfertigten Auflis­ tung seiner edleren Abstammung nicht ankommt. Einen deutlicheren Kon­ trast zu diesem liebenswürdigen Admetus könnte der typische Tyrannentenor Licomedes gar nicht abgeben. Licomedes, der wie Strato und Hercules drei Arien zu singen hat, mit dem aber natürlich niemand in ein Duett einstimmt, ist zwar durchaus aufrichtig in Alceste verliebt und beherrscht den galanten Diskurs, doch verwendet er ihn nur als zynischen und zugleich durchsichti­ gen Schleier für seine niederen Absichten, und – Ziglers Chaumigrem lässt grüßen – wenn Galanterie nicht fruchtet, so tut es eben Gewalt. Der Bariton Strato überspannt als Figur die vollständige Handlung und ist an Stelle der komischen Dienerfiguren ein liebenswerter, vielleicht etwas zu gutmütiger Edelmann. Ob er Cephises Spiel am Ende tatsächlich nicht durchschaut, darf bezweifelt werden. Vermutlich kümmert es ihn einfach nicht weiter, wenn er nur endlich ins Duett mit ihr einstimmen darf. Schmidt verwunderte sich in seiner Studie über die teilweise auffällig unbekümmert klingende Musik von Hercules’ Arien, die in eigentümlichem Kontrast zu seinen heldischen Eigenschaften stehe.567 Tatsächlich balan­ ciert er zwischen Komik und Heldentum und nimmt damit in über Quinault hinusgehendem Maße wieder die antike Ambivalenz aus Held und Tram­ pel an. Schlimmer noch, sein Gerede von der Entsagung bringt ihn in den Ruch eines Stoikers. Der Stoiker, oder allgemeiner: der Philosoph ist aber, wie Jahn ausführlich dargestellt hat,568 angefangen vom durch Monteverdis Musik ironisierten Seneca bis zu Telemanns und Königs Der geduldige Socrates (1721) in der Oper eine komische Figur – und in der Regel ein Bass. Hercu­ les’ Arie „Der Himmel weiß“ ist überdies nur generalbassbegleitet, was im 567 Schmidt (1933) Bd. II, S. 410–411, der sich von Herkules Arie „Der Himmel weiß …“ an ein Studentenlied erinnert fühlt und Herkules daher als komische Figur interpretiert. 568 Jahn (2005), S. 259–274.

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Rahmen dieser Oper ein untrügliches Charakteristikum der eher niederen im Sinne von: schlichter gestrickten Charaktere ist. Hercules mag ein starker Held sein, der sogar Pluto das Fürchten lehren kann,569 doch in Bezug auf Alceste verhält er sich letztlich nicht viel anders als Licomedes. Zwar hat er grundsätzlich ein gutes Herz, doch als beinahe Stoiker ist er gewissermaßen ein Beziehungslegastheniker – was übrigens auch sein mangelndes Taktge­ fühl zeigt, ohne plausible Erklärung (etwa einen dringenden Kampf, in dem sein Arm gebraucht würde) unbedingt kurz vor den Hochzeitsfeierlichkeiten abreisen zu wollen. Das Leid der Liebenden, das er am Ende mit seiner guten Tat anrichtet, ist so groß, dass er es auf Dauer nicht übersehen kann, doch für die treue Hyppolite, die zweite große tragische Heldin der Oper – die ihm auch als Stimmcharakter definitiv an Adel und Tiefe weit überlegen ist – hat er nur ein „ich will nichts weiter wissen“570 übrig. Cephise schließlich singt zwei, doch nur bassbegleitete Arien und wird damit als ein wenn schon nicht komischer, so doch eher niederer Charakter gezeigt. Gleichwohl ist sie weit von der kokett mit verschiedenen Männern jonglierenden Hofdame der Vorlagen abgerückt. Cephise kann die Männer nur hintereinander lieben571 und fügt sich damit durchaus ein in die Ein Geist, eine Liebe, ein Leib-Dramaturgie der Oper. Wegen Hyppolite trennt sie sich von Strato, und solange sie in dieser den Mann ihres Lebens erblickt, spielt sie Strato ihre erneute Liebe nur vor. Erst als sich der Traummann als Maskerade entpuppt, kehrt sie zum realen zurück. Ihren sicher nicht edlen, aber grund­ sätzlich guten Charakter zeigt ihre echte Sorge um Alceste und dass überdies ihre Liebe zu Hyppolite am Ende nicht in Hass umschlägt. Mehr noch: in­ dem sie erst deren Selbstmord verhindert und dann die zuvor begehrte Hand in Hercules’ legt, doppelt sie im Kleinen dessen großmütigen Verzicht. Der Page Cleantes ist im Altschlüssel notiert und wurde vermutlich von einem Knaben gesungen. Auf Pheres und die Bedeutung seiner Stimm­ lage wurde schon ausführlich eingegangen. Auch seine einzige Arie ist nur bassbegleitet. Allein seine Figur ist in der Oper als rundweg lächerlich und verwerflich dargestellt. Nicht, weil er sich nicht für Admetus opfert – das verweigert der Page auch –, sondern weil er beständig Opfer und Heldentum im Mund führt und das Gegenteil davon lebt. Cephise ist dagegen trotz ihrer Fehler liebenswert, weil sie sich treu bleibt, Hercules hat ein Herz, das am Ende das Schlimmste verhindert, selbst Licomedes der Tyrann verhält sich geradlinig, wie Tyrannen nun mal sind – doch Pheres ist ein Heuchler, und die erträgt die Ein Geist, ein Herz, ein Leib-Dramaturgie nicht.

569 Bei Aureli erbittet er Alceste hingegen mit vollendeter Höflichkeit. 570 Getreue Alceste, Part. III/9 (scena ultima), o. S. 571 Man könnte das als temporäre Monogamie bezeichnen.



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Es ist Königs große Leistung, das Potential zur immanenten Komik in den hohen Figuren bei Quinault erkannt zu haben. Indem er ihre Ambiva­ lenzen für seine Bearbeitung verstärkt, kann er auf die eigentliche komische Handlung verzichten und dennoch der Musik die Option für komische Mo­ mente und damit für eine größere Bandbreite an Ausdruck verschaffen. Im Gegenzug werden die Dienerfiguren mit verstärkten edlen und empfindsa­ men Aspekten geadelt. Im Ergebnis realisiert er damit in seinen Figuren die gemischten Charaktere, die Feind für die Opernfiguren gefordert hatte, und die Lessing später unter diesem Begriff theoretisch fassen sollte. Damit be­ wegte sich in punkto Charakterzeichnung überdies mit seinem Libretto auf die Vorlage des Euripides zu. Die Braunschweiger Fassung hatte sich in mehrfacher Weise stärker an der Tragédie lyrique orientiert. Neben der deutlicher königlich profilierten Figur des Admetus manifestiert sich dies vor allem in den breiteren Tableaus mit allegorischen Figuren und elaborierten Balletten in der Hochzeitsszene, der Trauerszene und an Plutos Hof. Das Braunschweiger Libretto dokumen­ tiert diese Elemente (deren Reste teilweise noch in der Partitur erkennbar sind) in einer „Detailfreudigkeit und einer Opulenz“, die sogar über die Pa­ riser Librettodrucke hinausgehen.572 Offenbar gehörte zur Braunschweiger Dramaturgie auch die Dokumentation der Ereignisse in der Leseform des Librettodruckes. Die Hamburger Fassung hingegen verkürzt die Tanz- und Chorszenen und verschiebt das Gewicht in Richtung der italienischen Arienoper und ­daraus resultierend der dramatis personae. Die Gründe sind vor allem im ökonomischen Druck einer Publikumsoper zu suchen, die keine Tänzer­ truppe zur Verfügung hatte und im Gegenteil auf Begrenzung des Personals bedacht sein musste.573 Der Librettodruck korrespondiert mit diesen Ver­ schiebungen und gibt nur noch sehr knappe Andeutungen der Dekoration. Dennoch bleiben auch in der Hamburger Fassung die Elemente der Tragédie lyrique in ihrer Vielfalt erhalten. Dazu gehören die in einer italienischen Oper unüblichen Instrumentalsätze574 und besonders die breiten Accompagnati der Alceste575. An die italienische Oper nähert sie sich durch den Verzicht auf die Di­ vertissements an den Aktschlüssen und die Schlussapotheose der Tragédie 572 Schneider (2006), S. 138. 573 Entsprechend sieht keiner der Hamburger Librettodrucke der verschiedenen Alceste-Fassun­ gen zwischen 1680 und 1696 Ballette vor. 574 Vgl. Schmidt (1933), Bd. II, S. 180. 575 Accompagnati gibt es allerdings auch in der (früheren) venezianischen Oper, dort in verschie­ denen Funktionen. Die neapolitanische Opera seria bindet sie allerdings zunehmend eng an die Arie an, als deren Hinleitung sie fungieren.

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lyrique an, die wie in der italienischen Oper und den besprochenen Libretto-­ Romanen durch Mehrfachheiraten ersetzt wird.576 Im Gegenzug übersteigt die Anzahl von 10 bzw. in Hamburg 9 Chören der Schürmann/König’schen Alceste sogar Quinault/Lullys Fassung mit nur 7 Chören.577 Die Ensemb­ les entsprechen mit zwei Duetten und einem Quartett etwa der Frequenz der Opera seria. Ebenfalls zu den italienischen Elementen der Hamburger wie bereits der Braunschweiger Fassung gehört die präzise Umsetzung der Stimm­hierarchie der italienischen Oper, wie sie heute vor allem in Händels Opern präsent ist, der seine Besetzungen ebenfalls um einen Heldenalt gruppierte. Die italienischen Arien nehmen die Grundaffekte der früheren deutschen Arientexte auf, verstärken diese aber im Falle von Alceste und Admetus. Die trauernde Alceste sieht an Stelle reiner Todessehnsucht bereits den Toten zu ihrer Tröstung erscheinen, und an die Stelle von Admetus’ Hoffnungslosigkeit tritt das Hadern mit dem Schicksal. Die neu eingefügten italienischen Arien bilden insgesamt besonders starke Affekte ab.578 Während das zentrale Paar damit menschlicher, weniger würdevoll und in seiner Ag­ gression zugleich verletzlicher erscheint, wird einzig Hercules in seiner an Tugend und Ruhm gerichteten italienischen Arie „Con due faci“ bereits vor der Befreiung der Alceste geadelt. In Schürmanns und Königs Getreuer Alceste ist ein Werk der Hochblüte der deutschen Barockoper überliefert, mit dem sich deren eigenständiger Phäno­ typus beschreiben läßt. Ausgehend vom „vermischten Geschmack“ versam­ melt Die getreue Alceste praktisch alle Elemente der französischen, italienischen und deutschen Oper, von Chören und Tänzen über Orchesterzwischenspiele bis zu Arien und Duetten in virtuosen wie liedhaften Formen sowie große Accompagnati und synthetisiert sie nach den Bedürfnissen der dramatischen Handlung zu ausgesprochen farbigem, abwechslungsreichem und wirkungs­ vollem Musiktheater. Die breiten Chor- und Orchesterflächen der franzö­ sischen Oper werden komprimiert zu kleinteilig und kontrastiv angelegtem Formwechsel, der viel stärker als die beiden romanischen Schwestergattungen die Waage hält zwischen Musik- und Theater und damit wie auch in der teils ausgesprochen originellen Instrumentierung auf Telemann vorverweist.579 Dieses Grundprinzip des beweglichen Formenwechsels strahlt sowohl in die musikalische Figurenzeichnung mit ihrer subtilen, auf das Menschenbild der 576 577 578 579

Vgl. Schneider (2006), S. 136–138. Vgl. ebenda, S. 140. Vgl. ebenda, S. 157–158. Die organische Verbindung aller Elemente des Musiktheaters sollte nicht zuletzt in Schweit­ zer/Wielands Alceste wiederkehren, wobei darüber spekuliert werden kann, ob Schweitzer sie auch an Werken Telemanns studiert hat, die er in seinen frühen Studienjahren in Bayreuth kennengelernt haben kann.



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Aufklärung vorausweisenden Mischung aus Ernsthaftigkeit und Komik aus, als auch in den völlig eigenständigen, farbigen Orchestersatz. Dieser bindet mit schier unerschöpflichem Ideenreichtum an überraschenden harmoni­ schen Wendungen und obligaten Instrumentierungen die einzelnen Formele­ mente zusammen und hält überdies Sänger und Orchester in mühelosem Gleichgewicht, was der Oper einen vor- bzw. frühklassischen Duktus verleiht. Schürmanns Musiksprache bewegt sich sowohl in der Stimmführung als auch im Orchester auf der Höhe der internationalen Opernmusik sei­ ner Zeit und ist zugleich völlig eigenständig. Seine herausragendste Gabe ist die zur Melodieerfindung, die er nicht zuletzt an seinen berühmten Schüler Hasse weitergeben sollte. Das enge Wort-Ton-Verhältnis verbindet ihn mit Bach, doch wo dieser melodiöse Ideen in seinen Arien ökonomisch einsetzt und kunstvoll variiert, erscheint Schürmanns Melodieführung weniger stan­ dardisiert und ‚moderner‘ in ihren überraschenden Wendungen und ihrem verschwenderischen Reichtum. Obgleich seine Arien teilweise ähnlich virtuos sind wie die der italie­ nischen Oper, wird diese Virtuosität nie als solche ausgestellt, sondern er­ scheint stets eingebunden in die Affekt- bzw. Charakterdarstellung und die Ausdeutung des Textes. Ergänzend dazu wirkt die berückend sängerisch ge­ schriebene Stimmführung selbst in der Virtuosität organisch und mühelos, und erscheint damit zugleich natürlich und authentisch, wodurch sie sich ideal mit Königs über Strecken empfindsamer Librettosprache trifft und ihr eine unmittelbar erfahrbare Klanglichkeit verleiht. Hierin liegt vielleicht der gra­ vierende Unterschied zur sich parallel konstituierenden italiensichen Opera seria, deren Arien sich rasch zu Schaustücken sängerischer Virtuosität ent­ wickelten und dies durchaus auch im Sinne eines Spektakels sein sollten.580 Damit erklärt sich schließlich auch die Funktion der italienischen Einlage­ arien (nicht nur in Hamburg), deren italianità weder primär in der italienischen Sprache, noch primär in einem abweichenden musikalischen Stil bestand, sondern in deren Habitus als Glanz-Stücken, die es den Sängern ermög­lichen sollten, ihre Gesangskunst auch forciert als Gesangskunst auzusstellen. Die Getreue Alceste wurde in Hamburg 42 Mal aufgeführt und gehört damit „zu einem der beliebtesten Stücke der frühen 1720er Jahre“581. Mit der Re­ duktion der Komik, klassischen Doppelung der Liebespaare, dreiaktigen 580 Der spektakuläre Sänger vertritt in der Opera seria damit die Position der spektakulären Thea­ ter-Maschine in der Tragédie lyrique. Vgl. Nichola Gess und Tina Hartmann: Barocktheater als Spektakel. Eine Einführung. In: Barocktheater als Spektakel. (2015), S. 9–39, hier S. 30. 581 Dorothea Schröder: Alkestis auf der barocken Opernbühne. In: Alkestis. Opfertod und Wie­ derkehr (2007), S. 166. Vgl. ferner: Marx/Schröder (1995), S. 192. Vgl. ferner Schmidt (1933), Bd. I, S. 53.

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Unterteilung und Arienverteilung, Tendenz zur Da capo-Arie und deren Positionierung am Schluss der Szene liegt sie einerseits vollständig in der Tendenz der Opera seria, integriert aber mit den noch immer reichlich ver­ bliebenen französischen Elementen auch eine Quelle der Reform, die von der italienischen Opera seria – Metastasios frühen Opern – bereits wieder vergessen worden war und trifft sich damit zugleich mit Händels Dramatur­ gie. Schürmann/König realisieren hier also weniger einen Zugriff auf die Tragédie lyrique unter Verwendung aktueller Gestaltungsmittel,582 vielmehr nutzen sie direkt das Potential der französischen Oper zur Reform der ita­ lienischen, ohne den Umweg über die gesprochene Tragédie zu beschreiten und präludieren damit spätere Ansätze der zweiten Opernreform, zu der u. a. Wieland/Schweitzer, Tommaso Traetta (1727–1779) und Gluck gehörten. Letzterer sollte bekanntlich nicht nur mit Armide direkt ein Quinault-Libretto vertonen, sondern sich zuvor für seine zweite Reformoper gemeinsam mit seinem Librettisten Calzabigi – Alceste auswählen.

3.4.10  Die paradigmatische Reformoper Wie zuvor bei Quinault und später bei Gluck/Calzabigi und Schweitzer/ Wieland erscheint die Geschichte vom Opfertod der Alceste als paradigma­ tische Reformoper. Anders als die auch formal auf die Pastorale festgelegte Geschichte vom mythischen Sänger Orpheus ist ihr der Anknüpfungspunkt für die historische Erzählung vom herausragenden Königspaar bereits imma­ nent. Historisch einzigartiges Exempel und emblematische Paarkonstellation oszillieren in allen besprochenen Bearbeitungen, doch König und Schürmann führen die Geschichte schrittweise über die beiden Bearbeitungsabschnitte am weitesten aus ihrer pastoralen Klammer heraus und überführen sie in ein Dramma per musica empfindsamer Prägung. War an Stelle von Apollo schon nur noch Pallas im Reigen der Künste zur Verkündigung des Orakels aufgetreten, erscheint am Ende gar kein Gott mehr, um wie bei Quinault den pastoralen Reigen zu schließen, sondern drei irdische Brautpaare stellen die Sinnhaftigkeit der Geschichte auf der Basis von Liebe und Mitgefühl her. Mit der Getreuen Alceste triumphiert auf der Opernbühne ein Liebes­ konzept, das sich vom Allianzmodell arrangierter Eheschließungen ebenso verabschiedet hat wie vom damit verbundenen Konzept der galanten Liebe, insofern sie eine Trennung von Körper und Herz verlangt. Die Getreue Alceste und mit ihr eine Reihe weiterer Opern, die Jahn ausführlich unter diesem Aspekt beschrieben hat,583 setzten dagegen einen Typus der empfindsamen 582 Vgl. Schneider (2006), S. 158. 583 Vgl. Jahn (2005), S. 302–332.



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Liebe um, der auf der Basis wechselseitiger Anziehung und unverbrüchlicher Treue mit stupender Selbstverständlichkeit jene empfindsame Verbindung von Liebe und Sexualität realisiert, an der sich der empfindsame Roman bis weit in die 1770er Jahre abbarbeiten sollte, und die direkt zu Christoph Mar­ tin Wielands Alceste führt. Was Wunder also, dass Wieland sich für das Ex­ periment einer geglückten Verbindung aus Sinnlichkeit und Ehe die Gattung der Oper wählte. In seiner Besprechung der Getreuen Alceste lobt er vor allem die Reduktion der Komik, mit der König sich an die Dramaturgie der Opera seria annähert. Ein Füllhorn voll Spott ernten hingegen Königs am franzö­ sischen Mervellieux (Wunderbaren) orientierte Maschinen der Braunschwei­ ger Fassung und die Verwicklungen der Handlung: Hingegen hat er, durch Vermehrung der Intriguen und Maschinerien, oder, wie er es nennt, durch Vereinigung des (damaligen) Italiänischen und Französischen Geschmacks (worauf er sich nicht wenig zu gut thut) den Vorzug erhalten, daß sein Stück ohne alle Vergleichung abentheuerlicher, unnatürlicher und ungereimter wurde, und also (weil eine Oper damals dadurch sich empfehlen mußte) auch desto besser gefiel, je abgeschmackter sie war.584

Am Stil des Textes bleibt im Rezitativ für Wieland hingegen nur noch die konsequente Reimbindung zu bemängeln, wofür er jedoch die Gepflogen­ heiten bzw. Erwartungshaltungen des Publikums verantwortlich macht.585 An den Arien hat der nachgeborene Librettist, bis auf kleine Verbesserungsvor­ schläge, wenig auszusetzen, nennt die „Arie586, worin Alceste sich entschließt für Admet zu sterben […] in ihrer Art vorzüglich“587, und bescheinigt der Ombra-Szene an Plutos Hof „Welchen Reichthum von schönen Gemähl­ den, empfindsamen Modulationen und entzückenden Melodien bietet sie einem grossen Componisten dar!“588 Die Nähe der von Wieland zitierten Arien Königs zu den Arien seiner eigenen, knapp fünfzig Jahre später geborenen Alceste ist über weite Strecken berückend. Wo nicht, da weiß der Nachgeborene warum: Einheit des Tons, Reinigkeit des Ausdrucks, Rundung und Glätte des Styls waren Grade von Vollkommenheit, die man von der Zeit, worinn König seine Alceste schrieb, nicht verlangen kan. In der unsrigen kan man es mit besserm Rechte.589

Und er schickte sich an, es mit seiner Alceste unter Beweis zu stellen. 584 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 111. 585 Ebenda, S. 115. 586 „Da mein Leitstern muss entweichen“. Nur im von Wieland benutzten Braunschweiger Druck. 587 Ebenda, S. 113. 588 Ebenda, S. 114. 589 Ebenda, S. 115.

4.  Die Königin kehrt zurück – Christoph Martin Wieland und Anton Schweitzer Alceste (1773/1775) 4.1  Die erste deutsche Oper? 1738 stellte die Hamburger Gänsemarktoper ihren Spielbetrieb ein und auch in den letzten Bastionen deutschsprachiger Oper wie Braunschweig wurden ab den 1750er Jahren Werke deutscher Komponisten nur noch in italieni­ scher Sprache aufgeführt. Die deutschsprachige Oper war verklungen und zog sich ganz auf ihre textlichen Existenzen zurück. Noch in der Spätphase erschienen weitere Auflagen von Menantes Die allerneueste Art zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen (1742) und Matthessons Die neueste Untersuchung der Singspiele (1744). Ferner lebte die deutsche Oper in jenem eigenartigen deut­ schen Opernstreit bei abwesendem corpus delicti zwischen Gottsched-An­ hängern und -Gegnern fort. Die knapp zwanzig Jahre bis zu ihrem erneuten Aufblühen mit den Singspielen Weißes und Hillers  – dann allerdings von der Seite des komischen Paradigmas und mit gänzlich anderem Phänotyp1 – überwinterte die deutsche Oper in Traktaten und Streitschriften Gottscheds, Hudemanns, Uffenbachs, Matthessons und weiterer sowie in Beispiellibretti, Übersetzungen und Kommentaren der Libretti Metastasios, ohne dass ein Komponist eine Note dazusetzte. Die Auseinandersetzung des 1733 in diese opernlose Zeit hineingebo­ renen Wieland mit dem Musiktheater ist geradezu paradigmatisch, laufen in ihr doch die bereits die deutsche Barockoper bestimmenden Stränge von Librettorezeption und -produktion sowie die literarische Einbettung des Li­ brettos in andere Lesetext-Gattungen idealtypisch zusammen. Überdies fä­ chert sich sein Librettoschaffen in allen Abstufungen zwischen Musik- und Lesetext auf, vom Opernlibretto über das Leselibretto, Traktat und Essay bis hin zum Roman. In seinem bereits angeführten Essay Über einige ältere t eu tsche S ing sp iele, welche den Nahmen Alce s te führen schlug Wieland sogar expressis verbis die Brücke zu jener goldenen Zeit der deutschen Oper, in der das Musiktheater krönender Teil einer Bürgertum und Adel umgreifen­ den musikalisch-literarischen Kultur war und schließt mit deren Analyse – an Stelle eines Aufsatzes über Quinaults Vorlage, den Vorschlag Glucks oder die 1

Vgl. Krämer (1999).

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Librettistik Metastasios und flankierend zu seinen Anmerkungen im Versuch über das Teutsche Singspiel, und einige dahin einschlagende Gegenstände und den Briefen an einen Freund über das deutsche Singspiel, Alceste – seine Alceste als Entwurf eines deutschen Singspiels nach dem Muster der Alten direkt an die Librettistik der deutschen Barockoper an. Dass insbesondere die erste Hamburger und die Leipziger Bearbeitung der Alceste eher als Negativfolie dienen müssen, schmälert diese Intention nicht, ist doch die Stoßrichtung des Artikels, ein­ mal auf die ehemalige Position der Operndichtung als hochstehende und gesellschaftlich integrierte Kunst zu verweisen, vor allem aber an Königs Li­ bretto zu zeigen, dass es damals bereits (nahezu) gelungene Vorbilder für ein ernstes Libretto in deutscher Sprache gab, an die sich anknüpfen ließ und die es nun mit einem neuen Ideal, einem an der antiken Dichtung u. a. des Euripides geschulten Menschenbild respektive seiner Übertragung auf die Gegenwart zu vollenden galt. Wie Zigler und Anton Ulrich vor ihm durchschaute auch Wieland, dass die erfolgreiche Genese einer deutschen Oper davon abhing, eine genuine deutsche musikalisch-sprachliche Diktion zu finden und dabei der Teufel eher im Rezitaiv als in den Arien steckte. Dass Anton Schweitzer, und nach Wielands Einschätzung dieser wie kein anderer, den Ton für dieses deutsche Rezitativ gefunden hatte, ließ Wieland auf ihm als kongenial emp­ fundenem Partner beharren. Dass ein deutsches Singspiel in Sinne einer deutschen Oper erst mit Alceste erreicht war, bestätige 1777 kein Geringerer als Mozart, der Alceste „daß erste deütsche singspiell“2 nennt, obgleich er sowohl mit dem Norddeutschen Singspiel wie seiner Wiener Schwestergattung vertraut gewesen sein muss. Alceste gehört, gemessen an der sehr übersichtlichen Zahl von Auffüh­ rungen im 20. und 21. Jahrhundert,3 zu den vergleichsweise gut untersuchten Opern ihrer Zeit. Doch herrscht in der Forschung ein eigentümlich nör­ gelnder Grundton vor. Dabei scheut sich mancher nicht davor, selbst mit historischen Alceste-Kritiken zu argumentieren, wie Krämer mit der Ber­liozPolemik von 1862,4 die durchaus keine späte Würdigung von Wielands und Schweitzers Experiment bildet, sondern als Negativ-Folie des Werbetextes zu Hector Berlioz’ (1803–1869) eigener Bearbeitung der Gluck’schen Al­ ceste herhalten musste. Stets wurde die Oper aus einem bestimmten Kontext her­aus untersucht,5 sei es von der älteren Forschung als (gescheiterter) Ent­ 2 3

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Brief vom 3. 12. 1777. In: Mozart: Briefe und Aufzeichnungen. (1963), Bd. II, S. 161. 1933 gab es Pläne für eine Aufführung, die jedoch nicht zustande kam. 1999 folgten kurz hintereinander eine konzertante Aufführung in Dresden und Weimar sowie 2007 erstmals eine szenische und musikalisch nach den Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis realisierte, abermals in Weimar. Vgl. Krämer (1998), S. 238 und S. 204. Exemplarisch dafür steht Krämers (1998, S. 233–234) Einschätzung: „Wesentlich ist dafür, daß Wieland damit auch gegenüber dem bisherigen Singspiel-Typus von Weiße und Hiller

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wurf einer auf Wagner zulaufenden deutschen Oper,6 von Krämer aus dem Kontext des deutschen Singspiels, zu dessen Phänotypus sie einen dezidier­ ten und erklärten Kontrapunkt bildet, Busch-Salmen aus dem Blickwinkel der späteren (und gleichfalls polemischen) Kritiken von Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) und Joseph Martin Kraus (1756–1792),7 von der Gluck-Forschung mit Blick auf Leistungen und Phänotypus der Refor­ mopern und schließlich von der Wieland-Forschung aus dem Blickwinkel der Literaturwissenschaft noch weitgehend ohne das Rüstzeug der Librettologie. Wie Alceste bereits historisch zwischen allen Stühlen saß, tut sie es für die Forschung bis heute. In Krämers Worten: „Wieland stellt sich somit so­ wohl in Opposition zur großen italienischen Oper der Höfe als auch zum ‚niederen‘ deutschen Singspiel Hillers.“8 Im Ergebnis wurde das eigentlich auf der Hand liegende innovative Potenzial der Oper, das die Zeitgenossen, allen voran Mozart, durchaus gesehen und bei aller Detailkritik auch gewür­ digt haben, trotz eher guter Forschungslage bislang noch nicht erkannt und entsprechend weder für die Opernforschung noch für die Wieland-Philo­ logie fruchtbar gemacht. Tatsächlich kann man Wielands und Schweitzers Leistung kaum überschätzen, mit der sie die erste vollständig komponierte und gesungene Oper in deutscher Sprache seit der deutschen Barockoper schufen und dafür einen Ansatz entwickelten, der nicht nur Anregungen nahezu aller Gattun­ gen des europäischen Musiktheaters (darunter Opera seria, venezianische Oper, Tragédie lyrique, Norddeutsches Singspiel, Melodrama) aufnahm, son­ dern sie zudem in eine für die Oper gänzlich neue Dramaturgie überführte. Damit unterbreiteten sie abermals einen Vorschlag für eine im Musiktheater realisierte moderne Antike, die anders als bei Metastasio keinerlei politische und dynastische Überlegungen kennt, sondern sie gestalteten ausgehend von Euripides’ psychologischer Figurenzeichnung die wohl erste Oper mit einer konsequent psychologisch motivierten Handlung, die individuell-mensch­

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eine völlig veränderte Funktionszuweisung an die Musik entwickelt: Sie wird als Transmis­ sionsriemen der rührenden Wirkungsabsicht statt als Mittel unterhaltender Geselligkeit kon­ zipiert. […] Der Unterhaltungsanspruch des bisherigen Singspiel-Typus wird abgestreift und einer idealisierenden Tendenz geopfert.“ Nachdem seit der Romantik und auch noch weit­ gehend in der neueren Opernforschung vorherrschenden Postulat der autonomen Musik (das selbst noch Jahns Arbeit unterliegt), müsste dieser völlig zutreffende Befund Krämers eigentlich zu einer deutlichen Aufwertung der Alceste führen. Da Krämer jedoch gerade die soziale Funktionalität der „populären“ Gattung Singspiel in seiner Darstellung nobilitiert, gerät Wielands und Schweitzers wenigstens schrittweise Autonomisierung der Musik gera­ dezu zum Makel. Bei Schiedermair heißt es „Aber sie berührten doch wenigstens das Prinzip, das dem Wollen deutscher Operngestaltung entsprach“. Ders. (1930), S. 124. Gabriele Busch-Salmen: „Übrigens ein Werk voll Fehler und Nachlässigkeiten“ – Wieland/ Schweitzers Singspiel Alceste in der opernästhetischen Debatte. In: Alkestis: (2007), S. 97–112. Krämer (1998), S. 233.

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liche Seelenbewegungen ins Zentrum der Dramaturgie und Darstellung rückt, und damit librettistisch bereits über die beispielsweise noch über zehn Jahre später in Mozarts Opern agierenden Typen hinausgeht, musikalisch aber genau dessen Psychologisierung durch prozessuales Erzählen vorwegnimmt. Schweitzer erging es kaum besser als seinem Librettisten. Seit Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung kam die Forschung, wann immer sie sich mit dem Stück befasste, ob von Seiten der Literatur- oder Musikwis­ senschaft, überwiegend zu dem Schluss, dass es ein Kuriosum sei, eine mu­ sikalisch dürftige Kopfgeburt, eine musikdramatische Sackgasse, die keine Nachahmer gefunden habe, und häufig schwingt der Unterton mit, dass das Stück die ihm gewidmete Aufmerksamkeit eigentlich nicht lohne, zu­ mal Schweitzer ein rückständiger und etwas dilettantischer Komponist ohne ­eigene Ideen und natürlich ohne Genie sei. Als Stellvertreter für diese Tendenz zur Pauschalverurteilung mag fol­ gende Einschätzung aus den 90er Jahren des gerade vergangenen Jahrhun­ derts genügen: „Wieland war musikalisch nicht so ahnungslos, wie man aus der krassen Überschätzung seines musikalischen Partners Schweitzer schlie­ ßen könnte“9. Als Nachweis macht sich der Urheber dieser Äußerung nicht einmal die Mühe, einen Blick in Schweitzers Noten zu werfen, sondern be­ gnügt sich mit dem Verweis auf eine Abhandlung zu Schweitzer von Julius Maurer aus dem Jahre 1912 (!), in der Maurer übrigens keinesfalls zu einer derart pauschal negativen Einschätzung gelangt.10 Im Folgenden soll Schweitzers Anteil an der Genese einer neuen deut­ schen Oper ebenso erschlossen werden, wie – soweit das im Rahmen einer primär librettologischen Analyse möglich ist – seine innovativen musikdra­ maturgischen Strukturen. Für die Würdigung von Schweitzers spezifischem musikalischem Idiom zeichnet sich in jüngster Zeit bereits ein Wandel ab11, der klar durch die 2007er Aufführungsserie12 hervorgerufen wurde und be­ 9 10 11 12

Wolfgang Ruf: Begegnung in Mannheim: Mozart und Wieland. In: Mozart und Mannheim. Kongreßbericht Mannheim 1991. Ludwig Finscher, Bärbel Pelker. Jochen Reutter (Hg.). Frankfurt a. M. u.  a. 1994, S. 157–166, hier: S. 160. Ders.: Anton Schweitzer als dramatischer Komponist. In: Publikationen der Internationalen Musikgesellschaft, Beihefte. Zweite Folge Heft XI (1912). Wieland und Schweitzers zweite Oper Rosamunde erlebte bei den Schwetzinger Festspielen 2012 ihre moderne Erstaufführung. Aufführungen der Alceste fanden im Herbst 2007 in Weimar sowie 2008 in Erlangen und Ludwigsburg und Biberach statt. Sie wurden im Zusammenhang mit dieser Studie und einer kritischen Edition des Notentextes realisiert: Anton Schweitzer: Alceste. Tina Hartmann und Stephan Hörner (Hg.). Wiesbaden 2017. Durch die szenische Probenarbeit an Wieland und Schweitzers engem Wort-Ton-Verhältnis und die Auseinandersetzung des Spezia­lensembles für historische Aufführungspraxis Concerto Köln unter Leitung von Michael Hofstetter mit einem Ensemble international renommierter Solisten (Simone Schneider, Cyndia Sieden, Christoph Genz, Josef Wagner) sowie durch die textsensible inszenatorische Arbeit Hendrik

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weist, wie entscheidend die praktische Musikpflege im Kontext der histori­ schen Aufführungspraxis auch für die musikwissenschaftliche Einschätzung ist. Wieland und Schweitzers Experiment in seiner Radikalität zu beschreiben und möglichst viele der in ihm versponnenen intertextuellen Fäden aufzu­ zeigen, ist Ziel der zugleich exemplarischen librettologischen Analyse der Alceste. Sie bezieht den Hintergrund der historischen und Gattungskontexte ebenso ein wie den opernspezifischen Werdegang der beiden Autoren und die Beziehungsnetze, in die sie und ihr Werk während der Entstehung ein­ gesponnen waren. Da Alceste Wielands frühe Theaterexperimente auf der Suche nach einem empfindsamen Drama ebenso fortsetzt wie Schweitzers Streben nach einem artifiziell hochstehenden deutschsprachigen Musikthea­ ter, werden Wielands dramatische Frühwerke Lady Johanna Gray und Clemen­ tina von Porretta, Schweitzers frühe Singspiele und die gemeinsamen Arbeiten Aurora und die Wahl des Herkules bereits mit Blick auf die Alceste prägenden Strukturen untersucht, ohne deshalb jedoch als reine Vor- und Seitenstücke zu Alceste gewertet zu werden. Die Librettoanalyse fokussiert die prozessualen Erzählstrukturen und vollzieht mit ihnen den Übergang zur Partituranalyse, um schließlich alle Elemente in einer Interpretation zu verbinden, die Alceste als Exempelstück für Wielands Ideal eines individuell-menschlichen Musiktheaters erhellt und abschließend im Gesamtwerk der Autoren verortet.

4.2  Wielands Essays zum Musiktheater: Eine Singspieltheorie? Wieland hat seine erste große Oper durch eine Reihe von begleitenden Tex­ ten flankiert, für die sich in der Forschung die Bezeichnung „Singspielthe­ orie“ eingebürgert hat.13 Tatsächlich gibt es in diesen Schriften Paradigmen zum Musiktheater, die man mit Blick auf die überlieferten Libretti als all­ gemeingültig betrachten kann. Dies gilt insbesondere für die Überlegungen zum Gegenstandsbereich, die darin für das Musiktheater empfohlenen Af­ fektlagen und das Verhältnis von Wort und Ton. Der Terminus Singspiel­

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Müllers entfaltete die Oper nach über 200 Jahren plötzlich wieder jenen Sog, der aus den Zeitzeugenberichten der Uraufführung spricht. Die Produktion ist als CD und DVD doku­ mentiert. Berlin Classics, Hamburg 2008. U. a. durch: John D. Lindberg: Algarotti, Calsabigi und Wieland: ein Beitrag zur Entstehungs­ geschichte der Singspieltheorie Wielands. In: Seminar: A Journal in Germanic Studies. 4 (1968), S.  18–25. Ulrich Mazurowicz: Wielands Singspieltheorie und ihr Niederschlag bei zeitgenössischen Komponisten. In: Jahrbuch für Opernforschung. Michael Arndt und Mi­ chael Walter (Hg.). Frankfurt a. M. u.  a. 1985, S. 25–42.

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theorie impliziert jedoch einen fest umrissenen Typus, respektive ein Korpus an Charakteristika und Anforderungen, die den oder wenigstens mehreren Singspielen eines Werkabschnittes gemeinsam sein sollten, zumal, wenn sie sich auf einen so überschaubaren Zeitabschnitt von weniger als einem Jahrzehnt konzentrierten. Beides lässt sich für Wielands Singspiele der Jahre 1772–1779 jedoch nicht diagnostizieren. Vielmehr sind seine dramatischen Werke insgesamt eine Serie von Experimenten, die teilweise Aspekte über mehrere Werke linear fortentwickeln (etwa die formale Textgestaltung von Aurora bis Rosamunde), in anderen Punkten aber radikal kontrastive Entwürfe reihen, wie etwa den Umgang mit Balletten und Chören in Alceste und Rosa­ munde. Entsprechend ist Florian Gelzers Warnung zuzustimmen: Wielands eigene Singspiele dürfen nun nicht – wie dies in der Forschung häufig getan wird – vorschnell als Umsetzung seiner theoretischen Konzeption interpre­ tiert werden (bei einem Autor, der sein eigenes Schaffen ebenso ausführlich wie liebevoll kommentiert wie Wieland, ist die Gefahr eines solchen Zirkelschlusses natürlich groß). Tatsächlich laufen sie mitunter zentralen Forderungen des Versuchs genau entgegen.14

Die gewöhnlich zur Singspieltheorie zusammengefassten Texte Briefe an ei­ nen Freund über das deutsche Singspiel, Alceste (1773), Über einige ältere t e u t s ch e Singspiele welche den Nahmen Alceste führen (1773), der Versuch über das Teutsche Singspiel und einige dahin einschlagenden Gegenstände (1775) sowie die Fortsetzung des Versuchs über das teutsche Singspiel (1775) flankieren tatsächlich nur das erste große Opernprojekt Alceste. Die zweite große, ab 1776 entstehende Oper Ro­ samunde (UA Mannheim 1780) sollte als Choroper mit Balletten den in ihnen beschriebenen Phänotyp gleich doppelt entkräften. Die unvertonten Libretti Das Urtheil des Midas (1774) und Pandora (1779) wurden, abgesehen von den Vorreden, nicht mehr theoretisch reflektiert, was vor allem biographische Gründe hat. Bemerkenswert ist dies vor allem für das Urtheil des Midas, das als Entwurf einer komischen Oper noch in den von den theoretischen Reflexio­ nen begleiteten Zeitraum fällt und bereits auf Schweitzers Kompositionsliste stand; anders als die wohl eher als reine Librettopublikation gleich in mehrfa­ cher Hinsicht (über die Struktur eines Prosatextes mit Gesangseinlagen und den Vertriebsweg als unkomponierter Drucktext) den Verfahrensweisen des Norddeutschen Singspiels folgende Pandora.15 14 15

Gelzer bezieht sich hier auf Rosamunde. Ders. In: Ion-Herakles-Agathon. Eine unbekannte Dramatisierung von Wielands Agathon in der Geschichte des deutschen Singspiels. In: Études Germaniques. Revue de la Société des Études Germaniques. 60 H. 3 (2005), S. 456–457. Wie Bauman dargestellt hat, wurden im deutschen Sprachraum bis ca. 1800 Libretti häu­ fig vorab publiziert, um auf diesem Wege einen oder mehrere Komponisten zu finden. Im Ergebnis gibt es eine große Masse an publizierten, aber nie vertonten Libretti. Nach 1800 verschwindet dieses Phänomen weitgehend. Vgl. ders. (1985), S. 410–413.



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Daher werden im Folgenden die Titel der theoretischen Texte wörtlich genommen, als Essays, die in erster Linie auf das Experiment Alceste hinlei­ ten und es im Versuch (der ja nicht zufällig diesen Titel trägt) über das Teutsche Singspiel nachbereiten, keinesfalls aber eine statische und idealtypische Sing­ spielform konstatieren. Die reflektierenden Texte zu Alceste sind mit dem Stück eng diskursiv verflochten und entfalten daher ihr innovatives Potential besonders in der Engführung mit der Analyse – wie es auch Wielands Inten­ tion war, der sie in der direkten publikatorischen Nachsorge seines Anfang des Jahres 1773 veröffentlichten Librettos im Teutschen Merkur erscheinen ließ. Da Alceste bereits vor der Komposition als Libretto publiziert wor­ den war und zunächst nur wenige Zeitgenossen die Aufführungen im fer­ nen Weimar sehen konnten16 waren die reflektierenden Texte offenkundig zum ergänzenden Gebrauch dieses sofort vieldiskutierten Operntexts beim Publikum gedacht. Als Lesetexte zur Oper reihen sie sich direkt in die Re­ zeptionsweise des Leselibrettos und die deutsche Besonderheit einer hypo­ thetisch-textlichen Opernpraxis ein. Dazu fügt sich – worauf bislang kaum ein Interpret verwiesen hat – dass die Texte kaum auf die Musik eingehen. Schweitzers Komposition wird, vom hyperbolischen Lob am Anfang abge­ sehen, nicht explizit analysiert, was für Elemente wie die französische Ou­ vertüre, die instrumentale Begleitung des Rezitativs und die Verwendung von ausgedehnten Da capo- bzw. Dal segno-Arien17 durchaus nahegelegen hätte und weshalb man den Briefen auch nicht ernsthaft unterstellen kann, sie seien eine Werbemaßnahme für den Particelldruck der Noten.18 Selbst der spätere Versuch lässt die musikalischen Ansätze eigentümlich offen und befasst sich vor Die breite Rezeption der Alceste mit Aufführungen im gesamten deutschen Sprachraum be­ ginnt ab 1775 in der Nachfolge der Schwetzinger Aufführungen. 17 Die Da capo-Arie hat im Text einen zweiteiligen Aufbau. Am Ende des Textes steht der Vermerk „Da capo“ oder „DC“, gegen Ende des 18. Jahrhunderts werden Da capo-Arien zuweilen auch im Librettotext ausgeschrieben. Vertont wird sie dergestalt, dass der erste Teil (A) nach dem zweiten (B) wiederholt wird. Die Notentextgestalt ist dabei identisch, weshalb auch in der Partitur lediglich die Angabe ‚Da capo‘ ausreicht. Die Wiederholung (A’) gibt dem Sänger die Möglichkeit, den Notentext auszuzieren und seine Virtuosität zu demonstrieren. Die Dal segno-Arie folgt derselben Struktur, doch wird nicht vom Anfang (capo), sondern von einem Zeichen (segno), also nicht der vollständige A-Teil wiederholt. 18 Der 1774 erschien. Während Notendrucke für die kanonischen französischen Tragédie lyriques üblich, für italienische Opern und die deutsche Barockoper eine extreme Selten­ heit waren, erschienen die Gesangseinlagen der Norddeutschen Singspiele mit erstaun­ licher Frequenz im Druck. Dies liegt wohl vor allem daran, dass sie wegen ihrer musikalisch überschaubaren Anforderungen prädestiniert für den hausmusikalischen Gebrauch waren. Entsprechend war der Particelldruck der Alceste, der zur Bassstimme auch Instrumente des Orchesters andeutete, eine verlegerische Fehlentscheidung, weil er für den Hausgebrauch zu hohe Anforderungen stellte. Gleichwohl ist dahinter der Anspruch an einen Partiturdruck spürbar, der auch an die ebenfalls in der Partitur gedruckten Reformopern Glucks, Orfeo ed Euridice und natürlich Alceste anschließen wollte. 16

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allem mit der Dramaturgie des Librettos und den Funktionsweisen der Oper allgemein. Schweitzers Lösungen in Alceste erscheinen lediglich verklausuliert in der Paraphrase der Algarotti/Gluck’schen Kritikpunkte an der Opera seria und erschließen sich nur dem, der die Oper kennt, was Wieland mit der ab 1775 einsetzenden breiteren Rezeption und Dank des Particelldruckes lang­ sam voraussetzen konnte. Bereits 1773 erschien das Singspiel Die Wahl des Herkules im Teutschen Merkur, das entstehungsgeschichtlich, formal und intertextuell eng mit Alceste verbunden ist, wie Goethes Reaktion in Götter, Helden und Wieland zeigt und das – eingebettet in Überlegungen zur angemessenen Übersetzung antiker Werke – die Versuchsanordnung weiterschreibt, in der sich Alceste bewegt. Stärker als die vorangegangen Opernexperimente Wielands erweist sich Al­ ceste als intertextuelles Wechselspiel der Gattung mit dem Stoff und seinem Reformopernkapital. Wieland inkorporiert dazu gezielt flankierende Dis­ kurse – wie den Übersetzungsdiskurs aus der Vorrede zu Die Wahl des Her­ kules – in die Briefe an einen Freund über das deutsche Singspiel, Alceste, die genau 100 Jahre nach der Querelle d’Alceste eine Wiedervorlage des alten Problems am selben Stoff und neuen Ort leisten und mit der beide Stoffe entstehungsge­ schichtlich eng verzahnt sind. Dass dies durchaus kein Anachronismus war, zeigt Goethes Reaktion. Die reflektierenden Texte werden daher im Folgenden nicht in gesonder­ ten Kapiteln abgehandelt, sondern jeweils bei Entstehungsgeschichte und Analyse herangezogen, den Fäden dieses intertextuellen Gewebes folgend. Ein Kapitel Singspieltheorie würde vor allem Wielands Texte paraphrasieren, was die Forschung bereits ausführlich geleistet hat.19 Hingegen steht noch aus die Kontextualisierung der Wieland’schen Positionen gegenüber der Mu­ siktheorie über die von ihm genannten und üblicherweise herangezogenen Theo­retiker Algarotti20, Saint Évremond und Calzabigi21 hinaus. Besonderes Augenmerk wird dabei auf jene theoretischen Positionen zu richten sein, die

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Jüngst abermals durch Christian Geltinger: Eine Oper der Dichter. Studien zum deutschen Opernlibretto um 1800. Wort und Musik. Anif und Salzburg 2010, S. 16–25. Für ein zu­ sammenfassendes Kapitel: Singspieltheorie sei überdies verwiesen auf meinen entsprechenden Artikel in: Jutta Heinz (Hg.): Wieland Handbuch, Stuttgart 2008, S. 75–78. Francesco Algarotti, Saggio sopra l’opera in musica. Venedig 1755. Nach AA 14, S. A 52, zitiert Wieland nach der französischen Übersetzung, die 1772 in Berlin erschienen war. Al­ lerdings war Wieland auch das Original zugänglich und 1768 überdies in Hillers Zeitschrift Wöchentliche Nachrichten die Musik betreffend eine deutsche Übersetzung erschienen. Dessen Positionen sich weitgehend mit Algarotti decken, woher wiederum die Übereinstim­ mung mit Wieland, also eine weitgehende Analogie, herrühren mag. Vgl. Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und kommentiert von Carl Dahlhaus und Michael Zimmermann. 1984, S. 79.



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sich als Konstanten von der deutschen Barockoper bis zu Wieland spannen und folglich die opernlose Zeit überstanden haben.22 Diese Betrachtungsweise hat den Vorteil, dass sie die experimentelle Linie für die Neuerungen in Rosamunde öffnet, anstatt die weiteren Opern­ projekte von einem Idealtypus abzugrenzen. Eine monographische Untersu­ chung insbesondere zu Rosamunde wäre dringend zu wünschen, für die diese Studie lediglich einige Fingerzeige geben kann und für die Jutta Stüber und Bärbel Pelker mit Editionen der Noten und Stüber mit einem ausgezeichne­ ten Nachwort bereits den Grund gelegt haben.23

4.3  Wielands Kontakte zu Musik und Theater 1733–1770 4.3.1  Kindheit und Jugend Im Spätherbst der deutschen Barockoper wurde Christoph Martin Wieland am 5.  September 1733 in Biberach an der Riss geboren. Sein Zugang zu Musik und Theater spiegelt die verbreitete Lebensrealität einer deutschen Kleinstadt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der seltenen Gelegen­ heit zum Besuch professioneller Veranstaltungen stand eine breitgefächerte und intensive eigene Musik- und Theaterpflege im familiären und bürger­ schaftlichen Kreis gegenüber, denn weithin galt, wer Musik hören wollte, der musste sie selbst machen. Für das Musiktheater ergibt sich daraus, dass die vollständige Oper als theatrales Ereignis lange Zeit in Wielands Leben eine Leerstelle bleibt, um die die Bemühungen vornehmlich in Form von Texten kreisen. Die Annäherung an die Oper und ihre Aneignung erfolgen in mosaikartig zusammengesetzten Teilen, die ebenfalls überwiegend durch das Medium Papier transportiert wurden. Wieland ist damit kein Einzelfall, erweist sich vielmehr als geradezu paradigmatischer Rezipient des Leselibrettos. Der Pfarrerssohn aus Biberach erhielt den Unterricht seiner ersten Jahre vollständig vom Vater, und dies so gründlich, dass die Lehrer der Biberacher Lateinschule dem später wenig hinzuzufügen wussten. Über die Musikpflege im Hause Wieland ist wenig bekannt, und wir sind auf die von Carl August Böttiger (1760–1835) überlieferten Selbstaussagen Wielands angewiesen. Hausmusik wird es sicher gegeben haben, doch dürfte sie im Pfarrhaus eher 22 23

Soweit das noch möglich ist, werden die Vermittlungswege der Texte dabei aufgezeigt, um das intertextuelle Geflecht auf eine Materialbasis zu stellen. Anton Schweitzer: Rosamunde. Seine zweite deutsche Oper nach einem Text von Christoph Martin Wieland. Jutta Stüber (Hg.). 2 Bde, Bonn 1997. Kritisch überarbeitet und als Auffüh­ rungsmaterial erschlossen durch Bärbel Pelker. Anton Schweitzer: Rosamunde. Singspiel in 4 Aufzügen. Bärbel Pelker (Hg.). Partitur, 4 Bde., Heidelberg 2012.

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geistlicher Natur gewesen sein, denn der Vater hatte den Knaben bereits mit drei Jahren das komplette Gesangbuch auswendig lernen lassen.24 Eine grundlegende Musikausbildung gehörte aber selbstverständlich zur bürger­ lichen Bildung,25 wie Wieland referiert. „In meiner frühen Jugend lernte ich das Clavier und begriff selbst die Elemente des Generalbaß“.26 Im 18. Jahr­ hundert umfasste der Unterricht an einem Tasteninstrument in der Regel auch die Einführung in die Grundlagen der Musiktheorie, weshalb Wieland seit dem 12. Lebensjahr zweimal die Woche Unterricht im Generalbass er­ hielt, vermutlich vom evangelischen Biberacher Organisten Lorenz Xeller (1703–1762).27 Später war er offenkundig in der Lage, sich Opern über das Studium der Partituren anzueignen (und in den 1770er Jahren seine älteste Tochter selbst im Klavierspiel zu unterrichten28). Will man Sophie von La Roche glauben, so spielte er wenigstens während der gemeinsam verbrachten Jahre recht ordentlich. Dass Literatur und Musik keine getrennten Systeme sind, sondern ineinandergreifen, gehört zu Wielands frühesten Leseerfah­ rungen und war tyisch für die Autorengeneration der Weimarer Klassik, denn er machte sie an einem der wichtigsten (geistlichen) Librettisten: Brockes, dem Weggefährten von König und Mattheson. Der Vater besaß eine Ge­ samtausgabe und unter dem Eindruck dieser Lektüre verfasste Wieland „eine unendliche Menge von Versen, sonderlich kleine Opern Cantaten, Ballette u: Schildereyen nach art des Hr. Brokes“29, wie Goethe, der dem prägenden Einfluss der Librettosammlung seines Vaters in Wilhelm Meisters Theatralischer Sendung, in den Lehrjahren30 und in Dichtung und Wahrheit ein Denkmal gesetzt hat und zu dessen frühen Werken ein italienisches Libretto mit dem Titel La sposa rapita gehörte. Den zweiten großen protestantischen Librettisten erwähnt Wieland eher en passant ebenfalls gegenüber Bodmer am 8. Juni

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Bei Herder, 16. April 1797, Karl August Böttiger, Literarische Zustände und Zeitgenossen, Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar. Klaus Gerlach und René Sternke (Hg.). Berlin 1998, S. 222. Dass dies, mindestens in Biberach, nicht nur für die mittleren und gehobenen Schichten galt, zeigen die Aufzeichnungen des Säcklermeisters Johann Max Kick, der, 13 Jahre jünger als Wieland, eine typische kleinbürgerliche Handwerkerexistenz fristete, dabei alle Instrumente lernte, an die er seine Hände legen konnte und jede freie Stunde der Musik widmete. Vgl. August Bopp: Das Musikleben in der freien Reichsstadt Biberach. Unter besonderer Berück­ sichtigung der Tätigkeit Justin Heinrich Knechts und der Kick’schen Notensammlung. Karl Hasse (Hg.). Kassel 1930, S. 29–39. Selbst Goethes geschätzter Freund und Ratgeber Carl Friedrich Zelter (1758–1832) war eine Doppelexistenz aus Handwerker und Musiker. 21. November 1794, Böttiger (1998), S. 136. Vgl. ferner ebenda, S. 240. Vgl. Thomas C. Starnes, Christoph Martin Wieland. Leben und Werk. 3 Bde., Sigmaringen 1987, Bd. I, S. 3. Vgl. 21. November 1794, Böttiger (1998), S. 136. Brief an Bodmer, 6. März 1752. WBr Bd. 1, S. 49. Als Sammlung des Großvaters.



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desselben Jahres 1752: Picander, den bevorzugten Textdichter Johann Se­ bastian Bachs.31 Biberach hatte eine lange und intensive Theatertradition,32 beginnend mit Mysterien- und Schulschauspielen. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1686 hatten sich ansässige Handwerker zu einer „zunftartig“ organisierten stehenden Schauspieltruppe zusammengeschlossen. Ludwig Felix Ofterdin­ ger teilt in seiner Geschichte des Theaters in Biberach von 1686 bis auf die Gegen­ wart33 für die Zeitspanne von Wielands Jugend den Spielplan mit, wonach jeweils an Weihnachten, zur Fastnacht und ggf. im Sommer ein Stück gege­ ben wurde. Biblische Themen und Stoffe der Märtyrertragödie herrschen vor, doch gibt es auch Titel, die an Wanderbühnenfassungen von Opernlibretti denken lassen, wie der Siegreiche und verliebte König Alexander (aufgeführt 1739) und der König von Persien desselben Jahres, für den zwei singende Personen verzeichnet sind. Dasselbe gilt für die Komödie von dem keuschen, regierenden und vermählten Joseph, der an die Joseph-Singspiele Anton Ulrichs denken lässt und in dem überdies noch ein lustiger Diener und ein lustiges Kammermädchen vorkamen.34 Ab 1730 war vornehmlich der Maler Johann Martin Klauflügel (1708– 1784) für die Bearbeitung der Stücke zuständig. Unter seiner Regie vermehrte sich der Anteil der Musik in den Spielen zunehmend, so dass die meisten Stücke mit Musikeinlagen versehen waren, wobei allerdings offenbleibt, ob er selbst für die Komposition verantwortlich war. Einige dieser Stücke kehrten im Spielplan von 1760 an wieder. Häufig unterteilte sich der Abend in einen Singspiel-Teil (auch Vorspiel oder Prolog) und ein Schauspiel; alternativ oder zusätzlich ein Nachspiel. Die Frauenrollen wurden mehrheitlich noch von Männern gespielt, die erste Frau auf der Biberacher Bühne war 1741 Regina Xeller35, der bald ihre Schwester und bis 1746 eine ganze Anzahl Biberacher Frauen folgte. Bemerkenswert sind die Aufführungen am 16., 26. und 28. Dezember 1747, zu denen Wieland jedoch höchstens noch die Proben mitbekommen haben kann, als die Asiatische Banise in einer Schauspielfassung mit einem Singspiel Andromeda vorab gegeben wurde. Für beide Stücke fehlen Ver­ fasserangaben, doch könnte es sich bei der Banise um die bereits erwähnte Wanderbühnenfassung gehandelt haben und Andromeda lässt abermals an die Bearbeitung Anton Ulrichs denken. 31 32 33 34 35

WBr Bd. 1, S. 86. Vgl. die ausführliche Darstellung von Joachim W. Preuß: Das Theater in Biberach an der Riss (württ.). Beitrag zur Geschichte des Liebhabertheaters. Diss. masch. Berlin 1956. In: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte. Stuttgart: 1883, S. 37. Ebenda, S. 41. Lebensdaten unbekannt, vermutlich die Tochter von Lorenz Xeller.

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1747 bezog der dreizehnjährige Christoph Martin das Internat Klos­ ter Bergen nahe Magdeburg. Fünfzehnjährig ging er 1749 für ein einjähriges Philosophiestudium nach Erfurt, ehe er nach Biberach zurückkehrte, um bald darauf ein Jurastudium in Tübingen anzutreten. Weder an diesen Orten noch in den folgenden Schweizer Jahren unter Bodmers Ägide scheint die Oper auch nur ansatzweise in seinen Gesichtskreis und sein Bewusstsein gedrungen zu sein.

4.3.2  Schweizer Jahre Die frühen Schweizer Jahre wirken sang- und klanglos. Bodmer hat sich zu Musik und Musiktheater praktisch nicht geäußert36 und auch in den frühen Briefen Wielands taucht nicht ein einziger Komponistenname auf. Gleich­ wohl schreibt Wieland bereits 1754, also während der musiklosen Zeit unter Bodmers Fittichen, am Ende des Vorberichts zu seiner Ode auf die Geburt des Erloesers: Da gegenwaertige Ode in der Versification Pindarisch ist, so muß sie also eben so wohl in Musik zu sezen seyn als die Griechischen, ungeachtet die deutsche Spra­ che ungleich minder zur Musik geschikt ist als die Sprache Pindars. Denn weil wir dem ungeachtet deutsche Lieder haben, warum sollten dann Oden in eigentlichem Verstande, die doch nothwendig harmonischer sind als die gewoehnlichen mono­ tonischen Jamben oder Trochaeen, nicht componirt werden koennen? Es wird sich zeigen ob sich Musikverstaendige finden werden, welche sich an einen Hymnus nach dem alten Geschmak wagen moegen. Sie myssen aber die ganze Ode Styk vor Styk mit einer eigenen Melodie versehen, weil es wegen der Verschiedenheit des In­ halts und Affects unnatyrlich waere, wenn alle Strophen nach gleicher Weise gesun­ gen wyrden, obschon das Sylbenmaaß in allen einerlei ist. Ybrigens daeucht mich es waere keine unbillige Forderung, daß der Componist nicht viel weniger als ein Lulli seyn sollte, wenn der Poet nahe an den goettlichen Vogel des Jupiter reicht.37

Wieland bestimmt seine pindarische Ode als erhabene Gattung38 notwendig zur Vertonung – „Die Oden des Pindarus wurden gesungen, und man hat Ursach zu glauben, daß die griechische Musik die neuere eben so weit yber­ troffen habe, als ihr Geschmack in allen Werken des Genie den gothischen 36

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„Der vollständige Verzicht auf musikästhetische oder wenigstens allgemein musikalische Fra­ gen irritiert um so mehr, als die Bedeutung der Autoren eben nicht nur für die poetologische Diskussion des 18. Jahrhunderts unbestritten ist.“ Laurenz Lütteken: „Die Tichter, die Fie­ deler, und die Singer“. Zur Rolle Bodmers und Breitingers in der musikalischen Debatte des 18. Jahrhunderts. In: Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft. N. F. 20 (2000) Musik und Aufklärung. Frankfurt a. M. u.  a. 2001, S. 42. AA Bd. 1.2, S. 215–216. Und damit quasi als Antithese zu Klopstocks Messias-Dichtung.



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Geschmak der nordlichen Völker ybertrift“39 – und verwahrt sie zugleich vor einer klassischen Liedvertonung mit einer bei jeder Strophe wiederkehren­ den Melodie. Zum Gesang gesellt sich untrennbar das szenische Element. Die ersten beiden Theile der Ode, Strophe und Antistrophe, sang man, indem sich der Chor um den Altar, anfangs von der Rechten zur Linken, dann umgekehrt von der Linken zur Rechten bewegte, der Epodus ward stillstehend gesungen. Durch den Tanz der Strophe wurde die Bewegung der crystallenen Sphaere, durch die Antistrophe der Lauf der Planeten, und durch das Stillstehen der Epode die einge­ bildete Ruhe der Erde ausgedrukt […].40

Wieland beschreibt eine deklamatorische, also rezitativische Vertonungs­ weise nach antikem Vorbild, die sich den Wendungen von Inhalt und Affekt anpasst. Dies trifft sich genau mit dem Wort-Ton-Verhältnis der frühen Flo­ rentiner Oper Peris wie Euridice und Monteverdis Orfeo oder dem Combatti­ mento di Tancredi e Clorinda (Venedig 1624) deren „stile rappresentativo“ als von wenigen Instrumenten begleiteter monodischer Sprechgesang anfangs gleichbedeutend mit „stile recitativo“41, in erzählender, den Wortsinn bzw. Affekt ausdrückender oder arioser Ausprägung42 die Vortragsweise der an­ tiken Tragödie in die moderne Sprache übertragen sollte. Wieland kannte möglicherweise zu dieser Zeit die Geschichte der Oper noch zu wenig,43 als dass sich ihm dieser Vergleich aufgedrängt hätte,44 doch der Verweis auf Lully ist ähnlich treffend, denn die französische Tradition der deklamatorischen Wortvertonung,45 führt dieses Erbe der frühen Oper fort. Ein komplette Oper Lullys konnte Wieland nicht gehört haben, und wenngleich deren ge­ druckte Partituren weit verbreitet waren, so befanden diese sich vornehm­ lich in aristokratischen Bibliotheken. Doch vermutlich kannte er einiges aus dessen reichhaltigem geistlichen und weltlichen Vokalwerk und hatte wahr­ scheinlich Saint Évremonds Hymnen über Lullys Gesangskompositionen gelesen. Da es im streng calvinistischen und entsprechend theaterfeindlichen Zürich keine Opernaufführungen gab und Theater eine Seltenheit war, stellte 39 AA Bd. 1.2, S. 215–216. 40 Ebenda. 41 Vgl. u.  a. Wörner (1993), S. 198. Und: Metzler Sachlexikon Musik (1998), S. 995–996. 42 Stile narrativo, stile espressivo und stile arioso. 43 Die einzige Wieland gesichert bekannte Quelle mit einer präzisen Beschreibung der frühen italienischen Oper stammt von Algarotti: Versuche über die Architektur, Mahlerei und musi­ calische Opera. Aus dem italiänischen des Grafen Algarotti übersetzt von R. E. Raspe. Cassel 1769, S. 240–242. Der Text war Wieland spätestens seit den frühen 1770er Jahren bekannt, vermutlich im italienischen Original aber bereits wesentlich früher. 44 Der 1775 im Versuch über das Teutsche Singspiel en passant erwähnt und als Allgemeinwissen vorausgesetzt wird. Vgl. Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 314. 45 Auf die auch Gluck wieder zurückgreifen sollte.

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sich für die Züricher die Frage nach der Oper – ganz anders als für Gott­ sched in Leipzig – offenbar nicht einmal als Feindbild.46 Nach Herbert Eichhorn waren selbst Bodmers Dramen nicht für die Bühne, sondern zur Ver­ wendung als Lesedramen bestimmt.47 So taucht auch der Name des wenigs­ tens für Wieland wichtigsten antiken Dramenautors selbstverständlich als Lektüreempfehlung auf48 um sich vier Jahre später angesichts Wielands (viel­ leicht erster?) praktischer Theatererfahrung seit seiner Kindheit und im Zuge seiner Lösung von Bodmer zu einer seiner nachhaltigsten Inspirationsquel­ len zu wandeln: Euripides, „dieses theatralischen Socrates“49. Es war aber schließlich das Spiel einer der ersten großen Tragödinnen der deutschen Wanderbühnen, Sophie Charlotte Ackermann (1714–1792), in der Titel­ rolle von Voltaires Zaire, das ihn buchstäblich schlagartig für das Theater gewann.50 Konrad Ernst Ackermann (1712–1771) war 1756 von einrückenden russischen Truppen aus seiner Heimat Königsberg vertrieben worden. Die folgenden Jahre führten ihn und seine Truppe in Wanderjahren über Leipzig, Straßburg und Frankfurt bis in die Schweiz, ehe sie 1764 in Hamburg das erste Nationaltheater begründeten. Während dieser Zeit hatten sie oft mit massiven finanziellen Problemen zu kämpfen, wenn das Publikum fernblieb, wie beispielsweise in Leipzig. In der calvinistischen Schweiz war die Situa­ tion zuweilen noch schwieriger, weil manche Städte der Truppe rundweg die Spielerlaubnis verweigerten.51 Wieland besuchte in den fünf Wochen des Aufenthalts in Zürich eifrig die Vorstellungen der Truppe und gehörte damit zur großen Gruppe der nach langer Züricher Theaterabstinenz geradezu von der Bühne Besessenen.52 Den zur Gruppe gehörenden Tänzer Friedrich Koch53 sollte Wieland wie einige weitere Mitglieder unter der Führung Abel Seylers (1730–1801) später in Weimar wiedertreffen.54 In Hamburg, wo Ackermann ab 1764 das Hamburger Nationaltheater begründen sollte, gehörte er mit seiner Truppe zu den Pionieren des Musik­ theaters, was allerdings wenigstens teilweise dem Konkurrenzdruck durch

46 47 48 49 50 51 52 53 54

Wohingegen Lessing in Hamburg die Oper durchaus als Mittel der abgrenzenden Standort­ bestimmung gegenüber Gottsched verwendet. Vgl. Bodo Plachta: Ein „Tyrann der Schau­ bühne“? (2003), S. 106–118. Vgl. Herbert Eichhorn: Konrad Ernst Ackermann. Ein deutscher Theaterprinzipal. Ein Bei­ trag zur Theatergeschichte im deutschen Sprachraum. Emsdetten 1965, S. 41. Im Brief an Volz am 18. Mai 1753. WBr Bd. 1, S. 163. Vorrede zu Lady Johanna Gray von 1762. AA Bd. I.3, S. 215. Vgl. Vorbericht von 1758, AA Bd. 1.3, S. 147. Eichhorn (1965), S. 46. Vgl. WBr Bd. 1, S. 350. Lebensdaten nicht ermittelbar. Etwa den Ballettmeister Carl Schultz.



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französische Opéra comique-Truppen geschuldet war.55 Das persönliche Augenmerk des Prinzipalen und Tänzers Ackermann lag stets auf dem Bal­ lett, das bei keiner Vorstellung fehlen durfte und das er als Autor und Cho­ reograph mitgestaltete und im Rahmen seiner Möglichkeiten mit möglichst prächtiger Ausstattung versorgte. Gewöhnlich zog er (wie viele Wandertrup­ pen) bei seinen Stationen örtliche Musiker für das Orchester heran, doch in der Schweiz gab es offenbar so massiven Musikermangel, dass Ackermann sogar sein eigenes kleines Orchester mitführte.56 Obgleich Ackermann be­ reits 1757 in Halle das Pionierstück des deutschen Singspiels, Johann Georg Standfuß’ (?–ca. 1759) Der Teufel ist los gegeben hatte,57 standen in Zürich und Bern neben Tragédies von Racine, Corneille und Voltaire Komödien und Ballette, aber kein gesungenes Musiktheater auf dem Spielplan.58 Für die Frau des Prinzipals, Sophie Charlotte, entstand Wielands erste Arbeit für die dramatische Bühne Lady Johanna Gray, die 1758 mit großem Erfolg in Winterthur und Schaffhausen aufgeführt wurde und die erst in der Ausgabe von 1762 mit dem allegorischen Nebentitel: oder der Triumph der Re­ ligion erschien. Das Drama basiert auf Lady Jane Gray von Nicholas Rowe (1674–1718), einem ausgewiesenen Lukian von Samosata (ca.120–nach 180) Übersetzer, auf den Wieland verklausuliert durch die Übernahme des dem Drama vorangestellten Lukian-Zitates verwies.59 In dem Bestreben, sich die „Simplizität des Euripides“60 zum Vorbild zu nehmen, zentriert Wieland das Stück ganz um die Figur der Johanna, deren Idealität jedoch ambivalent bleibt: Sie ist gläubig, persönlich integer, gebildet, politisch vollkommen unambitioniert, aber auch in weltlichen Dingen unbewandert. Gegen ihre innere Neigung, die sie als die Stimme Gottes interpretiert, lässt sie sich zur Thronbesteigung überreden, da den Protestanten im Land unter einer Regie­ rung Maria Stuarts schlimmste Verfolgung drohe und überdies der sterbende Edward VI. sie zur Erbin eingesetzt hatte. Sie versagt aus Tugend. Ob sie damit objektiv schuldig wird, bleibt ebenso in der Schwebe, wie die Frage, ob sie sich subjektiv schuldig fühlt. Der Eintritt in die Sphäre des Politischen wird für sie zum Sündenfall, an dem die Reinheit ihrer Seele zerbricht. Von Anfang an auf den Märtyrertod fixiert, empfindet sie schließlich ihr Todes­ urteil als Befreiung und Moment der göttlichen Vorsehung, die sie vor der 55 56 57 58 59 60

Ackermann sollte dort sogar mit Circe eine Oper von Reinhard Keiser wiederbeleben. Vgl. Thomas Bauman: Music and Drama in Germany. A Travelling Company and its Repertory 1767–1781. Diss. Masch. Univ. of Berkley 1977, S. 61. Vgl. Bauman (1977), S. 117. Vgl. Eichhorn (1965), S. 228. Vgl. ebenda, S. 230. Vgl. Raimund Neuß: „Einen prächtigen Tempel eingerissen“. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 107 (1988), S. 482–483. AA Bd I.3, S. 147.

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Verunreinigung durch das Leben bewahrt. Die Figuren um sie herum sind Abstufungen ihres guten Charakters; von ihrem Verlobten Guilford, dessen diesseitige Empfindsamkeit und Vertrauen in die Harmonie des Weltganges sich erst zum Schluss zur Transzendenz läutern, bis hin zu den Antagonisten Northumberland und Gardiner. Wieland verknüpft das um eine ideale Gestalt zentrierte Märtyrerdrama mit dem Handlungsdrama, kommt jedoch der aristotelischen Forderung nach gemischten Charakteren kaum nach, da er eine Ästhetik der Wirksam­ keit forciert, der es mehr um maximale Rührung denn um die Identifikation des Zuschauers geht – er demnach nicht auf der von Lessing postulierten Ähnlichkeit zwischen Zuschauer und Figur, sondern auf Bewunderung und dem Topos der verfolgten Unschuld aufbaut. Entfaltet wird ein Drama der Innerlichkeit, dessen äußere Handlung sich weitgehend hinter der Bühne vollzieht. Das Vorbild Shakespeares, den Wieland (spätestens) bis 1758 gelesen hatte, verbindet sich in diesem ersten durchgängig in Blankversen geschriebenen deutschen Drama61 mit der Tradition des protestantischen Märtyrerdramas. Lessing würdigte denn auch die sprachliche Leistung, warf Wieland aber vor, die Johanna Gray sei inhaltlich ein schlechtes Plagiat. Wie Raimund Neuß im Einzelnen nachgewiesen hat,62 bleiben die direkten Übernahmen allerdings deutlich hinter dem von Lessing implizierten Maße zurück. Dieser lief Sturm gegen die ideal guten Charaktere, für die er das Diktum prägte, sie seien „poetisch böse“63. Obgleich Lady Johanna Gray und die zwei Jahre später gedruckte Cle­ mentina von Porretta64 keine musikalischen Elemente (etwa Lieder) enthalten, beginnt mit ihnen die später in den Singspielen fortgeführte Entwicklungs­ linie der dramatischen Arbeiten als Serie radikaler Experimente. Mit Lady Johanna Gray war Wieland eine Innovation vor allem auf der sprachlichen Ebene gelungen, indem er die Tradition des (rhetorischen) Versdramas über den Blankvers an eine natürliche Sprache und authentische Empfindung an­ 61 62 63

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Vgl. L. John Parker: Wielands Lady Johanna Gray: Das erste deutsche Blankversdrama. In: The German Quarterly 34 H. 4 (1961). S. 409–421. Und: Ders.: Christoph Martin Wielands dramatische Tätigkeit. Bern, 1961. S. 55–74, hier: S. 71. Vgl. ders. (1988), S. 484–488. Briefe, die neueste Literatur betreffend, 63. und 64. Brief, 18. und 25.  Oktober 1759. In: Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Wilfried Barner (Hg.) in Zu­ sammenarbeit mit Klaus Bohnen, Günter E. Grimm, Helmuth Kiesel, Arno Schilson, Jürgen Stenzel und Conrad Wiedemann. Bd. 4. Frankfurt a. M. 1997, S. 645–658. Die Titelschreibung folgt der ersten Fassung wie in AA Bd.  1.3, S.  224, wiedergegeben. Wieland widmete das Stück der „Princessin von Preussen“ und bat Sulzer mehrfach darum, ein Exemplar zu überreichen, das er dann aber wohl nicht übersandte Vgl. Starnes, Bd. I, S. 167.



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genähert hatte. Der Blankvers ist nicht nur ein metrischer Querverweis auf Shakespeare, sondern auf die englische Dramatik des 17. Jahrhunderts insge­ samt. Allerdings steht dieser Innovation auf der inhaltlichen Seite ein gänz­ lich anderes Konzept gegenüber. Mag das Märtyrerdrama65 für die Darstel­ lung einer Episode der Reformationskriege zwar historisch berechtigt sein, als Drama in der Mitte des 18. Jahrhunderts ist es insofern ein Anachronismus, als es keine oder nur wenig dramatische Entwicklung der Zentralfigur erlaubt. Denn Voraussetzung für Entwicklung wäre der von Lessing proklamierte gemischte Charakter, der sich bereits aus Aristoteles’ Mimesisforderung er­ gibt.66 Nach Lessing erlaubt der vollkommene Charakter keine Identifikation des Zuschauers, da dieser sich nur mit Figuren identifizieren kann, in denen er sich als Mensch wiedererkennt.67 Diese Identifikation ist aber wiederum Voraussetzung dafür, dass der Zuschauer Mitleid empfindet und Letzteres das Ziel des Dramas.68 Für die vollkommene Heroine Lady Johanna Gray mag der Zuschauer (nach Lessing) zwar Bewunderung empfinden, doch kein echtes Mitleid. Indem Lessing die Erregung des Mitleids zum zentralen Ziel der Tragödie erhebt, weil sich der Zuschauer nur durch Mitleid besseren könne,69 es also zur Voraussetzung für die pädagogische Wirksamkeit der Tragödie wird, muss er sich entschieden gegen das (christliche70) Märtyrer­ drama wenden. Das Märtyrerdrama führt nicht nur bevorzugt vollkommene, 65 66 67 68 69

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Für dessen Plot Wieland sich hier bereits „Die Simplizität des Euripides“ (AA Bd. I.3, S. 147) zum Vorbild genommen hatte, das jedoch vor allem auf Lady Jane Gray von Rowe basiert. Vgl. Neuß: (1988), S. 481–488. Etwa Nathan: „Der große Mann braucht überall viel Boden; […], Mittelgut, wie wir/ Find’t sich hingegen überall in Menge.“ Nathan der Weise. II. Akt, 5. Auftritt. In: Lessings Werke in 3 Bden. Frankfurt a. M. 1967, Bd. I, S. 510. Vgl. Wulf Rüskamp: Dramaturgie ohne Publikum. Lessings Dramentheorie und die zeitge­ nössische Rezeption von Minna von Barnhelm und Emilia Galotti. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaters und seines Publikums. Köln und Wien 1984, S. 30–31. Zur Steuerbarkeit des Zuschaueraffekts vgl. Thomas Martinec: Lessings Theorie der Tragö­ dienwirkung. Tübingen 2003, S. 23–42. Im Brief an Nicolai im November 1765 bringt Lessing sein Programm auf die denkbar knappste Formel: „Die Tragödie erregt Mitleid./ Mitleid bessert den Menschen./ Die Tra­ gödie bessert den Menschen.“ Zit. nach: Martinec (2003), S. 11. Vgl. die dortige ausführliche Diskussion, ebenda, S. 8–19. Ohne in diesem Zusammenhang auf das komplexe wechselseitige Verhältnis von Wieland und Lessing eingehen zu können, spielt die christliche Ausrichtung der Lady Johanna Gray hier insofern eine Rolle, als Lessing Wielands frühe Schriften für ihre forciert christliche Ausrich­ tung kritisiert hatte (Vgl. u.  a. Wielands Reaktion auf die Briefe, die neueste Literatur betreffend gegenüber Zimmermann am 15. 2. 1759, WBr Bd. 1, S. 404). Wieland verfolgte Lessings Schriften sehr genau, Philotas wird erstmals 1760 erwähnt (WBr Bd. 1, S. 556). Über Clementina schrieb er an Bodmer „Clementina hat sich eben so wenig als Electra und Ulysses eine ge­ neigte Aufnahme von Hrn. Lessing und Compagnie zu versprechen; sie hat auch ihre Parthey schon zum voraus genommen; sie erwartet und wünschet nichts von diesen Kunstrichtern, und tröstet sich wegen der Verfolgung die ihr vielleicht von ihnen bevorsteht, in Demuth mit dem Beyfall des Publici“. WBr Bd. 1, S. 559–510.

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also zur direkten Identifikation nicht taugliche Figuren vor,71 es ist letztlich gar keine Tragödie, da der standhafte Märtyrer nicht scheitert, sein Tod also nicht tragisch, sondern ein Sieg ist.72 Johannas Todesbereitschaft wird je­ deoch psychologisch nachvollziehbar aus ihrem Charakter begründet und ist damit weniger christlich als vielmehr anthropologisch zentriert. Wieland gerät jedoch nicht aus purer Verliebtheit in seine Titelfigur – wohlgemerkt: nur in diesem Punkt – zu einer Lessing diametral entgegenstehenden Posi­ tion. Auch er verfolgt für die Bühne eine radikale Ästhetik der Wirksamkeit, die aber dazu führt, dass der Affekt nicht mehr in den Dienst der Katharsis gestellt und entsprechend dosiert wird,73 sondern zunehmende Autonomie entwickelt. Die Wirksamkeit des Trauerspiels bemisst sich nach der Rührung des Zuschauers und diese wird weniger über die Identifikation mit, als über die Bewunderung für die Figur erzielt. Lessing erkannte richtig, dass Lady Johanna Gray in dieser Hinsicht auch aus der aristotelischen Poetik heraus fällt, indem Johanna einem statischen Idealtypus angenähert und damit der direkten Verwandtschaft des Zuschauers entzogen wird. Es ist demnach ge­ radezu folgerichtig, dass sich Wieland für seine dramatischen Arbeiten spä­ ter jener Gattung zuwandte, die u. a. mit ihren zur Typisierung neigenden Figuren, Handlung in starken Kontrasten und vor allem dem rethardieren­ den Moment der Arie – die die Eigenschaften der Figuren eher als emotio­ nales Spektrum auffächert, als ihre Beweggründe im einzelnen dramatisch zu entwickeln – eine antiaristotelische Tendenz hat: der Oper. Ungeachtet seiner harschen Kritik sollte sich ausgerechnet Lessing später mit seinem „dramatischen Gedicht“ Nathan der Weise bezüglich der Verwendung des Blankverses wie mit der Auffächerung und Abstufung von guten Figuren eng an Wielands Konzeption anschließen. Auch Goethes Na­ türliche Tochter und Schillers Jungfrau von Orleans beziehen sich in Form und Figurenkonzeption auf das Vorbild der Lady Johanna Gray74 und mindestens bei Schillers Drama lässt sich überdies eine Affinität zur Oper feststellen, die Daniel Wilson auf der stofflichen Ebene auch für Lessings Nathan konsta­ tiert hat.75 Bereits Franck in der Vorrede der Alceste von 1680 reflektiert darüber, dass die in der Oper ge­ zeigten „vollkommenen“ Figuren nicht ernstlich zur Nachahmung empfohlen werden können. 72 Vgl. Raimund Neuß: Tugend und Toleranz. Die Krise der Gattung Märtyrerdrama im 18. Jahrhundert. Bonn 1989, S. 79. 73 Vgl. Quintilians Warnung: „nichts trocknet schneller als eine Träne“. Zit. nach: Martinec (2003), S. 46. 74 Bodmer schrieb eine Prosafassung als Apotheose des Protestantismus, die Johanna noch stärker idealisierte, worüber Wieland in der Vorrede zur Ausgabe 1762 ausgiebig spottete. 75 Vgl. W. Daniel Wilson: Humanität und Kreuzzugsideologie um 1780. Die „Türkenoper“ im 18. Jahrhundert und das Rettungsmotiv in Wielands Oberon, Lessings Nathan und Goethes Iphigenie. Frankfurt a. M. u.  a. 1984. 71



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Einerseits legen die Titelgestalten der frühen Dramen ein sehr eindring­ lich – man könnte es auch als aufdringlich empfinden – gutes, zumindest aber moralisch vorbildliches Verhalten der Märtyrertragödie an den Tag, zu­ gleich aber erscheint Wieland bezüglich der pädagogischen Absicht auf das Publikum eigentümlich entspannt. Selbstverständlich gehört die Besserung der Sitten zu den Leistungen des Theaters, das „nicht wenig beytrage, die Begriffe, die Gesinnungen, den Geschmack und die Sitten eines Volkes un­ vermerkt zu verbessern und zu verschönern“76, sie ergibt sich aber offenbar zwangsläufig aus der Besserung des Geschmacks. Das dramatische Werk, so lässt sich daraus ableiten, muss die Zuschauenden nicht sofort bessern, es genügt, wenn es sie zunächst berührt, am besten zu Tränen rührt, da das movere an sich als Mittel der psychagogischen Seelenführung nach der plato­ nischen Rhetorik bestehen kann. Mit seiner Ästhetik der Rührung trifft sich Wieland wiederum mit Lessings Poetik, doch gewinnt man insbesondere bei der Lektüre von Wielands zweitem Drama Clementina von Porretta den Ein­ druck, dass die Rührung zunehmend zu einem Wert an sich und eigentlichem Darstellungszweck wird. Was im Sprechdrama zweifelsohne ein ästhetischer Fehler ist,77 deutet wiederum auf Wielands Neigung zu jener dramatischen Gattung voraus, die der Darstellung des Affekts weitgehende Autonomie ein­ räumt. Wieland konnte mit der Wirkung der Lady Johanna Gray entsprechend zufrieden sein: „Die unvergleichliche Frau Ackermann hat uns in der Person der Johanna in das süßeste Entzücken gesetzt und allen Zuschauern häufige Thränen entlockt.“78 Das Märtyrerdrama als Grundlage von Wielands Dramatik ist demnach Folge eines dramaturgischen Paradigmas, das sich bis zu Rosamunde weiterzie­ hen und dort den beliebten Topos der Revolutions- und romantischen Oper von der verfolgten Unschuld (der Märtyrerin aus Liebe) präludieren sollte. Allein die Religion als Beweggrund störte – störte spätestens 1770. Im Falle der Johanna Gray dürfte es daher vor allem die „Religions-Partheilichkeit“ ge­ wesen sein, wegen der Wieland sich bereits in der 1770er Vorrede vorsichtig von dem Stück distanziert, die Behandlungsart aber durch das historische Sujet gerechtfertigt sieht.79 Gleichwohl vermag sie die innovative sprach­ liche Leistung kaum zu schmälern. Demgegenüber zeigt das Festhalten der Clementina von Porretta im gleichnamigen Stück an der  – nun allerdings katholischen Religion – bereits deutliche Züge des Wahnsinns. 76 77 78 79

Theatralische Nachrichten. Weimar (1773), in: Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 537. Vgl. Parker (1961), S. 75–88. Schreibt Wolfgang Dietrich (1732–1794) an seinen Bruder Johann Georg Sulzer. Zit. nach Bauman (1977, S. 24, Fn. 17). Vgl. AA Bd. 1.3, S. 217. Bereits in der Vorrede zum ersten Druck 1758 hatte Wieland die Haltung Johannas aus ihrer abgeschiedenen Jugend begründet – ihren Fanatismus also als einen Erziehungsfehler entschuldigt, der nicht dem Autor anzulasten sei.

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Nach Wielands Übersiedelung nach Bern kam es dort im Herbst 1759 zu einem Wiedersehen mit der Ackermann’schen Truppe bei deren Gast­ spiel. Clementina von Porretta80 entstand abermals für die Schauspieler der Truppe, kam jedoch nicht zur Aufführung ehe die Truppe weiterzog und wurde erst 1760 dem Druck übergeben. Wieland greift darin das Experiment des empfindsamen Dramas von einem Ansatzpunkt auf, der kaum radikaler entgegengesetzt sein könnte: dem Briefroman. Sicherlich auch als Rekurs auf Lessings Plagiatsvorwurf verweist er im Vorbericht penibel auf die Quelle, Samuel Richardsons (1689–1761) Roman Sir Charles Grandison (1753–1754), ferner darauf, dass seine Clementina die erste sei, und dass Goldonis Dra­ matisierung der Pamela (nach Pamela, or Virtue Rewarded [1740], Richardsons erstem Roman)81 ihn zur Dramatisierung e­ ines noch nicht für das Theater erschlossenen Briefromans inspiriert habe.82 In Wielands zweitem Drama hat sich die katholische Aristokratentochter Clementina in den Protestanten Grandison (der ihrem Bruder das Leben gerettet hat) verliebt und ist darüber in Schwermut verfallen, weshalb Grandison zu ihr nach Italien zurückkehrt. Die von Grandisons Tugend überwältigte Familie überwindet sich schließ­ lich, einer Toleranzehe zuzustimmen, bei der beide Partner ihren Glauben behalten. Da beschließt Clementina überraschend, lieber ins Kloster zu ge­ hen als den geliebten Protestanten zu heiraten. Bürgerliches Trauerspiel und Märtyrerdrama überlagern sich in der Figur der Clementina, deren Eintritt ins Kloster den weltlichen Tod bedeutet. War für die historische Jane Gray unter der tatsächlichen Bedrohung der Reformationskriege die Treue zur Re­ ligion eine Tugend, wird im befriedeten bürgerlichen Milieu der Gegenwart Clementinas Beharren krankhaft. Wieland reflektiert mit der Prosaform einerseits das Vorbild von Les­ sings Miss Sara Sampson (1755),83 sucht aber vor allem nach einer adäqua­ ten Form für die Dramatisierung des Briefromans. Daher überwiegen ausge­ dehnte monologisch räsonierende Passagen, in welchen die Figuren um den adäquaten Ausdruck ihrer Gefühle ringen. Symptomatisch teilt Clementina Grandison ihre Entscheidung in einem Brief mit, den dieser jedoch nicht vorliest, sondern den bereits geahnten Inhalt durch seine Reaktion vermit­ telt. Wieland dramatisiert auf diese Weise den im Briefroman selbst schwer darstellbaren unmittelbar zum Ausdruck kommenden Affekt der Figuren.

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Es erschien erstmals 1760 unter dem Titel Clementina von Porretta. Ein Trauerspiel in Zürich bei Orell u. Cie. Die ab 1758 ebenfalls im Repertoire der Ackermann’schen Truppe war. Vgl. Eichhorn (1964), S. 231. AA Bd. 1.3, S. 224. Für einen Vergleich beider Dramen vgl. Otto Schmidt: Die dramatische Gestaltung bei Chris­ toph Martin Wieland. Diss. masch. München 1964, S. 42–46.



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Das Erlebnis des Briefromans ist das einer, natürlich fingierten, Au­ thentizität, die insbesondere in Richardsons Pamela an Voyeurismus grenzt. Der Leser erfährt die Gefühle (scheinbar) exklusiv, wie der vertraute Brief­ partner des Schreibers oder der Schreiberin. Die artifizielle Barriere der ge­ bundenen Sprache fällt daher im Drama zugunsten einer Prosasprache, der es jedoch gerade nicht um die zügige Wechselrede im Dienste eines dra­ matischen Handlungsverlaufes geht, wie in den Prosaschauspielen Lessings, sondern um das Ringen nach dem treffenden und umfassenden Ausdruck der Empfindung. Das Prosadrama will das Gefühl präzise beschreiben und in der Dramatisierung zugleich den Augenblick seines Entstehens für den Zuschauer unmittelbar erfahrbar machen, wo der Briefroman stets die ­Distanz der Briefübermittlung und des Lesevorgangs hat (im Extremfall ist der Briefschreiber der aufwühlenden Gefühle bereits verstorben). Zum zentralen Problem der Darstellung wurde jedoch, dass Figuren, die in einer dramatischen Situation so viel Zeit haben, in Wechselreden auf der Suche nach dem passenden Ausdruck für ihre Empfindungen Redeabschnitte von Monologumfang aneinanderzureihen, sich dem Vorwurf der Egozentrik, wenn nicht Heuchelei aussetzen. Der direkte, authentische und wirksame Gefühlsausdruck, um den die Figuren ringen, blieb für das Sprechdrama ein nicht eingelöstes Ideal. Spätestens 1758, also parallel zur Arbeit an Lady Johanna Gray, hatte Wieland bereits die Libretti Metastasios „zuweilen mit Bewunderung, allezeit mit Vergnügen“84 gelesen, den er zu dieser Zeit wohl vor allem als Drama­ tiker rezipierte und in dem Italiener einen würdigen Gefährten Shakespeares sah, als er Sulzer, der ihm den Metastasio ausgeliehen hatte, beide Werkaus­ gaben übersandte.85 Noch viel später, auf der Höhe seiner Überlegungen zur deutschen Oper, sollte Wieland in den Briefen an einen Freund über das deut­ sche Singspiel, Alceste betonen „daß Euripides unter den alten und M e t a s­ t a s i o unter den neuern dramatischen Dichtern meine Lieblinge sind“.86 Doch wenngleich Euripides und Metastasio also bereits an der Wiege der Wieland’schen Dramatik sangen, verbanden sich beider Stimmen nicht so­ fort zu einer gemeinsamen Dramaturgie, sondern sollten erst in Wielands Opernkonzept harmonisiert werden. Anfang Juni 1759 übersiedelte Wieland nach Bern und lernte mit Julie Bon­ deli (1732–1778) eine Verehrerin Rousseaus kennen, der unter der Wendung des „Citoïen de Geneve“ bereits am 17. November 1758 im Brief an Zim­

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WBr Bd. 1, S. 376. Wieland an Wolfgang Dietrich Sulzer 8. 11. 1758, WBr Bd. 1, S. 376. Wielands Werke, Bd. 10.1/1. (2009), S. 507.

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mermann aufgetaucht war.87 Wieland erwähnt dort dessen Lettre à d’Alembert, in dem Rousseau skeptisch auf die vom Adressaten in der Enzyklopädie vertretene Hoffnung auf das Theater als Verbesserer der Sitten reagiert.88 Der umfängliche Text erschien im Oktober 1758, Wieland rezipierte ihn also unmittelbar. Ob er Rousseaus Le devin du Village (Paris 1752), mit dem je­ ner einen so erfolgreichen wie folgenreichen Vorschlag gemacht hatte, wie die italienische Opera buffa ins Französische übertragbar sei und damit wie nebenbei die französische Opéra comique begründet hatte, bereits zu die­ sem Zeitpunkt kannte, lässt sich zwar nicht mit Sicherheit sagen, ist aber einigermaßen wahrscheinlich. Entsprechend könnte der in der Vorrede der Clementina von Porretta gegebene Verweis auf die dramatisierte Pamela Goldo­ nis auch auf dessen bekannte Librettofassung als La Cecchina ossia La bouona figliuola (1756) zielen, in der Goldoni erstmals die Form der komischen Opera buffa mit einem rührenden Sujet verband. In der Vertonung Niccolò Pic­ cinnis (1728–1800) (der zwanzig Jahre später der Gegenspieler Glucks in Paris werden sollte) eroberte das Stück ab 1760 ganz Europa und gehörte damit ebenfalls zu den prägenden Anregungen für die französische Opéra comique. Anders als der italienreisende Goethe hat Wieland aller Wahrschein­ lichkeit nach diese Stücke in toto nur über Berichte kennengelernt, mög­ licherweise in der Berner Zeit auch über Hausmusik einzelne Musikstücke daraus. Zugang zu einigermaßen regelmäßig stattfindendem Theater und einer intensiven Musikpflege hatte Wieland erst nach seiner Rückkehr nach Biberach.

4.3.3 Biberach 1760 kehrte Wieland in seine Vaterstadt zurück, die als freie Reichsstadt na­ türlich kein stehendes Theater hatte, aber noch immer die bereits für seine Kindheit beschriebene Laientheatertradition. Den frisch gebackenen erfolg­ reichen Dramenautor wählte man prompt zum Vorsitzenden der protestanti­ schen Schauspielgesellschaft, und er gab seinen Einstand mit dem Stück Der 87 88

WBr Bd. 1, S. 386. Rousseau: Brief an d’Alembert. In: ders. Schriften, Henning Ritter (Hg.). Bd. I, München 1978, S. 335–474. „Ich weiß wohl, daß die Poetik des Theaters […] die Leidenschaften zu reinigen behauptet, indem sie sie erweckt, aber ich gestehe es, ich kann diese Regel nicht recht begreifen. Sollte man erst rasend und närrisch werden müssen, wenn man klug und vernünf­ tig werden will?“ Ebenda, S. 352. Eichhorn (1964, S. 41.) wertet den Brief als Reflex der schweizerischen Theaterfeindlichkeit. Tatsächlich handelte es sich eher um eine Provokation Rousseaus gegenüber den (naiven) aufklärerischen Hoffnungen auf die Wirkung der Bühne mit gewisser Nähe zu einer sophistischen Argumentationsübung.



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erstaunliche Schiffbruch, einer Prosaübersetzung von Shakespeares The Tempest, die den Auftakt zur Übersetzung des Shakespeareschen Dramenwerkes ge­ ben sollte. Regelrechte Opern umfasste der Biberacher Spielplan weder während Wielands kurzer Intendanz noch in den Jahren danach. Wo auch hätten ausgebildete Sänger, ganz zu schweigen vom professionellen Orchester für solche Unternehmungen herkommen sollen? Das Norddeutsche Singspiel mit seiner systematischen Verbindung aus Sprechtheater mit mehr oder we­ niger einfachen Liedeinlagen wurde gerade erst am anderen Ende des deut­ schen Staatengebietes entwickelt.89 Andererseits sind Musik und Theater im 18. Jahrhundert keine getrennten Systeme, vielmehr beinhaltete ein Thea­ terabend immer mehr oder weniger Musik, sei es durch eingestellte Lieder, Zwischenaktmusiken, musikalische Zwischenspiele oder kleine Ballette – die mitunter bescheiden ausfallen mochten, nicht selten aber gerade den Erfolg des Abends garantierten.90 Die überlieferten Akten der löblichen evangelischen Comödianaten-Gesellschaft Biberach91 belegen diese Praxis mit ihrer akribischen Auflistung der Spielen­ den, untergliedert nach Sprech- und Gesangspartien. Einen noch tieferge­ henden Einblick erlaubt eine Reihe im sog. Marchthaler Bestand92 überliefer­ ter Periochen von Aufführungen der katholischen Komödiantengesellschaft in Biberach, wovon sechs während Wielands schöpferischem Aufenthalt in seiner Vaterstadt zwischen 1761 und 1767 aufgeführt wurden: 1761 Alexandra. Einer das Liecht des Christlichen Glaubens in das Heydnische Königreich Georgia durch ihre Tugends einführende Prinzessin aus Bithynia; 1762 Durch muttermörderischen Sohn Garzias bis zu dem Tod verfolgte Sinilde, Königin von Arragonien. 1764 Peter Födorowicz Weyland Tzar, und Selbsthalter aller Reussen;

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Eine vollständige Darstellung des Phänomens des Norddeutschen Singspiels gibt Krämer (1998). Vgl. ferner: Bauman (1985). Vgl. die ausführliche Darstellung bei Hedwig Meier: Die Schaubühne als musikalische An­ stalt. Studien zur Geschichte und Theorie der Schauspielmusik im 18. und 19. Jahrhundert sowie zu ausgewählten ‚Faust‘-Kompositionen. Bielefeld 1999; ferner Detlef Altenburg: Das Phantom des Theaters. Zur Schauspielmusik im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. In: Stimmen, Klänge, Töne. Synergien im szenischen Spiel. Hans Peter Bayerdörfer (Hg.). Tübingen 2002, S. 183–208; Ders.: Artikel Schauspielmusik. In: MGG², Sachteil Bd. 8, Sp. 1035–1049; sowie: Beate Agnes Schmidt: Musik in Goethes Faust. Dramaturgie, Rezeption und Aufführungspraxis. Detlef Altenburg (Hg.). Sinzig 2006, S. 17–80. Kopien der Akten befinden sich (ohne gesonderte Signatur) im Wieland-Archiv in Biberach. Die Sammlung aus dem Kloster Obermarchtal umfasst knapp 200 Theaterstücke und Perio­ chen, die heute im Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv in Regensburg unter der Signatur Ma 1367–1375 liegen. Das Wieland-Archiv Biberach besitzt eine vollständige Kopie der Samm­ lung.

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1765 Entsetzliche Früchten erzwungener Liebe, oder der von Lieb verblendete/ grausam aber gestraffte Octavianus, Römischer Kayser; 1767 Arianische Boßheit Justinae Kaysers Valentiniani Gemahlin und rebellische Grausamkeit Maximi zweyfachen Schlachtopffer nemlichen Gratiani Augusti Römischen Kaysers und Constantiae Postumae Römische Kayserin; 1767 Junius Lucius Brutus der getreue Burgermeister in Rom.93 Die Biberacher Periochen geben Einblick nicht nur in die Musikthea­ terpraxis des frühen 18. Jahrhunderts außerhalb großer Residenzstädte, sie zeigen auch, wie eng das Repertoire und die Praxis der Wanderbühnen mit dem Laientheater verwoben sind und dass beim genauen Blick die Stücke mitunter zeitgenössisch wie literaturgeschichtlich durchaus relevant sind. Die Periochen der in deutscher Sprache aufgeführten Kombination in der Regel eines gesprochenen Schauspiels mit musikalischen Intermedien zwischen den Akten, im Prolog oder Nachspiel bilden einleitend dessen In­ haltsangabe und mitunter nochmals eine Gliederung der Akte und Szenen ab. Vollständig wiedergegeben werden hingegen die Texte der durchgängig in Rezitativen und Arien gestalteten musikalischen Zwischenspiele, die in der Regel in emblematischem Bezug zur Handlung stehen und diese mit bibli­ schen Geschichten und christlichen Werten in Beziehung setzen. Die Textgestalt dieser kleinen Libretti gibt einen seltenen Einblick in die deutsche Librettosprache einer Zeit, in der – in Ermangelung einer Pfleg­ stätte deutschsprachiger Oper – kaum Libretti in deutscher Sprache verfasst wurden. Exemplarisch bietet sich für eine genauere Betrachtung besonders die Durch müttermörderischen Sohn Garzias bis zu dem Tod verfolgte Sinilde, Königin von Arragonien an, die eine überraschend enge Anbindung an die deutsche Ba­ rockoper aufweist. Zwar bildete offenbar auch hier den Haupttext ein ge­ sprochenes Drama, dem ein musikalischer Prolog Die von Rach/ und Verfol­ gung gestellte = aber durch die Göttliche Vorsichtigkeit wunderbarlich errettete Unschuld vorangestellt und zwischen den Akten ein Zwischenspiel in zwei Teilen Die keusche Susanna wird unschuldig zum Todt verdammet eingebettet ist. Doch lassen der Titel und die dreiaktige Gliederung sofort an Ulrich Königs vieldiskutier­ tes Reformlibretto Sancio oder die in ihrer Unschuld siegende Sinilde denken.94 Der Wanderbühnenprinzipal Gottfried Heinrich Koch (1703–1775)95 hatte Kö­ 93 94 95

Gegenüber den Periochen der 1750er Jahre zeichnet sich darin ein deutlicher Säkularisie­ rungsschritt ab, indem an die Stelle des bis dahin mitunter kruden gegenreformatorischen Jesuitentheaters überwiegend antike und historische Stoffe treten. Aufgeführt in Braunschweig 1729 in der Vertonung Grauns. Der u.  a. von Lessing als Theaterdichter geschätzte Koch hatte 1728 seine Laufbahn bei der Neuber’schen Truppe und damit im Kontext des Gottsched’schen Regeltheaters begonnen. 1748 gründete er seine eigene Theatertruppe, die zu den Pionieren des Norddeutschen Sing­ spiels werden sollte.



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nigs Libretto bereits 1753 als Sancio und Sinilde. Die Stärke der Mütterlichen Liebe bearbeitet.96 Koch übernimmt und ergänzt darin Königs madrigalischen Li­ brettotext, erweitert die Verse systematisch zu Alexandrinern und das Stück zu fünf Akten. Damit beweist Koch, der mit der Neuber’schen Truppe in den 1730er Jahren in Braunschweig gastiert und dort mit ihr sogar das Pri­ vileg genossen hatte, als einzige Wandertruppe das große Opernhaus am Hagenmarkt bespielen zu dürfen97 im Exempel, dass das Opernlibretto tat­ sächlich in der Lage ist, an das Regeldrama anzuschließen.98 Mit diesem An­ spruch hatte bekanntlich bereits König sein Libretto verfasst und Gottsched sich geweigert, dies anzuerkennen. Tatsächlich stimmen das Rollenverzeichnis wie die in der Perioche ab­ gebildete Szenenfolge so weitgehend mit dem Libretto überein, dass in Bi­ berach vermutlich sogar direkt Königs Libretto, wohl ohne die Arien und mit einigen szenischen Raffungen, gespielt oder aber Kochs Alexandriner-Text erneut analog zum Libretto eingekürzt wurde. Einzige substanzielle Abwei­ chung bildet die Schlussszene des zweiten Akts, in der Sinilde bei König im Gefängnis von Sancio besucht wird und der Akt mit dem Auftritt der Un­ schuld in einer Maschine endet, in der Perioche hingegen Sinildes guter Sohn Fernando von seiner Mutter Abschied nimmt (wie bei Koch in III/6). Die Szene zwischen den Gatten wurde in der Biberacher Aufführung ausgelagert in die zärtliche Treue zwischen Susanna und ihren Mann Joakim, der in der Bibel nicht zu den Vorwürfen Stellung nimmt, hier aber anders als Sancio keinen Wimpernschlag lang an Susannas Unschuld zweifelt und ihrer Verur­ teilung durch die für ihren erpresserischen Missbrauch bekannten Ältesten so machtlos wie verzweifelt gegenübersteht. Die Libretto-Passagen der Vor- und Zwischenspiele sind durchgängig in Rezitative und Arien gegliedert. Formal mutet der Rezitativ-Text mit seinen systematisch, aber unregelmäßig gereimten Madrigalversen und stark wech­ selnden Zeilenlängen etwas moderner an als die eher langzeiligen Rezitative Königs, doch verweist seine bildreiche, emblematische Sprache eher auf die Zeit vor 1710. Im letzten Drittel des Prologs stehen 16 Verse in Alexandri­ nern, die einerseits den Bezug zur im Drama verhandelten Verleumdung der Mutter durch den eigenen Sohn thematisieren, zugleich aber formal solitär stehen und wie aus einem älteren Libretto- oder Sprechdramentext einge­ klebt wirken. Die Arien, Duette und Chöre in Prolog und Zwischenspielen sind entweder einteilig oder in Strophen gegliedert, Da capo-Arien sucht man (wie in den anderen Periochen) vergeblich. Die Libretti bilden damit die 96 97 98

1753 und erneut 1761 bei Johann Paul Krauß in Wien erschienen. Vgl. Karl Hoppe: Das Geistesleben in Braunschweig zur Zeit Lessings. Braunschweig 1929, S. 157. Und an den Wieland mit Alceste anschließen sollte.

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mittlere Blütezeit der deutschen Barockoper ab, nach der Etablierung des Madrigalverses zum librettistischen Standart und vor Durchsetzung der Da capo-Arie. Vermutlich handelt es sich um ein Arsenal flottierender kleine­ rer Texte, die zwischen Wanderbühnen und Schul- und Bürgertheatern aus­ tauschbar waren. Dass die deutsche Barockoper lange kirchenmusikalische und liedhafte Formen verwendete und selbst erst spät und sporadisch auf systematisch ausgebildete Sänger zugreifen konnte, vielmehr ein Großteil ihrer Sänger auf eine ähnliche musikalische Ausbildung in Gymnasien und Kirchenchören zurückblickte wie die späteren städtischen Ausführenden, war offenbar maßgeblich für die anhaltende Wirkensgeschichte. Eine vollständig durchgesungene französische oder italienische Oper, gar nach einem Text Metastasios, hat Wieland vor seiner Weimarer Zeit wohl nicht gehört, denn er lebte nie an einem Ort mit einem stehenden Opernen­ semble. Nicht auszuschließen ist freilich, dass er Darbietungen von Wander­ truppen gesehen hat, doch haben sie weder Spuren in seinen Briefen noch den sonstigen Zeugnissen hinterlassen. Wielands kurze Direktion wurde überschattet von Querelen, die vor allem vom Bankrott der Theatergesell­ schaft herrührten und sich erst beilegen ließen, als Bürgermeister von Hil­ lern den Vorsitz und einen Teil der Verbindlichkeiten übernahm. Er for­ cierte noch weitergehend den Anteil der Musik in den Stücken, vergrößerte das Orchester und gründete überdies eine „Meistersinger-Gesellschaft“99, durch die sich die sängerische Leistungsfähigkeit bald beträchtlich verbesserte. Obgleich das Biberacher Bürgertheater seine wenig schmeichelhaften Spuren in den Handwerker-Szenen von Wielands Übersetzung von Shake­ speares Sommernachtstraum hinterlassen hat, muss das Niveau wenigstens teil­ weise beachtlich gewesen sein, denn es gingen mehrere professionelle Schau­ spieler daraus hervor, darunter Elisabeth Felicitas Knecht (1741–1783)100, die 1765 „plötzlich verschwand“101 und später als Schauspielerin Elisabeth Abt vor allem als Darstellerin in Melodramen weithin berühmt wurde.102 Mit ihr gab es für Wieland später in Erfurt und Weimar103 ein Wiedersehen, als sie mit der Schauspieltruppe ihres Mannes im Februar 1771 in Erfurt

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Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte (1883), S. 116. Eine Verwandte von Justin Heinrich Knecht. Vgl. Bopp (1930), S. 29. Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte (1883), S. 117. Wieland sollte später für sie und ihren ebenfalls aus Biberach geflohenen Ehemann Detten­ rieder bzw. Abt ein Empfehlungsschreiben an Ackermann schicken. 103 „Sie hatte hier in Weimar gespielt, u. der Herzogin außerordentlich gefallen. Man glaubte algemein, sie sei ein entführtes Fräulein aus dem Reiche. Ihr edles Wesen rechtfertigte diesen Verdacht, und W[ieland] ließ jedermann gern in diesem Irrthum.“ Böttiger (1998, S. 200) unter dem 24. April 1796.



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gastierte und Wieland einen Prolog zu Charles Simon Favarts (1710–1792) Soliman für sie verfasste.104 Biberach war eine ausgesprochen musikbegeisterte Stadt. Das katho­ lische Pendant zur evangelischen Meistersinger-Gesellschaft bildete der Cecilienverein. Bei dessen Konzert am 21. November 1761 lernte Wieland seine spätere Geliebte Christine Hoegel (1742–?) kennen und war von ih­ rem Gesang als Solistin bezaubert.105 Obgleich sie der unteren Mittelschicht entstammte und über wenig Bildung verfügte, war sie offenbar eine gute Sängerin.106 Die Liebesbeziehung begann jedoch erst ein gutes Jahr später, als Wieland sie, offiziell als eine Art Haushälterin, bei sich aufnahm. Es ist vielleicht eine zu poetische Vorstellung, dass Christine, genannt Bibi, dem Dichter regelrecht die Ohren geöffnet hat, doch tauchen tatsächlich ab diesem Zeitpunkt Komponistennamen im Briefwechsel auf. Die Musik war offenbar die Ebene, auf der sich das einfache Mädchen und der hochgebildete Dichter auf Augenhöhe trafen und wie sehr die Musik ihre gemeinsame Leidenschaft war, zeigt sich daran, dass die junge Frau die kurz nach der Geburt ver­ storbene gemeinsame Tochter „Cecilia“ nannte. Bereits die erste briefliche Erwähnung Christines gegenüber Sophie La Roche führt sie als „la petite philomele“ (Nachtigall) ein.107 Wenig später schwärmt der leidgeprüfte Dich­ ter gegenüber Zimmermann: Es wundert Sie billig, daß ich in den unbegreiflich tollen und alle Geduld ermüden­ den Umständen des 1761 u: 62 Jahrs den Agathon schreiben konnte. Verwundern Sie Sich weniger oder mehr, wenn ich Ihnen sage, daß es eine kleine Sängerin war, die dieses Wunder würkte? […] Meine kleine Philomele ist das einzige Mädchen in der Welt, das mir nichts als Gutes gethan hat.108

Bezeichnenderweise spielt die Musik just im Agathon eine zentrale Rolle bei der Verführung Agathons zu einem gesunden Maß am Sinnlichkeit.109 Nachdem seine schwangere Geliebte von ihm entfernt worden war,110 fühlte sich Wieland alt und einsam „ohne Ergötzungen, ohne ein Mädchen das mir durch eine Arie von Galuppi die Grillen wegsingen, oder durch Küsse, die sie von mir selbst zu geben gelernt, […] mir wenigstens einen 104 Starnes (1987), Bd. I, S. 364. 105 Ebenda, S. 203. 106 Gesangsausbildung, wie sie auch Sophie La Roche genossen hatte, gehörte zur bürgerlichen Erziehung der Mädchen und Opernarien zur Hausmusik. Überdies wurde in den Kirchen­ chören eine Vielzahl versierter Sänger ausgebildet. 107 3. November 1762. WBr Bd. 3, S. 129. 108 An Zimmermann, 20. Dezember 1762. Ebenda, S. 141. 109 Im fünften Buch, fünftes Kapitel, SW Bd. I, S. 244. 110 Die Eltern hatten das Mädchen zunächst in Augsburg in ein Kloster gesteckt, bis sich heraus­ stellte, dass sie schwanger war.

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täuschenden Schatten jener zaubrischen Wonne der Jugend wiedergeben könnte.“111 Der zweite, nun noch verbleibende Ort der Musikpflege war Schloss Warthausen unweit von Biberach. Dort lebte Wielands ehemalige Verlobte Sophie von La Roche, die spätere Autorin des von Wieland herausgegebenen Romans Geschichte des Fräuleins von Sternheim, die 1753 den Sekretär und sehr wahrscheinlich natürlichen Sohn des Grafen Stadion (1691–1768), Georg Michael Anton La Roche (1720–1788), geheiratet hatte. Wieland erhielt Zu­ gang zu der kleinen Hofhaltung, mit der Stadion bald weitere adelige Fami­ lien in die Gegend zog. Zur Unterhaltung gehörten neben einer wohl ausge­ statteten Bibliothek (mit ca. 1400 Bänden) auch gelegentliche Konzerte. Der Briefwechsel nennt einen Teil der aufgeführten Komponisten, bezeichnen­ derweise sind alle auch Komponisten der italienischen Oper. Darunter der in Stuttgart und Ludwigsburg wirkende Italiener Jommelli, der deutsche Kom­ ponist Graun, der nach seinen Braunschweiger Lehrjahren unter Schürmann die Oper Friedrichs II. mit italienischen Opern versorgte, sowie Galuppi, der gemeinsam mit Goldoni zu den Begründern des dramma giocoso, der komi­ schen italienischen Oper gehört.112 Etwas später113 sollte noch ein Kompo­ nist hinzukommen, der bei Wieland lange die oberste Stelle einnahm, der von Musen und Grazien erzogene114 Pergolesi, für dessen berühmte Stabat Mater-Ver­ tonung Wieland 1779 eine singbare deutsche Übersetzung schaffen sollte. Der von Ofterdinger überlieferte Biberacher Theaterspielplan115 liefert zwar für diese Jahre kaum Titel, die aus heutiger Sicht noch zuzuordnen sind, doch immerhin hatten einige davon nachweislich einen beträchtlichen Anteil an Musik. Am 27. und 28. Dezember 1762 wurde von der evange­ lischen Komödiengesellschaft Timantes und Dircea mit acht spielenden und elf singenden Personen gegeben. Wenngleich auch hier die singenden Fi­ guren für die Zwischenspiele verzeichnet sind, könnte sich hinter dem Text 111 7. 1. 1765, WBr Bd. 3, S. 338. 112 An Zimmermann, Biberach 22. Juni 1762: „Rien de plus uni et en même tems de plus agréable que la vie qu’on y mene. Le jour est ordinairement partage entre la lecture, la conversation, les plaisirs de la table, et de la promenade, et finit par quelque concert de Jomelli, de Graun ou de leurs Semblables. Voila la principale resource que j’ai actuellement contre les soucis et les embarras de mon état à Biberac.“. WBr Bd. 3, S. 94. An denselben, Biberach 8. November 1762 : „Platon fait place à Horace, Young à Chaulieu, l’harmonie des Sphéres aux Airs de Galuppi et aux Symphonies de Jomelli, et le Nectar des Dieux au Tokay des Hongrois.“ WBr Bd. 3, S. 129. 113 Namentlich erwähnt Wieland Pergolesis Stabat Mater zwar erstmals am 13. November 1770 (WBr Bd. 4, S. 219, doch ist anzunehmen, dass er dessen Musik bereits in Warthausen ken­ nengelernt hatte. Darauf verweist auch Bopp (1930, S. 41), allerdings ohne Angabe von Quel­ len, der an selber Stelle ebenfalls Telemann angibt. 114 SW Bd. 5, S. 29. 115 Vgl. Ofterdinger (1883), S. 122.



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eine Singspiel-Bearbeitung von Metastasios Demoofonte verbergen. Das Stück wurde 1733 in Wien in der Vertonung von Caldara uraufgeführt und erhielt in den folgenden 50 Jahren an die 20 weitere Vertonungen, vornehmlich von italienischen Komponisten, darunter eine von Galuppi (Madrid 1749), also einem auch in Warthausen vielgepflegten Komponisten, dessen Arien Bibi Wieland just um diese Zeit (1762) vorgesungen hat. Am 6. Juni 1763 wurde anlässlich des Friedens von Hubertusburg ein Singspiel in der Vertonung des damals erst elfjährigen Wunderkindes und späteren Biberacher Musikdirektors Justinus Heinrich Knecht (ca.1715– 1752) aufgeführt, zu dem Wieland das Libretto geschrieben haben soll. Wieland führte den Knaben anschließend bei Graf Stadion (1691–1768) ein und erteilte ihm Italienischunterricht.116 Krämer verzeichnet überdies bereits für 1764 eine biblische Oper des kleinen Knecht mit dem Titel: Joshuah und für 1765 im selben Genre Kain und Abel.117 Am 15. August 1765 wurde Heinrich der Vogler in einem Singspiel mit drei Personen aufgeführt, dabei handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine vereinfachte oder Wanderbühnenfassung von König und Schürmanns 1721 für Braunschweig verfasste Oper. Am 2. und 24. Februar 1766 folgte Die Bekehrung der Sachsen zum Christenthum (Johann Hübner, 1688–1731)118 mit einer Pantomime und einem Singspiel.

4.3.4 Erfurt Anfang 1768 wurde Wieland, auch Dank seiner guten Beziehungen zum kurfürstlichen Hof in Mainz,119 dem Erfurt und die dortige Universität un­ terstanden, als Professor der Philosophie und Regierungsrat in die thüringi­ sche Metropole berufen. Im selben Jahr fand nicht nur der erste regelrechte Maskenball in Erfurt statt, sondern es nahm auch „ein zum Vergnügen der Professoren und Studenten eingerichtetes Conzert seinen Anfang“120. Sicher ist es diese Veranstaltung, für die Wieland zwei Jahre später eine Vertonung von Metastasios Re Pastore von Sophie La Roche erbat und für die aller Wahr­ scheinlichkeit nach gut ausgebildete Sänger der (Kirchen-)Chöre herangezo­ gen werden konnten. 116 117 118 119

Starnes Bd. I, S. 264. Vgl. Krämer (1998), Bd. II, S. 783 und 784. Erschienen 1720 und 1730, das zumindest teilweise auf Anton Ulrichs Irmenseul zurückgeht. Der 1768 verstorbene Graf Stadion war Minister des Churmainzischen Hofes gewesen. Er­ furt gehörte bis 1802 zu Mainz, dessen letzter Stadthalter Karl Theodor von Dalberg war. 120 Constantin Beyer: Neue Chronik von Erfurt oder Erzählung alles dessen, was sich vom Jahr 1736 bis zum Jahr 1815 in Erfurt Denkwürdiges ereignete. Constantin Beyer (Hg.). o.  J., S. 154.

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Im doppelten Wortsinne regelmäßiges Theater hatte es in Erfurt zum ersten Mal durch die Döbbelin’sche Truppe ab 1756 gegeben. Der Schüler der Neuberin führte das Gottsched’sche Regeltheater ein, neben Komödien wie Demokrit von Jean-François Regnard (1655–1709) oder Philippe Néri­ cault Destouches (1680–1754) (von der Gottschedin  – Luise Adelgunde Victorie Gottsched [1713–1762] – übersetztem) Gespenst mit der Trommel, mit Stücken wie Gottscheds Sterbendem Cato, Mahomet und Ödipus von Voltaire und Johann Elias Schlegels (1719–1749) Canut.121 1768 kam Karl Friedrich Abt (1733–1783) mit seiner Truppe nach Erfurt, und Wieland versäumte keine Vorstellung.122 Gespielt wurde aber­ mals im Theater des Universitäts-Ballhauses. Der Spielplan umfasste Les­ sings Minna von Barnhelm, Miss Sara Sampson, ebenfalls Voltaire mit Zaire, die Wieland schon in Zürich von der Ackermann’schen Truppe gesehen hatte, Alzire, auch Weißes Romeo und Julia und Richard III., George Lillos (1693– 1739) Der Kaufmann von London, überdies Lustspiele wie Die Kandidaten, oder die Mittel zu einem Amte zu gelangen von Johann Christian Krüger (1723–1750), die sentimentalen Komödien Christian Fürchtegott Gellerts (1715–1769) und Goldonis Wahren Freund.123 Auf die für diese Veranstaltungen zentrale Rolle der Schauspielmusik verweisen nicht zuletzt die auf die Schauspiele folgenden Ballette. Überlie­ fert ist ein ‚großes komisches Ballett‘ Der lustige Schuhmacher oder der blaue Mon­ tag.124 Auch Minna von Barnhelm wurde von einem Ballett beschlossen und nach dem Kaufmann von London zeigte der Tänzer Hartmann seine Kunst.125 Singspiele konnte die Truppe nicht realisieren, weil ihr die Sänger fehlten, und so ist die Aufführung von Favarts Soliman Second, zu der Wieland einen Prolog geschrieben hat,126 sicherlich die Schauspielfassung gewesen, wenn­ gleich Wielands Briefe an Johann Georg Jacobi (1740–1814) wenig später zeigen, dass er Favart vor allem als Dichter der Opéra comique betrachte­ te.127 Musiktheater im Sinne von gesungenem Theater fand in Erfurt nach 121 122 123 124

Georg Hummel: Erfurter Theaterleben im 18. Jahrhundert. Erfurt 1956, S. 18–19. Beyer (o. J.), S. 158. Vgl. Hummel (1956), S. 20–21. Sowie: Beyer (o. J.), S. 159. Möglicherweise ein Lokalsingspiel, das auf das Blau-Färben mit der in der Gegend vorkom­ menden Pflanze Waid anspielt. Der Montag war dabei blau=frei, weil nach dem langen, ar­ beits- wie geruchsintensiven Färbeprozess der Stoff trocknen musste und erst an der Luft (durch den Oxidationsvorgang) seine blaue Farbe entfaltete, also nicht gearbeitet werden konnte. Das Waid wurde Anfang des 17. Jahrhunderts vom billigeren und einfacher zu verar­ beitenden indischen Indigo abgelöst. 125 Vgl. Hummel (1956), S. 21–26. 126 Womit er nicht der einzige war, Friedrich Justus Riedel (1742–1785) verfasste, wann genau war nicht zu recherchieren, einen für Weißes Romeo und Julia. Abgedruckt in: Hummel (1956), S. 23–25. 127 Vgl. dazu das folgende Kapitel.



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derzeitiger Quellenlage erstmals 1780 durch die Wandertruppe des aus Mün­ chen stammenden Prinzipals Ferdinand Friedrich Schmettau statt,128 der in seinem Gesuch ausdrücklich Medea und Ariadne auf Naxos (beide 1775) hervorhebt, also neben den „musikalischen Dramas“, womit vermutlich vor allem Singspiele gemeint sind, auch als neues Genre die Melodramen Georg Anton (Jiři) Bendas (1722–1795) im Repertoire hatte.129 Nachdem publizistische Händel (u.  a. anlässlich seiner Shakespeare-­ Übersetzung) mit Lessing, zu dessen Partei neben Christoph Friedrich Nicolai (1733–1811) auch Weiße gehörte, ihn lange von Letzterem entfernt gehalten hatten, näherte sich Wieland ab 1768 langsam an den bis dahin wichtigsten Librettisten des ab 1760 entstehenden Norddeutschen Singspiels130 an. Weiße sollte für Wieland den Kontakt zum Verleger Philipp Erasmus Reich (1717–1787) in Leipzig herstellen und dafür mit der Widmung der Musa­ rion (1769) bedankt werden. Auch in anderen Kontexten spricht Wieland mit großer Hochachtung von Weiße, wechselte einige Briefe mit ihm, von denen leider nur ein Fragment zu Weißes Romeo und Julia überdauert hat, in dem Wieland Passagen kritisiert, die Weiße in der zweiten Auflage von 1769 tatsächlich veränderte.131 Ende desselben Jahres nahm Wieland Weiße gegenüber Salomon Geßner (1730–1788)132 gar gegen Anfeindungen seines ehemaligen Züricher Lehrers Bodmer (der eine Parodie auf Weißes Atreus von Thyest verfasst hatte) in Schutz. 1770 lernte Wieland Weiße bei einer Reise nach Leipzig schließlich persönlich kennen.133 Auch wenn in der Korrespon­ denz keine Theaterbesuche verzeichnet sind, zeigen doch die Äußerungen aus der Zeit um 1770, dass Wieland mit dem Phänotyp der Weißeschen Sing­ spiele bestens vertraut war, wiederum wohl vornehmlich über die Lektüre der ab 1768 im Druck erschienenen Libretti. Wielands Interesse am Musiktheater steht im Kontext seines in diesen Jah­ ren nach Wien gerichteten Blicks. Ob er tatsächlich davon träumte, sich mit seinen Schriften für eine Berufung nach Wien zu empfehlen, ist nicht mehr zu entscheiden und letztlich nicht ausschlaggebend. Zweifelsohne musste er in dem 1765 zum Mitregenten seiner Mutter erhobenen Joseph II. von Österreich (1741–1790) einen idealen aufgeklärten Herrscher sehen und am 128 Lebensdaten unbekannt. Vgl. Hummel (1956), S. 30. Eigene Recherchen an den im Stadt­ archiv Erfurt verwahrten Akten brachten leider keine wesentlich darüber hinaus gehenden Ergebnisse. 129 Quelle: Gesuch von Schreiberhand. In: Acta des Magistrats zu Erfurt. Polizeiakten 1736– 1809; Gesuche Theater-Banden. Stadtarchiv Erfurt, Signatur: 1–1 XVIe–5, S. 15. 130 Die Terminologie folgt Thomas Baumans Vorschlag. Vgl. Bauman (1985). 131 Vgl. WBr Bd. 6.1, S. 577–578. 132 Vgl. WBr Bd. 3, S. 583. 133 Brief an Gleim vom 21. Juli 1770. WBr Bd. 4, S. 171.

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für eine Berufung erforderlichen Konfessionswechsel wäre es nicht geschei­ tert, den hätte der Pfarrerssohn bereits für die Heirat mit seiner katholischen Geliebten auf sich genommen, hätte der protestantische Beamte dann nicht auch automatisch ohne Einkommen dagestanden. Doch zu Lebzeiten der tief in der Gegenaufklärung verwurzelten Maria Theresia (1717–1780) muss­ ten solche Überlegungen hypothetisch bleiben, zumal die Einfuhr des Aga­ thon von der Wiener Zensurbehörde verboten worden war, was allerdings nicht notwendigerweise eine Ächtung des Autors bedeutete, sondern mitun­ ter die einheimischen Raubdrucker begünstigen sollte. Wielands Texte, ins­ besondere die Mitte bis Ende der 1780er Jahre erscheinenden Feenmärchen und Verserzählungen, waren in Wien außerordentlich populär und sollten noch ihren Niederschlag in Mozarts Opern finden. Mit oder ohne strate­ gische Überlegungen sollte Wieland in den folgenden Jahren das kulturelle Zentrum im Südosten des deutschen Sprachraums im Blick behalten, z. B. durch den Kontakt zu Friedrich Justus Riedel (1742–1785),134 der 1772 nach Wien berufen wurde. Gezielt mit der Möglichkeit (oder Unmöglichkeit) eines aufgeklärten Absolutismus befasst sich der Roman Der Goldene Spiegel, ein Fürstenspiegel, der sich um das gute Regieren dreht und scheinbar die Erziehung eines Fürs­ ten vorführt – scheinbar, denn als der Herrscher durchschaut, dass er erzogen werden soll, landet der erzieherische Erzähler im Kerker. Tatsächlich brachte der Text dem in Erfurt als Professor für Philosophie eher schlecht als recht Auskommenden eine ersehnte Berufung ein – doch kam sie nicht aus dem Süden, sondern aus dem nur wenige Kilometer entfernten Weimar.

4.4  Im Portikus der Alceste 1770–1772 – ein Singspiel nach dem Muster der Alten Wielands gedankliche Annäherung an die Oper vor 1771 präferierte keines­ falls von Anfang an eine Tragödienkonzeption wie Alceste. Offenbar hatte er zunächst auch nicht vor, das Genre selbst zu bearbeiten, denn Anfang 1770 versuchte er zunächst Johann Georg Jacobi dazu zu überreden, sich an einem besseren deutschen Singspiel zu versuchen. Dabei schwebten ihm zwar antike Sujets, aber auch deutlich das Vorbild der französischen Opéra comique vor: ich wünschte Sie möchten Lust bekommen unser Fava r t zu werden. Weissens comische Opern sind artig; aber ich kan mir noch eine andre Art davon dencken, 134 Und war über Riedel auch weiterhin bedacht, seinen Ruf in Wien im Kontext seiner guten Beziehung zu Noverre wo möglich zu verbessern. Vgl. Sträßner (1994), S. 109–164.



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welche ein schöneres Ideal hätte […]. Selbst in der Griechischen Mythologie, was für vortrefliche Sujets für kleine lyrische Dramata! Etliche Stücke von St. Foix wür­ den delicieux seyn, wenn Sie [sic!] für das lyrische Theater umgeschmelzt würden.135

Der Textdichter Favart gehört mit Jean-François Marmontel (1723–1799) und Michel-Jean Sedaine (1719–1797) zu den Begründern der französi­ schen Opéra comique mit ihrer charakteristischen Apotheose des idyllischen Landlebens gegenüber den verderbten Sphären von Hof und Stadt. Seine Frau, die Schauspielerin und Sängerin Marie-Justine Favart (1727–1772), war maßgeblich an der Gestaltung der Libretti um den Typus einer etwas naiven und entwaffnend aufrichtigen jungen weiblichen Zentralgestalt beteiligt. Ihre Auftritte in Leinenkleid, Holzschuhen und nackten Armen waren zugleich skandalös und kultivierten ein neues Verständnis von Natürlichkeit auf der Bühne, das u. a. für Lessings Miss Sara Sampson maßgeblich werden sollte. Rousseaus 1752 als Reflex auf die Vertreibung der italienischen buffons aus Paris136 entstandener Le devin du village hatte, obgleich eigentlich als französi­ sches Äquivalent zur italienischen Opera buffa konzipiert, aus dem Gegen­ satz von unschuldigem ländlichem Liebespaar und verderbten Städtern das Gründungswerk der Opéra comique geschaffen. Goldoni steuerte 1756 mit der bereits erwähnten Dramatisierung von Richardsons Pamela137 als La Cecchina ossia La buona figliuola138 ein weiteres Pa­ radigma bei, indem er die italienische Opera buffa – traditionell eine Typen­ komödie – in eine sentimentale Handlung transformierte, in die er ernste und gemischte Charaktere einführte. So einflussreich beide Werke waren, ihre vollständig gesungene, in Rezitative, Arien und Ensembles unterteilte Struk­ tur blieb für die Opéra comique die Ausnahme. Obgleich Wieland gegen­ über Johann Georg Jacobi weder auf Goldoni noch auf Rousseau verweist, spricht einiges dafür, dass er in Abgrenzung von Weiße strukturell Ähnliches im Sinne hatte. Hervorstechendes Merkmal der Opéra comique, das Weiße und Hiller für ihre frühen Singspiele übernommen hatten, war die Verbin­ dung von gesprochenem Text und Gesangseinlagen, wie die Bezeichnung vieler Stücke als comédies mêlées d’ariettes verdeutlicht. Die Stücke der Foix, auf die Wieland verweist, gehören zur Vorge­ schichte der Opéra comique. Die Volkstheater Foix St. Germain und St. Laurent spielten nur wenige Monate im Jahr. Ihre comédies en Vaudeville ver­ 135 22. Februar 1770. WBr Bd. 4, S. 94. 136 Die Truppe italienischer Buffonisten hatte sich zu einer starken Konkurrenz der französi­ schen Tragédie lyrique entwickelt. Eine direkte Konkurrenz zwischen den komischen fran­ zösischen Opernformen und der italienischen Buffa scheint es jedoch nie gegeben zu haben. 137 Wieland verweist auf das Stück in seiner Vorrede zu Clementina von Porretta. 138 Vertonung Niccolò Piccinni.

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wendeten den Zuschauern bekannte Lieder respektive Gassenhauer in eben­ falls gesprochenen Komödien. Zu den literarisch bedeutendsten Beiträgen gehören Stücke von Alain-René Le Sage (1668–1747)139 und vermutlich hatte Wieland die in seiner Bibliothek befindliche Ausgabe von Le Sages Le Theatre de la foire, ou l’Opéra comique, cont. Les meill. Pièces qui ont été représentées aux foires de S.-Germain et de S.-Laurent. Paris 1721–1737 zur Abfassungs­ zeit des Briefes bereits erworben. Am 19. März 1770 empfiehlt Wieland Johann Georg Jacobi abermals ei­ nen „hübschen Stoß französischer Comischer Opern“140, der ihn in die rechte Stimmung für das Theater versetzen solle. Zudem verweist er hier bereits auf den Librettisten der französischen Oper mit dem höchsten literarischen Ka­ liber, Philippe Quinault. Offenbar hatte Wieland bereits zu dieser Zeit Qui­ naults Libretti intensiv studiert.141 Allerdings ist die Verknüpfung „Quinault und die comischen Opern“ reichlich seltsam, denn Quinault hat keine Texte zu komischen Opern geschrieben,142 will man nicht die komischen Elemente in Cadmus et Hermione (1673) und Alceste (1674) als solche werten, was Wieland kaum im Sinn gehabt haben dürfte, zieht man seine drei Jahre später formu­ lierte scharfe Ablehnung dieser Vermischung in Betracht. Siegfried Scheibe verweist zur Erklärung auf „Dramen, die oft in Opern verwandelt wurden und zu denen Jean Baptiste Lully Musik schrieb“143. Tatsächlich sind aber die Comédies-ballets Lullys, die man am ehesten als „comische Opern“ be­ zeichnen könnte, zu Molières Komödien entstanden. Die Zusammenarbeit mit Quinault begann bekanntlich ab 1672 mit der Tragédie lyrique explizit als einer Wiederbelebung der antiken Tragödie. Quinaults frühe Komödien hat Lully nicht vertont.144 Wieland verweist hier ganz offenbar nicht auf bereits realisierte, sondern auf imaginative Vorbilder. Die Opéra comique scheint ihm in ihrer pastoralen und empfindsamen Ausrichtung („ihr gefühlvolles Herz“) das geeignete Strukturmodell. Gleichwohl wollte er anders als Weiße das literarische Niveau der Texte am als ausdrückliche Wiederbelebung des antiken Dramas intendierten, klassizistischen Modell Quinaults geschult se­

139 Die auch Gellert übersetzt hatte. 140 WBr Bd. 4, S. 110. 141 Die Erfurtische Academische Bibliothek, aus der er später auch Alceste ou le triomphe d’Alcide entliehen hatte (An Johann Georg Meusel in Erfurt, 17. September 1773, Vgl. WBr Bd. 5, S. 165) besaß möglicherweise eine ganze Sammlung von Quinaults Libretti. Leider ergab die Recherche im Stadtarchiv Erfurt, dass kein Verzeichnis überliefert ist. Bereits 1682–1683 war in Amsterdam eine Sammelausgabe von Quinaults Libretti erschienen, die u.  a. Alceste umfasste, mit zahlreichen weiteren Auflagen und weiteren Sammelausgaben bis in das erste Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. 142 Von der zu vernachlässigenden Mitarbeit an Psyche 1771 abgesehen. 143 WBr Bd. 6.2, S. 717. 144 Vgl. Norman (2001), S. 366.



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hen, mit dem sich genau jene Annäherung an das „schönere Ideal“ (der Alten) vollziehen ließe, das Wieland in seinem ersten Schreiben angemahnt hatte. Der Name Metastasio taucht in diesem Kontext erstmals gegenüber ­einem Briefpartner auf, den man nicht als Gegenüber für Opernüberlegun­ gen erwarten würde: Ausgerechnet an Bodmer schrieb Wieland am 7. Juli 1770 von der „Musik in den freyen Versen des Guarini und Metastasio“145. Mit den „freyen Versen“ kann nur die Rezitativgestaltung in Madrigalver­ sen gemeint sein, denn die Arien sind metrisch regelmäßig. Guarini hat zwar keine direkten Opernlibretti geschrieben, mit Il Pastor fido und seinen vornehmlich von Monteverdi vertonten Madrigaltexten aber die formale Entwicklung der Gattung bis hin zu Metastasio maßgeblich bestimmt. Als Verweis auf konkrete Opernpläne entpuppt sich die Briefstelle erst ein Jahr später. Guarini schuf mit der tragicomedia Il Pastor fido eine zentrale Vorlage der Schäferdichtung, die auch stofflich in direkter Linie zu Metastasio führt. In seinem u. a. von Hasse, Gluck und Mozart vertonten Libretto Il re pastore (1751) transformierte der italienische Reformlibrettist die Pastorale in ein Dramma per musica, in dem sich der treue Schäfer statt als göttlicher als königlicher Sprössling entpuppt und einer politischen Funktion zugeführt wird. Am 18. August 1771 schrieb Wieland an Sophie La Roche, sie möge „die besten Arien“ des Re Pastore von der Gräfin von Wartensleben (1710– 1778) erbitten und ihm zusenden.146 Scheibe vermutet, dass es sich hierbei um eine Vertonung des Kurtrierischen Kapellmeisters Pietro Pompeo Sales (1729–1797) handelte.147 Seltsam allerdings, dass Wieland die Oper in einem Atemzug mit Alceste nennt, ohne einen Komponistennamen zu erwähnen, was eigentlich eher impliziert, dass beide vom selben Komponisten stam­ men, also von Gluck.148 Am 31. August fragte er abermals ungeduldig nach. „Ich möchte sie gerne auf unserm Concert producieren, und mir dadurch wenigstens einen Schatten des Vergnügens wiedergeben, das ich empfand als ich die schönsten davon von der schönsten Stimme dieser Unterwelt, von der Stimme der Dame Francolina singen hörte. Wie gefällt Ihnen Fran­ colina? Immer besser, dächte ich, als Franzel“.149 Scheibe vermutet hinter der Sängerin eine Dienerin von La Roche.150 Doch hat Starnes in ihr die kurtrierische Hofsängerin Franziska Blümer ausgemacht, die etwa zeitgleich den mutmaßlichen Komponisten der Musik, Pietro Sales ehelichte.151 Nicht 145 146 147 148

WBr Bd. 4, S. 150. Vgl. WBr Bd. 4, S. 335. Vgl. WBr Bd. 6, S. 877. Auch für Alceste wird kein Komponistenname genannt, es könnte sich also auch um die Oper von Quinault und Lully gehandelt haben, doch das ist eher unwahrscheinlich. 149 WBr Bd. 4, S. 351–52. 150 WBr Bd. 6.2, S. 885. 151 Ders.: (1987), Bd. I, S. 397.

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nur der Rufname „Franzel“ passt besser zu einer gebürtigen Österreiche­ rin als zu einer schwäbischen oder rheinischen Dienerin, sondern vor allem Wielands Einschätzung als ‚schönste[n] Stimme dieser Unterwelt‘ zu einer ausgebildeten Sängerin als zu einer Kammerzofe. Auf den professionellen Berufsstand verweist auch die respektvoll-augenzwinkernde Italianisierung des Namens, war es doch die Angewohnheit italienischer Bühnenstars, Ver­ kleinerungsformen des Vornamens als Künstlernamen zu verwenden.152 Am 7. September teilt Sophie La Roche mit, „die arien deß Rè Pastore kan ich erst schiken wenn der Churfürst u. hof wieder hier ist – aber die von Glucks opera sollen Sie nächstens haben“153. Sie bietet also Glucks Verto­ nung des Stückes von 1756 als Ersatz an und nicht, wie Scheibe meint, die Alceste,154 denn diese hatte Wieland bereits früher bei sich gehabt und am 18. August um Rücksendung an die Gräfin von Wartensleben gebeten. An der Dringlichkeit, mit der Wieland die Partitur(en) erbittet, lässt sich ablesen, wie weit seine Pläne zu einer eigenen idyllischen Oper nach italienischem Vorbild und mit Rezitativen in Madrigalversen gediehen waren, was durchaus mit den Vorverhandlungen mit Weimar ab Herbst 1771 zusammenhängen könnte. Ehe jedoch Alceste auf den Plan tritt, ist abermals die Rede von einem französischen Vorschlag zur Reform der Oper. Sophie La Roche hatte Wieland bereits im Juli 1770 von einem neuartigen Stück berichtet, „J. J. Rousseau est à Paris, et joue aux Echecs aux Caffèes Publics, il donne un Opera de sa facon, c’est la fable de Pigmalion, L’opera n’aura qu’un Scene, et n’y aura meme qu’un recitatif obligè à la mode des ancien et pedant cette sorte de declamation, là Musique ira son train.“155 Rousseau hatte den Text zu Pygmalion bereits 1762 geschrieben, möglicherweise als direkte Antwort auf Rameaus Vertonung des Stoffes von 1748, zu deren Konzept von Mu­ siktheater er eine radikale Gegenposition einzunehmen gedachte.156 In seiner Lettre sur musique française von 1753, also gerade einmal ein Jahr nach der Ur­ aufführung seines eigenen vollständig komponierten (!) Singspiels Devin du village, hatte Rousseau plötzlich erklärt, die französische Sprache sei per se untauglich zum Gesang. Sein neuer Vorschlag für eine adäquate Form fran­ zösischen Musiktheaters war der Wechsel von Sprache und instrumentaler Musik, letztere möglicherweise in Verbindung mit Pantomime. Die Verto­

152 Beispielsweise Nicolò Grimaldi (1673–1732), Händels erster Primo uomo in London, als Nicolino. 153 WBr Bd. 4, S. 358. 154 WBr Bd. 6, S. 892. 155 WBr Bd. 4, S. 168. 156 Vgl. Matthias Spohr in Piper Bd. 5 (1994), S. 464.



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nung gelang ihm jedoch nicht mehr,157 und so übergab er den Text (mit we­ nigen bereits vertonten Passagen) schließlich dem befreundeten Tuchhändler Horace Coignet (1735–1821), einem Dilettanten, der die Musik für die Ur­ aufführung in Lyon 1770 komponierte. Anders als in den ab Mitte der 1770er Jahre entstehenden, erfolgreichen Melodramen Bendas, verlaufen Musik und Text hier noch nicht parallel, sondern Text und pantomimische Zwischen­ spiele wechseln einander ab.158 Am 25. Januar 1771 schrieb Wieland an den noch immer nicht recht für Singspiellibretti zu begeisternden Johann Georg Jacobi: wenn Sie noch lang zaudern, so steh’ ich Ihnen nicht dafür, daß ich Ihnen nicht zuvorkomme. Ich habe schon lange die Idee von einem kleinen lyrischen Schau­ spiel, P y g m a l i on, im Kopfe, eine Idee, aus welcher etwas Schönes, sehr schönes werden müßte, wenn ich sie so ausführen könnte, wie sie in meiner Einbildung liegt.159

Wieland erhielt die „scene lyrique des Wundermanns Rousseau“160, also vermutlich lediglich den Text, im Februar von Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819)161 und sandte postwendend eine Abschrift an seine Cousine.162 Johann Georg Jacobi bekam wenig später ebenfalls eine Kopie mit Bitte um eine Stellungnahme und die Ankündigung „M e i n Pygmalion soll unfehl­ bar zur Würcklichkeit kommen sobald d i e Ro s e n b l ü h e n . Er wird we­ der im Plan noch in der Ausführung eine Nachahmung des Rousseauischen seyn.“163 Wieland plante für sein „lyrisches Drama“ offenbar zunächst eine ernste pastorale respektive mythologische Handlung in antikem Umfeld, die nach den Vorbildern Metastasio und Quinault in Reziativen und Arien ge­ staltet sein und damit eine vollständige Vertonung nach sich ziehen sollte. Wie ernsthaft die Pygmalion-Pläne allerdings waren, muss offenbleiben, da Wieland erst über seine Pläne zu sprechen pflegte, wenn er sie bereits ad acta gelegt hatte. Das Motiv der belebten Statue war bereits 1768 in dem Versgedicht Idris gestaltet,164 und sollte wenig später im Sommer 1772 ge­ meinsam mit Schweitzer in das Handlungsballett Idris und Zenide überführt 157 Diderot gibt in Rameaus Neffe allerdings einen Verweis auf Rameaus ‚stegreif-Performances‘ seiner Idee in den 1760er Jahren. Vgl. Goethes Übersetzung in: MA, Bd. 7, München 1991, S. 579–581 und S. 633–637. 158 Jean-Jacques Rousseau. Pygmalion. In: Ders.: Musik und Sprache, übersetzt von Dorothea Gülke und Peter Gülke. Wilhelmshaven 1984, S. 169–179. 159 WBr Bd. 4, S. 256. 160 Ebenda, S. 264. 161 Ebenda Bd. 6.2, S. 815. 162 Ebenda Bd. 4, S. 260. 163 22. (?) Februar 1771. Ebenda, S. 264. 164 Übrigens schrieb Ramler im selben Jahr ebenfalls einen Pygmalion. Vgl. Flaherty (1978), S. 246.

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werden.165 Schließlich wurde am 13. Mai 1772 Schweitzers Vertonung von Rousseaus Pygmalion aufgeführt, als das erste Melodrama in deutscher Spra­ che respektive im deutschen Sprachgebiet.166 Die Übersetzung von Rous­ seaus Text für Weimar besorgte Johann Christoph Schmidt (1768–1854)167, der Sekretär des geheimen Consiliums in Weimar, und Gelegenheitsdichter. Es ist anzunehmen, dass entweder Letzterer oder Schweitzer selbst den Text von Wieland bekam, der seit Herbst 1771 regen Kontakt zu Weimar hatte, sich ab Frühjahr 1772 häufig dort aufhielt und seine eigenen Pygmalion-Pläne zu diesem Zeitpunkt offenbar endgültig begraben hatte. Von Schweitzers Musik existiert lediglich die zeitgenössische Beschreibung des Schauspielers Gustav Friedrich Großmann (1746–1796): Wie gerne mache ich dem Hrn. Schweizer, von dem die Musik ist, hier das Compli­ ment: daß er die gewaltigen und die sanften Bewegungen des Gemüths; den hefti­ gen und den melancholischen Schmerz: die starken und die wilden Leidenschaften gleich richtig und schön auszudrücken wisse.168

Anton Schweitzer arbeitete bereits an einem weiteren Melodrama, als die Zu­ sammenarbeit mit Wieland an Alceste begann: an Johann Christian Brandes (1735–1799) Bearbeitung von Heinrich Wilhelm Gerstenbergs (1737–1823) Kantate Ariadne auf Naxos. Das Werk blieb unvollendet, da Schweitzer gemein­ sam mit Wieland einen anderen Weg einschlagen sollte. Doch fand der Text drei Jahre später seinen Weg in die Hände von Georg Benda und sollte in dessen Bearbeitung zum bekanntesten Melodrama der deutschen Bühne werden. Die pastoralen Ursprünge der Oper bleiben in Wielands Überlegungen zur musikalischen Gattung präsent. Noch in den theoretischen Schriften aus dem Umfeld der Alceste werden eher Idyllen, Pastoralen und mythologische Stoffe empfohlen als Tragödienstoffe. Gleichwohl stehen Wielands beide große Opern Alceste und Rosamunde169 quasi auf der Schnittstelle zwischen mythologischer, pastoraler Welt und der historischen Weltsicht des Dramma per musica, indem sie historische Geschehnisse in einem pastoralen Umfeld verorten, diese jedoch als einmalige und menschliche, nicht zyklisch wie­ 165 Vgl. Sträßner (1994), S. 120–124. Das Motiv taucht ferner in Peregrinus Proteus und in Wielands Altersroman Aristipp und einige seiner Zeitgenossen wieder auf. 166 Auch das französische Original findet sich erst ab 1772 in den Spielplänen des deutschen Sprachraums. Vgl. Maurer (1912), S. 19. Schweitzers Musik wurde bis 1777 gelegentlich auf­ geführt und ist heute verschollen. 167 Vgl. Bauman (1977), S. 447. Das Stück gehörte mit acht Wiederholungen zu den beliebteren Darbietungen. Ebenda, S. 448. 168 „Sendschreiben“, S. 62, zit. nach Bauman (1977), S. 449. 169 Das komische Singspiel Pandora thematisiert geradezu das Eintreten der Geschichte (durch die Leidenschaften) in den statischen Zustand des goldenen Zeitalters.



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derkehrende Ereignisse begreifen. Rechnet man Il re pastore und Pygmalion als ungeschriebene Reformopern mit ein, so vollzieht Wieland eine ähnliche Abfolge paradigmatischer Opernstoffe wie 1762 Gluck mit Orfeo ed Euridice (einer Festa teatrale, also einem Festspiel, die zugleich die älteste Opernform bildet) bis hin zur Tragedia Alceste und schließlich einer der ersten tragico fine-­ Opern in deutscher Sprache: Rosamunde. Im Echo auf die bereits für Lady Johanna Gray vorbildhafte „Simplizität des Euripides“170 und Wielands damalige Metastasio-Lektüre taucht die Ver­ bindung des antiken Dichters mit dem Musiktheater nun im Brief an Johann Georg Jacobi vom 10. April 1771 in der Wendung auf: „nichts als Euripides und M e t a s t a s i o gelesen, und dann L y r i s ch e D r a m a t a gemacht“ und „immer wieder zur Muse des Göttlichen Metastasio zurückgekehrt.“171 Die Verbindung ist aber wenigstens insofern bemerkenswert, als Metas­ tasio keine Stücke von Euripides für seine Libretti verwendet hat. Rainiero de Calzabigi, der Librettist Glucks, betont entsprechend, dass er sich für Alceste direkt auf Euripides bezogen habe172 und profiliert seine Librettoreform damit als Gegenstück zur Opera seria Metastasios. Folglich ist Wielands Apo­ theose Metastasios an dieser Stelle und die angestrebte Verbindung mit dem antiken Dichter auch eine deutlich differierende Positionierung und bereits erstes Indiz für seine Eigenständigkeit gegenüber der Reformoper Calzabigis und Glucks. Mit diesen Überlegungen zum Musiktheater im Gepäck traf Wieland im No­ vember 1771 erstmals die verwitwete Herzogin-Regentin Anna Amalia173 und fand bei ihr offenbar ein unmittelbares Echo, denn bereits im Frühjahr 1772 fand ein Ball zu seinen Ehren statt, auf dem Szenen aus dem Neuen Amadis dramatisiert wurden.174 Anna Amalia war am 24. Oktober 1739 auf Schloss Wolfenbüttel als fünftes von dreizehn Kindern des Herzogpaares Philippine Charlotte (geb. von Brandenburg-Preußen, [1716–1801]) und Karl I. von Braunschweig und Lüneburg (1713–1780) zur Welt gekommen. Sie hatte Teil an der spezifisch Braunschweigschen Musenhoftradition,175 der gerade mit Graun und Hasse die beiden wichtigsten Komponisten des deutschen Sprachraumes entwach­ sen waren, mit Letzterem gar der zeitgenössisch Beliebteste, und erhielt be­ 170 In der Vorrede zur Ausgabe von 1758. AA Bd I.3, S. 147. 171 WBr Bd. 4, S. 286. 172 Vgl. Alfred Einstein: Gluck. Sein Leben, Seine Werke. Revidierte Neuausgabe. Kassel 1987, S. 125. 173 Vgl. Starnes (1987), Bd. I, S. 414. 174 Vgl. ebenda, S. 422. 175 Vgl. Sandra Dreise-Beckmann: Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Musikliebhaberin und Mäzenin. Schneverdingen 2004, S. 11–19.

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reits als junges Mädchen eine intensive musikalische Ausbildung,176 die sie zu einer guten Laienkomponistin machte und die sie ein Leben lang perfektio­ nieren sollte. Die Urgroßnichte Anton Ulrichs könnte sogar noch mit Schür­ mann zusammengetroffen sein, der bis zu seinem Tod 1751 in Wolfenbüttel lebte, sicherlich aber mit Hasse und Graun, deren Musikalien sie in ihrer Sammlung hatte, vielleicht auch als Andenken an die Opern ihrer Kindheit.177 Auch wenn sie zeitlebens ihre Vorliebe für die italienische Musik behielt und bei entsprechenden Mitteln sicher eine italienische Oper installiert hätte, lag ihr die Sensibilität für die entstehende deutsche Oper buchstäblich im Blut.178 Entsprechend gehörte deutschsprachiges Musiktheater nach Maßgabe der für Weimar finanzierbaren Formen bereits vor Wielands Eintreffen fest zu den Unterhaltungen des Hofes. Im Oktober 1768 hatte Anna Amalia der Koch’schen Truppe, die zu den Pionieren des Norddeutschen Singspiels ge­ hörte, nach einem Gastspiel in Weimar angeboten, das kleine Hoftheater dau­ erhaft zu bespielen. Die Weiße-Hiller’schen Singspiele179 gehörten fest zum Repertoire der Truppe und das auf lange Zeit einflussreichste Die Jagd wurde 1770 sogar in Weimar uraufgeführt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ernst Wilhelm Wolf (1735–1792), den Anna Amalia bereits 1761 als reisenden Klaviervirtuo­ sen kennengelernt, als Kapellmeister installiert und mit ihrer Kammerfrau und Sängerin Maria Carolin Benda (1742–1820) verheiratet hatte, bereits eine Hofkapelle mit einer Reihe hervorstechender Solisten aufgebaut und sollte in den folgenden drei Jahren gemeinsam mit dem Prinzenerzieher Johann Carl August Musäus (1735–1787) einiges zum Spielplan der Truppe beitragen. Für die Zeit vor der Entstehung der Alceste sind eine Reihe von Mu­ siktheater-Aufführungen nachweisbar, die Wieland gesehen haben kann, ­darunter: Die Stufen des Menschlichen Alters, Musäus/Schweitzer. 24. 10. 1771.180 Das Milchmädchen und die beiden Jäger (Le Deux Chasseurs et la laitière), Egi­ dio Romoaldo Duni (1709–1775) bearb. Johann Michael Helmig181/Christian Friedrich Schwan (1733–1815) nach Louis Anseaume (1721–1784) ab 1. 11. 1771182 (das Wieland in den Briefen über Alceste erwähnt). 176 Vgl. ebenda, S. 16–17. Leonie und Joachim Berger erwähnen die musikalische Ausbildung mit keiner Silbe. Vgl. dies.: Anna Amalia von Weimar. Eine Biographie. München 2006, S. 14–25. 177 Vgl. Sandra Dreise-Beckmann: Herzogin Anna Amalia (Anm. 10), S. 14. 178 Mit der sie den Wert der Gottsched’schen Librettosammlung erkannte und diese von den Erben erwarb. Wie Wieland in Über einige ältere teutsch e S i n g s p i el e  … schreibt. Vgl. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 88–89. 179 Vgl. Wolfram Huschke: Musik im klassischen und nachklassischen Weimar. 1756–1861. Wei­ mar 1982, S. 14, und Bauman (1985), 76–83. 180 Bauman (1977), S. 314. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 786. 181 Lebensdaten nicht ermittelbar. 182 Wilhelm Bode: Der Weimarer Musenhof. Berlin 1925, S. 83. Nach Bauman (1977, S. 361) ab 15. 11. 1771. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 789.



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Die Schnitter (Les Moissoneurs), Duni/Gottlieb Konrad Pfeffel (1736–1809) nach Favart, ab 10. 12. 1771.183 Elysium, Schweitzer/Johann Georg Jacobi, Hannover (zum Geburtstag der Königin von England), Anfang Januar 1772.184 Apollo unter den Hirten, Schweitzer/Johann Georg Jacobi, 21. 1. 1772.185 Der Faßbinder (Le Tonnelier), Johann Heinrich Faber (1742–1791) nach Nicolas-Médard Audinot (1732–1801)-Grossec186, 10. 3. 1772.187 Ariadne auf Naxos, Brandes/Schweitzer (Fragment?). Zwischenspiel zu Molieres Der bürgerliche Edelmann. 6. 2. 1772. Die Dorfdeputierten, Wolf/Gottlob Ephraim Heermann (1727–1815) nach Goldoni: Il feudatorio. 10. 2. 1772.188 Inkle und Yariko, Ballett nach Gellert (?). Johann Friedrich Kranz (1754– 1810)/Heinrich Gottfried Koch (1703–1775) 30. 3. 1772.189 Pygmalion, Schweitzer/Schmidt nach Rousseau, 13. 5. 1772.190 Die Dorfgala, Friedrich Wilhelm Gotter (1746–1797)/Schweitzer, 18. 5. 1772.191 Die treuen Köhler, Heermann/Wolf, 1. 6. 1772.192 Die Jagd, Weiße/Hiller, ab 6.  8. 1773 im Repertoire der Seyler’schen Truppe.193 Ceres, (Ballett) Friedrich Hildebrandt Einsiedel (1750–1828)/Wolf, 25. 10. 1773. Der Töpfer, Johann André (1741–1799) 20. 1. 1774.194

183 Bauman (1977), S. 326 und S. 361. 184 Bode (1925), S. 82. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 787. 185 Ebenda (beide). Wann Wieland die Vertonungen Schweitzers kennenlernte, ist nicht genau zu entscheiden. Vielleicht wurden sie Anfang März wiederholt, als Wieland in Weimar war. Er erwähnt sie erst an Jacobi am 23. November 1772. Vgl. WBr Bd. 5, S. 28. 186 Lebensdaten nicht ermittelbar. 187 Vgl. Bauman (1977), S. 326. Auf den auch Goethe später in Dichtung und Wahrheit verweist. 188 Ebenda und S. 361. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 790. 189 Bode (1925), S. 80. Nach Bode (Ebenda, S. 86). recherchierte Koch für die Darstellung die exotische Handlung eines europäischen Schiffbrüchigen, der von einem ‚edlen wilden‘ Mäd­ chen gerettet wird, sie im Gegenzug jedoch ausbeutet, ausführlich in Reiseberichten beschrie­ bene Volkstänze dienten zur Vorlage respektive Inspiration des Balletts. Die Geschichte geht auf eine Verserzählung Gellerts zurück. Vgl. ders.: Sämtliche Schriften. 1. Theil. Leipzig 1769, S. 23–27. Der Stoff geht zurück auf Sir Richard Steele, erschienen 1711 in der englischen Zeitschrift The Spectator und wurde u.  a. auch von Salomon Gessner aufgenommen. Vgl. Ernst Beutler: Essays um Goethe. Leipzig 1941, S. 380–388. 190 Bode (1925), S. 83. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 790. 191 Bauman (1977), S. 361. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 790. 192 Bode (1925), S. 83–84, Bauman (1977), S. 361. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 790. 193 Bauman (1977), S. 326. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 787. 194 Bauman (1977), S. 326 und 361. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 790.

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Des Weiteren gehörten zum Repertoire: Die verwandelten Weiber, Weiße/Hiller.195 Die Liebe auf dem Lande, Weiße/Hiller.196 Lottchen am Hofe, Weiße/Hiller.197 Der Lustige Schuster, mit neuen Melodien von Schweitzer/Weiße.198 Das Rosenfest, Heermann/Wolf (nach Favart: La Rosiére de Salency).199 Der Abend im Walde, Heermann/Wolf.200 Liusuart und Dariolette, Daniel Schiebeler (1741–1771) und Hiller.201 Schwieriger zu entscheiden ist, welchen Einfluss die Opéra comique auf Wieland und Schweitzers Alceste ausgeübt hat, nachdem sie für Gluck und seine Opernreformen zentrale Anregungen gegeben hatte. Die Seyler’sche Truppe hatte vor 1773 wenigstens zwei Opéras comiques von Duni im Repertoire, die durch Schweitzer bearbeitet worden sein müssen. Wenngleich ein Großteil der von Bauman für die Zeit zwischen 1771 und 1775 gelisteten Opéras comiques wohl in die Zeit nach der Übersiedelung der Truppe an den Gothaer Hof fällt, darf man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus­ gehen, dass Schweitzer (wie Wieland) mit dem Typus gut vertraut war.202 Die Opéra comique zeigt mit ihrer emotionalen bis leicht sentimentalen Aus­ richtung sowie der Auffassung von der Oper als eines Musiktheaters durch­ aus Parallelen zu Alceste, wenngleich sie als Formtypus (gesprochener Text und eingefügte Lieder) von Anfang an aus der Konzeption ausgeschlossen wird.

4.5  Anton Schweitzer – ein vielgeschmähter Komponist Erst im Zusammentreffen mit dem Komponisten Schweitzer wandte sich Wieland mit Engagement und eigenen Texten dem Musiktheater zu. In ihm sollte der Dichter den kongenialen Partner für sein deutsches Musiktheater finden und ihn sogar Gluck und Mozart vorziehen, obwohl er deren herausra­ gende Qualität gleichfalls erkannte.

195 Bauman (1977), S. 326. 196 Ebenda. 197 Ebenda. 198 Bode (1925), S. 82–83. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 786. 199 Huschke (1980), S. 15; Bauman (1977), S. 361. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 787. 200 Bauman (1977), S. 326. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 791. 201 Bauman (1977), S. 326. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 785. 202 Vgl. Bauman (1985), S. 92–93.



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Der 1735 in Coburg geborene Anton Theodor Heinrich Schweitzer203 entstammte keiner Musikerfamilie, wurde wie viele spätere deutsche Kompo­ nisten wegen seiner außerordentlichen Stimme jedoch schon mit zehn Jahren einer musikalischen Laufbahn übergeben. Böttiger überliefert einen Bericht Wielands über Schweitzers Jugend vom 28. November 1789, also zwei Jahre nach dessen Tod. Schweizer war ein armer Chorjunge in Hildburghausen, wo ihn der vorletzte Fürst, einer der geschmackvollsten und prachtliebendsten Fürsten damaliger Zeit, auf der Gasse aufgriff, und sein herrliches Talent zur Musik entwickelte.204

Später spielte Schweitzer als Bratschist und Cellist in der herzoglichen Ka­ pelle und hatte dadurch offenbar Zugriff auf Werke der Mannheimer Schule des sog. musikalischen Sturm und Drang. Carl Ditters von Dittersdorf (1739–1799), der später mit Werken wie Das rote Käppchen (Wien 1788) und Der Doktor und der Apotheker (Wien 1786) selbst zur Gattung des deutschen (in diesem Falle Wiener) Singspiels beitragen sollte, verbrachte den Winter 1756 als Begleiter von Erzherzog Joseph II. von Österreich in Hildburghau­ sen und berichtet, dass er mit Schweitzer Quartette von Franz Xaver Richter (1709–1789) gespielt habe.205 Später wurde Schweitzer zur weiteren Ausbildung nach Bayreuth ge­ schickt, wo er bei dem Musikdirektor Jakob Friedrich Kleinknecht (1722– 1794) studierte und Gelegenheit hatte, die am Hof der Wilhelmine von Bay­ reuth (1709–1758) gepflegten Opern Hasses und Grauns zu erleben. Nach seiner Rückkehr schickte ihn sein Dienstherr zum Abschluss sei­ ner Ausbildung 1765 sogar nach Italien. In Venedig traf er einen anderen Deutschen auf Italienreise, Georg Benda, mit dem es später in Gotha erneut zum Zusammentreffen kommen sollte, und konnte Werke von Galuppi und Pietro Alessandro Guglielmi (1728–1804) sowie möglicherweise von Traetta hören.206 Doch er studierte auch ältere italienische Kirchenmusik, wie die von seiner Reise mitgebrachte Abschrift eines Giovanni Pietro Aloisio Sante da Palestrina (1515–1594) Psalms von seiner Hand207 beweist. 203 Bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts hat Julius Maurer (1912) die überlieferten Fak­ ten ab ove in einer etwas ausführlicheren und recht gut zugänglichen Darstellung von Anton Schweitzers Leben und Werken zusammengetragen, weshalb hier die für den Zusammenhang dieser Studie relevanten Eckdaten seiner Biographie genügen können. 204 Böttiger (1998), S. 240. 205 Dittersdorf berichtet, sie hätten „sechs neue Richtersche [Franz Xaver Richer, 1709–1789] Quartetts“ zusammen gespielt. Karl Ditters von Dittersdorf, Lebensbeschreibungen. Seinem Sohne in die Feder diktiert. Neue vollständige Ausgabe, Eugen Schmitz (Hg.). Regensburg 1940, S. 95. Die Quelle wurde von der Musikwissenschaft lange angezweifelt, wird neuerdings aber wieder als zuverlässig eingestuft. 206 Vgl. Maurer (1912), S. 11. 207 Im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, ms. 16776/1.

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Der Herzog hatte allerdings kaum Gelegenheit, sich an dem so sorgsam ausgebildeten „Cammercomponisten“ zu freuen. Bereits 1769 musste er die Kapelle aus Finanznot auflösen und Schweitzer trat, immerhin ausgestattet mit dem Titel eines Herzoglich Hildburghausischen Kapellmeisters, der neu gegründeten Schauspieltruppe Seylers als Kapellmeister bei. Seyler hatte als Geschäftsmann das Hamburger Nationaltheater unterstützt und war nach dessen Scheitern und seinem persönlichen finanziellen Ruin selbst zum Prin­ zipal geworden, an der Seite der glühend verehrten Schauspielerin Sophie Friederike Hensel (1738–1789), die er 1772 heiratete.208 Bereits im Vorfeld seiner Tätigkeit für die Truppe hatte Schweitzer die komische Oper Walmir und Gertraud des von Lessing als Dichter und Drama­ turgen zur Truppe gebrachten Johann Benjamin Michaelis (1746–1772) in Musik gesetzt, allerdings ohne die Fähigkeiten der Sänger im Einzelnen zu kennen und diese so kolossal überschätzt, dass das Stück kein Erfolg wurde und Schweitzers Musik bis auf zwei Lieder verschollen ist.209 Doch in den folgenden drei Jahren sammelte Schweitzer mit der in Norddeutschland zwi­ schen Hannover, Lüneburg, Celle und bis nach Hamburg und Lübeck um­ herziehenden Truppe umfassende Erfahrungen in der jungen Gattung des Norddeutschen Singspiels.210 Zum Repertoire der Truppe gehörten ebenfalls die frühen Singspiele Weißes und Hillers Der Teufel ist los (1766), Die verwandel­ ten Weiber (1766), Lottchen am Hofe (1767) und Die Liebe auf dem Lande (1768). Schweitzer selbst komponierte Weisses Der lustige Schuster (1766) neu.211 Den Hamburger Unterhaltungen zufolge war Schweitzers Musik dabei „ganz in Pic­ cinni’schem Geschmack, aber mit mehr Richtigkeit des Satzes [!], nur für den Geist des Stückes um zwey Stufen zu hoch“.212 Schweitzer wollte sich offenkundig weder vom bis dahin üblichen musi­ kalischen Niveau des Norddeutschen Singspiels noch von den geringen ge­ sanglichen Fähigkeiten der Truppe aufhalten lassen. Er suchte nach neuen Mitgliedern und schrieb ihnen – wie der 1770 gerade erst auf seine Vermitt­ lung hin zur Truppe gestoßenen Franziska Romana Koch (1748–1796), mit der Arie „So leise schlug mit ihrem Flügel die Nachtigall“ in Elysium nach einem Text Johann Georg Jacobis und der nach Bauman ersten Behandlung eines antiken Sujets im Norddeutschen Singspiel213 (also mit gesprochenen Dialogen) – höchst fordernde Musik, in der Hoffnung, dass sie sich nach die­ 208 Und die 1788 mit Hüon und Amanda die erste und einflussreiche Librettofassung von Wielands Oberon verfassen sollte. 209 Vgl. MGG² Bd. 15, Sp. 434. 210 Vgl. dazu auch die umfassende Darstellung Baumans (1977), S. 141–159. 211 Vgl. Bauman (1985), S. 92. 212 Zit. nach Maurer (1912), S. 16. 213 Vgl. Bauman (1977), S. 291. Vgl. ferner: Gabriele Busch Salmen: „Ein Singspiel, das der Tra­ gödie der Alten […] näher kommt“. Christoph Martin Wielands Alceste. In: Das Spiel mit der



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ser Decke strecken und wachsen möchten. Das Konzept scheint aufgegangen zu sein, denn seine für Hannover entstandene Vertonung der Kantate erzielte nicht nur durch die Seyler’sche Truppe zahlreiche Aufführungen – was vor allem an den deutlich über Hiller hinausgehenden musikalischen Qualitäten lag, die Schweitzer nur realisieren konnte, weil er in Hannover Zugriff auf In­ strumentalisten der dortigen Hofkapelle hatte214 – sondern wurde auch an an­ deren Orten nachgespielt215 und erschien 1774 überdies als Klavierauszug216. Mit Herkules auf dem Oeta, abermals nach einem Text von Michaelis, komponierte Schweitzer nach den Kleinformen Johann Georg Jacobis das erste regelrechte Singspiel mit gesprochenem Dialog nach einem antiken Sujet und war somit bestens vorbereitet auf Wielands Wunsch nach einem deutschen Singspiel nach der Art der Alten. Auch wenn die Seyler’sche Truppe beständig mit finanziellen Schwierig­ keiten zu kämpfen hatte, galt sie um 1771 als eine der besten Schauspieltrup­ pen für das gesprochene wie gesungene Repertoire – und Letzteres war vor allem Schweitzers Verdienst. Im Mai reiste Anna Amalia mit ihren beiden Söhnen nach Braunschweig und hörte dort nur Gutes, insbesondere über Schweitzers Elysium-Vertonung. Da die Koch’sche Truppe Weimar Anfang 1771 verlassen hatte, weil sie sich woanders bessere Verdienstmöglichkeiten erhoffte, lud Anna Amalia im September desselben Jahres die Seyler’sche Truppe ein, das Weimarer Theater als stehende Truppe zu bespielen.217 Bau­ man nennt die Konditionen dafür „a theatrical utopia“218, da der Hof für die Kostüme aufkam, nur drei Vorstellungen die Woche forderte und dafür so gut bezahlte, dass die Truppe keine weiteren Auftritte mehr absolvieren musste. Bereits die Mitglieder der Koch’schen Truppe waren von der Herzo­ gin zuvorkommend behandelt worden.219 Offenbar auch als Reflex auf das

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Antike. Zwischen Antikensehnsucht und Alltagsrealität. Festschrift zum 85. Geburtstag von Rupprecht Düll. Siegrid Düll, Otto Neumeier, Gerhard Zecha (Hg.). Möhnsee 2000, S. 111. Vgl. Bauman (1985), S. 96. Vgl. Maurer (1912), S. 15. Gedruckt in Königsberg. Vgl. MGG² Bd. 15, Sp. 434. Wieland setzt sich in Briefen immer wieder für Seyler und dessen Truppe ein (u.  a. gegenüber Graf Görtz am 13. 9. 1772, WBr Bd. IV, S. 629). Auch wenn er sich später auch vereinzelt kritisch über Seyler und seine Frau äußerte – besonders im Kontext der Leipziger Auffüh­ rungen der Alceste gegenüber Steinauer (vgl. WBr Bd. IV, S. 297–299) – scheint das Verhältnis insgesamt gut und – wie ein Brief Seylers vom 14. 10. 1771 belegt – zeitweise herzlich gewe­ sen zu sein. Insgesamt überwiegen bei weitem die unterstützenden Äußerungen und Wieland wird nicht müde, Seyler nach dessen Weggang aus Weimar zu empfehlen. „Hompesch hat herrlich wohl gethan, daß er die Seilerische Truppe engagirt hat.“. An Jacobi am 17. 1. 1777, WBr Bd. 5, S. 589. Baumann (1985), S. 97. Die Quelle zum Umgang der Herzogin mit den Schauspielern der Koch’schen Truppe findet sich bei Wilhelm Bode: der Weimarer Musenhof. Berlin 1925, S.  87; Vgl. ferner Bauman (1977), S. 305.

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Betragen der Herzogin bildete sich nun um die Seyler’sche Truppe ein wahrer Theaterzirkel,220 der ihre Mitglieder fest ins Gesellschaftsleben integrierte, re­ spektvoll behandelte, ihnen Zugang zu den besten Familien verschaffte und als bürgerlich-höfischer intellektueller Zirkel zum Repertoire des Theaters beitrug.221 Ihren musikalischen Einstand gab die Truppe mit der singspielerfahre­ nen Hofkapelle unter Wolfs Leitung wenige Wochen nach ihrem Eintreffen zum Geburtstag der Herzogin am 24. Oktober 1771 mit Die drei Stufen des menschlichen Alters, einem Vorspiel von Musäus, in dem nicht nur Schweitzer seine Kunst unter Beweis stellen musste, sondern mit ihm die ganze Truppe. Zu den neuen Anforderungen gehörte auch das Ballett. In diesem Kontext ist auch das Ballett Idris und Zenide zu sehen, die erste Zusammenarbeit zwi­ schen Wieland und Schweitzer im Sommer 1772.222 Wieland hatte Schweitzer bereits bei seinen von Erfurt aus unternom­ menen Besuchen in Weimar kennengelernt,223 also möglicherweise schon im November 1771, spätestens im März 1772.224 Auf einer der Rück­ fahrten und nachdem er zu einer Arbeitsprobe aufgefordert worden war, will Wieland den Plan zu Aurora verfasst haben, „worin ich der Herzo­ gin die süssesten Dinge sagen durfte […] ich mag es nicht leugnen, [dass ich] der schönen, damals 34jährigen Regentin mit vollem Enthusiasmus huldigte“225. Die späteren Niederschriften Böttigers zeichnen ein ambivalentes Bild bezüglich des Verhältnisses von Schweitzer zur Herzogin. Wieland berichtet darin, Wolf, der sich der Protektion der Herzogin erfreute und noch mehr seine Frau Caroline, die als ehemalige Kammerfrau der Herzogin noch im­ mer deren geneigtes Ohr hatte, die Tochter des Komponisten Franz Benda (1709–1786) und älteren Bruder des in Gotha ansässigen Georg Benda, mit dem Schweitzer ab 1775 in Konkurrenz treten sollte, hätten heftig gegen Schweitzer intrigiert und es endlich so weit gebracht, dass Anna Amalia Schweitzer „hasste“. Kaum verwunderlich, dass Wolf sich durch den neuen, ihm an Weltläufigkeit, Erfahrung und Ausbildung weit überlegenen Schweit­ zer unter Druck gesetzt fühlte. Obgleich Anna Amalia von Aurora begeis­ tert war, versuchte sie Wieland dazu zu überreden, die Alceste mit Wolf zu 220 Vgl. Böttiger (1998), S. 300. 221 Vgl. Bauman (1977), S. 307. 222 Vgl. Gabriele Busch-Salmen: „Poesie, Musik und Akzion …“ (Chr. M. Wieland) – Sing- und Sprechtheater. In: Der Weimarer Musenhof: Dichtung, Musik und Tanz, Gartenkunst, Ge­ selligkeit, Malerei. Gabriele Busch-Salmen, Walter Salmen, Christoph Michel (Hg.). Stuttgart und Weimar 1998, S. 144–146. 223 So gegenüber Böttiger am 28. November 1798, Böttiger (1998), S. 240. 224 Vgl. Starnes (1987). Bd. 1, S. 414 und S. 421. 225 Böttiger (1998), S. 240.



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realisieren,226 und nahm ihm angeblich auch übel, dass er ihrem Vorschlag nicht folgte.227 Andererseits genossen beide offenbar dann doch die volle Unterstützung des Hofes, so dass sich die genauen Verschiebungen inner­ halb des Kräfteverhältnisses in den Jahren 1772 bis 1774 nicht mehr genau bestimmen lassen. Sicherlich liegt aber hierin der Grund, warum Schweitzers spätere Gesuche um eine Stelle in Weimar, für die der Komponist zweifellos die besten Voraussetzungen bot, ergebnislos blieben. Nach dem Brand des Schlosses am 6. Mai 1774, dem auch das Theater zum Opfer fiel, hatte die Herzogin in Weimar keine Verwendung mehr für die Seyler’sche Schauspiel-Truppe, die jedoch bei Herzog Ernst II. in Gotha (1745–1804) zu vergleichbaren Bedingungen unterkommen konnte. Schweit­ zer traf dort auf eine ähnlich intrikate Situation wie in Weimar, nun zentriert um die Person des Hofkapellmeisters und Onkels von Caroline Wolf, Georg Benda. Schweitzer richtete während der ersten Zeit vornehmlich französi­ sche Opéras comiques ein,228 hatte dem Brief an Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) vom 27. Februar 1775 zufolge aber auch die gesamte Palette der überlieferten wie der nur geplanten Libretti Wielands auf seiner Arbeitsliste. Solten mich vollends gar die Söhne des Musengottes [229] verlassen wollen – dan, will ich an einen Fluß gehen – Nein – dann will ich Schulmeister, ja, Schulmeister­ lein, ein armes Dorfschulmeisterlein will ich werden. Unter die Noten, die ich zu Ihren mir sonst anvertrauten Arien setzte, will ich uralte geistliche Arien = Texte unterlegen – In meiner Schulstube will ich Concert geben, denen Dirnen Alceste, Aurora, den Gesang des Apollo etc. vorsingen – doch; will ich noch vors erste der Polyxena das Gewand umthun, welches Sie mir, Liebster Bertuch, vorgezeichnet haben. Dan-  – wenn Sie noch so etwas – doch – Midas – Cleopatra – Rosemunde etc. Ach! Ich habe doch noch viel zu machen, ehe ich Schulmeister werden kann.230

Mit Polyxena arbeitete Schweitzer 1775 abermals an einem Melodrama, al­ lerdings in Fortsetzung der gemeinsam mit Wieland erschlossenen Form in Rezitativen. Formal handelte es sich also um eine große Solokantate231. Dennoch oder vielleicht gerade wegen des formalen, die musikalische Qua­ lität steigernden Alternativvorschlags stand er damit in direkter Konkurrenz zu den Melodramen Bendas, dessen Ariadne auf Naxos, am 27. Januar 1775

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Böttiger (1998), S. 241. Ebenda, S. 276. So sein Brief an Bertuch vom 16. 3. 1776. Vgl. Maurer (1912), S. 75–76. Wielands gern verwendete Umschreibung für „Dichter“, die Schweitzer hier aus der Alceste zitiert. 230 Zit. nach Maurer (1912), S. 71–72. 231 So Maurers Bezeichnung, vgl. ebenda, S. 45.

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in Gotha uraufgeführt wurde. Offenbar stiegen auch hier die Spannungen. Benda fühlte sich gegenüber Schweitzer, mit dem er während beider Ve­ nedigaufenthalt so etwas wie befreundet gewesen war, zurückgesetzt und nach Überlieferung seines naturgemäß jedoch etwas parteiischen Biographen Friedrich von Schlichtegroll232 auch von ihm grob behandelt. Schweitzer war nach dem jüngsten Erfolg der Alceste in Mannheim233 und der von dort be­ auftragten Rosamunde zweifellos der berühmtere von beiden, und das mag den seit 28 Jahren in Gothaer Diensten stehenden Benda am meisten ge­ kränkt haben. Er bat 1776 um seine Entlassung, erhielt sie, und Schweitzer ersuchte daraufhin um Bendas Stelle. Nachdem mehrere Gesuche um eine Anstellung in Weimar (vermutlich an Wolf) gescheitert waren, nahm er das eigentlich nicht seinem Können entsprechende Angebot des Gothaer Hofes schließlich an. Parallel dazu begannen die Querelen um Rosamunde in Mannheim, in deren Verlauf Wieland rasch die Lust verlor und schließlich das Libretto vollständig umgestaltet werden musste. Doch schien Ende 1777 die Premiere endlich zustande zu kommen und Schweitzer reiste nach Mannheim, um die Proben zu begleiten. Dort traf er auf den jungen Mozart, dessen Chöre zu Thamos von Ägypten Wieland ihm bereits 1774 zur Beurteilung vorgelegt hatte.234 Mozarts erste briefliche Äußerungen zeichnen zunächst ein sympa­ thisches Bild von Schweitzer und seiner neuen Oper: H: kaplm: schweizer ist ein guter, brafer, ehrlicher Mann. Trocken, und glatt wie unser , nur das die sprache feiner ist. in der zukünftigen opera sind sehr schöne sachen, und ich zweifle gar nicht das sie gewis reusirn wird. die alceste hat sehr gefallen, und ist doch halb nicht so schön, wie die Rosemunde. freylich hat das viell beygetragen, weil es daß erste teütsche singspiell war.235

Helen Geyer konnte nachweisen,236 dass Mozart noch 10 bzw. 20 Jahre spä­ ter musikalisches Material aus Alceste, vor allem aber aus Rosamunde in seine

232 Vgl. Maurer 1912, S. 31, nach Friedrich von Schlichtegroll: Nekrolog auf das Jahr 1795. Go­ tha 1795, S. 301 und S. 305. 233 Krämer sieht auch den 1775 erschienenen Versuch über das Teutsche Singspiel im Kontext der Mannheimer „Nationaltheater-Debatten“. Allerdings deuten die Skizzen im Handbuch von 1774 meiner Ansicht nach eher auf eine davon unabhängige konstante Weiterentwicklung der in den Briefen an einen Freund … und der Abhandlung über die Älteren Alcesten begonnen systematischen Überlegungen. 234 Vgl. WBr Bd. 5, S. 353. Vgl. Laurenz Lütteken: „– es müsste blos der Musick wegen aufge­ führt werden“. Text und Kontext in Mozarts Thamos-Melodrama. In: Mozart und Mannheim (1991/1994), S. 179. 235 Brief vom 3. 12. 1777. In: Mozart, Briefe und Aufzeichnungen. (1963), Bd. II, S. 161. 236 „Die Phantasie ist izt die würksamste Kraft der Seele“. In: Ständige Konferenz mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen Anhalt und Thüringen. Bd. 2001 (2002), S. 50.



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Opern Idomeneo (1781) und Die Zauberflöte (1791) übernahm.237 Entsprechend ist seine kurze Zeit später gewandelte Einschätzung zu Rosamunde238 – die von der Forschung leider lange Zeit als alleingültiges Urteil betrachtet wurde und als Grund genug, sich mit Schweitzers Musik nicht weiter zu befassen – unter Vorbehalten zu betrachten.239 Tatsächlich wurden sie nicht nur durch grund­ sätzliche Differenzen in beider Vorstellungen vom Musiktheater, sondern auch durch äußere Umstände hervorgerufen. Als Wieland Mitte Dezember 1777 in Mannheim ankam, sah Mozart der Begegnung mit ihm schon ungeduldig entgegen. Wieland war zweifellos der berühmteste deutsche Dichter, den der literarisch versierte Mozart je getroffen hat. Mozart hatte hochgespannte Erwartungen: Er hoffte auf ein Libretto von Wieland, zumindest aber auf Fürsprache beim Mannheimer Kurfürsten Carl Theodor (1724–1799) für eine Anstellung. Hinzu kam, dass seit Wielands Freistellung als Prinzenerzieher 1775 in Wien Gerüchte kur­ sierten, Wieland könnte nach Wien übersiedeln. Im Kontext der aktuellen Bestrebungen Joseph II. um eine deutsche Nationaloper und die dabei zu vergebende Kapellmeisterstelle ging ab 1778 buchstäblich das große Hauen und Stechen jener Komponisten gegeneinander los, die sich als Anwärter auf diesen Posten verstanden. Eine Oper nach einem Libretto des Erfinders der deutschen Oper wäre für Mozart ein unschätzbarer Vorteil gewesen.240 Anfang 1778 setzte Mozart über seinen Vater alles daran, besagte Ka­ pellmeisterstelle zu erhalten.241 Georg Benda hatte sich bereits offiziell d­ arauf beworben242 und Schweitzer hatte dank der 1775 durch die Mannheimer Auf­ führungen zum Namenstag Carl Theodors buchstäblich geadelte Alceste einige Aussicht auf den begehrten Posten, die durch Wielands Empfehlung an den Schauspieler Johann Heinrich Friedrich Müller (1738–1815), der in sei­ ner Funktion als Spielleiter des deutschen Nationaltheaters in Wien auf sei­ ner Erkundungsreise nach Mannheim in Weimar bei Wieland Station machte und sich eine ausführliche Beratung in Sachen deutsches Singspiel abholte: Zur Komposition rathe ich Ihnen unsern braven Schweitzer, der meine Alceste meisterhaft gesetzt hat. Er ist ein vortrefflicher Kompositor, versauert aber in den hiesigen Gegenden. Den sollte ihr Kaiser nach Wien berufen. Ich erwiederte: wir 237 Was allerdings insofern keine Besonderheit ist, da Mozart überall seine Anregungen bezog, die er in seinem gleichsam photographischen Musikgedächtnis über Jahre ablegen konnte. 238 Wie seine Mutter berichtete. Maria Anna Mozart an L. Mozart, 18. Dezember 1777, Briefe und Aufzeichnungen (1962), Bd. II, S. 196. 239 Vgl. dazu auch das Kapitel zur Rezeption (4.12). 240 Immerhin sorgte Wielands Empfehlung gegenüber Goethe dafür, dass Weimar einer der ers­ ten Orte in Deutschland wurde, an dem Mozarts Opern systematisch aufgeführt wurden. 241 Brief an den Vater, 11.  Januar 1778. Mozart: Briefe und Aufzeichnungen (1962), Bd.  II, S. 222. 242 Vgl. Maurer (1912), S. 30.

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Die Königin kehrt zurück hätten hier geschickte Männer, deren Werke nicht allein in Deutschland berühmt wären […] sondern auch in Paris und London ausgezeichneten Beyfall erhielten, nannte Gluck, Hayden, Salieri und Andere. – O ja, fiel er ein, das sind große Meister! doch zum deutschen Gesange wählte ich Schweitzern, dieser Mann versteht unsere Sprache.243

In jedem Fall war der singspielerfahrene und mit seiner Musik beim Publi­ kum ausgesprochen beliebte Schweitzer,244 dessen Alceste im gesamten deut­ schen Sprachraum in hoher Frequenz gespielt wurde, für Mozart wie für Benda und Reichardt ein gefährlicher direkter Konkurrent, was Mozart wohl in Mannheim erst langsam bewusst wurde und sich in den zunehmend dis­ tanzierten Briefen niederschlug. Die Premiere der Rosamunde wurde schließlich aus Gründen der Staats­ trauer (nach dem Tod Maximilians III. Joseph von Bayern [geb. 1727] am 30. Dezember 1777) nochmals verschoben und fand erst am 20. Januar 1780 unter Leitung von Ignatz Holzbauer (1711–1783) statt. Rosamunde hatte für Schweitzer vor allem eine fatale Folge: Wieland war ohnehin durch die Mannheimer Kabale245 gründlich von seiner Liebe zur Oper ernüchtert. Hatte er bislang alle Kritik an Schweitzer im Kontext der Alceste ignoriert,246 zeigte er sich nun doch durch Holzbauers Ablehnung der Musik zu Rosamunde hochgradig verwundert. Am 23. Februar 1780 fragte er bei Wolfgang Heribert von Dalberg (1750–1806) deshalb nach: Ich wünschte daher gar sehr, näher belehrt zu werden, welches dann eigentlich die stellen sind, wo „sich Hr. Schweizer durch deutsche Vor ur theile zu unsing ­ b a r e n , ü ber triebnen, pur har monischen Sätz en, verleiten läßt, und dadurch hin und wieder barok u: unver-st ändl ich wird […]“ Alles dies sind e i g n e Ausdrücke des Hrn. Holzbauers. […] dem Hrn. Schweizer dessen Emp­ findlichkeit ich kenne, werde ich mich wohl hüten, das mindeste davon merken zu lasen. Da mir mein eignes g efühl bisher eine Art von Par teylichkeit gegen Schweizers Composition meiner Singstücke gegeben hat247

Leider traute Wieland wenigstens vorübergehend dem eigenen Gefühl weni­ ger als dem fremden Urteil und dies befremdlicherweise, obgleich Holzbauer der Komponist des Günther von Schwarzburg (1777) war, dem direkten Kon­ 243 Aus Müllers Aufzeichnungen. Zit. nach: Starnes Bd. I (1987), S. 601. 244 Vgl. dazu die ausführlichere Darstellung zur Rezeption der Alceste in Kapitel vier (4.12). Vgl. ferner Stüber (1997) 245 Vgl. ausführlich Kapitel sechs und Stüber, (1997), S. 583–603. 246 Was ihm auch deshalb leicht gefallen sein dürfte, da sich diese Kritik zumeist, wie im Falle von Kraus 1778 (!) anonym erschienener Rezension des Particelldrucks auch auf sein Libretto bezog bzw. von Komponisten im Konkurrenzkampf instrumentalisiert wurde. Vgl. dazu aus­ führlich zur Rezeption der Alceste (4.12). 247 WBr Bd. 7.1, S. 264.



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kurrenzprodukt zu Wieland und Schweitzers Opern. Dass auch Holzbauer gegenüber Schweitzer nicht frei von Konkurrenzneid sein musste und über­ dies eine andere Ästhetik der deutschen Oper vertrat, musste Wieland also eigentlich einberechnen. Wie Stüber dargestellt hat, gibt es aber eine viel ein­ leuchtendere Erklärung dafür, dass für Holzbauer manches so schräg klang, als sei Schweitzer bei der Komposition „betrunken“248 gewesen: Der betagte Musiker war dabei, sein Gehör zu verlieren.249 Wieland ahnte davon nichts und ließ sich von Holzbauers Urteil in seiner Einschätzung Schweitzers so nachhaltig beeinflussen, dass er nach 1780 keine Libretti mehr schrieb. Eine andere Erklärung gibt es für diesen abrupten Abbruch nicht. Einen besseren Komponisten als Schweitzer sah er offenbar nicht in seiner Reichweite, denn von Wolf hielt er sowohl in künstlerischer wie in menschlicher Hinsicht nicht viel, auch wenn dieser später eine nicht weiter erfolgreiche Vertonung der Alceste anfertigte.250 Nachdem Herzog Ernst II. 1799 das Hoftheater aufgelöst und Schweitzer lediglich als Leiter der Hofkapelle mit einer Pension von 400 Reichstalern be­ halten hatte, saß dieser die letzten Jahre seines Lebens in Gotha wie ein Fisch auf dem Trockenen. Benda giftete aus der Ferne: „Für die Arbeit, die man jetzt hier von einem Kapellmeister fordert, ist mein Nachfolger Schweitzer recht gut, denn er hat nichts zu tun und tut auch nichts.“251 Was hätte er auch tun sollen? Das Mannheimer Theater samt Orchester war 1780 mit dem Hof nach München gezogen, das eigene aufgelöst und Wolf in Wei­ mar hätte sich eher die Hände abschlagen lassen als ein neues Stück von Schweitzer zu dirigieren. Im Gegenteil: Am 6. September 1779 (also einen Tag nach Wielands Geburtstag) wurde in Weimar unter dem Titel Orpheus und Eurydice eine Alceste-Parodie aus der Feder Einsiedels mit der Musik Karl Friedrich Sigismund von Seckendorffs (1744–1785) aufgeführt, bei der erst in einem Vorspiel der Dichter Einsiedel den lächerlichen Wieland gab und anschließend Euridice/Alceste (dargestellt von Anna Amalia höchstselbst) in ihrer „Weine nicht“-Arie mit dem Posthorn begleitet wurde. Die Parodie ist zwar, wie auch etwa Goethes Jahrmarktsfest zu Plundersweilern (1773/1778), im Kontext der oftmals rauen höfischen Parodie- und Stegreifkultur zu sehen und insofern nicht außergewöhnlich,252 bedenkt man jedoch die beschrie­ benen Umstände, erscheint auch Wielands alle höflichen Verhaltensweisen 248 So Johann Jacob Wilhelm Heinse (1746–1803) im Bericht eines Besuchs bei Holzbauer. Vgl. Maurer (1912), S. 30. 249 Vgl. Stüber (1997), S. 599. 250 1780 oder 1786. Vgl. Krämer (1998), Bd. 2, S. 861. 251 Zit. nach Maurer (1912), S. 34. 252 Vgl. Gabriele Busch-Salmen: „Poesie, Musik und Akzion …“ (1998), S. 145.

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missachtende verletzte Reaktion in neuem Licht.253 Ob die Parodie vor allem gegen Wieland gemünzt war, wie die meisten Interpreten mit Busch-Salmen annehmen,254 oder wie Maurer betont, sich primär gegen Schweitzer richte­ te,255 ist unbedeutend. Sie traf beide. Wieland, welcher sich unter den Zuschauern befand, schrie, nachdem er lange ge­ nug seinen Unwillen bei dem Akkompagnement der rührendsten Aria mit dem Posthorn zurückgehalten hatte, endlich laut auf und war so aufgeregt, daß er Schmähworte aussprach und den Saal verließ, während die anwesenden Herrschaf­ ten lachten256

Schweitzer starb am 23. November 1787 nach kurzer Krankheit. Da er keine Nachkommen hatte und zeitlebens unverheiratet blieb, kümmerte sich nie­ mand um die Sicherung seines Werkes.257 Am Ende seines Lebens wohnte er bei einem Bäcker zur Miete und seine Musikalien, darunter gewiss zahlreiche Originalpartituren, lagerten in großen Körben auf dem Dachboden.258 Der Bäcker verwendete sie nach und nach zum Ofenanheizen.259 Tatsächlich galten die Schweitzer’schen Autographe in der Forschung bisher als verloren und alle überlieferten Manuskripte als Abschriften, obgleich bereits Maurer das einzige überlieferte Exemplar der 253 Bericht Karl Wilhelm Friedrich von Lynckers. Vgl. Starnes (1987), Bd. I, S. 664. Vgl. ferner: Gabriele Busch-Salmen: „Poesie, Musik und Akzion …“ (1998), S. 149. 254 Vgl. dies. (2000), S. 116. Busch-Salmen weist auch auf verschiedene Parodien durch Puppen­ spiele und Volkstheater hin. Ebenda. 255 Maurer (1912), S. 24. 256 Lynckers, zit. nach Starnes (1987), Bd. I, S. 664. 257 Wenigstens eine Fußnote ist die Frage wert, ob Schweitzer homosexuell war. Dafür spräche neben dem Fehlen dokumentierter Frauenbeziehungen vor allem die ausgesprochen diffe­ renzierte Gestaltung der Admetfigur, mit der Schweitzer den bereits in der Textvorlage un­ gewöhnlich sympathischen Admet z.  B. über melodramatische Passagen konsequent weiter vom zeittypischen machismo entfernt hatte. Die ablehnende Reaktion der (heterosexuellen) Zeitgenossen von Goethe bis Reichardt auf genau diese Merkmale ist bekannt. 258 Bereits 1977 hat Bauman darauf hingewiesen, dass die in der Musikgeschichte tradierten, angeblich über 40 verschollenen Ballettmusiken wahrscheinlich nicht von Schweitzer stamm­ ten. Bauman identifizierte unter der Eckhof ’schen Zuschreibung „Sch.“ nicht Schweitzer sondern den Ballettmeister der Truppe, Carl Schultz, sowie eine Reihe von Werken, die zum Standardrepertoire wandernder Truppen gehörten. Er plädiert dafür, sie bis auf Idris und Zenide und die in den Singspielen integrierten Ballettmusiken von der Werkliste zu streichen. Für Baumans These sprechen vor allem zwei weitere Indizien: Die in Rosamunde eingelegten Ballette delegierte Schweitzer als Arbeiten von niederem Rang dankbar an den Mannheimer Komponisten Christian Cannabich (vgl. Stüber, [1997], S. 603). Ferner könnte der Umstand, dass Wieland Ballette in den Abhandlungen zu Alceste ausschließt auch darauf deuten, dass sein musikalischer Kollaborateur keine besondere Neigung dazu hatte. In jedem Falle ist die noch in der Neuen MGG² vertretene Position „ein großer Teil der Arbeiten Schweitzers waren Ballettmusiken für Aufführungen am Hoftheater“ (MGG², Bd. 15 Sp. 433), nach der­ zeitigem Stand der Forschung wohl nicht haltbar. 259 So Wieland zu Böttiger im März 1801. Vgl. Böttiger (1998), S. 276.



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Aurora-Partitur260 entsprechend einem Vermerk auf dem Vorsatzblatt als Au­ tograph einstuft.261 Erst 1797 bemühte sich Wieland darum, aus Mannheim die Partitur der Rosamunde für eine Überarbeitung und Aufführung in Weimar zu bekom­ men.262 Das dortige Exemplar war nicht auffindbar und Wieland musste annehmen, dass es „beim letzten Bombardement von Mannheim 1794 mit verbrannte“.263 Am 28. Februar 1803 wurde Wieland durch Herzog Carl August (1757– 1828) jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass Johann Andreas Genßler (1748–1831), „ein gewißer Hofprediger zu Hildburghausen“, die „eintzige jezt noch existirende partitur der Rosamunde von Schweitzer“ besitze und „sie gewiß her geben würde, wenn Euer Wohlgeboren sich entschlößen ein Schreiben an ihn deßwegen ergehn zu laßen“.264 Ob der Theologe und His­ toriker Genßler Schweitzer noch persönlich aus der Zeit in Hildburghausen kannte, oder die Partitur aus lokalem Interesse besorgt hatte, ist nicht zu klären. Ein entsprechendes Schreiben Wielands an ihn ist zwar nicht überlie­ fert, doch vermerkt Wielands Haushaltsbuch unter dem 4. August 1803 die Ausgabe von 17 Reichstalern und 5 Groschen: „Dem jungen Zahn für eine Copie der Partitur von Schweitzers Rosamunde, betragend 8 Buch 14½ Bo­ gen à 2 gute groschen“.265 Für eine Aufführung in Weimar war es offenbar zu spät, doch befand sich die Abschrift noch bei Wielands Tod in seiner Biblio­ thek und wurde bei deren Versteigerung gemeinsam mit Wielands Exemplar des Particelldrucks der Alceste von seinem Sohn Karl Friedrich (1778–1856) erworben,266 aus dem Wieland bei einem von Böttiger aufgezeichneten Be­ such „nach Tische“ eine Passage am Klavier gespielt hatte.267 Auf welchen Pfaden vermutlich diese Abschrift der Rosamunde268 nach Berlin gekommen ist, lässt sich nicht mehr klären. Sie ist Grundlage der vor­ liegenden modernen Edition Stübers.269 Im Zuge der Recherchen für die 260 Aufbewahrt in der Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Sig. III.15.29. 261 Maurer (1912), S. 43. Eine Briefstelle Schweitzers an Bertuch im Kontext der Polyxena „ich muß erst eine saubere Copie davon machen lassen“ deutet darauf hin, dass Schweitzer seine Autographen behielt und dass er sie nicht selbst abschrieb. Ebenda, S. 73. 262 Vgl. Starnes (1987), Bd. II, S. 596. 263 Böttiger (1998), S. 242. 264 WBr Bd. 16.1, Nr. 116. 265 Ebenda, Anhang 1, S. 531. 266 Vgl. Friedrich Justin Bertuch: Verzeichniß der Bibliothek des verewigten Herrn Hofraths Wieland: welche ... 1815 ... öffentlich versteigert werden soll / [mit einer Vorrede von] F. J. Bertuch. Weimar 1814. 267 Vgl. Böttiger (1998), S. 241. 268 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Sig. Mus. Ms. 20547, mit eigentümlich symmetrisch gebogenen Notenlinien. 269 Vgl. Stüber (1997), S. 603.

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Schwetzinger Wiederaufführung im Jahr 2012 entdeckte Pelker jedoch unter den Musikalien des Weimarer Hofmarschallamtes Anton Schweitzers (frag­ mentarische) Kompositionspartitur,270 auf deren Basis die Stüber’sche Edi­ tion überarbeitet werden und überdies mittels Schriftenvergleich auch Aurora zweifelsfrei als Autograph identifiziert werden konnte.271 Schweitzer wird von der Mehrheit der Zeitgenossen als der umgängliche und liebenswürdige Mensch beschrieben, der auch aus den wenigen Brie­ fen spricht. Das zweite hervorstechende Merkmal scheint eine gewisse Be­ quemlichkeit gewesen zu sein. Für den intrigenreichen Kampf um gute Ka­ pellmeisterstellen war er offenbar sowohl zu weich als auch zu faul. Hinzu kommt, dass ihm die familiären Beziehungsgeflechte der Bendas, Bachs oder Mozarts fehlten. Wielands Empfehlungen konnten diese nicht ersetzen, zu­ mal er sie nicht ehrgeizig nutzte. Schließlich war er kein genialer Marketings­ tratege in eigener Sache wie etwa Gluck, beteiligte sich nicht an Fehden noch verteidigte er sich scharfzüngig gegen die Angriffe von Kraus und Reichardt, wozu er durchaus in der Lage gewesen wäre und was auch aus literarischer Sicht bedauerlich ist. Unter den Zeitgenossen und unmittelbaren Nachfolgern waren einige, die Schweitzer hoch schätzten, darunter Daniel Schubart (1739–1791), der ihm bescheinigte: „Er vereinigt tiefe Gründlichkeit mit ungemeiner Anmuth; ja sein Geist verräth in seinen Arbeiten einen gewissen Hang zur Größe, der seine Stücke vor vielen andern auszeichnet“.272 Gut möglich ist daher, dass einige der Schubart’schen Tonartencharakterisierungen direkt auf Al­ ceste gründen. Offenkundig hatte auch Wieland ein knappes Jahrzehnt nach Schweit­ zers Tod seine Meinung über dessen Kunst revidiert, denn das Mitte der 1790er Jahre für die Sämmtlichen Werke überarbeitete Lehrgedicht Der verklagte Amor (entst. ab 1771, Fragment publiziert 1772)273, verwandelt jene Klänge, an denen die Musen höchst persönlich sich laben (und auf die der Esel gerne verzichtet) aus „Herr Haydens[274] Symphonie’n/ Und Ritter Glucks gesan­

270 Vgl. die ausführliche Darstellung im Kapitel sechs zu Rosamunde (6.1). 271 Ausgehend von diesen beiden Quellen ist nun möglich, die zahlreich überlieferten zeitgenös­ sischen Manuskripte der Musikalien Schweitzers auf Autographe hin zu prüfen. 272 Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst. Mit Vorbemer­ kungen und Register zum Neudruck von Fritz und Margit Kaiser. Wien 1806/Repr. Hildes­ heim 1969, S. 110. 273 Vgl. Starnes (1987), Bd. I, S. 387. 274 „Haydns Symphonie“ findet sich in der Fassung für die Auserlesenen Gedichte von 1784 (B5) und in B6. In der Fragmentfassung von 1772 und im Teutschen Merkur 1774 heißt es „Jomellis Symphonie“. Vgl. Wielands Werke, Bd 10.1/1 (2009), S. 387, und Bd. 11.1 (2009), S. 581.



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ge“275 in: „Mozar ts Schwierigkeiten/ Und Schwe i z e r s Gesange“.276 Dies sollte Wielands abschließendes Urteil zur musikalischen Leistung seines ge­ liebten Schweitzer bleiben. Als Wieland 1797 vom Weimar nach Oßmannstedt zog, verkaufte er einen beträchtlichen Anteil seiner Bibliothek. Anders als Goethe betätigte er sich nicht bereits zu Lebzeiten als Sammler in eigener Sache, sondern betrachtete die Bibliothek als Arbeitsbibliothek, die vor allem die Texte enthalten sollte, die er für seine literarischen Arbeiten (und einige für seinen künftigen Land­ bau) benötigte. Offenbar fiel diesem oder einem späteren Aussortieren auch weitgehend die Literatur zur Oper zum Opfer. Zur Klärung der Frage, inwieweit Schweitzer und Wieland in ihren pro­ grammatischen Positionen zum Singspiel zur Deckung zu bringen sind und inwiefern Alceste diese bereits realisiert, sind von Schweitzer leider keine Selbstzeugnisse erhalten. Die beiden Briefe an Wieland277 beziehen sich auf Details der Arbeit an Rosamunde. Die Mehrzahl der insgesamt 15 überliefer­ ten Briefe278 Schweitzers sind an Bertuch gerichtet, dessen Polyxena (1775) als eine seiner letzten größeren Arbeiten für das Theater zu gelten hat. Aus ihnen spricht ein – für den Kapellmeister der Seyler’schen Truppe mit ihrem weit gefassten und teilweise hoch aktuellen Repertoire auch kaum verwunder­ lich – universell gebildeter, gleichwohl bescheidener und mit einem gerüttelt Maß geradezu Jean-Paul’schem Humor begabter Schreiber, der literarische 275 In: Wieland: Auserlesene Gedichte. Erster Band. Musarion. Olympia. Die erste Liebe. An Psyche. Ueber einen schlafenden Endymion. Der verklagte Amor. Der Mönch u. d. Nonne. Neue, verbesserte Ausgabe. Leipzig, in der Weidmannschen Buchhandlung. 1789, S.  144. Unbeschadet dessen hielt Wielands Hochachtung für Haydn natürlich an, wie sie sich in einem möglicherweise von Wieland stammenden Gedicht von 1801 ausspricht. An J. Haydn. Nach Aufführung seiner Kantate: Die Erschaffung der Welt. (Die Schöpfung) Wie strömt Dein wogender Gesang in unsere Herzen ein! – Wir sehen der Schöpfung mächt’gen Gang, den Hauch des Herrn auf dem Gewässer wehen, jetzt durch ein blitzend Wort das erste Licht entstehen, und die Gestirne sich durch ihre Bahnen drehen; [...] O jedes Hochgefühl, das in den Herzen schlief, ist wach! Wer rufet nicht: Wie schön ist diese Erde, und schöner, nun der Herr auch Dich ins Daseyn rief, auf daß sein Werk vollendet werde!“ Anonym erschienen in: Der neue Teutsche Merkur (1801), 1. Bd., S. 71–72. Zuschreibung an Wieland durch Starnes. In den Prolegommina nicht aufgeführt. 276 Sämmtliche Werke, Bd. 5, S. 157. 277 WBr Bd. 5, S. 654 und S. 665–666. 278 Die Mauer (1912) mitteilt.

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Anspielungen, süddeutsche Dialektbegriffe und Redensarten meisterlich und dicht verflicht. Offenbar häufig etwas klamm, drehen sich viele der Briefe um Geld oder die Bitte um Protektion bei dem Versuch, eine Stelle am Weimarer Hof zu bekommen. Der einzige Brief, der sich auf die Programmatik der Oper bezieht, ist an Dalberg in Mannheim gerichtet, der Schweitzer sein Singspiel Cora zur Komposition angetragen hatte.279 Die zentrale Position dieses Briefes ist, dass Schweitzer offenbar nicht mehr hinter die mit Wieland erschlossene Ästhetik zurückgehen und daher kein Singspiel mit gesproche­ nem Dialog mehr komponieren mochte:280 gesprochener Dialog – dürfte ich – und ich wage es zu hoffen: daß Ew. Excellenz Singspiel sein eigenthümliches Recht nicht vergeben werden, sondern es aus Recit: und Arien bestehen lassen. Ich würde mir, nach meinen schwachen Kräften, die möglichste Mühe geben, denen Vorwürfen, die man der Sing- und Klingerey zu machen pflegt, mit Hochdero Beyhülfe zu begegnen suchen. Wir würden vereint arbeiten, ich würde Ew. Excellenz Stück vor Stück zuschicken, wir würden uns behelligen – Keiner dem anderen Tort Thun – und solchergestalt, zweifle ich nicht, daß die Cora ein dauerhaftes Werk werden könnte.281

Bei aller zur Schau gestellten Unterwürfigkeit manifestiert sich hier doch das Selbstbewusstsein eines Komponisten, der nur mehr erarbeiten mag, was sei­ ner Ästhetik entspricht. Zudem beschreibt Schweitzer die gemeinsame Ar­ beitsweise, bei der Dichter und Komponist sich gegenseitig „behelligen“, also der Komponist bei der Arbeit am Libretto Stück um Stück Änderungswün­ sche formulieren kann und umgekehrt, natürlich in aller Freundlichkeit. Ge­ nau diese Arbeitsweise belegen die beiden Briefe des inzwischen in Gotha le­ benden Schweitzer an Wieland für den Kompositionsprozess der Rosamunde: Ich bedaure sehr, daß Sie aus der mir so gut gerathenen Arie: Wie ein Kind in Mut­ terarmen etc. ein Duett gemacht haben. [282] Doch, jeder hat seine Ursachen. Wenn Sie mir diese Arie lassen können, so verspreche ich Ihnen, das Duo im 3ten Act: Dir hingegeben etc. etc. recht süß zu componiren. Kommen Sie mir ja so viel als mögl. zu Hülfe. Die Zeit ist kurz, der Schreiberey zu viel.283

Wie die überlieferte Partitur zeigt,284 hörte Wieland auf die Vorschläge sei­ nes Komponisten und es gibt keinen Grund, diese Art der Zusammenarbeit 279 So wie zeitgleich auch Mozart und später Gluck. Vgl. Maurer (1912), S. 33. 280 Die freien Verse im Eröffnungsmonolog von Jacobis Apollo unter den Hirten hatte Schweitzer noch unvertont gelassen. Vgl. Bauman (1985), S. 95. 281 Zit. nach Maurer (1912), S. 80. 282 Wieland musste auf Grund der Kritik des Mannheimer Hofes am glücklichen Ausgang des Ehebruchs von Heinrich mit Rosamunde die gesamte Konzeption ändern. 283 WBr Bd. 5, S. 654. 284 Vgl. Anton Schweitzer: Rosamunde. (1997), S. 238–247.



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nicht auch für Alceste anzunehmen. Briefe dazu gibt es nicht, weil beide in Weimar lebten, doch weisen Wielands Beschreibung in den Briefen an einen Freund …285 und der Umstand, dass der Vorabdruck des Librettos bereits recht weitgehend mit der Textfassung der Partituren übereinstimmt, auf eine gemeinsame Endredaktion hin. Wielands Ideal von einer gleichgestimm­ ten und gleichberechtigten Zusammenarbeit trifft sich also tatsächlich mit Schweitzer, der freilich für seine Änderungswünsche an den hoch verehrten Wieland auch den richtigen Ton fand. Da das kurze und eher förmliche Schreiben an Dalberg nicht der Ort war, seine Vorstellung vom Singspiel im Einzelnen darzulegen, schreibt Schweitzer: Ich berufe mich dahero auf die Musikal. Bibliothek eines gewissen Forkels in Göttingen: In Verlag bey Carl Wilhelm Ettinger zu Gotha, Ersten Bandes, von pag: 100 bis 130 – allwo, in Betref des Singspiels vieles vor kommt, was ich mit Überzeugung unterschreibe, und der nehmlichen Meynung bin.286

Der bezeichnete Text ist eine ausführliche Rezension von Glucks Iphigenie en Aulide, der ersten Pariser Reformoper, (mutmaßlich) durch Johann Niko­ laus Forkel (1749–1818) selbst. Maurer versteht den Verweis als eine voll­ ständige Abgrenzung Schweitzers gegenüber Gluck und zieht daraus den Schluss, Schweitzer und Wieland mit ihm habe eine Oper „mit Behandlung der Musik nach rein musikalischen Gesichtspunkten“ schaffen wollen. „Der Schwerpunkt liegt also nicht im Drama, sondern in der Musik“287 und Mau­ rer kommt daher zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass Schweitzers „Musik den ihr eingeräumten Vorrang, mit dem Werk des Dichters nach ih­ ren eigenen Gesetzen umzugehen“288 zu Unrecht beanspruche, weil sie dazu nicht die notwendige autonomästhetische Qualität biete.289 Die Position ist insofern bemerkenswert, als Maurer von der Auseinandersetzung mit dem Komponisten herkommend damit die diametral entgegengesetzte Position zur unter den Interpreten der Alceste respektive von Wielands Singspieltheo­ rie verbreiteten Ansicht vertritt, wonach Letzterer ein strikter Verfechter des Primats des Wortes gewesen sei und Schweitzer sich diesem fraglos unter­ geordnet habe.290 An dieser Stelle muss auf einige Ergebnisse der Analyse der Alceste vor­ gegriffen werden, die ausführlich aufzeigen wird, dass beides nicht zutrifft. 285 Vgl. Schriften (2005), Bd. I, S. 211. 286 Zit. nach Maurer (1912), S. 80. 287 Ebenda, S. 62–63. 288 Ebenda. 289 Anders als etwa Mozart, dessen Diktum von der Dichtung als gehorsame Tochter der Musik genau diese Position umschreibt. 290 Vgl. Krämer (1998), S. 237.

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Bei genauem Blick erweist sich Schweitzers Verweis auf Forkel als eher laxe Richtungsangabe, zumal Schweitzer selbst im Brief nur einiges, nicht alles unterschreiben möchte und sich ausdrücklich nur auf die programmatischen Aussagen Forkels, nicht aber auf die abfällige Rezension der Iphigenie be­ zieht. Keinesfalls kann man wie Krämer mit Verweis auf diesen Brief für Schweitzer behaupten, dass er „in seiner konservativen Grundhaltung auch die zeitgenössischen musikalischen Weiterentwicklungen der Seria-Oper grundsätzlich ablehnt“291. Forkels vielgescholtene Besprechung dient ihm dazu, gegenüber Dalberg, der zu den Begründern des Mannheimer Natio­ naltheaters gehörte und dem für Cora offenbar eine Vertonung nach der Art des Norddeutschen Singspiels vorschwebte, seine Position als wenigstens teilweiser Verfechter einer italienischen Musiksprache anzudeuten, als der er – wie Forkel – Glucks vollständiger Abschaffung von Da capo, Kadenzen, Ritornellen und Passagien und Melismen nicht folgen mag. Im Kontext der Alceste sind vor allem zwei Positionen Forkels relevant. Einmal der Vorwurf, dass bei Gluck an Stelle von Musik nur noch Deklama­ tion gegeben und entsprechend die Musik zu sehr der Sprache angenähert werde. Zweitens, dass die musikalische Schilderung eines Affekts (dass die Musik die Aufgabe hat, Gefühle zu schildern, darin sind sich Gluck, Forkel, Wieland und Schweitzer gleichermaßen einig) ein anderes Zeitmaß als die Sprache erfordere. Die Da capo-Arie trägt nach Forkel diesem veränderten Zeitmaß Rechnung und solle daher im Dienste der rein musikalischen Wahr­ scheinlichkeit erhalten bleiben.292 Als Argument ist diese Sichtweise mit Blick auf die langsam aufscheinenden Autonomieansprüche der Musik im Kontext der Frühromantik eigentlich sehr innovativ und überdies ein Echo von Wielands Definitionen im Versuch über das Teutsche Singspiel. Wenn wir annehmen, (und wir müssen es) daß die Musik eine Sprache der Leidenschaf­ ten und Empfindungen ist, und also ebenso wohl wie andere Sprachen, ihre eigenen unendlichen Biegungen und Wendungen hat, die zur vollkommenen Darstellung eines Affects nothwendig angewendet werden müssen […].293

Genau diese hat Schweizer in den Arien der Parthenia umgesetzt, in der die von Gluck als musikalische Arabesken verdammten Auszierungen direkt in den Dienst des emotionalen Ausdrucks gestellt werden und damit auf ande­ rem Weg das gleiche Ziel anpeilen: die Übereinstimmung von emotionalem Gehalt und formaler Gestaltung. Dasselbe gilt für Ritornelle. Ritornelle (ital. ritornello, frz. ritournelle)294 gehören wie das Da capo zu den Wiederho­ 291 292 293 294

Ebenda, S. 238. Johann Nikolaus Forkel: Musikalisch kritische Bibliothek. Erster Band. Gotha 1778, S. 118–123. Ebenda, S. 110. Der Begriff leitet sich direkt vom italienischen Wort ‚ritorno‘ = Rückkehr ab.



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lungsstrukturen der Oper. Als Vor-, Zwischen- und/oder Nachspiele können Ritornelle in der Oper des 18. Jahrhunderts die Teile der Da capo-Arie unter­ gliedern, dabei Tonart, Tempo und Motive der Melodie vorwegnehmen bzw. nachbereiten und dadurch die Arie – so die Kritik etwa Algarottis, Calzabigis und Glucks, die Wieland teilweise aufgreifen sollte – in einer der dargestellten Situation widersprechenden Weise in die Länge ziehen. Schweitzer stellt seinen Arien insgesamt eher selten Ritornelle voran, doch wenn, so dienen sie durchaus nicht in erster Linie dazu, den Zuhörer auf die Arie vorzubereiten oder dem Sänger die Gelegenheit zum Ausruhen zu geben. Vielmehr bezeichnen sie mit ihrer repetetiven Struktur selbst die Grundhaltung der Figur zu ihrem Gesang (kontemplativ, beschwichtigend, erschöpft oder rastlos-ratlos) und werden damit zum gezielt eingesetzten narrativen Element. Gerade der Kontrast zur Unmittelbarkeit der überwie­ gend ritornelllos einsetzenden Arien macht Schweitzers Ritornelle deutlich lesbar als die seelische Verfassung, aus der heraus gesungen wird. Damit dreht Schweitzer die Kritik am Ritornell (wie vergleichbar am Da capo) um, indem er den vorgeblichen Hemmschuh für eine wahrscheinliche Darstel­ lung zum Ausdruck der Psychologie der Figur und damit zum Fenster in die Landschaft ihrer Seele macht. Wieland hat im Versuch über das Teutsche Singspiel diese Positionen quasi von der anderen Seite her in einer Kritik am Missbrauch der Formen der Opera seria vertreten: Der Poet war nur ein demüthiger Diener des Komponisten, des Decorateurs, der S ä n g e r und Tänzer […]. Daher diese O u ver türen, die (wie andere Symphonien) immer aus einem Allegro, Adagio und Presto zusammengesetzt, mit dem Stücke selbst gemeiniglich nicht die mindeste Verbindung haben […]. Daher die gewöhnliche Vernachläßigung des Recitativs, über welches gemeinig­ lich Komponist und Sänger, als über etwas ihrer Aufmerksamkeit und Kunst un­ würdiges, so schnell als möglich weggiengen […] Daher, daß man die Arien als die Hauptsache in der Musik einer Oper behandelte; aber nicht etwan, um eine große Würkung auf ’s Herz dadurch zu thun, sondern um dem Komponisten und Sänger einen Tummelplatz zu geben, wo sie miteinan­ der um den Preis ringen […] Daher die unendliche Überladung derselben mit Z i e r r a t h e n ; daher die ewigen seiltänzerischen, und meistens gar nichts sagenden Passaggien; daher die bis zum Eckel getriebne und ganz am unrechten Orte ange­ brachten Wiederholungen der Wörter; daher die Abtheilung der grossen Arie in drey Theile, und das oft so unnatürliche Da Capo; daher die unmäßig langen, und unschicklichen Ritornellen, wo z.  B. ein Mensch, der vor Zorn ausser sich ist, mit verschränkten Armen dasteht und wartet, seine Wuth ertönen zu lassen […].295 295 Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 332–333.

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Diese Schlusspassage, die nicht zufällig auf eine emphatische Würdigung Glucks hinausläuft, ist weitgehend eine Paraphrase von dessen Widmungs­ vorrede aus dem 1769er Partiturdruck der italienischen Alceste: Ich habe den Darsteller also weder im größten Eifer eines Dialoges unterbrechen wollen, um ein langweiliges Ritornell abzuwarten, noch ihn mitten im Wort auf einem günstigen Vokal verweilen lassen oder in einer langen Passage mit der Geläu­ figkeit seiner schönen Stimme zu prunken, noch um zu warten, dass das Orchester ihm Zeit zum Atem schöpfen für eine Kadenz gäbe. Ich wollte nicht den vielleicht leidenschaftlichsten und wichtigsten zweiten Teil einer Arie hastig ablaufen lassen, um Raum zu haben, die Worte des ersten Teils regelgerecht viermal zu wiederholen und die Arie dort zu beenden, wo es ihrem Sinn nicht entspricht. […] Ich war der Meinung, dass die Sinfonia die Zuschauer auf die Handlung vorbereiten solle, deren Gegenstand sie sozusagen darstellen und zum Ausdruck bringen solle; dass das Zusammenspiel der Instrumente der jeweiligen Bedeutung und dem Affekt anzupassen sei und nicht jene krasse Diskrepanz im Dialog zwischen Arie und Re­ zitativ zulassen solle, dass es weder in widersinniger Weise einen Satz abschneiden noch die Kraft und das Feuer der Handlung im falschen Moment unterbrechen solle. Außerdem glaubte ich, dass meine größe Mühe sich darauf konzentrieren müsse, eine schöne Einfachheit zu suchen; und ich habe vermieden, zum Nachteil der Klarheit mit Schwierigkeiten zu prunken.296

Wieland wie Calzabigi (denn aus dessen Feder stammt das Vorwort) gehen da­ mit vor allem auf Algarottis Kritik297 zurück, doch nimmt Wieland die besten Vertreter der italienischen Opera seria „sonderlich in den besten Opern des Metastasio“298 und „Männer von so grossen Genie als ein Hasse, ein Jomelli, ein Graun, ein Galluppi u.s.w.“299 und damit die besten Werke der mittleren bis späten Opera seria von dieser Generalkritik aus, der er vielmehr beschei­ nigt: „Schon die neue Gestalt, welche Metastasio der Oper gab, war ein star­ ker Schritt zur Verbesserung des Lyrischen Theaters“300. Schließlich stellt er Gluck in die Linie dieser Opernreformen, was aus der Sicht von 1775 auch kaum verwundern muss. Möglicherweise kannte Wieland aus seiner Zeit in Warthausen sogar Auszüge aus den außerhalb Wiens kaum gespielten italieni­ schen Seria-Opern Glucks, da die Stadions enge Beziehungen dorthin hatten. Legt man Schweitzers teilweise zustimmenden Verweis auf Forkels Gluck-­ Kritik (die sich allerdings bereits auf die einen Schritt weitergehende französi­ 296 Zit. nach: Christoph Willibald Gluck. Alceste. Tragedia per Musica in drei Akten von Rainero de’Calzabigi. In: Ders.: Sämtliche Werke. Begründet von Rudolf Gerber, fortgeführt von Gerhard Croll. Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Abteilung I (Musik­ dramen), Bd. 3, Teilband b: Vorwort, Notenanhang, kritischer Bericht. Kassel u.  a. 2005, S. X. 297 Vgl. Croll, MGG², Bd 7, Sp. 1148–1149. 298 Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 333. 299 Ebenda, S. 334. 300 Ebenda.



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sche Reformoper bezieht) und Wielands weitgehende Übereinstimmung mit Glucks Programmatik nebeneinander, so muss man sich eigentlich fragen, wie Wieland und Schweitzer derart harmonisch miteinander arbeiten konn­ ten und es zum Zeitpunkt dieser Äußerungen ja noch in bester Eintracht an Rosamunde taten. Erst der Blick auf das gemeinsame Werk Alceste (und Rosamunde) vermag das Rätsel zu lösen. Letztlich grenzen sich Schweitzer und Wieland gemeinsam dadurch von Gluck ab, dass sie seine Innova­tionen aufnehmen, ohne deshalb die Formen der Opera seria ganz zu verwerfen. Sie plädieren in Übereinstimmung mit der Komposition der Alceste dafür, die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Ausdrucksweisen dramaturgisch sinnstiftend einzusetzen, anstatt sich durch programmatische Ausschlüsse zu beschneiden, mithin aus dieser Vielfalt heraus möglichst wirkungsvolles, und das bedeutet: den Zuschauer bewegendes Musiktheater zu schaffen, wie es kein Geringerer als Mozart aufnehmen sollte.

4.6  Aurora – die Geburt des durchkomponierten Singspiels Nachdem Wieland und Schweitzer im Sommer bereits für das Ballett Idris und Zenide kooperiert hatten,301 begann spätestens mit Wielands Übersiedelung nach Weimar im September 1772 die enge Zusammenarbeit an Aurora.302 Bereits ab dem 4. Juni desselben Jahres hatte Letzterer Graf Johann Eustach Görtz (1735–1821) in Weimar von dem Auftragswerk zum Geburtstag der Herzoginregentin berichtet.303 Wieland schrieb, vielleicht auch der franzö­ sischen Briefsprache geschuldet, von einer Operette, was hier einfach kleine Oper bedeutet. Gegenüber Auguste v. Keller (1732–1781) vom 5. Oktober 1772 bezeichnete er das Stück gar als drama per musica.304 Später sollte der Text „Singspiel“ überschrieben werden. Das in der Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken unter der Signatur Aurora III.15.29 aufbewahrte Manuskript305 der Partitur konnte mittels Schriftenvergleich mit dem Autograph der Rosamunde zweifelsfrei als 301 Vgl. Gabriele Busch-Salmen: Jeder Gedanke ist Gebärde: Christoph Martin Wielands und Anton Schweitzers Singspiel Alceste: Text und Kontext. In: Musik als Text. Internationaler Kongress der Gesellschaft für Musikforschung. Freiburg 1993. Hermann Danuser (Hg.). Kassel 1998; und dies. „Poesie, Musik und Akzion …“, (1998), S. 166–169; Bernhard Seuffert: Wielands höfische Dichtungen. In: Euphorion 1 (1894), S. 524–526. 302 WBr Bd. 5, S. 7. 303 WBr Bd. 4, S. 523. 304 WBr Bd. 5, S. 7. 305 Künftig zitiert als: Aurora (Ms). Das Manuskript entstammt, wie auch die in Leipzig liegende (nicht autographe) Abschrift der Alceste der Sammlung des Musikschriftstellers Carl Ferdi­ nand Becker (1804–1877).

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weiteres Autograph Schweitzers identifiziert werden.306 Die Partitur trägt auf dem Umschlag den Titel: Cantata per Musica in occasione del felicissimo Gi­ orno Natalizio di Sua altezza Serenissima delle Duchessa di Sas: Weimar etc …, ohne Angabe der Verfasser und in Schweitzers Handschrift. Auf der ersten Seite steht abermals links „Cantata“ und rechts „Del Sigr. Antonio Schweizer“307. Die Titelei auf dem Vorsatzblatt: Aurora. Ein Singspiel von Wieland in Musik gesetzt von Anton Schweitzer wurde später hinzugefügt. Zwar sind Gattungsbe­ zeichnungen zu dieser Zeit häufig unscharf respektive bezüglich ihrer forma­ len Definitionskraft großzügig behandelt308 und auch Wieland pflegte seine 306 Jürgen Neubacher hat bei seinen Recherchen zu Hamburger Schauspielersängern unter den Materialien des Hamburger Stadttheaters die vermutlich originalen Rollenbücher mit den Eintragungen der Sängernamen gefunden. Ders.: Von Telemann zu Mozart. Ehemalige Ham­ burger Kirchensänger als Sängerschauspieler auf Theaterbühnen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Musiktheater in Hamburg um 1800. Claudia Maurer Zenck (Hg.). Frank­ furt a. M. u.  a. 2005, S. 29–55. Das Manuskript vereinigt verschiedene Handschriften, wovon eine der Handschrift Schweitzers zwar sehr ähnlich ist, als autograph jedoch ausgeschlossen werden kann. Als Provenienz nimmt er an, dass Seyler selbst das Manuskript zunächst von Weimar nach Mannheim und später für seine zweite Hamburger Theaterleitung 1783–1784 mitbrachte. Vgl. ebenda, S. 41, Fn 60. 307 Schweitzers Name wird auf den Manuskripten häufig (italianisiert) als ‚Schweizer‘ angegeben, auch Wieland verwendet in Briefen zuweilen diese Schreibweise. 308 Die Vielfalt der Terminologien ist insofern erläuterungsbedürftig, als sich historische und formale Definitionen überschneiden. So steht der Terminus „Singspiel“ oder häufiger „Singespiel“ (u.  a. Anton Ulrich, Mattheson), in der Frühphase auch seltener „Freudenspiel“ (Harsdörffer), während der Zeitspanne 1660–1740 häufig für die deutschen Barockopern, also überwiegend in der Abfolge Rezitativ und Arie gestaltetes Musiktheater, das nach heutiger Verwendung eindeutig mit dem Terminus „Oper“ zu belegen ist. Daneben steht bereits zeitgenössisch und in steigender Frequenz ab 1700 der Begriff „Opera“ (König, Menantes [Hunold] /Neumeis­ ter, Feind) später „Oper“ (Gottsched/Hudemann/Uffenbach). Die Form des Prosatextes mit Gesangseinlagen, die heute mit dem Begriff „Singspiel“ (bzw. dem präziseren Begriff Baumans: Norddeutsches Singspiel) verbunden ist, firmiert ab ihrem Auftreten in den 1760er Jahren unter den Bezeichnungen „Singspiel“, häufiger „comische Oper“, womit aber auch Übersetzungen französischer Opéras comiques beschrieben wer­ den respektive die starke Abhängigkeit des Norddeutschen Singspiels von dieser Gattung beschrieben wird (Weiße), zudem „Operette“ (Goethe/Andreas Schöpfel [1752–1827]). Weiße verwendet in seiner Abhandlung „Schreiben über die komische Oper“ (in: Renate Schusky [Hg.]: Das deutsche Singspiel: Quellen und Zeugnisse zu Ästhetik und Rezeption. Bonn 1980, S. 13–19) den Begriff „Operette“ auch für die italienische Oper in England (!), spricht ferner von den „französischen Operetten“. Goethe belegt sein erstes Singspiel Erwin und Elmire zuerst mit dem Begriff „Lustspiel“ mit Gesängen, dann „Schauspiel mit Gesang“, schließlich die versifizierte Fassung mit „Singspiel“, Lila heißt ein „Festspiel mit Gesang und Tanz“ und retrospektiv wird er seine Singspiele auch als „komische Opern“ und ausgerechnet das nach dem Muster der italienischen Opera buffa umgestaltete Jery und Bätely als „Operette“ bezeichnen. Vgl. Hartmann (2004), S. 59–60, 84, 100, 115 und Finscher (1990), S. 148–154. Wieland überschreibt seine Werke für das Musiktheater zwar vorzugsweise als „Singspiele“, formal handelt es sich jedoch bis auf Pandora stets um „Opern“, da sie durchgehend rezitati­ visch gestaltet sind, also zur vollständigen Kompositition vorgesehen. In Briefen differieren die Bezeichnungen, worauf im jeweiligen Einzelfall einzugehen sein wird.



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Arbeiten für das Musiktheater mit unterschiedlichen Gattungsbezeichnun­ gen zu belegen. Doch sind sie, wie sich noch zeigen wird, insbesondere bei Wieland nicht beliebig austauschbar, sondern umspielen die terminologische Leerstelle seines Experimentierens mit einer Gattung, für die programma­ tisch vorzugsweise der Terminus „Singspiel“ als genuin deutscher Begriff für „Oper“ verwendet wird. Da sich mit diesem Begriff jedoch zeitgenösisch formal keine genaue Gattung verbindet respektive vor allem jene Form des gesprochenen Schauspiels mit Liedeinlagen, die Wieland und Schweitzer ge­ rade überwinden wollten, erscheinen flankierend weitere Begriffe, die jeweils bestimmte Charakteristika hervorheben. Man gewinnt den Eindruck, dass es sich bei Aurora um eine Art Arbeits­ probe gehandelt hatte, was eigentümlich mit der offenbar von Schweitzer gesetzten Bezeichnung als Kantate korrespondiert, die eine häufige Form für Bewerbungen und Wettbewerbe aller Art war. Die Geschichte der Kantate ist zudem eng verwoben mit der Entstehung der Oper in Italien. Dort blieb die Kantate stets der weltlichen Form der Kammermusik zugeordnet und setzt häufig eine mythologische Sequenz nach Art einer Opernszene um, oft mit besonders hohen sängerischen Anforderungen, da in dem konzertanten Showstück nicht agiert werden musste. Wieland dürfte daher sehr viel mehr (italienische) Kantaten- als Opernmusik gekannt haben, möglicherweise zu­ dem von Keiser, Telemann und Händel, da er diese Komponisten wiederholt nennt.309 Die Rezitative der Kantate sind häufig mit mehreren Instrumenten als Accompagnati begleitet. Diese Praxis blieb der Kantate auch in der ne­ apolitanischen Schule (etwa bei Antonio Scarlatti) erhalten, als sich in der Oper zunehmend das Secco-Rezitativ durchsetzte. In Deutschland wurde die Kantate mit mehreren Gesangsstimmen spätestens durch Johann Sebastian Bach eine der zentralen Formen der Kirchenmusik. Mit diesem Typus dürfte Wieland aus Biberach und Warthausen wohlvertraut gewesen sein. Mögli­ cherweise kannte er und/oder Schweitzer sogar einige der frühen weltlichen Kantaten aus der Weimarer Bach-Pflege. Eine fest umrissene Form der deut­ schen Huldigungskantate oder Serenata existiert nicht, doch schließt sie als Glückwunsch- und Gelegenheitsdichtung (und -Komposition) im 18. Jahr­ hundert und vornehmlich im höfischen Umfeld wieder an die italienischen Formen an. Zum Vergleich drängen sich die Kantatentexte Johann Georg Jacobis auf, die Wieland ausführlich gegenüber ihrem Urheber kommentierte und Ja­ cobi gar zu „unserem Metastasio“ umgeschaffen sehen wollte. Was läge also näher, als dass Wieland sich Jacobis Kantaten zum Vorbild nehmen sollte,

309 „Kayser, Telemann, Händel, Hasse, Graun, Bach, Gluck“. Versuch über das Teutsche Sing­ spiel, und einige dahin einschlagende Gegenstände. Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 308.

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zumal die beiden Huldigungskantaten Apollo unter den Hirten und Elysium be­ reits von Anton Schweitzer vertont worden waren? Apollo unter den Hirten ist ein Prolog vorangestellt, den eine „Nymphe mit einem Cranze in der Hand“310 in vorwiegend vierhebigen Jamben mit va­ riablem Reim vorträgt. Sie stellt den Bezug her zwischen den Schäferkönigen des goldenen Zeitalters und dem Hannoveraner Regenten und Widmungs­ träger des Stücks. Zum Schluss der Handlung wiederholt Chloe mit einem „Epilog an das Parterre“ die allegorische Zuordnung: Den König, den die Länder lieben, Der auf dem Thron ein Mensch geblieben, Und nur ein Gott im Wohlthun ist; Den König, welcher nie vergißt, Daß Fürsten ihrem Volke leben; Georg den Gütigen muß Euer Lied erheben.311

Eingerahmt von der Zusammenfassung der Handlung durch ‚Alle‘ im Chor Die Götter, welche Freude geben, Die Fürsten, die dem Volke leben, Soll unser schönstes Lied erheben.312

Die dazwischenliegende Schäferhandlung mit Apollo in der Maske des Da­ phnis unter den Hirten bleibt davon formal und inhaltlich unberührt. Ledig­ lich Apollo tritt mit einem Rezitativ in wechselnd kreuz- und paargereimten Madrigalversen auf, gefolgt von einer Arie in zwei Teilen, die allerdings ohne Da capo-Zeichen gedruckt ist. Es folgen weite Strecken Prosatext, und erst wenn Daphnis alias Apollo Chloe das Singen beibringt, erklingt mit dieser stereotypen Singspielmotivation wieder Musik,313 sowie in der siebten und schließlich in der letzten Szene, wenn Chloe ihr Lied mit 3-facher Reim­ wiederholung abermals mit den Worten einführt: „Wir müssen dem Gott‘ ein Lied singen“314 womit der Schlussgesang beginnt, in den Apollo nach einem eingeschobenen Prosamonolog einstimmt. Der Form nach handelt es sich also um ein Singspiel mit wenigen Gesängen. Dieselbe Struktur hat das „Vorspiel mit Gesängen“ Elysium (Hannover 1770) zum Geburtstag der Königin von England.

310 Apollo unter den Hirten. Ein Vorspiel mit Arien. An dem Geburtstagsfeste Ihro Majestät des Königs aufgeführt von der Hannöverschen Gesellschaft Königlicher Schauspieler. o. O. 1770, S. 2. 311 Ebenda, S. 30. 312 Ebenda, S. 31. 313 Ebenda, S. 14. 314 Ebenda, S. 25.



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Eine gänzlich andere Struktur zeigen Jacobis als „Kantaten“ betitelte Lobeshymnen auf den König von Preußen, die, sicher auch auf Grund der Vorliebe Friedrich II. für italienische Musik, durchgehend regelmäßig versi­ fiziert und gereimt sind. Die verschiedenen Gesangsformen sind sorgfältig mit „Rezitativ“ und „Accompagnato“ überschrieben und die wenigen zwei­ teiligen Arien und Chöre im Libretto kenntlich gemacht, doch haben die Kantaten weder Handlung noch Figuren.315 Gespielt wird auch in Jacobis sogenannter Oper Die Dichter, eine Oper, gespielt in der Unterwelt nicht. Es han­ delt sich dabei überhaupt nicht um ein Libretto, sondern um ein erzählendes strophisches Versgedicht316 ohne Gesänge und Rollen. Jacobis Kantaten haben offenbar nicht erkennbar auf die Form der Wieland’schen Arbeiten für das Musiktheater eingewirkt. Deutlich näher stehen Wielands Werken dagegen Picanders Dichtungen für Johann Sebas­ tian Bach, darunter besonders die weltliche Kantate BW 213 Lasst uns sorgen, lasst uns wachen (Die Wahl des Herkules) und Geschwinde, ihr wirbelnden Winde (Das Urteil des Midas) BWV 201.317 Auch hier vollzieht sich die mythologi­ sche Szene zunächst scheinbar unabhängig von Anlass und Gratulant. Erst in einer nachgestellten Exegese wird die Handlung als Allegorie definiert als „… dieses ist ein Bild/ Von Sachsens Kurprinz Friedrichs Jugend!“. 318 Doch läuft in Picanders Kantate eine Dramenhandlung319 in der Form einer kleinen Oper ab, in der verschiedene Figuren auftreten und selbst wenn es keine Szenenanweisungen gibt, vollzieht sich in den rezitativischen Wech­ selreden in voherrschend jambischen Versen (überwiegend drei bis fünf Hebungen) mit variablen Reimen eine vollständige dramatische Handlung. Die Arien sind variabel, mitunter wechseln Metrum und Reimschema in­ nerhalb der Arie. Prosatexte gibt es in den Picanderschen Kantaten nicht. Wieland und Schweitzer greifen für ihre erste gemeinsame Arbeit also deut­ lich auf das Bach/Picander’sche Modell zurück und damit auf eine Kan­ tatenform, die während der Blütezeit der deutschen Barockoper entwickelt wurde. 315 J. G. Jacobi’s Sämmtliche Werke. Zürich 1819, Bd. 2, S. 22–51. 316 Ebenda, S. 52–68. 317 Mit Picanders Texten war Wieland vertraut. Vgl. das Kapitel zu Die Wahl des Herkules. Pican­ der/Bachs Version vom Urteil des Midas ähnelt Wielands späterem Singspiel Das Urtheil des Midas (1774) durch ihre Abstraktheit und Fokussierung auf den Gegensatz: ‚volkstümlicher‘ vs. Kunstmusik. Vor allem auch darin, dass nicht eigentlich Pan Ziel der Kritik ist, sondern der Kritiker Midas. Die Kantate wurde (mit neuen Texten versehen) von Wilhelm Friede­ mann Bach (1710–1784) 1756 und 1757 in der Liebfrauenkirche in Halle wiederaufgeführt. 318 Johann Sebastian Bach: Lasst uns sorgen, lasst uns wachen (BWV 213). In: Ders.: Neue Aus­ gaben Sämtlicher Werke. Johann-Sebastian-Bach Institut Göttingen und Bach-Archiv Leipzig (Hg.). Serie I (Kantaten), Bd. 39, Kassel u.  a. 1963, Nr. 12, S. 65. 319 Bach hatte seine Kantate ursprünglich als dramma per musica übertitelt, also als Oper be­ zeichnet.

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Wieland war von Anbeginn skeptisch bezüglich des literarischen Werts seines ersten Librettos Aurora. Gegenüber Riedel bezweifelte er, dass das Stück auch nur das zum Versenden aufzuwendende Postgeld wert sei,320 und im Novem­ ber nannte er es gegenüber Johann Georg Jacobi „ein blos unsern Hof […] interessirendes Gelegenheitsstück“321. Von der Kritik ausgeschlossen bleibt freilich die Musik von Schweitzer, „einem Mann, in den alle Musen gefahren sind, als er dieß Stück setzte“322, „der mich in den Taumel des Enthusiasmus für das lyrische Theater hineingehext hat. Man kan sich nichts schöners vor­ stellen als seine Composition von der Aurora.“323 Später sollte Wieland Au­ rora als einzige seiner Arbeiten für das Musiktheater nicht in die Werkausgabe (auch nicht in die Supplemente) aufnehmen, sie damit als eine missglückte oder noch ungenügende Vorstudie bewerten, die als Lesetext keinen Bestand hat. Gleichwohl legten Wieland und Schweitzer mit Aurora bereits formale Paradigmen fest, die hier und in Die Wahl des Herkules entwickelt und erprobt wurden und bis zu Alceste weitgehend beibehalten werden sollten. Als traditionelle Kantate bildet Aurora mit einiger Selbstverständlichkeit ein vollständig gesungenes Musikstück. Folgt man jedoch der Bezeichnung des Stückes als Singspiel und der tatsächlichen szenischen Realisierung, so ist Au­ rora nicht weniger als das erste durchgehend rezitativisch gestaltete und ver­ tonte deutsche Musikdrama seit dem Verklingen der deutschen Barockoper.324 Das Libretto gliedert sich in ungereimte Madrigalverse mit ein bis sechs Hebungen. Daraus grenzen sich die Arien klar durch regelmäßige Verslänge mit ebenfalls weitgehend regelmäßiger Reimbindung ab. Metrum und Reim­ schema wechseln, doch tauchen die für Arien üblichen Formen auf, u.  a. trochäische Vierheber (sog. spanische Trochäen), daktylische Singspielverse, jambische Arien. Die Kantate in der Besetzung Flöten, Fagotte, Hörner, Vio­ linen, Viola und Generalbass325 beginnt andantino mit einem kurzen Vorspiel, das den Schauplatz im mondbeschienenen Wald verdeutlicht. Mit einem kur­ zen Rezitativ ist Diana auf der Suche nach Endymion, dann folgt ihre erste Arie. 320 321 322 323 324

WBr Bd. 5, S. 12. Ebenda, S. 28 Ebenda, S. 12. Ebenda, S. 28. Das durchkomponierte Vorspiel hatte hingegen laut Bauman bereits eine etwas weitere Ver­ breitung. Bauman (1985), S. 91. 325 Der Generalbass oder basso continuo (Bc) wird wahlweise vom Cembalo, Orgel, Orgelpositiv, Laute oder Theorbe gespielt und besteht aus die Melodie durchgängig („continuo“) beglei­ tenden, „fundierenden“ Akkorden. Das Hamburger Stimmenmaterial listet folgende Beset­ zung: 2 Violini, primi, 2 Secundi, 2 Viole, 2 Fagotti, 2 Flauti, 2 Oboi, 2 Corni, 2 Clarini, Timpani, 2 Bassi.



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Allenthalben, ach! vergebens, Süsse Wonne meines Lebens, Suchte deine Göttin dich. Jede Grotte, jede Hecke Fragt ich: ob sie dich verstecke? Ach! vergebens sucht ich dich, Grausamer! du fliehest mich! Allen Zweigen, die sich regen, Lauscht mein ängstlich Ohr entgegen; Jeder Athem sanfter Weste, Jedes Beben schlanker Äste, Jeder Laut verkündigt dich. Eitle Täuschung! ach, vergebens Sucht, o Wonne meines Lebens, Suchet deine Göttin dich.326

Der Text ist deutlich länger als Arientexte nach den Opernkonventionen des späten 18. Jahrhunderts sein dürfen und es gibt keine Unterteilung in zwei oder drei Teile.327 Auch eine Unterteilung in Strophen eines Liedes ist nicht möglich, dafür spielt Wieland jedoch in der Binnenstruktur mit Wiederho­ lungen und Modifikationen der Verse, am deutlichsten mit den drei letzten Versen, die als modifizierte Wiederholung auf die drei ersten bezogen sind. Er greift damit die Rahmenform in den Arien der deutschen Barockoper um 1700 auf, wie sie beispielsweise in Francks Alceste vielfach durchgespielt wird, allerdings bildet in Wielands Variante die Wiederholung zugleich eine Transformation respektive Interpretation der Anfangsverse. In Anbetracht der Mitte des 18. Jahrhunderts geltenden Konvention zweiteiliger Arien oder Lieder in Strophen ist diese Form eine Herausforderung für den Komponis­ ten und zeigt abermals, wie klar sich Aurora von den einfachen Gesangsfor­ men des Norddeutschen Singspiels absetzt.

326 Wielands Werke, Bd. 10.1./1 (2009), S. 361. 327 Bezeichnenderweise macht das Hamburger Stimmenmaterial einen größeren Strich in der Arie und springt auf „daß Amor uns nur Augenblicke leiht?“ aus der folgenden Arie, das damit zum B-Teil wird und mit der Wiederholung am Ende die Arie an die traditionelle Da capo- bzw. Dal segno-Struktur angenähert wird. Ob diese Verdichtung bereits für die Weimarer Uraufführung oder – was aufgrund der Striche und Papierschnitte im Manuskript wahrscheinlicher ist – für die spätere Aufführung in Mannheim am 3. August 1783 (vgl. Neu­ bacher [2005], S. 41, Fn. 60) unternommen wurde, muss in Anbetracht des nicht autographen Materials offen bleiben.

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Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Aurora (1772). Rezitativ und Arie der Diana „Allenthalben, ach! vergebens“ (Ausschnitt). Autograph. Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken.



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Schweitzer fasst die ersten drei Verse als A-Teil der Arie auf und gestaltet sie entsprechend breit. Vor Vers vier wechselt der Takt von vier Viertel auf drei Achtel, die Verse vier bis acht vollziehen sich zügig als un tantino allegretto328, ehe mit Vers neun die verknappte Wiederholung des A-Teils beginnt. Struk­ turell ist das, von kleinen Variationen in der ausgeschriebenen Schlusswieder­ holung abgesehen, eine Dal segno-Arie.329 Dianas kurze Liebesklage O sprich, wie konntest du vergessen, Daß Amor uns nur Augenblicke leiht? Lehrt dich dein Herz die Zeit nicht besser messen? Ist jeder Augenblick nicht eine Ewigkeit?330

vertonte Schweitzer als Kavatine, also als zweiteilige kleine, wenig virtuose Form mit prinzipiell derselben Struktur.331 Schließlich verschafft sich Diana in einer wütenden Arie Luft: 328 329 330 331

Aurora (Ms), S. 16. Ebenda, S. 7–22. Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 362. Aurora (Ms), S. 26–33.



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Entsetzlicher Zweifel! verfluchter Gedanke! Ich zittre, ich schwanke Vor Angst und vor Wuth. Betrogen! Verlassen! O gießt, ihn zu hassen, Ihr Furien, Gift in mein tobendes Blut.332

Der Arientext ist abermals einteilig, die umarmenden Langzeiler und die Reimbindung des sechsten Verses auf den dritten betonen die Geschlossen­ heit. Dieser Text ließe sich problemlos auf den A-Teil der Arie des Herkules („ich will dich nicht hören, ich will dich nicht wissen“333) aus Bachs Kantate Lasst uns sorgen, lasst uns Wachen (=die Wahl des Herkules; BWV 213) – besser bekannt als die Altarie „Bereite dich Zion“ aus dem Weihnachtsoratorium sin­ gen – ein weiteres Indiz dafür, dass Picanders Texte für Bachs Kantaten ein wichtiges Vorbild für Wieland waren. Schweitzer vertont die Arie als dreiteilige Gesangsform, nähert sie je­ doch gleichzeitig der Wiederholungsstruktur der italienischen Oper an. Die ersten drei Verse sind als Einheit aufgefasst und machen inklusive der Wie­ derholung mit neun handschriftlichen Partiturseiten den größten Teil der Arie aus. Ein kleines viertaktiges Zwischenspiel leitet über zu den zweiten drei Versen, die die bereits eingeführte Melodie und Rhythmik aufnehmen und auf nur drei Partiturseiten variieren. Schließlich setzt bruchlos eine ver­ knappte, einmalige Wiederholung des ersten Text-Teils ein, zu deutlich mo­ difizierter Musik.334 Die Form ist ähnlich wie bei der ersten Arie, allerdings ist der B-Teil kaum abgesetzt, was vermutlich dem gespiegelten Aufbau der Arie geschuldet ist. Zugleich wird in der Wiederholung des Anfangsteils aber auch die umarmende Struktur der Wieland’schen Verse aufgegriffen. Anders als die vorangegangenen Arien hat diese kein Ritornell. Schweitzer lässt die wutschnaubende Diana direkt aus dem Rezitativ in Gesang ausbrechen, ohne einen einzigen Ton Vorspiel. Konsequenter kann man die in den ästhetischen Texten (nicht nur Wielands) zum Singspiel geäußerte Forderung, wonach Gesang sich direkt aus der Situation und einem emotional überfließenden Herzen ergeben sollte, kaum umsetzen. Anschließend folgt eine längere ins­ trumentale Passage, in der Diana pantomimisch langsam von ihrer Wut zur „schmachtenden Traurigkeit“ absinkt und plötzlich den schlafenden Endy­ mion zu finden glaubt, der sich jedoch als Amor entpuppt.

332 Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 362. 333 BWV 213. In: Ders.: Werke I/36 (1963), Nr. 9, S. 52–55. 334 Aurora (Ms), S. 3650.

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Wielands Arientexte der Aurora folgen weder der Form noch dem In­ halt nach dem Vorbild der italienischen Opera seria Metastasios. Formal, da sie vorherrschend einteilig und bis auf die Kavatine Dianas deutlich länger sind – inhaltlich, indem sie keine emblematischen Vergleiche anstellen, ja, nicht einmal durchgängig Affekte zum Thema haben. Auf die Spitze getrieben wird dieses Prinzip in der ersten Arie der Au­ rora in 20 (!) Versen, deren Metrum und Zeilenlänge überdies wechseln. Die Verse 7 bis 15 nehmen wiederholend aufeinander Bezug. Schweitzer jedoch komponiert die Verse 9 bis 11 als B-Teil und wechselt dazu vom tanzhaften 3/4-Takt zu 4/4 und maestoso. Anschließend folgt ein nur sechzehntaktiges Zwischenspiel, dann greift er für den Vers „Da jede frohlockend vermeint“, die Phrase von „Da jede sich schmeichelt und meint“ auf. Auf diese Weise entsteht ein kurzer Anklang an den A-Teil, der jedoch nicht fortgesetzt werden kann, da die vorangehende Musik dem Text folgend eine andere rhythmische Struktur und Phrasenlänge hat.335 Die Arie scheint geradezu François-Jean Chastellux’ (1734–1788) Erkenntnis von der Bedeutung der textlichen Phrasierung für die musikalische sinnfällig zu machen: „Man er­ kannte die Notwendigkeit, daß der Dichter sich mit dem Musiker absprechen müßte; man fühlte: Um eine musikalische Phrase oder Periode zu erhalten, muß man eine poetische Phrase oder Periode herstellen.“336 Amors Arie schließlich, deren A-Teil mit „molto andante“ überschrieben ist, erscheint als zweiteilige Arie (B-Teil als „un tantino allegro“ aber ohne Taktwechsel) mit der Anweisung, „Da capo al segno“. Darauf folgt ein Ballett, in dem Endymion hinzukommt, sich gegen Dianas Vorhaltungen verteidigen muss bis die Liebenden sich schließlich versöhnen und von Aurora angetrieben das Fest zu Ehren Amalias im Tempel Amors eröffnen. Die Ballettmusik ist in der Kantatenfassung nicht überliefert, hier schließt sich direkt das finale an, in dem sich am Aktschluss die Frequenz der geschlossenen Gesangsformen steigert,337 hier mit einem (ausgeschriebenen) Da capo-Duett der Göttinnen Aurora und Diana, gefolgt von einem kleinen Solo des Schäfers Cephalus,338 der anschließend mit Amor zum Schlusschor überleitet.

335 Nur wenn Metrum und Versbau sich weitgehend gleichen, kann im sog. Parodieverfahren dieselbe Melodie einem neuen Text unterlegt werden. 336 François-Jean de Chastellux: Essay sur l’union de la poësie et de la musique. Den Haag 1765. Zit. nach: Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. Aus­ gewählt und kommentiert von Carl Dahlhaus und Michael Zimmermann. Kassel u.  a. 1984., S. 100. Diese Schrift, die die Deckung von sprachlicher und musikalischer Phrase erstmals als Voraussetzung formuliert, war in der Sammlung Anna Amalias vorhanden. Vgl. Anhang. 337 Das von der italienischen Opera buffa entwickelt und später von der Opéra comique und dem Norddeutschen Singspiel übernommen wird. 338 Bass, vermutlich gesungen vom späteren Herkulesdarsteller Friedrich Günther (1750–?).



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Das klassische, italienische Da capo339 ist die Form, in der das Lob Anna Amalias zunächst von Amor und abermals in Auroras zweiter, eben­ falls zweiteiliger und als Dal segno vertonter, virtuoser Koloraturarie vorge­ bracht wird. Bis dahin spielt Wieland verschiedene, zunehmend komplexe Arientexte durch und greift dabei auf die variablen Arienformen der deut­ schen Barockoper zurück. Schweitzer überführt diese Variabilität in (aus­ geschriebene) Dal segno-Arien, bis er in der virtuosen Arie der Aurora an den Varia­tionen des Metrums scheitert. Gleichwohl schwenkt anschließend der Text auf seine Linie ein und formuliert die letzte Arie schließlich als Da capo-Arie. Es scheint, als brächte die Komposition das Libretto in Form. Mög­licherweise ist es neben der unambitionierten Handlung dieser Eindruck des Unfertigen, der noch nicht ganz souveränen Handhabung der Gestal­ tungsprinzipien des Musiktheaters, die Wieland den Text letztlich verwerfen ließ. Der Text gewährt einen Einblick in Wielands Librettoschulung. Die klassische Da capo-Arienform wird nicht einfach als etablierte Verfahrens­ weise übernommen, sondern experimentell entwickelt, bzw. es werden ver­ schiedene Varianten erprobt und verworfen. Leider wissen wir in diesem Fall nichts über den Arbeitsprozess von Wieland und Schweitzer, doch scheint durchaus möglich, dass Wieland erst im Verlauf der gemeinsamen Arbeit langsam die Vorzüge des (textlich) zweiteiligen (kompositorisch dreiteiligen) Da capo vollständig erkannte. Offenbar war dieser Prozess aber eher spiele­ risch als konfliktträchtig, sonst hätte er nicht augenblicklich den Grundstein für die begeisterte und zunehmend kongeniale Zusammenarbeit von Dichter und Komponist gelegt. Ob Schweitzer Wieland zu den Experimenten mit den Arienformen ermunterte oder wie begeistert er sich auf das Spiel mit den Strukturen eingelassen hat, bleibt im Dunkeln. Doch zeigt die Partitur, dass Schweitzer einen beträchtlichen Anteil an Wielands Librettostruktur hatte, wie sie in Alceste zur Blüte kommen sollte. Wieland hat also durch­ aus nicht Metastasios formale Lösung als Schema ungeprüft und unreflek­ tiert übernommen, wie in der Forschung zu Alceste immer wieder unterstellt wird.340 Metastasio steht  – stellvertretend für die italienische Librettistik der Opera seria in der Mitte des 18. Jahrhunderts – für die grundsätzliche Auf­

339 Bei der Dal segno-Form wird lediglich ein Teil ‚ab dem Zeichen‘ des oft sehr langen A-Teils wiederholt. 340 Vgl. u.  a. Krämer (1998), S. 210; Bauman (1977), S. 246 und (1985), S. 102; G. Gelosi: Wielands Verhältnis zu Metastasio. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. 151 (1927), S. 52–68; John D. Lindberg: Algarotti, Calsabigi und Wieland: ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Singspieltheorie Wielands. In: Seminar IV (1968), S. 22; Seuffert (1894), S. 529.

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teilung des Librettos in Rezitativ und Arie. Allerdings gibt es im deutschen Sprachraum keine direkte Entsprechung für den italienischen Endecasillabo (Elfsilber),341 der gemeinsam mit dem Settenario (Siebensilber), den Grund­ vers der italienischen Librettistik im 17. und 18. Jahrhundert bildet. Der Elf­ silber wird vor allem für das Rezitativ verwendet, dabei zumeist unregelmäßig gereimt und schließt regelhaft mit weiblicher Kadenz. Der von der deutschen Barockoper bis etwa um 1700 als Äquivalent für das italienische Rezitativ entwickelte Madrigalvers342 ist jambisch mit einer Verslänge von zwei bis sechs Hebungen, wechselnd männlicher und weib­ licher Kadenz und variabler Reimbindung. Für den Schritt vom Singspiel zur durchgesungenen Oper der Klassik war eine wirkungsvolle Rezitativsprache genauso zentral wie ehedem für die Entwicklung der deutschen Barockoper. Ob sich Wieland bereits vor seinem Aufsatz über die älteren Alceste-Libretti343 systematisch mit der Librettistik der deutschen Barockoper auseinanderge­ setzt hat, lässt sich leider nicht nachweisen, ist aber grundsätzlich und beson­ ders in Anbetracht seiner gewählten formalen Lösung wahrscheinlich. Struk­ turell analog verfahrende Texte von Picander, Brockes und König waren ihm jedenfalls nachweislich vertraut. Königs Madrigalverse sind (mit den für den Vers zulässigen gelegentlichen Waisen) konsequent gereimt, das Reimschema ist variabel, doch herrscht (analog zur Praxis des Alexandriners im Trauer­ spiel) wie bei Picander und Brockes Paarreim vor, den Wieland als „Fesseln des Reimes“ in seiner Besprechung von Königs Getreuer Alceste kritisierte.344 Wieland greift diese Form für die Rezitative der Aurora auf, reduziert aller­ dings, wohl mit Blick auf Metastasios nur gelegentliche Reimenden in den Rezitativen, weitgehend die Reime im Rezitativ, die aber noch immer etwas dichter auftreten als in den Libretti des Italieners. Aus der Tradition der italienischen und deutschen weltlichen Kantate mit ih­ ren sowohl Secco- als auch orchesterbegleiteten Accompagnato-Rezitativen lässt sich zwar grundsätzlich die rezitativische Form der Aurora herleiten, nicht aber die Art von Schweitzers Rezitativbehandlung. Dianas erstes Rezitativ entsteht direkt aus dem vollstimmigen Orches­ tervorspiel.345 Die Bläser verstummen mit dem Einsatz der Gesangsstimme,

341 Vgl. Erwin Arndt: Deutsche Verslehre, Berlin 1984, S. 174–175. 342 Vgl. Aikin (2002), S. 293–308. 343 Die Niederschrift des Aufsatzes über die älteren Alcesten lässt sich durch den Brief an Johann Georg Meusel (1743–1820) vom 17. September 1773 recht genau auf diesen Zeitraum ein­ grenzen. 344 Vgl. Über einige ältere teutsche Singspiele, die den Nahmen A l c e s t e führen. In: Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 112. 345 Aurora (Ms), S. 4.



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die Streicher und der Bass spielen lange, liegende Töne. Nach dem ersten Vers verstummt die Singstimme und das volle Orchester wiederholt das viertaktige Anfangsmotiv. Mit dem nächsten Vers „Warum verzögerst du?“ pausieren die Instrumente bis auf den Bass und setzen auf der letzten Note der Singstimme wieder ein, verstärken den Fragegestus und füllen die Rede­ pause. Dianas erstes „fühlest nicht die Qual“ wird von Sechzehntelfiguren der Streicher mit dem Bass verstärkt.346 Dies ist das Grundprinzip für die Ge­ staltung der Accompagnato-Rezitative Schweitzers: Die Streicher folgen der Singstimme, indem sie deren Affekte unmittelbar hervorhebend begleiten; die Bläser bzw. das Tutti, treten in die Redepausen ein und kommentieren die Worte respektive stellen Rückbezüge und Überleitungen her. Das zweite Rezitativ der Diana („St! – diesen Augenblick“) und das dritte („Er schlum­ mert“) sind nur streicherbegleitet. Auch hier treten die Instrumente (außer dem Bass) vornehmlich in die Redepausen ein. Mit dem Auftritt Auroras kündigt sich bereits an, was für Alceste eben­ falls konstitutiv werden sollte: Die Figuren entstammen verschiedenen Gat­ tungen und bringen deren Verfahrensweisen mit. Aurora mit ihrer virtuo­ sen Koloraturarie kommt aus der italienischen Opera seria. Sie bringt bei ihrem Auftritt die Sphäre des Secco-Rezitativs mit, das sich im Verlauf der Wechselrede zum begleiteten Rezitativ steigert und damit paradigmatisch auf die Koloraturarie hinleitet. Diana hingegen, gesungen von Mad. Koch, der Schauspielersängerin, wird über die unterschiedlichen Gesänge als die Figur mit der größten Bandbreite an Emotionen gezeigt sowie durch ihren ins­ besondere in der Neigung zur Eifersucht sich aussprechenden gemischten Charakter als die menschlichste Figur gezeigt, ein wenig augenzwinkernde Ironie inbegriffen. Ihre Rezitative zu Anfang sind besonders elaboriert und in die Orchesterstimmen integriert. Sie ist die einzige Figur, die in ihren Arien eine Persönlichkeit entfaltet, die am Schluss vom Ballett wieder aufgegriffen und zu einem Handlungsbogen geschlossen wird. Das folgende Rezitativ zwischen Aurora und Diana („ists nöthig, Schwester“) ist ein reines Secco-Rezitativ.347 Das auf das Terzett folgende (Amor: „ich sehe wohl, mich loß zu winden“348) beginnt ebenfalls secco. Mit Auroras Vers „Wie kanst du fragen? [was er zur Feier von Anna Amalias Ge­ burtstag tun könnte] – Jede Seele/ mit Liebe für die b e s t e F ü r s t i n anzufa­ chen“,349 setzt andante die Streicherbegleitung ein, abermals als Hinleitung auf die gesanglich zwar moderate, dafür aber formal ausdrückliche Da capo-Arie

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Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 88, und Wielands Werke, Bd. 10.1/1, S. 365–370. Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 369. Ebenda, S. 370.

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Amors.350 Das folgende Rezitativ („Kurz, Kinder …“) ist abermals secco und leitet zu Auroras finaler Arie über.351 Der Begriff accompagnato für diese Form instrumental begleiteter Rezi­ tative ist insofern irreführend, als das Accompagnato der Opera seria in der Regel eine Überleitung zur heroischen Arie bildet und einen besonderen Moment der Oper markiert. Auch wird im Accompagnato der Gesang di­ rekt begleitet, die Instrumente spielen also weitgehend kontinuierlich. Dies gilt auch für die Accompagnato-Szenen der französischen Oper Lullys, die grundsätzlich das Vorbild für die ausgedehnte Rezitativbegleitung der Aurora bildet. Bei Schweitzer ist die Singstimme jedoch teilweise nur mit dem Bass begleitet, mal mit den Streichern, dann wieder setzt das volle Orchester ein und alles auf engstem Raum. Seine Accompagnati sind demnach eine Ver­ bindung aus Secco-Rezitativ und Orchester, bei dem die Instrumente klar die Funktion haben, Teile der Verse zu verstärken oder mit Mitteln der Musik zu interpretieren. Die treffendste Bezeichnung dafür dürfte sein: melodramati­ sches Rezitativ. Schweitzer verdichtet dazu die Makrostruktur von Rousseaus Pygmalion zur Mikrostruktur des Rezitativs: Anders als im späteren (und heu­ tigen) Melodrama laufen in Rousseaus Text Musik und Deklamation nicht parallel, sondern wechseln sich ab, allerdings in größeren Abschnitten. Es wirkt wie eine Mischung aus Schauspiel und Pantomime. Schweitzer hatte aus seiner eigenen Komposition von Rousseaus Text offenbar weitreichende Anregungen gezogen, indem er Rousseaus Vorschlag für ein dem Franzö­ sischen angemessenes Musiktheater wieder mit der italienischen Tradition gesungener Sprache koppelte und daraus einen Vorschlag für ein deutsches gesungenes Musiktheater entwickelte. Bezüglich der melodramatischen Form geht Schweitzer mit seinem teilweise affektiv verstärkenden Einsatz der Instrumente aber deutlich über Rousseaus Vorschlag hinaus und weist bereits den Weg, den die Gattung des Melodramas nehmen sollte: die gleich­ zeitige Führung von Text und Musik. Aurora erlaubt also auch Rückschlüsse auf Schweitzers Pygmalion, der mit einiger Wahrscheinlichkeit die pantomimi­ schen Zwischenmusiken durch instrumentale Akzentuierungen des gespro­ chenen Textes ausgedehnt hatte. Ergänzt wird das Experiment aus Opera seria, Melodrama und Bal­ lett auf der Basis einer pastoralen Handlung (nach dem Vorbild der Festa teatrale, des italienischen Festspiels352) durch das Element einer weiteren 350 Aurora (Ms), S. 121–141. 351 Ebenda, S. 142–142. 352 Sowohl Monteverdis wie Glucks Orfeo nehmen diese, im 18. Jahrhundert u.  a. für Freilichtauf­ führungen in den Gärten des Habsburger Hofes beliebte Form auf, die eine kleinere, mytho­ logische Handlung mit den Mitteln der italienischen Oper, jedoch häufig unter Verwendung von Chören realisiert. Vgl. Raymond Monelle: Gluck and the ‚festa teatrale‘. In: Music and Letters LIV (1973), S. 308–325.



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Operngattung; das Finale, das – ursprünglich von der Opera buffa entwi­ ckelt – ­eigentlich die Funktion hat, alle Handlungsstränge und Figuren ab­ schließend zusammenzuführen und das ab den 1780er Jahren vom Nord­ deutschen Singspiel übernommen wurde.353 Hier dient es vor allem dazu, nach dem Ballett die gesanglichen Fäden wieder aufzunehmen und zum ab­ schließenden Jubelchor (der auch Carl August einschließt) als Apotheose der Herzogin zusammenzufügen. Im Unterschied zu den Huldigungskantaten Picander und Bachs und den in dieser Funktion aufgeführten kleinen Singspielen Jacobis versuchte Wieland aus einer unverbindlichen, weil auf (fast) jeden Herrscher über­ tragbaren Allegorie eine individuelle Würdigung zu machen.354 Daher setzte er das Lob der Herrscherin bzw. die Vorbereitungen zu ihrem Geburtstag an die Stelle der Handlung bzw. versuchte, sie darin zu verankern. Aus dem kleinen Auftragswerk wurde ein Experiment, das Elemente verschiedener Gattungen des Musiktheaters bündelt und die Leistungsfähigkeit des Paares Wieland und Schweitzer unter Beweis stellt. Allerdings gelang es noch nicht, die formalen Strukturen mit den dargestellten Inhalten in Übereinstimmung zu bringen (wie später in Alceste) respektive eine direkte dramatische Handlung für das Lob der Herrscherin zu finden (wie in Die Wahl des Herkules). Die Huldigung an Anna Amalia mit den Worten: S i e würd’ als Schäferin, Die Flur entzücken, S i e würd’ als Königin Die Welt beglücken; Doch immer würd’ in Ihr S i e Selbst geliebt.              D. C.355

ist zwar keine unverbindliche Allegorie mehr – sondern stellt das in der Herr­ scherin verkörperte Idealbild buchstäblich ins Zentrum der Handlung – doch sie bleibt ein Bild, statisch wie der brennende Namenszug in Amors Tempel. Denn wenngleich hier der Dreischritt vom Ornament („Schäferin“) zur Re­ gentin („Königin“) zur Authentifizierung („Sie Selbst“) vollzogen wird, wird dies innerhalb des Stückes postuliert, nicht als dramatische Handlung gezeigt. Aurora verortet den Geburtstag der Regentin innerhalb des Festspiels, nicht nur in Prolog oder Epilog, als einen historischen Zeitpunkt. Das zy­ 353 Bauman bescheinigt Goethes erster Fassung der Claudine von Villa Bella (1776), das Finale erstmals ins deutsche Musiktheater überführt zu haben. Vgl. Bauman (1985), S. 171, und Hartmann (2004), S. 73. 354 Eine Intention, die Goethe für seine Maskenspiele aufgreifen sollte. 355 Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 371.

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klische Geschichtsbild des goldenen Zeitalters, in dem die Götter als Schäfer unter den Hirten weilten und das als allegorisches Idealbild auf jeden Punkt in der Geschichte applizierbar ist, trifft so auf einen eindeutigen historischen Zeitpunkt – wenigstens diese Version passt also nur noch auf Anna Amalia. Dass Wieland den Text später verworfen hat, liegt nicht alleine daran, dass es sich um ein Auftragswerk voller Fürstenlob handelt. Denn Die Wahl des Herkules gehört ebenfalls in diese Kategorie und fand sogar Aufnahme in die Ausgabe der Sämmtlichen Werke. Die Analyse zeigt jedoch (neben der sehr unterschiedlichen Qualität der Verse) die konzeptionellen Schwächen des Textes bezüglich der Arien, vor allem aber der dramatischen Grund­ konstellation. Gleichwohl ist Aurora, in Ermangelung eines ausführlicheren Briefwechsels oder sonstiger Zeugnisse dieser frühen und ausgesprochen kurzen Zusammenarbeit von Wieland und Schweitzer, ein kostbares und aufschlussreiches Dokument für die Entschlossenheit der Autoren, ein der italienischen Oper ebenbürtiges Musiktheater zu schaffen. Die Paradigmen waren offenbar schnell klar, doch wurde zunächst eine große Bandbreite von Formen und formalen Lösungen erprobt. Unbeschadet ihrer dramaturgischen Mängel funktioniert Aurora als Kantate respektive Festa aber bereits sehr gut: Das Verhältnis von Rezitativ und Arie ist ausgewogen bzw. das Stück kommt mit bemerkenswert knappen Rezitativen aus. Die Arien der Diana ermöglichen die Darstellung verschie­ dener Affekte, die unterschiedlichen Figuren zudem verschiedene Stilistika. Schließlich war das Ballett mit dem Auftreten Endymions als Teil der Hand­ lung integriert und nicht eine weitere Einlage. Noch Musäus’ Die drei Stufen des Menschlichen Alters hatte ein Jahr zuvor trotz seiner acht Gesangspartien auf für die Mitglieder der Seyler’schen Truppe herausforderndem (um nicht zu sagen, gezielt überforderndem) Niveau, gesprochenen Dialog und Liedeinlagen verbunden. Für Schweitzer, der zwei Jahre zuvor in der mit Aurora einigermaßen vergleichbaren Kantate Jacobis Apollo unter den Hirten noch keine Form für die einleitenden Verse Apollos gefunden hatte,356 muss der konzeptionelle Wechsel nach seinen Erfahrungen mit dem Melodrama beglückend gewesen sein. Denn von da an war er nicht mehr bereit, als ein „gelernter Italienier“357 noch Lieder zu Prosasingspielen zu komponieren.

356 Vgl. Bauman (1985), S. 95. 357 Wie sich Goethe nach seiner italienischen Reise ebenfalls im Kontext des Singspieles bezeich­ nen sollte. Schweitzer hatte sich 1766 in Venedig aufgehalten.



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4.7  Alceste im Kontext der Opernästhetik des 18. Jahrhunderts Wieland und Schweitzer teilten nicht nur die Leidenschaft für das deutsche Musiktheater, sondern verfolgten beide von Anfang an dessen Reform hin zu einer der italienischen (und französischen) Oper ebenbürtigen Form. Auf Schweitzers Seite stand der reiche Erfahrungsschatz als Singspielkomponist, auf Wielands Seite standen die seit gut zwei Jahren sich konkretisierenden Überlegungen und Experimente zum Libretto. Im Zusammentreffen der beiden entstand – nach dem von vornherein als Übung konzipierten klei­ nen Festspiel Aurora  – nicht einfach eine Oper, sondern eine konzipierte Reformoper. Schon die Stoffwahl deutet in diese Richtung, hatten doch auch Quinault und jüngst Gluck (zu schweigen von König) ihre Reformopern aus Euripides’ Geschichte der thessalischen Königin entwickelt. Da die Librettoform mit Aurora bereits weitgehend erschlossen war, drängten sich die gesamte Vorarbeit und die Überlegungen zur Singspiel­ form in dem kurzen Zeitraum von ca. Juni bis Oktober 1772.358 Da sich Wielands theoretische Überlegungen zum Singspiel noch bis 1775 praktisch ausschließlich auf Alceste beziehen, und 1774 in den im sog. Handbuch über­ lieferten Notizen359 bereits skizziert wurden, sind sie im Wesentlichen auf die Entstehungszeit der Alceste und die Monate nach der Weimarer Aufführung festzulegen. Dabei durchdringen sich auf die paradigmatische Reformoper Alceste verweisende Indizien mit Überlegungen zur Gattung, die sie als eigen­ ständige und hochstehende Literaturgattung verteidigen respektive zu eta­ blieren streben. Eine deutsche Oper zu erschließen, bedeutete für Wieland (wie für Schweitzer), nicht einfach die italienische Oper in deutsche Sprache zu übersetzen. Es galt dazu einmal ein der deutschen Sprache angemesse­ nes Wort-Ton-Verhältnis zu entwickeln, das aus sprachlichen wie metrischen Gründen weder aus der italienischen noch aus der französischen Librettistik übernommen werden konnte, gleichwohl von den Lösungsansätzen beider Nationalopern profitieren sollte. Damit in Verbindung steht die noch zen­ tralere Aufgabe, eine den aktuellen Bestrebungen der deutschen Literatur entsprechende Dramaturgie zu entwickeln. Entsprechend konnte Metas­ tasio – bei aller Verehrung, die Wieland dem italienischen Dichter zeitlebens zollte – nicht zum direkten Vorbild dienen, da dessen streng rationalistisches Menschenbild mit Wielands Menschenkenntnis wie mit dem Vorbild Euripides nicht zu vereinbaren war. Unter formalen wie inhaltlichen Aspekten lag da­ 358 Bauman betont, dass Schweitzers Kompositionsstil mit Aurora bereits wesentliche Elemente der Alceste entwickelt hatte. Teilweise lassen sich ähnliche Ansätze sogar bis in die Singspiele zurückverfolgen, insbesondere zur für Franziska Koch komponierten Nachtigallarie im Ely­ sium. Vgl. Bauman (1977), S. 279–291. 359 Neue Wieland-Handschriften. Friedrich Beißner (Hg.). Berlin 1938, S. 16–20.

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her der Rekurs auf die musikästhetischen Positionen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Errungenschaften der deutschen Barockoper nahe und alles deutet darauf hin, dass Wieland sich spätestens ab 1773 weitaus intensiver mit ihr befasst hat, als die drei im Teuschen Merkur beschriebenen Alceste-Libretti zunächst ahnen lassen. Im Umkehrschluss beweisen die theo­ retischen Positionen der deutschen Barockoper im Bezug auf Wieland und Alceste eindrucksvoll ihr innovatives Potential, indem sie sich in Wielands einflussreicher Theorie und Praxis einer neuen deutschen Oper fortsetzen, wie bereits Flaherty andeutet, ohne jedoch nach den Konsequenzen dieser Kontinuität zu fragen. Wieland’s arguments and the very vocabulary with which he advanced them indi­ cate his close familiarity with the writings of German opera’s exponents in Berlin, Copenhagen, Hamburg and Leipzig. […] Wieland’s defense of the musical me­ dium was essentially the same one Feind suggested, Mattheson pursued, Uffenbach expanded, the Schlegels refined, and Krause affirmed. It included the standard comment about experiencing live performances, the often-repeated comparison to rhyme, painting, and engraving, and the usual conclusion that a condemnation of any one artistic medium was tantamount to condemning them all.360

Die Vermittlungslinien dieser Schriften, insbesondere bezüglich der ausge­ sprochen innovativen Positionen Feinds und Hudemanns zu Wieland sind teilweise nur noch bruchstückhaft nachzuzeichnen, legen aber gleichwohl eine Spur,361 die den Brückenschlag der deutschen Barockoper bis zu den Konzepten der vorklassischen Reformopern eindrucksvoll belegt. Dass sich Wielands Argumente häufig mit Argumenten von Scheibe und insbe­ sondere von Christian Gottfried Krause (1719–1770) treffen, liegt an die­ sen gemeinsamen Quellen, deren Diskussionen sich an dem permanenten Reibungspunkt Saint Évremond respektive Gottsched in einer weitgehend konstanten Linie fortschreiben.362 Der zentrale Unterschied jedoch ist, dass Scheibe, Krause und ihre Mitstreiter die Oper stets anhand italienischer Opern, bestenfalls vertont von deutschen Komponisten (Titus von Hasse nach Me­ tastasio, Cleopatra [1742] von Graun nach Giovan Gualberto Bottarelli [vor 1741–1783]) verteidigten.363 Seit Mattheson und König hatte jedoch niemand 360 Flaherty (1978), S. 262. 361 Ausführliche Recherchen an den historischen Katalogen der Herzogin Anna Amalia-Bi­ bliothek und im Stadtarchiv Erfurt ergaben leider keine eindeutigen Befunde, welche Texte Wieland zwischen 1770 und 1775 zugänglich waren. So sind selbst viele der Werke, deren Lek­ türe Wieland explizit erwähnt, dort heute in späteren Ausgaben und historisch jüngeren Signaturen vorhanden. Die Ergebnisse der Recherche fasst das Glossar im Anhang zusammen. 362 Vgl. Plachta (2003), S. 71–99. 363 Vgl. Wilhelm Seidel: Saint Évremond und der Streit um die Oper in Deutschland. In: Aufklä­ rungen. Studien zur deutsch-französischen Musikgeschichte im 18. Jahrhundert – Einflüsse



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mehr für die Möglichkeit einer literarischen Oper auf der Basis eines deutsch­ sprachigen Opernlibrettos argumentiert. Dass Wieland im Versuch über das Teutsche Singspiel auf die augenschein­ lich überwundene Debatte zwischen Gottsched und den Verfechtern der Oper zurückgreift, ist daher nur auf den ersten Blick befremdlich, denn sie vollzog sich in einer Zeit, in der es den diskutierten Gegenstand, eine deut­ sche Oper, noch gab. Überdies hat Jahn argumentiert, dass im Verlauf der ersten Hälfte 18. Jahrhunderts zwar das Sprechen über Musik eine enorme Weiterentwicklung erfuhr, kaum jedoch das Sprechen über die Oper.364 Warum Wieland zudem eher leuchtturmhaft die populärsten musikästheti­ schen Schriften verwendete (die überdies mit der Handbibliothek von Anna Amalia korrespondieren) erklären ein Vermerk aus dem Handbuch und der Publikationsort im Teutschen Merkur: Wieland schrieb keine Spezialdiskurse in Sachen Musiktheorie, sondern Texte, die sich an das Publikum einer neuen deutschen Oper wandten und daher einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein sollten.365 Aus all diesen Gründen ergibt sich, warum Wielands Schrei­ ben über seine erste deutsche Alceste dort ansetzt, wo die älteren Alcesten verklun­ gen waren und er nicht nur mit seinem deutschen Singspiel selbst, sondern auch mit den flankierenden Diskursen an die „Versuche der lyrisch-drama­ tischen Muse in Germanien“366 anknüpfen und sie mit den innovativsten367 Verteidigern der Oper in Frankreich und Italien verknüpfen wollte. Wieland selbst berichtet von der umfangreichen Librettosammlung, die Anna Amalia von den Gottsched-Erben gekauft hatte.368 Leider blieb davon nach dem Bi­ bliotheksbrand von 1774 nur eine vergleichsweise geringe Zahl übrig. Weder die von Wieland besprochenen älteren Alcesten sind darunter zu finden, noch die teilweise mit einer programmatischen Vorrede versehenen Libretti (nicht nur) Feinds. Die heute in der HAAB befindliche Librettosammlung (die den Brand von 2004 weitgehend unbeschadet überstanden hat) wurde 1834 bei einer Auktion erworben. Ein Verzeichnis der von den Gottsched-Erben er­ worbenen Texte existiert nicht. Wielands Äußerungen lassen aber eigentlich kaum Zweifel zu, dass es sich dabei um die vollständige Sammlung gehan­ delt hatte.369 Offen bleibt, ob Wieland die älteren Alcesten tatsächlich erst nach der Fertigstellung seiner Alceste entdeckte, wie er in dem Aufsatz ausdrück­

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und Wirkungen. Wolfgang Birtel und Christoph-Helmut Mahling (Hg.). Heidelberg 1986, S. 53–54. Vgl. Jahn (2005), S. 66–67. Vgl. Handbuch. In: Neue Wieland-Handschriften. Friedrich Beißner (Hg.). Berlin 1938, S. 18. So in der überarbeiteten Version des Aufsatzes von 1796. SW 26, S. 271. Fubini (1997) über Dubos, S. 143. Vgl. Über einige ältere t eutsche Singspiele … In: Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 89. Ebenda, S. 88–89.

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lich und abgeschwächt in der späteren Fassung für die Sämmtlichen Werke be­ hauptet.370 Feind liefert in seinen Gedancken von der Opera bereits 1708371 avant la lettre das zentrale Gegenargument zu Gottscheds Unnatürlichkeitskritik, das sich in den folgenden 70 Jahren geradezu als Basso Continuo durch die Theorien der Opernverteidiger des deutschen Sprachraumes ziehen sollte: Mich daucht/ ein Knabe/ wenn er zum erstenmahl eine Opera lieset und siehet/ fället gleich ein solches Urtheil/ wenn man ihn/ wie alle Zuschauer/ zu überreden trachten würde/ daß solches wahr/ und der Poet durch seine Acteurs solches für etwas gantz natürliches ausgeben wollte/ was eine Fiction seyn soll. Die Wahrheit wird in den Schau=Spielen durch Fictiones vorgestellet/ denn sonst müsten es keine Verse seyn/ die man redet und absinget […] wenn man bey hellem Tage einige hundert Lichter abbrennet/ und der Zuschauer im Finstern in die Opera tritt/ er will ihn überreden/ daß die Acteurs verlangen/ er solle glauben/ daß es Nacht sey/ da noch die Sonne überm Horizont stehet?372

Feinds Position, nach der Fiktion grundsätzlich Fiktion ist und der Unter­ schied zwischen dem Sprechtheater und der Oper bestenfalls ein gradueller aber kein grundsätzlicher, findet sich unter anderem wieder bei Johann Elias Schlegel, der als Mitglied von Gottscheds Zirkel begonnen hatte. Die Oper ist demnach genauso möglich oder unmöglich wie die gereimte Verskomö­ die oder das in Marmor gehauene, ursprünglich aber mit schwarzem Fell bedeckte Pferd oder der Kupferstich eines farbigen Körpers.373 Barthold Joa­ chim Zinck (1718–1775) sollte in seinem Aufsatz das Argument darauf ver­ engen: „Eben so setzt der Operndichter zum Voraus, dass seine Arbeit soll gesungen werden. Ihn desswegen tadeln heisst, den Bildhauer tadeln, dass er aus Steinen menschliche Bilder macht“374. Die Abhandlung wurde 1745 in Bodmers Freymüthige Nachrichten Von neuen Büchern und Andern zu Gelehrt­ heit gehörigen Sachen abgedruckt und dürfte Wieland folglich vertraut gewesen sein. Ramler, der Dichter des Passionsoratoriums Der Tod Jesu (u. a. 1755 ver­ tont von Graun) sollte 1756 das Argument vom Libretto auf die Vertonung wenden: „[…] kann man die wohlgetroffene Nachahmung in einem Kup­ ferstiche schön finden und des Menschen Farbe bey einem schönen Mar­ morbilde vergessen, so wird man auch die Unähnlichkeit vergessen können,

370 Ebenda, S. 89, und SW 26, S. 273. 371 1708. 372 Feind: Gedancken von der Opera (1708), S. 77–78. 373 Vgl. Flaherty (1978), S. 139. 374 Zit. nach ebenda, S. 143.



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wenn die menschlichen Handlungen in singenden Tönen nachgeahmet werden“.375 Wieland formuliert schließlich 1775 im Versuch über das Teutsche Sing­ spiel und einige dahin einschlagende Gegenstände: Der Mahler, der euch die Opferung der Iphigenia auf ein Stück Leinwand gemahlt, in einen schön geschnitzten und vergoldten Rahmen hinstellt, verlangt nicht, daß ihr glauben sollt, seine Iphigenia, sein Agamemnon […] leben und athmen in vol­ lem Ernst; ihm genüget vollkommen, wenn sie euch, trotz eurer Überzeugung daß sie nur gemahlt sind, zu leben und zu athmen scheinen.376

Auch Johann Adolph Schlegel (1721–1793), der erste deutsche Übersetzer von Charles Batteux’ (1713–1780) Les Beaux Arts réduits à un même principe (1746), griff das Argument vom lediglich graduellen Unterschied zwischen Oper und Tragödie auf. Es ist anzunehmen, dass Wieland, wo nicht die Aus­ gabe von 1751, so mindestens Moses Mendelssohns (1729–1786) Rezension in den Briefen, die neueste Literatur betreffend (1760) gelesen hat. Krause nimmt das Argument abermals in Von der musikalischen Poesie377 (die Wieland durch Nicolais hymnische Rezensionen in Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste und Allgemeine deutsche Bibliothek ebenfalls kannte)378 auf, zieht als Vergleichsgattung jedoch den Roman heran: In keinem Schauspiele glaubt der Verstand eine wahre Begebenheit zu sehn […]. Ohne diese vorgefasste Meynung und ohne diesen Betrug würden selbst die Unter­ redungen in der Epopee keine Glaubwürdigkeit haben. Das Herz und die Phantasie dessen, der ins Opernhaus gehet, ist schon vorbereitet, sich dem Betruge der Ein­ bildungskraft, und den Ausbrüchen der Leidenschaften zu überlassen.379

Bei Wieland umfasst das Argument jede Form der Dichtung und schließt ausdrücklich die französische klassizistische und die antike Tragödie mit ein: Denn die nemlichen Kunstrichter, – die das Singspiel als ein unnatürliches Unge­ heuer verbannt wissen wollten, weil niemand mit sich selbst und andern singend zu

375 Karl Wilhelm Ramler: Vertheidigung der Opern. In: Historisch-Kritische Beyträge zur Auf­ nahme der Musik. Friedrich Wilhelm Marpurg (Hg.). Bd. 2, I. Stück, Berlin 1756, S. 84–92, hier: S. 85. 376 Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 315. 377 Berlin 1752. 378 Krauses Text trifft sich in mannigfaltiger Weise mit Wielands Schriften. So fordert Krause: „Dieses Simple der Fabel macht die gröste Vollkommenheit des Singspiels aus, und es ist unumgänglich nöthig, die Handlung, den Knoten und dessen Auflösung nicht zu künstlich einzurichten.“ Und er besteht auf die innere Logik des musikalischen Kunstwerkes: „Kön­ nen die Thiere in der Fabel reden, so können die Menschen in der Oper singen.“ Zit. nach Flaherty (1978), S. 172 und S. 174. 379 Zit. nach ebenda, S. 174. Bei Krause taucht auch bereits die Forderung nach einer einfachen Handlung auf.

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Die Königin kehrt zurück reden […] pflegt, – müßten aus dem nemlichen Grunde nicht nur die sämtlichen Schauspiele der Alten, sondern auch die moderne Französische Tragödie in gereim­ ten Versen, ja überhaupt alle Schauspiele, schon aus dem einzigen Grunde, verwer­ fen, weil es unnatürlich und widersinnisch ist, daß Leute von ihren wichtigsten und geheimsten Angelegenheiten mit sich selbst oder ihren Vertrauten in Gegenwart einiger Hundert Zuhörer, die ihnen unmittelbar vor der Nase sitzen, sprechen, und sich dennoch einbilden sollten, daß sie allein seyen.380

Nach Flaherty bewirkte Gottscheds Wettern gegen die Oper durchaus nicht, dass die Oper zu einer vergessenen Gattung wurde, sondern im Gegenteil gerade, dass weiter intensiv über sie diskutiert wurde. Paradoxerweise ent­ faltete gerade diese Diskussion noch nach dem Verklingen der Werke ein außerordentliches kreatives Potential381 und bescherte der Oper neben dem Leselibretto eine weitere papierne Existenz in Ermangelung tatsächlicher Aufführungen. Gottsched steht darin für den Kritiker aus Ignoranz und be­ reits 1747–1748 empfahl Georg Friedrich Meier (1718–1777), dem Wieland im Juni 1751 sein Lehrgedicht Die Natur der Dinge gesendet hatte,382 dem Leipziger in seiner Beurtheilung der Gottschedischen Dichtkunst, einfach einmal eine Opernaufführung zu besuchen, denn „einige Opernfeinde [haben] den Augenblick ihre Meinung geändert, so bald sie eine Oper gesehen“.383 Ein weiteres Argument Meiers trifft sich mit Wielands Position, nach der der Ge­ sang die passende, wenn nicht einzig mögliche Artikulationsform für starke Affekte ist: der Operndichter muss lauter pathetische Gedancken vortragen, und in starcken Affecten hat man nicht so viele Ueberlegung, dass man die Wahrscheinlichkeit so scharf beurtheilen solte. […] Folglich behaupte ich, dass die Wahrscheinlichkeit in einem heftigen Affecte anders sey, als sonst.384

Die moralischen und unterschwellig theologischen Aspekte von Gottscheds Verurteilung der Oper waren für Wieland zu vernachlässigen, doch die äs­ thetischen durften nicht unwidersprochen bleiben, zumal sie offenbar noch immer durch den „common sense“ geisterten, von dem Weiße und Hillers devote Verteidigung ihrer Singspiele, die angeblich nur der Verbreitung des gemeinsamen Gesanges dienen sollten, und Lessings Skepsis gegenüber dem Musiktheater in der Hamburgischen Dramaturgie385 beredtes Zeugnis ge­

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Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 314–315. Vgl. Flaherty, (1978), S. 316. Vgl. Starnes, (1987), Bd. I, S. 14. Zit. nach Flaherty (1978), S. 148–149. Zit. nach ebenda, S. 150. Hamburgische Dramaturgie, 27. Stück. Lessings Werke (1967) Bd. 2, Schriften I, S. 228–229.



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ben. Dabei erwähnt Wieland Gottscheds Namen im Kontext seiner Opern­ schriften nur an einer Stelle, wenn er in Über einige ältere t e u t s ch e S i n g s p i el e, welche den Nahmen Alceste führen genüsslich beschreibt, wie der Bock wider Willen zum hegenden Gärtner wurde und als Opernfeind die Libretti der deutschen Barockoper gesammelt und so vor dem Vergessenwerden bewahrt hat. Wielands Definition des Singspiels als Theater der mittleren Affektlage, das auf das Pathos des Erhabenen verzichtet und dennoch die rührendste, mithin also wirksamste Bühnengattung ist, schreibt386 zwei Gottsched-Entgeg­ nungen aus dem Umkreis von Bach und Telemann aus den Jahren 1732 und 1733 fort.387 Hudemann argumentiert, für die Oper sprächen ihre edlen Cha­ raktere und dass sie „weder gemeine, noch ungemächliche Schönheiten“388 aufweise. Er dreht damit gegenüber Gottsched den Spieß buchstäblich um, indem er „die Lust, Tragedien beyzuwohnen, als eine Art einer verborge­ nen Grausamkeit“389 verwirft, ja geradezu als sadistischen Voyeurismus dif­ famiert. Damit nimmt er Rousseaus Tragödienkritik von 1758 vorweg, ohne daraus jedoch eine generelle Bühnenkritik zu entwickeln. Im Gegenteil, die Oper wird nicht nur explizit ausgenommen, sondern gar zur höchsten Gat­ tung erhoben, weil sie edlere Gefühle zu erwecken im Stande ist. Es ist also eine Verteidigung der Oper gegen die aufklärerische Kritik mit den Mitteln der Aufklärung,390 in der Hudemann die Kritik am Erhabenen, am schönen Schrecken der Tragödie, vorwegnimmt.391 Uffenbach entgegnet in seiner Schrift über das Libretto392 vor allem Gottscheds Vorwurf der mangelnden Wahrscheinlichkeit gesungenen Thea­ ters und bedient sich dazu eines pragmatischen Arguments, das Wieland ebenfalls verwendet: Die gebundene und gereimte Rede der Tragödie habe ebenfalls nichts mit der alltäglichen Sprache gemein und kein Zuschauer sei so naiv, beim Besuch des Theaters mit seinen gemalten Prospekten nicht zu realisieren, dass hier etwas Fingiertes vorgeführt wird. Kurz: Gesprochenes

386 Ob Wieland diese beiden in Hamburg erschienenen Schriften kannte, kann leider nicht mehr mit Sicherheit entschieden werden. Uffenbachs Schrift erschien abermals auszugsweise 1747 im dritten Band der Neu eröffneten Musicalischen Bibliothek von Lorenz Christoph Mizler (1711– 1778) in Leipzig. Vgl. auch Lütteken: Poesie als Klang (2000), S. 255. 387 Vgl. ebenda, S. 248–259. 388 Ludewig Friedrich Hudemann: Proben einiger Gedichte und poetischen Uebersetzungen. Denen ein Bericht beygefügt worden, welcher von den Vorzügen der Oper vor den Tragi­ schen und Comischen Spielen handelt. Hamburg 1732, S. 150. 389 Ebenda, S. 160. 390 Vgl. Lütteken: Poesie als Klang (2000), S. 254. 391 Vgl. Carsten Zelle: Angenehmes Grauen. Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im achtzehnten Jahrhundert. Hamburg 1987, S. 38–43. 392 Gesammelte Neben=Arbeiten (1733), S. 393–460.

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und gesungenes Theater sind beide unwahrscheinlich und der Zuschauer geht in ins Theater, weil er sich täuschen lassen will. Jede Schauspielart setzt einen gewißen bedingten Ver trag zwischen dem Dich­ ter und Schauspieler und den Zuschauern voraus; […] Beym Singspiel treten Dich­ ter, Komponist und Sänger vor uns hin, und sagen: „Wir wollen einen Versuch machen, wie weit wir es vereinigt bringen können, euch eine interessante dramati­ sche Fabel, bis zum höchsten Grade der Täuschung den die Natur der Sache zuläßt, darzustellen. […] wir verlangen nicht von euch daß ihr Poetische, Musikalische und Dramatische Nachahmung, und ein dadurch entstehendes Ideal, für die Natur selbst halten sollt […]“.393

Bereits am 2. November 1772 schwärmte Wieland gegenüber Staatsrat von Gebler in Wien von den Theater-Verhältnissen am Weimarer Hof: „Hier sehen wir das Theater als eine Schule der Tugend und der Sitten, als ein politisch-moralisches Institut an“, wie er ein Jahr später in den Theatralischen Nachrichten ausbreiten sollte.394 Mit der Oper als Instrument zur Verbesserung der Sitten395 knüpft Wieland – nach Bauman als erster Librettist seiner Epo­ che396 – nicht nur an die italienischen Vorbilder Goldoni und Metastasio an, sondern abermals an die Theorie und Praxis der deutschen Barockoper, die die Nützlichkeit mit dem Topos der Überbietung der Tragödie durch die Oper verknüpft. Nach König: kan man eine Opera füglich das Meisterstück der Dicht=Kunst nennen; Indem wir daselbst neben den schönsten und zierlichsten Figuren der Redekunst, allerhand Sittenlehren Lobeserhebungen/ Stats= und Liebes=Regeln, heroische Unterneh­ mungen, Briefe, Liebes=Erklärungen/ verweise, fröliche und klägliche Erzehlun­ gen, Gleichnisse/ Spruch=Reden, mancherley Beschreibungen/ Klagen/ Beloh­ nungen der Tugend/ Bestraffungen der Laster und hundert andre Materien von allen und jeden menschlichen Zufällen finden.397

Hunold pointierte knapp 10 Jahre später weiter „Eine Opera oder Sing=Spiel ist gewiß das galanteste Stück der Poesie so man heut zu Tage zu aestimiren pfleget“398 und an anderer Stelle bezeichnet er sie als das

393 Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 315. 394 WBr Bd. 5, S. 20. Vgl. Ferner Theatralische Nachrichten. Weimar [1773]. In: Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 537. 395 Ebenda, S. 537. 396 Vgl. Thomas Bauman: Wielands Aufklärungsoper. Report of the Twelfth Congress Berkley 1977. International Musicological Society. Kassel, Basel und London 1981, S. 249. 397 Ulrich König: Theatralische … Gedichte. (1716), Vorrede, ohne Seitenangabe. 398 Menantes (Hunold): Die allerneueste Art … (1707), S. 394.



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„Haupt=Werck Theatralischer Gedichte […]. Denn die Liebe/ die nicht so wohl de­ nen Hertzen/ sondern auch Poetischen Geistern das edelste Feuer einflösset; Die Vorstellung der tapfersten Helden und merckwürdigsten Begebenheiten/ die Ga­ lanterie, die Moralia, kurtz/ alle Lob=würdige Affecten können da entworffen werden; Und die Music nebst der Action/ die gleichsam die Worte gedoppelt beseelen/ geben der Poesie so viel Anmuth wieder/ als sie von ihr empfangen.399

Obgleich sich Wielands frühe Lehrmeister Bodmer und Breitinger jedes systematischen Kommentars zur Oper enthalten hatten,400 schrieb Bodmer doch in einem Brief an Hagedorn: „Wären alle Opern so beschaffen, wie die des Metastasio, so hätten wir freilich für den guten Geschmack nichts zu fürchten. Wollte Gott, dass es unsre Landsleute in dem Drama so weit gebracht hätten […] Was ich am Metastasio aussetzen könnte, wäre vielleicht, dass er mir allzu süss singt.“401 Die Bezugsgattung der poetischen Debatte war für Bodmer die Malerei. Dies ist, neben der Rolle, die die Musik für die christliche Lied- und Oratorien-Dichtung spielt, auch insofern einigerma­ ßen verwunderlich, als sich die für Gottscheds Dichtungstheorie so zentrale Opernkritik als Ansatzpunkt für die Züricher Verteidigung des Wunderbaren in der Dichtung ideal angeboten hätte, da Gottsched seine Ablehnung des Musiktheaters vornehmlich mit dessen mangelndem Nachahmungscharakter begründet. So manifestierte sich der Einfluss von Bodmers und Breitingers Dichtungstheorie auf die musikästhetische Debatte erst über den Umweg ihrer Rezeption, dies jedoch besonders nachhaltig, da die Integration des Wunderbaren eine zentrale Problematik der Oper bildet und entsprechend bereits von den Autoren der Tragédie lyrique in der Querelle d’Alceste gegen die Argumente der anciens verteidigt wurde. Noch Marmontel definierte die Oper (im Unterschied zum Sprechtheater) als drame surréel, dessen innere Wahrscheinlichkeit erst aus dem mit der Musik verschwisterten Wunderbaren entstünde,402 und der frühe Rousseau hatte in seinem Brief an Grimm über die italienische und die französische Oper 1752 – zu Beginn seiner Entzweiung mit Rameau – das Wunderbare noch als einen Vorzug der französischen Opern­ libretti hervorgehoben.403 Gottscheds Vorwurf galt neben den Verstößen des Musiktheaters, das nach seiner These gerade keine antike Bezugsgattung hatte, gegen die Einhei­ ten von Zeit, Ort und Handlung, vor allem dessen stofflicher Ausrichtung:

399 Theatralische, Galante … Gedichte/ von Menantes. Hamburg 1706, S. 87. 400 Nach Flaherty (1978, S. 145–146) sah Bodmer zwar in Postels Libretti alles vereinigt, wie Literatur nicht sein solle, doch schätzte er Metastasio. 401 Am 12. 4. 1745. Zit. nach Flaherty (1978), S. 145. 402 Vgl. Anne-Rose Bittmann: Die Kategorie der Unwahrscheinlichkeit im opernästhetischen Schrifttum des 18. Jahrhundert. Frankfurt a. M. u.  a. 1992, S. 20. Vgl. ferner Lütteken (2001). 403 Vgl. ders.: Musik und Sprache (1984), S. 10–12.

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„die phantastische Romanliebe behielt fast allein Platz“404. Den Haupt­aspekt seiner Kritik legte Gottsched auf die Gesangsform, die noch stärker als die Stoffwahl gegen das Gebot der Mimesis verstoße und stützte sich in seiner Argumentation wesentlich auf die opernkritischen Schriften von Saint Évre­ mond, der das Wunderbare und den Mimesisverstoß des Gesangs zum Ge­ genstand seines satirischen Lustspiels Die Opern machte.405 Auf Saint Évre­ mond nimmt Wieland in seiner Singspieltheorie explizit und unpolemisch Bezug, was auch damit zusammen hängt, dass dieser mit seiner Position zu einer historisch einzuschätzenden Antike ein direktes Vorbild bildet zu Wielands Position des Dichters als einem Übersetzer, nicht Nachahmer der Antike, worauf im Kontext von Die Wahl des Herkules noch ausführlich zu­ rückzukommen sein wird. Vor allem kann Wielend im direkten Bezug auf den Franzosen Gottsched als Epigonen elegant übergehen – man verstehe: der dieser Diskussion ohnehin nichts Wesentliches hinzugefügt habe – und doch auf dessen Kritik Argument für Argument antworten. Denn wo Saint Évremond die Frühform der Gattung kritisch begleitete, trug Gottscheds Opernkritik über fünfzig Jahre später geradezu manisch-absurde Züge, da zugleich sein Nöthiger Vorrath … akribisch jede Aufführung des Musikthea­ ters auf der deutschen Bühne verzeichnet – sonst hätte er auch wenig zu verzeichnen gehabt, schließlich war reines Sprechtheater auch auf der deut­ schen Bühne eine Ausnahmeerscheinung. Gottsched übersah nicht nur das innovative Potenzial und die aufklärerischen Tendenzen der deutschen Ba­ rockoper (bzw. wollte sie nicht sehen, wie die Episode mit Königs Sancio demonstriert), er ignorierte auch, dass Zeno und insbesondere Metastasio mit ihrer neapolitanischen Reformoper längst auf die mit seiner identischen Kritik Saint Évre­monds und anderer reagiert und ein streng rationalistisches Musiktheater geschaffen hatten, das sich ungeachtet seiner Liebesintrigen und dreiaktigen Unterteilung an der klassizistischen Tragödie orientierte. Bis zu Gottscheds Auftreten war das Musiktheater von kirchlicher Seite bekämpft respektive kontrovers diskutiert worden.406 Die Verteidiger der Oper (man denke an den Librettisten und Pfarrer Elmenhorst, den Verfasser der Opern-Apologie Dramatologia, oder Neumeisters Dissertatio die Wieland für seinen Aufsatz verwendete407) hatten gegen den theologischen Vorwurf 404 Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst durchgehend mit Exem­ peln unserer besten Dichter erläutert. Anstatt einer Einleitung ist Horazens Dichtkunst übersetzt und mit Anmerkungen erläutert. Diese Ausgabe ist, sonderlich im zweiten Theile, mit vielen neuen Hauptstücken vermehret. Vierte sehr vermehrte Auflage. Leipzig 1751/ Darmstadt 1962, S. 738. 405 Das Gottsched übersetzte und 1741 im zweiten Teil der Deutschen Schaubühne abdruckte. 406 Vgl. Döhring (1995), S. 111–123. Und: Ann Catherine Le Bar: Musical Culture and the Ori­ gins of the Enlightenment in Hamburg. Diss. Univ. of Washington, S. 63–66. 407 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 104–105.



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von Sinnlichkeit und Teufelsanbetung mit Argumenten der Vernunft und Nützlichkeit der Oper gekontert. Nun trat mit Gottsched jedoch ein Kriti­ ker auf, der die Oper aus der Perspektive der Aufklärung kritisierte und mit dem Argument, sie sei unvernünftig aus dem Kreise der Poesie auszuschließen trachtete. So schlüssig Gottscheds Argumentation gegen die Oper auf der Basis seiner Prämisse einer strikten Mimesis=Abbildung der Natur-Forde­ rung ist, so durchsichtig ist zugleich, dass just er nun die theologische mo­ ralische Verurteilung der Oper als sinnliches und damit unsittliches Kunst­ werk übernahm. Damit brachte er der pietistischen Theaterkritik eine aus seiner Sicht ästhetisch minderwertige Gattung zum Bauernopfer. Indem er die Oper als das genaue Gegenstück zum Sprechtheater etablierte, dem alle möglichen Kritikpunkte: Sinnlichkeit, Schaulust, die Verwerflichkeit der mittleren Dinge, Ablenkung von den Realitäten des Lebens (was sowohl die Glaubenspraxis, die Arbeit wie die vermeintliche Lebensrealität sein kann), Verführung zu Schwärmerei und Unvernunft wie einem Sündenbock über­ trug, konnte im Gegenzug das Sprechtheater – insbesondere die Tragödie nach klassizistischem Vorbild – von diesen Vorwürfen befreit und entspre­ chen vor Kritik bewahrt werden.408 Wielands erste belegbare Auseinandersetzung mit dem (Musik-)theater fiel in die Zeit der (späten) Querelle des buffons, die genaugenommen eine Querelle zwischen den Verfechtern der französischen Oper in der Tradition von Lully und Rameau und der italienischen Oper war. Dass Wieland mit den Argu­ menten beider Fraktionen gut vertraut war, lässt sich aus seinen Lesege­ wohnheiten, beiläufigen Äußerungen und den noch bei seinem Tod in seiner Bibliothek befindlichen Schriften409 schließen – ein halbwegs aufmerksamer Leser des französischen Schrifttums dieser Zeit musste zwangsläufig den Posi­tionen des mit zunehmender Härte von und um die Enzyklopädisten geführten Zwistes vertraut sein.410 Wie bereits bei der Querelle d’Alceste wur­ den dabei gesellschaftliche und politische Prinzipien auf dem Feld der Musik, namentlich der Oper verhandelt.411 Auf der Seite der französischen Oper

408 Vgl. Jahn (2005), S. 180–183. 409 D’Alemberts, sogar eine Sammlung der frühen Vaudevilles von Le Sage findet sich. 410 So schrieb Wieland bereits am 15. Februar 1759 an Zimmermann: „Sie bewundern d’Alem­ bert, Diderot und andre ihrer würdigen Mitarbeiter an der Encyclopedie nicht mehr als ich. Ich wünschte nichts mehr als daß die schönsten und gemeinnützlichsten Artikel aus diesem Werk, das unsern Zeiten eine unverdiente Ehre macht, gesammelt und in 8. [octav, sozusagen als Taschenbuchausgabe, Anm. T.H.] ausgegeben würden“. WBr Bd. 1, S. 404. 411 Dabei überkreuzen sich die Positionen. Der Vorwurf ‚gotischer Überladung‘ der zuvor der italienischen Musik gemacht worden war, wird nun auf Rameaus Opern übertragen. Vgl. Dahlhaus (Hg.): Musik zur Sprache gebracht (1984), S. 66–67.

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stand Rameau, der schließlich (und seinerseits nach einer längeren Fehde) als legitimer Nachfolger von Lullys deklamatorischer Wortvertonung von den französischen Traditionalisten anerkannt worden war. Zu seiner Position gehörte das Festhalten an der Tragödienform, aber auch die gesteigerte Rolle der Harmonik, also der Gleichklang verschiedener Stimmen nach mathema­ tischen Gesetzen. Der weder humanistisch noch philosophisch gebildete Ra­ meau erschloss die Gesetze seiner Harmonielehre aus der Naturwissenschaft (vornehmlich der Mathematik) und legte damit den Grundstein der noch heute gültigen Tonlehre, die über die Vermittlung von Jean-Baptiste Le Rond d’Alembert (1717–1783) in einer Übersetzung und Bearbeitung Marpurgs ab 1757412 im deutschen Sprachraum verbreitet wurde. Seine damit verbundene Aufwertung der Instrumentalmusik brachte ihn nicht nur in Frontstellung zu den Melodikern unter den Enzyklopädisten, sondern griff bereits dem Paradigmenwechsel von der Vokal- zur Instrumentalmusik vor, der zentral werden sollte für die literarische deutsche Frühromantik (insbesondere Jean Paul [1763–1825]) im Umfeld der Allgemeinen Musikalischen Zeitung. Rousseau, der heftigste Kritiker Rameaus auf der Seite der Enzyklopädie, für die er alle wesentlichen Artikel zur Musik verantwortete, war letztlich ein abtrünni­ ger Schüler Rameaus, der sich abwandte, nachdem der verehrte Lehrer sein erstes Opéra-ballet Les Muses galantes (1745) scharf kritisiert hatte. Dennoch überarbeitete Rousseau noch 1745 dessen Princesse de Navarre für eine Auf­ führung in Versailles.413 Ausgerechnet der ehemalige Schüler Gottscheds414 Friedrich Melchior Grimm trat 1752 als erster mit seiner Lettre sur Omphale kritisch gegen die Tragédie lyrique (in dem Falle André Destouches [1672– 1749]) auf, wandte sich gegen die als „unnatürlich“ apostrophierten mytho­ logischen und allegorischen Stoffe, empfahl dagegen die englischen Opern­ texte John Gays (1685–1732) und die Musik der italienischen Opera buffa zu Vorbildern. Rousseau, der schließlich im Oktober 1752 mit Devin du Village das Musterstück zu dieser Forderung schreiben sollte, reagierte im selben Jahr mit seinem Lettre a Grimm auf diese Forderungen und wurde zum wort­ mächtigsten Verfechter der italienischen Oper und des Prinzips der Melodie respektive des Gesangs, das er dem instrumentalen Prinzip der Harmonie (Rameaus) unversöhnlich gegenüberstellte. Der Mathematiker d’Alembert nahm eine Mittlerstellung ein, indem er Rameaus Verdienste um die Harmo­ nielehre hervorhob und einerseits die Vorzüge der italienischen Musik lobte,

412 D’Alemberts systematische Einleitung in die musikalische Satzkunst nach den Lehrsätzen des Herrn Rameau. Leipzig 1757. 413 Vgl. Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 5 (1994), S. 461. 414 Dessen Dramatisierung der Asiatischen Banise Gottsched in der Deutschen Schaubühne veröffent­ licht hatte.



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auf der anderen Seite dem Librettisten Quinault höchstes Lob zollte.415 Auch Denis Diderot (1713–1784) vermittelte, doch macht er gerade die vorgeblich „unnatürliche“ Dichtung Quinaults für die Defizite der französischen Oper verantwortlich416 und fordert in seiner Lettre au sujet des Observations du chevalier de Chastellux sur le Traité du Mélodrame (1771) eine Unterordnung der Dichtung unter die Musik, die zu dem Gedankenexperiment führt, dass die Dichtung nach der Musik gemacht werden sollte, statt wie in der Praxis, Wörter in Musik zu setzen. Gleichwohl verpflichtete er wie Grimm und Rousseau die Musik weiterhin auf die Nachahmung der Natur, zu der sie auf das Wort angewiesen bleibt und die Instrumentalmusik nur insofern gelten kann, als es ihr gelingt, Seelen- oder Naturvorgänge darzustellen.417 Die Querelle des buffons war für deutsche Intellektuelle und Musikschaf­ fende ein theoretisch einflussreiches, gleichwohl praxisfernes Wetterleuch­ ten. Weder spielte die Pflege der französischen Oper in Reinform – gemessen an der italienischen Oper – in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland eine nennenswerte Rolle,418 noch gab es eine etablierte, staatlich getragene Operninstitution, die nur entfernt vergleichbar gewesen wäre mit der Acadé­ mie Royale de Musique in Paris.419 Die wenigen Höfe, die sich eine eigene Oper noch leisten konnten, importierten italienische Oper oder italienische oder nach italienischem Muster arbeitende Komponisten nach Geschmack, nicht nach Philosophie. Entsprechend blieb Wieland in seiner Reflexion über das Musiktheater relativ unbeeindruckt von den in den Positionen der En­ zyklopädisten zum Ausdruck kommenden bürgerlichen Emanzipationsbe­ strebungen und bemühte sich stattdessen um eine grundsätzliche ästhetische Legitimierung, zu der das ästhetische Schrifttum aus dem Umfeld der Querelle d’Alceste und ihrer Nachfolge noch immer relevant war. Die Argumente der Enzyklopädisten hinterließen eher indirekte Spuren in Wielands Singspiel­ theorie. Zum einen lag der Gegenstand der Diskussion stärker auf dem Ge­ biet der Komposition als auf der Ebene des Librettos und dies, obgleich die Debatte auf Seiten der Enzyklopädisten von bestenfalls auf musikalischem

415 De la liberté de la musique (1760; verf. ca. 1752). Vgl. ferner: Eugen Hirschberg: Die Ency­ klopädisten und die Französische Oper im 18. Jahrhundert. (1903), S. 126–127. 416 Vgl. Hirschberg (1903), S. 104. 417 Vgl. ebenda, S. 106. 418 Vereinzelte Aufführungen der Tragédie lyrique etwa am Mannheimer Hof in den 1760er Jahren standen bereits im Kontext der Reform der italienischen Opera seria. Vgl. Klaus Hort­ schansky, Ignatz Holzbauers Ippolita ed Aricia (1759). Zur Einführung der tragédie lyrique in Mannheim. In: Aufklärungen (1986), S. 105–106. 419 Erst zum Ende des Jahrhunderts stellte sich in Berlin mit der Hofoper Friedrichs des II., des­ sen Festhalten an der italienischen Opera seria und den Bestrebungen z.  B. Reichardts um die Gluck-Pflege bzw. das deutsche Singspiel und die daraus langsam erwachsende romantische Oper, eine vergleichbare Situation her.

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Gebiet Halbgebildeten geführt wurde.420 Zum anderen waren ihre Argu­ mente um 1770 bereits weitgehend erledigt und die librettistischen Grund­ paradigmen Grimms und (via Devin du Village) Rousseaus durch die Opéra comique bereits zum Prototypus des Norddeutschen Singspiels geworden, das Wieland als Vorbild zu überwinden trachtete. Vielmehr kehrte er mit Alceste dezidiert zum Gründungsstoff der Tragédie lyrique zurück. In Fortsetzung des vermischten Geschmacks spielte die Entscheidung zwi­ schen Tragédie lyrique und italienischer oper(a buffa) für die Praxis eines ernsten deutschen Singspiels somit keine Rolle. Doch sind die Kompo­ nisten, die Wieland als Vorbilder nennt und in deren Linie er Schweitzer stellt – Graun, Hasse, Galuppi, Antonio Sachinni (1730–1786), Piccinni421 und vor allem Pergolesi – italienisch komponierende Komponisten, als folgte Wieland stillschweigend dem Argument der Enzyklopädisten, wonach die italienische Opernmusik der französischen überlegen sei. Gleichwohl griff Schweitzer mit Wieland u.  a. auf die deklamatorische Wortvertonung der Tragédie lyrique zurück und Wieland weist mit der von ihm verwendeten Gattungsbezeichnung dezidiert nach Paris. Sein „lyrisches Drama“ ist unver­ kennbar eine Übersetzung von „Tragédie lyrique“. Anschlussfähig wurden die französischen Diskussionen für Wieland vor allem durch einen programmatischen Versöhnungsanspruch des französi­ schen Diplomaten Du Roullet, den dieser infolge seiner Bekanntschaft mit Gluck in Wien formuliert hatte. Der Text erschien am 1. Oktober 1772 im Mercure de France422 und empfahl Gluck direkt als Reformator der französi­ schen Oper. Er flankiert damit direkt Wielands Arbeit an Alceste, auch wenn die Grundparadigmen zu dessen deutscher Oper zu diesem Zeitpunkt bereits feststanden. Auch Du Roullet fordert darin die Einfachheit des Sujets, wobei bekannte Sujets erfundenen vorzuziehen seien. Allerdings fordert er in der Tradition der Tragédie auch große, pathetische Sujets sowie eine zügige und rastlose Handlung, was Wieland zu vermeiden vorschlägt,423 der anders als Du Roullet auf die Kraft der Musik vertraut, dass sich der Zuschauer den­ noch nicht langweilen wird. Das Wunderbare erweist sich als noch immer so prägendes Merkmal der französischen Oper, dass Du Roullet es aus seiner 420 Rousseaus Wirkung als Komponist wurde wesentlich daran gehindert, dass er das erforder­ liche Handwerkszeug nie richtig beherrschte. Nach Gluck hätte Rousseau Großes in der Musik bewirken können, wenn er sich ihr nur ganz gewidmet hätte. 421 Letztere sollte Grimm noch 1776 gegenüber Glucks Pariser Alceste bevorzugen. Vgl. Hirsch­ berg (1903), S. 36. 422 Vgl. die ausführliche Darstellung von Rudolf Angermüller: Reformideen von Du Roullet und Beaumarchais als Opernlibrettisten. In: Acta Musicologica 48 (1976), S. 299–338. 423 Wielands Argument: der „hat keine Zeit hinzustehn und zu schwatzen“ (Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 [2009], S. 493) übersetzt Diderots Forderung nach „mots inarticulés“ in die Handlungsstruktur.



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neuen „drame-opera“424 zwar ausschließen möchte, um es aber sofort durch die Hintertüre wieder hereinzulassen, wenn das Sujet es fordere,425 und um später von dieser Ausnahme besonders für Alceste (Paris 1776) ausgiebig Ge­ brauch zu machen. Die neapolitanische Librettoreform Metastasios hatte das Wunderbare bereits weitgehend dadurch eliminiert, dass sie das Dramma per musica auf historischen Stoffen aufbaute; in denen das Wunderbare allerdings in Form des Zufalls zur fast omnipräsenten Voraussetzung für die Umdeutung der Geschichten zum Lieto fine wurde. Für die operntheoretischen Schriften in Deutschland blieb der Kon­ flikt der Oper mit der Mimesisforderung eine permanente Herausforderung. Wieland zitiert im Versuch Algarottis Vorwurf als „die beynahe allgemein herrschende Meynung, daß die sogenannte O p e r a s e r i a ein We r k d e r Fe e r e y seyn müsse“426 um selbst eine wesentlich differenziertere Position einzunehmen, bei der, vornehmlich aus Gründen der Realisierbarkeit, eine möglichst unaufwändige Form des Musiktheaters empfohlen und die Ma­ schinen in Königs Getreuer Alceste mit Spott übergossen werden.427 Das Wun­ derbare bleibt eine zulässige Option, die weder zu suchen noch zu meiden ist. Indessen ist doch nicht zu läugnen, daß ein Singspiel, – in so ferne darinn Musik und Gesang eine Art von idealischer Sprache ausmachen, die über die gewöhn­ liche Menschensprache weit erhaben ist, – daß, sage ich, aus dieser Ursache etwas in der Natur des Singspiels liege, womit wir den Begriff des Wu n d e r b a r e n zu verknüpfen uns nicht enthalten können. Wenn wir uns einen würdigen sinnlichen Begriff von einer G ö t t e r s p r a ch e machen wollten, so müßte es, däucht mich, diese mu s i k a l i sche Sprache seyn.428

Ebenfalls in Anlehnung an die Tradition der französischen Oper lässt Du Roullet Ortswechsel, Divertissements und Tänze zu, fordert aber deren Ein­ bindung in die Handlung. Während Wieland diese Elemente für Alceste noch kategorisch ausschließt, sollte er für Rosamunde darauf zurückkommen, mög­ licherweise ermutigt durch Du Roullets und Glucks Realisation. Eine besonders interessante Entsprechung findet sich in der Einschät­ zung des Kostüms. Du Roullet fordert ein realistisches Kostüm, das den

424 Zit. nach Angermüller (1976), S. 229. 425 Vgl. ebenda, S 236. 426 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 310. Womit Algarotti im Übrigen bereits um 1755 eine veraltete Position vertrat. Vgl. Dahlhaus (Hg.): Musik zur Sprache gebracht (1984), S. 80. 427 Vgl. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 111. 428 Ebenda, Bd. 12.1, S. 323.

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Stil der dargestellten Zeit nachahmt.429 Wieland sollte für die Schwetzinger Aufführungen der Alceste 1775 ebenfalls griechische Kostüme empfehlen – allerdings moderne griechische Kostüme.430 Wie Du Roullet fordert Wieland für die Oper eine vollständige theatrale Illusion, doch ist es nicht die Illu­ sion, sich in einer antiken Welt wiederzufinden. Vielmehr leistet die Oper eine Übersetzung des antiken Stoffes in eine Moderne, die zwar an die Antike anschließt, sich jedoch weiter entwickelt hat, wie Wieland an Alceste und Die Wahl des Herkules zeigen sollte. Strenger als Du Roullet und viel klarer als vor diesem Calzabigi nimmt Wieland die formalen Grundsätze der antiken Tragödie auf, die Einheit von Zeit, Ort und Handlung sowie die fünfaktige Einteilung und demonstriert überdies, dass selbst die Exposition nach grie­ chischem Vorbild durchaus in einem knappen Rezitativ unterzubringen ist. Analog zu Schweitzers italienischer Genealogie verortet Wieland sich selbst damit in der Nachfolge Euripides-Metastasios, nimmt für sich gleichwohl die Rolle eines entspannten Modernismus in Anspruch. Die Elemente und Verweise auf die Tragédie lyrique in Alceste und den Abhandlungen stehen für eine Symbiose französischer und italienischer Elemente des Musiktheaters, analog zu Königs Vorrede431 und Matthesons Empfehlung von 1722 „Es kömmt mir immer vor/ als wenn diese glück­ liche Mischung uns Teutschen obläge“432. Wieland formuliert den vermischten Geschmack zwar nicht explizit, realisierte ihn aber gemeinsam mit Schweitzer in der Alceste systematisch. Auch Gluck und mit ihm die meisten Reformer der Opera seria (u.  a. Traetta und Piccinni) verfolgten diese Strategie, die Gluck im Vorfeld der Pariser Fassung der Alceste im Februar 1773 in einem Schreiben an die Herausgeber des Mercure de France formulierte.433 Mitte des 18.  Jahrhunderts gehörte diese Position also zum weitgehenden Konsens aller Kräfte, die die Opera seria (Metastasios) reformieren wollten. Der ein­ mütige Verweis auf Wielands Orientierung an Metastasio in der Forschung übersieht daher, dass auch Wieland bei aller Bewunderung für den italieni­ schen Librettisten hier ansetzt, indem er Algarotti beipflichtet:

429 Vgl. Angermüller (1976), S. 237. 430 Nach Plachta manifestierte sich dies bereits in den „vorsichtig antikisierenden, gleichwohl modernen Kostüme[n]“ der Weimarer Uraufführung; gleichwohl zeige der bekannte Kup­ ferstich von Christian Gottlieb August Liebe (1776) die Alceste-Darstellerin Romana Koch in einem Kostüm, das „weniger griechisch als vielmehr ‚pittoresk‘“ anmute. Plachta (2013), S. 131 und S. 136. 431 Librettodruck, Braunschweig 1719, Vorrede o. S. 432 In seiner Übersetzung der Dissertation sur la musique italienne et françoise par Mr L.T. (Hamburg 1722) Zit. nach: Dahlhaus (Hg.): Musik zur Sprache gebracht (1984), S. 66. 433 Vgl. Kapitel 4.12.2.



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daß auch die besten Stücke des Metastasio, so wie sie in Italien gegeben werden, nur eine sehr gleichgültige Unterhaltung abgeben, daß die Zuhörer meistens kalt bleiben […] kurz, daß an Illusion und große Würkungen auf das Herz in diesen so gerühmten Schauspielen gar nicht zu denken ist. Bur ney bestättigt alles dies, und Ritter Gluk […] thut das nehmliche.434

Algarotti, der Berater Friedrich August III. von Sachsen und Polen (1696– 1763) und Friedrichs II. in Kunst und Operndingen hatte seine diesbezüg­ lichen Ideen 1755 in der Schrift Saggio sopra l’opera in musica niedergelegt. Alga­ rotti gehört zu den Gewährsleuten der Operntheorie, auf die sich Wieland in seinen Abhandlungen am häufigsten bezieht. Vermutlich hatte Wieland, der italienisch lesen konnte, bereits früh Zugang zu dem originalen Text. 1769 erschien eine Übersetzung von Rudolf Erich Raspe (1736–1794) in Kassel.435 Ein Vermerk Wielands in den Skizzen zum Versuch über das Teutsche Singspiel im Handbuch von 1774 bestätigt, dass Wieland sich auch deshalb ausführlich auf Algarotti bezieht, weil er die Kenntnis dieses Textes bei seinen Lesern voraussetzen konnte.436 Ich kan voraussetzen, daß diejenigen, die diese meine Gedanken lesen, auch des berühmten Grafen A l g a r o t t i Ve r s u ch ü b e r d i e O p e r a , entweder im Ori­ ginal oder in der Übersetzung gelesen haben; einen Aufsaz, der in mehr als einer Betrachtung gelesen und erwogen zu werden verdient. Ohne Zweifel lesen mich auch manche, welche in Italien und Teutschland Italiänische Opern von den besten Sängern mit der grösten Pracht aufführen gesehen haben.437

Algarotti hatte, auch als Reflex auf das im selben Jahr in der Vertonung Grauns aufgeführte gleichnamige Libretto Friedrichs II., Stoffe wie Monte­ zuma für das Opernlibretto empfohlen: Gegen all diese Schwürigkeiten kann sich der Dichter nur durch eine geschickte Wahl seines Süjets verwahren; und seinen Zweck zu erreichen, das Herz zu bewe­ gen, die Augen zu vergnügen, und dem Ohr zu gefallen, ohne die Vernunft zu belei­ digen, thut er sehr wohl, Handlungen zu wählen, die in weit entfernten Ländern und Zeiten vorgefallen, verschiedne Arten des Wunderbaren verstatten und zu gleicher Zeit einfach und bekannt sind. […] Aus dem Montezuma ließe sich sowohl wegen der Großheit und Neuheit der fremden Sitten etwas ähnliches machen. Die Sitten der Mexicaner und Spanier, die

434 Handbuch. In: Neue Wieland-Handschriften (1938), S. 18. 435 Vgl. Lindberg (1968), S. 21. 436 Auch Sulzer zitierte in der Allgemeinen Theorie der schönen Künste (1771) im Artikel Oper ausführ­ lich Algarottis Opernkritik. 437 Zit. nach: Neue Wieland-Handschriften (1938), S. 18.

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Die Königin kehrt zurück sich zum erstenmale sahen, würden einen schönen Contrast machen und alle Pracht gezeigt werden können, die Amerika eigenthümlich und den Europäern fremd ist.438

Wieland hingegen empfiehlt antike und historische Stoffe, insofern sie be­ kannter sind: „Denn wenn ich lieber griechische Subjecte zu Singspielen wählen möchte, so wär’ es mehr darum, weil sie uns nach unsrer bisherigen, hierinn lobenswürdigen, Erziehungsart ungleich bekannter […] sind, als hy ­ per bor eisch e, In dian is che, Me xic an i s che u. s. w.“439. Damit wendet sich Wieland gegen den Exotismus in der Oper und empfiehlt wie Algarotti antike Sujets, aber: Algarotti’s an sich selbst richtiger Begriff vom Singspiele, daß es unter allen moder­ nen Schauspielen der Griechischen Tragödie am nächsten komme, würde uns, in Absicht auf die Wahl des Subjects irre führen, wenn man daraus folgern wollte, daß alle Subjecte die sich für die Tragödie schicken, auch dem Singspiel angemessen wären. Verfaßung, Sitten, Religion, National-Charakter, Intereße, Umstände, alles ist bey uns so sehr anders als bey den alten Griechen, daß es schwerlich einem Ver­ nünftigen einfallen könnte, unser Singspiel gänzlich auf den Fuß der alten Tragödie setzten zu wollen. Außerdem ist ein unendlicher Unterschied zwischen der Musik der Alten und der unsrigen. So unvollkommen auch, […] unsre Begriffe von der wahren Beschaffenheit der ausübenden Musik der Alten sind, so scheint doch soviel unläugbar zu seyn, daß unsre heutige Musik […] einen Grad der Vollkommenheit erreicht habe, wovon die Alten keinen Begriff hatten.440

Wieland war viel zu sehr universell gebildeter Altphilologe, um dem produk­ tiven Missverständnis aufzusitzen, nach dem die Oper eine direkte Wieder­ belebung der antiken Tragödie bildet. Bereits Feind hatte in der Vorrede zur Oper Simson (Hamburg 1709) be­ tont „das Wort Opera ist bey weiten noch keine hundert Jahre alt“441 und in den Gedancken von der Opera (1708) eine Kulturgeschichte des narrativen Ge­ sangs entwickelt, die auch die „alten Barden und Druyden“ mit einschließt.442 Dass Wieland dennoch antike, vorzugsweise mythologische Sujets als Stoffe empfiehlt, hängt nicht weiter mit der analogen Struktur der Oper aus Wort und Musik zusammen, sondern damit, dass der Zuschauer auf Grund der humanistischen Tradition des Abendlandes zu ihnen bereits eine Beziehung hat. Die Nähe des Zuschauers zu den Stoffen und Figuren, ihren Konflikten und Handlungsweisen ist die Voraussetzung dafür, dass er von dem gezeig­ 438 Versuche über die Architektur, Mahlerei und musicalische Opera. Aus dem italiänischen des Grafen Algarotti übersetzt von R. E. Raspe. Cassel 1769, S. 232–233. 439 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 323. 440 Ebenda, S. 317. 441 Zit. nach Flaherty (1978), S. 56. 442 Feind: Gedancken von der Opera (1708), S. 82. Vgl. zu Feinds historischer Perspektive ferner Flaherty (1978), S. 56.



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ten Spiel nicht nur unterhalten, sondern vor allem berührt werden kann. Alles, was zwischen dem Gezeigten und dem Zuschauer Distanz schafft, sei es durch Exotismus oder politische Sujets „in welchen vermöge der Natur des Subjects viel Staatsinteresse räsonnirt wird“443, ist zu vermeiden, da das Rührende Drama Singspiel „euer Herz erschüttern, eure Augen mit Thränen erfüllen“ soll.444 Mit dem Umschwenken von einer empfindsamen Sprech-Dramatik auf das Singspiel greift Wieland eine genuine Errungenschaft der deutschen Ba­ rockoper auf, die zuerst – wie in Königs Getreuer Alceste – eine empfindsame Literatursprache entwickelt hatte. Jahn geht so weit zu unterstellen, die pie­ tistische Opernkritik der frühen Empfindsamkeit habe damit auch ihre eige­ nen Ursprünge verschleiert.445 Die Oper als Theater der Affekte liegt für die Darstellung der Empfindung so nahe, dass Wielands Definition der Gattung geradezu das Diktum Jean-Baptiste Abbé Dubos (1670–1742) in seinen Réfle­ xions critiques sur la painiture et la poésie (ersch. 1719) abbildet. Demnach eigne der Musik „eine wunderbare Fähigkeit, uns in Gefühlsbewegung zu verset­ zen“. Töne sind „Zeichen der Leidenschaft, die die Natur selbst geschaffen hat, und von ihr erhalten sie ihre Kraft“446. Noch 1787 sandte Wieland Du­ bos’ „hoch empfohlene“ Reflexions447 in Verbindung mit einer Schrift von Charles Batteux (mutmaßlich der Einleitung in die Schönen Wissenschaften von 1746 in der Übersetzung Ramlers, die er bei Erscheinen 1769 von Reich aus Leipzig gesendet bekam448) an seinen Schwiegersohn, den Philosophen Karl Leonhard Reinhold (1758–1823). Im selben Jahr erschien in Kopenhagen eine dreibändige Übersetzung von Dubos’ Réflexions durch Gottfried Bern­ hard Funk,449 möglicherweise wurde Wieland dadurch erneut auf die Schrift aufmerksam. Dubos, der sich im Streit der anciens ausdrücklich auf die Seite der Verteidiger der Oper schlug, zieht zum Beweis ihrer „Wahrheit“ nicht zufällig das Rezitativ heran: Es gibt also eine Wahrheit in den Rezitativen der Opern; und diese Wahrheit besteht in der Nachahmung der Töne, Akzente, Seufzer und der Laute, die den in den Wor­ ten enthaltenen Gefühlen von Natur aus eigen sind. Dieselbe Wahrheit kann sich in der Harmonie und im Rhythmus der ganzen Komposition finden.450 443 444 445 446 447 448 449

Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 318. Ebenda, S. 315–316. Vgl. Jahn (2005), S. 7 und S. 132–169. Jean Baptiste Dubos: Reflexions. Zit. nach Fubini (2008), S. 142. Vgl. Starnes (1987), Bd. II, S. 110. WBr Bd. 4, 39, S. 55. Lebensdaten unbekannt. Kritische Betrachtungen über die Poesie und Malerei aus dem Fran­ zösischen des Herrn Abtes Du Bos, eines der Vierziger und beständigen Sekretärs der fran­ zösischen Akademie. 3. Bde., Kopenhagen 1760/61. 450 Zit. nach: Dahlhaus (Hg.): Musik zur Sprache gebracht (1984), S. 24.

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Demnach sind in den Wörtern die Gefühle als eine tiefere Schicht bereits an­ gelegt, die die Musik zum Ausdruck bringt. Gleichwohl argumentiert Dubos in der Folge vor allem dafür, dass insbesondere die Instrumentalmusik zu echter Naturnachahmung in der Lage sei.451 In Batteux’ Schrift Le Beaux Arts réduits à même principe ist bereits Wielands Definition von der Macht der Musik vorweggenommen, die nicht mehr über die Nachahmung argumentiert: Das Wort belehrt, überzeugt uns, es ist das Werkzeug der Vernunft; doch der Ton und der Gestus sind die Werkzeuge des Herzens: Sie erschüttern, gewinnen und überreden uns. Das Wort drückt Leidenschaft nur durch die Ideen aus, an die die Gefühle gebunden sind, und gleichsam durch Reflexion. Der Ton und der Gestus erreichen das Herz unmittelbar und ohne Umweg. Kurz, […] die Gesten und Ton­ fälle sind gleichsam der Wortschatz der schlichten Natur […]. Es gibt zwei Arten von Musik: Die eine ahmt nur die nichtleidenschaftlichen Klänge und Geräusche nach; sie entspricht der Landschaft in der Malerei. Die andere, die die beseelten Klänge ausdrückt, welche mit den Leidenschaften zusammenhängen: sie ist das Bild von Menschen.452

Auf den Flügeln dieser natürlichen Zeichen der Musik greift Alceste wie Lady Johanna Gray und Clementina von Porretta auf das Märtyrerdrama zurück. Die daraus resultierende Statik der Handlung und Figurenentwicklung mindes­ tens der Titelpartie findet in der Oper nun aber ihre entsprechende Gattung, da das Musiktheater traditionell die Figuren eher durch die Auffächerungen ihrer Eigenschaften (in verschiedenen Arien) sukzessive exponiert und daher gemischte und sich im Verlauf der Handlung wandelnde Charaktere ohnehin eher problematisch sind.

4.8  Dichter und Komponist auf dem Weg zu ihrer Alceste Wieland empfand Schweitzer von Anfang an als kongenialen Partner – es war Liebe auf den ersten Ton: Was werden Sie sagen, Mein bester Ring, wenn Sie mich in kurzem in einen klei ­ n e n deutschen Metastasio metamorphosirt sehen werden? Mein vieljähriger Wunsch, einen Componisten von Genie und warmem Gefühl, einen ächten Ab­ kömmling von Pergolese und Galuppi an meiner Seite zu haben, ist durch meine Hieherversetzung unvermuthet in Erfüllung gegangen. Herr Schweitzer, ehemal. Sachsen-Hildburghausenscher Capellmeister heißt der Mann, der in der Kunst der

451 Ebenda, S. 24. 452 Zit. nach ebenda, S. 31–32 und S. 34.



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Amphionen wenigstens das ist, was Dero gehorsamer Diener – sit venia dicto – in der Poetischen Kunst seyn soll, oder seyn möchte.453

An Friedrich Dominicus Ring (1726–1809), Hofrat am wohlhabenden, mit einer vorzüglichen Kapelle (gleichwohl ohne Theater) ausgestatteten Hof zu Karlsruhe, formulierte Wieland hier am 14. November 1772 Ideal und Gründungsmanifest seines Musiktheaters und zugleich die früheste Erwäh­ nung der Alceste, von der zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Akte geschrieben waren.454 Anders als viele seiner literarisch tätigen Zeitgenossen sah Wieland nur in der direkten Zusammenarbeit mit einem Komponisten von ebenbürtigem Rang Chancen auf das Gelingen seines musiktheatralischen Experiments. Damit setzt er sich von der weit verbreiteten Praxis des 18. Jahrhunderts ab, Libretti zu publizieren, um auf diesem Wege einen Komponisten zu finden. Was für Singspiellibretti, die Libretti Metastasios und offenbar auch für die Kantaten beispielsweise Jacobis möglich war, weil sie einem bekannten und weit verbreiteten Schema folgten, war für das Experiment eines neuartigen Musiktheaters undenkbar. Zugleich markiert Wielands Position einen Pa­ radigmenwechsel in der Librettistik, die zunehmend das Ideal einer engen, symbiotischen Komponisten-Dichterbeziehung erstrebte, wie Goethe sie stets ersehnt, Gluck sie mit seinen Librettisten Calzabigi und Du Roullet, Salieri mit Beaumarchais (1732–1799), Mozart mit Johann Gottlieb Stepha­ nie d. J., Schikaneder und Lorenzo da Ponte (1749–1838) verwirklicht und Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822) ihr in Der Dichter und der Komponist ein literarisches Denkmal gesetzt hat.455

453 WBr Bd. 5, S. 26. 454 Am 16. November schreibt Musäus an Nicolai: „Wieland arbeitet an einer komischen Oper [!] für das hiesige Theater Alcest, betittelt, wovon er gestern 2 Acte der Herrschaft vorgelesen hat. Das Stück ist ganz Oper, alles wird gesungen.“ Zit. nach Starnes (1987), Bd. I, S. 450. 455 Freilich geht Hoffmann etwa vierzig Jahre später sowohl von einer anderen Stofflichkeit des Opernlibrettos wie einer anderen Musikästhetik aus, auch nimmt er mit seiner grundsätz­ lichen Ablehnung der Libretti Metastasios quasi die andere Seite des Tisches ein; dennoch lesen sich zentrale Stellen des Dialogs beinahe wie eine Paraphrase auf Wielands Text: „das Geheimnis des Worts und des Tons ist ein und dasselbe, das ihnen die höchste Weihe er­ schlossen. […] Eine wahrhafte Oper scheint mir nur die zu sein, in welcher die Musik un­ mittelbar aus der Dichtung als notwendiges Erzeugnis derselben entspringt. […] der Opern­ dichter müsse, dem Dekorationsmaler gleich, das ganze Gemälde nach richtiger Zeichnung, in starken, kräftigen Zügen hinwerfen, und es ist die Musik, die nun das Ganze so in richtiges Licht und gehörige Perspektive stellt, daß alles lebendig hervortritt“. Schließlich: „Und das ist ja eben das wunderbare Geheimnis der Tonkunst, daß sie da, wo die arme Rede versiegt, erst eine unerschöpfliche Quelle der Ausdrucksmittel öffnet!“ Hoffmann: Der Dichter und der Komponist. In: Die Seraphions-Brüder. München 1993, S. 83–93.

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In den Briefen an einen Freund … stellt Wieland Schweitzer die italieni­ schen Komponisten Galuppi, Sacchinni und den über alles geliebten Pergo­ lesi an die Seite: wie groß die Gewalt dieses Tonkünstlers über unser Herz ist! Wie sehr er Mahler und Dichter ist! Wie meisterlich er sich des eignen Charakters der Personen be­ mächtigt, mit welchem Feuer er ihre Leidenschaften, mit welcher Wahrheit, Feinheit und Zärtlichkeit er ihre Empfindungen ausdruckt! Nichts übertrift die Kunst, wo­ mit er jede wichtige Stelle vorbereitet, oder unterstützt, oder vollendet. Aber was ich am meisten an ihm schätzte, ist die Weisheit, womit er die Begierde zu schimmern, und den Ohren zu schmeicheln, ja, wo es seyn muß, die mechanischen Kunstregeln selbst, der höhern Absicht, auf die Seele zu würken, aufzuopfern weiß. Andre se­ hen den Dichter blos als ihren Handlanger an; Er als seinen Gebieter. Er weiß zu schweigen, wo der Dichter allein reden muß; aber wo jener an den Grenzen seiner Kunst ist, da eilt er ihm mit der ganzen Allmacht der seinigen zu Hülfe. Man kan von ihm nicht sagen, (wiewohl dies ein grosses Lob für einen schwächern Com­ ponisten wäre) daß er mit seinem Dichter ring e. Was Er thut, ist ganz was anders, und es ist ohne Zweifel unendlich mal mehr. Er verliehrt sich in seinen Dichter, er wird mit ihm zu Einer Person; Ein Genius, ein Herz scheint beyde zu beseelen. Wie oft, wenn er mir eine Stelle, womit er so eben fertig geworden, vorsang, rief ich aus: Welche Muse offenbart Ihnen die eigensten Gedanken meiner Seele, und giebt Ihnen den einzigen Ausdruck, den angemessensten unter allen möglichen, ein? Wie machen Sie es, daß Sie mehr thun, als ich selbst? daß Sie sich des Ideals bemächtigen, welches im Arbeiten meinem Geiste vorschwebte, und welches ich unvermögend war mit Worten völlig zu erreichen?456

Selbst wenn man einiges von dem hyperbolischen Lob abzieht, ist hier die ideale Dichter-Komponisten-Beziehung beschrieben. Der Primatsstreit zwischen Wort und Ton löst sich in einer solchen Beziehung buchstäblich in Wohlgefallen auf, da die „zu euerem Vergnügen verbundenen Schwes­ ter-Künste“457 sich auf ihre besonderen Fähigkeiten konzentrieren und ge­ genseitig stützen. Auch damit greift Wieland eine zentrale Position der Li­ brettisten der deutschen Barockoper auf, die für eine gelingende Oper die einträchtige Gemeinschaft der vereinigten Schwesterkünste forderten. Bereits Bir­ ken hatte 1679 in seiner Teutsche Rede-bind- und Dicht- Kunst das wechselseitige Verhältnis postuliert: „Die Poeterei/ ist eine stumme Musik; und die Musik/ ist eine stumme Poeterei.“458 Während in Benedetto Marcellos (1686–1739) 1720 anonym publizierter Satire Teatro alla Moda unter anderem auch Text und Musik gegeneinander anrennen und Algarotti einige Jahre später klagte „Heutiges Tages aber gehen die beyden Zwillings=Schwestern, Poesie und

456 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 491–492. 457 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 315. 458 Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1679. Hildesheim 1973; Paragraph 67, S. 115.



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Musik, getrennt auf verschiednen Wegen“459, argumentiert Mattheson: „Tonkunst und Poesie bleiben einmal Schwestern; […] Man sollte nicht so parteyisch oder begierig seyn, Hader und Zank unter Geschwister anzuspin­ nen; die eine zur Tyranninn, die andre zur Sclavinn zu machen; sondern man sollte vielmehr auf ihre beständige Einigkeit bedacht seyn“.460 Hunold hatte zwanzig Jahre zuvor die gegenseitige Inspiration von Dichter und Kompo­ nist beschrieben: Daß die Pœsie ein Haupt=Zierrath der Opern sey/ hat Monsieur Feind in der Vor­ rede seiner schönen Opera Octavia angeführet ; Und die noch so eigensinnig/ der Poesie, vielleicht weil sie Frembdlinge drinnen sind/ diesen Ruhm zu benehmen/ selbige fragen den Componisten und die Acteurs einer Opera, die ohnfehlbar mehr Wissenschaft darinnen besitzen […]. Wie soll ein Musicus was schönes machen/ wenn er keine schöne Worte hat? Denn eben die Music ist/ wie oben gesagt/ schön/ welche jedes Wort in der Poesie natürlich ausdrücket. Der Geist eines Poeten hat die Krafft/ nicht einem Musico einen Geist zu geben/ sondern den seinen rege und zu guten Inventionen geschickt zu machen.461

In Wielands Verständnis begreift der Komponist als der kongeniale Partner des Dichters dessen Gedanken intuitiv und vermag mit der Musik jene Kluft des sprachlich Unartikulierbaren zu überbrücken, an dem die empfindsame Rhetorik beispielsweise der Figuren in Clementina von Porretta sich vergeblich abarbeitet, weil sie die sprachlichen und damit arbiträren Zeichen zur Dar­ stellung der Gefühle verwendet, wozu das Singspiel die natürlichen Zeichen der Musik beisteuern kann. Die Musik leistet damit nicht nur, was nach der Musikästhetik der Zeit ohnehin ihre zentrale Aufgabe ist: die Darstellung der Gefühle462 und damit verbunden die Charakterisierung der Figuren. Sie stellt zugleich die zentrale Ausdrucksebene des Stückes dar, denn Wielands Sing­ 459 460 461 462

Algarotti (1769), S. 238. Mattheson (1744), S. 31–32. Theatralische/ Galante … Gedichte/ von Menantes. Hamburg 1706, S. 88. Etwa durch Dubos, der die traditionelle Position, nach der die Musik die Aufgabe hat, den auf Descartes zurückgehenden Katalog der Affekte darzustellen, bereits in eine Richtung wendet, die an Rousseaus Positionen gemahnt: Im Unterschied zur Dichtung, die sich für den Ausdruck der Gefühle künstlicher, willkürlich gesetzter Zeichen bedient, hat die Musik „eine wunderbare Fähigkeit, uns in Gefühlsbewegung zu versetzen“, weil ihre Töne „die Zeichen der Leidenschaft [sind], die die Natur selbst geschaffen hat, und von ihr erhalten sie ihre Kraft.“ Zit. nach Fubini (1997), S. 142. Der Hallenser Philosophieprofessor Georg Fried­ rich Meier, dem Wieland im Juni 1751 anonym das Manuskript der Natur der Dinge geschickt hatte (vgl. Starnes 1987, Bd. I, S. 14), hatte bereits 1746 den Gesang als die natürliche Reak­ tion angesichts starker Affekte bezeichnet und Gottsched (dem er damit wohl zu Recht un­ terstellte, dass er nie gesehen habe, wogegen er seit Jahrzehnten wettere) empfohlen: „einige Opernfeinde [haben] den Augenblick ihre Meinung geändert, so bald sie eine Oper gesehen“. Zit. nach Flaherty (1978), S. 148–149.

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spielästhetik verpflichtet die Handlung des „lyrischen Dramas“ ganz auf die emotionalen Aspekte: „Die Musik ist die Sprache der Leidenschaften […]. Aber auch nicht alle Leidenschaften schicken sich gleich gut dazu, durch Gesang und Musik charakterisirt zu werden.“463 Von vornherein hat sich demnach das Libretto nach den dramaturgischen Möglichkeiten der Musik zu richten. Das ist im Ergebnis also nicht so weit von Mozarts berühmtem Diktum entfernt – wonach in der Oper die Dichtung die gehorsame Tochter der Musik sein müsse464  – wie es zunächst den Anschein haben mag und damit geht Wieland deutlich über die Positionen Algarottis und Calzabigi/ Glucks hinaus,465 deren Reformanspruch ja gerade war, die Musik (wieder) auf den direkten Bezug zum Wort zu einzuschränken. Ich beabsichtigte, die Musik auf ihre wahre Aufgabe zu beschränken: der Dichtung für den Ausdruck und die Gegebenheiten des Stoffes zu dienen, ohne die Handlung zu unterbrechen oder sie durch nutzlose, überflüssige Verzierungen erstarren zu lassen.466

Wieland hingegen sieht die Oper (ausdrücklich konjunktivisch) nur gelingen, „in sofern der Komponist mit dem Dichter völlig aus Einem Geist und auf einen, Zweck arbeitete“467, und spiegelt sich damit in Schweitzers Wunsch, dass Komponist und Librettist einander „behelligen“, ohne einander Tort zu Thun468. Das Libretto rechnet also mit einem für die Dichtung unsagba­ ren Rest, den alleine die Musik realisieren kann. Anders als in Clementina von Porretta vermag die Musik dem Gefühl direkten Ausdruck zu geben, der das Wort aufgreift und transzendiert, der unmittelbar aus der Seele der Figur quillt, ohne den Umweg über Verstand und Sprache nehmen zu müssen. Gleichwohl distanziert sich Wieland von der Theorie der Musik als Schrei und damit von Rousseau, demzufolge die Melodie Klagen und Schreie der menschlichen Stimme nachahmt;469 eine Position, die Diderot seinen Neffen Rameaus (in Goethes Worten) wiederholen lässt als: „Der tierische Schrei

463 Versuch, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 318. 464 „Bey einer opera muß schlechterdings die Poesie der Musick gehorsame Tochter seyn …“ schrieb Mozart am 13.  Oktober 1781 an seinen Vater. In: Mozart Briefe (1963), Bd.  III, S. 167. Übrigens ist dieses vielzitierte Diktum auch für Mozart nicht durchgängig, sondern wird durch andere Äußerungen Mozarts wieder relativiert. 465 Für Calzabigis Orientierung an Algarotti vgl. Einstein (1987), S. 122–124. 466 Widmungsvorrede an den Großherzog Leopold von Toskana zur gedruckten Partitur der italienischen Alceste, 1769. Zit. nach: Gluck: Alceste (2005), S. X. 467 Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 327. An anderer Stelle heißt es sogar: „nur die Worte gibt der Dichter, die Musik muß hinzukommen, sie zu beleben“. 468 Vgl. Maurer (1912), S. 80. 469 In: Essay über den Ursprung der Sprachen, worin auch über Melodie und musikalische Nach­ ahmung gesprochen wird. Vgl. Fubini (1997), S. 163.



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der Leidenschaft hat die Reihe zu bezeichnen, die uns frommt.“470 Während Rousseau (und Diderot ?) die Musik so nah als möglich an das natürliche Zeichen des Schreis heranführen wollte, möchte Wieland nur den künstle­ risch überformten Ausdruck zulassen, indem er die Musik auf die mittleren Affekte festlegt und damit nicht nur das nicht mehr Schöne ausschließt (für das die Musik der Zeit ohnehin noch keine rechte Sprache hatte), sondern auch das Pathetische: Die Musik – dies ist, däucht mir, hierinn das große entscheidende Naturgesetz! – Die Musik hört auf Musik zu seyn, so bald sie aufhört Vergnüg en zu machen; alles zu ve r s ch ö n e r n , was sie nachahmt, i s t i h r e N a t u r. Der Zorn, den sie schildert, ist der Zor n des Eng els, der den aufrührischen Satan in den Abgrund stößt; ihre Wuth ist die Wuth der Liebesg öttin über den eifersüchtigen Mars, der ihren Adonis getödtet hat; Die Wuth des Oedip, der sich in seiner Verzweif­ lung die Augen ausreißt, und dem Tage seiner Geburt flucht, ist ihr untersagt. […] alle wilden, stürmischen Leidenschaften, die nicht durch Hofnung, Furcht oder Zärtlichkeit gemildert werden, liegen außer ihrem Gebiet.471

Wieland ist durchaus nicht der Ansicht, dass die Musik nur das Schöne dar­ stellen könne,472 sondern dass es ihre Aufgabe ist, nur das Ästhetisierbare dar­ zustellen. Analog dazu bedeutet der Umstand, dass man den Altonaer Postreu­ ter 473 in Musik setzen könne, noch lange nicht, dass man es auch tun sollte.474 Wieland und Schweitzer sind auch deshalb ein so ideales Paar, weil sie sich beide gemeinsam auf das emotionale Programm festlegen, und damit nicht nur im Einklang mit Dubos,475 sondern auch mit König stehen, der dieses im Vorwort der Braunschweiger Fassung seiner Getreuen Alceste476 betont hatte.477 470 471 472 473

474 475 476 477

FA I, Bd. 11, S. 730. Versuch, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 319. Wie Maurer (1912, S. 47) mit Verweis auf C. G. Krause unterstellt. Der (Altonaische) Reichs-Post-Reuter erschien von 1699–1789. Im 65. Stück [238] (1773) o. S. wies ein mit ‚T‘ unterzeichnender Autor mit Bezug zu einer positiven Rezension im A. P. und auf Wielands Briefe an einen Freund … darauf hin, dass Wielands Alceste durchaus nicht die erste deutsche Bearbeitung dieses Stoffes für die deutsche Opernbühne sei und löste da­ mit wohl Wielands Aufsatz über die älteren Alcesten aus. „Schon vor 100 Jahren sind große deutsche Opern in Hamburg verfertiget, von deutschen Tonkünstlern gesetzt, und von Deut­ schen gesungen worden. So gar eine Alceste, von Händeln componirt, ist auf dem großen Hamburgischen Schauplatze aufgeführt worden.“ Ebenda. Die Schlusspassage nimmt sich aus wie das Präludium zu den im Februar 1774 anhebenden Anfeindungen des Redakteurs des A.P. Albrecht Wittenberg (1728–1807). Vgl. Starnes (1987), Bd. 1, S. 500–501. Vgl. ferner Wielands Reaktion in Werke, Bd. 11.1, S. 503. Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 318. Dessen Schriften Wieland gegenüber Schubart bereits 1764 erwähnte. WBr Bd. 3, S. 283. Das ist die Fassung, die Wieland vorlag. „um durch die sichtbare Vorstellung einer so heroischen Action und die von mir hinzugefügte zärtliche Gedancken die Hertzen der Zuschauer desto kräfftiger zu rühren/ welches zwar das

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Alle Zeugnisse Wielands verdeutlichen, wie sehr er Schweitzer als eben­ bürtigen Partner betrachtete. Wenngleich die erhaltenen Briefe Schweitzers vermuten lassen, dass er Wieland mit großem Respekt begegnete, gab es zwi­ schen Wieland und Schweitzer keine Meinungsverschiedenheiten, die ­einen Konflikt und die daraus resultierende Frage, wer hier vor allem das Sagen haben sollte, zur Folge haben konnten. Wieland berichtete später, Schweitzer habe einen Großteil der Rezitative direkt nach seiner, Wielands Deklamation komponiert.478 Im Gegenzug scheint Schweitzer die Arien alleine kompo­ niert und Wieland dann vorgesungen zu haben.479 Wieland war dabei realis­ tisch genug um einzuschätzen, welche Rolle die Darsteller für das Gelingen seines Experiments spielen würden: Hiezu kommen noch ein paar ganz vortrefliche Sängerinnen, unter welchen eine, (Mde. Koch) wegen Vereinigung verschiedener Vorzüge und Talente, vielleicht wenige ihresgleichen in der Welt hat; Eine starcke, angenehme, hertzrührende Stimme – eine ungemein schöne Art die Recitative zu declamiren, eine lebhafte Action, und zu allem diesem die Figur einer Griechischen Diana und das ange­ nehmste Theater-Gesicht. Calculieren Sie noch hiezu meine vorzüglichste Liebe zum lyrischen Schauspiel, und den Umstand que je ne saurois mieux faire ma Cour qu’on contribuant de ce coté-la aux amusemens de ma nouvelle Souveraine – So werden Sie Sich vorstellen können, ob ich mit Enthusiasmus in diesem neuen Felde arbeiten werde? Meine Alceste, die itzt würckl. in der Arbeit ist, soll Sie fragen, ob ich fortfahren soll oder nicht.480

Anfang Dezember 1772 waren vier Akte fertig gestellt. Der fünfte machte Wieland offenbar mehr Kopfzerbrechen als das gesamte Stück, dessen be­ reits fertiggestellte Teile er am 4. Dezember mit den Worten an Friedrich Heinrich Jacobi sandte:481 Ob Ihnen meine Alceste gefallen wird, ist eine Frage. Sie ist ganz und gar simpel, und man muß sie gut ausführen sehen, wenn sie ihre Wirkung thun soll. Ich bin bis zum fünften Act damit fertig, aber an diesem unterliege ich.482

478 479 480 481 482

schwerste/ aber auch das vornehmste Kunst=Stücke der theatralischen Poesie.“ Librettodruck, Braunschweig 1719. o. S. Böttiger (1998), S. 241. Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 492. An Friedrich Dominikus Ring am 14. 11. 1772. WBr Bd. 5, S. 26–27. Während Wieland diesen um sein Urteil zu dem noch nicht fertigen Stück bat, erhielt dessen Bruder, der Kantatendichter Johann Georg Jacobi, sein „liebster George“ erst im Januar das gedruckte Libretto. Vgl. WBr Bd. 5, S. 51. WBr Bd. 5, S. 32. Just dieser Teil der Handlung – die Wiederbringung der Alceste – sollte auch Gluck bei der zweiten Fassung für Paris 1776 massive Probleme bereiten. Der Empfän­ ger antwortete am 14. Dezember mit großem Lob, der Bitte um Noten zur Arie ‚Ihr Götter der Hölle‘ und Sachverstand in den librettistischen Details: „Ich bewundere in ihrer Diction das geheime Verständniß mit dem Tonkünstler, welches einem durchdringenden Auge sich überall verräth. Sie gaben ihm den gehörigen Raum da, wo er ihn braucht, wo er ihn nützen



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Gleichwohl wurde das Libretto bereits Mitte Dezember zum Druck nach Leipzig abgesendet.483 Schweitzer hatte Wielands Libretto also spätestens ab diesem Moment in Händen. Bereits am 14. Januar schrieb Wieland an Jo­ hann Georg Jacobi „Alceste wird in 6 oder 7 Wochen hier aufgeführt. […] Schweizers Composition der Alceste ist im eigentlichsten Verstande gött­ lich!“484, woraus sich schließen lässt, dass zu diesem Zeitpunkt bereits der Großteil der Komposition vorlag. Offenbar war ursprünglich eine deutlich frühere Premiere (während des ‚Karnevals‘?) geplant, die möglicherweise auf Grund der ungewohnten Anforderungen an die Sänger schließlich doch auf die Zeit nach Ostern verschoben werden musste. Brandes schreibt in seiner Autobiographie, dass Schweitzer unter Zeitdruck stand und ihm die Notenblätter praktisch unter der Feder weggezogen und zum Kopisten ge­ bracht wurden.485 Ebenfalls Brandes zufolge war die Komposition der Alceste gegenüber Schweitzer mit Vorrang vor allen übrigen Projekten angeordnet worden: Schweitzers Komposition zu meinem Melodrama, Ariadne auf Naxos,[486] war der Vollendung nahe, als Wielands Oper Alceste erschien. Jener erhielt nun vom Hofe den Auftrag, dies neue Produkt unseres großen Dichters, ohne Zeitverlust, in Musik zu setzen; der auch sogleich die Arbeit übernahm, sein ganzes Talent daran ver­ wendete, und um ihr einen besonders hohen Grad von Volkommenheit zu geben zugleich die schönsten Stellen seiner Musik zur Ariadne in jene Oper übertrug. Die Stim­ men wurden, so wie er einen Akt vollendet hatte, so eilig als möglich ausgeschrie­ ben, und an die Sänger zum Einlernen vertheilt;487

Diese Arbeitsweise Akt für Akt und offenbar ohne am Ende nochmals eine übergreifende Bearbeitung zu beanspruchen, ist einigermaßen typisch für Schweitzer (und entspricht durchaus den zeitgenössischen Gepflogenhei­ ten), denn sie sollte sich bei der Arbeit an Rosamunde wiederholen. Viel später stilisierte Wieland gegenüber Böttiger die Stoffwahl der Alceste zur Überformung eines biographischen Ereignisses, der schweren Krankheit seiner Frau Anna Dorothea (1746–1801):

483 484 485 486 487

kann und soll; hingegen da, wo der Tonkünstler die Unterstützung des Dichters vonnöthen hat, reissen Sie ihn durch den Rhythmus, durch den Gang der Periode, durch den Klang der Worte in Ihren Sinn hinein.“ WBr Bd. 5, S. 35. Brief an Auguste von Stedten, 22. 12. 1772, ebenda, S. 39. An J. G. Jacobi, 14. Januar 1773, ebenda, S. 52. Johann Christian Brandes: Meine Lebensgeschichte. Berlin 1799, S. 157. Das zwei Jahre später Georg Benda vertonen und zu seinem größten Erfolg machen sollte. Zit. nach Starnes (1987) Bd. I, S. 451.

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Die Königin kehrt zurück Meine Frau war [vor der Übersiedelung nach Weimar Anm. T.H.] sehr gefährlich krank geweßen, und war gleichsam aus der Unterwelt zurückgekommen. Da verfiel ich plötzlich auf die Alceste, die mir mein Euripides so angenehm macht. […] Be­ sonders gefiel mir die Idee, der Alceste 2 Kinder zu geben, weil ich selbst damals nur zwei Kinder hatte.488

Wie ernst die Erkrankung Anna Dorothea Wielands gewesen sein mag, ist nicht mehr abzuschätzen. In den Briefen hat sich im fraglichen Zeitraum zwischen der Geburt der zweiten Tochter und der Übersiedelung nach Wei­ mar allerdings kein Eintrag über eine lebensbedrohliche Krise niedergeschla­ gen, lediglich eine Erkältung dokumentiert Starnes.489 Wahrscheinlicher für die Stoffwahl ist also, dass – Erkältung hin oder her  – Wieland bei seiner Beschäftigung mit Quinaults französischer und Glucks italienischer Alceste beschloss, deren viel diskutierten Reformopern in französischer und italienischer Sprache mit einem ebenso paradigmatischen Singspiel, einer Reformoper in deutscher Sprache, entgegenzutreten und diese durch die Stoffwahl in einem intertextuellen Querverweis ausdrücklich Anna Amalia zuzuschreiben, da Gluck und Calzabigi ihre Alceste 1767 programma­ tisch der sich für ihr Land aufopfernden Maria Theresia gewidmet hatten.490 Gleichwohl verweist Wielands private Widmung an seine Frau, die er nach ihrem Tod seine „unwiederbringliche[n] Alceste“491 nennen sollte, zugleich auf eine signifikante Transformation der Alceste-Figur, die durchaus syste­ matische Konsequenzen für das Opernkonzept hat: Alceste wird von der öf­ fentlichen Rolle als Königin oder königlichen Braut in die einer vornehmlich privaten Ehefrau verschoben.

488 Am 28. November 1798. Böttiger (1998), S. 240–241, und abermals 1801: „Alceste. Daß sie ihm so geraten, komme aus der damaligen Lage seines häußlichen Lebens. Er war im Begriff, seine Frau in der Schwangerschaft zu verlieren und phantasirte sich nun in seine Frau eine sich opfernde Alceste.“ Ebenda, S. 276. 489 Vgl. Starnes (1987), Bd. I, S. 438. 490 Christoph Willibald Gluck: Alceste, Tragedia per Musica in drei Akten von Rainero de’ Cal­ zabigi. Gerhard Croll in Zusammenarbeit mit Renate Croll (Hg.). Kassel u.  a. 1988, S. LIV (Widmung im Libretto). 491 In einem Brief an den Schwiegersohn Reinhold am 4./5. September 1802. WBr Bd. 16.1, S. 39.



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389

4.9  Die Königin ist zurück – Wieland und Schweitzers Reformoper Alceste Am 28. Mai 1773 wurde Alceste im Schlosstheater des Weimarer Stadtschlos­ ses uraufgeführt.492 Schweitzer dirigierte selbst vom Flügel aus. Am zweiten Flügel saß Hofkapellmeister Wolf, die Geigen wurden von Konzertmeister Karl Gottlieb Göpfert (1733–1798) angeführt und die Hofkapelle wurde durch Lehrlinge und Gesellen des Stadtmusikus Johann Bartholomäus Eberwein (1750–1811)493 verstärkt. Alceste wurde gesungen von Fran­ ziska Romana Koch, Parthenia von Josepha Helmuth (nach 1746–1794), geborene Heiß (auch Heuß, Heise oder Heisinn), Admet von Carl Chris­ tian (!) Helmuth (1751-nach 1780)494 und Herkules von Friedrich Günther (1750–?).495 Für die in Weimar uraufgeführte Fassung musste Schweitzer, vom Zeitdruck der Entstehung ganz abgesehen, mit einem begrenzten Or­ chesterumfang zurechtkommen. Die einzige überlieferte Quelle496 dieser frühen Fassung liegt in der Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bi­ bliotheken.497 Das Libretto war bereits vorab  – und man kann davon ausgehen, auch bevor Schweitzer mit der Komposition begonnen hatte – im Druck erschienen.498 Im Kompositionsprozess erfolgte eine Reihe von Änderun­ 492 Zum Ablauf der Proben und Uraufführung in Weimar vgl. die ausführliche Darstellung von Bodo Plachta: Christoph Martin Wieland/Anton Schweitzer: Alceste. Text und Dokumen­ tation. Bodo Plachta (Hg.). Opernlibretti – kritisch ediert. Irmlind Capelle und Joachim Veit (Hg.). München 2013., S. 127–138. 493 Vater von Carl Eberwein, dem späteren Protegeé Goethes. 494 Wie Neubacher eindeutig anhand der Trauungsurkunde vom 18.  April 1773 nachweisen konnte, ist dies der jüngere Bruder des bislang in der Forschung mit dem Namen asso­ziierte Johann Friedrich Helmuth. Gemeinsam mit dem jüngsten Bruder Johann Georg Gottlob wurden sie von keinem Geringeren als Georg Philipp Telemann in Hamburg in dessen Chorus musicus ausgebildet. Wenngleich Carl Christian 1771 nur „als Sänger in den Operet­ ten“ in die Seyler’sche Truppe aufgenommen wurde, dem gegenüber seine spätere Frau als „gelernte Sängerin“ bezeichnet wird, zeigt sich daran doch das beachtliche Niveau auch der Schauspielersänger der Weimarer Truppe. Sie waren keineswegs „Dilettanten“ im heutigen Wortsinn. Vgl. Neubacher (2005), S. 29–55. 495 Vgl. Starnes (1987), Bd. I, S. 477. 496 Unter der Signatur: Becker III.15.28. Das Autograph gilt seit dem Weimarer Schlossbrand 1774 als verschollen. 497 1999 erfolgte auf der Basis dieser Quelle eine konzertante Aufführung durch die Thüringi­ sche Philharmonie Gotha-Suhl unter Leitung von Stephan E. Wehr, der auch das Material besorgte. Es liegt eine Einspielung dieser Aufführungen beim Label NAXOS vor. Philhar­ monisches Orchester Erfurt unter Leitung von Stepahn E. Wehr, Opernchor des Theaters Erfurt, Alceste: Ursula Targler, Parthenia: Sylvia Koke, Admet: Christian Voigt, Herkules: Christoph Johannes Wendel. Naxos 2002. 498 Anfang 1773 bei Weidmans Erben und Reich in Leipzig. Nach Kurrelmeyer Version E1 und als Erstdruck wiedergegeben in Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 415–461.

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gen, darun­ter kleinere Straffungen und Wortumstellungen, vor allem aber eine signifikante Kürzung von Herkules’ Auftritt im 5. Akt, die Wieland in den bereits im Januar 1773 im Teutschen Merkur erschienen Briefen an einen Freund über das deutsche Singspiel, Alceste am Schluss des dritten Briefes ein­ rückt mit dem Vermerk, er wollte die Scene „so verändert […] sehen“, da sie sich für den Zuhörer – nicht etwa Leser oder Zuschauer – also im Kom­ positionsprozess als zu lang und damit als der Rührung hinderlich erwiesen hatte: „der Zuhörer erkaltet und – was gewiß in dem ganzen Stücke sonst nir­ gends geschehen kan – fängt an zu gähnen.“499 Diese Fassung des Textes, wie sie auch als Libretto der Weimarer Uraufführung erschien und weitgehend im 1774 erschienenen500 Particelldruck der Alceste übernommen wird, hat Bodo Plachta in einer Edition501 vorgelegt.502 Rezipiert wurde Alceste jedoch ab 1775 in einer leicht abweichenden Par­ titurfassung,503 die daher als Grundlage einer kritischen Neuedition der Alceste gewählt wurde und der auch die folgende Analyse folgen wird.504 Abgesehen von der Leipziger Quelle geben alle vollständig überlieferten Manuskripte der Alceste diese Version wieder, die aller Wahrscheinlichkeit nach für die Schwetzinger Aufführungen im Jahr 1775 entstanden ist.505 Die Änderungen lassen sich als eine erhöhte Farbigkeit im Orchester zusammenfassen,506 die deutlich auf das Mannheimer Orchester, das seinerzeit eines der besten in Europa war, und insbesondere die berühmten Mannheimer Bläser verweist. So erscheinen beispielsweise die Flöten in dieser Version bereits in der Ou­ vertüre.507 Dass Wieland die Änderungen zwischen dem Erstdruck und der 499 500 501 502 503 504 505 506

507

Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 506. Bei Schwickert in Leipzig. Plachta (2013), S. 18–82. Ein detaillierter Vergleich erfolgt an anderer Stelle für den Kommentar der Oßmannstedter Ausgabe von Wielands Werken. Wobei die Abweichungen so wenig in die Struktur des Stückes eingreifen, dass der Begriff „Fassung“ eigentlich zu weit greift. Anton Schweitzer: Alceste. Tina Hartmann und Stephan Hörner (Hg.) Wiesbaden 2017. Künftig zitiert mit Akt/ Szene/ Nummer und Taktzahl. Die Gründe dafür, warum Alceste in dieser Version über zehn Jahre zu einem der meistgespiel­ ten Stücke des deutschen Sprachraums wurde, werden im Kapitel zur Rezeption ausführlich behandelt. Was zu einer deutlichen Qualitätssteigerung der Musik führte, die in den 2007er Aufführun­ gen und den dabei entstandenen Bild- und Tondokumenten sinnfällig wird. Ausführende: Concerto Köln unter Leitung von Michael Hofstetter. Alceste: Simone Schneider, Parthenia: Cyndia Sieden, Admet: Christoph Genz, Herkules: Josef Wagner. CD- und DVD-Aufnahme erschienen 2008 bei Berlin-Classics. Wer die Einrichtung vorgenommen hat, muss in Ermangelung der autographen Quelle und des ebenfalls bereits im 18. Jahrhundert verbrannten Aufführungsmaterials offenblei­ ben. Nach den Mannheimer Gepflogenheiten oblag eine derartige Einrichtung dem Hof­ kapellmeister Ignatz Holzbauer, sofern der Komponist nicht zu den Aufführungen anreisen konnte. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Schweitzer bereits 1775 nach Schwetzingen reiste



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gesungenen Fassung selbst vorgenommen hat, beweist seine Beschreibung der gravierendsten dieser Änderung im den Briefen an einen Freund  … Die Abwandlungen in den Rezitativen dürften sich dabei bei der gemeinsamen Arbeit mit Schweitzer an der Partitur ergeben haben, bei der Schweitzer den Text direkt nach Wielands Deklamation vertonte. Die Textabweichungen zwischen dem Particelldruck und der Schwetzinger Fassung sind gering, doch zwischen den überlieferten vollständigen Manuskriptabschriften auffällig kohärent und werden ggf. in der Analyse berücksichtigt.508 Grundsätzlich oblag die Einrichtung des Librettos für eine Mannheimer Hofoper – und als solche wurde Alceste auch bereits im Schlosstheater in Schwetzingen auf­ geführt  – Anton Klein (1748–1810). In der, im Kontext der Alceste noch sehr freundlichen, Korrespondenz gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass Klein eigenmächtig Änderungen vorgenommen hätte. Wenn doch, so hätte Wieland dies später im Zuges des um Kleins Libretto zu Günther von Schwarz­ burg sich entwickelnden Zwists sicherlich kommentiert, in jedem Fall aber die Änderungen zurückgenommen, statt sie teilweise in die Version letzter Hand zu übernehmen.509 Von dieser, für den Band  26 der Sämmtlichen Werke vorgenommenen Überarbeitung unterscheidet sich der Erstdruck mit seinen Varianten der Vertonung deutlich, indem Wieland den Text von einem Gesangstext zu ­einem Leselibretto überarbeitete und dabei teilweise die Notenwerte berück­ sichtigte, aber nicht selten völlig ignorierte.

4.9.1  Erster Akt – von Metastasio zur Empfindsamkeit Wieland und Schweitzers Alceste ist von den ersten Takten an Reformoper. Die zeitgenössischen Zuhörer müssen die Ohren gespitzt haben, dass Schweitzer statt mit einer italienischen Sinfonia mit einer dreiteiligen fran­ und die umsichtige, nicht in die kompositorische Textur der Partitur eingreifende Erweite­ rung des Orchestersatzes aus dem vorhandenen Material ist typisch für Holzbauer. In jedem Fall entsprachen die Erweiterungen Schweitzers Wille, der nirgends seinen Unwillen darüber bekundete und in der Rosamunde in dieselbe Richtung arbeitete. Vielmehr noch: Als Alceste 1776 in Gotha in Schweitzers unmittelbarem Wirkenskreis und mutmaßlich sogar unter sei­ ner Leitung wieder aufgeführt wurde, wurde ebenfalls die Schwetzinger Version verwendet, wie das erhaltene Stimmenmaterial beweist. 508 Beispielsweise bei gleichen Notenwerten von „Geliebte, fasse Dich“ auf: „Fasse dich, Ge­ liebte“. 509 Tatsächlich korrespondiert der überwiegende Teil der Änderungen der Schwetzinger Fassung mit der Fassung letzter Hand, so dass eine zufällige Übereinstimmung ausgeschlossen werden kann. Zu den Korrespondenzen gehört auch, dass geänderte Passagen ganz wegfallen; was sich so interpretieren lässt, dass Wieland auch nach mehreren Varianten keine befriedigende Lösung fand, wie am Beispiel einer Variante exemplarisch dargestellt wird.

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zösischen Ouvertüre in den Tempi Grave, Allegro, Grave anhebt. Unüber­ hörbar will sich dieses Singspiel mit dem genus grande messen und so bahnt sich – in dezidierter Abgrenzung vom heiteren deutschen Singspiel – mit dem klanglichen Querverweis auf die von Wieland im „lyrischen Drama“ evozierte Tragédie lyrique eine Tragödie an. Dass Schweitzer dazu nicht an Rameau oder Pariser Komponisten der Entstehungszeit anknüpft, sondern barocke Muster der Zeit um 1700 aufgreift, ist jedoch durchaus kein Zeichen seiner Rückständigkeit. Ganz im Gegenteil: die Ouvertüre der Alceste ist ein gezielter musikalischer Querverweis auf Lully, an dessen Alceste ou le triomphe d’Alcide die Autoren mit ihrer Oper anknüpfen und damit einen ähnlichen gattungsprägenden Impetus als Singspiel nach dem Muster der Alten formulieren. Die erste Szene zeigt Alceste allein in Erwartung des Boten aus Delphi. Trocken, buchstäblich ganz alleine und in tiefer Lage raunt sich Alceste selbst zu: „Er ist gekommen,/ Der Bote, der die Antwort mir des Gottes/ Von Delphi bringt.“510 Das Orakel, in den barocken Alceste-Vertonungen und bei Gluck Mittel effektvollen Theaters mit einer sprechenden Statue oder Gott in der Maschine, ist in weite Ferne gerückt. Nur mittelbar kommuniziert der Mensch noch mit fernen Göttern in einem doppelten Botenbericht, mit dem die Schwester Parthenia die Nachricht entgegennimmt und Alceste überbringt, ehe das Gottesurteil zu ihren Ohren dringt. Die sprachliche Figur „Ich wagt es nicht/ ihn anzuhören!“ wird mit „Ach! ich wagt es nicht/ Die Augen zu ihm aufzuheben.“511 wiederholt, abgewandelt und gesteigert. Der Ausruf „ach!“ ist als zweigestrichenes g der höchste Ton des Rezitativs und ein Schrei, der am Ende sein Pendant finden wird in der Bitte an die Götter „Wo nicht [zwei­ gestrichenes ‚f‘], so lasset mich mit ihm erblassen.“512. Schweitzer baut damit die Spannung im Rezitativ auf und gibt ihm eine unverwechselbare, direkt aus der Deklamation erwachsende Struktur.513 Alcestes Anrede an die Götter geht eine ihre steigende Erregung verdeutlichende Aufwallung der Streicher im Or­ chester voran, die abbricht, mit der Anrede „Götter“ wieder aufgegriffen wird und auf die Arie hinleitet. Wieland meidet Reimworte im Rezitativ der Alceste noch stärker als in Aurora. Wo sie doch auftreten, erhalten sie, ähnlich wie in Shakespeares Dramen und Metastasios Libretti,514 umso stärkeres Gewicht, stehen zumeist am Ende eines Redeblocks und umarmen einen ungereimten

510 511 512 513

Alceste I/1, Nr. 1, T. 1–3. Ebenda, T. 3–6. Ebenda, T. 17–19. Wenn man eine Parallele zu Wagner suchen wollte, so wäre sie in dieser dichten Wort-Ton-Be­ ziehung zu finden. 514 Deren Rezitative vorzugsweise mit einer Sentenz schließen.



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Vers.515 Schweitzer folgt hier dem Reim und greift am Ende des Rezitativs die Figur von „Flehn euch rühren lassen“516 auf und modifiziert sie zu der gewichtigen Kadenz „(Wo nicht, so lasset) mich mit ihm erblassen“. Wenige Rezitativverse exponieren den zentralen Konflikt: „An seinen Lippen hängt/ Dein Schicksal, mein Admet, das Schicksal/ Deiner Gattin.“517 Von kleinen Ir­ ritationsmomenten wie dem ins Rezitativ eingreifenden Orchester abgesehen, folgt damit auf die französische Ouvertüre die Sphäre der italienischen Opera seria. Entsprechend geht Alcestes erster Arie ein ausgedehntes Ritornell voran: Zwischen Angst und zwischen Hoffen Schwankt mein Leben, wie im Rachen Der empörten Fluth ein Nachen Ängstlich zwischen Klippen treibt. Der Donner rollt, die Winde brausen, Die aufgewühlten Wochen kochen, Rings um mich her ist Nacht und Grausen. Dies Herz, ein Herz das nichts verbrochen, Ist alles was mir übrig bleibt. Zwischen Angst und zwischen Hoffen Schwankt mein Leben wie im Rachen Der empörten Fluth ein Nachen Ängstlich zwischen Klippen treibt.518

515 So auch im zweiten Rezitativ, wenn Parthenia mit den Versen: „und soll/ Bis an das fernste Ziel der Menschheit leben,/ Wenn jemand sich entschließt/ Für ihn sich hinzugeben“ das zentrale Dilemma der Oper bekanntgibt. 516 Alceste, I/1, Nr. 1, T. 15. 517 Ebenda, T. 9. 518 Ebenda, Nr. 1a, Arie. Schöne beschreibt den Tugend-Fels als eine zweigliedrige Stilfigur, die sich z.  B. in Gryphius’ Leo Armenius so anhört:            Wo ihr die donnerkeile Die stürme rawen glücks/ alß Felsen in der See Empfindet vnerschreckt/ wo euch die grause höh/ Der Klipp’ auff der wir stehn in keinen Schwindel stürtzet: So haben wir die macht der Tyranney verkürtzet.

In Lohensteins Epicharis wird das Bild verkürzt verwendet als: „Die Unglücks-Welle, die am Tu­ gend-Fels sich bricht“ (beides zit. nach Schöne [1994], S. 139). „Den Anfechtungen und Schick­ salsschlägen, dem Unglück der Fortuna-Welt, das die subscriptio in den heranbrandenden Wel­ len, und der unerschütterlich standhaltenden Tugend, die sie im Sinnbild des Felsens entdeckt, fassen diese substantivischen Genitivkomposita in äußerster Verknappung zusammen. Pic­ tura und subscriptio enthalten sie zugleich.“ Schöne: Emblematik und Drama (1994), S. 140.

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Alcestes Arie ist im Libretto eine in mehrfacher Hinsicht klassische Da capoArie. Bereits der Erstdruck des Textes schreibt die Da capo-Struktur mit dem wiederholten Abdruck des A-Teils aus, wie alle im Stück folgenden Da capo-Arien. In den Libretti der Barockzeit (auch bei Metastasio) ist diese Ver­ fahrensweise zumindest unüblich, die Angabe ‚DC‘ unter dem zweiten Teil genügte in der Regel. Doch auch Goethe sollte angesichts sich wandelnder Gesangsformen Da capo-Arien in seinen Libretti ausschreiben. Bereits in Aurora war die Da capo-Form, auf die die formalen Experimente zustrebten, Teil der Textaussage. Alceste nun, die Titelfigur eines nominellen Singspiels, tritt gleich nach einem denkbar knappen Rezitativ mit einer Arie des ganz großen Genres auf  – einer Arie, die heroischer kaum sein könnte. Unüber­ sehbar wird die Emblematik von Metastasios Bravourarien für seine männ­ lichen und seltener auch weiblichen Hauptfiguren bis in Details hinein zitiert. Schweitzer schreibt im Orchester die entsprechend wogende Musik unter den Bug und für Alceste waghalsige Intervallsprünge in die Singstimme. Je­ der im Publikum kannte die Sprache und Bildlichkeit vom hilflos auf wilder See treibenden Schifflein,519 die geradezu eine Signatur der italienischen Opera seria bildet. In ihrem Zitat macht die Oper bereits im Anheben deutlich, dass hier kein seelenadeliges Land- oder Bürgermädchen in der Gestalt der Al­ ceste auftritt, sondern eine Königin, die den feudalen und heroischen Duktus perfekt beherrscht. Der Verweis ist so klar, so stereotyp, dass er unschwer als intertextueller Querverweis erkennbar ist. Die Forschung hat diese Reminiszenz auch praktisch durchgängig und weitgehend einmütig beschrieben,520 sich je­ doch von diesem monolithisch am Eingang des Stücks stehenden Postulat zu einer Gesamtdeutung hinreißen lassen, die die Arie ungeprüft als Modell auf die gesamte Oper überträgt und dabei übersieht, dass dies die einzige emble­ matische Arie der Alceste ist – mehr noch, die einzige in Wielands gesamter Librettistik! Wieland und Schweitzer rufen Metastasio dezidiert als das zweite Mo­ dell neben der bereits in der Ouvertüre gegenwärtigen Tragédie lyrique auf. Alceste, das Singspiel, die förmliche Oper in fünf Akten (wie die Tragédie 519 Auch knapp dreißig Jahre nach Farinellis Rückzug von der Bühne war nicht zuletzt der Text seiner großen Bravourarie „Son qual nave ch’agitata“ („Ich bin wie ein Schiff auf wildem Wasser“) weithin bekannt, die ihm sein Bruder Riccardo Broschi als Einlage-Arie zu Hasses Artaserse (1730) geschrieben hatte. 520 Bereits Bodmer kritisierte, dass Alceste hier „Gleichnisse wie Postel“ mache. Zit. nach Krä­ mer (1998, S. 232 Fn. 111), der sich diesem Vorwurf mit der Analyse anschließt: „Die Arien sind meist sentenzhaft bzw. als ‚Gleichnisarien‘ […] mit einem durchgängigen Zentralaffekt angelegt“. Vgl. ferner abermals Jörg Krämer: Ein „für die musikalische Poesie höchst mus­ terhafter und klassischer“ Dichter. Metastasio und das deutsche Singspiel. In: Metastasio im Deutschland der Aufklärung. (2002), S. 93–95. Die Analyse zeigt und wird weiter zeigen, dass dies vor allem für die Vertonung nicht zutrifft.



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lyrique, nicht in drei, wie bei Metastasio) „wie das regelmäßigste Trauer­ spiel“521 – wird sich in Zwiesprache zwischen diesen beiden Modellen analog zum vermischten Geschmack der deutschen Barockoper und dank Schweitzers innovativem Zugriff auf das Singspiel zu einem eigenständigen Entwurf ent­ wickeln, der die Vorbildgattungen in ein die Landschaften der menschlichen Seele abschreitendes Musiktheater überführt. Schweitzer führt den B-Teil ohne Tempo- und Tonartwechsel ein, und dem Text folgend wird Alcestes Situation immer bedrängender. Mit „Nacht und Grausen“ wird es schwarz um sie, die Gesangslinie sinkt hinab zum c und erreicht mit Musik und Text ihren Endpunkt. Hier wechselt die Arie zum tanzhaften ¾-Takt und die Stimme in die hohe Lage „Dies Herz, ein Herz das nichts verbrochen,/ Ist alles, was mir übrig bleibt“522. Nicht der Glaube, wie ursprünglich in der barocken Allegorie, ist hier der emblematisch ver­ schlüsselte Fels in der Brandung. An die zentrale, weltdeutende Stelle der Religion tritt das menschliche Herz, das unkorrumpierbare, aber eben auch nicht objektivierbare Gefühl. Wo kulturelle Prägung, Rhetorik und Erzie­ hung versagen: an der Frage, ob ein Mensch sich für einen Geliebten opfern darf, ja ob der Stellvertretertod überhaupt eine zulässige Option ist – was Parthenia gleich verneinen wird, weil nicht einmal der bereits „abgelebte Greis“ und Vater Admets sich dazu bereitfindet – da ist das eigene Herz die alleinige Instanz, die Alceste anerkennt. Diese absolut gesetzte Empfindung erkennt keine äußeren Grenzen an, wie Werthers Ausspruch: „Auch halt ich mein Herzgen wie ein krankes Kind, all sein Wille wird ihm gestattet.“523 es wenig später auf die Spitze treiben sollte. Auch Metastasios Helden sprechen vom Herzen, wenn sie ihre Ent­ scheidungen treffen. Doch ist dieses mitnichten Sitz einer alle gesellschaft­ lichen, moralischen und religiösen Zwänge überschreitenden Subjektivität, sondern hat im genauen Gegenteil gerade die rationalistisch erkannten Not­ wendigkeiten von Ehre, Dynastie und Moral verinnerlicht, und bewegt den Helden dazu, gerade nicht seinen Leidenschaften zu folgen, sondern diese zu überwinden. Die Komposition gibt mit ihrem Takt- und Motivwechsel mitten im B-Teil ein Indiz dafür, dass das Pathos hier nur so hoch aufgebaut wird, um anschließend umso wirkungsvoller desavouiert zu werden. Die Arie steht zwar als typische Abgangsarie am Ende der Szene, doch tritt Alceste nicht ab, sondern Parthenia kommt hinzu. Fast durchgehend als Secco-Rezitativ gestaltet, wird nun zügig der zentrale Konflikt verhandelt. Nur an einer Stelle untermalen die Streicher die Todesgefahr, in der Admet schwebt. 521 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 490. 522 Alceste I/1, Nr. 1a, T. 164–180. 523 1. Theil, 13. May 1771. Johann Wolfgang Goethe. Die Leiden des jungen Werthers. FA. I, Bd. 8, S. 16.

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Für Wielands Rezitativgestaltung findet man in der Literatur häufig die Beschreibung Blankvers.524 Tatsächlich handelt es sich zumeist um Jamben, häufig, aber nicht durchgängig mit fünf Hebungen, sondern häufig mit vier und bis zu zwei Hebungen herabsinkend, wodurch die Variabilität des Madri­ galverses evoziert wird. Auffällig ist die nur seltene Reimbindung, und damit bedeutsamste Änderung gegenüber Aurora. Die beste Beschreibung wäre also Blankmadrigal.525 Die häufigen Enjambements (viel häufiger als in Lady Johanna Gray) lassen die Versenden in vielen Fällen willkürlich erscheinen und nähern die Rezitativsprache wie beim Blankvers einem natürlichen Sprech­ gestus an. Mit dieser kunstvollen und edlen, doch zugleich einem ungezwun­ gen und (scheinbar!) natürlichen Sprachgestus folgenden Rezitativsprache steht Wieland und Schweitzers Oper solitär in ihrer Zeit und darüber hinaus. Vor allem die fehlende Reimbindung in Verbindung mit den Enjambements vermeidet das vorhersehbare Gleichmaß in den Libretti der deutschen Ba­ rockoper,526 da Schweitzers Vertonung die musikalische Phrase frei gestalten kann, indem er das im Text vorgegebene Zeilenende wahlweise respektiert oder überspielt. Daraus erklärt sich der das Publikum mitreißende, zu Tränen berührende und stellenweise geradezu naturalistische Effekt der Alceste,527 der eindrucksvoll Wielands Vertrauen in die Operneignung der deutschen Spra­ che bestätigt. Eine Oper in deutscher Zunge, – in der Sprache, worinn Kayser Carl der Fünfte nur mit seinem Pferde sprechen wollte, – von einem Deutschen gesetzt, von Deutschen gesungen […] Die Vorzüge der welschen Sprache vor der unsrigen, in Absicht der S i n g b a r keit, sind bekannt und unläugbar: allein Hagedorn, Utz, Rammler [sic!], Gerstenberg, Jacobi, haben uns Beweise gegeben, daß auch die deutsche unter den Händen eines Meisters musikalisch wird.528

Gemäß Wielands Diktum „Je einfacher der Plan und die Ausführung, je bes­ ser! Keine episodischen Personen! Kein Neben-Interesse! Keine schön ver­

524 Vgl. Gelzer (2005), H. 3, S. 451. 525 Auch wenn Wieland den Blankvers stets etwas freier handhabt als beispielsweise Lessing, liegt hierin einer der zentralen Unterschiede zu Goethes Iphigenie. Gleichwohl wird diese zu Recht mit der Alceste in Verbindung gebracht, denn es gibt eine ganze Reihe anderer Bezüge: Thematisch die weibliche Opfer, respektive Märtyrerfigur, den Rückgriff auf ein Drama des Euripides und der empfindsamen respektive ‚verteufelt humane‘ Grundgestus. Auch sprach­ lich ist die ungereimte jambische Sprache als deutsches Äquivalent für den antikisierenden Redegestus eine deutliche Parallele. 526 „Die Fesseln des Reimes“, die Wieland an Königs Getreuer Alceste kritisiert. 527 Und heute noch in der Lage ist, hervorzurufen. 528 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 490–491.



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sificierte Schul-Chrien [529], da wo der Affect allein reden, keine Tiraden, da wo er ganz verstummen soll!“530 berichtet Parthenia in knappen, markanten Sätzen den Inhalt des Orakelspruchs und die Weigerung des alten Vaters, sich für den Sohn zu opfern. So knapp schürzt weder Quinault noch Calza­ bigi (bei dem der Vater auch nicht auftritt), den zentralen Knoten. Selbst bei Euripides, bei dem bereits das Opfer der Alceste in der Vergangenheit liegt, nimmt die Exposition des Konflikts breiten Raum ein. Wieland beweist mit dem gedoppelten Botenbericht der Parthenia zum einen, dass es durchaus möglich ist, eine Oper unter Einhaltung der aristo­ telischen Einheiten zu schreiben, zum anderen, dass die Konzentration der Handlung auf die zentralen Konflikte selbst bei einem so verwickelten Stoff möglich ist „Handlung kann nicht gesungen, sie muß agirt werden; je mehr Handlung also, je weniger Gesang.“531 Alceste realisiert diese Position, indem ihre Entschließung, bei Calzabigi immerhin Gegenstand eines längeren, räso­ nierenden Rezitativs und bei Quinault einer Szene u. a. mit dem Vater Pheres und der Hofdame Cephise, quasi im Hintergrund des Rezitativs abläuft, doch nur das Ergebnis von Alceste geäußert wird: „Er ist gefaßt!“532. Ohne einen Ton Vorspiel oder gar ein Ritornell abzuwarten, beginnt sie ihre Weihe an die „Götter der Hölle“, womit sich Schweizer und Wieland bereits in der zweiten Arie wirkungsvoll vom soeben aufgerufenen Schema der Opera seria lösen und die moderne Verfahrensweise u.  a. Glucks aufgreifen. Sie spricht nicht lange davon, was sie thun w i l l ; sie läßt Parthenien keine Zeit, ihren Entschluß zu bestreiten – um dem Dichter Gelegenheit zu geben, sie schöne Antworten aufsagen zu lassen. Anstatt alles dessen, kniet sie hin und weyht sich den Todesgöttern!533

Die Handlung wird auf die unabdingbaren Aktionen komprimiert mit der Maßgabe, emotionale Staudämme für die Gefühle aufzubauen, die sich dann im Gesang Luft verschaffen. Denn: „Hier, wo di e S p r a ch e d e r M u s e n allein geredet wird, muß alles warme Empfindung und glühender Affekt seyn.“534 Die Sprache der Musen, die Musik, fordert als Gegenstand des Sing­ spiels das Gefühl. So weit bewegt sich Wieland eher konservativ auf dem Boden der zeitgenössischen Ästhetik. Doch ist dieser Affektbegriff nicht mehr vergleichbar mit den auf Descartes zurückgehenden Affektkatalogen

529 Schulaufsätze. 530 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 493. 531 Versuch, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 320. 532 Alceste, I/1, Nr. 2, T. 53. 533 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 496. 534 Ebenda, S. 493.

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der Barockoper, die für die Vertonung eine eindeutige Zuordnung und ei­ nen raschen kontrastiven Affekt-Wechsel, das sog. chiaroscuro fordern.535 Im Gegenteil dazu wünscht Wieland im Versuch ausdrücklich „eine ausgeführte Behandlung und Entwicklung der Affekten“536, die in der herkömmlichen Intrigen-Dramaturgie geradezu verhindert würde. Mit Wielands Forderung werden die Affekte in das mit dem Individuum verbundene, individuelle Ge­ fühl transferiert.537 Die zweite Arie der Alceste demonstriert überdies, wie die Metastasia­ nische Dramaturgie – der zufolge die Handlung im (dynamischen) Rezitativ stattfindet und die Affekte in der (statischen) Arie ihren Platz haben – durch­ brochen wird. Ihr Götter der Hölle, Ihr furchtbaren Schatten, O schonet den Gatten. Hier bin ich, und stelle Zum Opfer mich dar. (Sie fällt auf die Knie nieder/) Euch weyh ich mein Leben. (Sie steht wieder auf) Sie habens vernommen; Sie kommen, sie kommen. Ich höre das Schweben Der schwarzen Gefieder, Sie steigen hernieder, Sie holen das Opfer Zum Todesaltar. Ihr Götter der Hölle, Ihr furchtbaren Schatten! O schonet den Gatten. Hier bin ich, und stelle Zum Opfer mich dar.538

535 Vgl. Krämer (1998), S. 235. 536 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 321. 537 Krämer (1998, S. 224) spricht in diesem Zusammenhang von der „Herstellung jenes Raums einheitlicher Empfindung“. 538 Alceste I/1, Nr. 2a, T. 1–117.



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Alceste weiht sich mit dieser, die Ombra-Arie bzw. -Szene der italienischen Oper aufgreifenden Arie539 den Göttern der Hölle, den Parzen, die als alte Gottheiten nicht der Gewalt der Olympier unterstellt sind. Vor allem die ältere Forschung hat viel Aufwand darauf verwendet herauszufinden, aus welchen antiken Quellen Wieland die Vorstellung schwarzgefiederter Götter bezogen hat.540 Auffällig ist vor allem, wie antike und moderne Sprachbilder sich mischen, obgleich Wieland in seinem Aufsatz über die älteren Alcesten ausdrücklich gegen die Vermischung antiker und christlicher Vorstellungs­ welten etwa in Königs Bearbeitung Stellung bezogen hat: „warum anstatt des Höllenreichs, welches für uns mit so widrigen Eindrücken vergesell­ schaftet ist, nicht lieber Schattenreich?“541 Gleichwohl evoziert seine eige­ne Bearbeitung ebenfalls die christliche Bildlichkeit der „Hölle“, wo das Elysium zu erwarten wäre: Auch den weniger altphilologisch gebildeten zeitgenössischen Zuschauern dürfte bewusst gewesen sein, dass die antike Todeswelt nicht in Himmel und Hölle aufgeteilt war. Zwar gab es mit dem Tartarus542 durchaus eine Zone für die Verbrecher, doch Alceste, die sich für ihren Gatten opfert und überdies über ein Herz verfügt „das nichts verbro­ chen“, kann sich eigentlich eines Ehrenplatzes in den Gefilden der Seligen wie im Andenken der Menschheit sicher sein.543 Wieland verwendet die Bild­ lichkeit der Hölle und die Vorstellungen, die der Zuschauer davon im Kopf trägt, nicht als räumlichen, sondern als emotionalen Querverweis, um Alces­ tes Todesangst zu schildern, die irrational und doch für jeden nachvollzieh­ bar ist und die den pathetischen Mut der Königin in ihrer Wortwahl entlarvt. Die Singstimme beginnt strahlend und fest. In wogenden Sechzehntelfigu­ ren setzen die Violinen Alcestes innere Aufwallung nach den ersten beiden

539 Vgl. Geyer (2002, S. 50), die überdies auf Parallelen zu Mozarts (späterer) Arie der Königin der Nacht (1791) und Idomeneo (1781) hinweist: „eine aufwühlende Arie, die auf Mozart ver­ weist, aber als Typ in der Tradition der Ombra-Arie oder -Szene steht. Parallelen zu Mozarts Arie der Königin der Nacht oder zur Beschwörungsszene des Idomeneo sind evident.“ 540 Olga Franke: Euripides bei den deutschen Dramatikern des achtzehnten Jahrhunderts, Leip­ zig 1929, S. 158  f. 541 Über einige ältere teutsche Singspiele … Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 115. 542 Es ist vor allem Parthenia, die den Begriff Tartarus im Mund führt. Alceste warnt sie vor der „ewigen Nacht des Tartarus“, um die Freude des Lebens wirkungsvoll dagegen abzuset­ zen. Später sagt sie zu Herkules, „vor wenig Stunden schwebte noch sein Geist im Tor des Tartarus“. So könnte man das zwar auf den ersten Blick als Indiz dafür werten, dass Admet tatsächlich infolge schuldhaften Verhaltens gegen die Götter (etwa durch ein unterlassenes Opfer) erkrankt ist. Doch werden im Tartarus nur Kapitalverbrechen wie Hochverrat an den Olympiern oder Mord an Blutsverwandten bestraft. Dass der sprichwörtlich gute Gastgeber und Menschenfreund Admet ein solches Verbrechen begangen hat, ist auszuschließen, Par­ thenias Wendung nutzt also hier einmal die alliterierende Qualität der beiden Wörter, zugleich aber zeigt die Wortwahl ähnlich wie bei Alceste ihre Angst vor den Schrecknissen des Todes. 543 Und sie ist es bei Quinault und Calzabigi auch.

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Versen um, folgen der flehentlichen Bitte, um dann in zwei Takten Alcestes rasenden Herzschlag vorwegzunehmen, mit dem sie sagt „hier bin ich“. Der Zuschauer sieht und hört die Figur, bewundert ihre Courage, aber hat zu­ gleich Teil an ihren Gefühlen und kann ihre Qual nachempfinden, wodurch Mitleid und Bewunderung zugleich entstehen und jene Unmittelbarkeit in der Wirkung einlösen, die Wieland für das Singspiel fordert und in der Oper die Märtyrerfigur mit und mittels der Vertonung zugleich zu einem gemischten Charakter wird: Welches sind die Scenen, wo der Komponist seinem Genie einen freyen kühnen Flug erlauben; wo die Musik ihre ganze Seelenbezwingende Macht ausüben kann; wo wir ganz Ohr, ganz Gefühl sind, wo unsre Herzen sich erhitzen, glühen, schmel­ zen? – Sind es nicht diejenigen, wo der Dichter und der Tonkünstler, mit vereinigten Kräften, uns von einer Empfindung zur andern, einer Stufe des Affekts zur andern, mit sich fortreißen, und nicht eher ablassen, bis sie uns in die nemlichen Bewe­ gungen gesetzt haben, wovon die handelnden Personen selbst durchdrungen sind? Sind es alsdann nur wenige Worte, oft nur ein einziges Wort, ein Ton, ein Blick, eine Bewegung mit der Hand, die uns das Herz umkehren?544

Auch bei dieser Arie ist die Wiederholung des A-Teils ausgeschrieben und wird von Schweitzer als Dal segno-Arie realisiert, wodurch nur der Abschnitt des A-Teils wiederholt wird, bei dem Alceste sich schon wieder besser im Griff hat. Die erste unmittelbare Aufwallung bleibt als einmalige Überwälti­ gung dem Beginn der dramatischen Anfangssituation der Arie vorbehalten. Im Erstdruck des Librettos545 fehlen die szenischen Anweisungen, die den Vers „euch weih ich mein Leben“ umschließen.546 Einzigartig ist, dass diese Anweisungen hingegen sowohl in den überlieferten Partituren als auch im Particelldruck vermerkt sind. Szenische Anweisungen in Partituren, insbe­ sondere in einer Arie unterzubringen, ist zeitgenössisch zumindest ausgespro­ chen unüblich, und es sind dies die einzigen szenischen Anweisungen in den Partiturmanuskripten der Alceste, was ihre programmatische Bedeutung an dieser Stelle unübersehbar macht und zeigt, wie dem Gestischen hier Werk­ status gegeben wird. Vor allem aber vollzieht sich hier Handlung, und zwar die alles entscheidende Handlung der Oper, direkt in der Arie. Auch musikalisch wird die Phrase als Gelenkstelle mit einem eigenen Motiv versehen und erst anschließend, also formal mitten im B-Teil, wechselt das Tempo zu ¾ und „Allegro man non troppo“. Es bedeutet aber noch mehr: Der Vorgang der Selbstweihe ist unmittelbar Alcestes Gesang. Die Macht des Gesanges besteht

544 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 320–321. 545 Leipzig 1773, S. 9. 546 Der im Erstdruck allerdings links ausgezogen gedruckt, also typographisch betont wird.



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offenbar u. a. darin, dass die Menschen singend direkt mit den Göttern kom­ munizieren können und keine weitere magische Handlung nötig ist, um den Tod der Figur herbeizuführen.

Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). I/1, Arie der Alceste „Ihr Götter der Hölle“ (Ausschnitt). Manuskript, 1770er Jahre. Österreichische Nationalbibliothek, Wien.

Das Pathos der Selbstweihe fällt im B-Teil zunehmend in sich zusammen, ohne dass die Figur dadurch desavouiert würde. Im Gegenteil: Alceste ist eine Heldin, doch sie ist keine strahlende Märtyrerin, sondern, wie bereits die Tonart der Arie g-moll verdeutlicht,547 vor allem ein Mensch, und das Selbstopfer kostet sie größte Überwindung, weil sie sich aus dem vollen Leben verabschiedet. Sie ist eine gesunde junge Frau, keine Todessüchtige, die dankbar die Chance zum Sterben ergreift. Die barocken Bearbeitungen lassen Alceste sich erstechen. Bei Aureli und Quinault wird dieser nicht bühnenfähige Vorgang durch ein bei Admets Genesung enthülltes Stand­ bild gezeigt, König hingegen lässt sie sich sogar auf offener Bühne töten. 547 Die nach Schubart für Missvergnügen und Unbehaglichkeit steht.

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Dass Wieland sich eher an Calzabigis und Euripides’ Erzählung des Stof­ fes anschließt, bei der Alceste nach dem Opfer auf magische Weise stirbt, entspringt seinem Bedürfnis, das Pathos des Selbstopfers Stück um Stück abzubauen, um den Tod schließlich musikalisch realisierbar zu machen: „einen so sanften schönen Tod als Alceste stirbt, kann man schon singend sterben.“548 Alceste wird der pathetische, schnelle Tod aus dem hohen Erregungs­ niveau heraus versagt. Sie muss noch anderthalb Akte leben, die Beweg­ gründe für ihr Opfer diskutieren und verteidigen und die dem natürlichen Sprechgestus angenäherte Rezitativsprache lässt dem Pathos keinen Raum. Damit verfolgt Alceste Wielands grundsätzliches Ideal einer an den natür­ lichen Sprechgestus angenäherten Verssprache, die er über Jahrzehnte in den Versepen entwickelt hat und folgt mit ihr dem Ziel, der Dichtung und hier sogar der Oper, der pathetischen Form schlechthin, das Erhabene auszutrei­ ben zugunsten des Schönen und der Rührung.549 Die folgende, längere Wechselrede zwischen Alceste und Parthenia ist mit dem Begriff Rezitativ obligato kaum mehr zu fassen. Bereits im dritten Takt setzen mit dem Andante die Streicher ein, in Takt acht sogar die Flöten, und helfen Parthenia bei dem Versuch, ihre aufgebrachte Schwester zu sich selbst zurückzubringen. Gesang und Orchester wechseln einander ab und über­ schneiden sich an den Rändern. Diese melodramatische Rezitativgestaltung verbindet Expressivität und Wortverständlichkeit und hat doch, anders als das gesprochene Melodrama Rousseaus, den Vorzug einer durchgängig musi­ kalischen Gestaltung. Lediglich besonders emotionale Momente wie Parthe­ nias fußaufstampfendes „Schrecklich! Nein! du sollst es nicht.“ (T. 27 und 28) werden parallel und überdies hier in forte vom Orchester begleitet. Alcestes „O! Meine Kinder!“ (T. 35–40) und „Du lebst, Admet“ (T. 69–73) verdich­ ten sich mit dem Orchester zu einer fünftaktigen ariosen Miniatur. Ab Takt 62 und wieder ab 90 setzen die Streicher Alcestes Schaudern wirkungsvoll um und leiten über zur dem kleinen Larghetto „Parthenia! Admet! wo seyd ihr?“550, in dem Alceste realisiert, dass sie im Sterben plötzlich ganz alleine ist. Verzweifelt und vergeblich appelliert Parthenia an die Stimme der Natur. Alceste entscheidet sich nicht für ihre blutsverwandte Familie aus Kindern und Schwester, sondern für den in einer freien Herzensentscheidung selbst gewählten Partner: Mit „wie süß ists der,/ Die nur für dich gelebt, für dich

548 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 319. 549 Vgl. Jan Philipp Reemtsma. Die Kunst aufzuhören oder: warum Wieland nach 1748 keine Verse mehr geschrieben hat. In: Jan Philipp Reemtsma: Der Liebe Maskentanz. Aufsätze zum Werk Christoph Martin Wielands. Zürich 1999, S. 277–303. 550 Alceste, I/1, Nr. 3a.



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zu sterben“551 wird in deutlicher Abgrenzung vom dynastischen Problem552 sowohl der antiken Vorlage wie auch der barocken Bearbeitungen die Liebe ins Zentrum der Ehe gerückt. Bereits in ihrer vorangegangenen Arie hatte Alceste, von Schweitzer sorgsam auskomponiert, auf dem Wort Gatten ver­ harrt. Der Begriff ist zentral für den empfindsamen Ehediskurs des 18. Jahr­ hunderts. Ausdrücklich bezeichnet Alceste ihren Mann mit der bürgerlichen Bezeichnung Gatte, obgleich sie als Königin eigentlich die adelige Variante Gemahl verwenden müsste.553 Doch der Gemahl Admet ist für sie in erster Li­ nie der bürgerliche Gatte.554 Umso mehr irritiert, wenn Alceste am Ende des ersten Aktes singt „ich sterb, ein Opfer meiner Pflicht“555, denn eine wie auch immer geartete äußere Verpflichtung gibt es nicht. Kein Chor beklagt das führungslose Vaterland und lobt ihre Entscheidung, Parthenias Reaktion ist blankes Entsetzen, und wie sich bald zeigen wird, trifft Alceste mit ihrer Ent­ scheidung auch bei dem derart beschenkten Gatten nicht auf Gegenliebe. Man sollte den Vers daher einfach wörtlich nehmen: Alceste fällt sich selbst zum Opfer – ihrer maßlosen, modern würde man vielleicht sagen, krankhaf­ ten Fixierung auf Admet, die niemand von ihr verlangt oder gutheißt. Diese und die weiteren melodramatischen Szenen lassen sich unter formalen Gesichtspunkten und mit Blick auf die Operntradition auch als Accompagnato-Rezitative beschreiben und speisen sich vermutlich auch aus dieser Form. Da die Funktion der Musik aber eher dem Melodrama entspricht, indem sie punktuell und möglichst wortgetreu die Emotionen des Textes musikalisch umsetzt, sind sie mit dieser Bezeichnung besser zu fassen.

551 Ebenda, Nr. 3, T. 70–73. 552 Mit dem Alceste bei Euripides und noch bei Calzabigi mit ihrem Tod auch die Erbfolge ihrer Kinder sichern will, worauf noch ausführlich zurückzukommen sein wird. 553 Noch Wagner sollte in Lohengrin beide Begriffe im Wechsel verwenden, seinen Helden jedoch Elsa ausdrücklich danach fragen lassen, ob er ihr Gatte sein solle, was nach dem bereits mehr­ fach verkündeten Heiratsversprechen der jungen Herzogin an jeden beliebigen Retter nur verständlich ist, wenn man es als direkten Rekurs auf eine alle herrschaftlichen Rechtsformen beiseite lassende Vereinigung zweier Menschen versteht. 554 Damit steht Alceste in der Linie der adeligen Frauen der aufklärerisch-empfindsamen Litera­ tur, die trotz ihrer Herkunft die bürgerliche Ehe wählen: Gellerts Schwedische Gräfin von G***. und die Mutter des Fräulein von Sternheim der Sophie La Roche. 555 Alceste, I/1, 3a, T. 38–44.

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Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). I/2, Rezitativ der Parthenia und Alceste „O Götter, höret nicht“ (Ausschnitt).

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Die Königin kehrt zurück

415

4.9.2  Zweiter Akt – vom König zur sozialen Mutter Der zweite Akt beginnt mit einem denkbar starken Kontrast. Der überra­ schend genesene Admet tritt auf mit einem kurzen Rezitativ – in dem er sympathischerweise gleich nach dem Verbleib seiner Gattin fragt – und einer abermals ohne Vorspiel anschließenden Arie.556 Admet erscheint als ein König, der die heroischen Umgangsformen ge­ nauso beherrscht wie seine Frau. Der Text impliziert eine Wiederholung des ersten Teils, allerdings mit der sinnstiftenden Modifikation, dass die Wieder­ holung „Wohlthätige Götter! Euch dank ich die Wonne“557, Antwort gibt auf die Frage des Anfangsverses: „Wem dank ich dies Leben, wem dank ich die Wonne“558. Schweitzer integriert dieses Spiel mit der Wiederholungs­ form, indem er eine Dal segno-Form simuliert, den Wiederholungsteil aber ausschreibt. Dieser setzt zwar demonstrativ mit dem charakteristischen Anfangsmotiv auf „Wohlthätige Götter“ ein, transferiert es allerdings vom strahlenden C-Dur nach c-moll und fügt ein neues Motiv ein auf das zwei­ malige „euch dank ich, euch dank ich die Wonne“, als müsste Admet sich erst selbst davon überzeugen, dass er sein Leben einem Wunder der Götter verdankt und folglich alles wieder in der Ordnung ist. Offenbar hatte er in seiner Ohnmacht immerhin mitbekommen, welche Forderung das Orakel für seine Genesung stellte. Sein diesen Abschnitt beschließendes „gebohren zu seyn“ in Takt 117–119 ist entgegen dem Ausrufezeichen im Text musika­ lisch ein Fragezeichen. Admet weiß es eigentlich besser, doch er überschreit die bohrendenden Zweifel mit dem entschiedenen Wechsel zurück in C-Dur und der strahlenden Wiederaufnahme des Anfangsmotivs, das einen Schluss­ strich gegen alle Zweifel setzt. Doch Parthenias Auftritt lässt ihm wenig Zeit, die Freude zu genießen. Mit einem einzigen Vers: (Alceste) „Stirbt, du lebst, nun weißt du alles!“559 reißt sie den gerade gezimmerten Selbstschutz nieder. Admet reagiert auf den ersten Schock zunächst mit Bewunderung und Rührung. Er erkennt grundsätzlich den Wert des ihm erbrachten Liebesdienstes an, reagiert, wie man dies von einer empfindsamen Seele erwartet, mit dem Unsagbarkeit­ stopos „O Lieb! O Tugend! Du, für deren Werth/ Die Sprache keinen Na­ men hat“560 und wirft sich seiner aus ihrer Ohnmacht erwachenden Frau zu Füßen. Manche zeitgenössische Stimmen und der überwiegende Anteil der Forschung haben Admet dieses Verhalten schwer übel genommen und ihm 556 557 558 559 560

Alceste, II/1, Nr. 4a. Ebenda, T. 103–111. Ebenda, Nr. 4, T. 9– Nr. 4a, T. 4. Ebenda, II/3, Nr. 5, T. 14–15. Ebenda, 17–20.

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unterstellt, dass er damit das Opfer der Alceste bereits annehme. Dabei ist unübersehbar, dass Admet ab seiner ersten Erwiderung auf Alcestes „Du lebst! Dank sey den Göttern“561 eine ausgefeilte Strategie verfolgt, Alceste ihr Opfer unmöglich zu machen. „Für dich! Für dich allein, Alceste./ Was könnte dies Geschenk der Götter ohne dich/ Mir helfen?“562 Eingebettet in diese Strategie ist das folgende Terzett, das Alceste als Antwort auf Par­ thenias Anklage an Admet „Zu theuer mußt du es [dein Leben] erkaufen“563 beginnt: „Hätt ich für sein schönes Leben/ Tausend Leben hinzugeben,/ O! mit Freuden gäb ich sie.“564 Erst bei der Wiederholung wendet sich Alceste direkt an Admet. Er und Parthenia loben dazwischen „Große Götter! Welche Liebe! Welch ein Beyspiel reiner Triebe!/ Nein, die Erde sah es nie“565 im beschwingten Dreiachteltakt. Der Gesang ist verstörend in seiner überdreh­ ten Fröhlichkeit und Künstlichkeit. Wenn Alceste am Ende wiederholt „hätt ich tausend hinzugeben“ so entsteht daraus eine Koloratur auf „Freuden“, deren abschließender aufsteigender Lauf mit seinen punktierten Achteln nur als affektiert zu beschreiben ist. Wenn Alceste echte Gefühle zeigt, das hat der erste Akt bewiesen, so klingt das anders. Schweitzer präludiert hier eine Verfahrensweise, die u.  a. Ferdinando Paer (1771–1839) in Camilla (Wien 1799) verwenden sollte, mit der die Koloratur zum Zeichen des Missver­ ständnisses wird.566 Alcestes Freude ist aufgesetzt, Zeichen ihrer Erregung und höchsten Verwirrtheit. Sie ist außer sich und Admet und Parthenia re­ agieren so, wie man am Besten mit einer Neurotikerin umgeht: Sie gehen erst mal auf ihren Wahnsinn ein, um sie zu beruhigen. Im zweiten Akt herrscht das Secco-Rezitativ vor, was zunächst erstaunt, da Admet eingangs ausgesprochen empfindsam argumentiert. Aber er argu­ mentiert, und die Komposition übersetzt diesen Charakter des Textes kon­ sequent in die Secco-Rezitativform der rhetorischen Opera seria-Tradition, mit der Admet nach dem Terzett die Strategie wechselt „Zu lang, Alceste, ließ ich dich/ In einem Irrthum, den mein Herz verabscheut“567 und sanft versucht, ihr den Entschluss auszureden, weil sie doch nicht so schlecht von ihm denken könne, dass er dieses Opfer annehmen werde: „Und dein Ad­ met, der nur/ Um deinet willen noch zu athmen wünschte,/ Er sollt um diesen Preiß sein Leben kaufen,/ O glaub es nicht, Alceste, halte nicht/ Den Mann, der deiner Liebe würdig war, Der schmählichen verhaßten Feigheit

561 562 563 564 565 566 567

Ebenda, T. 26–27. Ebenda, T. 28–30. Ebenda, T. 31–33. Ebenda, Nr. 5a, T. 1–7. Ebenda, T. 9–34. Vgl. Hartmann (2004), S. 297. Alceste, II/3, Nr. 6, T. 1–3.



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fähig.“568 Doch Alceste vermag seine Argumentation glänzend zu parieren „Admet! Ich kenne deine ganze Liebe […]/ Mein eignes Herz ist mir/ Für deines Bürge“569 und ihrem Argument den entscheidenden Dreh zu geben: Bester Mann! ich kenne Den Adel[570] deiner Seele, groß und edelmüthig Ist sie, und dies entscheidet unsern Streit. Wie solltest du dich weigern können, Dem Weibe, das du liebst, die Quaal, dich zu verlieren, Die schrecklichste der Quaalen abzunehmen? Du bist ein Mann, ich nur ein schwaches Muthloses Weib. O! sage nicht Admet, Du liebest mich, wenn du nur denken, Nur zweifeln kannst, daß ich Dich überleben sollte.571

Sie wendet das Argument: Nicht mehr der Tod ist die schmerzhafte Seite, sondern das Überleben.572 Folglich verlangt sie von Admet die Ritterlich­ keit, ihr Letzteres nicht zuzumuten, sondern es selbst mannhaft zu ertragen. Mehr noch: Sollte er ein Überleben ihrerseits auch nur für möglich halten, hieße das, ihr ihre Liebe rundweg abzusprechen. Nun ist das zweifellos eine überzogene Argumentation, aber als Argumentation ist sie stimmig und folgt überdies den Regeln des aus der Alceste Quinaults vertrauten höfischen (wenn auch etwas hyperbolischen) Liebesdiskurses, allerdings mit vertauschten Rol­ len. Admet bleibt nichts mehr übrig, als die Götter um Hilfe anzurufen und mit ihnen zu hadern „Ihr hört sie, Götter, und ihr könntet sie/ Mir rauben? […] Nein!/ Ihr seyd nicht Götter, oder/ Ihr könnt es nicht.“573. Die dro­ hende Blasphemie macht beiden nach diesem eleganten Diskurs die prekäre Lage deutlich (Alceste: „Erzürne nicht die Mächte, die uns trennen.“), ent­ sprechend wird der Tonfall schärfer: „Alceste, höre mich!/ Um aller Götter 568 Ebenda, T. 7–15. 569 Ebenda, T. 15–18. 570 Im Erstdruck wie im Particelldruck von 1774 heißt es „die Güte“. Admet wird von den späteren Partiturfassungen offenbar gezielt mit dem singspieltypischen ‚Seelenadel‘ charakte­ risiert, der in diesem Fall den Standesadel – schließlich ist Admet ein König – spiegelbildlich komplettiert und nebenbei an dieser Stelle wesentlich besser singbar ist. Allerdings doppelt sich das Wort „Adel“ sprachlich mit dem nachfolgenden „edelmütig“. In der Librettofassung letzter Hand fehlt die Passage ganz, was darauf deutet, dass Wieland mit beiden Wendungen nicht vollständig zufrieden war. 571 Alceste, II/3, Nr. 6, T. 18–31. 572 Auf dieses Paradox der Geschichte, wie Wieland sie zuspitzt, hat Jan Philipp Reemtsma be­ reits hingewiesen: Vgl. ders.: Auf der Suche nach der schönen Leiche. Wielands Singspiel Alceste. In: Alkestis: Opfertod und Wiederkehr (2007), S. 64–65. 573 Alceste, II/3, Nr. 6, T. 31–39.

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Willen höre mich!/ Du hoffst durch deinen Tod mein Leben zu erkaufen./ Vergebens hoffest du! Deine Wohlthat ist/ An mir verlohren; ich kann nicht/ Dich überleben!“574 Admet nimmt denselben Mechanismus für sich in An­ spruch wie Alceste, die auf den erneuten Patt hin nur noch Parthenia nach den Kindern schicken kann, während Admet mit dem ultimativen gesell­ schaftlichen Argument auftritt: Kannst du von mir verlangen, was In meinen eignen, was in aller Augen mich Entehren müßte, nein, beim Himmel, nein, Ich will die Schmach nicht dulden, Daß jeder, dem ein Herz im Busen schlägt, Mit Fingern auf mich weise, sage: Hier geht er, hier, Der Feige, der sein Leben mehr Als seine Ehre liebte,575

Doch Alceste kontert mit dem höfischen Argument vom öffentlichen Kör­ per des Königs: Und kann Admet vergessen, daß sein Leben Nicht ihm, nicht seiner Gattin zugehöret? Hast du kein Volk, das dich anbetet? Hast Du seine Thränen, seine Opfer, seine Gelübde für dein Leben schon vergessen? Vergessen, wie es schaarenweis mit bleichen Gesichtern, mit empor um Hülfe Gerungnen Armen, deinen Vorhof füllte? O laß nicht mit dem Gram, dich ihrer Liebe Unwerth zu sehn, Alcestens Geist Vor deinen Vätern sich verbergen müssen.576

Die Argumentation steht für beide Seiten auf tönernen Füßen, denn in die­ ser Oper gibt es gerade keinen Chor des Volkes, nicht einmal Abgesandte, die legitimieren würden, dass Admet tatsächlich ein guter und gerechter König ist. Das Opfer der Alceste geschieht ausdrücklich, ohne dass das Land daran Anteil nimmt: Euripides macht aus der freywilligen Aufopferung der Alcestis eine weltkündige Sache. Das ganze Thessalien nimmt daran Antheil. […] Wie viel die That der groß­

574 Ebenda, T. 40–42 und S. 58–65. 575 Ebenda, II/4, T. 76–86. 576 Ebenda, T. 89–104.



Die Königin kehrt zurück

419

müthigen Gattin durch diese Kundbarkeit gewinne, weiß ich nicht: aber dies weiß ich, daß das Stück dadurch eine der rührendsten Situationen – den Augenblick der freywilligen Aufopferung der Alceste – verliehrt.577

Weder Parthenia noch Herkules erwähnen das Volk, es erscheint hier ledig­ lich als weiteres Exempel für den Beweis, dass weder mit rationaler, noch weniger aber mit politischer oder dynastischer Argumentation die Frage zu entscheiden ist, ob ein Mensch für einen anderen sterben darf. So wischt denn auch Admet alle Finten und Argumente beiseite und bringt den Kon­ flikt wieder zu dem zurück, was ihn in der Logik dieser Geschichte aus­ macht: „verliehr ich dich,/ So ist für mich kein Volk, kein Vaterland,/ Kein Leben mehr.“578 Das Ziel, die Dynastie mit dem Opfer zu erhalten, ist obsolet, ist eine Erinnerung an vergangene heroische Zeiten, die nicht mehr übertragbar sind; ein Erinnerungsrest, ein blindes Motiv.579 Admets Schlussstrich unter diesen rhetorischen Schlagabtausch wirkt: Mit Alcestes, man ist fast versucht zu sagen, hinterhältiger Frage: „Auch keine Kinder,/ Admet?“580 beginnt wieder die empfindsame Oper. Die sanften Wellenbe­ wegungen der Streicher lassen sowohl das Heraneilen der kleinen Füße wie die Bewegung in Alcestes Herzen ahnen. Alcestes innige Verabschiedung von den Kindern begleitet und kommentiert das Orchester in den Redepausen,581 um mit ihrer strengen Ermahnung an Admet „und wenn du jeden andern Namen, der dir heilig/ Seyn soll, vergessen hast,/ Kannst du verges­ sen, daß du Vater bist?“582 und Admets Replik darauf abermals zum secco zu wechseln. Doch auch Admet versteht, die Kinder für den Rückweg in die empfindsame Sphäre zu nutzen       O! dir gab Ein Gott es ein, Die Pfänder unsrer Liebe mir zu Hülfe Zu rufen. Siehe du sie an, Alceste! Erbarm dich ihrer Unschuld, ihres zarten Hülflosen Alters! Sieh! Wie sie bestürzt, mit liebevoller Angst, Die kleinen Arme dir entgegenstrecken.583 577 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 494. 578 Alceste II/5, Nr. 6, T. 109–111. 579 Ein  „[…] ablenkendes, für den Handlungsablauf irrelevantes Motiv“.  Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 1979, S. 526. 580 Alceste II/5, Nr. 6, T. 111–112. 581 Krämer beschreibt das Orchester als Gegenüber der Figuren, „es setzt seine Worte auf einer anderen Ebene fort.“ Vgl. Krämer (1998), S. 247. 582 Alceste II/5, Nr. 6, T. 125–129. 583 Ebenda, T. 133–144.

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Vom Orchester unterstützt, appelliert er an Alcestes Rührung und Liebe zu den Kindern – doch nichts weiter. Mit keiner Silbe erwähnt er ihre Mutter­ pflichten. Calzabigis Admet tut das, und durchaus nicht liebevoll, sondern als Befehl. Das einmalige Auftreten der Kinder ist völlig unmotiviert und wird weder an dieser Stelle dramaturgisch zur Entscheidungsfindung genutzt, noch treten sie später wieder auf. Dabei wäre naheliegend, dass Parthenia im vierten Akt Admet durch seine Kinder aus der Lethargie zu reißen versucht. Auch am Ende, wenn sogar die eigentlich obsoleten Hausgenossen auf die Szene kommen, tauchen die Kinder nicht wieder auf. Ihre Funktionslosig­ keit ist die zentrale Bedeutung der Kinder in dieser Szene. Sie sind nicht nur stumm, wie später ebenfalls in Glucks Pariser Fassung, sie werden tatsäch­ lich nur für diese einzige Szene und zur Komplettierung des empfindsamen Familienbildes gebraucht und markieren damit einen weiteren Aspekt der fundamentalen Abkehr von der Stofftradition bei Euripides und Calzabigi.584 Dort ist die Sicherung der Dynastie das Hauptargument für Alcestes Opfer und dazu gehört, dass Alceste ihren Kindern, respektive ihrem Sohn den Thron und ihrer Tochter ein sicheres Aufwachsen und eine würdige Ehe sichern möchte. Denn nach Admets Tod bliebe Alceste zwar unangefoch­ tene Königin,585 doch weiß man aus dem Schicksal der Penelope, dass ihre Vasallen sie dazu zwingen könnten, wieder zu heiraten. Die aus einer solchen Ehe entstehenden Kinder wären eine hohe Gefahr für die Kinder von Ad­ met. Zugleich nutzt die griechische Alceste ihr Opfer, um Admet das Ver­ sprechen künftiger Ehelosigkeit abzunehmen.586 Denn wenn dieser gleich­ falls unverheiratet bleibt, ist der Thronanspruch der Kinder gesichert, da Ihn niemand zu einer weiteren Ehe zwingen kann, solange die Kinder leben. Entsprechend nimmt auch bei Calzabigi Alceste Admeto das Versprechen zur Ehelosigkeit ab. Wielands Alceste tut dies mit keiner Silbe. Sie stirbt also gerade nicht als „Märtyrerin der Kleinfamilie“587, sondern nur für den geliebten Mann. Sei es, dass sie ohnhin davon ausgeht, dass sie Admet durch ihr Opfer für immer an sich bindet, oder dass Admets „Unsre Seelen hat/ Die Liebe unauflöslich in einander verwebt […]“588 ihr als Zusage ausreicht. Um die Kinder und

584 Bei Quinault, bei Händel (Alceste, 1751) und in den deutschen Opern nach diesem Stoff gibt es keine Kinder, weil Alceste und Admet am Tage der Hochzeit getrennt werden. 585 Euripides: Alkestis. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und hg. von Kurt Steinmann. Stuttgart 2002, S. 31–35. 586 Das Ende der Geschichte bei Euripides zeigt freilich, dass Admets Versprechen kaum einen Tag lang anhält. Aus dieser Schlusspointe entwickelt der klassisch hoch gebildete Aurelio Aureli dann seine venezianische Oper. 587 Wie Krämer (1998, S. 215) betont. 588 Alceste II/5, Nr. 6, T. 65–66.



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421

Admets ungeteilte Liebe zu ihnen macht sie sich offenbar, egal unter wel­ cher Lebenskonstellation, keine Sorgen. Die Vertonung als empfindsames Andante lässt keine Zweifel daran, dass bei den Kindern alle dynastischen Überlegungen und überdies auch alles argumentative Taktieren aufhören. In diesem empfindsamen Tableau der Kleinfamilie mit sterbender Mutter – das den Zeitgenossen wegen der hohen Müttersterblichkeit schmerzlich vertraut war – bekommt nun Admet, nicht etwa Parthena die Mutterrolle übertragen; offenbar ist die Rolle der sozialen Mutter also nicht mehr an das Geschlecht gebunden. Was könnte moderner sein? Das Opfer der Alceste ist umsponnen von Bildern zu Geburt und Müt­ terlichkeit. Wenn sie Admet ein neues Leben schenkt, so ist das auch seine zweite Geburt durch die Ehefrau. Hinter dem Opfer der Ehefrau steht für Wieland und seine Zeitgenossen auch die permanente Lebensgefahr der Frauen durch die vielen Schwangerschaften und Geburten als prekäre Kehr­ seite ehelicher Liebe. Das Opfer aus Liebe hat eine sehr körperliche Kompo­ nente, die in den Kindern als „Pfänder der Liebe“ anklingt. Admet ist das genaue Gegenteil von Calzabigis und Glucks König,589 der mit erstaunlicher Brutalität auf Alceste prallt, sie anschreit, ihr das Opfer verbie­ ten will und ihr damit vor allem abspricht, selbst über ihr Leben zu entschei­ den. Das Liebesopfer wird dort vor dem regelrechten Ehekrieg zeitweilig zur Farce. Wielands Gatte mag insofern eine besonders schwache Figur sein, als er seiner Frau seinen Willen nicht aufzuzwingen vermag und er ist damit nach den Maßstäben des 18.  Jahrhunderts zweifellos ein Antiheld  – aber eben nicht nach Wielands Maßstäben. Der Librettist entfaltet vielmehr das grundsätzliche Dilemma der Figur, demzufolge Admet in dieser Variante der Geschichte (also seit Quinault) nicht um das Opfer gebeten hat, sondern es im Gegenteil ausdrücklich nicht will und es seit Calzabigi überdies mit seiner noch lebenden Frau verhandeln muss. Bereits Calzabigis und Glucks Admetfigur steckt in der Zwickmühle: Entweder der Mann wäre in der Lage, seine Frau wieder von ihrem Opfer abzubringen, was ihren gebrochenen Willen (von der zerbrochenen Liebe ganz zu schweigen) zur Folge hätte und seinen Tod. Überdies stürbe er dann nicht als Kavalier, sondern als sturer Aggressor, zu dessen Verscheiden man die Frau eher beglückwünschen als bemitleiden müsste. Oder aber, der Mann scheitert in seinem Versuch, die Frau vom Sterben abzuhalten, steht damit doppelt unritterlich da und hat seiner Frau auch noch die letzten Stunden auf Erden zur Hölle gemacht. Calzabigis Admet ist genau auf diesem Weg, weshalb Apollo in der Fassung

589 Mit Euripides’ Admet ist er ohnehin kaum zu vergleichen.

422

Die Königin kehrt zurück

von 1767 als deus ex machina ein Einsehen hat und den Knoten noch vor Alcestes Tod löst. Wieland und Schweitzer schlagen mit ihrem Admet eine andere Form von Heldentum vor, vor allem aber einen neuen Umgang zwischen Mann und Frau. Denn Admet ist zu empfindsam, um derart rücksichtslos zu agie­ ren. Er vermag seine Frau nicht weiter zu plagen, nachdem er die Zweck­ losigkeit aller Argumente eingesehen hat und Alceste ihn bittet: Geliebter! Schone deiner sterbenden Zu schwachen Gattinn. Kürze nicht durch deine Grausame Zärtlichkeit die Augenblicke Die uns die Parze schenkt.590

Wielands Begriff der Zärtlichkeit ist zentral für Alceste wie für sein Sing­ spielkonzept insgesamt, indem er ausdrücklich die sexuell erfüllte Gatten­ liebe einschließt, und damit über den vornehmlich für eine unerotische, freundschaftliche oder familiäre Zuneigung stehenden Zärtlichkeitsbegriff beispielsweise Gellerts hinausgeht.591 Die zärtliche Variante der Gattenliebe bändigt nicht nur den Egoismus der sexuellen Begierde, sondern wendet ihn – durchaus analog zur Liebeskunst Giacomo Casanovas (1725–1798) – diametral, indem sie ihr Begehren auf das Wohlergehen des Partners richtet. Entsprechend fürchtet Wieland in den Briefen an einen Freund …, einer sich wie bei Euripides weinend vom Ehebett verabschiedenden Alceste würde statt uneigennütziger „Zärtlichkeit“592 bloße erotische Begierde unterstellt und verschwistert zugleich die eheliche Zärtlichkeit mit der familiären Liebe, weshalb der Begriff sowohl für die „zärtliche“593 Liebe zur Schwester wie zum Freund Herkules offen steht; letzerer sich nach dem Sitz der Zärtichkeit594 sehnt und sich von Admet im fünften Akt vorwerfen lassen muss, sich „un­ zärtlich“595 betragen zu haben. Alcestes Paradoxon der „grausame[n] Zärt­ lichkeit“ formuliert, dass diese nicht einfach die zahnlose Spielart der Erotik ist, sondern vielmehr das zentrale Dilemma der Oper; wenn die Begierde um das Wohlergehen des Partners zugleich ihre reflexiven Komponenten entfaltet und für Letzteren ins Gegenteil umschlägt.

590 Alceste II/5, Nr. 6, T. 145–149. 591 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Maria Stolarzewicz: Christoph Martin Wielands deutsches Musiktheater. Idee und Verwirklichung. Diss. masch. Univ. Warschau. 2012, S. 26– 29. 592 In: Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 509. 593 Alceste I/2, Nr. 3, T. 12–14. 594 Ebenda III/1, Nr. 8, T. 6–8. 595 Ebenda V/7, Nr. 18b, T. 11–12.



Die Königin kehrt zurück

423

Ein letztes Mal braust daher Admet nach seiner kleinen, empfindsamen Miniatur „O meine Kinder,/ Ihr fühlet nicht was ihr verliert“ und Alces­ tes Miniatur-Adagio „Ich fühls für sie“ noch auf: „Und änderst nicht den schrecklichen Entschluß?“596, was aber nur eine ebenfalls aufbrausende Replik von Alceste: Wie kann ich, ach! Admet, die Todesgötter Sind unerbittlich. Eines von uns beyden Muß fallen, O um unsrer Liebe, Um dieser armen Unmündigen, um deiner Gattin willen, Laß mich allein das Opfer seyn.597

zur Folge hat, da das Dilemma nicht zu lösen ist, ohne die Liebe zu zerstören. Admet ist so sehr Alcestes bessere Hälfte, dass er eher den Tod der geliebten Frau mit allen seelischen und eventuellen gesellschaftlichen Folgen für sich selbst in Kauf nimmt, als ihrer beider Liebe zu zerstören. Ihm bleibt nur der eigene Zusammenbruch: „Das ist zuviel.“598 Wieland lässt Admet gezielt nicht als Patriarch, König und Herr im Haus reagieren, sondern gibt ihm weibliche Reaktionsweisen: Er argumentiert, lei­ det, weint, bricht zusammen. Diesen unmännlichen Admet sollte nicht nur Bodmer ins Zentrum seiner Parodie stellen,599 sogar stückimmanent wird ihm Herkules später vorwerfen „du bist kein Mann mehr“ und er, Herku­ les, könne nicht „jammern wie ein Weib“600. Der empfindsame Mann läuft demnach durchaus Gefahr, seine Männlichkeit einzubüßen. Doch ob Her­ kules im Gegenzug tatsächlich die bessere Alternative parat hat, wird noch zu prüfen sein. Alcestes folgende Arie „Weine nicht, du meines Herzens/ Abgott!“ ist ein Sedativ für Admet. Sie beginnt mit einem Ritornell, das beide Atem schöpfen lässt und sich wie Balsam über die Wunden des vorangegangenen Schlagab­ tausches legt. Schweitzer wählt mit Es-Dur eine zugleich ernste und zärtliche Tonart,601 lässt Alceste Admet mit ihrem Gesang Tröstung und Versöhnung 596 597 598 599 600 601

Ebenda, T. 149–152. Ebenda, T. 153–161. Ebenda T. 162. Vgl. Krämer (1998), S. 218. Alceste III/4, Nr. 10, T. 37 und S. 39–40. Mattheson: „hat viel pathetisches an sich; will mit nichts als ernsthafften und dabey plainitiven [klagenden] Sachen gerne zu thun haben/ ist auch aller Üppigkeit gleichsam spinnefeind.“ Johann Mattheson: Das Neu=Eröffnete Orchestre, oder Universelle und gründliche Anlei­ tung/ wie ein Galant Homme einen vollkommen Begriff von der Hohheit und Würde der edlen Music erlangen/ seinen Gout darnach formieren/ die Termines technicos verstehen

424

Die Königin kehrt zurück

anbieten, verlagert ihre Argumentation auf die klangliche Ebene und reali­ siert Wielands programmatische Position, wonach der Gesang dort eintritt,602 wo das Wort nicht mehr weiterkommt. Nach dem Verbrauch aller rationalen Argumente und angesichts des drohenden Zerwürfnisses ermöglicht alleine der Gesang die weitere Kommunikation. Alcestes Argumentation bringt text­ lich denn auch keine neuen Argumente, sondern appelliert dolce und con affetto mit Seufzermotiven in einer Desperato-Arie603 an Admets Leidensfähigkeit: Weine nicht, du meines Herzens Abgott! Gönne mir im Scheiden, Noch die süßeste der Freuden, Daß mein Tod dein Leben ist.604

Wie brüchig ihre Argumentation auch auf der musikalischen Ebene ist, zeigt Schweitzer etwa in Takt 23 zu 24, wenn er die Wiederholung von „gönne mir im Scheiden“ mit einem eigenartigen Wechsel erst nach C-Dur und dann nach F-Dur führt und damit Alcestes Treten auf schwankendem Boden hörbar macht. In Takt 29 bis 32 wird die „süßeste der Freuden,/ Daß mein Tod“ in strahlendem B-Dur eingeführt, worauf Alceste vor ihrem eigenen Argument mit einer kurzen Wendung nach moll erschrickt, als würde ihr mit dem zu sich selbst wiederholten „mein Tod“ erst klar, was das bedeutet, um dann so­ fort wieder nach außen gewendet zum Dur zurückzukehren und die Passage auszuschmücken, in dem Bestreben, mit Admet auch sich selbst zu täuschen. Entsprechend behauptet Alceste, das, was ihr die größten Schmerzen verursache, sei ihn und die Kinder leiden zu sehen.605 Schweitzer kompo­ niert die Deklamation des wiederholten „Weine nicht“ zunehmend „atem­ los“ und „zerrissen […] jeweils echohaft repetiert von den Flöten“.606

602 603 604 605 606

und geschicklich von dieser vortrefflichen Wissenschaft raisonnieren möge. Mit beygefügten Anmerkungen Herrn Capell=Meisters Keisers. Hamburg 1713, S. 249–250. Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen Berlin 1752, S. 203: „um so wohl den Affect der Liebe, Zärtlichkeit, Schmeicheley, Traurigkeit, auch wohl, wenn der Com­ ponist ein Stück darnach einzurichten weis, eine wüthende Gemüthsbewegung, als die Verwe­ genheit, Raserey und Verzweifelung, desto lebhafter auszudrücken: wozu gewisse Ton­arten, als: E moll, C moll, F moll, Es dur, H moll, A dur, und E dur, ein Vieles beytragen können.“ „wo jener [der Dichter] an den Grenzen seiner Kunst ist, da eilt er ihm mit der ganzen All­ macht der seinigen zu Hülfe.“ Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 492. Vgl. Geyer (2002), S. 55. Alceste II/5, Nr. 6a. Hier erscheint Admet aus metrischen und gesanglichen Gründen als ‚Gemahl‘. Geyer 2001 (2002), S. 55. „Mit großer Sensibilität leuchtet Schweitzer in jeweils neuen Va­ riationen die einzelnen Textkursus [sic!] aus, vertieft und akzentuiert dabei nuancenreich die Textaussagen, wobei das rührende Element jeweils eine Steigerung erfährt.“



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425

Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). II/5, Arie der Alceste „Weine nicht, du meines Herzens Abgott“ (Ausschnitt).

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429

Ihre Bitte „Weine nicht“ bekommt damit einerseits einen egoistischen Nach­ geschmack, trifft sich aber gleichzeitig auf berückende Weise mit der dringen­ den Empfehlung moderner Psychologen an Hinterbleibende, am Sterbebett nicht zu weinen, sondern sich gefasst zu verabschieden, um den Sterbenden nicht zusätzlich zu quälen: Ach, die Größe deines Schmerzens Ist das Maaß von meinem Leiden! Mein Gemahl! O meine Kinder! Glaubet nicht, ich fühle minder, Weil mein Herz bey euerm Leiden Seiner eignen Noth vergißt!607

Den B-Teil mit seiner komplexen Argumentationsstruktur vertonte Schweit­ zer mit einer betont schlichten Gesangslinie und griff dabei schon auf Al­ cestes Sterbetonart c-moll vor. Anders als in beiden Fassungen des Librettos angegeben, vertonte Schweitzer die Arie aber nicht als Da capo. Das ist an dieser Stelle jedoch weniger eine Absetzung von der Konzeption des Libret­ tos, vielmehr wird beim Zuschauer die Erwartung nach einer Wiederholung des A-Teils aufgebaut, um Alceste, der die Kraft für eine solche Wiederholung bereits fehlt, dann buchstäblich aus der Arie herausfallend sterben zu las­ sen.608 Ihr letztes Rezitativ ist zugleich die anrührendste und wirkungsvollste Melodramenpassage der Oper. Eingangs verklanglichen die Streicher aber­ mals den pulsenden Herzschlag und gleichsam das abzählende Ticken der letzten Lebenssekunden, zu dem die Flöten die letzten Atemzüge beisteuern. Parthenias in die erste Stille hineingerufenes „sie stirbt, o Gott! sie stirbt!“ und Admets Klage holen Alceste nochmals aus ihrer Ohnmacht zurück zu einem kleinen Adagio „O mütterliches Land,/ O Schwester, o Gemahl!“609 mit einem letzten Aufwallen der Streicher, ehe Alceste sich in einem weiteren Adagio verabschiedet und langsam verebbt in einer Serie von Gedankenstri­ chen. Ihr letzter Satz „Drücke deinen Mund/ Auf meinen Mund, Admet, ich sterbe, lebet wohl!“ und ihr letzter Vers „Geliebte. lebet“610 bleibt unvollendet.

607 Alceste II/5, Nr. 6a, T. 100–121. 608 Nach Maurer hat Schweitzer mit dieser Arie Töne angeschlagen „wie sie kein Musiker der Zeit kannte, und an solche Gesänge knüpft sich der Ruhm Schweitzers“. Maurer (1912), S. 52. 609 Alceste II/5, Nr. 7, T. 18–23. 610 Ebenda, T. 27–31.

430

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Die abgebrochenen Verse erzeugen beim Zuschauer die Illusion, dem Sterbevorgang direkt beizuwohnen611 und bilden eines der empfindsamen Kernstücke der Oper, mit dem eine in künstlichen Versen „singende, von Gei­ gen, Flöten u.s.w. accompagnierte Iphigenia oder Alceste uns bis zu Thränen rühren kann“,612 ein Höchstmaß an Illusion erzeugend, den Zuschauer in den Bann schlägt und stärker zum Mitleiden bringt als jede akademische Nachah­ mung der antiken Tragödie. A l c e s t e wurde den 29. May zum ersten Mal hier aufgeführt, und that, was noch keine Tragödie, die ich gesehen habe. Alle Augen strömten über; die Unempfind­ lichsten wurden gerührt, und die Gefühlvollen fanden sich in einigen Scenen von Empfindung erdrückt.613

Helen Geyer sieht das Vorbild für die bis dahin auf der deutschen Singspiel­ bühne nicht zu findenden „Versi spezzati“ (aufgebrochenen Verse) in Fried­ rich Gottlieb Klopstocks (1724–1803) Prosadrama Der Tod Adams (1751), das zwar selbst noch keine aufgebrochenen Strukturen aufweist, wohl aber eine lateinische Oratorienfassung Pietro Chiaris (1712–1785) in der Vertonung von Galuppi die, wie auch die italienische Bühnenfassung Gasparo Gozzis (1713–1786), am Weimarer Hof rezipiert worden sein könnte.614 Buchstäb­ lich näherliegend ist jedoch folgendes Vorbild direkt aus Wielands Feder: Lady Johanna. O meine Mutter! – O das ist zu viel! Mein Herz erliegt im innerlichen Kampfe – Es bricht – (Sie sinkt beinahe ohnmächtig in ihrer Mutter Arme, und wird auf einen Lehnstuhl gebracht.) Lady Suffolk. O Gott! Sie stirbt, sie stirbt! O Engelsseele! Verweile noch –615

Alceste setzt formal und inhaltlich die Spur der Lady Johanna Gray fort, doch nun im Medium der Musik. Auch sie ist eine Märtyrerin, doch stirbt sie statt im öffentlichen im privaten Raum und statt für die Religion und damit für das Heil ihrer eigenen Seele für das Leben des Geliebten.

611 Vgl. Stephan Hörner: Wer war Anton Schweitzer? In: C. M. Wieland/Anton Schweitzer: Alceste. Programmheft zur Aufführung in Weimar 2007, S. 15. 612 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 316. 613 An v. Gebeler, 7. Juni 1773, WBr Bd. 5, S. 124. 614 Vgl. Geyer (2002), S. 52. 615 Lady Johanna Gray, oder: der Triumf der Religion. Ein Trauerspiel. 1758. Vierter Akt, fünfte Szene, SW Suppl. Bd. 5., S. 289.



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Bereits im ersten deutschen Blankversdrama hatte Wieland die Versform wesentlich variabler gehandhabt als später beispielsweise Lessing in Nathan der Weise (1779). Verstechnisch ist der Weg von den Blankversen mit gele­ gentlichen zwei, drei oder vierhebigen Jamben kurz zu den Madrigalversen ohne Endreim, den Blankmadrigalversen der Alceste, und bereits in Lady Jo­ hanna Gray sind die Versenden häufig abgebrochen und enden in Gedan­ kenstrichen. Mitunter werden sie vom nächsten Redner komplettiert, was zu dichter Verfugung der Wechselrede führt, doch überwiegend enden Redeoder Szenen-Enden mit dem Gedankenstrich gleichsam im empfindsamen Verstummen. In der Alceste tritt die Musik an die Stelle der unsagbaren Ge­ dankenstriche im empfindsamen Drama und füllt diese Leerstellen mit der Sprache des Herzens. Indem Admet bei Alcestes Tod zu Boden geht,616 fängt Parthenia den Faden der Musik mit dem Vers auf „O dieser Schmerz zerreißt die Dämme der Gedult!“ und ihrer Arie „Sie stirbt ihr Götter!“617. Stärker lässt sich die Vorgabe, dass der Gesang aus dem Affekt der Handlung hervorquellen soll, kaum umsetzen. Parthenia, die gegenüber Alceste in beinahe kindlichem Gottvertrauen mit dem Mitleid der Götter argumentiert hatte, steht vor der kontingenten Welt wie vor einem Abgrund. Mit ihrer rasenden Anklage an die Götter, „ihr könnt es sehen? Grausame Götter! […], es rührt euch nicht.“618 verdeckt sie sich die katastrophale Erkenntnis, dass die Götter den Tod gar nicht verhindern konnten – denn grausame Götter sind leichter zu er­ tragen als machtlose. So rettet Parthenia ihre Theodizee vor dem drohenden Atheismus. Ausgerechnet in der tiefsten Verzweiflung, am Beginn des B-Teils scheint auf „Da ist kein Retter“619 in der Musik ein C-Dur-Strahl der Hoff­ nung auf. Ob als tonartlicher Vorverweis auf Herkules und damit ­darauf, dass die Rettung nicht von den Göttern, sondern von einem Menschen kommt (respektive der menschlichen Hälfte im Halbgott); oder psychologisch als ein aus der völligen Erschöpfung entwachsender Moment der Ruhe, der pa­ radoxen Hoffnung in der vollständigen Hoffnungslosigkeit. Schweitzer geht mit dieser kurzen Entschleunigung der rasenden Verzweiflungsarie weit über die konventionelle Gegenüberstellung eines schnellen und eines langsamen Arienteils hinaus. Mit „Sie stirbt, Alceste“ trübt sich die Klanglichkeit wieder 616 „Admet kan, nachdem Alceste nicht mehr ist, dem Zuschauer durch nichts e r t r ä g l i ch wer­ den, als durch die Wahrheit und Heftigkeit seines Schmerzens. […] Um uns zu r ü h r e n , muss er sogar liebenswürdig werden. Und sollte dies nicht zu bewerkstelligen seyn? Alles kömmt hier auf die Beobachtung der natürlichen Abstufung des Affects an. Der erste Schlag betäubt ihn – Was könnte er in dem Augenblick, da Alceste stirbt, erträgliches sagen? Zu Boden muss er sinken.“ Briefe an einen Freund … Wielands Werke, Bd. 10.1/1, S. 519. 617 Alceste, II/5, Nr. 7, T. 37–39 und Nr. 7a. 618 Ebenda. 619 Ebenda, T. 53–55.

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ein, mit ihrem dolce „Die Treuste, die Beste“620 folgt die süße Erinnerung an die geliebte Schwester, um daraus die erneute Anklage an die Götter zu ent­ wickeln, wie einen verzweifelten Schrei, gefolgt von einer letzten Koloratur und der völligen Erschöpfung. Parthenia verlässt ihre Kraft, und es ist das Orchester, das die Konvulsionen ihres Herzens übernimmt und damit den zweiten Akt beschließt.621 Alcestes Sterben ist in der Argumentation der Oper erst mit der Klage Parthenias abgeschlossen. Wieland und Schweitzer sind feinfühlige Psycho­ logen und wirkungsvolle Dramatiker genug, hier statt einer elegischen Klage die ganze Wut zu zeigen, die der Tod als das buchstäblich Unbegreifbare in den Hinterbleibenden auslöst. Die berückende Interpretation der Parthenia durch Cyndia Sieden622 erhellt Wielands kritische Äußerungen zu Josepha Hellmuth, der ersten Interpretin der Partie.623 Er beklagte sich darüber, dass Letztere sang, ohne sich für die Psychologie der Figur zu interessieren. Zwei­ fellos war er, und sicher Schweitzer mit ihm, über ihren vor allem virtuosen Angang jener Rolle enttäuscht, in der so viel dramatisches und psycholo­ gisches Potenzial liegt und die in den folgenden drei Akten zentral für das Funktionieren der Oper ist.

4.9.3  Dritter Akt – wie benimmt sich ein moderner Held? Der dritte Akt beginnt mit dem denkbar größten Kontrast. Nach Parthenias bodenloser Verzweiflung betritt mit Herkules ein buchstäblich müder Krie­ ger den stillen Hof: Die Sonne neigt sich. Müd’ und ruhbedürftig Betret ich deinen wohlbekannten Vorhof, Gastfreyes Hauß! Gesegnet sey mir, holder Sitz der Unschuld, Der Zärtlichkeit, des stillen Glücks! Sey mir gesegnet, frohes Thal, Wo einst der Gott des Lichts, In Schäfertracht Admetens Heerden führte; Und seines Götterstands entsetzt Die angenommne Menschheit zierte! Beglücktes Land, o möcht Alkmenens Sohn, 620 621 622 623

Ebenda, T. 56–64. Ebenda, T. 83–93. Vgl. Berlin Classics 2008. „ihr Gesang sagt dem Herzen nichts, oder nicht viel; denn Sie fühlt selbst nichts. Der schönste Text ist für sie nichts als eine Reyhe von Sylben, die auf gewisse Melodie gehen – eine Reyhe von A, O, E, I und U, wären ihr ebenso lieb.“ WBr Bd. 5, S. 60.



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Wenn er, von Ruhm und Siegen müde, Einst auszuruhn verdient, des Lebens Rest In deinen Schatten sanft verfließen sehen.624

Keine der vorangegangenen Bearbeitungen zeigt einen solchen Herkules und seine Auftrittsarie entspricht auch in keiner Weise dem Bild eines kriegeri­ schen Helden.625 Die Flöten verleihen der Arie einen pastoralen Duktus und statt des zu erwartenden strahlenden C-Dur folgt sie der die Oper bestim­ menden Tonart Es-Dur. Dieser Herkules ist per se kein Draufgänger, son­ dern hat sich für den unüberhörbar mühsamen Weg der Tugend entschieden. Wenngleich er diese Entscheidung nicht in Frage stellt, so spricht sich in seinem ersten Auftritt – da er alleine und müde ist – doch auch die Sehnsucht nach einem ganz normalen Leben aus. Die einteilige Arie ohne Koloratu­ ren oder anderen Zierrat ist eigentlich eher eine Cavatine, kunstlos im besten Sinne und hat den Charakter eines Glaubensbekenntnisses und Gebetes an die Göttin der Tugend626: O du, für die ich weicher Ruh, Und Amors süßem Scherz[627] entsage, Du, deren Namen ich auf meiner Stirne trage, Für die ich alles thu, Für die ich alles wage. O Tugend! Einen Wunsch, nur einen Wunsch gewähre Dem, der sich dir ergab! Wenn einst die Bahn der Ehre Durchlaufen ist, wenn er sich sehnt nach Ruh, So schließe hier am Abend seiner Tage, Die Freundschaft ihm die Augen zu.628

624 Alceste, III/1, Nr. 8. 625 Weshalb sich Wolfram Malte Fues mit Verweis auf Karl Moors Humanismuskritik „Da krab­ beln sie nun, wie die Ratten auf der Keule des Herkules und studieren sich das Mark aus dem Schädel, was das für ein Ding sei, das er in seinen Hoden geführt hat?“ zu Spekulationen versteigt, „Ob sein [Wielands Anm. T.H.] Herkules überhaupt Hoden hat, bleibt zweifelhaft.“ Die Frage scheint mir zwar einerseits obsolet, doch lässt sie sich aus der Partitur eindeutig beantworten: ja. Denn Herkules ist eine Basspartie, wie dies für den erwachsenen Herkules üblich ist (etwa auch bei Lully, Schürmann, Cavalli). Vgl. Fues: Die Aufklärung der Antike über die Tugend. Christoph Martin Wielands Singspiel „Alceste“ in der Geschichte des Sinns von Literatur. In: Aufklärung 4/1 (1989), S. 37. 626 In diesem Kontext ist interessant, dass die Tonart E-Dur ab den 1780er Jahren zunehmend für gebetshafte Inhalte verwendet wird (etwa Sarastro in der Zauberflöte). 627 Das Particell sollte hier „Schmerz“ setzten, das jedoch von der Fassung letzter Hand wieder zurückgenommen wurde. Vgl. Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 434. 628 Alceste, III/1, Nr. 8a.

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Dieser Herkules ist tatsächlich im Zeichen der Freundschaft zu Admet unter­ wegs. Weder hier noch in der Folge lassen sich bei ihm Anzeichen jener Eifer­ sucht ausmachen, die Quinaults Alceste und die ihr nahestehenden Versionen der Geschichte antreibt. Selbst die naheliegende Variante, aus Herkules und Parthenia ein zweites (Liebes-)Paar zu machen, verwarf Wieland in gezielter Abgrenzung von der Dramaturgie Metastasios: Die grosse That, Alcesten aus dem Lande der Schatten zurück zu bringen, hätte die Hälfte ihrer Grösse verlohren; und Parthenia, mit einem zwischen ihrem Liebhaber und ihrer Schwester getheilten Herzen, hätte nur eine frostige Person vorgestellt. Auch in diesem Stücke, wie in manchem andern, durfte der grosse Metastasio nicht zum Muster genommen werden.629

Bei Euripides ist Herkules auf der Durchreise von der siebten zur achten Arbeit, die darin bestehen wird, König Eurystheus die menschenfressenden Stuten des Diomedes zu bringen. Bei seinem Auftritt im 3. Epeisodion er­ zählt er dem Chor ausführlich und ohne eine Spur von Müdigkeit von seinem Vorhaben. Bei Euripides gehört Herkules zu den Komödienelementen der Alkestis, die ursprünglich innerhalb der Tetralogie die Position des Satyrspiels vertrat und daher komödiantische, satirische und märchenhafte Elemente beinhaltet. Das Gastrecht ist in Euripides’ Geschichte ebenso zentral wie das Opfer der Alkestis. In Sachen Eigenverantwortlichkeit mag Admetos bezogen auf das Oper seiner Frau einen sozialen Lernprozess durchma­ chen, doch als Gastgeber ist und bleibt er das unübertroffene, mythische Ideal. „Admet war vornehmlich seiner Gastfreyheit wegen berühmt, einer Tugend, die in heroischen Zeiten, das ist i n Z e i t e n d e s Fa u s t r e ch t s, ein grosses Verdienst in sich schließt“.630 Die Handlung kann nur in Gang kommen, weil Apollo einst bei ihm Unterschlupf fand, nachdem er von Zeus vorübergehend aus dem Olymp verbannt worden war,631 und vor Beginn der Handlung Thanatos die Option des Stellvertretertodes aushandelt. Um Herkules gemäß dem Gastrecht bei sich aufzunehmen, muss Admetos Al­ kestis’ Tod verschweigen, und stellt es damit über seine persönliche Trauer. Der Diener, der dem zechenden Herkules aufwarten muss, bringt es denn auch auf den Punkt: „Zu weit treibt er, zu weit seine Gastfreundschaft“ (V 809).632 Umgekehrt ist es ein Fehler von Herkules, sich so rasch mit der leicht zu durchschauenden Sophistik Admetos bezüglich des Todes einer ge­ 629 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 494. 630 Ebenda, S. 497. 631 Nachdem Zeus den wundertätigen Arzt Asklepios getötet hatte, der der Sage nach Tote auferwecken konnte und ein Sohn Apollos gewesen sein soll, rächte Letzterer sich mit dem Mord an den Kyklopen, die Zeus zuvor mit den tödlichen Wurfgeschossen versorgt hatten. 632 Alkestis (2002), S. 73.



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liebten, gleichwohl nicht blutsverwandten Frau abspeisen zu lassen, ohne das Naheliegende zu erraten: „Meinen Gefühlen zum Trotz durchschritt ich diese Tore/ und soff im Haus des gastfreundlichen Mannes“ (V 829–830).633 Antike Bearbeitungen zeigen nicht nur den strahlenden Halbgott, sondern in der Komödie häufig auch den trunkenen Raufbold Herkules. Euripides’ Herkules in seiner Unbekümmertheit haften Spuren davon an, wenngleich er nicht darauf zu reduzieren ist.634 Seine Entscheidung, Alkestis dem Tod abzuringen, resultiert zu gleichen Teilen aus der Dankbarkeit für Admetos Gastfreundschaft unter widrigsten Umständen und der Scham, sie angenom­ men zu haben. Ironie dieser Geschichte ist also, dass das gute Ende (wenn man Alkestis Wiederkehr als solches annehmen möchte) aus Admets Verlet­ zung der Trauersitten resultiert. Denn es ist doch sehr fraglich, ob Herkules dem Freund diesen „Liebesdienst“ (V 842)635 auch erwiesen hätte, hätte er am Tor ohne Umschweife vom Tod der Alkestis erfahren. Wielands grundlegende Umdeutung des Stoffes ist, dass er die satiri­ schen Elemente restlos beseitigte und damit die Vorlage konsequent der Tragödie annäherte – mit der einzigen Abweichung des glücklichen Endes, das als Lieto fine konstitutiv ist für die Gattung Oper und das Wieland als Konvention nirgends in Frage stellt. Dazu mussten vor allem die Figuren Admet und Herkules einer grundlegenden Revision unterzogen werden. Die argumentierende Erläuterung der Herkulesfigur nimmt in den Briefen an einen Freund den breitesten Raum ein, wobei Wieland an der euripideischen Figur wenig Gutes lässt. Das beginnt bereits im ersten Brief: Gestehen wir’s, der Sohn Jupiters macht bey diesem allen eine sehr mittelmäßige Figur! Aber zum Ersatz hat Admet eine herrliche Probe abgelegt, wie heilig ihm die Rechte der Gastfreyheit sind. Vermuthlich war dies genug, um die Griechen zufrieden zu stellen. Aber für uns wär’ es nicht hinlänglich. Nach unsrer Sitte würde ein solcher Herkules verächtlich, und die Gastfreyheit Admets keine so wichtige Tugend seyn […]. Ich verlange mir also kein Verdienst daraus zu machen, daß ich hier von Euripides abgewichen bin. Denn was hab’ ich gethan, als was er selbst, hätt’ er sein Drama 2200 Jahre später zu verfertigen gehabt, auch gethan haben würde? Diese Abweichung hat mich in den Stand gesetzt, meinem Herkules die Grösse zu geben, die einem Göttersohne zukömmt. Er nähert sich dem Ideal des wahren Helden. Seine Theilnehmung an seines Freundes Schicksal ist rein; seine Wiederbringung Alcestens ist nicht die Vergütung eines begangnen Unrechts; sie ist die verdienstliche That einer freyen Entschliessung, des Mannes würdig, der für d i e Tu g e n d a lles thut, alles wagt; eines Mannes, der Götterblut in seinen

633 Ebenda, S. 75. 634 Vgl. Kurt Steinmann im Nachwort zu: Alkestis (2002), S. 135. 635 Alkestis (2002), S. 77.

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Die Königin kehrt zurück Adern fühlt, und durch Thaten, die ihm kein Erdensohn nachthun kann, den Weg zum Olympus sich öfnen will.636

Und mündet im fünften in der Abgrenzung von Euripides: Der Herkules, den ich schilderte, ist der Herkules des Prodikus […] Des Euripi­ des seiner ist der Herkules der schönen Omphale, der immer bereit ist den Ruhm seines Heldenlebens an das Vergnügen eines Augenblicks zu setzen.637

Wielands Modifikation der Herkulesfigur hat bereits zeitgenössisch die heftigste Kritik auf den Plan gerufen, und auch neuere Interpreten haben, großteils in Zustimmung zu den Vorwürfen u. a. von Goethe, wenig Gutes an ihr finden können.638 Herkules stünde demnach für einen an Selbstver­ leugnung, Sinnenfeindlichkeit und Heuchelei grenzenden Tugendbegriff, dessen geringster Fehler noch seine vollständige Missdeutung der antiken Figur sei. Erstaunlicherweise wird dabei selbst von in Wielands Werk wohl­ belesenen Interpreten weder die Komplexität der Herkulesfigur erkannt, die neben ­einem noch immer gerüttelten Maß an Komik ihre knapp 2300-jährige eigene Interpretationsgeschichte, insbesondere auf dem Feld des Musikthea­ ters, im Reisegepäck mit sich führt.

4.9.4 Exkurs – Die Wahl des Herkules Herkules639 am Scheideweg „gehört zum festen Bestand von Wielands frühe­ ren Arbeiten. Schon im Drama Lady Johanna Gray (1758) wird an prominen­ ter Stelle auf die Herakles-Geschichte angespielt […] und im dritten Gesang des Neuen Amadis (1771) wird der Held mit einem Gemälde von Herakles am Scheideweg konfrontiert“640. Die Geschichte entstand im 5. Jahrhundert v. Chr. und Wieland beruft sich in den Briefen an einen Freund wie in der Vor­ rede zum nur eine Nummer641 später an gleicher Stelle publizierten kleinen Singspiel Die Wahl des Herkules zum Geburtstag des Weimarer Erbprinzen 636 637 638 639

Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 498. Ebenda, S. 517. Vgl. Fues (1989), S. 37–39. Ein zweiter Name des Herkules ist ‚Alcides‘, nach seinem Großvater Alkaios. Die Libretti der deutschen Barockoper verwenden häufig im Text den Namen ‚Alcid‘, obgleich als Rol­ lenbezeichnung ‚Hercules‘ steht. Auch in der französischen Oper dominiert die Bezeichnung ‚Alcide‘. Dieselbe Mischung zeigen aber auch italienische Libretti, vermutlich vornehmlich aus metrischen Gründen. 640 Gelzer (2005), S. 458. Seuffert (1894, S. 531) weiß noch einen Schulaufsatz zu ergänzen. 641 Im Augustheft 1773.



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Carl August642 explizit auf den Socrates-Schüler Xenophon (ca. 430–354 v. Chr.). Dieser referiert die Geschichte in seinen Memorabilia, den Erinnerun­ gen an Sokrates. Der verehrte Lehrer Sokrates erzählt sie darin ausgerechnet dem Aristippus, dem Helden von Wielands großem Altersroman Aristipp und einige seiner Zeitgenossen643, weist sie aber als eine Parabel des Philosophen Prodi­ kos aus. Die Geschichte von der Wahl des zentralen antiken Helden zwischen einem harten und entbehrungsreichen Leben mit dem Ziel ewigen Ruhms und einem Leben in süßem Müßiggang um den Preis des Vergessenwer­ dens gehört zum Urgestein der antiken Aufklärung um Sokrates. Zwischen Xenophon und Wieland liegt eine reichhaltige abendländische Rezeptionsge­ schichte, die den Stoff in vielfältiger Weise umdeutete. Herkules, der Halbgott, der zweimal in die Unterwelt hinabstieg,644 fungierte neben der bereits antiken philosophischen Deutung für männliche Tugendhaftigkeit in der christlichen Deutung zunehmend als Christusallegorie bzw. -Präfiguration. Seit dem Mittelalter stand Herkules zudem als vir perfectissimus für den vollkommenen Ritter, bezogen jedoch eher auf Heroismus, Glaubensstärke und Willenskraft als auf das galante Ideal. Reiche Verwendung fand der Stoff in der barocken Festspieltradition. Hier schließen sich die Stränge der Über­ lieferung zusammen: Der Herrscher wird mit Herkules’ Unbesiegbarkeit und Stärke parallelisiert sowie mit seiner Halbgöttlichkeit. Die abschließende Apotheose krönt buchstäblich die Geschichte, und die christliche Lesart vom Erlöser ist ein willkommener Unterton. Auch Ludwig XIV. stilisierte sich als Herkules, doch sind die Herkulesfiguren in Cavallis L’Ercole amante und Lul­ lys Alceste keine schlichten Tugendallegorien, sondern greifen wie beschrie­ ben bereits wieder auf die ambivalenten antiken Herkulesfiguren zurück. Naturgemäß stehen für die Herrscherallegorie Kraft und Schlachten­ ruhm des Regenten im Zentrum, und die Kantate bzw. eine ihr nahestehende

642 Wielands Arbeit für und mit dem Weimarer Hoftheater zu Beginn der 1770er Jahre sowie die Funktion des Theaters als Prinzenerziehung hat Andrea Heinz ausführlich dargestellt, so dass ich mich diesbezüglich auf wenige Anmerkungen und Zuspitzungen ihrer Thesen beschränken kann. Vgl. Andrea Heinz: Wieland und das Weimarer Theater (1772–1774). Prinzenerziehung durch das Theater als politisch-moralisches Institut. In: Hofkultur und aufklärerische Reformen in Thüringen. Die Bedeutung des Hofes im späten 18. Jahrhundert. Marcus Ventzke (Hg.). Köln u.  a. 2002, S. 82–97. 643 Dort vergleicht Aristipp die schöne Lais in ihrer Entscheidung zwischen einem Leben als Ehefrau und als Hetäre mit einem weiblichen Herkules am Scheideweg. Allerdings ist diese Entscheidung gerade nicht eine zwischen Tugend und Laster, sondern zwischen Freiheit um dem Preis scheinbarer Lasterhaftigkeit und gesellschaftlicher Achtung um den Preis des Ver­ lusts einer schönen Seele. 644 Um Alkestis zu holen und ein zweites Mal, um den dreiköpfigen Hund Kerberus zu holen. Bei dieser Gelegenheit legte ihm der Schatten des Meleagros seine Schwester Deianeira an Herz, die Herkules später zu seiner Frau machen sollte.

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musikdramatische Kleinform, sind die häufigen Formen.645 Einige dieser Be­ arbeitungen waren Wieland und Schweitzer wenigstens in Teilen bekannt und kommen somit als Vorbilder und intertextuelle Bezugswerke in Betracht: Am 5. September 1733 wurde Bachs Herkules am Scheideweg („Lasst uns sorgen, lasst uns wachen“ BWV 213) zum 11.  Geburtstag des Kurprin­ zen Friedrich Christian von Sachsen (1722–1763) aufgeführt. Das Libretto stammte von Christian Friedrich Henrici, gen. Picander, der es 1737 im vier­ ten Band seiner Ernst-schertzhaffte und satyrische Gedichte veröffentlichte.646 Ob Bachs Musik Wieland oder Schweitzer bekannt war, darf bezweifelt wer­ den,647 Picanders Gedichte hingegen kannte Wieland spätestens seit 1752, als er im Brief an Bodmer vom 6.  August dieses Jahres648 die „Picandersche Liebe“ als fleischlichere der Klopstock’schen (geistigen) entgegenstellte. Picander und Bachs Bearbeitung des Stoffes verbindet mit Wieland und Schweitzers die ungewöhnliche Widmung an einen Jugendlichen.649 Picander vollzieht überdies eine signifikante Umdeutung, die bei Wieland ihr Echo fin­ det:650 Herkules wählt nicht mehr zwischen einem entbehrungsreichen oder lustvollen Lebensweg, er wählt zwischen einer abstrakten, deutlich religiös konnotierten Tugend und der Wollust. Seine Wahl ist dabei weniger eine gezielte Entscheidung, als die Abwehr einer Versuchung. So stellt die Tugend bei Picander bereits eingangs fest: „Du bist mein ächter Sohn,/ Ich deine Zeugerin, die Tugend.“651 Herkules ist entsprechend rasch entschlossen, sich

645 Böhme bescheinigt dem Stoff weite Verbreitung (1931/1969), S. 113. 646 Leipzig 1737, S. 22–26. In der zweibändigen Ausgabe von 1748 im 1. Bd., S. 55–59 (Zitate folgen der Ausgabe von 1737). 647 Bachs Werke erlebten erst in den 1780er Jahren eine Renaissance. Allerdings gehörte Wei­ mar zu den frühen Zentren der Bach-Sammlungen, wenngleich eher der Orgelwerke. Vgl. Bach und die Nachwelt. Michael Heinemann und Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.). Bd.  I, 1750–1850, Laaber 1997, S. 55–56. 648 WBr Bd. 1, S. 86, und Bd. 2, S. 122. 649 Vgl. Hans-Joachim Schulze: Die Bach-Kantaten. Einführung zu sämtlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs. Leipzig und Stuttgart 2006, S. 673. Demzufolge wurden Herkules-Kantaten üblicherweise erwachsenen Regenten zugeeignet. 650 Picander wiederum mag sich dabei auf die Bearbeitung durch die 1725 in Arnstadt aufge­ führte Fassung von Johann Balthasar Christian Freislich (1687–1764) Der siegende Hercules als Bild eines sich selbst beherrschenden Regenten (aufbewahrt im Schlossmuseum Sondershausen) berufen haben oder auf das im selben Jahr von Gottlieb Heinrich Stötzel in Gotha und zwei Jahre später auf der Hamburger Gänsemarktoper aufgeführte ‚Drama‘ Hercules Prodicius oder die triumphierende Tugend (Libretto erhalten in Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Au­ ßenstelle Altenburg, Berlin und Niedersächsische Landesbibliothek). Durchaus möglich, dass Wieland diese Stücke in der von ihm benützten Sammlung von Opernlibretti vorgefunden hat, denn die Textbücher haben sich bis heute in der unmittelbaren Umgebung Weimars bzw. just an den Orten erhalten, aus denen auch die von Wieland studierten barocken Alceste-Li­ bretti stammen respektive überdauert haben. 651 Picander: Ernst=Schertzhaffte und Satyrische Gedichte, Bd. 4, Leipzig 1737, S. 24.



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aller Anfeindungen zu erwehren, und so kommt es zügig zu der abschließen­ den Vermählung und dem Duett: Hercules. Ich bin deine, Tugend. Du bist meine,      Küsse mich, Hercules.      Ich küsse dich.     Wie Verlobte sich verbinden, A Duetto. Wie die Lust, die sie empfinden, Treu und zart und eiferich, So bin ich.           Da Capo652

Dass es sich trotz der deutlich erotischen Wortwahl um eine theologische bzw. moralische, jedenfalls allegorische Vermählung handelt, macht (für die, denen die Genealogie von Herkules im Rezitativ der Tugend entgangen sein sollte) Merkur deutlich: „Schaut Götter, dieses ist ein Bild/ Von Sachsens Chur=Printz, Friedrichs, Jugend!“653. Bach hat diese Tendenz in der Vertonung auf einigermaßen verstörende Weise noch überformt: Obgleich die Tugend ausdrücklich und wiederholt als ein weibliches Wesen adressiert wird, ist „sie“ ein Tenor. Zwar fiel die Geschlechtszugehörigkeit der Sänger bei dem ohnehin vollständig aus Kna­ ben bestehenden Sängerensemble kaum ins Gewicht, wohl aber das Stimm­ geschlecht, das Tenortravestierollen sonst nur für komische Rollen (in der Oper) vorsah. Der junge Herkules ist hingegen, möglicherweise einer festen Konvention folgend,654 eine Altpartie. Die Tenorstimme wird im Schluss­ duett sehr hoch, bis zum eingestrichenen a geführt und beide Stimmen ver­ schmelzen geradezu miteinander. Die eigenartig changierende Geschlecht­ lichkeit oder Geschlechtslosigkeit ist bereits ausdrücklich im Text angelegt, wenn Hercules von sich im femininum spricht und die Tugend ‚ihn‘ analog als „Du bist meine“ adressiert. Von der zweiten, heute kanonischen und deutlich jüngeren Bearbeitung des Stoffes, führt ein noch direkterer Weg zu Wielands Singspiel. 1750 hatte 652 Ebenda, S. 25–26. 653 Ebenda, S. 26. 654 In Hasses Vertonung von Metastasios Alcide al Bivio ist Alcides eine Altpartie, ebenso in Händels Oratorium von 1751. Schweitzer verwendet die dieser Stimmlage am nächsten kom­ mende ihm zur Verfügung stehende: einen (hohen) Tenor.

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Händel die Schauspielmusik seiner nie aufgeführten Masque Alceste (!) auf einen Text von Tobias Smollett (1721–1771) zu dem musical interlude, The Choice of Hercules umgestaltet.655 Das von Thomas Morell (1703–1784) ver­ fasste Textbuch ist eine Bearbeitung von The Judgement of Hercules von Robert Lowth (1710–1787),656 die Robert Dodsley (1703–1764) in seiner Collection of Poems by Several Hands im dritten Band657 abgedruckt hatte. Genau dieses Stück stellt Wieland in der Übersetzung Bertuchs seiner Wahl des Her­ kules beim Vorabdruck im Teutschen Merkur an die Seite mit der Begrün­ dung, es sei leichter zu übersetzen gewesen als das griechische Original Xenophons: Dreymal und öfters hat der Verfasser des folgenden musicalischen Dramas ver­ sucht, dieses Meisterstück der Sokratischen Grazien aus Xenophons Sprache, das ist, aus der Sprache der Musen, in die unsrige über zu tragen; aber Muth und Hände sanken ihm jedesmal bey den Schwierigkeiten […]. Unendlich mal leichter war es eine Übersetzung eines englischen Gedichts über dieses Süjet, welches sich unter dem Titel, The Choice of Hercules, im dritten Bande der bekannten Collection of Poems befindet, zu unternehmen.658

Mit „übersetzen“ meint Wieland hier bezogen auf Xenophon nicht den tech­ nischen Vorgang, sondern den programmatisch in den Briefen an einen Freund über das deutsche Singspiel ‚Alceste‘ formulierten Anspruch, eine Übersetzung müsse zugleich die Transformation des Textes in eine für das zeitgenössische Publikum nachvollziehbare Bildlichkeit leisten. Genau dies hatte er mit seiner eigenen Bearbeitung getan, weshalb als Seitenstück eine fremdsprachliche Fassung übersetzt wurde, die dem Publikum zeitlich bereits nahestand. Auch von Metastasio existiert eine Bearbeitung des Stoffes, die Festa teatrale Alcide al Bivio. Wieland kannte mit einiger Sicherheit bereits den italienischen Text und von den zahlreichen Vertonungen kannten Wieland und Schweitzer sicherlich die von Hasse, die im Oktober 1760 in Wien zur Hochzeit Erzherzog Josephs II. von Österreich mit Prinzessin Maria-Isabella von Bourbon-Parma (1741–1761) aufgeführt wurde. Ein Klavierauszug die­ ser Vertonung von 1760 befand sich in Anna Amalias Besitz.659 1770 hatte zudem Weiße das Libretto übersetzt und als separates Textheftchen „zur

655 Das Stück wurde 1751 gemeinsam mit dem Alexanders Feast aufgeführt. Wielands rege Lek­ türe englischer Zeitschriften zu dieser Zeit und seine Aufmerksamkeit für die englische Lite­ ratur im Zuge seiner Teilhabe an den Positionen der anglophilen ‚Züricher‘ lassen durchaus möglich erscheinen, dass er davon Kenntnis genommen hat. 656 Glasgow 1743. 657 London 1748. 658 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 51–52. 659 Vgl. Dreise-Beckmann (2004), S. 220.



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Beförderung der Tugend“ drucken lassen.660 Wieland, der zu dieser Zeit das Schaffen Weißes bereits aufmerksam verfolgte und nach einigen Jahren eher sporadisch gewechselter Briefe den Schöpfer des Norddeutschen Singspiels bei einer Reise nach Leipzig im Juni 1770661 selbst kennengelernt hatte, wird diese Publikation nicht entgangen sein, zumal Weißes dramatische Arbeiten den Weimarer Spielplan der Seyler’schen Truppe dominierten.662 Mit der ausdrücklichen Zuordnung des eher statischen Kantatenstoffes zum Dramma per musica folgt Wielands Bearbeitung diesen Vorbildern, mit denen sie auch die Gattungsbezeichnung teilt, sei es als musikalisches Inter­ mezzo (Händel) – eine musikdramatische Kleinform – oder ausdrückliches dramma per musica wie bei Metastasio. Außergewöhnlich ist die Bezeichnung vor allem für Bachs Kantate, die demnach eigentlich gar keine Kantate ist, sondern ausdrücklich ebenfalls „dramma per musica“ übertitelt ist  – also eine Oper aus Bachs Feder darstellt.663 4.9.4.1  Der zivile Herkules Wieland Singspiel Die Wahl des Herkules ist in mehrfacher Hinsicht ein direk­ tes Seitenstück zu Alceste. Es wurde am 3. September 1773 in Weimar zum 16. Geburtstag von Carl August aufgeführt. Zwei weitere Aufführungen am 4. und 5. September waren öffentlich.664 Josepha Helmuth (vormals Parthe­ nia) sang die Partie der Wollust, Franziska Koch (Alceste) die der Tugend. 660 Alcide al bivio. Die Wahl des Herkules oder Alcide an zwei Wegen. Textbuch ital./ dt. Pietro Metastasio. Herausgegeben zur Beförderung der Tugend. o. O., o.  J. (ca. 1770). 661 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Michaelis’ Singspiel Herkules auf dem Oeta, das zwar eine andere Geschichte (Herkules Tod und Apotheose) erzählt, doch 1771 von Anton Schweitzer für Hannover komponiert worden war. 662 Der lustige Schuster sogar in einer Vertonung Schweitzers. 663 Ob dies tatsächlich ein Reflex auf Gottscheds 1730 erschienene Critische Dichtkunst ist und den dort im Kapitel ‚Von Cantaten‘ beschriebenen Übergang der Kantate ins Drama, wie Wolfgang Sandberger impliziert (Zum Motiv und zur Dramaturgie des Herkules auf dem Schei­ dewege bei Bach [BWV 213] und Händel [HWV 69]. In: Göttinger Händel-Beiträge. Hans Joachim Marx [Hg.]. Göttingen 11 [2006], S. 264) scheint mir fraglich. Obgleich Gottsched und Bach sich kannten und Bach 1727 (18. 10.) mit Gottscheds Trauerode Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl sogar einen Text des (angehenden) Literaturreformers vertonte (wozu er je­ doch die Strophenform von Gottscheds Text in Rezitative, Arien und Chöre, also zu einem Libretto nach üblichem Schema umstrukturierte), benötigte Bach doch sicherlich nicht den dramaturgischen Nachhilfeunterricht des musiktheatralisch völlig unbewanderten Gottsched. Zumal die Gattungsbezeichnung wahrscheinlich bereits von Picander, dem gleichaltrigen Erzrivalen Gottscheds (dies erklärt vielleicht auch Wielands Anteil für Picanders Dichtung) vorgeschlagen worden war. Vgl. Schulze (2006), S. 700. 664 Heinz (2002, S. 13) geht von drei weiteren Aufführungen aus. Vgl. Rudolf Schlösse: Vom Hamburger Nationaltheater zur Gothaer Hofbühne 1767–1779. Dreizehn Jahre aus der Ent­ wicklung eines deutschen Theaterspielplans. Hamburg und Leipzig 1895, S. 74.

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Herkules sang der Tenor Carl Christian Helmuth, der Darsteller des Admet, nicht der Darsteller des Herkules in der Alceste, der Bassist Friedrich Günther. Der traditionellen Altpartie eines jugendlichen Herkules kam diese in der Weimarer Besetzung einzige verfügbare hohe Männerstimme am nächsten. Während Herkules’ Partie eher getragenen Duktus zeigt, ist die Partie der Wollust reich an Koloraturen, was sich nicht nur mit der Rollenerwartung, sondern auch mit der ebenfalls für Josepha Helmuth gestalteten Partie der Parthenia in der Alceste trifft. Die Librettostruktur unterscheidet sich etwas von der ein dreiviertel Jahr zuvor entstandenen Alceste. Das Stück beginnt (in der Tradition des Singspiels) direkt mit einer Arie. Es folgen lange Passagen ungereimter Madri­galverse665, teilweise durch Einzüge als Passagen mit verstärktem Affekt kenntlich ge­ macht. Die Arien sind kurzzeiliger, variabel gereimt und als eingerückte und gesperrt gedruckte Passagen kenntlich. Die Gesänge kulminieren im letzten Drittel zunächst in einem Trio zwischen der Wollust, Herkules und der Tu­ gend als Klimax der Handlung und in einem finale zwischen Herkules und der siegreichen Tugend. Die Originalpartitur ist nicht überliefert. In Berlin666 liegt eine unvoll­ ständige, nicht autographe Handschrift, die in einem Band auf 210 Seiten die Ouvertüre und den Verlauf bis einschließlich der dritten Arie umfasst.667 665 Jambisches Grundmetrum mit variabler Zeilenlänge von vier bis sechs Hebungen (gelegent­ liche Alexandriner wirken wie zufällig). 666 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Sig. Mus. ms. 20545. Bereits Maurer verzeichnet nur noch diese fragmentarische Fassung. Vgl. Maurer (1912), S. 67. 667 Vermerkt ist Schweitzers Name und die Ortsangabe ‚Gotha‘, eine Jahreszahl fehlt. Ebenso fehlt Bandzählung, weshalb offen bleiben muss, ob es sich um den ersten Band einer Ge­ samtausgabe oder um einen intendierten Auszug handelt. Im hinteren Einband vermerkt ein Eintrag „ex Bibliotheca Poelchauviana“. Der Band entstammt der Poelchau’schen Sammlung von Musikalien, die 1841 den Grundstock der Musikaliensammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bildete. Poelchau hatte von Hamburg aus Musikalien unterschiedlichster Natur erworben, der Namenseintrag ‚Schweitzer‘ stammt von seiner Hand und offenbar bestand die Abschrift bereits zum Erwerbszeitpunkt nur aus einem Band. Es handelt sich nicht um eine Aufführungspartitur, sondern um eine über das in den zum Vergleich herangezogenen Kopien der Alceste und Rosamunde übliche Maß hinausgehend verknappende Abschrift mit Anweisungen für die Erstellung der Stimmen. Die Abschrift macht den Eindruck, als sei sie unter Zeitdruck entstanden. Das norditalienische Papier (wie es in Wien verwendet wurde) könnte darauf verweisen, dass sie in Wien gefertigt wurde. Wahrscheinlicher wäre allerdings anzunehmen, dass sie aus dem Bestand der Seyler’schen Truppe stammt und vermutlich eher noch in Weimar oder Gotha als später in Mannheim gefertigt wurde, da Seyler im Sommer 1772 längere Zeit in Wien war (vgl. u.  a. WBr Bd. 5, S. 604) und das Papier von dort mitge­ bracht haben kann. Später gelangte sie möglicherweise mit ihm nach Hamburg. Das in Mann­ heim verwendete Papier stammte allerdings hauptsächlich von Hieronymus Blum (Basel) und Nikolaus Heusler (Kandern). Das Querformat deutet in jedem Fall auf eine Provenienz aus Mittel- oder Süddeutschland, da für Vokalmusik in Norddeutschland eher Hochformat verwendet wurde.



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Die Orchestrierung umfasst in der Ouvertüre 2 Violinen, Viola, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Fagotte und Cembalo (Basso continuo). Mit der kurz zuvor abgeschlossenen Alceste übereinstimmend ist die fast durchgängige Be­ gleitung der Rezitative als Accompagnati, durch Violine, Viola, Flöte, Cem­ balo, die den Übergang zwischen Arien und Rezitativ nivelliert. Häufiger Tempowechsel (Larghetto zu Allegro und Andante zu Presto) und wech­ selnde Instrumentalbesetzung modellieren die langen Rezitativpassagen und greifen die in Alceste entwickelten melodramatischen Verfahrensweisen auf. Wieland nimmt eine weitreichende Umdeutung der Geschichte vor,668 in­ dem er Herkules nicht als eine relativ unverbindliche allegorische Gestalt auftreten lässt, sondern mit ihr ein ideales, gleichwohl sehr persönliches und individuelles Bild seines Zöglings Carl August entwirft. Dabei entfernt er sich zuweilen bis zur Unkenntlichkeit von der antiken Überlieferung der Her­ kulesgestalt, wenn etwa die Wollust ihn mit den „Musen, die du liebst“669, verlockt und Herkules selbst von den „Lehren/ Die vom Nektarmund der Söhne des Musengottes/ In Cithärons heiligen Grotten/ In meine Seele flos­ sen!“670 spricht, womit sich Wieland nebenbei (als einem dieser Apollons­ söhne, durch dessen „Mund/ Der Weisen“671 Herkules die Tugend erfuhr) ein nicht wenig schmeichelhaftes Denkmal setzt. Tatsächlich ist eine beson­ dere Vorliebe des Herkules für die Musen nicht überliefert, eher das Gegen­ teil: Er schlug seinem Musiklehrer Linos den Schädel ein, weil er keine Lust aufs Üben hatte.672 Den hier auftretenden jungen Helden verbindet mit dem mythischen Halbgott nurmehr die Situation, als Heranwachsender seinen Le­ bensweg zu planen. Wie anders könnte dieser poetische kleine Herkules sich Heldenepen zum Vorbild nehmen, deren Grundlage erst seine eigenen Taten werden sollten? Des antiken Herkules’ Taten stehen an der Schnittstelle re­ spektive Zeitgrenze zwischen Göttern und Giganten und dem Zeitalter der Menschen, vollziehen sich in einer prä-historischen und prä-epischen Zeit.673 668 Zum Motiv der beiden Wege in der mittelalterlichen Dichtung vgl. Wolfgang Harms: Homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges. München 1970. 669 Die Wahl des Herkules. Eine dramatische Cantate. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 9. 670 Ebenda, S. 7. 671 Ebenda, S. 12. 672 Was ihm die Verbannung auf den Kithairon einbrachte. Vgl. Sandberger (2006), S. 262. 673 Eine derartige Verschränkung respektive Distanz zur Tradition pflegt Wieland in den Epen/ Romanen. Dass es hier nicht geschieht, deutet auf einen grundlegenden Unterschied zwi­ schen epischer und dramatischer Dichtung bei Wieland, den ich an anderer Stelle ausführ­ licher dargestellt habe (Zwischen Euripides und Metastasio – Wielands Konzept einer bür­ gerlich-heroischen Oper. In: Alkestis: Opfertod und Wiederkehr. Interpretationen. Beatrix Borchard und Claudia Maurer Zenck [Hg.] Hamburg 2007, S. 73–96, hier: S. 92–93). Insofern würde ich auch Florian Gelzers These von einer den Versepen und den Singspielen gemeinsa­ men romantisch-klassischen Schreibart nicht zustimmen. Vgl. ders. Romantisch-Komisch: zu

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Wielands Herkules hingegen ist ein zivilisierter Herkules, der seine eigene Rezeptionsgeschichte im Kopf hat – es ist der Erbprinz selbst. Das Schwanken zwischen Wollust/Müßiggang und Tugend/Arbeit ist diesem Herkules bereits immanent. Die auftretenden Allegorien sind Ge­ stalt gewordene Selbstgespräche. Wielands Abweichung von der traditionel­ len Fabel wird besonders deutlich, zieht man die im Teutschen Merkur abge­ druckte Übersetzung von Lowths Gedicht zum Vergleich heran, das Wieland als „freye poetische Übersetzung der Prose Xenophons“674 bezeichnete. Hier bedeutet der Tugend zu folgen, sich Kriegsarbeit zu unterziehen: Rauh ist der Pfad des Ruhms, durch Blut und Schlachten, Durch Wunden und Gefahr führt er dich nur.675

Auch der Dienst am Vaterland bedeutet Wehrhaftigkeit: Willst du als Vater einst von ihm geliebt, Als Gott verehret seyn; sey sein Beschützer; Im Rath sein Sprecher, in der Schlacht sein Schwerd.676

Ziel des Trainings ist: Und hat dich Winter-Schnee und Sommer-Sonne Für jedes Ungemach des Kriegs gehärtet, Dann wird in Schlachten Muth den Arm dir stehlen, Und Sieg dein treuester Gefährte seyn.677

Der Herkules der antiken (vor-Xenophonischen) Überlieferung ist ein Kraft­ protz, ein Ungetüm, dessen gelegentliche (von Juno hervorgerufene) Aus­ brüche für die Menschen seiner unmittelbaren Umgebung oft tödlich ver­ laufen. Die antiken Tugenden sind reflexiv, aus heutiger Sicht könnte man sie auch als egoistisch bezeichnen. Nach antikem Verständnis tut Herkules natürlich das, was er tut, für sich und den eigenen Ruhm – dass er dabei die Erde von einigen sehr unangenehmen Giganten und Ungeheuern säubert, ist ein positiver Nebeneffekt. Das neuzeitliche Äquivalent für diese Taten wären: Feldzüge. Carl August Alcides hingegen bekommt nur noch den Tu­ gend-Tempel gezeigt, wenn auch im Lorbeerwäldchen. Für den heranwach­ senden Herrscher von Sachsen-Weimar-Eisenach würde es aller Voraussicht nach weder Schlachten noch Ländereien zu gewinnen geben. Ihm von Ruh­ einem literarischen Modus in der deutschen Literatur zwischen Frühaufklärung und Klassik (Jacobi – Michaelis – Wieland). In: German Life and Letters 59 H. 3 (2006), S. 323–343. 674 Vorbericht. In: Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 52. 675 Die Wahl des Herkules. Nach dem Englischen eines Ungenannten. In: Teutscher Merkur 3 (1773), S. 160. 676 Ebenda, S. 163. 677 Ebenda.



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mestaten vorzusingen, wäre dem Autor des Don Sylvio von Rosalva sicherlich zuletzt eingefallen. Die Parallele zu Picanders Kantate auf einen kränklichen Knaben drängt sich auf, in der ebenfalls die Ruhmestugend von einer Seelen­tugend substituiert wird. Der eher abstrakte, kriegerische bzw. christliche Tugendbe­ griff wird von Wieland zu einem sehr konkreten gewendet und in Zuspitzung Xenophonischer Motive mit genauen Anweisungen versehen, wie der Ruhm eines tugendsamen Fürsten von Sachsen-Weimar-Eisenach zu erwerben sei. Soll dir die Erde ihren Reichthum zollen? Du mußt sie bauen! Soll dein Vaterland dich ehren? Arbeite für sein Glück! […] Sey ein Wohlthäter der Menschheit, Lebe, schwitze, blute zu ihrem Dienst!678

Wielands Herkules soll nach einer philanthropischen Tugend streben, die ihren Ruhm aus dem Wohlbefinden seiner Untertanen schöpft. Die Allegorie des Müßiggangs setzt dem entgegen, es lohne sich nicht für andere zu leben und singt das Lied vom parasitären Fürsten „Andre sollen für dein Vergnü­ gen schwitzen!/ Eine ganze rastlose Welt/ Soll deinen Freuden dienen“.679 Gegen das parasitäre Prinzip wäre Herkules schnell entschlossen, doch be­ reits eingangs war er mit dem Seufzer nach Dejanira aufgetreten, die als erste große Liebe des Heranwachsenden an die Stelle der sonst abstrakten und entsprechend leicht zu verwerfenden Wollust getreten ist:680 Der junge Herkules mußte den Zuschauern interessanter gemacht; er mußte die erste Figur des Gemähldes und der Held der Action werden […] daher die Dich­ tung seiner Liebe zu der jungen Dejanira, die er zu Calydon an den Ufern des Achelous, bey einem Bachusfeste kennen lernte, eine Liebe, deren er sich schämet, die er bekämpft, weil er fühlt, daß sie ihn von seiner Bestimmung abziehen würde. 681

Der Verzicht auf Dejanira fällt Herkules schwer und mündet in der Klage: „Ist nicht für beyde Raum/ In meiner Seele? […] Ich lieb’, o Göttin [der Tu­ gend] dich,/ Und Dejaniren“682. Damit wendet Wieland, mit deutlichem An­

678 Herkules, Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 13. 679 Ebenda, S. 14. 680 Eigentlich begegnet Herkules Dejanira bei der letzten der 12 Heldentaten, nachdem er mit verschiedenen Frauen 53 Kinder gezeugt und drei davon eigenhändig erschlagen hatte (wofür die 12 Heldentaten die Sühne sind). 681 Herkules. Vorbericht, Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 52. 682 Ebenda, S. 18.

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klang an seine Singspieltheorie,683 die statische Tugend-Laster-Entscheidung Herkules’ in ein aufrichtiges Seelendrama, wie er in der Vorrede ausführt: Die Natur des Drama, so einfach es immer seyn mag, erfordert, daß alles darinn Bewegung und Handlung sey. Die Bemühungen der Wollust, den jungen Helden zu bestricken, konnten und durften nicht ohne alle Würkung bleiben. Wir müssen ihn in Gefahr sehen, zu unterliegen; er muß schwach werden, aber ohne die Hoch­ achtung ganz zu verliehren die er uns in seinem [sic!] Monologen eingeflößt hat. Die Erscheinung der Tugend wird dadurch dramatisch, daß wir sie nicht eher als in dem Augenblicke, da ihr junger Freund in Gefahr ist, dazwischen kommen lassen.684

Mit dem Motiv der Selbstüberwindung des Herkules’ als Entsagung von einer großen Liebe und als zentrale Voraussetzung für den Weg zur Unsterblich­ keit greift Wieland auf ein zentrales Handlungsmoment der Quinault’schen Alceste zurück und vermeidet damit das Problem der älteren Bearbeitungen, die keinen echten Konflikt bei Herkules’ Entscheidung darstellen und somit auch keine dramatische Spannung aufbauen konnten. Dem aufmerksamen Geburtstagskind war überdies sicherlich bewusst, dass Herkules Dejanira eines Tages dennoch bekommen würde und mit welch fatalen Folgen.685 Schließlich schwört Herkules doch der Tugend alleinige Treue, womit Alceste und die Wahl des Herkules in intertextuelle Wechselrede treten, bei der das Fest-Singspiel zur Vorgeschichte und Erläuterung des Reformoper-Sing­ spiels wird, das Herkules’ Auftrittsarie zu Beginn des III. Akts (der Alceste) in Handlung umsetzt. Mit Blick auf Alceste, also auch mit dem Blick, den die historischen Ge­ burtstagsgäste und vor allem der Jubilar Carl August auf das Singspiel hatten, erweist sich Herkules’ Vermählung mit der Tugend als weitaus folgenrei­ cher und zugleich konkreter als bei Xenophon, der seinen Herkules einfach nur der Wollust entsagen lässt zum Ziel von Unsterblichkeit im Andenken der Nachwelt: Hier ist es die Keuschheit respektive das Hintanstellen eines privaten Liebesglücks, das dem nun nur noch für die Freundschaft lebenden 683 „Wer viel zu thun hat, hat keine Zeit hinzustehn und zu schwatzen. Jeder Augenblick ist ihm kostbar, und soll es also auch dem dramatischen Dichter seyn“. Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 493. 684 Herkules. Vorbericht, Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 52. 685 Deianeira sollte letztlich Herkules’ Tod herbeiführen. Bei der Heimreise hatte der Kentauer Nessos die beiden über den Euenos gesetzt und dabei versucht, sich an Deianeira zu vergrei­ fen. Herkules tötete ihn dafür. Sterbend empfahl Nessos Deianeira sein Blut als Aphrodisia­ kum, sollte sie sich in Gefahr glauben, Herkules’ Liebe zu verlieren. Dass es soweit kommen würde war absehbar, doch entpuppte sich der mit dem Blut präparierte Mantel als giftig. Deianeira nahm sich daraufhin das Leben und der siechende Herkules ließ sich auf dem Oeta einen Scheiterhaufen errichten. Im Sterben wurde er zu den Göttern erhoben. Von dieser letzten Episode handelte Schweitzers Singspiel Herkules auf dem Oeta (Hannover 1771) nach einem Text von Michaelis.



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Helden übermenschliche Fähigkeiten verleiht, die selbst das Vermögen der Götter übersteigen und ihn eine aus übergroßer Liebe Verstorbene aus dem Or­ kus zurückholen lassen. Mit Die Wahl des Herkules schuf Wieland also weniger eine Huldigungskantate als einen dramatisierten Fürstenspiegel nach dem einflussreichen Muster von de Tessoneries L’Art de Regner.686 Auch Quinaults Alceste-­Libretto war so weit verbreitet, dass wenigstens den musiktheater­ kundigen Lesern auffallen konnte, wie Wieland den persönlicher Neigung entsagenden Herkules (ob man darin nun eine Allegorie auf Ludwig XIV. sehen mochte oder nicht) auch für seinen Zögling einforderte. In Herkules/ Carl August wird der, wenigstens nach der Geisteshaltung, bereits vollendete Herrscher des aufgeklärten Absolutismus in dem angehenden Regenten por­ traitiert, quasi als virtuelles Beispiel geglückter Fürstenerziehung. Bereits vor der ersten Aufführung erschien Wielands Libretto im August 1773 im 3. Band des Teutschen Merkur. Die Publikation des Textes in einer im gesamten deutschen Sprachgebiet gelesenen Zeitschrift macht aus der ver­ meintlichen Gelegenheitsdichtung einen planvollen Propagandaakt für das kleine Fürstentum und in eigener Sache, da Wieland die gerade erst übernom­ mene Aufgabe als bereits vollendet darstellt. Er bedient sich dazu also gezielt der Rezeptionsweise des Leselibrettos, die in Deutschland bekanntlich auf eine ebenso lange Tradition zurückblickt wie das höfische Musiktheater als Erziehungsmedium. Denn anders als Alceste erschien die Wahl des Herkules nie im Notendruck,687 wurde also nicht als praktischer Musiktheatertext und Spiel­ vorlage, sondern als reiner Lesetext rezipiert. Folgerichtig ist dies vor allem wegen der expliziten Anbindung an Carl August als vorgeblich einzigartige historische Gestalt, wegen der eine Wiederholung an anderem Ort unwahr­ scheinlich war. Hinzu kommt, dass das Stück deutlich gegen Wielands eigene Singspieltheorie verstieß, die weder lange Reden noch philosophische Fragen und erst recht keine politischen Sujets auf der Opernbühne zulassen wollte.688 4.9.4.2  Übersetzung der antiken Muse ins Musiktheater und eine Neuauflage der Querelle d’Alceste Die Wahl des Herkules gliedert sich mit Vorrede und Seitenstücken ein in die ebenfalls im Teutschen Merkur publizierten Briefe an einen Freund … und die später am selben Ort erscheinenden Abhandlungen zu den älteren Alcesten 686 Die bekanntlich 1645 dem erst fünfjährigen Ludwig XIV. zeigen sollte, dass ein König zu allererst sich selbst regieren lernen muss. 687 Die briefliche Äußerung Wielands an Staatsrat von Gebler vom 30. August 1773 „Ich muntere Herrn Schweitzer auf, sie drucken zu lassen“ ist wohl eher eine Floskel. WBr Bd. 5, S. 164. 688 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 318.

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und Überlegungen zum Singspiel. Es greift den Faden des vierten Briefes über Alceste auf und vertieft damit einen Aspekt, der bereits für die Entstehung und Rezeption der französischen Alceste Quinaults und Lullys von zentraler Bedeutung war: die Frage nach der adäquaten Übersetzung eines antiken Sujets bzw. Dramas für die moderne Bühne. Im Vorbericht beschreibt Wieland, wie eine eigentlich intendierte Über­ setzung „der Socratischen Grazien aus Xenophons Sprache, das ist, aus der Sprache der Musen“ ihm nicht gelingen wollte. Die Übertragung aus der Sprache der Musen ins Deutsche war nicht möglich, es sei denn, die Übertragung erfolgte in jene Gattung, in der „d i e S p r a ch e der Musen allein geredet wird“689: in das Singspiel. „Der Gedanke, die Er­ zählung Xenophons in ein lyrisches Drama zu verwandeln, machte so viele Abweichungen von dem griechischen Original nothwendig, daß der teutsche Versuch dadurch selbst zum Original geworden ist.“690 Der im Versuch eher en passant referierte, seit der Geburtsstunde der Oper in der Renaissance kontinuierlich formulierte Anspruch, sie bilde die Wiederbelebung der ebenfalls gesungenen „Griechischen Tragödie, als wel­ che, aller Wahrscheinlichkeit nach, selbst eine Art von Singspiel war“691 wird dahingehend präzisiert, dass in der Moderne alleine das Musiktheater der deut­ schen Sprache etwas von der einzigartigen melodischen Qualität zu geben vermag, die dem Altgriechischen eigen ist. So betrachtet ist die Übertragung ins Singspiel die genaueste, ja die wenigstens für Wieland einzig mögliche Über­ setzung, auch wenn sie dadurch selbst zum Original wird. Wieland übernimmt damit teilweise Saint Évremonds Argument von der auf moderne Verhält­ nisse nicht mehr passenden Tragödie und spielt es gegen dessen Opernkritik aus. In den Briefen an einen Freund … und in der Vorrede zur Wahl des Herkules werden Singspieltheorie und Übersetzungstheorie enggeführt. Das Singspiel sieht nicht aus wie das antike Drama, aber es ist dessen moderne Erscheinungs­ form: „Denn was hab’ ich gethan, als was er [Euripides] selbst, hätt’ er sein Drama 2200 Jahre später zu verfertigen gehabt, auch gethan haben würde?“692 Über-setzung bedeutet, den Erfahrungshorizont des modernen Parterre693 in

689 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 493. 690 Herkules, Vorbericht, Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 52. 691 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 314. Freilich hatte die antike Tragödie selbst mit den frühen Florentiner Opern kaum etwas gemein. Die Oper ist das Ergebnis eines ausgesprochen produktiven Missverständnisses – ein Sachverhalt, der dem Altphilologen Wieland natürlich klar war. 692 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 498. 693 Ebenda, S. 493.



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Rechnung zu stellen694 und dadurch die historische Kluft zwischen dem Ori­ ginalwerk und dem Publikum zu eliminieren. Im vierten Brief fügt Wieland zur Illustration eine längere Übersetzung aus Euripides ein. Alceste verab­ schiedet sich gefasst von den Kindern, dem Gemahl und dem Haus, erst im Schlafzimmer bricht sie zusammen und in Klagen und Tränen aus, in die alle Hausbewohner einfallen. Was sagen Sie zu diesem Gemählde, mein Freund? Ist es nicht des Dichters würdig, den Sokrates liebte? Kennen Sie in irgend einem alten oder neuern Dichter ein schöneres? Und noch muß ich Ihnen gestehen, daß es in der Übersetzung mehr verlohren, als gewonnen hat. Sie sehen darinn das Urbild meiner eigenen Alceste; aber sie sehen auch die Züge, von denen ich, so schön sie sind, keinen Gebrauch machen konnte. Wir sind zu weit von der Einfalt der unverfälschten Natur entfernt, als daß wir einige dieser Züge […] einer moderen Hand sollten verzeyhen können. Verdorben wie wir sind, finden wir in den Thränen, womit Alceste ihr Ehebette überschwemmt, in der Mühe, die sie hat, sich davon loszureissen, ich weiß nicht was eigennütziges, das dem Werth ihrer Zärtlichkeit Abbruch thut. […] Unsre Sit­ ten sind nicht rein, unsre Begriffe selbst nicht ächt genug, uns die m o r a l i s ch e S ch ö n h e i t in diesem Zug empfinden zu lassen.695

Indem Wieland diese Szene ausführlich referiert, zitiert er eine Position Per­ raults aus der Critique d’Alceste, der ebenfalls just diese Verabschiedung der Alceste für seine Argumentation heranzieht, nach der Quinaults Fassung der antiken vorzuziehen sei: Je croy bien qu’en Grece, ou pouvoit prendre plaisir à voir une Princesse déja sur l’âge, et ayant des enfans à marier, qui pleure sur son lict dans le souvenir de sa virginité qu’elle y a perduë. Car les mœurs de ce temps-là le pouvoient permettre; mais je suis asseuré que cela n’est point du tout au goust de nostre Siecle, qui estant ­accoûtumé à ne voir sur le Theâtre que des Amans jeunes, galans, et qui ne sont point mariez, auroit eu bien du mépris pour les tendresses de cette Epouse surannée. Il auroit aussi esté difficile que les Spectateurs n’eussent éclaté de rire; mais d’un ris scandaleux, et qui eust fait rougir les Dames sur l’endroit du recit de la Suivante.696 694 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch Gluck, der seine Werke selbst insze­ nierte, dabei vom Parterre aus die Proben leitete. Wie Wieland nahm auch er damit ausdrück­ lich die Bürger, nicht die Fürstenperspektive ein. 695 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 508–509. 696 Critique d’Alceste (1994), S. 88–89. „Ich kann mir gut vorstellen, dass man in Griechenland seine Freude daran haben konnte, eine bereits gealterte Prinzessin zu sehen, die schon Kin­ der im heiratsfähigen Alter hat und in ihrem Bett wegen den Erinnerungen an ihre verlorene Jungfräulichkeit weint. Die Sitten zu jener Zeit erlaubten es. Doch ich bin mir sicher, dass das in keiner Weise nach dem Geschmack unseres Jahrhunderts ist. Man ist daran gewöhnt, auf der Bühne nur junge, galante Liebende zu sehen, die nicht verheiratet sind. Man hätte wohl die Zärtlichkeiten dieser überalterten Ehegattin verachtet. Es wäre auch schwierig geworden, wenn die Zuschauer aufgelacht hätten. Ein skandalöses Lachen, das die Damen während des Berichts der Dienerin hätte erröten lassen.“

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Perrault stellte bekanntlich dem normativen Antikenverständnis der anciens ein ebenbürtig normatives Moderneverständnis gegenüber, das den antiken Werken ihre überzeitliche Vorbildlichkeit und problemlose Applizierbarkeit auf die Gegenwart abspricht. Wenngleich Perrault sich in Critique d’Alceste und der Paralléle des Anciens et des Modernes697 bereits einem historischen Ver­ ständnis der Kunst annähert,698 machen seine ironischen Wendungen doch deutlich, dass er die Dichtung der Gegenwart als Überbietung der antiken betrachtet. Auch in Deutschland und insbesondere im Umfeld Gottscheds sollte die Rezeption der Querelle noch lange auf die kontrastive Wertung fi­ xiert bleiben.699 Wieland setzt in einem ersten Schritt das (antike) Kunstwerk mit dem Rezipienten in Beziehung: Was hilft das schönste poetische Bild, wenn der Zuschauer (von wenigen Eingeweihten vielleicht abgesehen) davon abgesto­ ßen wird, weil sich die Sitten geändert haben? Das antike Kunstwerk selbst wird dadurch jedoch nicht abgewertet, denn die modernen Sitten sind die ver­ dorbenen und können sich auch wieder wandeln. Allerdings ist der (norma­ tive) Vorbildcharakter der antiken Kunst für die zeitgenössische Dichtung dadurch eingeschränkt, dass der Dichter seine Dichtung in erster Linie für Zeitgenossen und erst in zweiter Linie für die Ewigkeit schreibt. Der zweite Teil des Arguments zielt eine Schicht tiefer: Der moderne Dichter arbeitet mit einem anderen Material, nämlich der modernen Spra­ che. Diese ist ein an den modernen respektive zeitgenössischen Rezipienten gebundener Stoff, dem die Form Rechnung tragen muss, will man vom Ideal einer schönen im Sinne einer schönen und dabei zwanglos natürlichen Spra­ che nicht abrücken, wie Wieland sie ein Leben lang perfektionierte.700 Goethe hingegen sollte für seine Iphigenie gerade den umgekehrten Weg beschreiten und die moderne Sprache, u. a. durch Umstellungen des Satzbaus, archai­ sieren.701 Wielands Verhältnis zum Vorbildcharakter der antiken Dichtung befand sich just während dieser Phase in einem Umbruch, der sich besonders an seiner zunehmend kritischen Einschätzung von Johann Joachim Winckelmanns 697 Vgl. ders.: Parallèle des anciens et des modernes Par M. Perrault de l’Académie Francaise. Mit einer Abhandlung von H. R. Jauss und kunstgeschichtlichen Exkursen von M. Imdahl. München 1964, hier u.  a. S. 13. 698 Vgl. Thomas Pago: Johann Christoph Gottsched und die Rezeption der Querelle des Anciens et des Modernes in Deutschland, München 2003, S. 146–154. 699 Vgl. Pago (2003), S. 9. 700 Vgl. Jan Philipp Reemtsma: Einleitung. In: Christoph Martin Wieland: Schriften (2005), Bd. I, S.  LIX. Ders.: Die Kunst aufzuhören oder: warum Wieland nach 1784 keine Verse mehr geschrieben hat. In: Der Liebe Maskentanz, Zürich 1999, S. 277–303. 701 Vgl. Theodor W. Adorno: Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie. In: ders. Gesammelte Schriften. Rolf Tiedemann (Hg.), Bd. 11. Frankfurt a. M.: 1977, S. 495–514.



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(1717–1768) Apotheose der Antike manifestierte.702 Entschieden wandte er sich gegen die anciens-These von der schöneren Natur bzw. Johann Caspar Lavaters (1741–1801) These von den schöneren Menschen und schöneren Sitten, die Voraussetzung für die Blüte der antiken Kunst gewesen seien: Die Griechen waren als sittliche Menschen betrachtet, ein noch sehr rohes und allen Excessen der wildesten Leidenschaften überlassenes Volk […]. Und als, in der Folge […] Handelschaft und Reichtum ihre Lebensart verfeinerte, die Ungleichheit vergrößerte, die Begierden erhitzte u.s.w. wurden sie […] an Denkart und Sitten, Seele und Leib, nach und nach in sehr kurzer Zeit ein so heilloses Volk, als irgend ein Europäisches es itzo ist.703

Doch bleibt die antike Kunst als Orientierungspunkt der Zeitgenossen gleichwohl ohne Alternative: Sind es nicht die Dichter, die Künstler, die Philosophen […] der Griechen und Rö­ mer, die uns seit mehr als zweyhundert Jahren die grössesten Männer in allen diesen Classen gebildet haben? Und nun, nachdem wir ihres Unterrichts, ihrer Beyspiele, ihrer Muster so lange genossen, wollten wir uns einfallen lassen, in der Poesie – und in dieser allein […] die gebahnten Wege zu verlassen, um in den Wäldern der alten Teutschen herum zu irren, und in unsern Gesängen einen National-Charakter zu affectiren, der schon so lange aufgehört hat der unsrige zu seyn?“704

Wieland lehnt die wertende Vergleichung antiker und moderner Kunst mit dem Ziel einer Primatsentscheidung also entschieden ab: Es ist seit mehrern Jahren sowol unter uns als bei einigen andern Völkern, die in allen Arten von Cultur mit mehr oder weniger Rechte sich besser als wir zu sein dünken, ziemlich gewöhnlich worden, die Griechen (denen Europa im Grunde alle seine Cultur zu danken hat) in einer Vergleichung mit uns zu beurtheilen, die we­ der richtig noch billig ist, und Folgerungen daraus zu ziehen, die zu ganz schiefen Urtheilen über den Charakter und die Angelegenheiten, die Aufklärung und Ver­ feinerung, die Sitten, den Geschmack und die Werke dieser mit so großem Rechte berühmten Nation Anlaß geben.705 702 Vgl. Max Kunze: „In Deiner Mine diese stille Größe und Seelenruh’ zu sehen!“ – Winckel­ mann bei Wieland. In: Wieland und die Antike (1986), S. 65–75. Volker Riedel hat darauf hingewiesen, dass Winkelmann gleichwohl steter Bezugspunkt bleibt und nicht in dem von Kunze dargestelltem Maße einseitig kritisiert wird. Vgl. Wieland und die Weltliteratur. In: Wieland Handbuch: Leben – Werk – Wirkung. Jutta Heinz (Hg.). Stuttgart 2008, S. 113–114. 703 Gedanken über die Ideale der Alten (1777). Wielands Werke, Bd. 13.1 (2011), S. 482. 704 Über den Zustand des deutschen Parnasses. Zusätze des Herausgebers zu dem vorstehen­ den Artikel von Christian Heinrich Schmid (1773). In: Wielands Werke, Bd. 10.1/2 (2009), S. 591–592. 705 Er sollte diese Position 1786 unter der pointierten Überschrift „Falsche Vergleichung der Griechen mit den Neuern“ als Vorrede zur Allgemeinen Damenbibliothek abermals formulieren. In: Wielands Werke (Hempel’sche Ausgabe) Bd. 37, Berlin o.  J., S. 11–12, hier: S. 12.

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Er beharrt aber wie wenig später im Versuch mit der Empfehlung antiker Sujets darauf, dass es zur Antike als Dreh- und Angelpunkt der aktuellen Kunst(-debatte) kaum eine Alternative gibt, da diese Auseinandersetzung selbst bereits zur abendländischen Kunst gehört und dem Rezipienten in Fleisch und Blut übergegangen ist. Entsprechend bezieht er die Querelle und insbesondere Perraults Critique d’Alceste in seine Erläuterungen ein, muss es tun, da er eine deutsche Oper, also die moderne Dichtungsgattung schlecht­ hin,706 nach antiken Vorbildern vorschlägt und überdies dazu mit Alceste ­einen, vielleicht den zentralen Reformopernstoff ausgewählt hatte, der nicht zufällig hundert Jahre zuvor die letzte heiße Phase der Querelle des anciens et des modernes ausgelöst hatte. Wielands historisch argumentierendes Verständnis von Antike und der Moderne löst den Streit um die Antike als verbindliche Norm auf, da es die Kategorie zeitloser Vollkommenheit ablehnt. Zweifellos bedeutet seine Argumentation, dass auch seine Bearbeitung der Alceste nur in ihrer Zeit wirklich funktioniert und für spätere Generationen angepasst werden muss.707 Wielands Position zur Übersetzung der Antike in die Moderne trifft sich in diesem Punkt mit Rousseau, dass beide eine Anpassung der antiken Tragödie an die Sitten und Gebräuche für nötig erachten. „Es war das alte Theater, welches diesen Geschmack zu verletzen begann, weil es in einem Jahrhundert, das feiner geworden war, seine ursprüngliche Rohheit bewahr­ te.“708 Nach Rousseau ahmt das Theater die Sitten der Zeit nach, vermag sie damit jedoch nicht zu reformieren, sondern neigt dazu, sie zu reprodu­ zieren. Wieland bezieht mit Rousseau eine Position des radikal Modernen, doch wertet er die „Rohheit“ der Antike als Unschuld und die Verfeinerung der Sitten, wenigstens hier, als Dekadenz. Wielands Position als Modernist ist, bezogen auf das Theater, zugleich vorsichtiger und optimistischer: Die Antike bleibt das Vorbild des Dichters und bleibt dabei in vielem unüber­ troffen, doch erschließt sich manches nur nach langem, tendenziell lebens­ langem Studium der antiken Sprache und Welt. Für das Publikum jedoch gilt es zeitgenössische Adaptionen zu schaffen, die die Schönheiten der anti­ ken Werke in die Moderne übertragen und zugleich ihre Irritationsmomente reduzieren. 706 Für Gottsched in der Nachfolge Saint Évremonds war die Oper in doppelter Hinsicht eine ästhetische Zumutung, weil sie (wie der Roman) einmal keine direkten antiken Vorbilder aufzuweisen hat, zum anderen aber ihre Macher und Befürworter seit der Renaissance den Anspruch erheben, in ihr die wahre oder in Wielands Worten: einzig mögliche Übertragung des antiken Dramas in die Gegenwart zu leisten. 707 Dies ist nach einer gesprächsweisen Äußerung Hendrik Müllers übrigens genau die Defini­ tion für zeitgenössische Regie im Umgang mit den kanonischen Werken des Theaters. 708 Rousseau: Brief an d’Alembert. In: Ders.: Schriften. Hennig Ritter (Hg.). Bd. I. München 1978, S. 351.



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Dass die Querelle-Fragen Anfang der 1770er Jahre durchaus noch nicht gänz­ lich erledigt waren, beweist Goethes Reaktion mit Götter, Helden und Wieland, die neben einer persönlichen Abrechnung vor allem auf Wielands Antiken­ rezeption abzielte. Ach wenn die Satire zunächst explizit gegen Alceste Sturm lief, war es nicht die Oper (die Goethe vor seiner Weimarer Zeit nicht gehört haben konnte, da die Marchand’sche Truppe sie in Frankfurt erst ab 1774 im Spielplan hatte709) bzw. das Anfang des Jahres 1773 im Druck erschienene Libretto der Alceste, das Goethe aufbrachte. Die Herkulesfigur der Alceste bot, trotz der bereits zitierten Tugend-Arie, kaum Angriffsfläche. Erst Wielands ausgedehnte und – zu Lasten des antiken Dichters – etwas eitle Rechtfer­ tigungen für diese Gestaltung in den Briefen an einen Freund …, die ab dem ersten Heft des Teutschen Merkur (Januar 1773) erschienen, erregten Goethes steigenden Unmut. Als dann im Augustheft 1773 überdies eine ausführliche Bearbeitung eben dieser Herkulesfigur710 erschien, brachte diese offenbar das Fass zum Überlaufen. Nun hatte Wieland in der Alceste Helden und Halbgötter nach moderner Art gebil­ det; wogegen denn auch nichts wäre zu sagen gewesen, weil ja einem Jeden freisteht, die poetischen Traditionen nach seinen Zwecken und seiner Denkweise umzufor­ men. Allein in den Briefen, die er über gedachte Oper in den Merkur einrückte, schien er uns diese Behandlungsart allzu parteiisch hervorzuheben und sich an den trefflichen Alten und ihrem höhern Stil unverantwortlich zu versündigen, indem er die derbe gesunde Natur, die jenen Produktionen zum Grunde liegt, keinesweges anerkennen wollte.711

Dabei verteidigt Goethe keinesfalls die komische Figur, die Herkules bei Euripides macht, Goethe verstand selbst auffällig wenig Spaß bei seiner Be­ handlung antiker Sujets. Er fühlte sich lediglich um einen echten Sturm und Drang-Kraftprotz betrogen.712 Die ausdrückliche Herabsetzung dieses Typus ließ ihn Wielands überdies einem Keuschheitsgebot verdächtig nahekom­ mende Darstellung genussvoll aufspießen: Herkules: […] Aber des Prodikus Herkules, das ist dein Mann. Eines Schulmeis­ ters Herkules. Ein unbärtiger Sylvio am Scheideweg. Wären mir die Weiber be­ gegnet, siehst du eine unter den Arm, eine unter den, und alle beide hätten mit

709 Vgl. Krämer (1998), Bd. II, S. 860. 710 Die Herkulesfigur, nicht, wie Busch-Salmen wiederholt postuliert hat, Wielands Konzept eines empfindsamen Musiktheaters, bildet das Zentrum von Goethes Kritik. Vgl. „Poesie, Musik und Akzion“ (1998), S. 149, und dies. (2000), S. 117. 711 Johann Wolfgang Goethe. Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. FA I, Bd. 14, S. 706. 712 Vgl. dazu auch Maria Erxleben: Goethes Farce Götter, Helden und Wieland. In: Wieland und die Antike. Stendal 1986, S. 77–89.

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fortgemußt. Darin ist dein Amadis kein Narr [713] ich laß dir Gerechtigkeit widerfahren.714

Wobei ihm sein eigener Herkules wider Willen selbst zur Satire geriet, wes­ halb Lessing sich noch mehr über Wielands lobende Besprechung von Götter, Helden und Wieland ärgerte, denn Goethe habe Euripides noch weniger ver­ standen als Wieland.715 Bereits 1960 analysierte Roger Parker716 die Wahl des Herkules als mög­ liches Vorbild zu Faust. Auch wenn man seinen Textvergleichen heute nicht mehr im Einzelnen folgen möchte, die Grundtendenz des Faust als eines mo­ dernen Herkules am Scheideweg ist unbestritten, auch wenn der konkrete Bezug erst in der Euphorion-Szene im Faust II aufgemacht wird.717 Der Einfluss von Wielands Alceste auf Goethes Librettistik und Faust ist an anderer Stelle ausführlich dargestellt,718 weshalb hier wenige Hinweise genügen. An den Versen „Zwey Seelen – ach, ich fühl’ es zu gewiß! – / Bekämp­ fen sich in meiner Brust“719 lässt sich kaum vorübergehen, da Goethe sie in der Szene Vor dem Tor verdichtet hat zu dem sprichwörtlichen Diktum „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“720. Albrecht Schöne verweist in seinem Kommentar der Verse denn auch auf Wielands Drama, jedoch auf die Auf­ führungen von 1773,721 die Goethe ja nicht gesehen hat und die er wohl auch kaum mehr bei seiner Leserschaft voraussetzen durfte, da die Szene Vor dem Tor erst zwischen 1790 und 1801 entstand. Auch ist unwahrscheinlich, dass Goethe sich auf die frühe Druckversion des Teutschen Merkur bezog, denn dort lautete die entsprechende Passage noch ohne den charakteristischen 713 In Wielands Versepos Der neue Amadis steht im 3. Gesang der Heranwachsende (dem ein Druide geweissagt hatte, er werde „einst unter den Fürsten wie eine Sonne blitzen,/ sofern man Mittel fänd, ihn vor der Liebe zu schützen.“ SW Bd. 4, S. 51) in der 11.–16. Strophe vor einem Bild mit der Darstellung der Wahl des Herkules „im höchsten Ideal“ (ebenda, S. 65) und betrachtet sehnsuchtsvoll die beiden schönen Frauengestalten, die er, wie hier Goethes Herkules, statt als Allegorien eben nur als schöne Frauen rezipiert. 714 Johann Wolfgang Goethe: Götter, Helden und Wieland. In: Ders.: Dramen 1765–1775. FA I, Bd. 4, S. 436. 715 Friedrich Heinrich Jacobi in einem Brief an Heinse vom 24. Oktober 1780 „Mir fällt […] ein, daß Lessing von der Farce Götter Helden und Wieland sagte: Göthe hätte darinn bewiesen, daß er noch viel weiter entfernt sei den Euripides zu verstehen. Göthes Ideen darüber seyen der klareste Unsinn, wahrhaft tolles Zeug. Es sey unverantwortlich von Wieland, daß er dieses damals nicht ins Licht gestellt habe.“ Zit. nach Fues (1989), S. 43 und Fn. 26. 716 Ders.: Wielands Musical Play Die Wahl des Herkules and Goethe. In: German Life and Letters 15 (1961/62), S. 175–180. 717 Vgl. meine Darstellung in: Hartmann (2004), S. 510. 718 Vgl. ebenda, S. 54–58. 719 Wahl des Herkules, SW Bd. 26, S. 174. 720 V 1112. Johann Wolfgang Goethe. Faust. Texte. FA I, Bd. 7/1, S. 57. 721 Ebenda, Bd. 7/2, S. 240.



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Ausruf in der Zeilenmitte „Zwoo Seelen – Zu gewiß fühl ichs! –/ Zwoo See­ len kämpfen in meiner Brust“722. Doch war das Libretto 1796 im Bd. 26 der Sämmtlichen Werke erschienen und auf diesem Wege nicht nur als Leselibretto in seinem Werkanspruch bestätigt, sondern auch wieder allgemein zugäng­ lich gemacht und in Goethes Gesichtskreis gerückt worden. Letzterer konnte offenbar für das intertextuelle Spiel des Faust auch bei seinem Publikum eine (Re-)Lektüre jenes Textes – nun in der zitierten Form – voraussetzen, der Herkules am Scheideweg erstmals als einen Helden im Zwiespalt zwischen dem Wunsch nach (durchaus tugendhaftem!) privatem Glück und Wohlleben und einem ebenfalls als innerer Trieb empfundenen Ruf nach höheren Taten zeigt, also genau dem Zwiespalt, an dem der Faust des 1. Teils scheitert. Mit seinem nur auf den ersten Blick eine traditionelle barocke Tradition fortschreibenden Singspiel hat Wieland also tatsächlich einen ausgespro­ chen vitalen modernen Widergänger der Xenophon’schen Herkules-Figur geschaffen; indem es ihm gelang, aus der eher unverbindlichen Allegorie die höchst individuelle Blaupause eines verantwortungsvollen Menschen zu ma­ chen, dessen Entscheidung keine moralische Selbstverständlichkeit ist, son­ dern ein ernsthafter Kampf zwischen dem als richtig Erkannten und der ebenfalls aufrichtigen Neigung des Herzens.

4.9.5  Von Göttern, Menschen, Halbgöttern und Parzen – die Theologie der Alceste Wenn Herkules zum erstenmal auftritt, muß er sich als den ankündigen, der er ist; er darf nicht weniger als ein Halbgott seyn, oder er ist nicht Herkules.723

Die Menschen der Alceste-Handlung sehen sich mit einem komplexen Pro­ blem konfrontiert: Die Olympier können zwar in der Regel problemlos den Tod unliebsamer Menschen herbeiführen, doch sie sind nicht in der Lage, direkt über den Tod zu gebieten. Die Gottheiten der Unterwelt, insbeson­ dere die Parzen als gefürchtete Schicksalsgöttinnen, gehören einem älteren 722 Wahl des Herkules (1773), Wielands Werke, Bd. 11.1, S. 16. Johann Georg Sulzer sollte diese Wendung in seinem Aufsatz: Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes: Dass der Mensch zu­ weilen nicht nur ohne Antrieb und ohne sichtbare Gründe sondern selbst gegen dringende Antriebe und über­ zeugende Gründe handelt und urtheilet, ebenfalls 1773 erschienen (in: Vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften gesammelt. Leipzig 1773, S. 99–121) an den pathologischen Fall eines „in der Philosophie sehr erfahrenen Mann[es]“ rückbinden (ebenda, S. 103), der bei gleichzeitiger Gottesfürchtigkeit zwanghaft gottesläster­ liche Reden ausstieß und diesen Zustand empfand als „daß zwo Seelen in ihm wohneten“ (ebenda, S. 104.). 723 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 503.

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Göttergeschlecht an und handeln autonom von den Olympiern. Letztere, namentlich Apollo oder Zeus, sind also weder befugt noch in der Lage, Ad­ met gesunden zu lassen, es sei denn, durch einen Handel mit dem Tod und den bekannten Folgen. Entsprechend ist das Dilemma der Menschen, dass sie sich mit ihren verzweifelten Reaktionen permanent in die Gefahr der Blasphemie begeben. Admets Ausruf: „Ihr hört sie, Götter, und ihr könntet sie/ Mir rauben? […] Nein!/ Ihr seyd nicht Götter, oder/ Ihr könnt es nicht“724 trifft das Problem sehr präzise: Entweder diese Götter sind machtlos, oder sie sind böse in dem Sinne, dass ihnen gleichbedeutend ist, ob die Menschen gut oder schlecht handeln. Auch für diesen Fall verlören sie für Admet, der bis dahin von wohl­ tätigen Göttern ausgegangen ist, ihre Verbindlichkeit. Das antike Götterbild mit seinen eigennützigen und oft grausamen Göt­ tern, denen man als Mensch am Besten nicht in die Quere kommt, können Admet und Parthenia weder vollständig übernehmen noch leugnen. Alceste reagiert entsprechend besorgt. Sie ist die Einzige, die in dieser Oper nicht mit den Göttern hadert, rechtet oder handelt: Bereit, sich den Göttern der Ober- wie der Unterwelt unterzuordnen, kommt sie mit der Kontingenz der Welt scheinbar mühelos zurecht. Parthenia hingegen stellt die Theodi­ zeefrage: Angesichts ihrer toten Schwester rechtet sie mit den Göttern, be­ schimpft sie, weil sie die „treueste, beste“ einfach sterben lassen, ohne ein­ zugreifen. Dabei hat Parthenia das Dilemma der Götter genau begriffen, wie ihre Erläuterungen für Herkules beweisen, doch die Konsequenz aus dieser Erfahrung – Atheismus oder wenigstens Agnostik – wagt sie nicht zu ziehen. Stattdessen greift sie nach jedem Strohhalm, und sei er so unkonkret wie Herkules’ Andeutungen. Sie knüpft ihr Weltbild von den guten und irgend­ wie doch allmächtigen Göttern notdürftig wieder daran fest und versucht Admet ebenfalls davon zu überzeugen, dass der Göttersohn Herkules die Dinge irgendwie wieder ins Lot bringen wird. Parthenia. Und hast du deines Freundes tröstendes Versprechen schon vergessen? Hallen nicht In deinen Ohren die letzten Worte Des Göttersohns? Admet. Er hieß mich hoffen! hoffen soll Admet!

724 Alceste II/3, Nr. 6, T. 31–39.



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O sprich! Parthenia sprich, was soll ich hoffen, Was kann ich hoffen?725

Die Diskussion führt zu nichts. Wie rhetorisch sie geführt wird, zeigt Parthe­ nias in Anbetracht des Problems geradezu absurde Antwort „Alles, alles was den Göttern nicht/ Unmöglich ist!“ Admets Erwiderung Admet. O Schwester, hat Apollo selbst, Apollo, der mich liebt, mir helfen können? Ist Herkules allmächtiger als er? Ach zu gewiß ist, was ich hoffen könnte Den Göttern selbst nicht möglich.726

lässt Parthenia verstummen, und in das bis dahin rhetorisch secco geführte Rezitativ setzen die Streicher ein, wenn Admet mit dem Bild vom Frei­ heitstraum des Eingekerkerten dafür plädiert, dem Unausweichlichen nicht länger auszuweichen und die Tote zu begraben. Konfessionell ist Herkules in jeder Hinsicht ein Sonderfall. Durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Olympiern einerseits und die Entscheidung sozusagen für eine geistliche Laufbahn – den Weg zur Un­ sterblichkeit – ist er so eng in deren System eingebunden, dass er Zweifel an dessen Sinnhaftigkeit nicht denken kann. Entsprechend festgefügt er­ weist sich sein Weltbild. Im auf seine Tugendarie folgenden Rezitativ wittert Herkules, dass im Hause Admets die Dinge nicht zum Besten stehen. Statt Gesang herrscht Stille, und der stumme Diener flieht bei seinem Anblick mit einer melodramatisch von den Streichern umgesetzten Gebärde. Her­ kules reagiert symptomatisch: In einem dreitaktigen Larghetto ruft er zum Himmel: „O wende, Vater Zeus,/ Die Vorbedeutung ab.“727 und fügt so­ gleich an, seiner Mission zum Trotz „hier ruft die Freundschaft mir, ihr Ruf Geht allem andern vor“728. Als Parthenia den Gast erblickt, reagiert sie mit einer eigentümlich zeremoniellen Anrede an Alkmenens Sohn? – O Befreyer von Gräcien – Herkules.729 Fragend und mit dem Namen seiner Mutter erkennt sie ihn, es folgt, mit einer etwas pathetischen Wendung, die Anrede mit seiner Funktion für das Land und schließlich, als sei dies die Quintessenz aus bei­ dem, sein Eigenname. Zugleich ist es aber eine Miniatur darüber, wie die traumatisierte Parthenia diesen Gast und Eindringling erst langsam an sich 725 726 727 728 729

Alceste IV/3, Nr. 13b, T. 5–13. Ebenda, T. 14–21. Ebenda, III/1, Nr. 9, T. 18–20. Ebenda, T. 26–28. Ebenda, III/2, Nr. 9, T. 29–32.

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heranlassen kann. Er muss sie ausfragen, um die tragischen Vorgänge zu erfahren. Herkules fügt die Ereignisse nach jedem Satz Parthenias in seine Teleo­ logie ein: Das „Wunder“ von Admets Genesung war zweifellos das Werk eines Gottes. Dass Alceste nicht mehr lebt, nachdem die Götter eben noch so gnädig waren, muss wiederum die Folge einer Freveltat Admets sein. Das Beispiel Alcestes ruft sofort, nicht etwa erste Zweifel an Apollons Macht hervor, sondern Herkules poltert „Undankbarer“. Ausgerechnet Parthenia muss ihn darüber aufklären, dass hier die Entscheidung bei den Parzen liegt und diese nicht bereit waren, ganz auf das Opfer zu verzichten. Herkules ist der Orthodoxe, für den die Welt unverrückbar und sinnvoll gefügt ist. Ehe er auch nur auf die Idee kommt, an dieser Sinnhaftigkeit zu zweifeln, packt der „Sohn des Donnergottes“ selbst an, um geradezurücken, was sein Weltbild in Schieflage bringt. Parthenia schüttet dem Neuankömmling, nach ihrer anfänglichen Zu­ rückhaltung, nun ihr Herz aus: Admet zu umsorgen, übersteigt ihre Kräfte. Die Rezitativzeile „Er haßt den Tag, er haßt die Gegenwart/ Der Menschen, die er liebte“ wird zu einem Schrei der Verzweiflung, und mit der darauf fol­ genden Mattigkeit („fleht den Tod/ Um Mitleid an“)730 beschreibt sie auch ihren eigenen Zustand. Ihre Arie „Er flucht dem Tages Licht/ In seinem Schmerz“ beginnt ohne Ritornell und in h-moll, einer Tonart, der Matthe­ son bescheinigt, „bizarr“ und „unlustig“ zu sein, die sich nach Quantz dazu eignet „eine wüthende Gemüthsbewegung, als die Verwegenheit, Raserey und Verzweifelung“ auszudrücken und nach Schubart „Mißvergnügen, Un­ behaglichkeit, Zerren an einem verunglückten Plane […] mit einem Worte, Groll und Unlust“ bedeutet.731 Die Arie ist ein auskomponiertes Da capo und zeigt das Psychogramm einer Frau am Rande des Zusammenbruchs. Die hohe Lage wird gezielt eingesetzt, um zu demonstrieren, wie Parthenia an ihre Grenzen stößt respektive welche Kraft ihr abverlangt wird. Er flucht dem Tages Licht In seinem Schmerz. Sein bloßer Anblick bricht Ein fühlend Herz; Ihm Trost zu geben, fänd Ein Gott zu schwer! Er hört mit taubem Ohr Der Freundschaft Stimme; Starrt zum Olymp empor,

730 Ebenda, T. 93–98. 731 Vgl. Mattheson (1730), S. 250–251, und Quantz (1752), S. 203 und S. 733.



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In stummem Grimme, Kennt sinnlos weder Furcht Noch Hoffnung mehr!732 Er flucht dem Tages Licht In seinem Schmerz, Sein bloßer Anblick bricht Ein fühlend Herz; Ihm Trost zu geben, fänd Ein Gott zu schwer!

Die zweigestrichenen h auf „(sein) Anblick“ und „(fänd ein) Gott (zu schwer)“ beschreiben nicht nur Admets jämmerlichen Zustand, sondern sind auch ange­ deutete Verzweiflungsschreie angesichts einer übermenschlichen Aufgabe. Die virtuosen Koloraturen auf das Wort „schwer“ – allein die erste geht über neun Takte – machen den Kraftakt, der Alcestes selbst schwer trauernder Schwester abverlangt wird, unmittelbar hörbar. Parthenia entgeht damit der Gefahr, sich selbst loben zu müssen, da niemand auf der Szene ist, der ihre Selbstlosig­ keit beschreiben könnte. Die Darstellerin der Partie steht vor der schwierigen Aufgabe, diesen einkomponierten Kraftakt hörbar zu machen, ohne dass ihr unterstellt wird, sie sei nicht in der Lage, die Partie angemessen zu bewerkstel­ ligen. Diese Arie darf gerade nicht mühelos klingen, weshalb die virtuose Sängerin (eine andere kann die Partie der Parthenia nicht singen) hinter der Darstellerin zurück treten muss, was die Josepha Heiß zu Wielands großer Enttäuschung nicht wollte oder konnte. Parthenia ist mitnichten die secunda donna vom Typus: zwitscherndes Vöglein. Von der mutmaßlich jüngeren Schwester der Alceste muss man annehmen, dass sie in diesem Haushalt stets die sprichwörtliche zweite Geige gespielt hat. Vor Alcestes Tod hat sie keine Arie zu singen, ist Stichwortgeberin733 und Laufbursche. Doch mit Alcestes Tod Ende des zwei­ ten Akts geht der Gesang wie ein Staffelstab auf sie über, Alceste verklingt, und ohne den musikalischen Lebensfaden des Stückes abreißen zu lassen, be­ ginnt Parthenia zu singen. Ihr Gesang entsteht aus dem Schmerz, und ihre Größe zeigt sich im (Mit-)Leiden. Auch damit ist sie Alceste eng verwandt. Auf der Handlungsebene übernimmt sie die Verantwortung für den (wie sich zeigen wird) weitgehend handlungsunfähigen Admet, auf der dramaturgi­ schen die für den Fortgang der Handlung und auf der musikalischen die für die stimmliche Balance während der zweiaktigen Abwesenheit der Titelfigur.734 732 Ebenda, III/2, Nr. 9a. 733 Dies überdies oft in tiefer Lage, die bei einer Sängerin mit derart hoch angesiedelter Tessitura beinahe zwangsläufig unvorteilhaft bzw. schlicht leise klingen wird. 734 Legt man die Rollenauszüge der beiden Frauenfiguren nebeneinander, so erreicht Parthenia beinahe den Umfang der Alceste. Betrachtet man die Opern unter dem Aspekt der Figuren­ entwicklung, so könnte man sie auch gut unter dem Titel Parthenia aufführen.

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Die Königin kehrt zurück 9a. Aria

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Die Königin kehrt zurück

Dass Wieland über die Figur der Parthenia in den Briefen an einen Freund … nur wenig schreibt, hat dazu geführt, dass bisherige Interpretatio­ nen ihr wenig bis keine Beachtung geschenkt haben. Die Bedeutung der Figur für das Gleichgewicht der Oper erschließt sich aus Wielands Begeisterung über Schweitzers Fähigkeit zur differenzierten Figurencharakterisierung  – „Wie meisterlich er sich des eignen Charakters der Personen bemächtigt, mit welchem Feuer er ihre Leidenschaften, mit welcher Wahrheit, Feinheit und Zärtlichkeit er ihre Empfindungen ausdruckt!“735 – auf der einen Seite, und seiner Enttäuschung über die Interpretin im (privaten) Brief an Ring vom 22. Januar 1773, nachdem er zuvor von Schweitzer, seinem „Amphion“ geschwärmt hatte: Hätten wir Sänger und Sängerinnen, welche eines solchen Componisten […] wür­ dig wären, so verdiente Alceste daß man von Carlsruh und von den Enden der Erde käme, sie aufführen zu hören. […] Mselle Heisin, welche Parthenia vorstellen wird, ist mehr N a ch t i g a l l als jene [Mdme Koch, Anm T.H.], hat viel Ü b u n g , singt gewöhnlich nur Italienisch, macht roulemens, Triller, Cadenzen und dergleichen delicias sehr schön, aber – ihr Gesang sagt dem Herzen nichts, oder nicht viel; denn sie fühlt selbst nichts. Der schönste Text ist für sie nichts als eine Reyhe von Sylben, die auf eine gewisse Melodie gehen – eine Reyhe von A, O, E, I, und U, wären ihr eben so lieb.736

Wesentlich diplomatischer formuliert Wieland den Sachverhalt im Hand­ buch. Sei es, dass sich die Sängerin letztlich doch besser anstellte als er be­ fürchtet hatte, oder weil der Text Vorlage zu einer Publikation war: Pa r t h e n i a (Mad.me Hellmuth, geb. Heisin, aus München) hat den Vorzug, die Besitzerin einer der angenehmsten Sopranstimmen zu seyn, die man hören kan; einer Stimme, die zwar für ein grosses Theater zu schwach wäre […] aber an Klang, Reinigkeit und Anmuth vielleicht von wenigen übertroffen wird. Sie sang mit vieler Fertigkeit und brachte die schwehren Passaggien und Rouladen, womit der Kompo­ nist (Ihr und der Zuhörerschaft zu Gefallen) ihre Arien reichlich versehen hat, mit großer Leichtigkeit heraus. Gleichwohl ist nicht zu läugnen, daß ihre Brust für das was sie in den Arien Sie stirbt, ihr Götter, und Er f lucht dem Tag eslicht, zu thun hatte, zu schwach, und überhaupt daß sie im Ganzen sich selbst nicht im­ mer so gleich war als man hätte wünschen können. In der Action war sie ungefehr das was Mad. Koch im Gesang; sie zeigte viel Anlage und Natürel […]. Aber in vielen andern blieb sie, zu nicht geringem Verlust des Ganzen, ziemlich weit unter dem was man hätte erwarten und verlangen können, wenn sie, anstatt das Theater erst kürzlich bestiegen zu haben, eine schon geübte und in den Geheimnissen der Kunst initiirte Schauspielerin wäre.737

735 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 491. 736 WBr Bd. 5, S. 60. 737 Neue Wieland Handschriften (1938), S. 19–20.



Die Königin kehrt zurück

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Schweitzer hatte, der zeitgenössischen Praxis folgend, den Sängern die Par­ tien auf den Leib geschneidert738 und dabei eine Musiksprache entwickelt, die die aus der übrigen Besetzung hervorstechende Virtuosität der Sängerin zum Mittel des Ausdrucks macht. Offenbar erkannte und teilte Wieland diese Vorgehensweise Schweitzers, die überdies seine sprachliche und dramatur­ gische Charakteristik der Figur weiterführt. Parthenia ist die Figur, die sich am weitesten von einem natürlichen Sprechgestus entfernt, indem sie mehr mythologische Ausdrucksweisen im Munde führt als alle übrigen zusammen. Als sie Alceste die Nachricht vom Orakel bringt, antwortet sie auf Alcestes simple Frage: „Muss er sterben?“ mit: Unerbittlich, Ach unerbittlich sind die furchtbaren Töchter Des Erebus. Schon strecket Atropos Die schwarze Hand, bald wird der Faden seines Lebens Durchschnitten seyn.739

Die Passage lässt sich mit zwei Buchstaben zusammenfassen: „JA“. Berück­ sichtigt man, dass Wieland an das Libretto die absolute Forderung nach Kürze und Prägnanz gestellt hat, und diese Ausschmückung (abgesehen von zwei Takten melodramatischer Streicherbegleitung ab „Erebus“) musikalisch kaum beiträgt, so fungiert Parthenias Sprachwahl im Rezitativ analog zur Artikulation der Arien: Mit gezielt zeremonieller Ausdrucksweise schafft sich Parthenia ein Korsett, in dem sie Halt findet, respektive mit dem sie das für sie Inkommensurable zunächst auf Distanz halten und langsam auf sich zu­ kommen lassen kann, wie Herkules bei seinem Auftritt. Auch die Virtuosität ihrer Arien ist ein solch stützendes Korsett und zu­ gleich ihr Psychogramm, mit dem die formale Struktur selbst zum Ausdruck ihrer seelischen Verfassung wird. In immer neuen Wendungen loten die Wiederholungen Nuancen des Textes und damit ihre Trauer und Verzweif­ lung aus; waghalsige Koloraturen und Intervallsprünge machen das Ende ihrer Kraft und Leidensfähigkeit hörbar. Nicht zufällig entschleunigen die B-Teile der drei großen Parthenia-Arien die buchstäblich atemberaubende Virtuosität fast bis zum Stillstand und zeigen dazu im Kontrast mit liedhafter Schlichtheit die berührendste Musik der Oper: Der Panzer ist einen Moment lang offen und der Blick frei auf Parthenias zuckendes Herz.

738 Von Mozart stammt das Diktum, dass die Arie einem Sänger „so accurat angemessen sey, wie ein gutgemachts kleid“, Brief an den Vater vom 28. 2. 1778. Mozart, Briefe und Aufzeichnun­ gen (1962), Bd. II, S. 304. 739 Alceste I/2, Nr. 2, T. 9–15.

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Wie Klaus Manger treffend dargestellt hat, ist es nicht das auf Parthenias Arie „Er flucht dem Tageslicht in seinem Schmerz“740 folgende kurze Rezita­ tiv (das in erster Linie dazu dient, Parthenia von der Bühne zu schicken), das Herkules’ Entscheidung zum Abstieg in die Unterwelt reifen lässt, sondern diese muss bereits in der vorangegangenen Arie gefallen sein. Nicht das Wort, sondern das gesungene Wort als die Sprache des Herzens741 hat Herkules bewegt, das Menschen und Olympiern Unmögliche zu wagen. Die Kraft der Musik rührt dabei allein an seine menschlichen Eigenschaften: die Fähigkeit zum Mitleid und seine Devotion an die Freundschaft. Denn dass Götter gerade nicht in der Lage sind, sich von den Ereignissen rühren zu lassen, hat Par­ thenia in ihrer Arie am Ende des I. Aktes ausführlich beklagt. In einer me­ lodramatischen Szene unter Begleitung der Streicher und Fagotte verkündet Herkules: Es ist beschlossen! Durch nie erhörte, durch den Erdensöhnen Versagte Thaten soll, o Vater Zeus, Dein Sohn den Weg sich zum Olympus öffnen. Herab zum Orkus steig ich, zwing ihn, mir Alcesten Zurück zu geben, oder unterliege Der großen That!742

Formal ließe sich die Szene auch als ein Accompagnato-Rezitativ beschrei­ ben, doch leitet sie nicht hin auf eine große Arie, sondern steht solitär zwi­ schen zwei Secco-Rezitativen. Die Befreiung der Alceste, die Herkules den antiken Überlieferungen zufolge eher im Vorbeigehen vollbringt, wird damit hier wie bei Quinault zur zentralen Tat, mit der Herkules sich die Unsterblichkeit erwirbt. Auch wenn Wieland nicht ausdrücklich auf Herkules als Christusallegorie verweist, stellt sie sich zwangsläufig ein. So tritt Herkules dem allem Göttlichen grollenden Admet gegenüber, und das folgende Rezitativ gerät zu einem vergleichbaren Schlagabtausch wie die Diskussion mit Alceste im zweiten Akt. Dabei muss er sich von seinem Freund einiges anhören, wie „Du bist – der Sohn/ Von einem Gotte, der mich elend macht“743. Doch an dem Orthodoxen prallt die Ver-zweiflung ab. Letztlich begreift er nicht, wie Admet sich so gehen lassen kann: 740 Ebenda, III/2, Nr. 9a. 741 Vgl. Klaus Manger: „Sprache des Herzens“ in der Hoftheaterkunst. In: Jahrbuch Mitteldeut­ sche Barockmusik 2004: Mitteldeutschland im musikalischen Glanz seiner Residenzen […] Peter Wollny (Hg.). Beeskow und Berlin 2005, S. 20–22. 742 Alceste III/3, Nr. 10, T. 11–22. 743 Ebenda, III/4, Nr. 10, T. 34–35.



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Herkules. Dein Zustand jammert mich, Admet, Ich fühle deinen Schmerz. Doch zur Verzweiflung sinkt Die Tugend nicht herab! – Wie? War Admet Nicht immer ein Verehrer Der Götter? Wo ist sein Vertrauen Auf ihre Macht! Admet. Ach Freund! Sie haben mich verworfen! Sie hörten nicht mein Flehn! Herkules. Der Ausgang soll mit ihnen dich versöhnen, Kleinmüthiger! Ich gehe. Herkules, Du kennest ihn, ist nicht gewohnt, durch Worte Zu reden. Lebe wohl! Bald sehen wir uns wieder.744

Die Argumentation erinnert an Iphigenies Hilferuf an die Götter „Rettet mich,/ Und rettet euer Bild in meiner Seele!“745, indem Herkules durch seine Tat letztlich deren Reputation bei Admet, der „immer ein Verehrer/ Der Götter“ war, wiederherstellen will, denn das System, zu dem letztlich auch Herkules gehört und dem er sich ganz widmet, funktioniert nur, solange Menschen es mit ihrem Glauben aufrecht erhalten, dass „Die Götter walten/ […] Und werden dein Geschick/ Bald umgestalten“.746 In der Alceste treffen Figuren unterschiedlicher Provenienz aufeinander, res­ pektive die Figuren vollziehen in ihren Handlungs- und vor allem ihren Aus­ drucksweisen im Verlauf des Stückes den Wandel von der heroischen Opera seria zum empfindsamen Singspiel Wieland’scher Prägung. Am eindrucks­ vollsten Alceste in ihren ersten beiden Arien, in deren Folge sie vom Pathos der heroischen Selbstweihe in die Niederungen des empfindsamen Herzens herabsteigt und den stilistischen Wandel damit zum Gang der Handlung macht. Ausgerechnet Admet ist auf diesem Weg in jeder Hinsicht bereits am weitesten fortgeschritten. Schon bei seinem ersten Auftritt ist er weitgehend Privatmann und in seinen Arien, besonders aber mit seiner melodramati­ schen Szene am ehesten eine Singspielfigur. Parthenia und Herkules sind Se­ ria-Figuren. Parthenias bereits beschriebener Umgang mit der Opera seria in ihren Arien ist formal und musikalisch die interessanteste Lösung. Herkules 744 Ebenda, T. 59–75. 745 Johann Wolfgang Goethe: Iphigenie. In: Ders.: Dramen 1776–1790. FA I, Bd. 5, S. 605. 746 Alceste III/4, Nr. 10a, T. 112–127. Wie Goethes Prometheus faustschüttelnd gen Himmel ruft: „Ihr nähret kümmerlich/ Von Opfersteuern/ Und Gebetshauch/ Eure Majestät,/ Und darbtet, wären/ Nicht Kinder und Bettler/ Hoffnungsvolle Toren“. In: Johann Wolfgang Goethe: Gedichte 1756–1799. FA I, Bd. 1, S. 329.

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bleibt als eine Figur der heroischen Gattung eher eindimensional und ohne eigene Konflikte, da er innerhalb dieses Gefüges den Heroismus verkörpert, auch wenn es sich dabei um einen Heroismus empfindsamer Prägung han­ delt. Lediglich in seiner Cavatine kann man leise Anklänge eines Konflikts er­ kennen, den Wieland jedoch erst mit der Wahl des Herkules nachgeliefert hat. Seine Arie an Admet „Freund, zweifle nicht!“ ist im Libretto als Da capo-Arie definiert. Schweitzers Dal segno-Vertonung behält zwar diese Grundstruktur bei, beginnt jedoch mit einem langen A-Teil mit geradezu ex­ zessiven Wiederholungen der Phrase „Freund, zweifle nicht!/ Was Herkules verspricht/ Das wird er halten!“ das letzte Wort „halten“ wird stets gedehnt, mit langen Noten oder (bezüglich der Virtuosität eher moderaten) Kolora­ turen von bis zu neun Takten. Herkules versichert Admet seiner Zuverlässigkeit. Schweitzer verwendet dazu die Form der heroischen Arie, zu der zahlreiche Textwiederholungen und Ausschmückungen einzelner Wörter gehören. Nur die Art, wie sys­ tematisch sie betrieben oder besser: zu weit getrieben werden, zeigt, dass Schweitzer hier den Bogen gezielt eine Spur überspannt. Anders als etwa mit Alcestes schwankender Harmonie in der „Weine nicht“-Arie oder den Arien der Parthenia gibt es kaum Indizien für eine psychologische Deutung der Wiederholungen, etwa in dem Sinne, dass Herkules sich selbst Mut zu­ sprechen müsste. Hier drückt sich einfach der standhafte Held in der hero­ ischen Form der Standhaftigkeit aus. Das ist eine bis zu Mozart durchaus typische Verfahrensweise, aber weil es innerhalb des formalen Experiments der Alceste zu glatt und einfach wäre, stellt Schweitzer (und Wieland?) ihn dem Zuschauer mit einem Augenzwinkern vor, das aber nicht so weit geht, die Figur komplett lächerlich zu machen,747 die im Gegenteil gegenüber den übrigen hypersensiblen Gestalten gerade mit ihrem erfrischend burschikosen Auftreten sympathisch ist und auf diese Weise ebenfalls ihre charakterliche Authentizität aus dem Spiel mit der Form gewinnt. Die Opera seria-Parodie in allen Varianten ist ein fester Bestandteil des (Norddeutschen) Singspiels, beispielsweise mit einem Accompagnato Rezi­ tativ und einer heroischen Arie der bürgerlichen oder bäuerlichen Heldin.748

747 Diese Technik sollte Schweitzer einige Jahre später in der Rosamunde für die Gestaltung der Königin Eleonore perfektionieren. Vgl. Goldbach (2003), S. 138–139. 748 Als zeitnahes Beispiel sei auf Andrés Vertonung von Goethes Erwin und Elmire verwiesen, entstanden 1774/1775. Goethes Text und Andrés Vertonung arbeiten sich insofern an ähn­ lichen Kontexten ab wie Alceste, als hier mit Elmire eine höfisch erzogene Frau bürgerlicher Herkunft von der Da capo-Arie zum bürgerlichen Lied (bzw. zum Verstummen) umerzogen wird, das Singspiel seine Qualität aber wesentlich aus dem Weg dahin, aus der Bandbreite und den Kontrasten der verschiedenen Gesangsformen bezieht, die nur zum geringen Teil auch in sich als Persiflage angelegt sind (etwa Bernardos Arie „Hin ist hin“).



Die Königin kehrt zurück

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Die Herkules-Arie geht nicht so weit, an und für sich eine Parodie zu sein, sondern fällt erst im Kontext der Alceste mit ihren feinen formalen Experi­ menten auf, verfolgt aber eine ähnliche Strategie wie die musikalisch-text­ lichen Herkules-Ausdeutungen bei Quinault und König.

4.9.6  Vierter Akt – Arie vs. Melodrama; Parthenias verkanntes Selbstopfer und Admets Schuldkomplex des Überlebenden Parthenia bleibt zurück. „Mit bangem Herzen, selbst des Trosts/ Bedürftig, den ich gebe“ weiht sie all ihr Tun der Sorge um Admet: „O ewig theu­ rer Schatten,/ Wie kann ich besser meine Liebe dir beweisen,/ Als wenn ich, was du liebst, erhalten helfe.“749 Parthenias große B-Dur-Arie750 beginnt mit ­einem ausgedehnten Ritornell und vorangestellten Solo der obligaten Violine. Sie ist die einzige Arie der Seria-Figur Parthenia, die mit einem aus­ gedehnten Ritornell beginnt. Entsprechend hat das Ritornell hier gezielt dramaturgische Funktion und ist mitnichten eine unreflektierte Übernahme der Opera seria-Tradition. Während Parthenias bisherige Arien direkter und spontaner Ausdruck der Verzweiflung waren, ist diese eine reflektierende Arie, die zunächst scheinbar nicht ihre persönliche Befindlichkeit, sondern eine empfindsame Sentenz751 zum Inhalt hat. O! der ist nicht vom Schicksaal ganz verlaßen, Dem in der Noth ein Freund Zum Trost erscheint. Ein Freund, der willig ist, Die Thränen, die er weint In seinen Busen aufzufaßen, Der seiner selbst vergißt, Und mit ihm weint. O der ist nicht vom Schicksaal ganz verlaßen, Dem in der Noth ein Freund Zum Trost erscheint.752

749 Alceste IV/1, Nr. 11. 750 Nach Mattheson (Neu=Eröffnete Orchestre, 1713, S. 249) ist „B.dur (Lydius Transpositus) […] sehr divertissant und prächtig; behält dabey gerne etwas modestes/ und kan demnach zugleich vor magnific und mignon passiren. Unter anderen Qualitäten die ihm Kircherus [Athanasius Kir­ cher] beyleget / ist diese nicht zu verwerffen: […] Er erhebet die Seele zu schweren Sachen.“ 751 Die Sentenzarie gehört überdies zu den typischen Merkmalen der deutschen Barockoper. 752 Alceste IV/1, Nr. 11a.

474

Die Königin kehrt zurück

Wie kein anderes Stück in der Alceste retardiert diese Arie den dramatischen Fluss, auch wegen der schier unglaublichen Länge von (je nach Tempo) we­ nigstes zehn Minuten Aufführungsdauer und der Virtuosität einer Konzerta­ rie. Dem kurzen Text kommt – auch weil es sich um die einzige Sentenzarie in der Alceste handelt – eine Schlüsselfunktion für die Oper zu. Die Sentenzarie ist in Metastasios Dramaturgie die zweite zentrale Form und Gegenstück der Affektarie. Damit wird Parthenias große Konzertarie zum Gegenüber von Alcestes programmatischer emblematischer Arie „Zwi­ schen Angst und zwischen Hoffen“ und verschwistert die beiden Frauenfi­ guren auch auf der formalen Ebene: Wie Alceste bereits eingangs exemplifi­ zierte, dass diese Oper an Stelle des Affekts dem Gefühl folgen wird, wendet Parthena die Sentenz und damit die abstrakteste aller Arienformen in ein empfindsames Psychogramm par excellence. Wie beschrieben kreist ein guter Teil der Rezitative (und streng genom­ men mit Alcestes Opfer die ganze Oper) um die Teleologie der Welt und das passende menschliche Verhalten. Mit Herkules bietet der Stoff einen extre­ men, gleichwohl nicht wiederholbaren Eingriff in das Schicksal, der in die­ ser Version der Geschichte durch Empathie motiviert ist. Der ausgedehnte, dynamische und virtuose A-Teil der Arie ist denn auch ebenso auf Her­ kules beziehbar wie Parthenias vorangegangenes Rezitativ und fungiert als Klammer zu Herkules’ Auftritt. Erst im abermals kurzen, als Adagio molto entschleunigten B-Teil kommt Parthenia ganz zu sich und beschreibt die einzige hilfreiche Reaktionsweise, die einem vom Schicksal Geschlagenen Linderung verschaffen kann: nicht das Mitleid, sondern das Mitleiden eines Freundes. Parthenias eigenes Verhalten wird somit zum Pendant und zur Al­ ternative von Herkules und die aus ihrer Devotion an das Mitleiden resultie­ renden persönlichen Folgen stehen dem Tugendschwur des Herkules kaum nach. Parthenia singt die Arie im Zwiegespräch mit der Geige, die hier wie häufig in der literarischen und musikalischen Tradition753 für die Seele steht. Zu wem sonst sollte sie auch sprechen, da Admet mit sich und seiner Trauer beschäftigt ist, ihre Schwester tot und Herkules wieder verschwunden ist. Die Koloraturen der Arie auf die Wörter „Not“, „Trost“, „Freund“ und „er­ scheint“ beginnen spielerisch und steigern sich immer weiter in extreme Lage und halsbrecherische Geschwindigkeit, bis auch die höchste Virtuosität als formale Beredsamkeit nicht mehr über diese Leere hinwegtäuschen kann:

753 Beispielsweise in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Rat Krespel (1818) oder in Igor Stravinskys (1882–1971) Geschichte vom Soldaten (1917) und dem zugrunde liegenden Märchen. Werner Fuld hat dem Motiv am Beispiel Pagagninis ein Buch gewidmet: Ders.: Paganinis Fluch. Ge­ schichte einer Legende. Frankfurt a. M. 2001.

475

Die Königin kehrt zurück



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Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). IV/1, Arie der Parthenia „O! Der ist nicht vom Schicksaal ganz verlassen“ (Ausschnitt).

476

Die Königin kehrt zurück

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477

Die Königin kehrt zurück



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478

Die Königin kehrt zurück

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Die Königin kehrt zurück



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480

Die Königin kehrt zurück

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481

Die Königin kehrt zurück





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Die Königin kehrt zurück

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Die Königin kehrt zurück

483

Parthenia ist allein.754 Sie hat nicht, was sie so ausgedehnt besingt: Einen Freund, der IHR zu Hilfe käme. Ihr, die genau wie Admet zu den nächs­ ten Angehörigen zählt und mit Alceste ebenfalls das Liebste verloren hat, aber bei niemandem Trost finden kann – als bei sich selbst: ihrem Freund, der Geige. Parthenia ist das Psychogramm einer Frau, die sich genauso bis zur persönlichen Auslöschung für andere aufopfert wie ihre Schwester, von der es aber niemand bemerkt, bei der sich niemand bedankt und deren Na­ men kein Mythos besingt – der aber ein mitfühlender Komponist die berü­ ckendste Musik der ganzen Oper gewidmet hat, mit der sie im B-Teil der Arie nicht nur beschreibt, was sie ist, sondern auch, wonach sie sich so sehr sehnt. Schweitzers Verfahrensweise setzt damit genau die Position Carl Philipp Emanuel Bachs (1714–1788) um, der die Verzierung in die Hände des Komponisten legt und sie damit dem Bereich der sängerischen Willkür ent­ zieht und zum Mittel des Ausdrucks macht.755 Wieland und Schweitzer erzäh­ len damit nicht nur prozessual, ihnen gelingt es sogar, dieses Erzählen so weit psychologisch stimmig mit den Figuren zu verschmelzen, dass der Zuschauer aus dem intellektuellen Vorgang, bei dem er die Bedeutung der Form kennen muss, um das Spiel mit ihr zu erkennen, weitgehend entlassen wird.756 Auf diese Weise wird sogar das prozessuale Erzählen (das eigentlich ein gewisses Maß an Reflexion voraussetzt) Teil der Psychagogie, der Seelenführung, mit der die Figuren den Zuschauer in ihren Bann schlagen.757 Die zweite Szene des vierten Aktes beginnt mit der Angabe Recitativo und einem ausgedehnten, maestoso vollstimmigen Vorspiel mit Streichern, Hörnern und Flöten in der Grundtonart der Oper Es-Dur. Erst in Takt 15 setzt Admet ein, und wie in den melodramatischen Passagen des ersten und zweiten Akts tritt das Orchester hinter der Singstimme zurück, indem es lie­ gende Töne im Piano bzw. Pianissimo spielt. In Takt 23 wechselt das Metrum zu 2/4 und besonders die Flöten verstärken den Wechsel von „glücklich“ zu „elend“.758 Indem Admet sich ab Takt 32 „Wo bist du?“ von seiner eigenen Befindlichkeit ab- und dem Zustand seiner verstorbenen Gattin zuwendet, wechselt die Musik von motivischer zu malender Funktion und Admets Vi­ sion beginnt.

754 Der mit Mannheim verbundene Komponist und Musiktheoretiker Georg Joseph Vogler be­ scheinigt der Tonart B-Dur, sie könne „die Einsamkeit schildern“. In: Betrachtungen der Mannheimer Tonschule I (1781), S. 127–128. 755 Vgl. Fubini, Geschichte der Musikästhetik (1997), S. 187. 756 Freilich schadet ein Minimum an Seherfahrung nicht, wie die Autoren es bei ihrem Publikum aber in jedem Fall voraussetzen konnten. 757 Auf dieses Spannungsverhältnis zwischen intertextueller Reflexion und unmittelbarer Illu­ sion wird noch ausführlicher zurückzukommen sein. 758 Alceste, Akt IV, Nr. 12, T. 22–26.

484

Die Königin kehrt zurück 12. [Recitativo]

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Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). IV/2, Rezitativ des Admet „O Jugendzeit“ (Ausschnitt).

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Fl. II

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485

Die Königin kehrt zurück



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486

Die Königin kehrt zurück 17

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24 Fl. I

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487

Die Königin kehrt zurück



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488

Die Königin kehrt zurück

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489

Die Königin kehrt zurück



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490

Die Königin kehrt zurück

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Die Königin kehrt zurück



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492

Die Königin kehrt zurück     Irrst du schon, geliebter Schatten, Um Lethes Ufer? Ach! ich seh sie gehn! In trauriger Majestät geht sie allein Am dämmernden Gestad; ihr weichen schüchtern Die kleinern Seelen aus; sehn mit Erstaunen Die Heldin an. Der schwarze Nachen stößt Ans Ufer, nimmt sie ein! Der Schleyer weht Um ihren Nacken. O nach wem, Geliebte Unglückliche, nach wem siehst du so zärtlich Dich um? Ich folge dir, ich komme! Weh mir! Schon hat das Ufer gegenüber Sie aufgenommen! Liebreich drängen sich Die Schatten um sie her; sie bieten ihr Aus Lethes Fluth gefüllte Schaalen an. O hüte dich, Geliebte! Koste nicht Von ihrem Zaubertrank! Ziehe nicht mit ihm Ein schreckliches Vergeßen unsrer Liebe ein!759

Die Musik malt das Ausweichen der „kleinern Seelen“, die wogenden Flu­ ten, den wehenden Schleier und am Ende die sich um Alceste drängenden Schatten. Wechselnde Tempi modulieren die Dynamik des von Admet ge­ schilderten Geschehens und machen seinen Bericht zu einer unmittelbaren dramatischen Mauerschau.760 Wieland beweist mit seinem Libretto wie nebenbei, dass man eine „förmliche Oper“ nicht nur in „fünf (freylich sehr kurzen) Aufzügen, wie das regelmäßigste Trauerspiel“761 schreiben, sondern sich dabei auch noch minutiös an die drei Einheiten halten kann. Eine Unterweltszene fehlt na­ turgemäß auch bei Euripides, denn sie hätte auf krude Weise die Einheit des Ortes verletzt. Für die Barockoper, namentlich Quinault und seine deutschen Adepten, aber auch für die venezianische Oper bildete die Ombra-Szene in der Unterwelt als Element des Wunderbaren hingegen eine der zentralen Attraktionen des Stoffes. Die Form des Accompagnato-Rezitativs in Admets Vortrag gehört ebenso zu den formalen Ingredienzien der Ombra-Szene wie die Tonart Es-Dur. Wieland versöhnt also die Opern-Tradition mit der Ein­ heit des Ortes, indem er Admet die Unterweltszene in einer Mauerschau

759 Ebenda, T. 36–86. 760 Admets Monolog galt vielen Interpreten als eine der besten Stellen der Oper. Sogar Kraus bezeichnet sie als „trefflich gearbeitet“. In: Joseph Martin Kraus: Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777. Frankfurt a. M. 1778/Repr. München 1977, S. 76. Für Friedrich Sengle (in: Wieland. Stuttgart 1949, S. 286–287) bildete die Passage eine Belegstelle für die Vorbildfunk­ tion der Alceste zu Goethes Iphigenie und Schmidt (1964, S. 85–97) stellt sie ins Zentrum seines Alceste-Kapitels. 761 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 490.



Die Königin kehrt zurück

493

nach innen als Vision schildern lässt, nicht als epischen Bericht etwa eines Traumes, sondern Stück für Stück, wie sie sich ihm entfaltet. An die Stelle pantomimisch tanzender Furien stellt Schweitzer das Melodrama, das Ad­ mets innere Bewegung mit der größtmöglichen musikalischen Plastizität dar­ stellt, zumal sie zunächst anhebt mit der süßen Erinnerung „O Jugendzeit, o goldne Wonne, Tage/ Der Liebe, schöner Frühling meines Lebens“ um ihn mit der Frage „wo bist du hin?“762 einbrechen zu lassen. Mozart zählte diese Passage zu den gelungensten Stellen der Oper763 und viele Interpreten sind ihm darin gefolgt.764 Admet befindet sich in einer Lage, die bald zur typischen Melodrama-­ Situation werden sollte. Statisch, ohne Aussicht auf Änderung der Lage steht die (später zumeist weibliche) Figur in einer ausweglosen Situation. Als Theaterphänomen mit einer raschen heftigen Blüte während der 1770er Jahre begründete das Melodrama einerseits eine musikdramatische Sprache der Empfindsamkeit, griff dazu jedoch auch stark auf rhetorische Traditio­ nen zurück.765 Mit Rousseaus Pygmalion ist Admet der frühe Sonderfall eines männlichen Melodramenhelden, mit dem hervorstechenden Merkmal der Passivität. Ihm bleibt nur die Erinnerung an die Wonnetage der Jugend oder das vergangene Glück, um beim Erwachen umso schrecklicher das Unglück über sich zusammenschlagen zu fühlen. Das Melodrama hat mit diesem zweimaligen Affektwechsel die Struktur einer Da capo-Arie.766 Vom Melodrama, sowohl Rousseaus Pygmalion wie den späteren, bei­ spielsweise Georg Bendas, unterscheidet sich diese Ombra-Szene allerdings durch die gesungenen Rezitativverse. Offenbar waren Wieland und Schweit­ zer sich einig, dass kein gesprochenes Wort in ihren Opern vorkommen sollte.767 Schweitzer unterbreitet damit auch in Alceste die Variante des ge­ sungenen Melodramas und damit einen weiteren Vorschlag zur Verbindung französischen und italienischen (Reform-)Musiktheaters. Auch wenn sich das Melodrama in den folgenden Jahren vor allem mit Bendas Werken in der Verbindung von Sprechtext und Musik etablieren sollte, ist Schweitzers Vorgehensweise die zukunftsweisendere, denn sie zeichnet mit ihrer Integration der Form in die Oper im Dienste der Figurencharakterisierung be­ 762 Alceste IV/2, Nr. 12, T. 18–19. 763 Brief an den Vater vom 18. Dezember 1778. Mozart, Briefe und Aufzeichnungen (1962), Bd. II, S. 521. 764 U. a. Maurer (1912), S. 52–54, und Geyer (2001/2002), S. 57–58, die zudem auf „in Venedig kurz“ ausgebildete Vorbilder bei Anfossi und Galuppi verweist. 765 Vgl. Ulrike Küster: Das Melodrama. Zum ästhetikgeschichtlichen Zusammenhang von Dich­ tung und Musik im 18. Jahrhundert. Frankfurt a. M. u.  a. 1994, insbesondere S. 132–140. 766 Vgl. dazu die ausführliche Studie von Küster (1994). 767 Wenigstens deutet darauf die bereits ausführlich besprochene, spätere briefliche Äußerung Schweitzers an Bertuch.

494

Die Königin kehrt zurück

reits den Weg vor, den das Melodrama nach seiner kurzen Blüte als Sologat­ tung beschreiten sollte. Mit Blick auf den historischen Darsteller des Admet bot das Rezitativ-­ Melodrama dem Schauspielersänger die Möglichkeit, seine besonderen ge­ stalterischen Fähigkeiten zu nutzen. Doch auch in formaler Hinsicht ponde­ riert es das Gesamtgefüge des vierten Aktes. Die äußere Handlung ist nach Herkules’ Weggang zum völligen Stillstand gekommen. Die Figuren sind mit ihrer Trauerarbeit alleine, und ihre Gefühle kreisen dabei natürlicherweise nicht nur um die verlorene Alceste, sondern auch um sich selbst. In dieser Situation kann und muss der Charakter jeder Figur voll zur Ausprägung kom­ men. Bei Parthenia steigt die Musik zur höchsten Virtuosität an, unter der sich Leere und Verzweiflung wie ein Abgrund auftun. Eigentlich muss jede Folgeszene dagegen erst einmal matt klingen. Dass dies nicht geschieht, liegt daran, dass Admets große Szene etwa die gleiche Länge hat, vor allem aber eine vollständig andere Färbung verwendet, die gleichwohl dieselbe Kraft ent­ faltet, weil virtuose Arie und Melodrama denselben Wirksamkeitsgrad haben. Dabei stehen sie nicht in Konkurrenz zueinander, etwa im Sinne einer rheto­ rischen alten, und einer empfindsamen modernen Form, sondern treten auf als verschiedene Spielarten einer empfindsamen Opernsprache und bilden in direkter Nachbarschaft einen ästhetisch äußerst fruchtbaren Kontrast.768 Wo ein regelrechtes Prosa-Melodrama die formale Einheit gesprengt hätte, demonstriert Schweitzer die Dehnbarkeit der Opera seria-Form, indem er die melodramatische Szene mit der Form eines überdimensionierten Accompa­ gnato-Rezitativs verschmilzt und, formal geradezu klassisch, als Hinleitung zur Arie verwendet. Allerdings ist diese Arie kaum mehr aus dem Rezitativ abzugrenzen. In der Partitur ist sie zwar als Arie bezeichnet, und die Oboen treten hinzu, doch Admets erstes „o flieh, geliebter Schatten“ steht noch im Rezitativ. Auch tonartlich ist sie mit Modulation von As- nach Es-Dur eng mit der vorangegangenen Szene verbunden, entwächst ihr also als letzte Stufe der dramatischen Steigerung, in die sich sogar die Wiederholungen in psychologischer Stimmigkeit einfügen, mit denen Admet Alceste zuruft O flieh, geliebter Schatten, fliehe! Ich unterläge dem Gewicht Von diesem schrecklichsten der Schmerzen. 768 Fraglich ist, wie Krämer angesichts dieser und vieler weiterer Elemente zu dem Schluss kom­ men konnte: „Seine Vertonung ist von drei Grundelementen geprägt; (I) dem weitgehend un­ reflektierten Rückgriff auf das tradierte Modell der italienischen Seria-Oper in einer bestimm­ ten historischen Ausprägung“. Und: „Den (bescheidenen) Freiraum von Gattungszwängen, den Wieland im Überkreuzen verschiedener Gattungstraditionen schafft, nutzt Schweitzer nicht. Bei ihm ist das Bestreben unübersehbar, eng dem Modell der italienischen Seria-Oper der 1760er Jahre zu folgen.“ Krämer (1998), S. 237.



Die Königin kehrt zurück

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Noch lebt Admet in deinem Herzen. Dies ist sein alles! O entziehe Dies einzige, dies letzte Gut ihm nicht!769

Nach antiker Vorstellung überqueren die Toten mit dem Fährmann Charon den Styx, den Grenzfluss zur Unterwelt Hades um aus seinem Seitenarm, dem Fluss Lethe, zu trinken und daraufhin ihr irdisches Leben zu vergessen. Admet, der selbst ganz im Andenken an Alceste aufgeht, kann den Gedan­ ken nicht ertragen, dass sie ihn und ihr gemeinsames Leben vergessen und mit der gemeinsamen Erinnerung die letzte Verbindung kappen sollte, die beiden noch bleibt. Reemtsma sieht hierin einen Ausdruck für Admets la­ tenten Egoismus, weil er der Verstorbenen das Einzige versagen will, das den Tod erträglich macht: das Leben zu vergessen.770 Ausgerechnet dieses bietet Parthenia Admet in der nächsten Szene an, ein Sedativ, das sie dem vom Gram Erschöpften verabreichen will, wie ein Arzt schockierten Hinter­ bliebenen eine Beruhigungsspritze. Admet lehnt den „ägyptischen Wunder­ trank“771 entsetzt als „Gift“ ab; ganz gleich, ob dieser ihm nur vorübergehend oder dauerhaft die Erinnerung nehmen sollte, schwört Admet: Wie? treulos sollt ich ie Der theuren Ursach meines Leids vergessen? O niemals, niemals! Mit Alcesten hat Die Freud auf ewig sich von mir geschieden.772

Die Vorstellung, jemals wieder das Leben zu genießen, ist Admets größte Angst. Parthenia und mit ihr der Zuschauer weiß, dass er seinem Vorsatz 769 Alceste IV/2, T. 86–Nr. 12a, T. 54. 770 Vgl. Reemtsma (2007), S. 68. 771 In Homers Odyssee erhält Helena das Zaubermittel Nepenthes („kein Kummer“) von der ägyptischen Königin Polydamna.

Siehe, sie warf in den Wein, wovon sie tranken, ein Mittel Gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis. Kostet einer des Weins, mit dieser Würze gemischet; Dann benetzet den Tag ihm keine Träne die Wangen, Wär ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben, Würde vor ihm sein Bruder, und sein geliebtester Sohn auch Mit dem Schwerte getötet, daß seine Augen es sähen. Siehe, so heilsam war die künstlich bereitete Würze, Welche Helenen einst die Gemahlin Thons, Polydamna In Ägyptos geschenkt.

Homer: Odyssee, Vierter Gesang, V. 220–229 in der Übertragung von Heinrich Voß. Mün­ chen 1976, S. 485. 772 Alceste IV/3, Nr. 13, T. 15–21.



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ewiger Trauer nicht gerecht werden kann und möglicherweise schon bald der Tag kommen wird, an dem er wieder lacht. Gleichwohl ist Admet nicht einfach einer, der nicht loslassen kann oder gar ein Heuchler, hinter dessen Klagen letztlich Selbstmitleid steht, denn er bricht förmlich zusammen unter seinen Schuldgefühlen. Schließlich hat er nicht einfach wie viele von Wielands Zeitgenossen seine geliebte Frau verlo­ ren, seine Frau ist an seiner Stelle gestorben. Auch wenn er dieses Opfer nicht wollte und es ihm letztlich nur nicht gelang, es zu verhindern, er schuldet Alceste dennoch sein Leben. Unter dieser Prämisse bleibt einem so emp­ findsamen und sensiblen Helden, wie Wieland und Schweitzer ihn auf die Bühne bringen, gar nichts anderes übrig, als seine verbleibende Lebenszeit dem Andenken zu weihen: Mein Gram ist meine Speise, mein Vergnügen Mein Labsal! Jede andre Lust Verschmäht Admet! Ich will an Sie allein Nur denken: wachend, träumend Sie, nur Sie Vor meinen Augen sehn; auf ihrem Grabe Soll meine Wohnung seyn! Von meinen Thränen sollen Die Myrten wachsen, die ihr Bild umschatten!773

Abermals direkt in das Rezitativ hinein beginnt das Duett, mit dem Parthenia interveniert: Parthenia.     Unglücklicher, was hilft es dir     Dein Daseyn trostlos weg zu trauern?     Laß ewig deine Schmerzen dauern,     Der Orkus giebt Sie nicht dafür!

Dass Parthenia Admets übermäßige Trauer als sinnlos identifiziert, weil er die Tote damit nicht zurückholen kann ist zwar zutreffend, übersieht jedoch die entlastende Funktion, die sie für Admet hat: Admet.     O laß mir, laß mir meine Zähren     Grausame, o laß mir meinen Schmerz!     Wie könnt ich diesen Trost entbehren?     Er labt, er nährt mein leidend Herz.774

Admets Trauer ist Selbsterhaltung und damit haftet ihr zwangläufig eine Por­ tion Eigennutz an, was Parthenia mit dem Verweis zu wenden versucht, dass 773 Ebenda, Nr. 13, T. 21–Nr. 13a, T. 1. 774 Ebenda, Nr. 13a, T. 1–59.



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das Geschenk des zweiten Lebens auch eine aus dem Opfer resultierende Verpflichtung beinhalte: Parthenia.     Bedenk, um welchen Preiß du lebest! Admet.     O der Gedanke tödtet mich! Parthenia.     Wenn du in Gram, dich selbst begräbest,     So starb Alcest umsonst für dich!775

Die letzten beiden Verse sind das buchstäblich letzte Mittel, das Parthenia bleibt und sie hat zuvor viel Geduld und Beredsamkeit aufgewendet, um Ad­ met diese buchstäblich harten Worte zu ersparen. Nach dem eher weichen, melodiösen Verlauf des Duetts in 3/4 drosselt Parthenia die Dynamik im letzen Vers zu monotonen (bis auf kleine Ausweichungen) auf c'' gesunge­ nen akzentuierten Achteln die im Verbund mit den analog dazu verfahren­ den staccato-Noten der Streicher unausweichlich das Ende der Diskussion bedeuten und dazu führen, dass Admet sich wenigstens dazu entschließt, die Tote zu begraben.

4.9.7  Fünfter Akt – Heroismus oder Empfindsamkeit, wem gehört das Happy End? Der fünfte Akt beginnt mit dem Totenopfer. Ein „Chor von Hausgenossen“ erscheint mit der einzigen Chorstelle des Stücks. Grundsätzlich verzichtete Wieland auf Chöre, weil ich nicht Athem genug hatte, in diesem Stücke mit dem Griechischen Dichter in die Wette zu lauffen. Indessen, damit der Componist und die Zuhörer nicht zu viel dabey verlöhren, ersetzte ich sie einigermaßen durch die Gesänge zu Anfang des vierten [es ist tatsächlich der fünfte] und zu Ende des fünften Acts.776

Die lapidare Begründung täuscht darüber hinweg, wie zentral diese Abgren­ zung vom griechischen Original ist. Die Chöre der Euripideischen Alkestis kommentieren das Geschehen und ermahnen Admet im 4. Stasimon, mit seiner Trauer nicht maßlos zu sein.777 Die Besonderheit der Alceste hingegen besteht darin, dass im Gegensatz zu allen anderen Bearbeitungen des Stoffes äußere Instanzen fehlen und damit das Opfer zur inneren Angelegenheit der be­ 775 Ebenda, T. 59–69. 776 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 493. 777 Alkestis (2002), S. 85–89.

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teiligten Figuren wird. Schon die bloße Anwesenheit eines Chores stört diese geschlossene Gesellschaft. Dass es diesen einen Chor aber sowohl bereits im ersten Librettodruck als auch in der späten Ausgabe der Sämmtlichen Werke gibt, deutet darauf hin, dass er nicht nur eine Konzession an den Komponisten ist, der seine Fähigkeit auch auf diesem Gebiet zeigen wollte, denn die italienische Opera seria kam in der Regel vollständig ohne Chöre aus. Der Chor ist an dieser Stelle eine konzeptionelle Inkonsequenz respektive ein formaler Quer­ verweis auf die Tragédie lyrique – aber ein ästhetischer Gewinn. Er setzt genau an der Stelle ein, an der Komponist und Zuhörer nach langer Strecke mit ma­ ximal drei Stimmen deren Reichtum ausgelotet haben und sich nach einer Ver­ änderung sehnen. Es spricht für Wielands Weitsicht und Fingerspitzengefühl in Bezug auf die Gattung (oder aber für seine Einsicht, sollte Schweitzer der Vater dieses Gedankens gewesen sein), dass er die konzeptionelle Konsequenz hinter die musikalische und librettistische Wirksamkeit zurücktreten ließ. Einerseits hat der Chor keine eigene Position, sondern dient vor allem als vollstimmiges Echo für Parthenia und Admets Gesänge. Andererseits besteht das Opfer vornehmlich in der chorischen Anrufung der „selbst im Olympus gefürchteten Mächte“778, der Erinnyen, der Rachegöttinnen des Hades, von denen nur Alecto (die nie Aufhörende), Teisiphone (die Räche­ rin des Mordes) und Megaira (die Neiderin) namentlich bekannt sind. Wie in Alcestes Arie „Ihr Götter der Hölle“ zu Beginn der Oper ist der Gesang an sich die Kulthandlung, mit der die Menschen zu den Göttern (zumin­ dest der Unterwelt) Kontakt aufnehmen. Die Anrede als Eumeniden (die Wohlwollenden) ist ein bereits in der Antike gebräuchlicher Euphemismus, der sie besänftigen soll. Die Titanentochter Hekate gilt als Begleiterin der Verstorbenen. Da sie sowohl heil- als auch unheilbringend sein konnte, gilt die Anrufung auch ihr. Admets anschließendes, wirkungsvoll von den Strei­ chern begleitetes Rezitativ steht im Gegensatz zu seiner Arie „flieh, geliebter Schatten“ und bricht die antike Tradition, wonach der Ruhm der Nachwelt den Seelen im Elysium Freude bereitet, herunter auf das liebevolle Anden­ ken der Angehörigen. Daraus läßt sich schließen, dass er den Übertritt der Alceste ins Elysium akzeptiert hat. In diese kontemplative Stimmung platzt Herkules, buchstäblich mit Pau­ ken und Trompeten.779 Während Parthenia sofort wider besseres Wissen eine dubiose Hoffnung entfaltet, reagiert Admet, der mythische gute Gastgeber, diesmal ausgesprochen unwirsch.

778 Alceste, V/1, Nr. 14, T 123–125. 779 Ebenda, V/2, Nr 15, T. 1–8.

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Parthenia.     Admet, sieh deinen Freund! Und Freude blitzt aus seinen Augen! Admet. Freude? Er sprach von Hülfe, da er gieng. Herkules. Und kömmt zu halten, was er dir versprach. Admet. O Herkules, ich hielt dich Für meinen Freund, Ists möglich, kannst du meiner Schmerzen spotten? Herkules. Dein Unglück macht dich ungerecht, Admet! Ich tadle nicht, daß du in seinem ganzen Umfang Es fühlst. Du traurst mit Recht. Alceste Ist deiner Thränen werth. Sie ist die Zierde ihres Geschlechts, verdient es; daß ihr Bild in Marmor Den Enkeln heilig sey; verdient, so oft der Tag, An dem sie sich für ihren Gatten hingab, Zurück kömmt, daß Thessaliens fromme Töchter, Der Heldinn Grab mit Blumenkränzen schmücken. Man soll den Frauen sie zum Beyspiel nennen! Sey wie Alceste, soll der Segen seyn, Der künftig jede Braut zur Gattin weyhe! Wir sind ihrs schuldig! Mehr, Admet, Verlangt ihr Schatten nicht.780

Herkules’ Lobrede löst bei Admet Unverständnis und zunehmende Wut aus. Warum eigentlich? Herkules argumentiert sowohl im Sinne der antiken Überlieferung wie auch der höfischen Tradition: Alceste hat sich mit ihrem Opfer das Recht auf ewiges Andenken erworben, nach antikem Verständnis der extreme Sonder­ fall für eine Frau und insofern ein wahrlich fairer Tausch für das Opfer, das sie gebracht hat, zumal die Oper an Parthenia zeigt, wie viele Frauen sich unbesungen aufopfern. Alceste hingegen hat sich laut Herkules nicht nur für den Gatten, dessen „Thränen sie werth“ ist, geopfert, sondern auch für den Fortbestand der Dynastie, weshalb „Ihr Grab/ Den Enkeln heilig sey“. Dar­ über hinaus wird ihre Tat aber auch zu einem Gründungsmythos des Staates Thessalien, wenn dessen „fromme Töchter,/ Der Heldinn Grab mit Blu­ menkränzen schmücken“, und mit dem Segen „Sey wie Alceste“ zur Gattin „geweiht“ werden. Insbesondere die Genderforschung arbeitet sich schwer 780 Ebenda, T. 15–42.

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daran ab, dass in der Alkestis weibliche Opferbereitschaft zur religiösen und staatlichen bzw. gesellschaftlichen Pflicht erhoben oder zumindest (als wie nachahmenswert auch immer) gefeiert wird.781 Zentral ist dabei die Rolle des Chores, denn er verkörpert oder vertritt die Gesellschaft bzw. den Staat. Erst wenn ein Außen existiert, kann Alcestes persönliche Entscheidung über die Grenze der Familie hinaus wirken und instrumentalisiert werden. Herkules’ Rede macht deutlich, wie zentral Wielands  – stoff- und gat­ tungsgeschichtlich betrachtet – radikale Entscheidung gegen den Chor für die Alceste ist. Allein weil kein Außen existiert, das ihre Tat goutiert, kann sich Alceste ganz aus ihrem Herzen heraus, das bedeutet in diesem Falle, als rein per­ sönliche Entscheidung, opfern. Die dynastischen und staatlichen Argumente werden im großen Streitgespräch zwischen Alceste und Admet im zweiten Akt zitiert und können, da es im Stück keine Öffentlichkeit gibt, als nicht relevante Scheinargumente verworfen werden. Im Schutzraum der Familie vollzogen, ist das Opfer eine innere Angelegenheit zwischen zwei Menschen, die niemanden sonst etwas angeht, in diesem Falle nicht einmal die bluts­ verwandte Schwester. Gleichwohl geht es am Gehalt der Oper vorbei, sie als „bürgerliches Rührstück“ zu klassifizieren.782 Bürgerlich ist Alceste schon deshalb nicht, weil es keine genuinen Elemente der Bürgerlichkeit gibt, wie in den Dramen Diderots, oder ein Gegensatz zur höfischen Sphäre aufgemacht würde, wie im bürgerlichen Trauerspiel Emilia Galotti oder Norddeutschen Singspielen wie Lottchen am Hofe. Im Gegenteil: Alceste und Admet sind ein­ deutig als König und Königin definiert.783 Allein, für ihre überzeitliche und standesunabhängige Privatangelegenheit spielt das keine Rolle mehr. Über­ dies entpuppt sich Alcestes Heldentat selbst unter diesen Idealbedingungen zunehmend als Untat. Denn der Verlauf der Oper hat gezeigt, dass Alcestes Opfer, statt ihren Gatten zu retten, dazu geeignet ist, Admet ebenfalls zu Grunde zu richten. Indem der davon nichts ahnende Herkules nun genau die traditionellen Argumente der Stoffgeschichte aufruft, zerrt er die Privat­ angelegen­heit nicht nur an die Öffentlichkeit, er unterstellt ihr sogar Zweck­ mäßigkeit, wenn nicht sogar Kalkül. Da hier der Autorenintention mindestens heuristisches Frageinteresse gilt und die Untersuchung zwangsläufig Gefahr läuft, mit Wielands Worten: den Text unter der Sichtweise der (heutigen) veränderten Sitten zu lesen, sei hier eine Rede der weiblichen Zentralgestalt aus Wielands antikem Briefroman Aristipp und einige seiner Zeitgenossen (entstanden 1800–1802) zum Vergleich 781 Vgl. Beatrix Borchard: Anstelle einer Einleitung. Weiblicher Opfertod und männliche Todesver­ weigerung. In: Alkestis (2007), S. 9–22. 782 So Geyer 2001 (2002), S. 47. Ähnlich Krämer (1989, S. 230), der Alceste als „Familienrühr­ stück“ klassifiziert. 783 Vgl. dazu Gelzer (2005), S. 463.



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herangezogen, deren geradezu „radikalfeministische Theorie der Gesell­ schaft“784 im Blick auf die antiken Geschlechterverhältnisse (in denen natür­ lich die des 18. Jahrhunderts gespiegelt sind) diese Leseweise nicht nur stützt, sondern überdies just die Folgen der von Herkules in Aussicht gestellten männlichen Instrumentalisierung des weiblichen Opfers beschreibt. Du weißt vermuthlich, wie wenig bey der Erziehung der Griechischen Töchter in Betrachtung kommt, daß sie auch eine Seele haben, und daß die Seele kein Ge­ schlecht hat. Sie werden erzogen um so bald als möglich Ehefrauen zu werden; und der Grieche verlangt von seiner ehelichen Bettgenossin nicht mehr Geist, Talente und Kenntnisse, als sie nöthig hat, um (wo möglich) schöne Kinder zu gebären, ihre Mägde in der Zucht zu halten, und die Geschäfte des Spinnrockens und Webstuhls zu besorgen. Ist sie überdies sanft, keusch und eingezogen, trägt sie wie die Schne­ cke ihr Gynäceon immer auf dem Rücken, und verlangt von keinem andern Manne gesehen zu werden als von ihm, läßt sich an und von ihm alles gefallen, und glaubt in Demuth, daß es keinen schönern, klügern und bravern Mann in der Welt gebe als den ihrigen: so dankt er den Göttern, die ihn mit einem so frommen tugendsamen Weibe beschenkt haben, ist höchlich zufrieden, und hat wahrlich Ursache es zu seyn. Vor der langen Weile, die ihm eine so fromme und tugendreiche Hausfrau machen könnte, weiß er sich schon zu verwahren. Er sieht sie so wenig als möglich: und verlangt er einen angenehmern weiblichen Umgang, so hält er sich irgend eine liebenswürdige Gesellschafterin auf seinen eigenen Leib, oder bringt von Zeit zu Zeit einen Abend mit seinen Freunden in Gesellschaft von Hetären zu.785

Die – sich später natürlich als ironisch entpuppende – Lobrede des Herku­ les präludiert das Spiel, das Herkules gleich mit Admet spielen wird, indem er ihm vorgaukelt, er habe eine andere Frau zum Ersatz mitgebracht. Der Einbruch des Komischen, wenigstens Unernsten, ist auch Signatur für das Kopfzerbrechen, das die Wiederbringung der Alceste ihrem Autor, vorgeb­ lich als einzige Passage des Librettos, bereitet hatte: Ich sah nur zwoo mögliche Anordnungen dieser Sache […]. Die eine war: In dem Augenblicke, da Admet die Urne seiner Geliebten trostlos umfassend sich der gan­ zen Verzweiflung seines Schmerzens überlassen hätte, den Herkules mit Alcesten wiederkommen und sagen lassen: Da, Freund, da ist sie! […] So würde freylich mein Herkules völlig in seinem grossen Charakter geblieben seyn; aber so hätte ich die Gelegenheit zu meiner vierten Scene (S. 74) und zu dem sehr interessanten Ge­ mählde, welches Alceste in der fünften (S. 78) von ihrem Gemüthszustande macht, aufopfern müssen; […], Ich wählte also die andre Art von Entwicklung, welche

784 So Jan Philipp Reemtsma: Osmantinische Aufklärung. Oßmannstedt 2006, S. 35–36, hier: S. 35. 785 Christoph Martin Wieland: Aristipp und einige seiner Zeitgenossen. Jan Philipp Reemtsma, Hans und Johanna Radspieler (Hg.). Zürich 1993, S. 101.

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zwar nicht so einfach ist, und dem Charakter des Herkules ein wenig Gewalt anthut; aber diese Fehler mit grossen Schönheiten vergütet.786

Mit seiner pragmatischen Sichtweise des Opfers entfernt sich Herkules vom Ideal eines empfindsamen Helden und bekommt erneut jenen Anflug von Komik, der mit der bereits in seiner „Zweifle nicht“-Arie auszumachenden musikalischen Komik korrespondiert und plausibel macht, warum der tugend­ same aber nicht besonders feinfühlige Held sich – in aller Freundschaft – nach getaner Arbeit auch mal einen Scherz erlaubt, sei er auch recht ge­ schmacklos. Noch deutlicher als in den publizierten Briefen an einen Freund … wird in der privaten Korrespondenz, wie Wieland angesichts der Brechung der Herkulesfigur schwankte zwischen dem Konzept eines idealen Helden – und seinem ästhetischen Gewissen, das ihn die antike Ambivalenz der Figur in­ korporieren ließ. Der fünfte Act! was werden Sie zum Herkules im 5ten Act sagen? Ich bin mit mir selbst äusserst unzufrieden, und doch konnte ich, wollte ich vielmehr nicht anders machen; denn wie viel schönes, wenigstens Musicalische Schönheiten, hätte ich aufopfern müßen, wenn ich meinen Hercules in diesem 5ten Act nicht e t wa s M enschliches hätte begehen lassen.787

Für Admet ist klar, dass Herkules im Dienste der Tugend keine Erfahrung mit Liebe und Hingabe sammeln konnte. Eine menschliche Liebe, die kein Außen braucht oder akzeptiert, kann er folglich nicht begreifen. Überdies dulden die Götter (zu denen er ja immerhin halb gehört) eine solche Abkap­ selung von der Welt auf die Dauer nicht: Du sprichst wie einer der das Glück Nie kannte, das die Götter mir Zu Neidern machte. Du verlohrest keine Alceste –788

Was Herkules damit kontert: 786 Briefe an einen Freund …, In: Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 499. 787 An J. G. Jacobi und Johann Ludwig Wilhelm Gleim (1719–1803), 14. Januar 1773, WBr Bd. 5, S. 51–52. Gleims Antwort vom 28. desselben Monats kann man nur beipflichten: „Ihr Herkules im fünften Act […] beleidigt mich gar nicht. Ein Gott, sobald er M e n s ch e n sichtbar wird, darf eine solche Schwachheit immer begehen. Noch mehr ist sie einem Helden erlaubt, welcher voll von seinen Thaten aus der Hölle [sic!] zurück kehrt, und von seiner eignen Stärke, seiner eignen Unerschrockenheit durchdrungen, die verzögerte Darstellung der geretteten Gelieb­ ten mit weniger Weichlichkeit ansieht.“ WBr Bd. 5, S. 66. 788 Alceste V/ 2, Nr. 15, T. 42–45.



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Diesseits des Olymps, Admet, Ist kein Verlust, den uns die Götter nicht Ersetzen können.

Und einige Rezitativverse später auf den Punkt bringt: Was dir unmöglich scheint, ist schon gefunden. Ich bringe den Ersatz, die liebenswürdigste Der Töchter Gräciens begleitet meine Schritte.789

Admet, der unter den gegebenen Umständen natürlich nicht auf die nahelie­ gende Deutung kommt, dass sich unter dieser Umschreibung nur seine Frau verbergen kann, kündigt daraufhin Herkules die Freundschaft. Die empfind­ same Oper realisiert damit die genaue Inversion der Euripideischen Vor­ lage, in der Admet seine Gastfreundschaft über die persönliche Trauer stellt. Herkules trifft mit der pointierten Position die Toten sind tot und das Leben geht weiter auch deshalb bei Admet den wundesten Punkt, weil Admet wohl ahnt, dass sein Freund recht hat, aber bekanntlich in dem Dilemma steckt, dass ein neues Leben bedeutet, sich durch Untreue oder auch nur Lebensfreude als Undankbarer zu erweisen. Die im Libretto einteilige Arie „Ihr sollt ich untreu werden können?“ kontrastiert die empfindsame Klage mit der Vision von Alceste als die Untreue rächender Erinnye. Ihr sollt ich untreu werden können? Dir ungetreu, Alceste, dir? Von fremder Flamme sollt ich brennen? O! wenn ich dessen fähig werde, So öffne sich vor mir die Erde, Der Eumeniden Fackel blitze Mir ins Gesicht, und aus dem Sitz Der Wonne fluch Alceste mir!790

Mit Admets Vision wird die in einer intrigenfreien Handlung notwendiger­ weise fehlende Rache- bzw. Eifersuchtsarie in einer kojunktivischen Wen­ dung eingebracht. Damit steht dem Komponisten die nach dem Prinzip des Chiaroscuro vorgeschriebene Farbe gleichwohl zur Verfügung. Schweitzer realisiert sie in einer durchkomponierten vierteiligen Arie mit deutlicher Wie­ derholungsstruktur (A B A’ B’) und kontrastierenden Teilen und gibt Admet damit die Dramatik eines großen Opernhelden, der nach seiner furioso-Arie wütend die Szene verlässt.791

789 Ebenda T. 45–61. 790 Ebenda, Nr. 16. 791 Gut möglich, dass Schweitzer und Wieland Hasse/Giovanni Claudio Pasquinis (1695–1763) Experiment einer Eifersuchtsfreien und überdies mit einer Version des Liebesopfers enden­

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Parthenias Schimpftirade auf Herkules („bei den Göttinnen“792, mit ­einer Betonung auf der weiblichen Fom, die klingt wie ein versales ‚I‘), und bezeichnenderweise als Secco-Rezitativ, mündet rasch in die empfindsame, vom vollstimmigen Orchester begleitete Wiedererkennungsszene mit Al­ ceste, die mit einem Larghetto schließt und wieder zum Secco übergeht, wenn Herkules Parthenia nach Admet schickt, um seine kleine Intrige aus­ zuspinnen. Die zurückgekehrte Alceste erwacht wie aus einem Traum und fragt sich „erstaunt, ob ich es bin?“. Langsam, vom Secco- über ein Accompagnato-Re­ zitativ versucht sie sich wieder dem Leben anzunähern: „alles ist/ Mir fremd! Elysium schwebt/ Mit allen seinen unnennbaren Freuden/ Vor meinen Au­ gen noch.“793 Ihre einteilige Arie794 hat keinerlei Widerholungsstrukturen. Mit „Ach! wie seelig war ich!“ besingt sie die verlorenen Freuden gleichsam stotternd. Mit großen Pausen und immer wieder rezitativischem Duktus setzt die Gesangsstimme die Unsagbarkeit um „Ach! mit meinem Glücke/ Verlor ich auch die Macht es auszusprechen.“795, während das Orchester die unaus­ sprechliche Seeligkeit malt. Der erste Teil der Arie beginnt in der Grundton­ art der Oper, Es-Dur, doch bei dem Wort „Unvergänglichkeit“796 wechselt die Harmonie zum einzigen Mal innerhalb der gesamten Oper in die Kreuz­ tonarten, in einem Passus duriusculus, einer Kette chromatisch absteigender Sekunden, der hier wie traditionell als Signatur für Leiden, Sterben und den Klagegesang steht,797 der hier aber statt in die Zieltonart B- nach H-Dur führt und mit diesem Sprung eindrucksvoll gerade den Bereich jenseits des irdischen Leidens verklanglicht. Noch viele Jahre später erinnerte sich Wieland daran, wie Schweitzer für diese Stelle um den passenden Ausdruck gerungen hatte:

792 793 794 795 796 797

den Dramaturgie, die Pastoraloper Leucippo (1747), kannten. Leucippo zählte zu Hasses meist­ gespielten Werken der 1760er Jahre und wurde u.  a. in Dresden und in Schwetzingen gespielt. Alceste, V/3 Nr. 17, T. 1–2. Ebenda, V/6, Nr. 18, T. 65–Nr. 18a, T. 1. In allen gedruckten Fassungen des Librettos Teil des Rezitativs. Ebenda, T. 19–31. Ebenda, T. 56–58. Etwa bei J. S. Bach. Vgl. die ausführliche Diskussion von passus duriusculus und Lamento-­ Bass und die dem Klagemotiv bei Bach inhärente Hoffnung auf die Auferstehung bei Chris­ tian Berger (Hg.): Musik jenseits der Grenze der Sprache. Freiburg i. Br. 2004, S. 123–134. Vgl. ferner: Ellen Rosand: The Descending Tetrachord: An Emblem of Lament. In: The Mu­ sical Quarterly 65 (1979), S. 346–59. Neuere Studien haben das breitere Bedeutungsspektrum des passus duriusculus betont. In Lullys Alceste erscheint das Klangemblem im Trauerchor der Begräbisszene im dritten Akt eingebettet in eine Passacaille als Tanzsequenz und bewirkte duch diesen Kontrast beim Publikum einen überwältigenden emotionalen Eindruck. Vgl. Lois Rosow: The decending Minor Tetrachord in France. An Emblem Expanded. In: New Perspectives on Marc-Antoine Charpentier. Ashgate 2010, S. 75–77.

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Eines Tages kam er, und sagte, er müsse wohl die ganze Composition aufgeben. Da sei eine Stelle […] wo Alceste die Worte spricht: noch wehet ein Geist der Unver­ gänglichkeit mich an. Hier müsse ein gewaltiger Uebergang statt finden, der ihm aber unmöglich zu treffen sei. Ich sprach ihm Muth ein, rieth ihm, diese Arie vor jetzt nur ganz bei Seite zu legen. Es finde sich dann von selbst. […] Acht Tage drauf kam er mit Sonnenschein im Auge wieder. Ich glaube es gefunden zu haben. Wirklich ist es eine der sublimsten Stellen geworden. Der Übergang von b Dur zu h Dur […] ist überraschend, und bei vollem Orchester erschütternd.798 œ œ nœ œ œ œ œ œ œ bœ b & b b 42 œ

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Parthenia bringt den noch immer zornigen Admet wieder auf die Bühne, der vor Alceste zunächst erschrickt und sie für ein Gespenst oder eine Täu­ schung hält. Das Orchester realisiert den Tumult seines Herzens, der sich erst legt, als Admet ab Takt 29 mit den Worten „Bist dus,/ Geliebter Schatten, der zum Troste mir erscheint?“ Alceste auch emotional an sich heranlässt. Mit den Versen „O Götter, laßt ihn ewig, ewig dauern,/ Den süßen Wahn!“799 bringt die Musik die Zeit für einen Moment zum Stillstehen und mit dem nächsten Vers beginnt bereits das C-Dur des Finales. Zuvor wird in einem längeren Secco-Rezitativ abgehandelt, was noch aussteht. Admet fragt, wie Herkules Alceste wiedergewann und erhält zur Antwort: „Begehr es nicht zu wissen!/ Ein heilger Schleyer, den die Götter selbst/ Nicht wegzuziehen wagen, liegt/ Auf den Geheimnissen des Geisterreichs./ Der Eumeniden Hand schließt meinen Mund!“800 Im Finale versucht Alceste Admet davon zu überzeugen, dass das wie­ dergewonnene gemeinsame Leben mit ihm die elysischen Freuden aufwiegt: „Ich hab Elysiums Glück empfunden,/ Allein dem Augenblick, da ich dich wiedergefunden,/ Ist keine andre Wonne gleich“, und Herkules versichert, „ich bin belohnt an euren Freuden/ Mein mitempfindend Herz zu weiden,/ Ich bin der glücklichste von euch!“801, worauf Parthenia einen Schlusschor zum Dank an die Götter anstimmt, der offen lässt, welchen Göttern diese Wohltat zu danken ist. Als Konvention den herrschenden Olympiern, de­ ren Versagen in dieser Frage die Oper gerade vorgeführt hat, oder Herkules dem Orthodoxen, der auf höchst unorthodoxe Weise nachgeholfen hat und der sich hier schon mal großzügig zu seiner olympischen Verwandtschaft rechnet, oder den alten Göttern der Unterwelt, auch wenn, wie Alceste aus­ plappert, Herkules bei Proserpina nicht nur höflich bitten,802 sondern sie „er­ kämpfen“ musste. Wie der Schlusschor alle ungelösten Theodizeefragen überdeckt, bleibt am Ende auch dieser Bearbeitung des Stoffes fraglich, ob und wie sich ein Weiterleben nach dieser un-fasslichen Grenzerfahrung gestalten kann. Ad­ met und Alceste sind bis auf die Grundfesten ihrer Persönlichkeit erschüttert worden. Alceste hat sich bereits zu Beginn des Stückes leichter vom Leben getrennt, als die schmerzliche Trennung von Admet zu ertragen. Mit der Erfahrung, dass der Tod die Erlösung ist, dürfte die letzte Barriere, die in „Ihr Götter der Hölle“ besungene Todesangst, beseitigt und entsprechend fraglich sein, wie erdverbunden diese Frau danach noch sein kann. Hinzu kommt, dass sie nach der Todeserfahrung nicht mehr dieselbe ist wie zuvor 799 800 801 802

Alceste V/7, Nr. 18c, T. 34–37. Ebenda, T. 73–80. Ebenda, Nr. 19, T. 56–67 und T. 80–90. Wie in Quinaults Alceste.

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als Lebende und auch der Schuldkomplex des empfindsamen Admet ist mit der Wiederkehr seiner Frau nicht beseitigt. Schweitzers Vertonung verstärkt diese Fragezeichen des Textes. Alces­ tes erste Versicherung an Admet, dass sie „ein Elysium/ in deinen Armen wiederfindet“803, ist nach der empfindsamen Wiedererkennungsszene be­ fremdlicherweise als Secco-Rezitativ gesetzt, der Form, in der in dieser Oper vornehmlich rhetorische Passagen abgehandelt werden. Das unmodulierte C-Dur804 des Finales steht so solitär gegenüber dem Rest der Oper, da diese Tonart im Stück nicht einmal dem siegreichen Herkules zugedacht wird, in Ad­ mets erster Arie aber bereits als Zeichen für seine Selbsttäuschung eingesetzt wurde, dass es die durch die Textbefunde aufgeworfenen Zweifel an diesem uneingeschränkt guten Ende eher stützt denn entkräftet, da es alle eventuel­len Missklänge plakativ übertönt und parallel zur Konvention des antiken Dank­ opfers an die Götter im für die Gattung konstitutiven Lieto fine aufgelöst,805 in das die Partitur806 ad libitum sogar die kleine Öffentlichkeit der wieder aufgetretenen Hausgenossen einfallen lässt.807 Mit dem Lieto fine wird, wie so oft in der Opera seria, auch hier eine äußere Ordnung wiederhergestellt ohne den Anspruch, dass damit auch die emotionale Disposition der Figuren befriedet sei. Stärker als an jeder ande­ ren Stelle der Oper übernimmt hier die Musik die Deutung, indem sie die offenen und unartikulierten Fragen des Textes hörbar macht und die Oper damit an Wielands Prosa- und Versdichtungen anschließt. Dort wird selten gestorben, und wenn, dann wird alles daran gesetzt, dass die Figuren keinen

803 Alceste V/7, Nr. 18c, T. 45–47. 804 C-Dur steht in der Tonartencharakteristik für Freude und Heiterkeit. wandelt sich nach Mattheson von der barocken Verwendung im erotischen Kontext im Verlauf des 18. Jahr­ hunderts zu einer kriegerischen Tonart. Vogler bescheinigt der Tonart Majestät aber man­ gelnde Substanz und Schubart schließlich sieht darin Unschuld und Naivität. Vgl. Schubart (1806/1969), S. 377. 805 Wie Silke Leopold bereits 1983 Colloquium „Johann Adolf Hasse und die Musik seiner Zeit (Siena)“ angemerkt hat, sind selbst die seltenen tragico fine-Libretti Metastasios insofern wie­ derum ‚gute‘ Schlüsse, als sie mit dem Tod einer (problematischen Zentralgestalt wie Dido oder Catone) gerade die Ordnung wieder herstellen. In: Analecta Musicologica. 25 (Laaber 1987), S. 515–516. Anselm Gerhard hat, u.  a. diese Anmerkung aufgreifend, 1994 ausführlich dargestellt, wie das tragico fine in Metastasios Catone in Utica und Attilio Regolo auch ein Kom­ mentar zu den republikanischen Zuständen ist, in denen eben kein absolutistischer Herrscher am Ende noch alles zum Guten wenden kann. Bei Didone abandonata wäre derselbe Befund für die Regentschaft einer Frau hinzuzufügen. Vgl. ders.: Republikanische Zustände – Der tragico fine in den Dramen Metastasios. In: Zwischen Opera buffa und Melodrama. Italie­nische Oper im 18. und 19. Jahrhundert. Perspektiven der Opernforschung. Jürgen Maeder und Jürg Stenzl (Hg.). Frankfurt a. M. 1994, S. 28–65. 806 Allerdings nicht durchgängig in allen Abschriften. 807 Alceste V/7, Nr. 19, T. 105–129.



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heroischen, sondern wie Alceste einen „sanften“808 Tod sterben. Denn das Pathos des Todes erweist sich selbst dann als sinnlos, wenn es ein Tod aus so reiner Liebe ist, wie der Alcestes. Das C-Dur zitiert dieses Pathos nur, um es im Zitat wieder zu brechen.

4.10 Vom vermischten Geschmack zum Singspiel als Landschaft der Seele Trotz der programmatischen Bezeichnung Singspiel hat Alceste weder struk­ turell noch inhaltlich viel mit dem Norddeutschen Singspiel gemein. Viel­ mehr griffen die Autoren Verfahrensweisen der deutschen Barockoper auf und transformierten diese mit Blick auf die italienische und französische Oper des späten Generalbasszeitalters, analog zum Ideal des vermischten Ge­ schmacks.809 Neben der deutschen Barockoper hatten auch Händel810 und nicht zuletzt Gluck diesen Weg mit Orfeo ed Euridice und der italienischen Alceste eingeschlagen. Die Opera seria (Zeno und Metastasios) lässt sich als das stärker auf das Individuum konzentrierte Konzept beschreiben. Dazu gehört die rationalis­ tische Zentrierung des Handlungsgangs mit dem Ziel, die Figur unvernünf­ tige Affekte (die dem falschen Partner gelten oder den Staat gefährden) über­ winden und sie die ihr im politischen Gefüge zugeordnete Rolle annehmen zu lassen. Das Lieto fine ist Ausdruck dieser rationalistischen Weltauffassung, denn gutes Verhalten muss belohnt werden, soll die Oper die gerechte Welt­ ordnung (des christlichen Feudalismus) bestätigen. Antike Tragödienstoffe eignen sich naturgemäß wenig als Vorlage für eine solche Dramaturgie, wes­ halb das Dramma per musica Metastasios vorzugsweise historische Stoffe und Figuren verwendet, oder antike Geschichten an einer geeigneten Stelle beendet. Ob die Wandlung des Tyrannen am Ende kohärent ist (oder nicht vielmehr alles dafür spricht, dass er bei der nächsten Gelegenheit in seine 808 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 319. 809 Noch viel stärker als zur Zeit von König und Schürmann, als die venezianischen Wurzeln der Tragédie lyrique noch dicht unter deren musikalischer Oberfläche verliefen, stehen sich um 1770 mit Tragédie lyrique und Opera seria zwei weitestgehend ausdifferenzierte Konzepte des Musiktheaters gegenüber, die für sich genommen jeweils an einem Endpunkt angekommen waren. 810 Händel hatte in London immer wieder versucht, das Modell der Opera seria über Elemente der Tragédie lyrique zu erweitern, indem er Chöre und Tänze integrierte respektive Tanzfor­ men als Grundlage seiner Arien verwendete. Beispielsweise in Teseo (1712), für den Händels Librettist Haym sogar direkt Quinaults Tragédie lyrique Thésée (1675) bearbeitete (und dabei sogar deren Fünfaktigkeit erhielt), Alcina (Libretto anonym nach der ebenfalls anonymen Vorlage L’isola di Alcina [1728] 1735) und Imeneo (Libretto anonym nach Stampiglias gleichna­ migem Libretto [1723] 1740).

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alten Untugenden zurückfallen wird) ist unerheblich, da die Figuren weniger einer psychologischen Logik folgen, als nach Rollenschemata agieren. Im Zentrum dieses Opernkonzepts steht die virtuose Gesangsstimme als Trä­ gerin der Affekte und Entscheidungen. Den Arien gilt das ganze Interesse der Komponisten, wogegen das Rezitativ, auch in Folge der standardisierten Handlungsabläufe zunehmend als Secco abgehandelt wurde, was zwar nicht bedeutet, dass es als unwichtig von den Komponisten per se vernachlässigt worden wäre, sondern dass sich zwischen dem Parlando (Sprechgesang) des Rezitativs als Träger der dramatischen Handlung und der Arie als Trägerin des Affekts ein starker Kontrast etwickelte, der zu der sogenannten Num­ mernoper führte. Demgegenüber zeigt die Tragédie lyrique das in Kontexte eingebundene Individuum. Dazu gehört ihr Beharren auf dem Wunderbaren, das schon durch seine bloße Präsenz von Anfang an die rationalistische Kritik auf den Plan rief und ein Fragezeichen hinter das Postulat einer wohlgeordneten Welt setzt, denn wäre der gute Ausgang alleine durch richtiges Handeln zu erzielen, brauchte es weder Wunder noch einen deus ex machina. Analog zur antiken Tragödie leistet der Chor die Einbindung in Kontexte und Kollek­ tive und die Gesangsstimme erlangte nie eine der Opera seria vergleichbare virtuose Vereinzelung in der Arie, welche ja dramaturgisch als Zeichen für das Selbstbewusstsein der Figuren steht. Von Lully über Rameau bis zu Rousseau suchte die französische Oper nach einem dem Sprechduktus der französi­ schen Sprache nahen Gesang. Dazu entwickelte sie u. a. häufige Taktwech­ sel im Rezitativ, mit denen sich die Musik dem Sprachfluss anpassen sollte, statt umgekehrt durch regelmäßiges Metrum der Phrasierung der Musik zu­ vorzukommen, wie dies die italienische Librettistik forcierte. Diese Kunst der französischen deklamatorischen Wortvertonung integriert die Arien unauffällig in den durchgängig vom Orchester begleiteten Fluss des instru­ mentalen Satzes, dem seit den Anfängen zentrale Bedeutung beigemessen wurde.811 Wengleich Chöre und Tänze als weitere Signaturen der französischen Oper in Alceste keine Rolle spielen, verschmelzen Wieland und Schweitzer systematisch Elemente beider Paradigmen zu einer dichten musikalischen Textur, die der französischen Oper ebenso viel schuldet wie der italienischen und beide zur Grundstruktur für die in Alceste entfalteten Landschaften der Seele 811 Mit der Verpflichtung auf das Wort scheint Rameaus Ansatz, die musikalische Faktur und Theorie vornehmlich aus der Harmonie, also dem Instrumentalsatz zu entwickeln, zunächst nicht zusammenzupassen. Doch fügt sich dieser Ansatz in die Tendenz der Tragédie lyrique, die Solostimmen musikalisch als integrativen Teil des Gesamtklangs zu betrachten und in­ haltlich, ihre Handlungen stärker als Weltsysteme zu erzählen, in deren Harmonie (oder Ab­ weichung von der Harmonie) sie eingebunden sind.



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verwebt. Eingangs steht die französische Ouvertüre und damit die Tragö­ dienkonzeption gegen Metastasios emblematisches Arienkonzept. Die Rolle der deklamatorischen Wortvertonung war für beide Autoren ein zentrales Anliegen und steht, gerade weil sie sogar das (italienische) Secco-Rezitativ mit semantischer Funktion einbindet, in der französischen Tradition, deren breitere Instrumentierung und häufige Taktwechsel sie verwendet. Mit ihrem Fokus auf dem Rezitativ und der zunehmenden instrumentalen Durchdrin­ gung desselben bzw. Tendenz zum Accompagnato, schließen sich Schweit­ zer und Wieland nicht nur an Glucks Reformopern an, sondern reihen sich in die Grundtendenz der Reformbestrebungen der italienischen Oper (vor allem im deutschen Sprachraum) u. a. durch Traetta und Jommelli seit dem Beginn der 1770er Jahre ein, in die sich auch Mozarts Midridate, re di Ponto (Mailand 1770) einfügt, der bereits sieben Accompagnati enthält. Doch wie Schweitzer die Vielfalt der rezitativischen Kompositionsweisen über die me­ lodramatische Verfahrensweise zu einem emotionalen und psychologischen Ausdrucksmedium der Figuren gestaltet, mithin in eine Landschaft der Seele überführt, das ist seine hervorstechende und genuin innovatorische Leis­ tung.812 Die italienische Gesangskunst in den Arien tritt in dieses feine Wech­ selspiel ein und verbindet sich insbesondere im vierten und fünften Akt mit den Rezitativen zu großen szenischen Komplexen. Mit der starken Chromatik in der Begleitung entfernt sich Schweitzer vom Generalbass. Ähnliches geschieht zuvor in den mit Sturm und Drang ­apostrophierten Symphonien Franz Joseph Haydns (1732–1809) und Carl Philipp Emanuel Bachs. Schweitzer ist jedoch der Erste, der dieses Moment emotionaler Intensivierung – mag man es mit Sturm und Drang oder der Empfindsamkeit belegen – in die Oper überträgt. Haydn selbst sollte dies erst 1779 mit L’isola disabitata vollziehen. Ob er dazu Schweitzers Vorbild benö­ tigte oder nicht, wird nicht zu entscheiden sein, immerhin war ihm zu dieser Zeit der Particelldruck der Alceste von 1774 zugänglich. Mozart jedoch bezog diese Anregung mit ziemlicher Sicherheit aus der Alceste, die er im Gegensatz zu der nur in Esterhaza aufgeführten Oper Haydns gut kannte und sollte sie für seine erste deutsche Oper Die Entführung aus dem Serail (1782)813 überneh­ men um sie später beispielsweise in Cosi fan tutte (1790, ohne die bei Schweit­ zer noch anhaftende barocke Anmutung) zu seiner spezifisch emotionalen Musiksprache zu entwickeln.814

812 Auf das Verhältnis zu Glucks Rezitativsprache wird in diesem Zusammenhang noch ausführ­ lich einzugehen sein. 813 Libretto von Johann Gottlieb Stephanie. 814 Diesen Hinweis verdanke ich Wulf Konold.

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Schweitzers Themenbildung erfolgt vielfach nicht mehr primär über die Singstimme, sondern häufig über die Harmonie.815 Diese Stärkung des Orchesters erweitert – abermals mit Blick auf die französische Oper – das Ausdrucksspektrum des in der melodischen Tradition Hasses stehenden Norddeutschen Singspiels816 grundlegend und beschreitet denselben Weg, den Gluck und später auch Mozart nahmen. Wie zentral das instrumentale Element für Schweitzers Oper war, zeigt die Publikation im Particelldruck, der die Instrumentalstimmen teilweise andeutet.817 Denn für die Dramaturgie der Oper ist das Ausdrucksspektrum der Harmonie auch deshalb so maß­ geblich, da sie sich vom Handeln der Figuren weg- und deren Erleiden zu­ wendet. Wielands Forderung nach einer möglichst knappen Handlung kor­ respondiert dabei mit der Tendenz des Alceste-Stoffes zur Tragödienform. Ohne die Verteilung der Gesangsformen ganz darauf festlegen zu wollen, zeichnet sich ab, dass die für das Dramma per musica konstitutive Tren­ nung von dramatischer Handlung und statischer Emotion (Affekt) in der Arie aufgelöst wird. Indem Alceste eingangs ihre zentrale Handlung in eine Arie nach dem Vorbild der italienischen Opera seria transferiert, Parthenia in ihren virtuosen Arien die Bewegungen der Seele ad extremum vorführt und Admets Verurteilung zur Passivität in seinem großen (einen französischen Vorschlag aufgreifenden) Melodrama sowie in den zahlreichen kürzeren Rezitativ-Passagen realisiert wird, in welchen das Orchester die Emotionen supplementär zum gesungenen Wort beisteuert. Dabei verliert das System der Affekte  – das eine eindeutige Zuordnung von Affekt und Klang und deren Übertragbarkeit auf den Zuhörer suggeriert – zunehmend seine ka­ talogartige Bedeutung. Die Verbindung von Situation, Gesangsstimme und instrumentaler Begleitung lässt Psychogramme der Figuren entstehen, die in den Situationen der Handlung unverwechselbar handeln, reagieren und leiden. Der austauschbare Affekt wandelt sich zum individuellen Gefühl und die Oper zu einer Landschaft der Seelen. Handlungs- und Erleidensfähigkeit der Figuren stehen somit in einem ähnlichen und ähnlich labilen Gleichgewicht, wie das Verhältnis von Eigen­ verantwortlichkeit und Fremdbestimmung, in das Wieland und Schweitzer das Wunderbare integrieren. Admets Genesung wird nicht nur in keiner 815 Weshalb Maurer ihm mangelhaftes Melodievermögen unterstellt. Mauer (1912), S. 55. 816 Vgl. Bauman (1985), S. 33–35. Insbesondere Hiller versuchte in seinen Singspielen so viel von Hasses Arien-Kunst anzubringen, als er seinen Darstellern zumuten konnte. 817 Obgleich damit die Verwendung als Hausmusik und in Folge der merkantile Erfolg der Pu­ blikation eingeschränkt wurde. Schließlich ist nicht zuletzt der Publikationsakt der Alceste und insbesondere die Entscheidung für den Particelldruck, der in Richtung einer Partitur geht, eine dezidierte Anknüpfung an die französische Tradition, zu der der Repertoirebetrieb gehörte, also die Wiederaufnahme und der mit dem Druck verbundene Anspruch einer Werk­ haftigkeit auch der Oper.



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Weise rational aufgelöst, Wieland legte sogar größten Wert darauf, dass der Zuschauer den physischen Tod Alcestes zweifelsfrei annimmt und nicht etwa der Eindruck entsteht, sie sei nur vorübergehend ins Koma gefallen.818 Dem Wunderbaren gegenüber steht der Handlungsspielraum der Figuren, den sie in zwei Richtungen ausloten: nach innen, indem sie die Handlungsoptionen und ihre Folgen bis in die letzte Falte des eigenen wie des Herzens des Part­ ners ausloten, nach außen, indem sie immer wieder an die von Vermögen und Unvermögen der Götter begrenzte Welt stoßen, die gerade keine streng rationalistisch organisierte ist, in der gutes Handeln zwangsläufig mit einem guten Ende belohnt wird.

4.11  Alceste, die paradigmatische Reformoper Das Libretto ist das intertextuelle Kunstwerk schlechthin. Keine andere Gat­ tung verbindet so viele formale und stoffliche Bezüge und greift dabei über in die dramatischen, lyrischen und epischen Gattungen. In Verbindung mit dem Notentext bzw. der Musik und der Szene, sei sie virtuell in den Szenen­ anweisungen oder real in der Inszenierung, wird die Oper zum transmedial alle Gattungen der Kunst verbindenden Musiktheater, das überdies mit Vor­ liebe die Geschichten der Antike in die Gegenwart überträgt und neu erzählt. Damit kommt das Libretto respektive die von ihm (auf der Szene oder im Kopf des Lesers) evozierte Oper bereits als Gattung dem im besten Sinne avant la lettre intertextuellen Wieland’schen Literaturbegriff819 ebenso entge­ gen, wie seiner Vorstellung von einer Weltliteratur.820 Das Libretto ist damit als Gattung gerdezu der Gegenentwurf zur Vorstellung eines Originalwer­ kes,821 und entsprechend scharte Wieland für sein Unterfangen, innerhalb dieses intertextuellen Systems mit dem Alceste-Stoff eine deutsche Oper zu begründen, möglichst viele Gewährsmänner um sich, die die verschiedenen Zeit- und formalen Bezüge in seine Bearbeitung einbringen. Euripides steht dabei für die antike Tragödie, aber auch für eine lebensnahe Figurenzeich­ 818 Vgl. Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1, S. 500. 819 Der Anblick der älteren Alcesten hätte, so Wieland „meine Eigenliebe nicht wenig […] krän­ ken müssen, wenn die Ehre, der erste zu seyn der einen gewissen Stoff bearbeitet, einigen Werth in meinen Augen hätte.“ Über einige ältere t e u t s ch e S i n g s p i e l e   …, Wielands Werke, Bd. 11.1. (2009), S. 89. 820 Der Begriff „Weltliteratur“ taucht bei Wieland um 1790 auf. Vgl. dazu: Klaus Manger: Das Ereignis Weimar-Jena um 1800 aus literaturwissenschaftlicher Sicht. Stuttgart und Leipzig 2005, S.  16. Und: Hans-Joachim Weitz: ‚Weltliteratur‘ zuerst bei Wieland. In: Arcadia 22 (1987), S. 206–208. 821 Was sich faktisch damit deckt, dass es (bis auf eine relativ kurze Phase der venezianischen Oper) vor dem 19. Jahrhundert kaum Originallibretti gab.

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nung, Quinault für die Ausrichtung auf deklamatorische Wortvertonung und gemeinsam mit Metastasio für die Herrschafts-, Liebes- und Funktionali­ sierungsdiskurse um Alcestes Opfer. Metastasio wird über die Librettofom der Opera seria insbesondere in den Arien integriert und sein darin trans­ portiertes rationalistisches Menschenbild in deren formalen Modifikationen verhandelt. Gluck schließlich, der für seine Reformopern822 Orfeo/Alceste/ Armide ebenfalls gezielt Libretti und Stoffe mit möglichst reichhaltiger Gat­ tungsgeschichte aufgriff,823 steht mit seiner Alceste für aktuelle, ebenfalls mit Blick auf die französische Oper vollzogene Reformen, die jedoch durch die Entscheidung für den Chor ein anderes Menschenbild transportieren und deren Partitur im Unterschied zu den meisten italienischen Opern jedem in­ teressierten Zeitgenossen bekannt und vergleichsweise problemlos zugäng­ lich war.824 Schließlich wird auf dem Wege des Essays die deutsche Barock­ oper zum Garant für die Renaissance einer Oper in deutscher Sprache und das Weimarer Experiment der Integration aller sie aufführenden Künstler ins Kultur­leben einer höfisch-bürgerlichen Öffentlichkeit. Alkestis ist ein relativ später Opernstoff, was daran liegen mag, dass keine galante Liebeshandlung erzählt wird und wohl aus diesem Grund gibt es keine Bearbeitung von Metastasio. Dass eine Opernbearbeitung in Euripides’ Drama substanziell eingreifen musste, prädestinierte den Stoff gleichzeitig für eine Verortung der Gattung. So generiert Aureli die Charakteristika seines venezianischen Librettos durch die Dopplung der Handlung und die ausführ­ lich im Argomento begründete Entfernung von der antiken Quelle. Quinault und Lully brachen das Monopol der Tragédie auf antike Stoffe ebenfalls mit der Umwidmung des Stoffes auf das dezidiert moderne Ideal der galanten Liebe und Anklänge an den Fürstenspiegel. Dass Admet, wie bei Euripides, aktiv auf die Suche nach einem Opfer geht und es gar von seiner Gattin an­ nimmt, war allen modernen Bearbeitung fremd, und nicht einmal für Aurelis (und Glucks) reichlich tyrannischen Admet vorstellbar. Das komische Potential der Handlung, das Euripides in Herkules (und Admet) angelegt hatte, gehört zu den zentralen Reformaspekten des Stoffes. Aureli überstäubte außer Herkules alle Figuren damit, Quinault verschob es in die Dienerfiguren und die deutsche Barockoper in Hamburg, Hannover und Leipzig lagerte es ganz in eine komische Figur aus, deren Eleminierung 822 1776 – parallel zur Premiere der französischen Alceste – erschien Du Roullets programmati­ sche Lettre sur le drame-opéra. 823 Wie Dörte Schmidt ausführlich dargestellt hat. Vgl. dies.: Armide hinter den Spiegeln. Lully, Gluck und die Möglichkeiten der dramatischen Parodie. Stuttgart 2001. 824 Der Vorwurf, Wieland habe Glucks Alceste als zentrale Inspirationsquelle gezielt verschwie­ gen, übersieht diesen Umstand ebenso wie Wielands intertextuellen Literaturbegriff. Vgl. Maria Stolarzewicz: Wielands Musikauffassung dargestellt am Beispiel des Singspiels Alceste. Magisterarbeit, Masch. Warschau 2006, S. 40–48.



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schließlich König und Schürmann gelang, womit sie sich der italienischen Reform zur Oper seria anschlossen, aber zugleich mit ersten Anklängen an ein privates und empfindsames Menschenbild bereits über Metastasios spä­ teren825 Rationalismus hinausgriffen. Den nächsten Schritt vollzogen Calzabigi und Gluck, die nach der Bearbeitung des Gründungsstoffs der Gattung für ihre erste Reformoper Orfeo ed Euridice und für die zweite Reformoper 1767826 gezielt den Grün­ dungsstoff der französischen Oper wählten.827 Alceste wurde, auch durch das ihr vorangestellte und von Gluck unterzeichnete Vorwort (das allerdings vor allem aus Calzabigis Feder stammt) zur Druckfassung von 1769 das Werk, an dem sich die Diskussion um die Reformoper besonders im deutschen Sprachraum entzündete und sich mit ausführlichen Besprechungen der Par­ titur u. a. durch Johann Friedrich Agricola (1720–1774) und Reichardt sowie durch Aufführungen in Berlin bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zu einer veritablen deutschen Opernfehde zwischen Verfechtern der italienischen Opera seria metastasianischen Zuschnitts und Glucks Reform steigern sollte. Die Geschichte von Calzabigis 1767er Alceste, für die er sich ausdrück­ lich auf die griechische Vorlage828 beruft, bleibt ambivalent bezüglich der Un­ eigennützigkeit des Selbstopfers der Titelfigur. Calzabigi und Gluck begin­ nen die Handlung vor dem Orakel, das wie bei Aureli und seiner deutschen Übersetzung durch den Mund einer Apollo-Statue dringt und zelebrieren die magischen Elemente Orakel und Beschwörung der Unterweltsgeister durch Alceste als eine oberirdische Ombra-Szene, um die Einheit des Or­ tes nicht zu verletzen. Ihren Entschluss vollzieht Alceste wie bei Quinault ohne Kenntnis Admets; dessen Weigerung ihr Opfer anzunehmen, bildet die zentrale Handlung der Oper. Alceste artikuliert ausdrücklich, dass sie durch 825 Metastasios erstes Libretto La Didone abbandonata wurde 1724 in der Vertonung von Do­ menico Natale Sarro (1679–1744) aufgeführt. 826 Glucks Alceste von 1767 trägt den Untertitel ‚Tragedia in musica‘. 827 Nicht zufällig bearbeitete Gluck später mit Armide direkt ein Quinault-Libretto. Ob Gluck und Calzabigi auch die norddeutsche Tradition der Alceste-Vertonungen kannten, muss hier offen bleiben, scheint aber eher unwahrscheinlich. 828 Euripides beginnt die Handlung am Todestag der Alkestis. Admets Krankheit, das Orakel und Alcestes Selbstopfer, mutmaßlich in Form einer Weihe, liegen in der Vergangenheit und werden berichtet. Alceste stirbt im Laufe des Tages. Wenig später erscheint Herkules. Damit trotz des Trauerfalles das Gastrecht gewährt werden kann, wird ihm von Admet der Tod der Hausherrin mit den bereits beschriebenen sophistischen Kniffen verschwiegen. Herkules isst und trinkt ausgiebig, bis er von einer Dienerin vom Tod der Königin erfährt und bei sich beschließt, sie aus Scham, Dankbarkeit und Freundschaft gegen Admet wieder aus dem Reich der Toten zu holen. Die Unterweltszene wird im Sinne der Einheit des Ortes ausge­ spart. Schließlich bringt Herkules eine verschleierte, stumme Gestalt der Alkestis wieder, die angeblich nach drei Tagen wieder die Alte sein soll – aber man erfährt es nicht genau und die Äußerungen des Chores am Ende lassen zweifeln, ob hier eine Wiederbelebte oder eher eine Untote zurückgekehrt ist.

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ihren Tod die einzigartige Chance bekommt, ewiges Leben im Ruhm der Nachwelt zu erhalten. Diesbezüglich ist Calzabigis und Glucks Erstfassung tatsächlich näher an Euripides als alle übrigen Bearbeitungen. Admet jedoch reagiert befremdlich. Alcestes traurige Stimmung bei seiner Genesung weckt zunächst seine Eifersucht, und als er ihr Opfer erfährt, fährt er sie an, warum sie ihn nicht zuvor um Erlaubnis gefragt habe. Als Ehemann und Besitzer verbietet er Alceste, eigenmächtig über sich zu verfügen. Er wittert ganz richtig, dass Alceste mit dem Ruhm, den sie durch ihr Opfer erwirbt, sein Andenken auf ewig vergiftet. Anders als dem Admetos Euripides’ ist diesem König klar: Ihr Opfer bringt ewige Schande über ihn im Angesicht der Welt. Alcestes Tod wird dadurch angedeutet, dass sie mit den Unterweltgöttern entschwindet und bald darauf mit Apollo aus den Wolken wiederkehrt. Die etwas makabere Geschichte von der Wiederbelebung einer Toten durch den Halbgott Herkules wird als die Handlung des Musengottes (und damit auch als Allegorie der Oper) verklärt, um den Preis kruder Vernachlässigung des eigentlichen antiken Konflikts – wonach die Götter zwar selbst unsterblich sind, aber gerade nicht über Leben und Tod herrschen  – wie er im Zent­ rum von Euripides’ und Wielands Bearbeitung steht. Auch bei ihm stirbt Alceste nur durch den Entschluss, durch eine unspektakuläre Selbstweihe im heimischen Lehnstuhl. Damit gelingt es ihm, dieses Element des Wun­ derbaren, das sogar die Tragédie lyrique ausgespart hatte, mit Gluck wieder in die Oper zurückzuholen. Mehr noch, indem der Vorgang in die Psyche der Figur verlagert ist, kann Wieland den berührenden Sterbevorgang dar­ stellen, ohne dazu auf die Geister der Unterwelt oder den brutalen Vorgang einer sich auf offener Bühne erstechenden Alceste zurückgreifen zu müssen. Auch Wielands Admet ahnt nichts von Alcestes Entschluss, kann ihn nicht verhindern, nur noch ausgiebig beklagen. Alcestes Rechtfertigung, dass sie für Admet sterben will, da sie ohne ihn nicht leben kann und Admet, der einerseits ihre Liebe bewundert, gleichwohl für sich denselben Mechanismus in Anspruch nimmt, bilden den Konflikt der Handlung, der durch Alcestes Argument, er als Mann könne das besser ertragen, sowie durch ihren Tod Ende des zweiten Akts abgebrochen, aber nicht gelöst wird. Was bleibt, ist das parabelhafte Skelett der Fabel. Von allen Kontexten wie Herrschaft, Dy­ nastie und Gesellschaft befreit, sind das neue Fleisch dieser Geschichte die Gefühle der Figuren. „Mein Plan sollte ganz einfach seyn; aber eben darum mußten die rührendsten Situationen, die das Süjet anbot, desto sorgfältiger benutzt werden.“829 Anders als in Gluck/Calzabigis wahrem Geschlechter­ kampf lernen Wielands Figuren im Laufe der Handlung, den Anderen trotz des eigenen Schmerzes schonend zu behandeln. 829 Briefe an einen Freund …, Wielands Werke, Bd. 10.1/1 (2009), S. 494.



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Wielands Alceste ist ein Experiment am offenen Herzen. Das Orakel bil­ det nur noch eine Versuchsanordnung, innerhalb derer die Figuren beobach­ tet werden. Ihre Situation ist hermetisch und auch Parthenia gehört zu dieser Kammerspiel-Konstellation, in der es kein Außen, keine Verhältnisse und damit auch keinen Spiegel für die Sinnhaftigkeit des ablaufenden Dramas gibt. Der einzige in der Partitur vermerkte Diener ist bezeichnenderweise stumm, und erst mit Herkules tritt im dritten Akt jemand hinzu, der die In­ nenperspektive der Figuren etwas objektiviert. Auch der Ort der magischen Ereignisse ist radikal in das Innenleben der Figuren verlagert, indem an die Stelle eines magischen Lokus (Tempel, Grotte) das eigene Herz als Ort der menschlichen Allmacht tritt. Denn dieses Herz ist nicht nur ein empfindsam mitleidendes, es ist auf durchaus verstörende Weise omnipotent und kann den heimischen Lehnstuhl buchstäblich zur Opferstätte machen. Alleine das Musiktheater ermöglicht dem Zuschauer die Beweggründe der Figuren via Affekt direkt mitzuempfinden. So gelingt erst in der Oper eine dramati­ sche Umsetzung der emotionalen Unmittelbarkeit des empfindsamen Brief­ romans, in der der musikalische Ausdruck als „Sprache des Herzens“ vom Herzen der Protagonistin direkt in das des Zuschauers spricht.830 Für den Vollzug des Stellvertretertodes bot die Stoffgeschichte zwei Va­ rianten. Die griechische Antike fürchtete Menschenopfer als Signatur für den Rückfall in barbarische Zeiten und ummantelte gelegentliche Rückfälle in diese Praxis mit aufwendigen Mythen.831 Wielands Alceste berührt diese, wenn sie in ihrer zweiten Arie „Ihr Götter der Hölle“ vom „Todesaltar“ singt, der eine Stätte für Menschenopfer evoziert. Bei Quinault und seinen Bearbeitern ersticht sie sich, geht damit also in Vorleistung, woraufhin Admetus erst ge­ nesen kann. Die alternative, kulturell überformte Variante erzählt Euripides. Hier weiht sich Alceste nur noch den Göttern und stirbt nach gemessener Zeit von selbst. Bei Calzabigi/Gluck wird sie geradezu von den Göttern ge­ holt, und wohl nicht zufällig ist das derselbe Vorgang wie im Volksglauben, wenn sich jemand dem Teufel verschreibt, dadurch das Schicksal beeinflus­ sen kann und schließlich von ihm geholt wird. Diese Alceste kann überdies (obgleich sie keine gebürtige Thessalierin832 ist) noch direkt im heiligen Hain mit den Göttern kommunizieren und wird damit zu einer Schwester der Medea.

830 Kein Zufall ist vielleicht, dass just die prekäre, weil tödliche Empfindsamkeit der Alceste ein knappes Jahr später abermals in einem Briefroman wiederhallt, wenn Goethes Werther ähnlich wie Alceste sein Herz über alles stellt und ihm wie einem kranken Kind keine äußeren Gren­ zen der Willkür mehr zu setzen vermag. 831 Wie im Tantaliden-Fluch das Opfer der Iphigenie. 832 Thessalien galt im antiken Griechenland als das Land der Hexen, die Alceste-Geschichte ist auch so etwas wie ein antikes Schauermärchen.

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In Wielands Epen und Verserzählungen stehen Magie, Wunderbares und Märchenhaftes oft im Zeichen einer Überlieferung, die der Erzähler in zuweilen scherzhaft-ironischem Tonfall übermittelt. Das Moment der Dis­ tanz, des Spielerischen, des Artifiziellen und der wechselnden Perspektiven machen den besonderen Reiz der Texte aus. Dazu bildet Alceste die Anti­ these.833 Herkules mag mit Ironie gezeichnet sein, doch bezüglich der Zen­ tralfigur verträgt das als Gattung der Rührung definierte Musiktheater keine Distanzierung.834 Wieland führt die bei Euripides bereits angelegte Tendenz zur Psycho­ logisierung der Figuren als Versuchsanordnung835 fort, die auf Chor und Nebenfiguren verzichtet. Glucks Behandlung des Chores knüpft hingegen wieder an ältere Verfahrensweisen (Sophokles etwa) an, indem er den Chor als Gegenüber der Figuren stärkt und damit den antiken Festspielcharakter in die Oper zurückholt. Die Entstehungszeit von Calzabigi und Glucks sowie Wieland und Schweit­ zers Alcesten bis hin zur Wende zum 18. Jahrhundert ist ein großes Experi­ mentierfeld der Operngattungen. So realisierte etwa Piccinni mit Catone in Utica (Mannheim 1770) ebenfalls eine Reform der Opera seria mit Blick auf die französische Oper, jedoch ohne Chöre. Eine Tendenz, die alle Reformen durchzieht, ist die Entwicklung hin zu ständeübergreifendem Personal. Komische, also niedere und volkstümliche Figuren treten neben heroischen Figuren auf und nicht selten macht sich dabei der – teilweise noch als Kastraten- oder Hosenrolle konzipierte – hohe Herr lächerlicher als der schlaue Buffo. Ein zentrales Problem dieser Opera se­ miseria (der halbernsten oder sentimentalen Oper) tut sich für die Komponis­ ten auf, wenn die mit verschiedenen musikalischen Sprachen ausgestatteten Figuren, also komische (buffi) und ernste (serie oder semiserie), zu Duetten oder Ensembles zusammenkommen. Noch Mozart schlug sich mit diesem Pro­blem herum,836 um später mit Schikaneder den komischen Papageno und die ernste Pamina in der Zauberflöte (1791) zum Duett in der volkstümlichen im Sinne einer ständeübergreifenden Melodie „bei Männern welche Liebe fühlen“ zusammenzuführen, die gleichwohl das entscheidende textliche Credo der Zauberflöte enthält: „Mann und Weib und Weib und Mann/ Rei­

833 Rosamunde hingegen zeigt in der Figur der Königin wieder Ironiesignale, und eine den epi­ schen Texten vergleichbare Haltung zeigen die komischen Opern Das Urtheil des Midas und Pandora. 834 Zum Begriff der Rührung, vgl. Stolarzewicz (2012), S. 27. 835 Vgl. Krämer (1998), S: 216: „jenseits der Gefühlsebene bleibt das Stück daher relativ abs­ trakt“. 836 Beispielsweise in Mozarts La finta giardiniera (München 1775).



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chen an die Gottheit ran“837. Schweitzers Figuren sind zwar durchweg ernste Figuren und haben insofern keine derart weite Kluft zu überbrücken, doch auch hier treffen traditionelle Seria-Figuren und Singspiel-Figuren aufeinan­ der und vermögen auf der Basis von Wieland und Schweitzers ihre Ele­ mente bereits verbindender Opernsprache erfolgreich zu kommunizieren. Die Autoren konzipieren dazu einen gegenläufigen Weg zu Opéra comique, Opera buffa und deutschem Singspiel. Hiller hatte, u.  a. in Nachfolge zu Goldoni und Piccinnis La buona figliuola, seinen den unteren Schichten ent­ stammenden Heroinen mäßige Koloraturarien gegeben, um ihren Seelenadel zu verdeutlichen. Diese Aufwertung durch Mittel der ernsten Oper bleibt bis weit in die 1780er Jahre die dominante Verfahrensweise.838 Gleichwohl gibt es wenigstens ein Beispiel für den umgekehrten Weg, das Wieland und Schweitzer geläufig war, weil 1770 in Weimar uraufgeführt (und später auch im Repertoire der Seyler’schen Truppe), Anna Amalia gewidmet und weit­ hin als ein Prototyp des Norddeutschen Singspiels gepriesen.839 In Weisses und Hillers Die Jagd singt der König mit dem einfachen Dörfler Michel ein Duett in Form eines Liedes. Wenngleich dieses durch das Inkognito des Kö­ nigs als Jagdgesell als wahrscheinlich motiviert ist, war diese Verfahrensweise 20 Jahre vor der Zauberflöte so innovativ, dass sie noch bei Reichardt in seiner ansonsten hymnischen Besprechung der Jagd ein Jahr nach Erscheinen der Alceste auf völliges Unverständnis stieß: „Wie aber nun Michel und der König zum Duetto zusammen kommen, das weis der Mann im Monde. […] der König singt wie der Bauer, und der Bauer wie der König“840. In Alceste bewegen sich die Figuren vom heroischen Duktus auf ein ernstes, ständeunabhängiges Ideal zu, das weder adelig noch bürgerlich ist, sondern idealtypisch für die Verbindung von Adel und Bürgertum an Anna Amalias Musenhof steht. Dazu müssen weder adelige Figuren durch volks­ tümliche Töne verbürgerlicht werden, noch werden Figuren unterer Stände durch Koloraturarien geadelt. Vielmehr verschmilzt die Form der Opera se­ ria mit dem Singspiel zu einem idealen Ort außerständischer, rein mensch­ licher Kommunikation. „Die breite außerhöfische Rezeption“841 der Alceste beweist, wie gut den Autoren dieses Ziel geglückt ist, denn Alceste schlug eine Brücke zwischen adeligen und bürgerlichen Ständen,842 indem sie von

837 Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte. Serie II (Bühnenwerke) Bd. 19. Gernot Gruber und Alfred Orel (Hg.) Kassel u.  a. 1970, S. 125–126. 838 Beispielsweise in Erwin und Elmire von Goethe und André. Vgl. Hartmann (2004), S. 66–67. 839 Etwa durch Reichardt: Über die deutsche komische Oper nebst einem Anhange eines freund­ lichen Briefes über die musikalische Poesie. Hamburg 1774/Repr. München 1974. 840 Ebenda, S. 81. 841 Krämer (1998), S. 208. 842 Wie viele der französischen Opéras comiques.

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beiden Seiten her anschlussfähig war.843 Alceste exemplifiziert diesen Prozess in ihren Arien, die entsprechend die größte Bandbreite aufweisen. Parthenia äußert sich (wie Herkules) zwar solistisch mitunter in langen Bravourarien, doch ist sie nicht nur im Rezitativ der empfindsamen Sprache mächtig, sie vermag auch musikalisch auf Admets empfindsame Argumentationsweise einzugehen. Da alle Figuren mehrsprachig angelegt sind, respektive die mo­ derne empfindsame Opernsprache beherrschen, können die Figuren trotz ihrer unterschiedlichen Verortung und der Ausdrucksweise, die sie an den Tag legen, wenn sie alleine sind, erfolgreich miteinander kommunizieren. Darin liegt das gesellschaftliche Ideal, das Wieland und Schweitzers Alceste vorstellt, nicht etwa in Alcestes Opfer. Letzteres ist ein unlösbares Dilemma, ein empfindsames Experiment, darstellbar überhaupt nur im Medium der empfindsamen Oper, bei der das Wort mit der Musik aufgeht in die Sprache der Gefühle und höchstens in einem nachfolgenden Rezitativ wieder von der Ratio eingeholt wird. Die Magie und das Wunderbare sind aus den großen Zusammenhängen von Reich und Schicksal übersetzt in die privat gewor­ dene Psyche der Figuren. Alcestes Opfer ist der empfindsame Extremfall, man könnte auch sagen: eine Neurose. Eine, die gottlob und Herkules sei Dank einigermaßen glimpflich ausgeht, die aber zum Glück weder ein Gott noch ein Volk zur Nachahmung empfehlen.

4.12  Zur Rezeption844 Nach Bauman war die Marchand’sche Truppe in Frankfurt die erste, die Al­ ceste im Winter 1774 aufführte.845 Versteht man darunter den Winter 1773/74, so könnte Goethe die Aufführungen gesehen haben, bevor oder während er Die Leiden des jungen Werther schrieb.846 Schweitzer berichtete später847, der Ver­ leger und erste Komponist Goethes, Johann André habe sich ursprünglich um die Herausgabe des Particelldruckes der Alceste beworben,848 was Goethe bei seiner engen Beziehung zu André zu dieser Zeit natürlich wusste. Alceste 843 Und die durchaus nicht einseitig oder auch nur schwerpunktmäßig auf die höfische Sphäre ausgerichtet ist, wie Krämer dies aus der Perspektive des Norddeutschen Singspiels darstellt. Vgl. ebenda (1998), S. 208 und S. 212–213. 844 Zum Komplex der Parodien vgl. Krämer (1998), S. 254–260. 845 Leider gibt Bauman keine Quelle an. Vgl. Bauman (1985), S. 111. 846 Vom 1. Februar bis Ende April 1774. 847 Brief an Bertuch vom 4. Juni 1775, Vgl. Maurer (1912), S. 73. 848 Wieland schrieb den Particelldruck der Alceste 1773 im dritten Heft des Teutschen Merkurs zur Subskription aus. Vgl. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 80–81 und S. 498. Im selben Heft erschien auch Die Wahl des Herkules. Vielleicht wurde Goethes kritische Reaktion auch davon befeuert, dass die Anfrage seines Freundes André, Alceste im Druck herauszugeben, von Schweitzer überhaupt nicht beantwortet worden war.



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dürfte somit Gegenstand so mancher Diskussion der zu dieser Zeit gemein­ sam an Goethes erstem Singspiel Erwin und Elmire Arbeitenden gewesen sein. Die Reaktionen849 auf die ersten Aufführungen der Alceste in Weimar wa­ ren praktisch durchweg positiv. Der Almanach der deutschen Musen schrieb 1773: Man muß dieses Singspiel hören, um sich dann davon zu überzeugen, daß Herr Wieland seinen anderen unsterblichen Verdiensten auch nun den Ruhm eines deut­ schen Metastasio hinzugefügt hat. Herr Schweitzer, auf den wir, wie auf Hiller und Rolle stolz seyn, ihn einem Trajetta und anderen neuen italienischen Singkompo­ nisten entgegenstellen können, hat die Musik dazu verfertiget.850

Der Verweis auf Traetta ist insofern bemerkenswert, als dieser wie Piccinni zum Kreis der Mannheimer Reformoper gehört, und mit der Orientierung u. a. am Accompagnato-Rezitativ der französischen Tragédie lyrique und Al­ garottis Opernkritik einen vergleichbaren Weg beschritt wie Schweitzer und Gluck, allerdings wie Letzterer etwa in Sofonisba851 mit Chören arbeitete.852 1779, im Kontext der Aufführung der Alceste im Münchner Karneval, merkt der Zuschauer in Baiern an: „Die Musik hat ungemeine Schönheiten, ob sie schon im Zusammenhang kein harmonisches Ganzes auszumachen scheint. Es herrscht oft so viele Kunst darin, die Gedanken sind zu gedrängt, wel­ ches die schöne Einfalt der Natur an manchen Orten entstellt.“853 Wenig verwunderlich wäre, wenn die Oper in Anbetracht der zu dieser Zeit rasch voranschreitenden Entwicklung der Gattung sechs Jahre nach ihrer Entste­ hung altmodisch erscheinen mochte. Doch der vermutlich an die italienische Oper gewöhnte Rezensent kritisiert just die verstärkte Rolle des Orchesters in der Alceste, das ihm zu dick aufgetragen erschien, was abermals zeigt, wie innovativ Schweitzers Verfahren 1773 war, wenn es noch 1779 Irritationen hervorrief, obgleich sich die Entwicklung der Oper genau in diese Richtung bewegte. Vermutlich Schubart selbst hatte bereits 1775 in der Deutschen Chro­ nik anlässlich der Schwetzinger Aufführung ebenfalls die üppige Orchestrie­ rung bemängelt: „Ueberdas ist die Begleitung der Stimmen so stark, daß die beste Menschenstimme nicht selten drinn ersäuft.“854

849 Weitere Besprechungen erschienen u.  a. in: Ernst Christoph Dressler: Gedanken, die Vorstel­ lung der Alceste, ein ernsthaftes Singspiel betreffend. Frankfurt und Leipzig 1774; Briefe, die Seilersche Gesellschaft und ihre Vorstellungen betreffend. Frankfurt a. M. 1777. 850 Zit. nach Maurer (1912), S. 20. 851 Mannheim 1762. 852 Vgl. Jörg Riedlbauer: Trajettas Sofonisba in Mannheim. In: Mozart und Mannheim (1991/1994), S. 81–85. 853 Zit. nach Maurer (1912), S. 23–24. 854 72. Stück, S. 576.

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Im September 1774 erhielten Wieland und Schweitzer aus Mannheim Nachricht von einer geplanten Aufführung der Alceste. Wielands Antwort an von Klein vom 20. September spiegelt wieder, wie ehrenvoll die Aufführung für beide Autoren war und ist ein eindrucksvolles Dokument dafür, wie re­ flektiert der Librettist die kompositorischen Mittel des Komponisten begreift und hier als Dramaturg agiert: Meine natürliche Offenherzigkeit erlaubt es mir nicht Ihnen die große Freude zu verbergen, die Sie mir durch die Nachricht machen, daß meine Alceste diesen Win­ ter an dasigem Hofe aufgeführt werden soll. Beynahe kan ich es nicht glauben. Sind Sie auch gewiß, daß es Meine und meines Schweizers  – und nicht die vom Ritter Gluck componierte italiänische Alceste ist? […] Indessen, so vortreflich diese Composition auch ist, so kömmt doch alles auf die Ausführ ung an. Es ist nicht genug daß Alceste, Parthenia, Admet und Herkules durch gute Sänger und Sänge­ rinnen vorgestellt werden: diese Sänger müßen auch vortrefliche S ch a u s p i e l e r seyn. Sie müßen alles was sie singen, f ü h l e n ; müssen von diesem Gefühl ganz durchdrungen seyn; müßen die Kunst der Gradationen und Schattierungen verste­ hen; müßen, um alles mit Einem Worte zu sagen, sich völlig in die vorzustellende Person ve rwandeln können. […] Die Recitative sind darinn eben so interessant, und beynahe noch interessanter als die Arien. Aber die herrlichsten Stellen würden verlohren gehen, wenn sie nicht mit dem gehörigen Geist, Nachdruk und Gefühl recitiret würden; oder wenn die Instrumente, die keine Note zu machen haben, welche nicht etwas zum Ausdruk beytrüge, nicht mit der äußersten Accuratesse zu dem gemeinschaftlichen Zweck mitarbeiteten.855

Im selben Brief gab Wieland noch genaue Anweisungen bezüglich der Kos­ tüme: Die Kleidungen der beyden Sängerinnen müssen m o d e r n G r i e ch i s ch seyn, ohne Reifröcke, so prächtig man nur will, und je pittoresker je besser. Die heutige Griechische Damen Kleidung ist wenig von der Altgriechischen verschieden; auch kömmt es hierbey weniger auf die ängstliche Beobachtung des antiken Costums als auf die Erfindung einer idealischen Kleidung an, welche gut in die Augen fällt und ein schönes Tableau macht. Herkules muß wie ein antiker Kriegsheld geklei­ det seyn, und einen Helm mit einem großen Federbusch tragen; die Löwenhaut, die ihm statt des S a g u m s dient, bezeichnet ihn als dann hinlänglich. Admeten würde ich lieber moder n g riechisch als romanisch (wie mans nennt) gekleidet sehen.856

In der Kleidung spiegelt sich Wielands Konzept einer modernen Antike, die tradierte Elemente (die griechische Frauenkleidung) mit modernen und klassizistischen Elementen verbindet mit dem Ziel, eine moderne Antike zu 855 WBr Bd. 5, S. 293–294. 856 Ebenda, S. 294–295.



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entwickeln, die kein archäologisches Konstrukt ist, sondern ein „idealischer“ Vorschlag für die Gegenwart. Die Mannheimer Hofkapelle war eines der besten Orchester Europas. Für sie überarbeitete Schweitzer die Partitur zu der im deutschen Sprach­ raum breit rezipierten Fassung. Beflügelt von der erfolgreichen Aufführung der Alceste auf dem Schlosstheater in Schwetzingen am 13. 8. 1775 gründete sich am 13. 10. 1775 in Mannheim die Kurpfälzische Deutsche Gesellschaft, die Wieland am 14.  November 1776 zum auswärtigen Mitglied erwählte. Ein bereits am Tag nach den Schwetzinger Aufführungen verfasster Bericht von Kleins über die Aufführungen erreichte Wieland erst Anfang Dezember 1775 und enthielt offenbar bereits den Auftrag zu einer neuen Oper für Mannheim gemeinsam mit Anton Schweitzer.857 Wie begeistert Carl Theodor von Alceste war, zeigt nicht nur der ehren­ volle Auftrag an die Autoren, sondern dass er Alcste zu seiner Namenstags­ oper für dasselbe Jahr erwählte. Die Aufführung war geplant für den 7. No­ vember, wurde jedoch wegen des Todes von Christian IV. von Zweibrücken (1722–1775) abgesagt und am 22. November 1775 auf dem Mannheimer Hoftheater gegeben858 und ist in ihrer Bedeutung und Symbolkraft kaum zu überschätzen. Vor bis zu 5000 adeligen, hochadeligen und gekrönten Häup­ tern wurde zum ersten Mal seit dem Verklingen der deutschen Barockoper eine Oper in deutscher Sprache präsentiert und dies nicht etwa als Kuriosum oder aus dem Geiste des Norddeutschen Singspiels von auf das Hoftheater promovierten Schauspielsängern wie in Weimar, sondern von den Mitglie­ dern der Mannheimer Hofoper. Mehr noch: Die Mannheimer Namenstags­ oper zu schreiben, bedeutete für jeden zeitgenössischen Komponisten einen Ritterschlag und war der Auftrag, den Mozart sich so sehnsüchtig wie ver­ geblich erhoffte.859 Offenkundig war Carl Theodor mit seiner Begeisterung für Alceste nicht alleine. Bis auf eine entstanden alle der überlieferten Manuskriptabschriften der Alceste in den folgenden Jahren und gehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das Material der Schwetzinger und Mannheimer Auf­ führungen zurück. Vermutlich wurden sie im Nachgang der Aufführung als Namenstagsoper von anderen Höfen aus Mannheim erbeten. Alceste blieb über knapp zehn Jahre eine der meistgespielten Opern in Deutschland860 und wurde zwischen 1775 und 1797 in allen großen Städten 857 Der Brief ist nicht überliefert. Wielands Antwort. Vgl. WBr Bd 5, S. 452. 858 Gesandtschaftsberichte Riaucour. In: Staatsarchiv Dresden, Sign.: Loc. 2628, Bd. 28, 1775, Brief Nr. 514. 859 Anton Schweitzer dürfte die Bedeutung durchaus bewusst gewesen sein, doch in Wielands Korrespondenzen haben die Aufführungen erstaunlicherweise keine Spur hinterlassen. 860 Vgl. Krämer (1998), S. 202–203.

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des deutschen Sprachraums aufgeführt. Darunter bereits ab 1774 in Leipzig und durch Marchand in Frankfurt, ab 1775 in Altenburg, Luzern, Schwetzin­ gen, Mannheim, Dresden, konzertant in Königsberg ab 1776 sowie in Go­ tha, und ab 1777 in Köln und konzertant in Danzig; Breslau und München ab 1779, Berlin (unter Döbbelin) ab 1780, Hamburg und abermals Leipzig und Mannheim am Nationaltheater ab 1780 und ab 1782 in Prag, Nürnberg, Fürth und konzertant in Magdeburg. Neustrelitz und Passau folgten 1783, Bozen und Wien 1784, Kassel und Mainz 1785 und abermals Prag 1792. Dessau bildet 1797 das Schlusslicht.861 In Mannheim wurde der Alceste 1783 überdies die Ehre zuteil, mit der Schlussszene für eine Porzellanfigur der Frankenthal-Porzellan Manufaktur Modell zu stehen. Die Figurengruppe zeigt den Moment, in dem Herkules der wiedergebrachten Alceste den Schleier abnimmt und Admet zwischen Zurückschrecken und Freude verharrt.862 Wegen der anspruchsvollen Ge­ sangspartien, die nur wenige Schauspieltruppen wie die Marchand’sche863 re­ alisieren konnten, wurde sie jedoch häufig in konzertanten Aufführungen mit Kapellsängern gegeben und teilte diese Aufführungstradition unter anderem mit den Opern Glucks.864 Zu jenen Stimmen, die sich gegen Alceste in Frontstellung brachten, ge­ hörten neben Goethe Joseph Martin Kraus und Johann Friedrich Reichardt. Der Komponist Kraus eiferte 1776 in Göttingen dem Hainbund nach, als des­ sen vitale Phase bereits vorüber war. Nachdem er 1777 (!) Wielands Agathon feierlich verbrannt hatte, ergriff er die Gelegenheit, Wieland mit der Schrift Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777865 auf eigenem Terrain anzugreifen, indem er eine vorgebliche Unnatürlichkeit des Textes und jene Elemente der Musik kritisierte, die sich an der italienischen Opera seria orientieren respek­ tive Schweitzers Verwendung rhetorischer Formeln. Überdies war Kraus ein Schüler Kleins,866 der mit Wieland seit 1777 einen erbitterten Zwist ausfocht und dessen zweite Oper Rosamunde in Flugschriften verunglimpfte. Kraus’ Vorstellung vom Musiktheater ist zwar eine grundsätzlich andere, wenn er (als Anhänger Klopstocks) Stoffe der nordischen Mythologie empfiehlt, doch geradezu absurde Züge erhält seine Kritik angesichts der vorangestellten pro­ grammatischen Überlegungen zur Oper, die sich über Strecken wie eine Para­ phrase auf Wielands Versuch über das Teutsche Singspiel lesen. 861 Vgl. Krämer (1998) Bd. II, S. 860, und Ilse Marie van der Bent: Music in the Life and Works of Christoph Martin Wieland. Diss. Masch. Univ. of Cincinnati 1975, S. 34. 862 Vgl. Klaus Hortschansky: Musiktheater in Mannheim als gestelltes Bild. In: Mozart und Mannheim (1991/1994), S. 71. 863 Deren Kernrepertoire auch die französische Opéra comique bildete. 864 Vgl. Bauman (1985), S. 111. 865 Anonym: Frankfurt a. M. 1778/Repr. München 1977. 866 Krämer (1998), S. 219.



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Reichardt hatte, wie Goethe, vor allem Wielands ausführliche Selbstre­ zension im Teutschen Merkur aufgebracht. In seiner Besprechung des 1774er Particelldruckes in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek 1778 (!) wirft er dem Werk „Fehler und Mängel“867 vor; aber auch, dass es sich so deutlich von dem nach seiner Einschätzung vorbildhaften Typus Weißes und Hillers abgrenzt, ohne eindeutig an Gluck anzuschließen. Neben einigen nachvollziehbaren Anmerkungen zur Prosodie geht er so weit, Wieland und Schweitzer auch jene Elemente der Handlungsführung vorzuwerfen, die sowohl Euripides’ als auch Glucks Bearbeitungen aufweisen (etwa den schwachen Charakter Admets und das Lieto fine). Dass für beide Kritiken (ähnlich wie für Goethes) außerhalb der Oper liegende Aspekte eine maßgebliche Rolle spielen, ergibt sich aus der erstaun­ lich späten und passgenau auf außerästhetische Zwiste folgenden Reaktion.868 Obgleich der Particelldruck der Alceste bereits im Frühjahr 1774 erschienen war, erschienen beide Rezensionen erst 1777/78. Zu dieser Zeit gehörte nicht nur Alceste zu den meistgespielten Werken im deutschen Sprachraum, sondern die Vorbereitungen für die zweite Oper der Autoren direkt für das Mannheimer Hoftheater waren zwischenzeitlich bekannt und bei einer er­ folgreichen Premiere zu befürchten, dass auch Rosamunde Namenstagsoper werden und den Ruhm Schweitzers als im doppelten Wortsinne erster Kom­ ponist der deutschen Oper zementieren würde. Mit Günther von Schwarzburg hatten Klein und die Fraktion der Klopsto­ ckianer (zu der auch Kraus gehörte) zum librettistischen Gegenangriff im Kampf um die Nationaltheaterbestrebungen Carl Theodors von der Pfalz in Mannheim angesetzt, und die Komponisten bezogen überdies ihre Stel­ lungen im Ringen um die begehrte Kapellmeisterstelle an der Nationaloper Joseph II. in Wien. Hinzu kam, dass Benda soeben im Zwist mit Schweitzer Gotha verlassen hatte und sich offiziell in Wien bewarb. Reichardt heiratete just 1777 dessen Nichte Juliane Benda (1752–1783), die überdies noch die Schwester von Wolfs Gattin in Weimar war. Bei Reichardts verspäteter Rezension handelte es sich also um massive Schützenhilfe sowohl für den von Schweitzer bedrängten bzw. sich bedrängt fühlenden Wolf869 in Weimar wie für Georg Benda, und nicht zuletzt war Schweitzer ganz unabhängig von 867 Allgemeine deutsche Bibliothek 1765–1796. Alceste von Wieland und Schweitzer […]. Bd. 33 (1778), 2. St., S. 307–335, hier: S. 307. 868 Die sonst so gut die historischen Kontexte informierte literaturwissenschaftliche und musik­ wissenschaftliche Forschung hat diese Ursachen der Kritik an Alceste bisher praktisch voll­ ständig übersehen. Erst jüngst hat Bodo Plachta wieder ausführlich die Wirkensgeschichte der Wieland/Schweitzerschen Alceste referiert, ohne die Urteile der Zeitgenossen kritisch zu hinterfragen. Vgl. ders. (2013), S. 138–154. 869 Den kurz darauf auch noch Goethe für den von ihm protegierten Philipp Keyser (1755– 1823) aus dem Amt drängen wollte.

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den ästhetischen Differenzen auch ein direkter Konkurrent von Reichardt und Kraus auf dem Gebiet des deutschen Singspiels. Schweitzer schließlich war um 1777 eine Größe, an der niemand, der sich mit einer deutschen Oper befasste, vorbeikam. Wieland war der Librettist, den die großen Komponis­ ten umwarben und der bis auf Schweizter allen einen Korb gab – selbst dem verehrten Ritter Gluck.

4.12.1  Wechselwirkungen mit Christoph Willibald Glucks Opernreform Lange Zeit galt Glucks Opernreform als zentrale und weitgehend soli­ tär stehende Erscheinung in der Operngeschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Besonders die ältere Forschung – von der Jahrhundert­ wende bis in die 1960er Jahre – neigte dazu, eine Genealogie von Gluck (mitunter sogar von der deutschen Barockoper) bis hin zu Wagners Mu­ sikdrama aufzustellen und Wieland und Schweitzer darin als erste deutsche Oper in der einen oder anderen Weise zu verorten.870 Hinzu kommt, dass Gluck lange Zeit vor allem von seinen Reformopern her betrachtet und dabei unterstellt wurde, dass diese in aufsteigender Linie auf einen klar umrissenen Typus zustreben, mit den Stationen Orfeo (Wien 1762), Alceste (Wien 1767), Iphigénie en Aulide (Paris 1774), Armide (1777), Iphigénie en Tau­ ride (Paris 1779). Dass Gluck sich zwischen 1760 und 1770 (unter ande­ rem!) auch immer wieder mit dem Typus der Opera seria nach Vorlagen u. a. Metastasios auseinandergesetzt hat,871 wurde bei dieser Betrachtungs­ weise ebenso ausgeblendet, wie seine zahlreichen Beiträge zur Opéra co­ mique.872 Gerhard Croll hat hingegen die neuere Forschung so zusammen­ gefasst: „Beides wäre verfehlt: die ‚Reform der Oper‘ durch Gluck als einen gradlinig-konsequent durchgeführten Prozeß in seinem Schaffen nachwei­ sen zu wollen, oder ein festes Datum für ihren Beginn anzugeben.“873 In Glucks Ezio (Wien 1763/64) stehen Arien, die den virtuosen Bravourarien Schweitzers ähneln, es wird also auf das in der Vorrede zur Wiener Al­ ceste verworfene Schema zurückgegriffen und das in der Zeit gebräuchliche

870 Exemplarisch sei verwiesen auf Hermann Kretschmar: Geschichte der Oper. Leipzig 1919, S.  217–220; Abert (1989), S.  74–77. Selbst bei Maurer steht Gluck als Vergleichsposition beständig im Hintergrund. 871 So überarbeite er beispielsweise seinen 1750 für Prag enstandenen Ezio nach einem Libretto Metastasios erneut 1764 für Wien. 872 Zur Frage der ‚Reform‘ vgl. Croll in MGG² Bd. 7, Sp. 1147–1151. 873 Ebenda, Sp. 1147.



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Idiom für eine Opera seria verwendet.874 Um 1772/73 waren Gluck und Calzabigis Opern nur ein Weg unter zahlreichen, die die italienische Opera seria zu reformieren versuchten und die aktuelle Gluck-Forschung befasst sich gezielt mit den Wechselbezügen der verschiedenen Opernreformen, die tendenziell alle aus derselben, u.  a. an Algarottis Kritik geschulten Motivation heraus entstanden und sogar in eine ähnliche Richtung streb­ ten, dabei jedoch eine breite Straße bzw. ein verzweigtes Wegenetz bilden.875 Allen diesen Reformansätzen war jedoch eines gemeinsam: Sie waren Reformen der italienischen Oper. Wielands Reformanspruch generiert sich je­ doch ganz wesentlich dadurch, eine deutsche Oper (wieder) zu etablieren, die bezüglich ihrer artifiziellen Qualität den besten Werken der italienischen Opera seria gewachsen sein sollte. Anders als Gluck, Traetta, Piccinni und weiterer kämpften Wieland und Schweitzer nicht gegen eine bestehende Struktur an, sondern mussten erst eine entwickeln. Wieland kannte die 1769 im Druck erschienene Partitur der Wiener Al­ ceste nachweislich ab 1771.876 Während die Forschung praktisch einmütig die Vorbildfunktion der 1767er Alceste Glucks für Wieland annimmt,877 wird der Einfluss von Wielands Oper auf die knapp drei Jahre später entstandene Pa­ riser Fassung der Oper des Ritters nicht erwogen oder gar, wie durch Krämer in der Nachfolge von Einstein, kategorisch abgelehnt.878 Zu Wielands und sicherlich auch Schweitzers Auseinandersetzung mit Calzabigi und Glucks Alceste sowie den sie begleitenden programmatischen Texten kommt hinzu, dass alle vier ihre Reformen auf dieselben Theoretiker, namentlich Algarotti und Dubos, gründen und den Anspruch erheben, wieder direkt auf die Eu­ ripideische Quelle zurückzugreifen – Analogien und direkte Einflüsse müs­ sen sich daher vermischen. Gleichwohl sind die Ähnlichkeiten zwischen der italienischen Fassung und Wielands Alceste – wie dargestellt – recht überschau­ bar, im Gegenteil die konzeptionellen wie kompositorischen Unterschiede so deutlich, dass der einmütige Hinweis auf Gluck insbesondere in der älteren Forschung befremdet. Es gibt dafür eigentlich nur eine Erklärung: Selbst heute ist vor allem Glucks französische Fassung der Alceste präsent – für die 874 Selbstverständlich spielen dabei neben den Erwartungen des Publikums auch die Fähigkeiten und Erwartungen der Sänger eine zentrale Rolle. 875 Wie u.  a. der Vortag von Jörg Krämer und die Diskussionen auf dem internationalen Gluck-Kongress in Nürnberg 2008 gezeigt haben. 876 An Sophie La Roche am 18. August 1771. Dieser Brief ist die früheste namentliche oder indirekte Nennung von Gluck seitens Wieland, gleichwohl kann man getrost davon ausgehen, dass Wieland Glucks Opernschaffen schon deutlich früher zur Kenntnis genommen hat. WBr Bd. 4, S. 335. 877 Exemplarisch sei verwiesen auf Einstein (1987), S.  134–135; Krämer (1998), S.  210, und zuletzt besonders detailliert Stolarzewicz (2006, S. 40–48), die die These vertreten, Wieland schulde Glucks respektive Calzabigis Vorbild mehr als Euripides’. 878 Vgl. Krämer (1998), S. 229. Einstein (1987), S. 134–135.

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ältere Forschung könnte man gar unterstellen, dass mancher von der italie­ nischen Fassung vor allem das Vorwort kannte, ihre volle Gestalt aber nicht vor Augen und Ohren hatte. Aufgeführt wurde sie vor den 1980er Jahren so gut wie nicht und die erste Ton-Aufnahme stammt von 1999.879 Nun sind aber die Ähnlichkeiten der französischen Fassung von 1776 zu Wieland und Schweitzers Oper deutlich stärker ausgeprägt als zur italienischen, wie im Folgenden im Einzelnen dargestellt werden soll. Der Verweis der Forschung ist also abermals ein Anachronismus und belegt im Gegenteil die These einer wechselseitigen Beeinflussung von Glucks und Wielands Alcesten Wien 1767/ Weimar 1773 (Schwetzingen 1775)/Paris 1776. Erst mit den Pariser Fassungen beginnt sich Glucks Reformoper lang­ sam gegen andere Reformversuche durchzusetzen und zu dem heute allge­ mein als Gluck’scher Operntypus geläufigen Phänotyp zu formieren. Dies gilt insbesondere für die Annäherung von Rezitativ und Arien zu szenischen Komplexen und für die Begleitung der Rezitative durch obligate Instrumente. Zentral für Wielands Wahrnehmung war offenbar die Iphigenie en Aulide (Paris 1774)880 und eventuell die französische Fassung des Orfeo (ausdrücklich er­ wähnt Wieland jedoch lediglich Orfeo ed Euridice im Brief an Philipp Kayser [1755–1823]881), denn während in den Briefen an einen Freund … Gluck noch als ein Reformer unter vielen gar nicht erwähnt wird, setzt Wieland ihn im 1775 publizierten Versuch gleich eingangs in die Reihe der großen Deutschen Komponisten „Kayser, Telemann, Händel, Hasse, Graun, Bach, Gluck“882, stellt ihn als den in Aussicht, der unter den Komponisten sein könnte „was M i ch e l - A n g e l o unter den Mahlern“883 und lässt seine später im selben Jahr erschienene Fortsetzung in einer wahren Apotheose Glucks gipfeln. Endlich haben wir die Epoche erlebt, wo der mächtige Genie eines Gluck dieses große Werk unternommen hat, das – wofern es jemals zu stande kommen kann – durch einen Feuergeist wie der Seinige gewürkt werden müßte. Der große Succeß seines Orpheus und Eurydice, seiner Alceste, seiner Iphigenia, würden alles hoffen laßen, wenn sich nicht unüberwindliche sittliche Ursachen, gerade in jenen Hauptstätdten Europens wo die schönen Künste ihre vornehmsten Tempel haben, seinem Unter­ nehmen entgegensezten!884

879 Drottningholm Theartre Chorus and Orchestra unter Leitung von Arnold Östmann. Naxos 1999. 880 In der Sammlung von Anna Amalia vorhanden, vgl. Dreise-Beckmann (2005), S. 216. 881 WBr Bd. 5, S. 553. 882 Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 308. 883 Ebenda, S. 319. 884 Versuch über das Teutsche Singspiel  …, Fortsetzung. Wielands Werke, Bd.  12.1 (2009), S. 334.



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Wielands Skepsis angesichts der langfristigen Chancen des Gluck’schen Mo­ dells ist insofern bemerkenswert, als Glucks Gegenpartei den erbitterten Wi­ derstand erst im Verlauf des kommenden Jahres 1776 mit der Berufung Pic­ cinnis nach Paris formierte. Offenbar hatte der rege Zeitungsleser Wieland die Zeichen bereits im Vorfeld erkannt und es ist gut möglich, dass Gluck zu seiner brieflichen Bitte um ein Libretto an Wieland Mitte Mai 1776885 auch von diesen jüngsten Beiträgen im Teutschen Merkur ermuntert wurde. Die Rezitative der italienischen Alceste sind (abgesehen vom direkten Zu­ sammentreffen mit den Göttern in Gestalt des Hohepriesters beim Opfer und von Alceste an die Götter der Unterwelt beim Betreten der Höhle im zweiten Akt) entweder secco oder nur von den Streichern begleitet. Obligate Bläser sind in dieser Fassung noch eine Seltenheit, etwa beim ersten Wieder­ sehen Alcestes mit Admet mit der Akzentuierung ihrer Ausrufe höchster Bedrängnis durch die Flöte (und die Oboe für Admets Befehlston),886 sowie bei der Verabschiedung Alcestes von den Kindern.887 Ähnlich verfährt Gluck in ­Paride ed Elena (1770), der letzten Zusammenarbeit mit Calzabigi. Erst in Iphigenie en Aulide treten die Bläser auch in Klytemnestras Auf­ schrei angesichts der bevorstehenden Opferung der Iphigenie hinzu und später beim Auftreten der Diana. Diese beiden bläserbegleiteten Passagen ähneln Schweitzers Rezitativen jedoch insofern, als hier rezitativischer Ge­ sang und eingreifendes Orchester sich stärker abwechseln. Das ist sicher kein Zufall, denn diese beiden Szenen bieten sich nicht nur von ihrer dramati­ schen Anlage her besonders für eine melodramatische Verfahrensweise an, sondern sind möglicherweise sogar gezielte Anklänge an das Melodrama im Kontext der Entstehungsgeschichte. Ansonsten unterscheidet sich Glucks und Schweitzers Rezitativgestal­ tung vor allem dadurch, dass Gluck die Rezitativbegleitung ruhiger und gleichmäßiger mit der Singstimme führt. Dramatische Akzentuierungen in den kurzen Pausen der Singstimme kommen zwar vor, doch ballen sie sich nicht so stark zu dramatischen Clustern. Schweitzers instrumentale Rezita­ tivbegleitung ist weniger stark ein Grundmodus (wie bei Gluck), sondern verfolgt jeweils unterschiedliche dramaturgische Ziele. Dazu gehört auch der abrupte, zumeist sprechende Wechsel innerhalb eines Rezitativs. Insofern sind die Schweitzer’schen Rezitative von stärkerer Variabilität, Dramatik und Plastizität. Glucks Rezitative haben in ihrer Begleitung einen stärker melodi­ 885 Der Brief selbst ist nicht erhalten, doch muss er zwischen dem 10. und 25. Mai bei Wieland eingetroffen sein. Vgl. WBr Bd. 6.3, S. 1540. 886 ‚Adorata consorte‘. III. Akt, Szene 5. Alceste. Tragedia per Musica in drei Akten von Rainero de’Calzabigi. Gerhard Croll (Hg.). Kassel u.  a. 1988, S. 300–306. 887 Ebenda, S. 360–366.

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ösen Fluss. Der Unterschied lässt sich durchaus treffend mit den ansonsten eher stereotypen Begriffen einer klassischen/klassizistischen Rezitativbeglei­ tung für Glucks Verfahrensweise und einer empfindsamen respektive tref­ fender noch sturm-und-drängerischen Rezitativbehandlung bei Schweitzer beschreiben. Im deutlichen Unterschied zu den vorangegangenen Opern verwendet in der Pariser Fassung der Alceste etwa die Hälfte der Rezitative Bläserbeglei­ tung. Reines Secco gibt es nicht mehr. In Schweitzers Alceste stehen 10 reine Secco-Rezitative 15 Accompagnati gegenüber, von welchen 9 bläserbeglei­ tet sind. Diese Zählung ist freilich nur eine grobe Übersicht, da Schweitzer mitunter innerhalb der Rezitative die Instrumentierung wechselt, darunter charakteristisch besonders der zweimalige Wechsel vom vollstimmigen Ac­ compagnato zum kontrastiven Secco. Zu den bläserbegleiteten Accompag­ nati gehören u. a. Alcestes große Sterbeszene und Admets umfangreiches Melodrama, gegenüber den teilweise eher kurzen Secco-Rezitativen, so dass sich in etwa ein Verhältnis von wenigstens 50% vollstimmig bzw. bläserbe­ gleiteter Rezitative ergibt. Ob und wenn ja, wo Gluck Schweitzers Oper vor der Überarbeitung der Pariser Fassung der Alceste auf der Bühne gesehen hat, ist nicht festzu­ stellen. Während der Schwetzinger Aufführungen war er krank und hielt sich in Wien auf.888 Gleichwohl darf man getrost davon ausgehen, dass Gluck nicht nur Wielands Libretto, die Abhandlungen im Teutschen Merkur, der meistgelesenen Zeitschrift der Aufklärung und frühen Klassik, und einige der zahlreichen Beschreibungen und Berichte der Weimarer Aufführungen kannte, sondern ihm auch Schweitzers Musik zugänglich war, insbesondere der Particelldruck, der bereits weitgehend systematisch die Bläsereinsätze in den Rezitativen verzeichnet. Wieland antwortete am 20. September 1773 auf den Brief Kleins, in dem dieser ihm in einem bereits auf den 20. August datierten Schreiben eine Aufführung der Alceste in Mannheim bzw. Schwetzingen zunächst für den Winter 1774 angekündigt hatte. Wenn die Anfrage an Schweitzer etwa zum selben Zeitpunkt erfolgte, wovon auszugehen ist, dann lag das Material sicher bereits vor, als Gluck Mitte Oktober über Mannheim und Schwetzingen zu­ rück nach Wien reiste. Dass er bei dieser Gelegenheit von der geplanten Auf­ führung und den damit verbundenen Hoffnungen für die Idee eines auch die Oper einschließenden Nationaltheaters erfahren hat, darf angenommen wer­ den. Die zweite Parisreise führte Gluck über Karlsruhe, wo er mit Klopstock zusammentraf, dessen Hermanns Schlacht ihn bereits seit 1773 beschäftigte, deren Komposition jedoch nie fertiggestellt werden sollte. Sehr wahrschein­ 888 Vgl. MGG² Bd. 7, Sp. 1130.



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lich ist daher, dass beide, vor allem aber Gluck889 das Mannheimer Musikthe­ aterprojekt stark interessierte, zumal der Karlsruher Hof am Mannheimer Theaterleben teilnahm und bereits nach Erscheinen des Librettos mit über­ schwänglicher Begeisterung reagiert hatte. Ring schrieb am 9. Februar 1773: Kaum hat man mir so viele Zeit gelaßen, daß ich Ihre vortrefliche Alceste flüchtig durchlesen und hin und wider etwas anstreichen konnte […] Ein Mann wie Sie sind über alles Recensiren erhaben und müßen nur gelesen, empfunden bewundert und geliebet werden. Zu diesem Endzwecke geht Ihre Alceste seit dem ich sie aus mei­ ner Umarmung entlaßen müßen, von Hand zu Hand unter unsern Fürsten ­herum und noch ist sie bey Ihro Durchl. dem Herrn Bruder Serenissimi. Ihren Brief, der dieses mir so sehr angenehme Geschencke begleitet hatte, haben Serenissima Se­ renissimo in meiner Gegenwart gleich nach Überreichung des Paquets, das ich auf Befehl hatte erbrechen müßen, von Wort zu Wort und von einem Ende bis zum andern vorgelesen. Das Resultat ware, daß man vieles zu Ihrem Lobe sagte und versicherte, wann Weimar nur so weit als etwa Manheim, wo man oft der Opera zu gefallen sich incognito einfindet, von Carlsruhe entfernet läge, wir alle kommen und Ihre Alceste mit bewundern helfen würden. Vielleicht sind wir einmal so glücklich, wenigstens die Musik davon, die ohnezweifel gedruckt werden wird, durch unsere Capelle epequieren zu hören.890

Wenigstens den Particelldruck der Alceste hatte man sich dort also zweifellos zukommen lassen. Ferner könnte Gluck Einblick in die Wiener oder die Pariser Partitur­ abschriften bekommen haben.891 Die Entscheidung der Frage, ob man für den vermehrten Einsatz der Bläser im Rezitativ just ab der Pariser Fassung von Glucks Alceste eine direkte Inspiration durch Schweitzer annehmen kann, oder es sich um eine Analogie von seltener zeitlicher Kohärenz handelt, sei der künftigen Gluck-Forschung überlassen. In diesem Zusammenhang ist vor allem eines von Bedeutung: Dass Schweitzer nicht nur mit seiner Rezi­ tativbehandlung in dieselbe Richtung arbeitet wie Gluck, sondern ihm dabei gar noch ein halbes Jahr vorauseilt und somit unter Beweis stellt, was ihm die Musikgeschichte über mehr als zwei Jahrhunderte abgesprochen hat: dass er nicht nur ein qualitätvoller, sondern darüber hinaus ein ausgesprochen inno­ vativer und origineller Komponist gewesen ist.

889 Klopstocks Vorbehalte gegenüber Wieland sind hingegen hinlänglich bekannt. 890 WBr Bd. 5, S. 76. 891 Die beide auf die spätere Fassung der Partitur zurückgehen und wie das Berliner Exemplar teilweise Aufführungsvermerke tragen.

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4.12.2  Die empfindsame Reformoper – von Calzabigi und Gluck zu Wieland und Schweitzer, von Wieland und Schweitzer zu Du Roullet und Gluck Ähnlich schwierig wie die zeitliche und programmatische Beschreibung der Gluck’schen Reformoper ist ihre personelle. Ist der Komponist Gluck auch die konstante Größe, arbeiten mit ihm doch verschiedene Autoren mit zum Teil auch recht unterschiedlichen Ansätzen. Calzabigi hatte von ihnen zweifelsohne das größte Selbstbewusstsein, formulierte er doch in der berühmten Widmung der Wiener Alceste eine strenge Unterordnung der Musik unter die Dichtung. Im Oktober 1772 ver­ öffentlichte der Diplomat an der französischen Botschaft in Wien, Du Roul­ let, im Mercure de France einen offenen Brief an die Direktion der Pariser Opéra und empfahl Gluck, der zugleich Dichter und Musiker sei und „der unser eigenes französisches Rezitativ perfekt deklamiert“892 als Komponisten einer französischen Oper, die beweisen könne, dass die (von Rousseau) verung­ limpfte französische Sprache sehr wohl für den Gesang geeignet sei. Als Li­ bretto stellte Du Roullet seine Bearbeitung von Racines Iphigenie en Aulide vor, die anderthalb Jahre später tatsächlich Glucks erste französische Reformoper werden sollte. Gluck selbst legte in einem Schreiben an die ­Herausgeber des Mercure im Februar 1773 seinen bisherigen Weg bei der Reform der italie­ nischen Oper dar, verpflichtete sich dabei auf die Nachahmung der Natur (die zentrale Position des Klassizismus) und lud überdies keinen Geringeren als Rousseau zur gemeinsamen Suche nach einer der französischen Sprache angemessenen Melodie ein, mit der zugleich „der lächerliche Unterschied der nationalen Musikstile überwunden werden könnte“893. Gluck formuliert also das für Opernkomponisten des deutschen Sprachraums (zu denen er gehört) typische Ideal des vermischten Geschmacks, der allerdings angesichts der von ihm gewählten Paradigmen ein einigermaßen unlösbares Unterfangen sein musste. Diese Dokumente flankieren den Entstehungsprozess der Wieland’schen Alceste, der Briefe an einen Freund … und später des Versuchs über das Teutsche Singspiel. Die Premiere der Iphigenie wurde ein Triumph, über den im Mercure und im Journal des Beaux-Arts ausführlich berichtet wurde. Wieland war also im Bilde. Sogar Rousseau zeigte sich so begeistert, dass er Gluck auf dessen Bitte hin Tipps zur Umgestaltung der Alceste gab.894 892 Zit. nach: Croll. In: MGG² Bd. 7, Sp. 1128. Gluck hatte dies u.  a. mit seinen Beiträgen zur Opéra comique unter Beweis gestellt. 893 Zit. nach ebenda, Sp. 1128. 894 Vgl. Rousseau: Musik und Sprache (1984), S. 191–210. Freilich stieß er Gluck wenig später vor den Kopf, indem er sich (grundlos) dessen Besuche mit der sarkastischen Bemerkung



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Die zweite Produktion mit Du Roullet stand zunächst unter einem we­ niger glücklichen Stern. Aus den Briefen zwischen Gluck und Du Roullet wird deutlich, welch hohen Anteil der Komponist an der Umgestaltung des Librettos hatte. Unterschiedliche Positionen gab es vor allem wegen des dritten Aktes, den Du Roullet (nach dem Vorbild der Tragédie lyrique) in einer Apotheose der Künste enden lassen wollte.895 Die Premiere fiel durch, insbesondere wegen des 3. Akts, woraufhin Gluck seinen bereits im Brief von 31. Januar 1776 mit Verweis auf Euripides geäußerten Vorschlag wieder aufnahm und die Figur des Herkules in die Handlung einführte. In dieser, von Gluck später als gültige Form autorisierten Fassung, ging das Stück ver­ mutlich am 10. Mai 1776 erstmals über die Bühne und setzte sich nach und nach durch. Die sich opfernde Alceste verändert sich in Glucks Werk deutlich von der italienischen zur französischen Fassung. In der italienischen Fassung von 1767 (I/5) reagiert Alceste auf den Orakelspruch mit einem langen Rezitativ, in dem sie reflektiert, dass jedem sein Leben teuer ist und das Selbstopfer eine so ungeheuerliche Tat, dass man sie von niemandem erwarten kann. Ihr Entschluss reift langsam und selbst für den modernen Zuhörer gut nachvoll­ ziehbar. Wenn sie sich am Ende des Rezitativs dazu entschließt, dann in dem Bewusstsein, etwas nie Dagewesenes zu vollbringen, das ihr ewigen Ruhm verschaffen wird und damit das Kostbarste, was ein Mensch nach antikem Verständnis erlangen konnte: „Ei vuol che Alceste/ un magnanimo esempio oggi assicuri/ alle spose fedeli a’ dì futuri“896. In der darauf folgenden Arie „Ombre, larve, compagne di morte“897 erläutert sie diesen Entschluss, der jedoch erst vier Szenen später vollzogen wird (II/2). Ganz anders Wielands Alceste. In der Arie „Ihr Götter der Hölle“ wird dieser Vorgang bekanntlich auf die kurze rezitativische Wendung „er ist ge­ fasst“898 (bezogen auf den Entschluss) verknappt und die alles entscheidende Aktion der Oper in die Arie verlagert, die damit das klassische Schema der reflektierenden Da capo-Arie zugleich zitiert und von innen aufbricht. In der Pariser Fassung von 1776 (I. Akt/5. Szene) modifiziert Gluck diesen Vorgang grundlegend: Nun erwägt auch hier Alceste in einem knap­

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verbat, er könne nicht verantworten, dass Gluck seine schwache Gesundheit mit den drei Stockwerken bis zu seiner (Rousseaus) Wohnung belaste. Vgl. Sabine Henze-Döhring, Artikel Alceste. In: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 2 (1987), S. 443. Er [der Gott, Anm. T.H.] will, dass Alceste/ heute ein großmütiges Vorbild gebe für alle künftigen getreuen Gattinnen. Gluck: Alceste (1767/1988), S. 158–171. Wieland: Alceste I/2, Nr. 2, T. 53.

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pen Rezitativ899, dass sich niemand für Admet opfern wird, „De l’amitié, de la reconnaissance j’espérerais en vain un si pénible effort. Ah! L’amour seul en est capable! Cher époux! Tu vivras, tu me devras le jour“900. Nicht nur die ungeheure Geschwindigkeit, in der Alceste sich entscheidet, hat ihr Vorbild bei Wieland, sondern auch die Wortwahl, mit der die folgende Arie diesen etwas andersartigen Triumph der Liebe über den Tod mit den Argumenten von Wielands Alceste besingt: „Ohne dich, wie könnt ich leben?/ O Ge­ liebter sage, wie?“901 als „non ce n’est point un sacrifice! Eh! Porrais je vivre sans toi? Sons toi, cher Adméte!“902  – ein Argument, das in II/3 wieder­ kehrt.903 In der Wiener Fassung fehlt eine solche Argumentation gänzlich. Im darauf folgenden Rezitativ der Pariser Fassung weiht Alceste sich den Göttern, der Priester bestätigt, dass das Opfer angenommen wurde, und an­ schließend folgt die berühmte Arie „Divinités du Styx“904, die vielleicht nicht zufällig eine genaue Übersetzung von „Ihr Götter der Hölle“ ist. Wielands nur 19 Verse lange Version bleibt zwar noch immer die weitaus radikalere Lösung, die den magischen konsequent zu einem psychologischen Vorgang transformiert, doch findet die Arie „Ihr Götter der Hölle“ unverkennbar ihr Echo in der dramaturgischen Verdichtung der Szenen I/5 bis II/2 der 1776er Fassung. Glucks Rezitativ und Arie bilden dramaturgisch den ersten Teil der Wielandarie ab, das Rezitativ „Vernehmt mich, ihr Richter der Welt“ („Arbîtres du sort des humains“905) stimmt funktional und textlich mit „euch weyh ich mein Leben“906 überein, während bei Wieland Alceste selbst singt: „Sie habens vernommen“, tut das bei Du Roullet/Gluck der Priester mit den Worten „Dein Gebet ist erhört“ („Tes destins sont remplis“907). Für den Schluss der Pariser Fassung griff Gluck ebenfalls teilweise Wielands Lösung auf, denn Herkules kommt bekanntlich weder in Calzabigis Version der Geschichte noch in der Pariser Erstfassung Du Roullets vor.908 899 Gluck: Alceste/Alkestis, Musikdrama in drei Akten von Le Blanc du Roullet, Pariser Fassung von 1776. In: Ders.: Sämtliche Werke, Abteilung I: Musikdramen, Bd. 7, von Rudolf Gerber (Hg.). Kassel 1957, S. 109–111. (Die deutsche Übersetzung folgt, wenn nicht anders angege­ ben, dieser Ausgabe, hier jedoch die wörtliche Übersetzung von Hendrik Müller.) 900 Umsonst würde ich von der Freundschaft, von der Dankbarkeit eine so beschwerliche An­ strengung erhoffen. Ach, die Liebe allein vermag es. Geliebter Gatte! Du wirst leben, du wirst mir den Tag verdanken. 901 Wieland: Alceste II/3, Nr. 5a, T. 38–42. 902 Nein, es ist kein Opfer! Ah! Leben sollte ich ohne dich? Ohne dich liebster Admet? 903 ‚Ich liebte nie für mich das Leben‘. Gluck: Alceste (1957), S. 133. 904 Ebenda, S. 123–131. 905 Ebenda, S. 117–118. 906 Wieland: Alceste I/2, Nr. 2a, T. 78–84. 907 Gluck: Alceste (1957), S. 119. 908 Erst 1774 war die meinen Recherchen zufolge erste deutsche Übersetzung von Euripides Alkestis erschienen, eine französische Übersetzung existierte bereits seit den 1750er Jahren.



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Erst in der Pariser Fassung von Glucks letzter Hand erscheint er plötzlich in III/2 mit folgenden Worten: „Après de longs travaux entrepris pour la gloire, l’implacable Junon me laisse respirer“909. Wieland ließ ihn drei Jahre zuvor sa­ gen: „Die Sonne neigt sich. Müd’ und ruhbedürftig/ Betret ich deinen wohl bekannten Vorhof,/ Gastfreyes Hauß!“910 und „Rastlos treibt mich zwar,/ Der unversöhnbarn Juno alter Groll“911. Obgleich Gluck gegenüber Du Roullet bereits am 31. Januar 1776 Her­ kules mit Verweis auf Euripides erwähnt, ist Wieland eindeutig das Vorbild, denn gerade dieser Topos fehlt bei Euripides, dessen Herkules munter von künftigen Taten plappert. Genau wie bei Wieland in III/2 durch Parthenia erfährt er in der Pariser Fassung durch Evandre, Coryphée und den Chor ziemlich geradeaus und ohne die Euripideischen Gelage und Täuschungs­ manöver vom Selbstopfer der Alceste und beschließt ihre Rettung. Genau wie bei Wieland, dessen Herkules seine erste Arie mit den Worten endet: „So schließe hier am Abend seiner Tage,/ Die Freundschaft ihm die Augen zu.“912 und Admet zusichert „Freund, zweifle nicht!/ Was Herkules verspricht/ Das wird er halten!“ ist die pure Freundschaft (nicht die Dankbarkeit für die Gastfreundschaft Admets respektive die Scham, sich in einem Trauerhaus besoffen zu haben) das zentrale Motiv auch von Glucks Herkules: „Reposez vous sur un ami sensible“, also: „vertraut auf einen empfindsamen Freund“.913 Doch die sprachlichen Befunde reichen noch weiter. In „Ihr Götter der Hölle“ besingt Alceste am Ende des B-Teils den „Todesaltar“. Der Begriff ist eine Wortschöpfung Wielands, die jedoch, anders als viele der Wortschöp­ fungen aus den Shakespeare-Übersetzungen,914 nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist. Im Grimms Wörterbuch ist der Begriff nicht verzeichnet, obgleich es dort etwa einen „Todesadler“ gibt. Gibt man den Begriff in einer führenden Internet-Suchmaschine ein, ergeben sich le­ diglich zwei Fundstellen. Die eine ist Wielands Alceste und die zweite bezieht sich auf Glucks Pariser Fassung. Dort taucht der Begriff in der 3. Szene des III. Aktes in Alcestes „Grands Dieux! Soutenez mon courage!“ als „l’autel de la Mort“ auf, nachdem kurz zuvor bereits Coryphée ihn gegenüber Her­

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Vielleicht auch deshalb wollten Gluck und seine Librettisten sich ursprünglich enger an Eu­ ripides’ Gang der Geschichte orientieren. Nach langen Ruhmesfahrten, lässt mich die unversöhnliche Juno Atem schöpfen. Gluck: Alceste (1957), S. 260–261. Wieland: Alceste, Akt III/1, Nr. 8, T. 1–5. Ebenda, Nr. 9, T. 22–24. Ebenda, Nr. 8a, T. 61–80. Gluck: Alceste (1957), S. 263–264. Vgl. dazu Kyösiti Itkonen: Die Shakespeare-Übersetzungen Wielands (1762–1766). Ein Bei­ trag zur Erforschung englisch-deutscher Lehnbeziehungen. Yyveskylä 1971.

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cule verwendet hatte.915 Der Begriff ist weder in Le Grand Robert de la langue Française noch in Trésor de la langue Française verzeichnet und in Calzabigis Text sucht man vergeblich nach einem derartigen Begriff oder sprachlichen Bild, es kann daher nur aus Wieland Libretto stammen. Wie Wieland reduzierte auch Gluck in der Pariser Fassung die Neben­ figuren und ließ die Kinder nur noch stumm agieren. Während Alceste in der italienischen Fassung Admet noch darum bittet, nicht mehr zu heiraten und er tatsächlich einen Schwur darauf leistet (III/2), die dynastische Zukunft der Kinder damit also gesichert ist, spielt dies in der französischen Fassung – wie bei Wieland – keine Rolle mehr und die Kinder sind ebenfalls nur noch Projektionsfläche für den Trennungsschmerz Alcestes und die Schuldgefühle Admets. Gluck hatte offenbar erkannt, dass, Chor hin oder her, beide Refor­ mopern-Ansätze eine Oper anstrebten, die als Musiktheater ein dem Sprech­ theater der Zeit vergleichbares Maß an darstellerischer Natürlichkeit haben und den Zuschauer – im Sinne von Lessings Mitleids-Dramaturgie – unmit­ telbar betroffen machen sollte und er betrachtete Wieland und Schweitzers Vorschlag offenbar als mustergültig. Gleichwohl setzte Gluck der Innerlich­ keit seiner Zentralfigur(en) das Kollektiv des Chores entgegen und handelte sich damit ein letztlich unlösbares Spannungsverhältnis ein, das Wieland mit seiner konsequenten Ausrichtung der Oper als Kammerstück und Theater einzelner Individuen vermied. Indem beide Ansätze auf eine reichhaltige Stoff- und Gattungsgeschichte rekurrieren und eine Dramaturgie der Einfühlung und Authentizität verfol­ gen, handeln sie sich strenggenommen einen performativen Widerspruch zwischen dem intertextuellen Spiel und dem eigenen Authentizitätsanspruch ein. Dass Schweitzer überdies für die Vertonung mit den prädefinierten Be­ deutungen der Gesangsformen, also prozessual erzählt, verstärkt in seiner Alceste einerseits sogar noch diese Spannung, knüpft andererseits Musik und Libretto zu einer gemeinsamen Dramaturgie zusammen, da sie beiden inhärent ist. Allerdings gehört dieser performative Widerspruch grundlegend zur Gat­ tung Oper, die als intertextuelles Kunstwerk nicht nur auf der text­lichen Ebene kaum originale Libretti kennt,916 sondern auch auf der musikalischen bevorzugt Anleihen und Bezüge zu anderen zeitgenössischen Werken her­ stellt917 und überdies von Monteverdi bis Verdi mit Vorliebe prozessual er­ 915 Gluck: Alceste (1957), S. 271–279, hier: S. 279. 916 Die barocken Libretti bis hin zu Metastasio kokettieren hingegen geradezu mit ihren Abwei­ chungen vom Original. 917 In welch hohem Maße das just für den von der Romantik als Originalgenie verklärten Mo­ zart gilt, zeigen die glücklicherweise zunehmenden Aufführungen von Werken aus Mozarts Umfeld. Sie zeigen, dass Mozarts Genialität tatsächlich weniger in der Erfindung, als in der Überformung der von ihm vorgefundenen Motive und Strukturen lag.



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zählt.918 Virulent wird diese Spannung aber erst, als die Oper mit dem Postu­ lat der authentischen Einfühlung auftritt – also mit Wieland/Schweitzer und Calzabigi/Du Roullet/Gluck. Die Kritik von Kraus an der Alceste könnte man in der Tat in diese Richtung lesen, doch sollte sich die Oper noch über das gesamte 19. Jahrhundert damit herumschlagen.919 Denn wie die Reakti­ onen und der Erfolg der Alcesten (sowohl in Deutschland als auch in Frank­ reich) zeigen, war dem zeitgenössischen Publikum diese Funktionsweise der Oper offenbar so geläufig, dass zumindest kein aktiver Dechiffrieraufwand erforderlich war, der die Einfühlung gestört hätte. Die aktuelle Theater- und Medienpraxis zeigt überdies, dass auch das heutige Publikum keinerlei Prob­ leme damit hat, Intertextualität und Einfühlung zu verbinden. Der zentrale Unterschied von Wieland und Schweitzers Alceste zu beiden Fassungen von Glucks Oper liegt im Verhältnis von Innerlichkeit und Ge­ sellschaft. Wie Euripides zeigen Calzabigi und Gluck, noch stärker später Du Roullet und Gluck Menschen, die in Verhältnisse und Kollektiva eingebettet sind. Die Chöre und Nebenfiguren sind es, die die Handlung berichten, von ihnen erfährt der Zuschauer bei Gluck, dass Admete ein großartiger König, geradezu ein Vater für seine Untertanen ist (womit, nebenbei, das Herrscher­ programm des aufgeklärten Absolutismus umrissen wird). Doch der Chor flieht sofort (wie die Dienerfiguren bei Aureli und Quinault/Franck), als er das Orakel vernimmt, und die Königin bleibt allein zurück. Im perspektivi­ schen Wechsel zum Verhalten der Untertanen wird Alcestes unerhörte Tat plastisch und doppelt kostbar, weil sie auch für das Volk vollbracht wird, dessen Wohlleben dadurch fernerhin gesichert bleibt. Freilich liegt hier auch die zentrale Problematik der Konzeption, indem einmal durch die Anwe­ senheit des Volkes und vor allem durch die abschließende Sanktionierung durch Apollon die Opferbereitschaft der Frau zum gesellschaftlichen Vorbild erhoben wird. Indem Alceste sich in der Zweitfassung zudem nicht mehr mit Blick auf Ruhm und Unsterblichkeit und den Fortbestand der Dynastie opfert, sondern deutlich selbstloser nur aus Liebe zum Ehemann, überneh­ men Gluck und Du Roullet zwar ein zentrales Moment von Wieland, doch weil der Chor dabeisteht, alles sieht, kommentiert und lautstark applaudiert,

918 Auf Händel und Mozart wurde in diesem Zusammenhang bereits verwiesen, für Verdis Otello (1887) hat Uwe Schweikert diese Verfahrensweise mehrfach ausführlich beschrieben. Vgl. u.  a. Otello. In: Verdi Handbuch. Anselm Gerhard und Uwe Schweikert (Hg.). 2. Auflage, Stuttgart 2013, S. 542–543. 919 Die sich in gewisser Weise in der Kluft zwischen wissenschaftlich korrekter Musizierweise und der Aktualisierung durch das sog. Regietheater fortsetzt.

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präludiert Gluck damit auch die positiv sanktionierten, rückhaltlosen und vor allem gegenleistungsfreien Frauenopfer in der Oper des 19. Jahrhunderts.920 Während Wielands empfindsame Liebesdefinition und Menschenbild deutlich ihren Niederschlag in Glucks Pariser Fassung fanden, steht der fehlende Chor bei Wieland und Schweitzer respektive seine marginale Rolle der Gluck’schen Reformoper diametral gegenüber, bildet dramaturgisch und inhaltlich einen Gegenentwurf und ist geradezu die Voraussetzung für die Darstellbarkeit des Opfers der Alceste: Wieland misstraute den großen Kollektiven und Systemen mit ihrem Wankelmut genauso wie dem Pathos der Weltrettung. Seine Hoffnungen ruhten auf dem Individuum, dem auf­ geklärten Herrscher, dem herausragenden Künstler, der liebenden Frau, der mitleidenden Schwester, dem treuen Freund und dem empfindsamen Mann.

4.12.3  Glucks Bitte um ein Libretto Am 22. April erreichte Gluck die Nachricht vom Tod seiner geliebten Nichte und Ziehtochter Nanette (ca. 1759–1776). Gluck wandte sich am 10. Mai an Klopstock mit der Bitte um den Text zu einer Trauerode. Wahrscheinlich zeitgleich schrieb er an Wieland mit derselben Bitte. Durch Alceste hatte sich der Autor komischer Versepen, Romane und Märchen, den der Hainbund als Urheber von Texten (bzw. deren weiblicher Figuren) von fragwürdiger Moral bekämpft hatte, für Gluck eindeutig als ein Dichter empfohlen, welcher der Klage um eine geliebte junge Frau den adäquaten Ausdruck zu geben ver­ mochte. Leider reichte Wieland die Anfrage jedoch an Goethe weiter (der dem Gesuch auch nicht nachkam).921 Offenbar hatte Gluck bereits in seiner Bitte um eine Trauerode angedeu­ tet, dass er gerne ein Libretto von Wieland vertonen würde. In seiner Ant­ wort vom 13. Juli 1776 schrieb Wieland nach einer längeren Entschuldigung dafür, dass weder er noch Goethe mit dem erbetenen Text auf Nanette zurande kamen: Ich habe Augenblicke, wo ich eifrig wünsche, ein lyrisches Werk hervorbringen zu können, das werth wäre, von Gluck Leben und Unsterblichkeit zu empfangen. Zu­ weilen ist mir auch, ich könnt’ es. Aber dieß ist nur vorübergehendes Gefühl, nicht Stimme des Genius. Ueberdieß fehlt es mir an Sujets, die zugleich dem lyrischen Drama anpassend wären, und eine große Wirkung thun könnten. Vielleicht, liebster Ritter Gluck, kennen Sie eines, daß Sie ausgeführt sehen und alsdann bearbeiten 920 Jürgen Schläder: Die sinnlos süßen Opfer und ihre Verklärung. Frauenrollen in Verdis Opern seit 1850. In: Die Wirklichkeit erfinden ist besser. Opern des 19. Jahrhunderts von Beethoven bis Verdi. Hanspeter Krellmann und Jürgen Schläder (Hg.). Stuttgart 2002, S. 278–290. 921 Vgl. WBr Bd. 5, S. 524.

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möchten. Irre ich nicht hierin, so theilen Sie mir Ihre Gedanken mit, und ich will versuchen, ob ich die Muse noch einmal geneigt machen kann. Einmal war mir Antonius und Cleopatra stark im Kopf und Herzen – aber, wenn ich mich auch hineinarbeiten könnte, so ist dieß wenigstens kein Sujet für Wien; wo dieser Exzeß von Liebe, wie ich nicht zweifle, zu anstößig gefunden würde. Die drey größten Sujets, Orpheus, Alceste und Iphigenia, haben sie schon bearbeitet – und was ist nun noch übrig, das Ihrer würdig wäre?922

Gluck ließ sich vom lakonischen Tonfall des Briefes nicht beirren und ant­ wortete am 7. August 1776: Ihre Muse, liebster Wieland, wird Ihnen nie untreu, es sey denn, Sie wollten es selbst […]. Anstatt Ihren Antonius sammt seiner Cleopatra zu vergeßen, vergeßen Sie lieber den Gedanken, daß man diesen Exceß von Liebe zu Wien, wo jetzt ohnehin keine deutsche Oper ist, anstößig finden dürfte. Ich würde mit Vergnügen nach und mit Ihnen arbeiten, wenn Sie mir Ihre Poesie schicken wollten […]. Nur bäte ich, statt der sonst gewöhnlichen Confidenten, Chöre einzuführen, der Römer von Antons Seite, und der ägyptischen Weiber von Seite der Cleopatra.923

Wieland schob vor, mit Antonius und Cleopatra seinen ohnehin prekären Ruf (als erotischer Dichter) nicht vollends ruinieren zu wollen. Möglicherweise fürchtete er auch, dass eine Oper aus seiner Feder in Wien in Weimar Ver­ stimmungen auslösen könnte. Zwei weitere Briefe werfen aber noch ein an­ deres Licht auf die nicht zustande gekommene Zusammenarbeit zwischen Wieland und Gluck. Am 29.  Juli berichtete Wieland Lavater von einem Brief des Gluck-Jüngers Philipp Kayser aus Zürich, des Jugendfreundes von ­Goethe und späteren Komponisten von dessen Scherz, List und Rache. Hr. K ay s e r hat mir dieser Tage ein freundlich [sic!] Brief geschrieben, auf den ich ihm in einem sehr kalten Augenblick geantwortet habe. Ich habe einen Pik auf alle Musiker, die mir nichts von Schweitzers Alceste sagen. Gluck ist ein sehr großes, herliches Genie  – aber Schweizer ists nicht minder, und seine Composition der Alceste verdient dem größten was jemals gemacht worden, wenigstens an die Seite gesetzt zu werden.924

Wieland erkannte Glucks Genie also durchaus, doch er empfand die Zu­ sammenarbeit mit Schweitzer als ideal und machte sich keinerlei Illusionen ­darüber, dass eine funktionierende Zusammenarbeit von Librettist und Komponist nur möglich war, wenn beide auch in räumlicher Nähe leben. Überdies zeigt die bereits zitierte Äußerung gegenüber dem Schauspieler 922 Ebenda, S. 525. 923 Ebenda, S. 538. 924 Ebenda, S. 537.

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Müller im selben Jahr, welche Bedeutung Wieland Schweitzers Fähigkeit zu­ maß, ein musikalisches Idiom für die deutsche Sprache gefunden zu haben. Daher hat er wohl nie ernstlich darüber nachgedacht, Antonius und Cleopatra für Gluck zu schreiben. Das Sujet hatte er, wie aus dem Brief Schweitzers vom 27. Februar 1775 ersichtlich,925 ursprünglich für Schweitzer ersonnen und – hier greift die Faustregel der Wieland-Philologie, nach der Wieland nur über beendete oder ad acta gelegte Projekte sprach – mittlerweile verworfen. Die chorische Konzeption bildete zu dieser Zeit jedenfalls kein grund­ sätzliches Hindernis mehr, denn die zu dieser Zeit entstandene Rosamunde ist eine regelrechte Choroper.

925 An Bertuch. Vgl. Mauerer (1912), S. 72.

5.  Das Libretto als Geschichts-Gedicht – Alceste zwischen linearem und zyklischem Geschichtsbild Die aus dem Opfer der Alceste resultierenden politisch-gesellschaftlichen Implikationen des Stoffes verknüpfen sich in der Serie von Reformopern mit den grundsätzlich der Gattung unterliegenden Geschichtsbildern. Diese werden nicht nur an der Frage nach der Art und Weise der Übertragung eines antiken Sujets in ein zeitgenössisches Drama verhandelt, sondern ge­ nerieren sich auch auf vielfältige Weise aus dem der Gattung Opernlibretto grundsätzlich zugrundeliegenden Zugriff respektive seiner Abgrenzung vom zyklischen antiken Geschichtsverständnis und seiner Konfrontation mit dem christlich-modernen Geschichtsverlauf. Wenngleich die Querelle des anciens et des modernes die Voraussetzungen für die Entstehung des historischen Denkens im 18. Jahrhundert schuf, vertra­ ten sowohl anciens wie modernes ein zyklisches, lediglich unterschiedlich be­ wertendes Weltbild, das noch bis d’Alembert und Diderot präsent bleiben sollte.1 Demgegenüber stand bereits zeitgleich die Vorstellung einer christ­ lichen Teleologie, die einen linearen Geschichtsverlauf mit dem Zielpunkt des jüngsten Gerichts respektive der Auferstehung vorzeichnet und mit ihm die Frage verknüpft, ob antike Inhalte der modernen (christlichen) Dichtung überhaupt gerecht werden können, wie sie etwa Jean Desmarets de Saint-Sorlin (1595–1676) mit seinem vielgeschmähten Epos Clovis (1657) aufwarf. Denn während die aristotelische Poetik mit den antiken Fabeln für das Wahrschein­ liche, also zyklisch Wiederholbare steht, steht nach Desmarets die Poétique du Christianisme für das geschichtlich Einmalige und wirklich Geschehene.2 Schließ­ lich reflektiert Saint Évremond in De la tragédie ancienne et moderne (1672), dass die antike Tragödie dem Geist der christlichen Religion geradezu entgegenge­ setzt sei und damit sogar die Vorbildlichkeit bzw. Verbindlichkeit der aristote­ lischen Poetik für die Neueren in Frage gestellt werden müsse.3 Obgleich die Oper nur grundsätzlich, nicht jedoch in ihren verschiedenen Fomen von der Querelle reflektiert wird, setzt sie geradezu seismographisch die Brüche und 1 2 3

Vgl. Jauss (1964), S. 29–30. Vgl. ebenda, S. 38 Vgl. ebenda, S. 35.

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Verschiebungen des zyklischen zum historischen Weltbild um. Die pastorale Handlung im Festspiel ist ein Bild für die statische Weltordnung (sei sie die christliche oder das goldene Zeitalter), die durch den Einbruch des Bösen/ der Sinnlichkeit gestört wird. Die Handlung besteht in der Wiederherstellung der Harmonie, wie beispielsweise Harsdörffers Seelewig oder Anton Ulrichs Amelinde sie vorstellen, wobei beide zugleich eine Übersetzung der antiken Pastorale in die christliche Eschatologie vornehmen. Die historische Handlung stellt dagegen eine linear fortschreitende Tele­ lologie vor, an deren Ziel im Märtyrerdrama das jüngste Gericht respektive in der historischen Geschichtsauffassung des rationalistischen Dramma per musica die diesseitige Belohnung guten Handelns im Lieto fine der Oper durch den weltlichen Herrscher als Stellvertreter Gottes stand. Hier bestätigt das historische Exempel die gerechte Weltordnung, auch wenn es nur unter Beugung der historischen Quellen integrierbar wird.4 Während die Pastorale nicht nur als Stoffgeber, sondern auch als Form in Italien, Frankreich und Deutschland die Frühformen des Musiktheaters bestimmte, tauchten ab den 1680er Jahren historische Stoffe aus der Zeit des Mittelalters auf der Opernbühne auf. In Venedig mit dem Ottone-Stoff für L’Adelaide (1672)5, die mutmaßlich in Hannover komponiert wurde, und dort 1689 Enrico Leone Steffanis. Ab den 1690er Jahren zeichnete sich in Braunschweig, zehn Jahre später auch in Hamburg die zunehmende Domi­ nanz historischer Sujets ab, die schließlich mit Zeno und Metastasios Libret­ toreform regelhaft in das weitgehend auf historischen Stoffen aufbauende Dramma per musica überführt wurde.6 Das zentrale formale Unterschei­ dungsmerkmal dieser Entwicklung ist der Chor, der fest zur Pastorale (Festa teatrale, Festspiel) gehört und im Dramma per musica mit seiner Fokussie­ rung auf die einzelnen Charaktere verschwindet.7 Die Alceste-Opern stehen von Anfang an im Kreuzungspunkt dieser Tendenzen, indem ein antiker Märchenstoff aus prä-historischen Zeiten vor Beginn des trojanischen Krieges – als Götter wie Apollon als Schäfer bei Schäferkönigen des ausgehenden goldenen Zeitalters unterschlüpfen konn­ ten und einem ab und an ein Habgott über den Weg laufen mochte – auf den einigermaßen historisch verbürgten König Admet trifft. Vor allem aber schuf dessen Ehefrau Alkestis mit ihrem Opfer an genau diesem histori­ 4 5 6 7

Die Anton Ulrich in der Römischen Octavia zu vermeiden suchte, weshalb sich sein Roman ad infinitum fortsetzte. Nachdem Anton Ulrich mit der allerdings unpublizierten Irmenseul bereits 1670 ein histori­ sches Drama verfasst hatte. Pastorale Stoffe und Formen bleiben natürlich weiterhin auf der Opernbühne präsent, be­ sonders als Festspiele zu Geburtstagen und Jubiläen bzw. als Freilichtaufführungen in den sommerlichen Gärten des habsburgischen Hofes. Beides gilt natürlich nicht absolut, sondern als Tendenz.

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schen Punkt einen Präzedenzfall, in dem eine Frau die Gelegenheit bekam und nutzte, sich durch ein sonst nur Männern mögliches Ausmaß an Freund­ schaft ewigen Ruhm zu erwerben. Der Alceste-Stoff ermöglicht somit beide Schwerpunktsetzungen8 – sowohl auf die Pastorale wie auf das in sie ein­ brechende Dramma per musica –, die jeweils ihre gesellschaftspolitischen Implikationen einbringen. Quinault entwickelt seine Alceste aus dem pastoralen Ansatz mit aus­ gedehnten Chören und einem antiken Pantheon, das die statische Welt der Harmonie und die in sie eingebundenen Menschen vorstellt und damit den geordneten absolutistischen Staat repräsentiert. Gestört wird diese Harmo­ nie durch die Eifersucht, die zunächst Licomedes’ und schließlich sogar Her­ kules ergreift. Die Störung wird durch die Handlung beseitigt, worauf sich die Harmonie, verkörpert in Apollon und seinen Schäfern, wieder einstellt. Durch die Fokussierung auf die statischen Tugenden der emblematischen Figur des Herkules gelingt das Lieto fine und die in Quinaults Alceste vorge­ stellte Anleitung zum Betragen im absolutistischen Staat. König und Schürmanns Fassungen der Alceste von 1719 beschrei­ ben eine schrittweise Verschiebung von der Pastorale in Richtung auf das Dramma per musica mit der Reduzierung der Chöre und Tänze von der Braunschweiger Fassung zur Hamburger Fassung. Die dynastischen Konse­ quenzen werden ausgeblendet, das Opfer der angehenden Königin in Rich­ tung einer individuellen Liebestragödie verschoben und die Konflikte in die Figuren verlagert, deren Harmonie am Ende ohne göttlichen Eingriff aus­ kommt. Vor allem mit dem Verzicht auf dezidiert komische Figuren verweist Königs Figurenzeichnung in Euripides’ Richtung, der ebenfalls das Märchen durch die Fokussierung auf die individuellen charakterlichen Züge, die Be­ weggründe der Figuren und ihre inhärente Komik in eine historische, lineare Geschichte übertragen hatte mit dem Ergebnis, dass bei der Geschichte zum glücklichen Ende ein unlösbarer Rest bestehen bleibt, der seitdem die Inter­ preten beschäftigt. Die Alcesten Glucks versuchen grundsätzlich mit ihren Chören wieder an die Festa teatrale und damit an die pastorale Tradition der Oper anzu­ knüpfen, und im Zuge dessen die Geschichte als eine vorbildhafte und über­ zeitliche zu erzählen. Da Alceste jedoch als individuelle Heldin des Dramma per musica auftritt, einer einigermaßen historischen Herrschergeschichte mit gesellschaftlichen Implikationen wie der dynastischen Erbfolge der Kinder, entsteht ein unlösbarer Zwiespalt das Opfer betreffend. Wurde dieses in der Frühfassung dramaturgisch einleuchtend mit der (antiken) Tradition der durch Heldenmut unsterblich werdenden Frau erklärt und überdies durch 8

Auch die Proserpina-Geschichte lässt sich ja entweder als emblematisches Fest für den Früh­ ling oder als individuelle Tragödie darstellen.

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den deus ex machina Apollo die Harmonie wieder hergestellt, steht Alces­ tes in der Spätfassung gegenleistungsloses Opfer in eigentümlich zwanghaf­ tem Verhältnis gegenüber den Kollektiven, das sich auch durch den deus ex machina Herkules nicht mehr glaubhaft auflösen lässt: Das einmalige und unerhörte Selbstopfer gerät durch die zyklische Implikation der Pastorale in Verbindung mit den omnipräsenten Kollektiven in die Gefahr, eine gesell­ schaftliche Erwartungshaltung zu werden.9 Einzig Wieland beseitigt in bis dahin nie dagewesener Konsequenz alle Anklänge an das zyklisch-mythische Geschichtsbild. Gemeinsam mit Schweitzer erzählt er die Geschichte eines Ehepaars, die in einer außerge­ schichtlichen, folglich für die Gegenwart anschlussfähigen Antike angesetzt ist. Doch weder formal noch in der Handlungsführung wird Vorbildhaftig­ keit suggeriert. Weder ist Alceste die emblematisch-treue Gattin der Pasto­ rale, noch das historische Exempel guten Handelns des Dramma per musica. Die Oper führt vielmehr vor, dass das Opfer der Alceste eine geradezu un­ mögliche Geschichte ist, deren Lösung weniger interessiert als der Blick in die Seelen der leidenden Figuren und das dabei im Zuschauer entstehende Mitleiden. Die Übertragbarkeit der gezeigten Geschichte vollendet sich da­ bei im Übersetzungsvorgang des antiken Dramas. Wo sich Geschichtsbild, Gesellschaft und Sitten seit der Antike eklatant verändert haben, bleibt eines konstant: das individuelle Menschenbild, das Euripides’ in seinen Dramen zeichnet, und das Wieland und Schweitzer (damit die Tendenz von König und Schürmann aufgreifend) in die für das Publikum von 1773 einzig geeig­ nete Gattung übersetzen10 – die empfindsame Oper.

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Sergio Morabito und Jossi Wieler haben diesen Zwang in ihrer Stuttgarter Inszenierung von 2007 tatsächlich als Ritual dargestellt. Krämer argumentiert wie Jahn für die Tradierung der Empfindsamkeit durch das Singspiel. Vgl. Krämer (1998), S. 253–254.

6.  Epilog – Opern-Libretto, Leselibretto und Roman 6.1 Opernlibretto – Rosamunde, eine Reformoper für Mannheim und Schwetzingen1 Wielands und Schweitzers Experiment sollte sein Echo als erstes am west­ lichsten Ende des deutschen Sprachraums finden. Das Mannheimer Theater unter Carl Theodor bildete bereits seit den 1760er Jahren eine Pflegstätte der reformierten Opera seria, zentriert um den Privatsekretär und Hof­poeten Matteo Verazi (ca. 1730–1794)2, der in den 1750er Jahren bereits als Librettist mit Jommelli für den Stuttgarter Hof gearbeitet und dessen Dramaturgie maßgeblich mitbestimmt hatte.3 Für Mannheim hatten Verazi und Traetta mit der bereits erwähnten Sofonisba 1762 eine italienische Reformoper ge­ schaffen, die auf Algarottis Opernkritik reagierte, Chöre und Tänze bzw. pantomimische Bühnenmusik integrierte, breiteren Ensembles Raum gab und für die Rezitative eine „überwiegend deklamatorisch-syllabische Setz­ weise“ verwendete.4 Verazi schuf Textvorlagen, die sich in vielen Punkten mit Glucks Opernreformen treffen,5 setzte sich aber überdies häufig mit Li­ bretti Metastasios auseinander und schuf eine Dramaturgie, die durchaus als italienisches Äquivalent zu Rosamunde gelten kann.6 Bestrebungen um das deutsche Singspiel – respektive eine Oper in deut­ scher Sprache – hatten unter Carl Theodor etwa zur selben Zeit eingesetzt wie in Weimar. Bereits ab 1770 spielte die Marchand’sche Theatertruppe in Mannheim, zu deren Repertoire französische Opéras comiques in deutschen 1

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Erstdruck: Rosamund. [sic!] Ein Singspiel in 3 Aufzügen. Weimar C. L. Hoffmann 1778. Die hier verwendete Titelschreibung wie Schreibung aller Namen folgt der modernen Edition der Noten von Jutta Stüber: Anton Schweitzer: Rosamunde. Seine zweite deutsche Oper nach einem Text von Christoph Martin Wieland. Jutta Stüber (Hg.) 2 Bde. Bonn 1997, sowie dem von Bärbel Pelker für die Aufführungen in Schwetzingen 2012 erstellten Notenmaterial: Anton Schweizer: Rosamunde. Singspiel in 4 Aufzügen. Partitur, 4 Bde. Bärbel Pelker (Hg.). Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Heidelberg 2012. Wieland selbst verwendet un­ terschiedliche Schreibweisen, darunter Rosamund, Rosemunde und Rosamunde. Marita McClymonds: Mattia Verazi and the opera at Mannheim, Stuttgart and Ludwigsburg. In: Studies in Music from the University of Western Ontario 7 (1982), S. 99. Vgl. Riedlbauer (1994), S. 84. Ebenda, S. 83. Vgl. Mc Clymonds (1982), S. 99. Vgl. ebenda, S. 127.

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Epilog – Opern-Libretto, Leselibretto und Roman

Übersetzungen zählten.7 Das sie neben dem angestammten Spielort der Wan­ dertruppen auf dem Marktplatz auch auf den Hofbühnen gastierten, wie in der älteren Forschung spekuliert wird, erscheint praktisch ausgeschlossen, zumal der Hof bereits in den frühen 1770er Jahren über deutsche Sängerin­ nen und Sänger für das entsprechende Repertoire verfügte. In der Sommerspielstätte des Mannheimer Hofes in Schwetzingen wurde ein breitgefächertes Repertoire vornehmlich kleinerer und heiterer Formen aufgeführt, das in seiner Variabilität noch freier alles Neue und Experimen­ telle der europäischen Opernformen aufnehmen konnte, als die sich an der metastasianischen Dramaturgie orientierende bzw. abarbeitende Bühne in der Mannheimer Residenz.8 Im gut 500 Zuschauer fassenden Schlossthea­ ter9 des von einem weitläufigen Schlosspark mit um arkadische Figuren und Topoi zentriertem Bildprogramm10 umgebenen Schlosses bot der Spielplan der frühen 1770er Jahre neben Glucks Alceste französische Opéras comiques von Duni, André Ernest Modeste Gretry (1741–1813), Pierre-­Alexandre Mon­signy (1729–1817), aber auch Piccinnis La buonna figliuola und Sacchi­ nis L’isola d’amore. Seit einer erfolgreichen Überraschungsaufführung von Dunis Das Milchmädchen (Les duex Chasseurs) in deutscher Übersetzung vor Carl Theodor in Schwetzingen, erstreckten sich Mannheims Nationaltheater-­ Bestrebungen auch auf die deutsche Oper. Alceste, als erste deutsche Oper von einem der profiliertesten Dichter deutscher Zunge, die konzeptionell zu­ gleich als Reform der italienischen Opera seria nach dem Vorbild der franzö­ sischen Tragédie lyrique gelten konnte, bildete den idealen Brückenschlag zwischen den italienischen Mannheimer Reformopern Traettas und Piccin­ nis (Catone in Utica) und den deutschen Nationaltheater-Bestrebungen, denn mit ihr konnte erstmals an Stelle von Übersetzungen eine deutsche Origi­ nal-Oper gespielt werden. Das Mannheimer Interesse erwachte nicht nur zeitgleich mit der Nationaltheater-Gründung Joseph II. in Wien, 1776 reiste sogar dessen Spielleiter, der Schauspieler Müller nach Mannheim und wurde dort großzügig in alle Pläne eingeweiht.11 Was lag also näher, als dass der

7 8 9 10 11

Vgl. Wilhelm Herrmann: Hoftheater – Volkstheater – Nationaltheater: die Wanderbühnen im Mannheim des 18. Jahrhunderts und ihr Beitrag zur Gründung des Nationaltheaters. Frank­ furt a. M. u.  a. 1999, S. 194–195. Vgl. die ausführliche Darstellung von Silke Leopold: Europa untern Brennglas. Oper in Schwetzingen zur Zeit Carl Theodors. In: Hofoper in Schwetzingen. Musik. Bühnenkunst. Architektur. Silke Leopold und Bärbel Pelker (Hg.). Heidelberg 2004, S. 55–70. Das älteste erhaltene Theater in Baden-Württemberg und älteste erhaltene Rangtheater welt­ weit wurde 1752 von Nicolas de Pigage (1723–1796) erbaut und 1762 erweitert. Vgl. die ausführliche Darstellung von Ralf Richard Wagner: Arkadien auch in Schwetzingen? In: Hofoper in Schwetzingen (2004), S. 39–54. Vgl. Helga Lühning: Das Theater Carl Theodors und die Idee der Nationaloper. In: Mozart und Mannheim (1991/1994), S. 90.



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Hof nach der erfolgreichen Aufführung der Alceste 1775 einen Folgeauftrag an Wieland und Schweitzer vergab? Nach anfänglicher Begeisterung über die ehrenvolle Aufgabe und die Aussicht, eine Oper für eine mit allen Mitteln versehene Bühne und ein erst­ klassiges Orchester zu schreiben, stockte jedoch die Arbeit. Vielleicht auch wegen seines Unwillens gegen Verpflichtungen und Auftragswerke aller Art bat Wieland Friedrich Heinrich Jacobi am 27. Januar 1777, dem Mannhei­ mer Minister Karl Franz von Hompesch (1735–1800) „mit guter Art nach und nach die Rosamunde ausm Kopf zu bringen“12. Wahrscheinlicher ist aber, dass Wieland sich maßlos darüber geärgert hatte, dass am 5. 1. 1777 in Mannheim Klein und Holzbauers Günter von Schwarzburg aufgeführt worden war und seiner Rosamunde damit zuvorkam. Wieland legte zwar keinen Wert darauf, als erster Bearbeiter eines Stoffes zu gelten, doch bei der Frage nach formalen Innovationen war er sehr empfindlich, und offenbar auch nicht da­ durch versöhnt, dass Güther von Schwarzburg „bereits im Vorfeld, auf Grund der großen Schwächen des Librettos Anton von Kleins für einen unliebsa­ men Theaterskandal gesorgt hatte:“13. Wieland, der bis dahin mit Klein eine Reihe höflicher Briefe gewechselt hatte, nahm dies als willkommenen Anlass, Kleins Libretto mit seiner deutschtümelnden und anti-empfindsamen Ten­ denz nicht im Teutschen Merkur zu rezensieren: In Mannheim, höre ich, ist grosser Lerm mit des Ex-Jesuiten Kleins sogenannter Oper Günther von Schwarzburg. So monströs das Ding ist, so fürcht’ ich doch, die Mannheimer möchtens mir für Neid und Mißgunst aufnehmen, wenn der Merkur davon spräche wie sichs gebührt […] Also schweigen wir lieber gar davon. Sollten die Leute aber sich über unser Schweigen formalisiren, so wollen wir unsern Spruch an­ heben, und sprechen, daß es Ihnen lieber gewesen wäre wir hätten fortgeschwiegen.14

Wann Wieland überdies von der prekären finanziellen Situation des Hofes erfuhr, kann nicht entschieden werden. Spätestens nachdem im Juli 1777 durch die Indiskretion eines Sängers herausgekommen war, dass der Mann­ heimer Hof praktisch bankrott war,15 und als Mannheim überdies seine beste Sängerin Franziska Danzi (1756–1791) für ein Jahr beurlaubte, mussten seine Träume endgültig ernüchtert worden sein und er versuchte, wiewohl erfolg­ los, ganz aus dem Vertrag auszusteigen. So übersandte Wieland doch Anfang April 1777 sein Libretto als ein „gesundes, wohlgestaltetes Kind“ 16. Diese 12 13 14 15 16

WBr Bd. 5, S. 589. Bärbel Pelker: Zur Struktur des Musiklebens am Hof Carl Theodors in Mannheim. In: Mo­ zart und Mannheim (1991/1994), S. 39. Am Merck am 13. Januar 1777. WBr Bd. 5, S. 583. Vgl. Pelker (1994), S. 39. Wieland an Johann Heinrich Merck (1741–1791), 4. 4. 1777. WBr Bd. 5, S. 605.

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ursprüngliche Fassung ist nicht überliefert, doch hat Siegfried Ramler 1994 eine Re­konstruktion vorgelegt. Demnach war sie fünfaktig und führte die Geschichte zu einem Lieto fine. Die Figuren sind historisch, die Geschichte hingegen nur in einer Reihe von Legenden überliefert. Heinrich II. von Plantagenet versteckt seine Ge­ liebte Rosemunde Clifford in einem geheimen Labyrinth des Gartens von Woodstock Park. Der Höfling Belmont verrät der Königin Elinor von Aquitanien diesen Aufenthalt, sie dringt mit Gift und Dolch ein und zwingt Rosamunde, zwischen den beiden Todesarten zu wählen. Rosamunde wählt das Gift. Der wiederkehrende Heinrich findet seine Geliebte für tot, doch Belmont hat das Gift mit einem Schlaftrunk vertauscht. Heinrich nutzt den Mordanschlag dazu, die Königin zu verstoßen und die wieder erwachte Ro­ samunde zu heiraten. Wieland griff zurück auf die Oper Rosamond des Herausgebers der bei­ den großen englischen moralischen Wochenschriften Tatler und The Spectator Joseph Addison (1672–1719), die 1707 in der Vertonung von Thomas Clay­ ton (1673–1725) am Drury Lane Theatre eine wenig erfolgreiche Premiere hatte und als Ballad opera zu den englischen Gegenreaktionen auf Händels italienische Opern gehört. Addisons Königin verabreicht der Rosamond allerdings selbst und gezielt einen Schlaftrunk (der Dolch dient nur dazu, sie zum Trinken zu bewegen) und lässt sie ins Kloster entführen, damit der vermeintliche Tod der Geliebten den König zur Vernunft bringt und ihn die Trennung von der Mätresse akzeptieren lässt, wenn diese nur – wo auch immer – wieder zum Leben erwacht. Obgleich das Stück später weitere Ver­ tonungen durch Thomas Arne (1717–1778) und John Barnett (1802–1890) erhielt, war es vor allem als gedrucktes Libretto bis in die späten 1770er Jahre verbreitet. Die u.  a. im Spectator erschienene Geschichte hatte Wieland bereits Anfang 1775 gegenüber Schweitzer als Libretto erwogen,17 doch be­ gleitete er die Fertigstellung des Librettos diesmal nicht durch ausgedehnte Abhandlungen zu den formalen Entscheidungen, sondern lediglich durch einen archäologischen Aufsatz zur Stoffgeschichte.18 Wieland legte den Text zunächst Friedrich Heinrich Jacobi vor, später auch Goethe, die nachdrückliches Missfallen über den Handlungsverlauf be­ kundeten. Die bisherige Forschung ging davon aus, dass sich das Missfallen auf das Lieto fine mit der Mätresse als Königin bezog und in Mannheim überdies the Queen not amused war, wegen bedrückend deutlicher Parallelen zu Carl Theodors tatsächlichem Mätressenwesen.

17 18

Vgl. Maurer (1912), S. 72. Nachtrag zur Geschichte der schönen Rosamund. In: Der Teutsche Merkur 1778, 1. Viertel­ jahr. Wielands Werke, Bd. 14.1 (2011), S. 28–32.



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Karl Traugott Goldbach verweist ferner auf Parallelen der Handlungs­ führung zu zwei barocken Hamburger Nero-Opern, Die römische Unruhe. Oder die edelmütige Octavia von Keiser/Feind und Händels/Feustekings Nero (beide 1705).19 Dies würde allerdings tatsächlich einen von Anfang an kritischen und notwendigerweise politischen Impetus mindestens und massiv in Bezug auf die Figur Heinrichs bedeuten, was vor dem Hintergrund von Wielands Singspieltheorie praktisch ausgeschlossen werden darf. Nicht ausgeschlos­ sen ist allerdings, dass das Libretto möglicherweise in dieser Tradition gelesen wurde und sich gerade dadurch als verstörend erwiesen haben mag, als es nicht wie der Nero-Stoff konsequent als Zerrspiegel guten Verhaltens letztlich die Ordnung bestätigte, sondern das Fehlverhalten der außerehelichen Liebe legitimierte, nachdem diese sich unter Prüfungen als wahre Liebe erwiesen hatte und sie in eine Ehe mit vollen dynastischen Konsequenzen überführte. Reemtsma hat jedoch Zweifel an dieser Leseweise geltend gemacht, da entsprechende Einwände von Goethe nicht zu erwarten wären und ein ent­ sprechender Theaterskandal in Mannheim Erwähnung hätte finden müssen. Stattdessen sei aus der Anlage der Figur der Rosamunde zu schließen, dass sie sich ursprünglich wohl eher der Ehe mit dem König entzogen haben dürfte um aus eigenem Antrieb den Hortus conclusus des Labyrinths in Woodstock Park mit dem hinter Klostermauern zu vertauschen. Mit dem abschließenden Mord an Rosamunde sei Wieland folglich weniger einer moralischen als der Kritik an der mangelnden Dramatik des Stückes nachgekommen.20 Möglicherweise gab es beide Einwände, den ästhetischen und den moralisch-dynastischen. Denn auch eine von sich aus das Feld räumende Rosamunde ließe die Möglichkeit einer vollgültigen Ehe mit der Mätresse (es handelt sich ausdrücklich nicht um eine Ehe ‚linker Hand‘!) einseitig durch den König (man lese: Kurfürst) im Raume stehen, was nicht nur für die Kur­ fürstin verstörend genug sein mochte und es freilich auch in der tragisch endenden Version blieb. Mag Wieland diese Fallstricke nun übersehen oder bewusst zur Erhö­ hung seiner Titelfigur in Kauf genommen haben, auch Rosamunde beleuch­ tet und kontrastiert eine schöne Seele in einer augenscheinlich ausweglosen 19 20

Traugott Goldbach: Anmerkungen zur Oper Rosamunde von Christoph Martin Wieland und Anton Schweitzer. In: Aufbrüche-Fluchtwege. Musik in Weimar um 1800. Helen Geyer und Thomas Radecke (Hg.). Köln 2003, S. 137. Vgl. ders.: Ein Dolch, der noch gebraucht werden will? – Ein Selbstmord, von dem keiner was weiß? Wielands Libretto Rosamund. In: Rosamunde. Programmheft zur Aufführung der Schwetzinger SWR-Festspiele 2012, S. 8–12. Wiederabdruck als: Der Dolch, der noch ge­ braucht werden will, und der Selbstmord, von dem keiner etwas weiß. Versuch einer Inter­ pretation von Christoph Martin Wielands Libretto Rosamund. In: Wieland-Studien 8. Klaus Manger, Wieland-Stiftung Biberach und Wieland Forschungszentrum Oßmannstedt (Hg.). Heidelberg 2013, 191–224.

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Situation. Denn anders als in Addisons Vorlage ist Rosamunde ausdrücklich noch Jungfrau. Ihre Liebe zum König ist damit von ihrer Seite vollständig freiwillig, denn sie ist nicht in der Zwickmühle einer Frau, die nach dem Ver­ ständnis der Zeit ohnehin keine andere Wahl mehr hat. Im Gegenzug wird auch die moralisch reichlich zweifelhafte Figur von König Heinrich dahin­ gehend entlastet, dass er augenscheinlich Rosamunde nur im Rahmen einer gültigen Ehe zur Frau nehmen will. Doch in der Konfrontation mit der Kö­ nigin und im Moment ihres (vermeintlichen) Gifttodes erkennt Rosamunde ihr unlösbares Dilemma: „Ich sterb, und sterbend, göttliche Gerechtigkeit, bet’ ich dich an! Vor dir ist Rosamund nicht schuldlos!“21 Mag Rosamunde auch noch keine Verfehlung begangen haben, weil ihre Liebe noch unschuldig ist, so bedeutet doch Heinrich zur Gegenliebe zu verleiten ihn einen Ehebruch begehen zu lassen, und damit – selbst wenn ihre Liebe Erfüllung in einer rechtmäßigen Ehe finden sollte – unweigerlich zur Mittäterin an einem Ehe­ bruch zu werden. Im Angesicht des Todes erkennt Rosamunde ihre Liebe als eine unmögliche und an dieser Erkenntnis wird sie festhalten, wenn sie aus dem Todesschlaf erwacht und sich in der 1. Szene des IV. Aktes mit dem wiedergekehrten König Heinrich und seinem Heiratsantrag konfrontiert sieht. Diese Szene führt den Konflikt der Oper zur Peripetie und entfaltet in ihren jeweiligen Reaktionen zugleich die Psychogramme der Figuren. Kö­ nigin Elinor tritt auf und führt dem König Satz für Satz ihre berechtigten Ansprüche und den Wahnsinn seines Tuns mit guten dynastischen Argumen­ ten vor, wonach beider eheliche Verbindung ein bindender Vertrag ist, bei dem es nicht nur um zwei Personen, sondern um ein Reich geht, ferner dass Heinrich sich vor seinen Untertanen unmöglich macht etc. Kaum verwun­ derlich also, dass sie ihre Argumente in einem ausgedehnten Secco-Rezitativ vorbringt. Doch anders als in der Alceste erwacht das blinde dynastische Mo­ tiv hier buchstäblich zum Leben, denn Rosamunde ist eine regelrechte Chor­ oper. Rosamunde ist von einem Chor der Nymphen umgeben, Heinrich sind Chöre der Ritter und Knappen zugeordnet. Beide sind linear, einstimmig oder weitgehend homophon geführt. Der Rosamunde umgebende Chor ist stärker kommentierend und berichtend angelegt. Zwischen den Hauptfigu­ ren und den sie umspielenden Chorsträngen steht Königin Eleonore wie ein Solitär. Ihre Ritter bleiben stumm wie Statisten der Opera seria. Das in den Chören tatsächlich anwesende Volk aus Untertanen gibt Elinors Argumenten aber insofern Recht, als die Figuren hier eben nicht nur ihrem eigenen Her­ zen Rechnung schulden. Auch Rosamunde lotet die Oper als empfindsames Drama aus. Mit Rosa­ munde und ursprünglich wohl auch der Königin standen dabei zwei Frauen­ 21

Rosamunde (2012) II/10, Bd. II, S. 200–201. Wielands Werke, Bd. 13.1 (2011), S. 602.



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figuren im Zentrum des Interesses, die nicht statisch eine bestimmte Tugend respektive Eigenschaft verkörpern, sondern sich (anders als Heinrich, der re­ lativ blass bleibt) mit der Handlung entwickeln. Aufschluss über Wielands ursprüngliches Konzept mag gleich die erste briefliche Äußerung geben: „ich gehe aber mit dem Ding um als mit einer Fabel“22. Die im Labyrinth aufbewahrte Unschuld, bewacht von einem Rit­ ter, ein jugendlicher König, eine amazonenhafte Königin, die todesgleiche Passageerfahrung eines jungen Mädchens, alles in der Ferne Englands zur Zeit der Troubadoure und der in den Kommentaren des Mannheimer Büh­ nenbildners Lorenzo Quaglio (1730–1804),23 vermerkte Schluss „Ballszene mit Plutos [!24] Palast als Dekoration“25 deuten tatsächlich in die Richtung der Feenmärchen. In der Vorrede für die Druckausgabe von 1777 betonte Wieland daher abschließend: „Überhaupt hat man sich mit einer Geschichte, die sich aus der Geburtszeit der alten Ritter-Romane herschreibt und so nah an die Fabel gränzt, alle Freyheiten erlaubt, welche theils das Interesse des Stücks, als Musikalisches Drama betrachtet, theils andre Rücksichten er­ fordern schienen.“26 Für ein reichhaltiges Spektrum musikalischer Formen (Soli, Ensembles, Chöre und Tänze) war ebenso gesorgt, wie für die Varianz der Affekte (Liebe, Freundschaft, Todesangst und Totenklage, Rache, Bitte um Vergebung und Zuneigung). Offenbar wollte Wieland das musikalische Ausdrucksspektrum der Alceste erweitern und suchte einen spezifischen An­ satz für eine Mannheimer Reformoper, der Stoff für Chöre und Tänze wie für Szenenwechsel und prächtige Dekorationen geben sollte und der die pasto­ rale Schwetzinger Dramaturgie mit dem historisch und dynastisch argumen­ tierenden Dramma per musica vornehmlich der Mannheimer Spielstätte ver­ band. Denn im Verlauf der 1770er Jahre wurden die Stücke zunehmend auch wechselseitig auf beiden Bühnen gespielt.27 Diese romantische Konzeption der Rosamunde lässt bereits an Oberon denken und folglich fühlte Wieland sich „in eine wunderbare Art von dummem Erstaunen gesetzt“,28 falls sein Märchen für bare Hofkritik genommen werden sollte. Doch beugte er sich schließ­ lich der einmütigen Kritik, schalt seine Rosamunde „ein dummes Ding“29, er­ stellte eine dreiaktige Fassung, die damit endet, dass Königin Elinor bei der 22 23 24 25 26 27 28 29

Wieland an Merck, 24. 8. 1776, WBr Bd. 5, S. 543. Vgl. Scheibe (1994), S. 106–110. Ob die Oper hier in der Unterwelt enden oder, was wahrscheinlicher ist, Dekorationen aus einer anderen Aufführung wiederverwendet werden sollten, ist nicht mehr zu entscheiden. Zit. nach Scheibe (1994), S. 113. Wielands Werke, Bd. 13.1 (2011), S. 578. Vgl. Opernrepertoire des Schwetzinger Schloßtheaters. In: Hofoper in Schwetzingen (2004), S. 87–151. Wieland an Friedrich Heinrich Jacobi, 9. 5. 1777, WBr Bd. 5, S. 615. An Merck am 26. Mai 1777. Ebenda, S. 619.

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Hochzeitszeremonie eindringt und Rosamunde ersticht – und schuf damit wie nebenbei eine der mit Herders Brutus-Experiment30 und Kleins Günther von Schwarzburg ersten tragico fine-Opern in deutscher Sprache, deren Schluss jedoch genauso ambivalent bleibt wie bei den meisten tragico fine-Opern Me­ tastasios, da mit Rosamundes Tod die Ordnung wieder hergestellt wird, was je nach Perspektive auch als ein Lieto fine interpretiert werden konnte und wurde, wie schon Jacobi vorab den Tod der Rosamunde als einen Denkzettel für Heinrich „zur Herzensfreude aller Frommen“31 gefordert hatte. Erst Schweitzers Vertonung versöhnte Wieland wieder mit dem Stück. Auf Druck der Rezensenten hatte Wieland auch eine Szene gestrichen, in der Königin Eleonore den König bittet, ihr seine Liebe wieder zu schenken. Es fällt schwer, dabei nicht an die Arie der Königin der Nacht Zum Leiden bin ich auserkoren zu denken. Offenbar sollte die Königin ursprünglich als Vertreterin der italienischen Opera seria mit einer Reihe verschiedener Affekt-Arien als das leidenschaftsdominierte Prinzip erscheinen und damit die schicksalser­ gebene Rosamunde kontrastieren. Für die zweite Fassung beließ Wieland ausschließlich ihre Rachearien, und parodierte in der nun scherenschnittarti­ gen Figur die Konvention (des Hofes, der Rezensenten und möglicherweise insbesondere der Kurfürstin), die lieber eine böse Königin sehen wollte, als eine folgenlos gedemütigte. Schweitzer folgt dieser Linie, indem er jede der Arien einen Ton höher steigen lässt und wie schon in der Alceste in engem Wort-Ton-Bezug komponierte, dabei (beispielsweise in Wie süß wird dir die Ra­ che seyn) den Bogen aber gezielt etwas überspannte und so Verfahrensweisen der Opera buffa für seine ernste Oper und unter gar nicht komischen Bedin­ gungen verwendete. „Diese wörtlichen Umsetzungen sind zu plakativ, als daß Schweitzer dem Verdacht unterliegen könnte, mechanisch Schlüsselwörter in Tonmalerei umzusetzen. Selbst in der harmonischen Anlage scheint es sich um reine Ironie zu handeln.“32 Gleichwohl bleibt die Königin eine Figur, deren Handeln als nachvollziehbare Reaktion auf Heinrichs Verhalten ge­ zeigt wird und die sukzessive auf für den Zuschauer nachvollziehbare Weise aus den Vereinbarungen des menschlichen Zusammenlebens aussteigt und der überdies wiederholt die eigene Herzensregung Einhalt gebietet. Sie folgt mit ihrer rasenden, doch von einer ehemaligen Liebe verursachten Eifersucht 30 Herders Brutus-Libretto lässt sich geradezu komplementär zu Wielands Singspielkonzept beschreiben. Brutus folgt einerseits eng der formalen Rezitativ-Arienstruktur Metastasios, verzichtet dabei jedoch auf eine Liebeshandlung, weshalb in der 1774 von Johann Christoph Friedrich Bach (1732–1795) vertonten Fassung überhaupt keine Frauenrollen vorkommen. Vgl. Krämer (1998), S. 261–292. Gut möglich, dass Wielands katgorische Ablehnung jeglicher politischer Sujets im Singspiel im Versuch über das Teutsche Singspiel auch in Kenntnis dieses rein politischen Opernkonzepts entstand. 31 WBr Bd. 5, S. 626. 32 Goldbach (2003), S. 139.



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genau Wielands Forderung nach dramatischen Affekten, die jene durch eine Herznote gebrochenen Farben ergeben, wie Wieland sie in der „Wu t h d e r Liebesg öttin über den eifersüchtigen Mars, der ihren Adonis getödtet hat“ für das Singspiel eingefordert hat.33 Die Oper zieht aus dem historisch verbürgten und sogar in veritable Schlach­ ten mündenden Ehekrieg musikalischen Gewinn, indem sie Elinor und Heinrich zwei verschiedene musikalische Sprachen sprechen lässt. Die Kö­ nigin erscheint mit dem dynastischen Rationalismus und der Affektenlehre der Opera seria, ausgedrückt in Secco-Rezitativ und dramatischen Koloratu­ rarien. Auch wenn die dynastisch-staatlichen Konsequenzen von Heinrichs Vorhaben lediglich als Drohkulisse der Königin aufscheinen (die in den Chö­ ren versammelten Untertanen scheinen Rosamunde zu akzeptieren) eröffnen sie einen formalen Querverweis auf die metastasianische Opera seria und ihre Verbindung von Liebes- und Staatsaffären. Entgegen seiner Empfehlun­ gen im Versuch über das Teutsche Singspiel greift Wieland mit Rosamunde ein hoch politisches Sujet auf, wie ihn nicht zuletzt die mutmaßlichen Reaktionen bei Hofe spüren ließen. Doch wird es nicht in einer politischen Intrigen-Hand­ lung realisiert, sondern als Konflikt in die Figur Heinrichs verlegt, der gegen jede Vernunft seine empfindsame Liebe – die für das Singspiel stehende Ro­ samunde – in die mit allen politischen Konsequenzen verbundene Rolle einer Königin zwängen will, in der sie – und mit ihr die empfindsame Oper – nicht lebensfähig ist. Heinrich ist folglich gegenüber der Königin musikalisch erstaunlich unheroisch als Schwärmer gekennzeichnet. Auch wenn die Anlage und die Tessitura der Figur als lyrischer Tenor (französischer Provenienz) an Admet denken lässt, ist er anders als dieser keine zur Passivität verurteilte Gestalt, sondern ganz im Gegenteil mit seinem Tun und Lassen ursächlich für den Gang der Handlung und deren Katastrophe verantwortlich. Heinrich erweist sich dabei als Werther-Figur reinsten Wassers, die ihr Herz über alles stellt und dabei in Kauf nimmt, unendliches Leid über alle Beteiligten zu brin­ gen. Entsprechend scheucht er nicht alleine Königin Elinor mit ihren Ver­ nunftsargumenten davon, er lässt auch Rosamundes empfindsam-ethische Bedenken nicht gelten. Diese sträubt sich bei ihrem Erwachen buchstäblich mit Händen und Füßen gegen seinen Heiratsantrag, indem sie zusätzlich zu ihren moralischen Bedenken die Ungleichheit ihres Standes anführt: „Ach! 33

Versuch über das Teutsche Singspiel, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 319. Goldbachs Einschätzung der Königin als Gegenstück zur Position des Versuchs kann hier ebenso wenig zugestimmt werden wie seiner Einschätzung der Rosamunde als „ironischer“ Oper. Vgl. ders.: Der tragische Schluss im deutschsprachigen Musiktheater des späten 18. Jahrhunderts. Diss. masch. Hochschule für Musik Franz Liszt, Weimar. 2005, S. 154–176.

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eine Hütte, Heinrich! Nicht ein Thron!/ Wie glücklich hätte sie mit deiner Liebe/ Mein Herz gemacht!“34 Eine erfüllte Beziehung zu Heinrich ist für Rosamunde nur im Konjunktiv und in der musikalischen Flucht in die Pasto­ rale möglich: O, Liebe! Warum machtest du Uns nicht zu Hirten dieser Matten? Dann wär ich deine Schäferin. Dann lebten wir, ein Herz, ein Sinn, die frohsten Hirten dieser Matten! Und drückt’ ich einst dein Auge zu, So stiegen wir in Einem Nu Umarmt hinab ins Land der Schatten.35

Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Rosamunde (1780). IV/7, Rezitativ Rosamunde und Heinrich und Arie der Rosamunde „O, Liebe!“ (Ausschnitt). Autograph, 1777. Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Weimar.

34 35

Rosamunde (2012), Akt IV, S. 160–161, und Wielands Werke, Bd. 13.1 (2011), S. 620. Ebenda, Akt IV, S. 165–181, und ebenda.



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Bis dahin sind beide Figuren durch Bläserbegleitung und insbesondere Flö­ ten mit einer sprechenden Schäfersignatur versehen, die in Rosamundes pastoraler Arie ihren Höhepunkt erreicht. Heinrich bricht schließlich die fruchtlose Diskussion ab, indem er Rosamundes pastoralen Konjunktiv zum Imperativ einer künstlichen Schäferidylle wendet. Auch dieses Glück der Liebe wird unser seyn. Des Thrones Sorge wird Nicht alle Ruh mir rauben. Oft Herunter steigen wird ich, hier Im Frieden dieser stillen Hayne Des Lebens reinste Wonn’ in deinem Arm zu suchen, Nicht König mehr! Dein Schäfer!36

Er macht damit klar, dass er keine weitere Widerrede duldet und Rosamunde begreift unmittelbar, dass die Hochzeit nun kein Angebot mehr ist, sondern ein Befehl und schaltet sofort von der Sprache der Empfindsamkeit in die der Untertanin: „Gebiete! Hier ist deine Rosamund,/ Bereit für Dich zu leben

36

Ebenda, Akt IV, S. 182–185, und ebenda, S. 621



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und – zu sterben!“37 Mit dem Befehl endet die Schäferidylle und die Flöten verstummen. Damit wird Wielands und Schweitzers Brückenschlag zwischen der Schwetzinger und der Mannheimer Dramaturgie zugleich zum Medium, das kurfürstliche Arkadien als Aporie zu entlarven: Denn der König bleibt auch im Schäfergewand ein König und ist somit ebenso Knecht seines Standes, wie die wenigstens in der Logik von Wielands Oper standeslose ‚Nymphe‘ Rosamunde. Der Schwetzinger Schlosspark, der geradezu bildgebend für das Labyrinth von Woodstock erscheint, ist ein ästhetisches Ideal, das nur der Schwärmer Heinrich als Lebensweltliches missdeuten kann. Anders als im Alceste-Stoff, wo sich Pastorale und Dramma per musica noch berühren können, muss hier die Pastorale am historischen Dramma per musica zerbre­ chen, da das goldene Zeitalter bereits für den mittelalterlichen Stoff, vielmehr noch für die Gegenwart eine unwiederbringlich abgeschlossene Stufe der Menschheit ist. Heinrich und Rosamunde bilden lange getrennte Sphären. Erst Hein­ richs Befehl bringt sie in der 16. Szene des vierten Aktes (!) zum überfälligen und ohrfällig scheiternden Duett zusammen, in dem von den Bläsern nur noch Hörner, Oboe und Fagott übriggeblieben sind und das formal eher ein Anti- bzw. Streitduett ist, in dem beide Stimmen wechselweise singen, ohne eine gemeinsame Gesangslinie zu finden. Zusammen kommen sie erst mit Wendungen von Tod und Verzicht: Rosamunde. Für dich nur leben, Für dich erkalten, […] Beide. O seeliger Gewinn!38

Zum Schluss vereinigen sich in der Hochzeitsszene ihre Chöre zu einem beeindruckenden siebenstimmigen Tableau, das über die bereits eingetre­ tene Sprachlosigkeit auch des neuen Ehepaares hinwegtäuscht  – und sie damit nur umso deutlicher herausstellt. Denn eine gemeinsame empfind­ same Opernsprache hatten beide Figuren nur als Sehnsuchtsfiguren, wie in ihren spiegelblidlichen Auftrittsarien (Rosamunde: „Oft, am Rande stiller Fluthen“39/Heinrich: „So athm’ ich wieder dich!“40). Mit ihnen kann sich die empfindsame Oper in der Pastorale als ästhetischer Sehnsuchtsfigur realisie­ 37 38 39 40

Ebenda, Akt IV, S. 194, und ebenda, S. 622. Ebenda, Akt IV, S. 205–229, und ebenda, S. 623. Ebenda, Akt I, S. 86–111, und ebenda, S. 582–583. Ebenda, Akt III, S. 36–51, und ebenda, S. 606.

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ren, solange nicht versucht wird, diese auf den Boden konkreter politischer Verhältnisse zu zwingen. Damit kehrt Wieland nicht nur zu seinen Stoff­ empfehlungen im Versuch über das Teutsche Singspiel zurück, er erteilt auch der Tendenz der französischen, deutschen wie italienischen komischen Opern­ formen eine Absage, die den pastoralen Topos zunehmend zur Darstellung einer idealisierten rustikalen Gegenwart verwendet hatten. Zwischen der italienisch affektgeladenen Königin und dem kaum kommuni­ kationsfähigeren Schwärmer Heinrich ist Rosamunde positioniert als Sing­ spielfigur typisch Schweitzer’scher Prägung, die sich weniger solistisch als im Zwiegespräch mit anderen Figuren profiliert und deren Rezitative vor­ herrschend ausdrucksstark instrumental begleitet sind. Nur an einer Stelle wechselt sie ins Secco-Rezitativ, das damit ausdrücklich als rhetorische Passage gekennzeichnet ist, mit der sie im vierten Akt vergeblich Heinrich dazu zu überreden sucht, von einer gemeinsamen Zukunft Abstand zu nehmen. Ro­ samunde ist damit ausdrücklich in der Lage, nach beiden Seiten, also mit Elinor wie mit Heinrich zu kommunizieren. Vor allem aber ist sie und damit programmatisch das in Rosamunde vorgestellte deutsche Singspiel als Ein­ zige willens und fähig, das empfindsame Herz mit den Gegebenheiten der Welt abzugleichen und dabei die zu schonen, die sie liebt, sei es um den Preis des eigenen Verzichts. In Rosamundes Chor von Jungfrauen sind sowohl die Ensembles mit ihren Begleiterinnen Emma und Lucia eingebettet als auch die Tänze ihrer als „Nymphen“ titulierten Gesellschafterinnen. Wielands Entwurf vereinigt damit eine Reihe intertextueller Stränge: Die Sphäre der Nymphen ist mehr als eine gängige Metapher für junge Mädchen. Die im Unterschied zu den Quellen (die sie als Adelige ausweisen) eigentümlich eltern- und herkunfts­ lose Rosamunde ist Garten und Pflanzen zugeordnet. Um sie zu beruhigen, singt Heinrich ihr von den Wäldern vor und mit ihrer Vision vom Leben als Schäferin verweist sie selbst auf eine ästhetisch überformte und damit hypo­ thetische Natur. Die Situation Rosamundes ist lesbar als Querverweis auf die gut drei Jahre zuvor entstandene geheime Geschichte der Danae aus Wielands Aga­ thon, in der Danaes Ausbildung zur pantomimischen Tänzerin als weibliches Äquivalent zu Agathons Bildungsweg beschrieben wird.41 Zwar tanzt Rosa­ munde selbst nicht (was vor allem aufführungspraktische Gründe hat), doch verweist die Szenenanweisung beim Eindringen der Königin in das Labyrinth auf die Pantomime „Die Nymphen bleiben mitten im Tanz in Stellungen des Schreckens wie versteinert schweben“42 sowie durch die eingefügten Ballette, 41 42

Zur Rolle des Tanzes in Wielands Romanen vgl. Sträßner (1994), S. 109–164, sowie mein Artikel „Tanz“ in: Wieland HB (2008), S. 73–75. Rosamunde (2012), Akt II, S. 83 und Rosamund. Wielands Werke, Bd. 13.1 (2011), S. 592. Vgl.



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darunter Die Höllenfahrt des Herkules um Alceste zurückzuholen (!), für das Chris­ tian Cannabich (1731–1808) die Musik geschrieben hatte. Hier bildet sich ein künstlerisch und ethisch begabtes junges Mädchen mit einer Reihe von Gespielinnen über Gesang und Tanz zur „Virtuosa“43, zur an Leib und Seele gebildeten Frau heran. Das Stück ist durchflochten mit Verweisen auf Al­ ceste, wodurch die ausdrücklich jungfräuliche Rosamunde aus der Position der Mätresse in die der Braut und künftigen treuen Gattin verschoben wird. Die Todeserfahrung durch Elinors Mordanschlag sensibilisiert Rosamunde da­ für, dass ihr unschuldiges Begehren im Moment der Erfüllung unweigerlich zum Vergehen wird. Gleichwohl bleibt sie verführbar, willigt in die Hochzeit ein und gelangt so zum Ziel ihrer die Erfahrung der eigenen Schwäche ein­ schließenden Entwicklung. Indem Wieland und Schweitzer die italienische Affektarie mit französi­ schen Chören und Tänzen verknüpften, stellten sie sich noch deutlicher als in Alceste an die Seite von Glucks Reformoper und bezogen überdies die 1759 in Mannheim mit Holzbauers Ippolito ed Aricia (nach Rameau) erfolgte Re­ zeption der französischen Oper ein. Hatten Alceste und die in ihrem Kontext entwickelte Singspieltheorie darauf abgezielt, eine Oper für kleine Höfe und Schauspieltruppen zu schaffen, ist Rosamunde der Vorschlag für eine deutsche Oper, der alle Ressourcen zur Verfügung stehen. Bereits im November 1777 reiste Schweitzer zu den Proben nach Mannheim, Wieland folgte am 13. Dezember. „Nach M a n n h e i m muß ich, denn ich will und muß einmal in meinem Leben mich recht an Musik ersättigen, und wann und wo werd’ ich jemals dazu bessere Gelegenheit finden?“44 Am 30. Dezember starb jedoch Maximilian von Bayern und die anschließende Hoftrauer ließ die auf den 11. Januar 1778 angesetzte Premiere platzen, die erst am 20. Januar 1780 unter der Leitung von Ignatz Holzbauer erfolgte. Obgleich die Besetzung lange nicht den Glanz der ursprünglichen Planung hatte, verschaffte vor allem die erst sechzehnjährige Mina Brandes der Rosa­ munde Glanz und die ersten Vorstellungen ernteten großes Lob, doch wurde die Oper nur dreimal wiederholt, da das Orchester nach München umzog. Lediglich in Breslau wurde sie aufgenommen und über längere Zeit gespielt.45 Die Zeitgenossen waren skeptisch. Georg Joseph Abt Vogler warf Schweitzers Musik in seiner Besprechung in den Rheinischen Beiträgen zur Ge­ lehrsamkeit u.  a. vor, dem Stück fehle der Plan46 und kritisierte Schweitzers

43 44 45 46

Vgl. Sträßner (1994), S. 134. An Merck am 24. November 1777. WBr Bd. 5, S. 682–683. Vgl. Stüber. In: Rosamunde (1997), Bd. 2, S. 600. Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit I (1780), S. 513–514.

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Chromatik, die in Rosamunde noch deutlicher zu Tage tritt als in Alceste47, als zu häufiges Ausweichen in „fremde Töne“48, nicht zuletzt, da sie seinen jüngst erschienenen Empfehlungen in den Betrachtungen der Mannheimer Tonschule49 teilweise zuwiderliefen, auf die Vogler im Beitrag ausdrücklich verweist.50 Von Klein rächte sich mit einer vernichtenden Rezension (die er zusätzlich als Flugschrift verbreitete) vor allem des Librettos dafür, dass Wieland Gün­ ther von Schwarzburg nicht im Teutschen Merkur besprochen hatte und Holz­ bauers Kritik an Schweitzers Musik irritierte Wieland, so dass sie alle „nach Kräften dazu beigetragen [haben], daß dem Werk der Erfolg versagt blieb, und haben dem Komponisten nachhaltig geschadet“.51 Das gilt auch für den 1777 in Mannheim weilenden Mozart, der sich zunächst würdigend, später zunehmend kritisch über Schweitzers Musik äußerte und gleichwohl, wie Geyer gezeigt hat, besonders aus Rosamunde Anleihen in die Zauberflöte und Idomeneo übernahm.52 Mozart, der gezielt gegen alle schoss, auf deren Posi­ tion er es abgesehen hatte,53 erkannte mit der Zeit wohl vor allem, welch ernstzunehmende Konkurrenz Schweitzer für ihn nicht nur in Mannheim, sondern sogar in Bezug auf Wien darstellte und sah überdies sowohl seine Hoffnungen auf ein Libretto von Wieland enttäuscht, als auch alle Versuche, in Mannheim eine Stelle oder einen ehrenvollen Auftrag zu erhalten. Auf der Gegenseite stellte Seckendorff Schweitzer neben Gluck und es war wiederum Schubart, der die Ursachen für die herbe Kritik an Rosamunde auf den Punkt brachte: „Schweizers Genie wird durch die elende Belohnung seiner Zeitge­ nossen unterdrückt.“54 Rosamunde war mit dem Konzept einer romantischen Oper um 1777 ihrer Zeit voraus. Schweitzers Vertonung fühlte 1778 am Puls der Zeit, doch verlief die Entwicklung der Gattung in diesen Jahren so rasant, dass die Innovationen 1780 bereits weitgehend eingeholt waren. Als Wieland 1797, zehn Jahre nach Schweitzers Tod, das Stück auch für die Bühne erneut überarbeiten wollte, hieß es aus Mannheim, die Partitur sei verschollen und Wieland musste das Werk zunächst für verloren halten, dessen Abschrift55 er 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Goldbach (2003), S. 139; Ernst Bücken: Die Musik des Rokokos und der Klassik. Potsdam 1926, S. 130. Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit I (1780), S. 504. Ders.: Betrachtungen der Mannheimer Tonschule. I (1778). Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit I (1780), S. 512. Stüber. In: Rosamunde (1997), Bd. 2, S. 602. Geyer (2002), S. 50. Auch die Vogler-Rezeption leidet bis auf den heutigen Tag darunter, dass Mozart es auf dessen Kapellmeisterstelle abgesehen hatte. Ziert nach Stüber (1997), S. 602. Der Kopist ist unbekannt, muss jedoch die Mannheimer Partitur gekannt haben, da alle Kor­ rekturen und Änderungen des Autographs in die Berliner Handschrift eingearbeitet wur­ den. Die Mannheimer Partitur verbrannte 1795 mit dem Hofopernhaus im Westflügel des



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erst 1803 erwerben konnte. Vgl. dazu Kap. 4.5.56 Dabei lag sogar das Auto­ graph der Oper57 in Wielands unmittelbarer Nachbarschaft. Bei der Erstel­ lung des Notenmaterials für die Schwetzinger Wiederaufführung 2012 stieß Bärbel Pelker auf die Quelle58, die bislang nicht in ihrer Bedeutung erkannt worden war, da sie sich im Hofmarschallamt Weimar und nicht etwa, wie zu erwarten gewesen wäre, in der Musikaliensammlung der Herzogin Anna Bibliothek befindet. Wann und auf welchen Wegen sie dorthin gelangte, lässt sich nicht mehr klären, doch gehörte sie vormals zum Bestand der Weimarer Hofkapelle. Sollte also tatsächlich Anna Amalias ablehnende Haltung gegen­ über Schweitzer der Grund dafür gewesen sein, dass das Werk nicht in die Opernsammlung gelangte, so hat sie es am Ende gerettet: Die Opernsamm­ lung ging beim Brand der Bibliothek 2004 fast völlig verloren. Mittlerweise liegen eine moderne Edition der Rosamunde, ein Digitalisat des Autographen59 sowie eine Radio-Einspielung der modernen Wiederaufführung von 2012 im Rokokotheater Schwetzingen vor.60

6.2 Leselibretto – Das Urtheil des Midas und Pandora Zwei unvertonte Singspiele komplettieren und beschließen Wielands Bemü­ hungen um das Musiktheater.61 Das einaktige Stück Das Urtheil des Midas, erschien erstmals im Teutschen Merkur im Januar 1775. Es behandelt die im 11. Buch von Ovids Metamorphosen erzählte Fabel von König Midas, der im Gesangswettstreit zwischen Pan und Apollo für Pan votierte und dafür mit einem Paar Eselsohren belohnt wurde. Formal folgt dieses „Singspiel“ der Form der italienischen Opera buffa, sollte also ebenfalls vollständig gesungen werden und ist damit der erste kon­

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57 58 59 60 61

Schlosses. Vgl. Aufzeichnungen von Theodor von Traitteur. In: München Hauptstaatsarchiv, Abt. III, Geheimes Hausarchiv, Korr. Akt 882 Vb, fol. 105v. Das alte (National-)Theater-Ar­ chiv (heute in den Reiss-Engelhorn-Museen) besaß eine handschriftliche Partitur (4 Bde., Sign. 103), die jedoch Kriegsverlust ist. Vgl. Friedrich Walter: Archiv und Bibliothek des Grossh. Hof- und Nationaltheaters in Mannheim, 2. Bd., Leipzig 1899, S. 176. Sehr wahr­ scheinlich handelt es sich dabei um das Manuskript für die Aufführungen der Oper von 1780 im Nationaltheater Mannheim. Das wahrscheinlich Wielands Bibliothek entstammende Manuskript liegt heute in Berlin. Staatsbibliothek zu Berlin  – Preußischer Kulturbesitz, Sig. mus. Ms. 20547. Das Ms ent­ stammt ebenfalls der Poelchau’schen Sammlung. Die von Stüber (1997), S. 603, angegebene weitere Abschrift in Washington DC ist eine identische (moderne) Kopie. Die nicht ganz vollständige Originalhandschrift Schweitzers mit zahlreichen Korrekturen, wie sie auch in die Berliner Abschrift übernommen wurden. Weimar, Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Sign. HMA 3889. Aufbewahrt im Thüringischen Hauptstaatsarchiv unter der Signatur HMA 3889. Anzufragen beim Tonarchiv des SWR 2 Baden-Württemberg. Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Stolarzewicz (2012), S. 203–248.

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sequente Aufgriff dieser Form in der deutschen Literatur,62 verwendet dazu gleichwohl an Stelle der für die Gattung typischen Geschichten aus dem bür­ gerlichen Milieu des 17. und 18. Jahrhunderts ein antikes Sujet. Als Vorbild kommt auch hier eine von Bach (BWV 201) vertonte Kantate Picanders, Ge­ schwinde, ihr wiebelnden Winde. Der Streit zwischen Phoebus und Pan, in Betracht,63 die Wieland durch seine Picander-Lektüre64 vertraut war. Locker gereimte Madrigalverse der Figuren dominieren das Rezitativ und wechseln mit Apollos ziemlich reinen Blankversen. Die Gesangspassa­ gen überwiegen bei weitem die kurzen Rezitative und führen das Stück zu einem dichten, durchgesungenen finale. Im Zentrum stehen das Lied Pans und Apollos Accompagnato-Rezitativ mit zweiteiliger Arie. Dass am Ende Apollo, Thalia und der Faun den vereselten Midas mit „Herr Aldermann“65 ansprechen, ist als Wielands Antwort auf Klopstocks Angriffe in der Gelehr­ tenrepublik gewertet worden,66 deren oberste Kunstrichter auf diesen Ehren­ titel hören. Doch sollte das Stück nicht darauf reduziert werden, enthält es doch wie nebenbei Wielands Poetologie der komischen Oper. Pans Liedchen mit seiner Refrainstruktur wird erst komisch (und anzüglich) durch Midas, der es wiederholen lässt und damit zu einer Da capo-Arie „mit Variazionen“ aufbläht. Das Niedere hat im komischen Singspiel durchaus seinen Platz und so schäkert Thalia gleich eingangs mit einem der Faunen um einen Kuss. Doch bleibt ein Faun ein Faun und man sollte nicht Midas’ Fehler machen, seinem (schlichten) persönlichen Geschmack folgend, das Niedere an die Po­ sition der höchsten Kunst setzen zu wollen. Apollo bringt im Stück überdies die Voraussetzung auf den Punkt, die jeder Zuhörer mitbringen sollte: „Ein Herz, das fühlen kan, und nicht zu dicke Ohren“67, die Wieland im Versuch über das Teutsche Singspiel von jedem Opernbesucher forderte. Das 1779 im 3. Band des Teutschen Merkur erschienene Stück Pandora – Lustspiel mit Gesang war ursprünglich für das Weimarer Liebhabertheater be­ stimmt und ist Wielands einziges Singspiel mit gesprochenen Prosadialogen. Zunächst als Übersetzung von Le Sages Boëte de Pandore geplant, entwickelte es mit dem Auftritt des Prometheus, möglicherweise auch im Reflex auf Goethes Prometheus-Drama von 1773, eigene Wege. Der erste Akt zeigt die Lebenswelt der Menschen als eine Wildnis und zugleich Idylle des goldenen 62 63 64 65 66 67

Knapp zehn Jahre vor Goethes Scherz, List und Rache. Bach, Johann Sebastian: Geschwinde, ihr wirbelnden Winde (BWV 201). In: Ders: Neue Aus­ gaben Sämtlicher Werke. Johann-Sebastian-Bach Institut Göttingen und Bach-Archiv Leipzig (Hg.). Serie I (Kantaten), Bd. 40, Kassel u.  a. 1963, S. 119–192. Und eventuell durch Wolfs (heute verschollene) Vertonung von 1758. Vgl. Stolarzewicz (2012), S. 204. Das Urtheil des Midas. Wielands Werk, Bd. 12.1 (2009), S. 23–24. Vgl. Seuffert (1894), S. 537; Starnes (1987), Bd I, S. 529, und Parker (1961), S. 113. Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 18.



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Zeitalters, in der es keine bösen Leidenschaften gibt; folglich die Liebenden sich treu sind, der reiche Alte dem jungen Mann gerne das Mädchen überlässt und eine schöne Summe Geld für die Gründung des Hausstandes zur Hoch­ zeit gibt, die Freundinnen dem Glück neidlos zusehen. Die in einer melodra­ matischen Szene respektive Pantomime aus Pandorens Büchse aufsteigenden Leidenschaften rücken diese verkehrte Welt zurecht und die vorhersehbare Komödie beginnt sich zu verwickeln. Mit dem Auftritt Prometheus’ wechselt die Prosa zu reimlosen Jamben. Pandora wird vom Spielleiter Merkur jedoch als Instrument des Schicksals rehabilitiert und Irene, die Göttin des Friedens, schenkt den Menschen die Musen der Musik und Dichtung, die ihnen helfen sollen, die Stürme ihrer Leidenschaften beim Klang süßer Töne zu besänfti­ gen – auch Pandora ist damit ein Stück über die Heilkraft der Musik.

6.3  Transformation der Oper in den Roman – Geschichte der Abderiten Auch Wielands Bemühungen um das Libretto münden in den Roman. Die Entstehung der ab Januar 1774 im Teutschen Merkur erscheinenden Geschichte der Abderiten lässt sich bis in den Herbst des vorangehenden Jahres zurück­ verfolgen und die Zeitschrift-Ausgabe war im Herbst 1780 abgeschlos­ sen.68 Die Geschichte der Abderiten umgreift damit Wielands Beschäftigung mit dem Musiktheater von der erfolgreichen Premiere der Alceste und den sie flankierenden Briefen an einen Freund  … bis zum frustrierten Einstellen der Bemühungen um die Gattung und zugleich aller praktischer Arbeiten für das Theater. Im 1778, wenige Monate nach Wielands Rückkehr aus Mann­ heim erschienenen dritten Buch Euripides unter den Abderiten ist den Querelen um die Entstehung und die verhinderten Aufführungen der Rosamunde in Mannheim ein poetisches Denkmal gesetzt. Bereits am 23. Dezember 1777 schrieb Wieland an Goethes Mutter (die er auf seiner Reise nach Mannheim in Frankfurt besucht hatte): „Welch ein Fall, liebe Mutter! aus Ihrem Hause in die Grundsuppe des großen Froschgrabens von Abdera!“69 Für die Ausgabe der Sämmtlichen Werke stellte Wieland unmittelbar zu Beginn der Ausschweifung70 um das Abderitische Theaterwesen im 1. Kapitel des dritten Buchs eine Warnung an den Leser ein, „sich ja nicht einzubilden, als ob hier, unter verdeckten Nahmen, die Rede von den Theaterdichtern, den Schauspielern, und dem Parterre seiner lieben Va t e r s t a d t die Rede

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Vgl. Klaus Manger: Geschichte der Abderiten. In: Wieland-Handbuch (2008), S. 295–296. WBr Bd. 5, S. 692. Die im Erstdruck mit Sterne’schem Anklang eine „Digreßion“ ist.

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sey“71. Der Roman verschlüsselt keine konkreten Orte, denn „Wir läugnen zwar nicht, daß die ganze Abderitengeschichte in gewissem Betracht einen doppelten Sinn habe: aber ohne den Schlüssel zu Aufschließung des g e h e i­ men Sinnes, den unsere Leser von uns selbst erhalten sollen, würden sie Ge­ fahr laufen, alle Augenblicke falsche Deutungen zu machen.“72 Er wird in der Tat in der Druckausgabe ab 1781 geliefert, steht jedoch am Ende des Textes. führt sich damit also selbst ad absurdum und treibt das Spiel zwischen Autor und Leser um Verschlüsselung, Erkenntnis und Selbsterkenntnis dahinge­ hend auf die Spitze, als es zu den lebensnahen Abbildern (vorgeblich) zwar keine eindeutigen Vorbilder gibt, wohl aber aus der Phantasie entsprungene Urbilder, die sich als umso treffender erweisen: „Der Erfolg bewies, daß ich unschuldiger Weise Abbildung en gemacht hatte, da ich nur Fantasien zu mahlen glaubte.“73 Die Leser, die zu diesem Zeitpunkt bereits zwei umfäng­ liche Bände hindurch mit den berückend bis bedrückend lebenswirklichen Beschreibungen umgehen mussten und nicht wissen konnten, ob sie in ih­ nen, der Warnung des Autors ungeachtet, nicht doch Beschreibungen ihrer Lebenswirklichkeit wiedererkennen müssten, werden nun mit der Warnung entlassen „sich vor allem zu hüten was den Verdacht erwecken könnte, als ob sie entweder aus Abderitischem Blute stammten. oder aus übertriebner Bewundrung der Abderitischen Ar t un d Ku n s t und daher entsprin­ gender Nachahmungssucht, sich selbst Ähnlichkeiten mit diesem Volke ge­ ben wollten“.74 Wielands Distanzierung ist besonders für das dritte Buch eine spitzbübi­ sche, da hier die Ereignisse um Rosamunde in höchstem Maße als bildgebende Vorgänge durchscheinen, sich aber eben nicht in dieser konkreten Situation und einer entsprechenden Entschlüsselung erschöpfen, sondern das Abbild im Roman zu einem Urbild der Theatersituation in Deutschland transfor­ miert wird, das im Grundsatz eine gültige Beschreibung aller Theaterkabale bildet, gleichwohl, wie die Fußnote 6 („Man vergesse nicht daß dieß im 1777 geschrieben worden“75) in der Fassung der Sämmtlichen Werke zeigt, in ho­ hem Maße auf die Situation der späten 1770er Jahre bezogen ist. In Abdera spiegeln sich zwar die Blüten der Nationaltheaterbestrebungen der Mann­ heimer Bürgerschaft, die aber auch an zahlreichen anderen Orten des deut­ schen Sprachraumes blühten und denen die Reformtheaterbestrebungen des Königs Archelaus, dessen Ruf Euripides/Wieland mit seiner Theatertruppe folgt, illusionslos gegenübergestellt werden: 71 72 73 74 75

SW Bd. 19, S. 246. Ebenda, S. 247. SW Bd. 20, S. 300. Ebenda, S. 307. Die Abderiten. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 304.



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Das Wahre davon war: daß besagter König Archelaus seit einiger Zeit öfters lange Weile hatte – weil ihn seine vormahligen Amusemens, als sind – F**, G**, H**, I**, K**, L**, M**, usw. nicht länger belustigen wollten. Überdem war er ein Herr von großer Ambizion, der sich von seinem Oberkammerherrn hatte sagen lassen, dass es schlechterdings unter die Zuständigkeiten eines großen Fürsten gehöre, Künste und Wissenschaften in seinen Schutz zu nehmen.76

Die hier angedeutete Mätressenwirtschaft und das Schielen nach dem baye­ rischen Thron mögen mit hinlänglicher Deutlichkeit auf Carl Theodor ver­ weisen, die Förderung des (deutschen) Theaters aus anderen als ursächlich der Kunst geschuldeten Gründen hingegen wird man ihm kaum vorwerfen können, war aber anderorts ein verbreitetes Phänomen. Entsprechend er­ schöpfen sich die Parallelen zwischen lebenden und fiktiven Personen rasch, wenn es um die zentralen Gestalten des abderitischen Künstler-Pantheons geht. In dem Vielschreiber Hyperbolus Wielands Mannheimer Plageteufel von Klein zu vermuten wäre ebenso verfehlt wie unter dem Schnellkompo­ nisten und musikalischen Versatzstückflickschuster Nomofylax Gryllus den von Wieland geschätzten Holzbauer. Bezeichnend ist vielmehr die verquere Wertschätzung der Abderiten, die ein Licht auf die später um Mozart gerank­ ten Anekdoten wirft, der angeblich schneller komponiert habe, als ein Kopist Noten schreiben konnte. In einem Brückenschlag verknüpft Wieland in der abderitischen Tra­ gödienauffassung des Hyperbolus („so wie seine Personen hatte nie kein Mensch ausgesehen, nie kein Mensch gefühlt, gedacht, gesprochen noch ge­ handelt. Aber eben das wollten die Abderiten“77) seine Kritik an Aurelis An­ tigona delusa da Alceste („Sie empfinden, reden und handeln nach ganz andern Naturgesetzen, als wir armen Erdenbewohner.“78) mit der an einigen jungen Autoren seiner Weimarer Umgebung und ihrer – wie Wieland damit unter­ stellt – bereits überwundenen Epoche der Kraftmeierei. „Aber der Feuer­ strom, die wetterleuchtenden Gedanken, die Donnerschläge, der hinreißende Wirbelwind – kurz, die Riesenstärke, der Adlersflug, der Löwengrimm, der Sturm und Drang, der den wahren tragischen Dichter macht“.79 Das Zitat enthält nicht nur die epochemachende Wendung aus Klingers in 1776 in Wei­ mar entstandener Komödie,80 die ab 1777 zur Losung wurde, sie konfron­ tiert die Autoren auch mit ihrer zentralen Bezugsquelle, den Dramen Shake­ 76 Ebenda. 77 Ebenda, S. 281. 78 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 90. 79 Ebenda, S. 281. 80 Deren ursprünglicher Titel Wirrwarr von Christoph Kaufmann (1753–1795) zu Sturm und Drang geändert wurde. Ulrich Karthaus (Hg.): Sturm und Drang. Epoche, Werke, Wirkung. unter Mitarbeit von Tanja Mauß. Zweite, aktualisierte Auflage. München 2007, S. 107.

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speares, aus dessen Hamlet (III/2) das (leicht abgewandelte) Zitat stammt.81 Damit wird nicht der Ausspruch selbst Gegenstand der Kritik, sondern die Unverfrorenheit, mit der sich der Hyberbolus bei einem bedient, mit dem es leicht ist „wie ein Meister von der Sprache [zu] sprechen“82. Die Schüler und Nachahmer realisieren denn auch in ihren Tragödien treffsicher jene Gegenstände, die Wieland für das Singspiel ausschließt: die ausgerissenen Augen des Ödipus (hier als abgeschnittene Nase und Ohren) und die über den Leichen ihrer Kinder stammelnde Niobe.83 Was Sophokles (man lese: Shakespeare) gelingen konnte, gerät unter den Fingern der Epigo­ nen zur effekthascherischen und sinnlosen Verherrlichung von Gewalt; das blanke Entsetzten, das sie auslösen („einigen Blasfemien, wobey den Zuhö­ rern die Haare zu Berge standen“84). Doch die Passage erhält im Bezug auf die ursprünglich wenige Jahre zuvor an selber Stelle wie die Abderiten erschie­ nenen Abhandlungen zum Singspiel noch größere Tragweite. Ausdrücklich handelt es sich bei den Tragödien und Pantomimen um Opern („S i n g s p i e­ le“85) und Handlungsballette, denen die offenbar rein gesprochene Komödie und das unter dem Namen ihres Erfinders als Thlapsödien laufende komische oder rührende bürgerliche Drama gegenüberstehen. Was Wieland für das Singspiel/die Oper definiert hatte, gilt also für die Tragödie allgemein, was hier zugleich bedeutet, dass Tragödie für die Nachgeborenen (man lese: die Modernen) nur noch in Form der Oper/des Singspiels möglich ist. Entspre­ chend hatte Wieland bereits 1773 an Gebler nach Wien berichtet, dass „A l ­ ceste […] that, was noch keine Tragödie, die ich gesehen habe. Alle Augen strömten über; die Unempfindlichsten wurden gerührt, und die Gefühlvol­ len fanden sich in einigen Scenen von Empfindung erdrückt“86, und J. H. F. Müller erinnert sich an die – ebenfalls mit Zielrichtung Wien geführte – Diskussion mit Wieland über die Zukunft des deutschen (Musik-)Theaters: war mit Lessing [87] und Gleim in Betref der Verbesserung der deutschen Schau­ bühne nicht ganz einverstanden. – So behauptet Er: der deutsche Gesang müßte die 81

Das Jörg-Ulrich Fechner ebenfalls als titelgebende Quelle ausgemacht hat. Vgl. Friedrich Ma­ ximilian Klinger. Sturm und Drang. Ein Schauspiel. Mit einem Anhang zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Jörg-Ulrich Fechner (Hg.). Stuttgart 1970, S. 163. 82 Die Abderiten, Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 281. 83 Ebenda, S. 282. 84 Ebenda. 85 Ebenda, S. 288. 86 WBr Bd. 5, S. 124. 87 Lessings Position zur Oper ist ambivalent. Zu seinem Bekanntenkreis zählten u.  a. Marpurg und Agricola, die sich 1749 darüber befehdeten, ob der französischen oder der italienischen Musik der Vorzug zu geben sei, im Rahmen dessen wurde auch darüber diskutiert, ob die deutsche Sprache zur (Opern-)Komposition geeignet sei. Vgl. dazu: Laurenz Lütteken: Mu­ sikästhetische Reflexion im hugenottischen Berlin um 1760 – Yves Marie André. Jean Henri Samuel Formey und Ernst Gottlieb Baron. In: Neues Musikwissenschaftliches Jahrbuch.



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vaterländische Bühne erst in Ansehen setzen; und führte zum Beweise seine Alceste an, welche man hier zu hören nicht müde würde.88

Der Nomofylax legt alle Laster eines Opernkomponisten an den Tag, die Wieland an seinem „geliebten Schweitzer“ so glücklich vermisste: „Kurz, Herr Gr yllus hatte sich selbst komponiert; unbekümmert, ob seine Musik den Text; oder der Text seine Musik zu Unsinn mache“89 und die Substanz­ losigkeit seiner Partitur mit hohler Virtuosität des Orchesters kaschiert.90 Die Beschreibung seiner Vertonung von Euripides’ Andromeda liest sich wie eine Kurzfassung von Marcellos berühmter Satire Teatro alla Moda.91 Die korpul­ ente Primadonna mag zwar Probleme mit Intonation und Notentreue haben, doch kaschiert sie diese gekonnt – nicht etwa mit gutem Spiel, sondern ihren körperlichen Reizen – lässt überdies keine Chance aus, ihre Nachtigall-Triller anzubringen, es passe oder nicht, und ihre eigentlich als dramatische Klimax intendierte Bravourarie ad infinitum zu wiederholen. Der primo uomo gerät unterwegs immer wieder in seine komische Paraderolle und erinnert damit an Wielands illusionslose Beschreibung seines ersten Admet.92 An die Tragédie lyrique gemahnende Chöre und barocker Maschinenzauber komplettieren das Spektakel. Nachdem Euripides im Publikum erst seine ehrliche Meinung über das Machwerk abgepresst und er einige Zeit später gar noch um eine praktische Stellungnahme ersucht wird, versetzt seine Operntruppe die bei aller einge­ bildeter Bildung noch immer unverbildet reagierenden Abderiten in einen wah­

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Franz Krautwurst (Hg.). Augsburg 2000, S.  49–66. Lessing reagierte auf die Debatte mit ­einem unveröffentlichten Librettofragment, einer „PoßenOper“ Tarantula, die vermutlich 1749 entstand. Darin macht er auch von der naheliegenden Gelegenheit Gebrauch, Gott­ scheds Opernfeindschaft mitsamt seiner Komödientheorie ausgiebig zu verspotten. Grund­ sätzlich betrachtete sich Lessing in Fragen der Oper als eingeschränkt kompetent (vgl. Von den lateinischen Trauerspielen, welche unter dem Namen Seneca bekannt sind. In: Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 3 (2004), S. 559–560), betrachtet die Oper jedoch zugleich als Bestandteil, nicht Sonderfall der dramatischen Dichtung. Grundsätzlich deckt sich seine Auf­ fassung von der engen Verbindung von Wort und Ton und ihrem Potential zur Erregung der Leidenschaften mit der Tradition der deutschen Opernschriften und insbesondere mit Wielands Auffassungen. Gleichwohl plädiert er für ein deklamiertes Rezitativ. Insgesamt bleiben Lessings Anmerkungen zur Oper sehr theoretisch. Vgl. dazu die Darstellungen von Plachta (2003), S. 106–118, und Gloria Flaherty: Lessing and Opera: a Re-Evaluation. In: The Germanic Review 64 H. 2 (1969), S. 95–109. Zit. nach Starnes (1987), Bd. I, S. 601. Die Abderiten. Wielands Werke, Bd. 1.1 (2009), S. 288. Ebenda, S. 282. Algarotti erwähnt Marcello verschiedentlich lobend als Komponist, ohne dessen satirische Schrift aufzuführen. Es ist aber anzunehmen, dass dieser sehr weit verbreitete Text Wieland bekannt war. „mein Admet [ist] ein unverbesserlicher Caspar“. An Ring am 22. Januar 1773, WBr 5, S. 60.

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ren Taumel. Der Text und die „vollkommen nach dem Sinn des Dichters“93 komponierte Musik des namenlos bleibenden Tonsetzers setzen im Verein mit der Kunst der Schauspieler und der offenbar mitgeführten Prospekte dem abderitischen Spektakeltheater Natürlichkeit und Illusion entgegen, die die Zuschauer sich selbst vergessen und in den Figuren auf der Bühne auf­ gehen lassen.94 Leselibretto und Essay werden in die Romanhandlung transferiert und entfalten dabei ihre ganze Kraft auf die Romanfiguren und über sie auf den Leser. Die Beschreibung dieses vollendeten Theaterereignisses gerät im Vergleich mit der vorangegangenen kurz und stereotyp, erweist sich als im Medium des Romans nicht verbalisierbar. Ausführlich beschrieben wird hin­ gegen die Reaktion der Abderiten, die zunächst wie verzaubert das Applau­ dieren und ihre Plattitüden vergessen, dann aber wie besessen sind: „alles was Odem hatte, sprach, sang, trallerte, leyerte und pfiff, wachend und schla­ fend, viele Tage lang nichts als Stellen aus der Andromede des Euripides. Wo man hin kam hörte man die große Arie – O d u , d e r G ö t t e r u n d d e r M enschen H e r rs che r, Amo r u .s.w .“95 Mit der buchstäblich überwäl­ tigenden Wirkung dieser Oper zerbricht Wieland um ein Haar seine Satire, die er nur über das Zitat verschiedener Quellen und dadurch rettet, dass er das „Fieber“, das die Abderiten ergreift, wörtlich nimmt. Aus ihm gehen sie schließlich ungeläutert hervor. Euripides ist längst weitergezogen mit seiner Truppe, sang- und klanglos ohne ein Abschiedswort. Doch was bleibt, ist jener kurze Moment einer außerzeitlichen Utopie, die im satirischen Roman nur die Oper auslösen konnte: „Fr e u n d s ch a f t u n d Tu g e n d begegne­ ten sich auf den Gassen  – das goldne Alter kehrte zurück und schwebte über der Stadt Abdera. Jeder Abderit nahm sein Haberrohr, und jede Abde­ ritin verließ ihr Purpurgewebe, und setzte sich keusch und horchte auf den Gesang.“96 In den Abderiten überführt Wieland die Poetik der Gattung – ihren Miss­ brauch, aber auch ihr Potential – die Welt, und sei es für ein paar Stunden oder Tage, stillstehen zu lassen, in die Handlung der Satire. Er steuert damit den Leselibretti der späteren 1770er Jahre eine Spielart des Lese-Opern-Tex­ tes bei, der sogar die Theorie aus der Sphäre der Abhandlung in die Handlung überführt und poetisch fruchtbar macht.

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Abderiten, Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 321. Ebenda, S. 322. Ebenda, S. 324. Ebenda, S. 327.



Epilog – Opern-Libretto, Leselibretto und Roman

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6.4  Schluss – vom Musik- zum Leselibretto Wieland blieb zeitlebens stolz auf seine Alceste.97 Auch wenn er seine prakti­ schen Arbeiten für das Musiktheater nicht wieder aufnahm, finden die inten­ siven Bemühungen um die Oper, in die sein gesamtes Theaterschaffen wäh­ rend des ersten Weimarer Jahrzehnts aufgegangen war, 1796 ein spätes Echo in der Ausgabe der Sämmtlichen Werke. Nicht nur, dass Wieland bis auf Aurora alle Musiktheatertexte in die Ausgabe aufnahm, er widmete den „Singspie­ le[n] und Abhandlungen“98 einen eigenen Band innerhalb der Werkabteilung. Die beiden frühen Theaterstücke Lady Johanna Gray und Clementina von Por­ retta erschienen dagegen mit Pandora in Band 4 und 5 der Supplemente. Doch nicht genug, dass Wieland die Libretti noch stärker als die Theaterstücke auch als reine Lesetexte in ihrem Werkcharakter bestätigte, er unterzog sie überdies einer sorgsamen Bearbeitung, die den Gesangstext in den Rezitati­ ven mitunter von der Partitur entfernt, wo die Vertonung eine unnatürliche Satzstellung verlangt hatte. So wird beispielsweise aus Admets Bitte „O hebe deine Augen/ Sieh zu deinen Füßen mich“99: „O hebe deine Augen, siehe mich zu deinen Füßen“100. Mit Band 26 der Sämmtlichen Werke schließen sich Wielands Arbeiten für das Theater. Die Begeisterung für die Bühne sollte hingegen bis zum Lebensende andauern. Noch am 19. Dezember 1812 bat er Goethe darum, ihm im The­ ater einen Platz auf dem Balkon zu reservieren, damit er August Wilhelm Iffland (1759–1814) bei seinem Gastspiel nicht nur hören, sondern auch se­ hen könne (was in der Fürstenloge offenbar nicht der Fall war).101 Dies ist Wielands letzter Brief. Ob er Iffland tatsächlich noch gesehen hat, muss offen bleiben. Wieland starb am 20. Januar 1813.

97 So gegenüber Böttiger (1998), S. 276. 98 In deren Reihe nur die Briefe an einen Freund über das deutsche Singspiel ‚Alceste‘ fehlen. Offenbar hatte Wieland im Zuge von Goethes Satire Götter, Helden und Wieland eingesehen, dass auch ein gutes Werk eher verliert, wenn man ihm selbst die ausführliche Exegese nachliefert. 99 Alceste. II/3, Nr. 5, T. 23–25. 100 SW Bd. 26, S. 17. 101 WBr Bd. 18.1, S. 424.

7.  Glossar – Wielands Kontakte zu Oper und Musiktheorie bis ca. 1777 Legende: Kein Zeichen und ggf. Quellenangabe = direkte Kenntnis * Schriften befanden sich in Wielands Bibliothek1 ** Schriften und Werke waren Wieland zugänglich, da sie zeitgenössisch weit verbreitet waren oder es ist aus jeweils zu erläuternden Gründen sehr wahrscheinlich, dass er sie wahrgenommen hat.

7.1 Librettisten Anonymus Alexandra. Einer das Liecht des Christlichen Glaubens in das Heydnische Königreich Georgia durch ihre Tugend einführende Prinzessin aus Bithynia (Biberach 1761). Peter Födorowicz Weyland Tzar, und Selbsthalter aller Reussen (Biberach 1764). Entsetzliche Früchten erzwungener Liebe, oder der von Lieb verblendete/ grausam aber gestraffte Octavianus, Römischer Kayser (Biberach 1765). Arianische Boßheit Justinae Kaysers Valentiniani Gemahlin und rebellische Grausamkeit Ma­ ximi zweyfachen Schlachtopffer nemlichen Gratiani Augusti Römischen Kaysers und Constantiae Postumae Römische Kayserin (Biberach 1767). Anseaume, Louis (1721–1784) Les deux chassiers et la laitiere. Opéra comique (Paris 1766; Weimar 1771).2 Audinot, Nicolas Medard (1732–1801). Der Fassbinder (Le Tonnelier) Paris (1765) Weimar 1772.3 Aureli, Aurelio (1630–1708) Venedig 1660. Antigona delusa da Alceste. Wieland besprach die deutsche Übersetzung (die auch das Argomento wiedergibt) in Über einige ältere teutsche Singspiele, welche den Nahmen Alceste führen. Brandes, Johann Christian (1735–1799) Ariadne auf Naxos (Zwischenspiel) Weimar 1772.

1 2 3

Vgl. Bertuch, Friedrich Justin: Verzeichniß der Bibliothek des verewigten Herrn Hofraths Wieland: welche … 1815 … öffentlich versteigert werden soll / [mit einer Vorrede von] F. J. Bertuch. Weimar 1814. Vgl. Bauman (1977), S. 361. Ebenda, S. 326.

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Braunschweig-Lüneburg, Anton Ulrich von (1633–1714) Die römische Octavia (1673–1714). Die durchleuchtigte Syrererin Aramena. 5 Teile. Teil 3 und 4 in der Ausgabe von 1669 und Teil 1–5 in der Ausgabe von 1678.4 Brockes, Barthold Hinrich (1680–1747) Wieland machte seine ersten Literaturerfahrungen an Brockes und schrieb in Folge, „eine Unmenge an kleinen Opern und Cantaten …“5 Calzabigi, Rainiero de (1714–1995) Wieland kannte Calzabigis Dichtungen zu Glucks Opern, s. Gluck Guarini, Giovanni Battista (1538–1612) vertont u.  a. von Monteverdi, als Madrigale.6 Einsiedel-Scharfenstein, Friedrich Hildebrand von (1750–1828) Ceres. Ballett. Weimar 1774. Elmenhorst, Heinrich (1632–1704) s. auch Theoretische Schriften Den Pastor, Librettisten und Verteidiger der Oper lobt Wieland im Aufsatz über die älteren Alcesten. Favart, Charles Simon (1710–1792)7 Soliman Second ou les trois sultanes. Lustspiel (1761) oder Opéra comique. Wieland verfasste 1768 einen Prolog zu einer Aufführung in Erfurt. Der Schnitter (Les Moissoneurs). Opera comique (Paris 1768), Weimar 1771.8 Das Rosenfest (La Rosiére de Salency). Opéra comique (Paris 1769). Goldoni, Carlo (1707–1793) La Cecchina ossia la buona figliuola. Sentimentale Komödie bzw. Dramma giocoso bzw. Opéra comique 1756, Vertonung (u. a.) von Piccinni, Rom 1760. Gotter, Friedrich Wilhelm (1746–1797) Die Dorfgala. Singspiel (Weimar 1772). Harsdörffer, Georg Philipp (1607–1658) Frauenzimmer Gesprächs-Spiele. Teile 1–8. in verschiedenen Auflagen.**9 Heermann, Gottlob Ephraim (1727–1815) Die Dorfdeputierten (nach Goldoni)/Wolf. Komische Oper (Weimar 1773).10 Das Rosenfest. Operette (Weimar 1774).11 Die getreuen Köhler (Weimar 1772).12

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5 6 7 8 9 10 11 12

Beide Romane erwähnt Wieland im Aufsatz „Was ist Hochdeutsch?“ (1782). Wielands Werke, Bd. 17.1, S. 675. Aramena In der H.A.A.-Bibliothek. Vgl. Klaus Bulling: Bibliographie zur Fruchtbringenden Gesellschaft. In: Marginalien. Blätter der Pirckheimer Gesellschaft. 20 (1965), S. 62 und S. 69. Brief an Bodmer vom 6. März 1752. WBr Bd. 4, S. 136. Christoph Willibald Gluck hatte zahlreiche Opern von Favart bearbeitet. Vgl. Bauman (1977), S. 326–361. In der H.A.A.-Bibliothek. Vgl. Bulling (1965), S. 28–29. WBr Bd. 5, S. 577. Vgl. Bauman (1977), S. 326 und S. 361. WBr Bd. 5, S. 577. Vgl. Huschke (1980), S. 15; Bauman (1977), S. 361. WBr Bd. 5, S. 577. Vgl. Bode (1925), S. 83–84 und Bauman (1977), S. 361.



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Henrici, Christian Friedrich (gen. Picander) (1700–1764) Picanders Gedichte (Leipzig 1737?).13 Jacobi, Johann Georg (1740–1814) Elysium (Vorspiel) (Hannover 1770) Weimar 1772.14 Apollo unter den Hirten (Hannover 1770) Weimar 1772.15 Klein, Anton von (1746–1810) Günther v. Schwarzburg (Mannheim 1777). Koch, Heinrich Gottfried (1703–1775) Sancio und Sinilde. Die Stärke der Mütterlichen Liebe (Wien ab 1753).16 Inkle und Yarriko (Nach Gellert) Ballett (Weimar 1772).17 König, Ulrich (1688–1744) Die getreue Alceste (Braunschweig 1719). Wieland beschreibt den Text in seinem Aufsatz: Über einige ältere t e u t s ch e S i n g ­ s p i el e, die den Nahmen Alceste führen.18 Sancio/ Oder Die in ihrer Unschuld Siegende Sinilde (Braunschweig 1729).19 Le Sage, Alain-René (1668–1747) Le Theatre de la foire, ou l’Opéra comique, cont. Les meill. Pièces qui ont été représentées aux foires de S.-Germain et de S.-Laurent (Paris 1721–37).*20 Quinault, Philippe (1635–1688) Alceste ou le Triomphe d’Alcide. Tragédie lyrique (Paris 1674). Wieland hatte „die Alceste des Quinault“ noch im September 1773 auf seinem Schreibtisch (entliehen aus Meusels ‚academischer Bibliothek‘). Ob es sich dabei um Libretto oder Partitur handelte ist nicht zu entscheiden. WBr Bd. 5, S. 165. Opernlibretti.21 Marmontel, Jean-François (1723–1799) Annette et Lubin, pastorale mise en verse par N. Marmontel, & en musique par M. de La Borde (Paris 1762).22*23 Metastasio, Pietro (1698–1782) Opere. Es kann als gesichert angenommen werden, dass Wieland praktisch sämtliche Li­ bretti Metastasios gelesen hatte. Bereits 1758 lieh ihm Sulzer eine Werkausgabe. Wielands eigene Bibliothek verzeichnete später eine Prachtausgabe von 1780–82. Namentlich erscheinen:

13 WBr Bd. 1, S. 86. 14 Bode (1925), S. 82. 15 Ebenda. 16 Mögliche Quelle der Biberacher Perioche. 17 Ebenda, S. 80. 18 Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 110–115. 19 Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Hauptquelle der Biberacher Aufführung durch die katholische Komödianten-Gesellschaft 1762. 20 Vgl. Bauch/Schröder, S. 493. 21 WBr Bd. 4, S. 110. 22 Im November vergleicht er sich und Christine Hogel gegenüber Sophie La Roche mit An­ nette und Lubin. WBr 3, S. 116. 23 Bauch/Schröder, S. 550.

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D’isola disabitata, die Werthes für den Teutschen Merkur übersetzte. Offenbar verfolgte Wieland mit den ersten Jahrgängen des TM eine Art intertextuelle Reformopernen­ zyklopädie.24 Il re pastore (Vertonung von Gluck, Wien 1756) s. Gluck Didone abbandonata.25 Catone in Utica.26 Michaelis, Johann Benjamin (1746–72)27 Herkules auf dem Oeta. Singspiel (Hannover 1771). Miller, Hermannus (1738–1796) Junius Lucius Briutus der getreue Burgermeister in Rom (Biberach 1767). Musäus, Johann Karl August (1735–1787) Die Stufen des Menschlichen Alters (Weimar 1771). Picander, s. Henrici Ramler, Karl Wilhelm (1725–1798) s. auch Theoretische Schriften Der Tod Jesu. Kantate.** Ramlers Kantatentext gehört zusammen mit der Brockes Passion zu den einfluss­ reichsten protestantischen Passionstexten des 18. Jahrhunderts (vor der Wiederent­ deckung der Bach’schen Passionen gegen Ende des Jahrhunderts). Vertonungen u.  a. von Graun und Telemann. Rousseau, Jean Jacques (1712–1778) Devin du Vilage. Opera comique (Paris 1752).** Pygmalion. Scene lyrique (Text: 1762; Musik: Rousseau und Horace Coignet UA Lyon 1770). Sophie La Roche berichtete Wieland bereits im Juli 1770 von dem neuartigen Stück.28 Wieland erhielt den Text 1771 von Friedrich Heinrich Jacobi29 und sendete postwendend eine Abschrift an seine Cousine.30 Johann Georg Jacobi erhielt wenig später ebenfalls eine Abschrift31 mit der Bitte um eine Stellungnahme und der Ankündigung von Wielands Plan zu einem Pygmalion-Drama (das nie aus­ geführt wurde).32 Die Aufführung 1772 in Weimar erfolgte mit der Vertonung von Anton Schweitzer. Sehr wahrscheinlich hatte Schweitzer den Text von Wieland, der ab Herbst 1771 bzw. März 1772 viel in Weimar war.

24 25 26 27 28 29 30 31 32

WBr Bd. 5, S. 183. Versuch über das Teutsche Singspiel …, Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 318. Ebenda, S. 306. Für die Auseinandersetzung von Wieland und Michaelis vgl. Albert R. Schmitt: Wieland und Johann Benjamin Michaelis. Die „Pastor Amor“-Affäre. In: MLN, 99.3 (1985), S. 607–632. WBr Bd. 4, S. 168. Vor dem 10. Februar 1771, WBr Bd. 6.2, S. 815. WBr Bd. 4, S. 260. 22. (?) Februar 1771. WBr Bd. 4, S. 264. „[Ihre Cantate] erneuert meinen Wunsch daß Sie für ein Lyrisches Theater (welches zwar noch nicht existiert, aber durch Sie veranlaßt werden könnte) arbeiten möchten. Wenn Sie noch lange zaudern, so steh’ ich Ihnen nicht dafür, daß ich Ihnen nicht zuvorkomme. Ich habe schon lange die Idee von einem kleinen lyrischen Schauspiel, P y g m a l i o n , im Kopfe, eine Idee, aus welcher etwas Schönes, sehr schönes werden müßte, wenn ich sie so ausführen könnte, wie sie in meiner Einbildung liegt.“ WBr Bd. 4, S. 256.



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Schiebeler, Daniel (1741–1771) Lisuart und Dariolette (Leipzig 1766) Weimar?33 Thymich, Paul Alceste. Nach Aureli (Leipzig 1693). Wieland beschreibt den Text in seinem Aufsatz: Über einige ältere t e u t s ch e S i n g ­ s p i el e, die den Nahmen Alceste führen.34 Weiße, Christian Felix (1726–1804) Wieland kannte Weißes „komische Opern“. Er wechselte ab 1768  Briefe mit Weiße35 und lernte ihn 1770 auch persönlich kennen. Die verwandelten Weiber (Leipzig 1766). Die Liebe auf dem Lande (Leipzig 1768). Lottchen am Hofe (Leipzig 1767).36 Die Jagd (Weimar 1770).37 Werthes, Friedrich August Clemens (1748–1817) Orpheus. Singspiel (Zürich 1775). Ursprünglich sollte es wie seine Übersetzung der Isola disabitata im TM erscheinen.

7.2 Komponisten Amphion Mythischer antiker Komponist, der mit seiner Musik die Steine bewegen konnte. Wieland nennt Schweitzer einen „Amphion“.38 André, Johann (1741–1799) Der Töpfer. Singspiel (Frankfurt 1774) Weimar 1774.39 Anonym Fünf Arien der Königin Elisabeth in der Opera in procat gold Pappier (?) Angeschafft 1732.**40 Bach, Carl Philipp Emanuel (1714–1788) Kantaten, Instrumentalmusik.** Vermutlich ist auch dieser Bach-Sohn gemeint, wenn Wieland den Namen erwähnt. Gepflegt wurde seine Musik vermutlich bereits in Warthausen. Bach, Johann Sebastian (1685–1750) Weltliche Kantaten.** 33 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. Bauman (1977), S. 326. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 103. WBr Bd. 3, S. 547–548. „Weißens komische Opern sind artig“. WBr Bd. 4, S. 94. WBr Bd. 5, S. 203. Ebenda, S. 60. Vgl. Bauman (1977), S. 326 und S. 361. Vgl. Vermehrung der Bibliothek und des Münzkabinetts. 1729–1819. Hauptsaatsarchiv Thü­ ringen. Sig. A 11694a. Dies ist die einzige Musikalie, die sich aus den Zugangsakten und den Bibliotheksverzeichnissen von 1709 bis 1714 ersehen lässt. Vgl. Hauptstaatsarchiv Thürin­ gen, Sig. A 11603 und A 11601a. Allerdings klafft zwischen 1745 und 1774 eine Lücke in den Akten.

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Bögle, Georg (1734–1796) Peter Födorowicz Weyland Tzar, und Selbsthalter aller Reussen (Biberach 1764). Franck, Melchior (ca. 1580–1639) Erwähnt Wieland im Aufsatz über die älteren Alcesten. Galuppi, Baldassare (1706–1785) Bereits in der Biberacher Zeit Synonym für gute Musik. Vermutlich einer der Lieb­ lingskomponisten in Warthausen. Bibi sang ihm mit einer ‚Arie von Galuppi die Grillen weg‘.41 Demoofonte (Madrid 1749) (?). Möglicherweise in einer stark bearbeiteten Fassung 1762 in Biberach aufgeführt. Gluck, Christoph Willibald (1714–1787) Il re pastore (Wien 1756).42 Orfeo ed Euridice. Azione teatrale per musica (Wien 1762).43 Finale zu Orfeo ed Euridice [Handschrift von Gluck].**44 Alceste. Tragedia messa in musica (Wien 1767) Partiturdruck. 1771 Partitur (!) geliehen via Sophie La Roche von der Gräfin von Wartensleben.45 Iphigenie en Aulide. Tragédié (Paris 1774). Partiturdruck.46 Graun, Karl Heinrich (1704–1759) Kapellmeister in Berlin, Leibkomponist Friedrichs II., Vertreter der italienischen Opera seria und einer der Komponisten, deren Musik in Warthausen gepflegt ­wurde.47

41 42

43 44 45 46 47

So rückblickend an Zimmermann. WBr Bd. 3, S. 129. Am 18. August 1771 ‚die besten Arien‘, via Sophie La Roche 1771 von der Gräfin von War­ tensleben erbeten. WBr Bd. 4, S. 335. Möglicherweise handelt es sich hier um eine Verto­ nung des Kurtrierischen Kapellmeisters Pietro Pompeo Sales (so vermutet Scheibe in WBr Bd. 6, S. 877). Seltsam allerdings, dass Wieland die Oper in einem Atemzug mit Alceste nennt, ohne einen Komponistennamen zu nennen, was eigentlich eher impliziert, dass beide vom selben Komponisten stammen. Am 31. August fragt er abermals nach, „ich möchte sie auf unserm Concert producieren, und mir dadurch wenigstens einen Schatten des Vergnügens wiedergeben, das ich empfand als ich die schönsten davon von der schönsten Stimme dieser Unterwelt, von der Stimme der Dame Francolina singen hörte. Wie gefällt Ihnen Franco­ lina? Immer besser, dächte ich, als Franzel.“ WBr Bd. 4, S. 351–352. Scheibe (WBr Bd. 6.2, S. 885) vermutet hinter der Sängerin eine Dienerin von La Roche. Doch hat Starnes (1987, Bd. I, S. 397) dahinter die kurtrierische Hofsängerin Franziska Blümer ausgemacht, die etwa zeitgleich den mutmaß­lichen Komponisten der Musik Pietro Sales ehelichte. Nicht nur der Rufname ‚Franzel‘ passt zur gebürtigen Österreicherin besser als zu einer schwäbischen oder rheinischen Dienerin, sondern vor allem Wielands Einschätzung der ‚schönsten Stimme die­ ser Unterwelt‘ zu einer ausgebildeten Sängerin. Am 7. September teilt Sophie La Roche mit, „die arien deß Rè Pastore kan ich erst schiken wenn der Churfürst u. hof wieder hier ist – aber die von Glucks Opera sollen Sie nächstens haben“. WBr Bd. 4, S. 358. Sie bietet also Glucks Vertonung des Stückes als Ersatz an und nicht, wie Scheibe (WBr 6, S. 892) meint, die Alceste, die Wieland bereits bei sich hatte und am 18. August bat, schleunigst an Wartensleben zurück­ zusenden. WBr Bd. 5, S. 525. In der Sammlung Anna Amalias. Vgl. Dreise-Beckmann (2005), S. 216. WBr Bd. 4, S. 335., ferner in Anna Amalias Bibliothek. Vgl. Dreise-Beckmann (2005), S. 216. In der Sammlung Anna Amalias. Vgl. Dreise-Beckmann (2005), S. 216. WBr Bd. 3, S. 94.



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Gossec, François-Joseph (1734–1829) Der Fassbinder (Le tonnelier) (Paris 1765) Weimar 1772. Gretry, André Ernest Modeste (1741–1813) Das Urteil des Midas. Hs. Part.**48 Händel, Georg Friedrich (1685–1758) Wieland erwähnt Händel bereits in der ersten Fassung des Versuch über das Teutsche Singspiel (1775) in der Reihe der bedeutendsten deutschen Komponisten. Hasse, Johann Adolf (1699–1783) Alcide al Bivio. Klavierauszug, Breitkopf e figlio. 1763.**49 Demoofonte. 1755. Partitur. Hs.**50 Ezio. MDCCLV. Partitur. Hs.**51 La Fantesca. Intermezzi. Klavierauszug. Hs.**52 Priamo e Tisbe. Intermezzo Tragico. 1768. Part. Hs.**53 Hiller, Johann Adam (1728–1804) Wie aus den Briefen deutlich wird, war Wieland bereits vor seiner Umsiedelung nach Weimar mit dem Phänotyp der Hiller’schen Singspiele gut vertraut. Die Sey­ lersche Schauspieltruppe hatte eine Reihe seiner Singspiele im Repertoire. Die verwandelten Weiber/Weiße (Leipzig 1766). Die Liebe auf dem Lande/Weiße (Leipzig 1768). Lottchen am Hofe/Weiße (Leipzig 1767).54 Lisuart und Dariolette/Schiebeler (Leipzig 1766). Die Jagd/Weiße (Weimar 1770). Holzbauer, Ignatz (1711–1783) Günther von Schwarzburg/Klein. (Mannheim 1777). Jommelli, Niccolò (1714–1774) Kapellmeister in Stuttgart, gehörte zu den in Warthausen gepflegten Kompo­ nisten.55 Arien.56 L’Olimpiade/Metastasio Part. Hs.57 Keiser, Reinhard (1674–1739) Reiht Wieland bereits im Versuch über das Teutsche Singspiel (1775) in die Reihe der bedeutendsten Komponisten ein. Knecht, Justin Heinrich (1752–1817) Wieland gehörte zu den Förderern des Biberacher Wunderkindes. Möglicherweise erhielt er in der Musikerfamilie Knecht Zugang zu Werken des Musiktheaters in Form von Partituren.

48 In der Sammlung Anna Amalias. Vgl. Dreise-Beckmann (2005), S. 218. 49 Ebenda, S. 220. 50 Ebenda. 51 Ebenda. 52 Ebenda. 53 Ebenda. 54 WBr Bd. 5., S. 577. 55 WBr Bd. 3, S. 129. 56 1768 bittet Wieland Sophie La Roche um „les airs de Jomelli“. WBr Bd. 3, S. 506. 57 In der Sammlung Anna Amalias. Vgl. Dreise-Beckmann (2005), S. 227.

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Lully, Jean Baptiste (1632–1687) Wieland kannte Lullys spezifische Kompositionsweise spätestens seit 1753, wie seine Vorrede zur Ode auf die Geburt des Erloesers zeigt.58 Die Opern aus dem Repertoire der Academie royale du musique (Opéra) in Paris erschienen in der Regel auch als Partituren im Druck. Zudem gab es, unvorstellbar für die italienische Oper, einen festen Repertoire-Betrieb. Alceste z.  B. wurde bis 1757 (!) gespielt. Daher ist sehr wahrscheinlich, dass Wieland zunächst in Warthau­ sen und später in Weimar relativ unproblematisch Zugriff auf Partituren von Lully und Rameau hatte. Alceste ou le Triomphe d’Alcide. Tragédie lyrique (Paris 1674). Monsigny, Pierre-Alexandre (1729–1817) Le Deserteur (1769). Hs. Stimmen.**59 Mozart, Wolfgang Amadeus Thamos, König von Ägypten/Gebler. (1773).60 Piccinni, Niccolò (1728–1800) La Cecchina, ossia La buona figliuola/Goldoni (Rom 1760). Pergolesi, Giovanni Battista (1710–1736) La Serva padrona/Gennarantonio Federico (Neapel 1733). Stabat Mater, für das Wieland 1779 einen deutschen Text schrieb. Praelisauer (Prelisauer), Robert (1708–1771) Durch muttermörderischen Sohn Garzias bis zu dem Tod verfolgte Sinilde, Königin von Arrago­ nien (Biberach 1762). Rameau s. d’Alembert Sacchini, Antonio (1730–1786) Italienischer Opernkomponist, den Wieland ab 1772 erwähnt.61 Sales, Pietro Pompeo (1729–1797) Il re pastore (Koblenz 1770) s. Gluck Il re pastore Schweitzer, Anton (1735–1787) Aurora/Wieland. Singspiel (Weimar 1773). Idris und Zenide/Wieland. Ballett (Weimar 1772). Pygmalion/Rousseau/Schmidt. Melodram (Weimar 1772). Die Wahl des Herkules/Wieland. Singspiel (Weimar 1773). Elysium/Jacobi. Vorspiel (Hannover 1770). Der Lustige Schuster/Weiße. Singspiel (Hannover 1770). Apollo unter den Hirten/Jacobi. Singspiel (Hannover 1770). Ariadne auf Naxos. Zwischenspiel (Weimar 1772). Die Dorfgala. Singspiel (Weimar 1772).62 Polyxena/Bertuch. Lyrisches Monodrama (1775). Walmir und Gertraud/Michaelis. Singspiel (Hannover 1769) (?) Herkules auf dem Oeta/Michaelis. Singspiel (Hannover 1771). Die drei Stufen des Menschlichen Alters/Musäus. Singspiel (Weimar 1771). 58 59 60 61 62

AA Bd. 1.2, S. 215–216. In der Sammlung Anna Amalias. Vgl. Dreise-Beckmann (2005), S. 264. WBr Bd. 5, S. 260. Ebenda, S. 60. Das ist im selben Jahr, in dem dessen Oper L’isola d’amore in Schwetzingen aufgeführt wurde. Vgl. Bauman (1977), S. 326.



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Telemann, Georg Friedrich (1681–1767) Reiht Wieland bereits im Versuch über das Teutsche Singspiel (1775) in die Reihe der bedeutendsten Komponisten ein. Bekannt waren ihm sicherlich mindestens einige Kantaten und die Vertonung der Brockes Passion und Ramlers Der Tod Jesu. Wolf, Ernst Wilhelm (1735–1792) Die Dorfdeputierten. Komische Oper (Weimar 1772).63 Das Rosenfest. Singspiel (Weimar 1772).64 Die treuen Köhler. Singspiel (Weimar 1772).65 Ceres. Ballett (Weimar 1773).

7.3  Theoretische Schriften Alembert, Jean Le Rond d’ (1717–1783) Mathematiker und Philosoph. Obgleich Enzyklopädist, einer der zentralen Vermitt­ ler der Schriften und Positionen Rameaus. Seine Éléments de musique théorique et pratique suivant le principe de M. Rameau 1752 fassten Rameaus Schriften zusammen und machten sie für eine breitere Leserschaft rezipierbar. Friedrich Wilhelm Marpurg übersetzte d’Alembert’s systematische Einleitung in die musikalische Satzkunst nach den Lehrsätzen des Herrn Rameau (Leipzig 1757).66** Melanges de Littérature, d’Historie & de Philosophie (Amsterdam 1763).* In Wielands Bibliothek vorhanden, vermutlich drei von insgesamt fünf Bänden Ferner in: L’Esprit de l’Encyclopedie; ou Choix des articles le plus curieux, les plus agréables, le plus piquants, le plus philosophiques de ce grand Dictionnaire (Genf 1769). Algarotti, Francesco (1712–1764) Saggio sopra l’opera in musica (1755). Möglicherweise rezipierte Wieland bereits die italienische Ausgabe. Eine Überset­ zung erschien 1769 durch E. Raspe in Kassel. Wie Wielands Vermerk im Handbuch richtig vermerkt, kannte jeder, der sich mit der Oper im 18. Jahrhundert befasste, diese Schrift. Batteux, Charles (1713–1780) Einleitung in die schönen Wissenschaften. Übers. von Carl Wilhelm Ramler. Leipzig 1756–1758. Diese Ausgabe benützte Wieland.* Burney, Charles (1726–1814) The Present state of Music in France and Italy (London 1771). The present state of Music in Germany, the Netherlands, and united provinces. 2 Bde. (London 1773). Beide Ausgaben zitiert Wieland im Versuch über das Teutsche Singspiel.67

63 WBr Bd. 5., S. 577. 64 Ebenda. 65 Ebenda. 66 Vgl. Hirschberg (1903), S. 113. 67 Wielands Werke, Bd. 12.1 (2009), S. 308.

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Calzabigi, Rainero de (1714–1795) s. Gluck Chastellux, François-Jean (1734–1788) Essay sur l’union de la poësie et de la musique (Den Haag 1765).68 Chastellux gehört zu den in Deutschland nicht unbedingt auf breiter Front re­ zipierten Theoretikern.69 Insofern ist seine Anwesenheit in der Sammlung Anna Amalias bemerkenswert. Einflussreich war seine Definition, dass für die musikali­ sche Phrase oder Periode eine ebensolche in der Dichtung zugrunde gelegt werden muss, sich die regelmäßige und gefällige Form der italienischen Opernarie also nur aus dem regelmäßigen Versschema der Arie im Libretto ergeben kann: „Was für ein Entzücken empfindet das Ohr, nachdem es durch die unregelmäßigen Phrasen und verschiedenen Modulationen des Rezitativs geirrt ist, wenn es dann die musikali­ sche Periode beginnen hört, deren Plan und Struktur es auf der Stelle erfasst!“70 Dubos, Jean Baptiste Abbe du (1670–1742) Réflexionscritiques sur la Poësie et sur la Peinture (Paris 1719). Erwähnt Wieland gegenüber Schubart bereits 1764.71 Elmenhorst, Heinrich (1632–1704) Dramatologia Antiqvo-Hodierna, Das ist: Bericht von denen Oper-Spielen (Hamburg 1689). Wieland kannte die Existenz und den groben Inhalt der Schrift aus Neumeisters De Poetis Germanicus.72 Feind, Bartold (1678–1721) Bedeutender Librettist der deutschen Barockoper. Wandte sich in seinem Essay Von der Gemüthsbeschaffenheit eines Poeten (1708) gegen den normativen Dichtungsbe­ griff der Handbuchautoren. Entwickelte in Gedancken von der Opera (1708)** einen Dichtungsbegriff, der historische Dichtungsstufen und Vergleiche der euro­ päischen Opernformen berücksichtigt. Kunst befindet sich weder in einer aufstei­ genden Linie noch zirkuliert sie um ein antikes Ideal, sondern wandelt sich nach Zeit, Nationalität, Klima. Letzteres Argument sollte in Bodmers Diskurse der Mahler 1721 wiederkehren. Der historische Dichtungsbegriff ermöglichte ihm eine Abkehr von der Position der Imitation der Alten mit dem Ziel, eine neue, adäquate Oper zu schaffen. Wieland hatte Zugang zu zahlreichen Opernlibretti Feinds mit ihren oft program­ matischen Vorreden, die in der Sammlung Gottscheds enthalten waren. Welche dies waren, ist jedoch mit letzter Sicherheit nicht mehr zu bestimmen, da nur ein kleiner Teil der Gottsched’schen Sammlung den Schlossbrand von 1774 überstanden hat. Hamann, Johann Georg (1697–1733) Durchaus Sympathisant Gottscheds, trug auch zu den Vernünftigen Tadlerinnen bei, schätzte dennoch die Oper als Meisterstück aller Poesie: Poetisches Lexikon (1725). 68 69 70 71 72

Vgl. Dreise-Beckmann (2005), S. 270 (ohne Autorenangabe). Vgl. Flaherty (1978). Zit. nach: Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. Aus­ gewählt und kommentiert von Carl Dahlhaus und Michael Zimmermann. Kassel u.  a. 1984, S. 101. WBr Bd. 3, S. 283. Beitrag über die älteren Alcesten. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 103–107.



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Margaretha (Hamburg 1730). Hamburgische Berichte von den neuesten gelehrten Sachen (1732–1758). Hamburgische Beyträge zu den Werken des Witzes und der Sittenlehre (1753–1755). Hudemann, Ludewig Friedrich (1703–1770) Argumentiert, für die Oper sprächen ihre edlen Charaktere und dass sie „weder gemeine, noch ungemächliche Schönheiten“ zeige. Hudemann dreht den Spieß buchstäblich um, indem er „die Lust, Tragedien beyzuwohnen, als eine Art einer verborgenen Grausamkeit“ verwirft.73 Er nimmt damit Rousseaus Tragödienkritik von 1758 vorweg, ohne daraus jedoch eine generelle Bühnenkritik zu entwi­ ckeln. Gedanken von den Vorzügen der Opern vor Tragödien und Comödien. In: Neu eröffnete Musikalische Bibliothek. L. C. Mizler von Kolof (Hg.), II 3 (1742), S. 120–151. Proben einiger Gedichte und Poetischen Übersetzungen, Denen ein Bericht beygefügt worden, wel­ cher von den Vorzügen der Oper vor den Tragischen und Comischen Spielen handelt (Hamburg 1732). Hunold, Christian Friedrich s. Menantes König, Ulrich von (1688–1744) König war Mitstreiter von Bodmer und Breitinger gegen Gottsched. Theatralische, geistliche/ vermischte und galante Gedichte (1713). Darin: Vorrede** Des Freyherrn von Canitz Gedichte. Ulrich König (Hg.). 3 Bde.** Darin: Von dem guten Geschmack in der Dicht- und Redekunst. Krause, Christian Gottfried (1719–1770) Von der Musikalischen Poesie. Berlin 1752. Mit einem Register vermehrt. (Berlin 1753). Wielands Zugang erfolgte vermutlich über Nicolais Rezension in Allgemeine deutsche Bibliothek von 1770.74 Marpurg, Friedrich Wilhelm (1718–1795) Marpurg, der in Paris Rameaus Bekanntschaft gemacht hatte, empfahl dessen französische Opern als Vorbilder für eine deutsche Oper gegen den reinen Im­ port italie­nischer Opern (Friedrichs II). Seine Lebens- und Schaffensphase schlägt ­einen Bogen zwischen der deutschen Barockoper und ihren Leistungen. Nament­ lich durch seine Tradierung von Librettotiteln aus Matthesons Musikalischer Patriot (Hamburg 1928) und Gottscheds Nöthiger Vorrat.75 Der Critische Musicus an der Spree (1749–50). Eine Reminiszenz an Matthesons Criti­ scher Musicus 1722–1725.** d’Alembert’s systematische Einleitung in die musikalische Satzkunst nach den Lehrsätzen des Herrn Rameau (Leipzig 1757).** Historisch-kritische Beiträge zur Aufnahme der Musik. 5. Bde. (Berlin 1754–1778).** Mattheson, Johann (1681–1764) Der vollkommene Capellmeister (Hamburg 1739).** Eine der zentralen musikästhe­ tischen wie musikpraktischen Schriften, die bis zum Ende des Jahrhunderts auf breiter Front rezipiert wurde.

73 74 75

Ludewig Friedrich Hudemann: Proben einiger Gedichte und Poetischen Uebersetzungen. Denen ein Bericht beygefügt worden, welcher von den Vorzügen der Oper vor den Tragi­ schen und Comischen Spielen handelt. Hamburg 1732. Vgl. Flaherty (1978), S. 189–191. Vgl. ebenda, S. 164–166.

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Der musikalische Patriot76 Wieland zog ihn ganz selbstverständlich zu seinen Recher­ chen für den Aufsatz über die älteren Alcesten heran. Meier, Georg Friedrich (1718–1777) Hallenser Aufklärer. Wieland sandte ihm Die Natur der Dinge, die Meier herausgab. Die Kenntnis seiner Schriften kann somit vorausgesetzt werden. Betrachtungen über den ersten Grundsatz aller schönen Künste und Wissenschaften (Halle 1757). Beurtheilung der Gottschedischen Dichtkunst (Halle 1747–1748). Menantes, (Christian Friedrich Hunold) (1680–1721) (Erdmann Neumeister): Die allerneueste Art, zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen (Hamburg 1728). Theatralische/ Galante und Geistliche Gedichte (Hamburg 1706). Mendelsohn, Moses (1729–1786) Über Musik u.  a. in: Philosophische Schriften 1761.** Bereits bei Erscheinen empfahl Juli Bondeli Wieland die Gesammelten Schriften.77 Dass Wieland Mendelssohns Schriften verfolgte, zeichnet sich im Briefwechsel ab und kann als gesichert angenommen werden. Mizler von Kolof, Lorenz Christoph (1711–1778) – (Hg.) Neu eröffnete Musikalische Bibliothek, II 3 (1742), S. 120–151.** Neumeister, Erdmann (1671–1756) De Poetis Germanicus (Leipzig 1695). Die allerneueste Art, zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen (Hamburg 1728). Wieland verwendete die in lateinischer Sprache abgefasste Schrift für seinen Aufsatz über die älteren Alcesten.78 Opitz, Martin (1597–1639) Martini Opitii Buch von der deutschen Poeterey (Breslau 1624).79** Dafne (Torau 1627).** Ramler, Karl Wilhelm (1725–1798) Übersetzung von Batteux: Einleitung in die schönen Wissenschaften.80 Der Tod Jesu. Kantate.** Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778) Mann kann davon ausgehen, dass Wieland die Schriften zur Musik von Rousseau jeweils bei Erscheinen gelesen hat. Rousseaus Artikel für die Enzyklopädie waren Wieland geläufig. Oevres de M Rousseau de Genève (Paris 1765), Teil 1–4.* Dictionaire de Musique (Genf 1781), Teil 1–2. Traités su la Musique (Genf 1781). Schlegel, Johann Adolph (1721–1793) Übersetzte als erster Batteux als: Einschränkung der schönen Künste auf Einen einzigen Grundsatz, aus dem Französischen übersetzt, und mit einem Abhange einiger eigenen Abhandlungen versehen (Leipzig 1751).** 76 77 78 79 80

Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 104. Heute besitzt die HAAB nur einen modernen Re­ print. WBr Bd. 3, S. 116. Wielands Werke, Bd. 11.1 (2009), S. 103–104. In HAAB, vgl. Bulling (1965), S. 22. WBr Bd. 4, S. 55.



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Lessing rezensierte bereits im Erscheinungsjahr freundlich in Das neueste aus dem Reich des Witzes, Moses Mendelssohn 1760 in den Briefen die neueste Literatur betreffend und abermals 1771 in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften. Spätestens hier muss Wieland, der Batteux später gegenüber seinem Schwiegersohn wärmstens empfiehlt, auf die Schrift(en) aufmerksam geworden sein. Schlegel, Johann Elias (1719–1749) Schlegel ist eine wichtige Gelenkstelle: Anders als Gottsched erkannte er die Diffe­ renz zwischen den antiken Autoren und den französischen Klassizisten; übersetzte antike Werke. Er übernimmt Feinds Argument von der Bühne als verabredeter Täu­ schung,81 das die deutsche Diskussion um die Oper geradezu als Basso continuo begleitet.82 Werke. Johann Heinrich Schlegel (Hg.). 5 Bde. (Copenhagen 1761–1770).** Uffenbach, Johann Friedrich von (1687–1769) Ungeachtet der Größe der antiken Autoren dürfen deren Kriterien die moderne Dichtung nicht beschneiden. Wendet sich (wie Feind) gegen den normativen An­ spruch der anciens. „Alle sind Gedichte, das ist, Erfindungen. […] warum soll es in denen Sing-Gedichten allein eine Schande seyn?“ Und: „jeder, der in eine Opera gehet, […] weiss, dass er ein Gedichte sehen werde“83. Formuliert eine Anti-Pathos-Kritik der Tragödie, bei der die Oper ihr gegenüber aufgewertet wird. Gesammelte Neben-Arbeit in gebundenen Reden  … nebst einer Vorrede von der Würde der Sing-Gedichte (Hamburg 1733).** Von er Würde der Singgedichte, oder Vertheidigung der Opern. In: Neu-Eröffnete Musikali­ sche Bibliothek. L. C. Mitzler von Kolof (Hg.), 3 (1747), S. 277–408. Von Opern und Comödien. In: Braunschweigische Anzeigen, I, 46 (Juni 1745), S. 750– 753.** Saint-Évremond, Charles de Marguetel de Saint-Denis, Graf Ethalon, Seigneur de (1613–1703) Wieland war mit den Schriften St. Évremonds seit den 1760er Jahren vertraut, wie Briefe an July Bondeli und Sophie La Roche belegen. Sulzer, Johann Georg (1720–1779) Wieland war mit Sulzer während seines Aufenthalts in der Schweiz befreundet. Zu Allgemeine Theorie der Schönen Künste 1771 steuerte er einige Artikel bei und rezen­ sierte 1772 den ersten Teil.84 Sulzers umfangreicher Aritikel ‚Oper‘ im zweiten Teil greift vor allem Algarottis Opernkritik auf und empfiehlt Klopstocks Herrmanns Schlacht sowie das Bardiet zum Vorbild für Opernlibretti.

81

82 83 84

Zur Diskussion der Frage, ob ein direkter Einfluss von Feind auf Schlegel wahrscheinlich ist, vgl. Flaherty (1978), S. 316. Darin vertritt Flaherty die These, dass Gottscheds scharfe und polemische Ablehnung der Oper für deren Verteidiger eher eine anregende denn eine dämp­ fende Wirkung hatte. Dafür spricht, dass mancher Beiträger zu Gottscheds Publikationen zuvor, parallel und danach selbstständig über die Oper nachdachte! Vgl. Zitat in Flaherty (1978), S. 139. Zit. nach ebenda, S. 113. Wielands Werke, Bd. 9.1 (2008), S. 703–707.

8. Literaturverzeichnis 8.1  Abgekürzt zitierte Literatur Wielands Werke Christoph Martin Wieland: Oßmannstedter Ausgabe. Wielands Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma (Hg). Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hamburger Stif­ tung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Berlin ab 2009. WBr Wielands Briefwechsel: Akademie der Wissenschaften der DDR (Bd. 1–5 durch Hans Werner Seiffert) und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissen­ schaften durch Siegfried Scheibe (Hg.). Berlin 1963–2006. SW Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. In Zusammenarbeit mit dem Wieland-Archiv Biber­ ach/Riß und Hans Radspieler (Hg.). Neu Ulm, Hamburg 1984. AA Christoph Martin Wieland: Gesammelte Schriften. Deutsche Kommission der Kö­ niglich Preußischen Akademie der Wissenschaften (Hg.). Berlin 1909–1775 (=Aka­ demie-Ausgabe). MA J. W. v. Goethe. Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe in 21 Bänden. München 1985–1998. FA Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vier­ zig Bände. Friedmar Apel, Hendrik Birus, Anne Bohnenkamp, Dieter Borchmeyer, Hans-Georg Dewitz, Karl Eibl, Wolf von Engelhardt, Horst Fleig, Harald Fricke, Stefan Greif, Wilhelm Große, Walter Hettche, Peter Huber, Herbert Jaumann, Reinhard Kluge, Dorothea Kuhn, Petra Maisak, Christoph Michel, Klaus-Detlef Müller, Gerhard Neumann, Norbert Oellers, Wolfgang Proß, Hartmut Reinhardt, Andrea Ruhlig, Dorothea Schäfer-Weiss, Gerhard Schmid, Irmtraud Schmid, Al­ brecht Schöne, Rose Unterberger, Wilhelm Voßkamp, Manfred Wenzel, Waltraud Wiethölter (Hg.). Frankfurt a. M. 1994–1999. MGG² Musik in Geschichte und Gegenwart. Stuttgart und Kassel 1994–2007. Sachteil Bd. 1–9; Personenteil Bd. 1–17. Piper Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters. Oper, Operette, Musical, Ballett. Von Carl Dahlhaus und dem Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth unter Leitung von Sieghard Döhring (Hg.). München und Zürich 1986–1997.

8.2 Quellen Algarotti, Francesco: Versuche über die Architektur, Mahlerei und musicalische Opera. Aus dem italiänischen des Grafen Algarotti übersetzt von R. E. Raspe. Cassel 1769. Anonymus: Balacin,/ Oder/ Die erste Abtheilung/ Der asiatischen Banise,/ Auf dem Durlachischen Schau=Platz/ in einer Opera vorgestellet. o. O, o.  J.

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9. Abbildungsverzeichnis Georg Caspar Schürmann/Ulrich von König: Die Getreue Alceste (1719) II/7. Rezitativ Alceste und Admet und Arie des Admet „Gute Nacht/ ihr schönsten Blicke“. Manuskript 1719. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Signatur Mus. Ms. 20360. Mit freundlicher Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 252–265 2. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Aurora (1772). Rezitativ und Arie der Diana „Allenthalben, ach! vergebens“ (Ausschnitt). Autograph. Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Signatur III.15.29. Mit freundlicher Genehmigung . . . . . S. 348–352 3. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). I/1, Arie der Alceste „Zwischen Angst und zwischen Hoffen“ (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 396–397 4. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). I/1, Arie der Alceste „Ihr Götter der Hölle“ (Ausschnitt). Manuskript, 1770er Jahre. Österreichische Nationalbibliothek, Wien Signatur Mus.Hs.16152. Mit freundlicher Genehmigung . . . . . . . . . . . . S. 403 5. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). I/2, Rezitativ der Parthenia „O Götter, höret nicht“ (Ausschnitt) . . . . . S. 406–414 6. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). II/5, Arie der Alceste „Weine nicht, du meines Herzens Abgott“ (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 425–428 7. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). II/5, Rezitativ der Parthenia und Alceste („O mütterliches Land“) und Arie der Parthenia „Sie stirbt, Ihr Götter“ (Ausschnitt) . . . . . . . . . . S. 430–433 8. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). III/1, Arie der Parthenia „Er flucht dem Tages Licht in seinem Schmerz“ (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 464–467 9. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). IV/1, Arie der Parthenia „O! Der ist nicht vom Schicksaal ganz verlassen“ (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 475–482 10. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). IV/2, Rezitativ des Admet „O Jugendzeit“ (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . S. 484–491 11. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Alceste (1773). V/6 Arie der Alceste „Ach, wie seelig war ich“ (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . . S. 505–512 12. Anton Schweitzer/Christoph Martin Wieland: Rosamunde (1780). IV/7, Rezitativ Rosamunde und Heinrich und Arie der Rosamunde „O, Liebe!“ (Ausschnitt). Autograph, 1777. Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Weimar Signatur HMA 3889. Mit freundlicher Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 560–562 1.

Abbildungen 3 und 5–11 mit freundlicher Genehmigung der Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte e.V.

10.  Register der Namen und Werke1 Abt, Karl Friedrich, geb. Dettenrieder (1733–1783)  306, 310 Ackermann, Konrad Ernst (1712–1771)  294–295, 300, 306 Ackermann, Sophie Charlotte (1714– 1792) 294–295 Addison, Joseph (1672–1719)  554 Fair Rosamond (1707)  554 Tatler (1709–1711)  554 The Spectator (1711–12 und 1724) 554 Agazzari, Agostino (1578–1640)  38, 74 Eumelio (1606)  44, 74 Agricola, Johann Friedrich (1720– 1774)  521, 572 Alembert, Jean-Baptiste Le Rond d’ (1717–1783)  371–372, 547 Éléments de musique théoretique et pra­ tique suivant les principe de M. Rameau (1752) 371–372 Algarotti, Francesco (1712–1764)  30, 38, 46, 288, 293, 339–340, 375–378, 382, 384, 527, 533, 551, 573 Saggio sopra l’opera in musica (1755) 38, 288, 340, 377, 527, 533, 551 Alveri, Giovanni Battista (1617– nach 1719) 215 André, Johann (1741–1799)  321, 472, 525–527 Der Töpfer (1774)  321 Erwin und Elmire (1775)  472, 525, 527

Anhalt-Bernburg, Eleonore Marie, geb. Prinzessin von (1600–1657)  72 Anonymus Die durch Treue und Rache sich krö­ nende Liebe, oder die asiatische Banise (1718) 134 Die siegende Unschuld/ In der Person der asiatischen Banise (1722)  134, 291 L’isola di Alcina (1728)  515 Der Siegreiche und verliebte Alexander (1739) 291 [Xerxes?]/König von Persien (1739) 291 Komödie von dem keuschen, regierenden und vermählten Joseph (1739)  291 Alexandra (1761) 303 Durch muttermörderischen Sohn ­Garzias bis zu dem Tod verfolgte Sinilde (1762) 303–304 Timantes und Dircea (1762) 308 Peter Födorowicz Weyland Tzar (1764) 303 Entsetzliche Früchten erzwungener Liebe (1765) 304 Arianische Boßheit (1767) 304 Junius Lucius Brutus (1767) 304 Heinrich der Vogler (1768)  309 Der lustige Schuhmacher oder der blaue Montag (1768)  310 Anseaume, Louis (1721–1784)  320 Le Deux Chasseurs et la laitière (1763) 320 Antonini, Vicenzo (?–?)  139, 148

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Als Datum der Werke wird bei Druckschriften das Erscheinungsdatum genannt, bei Stücken das der Uraufführung, sofern dem nicht Datierungstraditionen widersprechen. Bei Libretti erscheint entweder das Datum der Uraufführung der Erstvertonung oder der im Kontext behandelten Vertonung.

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Literaturverzeichnis

Ariosto, Ludovico (1474–1533)  87, 173 Orlando furioso (1516–32) 173 Aristoteles (384–322 v. Chr.)  47, 169, 297 Poetik (335 v. Chr.)  47, 297 Arne, Thomas (1717–1778)  554 Rosamond (1732/1733) 554 Audinot, Nicolas-Médard (1732– 1801) 321 Le Tonnelier (1765)  321 Aureli, Aurelio (ca. 1630–nach 1708)  5, 26, 51, 53, 89, 139, 141–152, 180–182, 186, 189–206, 215, 239, 274, 403, 420, 520, 543, 571 Antigona delusa da Alceste (1660) 5, 26, 116, 139, 141–152, 180–182, 186, 198, 189–206, 239, 274, 420, 520, 543, 548, 571 Olimpia Vendicata (1682)  89 Avancini, Nicolaus von (1611–1686)  92, 86 Clodobaldus, Saxonia conversa sive Clodo­ baldus, Danicae princeps cum tota familia a Carlo Magno, superato Vitigindo con­ versus (1647)  86 Bach, Carl Philipp Emanuel (1714–1788)  483 Bach, Johann Christoph Friedrich (1732– 1795)  334, 558 Brutus (1774) 558 Bach, Johann Sebastian (1685–1750)  160, 277, 291, 334, 343, 345, 359, 442, 445, 504, 534 Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl (BWV 198) (1727)  445 Geschwinde, ihr wirbelnden Winde (BWV 201) (1729)  345, 568 Lasst uns Sorgen, lasst uns wachen (BWV 213) (1733)  160, 345, 353, 442 Weihnachtsoratorium (BWV 248) (1734–1735) 353 Bach, Wilhelm Friedemann (1710– 1784) 345 Badoaros, Giacomo (1602–1654)  48 Il ritorno d´Ulisse (1640)  48 Bagniera, Antonio (1638–1740)  163 Balatri, Filippo (1682–1756)  61 Bardi, Giovanni de (1543–1612)  36

Bargagli, Girolamo (1537–1586)  74 Dialogo de’Giuochi che nelle vegghie Sanesi si usano di fare (1572) 74 Barnett, John (1802–1890)  554 Rosamond (1832) 554 Basile, Margherita (?–?)  50 Batteux Charles (1713–1780)  365, 379, 380 Le Beaux Arts réduits à même principe (1747)  365, 379, 380 Bayern, Maximilian III. Joseph von (1727–1777)  330, 565 Bayreuth, Friederike Sophie Wilhelmine von, geb. von Preußen, (1709– 1758) 329 Beaujoyeux, Balthazar de (1535–1587)  58 Ballett Comique de la Reine (1581)  58 Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de (1732–1799) 381 Beccau, Joachim (1690–1754)  135 Blutiges doch muthiges Pegu, oder Bani­ se, 1. Theil und Der Banise 2. Theil, (1720) 135 Amadis von Gaula (1720)  135 Holofernes (1720)  135 Becker, Carl Ferdinand (1804–1877)  341 Beer, Johannes (1655–1700)  66, 184 Die Abenteuer des jungen Jan Rebhu (1677) 67 Die keusche Susanne (1687) 66 Ursus murmurat (1697) 74 Benda, Franz (1722–1795)  326, 334 Benda, Georg Anton (Jiři) (1722– 1795)  311, 317–318, 323, 326–331, 334, 387, 493, 531 Ariadne auf Naxos (1775) 311, 317–318, 387, 493 Medea (1775)  311, 317, 493 Benda, Juliane verh. Reichardt (1752– 1783) 531 Benda, Maria Caroline (1742–1820)  320, 326–327, 334, 531 Beregan, Niccolò (1627–1713)  51, 116 L’Heraclio (1671)  130, 124 Il Giustino (1683)  51, 116 Berlioz, Hector (1803–1869)  282



Literaturverzeichnis

Bernabei, Giuseppe Antonio (1649– 1732) 55 L’Ermione (1680) 55 Bernegger, Matthias (1582–1640)  117 Bertuch, Friedrich Justin (1747–1822)  327, 333, 335, 444, 493, 526, 546 The Judgement of Hercules, Überset­ zung (1773)  444 Polyxena (1775)  327, 333, 335 Besser, Johann von (1654–1729)  222 Des Herrn von Besser Schriften (1732) 222 Birken, Sigmund von (1626–1681)  63, 73, 91, 99, 103, 110, 114, 213, 382 Teutsche Rede-bind und Dicht-Kunst (1679) 382 Boccaccio, Giovanni (1313–1375)  39 Bodmer, Johann Jacob (1698–1783)  8, 14, 223, 290, 292, 294, 298, 311, 315, 364, 369, 394 Freymüthige Nachrichten Von neuen Büchern und Andern zu Gelehrtheit gehörigen Sachen (1765) 364 Boileau-Despréaux, Nicolas (1636– 1711)  58, 152, 166–167, 174 L’Art poétique (1674)  228 Bonaparte, Napoleon (1769–1821)  163 Bondeli, Julie (1732–1778)  301 Bononcini, Giovanni (1670–1747)  237 Mario fuggitivo (1708)  237 Bontempi, Andrea (1624–1705)  69 Il Paride (1662)  69 Apollo und Dafne (1671)  69 Jupiter und Jo (1672)  69 Bordoni, Faustina (1697–1781)  220 Borgiani, Alexando Cesare (?–?)  148 Bostel, Lucas von (1649–1716)  88, 126, 177, 271 Cara Mustapha (1686)  126 Der hochmüthige, gestürtzte und wieder erhabene Croesus (1711)  88, 271 Bottarelli, Giovan Gualberto (vor 1741– 1783) 362 Cleopatra e Cesare (1741) 362 Böttiger, Carl August (1760–1835)  289, 323, 326, 333, 388, 505, 575 Literarische Zustände und Zeitgenossen (1883)  388, 505

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Boulays, Michel du (?–?)  231 Orphée (1690)  231 Boxberg, Christian Ludwig (1670–1729)  200 Agrippina (1699)  200 Braccioli, Grazio (1682–1752)  231 Calpurina (1713)  231 Orlando finto pazzo (1714)  243 Brandes, Johann Christian (1735– 1799)  318, 321, 387 Ariadne auf Naxos (1775)  318, 321, 387 Meine Lebensgeschichte (1799)  387 Brandes, Mina (?–?)  565 Braunschweig und Lüneburg, Anton Ulrich von (1633–1714)  4, 8, 54, 63, 65, 71–76, 78–79, 81–82, 84–116, 118, 124, 127, 135, 137, 140, 150, 178, 212–216, 219, 224, 241, 282, 291, 309, 320, 342, 548 Amelinde (1657)  78–81, 88, 99, 548 Regier-Kunst-Schatten (1658)  79, 88 Andromeda (1659)  79, 81–82, 88, 291 Orpheus aus Thrazien (1659)  79, 82, 88 Iphigenia, ein königliches Fräulein (1661)  79, 84, 88 Jacob, des Patriarchen Heyrat (1662)  79, 84, 100, 102, 291 Selimena (1663)  78–79, 88 Der Hofmann Daniel (1663)  79, 84, 88 Die Durchleuchtigte Syrerin Aramena (1669–1673)  4, 84–85, 90–109, 111, 115–118, 241 Die verstörte Irmenseul (1670)  79, 85, 87–89, 99, 138, 309, 548 Davids und Jonathans treuer Liebe Be­ ständigkeit (1685) 215 Die Römische Octavia (1673–1713)  4, 90, 93, 104, 106, 108–117, 127, 213, 224 Braunschweig und Lüneburg, August d. J. von (1579–1666)  71, 78 Braunschweig und Lüneburg, August Friedrich von (1657–1676)  140

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Literaturverzeichnis

Braunschweig und Lüneburg, August Wilhelm von (1662–1731)  225 Braunschweig und Lüneburg, Elisabeth Eleonore Sophie von (1658–1729)  219 Braunschweig und Lüneburg, Elisabeth Juliane von, geb. von Schleswig-Hol­ stein (1734–1704)  93 Braunschweig und Lüneburg, Ernst ­August von (1629–1698)  54 Braunschweig und Lüneburg, Georg, Fürst von Calenberg (1582– 1641) 137 Braunschweig und Lüneburg, Henri­ ette Christine von, Äbtissin von ­Gandersheim (1669–1753)  219 Braunschweig und Lüneburg, Karl I. von (1713–1780) 319 Braunschweig und Lüneburg, Ludwig Rudolf (1671–1735)  85 Braunschweig und Lüneburg, Marie-Eli­ sabeth (1638–1687)  81, 95 Braunschweig und Lüneburg, Philippine Charlotte von, geb. von Branden­ burg-Preußen (1716–1801)  319 Braunschweig und Lüneburg, Rudolf August (1627–1704)  88 Braunschweig und Lüneburg, Sibylla Ursula (1629–1671)  72–73, 78, 89, 91, 93, 95 Braunschweig und Lüneburg, Sophie von (‚Sophie von Celle‘) (1666–1726)  140–141 Braunschweig und Lüneburg, Sophie Elisabeth von, geb. von Mecklen­ burg-Güstrow (1613–1676)  65, 71–74, 78, 82–85, 88, 124 Friedens Sieg. Ein Freudenspiel (1642) 72 Orpheus aus Thrazien (1659) 85 Christfürstliches Harpfen-Spiel (1661) 83 Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern, Fer­ dinand Albrecht I. (1636–1687)  57 Breitinger, Johann Jacob (1701–1776)  8, 223, 369 Bressand, Friedrich Christian (1670– 1699)  96, 187, 212–214

Ariadne (1692)  214 Erindo (1694)  214 Die sterbende Euridice (1699)  215 Die verwandelte Leier des Orpheus (1699) 215 Brockes, Barthold Heinrich (1680– 1747)  8, 14, 178, 221, 290, 356 Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus (Brockes Passion) (1712) 221 Das irdische Vergnügen in Gott (1721– 1748) 178 Broschi, Carlo s. Farinelli Broschi, Riccardo (1698–1756)  394 Buchner, Augustus (1591–1661)  63 Buonarrotti der Jüngere, Michelangelo (1568–1646) 41 Burnacini, Lodovico Ottavio (1636– 1707) 41 Burney, Charles (1726–1814)  272 Busenello, Giovanni Francesco (1698– 1759)  39, 47–48, 50, 130 La Didone (1641)  47–48, 145 L’incoronazione di Poppea (1642) 39, 50, 130 Buti, Francesco (1604–1682)  58–59, 78, 161, 441 Orfeo (1647)  78 Ercole amante (1662)  58–59, 161, 441 Caccini, Giulio (1545–1618)  12, 36, 42 Euridice (1602)  12, 40 Caffarelli, eigenlich. Gaetano Majorano (1710–1783)  209, 220 Caldara, Antonio (1670–1736)  56, 309 Demoofonte (1733) 309 La Clemenza di Tito (1734)  56 Calderón de la Barca, Pedro (1600– 1681) 125 Calzabigi, Raniero de (1714–1795) 5, 30, 278, 288, 319, 339–340, 376, 381, 384, 388, 399, 401, 404–405, 420– 421, 520–524, 533–544, 549 Orfeo ed Euridice (1762)  27, 287, 318, 358, 515, 521, 533–534 Alceste (1767)  319, 340, 388, 399, 401, 404–405, 420–421, 515, 521– 524, 533–544, 548–549, 552 Paride ed Elena (1770)  530



Literaturverzeichnis

Campioli, eigentl. Antonio Gualandi (1690–?)  217–218, 220, 271 La Campmeslé (1642–1698)  60–61 Candi, Giovanni Pietro (?–?)  133 Idaspe fedele (1710)  133 Canitz, Ludwig Rudolph von (1654– 1699) 222 Des Freyherrn von Canitz Gedichte (1727) 222 Cannabich, Christian (1731–1808)  332, 565 Die Höllenfahrt des Herkules um Alceste zurückzuholen (1777)  565 Capece, Carlo Sigismondo (1652– 1728)  208, 215 La Resurrezione (1708) 215 Carestini, Giovanni (1700–1760)  272 Casanova, Giacomo (1725–1798)  422 Castrovillari, Daniele da (1613–1678)  141 Gl’avvenimenti d’Orinda 141 Caussin, Nicolas (1583–1653)  87 L’impieté domptée sous les fleurs de lys (1629) 87 Cavalieri, Emilio de (1550–1602)  36, 38, 74 Rappresentatione di Anima et di Corpo (1600)  38, 74 Cavalli, Pietro Francesco (1602–1676)  12, 16, 39–40, 48–49, 51–54, 58–59, 63, 78, 84, 145, 161, 167, 204, 207, 210, 437, 441 La Didone (1641)  53, 145, 204 Egisto (1643)  58, 78 Doriclea (1645)  53 Giasone (1749)  39, 49, 51, 54, 84, 210 La Calisto (1651)  84 Xerxe (1654)  22, 52–53, 59, 146 Ercole amante (1662)  58–59, 161, 437, 441 Pompeo (1666)  210 Cesti, Antonio (1623–1669)  40–41, 54 Il Pomo d’oro (1668)  41, 54 Charpentier, François (1620–1702)  172 Chastellux, François-Jean (1734– 1788) 354 Essay sur l’union de la poësie et de la musique (1765) 354

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Lettre au sujet des Observations du cheva­ lier de Chastellux sur le Traité du Mélo­ drame (1771)  373 Chiari, Pietro (1712–1785)  434 Cicognini, Giacinto Andrea (1606–1651)  39, 48, 51 Giasone (1749)  39, 48, 51 Clayton, Thomas (1673–1725)  554 Rosamond (1707)  554 Coburg, Albrecht von (1648–1699)  65 Coburg, Marie Elisabeth von, geb. von Braunschweig und Lüneburg (1638– 1687) 65–66 Coignet, Horace (1735–1821)  317 Pygmalion (1770)  317 Colasse, Pascal (1649–1709)  197 Achille et Polixène (1687)  197 Conradi, Johann Georg (1645–1699)  83, 179, 196–197, 227 Ariadne (1691)  197 Contarini, Marco (1631–1689)  115 Corbiau, Gérard (*1941)  217 Farinelli (1994)  217, 211 Corneille, Pierre (1606–1684)  62, 79, 125, 152, 180, 208, 295 Androméde (1750)  79, 81, 180 Pertharite, roi des Lombards (1652)  137 Psyche (1678) nach Molière  213 Corsi, Jacopo (1561–1602)  36 Corteccia, Francesco (1502–1571)  36 Cremonini, Cesare (1550–1631)  46 Crescentini, Girolamo (1762–1846)  163 Cuno, Mauritz (?–1712)  195 Der angenehme Betrug oder der Carneval von Venedig (1707) 195 Dach, Simon (1605–1659)  63 Dalberg, Wolfgang Heribert von (1750– 1806)  309, 336–338 Cora (1780)  336, 338 Danzi, Franziska (1756–1791)  553 Dedekind, Constantin Christian (1628– 1715) 63 Jupiter und Jo (1672) 69 Destouches, André (1672–1749)  372 Destouches, Philippe Néricault (1680– 1754) 310

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Literaturverzeichnis

Le Tambour nocturne, ou le Mari devin, (Das Gespenst mit der Trommel) nach Addison (1762)  310 Diderot, Denis (1713–1784)  317, 371, 373, 384–385, 500, 547 Le Neveu de Rameau (1769–1774)  317, 384 Lettre au sujet des Observations du cheva­ lier de Chastellux sur le Traité du Mélo­ drame (1771)  373 Dittersdorf, Carl Ditters von (1739–1799)  323 Der Doktor und der Apotheker (1786) 323 Das rote Käppchen (1788)  323 Lebensbeschreibungen. Seinem Sohne in die Feder diktiert (1801)  323 Döbricht, Daniel (?–?)  67 Döbricht, Johanna Elisabeth (1692–1786)  67, 218 Döbricht, Samuel Ernst (?–?)  67, 133, 199 Dodsley, Robert (1703–1764)  444 Collection of Poems by Several Hands (1755) 444 Dolfin, Pietro (?–?)  138 L’Adelaide (1672)  126, 138, 548 Draghi, Antonio (1634–1700)  64 La lanterna di Diogene (1674) 64 Dressler, Ernst Christoph (1734– 1779) 527 Gedanken, die Vorstellung der Alceste … betreffend (1774)  527 Dubos, Jean-Baptiste Abbé (1670–1742)  379–380, 385 Réflexions critiques sur la painiture et la poésie (1719) 379 Duni, Egidio Romoaldo (1709–1775)  320, 552 Le Deux Chasseurs et la laitière (Das Milchmädchen und die beiden Jäger) (1763)  320, 552 Les Moissoneurs (Die Schnitter) (1768) 321 Eberwein, Carl (1786–1868)  389 Eberwein, Johann Bartholomäus (1750– 1811) 389

Einsiedel, Friedrich Hildebrandt (1750– 1828)  321, 331 Ceres (1773)  321 Orpheus und Eurydice (1779) 331 Elmenhorst, Heinrich (1632–1704)  68, 181, 184, 370 Dramatologia antiquo-hodierna (1688)  68, 184, 370 England, George I. von (1660–1727)  138, 140–141, 151 England, George II. von (1683–1760)  138, 140 Euripides (485–406 v. Chr.)  25, 27–28, 84, 142, 152, 161–163, 167–172, 202, 206, 282–283, 294–295, 301, 319, 361, 376, 398–399, 404–405, 420–422, 438–440, 452, 457–458, 519–520, 524, 533, 540–541, 543, 549–550, 573 Alkestis (438 v. Chr.)  25, 27–28, 142, 152, 162–163, 168–171, 202, 206, 404–405, 420–422, 438–440, 452–453, 457–458, 500, 520–522, 524, 533, 540–541, 549–550 Iphigeneia hē en Taurois (ca. 414–412 v. Chr.)  27, 152, 172, 523 Iphigeneia hē en Aulidi (nach 406 v. Chr.)  27, 152, 172, 523 Saint-Évremond, Charles de Marguetel de Saint-Denis, Seigneur de (1610– 1703)  152, 164–166, 208, 222, 229, 288, 293, 362, 370, 452, 456, 547 De la tragédie ancienne et moderne (1672)  165, 547 Sur les operas (1676)  165 Les operas (1676)  165, 370 Faber, Johann Heinrich (1742–1791)  321 Der Faßbinder (1772)  321 Fasch, Johann Friedrich (1688–1758)  67, 70, 199 Faustini, Giovanni (1615–1651)  39, 51, 84 Egisto (1643)  58, 78 Doriclea (1645)  51 La Calisto (1651)  84 Faustini, Marco (1606–1676)  51 Farinelle, Jean-Baptiste (1655–?)  149



Literaturverzeichnis

Farinelli, eigentl. Carlo Broschi (1705– 1782)  141, 149, 209–211, 220, 235, 272, 394 Favart, Charles Simon (1710–1792)  307, 310, 312–313, 321 Les Trois Sultanes ou Soliman Second (1761)  307, 310 Les Moissoneurs (Die Schnitter) (1768) 321 Favart, Marie-Justine (1727–1772)  313 Fedrizzi, Giuseppe (?–?)  215 Feind, Barthold (1678–1721)  14, 18, 24, 26, 54, 195, 199, 221, 228–232, 240–241, 271, 342, 362, 364, 378, 383, 555 Die römische Unruhe. Oder die edelmütige Octavia (1705) 555 Die kleinmüthige Selbst-Mörderin Lucre­ tia. Oder: Die Staats-Thorheit des Brutus (1705) 240 Masaniello furioso (1706)  130, 271 Gedancken von der Opera (1708)  14, 199, 228–231, 233, 240–241, 364, 378 Simson (1709)  378 Feustking, Friedrich Christian (1678– 1739)  178, 555 Nero (1705)  184, 555 Fiedler, Gottlieb (?–?)  148, 151, 230 Armida (1695) nach La Gerusalemme Liberata v. Giulio Cesare Corradi (1787)  236, 230 Enrico Leone (1696)  151, 548 Fiocco, Pier Antonio (1654–1714)  149 L’Alceste (1681)  141–151, 548 La Fontaine, Jean de (1621–1695)  152 Fouquet, Nicolas (1615–1680)  59 Forkel, Johann Nikolaus (1749– 1818)  337–338, 340 Musikalisch-kritische Bibliothek (1778) 337–338 Förtsch, Johann Philipp (1652– 1732)  124, 181, 185, 233 Aenae, des Trojanischen Fürsten Ankunft in Italien (1680)  233 Ancile Romanum (1689/1690) 124

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Franck, Johann Wolfgang (1644–1710)  5, 83, 147, 175, 177, 179–182, 184, 186–198, 205, 233, 298, 347, 543 Andromeda (1675)  180 Der verliebte Phöbus (1678)  180, 232 Don Pedro oder die abgestrafte Eifersucht (1679), nach Molières Le Sicilien  180 Andromeda und Perseus (1679)  238, 232 Alceste (1680)  5, 147, 180–182, 184, 186–198, 205, 298, 347, 543, 548 Aenae, des Trojanischen Fürsten Ankunft in Italien (1680) 233 Diocletianus (1682)  197 Cara Mustapha (1686)  177 Frankreich, Heinrich IV. von (1553– 1610) 36 Frankreich, Ludwig XIV. von (1638– 1715)  55, 57–58, 63, 65, 73, 78–79, 111, 152, 160–161, 163, 165, 441, 451 Atys (1776)  61, 151 Freislich, Johann Balthasar Christian (1687–1764) 442 Der siegende Herkules als Bild eines sich selbst beherrschenden Regenten (1725) 442 Frugoni, Francesco Fulvio (1620– 1686) 208 L’Epulone (1675)  208 Funk, Gottfried Bernhard (?–?)  379 Kritische Betrachtungen über die Poesie und Malerei aus dem Französischen des Herrn Abtes Du Bos (1760/61)  379 Galuppi, Baldassare (1706–1785)  17, 307–308, 323, 340, 374, 380, 434 Demoofonte (1749)  309 Gasparini, Francesco (1661–1727)  215, 219 Gasparini, Michelangelo (1675– 1732) 236 Arsace (1718)  236 Gay, John (1685–1732)  372 Gebler, Tobias Philipp von (1720/1722– 1786)  328, 572 Thamos, König in Ägypten (1774)  328

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Literaturverzeichnis

Gellert, Christian Fürchtegott (1715– 1769)  310, 321, 422 Die zärtlichen Schwestern (1747) 310, 422 Leben der schwedischen Gräfin von G*** (1747/1748) 405 Inkle und Yariko (1769)  321 Genßler, Johann Andreas (1748– 1831) 333 Gerstenberg, Heinrich Wilhelm (1737– 1823) 318 Ariadne auf Naxos (1775) 318 Geßner, Salomon (1730–1788)  311, 321 Gleim, Johann Ludwig Wilhelm (1719– 1803)  502, 572 Gluck, Christoph Willibald (1714– 1787)  5–6, 10–11, 18, 26–28, 30, 61–62, 172, 176, 202, 267, 278, 281–283, 287–288, 293, 315–316, 319, 322, 330, 334, 336–341, 343, 358, 373–377, 381, 384, 388, 399, 420–421, 453, 515, 517–519, 520–524, 527–528, 530–546, 549, 551–552 Il re pastore (1756) 315–316 Orfeo ed Euridice (1762)  27, 287, 319, 358, 515, 520–521, 532–534, 545 Ezio (1763/1764) 532 Alceste (1767/1776)  5–6, 26, 28, 202, 278, 281–282, 287, 315–316, 319, 340, 374–376, 388, 399, 420–421, 515, 520–524, 532–544, 548–549, 552 Paride ed Elena (1770)  530, 535 Iphigenie en Aulide (1774) 337–338, 532, 534, 535, 539 Armide (1777)  172, 278, 520–521, 532 Iphigenie en Tauride (1779)  62, 532, 545 Gluck, Maria Anna „Nanette“, geb. Hed­ ler (1759–1776)  544 Goethe, Wolfgang von (1749–1832)  6, 15, 18, 41, 64, 93, 119, 288, 290, 298, 302, 317, 321, 329, 331–332, 342, 359–360, 384, 395, 398, 454, 457, 458–459, 472, 492, 523, 525–527, 530–531, 545, 555, 568, 575

La sposa rapita (1764–1766)  290 Götter, Helden und Wieland (1773)  288, 457–458, 575 Prometheus (1773/1774)  471, 568 Jahrmarktsfest zu Plundersweilern (1773/1778) 331 Die Leiden des Jungen Werthers (1774)  395, 523, 526, 559 Erwin und Elmire (1775/1787) 15, 342, 472, 525, 527 Claudine von Villa Bella (1775– 76/1787)  15, 359 Lila (1777/1788) 342 Der Triumph der Empfindsamkeit (1777) 64 Wilhelm Meisters Theatralische Sendung (1777–1785) 290 Jery und Bätely (1779) 342 Iphigenie auf Tauris (1779/1786) 398, 454, 471, 492, 523 Scherz, List und Rache (1784)  18, 545, 568 Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795– 96)  15, 290 Die Natürliche Tochter (1803) 298 Rameaus Neffe (1805)  317, 384 Pandora (1808)  342 Faust (1808/1832)  41, 458–459 Aus meinem Leben. Dichtung und Wahr­ heit (1811–1833)  15, 290, 321, 457 Goeze, Johann Melchior (1717– 1786) 183 Golder, Georg Ludwig (?–?)  70 Goldoni, Carlo (1707–1794)  88, 310, 313, 321, 368, 525 Il vero amico (Der Wahre Freund) (1750) 310 Il feudatorio (1752) 321 La Cecchina ossia La bouona figliuola (1760) 88, 302, 313, 525 Gonzaga, Vincenzo (1562–1612)  41 Göpfert, Karl Gottlieb (1733–1798)  389 Görtz, Johann Eustach (1735–1821)  341 Gotter, Friedrich Wilhelm (1703– 1772) 321 Die Dorfgala (1774) 321 Gottsched, Johann Christoph (1700– 1766)  8, 24–25, 92, 109, 134, 136,





Literaturverzeichnis

166, 174, 176, 183, 212, 222–223, 226–227, 281, 304–305, 310, 342, 362–364, 366–367, 369–372, 445, 454, 456, 573 Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl (BWV 198) (1727)  445 Der Sterbende Cato (1732)  212, 223, 310 Die Opern, Übersetzung (1742)  370 Die deutsche Schaubühne (1741– 1745)  136, 223, 370, 372 Versuch einer Critischen Dichtkunst (1751)  370, 445 Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst (1757–1765)  25, 223, 370 Gottsched, Luise Adelgunde Victorie (1713–1762) 310 Gespenst mit der Trommel, Übersetzung (1740) 310 Gozzi, Gasparo (1713–1786)  434 Gratianini, Francesco (?–?)  148 Gratianini, Nicola (?–?)  139 Graun, Carl Heinrich (1704–1759)  17, 67, 221, 223, 225, 304, 308, ­319–320, 323, 340, 343, 364, 374, 534 Sancio oder die in ihrer Unschuld siegende Sinilde (1729)  223, 251, 304 Cleopatra e Cesare (1742) 362 Der Tod Jesu (1755)  364 Montezuma (1755)  377 Greiffenberg, Regina Catharina von (1633–1694)  93, 95, 105 Gretry, André Ernest Modeste (1741– 1813) 552 Grimaldi, Nicolò (1673–1732)  316 Grimani, Vincenzo (1655–1710) 204 Agrippina (1709)  204 Grimm, Friedrich Melchor (1723–1807)  136, 372–374 Banise. Ein Trauerspiel (1743)  136, 372 Lettre sur Omphale (1752) 372 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (1622–1676)  82 Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch (1668/69)  82

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Großmann, Gustav Friedrich (1746– 1796) 318 Gryphius, Andreas (1616–1664)  63, 122, 393 Leo Armenius (1650)  393 Majuma (1653) 63 Catharina von Georgien (1657) 128, 122 Piastus (um 1660)  63 Guadagni, Gaetano (1728–1792)  235 Guarini, Giovanni Battista (1538– 1612)  36, 315 Il pastor fido (1590)  36, 315 Guglielmi, Pietro Alessandro (1728–1804)  323 Guiliani, Guiliano (?–?)  148 Günther, Friedrich (1750–?)  354, 389, 446 Hallmann, Johann Christian (1640–1716)  63, 119, 124, 127 Trauer- Freuden- und Schäffer-Spiele (1684)  124, 126–127 Händel, Georg Friedrich (1685–1759)  3, 16, 39, 52, 130–131, 133, 135, ­138–141, 146–147, 150–151, 177, 204, 210, 215, 219–220, 227, 240, 242, 271, 278, 343, 385, 420, ­443–445, 515, 534, 543, 555 Nero (1705) 555 La Resurrezzione (1708) 215 Agrippina (1709)  204, 210 Rinaldo (1711) 151 Teseo (1712) 515 Amadigi di Gaula (1715) 135 Radamisto (1719)  242 Ottone (1723)  138 Tamerlano (1724)  130–131, 240 Rodelinda Regina de Langobardi (1724/25), 131 Admeto, Re di Tessaglia (1727)  140–141, 147, 150, 385 Lotario (1729)  138 Sosarme (1732) 226 Alcina (1735)  242, 515 Serse (1738)  16, 52, 146 Imeneo (1740)  515 Alceste (1750)  420, 444, 548

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Literaturverzeichnis

The Choice of Hercules (1750)  443– 445 Alexanders Feast (1751) 444 Hannover, Ernst August von (1629–1698)  137, 139–142, 149, 151 Hannover, Georg Wilhelm von (1624– 1705)  137, 139–140, 142 Hannover, Johann Friedrich von (1625– 1679)  137–139, 147 Hardy, Alexandre (1570–1632)  155 Harsdörffer, Georg Philipp (1607– 1658)  28, 54, 63, 73–77, 83, 107, 342, 548 Frauenzimmer Gesprächsspiele (1641– 1644)  10, 72–74, 76, 127 Seelewig (1644)  10, 28, 73–76, 80, 83, 127, 548 Hasse, Johann Adolf (1699–1783)  17, 45, 56, 64, 67, 139, 209, 217–218, ­220–222, 315, 319–320, 323, 340, 343, 362, 374, 443–444, 503, 518, 534 Antioco (1721)  217, 225 Artaserse (1730)  209, 394 Caio Fabrizio (1732)  222 La Clemenza di Tito (1735)  56, 362 Leucippo (1747) 504 Solimano (1753)  45 Il re pastore (1755) 315 Alcide al Bivio (1760)  443–444 Haydn, Franz Joseph (1732–1809)  330, 517 L’isola disabitata (1779)  517 Haym, Nicola Francesco (1678– 1729)  131, 135, 138, 140, 150, 240, 242, 515 Teseo (1712) 515 Amadigi di Gaula (1715)  135 Radamisto (1719)  242 Ottone (1723)  138 Tamerlano (1724)  246, 131, 240 Rodelinda Regina de Langobardi (1724/25), 131 Heermann, Gottlob Ephraim (1727– 1815) 321 Die Dorfdeputierten, Bearb. (1772) 321

Die treuen Köhler, Bearb. (1772)  321 Der Abend im Walde, Bearb. (1773) 322 Heidenreich, David Elias (1638– 1688)  63, 66 Heinichen, Johann David (1683– 1729)  65, 199, 221, 231 Die Römische Großmuth/ Oder Calpuri­ na (1716)  231 Heinse, Johann Jacob Wilhelm (1746– 1803)  331, 458 Heiß, Josepha, s. Helmuth Helmig, Johann Michael (?–?)  320 Das Milchmädchen und die beiden Jäger, Bearb. (1771)  320 Helmuth, Carl Christian (1751–nach 1780)  389, 446 Helmuth, Johann Friedrich (1744–1785) 389 Helmuth, Johann Georg Gottlob (1754– nach 1788)  389 Helmuth, Josepha, geb. Heiß (nach 1746– 1794)  389, 445–446, 463 Henrici, Christian Friedrich, gen. Pican­ der (1700–1764)  160, 291, 345, 353, 356, 359, 442, 445, 568 Geschwinde, ihr wirbelnden Winde, BWV 201 (1729) 345, 568 Lasst uns sorgen, lasst uns wachen, BWV 213 (1733)  160, 345, 353, 442 Weihnachtsoratorium (Teile) (1734/1735) 353 Ernst-schertzhafte und satyrische Gedichte (1737) 442 Hensel, Sophie Friederike, verh. Seyler (1738–1789)  324, 325 Hüon und Amanda (nach Wielands Oberon) (1788)  324 Herder, Johann Gottfried (1744–1803)  6, 15, 290, 558 Das Rosenfest, Bearb. (1770)  328 Brutus (1774) 558 Hiller, Johann Adam (1728–1804)  39, 30, 33, 70, 281, 283, 288, 313, 320–322, 325, 525, 527, 531 Die verwandelten Weiber (1766) 322, 324





Literaturverzeichnis

Liusuart und Dariolette (1766/67)  322 Die Liebe auf dem Lande (1767)  322, 324 Lottchen am Hofe (1768)  30, 322, 324, 500 Wöchentliche Nachrichten und Anmer­ kungen die Musik betreffend (1766– 1770)  33, 288 Die Jagd (1770)  30, 320–321, 525 Lebensbeschreibungen berühmter Musik­ gelehrten und Tonkünstler neuerer Zeit (1784) 70 Hinsch, Heinrich (1650–1712)  230 Claudius (1703)  230 Hoegel, Christine (1742–?)  307, 309 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus (1776–1822)  381, 474 Der Dichter und der Komponist (1813) 381 Rat Krespel (1818)  474 Hoffmann, Georg Melchior (1679 oder 1685–1715) 133 Banise, Teil 1–3, Oper (1710–1712)  133, 231 Holzbauer, Ignatz (1711–1783)  330–331, 391, 553, 558, 565–566, 571 Ippolito ed Aricia (1759)  565 Günther von Schwarzburg (1777)  330, 553, 558, 566 Homer (8./7. Jh. V. Chr.)  495 Odyssee 495 Hompesch, Karl Franz von (1735–1800)  553 Horaz (65–8 v. Chr.)  48 Hübner, Johann (1720–?)  309 Die Bekehrung der Sachsen zum Chris­ tenthum (1766)  309 Hudemann, Ludwig Friedrich (1703– 1770)  223, 281, 342, 367 Proben einiger Gedichte und poetischen Übersetzungen (1732)  367 Hunold, Christian Friedrich, Pseudonym „Menantes“ (1680–1721)  17, 54, 130, 177–179, 228, 232, 234, 241, 246, 281, 368, 383 Theatralische/ Galante und Geistliche Gedichte (1706)  228, 234, 368, 383

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Die allerneueste Art, zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen (1728) 17, 130, 179, 228, 281, 241, 246 Iffland, August Wilhelm (1759–1814)  575 Jacobi, Friedrich Heinrich (1743– 1819)  33, 317, 458, 553–554 Jacobi, Johann Georg (1740–1814)  33, 310, 312, 314, 317, 319, 321, 325, 336, 343, 345–346, 359–360, 381, 386–387, 502 Apollo unter den Hirten (1770) 321, 336, 344, 360 Elysium (1771)  321, 324–325, 344, 261 Die Dichter, eine Oper, gespielt in der Unterwelt (1772) 345 Jélyotte, Pierre (1713–1797)  164 Jens, Walter (1923–2013)  217 Farinelli oder die Macht des Gesanges (1998) 211 Jommelli, Niccolò (1714–1774)  17, 308, 340, 517 Käfer, Johann Philipp (1672–1728)  133 Die Asiatische Banise (1712–1717)  133 Kaufmann, Christoph (1753–1795)  571 Kayser, Philipp (1755–1823)  531, 534, 545 Scherz, List und Rache (1784)  545 Kegel, Emanuel (1655–1724)  70 Keiser, Reinhard (1674–1739)  65, 88, 134, 195, 197, 216, 219, 221, 223, 227, 230, 234, 238, 271, 295, 343, 555 Claudius (1703)  230 Die römische Unruhe. Oder die edelmütige Octavia (1705) 555 Masaniello furioso (1706)  130, 271 Der angenehme Betrug oder der Carneval von Venedig (1707) 195 Der hochmüthige, gestürtzte und wieder erhabene Croesus (1711)  88, 271 Die wiederhergestellte Ruh/ oder/ die gecrönte Tapferkeit des Heraclius (1712) 134 Die entdeckte Verstellung oder Die gehei­ me Liebe der Diana (1712) 225 Herkules am Scheideweg (1713) 221

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Literaturverzeichnis

Der zum Tode verurteilte und gecreuzigte Jesus (1715) 221 Fredegunda (1715) 238 Die Hamburger Schlacht-Zeit/ Oder Der Mißgelungene Betrug (1725) 195 Jodelet oder sein selbst Gefangener (1726) 181 Circe (1734)  295 Keller, Auguste von (1723–1781)  341 Kick, Johann Maximilian (1720–?)  290 Klaj, Johannes (1616–1656)  63, 107 Klauflügel, Johann Martin (1708– 1784) 291 Klein, Anton (1748–1810)  391, 528–531, 553, 558, 566, 571 Günther von Schwarzburg (1777) 391, 531, 553, 558, 566 Kleinknecht, Jakob Friedrich (1722– 1794) 32 Klinger, Friedrich Maximilian (1752– 1831) 571 Sturm und Drang (Wirrwar) (1776) 571 Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724– 1803)  292, 430, 534, 536–537, 544, 568 Der Messias (1748–1773) 292 Der Tod Adams (1751)  434 Die Hermanns Schlacht (1766/1767)  531, 536 Die deutsche Gelehrtenrepublik (1774) 568 Knecht, Elisabeth Felicitas, verh. Abt (1741–1783) 306 Knecht, Justinus Heinrich (ca.1715– 1752)  306, 309 Joshuah (1664) 309 Kain und Abel (1665)  309 Koch, Franziska Romana (1748– 1796)  324, 357, 386, 389, 445 Koch, Friedrich (?–?)  294 Koch, Heinrich Gottfried (1703– 1775)  304–305, 321 Sancio und Sinilde. Die Stärke der Müt­ terlichen Liebe (1753) 305 Inkle und Yariko (1772) 321 König, Johann Ulrich (1688–1744)  5, 8, 23, 26–28, 54, 109, 135, 146, 152,

175, 181, 207–279, 282, 290, 304– 305, 309, 342, 356, 362, 368, 370, 375–376, 379, 385, 398, 401, 473, 515, 521, 549–550 Die wiederhergestellte Ruh/ oder/ die gecrönte Tapferkeit des Heraclius (1712)  134, 232 Die entdeckte Verstellung oder Die gehei­ me Liebe der Diana (1712) 225 Herkules am Scheideweg (vor 1713) 221. Theatralische, geistliche, vermischte und galante Gedichte (1713)  135, 224, 228, 368 Die Römische Großmuth/ Oder Calpuri­ na (1713) 231 Fredegunda (1715) 238 Der zum Tode verurteilte und gecreuzigte Jesus (1715) 221 Heinrich der Vogler (1718)  235, 309 Die Getreue Alceste (1719)  5, 8, 23, 26, 28, 109, 146, 181, 207–279, 282, 356, 375–376, 379, 385, 398, 401, 473, 521, 548–550 Der geduldige Socrates (1721)  274 Sancio, oder Die siegende Großmuth (Sancio oder die in ihrer Unschuld siegen­ de Sinilde –1729) (1727)  223, 251, 304–305, 370 Des Freyherrn von Canitz Gedichte (1727)  222, 224 Des Herrn von Besser Schriften (1732)  222, 223 Königsmarck, Philipp Christoph Graf von (1665–1694)  140, 149 Kranz, Johann Friedrich (1754– 1810) 321 Inkle und Yariko (1772) 321 Kraus, Joseph Martin (1756–1792)  283, 330, 334, 492, 530, 543 Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777 (1778)  330, 492, 530, 543 Krause, Christian Gottfried (1719– 1770)  362, 365 Von der musikalischen Poesie (1752) 365 Krieger, Johann Philipp (1649–1725)  65



Literaturverzeichnis

Krüger, Johann Christian (1723–1750)  310 Die Kandidaten, oder die Mittel zu einem Amte zu gelangen (1748)  310 Kuntzen, Johann Paul (1696–1757)  199 Kusser, Johann Sigismund (1660–1727)  175, 179, 196, 214–216, 219, 227 Ariadne (1692) 214 Erindo (1694)  214 Lachs, Christina Dorothea, geb. Strungk (1672– nach 1716)  132, 199 Die Asiatische Banise Teil 1–3, Oper (1710–1712) 132–134 Lalli, Domenico (1679–1741)  237, 242 Ottone in Villa (1713)  237 Radamisto (1719)  242 Landi, Stefano (1587–1639)  38–39, 46 La Morte d’Orfeo (1619)  38, 46 Sant’Alessio (1632) 38 Lavater, Johann Caspar (1741–1801)  455, 545 Legrenzi, Giovanni (1626–1690)  51, 116, 207 Il Giustino (1683)  51, 116 Lemene, Francesco de (1634–1704)  216 Leibnitz, Gottfried Wilhelm (1646– 1716) 147–148 Lessing, Gotthold Ephraim (1729– 1781)  24, 118–119, 223, 230, 296– 300, 304, 310–311, 313, 324, 366, 435, 458, 542, 572–573 Tarantula (1749)  573 Von den lateinischen Trauerspielen, welche unter dem Namen Seneca bekannt sind (1754) 573 Miss Sara Sampson (1755)  297, 300, 310, 313 Briefe, die neueste Literatur betreffend (1756–1765) 296–297 Philotas (1758–1759) 297 Minna von Barnhelm (1763/1767) 310 Die Hamburgische Dramaturgie (1767– 1769) 366 Emilia Galotti (1772)  297, 500 Nathan der Weise (1779)  297–298, 435 Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) 118

631

Lillo, George (1693–1739)  310 Kaufmann von London (1731) 310 Lohenstein, Daniel Caspar von (1635– 1683)  90, 118–119, 127, 393 Epicharis (1665) 393 Arminius (1689)  90, 118–119, 127 Löhner, Johann (1645–1705)  66 Der gehorsame Wunderglaube Abrahams in der willigen Opferung seines Sohnes Isaacs (1644)  66 Lorber, Jacob (?–?)  68 Lothringen, Franz Stephan von (1708– 1765) 65 Lotti, Antonio (1667–1740)  204, 237 Costantino (1716) 237 Foca superbo (1716) 237–238 Teofane (1719)  204 Löwe, Heinrich der (1129–1195)  151 Löwe von Eisenach, Johann Jacob (1629– 1703)  65, 82, 85, 88–89 Orpheus in Thrazien (1659) Lowth, Robert (1710–1787)  444, 448 The Judgement of Hercules (1758) 444, 448 Lucchini, Antonio Maria (1690?– nach 1730) 238 Lukian (eigentl. Lukian von Samosata) (ca.120– nach 180)  113, 295 De Saltatione (163–164)  113 Lully, Jean-Baptiste (1632–1687)  5, 9, 12, 23, 26, 53, 60–61, 81, 110, 147, 151–175, 179, 185–186, 191, 197, 213–214, 216, 239, 243, 269, 276, 293, 314–315, 358, 371–372, 392, 437, 441, 452, 473, 504, 516, 520 Le Sicilien (1667)  186 Psyche (1671)  60, 213–314 Les Fêtes de l’Amour et de Bacchus (1672) 60 Cadmus und Hermione (1673)  60, 151, 167, 171 Alceste ou le triomphe d’Alcide (1674)  5, 9, 11, 23, 26, 60, 92, 151–164, ­166–175, 180, 185–186, 191, 197, 231, 239, 243, 268–269, 276, 315, 392, 437, 441, 452, 473, 504, 513, 520, 522, 548 Thesée (1775)  151, 213

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Literaturverzeichnis

Atys (1776)  61–62, 151 Proserpine (1680)  213 Acis et Galathee (1686)  197 Armide (1686)  178 Achille et Polixène (1687)  197 Orphée (1690)  231 Mancini, Francesco (1672–1737)  133 Idaspe fedele (1710)  133 Marcello, Benedetto (1686–1739)  51, 382, 573 Teatro alla Moda (1720)  51, 382, 573 Marchi, Antonio (1670?– nach 1725)  243 Artabano, re dei parti (1719)  243 Marmontel, Jean-François (1723– 1799)  313, 369 Marpurg, Friedrich Wilhelm (1718– 1795)  33, 70, 372, 572 Der Critische Musikus an der Spree (1749–1750) 33 D’Alemberts systematische Einleitung in die musikalische Satzkunst nach den Lehrsätzen des Herrn Rameau (1757) 372 Kritische Briefe über die Tonkunst (1760–1764) 33 Historisch kritische Beyträge zur Aufnah­ me der Musik (1754–1778)  33, 70 Martín y Soler, Vicente (1754–1806)  11 Una cosa rara ossia Belezza ed onestá (1786) 11 Massi, Francesco Maria (1617–1676)  137, 139 Matthei, Alessandro (?–?)  46 La Morte d’Orfeo (1619) 46 Mattheson Johann (1681–1764)  18, 24, 67, 181, 183, 186, 219– 221, 223, 227, 234, 238, 241, 281, 290, 342, 362, 376, 383, 423, 462, 473, 514 Das Neu=Eröffnete Orchestre (1713)  423, 473 Der Vernünftler (1713–1714)  228 Dissertation sur la musique italienne et francçoise par Mr L.T. (1722)  376 Critica Musica (1722–1725) 223 Der Musicalische Patriot (1728)  181, 234, 238, 241 Die neueste Untersuchung der Singspiele (1744)  241, 281, 383

Matthus, Siegfried (*1934)  217 Farinelli oder die Macht des Gesanges (1998) 217 Mauro, Ortensio Bartolomeo (1634– 1725)  87, 147–148, 150, 197, ­200–201, 215–216 Der siegende Alcides (1669)  148, 186, 197 Enrico Leone (1689)  87, 151 Mazarin, Jules (1602–1661)  58, 78, 165 Medici, Catharina de (1519–1589)  58 Medici, Maria de’ (1575–1642)  36 Meier, Georg Friedrich (1718–1777)  366, 383 Beurtheilung der Gottschedischen Dicht­ kunst (1747) 366 Meister (?–?)  201 Der angenehme Betrug oder der Carneval von Venedig (1707)  195 Menantes, s. Hunold Mendelssohn, Moses (1729–1786)  365 Briefe, die neueste Literatur betreffend (1756–1765) 365 Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste (1757–1765)  365 Merck, Johann Heinrich (1741– 1791)  553, 565 Metastasio, Pietro (1698–1782)  13, 15, 18, 25, 30, 39, 41, 49–50, 56, 106, 118, 136, 182, 198, 206–211, 217, 222, 227, 233, 278, 281–283, 301, 309, 315, 319, 340, 354–356, 368–369, 375–376, 380–381, 392, ­394–395, 443–445, 474, 514–515, 517, 520–521, 527, 532, 542, 548, 551 Angelica e Medoro (1720)  209 La Didone abbandonata (1724)  514, 521 Artaserse (1730)  394 Demetrio (1731)  136 Demoofonte (1733)  136, 309 La Clemenza di Tito (1734)  62 Attilio Regolo (1750) 514 Il re pastore (1751)  309, 315 Alcide al Bivio (1751)  21, 198, 443– 445 Catone in Utica (1770) 514



Literaturverzeichnis

Meusel, Johann Georg (1743–1820)  356 Meyer, Johann Friedrich (1719–1798)  184 Michaelis, Johann Benjamin (1746– 1772)  324–325, 445, 450 Walmir und Gertraud (1766) 324 Herkules auf dem Oeta (1772) 325, 445, 450 Migliavacca, Giannambroglio (1718– 1795) 45 Solimano (1753)  45 Minato, Nicolò (1630–1689)  16, 51–52, 64 Il Xerse (1654)  16, 52–53, 146 Pompeo (1666)  210 La lanterna di Diogene (1674) 64 Mizler, Lorenz Christoph (1711– 1778) 367 Neu eröffnete Musicalische Bibliothek (1736–1754) 367 Molière (eigentlich Jean-Baptiste Poque­ lin) (1622–1673)  59, 166, 180, 314, 321 Le Sicilien (1667)  180 Psyche (1671)  66, 314 Le Bourgeois gentilhomme (1771) 321 Monari, Clemente (1660–1728)  215 Monsigny, Pierre-Alexandre (1729– 1817) 552 Montalban, Nikolaus de (?–?)  140, 149, 201 Alceste, Vorrede (1781)  140, 149, 201 Mad. Montespan (eigentl. Françoise Athénaïs de Rochechouart de Mor­ temart) (1641–1707)  152, 161 Monteverdi, Claudio (1567–1643)  10, 27, 38–42, 48–50, 114, 130, 207, 210, 240, 273, 293, 358 L’Orfeo (1607)  10, 27, 38, 40, 48, 293, 358 Arianna (1607–1608)  48 Lamento d’Arianna (1608) 49 Combattimento di Tancredi e Clorinda (Venedig 1624)  293 Lamento della Ninfa (1638) 49 Il ritorno d´Ulisse (1640)  39, 48–49, 114.

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L’incoronazione di Poppea (1642) 12, 39–41, 48, 50, 114, 130, 210, 240, 273 Morell, Thomas (1703–1784)  444 The Choice of Hercules (1759) 444 Moritz, Karl Philipp (1756–1793)  119 Morselli, Herr (?–?)  148 Morselli, Adriano (?–1791)  208, 215 Mozart, Anna Maria Walpurga, geb. Pertl (1720–1778) 329 Mozart, Johann Georg Leopold (1719– 1787)  329, 334, 384, 493 Mozart Wolfgang Amadeus (1756– 1791)  6, 9, 11, 17, 45, 56, 242, 282–283, 312, 315, 322, 328–329, 334–336, 341, 381, 384, 401, 469, 472, 517–518, 524–525, 529, 542– 543, 558, 566, 571 Mitridate, re di Ponto (1770)  517 Thamos, König in Ägypten (1774) 328 La finta giardiniera (1775)  524 Il Re pastore (1775) 315 Idomeneo (1779)  6, 329, 401, 566 Die Entführung aus dem Serail (1782)  6, 45, 517 Così fan tutte (1790)  242, 517 Die Zauberflöte (1791)  6, 329, 401, 437, 524–525, 558, 566 La Clemenza di Tito (1791)  62 Mozi (Mossi), Gaetano (?–?)  237 Müller, Johann Heinrich Friedrich (1738– 1815)  329, 546, 552, 572 Musäus, Johann Carl August (1735– 1787)  320, 326, 360, 381 Die Stufen des Menschlichen Alters (1771)  320, 326, 360 Navarra, Girolamo (?–?)  148 Negelein, Christoph Adam (1656– 1701) 66 Der gehorsame Wunderglaube Abrahams in der willigen Opferung seines Sohnes Isaacs (1644) 72 Neuber, Friederike Caroline (1697– 1760)  223, 310 Neumeister, Erdmann (1671–1756)  65, 78, 179, 184, 370 Allerneueste Art zur Reinen und Galan­ ten Poesie zu gelangen (1707)  78, 370

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Literaturverzeichnis

De Poetis Germanicis (1695) 184 Nicolai, Christoph Friedrich (1733– 1811)  311, 365, 381 Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste (1757–1765)  365 Allgemeine deutsche Bibliothek (1765– 1806) 365 Noris, Matteo (1640–1714)  200, 208, 215 Zenobia e Radamisto (1662)  242 Nero fatto Cesare (1693)  200 d’Olbreuse, Eleonore (1639–1722)  140 Opitz, Martin (1597–1639)  63, 72, 74, 76, 83, 117, 187 Dafne (1627)  72, 74, 76 Österreich, Joseph II. von (1741– 1790)  311, 323, 329, 444, 531, 552 Österreich, Leopold I. von (1640– 1705)  47, 54, 64 Österreich, Maria-Isabella, geb. von Bour­ bon-Parma (1741–1761)  444 Österreich, Maria Theresia von (1717– 1780)  311–312, 388 Ovidius Naso, Publius (43 v. Chr.– 17n. Chr.)  143, 567 Metamorphosen (1–10 v. Chr.)  143, 567 Paer, Ferdinando (1771–1839)  416 Camilla (1799)  416 Palestrina, Giovanni Pietro Aloisio Sante da (1515–1594)  323 Palavincino, Stefano Benedetto (1672– 1742)  138, 204 Teofane (1719)  138, 204 Pallavincini, Carlo (1630–1688)  115, 191 Diocletianus (1675)  191 Messalina (1679)  115 La Gerusalemme liberata (1787) 233 Pasqualini, Marc-Antonio (1614– 1691) 38 Pasquini, Giovanni Claudio (1695– 1763)  44, 504 Leucippo (1747)  504 Peranda, Marco Giuseppe (1625– 1675) 69 Jupiter und Jo (1672)  69 Pergolesi, Giovanni Battista (1710– 1736)  17, 308, 374, 380, 382 Stabat Mater (1736) 308

Peri, Jacopo (1561–1633)  12, 36–37, 40–42, 293 Dafne (1598) 36, 40 Euridice (1600)  18, 36–37, 40–41, 293 Perrin, Pierre (1620–1675)  58 Pastorale d’Issy (1659) 58 Perti, Giacomo Antonio (1661– 1756) 200 Pfalz, Elisabeth Charlotte („Lieselotte“) (1652–1722) 118 Pfalz, Sophie von der (1630–1714)  140– 141 Pfalz und Bayern, Carl Theodor von der (1724–1799)  329, 529, 531, 551– 552, 554, 571 Perrault, Charles (1628–1703)  26, 154, 164–167, 169, 171, 246, 453–454, 456 Critic d’Alceste (1674)  154, 167, 453–454, 456 Lettre a Charpentier (1674) 172 Le Corbeau Guéri par la Cigogne 167 Le Siècle de Louis le Grand (1687) 164 Paralléle des Anciens et des Modernes (1688–1697) 454 Perrault, Claude (1613–1688)  166 Petrosellini, Giuseppe (1727–1797)  524 La finta giardinera (1775)  524 Pfeffel, Gottlieb Konrad (1736– 1809) 321 Die Schnitter (1771) 321 Plautus (254–184 v. Chr.)  48 Piave, Francesco Maria (1810–1876)  1 Piccinni, Niccolò (1728–1800)  302, 313, 324, 374, 376, 524–525, 527, 533, 552 La Cecchina ossia La bouona figliuola (1760) 302, 313, 525, 552 Catone in Utica (1770)  524, 552 Piccioli, Francesco Maria (1654– 1729) 115 Messalina (1679)  115 Pigage, Nicolas de (1723–1796)  552 Piovene, Agostino (1671–1721?)  240 Il Tamerlano (1710)  240 Pitentino, Josepino (?–?)  148 Piva, Francesco (?–?)  141



Literaturverzeichnis

Gl´avvenimenti d´Orinda (1660) 141 Poliziano, Angelo (1454–1494)  36 Favola d’Orfeo (1480)  36 Pollarolo, Carlo Francesco (1653– 1723)  209, 215–216, 219 Gli inganni felici (1669) 209 da Ponte, Lorenzo (1749–1838)  381 Porpora, Nicola (1686–1768)  141, 209, 220 Porporino, eigentl. Antonio Uberti oder Anton Hubert (1719–1783)  209 Postel, Christian Heinrich (1658– 1705)  52, 124, 177, 185, 197, 394 Ancile Romanum (1689/1690) 124 Ariadne (1691)  185 Achille et Polixène (Quinault/ Lully), Übersetzung (1692)  185 Pygmalion (1693)  185 Der mächtige Monarch der Perser, Xerxes, in Abydus (1698) 52 Der siegende Alcides (Alceste v. Quinault/ Lully), Übersetzung (1696)  185–186, 197, 548 Pradon, Jacques (1632–1698)  137 Tamerlano ou La Mort de Bajazet (1675) 137 Praetorius, Johann Philipp (1696– 1766)  181, 195, 231 Die Hamburger Schlacht-Zeit/ Oder der Mißgelungene Betrug (1725) 195 Jodelet oder sein selbst Gefangener (1725) 181 Orpheus, oder die wunderbare Beständig­ keit der Liebe (1726) 231 Circe (1734)  301 Preußen, Friedrich II. von (1712– 1786)  43–44, 225, 308, 373, 377 Montezuma (1755)  377 Purcell, Henry (1659–1695)  218 Ode for St. Cecilia’s Day (1792)  218 Quaglio, Lorenzo (1730–1804)  557 Quantz, Johann Joachim (1667– 1773)  424, 462 Quinault, Philippe (1635–1688) 5, 12, 18, 23–24, 26, 28, 53, 81, 147–148, 151–164, 166–175, 180, 187, 191, 197, 202, 208, 239, 242–243, 251,

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268–269, 276, 278, 281, 314–315, 373, 388, 399, 401, 403, 417, 420–421, 438, 441, 450–453, 470, 473, 492, 513, 515, 520–521, 523, 543, 549 Les Fêtes de l’Amour et de Bacchus (1672) 60 Cadmus et Hermione (1673)  60, 167, 171, 314 Alceste ou le Triomphe d’Alcide (1674)  5, 12, 18, 23–24, 26, 28, 60, 92, 148, 151–164, 166–175, 180, 185–186, 191, 197, 202, 208, 239, 242–244, 251, 268–269, 276, 281, 314–315, 388, 399, 401, 417, 420–421, 438, 441, 450–453, 470, 473, 492, 513, 520, 522–523, 543, 548–549 Thésée (1675)  151, 213, 515 Atys (1776)  61, 151 Proserpine (1680)  213 Armide (1686)  178, 179, 278, 520– 521 Quintilian, Marcus Fabius (35–96)  298 Racine, Jean (1639–1699)  62, 152, 154, 171–173, 208, 295 Britannicus (1670)  172 Iphigenie en Aulide (1674)  154, 171 Rameau, Jean-Philippe (1683–1764)  23, 62, 369, 371–372, 392, 516, 565 Ippolyte et Aricie (1733) 565 La Princesse de Navarre (1745) 381 Ramler, Karl Wilhelm (1725–1798)  221, 317, 364, 379 Der Tod Jesu (1755)  221, 364 Pygmalion (1768)  317 Einleitung in die schönen Wissenschaften Übersetzung (1769)  379 Raspe, Rudolf Erich (1736–1794)  377 Einleitung in die Schönen Wissenschaften, Übersetzung (1746)  379 Saggio sopra l´opera in musica, Überset­ zung (1769)  386 Rauch, Christian (?–?)  190 Regnard, Jean-François (1655–1709)  310 Démocrite amoureux et Le Retour impré­ vu (1700)  310

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Literaturverzeichnis

Reich, Philipp Erasmus (1717–1787)  311, 379 Reichardt, Johann Friedrich (1752– 1814)  283, 330, 332, 334, 373, 521, 525, 530–532 Alceste von Wieland und Schweitzer (1778) 531 Reinhold, Karl Leonhard (1758– 1823) 379 Reiser, Anton (1628–1686)  183, 184 Theatromania Oder Die Werke der Fins­ ternis in denen Öffentlichen Schau=Spielen (1681) 183–184 Richardson Samuel (1689–1761)  300, 301, 313 Pamela, or Virtue Rewarded (1740)  300, 301, 313 Sir Charles Grandison (1753– 1754) 300 Richey, Michael (1678–1761)  182 Richter, Franz Xaver (1709–1789)  323 Richter, Jean Paul (1763–1825)  371 Riedel, Friedrich Justus (1742–1785)  310, 312, 346 Ring, Friedrich Dominicus (1726– 1809)  380–381, 386, 537, 573 Rinuccini, Ottavio (1562–1621)  12, 36, 38, 42, 74 Dafne (1598)  42, 36, 40, 74 Euridice (1600)  12, 36, 38, 40 Arianna (1607–1608)  54 Rist, Johann (1607–1667)  63 Rivani, Antonio gen. Cecolino (1629– 1686) 139 Roberti, Girolamo Frigimelica (1653– 1732)  208, 215 Il Pastore d’Anfiso (1695)  215 Midridate (Venedig 1707)  208 La Roche, Georg Michael Anton (1720– 1788) 308 La Roche, Sophie von (1730–1807)  33, 290, 307–309, 315–316, 405, 533 Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771)  308, 405 Rochlitz, Friedrich (1769–1842)  371 Allgemeine Musikalische Zeitung (1798– 1818) 371 Rosenmüller, Johann (1619–1684)  89

Rospigliosi, Giulio (1600–1669)  38–39 Sant’ Alessio (1631) 38 Rossi, Giacomo (?-?)  135, 138 Amadigi di Gaula (1715) 135 Lotario (1729)  138 Rossi, Luigi (1598–1653)  38, 58, 78 Orfeo (1647)  58, 78 Rossini, Gioachino (1792–1868)  164 Guillaume Tell (1829) 164 Roullet, François-Louis Gand Le Blanc Du (1716–1786)  5, 374–376, 381, 520, 533–544, 549 Lettre à M[onsieur] D[auvergne], un des Directeurs de l’Opéra de Paris (1772) 383 Iphigénie en Aulide (1774)  337–338, 532, 534 Alceste (1776)  375, 533–544, 548– 549, 552 Lettre sur le drame-opéra (1776)  520 Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778)  59, 301–302, 313, 316–318, 321, 358, 367, 369, 372–374, 384–385, 404, 456, 493, 516, 538–539 Les Muses galantes (1745)  371 Lettre a Grimm (1752)  369, 372 Le devin du Village (1752)  302, 313, 316, 372, 374 Lettre sur musique française (1753)  316 Lettre à d’Alembert (1758) 302 Pygmalion (1770)  316–318, 321, 358, 404, 493 Rowe, Nicholas (1674–1718)  295 Lady Jane Gray (1715) 295 Sacchinni, Antonio (1730–1786)  374, 382, 552 L’isola d’amore (1772) 552 Sachsen, Elisabeth Sophie von, geb. Prinzessin von Brandenburg (1674– 1748) 134 Sachsen, Ernst Ludwig I. von (1672– 1724) 134 Sachsen, Friedrich August I. gen. der Starke von (1670–1733)  65 Sachsen, Friedrich Christian von (1722– 1763)  345, 442 Sachsen, Johan Georg IV. von (1668– 1694)  199, 201



Literaturverzeichnis

Sachsen-Eisenach, Adolf Wilhelm (1632– 1668) 81 Sachsen-Gotha-Altenburg; Ernst II. Lud­ wig von (1745–1804)  327, 331 Sachsen-Gotha-Altenburg, Friedrich II. von (1667–1732)  65 Sachsen und Polen, Friedrich August III. von (1696–1763)  377 Sachsen-Weimar-Eisenach, Anna Amalia von (1739–1807)  8, 25, 44, 319– 320, 325–326, 331, 355, 359–360, 363, 388, 444, 525, 534, 567 Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl August von (1757–1828)  333, 359, 441, 445, 447–451 Sachsen-Weißenfels, Anna Maria Doro­ thea von, geb. von Mecklenburg (1627–1669) 70 Sachsen-Weißenfels, Augusts d. Ä. von (1614–1680)  67, 70 Sachsen-Weißenfels, August d. J. von (1650–1674) 70 Sachsen-Weißenfels, Johanna Walpurgis von, geb. von Leiningen-Westerburg (1647–1687) 70 Sacrati, Francesco (1605–1659)  50, 58, 78, 210 La finta pazza (1641)  50, 58, 78, 210 Le Sage, Alain-René (1668–1747)  314, 568 Boëte de Pandore (1721) 568 Le Theatre de la foire, ou l’Opéra comique (1721–1737) 314 Saint-Sorlin, Jean Desmarets (1595– 1676) 547 Clovis (1657)  547 Sales, Franziska, geb. Blümer (?–?)  315 Sales, Pietro Pompeo (1729–1797)  315 Il Re Pastore (1760) 321 Salieri, Antonio (1750–1825)  330, 381 Salimbeni, Felice (1712–1755)  215 Salvi, Antonio (1664–1724)  137, 220 Dionisio, Re di Portogallo (1707)  220 Rodelinda, Regina de Langobardi (1710) 131 L’Adelaide (1722)  126, 138, 548 Santurini, Francesco (1627–1688)  44

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Sarro, Domenico Natale (1679– 1744) 521 La Didone abbandonata (1725)  521 Sartorio, Antonio (1620–1681)  40, 138– 139, 147, 199 L´Adelaide (1672)  126, 138, 548 Antonio e Pompejano (1677)  147 Sartorio, Girolamo (?–1707)  205, 199 Sbarra, Francesco (1611–1668)  41, 54 Il Pomo d’oro (1668)  47, 54 Scarlatti, Alessandro (1660–1725)  207– 208, 215, 343 Midridate (Venedig 1707)  208 Scheibe, Johann Adolph (1708– 1776)  223, 362 Schiebeler, Daniel (1741–1771)  322 Liusuart und Dariolette (1766/67)  322 Schikaneder, Emanuel (1751–1812)  6, 76, 381 Die Zauberflöte (1791)  6, 76, 437, 524 Schiller, Friedrich (1759–1805)  13, 298 Semele (1780) 13 Die Jungfrau von Orleans (1801) 298 Schirmer, David (1623–1686)  63 Schlegel, Johann Adolph (172–1793)  362, 365 Les Beaux Arts rédiuts à un même princi­ pe, Übersetzung (1746)  365 Schlegel, Johann Elias (1719–1749)  310, 362, 364 Canut (1746)  310 Schmettau, Ferdinand Friedrich (?–?)  311 Schmidt, Johann Christoph (1768– 1854)  318, 321 Pygmalion (1772)  318, 321 Schnabel, Johann Gottfried (1692–vor 1760) 119 Insel Felsenburg (1731–1743)  119 Schöpfel, Johann Wolfgang Andreas (1752–1827) 342 Schottelius, Justus Georg (1612– 1676)  63, 72–73 Friedens Sieg. Ein Freudenspiel (1642) 72 Schubart, Daniel (1739–1791)  334, 403, 462, 514, 527 Deutsche Chronik (1775) 527

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Literaturverzeichnis

Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (1806)  334, 514 Schultz, Carl (?–?)  294, 332 Schürmann, Georg Caspar (1672– 1751)  5, 8, 23, 26–28, 67, 150, 181, 188, 207–279, 309, 437, 473, 515, 521, 549–550 Jason oder Die Eroberung des Güldenen Flüsses (1708) 217 Regnero (1715) 217 Telemachus (1717)  217, 218 Heinrich der Vogler (1718)  235, 309 Die Getreue Alceste (1719)  5, 8, 14, 23, 26, 28, 146, 150, 181, 207–279, 437, 473, 521, 548–550 Schütz, Heinrich (1585–1672)  65, 72, 83, 85 Dafne (1627)  72 Schwan, Christian Friedrich (1733– 1815) 320 Das Milchmädchen und die beiden Jäger (1771) 320 Schweitzer, Anton (1735–1787)  4–6, 11, 18–19, 23, 34, 267, 276, 278, 281–289, 317–318, 320–321, 341, 341–567, 569–570, 572–573 Walmir und Gertraud (1769) 324 Elysium (1770)  321, 324–325, 344, 361 Apollo unter den Hirten (1770) 321, 336, 344, 360 Die Stufen des Menschlichen Alters (1771)  320, 326 Die Dorfgala (1772) 321 Herkules auf dem Oeta (1772) 325, 450 Der lustige Schuster (um 1772)  322, 324, 445 Ariadne auf Naxos (Fragment 1772)  318, 321, 327 Pygmalion (1772)  318, 321, 358 Idris und Zenide (1772)  317, 326, 341 Aurora (1772)  326, 333–334, 341– 361, 392, 394, 398 Alceste (1773)  4–6, 8, 11, 23, 29, 34, 176, 267, 276, 281–289, 318, 326–330, 333, 335, 338, 341, 346,

355, 357, 359, 361–550, 556, 569, 572–573 Die Wahl des Herkules (1773)  285, 288, 346, 359–360, 370, 376 Das Urtheil des Midas, Plan (1774) 327 Antonius und Cleopatra, Plan (1774/1775)  327, 545 Polyxena (1775)  327, 333, 335 Rosamunde (1776/1780)  6, 318, 328–330, 333–335, 341, 391, 446, 472, 524, 551–567, 569–570 Seckendorff, Karl Friedrich Sigismund von (1744–1785)  331 Orpheus und Eurydice (1779) 331 Sedaine, Michel-Jean (1719–1797)  313 Seneca, Lucius Annaeus (4 v. Chr.–65 n. Chr.)  114 Oedipus (Entstehungsdatum unbe­ kannt) 114 Seyler, Abel (1730–1801)  294, 324–325 Seyler, Sophie, s. Hensel Shakespeare, William (1564–1616)  196, 296–297, 301, 303, 306, 311, 541, 571–572 The Tragicall Historie of Hamlet, Prince of Denmarke (1602) 572 A Midsummer Night‘s Dream (1605) 306 The Tempest (1623) 303 Silvani, Francesco (1660–1728?)  208– 209, 215, 223 Il Miglior d’ogni Amore per il preggior d’ogno Odio (1703) 251 Fredegunda (1705) 215 Simoncini, Gioseppo (?–?)  148 Smollett, Tobias (1721–1771)  420, 444 Alceste (1750)  420, 444, 548 Socrates (470/469–399 v. Chr.)  294, 441 Sophokles (497/496–406/405 v. Chr.)  114, 169, 524, 572 Oididus epi Kolōnō (401 v. Chr.)  114 Antigonē (442)  114, 169 Sorlisi, Bartolomeo (1632–1672)  69 Spanien, Margarita Theresia von (1651– 1673)  41, 54 Staden, Sigmund Theophil (1607– 1655)  10–11, 76



Literaturverzeichnis

Seelewig (1644)  10–11, 76 Stadion, Anton Heinrich Friedrich von (1691–1768)  308, 309 Stampiglia, Silvio (1664–1725)  16, 208– 209, 237, 515 Il Xerse (1694) 16 Mario fuggitivo (1708) 237 Imeneo (1723)  515 Standfuß, Johann Georg (?–ca. 1759)  295 Der Teufel ist los (1752) 295 Steele, Richard (1672–1729)  321 Inkle and Yarico (1711)  321 Steffani, Agostino (1654–1728)  87, 139, 150, 197, 215–216, 219, 548 Enrico Leone (1689)  87, 150–151, 548 Stephanie, Johann Gottlieb d. J. (1741– 1800)  6, 381, 517 Die Entführung aus dem Serail (1782)  6, 45, 517 Der Doktor und der Apotheker (1786) 323 Stieler, Caspar von (1632–1707)  63 Stötzel, Gottfried Gottlieb Heinrich (1690–1749)  70, 442 Hercules Prodicius oder die triumphierende Tugend (1725)  442 Strawinsky, Igor (1882–1971)  476 Geschichte vom Soldaten (1917) 476 Striggio, Alessandro (1573–1630)  38, 82 L’Orfeo (1607)  16, 38, 82 Strozzi, Giovan Battiata („il Vecchio“) (1504–1571) 35 Strozzi, Giulio (1583–1652)  48, 50, 210 Erotilla (1621)  54 La finta pazza (1641)  50, 210 Strungk, Christina Dorothea s. Lachs Strungk, Nikolaus Adam (1640– 1700)  139, 148–150, 181, 186, 189–206 Esther (1680)  189, 205 L’Alceste (1679/81)  141, 141–151, 181, 186, 189–206, 548 Agrippina (1699)  200 Sulzer, Johann Georg (1720–1779)  33, 299, 301, 459 Allgemeine Theorie der schönen Künste (1771–1774) 33

639

Erklärung eines psychologischen parado­ xen Satzes … (1773)  461, 459 Sulzer, Wolfgang Dietrich (1732– 1794)  299, 301 Tacitus, Publius Cornelius (58–120 n. Chr.)  117 Tasso, Torquato (1544–1595)  36, 87 Aminta (1573)  36 Gerusalemme liberata (1574)  173 Telemann, Georg Philipp (1681– 1764)  65, 67, 133, 199, 219, 221, 223, 231, 237, 276, 308, 343, 389, 534 Der geduldige Socrates (1721)  273 Orpheus, oder die wunderbare Beständig­ keit der Liebe (1726)  231 Sancio, oder Die Siegende Großmuth auch: Sancio und Sinilde (1727)  223, 251 La Tessoneries, Gillet de (1620–ca. 1660)  73, 451 L´Art de Regner (1644)  73, 79, 160, 451 Theile, Johann (1674–1724)  89, 178 Thomasius, Christian (1655–1738)  92, 117 Monatsgespräche (1689) 92 Thymich, Anna Catharina (?–?)  200 Thymich, Paul (1656–1694)  5, 71, 181– 182, 186, 189–206 Alceste (1693)  5, 181–182, 186, 189–206, 548 Traetta, Tommaso (1727–1779)  278, 323, 376, 517, 527, 533, 551–552 Sofonisba (1762)  527, 551 Trento, Mattio (?–?)  148 Uffenbach, Johann Friedrich von (1687– 1769)  222–224, 226, 236, 281, 342, 362, 367 Pharasmenes (1726) 224 Gesammelte Neben=Arbeiten (1733)  222, 226, 367 Ursulcar, Frau (?–?)  148 Valente, Herr (?–?)  149 Varesco, Giambattista (1735–1805)  6 Idomeneo (1779)  6 Verazi, Matteo (ca. 1730–1794)  551 Sofonisba (1762)  551

640

Literaturverzeichnis

Verdi, Giuseppe (1813–1901)  1, 543 Otello (1887)  543 Vergil (70–19 v. Chr.)  110, 113 Aeneis (29–19 v. Chr.)  110, 113 Vigarani, Carlo (1637–1713)  60 Vivaldi, Antonio (1678–1741) 237 Ottone in Villa (1713) 237 Orlando finto pazzo (1714) 237 Scanderbeg (1718)  237 Artabano, re dei parti als Tiganes (1719) 237 Vockerodt, Gottfried (1694–1727)  68, 113, 184 Von falscher Artzeney unrichtiger Ge­ müther (1696)  68 Missbrauch der freyen Künste (1697)  68 Vogler, Georg Joseph Abt (1749– 1814)  483, 514, 565–566 Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit (1777–1781) 565 Betrachtungen der Mannheimer Tonschule (1778)  483, 566 Voltaire (eigentl. François-Marie Arouet) (1694–1778)  125, 172, 294–295, 310 Oedipe (1719) 310 Zaire (1733)  294, 310 Alzire ou les Americains (1736) 310 Le Fanatisme ou Mahomet (1741) 310 La Princesse de Navarre (1745) 372 Wagner, Richard (1813–1883)  1, 176, 392, 532 Tristan und Isolde (1865)  1 Wales, Friedrich Ludwig Price of (1707– 1751) 141 Warnecke, Johann Christoph (?–?)  219 Wartensleben, Caroline Friederike von, geb. Rheingräfin von Grumbach (1710–1778) 315 Weise, Christian (1642–1708)  69 Weiße, Christian Felix (1726–1804)  15, 30, 33, 281, 283, 310–313, 320–322, 342, 444–445, 525, 531 Richard III (1759) 310 Der Teufel ist los, oder: Die verwandelten Weiber (1766)  322, 324 Romeo und Julia (1767) 310–311



Lottchen am Hofe (1767)  30, 322, 324, 500 Die Liebe auf dem Lande (1768) 322, 324 Atreus von Thyest (1769) 311 Der lustige Schuster (1770)  322, 324, 445 Die Jagd (1770)  30, 320–321, 525 Alcide al bivio. Die Wahl des Herkules oder Alcide an zwei Wegen. (1770)  15, 444 Wellhausen, Conrad Christian (?–?)  218 Wentzel (?–?)  68 Wieland, Anna Dorothea (1746– 1801) 387–388 Wieland, Christoph Martin (1733– 1813)  4–6, 11, 15, 17–19, 23, 25–26, 29, 31–34, 37, 46, 49, 76, 78, 93, 170, 176, 181–183, 185, 187, 200, 203, 205–206, 222, 230, 267, 269, 276, 278–279, 281–323, 325–326, 328, 330–575 Die Natur der Dinge (1752) 366, 383 Ode auf die Geburt des Erloesers (1754) 292 Lady Johanna Gray (1758)  285, 295– 299, 301, 319, 380, 398, 434–435, 440, 575 Der erstaunliche Schiffbruch, Überset­ zung (1761)  302–323 Clementina von Porretta (1762) 285, 296–297, 299–300, 302, 313, 380, 383–384, 575 Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosal­ va (1764) 449 Geschichte des Agathon (1766/1767)  307, 530, 564 Idris (1768) 317 Musarion (1769)  311 Il re pastore (Plan, 1770)  315, 319 Der neue Amadis (1771)  30, 319, 440, 458 Pygmalion (Plan, 1771)  316–319 Der verklagte Amor (entst. ab 1771, Fragment publiziert 1772)  334 Der Goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian (1772)  312





Literaturverzeichnis

Idris und Zenide (1772)  317, 326, 332, 341 Aurora (1772)  285–286, 326, ­333–334, 341–361, 392, 394, 398, 575 Alceste (1773)  4–6, 8, 11, 15, 23, 26, 29–34, 176, 182, 206, 267, 276, 279, 281–289, 305, 312, 316, 318–320, 326–331, 333, 335, 337–338, 341, 346, 355, 357, 359, 361–550, 556, 569, 572–573, 575 Der Teutsche Merkur (1773–1789) 26, 181, 287–288, 334, 362–363, 390, 444, 451, 457–458, 526, 531, 535–536, 553, 566–568 Briefe an einen Freund über das deutsche Singspiel, Alcste (1773)  170, 282, 286, 288, 301, 320, 328, 332, 337, 382, 385, 390–391, 395, 398–399, 419, 422, 435, 438–440, 444, 450–452, 457, 459, 468, 492, 497, 501–502, 522, 534, 538, 569, 572, 575 Über einige ä l t e r e teutsche Singspie­ l e, welche den Nahmen Alceste führen (1773)  6, 19, 26, 30, 181, 200, 203, 205–206, 269, 279, 281, 286, 320, 328, 356, 401, 519 Die Wahl des Herkules (1773) 285, 288, 346, 359–360, 370, 440–459, 472, 526 Theatralische Nachrichten (1773)  368 Theatralische Nachrichten. Weimar (1773) 377 Handbuch (1774)  182, 361, 363, 377, 468 Das Urtheil des Midas (1774)  286, 327, 345, 524, 567 Antonius und Cleopatra, Plan (1774/1775)  327, 545–546 Versuch über das Teutsche Singspiel, und einige dahin einschlagende Gegenstände (1775)  49, 182, 282, 286–287, 293, 328, 332, 338–340, 343, 365, 375, 377–378, 382, 385, 400, 402, 404, 434, 456, 530, 534, 538, 558–559, 564, 568, 572 Rosamunde (1776/1780)  6, 15, 286, 289–299, 318–319, 327–330, 333–

641

336, 341, 375, 472, 524, 530–531, 546, 551–567, 569–570 Nachtrag zur Geschichte der schönen Rosamund (1778) 554 Pandora (1779)  286, 318, 524, 568– 569, 575 Oberon (1780)  324, 557 Peregrinus Proteus (1788)  318 Geschichte der Abderiten (Buchfassung 1781) 6, 569–574 Aristipp und einige seiner Zeitgenossen (1800/1801)  318, 441, 500–501 Der Neue Teutsche Merkur (1790– 1810) 335, Wieland, Karl Friedrich (1778–1856)  333 Wilde, Oscar (1854–1900)  162 The Importance of being Earnest (1895) 162 Winckelmann, Johann Joachim, (1717– 1768) 454 Wittenberg, Albrecht (1728–1807)  394 Wolf, Caroline s. Benda Wolf, Ernst Wilhelm (1735–1792)  320, 326, 328, 330, 389, 531 Geschwinde, ihr wirbelnden Winde (1758) 568 Das Rosenfest (1770) 322 Die Dorfdeputierten (1772) 321 Die treuen Köhler (1772) 321 Der Abend im Walde (1773) 322 Ceres (1773)  321 Alceste (1780/1786)  331, 548 Xeller, Lorenz (1703–1762)  290–291 Xeller, Regina (?–?)  291, Xenophon (ca. 430–354 v. Chr.)  441, 444, 448, 450, 452, 459 Memorabilia (370–360 v. Chr.)  441, 444, 448, 450, 452, 459 Zaguri, Pietro Angelo (?–?)  141 Zanelli, Ippolito (?–1737)  240 Tamerlano (1724)  240 Zelter, Carl Friedrich (1758–1832)  290 Zeno, Apostolo (1668–1750)  15, 18, 39, 41, 50, 56, 118, 206–211, 215–216, 222, 225, 233, 237, 515, 548 Gli inganni felici (1696) 209

642

Literaturverzeichnis

Faramondo (1699) 215 Lucio Verio (1700)  215 Regnero (1715) 216 Costantino (1716) 237 Antioco (1721) 225 Caio Fabrizio (1732) 222 Ziani, Pietro Andrea (1616–1684)  13, 40, 124, 139, 142–151 Antigona delusa da Alceste (1660) 5, 26, 116, 139, 141–151, 198, 548 L’Heraclio (1671)  124 Ziegler, Caspar (1621–1690)  77, 80, 188 Von den Madrigalen (1653)  77, 80, 188 Zigera, Christian (1719–1778)  183,

Zigler von Kliphausen, Heinrich Anselm (1663–1696)  4, 17–18, 106, 115, 118–136, 241, 273, 282 Die Asiatische Banise (1689)  4, 106, 115, 118–136, 241, 273 Die lybische Talestris (1695/1709), 24, 119, 126 Zigler von Kliphausen, Joachim Sigis­ mund (1660–1734)  119 Zinck, Barthold Joachim (1718–1775)  364 Zweibrücken, Adolph Johann von (1629– 1689) 140 Zweibrücken, Christian IV. von (1722– 1775) 529