Grundlagen der Baustatik: Modelle und Berechnungsmethoden für ebene Stabtragwerke [5. Aufl.] 978-3-658-23838-4;978-3-658-23839-1

Das vorliegende Lehrbuch schließt die Lücke zwischen den grundlegenden Ansätzen der Technischen Mechanik und den verschi

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Grundlagen der Baustatik: Modelle und Berechnungsmethoden für ebene Stabtragwerke [5. Aufl.]
 978-3-658-23838-4;978-3-658-23839-1

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIII
Front Matter ....Pages 1-1
Einführung (Dieter Dinkler)....Pages 3-14
Tragwerksmodelle der Stabstatik (Dieter Dinkler)....Pages 15-32
Grundlagen der Berechnungsverfahren (Dieter Dinkler)....Pages 33-67
Front Matter ....Pages 69-69
Zustandslinien statisch bestimmter Systeme (Dieter Dinkler)....Pages 71-99
Kinematik von ebenen Stabtragwerken (Dieter Dinkler)....Pages 100-113
Arbeitssätze (Dieter Dinkler)....Pages 114-120
Virtuelle Arbeiten (Dieter Dinkler)....Pages 121-129
Berechnung von Schnittgrößen mit dem PvV (Dieter Dinkler)....Pages 130-133
Einflusslinien für Kraftgrößen (Dieter Dinkler)....Pages 134-153
Berechnung von Weggrößen mit dem PvK (Dieter Dinkler)....Pages 154-164
Berechnung von Biegelinien (Dieter Dinkler)....Pages 165-172
Einflusslinien für Weggrößen (Dieter Dinkler)....Pages 173-181
Front Matter ....Pages 183-183
Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme (Dieter Dinkler)....Pages 185-195
Das Kraftgrößenverfahren (Dieter Dinkler)....Pages 196-221
Verallgemeinerung des Kraftgrößenverfahrens (Dieter Dinkler)....Pages 222-228
Berechnung von Weggrößen (Dieter Dinkler)....Pages 229-231
Das Drehwinkelverfahren (Dieter Dinkler)....Pages 232-269
Anmerkungen zu den Berechnungsverfahren (Dieter Dinkler)....Pages 270-277
Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme (Dieter Dinkler)....Pages 278-288
Front Matter ....Pages 289-289
Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung (Dieter Dinkler)....Pages 291-318
Front Matter ....Pages 319-319
Fachwerkmodelle (Dieter Dinkler)....Pages 321-328
Front Matter ....Pages 329-329
Einführung in das Traglastverfahren (Dieter Dinkler)....Pages 331-341
Tragverhalten der Querschnitte (Dieter Dinkler)....Pages 342-347
Traglasttheoreme (Dieter Dinkler)....Pages 348-356
Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (Dieter Dinkler)....Pages 357-358
Traglast von Durchlaufträgern und Rahmen (Dieter Dinkler)....Pages 359-366
Kombination mehrerer kinematischer Ketten (Dieter Dinkler)....Pages 367-377
Traglastverfahren mit M–N–Q–Interaktion (Dieter Dinkler)....Pages 378-387
Verformungsberechnung (Dieter Dinkler)....Pages 388-394
Tragverhalten bei Be– und Entlastung (Dieter Dinkler)....Pages 395-406
Bemessung nach Traglastverfahren (Dieter Dinkler)....Pages 407-409
Fließgelenktheorie II. Ordnung (Dieter Dinkler)....Pages 410-415
Ergänzungen (Dieter Dinkler)....Pages 416-420
Stahlbetontragwerke (Dieter Dinkler)....Pages 421-427
Anmerkungen zum Traglastverfahren (Dieter Dinkler)....Pages 428-429
Back Matter ....Pages 431-454

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Dieter Dinkler

Grundlagen der Baustatik Modelle und Berechnungsmethoden für ebene Stabtragwerke 5. Auflage

Grundlagen der Baustatik

Dieter Dinkler

Grundlagen der Baustatik Modelle und Berechnungsmethoden für ebene Stabtragwerke 5. Auflage

Dieter Dinkler Institut für Statik Technische Universität Braunschweig Braunschweig, Deutschland

ISBN 978-3-658-23838-4 ISBN 978-3-658-23839-1  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2010, 2012, 2014, 2016, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort zur f¨ unften Auflage ¨ Mit der f¨ unften Auflage des Lehrbuches ist neben einer redaktionellen Uberarbeitung die Erweiterung um den Abschnitt Traglastverfahren erfolgt. Auch wenn das Traglastverfahren f¨ ur die Handrechnung aufbereitet ist, sind die Grundideen und das Verst¨andnis f¨ ur die Wirkung des nichtlinearen Materialverhaltens auf die Eigenschaften von Tragwerken ganz essentiell, da die Duktilit¨at des Materials inh¨arent in allen Standsicherheitsnachweisen vorhanden ist. Großer Dank geb¨ uhrt Frau apl. Prof. Ursula Kowalsky f¨ ur die zahlreichen Diskussionen und Anregungen bei der Ausarbeitung des Abschnittes Traglastverfahren. Vielen Dank auch dem Verlag Springer–Vieweg f¨ ur die Anregung zu ¨ der Uberarbeitung des Lehrbuches und die gute Zusammenarbeit bei der Vorbereitung und Gestaltung des Neudrucks. Braunschweig, 1. September 2018

Dieter Dinkler

VI

Vorwort zur vierten Auflage

Vorwort zur vierten Auflage ¨ Mit der vierten Auflage des Lehrbuches ist eine redaktionelle Uberarbeitung m¨ oglich, die verschiedene Anregungen von Studierenden aufgreift. So sind verschiedene komplexe Zusammenh¨ange mit erg¨anzenden Beispielen veranschaulicht. Im Anhang sind zahlreiche Fragen zum Verst¨ andnis der f¨ ur Studierende oft wenig greifbaren Zusammenh¨ange angegeben. Großer Dank dem Verlag Springer-Vieweg f¨ ur die wiederum gute Zusammenarbeit und die sehr ansprechende Gestaltung des Neudruckes. Braunschweig, 1. April 2016

Dieter Dinkler

Vorwort zur dritten Auflage Die erfreulich große Nachfrage nach den Grundlagen der Baustatik gibt mir die M¨ oglichkeit, das Lehrbuch inhaltlich zu erg¨anzen und mich bei allen denen zu bedanken, die mir mit vielen Hinweisen und guten Ratschl¨ agen bei der redak¨ tionellen Uberarbeitung geholfen haben. Besonderer Dank gilt Herrn Marten ¨ Eickhoff und Herrn Sebastian Krooß f¨ ur ihre große Geduld bei der Uberarbeitung der vielen zeichnerischen Darstellungen. Dem Verlag Springer-Vieweg m¨ ochte ich f¨ ur die gute Zusammenarbeit bei der Gestaltung und der Vorbereitung des Neudruckes danken. Braunschweig, 1. Februar 2014

Dieter Dinkler

Vorwort zur zweiten Auflage Aufgrund der sehr erfreulichen Resonanz auf die Erstausgabe des Lehrbuches ist es m¨oglich, mit der hier vorliegenden zweiten Auflage eine redaktionelle ¨ Uberarbeitung und Erg¨anzung des Lehrbuches vorzunehmen. Dies betrifft die Qualit¨at der Abbildungen, verschiedene erg¨anzende Beispiele sowie einen Anhang, in dem grundlegende statische Systeme tabelliert sind. Dem Verlag Springer-Vieweg m¨ochte ich f¨ ur die konstruktiven Hinweise und die gute Zusammenarbeit bei der Gestaltung und der Vorbereitung des Neudruckes danken. Braunschweig, 1. Februar 2012

Dieter Dinkler

Vorwort zur ersten Auflage

VII

Vorwort zur ersten Auflage Das vorliegende Lehrbuch ist aus den Lehrveranstaltungen f¨ ur das Fachgebiet Baustatik im Bachelorstudiengang Bauingenieurwesen an der Technischen Universit¨at Braunschweig entstanden. Es zielt auf die Darstellung und Vermittlung der Grundlagen der Baustatik f¨ ur Studierende des Bauingenieurwesens und nahestehender Studieng¨ ange. Vorausgesetzt werden die Grundlagen der Technischen Mechanik f¨ ur Ingenieurstudieng¨ ange, sodass Spannungen, Kr¨afte und Momente bekannt sind und erste Erfahrungen in der Berechnung von Schnittgr¨oßen f¨ ur Balken und Fachwerke vorliegen. Das Lehrbuch ist in drei gr¨oßere Abschnitte unterteilt, in denen die baustatischen Methoden anschaulich und grundlegend dargestellt sind. Der erste Teil behandelt die Modellierung statischer Systeme und bietet eine Einf¨ uhrung in die Berechnung der Zustandslinien von Tragwerken. Im zweiten und dritten Teil stehen statisch bestimmte und unbestimmte Systeme mit der Ermittlung von Zustandslinien und Einflusslinien im Vordergrund. Die Spannungstheorie II. Ordnung und eine Einf¨ uhrung in die Fachwerkmodelle erg¨ anzen die vorangehenden Abschnitte und bereiten die Studierenden auf die anderen Fachgebiete des Konstruktiven Ingenieurbaus vor. Das Lehrbuch w¨are in dieser Form ohne die Unterst¨ utzung meiner Mitarbeiter nicht m¨oglich gewesen. Besonders bedanken m¨ochte ich mich bei Frau cand. BSc. Corinna Mai, die die vielen Bilder mit großer Sorgfalt gezeichnet hat, und bei Herrn cand. BSc. Andreas Janzen, der die vielen Skizzen zur Modellbildung mit großer Anschauung von Hand angefertigt hat. Ganz herzlichen Dank an Herrn Prof. Dr.-Ing. Hermann Ahrens und Frau Dr.Ing. Ursula Kowalsky, die in vielen fachlichen Diskussionen wesentliche Impulse f¨ ur die Auswahl der Inhalte und die Art der Darstellung gegeben haben. Braunschweig, 1. September 2010

Dieter Dinkler

Inhaltsverzeichnis

GRUNDLAGEN

1

1

Einf¨ uhrung 3 1.1 Historische Entwicklung der Baustatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.2 Aufgaben der Baustatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.3 Der Tragwerksentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.4 Die Tragwerksmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.5 Die Tragwerksberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2

Tragwerksmodelle der Stabstatik 2.1 Einordnung der Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Idealisierung der Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Idealisierung der Einwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Modellierungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 18 22 27 32

3

Grundlagen der Berechnungsverfahren 3.1 Das Schnittprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Vorzeichendefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Statische Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Analytische L¨osung der Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Vorgehensweise der Baustatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 35 36 38 50 59 61

STATISCH BESTIMMTE SYSTEME

69

4

Zustandslinien statisch bestimmter Systeme 4.1 Fachwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Rahmentragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Bogentragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Seiltragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 71 78 92 98

5

Kinematik von ebenen Stabtragwerken 100 5.1 Begriffsbildung f¨ ur Polpl¨ane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨anen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5.3 Anwendungsgebiete von Polpl¨anen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5.4 Untersuchung der Gleichgewichtsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

X

Inhaltsverzeichnis

6

Arbeitss¨atze 114 6.1 Begriffe zur Formulierung der Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 6.2 Der Arbeitssatz f¨ ur elastische Stabtragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6.3 Verschiedene Formulierungen des Arbeitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

7

Virtuelle Arbeiten 121 7.1 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PvV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte (PvK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

8

Berechnung von Schnittgr¨oßen mit dem PvV

9

Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen 134 9.1 Statische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 9.2 Kinematische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 9.3 Beispiele zur kinematischen Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 9.4 Auswertung von Einflusslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

130

10 Berechnung von Weggr¨oßen mit dem PvK 154 10.1 Die Grundf¨alle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 10.2 Umformung der Arbeitsgleichung des PvK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 10.3 Auswertung der Integrale der Inneren Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 11 Berechnung von Biegelinien 165 11.1 Baustatische Methode mit ω–Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 11.2 Rechnerorientiertes Vorgehen mit Teilbiegelinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen 173 12.1 S¨atze von Betti und Maxwell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 12.2 Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 12.3 Dualit¨at der Einflusslinien f¨ ur Weg– und Kraftgr¨ oßen . . . . . . . . . . . . . 179 STATISCH UNBESTIMMTE SYSTEME

183

13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme 185 13.1 Tragverhalten statischer unbestimmter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 13.2 Berechnungsans¨atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme . . . . . . . . . . . . 189 13.3 Dualit¨at von Kraft– und Weggr¨oßenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 14 Das Kraftgr¨oßenverfahren 196 14.1 R¨ uckf¨ uhrung auf statisch bestimmte Hauptsysteme . . . . . . . . . . . . . . . 197 14.2 Die Gleichgewichtsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 14.3 Die Verformungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 14.4 Die Berechnung der Weggr¨oßen am Hauptsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 14.5 Zustandslinien des statisch unbestimmten Systems . . . . . . . . . . . . . . . . 202 14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 203 14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Inhaltsverzeichnis

XI

15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨oßenverfahrens 222 15.1 Folgerungen aus dem PvK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 15.2 Beispiel f¨ ur die Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme . . . . . . . . . . . . . 226 15.3 Grenzen des Kraftgr¨oßenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 16 Berechnung von Weggr¨oßen 229 16.1 Herleitung des Reduktionssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 16.2 Anwendungsbeispiel f¨ ur den Reduktionssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 17 Das Drehwinkelverfahren 232 17.1 Kinematisch unbestimmte Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 17.2 Kinematisch bestimmte Hauptsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 17.4 L¨osungsweg des Drehwinkelverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 17.5 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV . . . . . . . . . . . 254 17.7 Eingepr¨agte Weggr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 17.8 Berechnung von Biegelinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 17.9 Kontrollen beim Drehwinkelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 18 Anmerkungen zu den Berechnungsverfahren 270 18.1 Analogie zwischen Kraftgr¨oßen- und Drehwinkelverfahren . . . . . . . . . 270 18.2 Kontrolle des Spannungs- und Verformungszustandes . . . . . . . . . . . . . 272 19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme 278 19.1 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 19.3 Analogie der Einflusslinien f¨ ur Weg- und Kraftgr¨ oßen . . . . . . . . . . . . . 285 19.4 Einflusslinien bei Durchlauftr¨agern und deren Auswertung . . . . . . . . . 286 SPANNUNGSTHEORIE II. ORDNUNG

289

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung 291 20.1 Einf¨ uhrung in die Theorie II. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht . . . . . . . . . 306 20.4 Absch¨atzen der Stabsteifigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 FACHWERKMODELLE

319

21 Fachwerkmodelle 321 21.1 Fachwerkmodelle f¨ ur Stabtragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 21.2 Fachwerkmodelle f¨ ur gedrungene Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 21.3 Lastabtrag u utzlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 ¨ber St¨

XII TRAGLASTVERFAHREN

Inhaltsverzeichnis 329

22 Einf¨ uhrung in das Traglastverfahren 331 22.1 Grenzen der Bemessung nach Elastizit¨atstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 22.2 Ph¨anomenologie des Werkstoffverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 22.3 Elastisch–plastische Verformungen bei Balkenbiegung . . . . . . . . . . . . . 337 22.4 Grenzlasten nach Eurocode 3 – DIN 18800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 23 Tragverhalten der Querschnitte 342 23.1 Momenten–Verkr¨ ummungs–Diagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 23.2 Arbeit in plastischen Gelenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 24 Traglasttheoreme 348 24.1 Traglastberechnung durch Steigerung der Belastung . . . . . . . . . . . . . . 348 24.2 Einschrankungss¨atze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 24.3 Zahl der unabh¨angigen kinematischen Ketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 25 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen

357

26 Traglast von Durchlauftr¨agern und Rahmen

359

27 Kombination mehrerer kinematischer Ketten 367 27.1 Systematische Kombination von Ketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 27.2 Vorgehen bei statisch unbestimmten Restsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . 376 28 Traglastverfahren mit M–N–Q–Interaktion 378 28.1 M–N–Interaktion: Querschnittstragf¨ahigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 28.2 M–Q–Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 28.3 M–N–Q–Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 28.4 Berechnung der Traglast bei M–N–Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 29 Verformungsberechnung 388 29.1 Schrittweises Hochrechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 29.2 Verformungen im Ersch¨opfungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 29.3 Bestimmung des letzten plastischen Gelenkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 30 Tragverhalten bei Be– und Entlastung 395 30.1 Eigenspannungszust¨ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 30.2 Lastzyklen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 31 Bemessung nach Traglastverfahren

407

32 Fließgelenktheorie II. Ordnung 410 32.1 Grundlagen der Theorie II. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 32.2 L¨osungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 32.3 Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 33 Erg¨anzungen 416 33.1 Beanspruchungen aus Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 33.2 Nicht geeignete Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

Inhaltsverzeichnis

XIII

33.3 Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 33.4 Verformungen im Gebrauchszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 34 Stahlbetontragwerke 421 34.1 Querschnittstragf¨ahigkeit und M−κ−Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 34.2 Systemtragreserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 35 Anmerkungen zum Traglastverfahren 428 TABELLEN ¨ VERSTANDNISFRAGEN

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LITERATUR

439 445

BILDNACHWEIS STICHWORTVERZEICHNIS

449 451

GRUNDLAGEN

1 Einf¨ uhrung

Die Statik ist urspr¨ unglich ein Teilgebiet der Mechanik. Mit dem Entwurf von immer komplexeren Tragsystemen hat sie sich jedoch unabh¨ angig von der Mechanik weiterentwickelt. Heute ist die Baustatik als Folge der auch in Grenzbereichen der Tragf¨ahigkeit geplanten modernen Konstruktionsweisen und mit den hierf¨ ur notwendigen weitentwickelten Berechnungsverfahren als eigenst¨andiges Fachgebiet f¨ ur das Bauwesen unentbehrlich. Die Statik ist die Lehre von den Kr¨aften, die ohne Bewegung vorhanden sind. Kraft– und Verformungszust¨ande sind zeitlich konstant, sodass alle bewegungsabh¨angigen Kr¨afte und Massentr¨agheiten verschwinden. Zeitkonstante Lasten und daraus folgende Kr¨afte im Bauwerk sind praktisch bei allen Tragwerken des Bauingenieurwesens vorhanden, sei es als Eigengewicht, Erd– oder Wasserdruck. Setzungen, Verkehrslasten, Wind oder vergleichbare Einwirkungen k¨ onnen in der Regel ebenfalls als zeitkonstant aufgefasst werden, wenn die Beschleunigungen klein sind. Sogar wenn die Zeitver¨ anderlichkeit von Einwirkungen auf Tragwerke beachtet werden muss, reicht es oft aus, mit Hilfe von Schwingbeiwerten oder Lastvergr¨oßerungsfaktoren eine Tragwerksanalyse unter zeitkonstanten Einwirkungen durchzuf¨ uhren. Weil der Schwerpunkt der Baustatik in der Tragwerksanalyse und nicht in der Anwendung und Entwicklung von werkstoffabh¨angigen Konstruktionsweisen und Bemessungsregeln liegt, hat die Baustatik die Aufgabe, Tragwerke werkstoff¨ ubergreifend zu untersuchen und auf den Tragwerksentwurf und die Bauausf¨ uhrung einzuwirken. Wie im folgenden Bild dargestellt, nimmt die Baustatik zwischen vielen anderen Disziplinen eine integrierende Schl¨ usselposition ein und ist Grundlage f¨ ur alle Fachgebiete des Konstruktiven Ingenieurbaus. Baustatik      )  Holzbau

Stahlbau

PP @ PP PP @ PP PP @ q R @ Massivbau

Grundbau

Balken, St¨ utzen, B¨ogen, Seile, Anker, Pf¨ahle, Spundw¨ande ... © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_1

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1 Einf¨ uhrung

Die Tragwerksanalyse umfasst jedoch nicht nur das fertiggestellte Bauwerk, sondern auch alle w¨ahrend der Bauzeit auftretenden Bauzust¨ ande, die Hilfskonstruktionen w¨ahrend der Bauphase und s¨amtliche am Bauwerk vorhandenen Detailkonstruktionen. Nebenstehendes Bild zeigt das Lehrger¨ ust einer Spannbetonbr¨ ucke u ¨ ber die W¨ umme bei Rotenburg. F¨ ur die Betonierung der Br¨ ucke ist ein aufw¨andiges Schalger¨ ust erforderlich, das den untenliegenden Flusslauf u uckt. ¨berbr¨ Die tragende Konstruktion ist als r¨aumlich komplexes und vielfach ausgesteiftes Fachwerk ausgef¨ uhrt. Auf den in Br¨ uckenl¨angsrichtung liegenden st¨ahlernen Fachwerktr¨agern sind querliegende Holzfachwerke angeordnet, die wiederum die Schalelemente tragen.

Bild 1-2 B¨ urogeb¨aude in Braunschweig

Bild 1-1 Lehrger¨ ust einer Spannbetonbr¨ ucke

Das B¨ urogeb¨ aude in Bild 1-2 ist Teil eines gr¨ oßeren Geb¨ audekomplexes und sticht hier aufgrund der filigranen Bauweise besonders heraus. Das Tragwerk des Bauwerks ist von außen zwar nicht sichtbar, wird aber mit der Fassade angedeutet. Die vertikalen Lasten werden u ¨ber schlanke Stahlbetonst¨ utzen in hochfestem Beton getragen. Die Geschossdecken sind als Stahlbetonflachdecken ausgef¨ uhrt und horizontal an den das gesamte Geb¨ aude aussteifenden Treppenhauskern angeschlossen. Die filigrane Fassade besteht aus einer an die Flachdecken angeflaschten Metallkonstruktion mit gl¨asernen F¨ ullelementen.

1.1 Historische Entwicklung der Baustatik

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1.1 Historische Entwicklung der Baustatik ¨ Einen einf¨ uhrenden Uberblick der Entwicklung der mechanischen Prinzipi” en“ gibt Istvan Szabo in seinem 1987 erschienenen Werk [39]. Weiterf¨ uhrend und umfassender ist die historische Entwicklung der Baustatik von Karl-Eugen Kurrer [25] in seinem Buch Geschichte der Baustatik“ dargestellt. Mit viel ” ¨ Ubersicht und Detailwissen wird der Leser in die Entwicklung der Modelle, Prinzipien und L¨osungsverfahren der Baustatik eingef¨ uhrt und mit vielen Hintergrundinformationen versorgt, die nachfolgend zusammengefasst sind. Bereits in der Antike entwickeln sich bei der Errichtung großartiger Bauwerke ein großer Erfahrungsschatz und erste Erkenntnisse u ¨ ber Tragwirkungen in ¨ Bauwerken. Asthetik in der Form, Zweck und Tragwirkung bilden eine Einheit, wenn die Gew¨olbewirkung beim Bau von Br¨ ucken oder Kuppeln ausgenutzt wird, oder wenn schlanke S¨aulen die D¨acher von Tempelanlagen tragen. Metallische Verbindungsmittel werden zur Lagesicherung von Bauteilen verwendet, auch um einen Widerstand gegen Erdbebeneinwirkungen zu entwickeln. Trotz der vielen praktischen Erfahrungen sind jedoch nur wenige Kenntnisse u ¨ ber die Gesetzm¨aßigkeiten des Bauens bekannt. So sind zwar mit den Arbeiten von Archimedes (287–212 v. Chr.) Schwerpunkts¨atze, Hebelgesetze und Betrachtungen zum Gleichgewicht u ¨ berliefert, die aber in den folgenden Jahrhunderten zum Teil wieder verloren gehen. Erst in der Renaissance erwacht das Interesse an den Zusammenh¨ angen zwischen Bauwerk, Belastung und Verformung von neuem. Leonardo da Vinci (1452–1519) untersucht u. a. die Gew¨olbetragwirkung, statische Momente und die Balkenbiegung. Newton ver¨offentlicht seine Axiome u ¨ber die Mechanik des Punktes 1687 und legt die Grundlagen u ¨ber die Wirkung von Kr¨aften und die Bewegung von Massen. Weiterf¨ uhrende Arbeiten sind von Hooke (1635–1703) u ¨ber die Proportionalit¨at von Biegung um die Kante B gibt Kraft und Verschiebung und von Bernoulli σ = 0,5 Eb h2 . (1654–1705) u ummung und die ¨ber die Verkr¨ Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte Bild 1-3 Galileis Ansatz f¨ ur die bei der Balkenbiegung bekannt. Euler (1707– Balkenbiegung, Szabo [39] 1783) entwickelt das Schnittprinzip und den Momentensatz und untersucht die Biegelinie sowie die Stabilit¨ at von St¨ aben. Coulomb (1736–1806) arbeitet u. a. an der Erddrucktheorie.

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1 Einf¨ uhrung

Trotz des nun stark erweiterten Wissens erfolgte das Bauen jedoch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen empirisch mit Hilfe von Erfahrungswerten. Die Grundlagen der Baustatik der Stabtragwerke werden erst relativ sp¨at zun¨achst von Navier (1785–1836) gelegt. Sp¨ ater entwickelt Culmann (1821–1881) die Fachwerktheorie und zeichnerische L¨ osungsverfahren. Mohr (1835–1918) arbeitet auf dem Gebiet der Festigkeitslehre, Ritter (1847–1906) vervollst¨andigt die graphischen Verfahren, und M¨ uller-Breslau (1851–1925) systematisiert und verfeinert die Berechnungsmethoden f¨ ur Stabtragwerke. Fl¨achentragwerke sind besonders kosteng¨ unstige Bauteile, wenn sie raumabschließend wirken und gleichzeitig Tragfunktionen u ¨bernehmen. Deckenplatten und Wandscheiben sind heute so selbstverst¨andlich, dass sie kaum noch als besonderes Tragwerk wahrgenommen werden. Die sytematische Untersuchung von Fl¨achentragwerken beginnt mit der Darstellung von Klangfiguren mit Hilfe der Eigenschwingungsformen von Platten durch Chladni (1756–1827). Laplace (1749–1827) und Sophie Germain (1776–1831) entwickeln nach 1810 eine erste noch fehlerhafte Plattenbiegetheorie. Kirchhoff (1824–1887) korrigiert den Ansatz und stellt 1850 die heute g¨ ultige Biegetheorie d¨ unner Platten vor. Gekr¨ ummte Fl¨achentragwerke werden als Schalen bezeichnet, wenn sie die Einwirkungen u onnen. Hierbei sind be¨berwiegend als Membrantragwerk tragen k¨ sonders schlanke und materialsparende Bauwerke m¨ oglich, die im K¨ uhlturmbau und im Beh¨alterbau sowie in der Luftfahrt– und Fahrzeugtechnik eingestzt werden. Eine erste Approximation der Schalenbiegetheorie wird von Love um 1888 ver¨offentlicht. Erg¨anzungen und L¨osungen, vor allem auch f¨ ur das nichtlineare Tragverhalten, werden erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erarbeitet. Ein Paradigmenwechsel der Baustatik erfolgt parallel zur Entwicklung moderner Rechenmaschinen. War urspr¨ unglich die Entwicklung von vereinfachenden Modellen und Berechnungsverfahren wichtig, die nur wenig Handarbeit erforderten, so ist die Modellbildung heute oft sehr komplex, da mit modernen Berechnungsprogrammen alles berechenbar ist, was dem Anwender wichtig erscheint. Gerade deshalb sind die Grundlagen so wichtig, da sie auf fehlerhafte Modellbildung hinweisen und die Ergebnisse zu interpretieren helfen. Grundlage moderner Programmsysteme ist heute die in allen Bereichen des Ingenieurwesens, der Technik und sogar der Biomechanik eingesetzte Finite– Element–Methode [4], [44]. Sie wird ab 1955 in der Statik und Strukturmechanik urspr¨ unglich zur Berechnung des Tragverhaltens von Fl¨ achentragwerken entwickelt und ist die am weitesten verbreitete Methode f¨ ur die Untersuchung physikalischer und technischer Ph¨anomene und Prozesse.

1.2 Aufgaben der Baustatik

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1.2 Aufgaben der Baustatik Alle Bauwerke des Ingenieurwesens m¨ ussen die mit der speziellen Nutzung verbundenen Rahmenbedingungen erf¨ ullen. Dies sind u. a. die Raumanordnung und die Bauphysik. Dazu sind weitere Kriterien wesentlich, da sie die Qualit¨ at und Akzeptanz eines Bauwerks beeinflussen k¨onnen. Hierzu geh¨ oren ¨ • ideelle Werte: Asthetik, Harmonie, Innovation des Entwurfs mit neuen Bauweisen oder Materialien • Umweltvertr¨aglichkeit: Baustoffe, Emissionen, Landschaftsschutz, Recycling von Baustoffen, Entsorgung von Schadstoffen • Technik: Bauweisen– und Konstruktion, Lastabtrag im Tragwerk, Querschnitte, St¨ utzweiten und Werkstoffe • Sicherheit: Trag– und Gebrauchssicherheit, Betriebssicherheit, Zuverl¨ assigkeit, Robustheit, Dauerhaftigkeit • Wirtschaftlichkeit: direkte Baukosten, Bauwerkserhaltung und Sanierung, Lebensdauer, volkswirtschaftlicher Gewinn als Folge des Bauwerks. Alle im Einzelfall vorliegenden Rahmenbedingungen k¨ onnen in der Regel kaum gleichzeitig eingehalten werden, sodass man Vor– und Nachteile der jeweils m¨oglichen Entwurfsvarianten gegeneinander abw¨agen muss. Optimale Entw¨ urfe ¨ kann man jedoch nicht ohne weiteres finden, wenn Kosten mit Asthetik oder Lebensdauer mit Landschaftsschutz verglichen werden m¨ ussen. Oft werden Kompromisse ausgearbeitet. Ganz entscheidend sind der technische Aspekt des Entwurfs sowie die Sicherheit. Hierbei sind zun¨achst geeignete Tragsysteme zu finden, die die vorliegenden Einwirkungen tragen k¨ onnen und damit auch die Bauteilabmessungen festlegen. Diese h¨angen auch vom Werkstoff, vom Bauablauf und anderen Randbedingungen ab. F¨ ur den jeweiligen Zweck eines Bauwerks gibt es in der Regel mehrere Entwurfsm¨oglichkeiten, siehe Tabelle 1.1. Br¨ ucken k¨ onnen z. B. aus Holz, Stahl oder Stahlbeton gebaut und fallabh¨angig als Balken–, Fachwerk–, Bogen– oder H¨ angetragwerk entworfen werden. Baustoff, Konstruktion und Tragwerk sind dabei nicht beliebig kombinierbar, sondern m¨ ussen aufeinander abgestimmt sein, um ein ansprechendes Bauwerk errichten zu k¨ onnen. Schlanke H¨ angebr¨ ucken, deren Haupttragglieder auf Zug beansprucht sind, besitzen einen anderen Einsatzbereich und ein anderes Tragverhalten als gedrungene auf Biegung beanspruchte Balkenbr¨ ucken. Bogenbr¨ ucken sind auf Druck beansprucht und daher auch in ihrer Stabilit¨at gef¨ahrdet.

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1 Einf¨ uhrung

Tabelle 1.1 Bauwerk und Tragwerk Bauwerkszweck

Bauwerk

Tragwerk

Einwirkungen

Straßen¨ uber– f¨ uhrung

Br¨ ucke

Balken (Biegung) H¨angebr¨ ucke (Zug) Bogenbr¨ ucke (Druck) Fachwerk

Eigengewicht Verkehr Wind W¨arme, ...

Wetterschutz

Trib¨ unendach

Biegest¨abe, Membran, Seile Fachwerkbinder

... , Schnee, ...

Wasserk¨ uhlung

K¨ uhlturm

Stahlbetonschale verkleidetes Fachwerk abgeh¨angtes Seilnetz

Wasserdampf, S¨auren, ...

Die Trib¨ unen¨ uberdachung eines Stadions kann z. B. als filigranes Zeltdach oder Seilnetzwerk an Pylonen aufgeh¨angt und am Boden verankert sein. Auch Balken oder Fachwerktr¨ ager, die auf St¨ utzen aufliegen oder r¨ uckw¨ artig an Pylonen abgespannt sind, sind als Tragwerk denkbar.

Bild 1-4 Dachkonstruktionen: Hannover – Messehalle, M¨ unchen – Olympiastadion Als Tragwerk sind die Teile des Bauwerks bezeichnet, die die Einwirkungen tragen und in Baugrund weiterleiten. Sie m¨ ussen so bemessen sein, dass das Bauwerk standsicher ist, und d¨ urfen sich nur so verformen, dass die Gebrauchsf¨ ahigkeit des Bauwerks nicht beeintr¨achtigt wird. Die wesentlichen Aufgaben der Baustatik sind daher die Untersuchung der Tragwirkungen, der Verformungen

1.3 Der Tragwerksentwurf

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und der Steifigkeiten sowie die Berechnung des Tragverhaltens der Bauwerke. Sie beinhalten nachgeordnet auch die Dimensionierung sowie die Standsicherheits– und Gebrauchstauglichkeitsnachweise. Teilaufgaben sind • der Tragwerksentwurf, • die Tragwerksmodellierung • und die Tragwerksberechnung mit Dimensionierung und Nachweisen. Wenn der erste Entwurf eines Tragwerkes nicht gleich zu einer ansprechenden L¨ osung f¨ uhrt, sind die Teilaufgaben oft mehrmals zu bearbeiten. Hier ist eine enge Zusammenarbeit mit anderen Gebieten des Ingenieurbaus erforderlich, da erst so die Details u ¨ ber Steifigkeiten, Einspanngrade, Lager– und Gelenkrealisierungen festgelegt werden k¨onnen.

1.3 Der Tragwerksentwurf Der Tragwerksentwurf ist ein sch¨opferischer Prozess, an dem alle am Projekt beteiligten Ingenieurdisziplinen gemeinsam arbeiten. So sind bei der Tragwerksoptimierung einer Br¨ ucke ganz erhebliche Kenntnisse auf den Gebieten des Stahlbaues, des Stahlbeton–, Spannbeton– und Massivbaues sowie des Grundbaues erforderlich. Nur in der Kooperation aller Fachdisziplinen kann die Machbarkeit des gew¨ahlten Tragwerks beurteilt werden, auch um Spannweiten, Bauh¨ ohen und Gr¨ undungen absch¨atzen zu k¨onnen und um eine angemessene Baustoffwahl treffen zu k¨onnen. Die Statik stellt hierbei das Wissen u ¨ber Tragsysteme (Stabtragwerke, Fl¨achentragwerke) sowie u ¨ber das Tragverhalten (Biege–, Torsions–, Druck– oder Zugtragwirkungen) zur Verf¨ ugung. Ziel des Tragwerksentwurfes ist es, bei Vorgabe der geometrischen Abmessungen, des Einsatzbereiches des Bauwerkes, der geplanten Lebensdauer und anderer Randbedingungen zu einer sicheren, wirtschaftlichen und ¨ asthetisch ansprechenden L¨osung zu gelangen. Auch wenn die Randbedingungen f¨ ur unterschiedliche Bauwerke stark voneinander abweichen, kann die Vielfalt m¨ oglicher Tragwerksentw¨ urfe am ehesten an einer Straßenbr¨ ucke verdeutlicht werden. Nachfolgend sind daher verschiedene Tragwerksentw¨ urfe am Beispiel der Elbebr¨ ucke bei Pirna veranschaulicht, deren Entwurfsprozess mit weiteren Details in [10] detailliert beschrieben ist. Der obere Entwurf in Bild 1-5 sieht eine in sich verankerte Bogenbr¨ ucke vor. Die rechts und links vom jeweiligen Lager angeordneten Bogensegmente sind u ¨ber ein in die obenliegende Fahrbahn integriertes Zugband gehalten. Hiermit gelingt es, den Horizontalschub im Lager und damit eine aufw¨ andige Gr¨ undung

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1 Einf¨ uhrung

zu vermeiden. Der mittlere Entwurf sieht einen auf einen Bogen aufgelagerten Durchlauftr¨ager vor. Aufgrund des Horizontalschubes ist die Gr¨ undung sehr aufw¨andig. Im unteren Entwurf ist eine Bogenbr¨ ucke mit abgeh¨ angter Fahrbahn gew¨ahlt. Hier wird ein Teil des Horizontalschubes mit einem Zugband in der Fahrbahn aufgenommen. Nachteilig ist die Bauh¨ ohe, mit der die Br¨ ucke das Elbetal dominiert h¨atte. Die Entwurfsrandbedingungen f¨ uhrten hier zur Wahl der in sich verankerten Bogenbr¨ ucke.

Bild 1-5 Entw¨ urfe f¨ ur eine Br¨ ucke u ¨ber die Elbe bei Pirna [10], Einheiten in [m] Zum Tragwerksentwurf geh¨ort auch die Querschnittsgestaltung, da hier letztendlich der Nachweis der Schnittgr¨oßen erfolgt. In der Regel sind mehrere Entwurfvarianten m¨oglich, die an die Anforderungen des Tragwerks angepasst werden m¨ ussen. Bild 1-5–rechts zeigt die gew¨ahlten Querschnitte, die jeweils am Lager und im Feldbereich der Br¨ ucken dargestellt sind. Nach der Entscheidung u ultigen Entwurf sind der Bauablauf und ¨ber den endg¨ die unterschiedlichen Bauzust¨ande im Detail zu planen und zu untersuchen. Diese sind in der Regel genauso wichtig wie das fertige Bauwerk, da andere statische Systeme vorliegen k¨onnen, die teilweise mit Hilfsger¨ usten versehen sind und entsprechend bewertet werden m¨ ussen. Nicht ohne Grund ereignen sich die meisten Unf¨ alle in der Bauphase.

1.3 Der Tragwerksentwurf

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F¨ ur die hier beschriebene Br¨ ucke sind die verschiedenen Bauphasen in Bild 1-6 gezeigt. Nach Bau der Fundamente und der Pfeiler werden Hilfsst¨ utzen errichtet, um die innenliegenden Bogenabschnitte w¨ahrend der Bauphase zu halten. Dies ist erforderlich, solange das obenliegende Zugband noch nicht wirksam ist. Die Bogenabschnitte werden zuerst zum Ufer hin eingebaut, siehe Bauphase zwei, und dann mit R¨ uckverankerung u ¨ ber die Elbe, Bauphasen drei, vier und f¨ unf. Im Bauzustand nach Bauphase f¨ unf werden die Zugb¨ ander u ¨ ber den Hauptpfeilern eingesetzt. Jetzt kann das Schlussst¨ uck eingeh¨ angt sowie die R¨ uckverankerungen und Hilfsst¨ utzen entfernt werden.

Bild 1-6 Bauablauf der Elbebr¨ ucke bei Pirna [10]

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1 Einf¨ uhrung

1.4 Die Tragwerksmodellierung Die tats¨achlich vorhandenen Verformungen und Spannungen k¨ onnen nur am wirklichen System (Dachbinder, St¨ utzen, Fahrbahnplatten) gemessen werden, wenn das Tragwerk ein einmalig hergestelltes Bauwerk ist. Die f¨ ur die Bemessung ben¨otigten Spannungen und Verformungen k¨onnen jedoch vorweg mit Hilfe von experimentellen oder theoretischen Modellen ermittelt werden. Wirklichkeitsnahe Experimente sind in der Regel sehr aufw¨ andig, sodass man schon fr¨ uh vereinfachende mathematische Modelle entwickelt hat, die nur die wesentlichen physikalischen Eigenschaften der Tragwerke erfassen. Hiermit sind mit geringem Aufwand rechnerisch Parameterstudien und Optimierungen durchf¨ uhrbar. Nach erfolgtem Tragwerksentwurf wird das Tragwerk mit einem Berechnungsmodell idealisiert beschrieben. Zun¨achst sind die wirklich vorhandenen Einwirkungen wie Eigengewicht, Verkehr, Wind, W¨arme und Baugrundverschiebungen in Gr¨oße und Richtung festzulegen. Die Beschreibung des Tragverhaltens erfolgt der Geometrie entsprechend vereinfachend mit Stab– sowie Platten–, Scheiben– oder Schalenmodellen. Hierbei ist entscheidend, dass der gew¨ ahlte ¨ Tragwerkstyp die festgelegten Einwirkungen tragen kann. Auch f¨ ur die Ubergangsbereiche zwischen einzelnen Tragwerksteilen und f¨ ur die Lagerung oder Gr¨ undung des Bauwerks m¨ ussen fallabh¨angig vereinfachende Modelle wie z. B. gelenkige Lagerung, elastische oder starre Einspannung gew¨ ahlt werden. Die Berechnung des Spannungs– und Verformungszustandes des Tragwerks erfolgt mit Hilfe von Modellgleichungen, die das Tragverhalten analytisch beschreiben, siehe Bild 1-7. Hier kann man die Grundgleichungen, die Arbeitss¨ atze sowie weitere hier nicht angegebene Prinzipe unterscheiden. Die Grundgleichungen sind Differentialgleichungen oder algebraische Gleichungen, die am differentiellen Element entwickelt werden. Bei allen denkbaren Tragwerken der Statik und des Ingenieurwesens ganz allgemein ist die Struktur der Grundgleichungen identisch. V Die Verformungsgeometrie bzw. Kinematik definiert die Verformungsm¨ oglichkeiten des Tragwerks sowie die Verschiebungen auf dem Tragwerksrand. G Die Gleichgewichtsbedingungen beschreiben den Spannungszustand im Tragwerk und auf dem Tragwerksrand. W Die Werkstoffgleichungen oder Werkstoffmodelle beschreiben den Zusammenhang zwischen dem Verzerrungs– und dem Spannungszustand. Die Verformungsgeometrie und die Gleichgewichtsbedingungen sind voneinander v¨ ollig unabh¨angig. Sie gelten f¨ ur beliebige Materialien, da die werkstoffspezifischen Eigenschaften erst mit den Werkstoffgleichungen und entsprechen-

1.4 Die Tragwerksmodellierung

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den Werkstoffparametern beschrieben werden k¨onnen. Daher vervollst¨ andigen die Werkstoffgleichungen das Modell. Modellentwicklung Zweck → Form → Einwirkungen → Tragwerk ? Beschreibungsvariable des Modells → Kr¨afte, Spannungen, Momente, Verschiebungen, Verzerrrungen, Verkr¨ ummungen ? Modellgleichungen ?

?

Grundgleichungen

Arbeitss¨atze

• Kinematik • Gleichgewicht • Werkstoffverhalten

• Prinzip der virtuellen Kr¨afte • Prinzip der virtuellen Verschiebungen ?

?

L¨osung mit den Verfahren der Baustatik • Schnittprinzip • Kraftgr¨oßenverfahren • Weggr¨oßenverfahren ¨ Bild 1-7 Ubersicht der Modellgleichungen f¨ ur die Tragwerksmodellierung V¨ ollig unabh¨angig von den Grundgleichungen ist die Beschreibung des Trag– und Verformungsverhaltens mit Hilfe der Arbeitss¨ atze m¨ oglich. Im Gegensatz zu den am differentiellen Element entwickelten Grundgleichungen enthalten die Arbeitss¨atze integrale Aussagen f¨ ur das gesamte Tragwerk und sind mit u upft. Man kann zeigen, dass die ¨bergeordneten physikalischen Aussagen verkn¨ Grundgleichungen und die Arbeitss¨atze unter bestimmten Bedingungen ineinander u uhrbar sind. Auch die Arbeitss¨atze sind unabh¨ angig vom Werkstoff ¨ berf¨ und k¨onnen f¨ ur beliebige Tragwerke angegeben werden. Die L¨osung der Grundgleichungen bzw. der Arbeitss¨ atze erfolgt hier mit den Verfahren der Baustatik, die urspr¨ unglich f¨ ur eine effiziente Berechnung des Tragverhaltens entwickelt wurden. Heute werden sie in der Regel f¨ ur die anschauliche Kontrolle elektronischer Berechnungen eingesetzt.

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1 Einf¨ uhrung

1.5 Die Tragwerksberechnung Ziel der Baustatik ist die schnelle Ermittlung des f¨ ur die Bemessung erforderlichen Spannungs– und Verformungszustandes. Die analytische L¨ osung der Grundgleichungen ist mit den aus der Mathematik und Mechanik bekannten Vorgehensweisen grunds¨atzlich m¨oglich – Ansatz f¨ ur die L¨ osung der Differen¨ tialgleichung, Anpassen der allgemeinen L¨osung an die Rand– und Ubergangsbedingungen, Interpretation der L¨osung. F¨ ur Tragwerke, die aus mehreren Teilgebieten bestehen, wie Fachwerke und Rahmen, f¨ uhrt dieses Vorgehen zu einem wenig anschaulichen und sehr rechenintensiven L¨osungsschema. Deshalb sind in der Baustatik L¨ osungsverfahren entstanden, die die Analyse komplexer Tragwerke mit großer Anschauung, vertretbarem Aufwand und wenig fehleranf¨allig zulassen, siehe Bild 1-7. Grundlage aller L¨osungsverfahren ist das Schnittprinzip nach Abschnitt 3, mit dem eine Aufteilung komplexer Systeme in u oglich ¨berschaubare Teilsysteme m¨ ist, die getrennt analysiert werden k¨onnen. Hiermit k¨ onnen die Gleichgewichtsbedingungen und die Arbeitss¨atze schnell und u ¨ bersichtlich zur Berechnung der Zustandslinien eingesetzt werden. F¨ ur statisch bestimmte Systeme kann der Spannungszustand allein mit den Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden, siehe Abschnitt 4. Falls erforderlich, kann man den Verformungszustand in einem zweiten Schritt mit dem jetzt bekannten Spannungszustand ermitteln, siehe Abschnitte 10 und 11. Bei statisch unbestimmten Systemen reichen die Gleichgewichtsbedingungen nicht aus, um den Spannungszustand zu berechnen. Hier m¨ ussen zus¨ atzlich Verformungsbedingungen formuliert werden, damit die Zahl der Gleichungen und die Zahl der Unbekannten u osbar ist. ¨ bereinstimmt und die Aufgabe l¨ Wenn Spannungszustand und Verformungszustand jedoch gemeinsam betrachtet werden m¨ ussen, bedeutet dies, dass der Spannungszustand von den Werkstoffeigenschaften und damit von den Steifigkeiten des Tragwerks abh¨ angt. Hiermit erh¨alt man die M¨oglichkeit, den Spannungszustand durch geschickte Wahl der Steifigkeiten zu optimieren. Die L¨ osung der Gleichungen ist in der Regel mit einem erheblichen Rechenaufwand verbunden, sodass eine Systematisierung der L¨ osungsschritte erforderlich ist. Aus der Anschauung heraus sind so das Kraftgr¨ oßenverfahren und das Weggr¨ oßenverfahren zur Berechnung statisch unbestimmter Systeme entstanden. Die Verallgemeinerung dieser Verfahren mit Hilfe der Arbeitsprinzipe f¨ uhrt auf die Matrizenmethoden der Baustatik [1], [2] und zu den Finite-ElementMethoden [4], [44], die heute in allen Ingenieurdisziplinen weiterentwickelt und eingesetzt werden.

2 Tragwerksmodelle der Stabstatik

Reale Bauwerke sind immer drei–dimensionale K¨ orper. Die Beschreibung der Eigenschaften und die Untersuchung des Verhaltens r¨ aumlicher K¨ orper unter außeren Einwirkungen ist jedoch sehr aufw¨andig, sodass in der Regel Vereinfa¨ chungen erforderlich und sinnvoll sind, die eine effiziente Berechnung zulassen. Die Beschreibung der wesentlichen Eigenschaften eines Bauwerks mit physikalisch begr¨ undeten Ans¨atzen heißt Modellbildung. In der Baustatik interessiert in der Regel das Trag– und Verformungsverhalten der tragenden Teile der Bauwerke, sodass die Modelle die Einwirkungen, das Tragwerk und seine Steifigkeiten erfassen m¨ ussen. Die in der Baustatik zu analysierenden Tragwerke sind oft so gestaltet, dass ihr Trag– und Verformungsverhalten ausreichend genau u ¨ ber das Verhalten einer Referenzachse bei Stabtragwerken oder einer Referenzfl¨ache bei Fl¨achentragwerken beschrieben werden kann. Die f¨ ur die Berechnung zul¨assigen Vereinfachungen und Ersatzmodelle richten sich nach den Einwirkungen und dem hieraus zu erwartenden Spannungs– und Verformungszustand.

2.1 Einordnung der Tragwerke Die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der Tragwerke folgen aus der geometrischen Form, den Einwirkungen und dem Tragverhalten.

Gerade Stabtragwerke sind Balken (Biegung), St¨ utzen (Druck) und Seile (Zug). Die aus Einzelst¨ aben zusammengesetzten Tragwerke sind Fachwerke (Druck– und Zugst¨ abe), biegesteife Rahmen (Biegung mit Druck oder Zug) sowie Tr¨ agerroste (Biegung und Torsion). Tr¨agerroste sind ebene gekreuzte Balkensysteme, die senkrecht zur Tragwerksebene belastet sind.

Tr¨agerrost aus Biege– und Torsionsst¨aben

Rahmentragwerk

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_2

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2 Tragwerksmodelle der Stabstatik

Gekr¨ ummte Stabtragwerke sind Bogentragwerke, die große Druck– und Zugkr¨ afte, aber nur geringe Biegebeanspruchungen aufnehmen k¨onnen. In der Regel sind sie mit anderen Bauteilen kombiniert, um die jeweiligen Vorteile im Tragverhalten oder in der Funktion m¨oglichst gut einsetzen zu k¨onnen. Nachfolgend ist eine Stabbogenbr¨ ucke skizziert, siehe [42], bei der der unten angeordnete Bogen bei geringem Materialeinsatz große St¨ utzweiten u ucken kann, und die darauf angeordneten ¨ berbr¨ St¨ utzen die Lagerkr¨ afte der als Durchlauftr¨ager ausgebildeten Fahrbahn nach unten leiten.

Ebene Fl¨ achentragwerke sind Tragwerke mit zwei ausgezeichneten Tragrichtungen. Wenn sie in ihrer Ebene belastet sind, werden sie als Scheiben bezeichnet, die eine Membranbeanspruchung mit Zug-, Druck-, und Schubkr¨aften erfahren, und als wandartige Tr¨ager eingesetzt. Wirkt die Belastung senkrecht zur Tragwerksebene, entwickelt das Tragwerk ein Biegetragverhalten mit Biege– und Torsionsmomenten in beiden Richtungen und wird als Platte bezeichnet.

Platte

Scheibe

2.1 Einordnung der Tragwerke

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Gekr¨ ummte Fl¨ achentragwerke werden als Schalen bezeichnet. Wenn die Einwirkungen fl¨achig verteilt wirken, sind Schalen vorwiegend auf Druck und Zug in der Tragwerksfl¨ache beansprucht. Sie k¨onnen dann mit geringer Wandst¨arke und großer Schlankheit konstruiert werden. Im Randbereich und unter Einzellasten erfahren Schalen auch Biegebeanspruchungen, die jedoch nur o¨rtlich begrenzt und f¨ ur den Lastabtrag nicht wesentlich sein d¨ urfen. Gekr¨ ummte Fl¨achentragwerke, die ihre Einwirkungen vorwiegend u ¨ ber K¨ uhlturm Biegung tragen, k¨onnen daher nicht als Schalen bezeichnet werden. Schalen vereinigen mit ihrer ansprechenden Form und ihrem g¨ unstigen Tragverhalten zwei wesentliche Bauwerkseigenschaften. Ung¨ unstig ist die aufw¨ andige Herstellung, sodass Schalentragwerke im Wesentlichen auf repr¨ asentative Bauwerke oder regelm¨aßige Geometrien beschr¨ankt sind.

Kuppeln

Gedrungene Bauwerke sind z. B. Fundamente, Staud¨amme oder Reaktordruckbeh¨ alter. Sie weisen in der Regel einen r¨aumlich stark ver¨anderlichen Verformungszustand auf, der nur schwer auf eine Tragwerksachse oder -fl¨ache reduziert werden kann. Die Berechnungsmodelle m¨ ussen hier den drei-dimensionalen Spannungs– und Verformungszustand beschreiben k¨onnen. St¨ utzenfundament

Staudamm

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2 Tragwerksmodelle der Stabstatik

2.2 Idealisierung der Tragwerke Das idealisierte Tragwerk mit Lagerung und Einwirkung wird im weiteren als statisches System bezeichnet. Nachfolgend sind die wesentlichen Idealisierungen der Stabstatik angegeben, mit denen die Geometrie, das Werkstoff– und das Tragverhalten vereinfachend beschrieben werden k¨ onnen.

2.2.1 Stabtragwerke Die Stabstatik befasst sich mit Tragwerken, deren Verformungszustand mit Hilfe kinematischer Annahmen vereinfachend durch die Weggr¨ oßen einer Tragwerksachse beschrieben werden kann. Hier wird die Bernoulli–Hypothese entsprechend Abschnitt 3.4 angesetzt. Gleichzeitig wird der Spannungszustand integral durch diejenigen Kr¨afte und Momente der Tragwerksachse beschrieben, die auf den Weggr¨oßen der Stabachse Arbeit leisten k¨ onnen. Mit der Reduktion des Verformungs– und Spannungszustandes auf die Tragwerksachse werden aus dem drei-dimensionalen Stabkontinuum zwei Koordinaten eliminiert, sodass eine Berechnung des Tragwerks analytisch m¨ oglich wird. Der Einfluss der hierbei gemachten Vereinfachungen h¨ angt von den Bauwerksabmessungen ab, ist aber bei geometrischen Verh¨ altnissen von L¨ ange zu Dicke und L¨ange zu Breite > 4 vernachl¨assigbar. Nachfolgend werden ebene Stabtragwerke untersucht. R¨ aumliches Tragverhalten kann vereinfachend mit ebenen Tragwerken beschrieben werden, vergleiche Bild 2-1. Federsteifigkeiten, wie f¨ ur den Stab 2 in Ebene 2-5 angedeutet, werden vernachl¨assigt. Ebene Tragwerke liegen auf der sicheren Seite, wenn r¨ aumlich vorhandene Tragwirkungen und Steifigkeiten nicht ber¨ ucksichtigt sind. 3 2 1

6 5

4

x z

1

x 4 Ebene 1 - 4

z

1

x 2

3

z

Ebene 1 - 2 - 3

Bild 2-1 Statische Systeme f¨ ur ein r¨aumliches Rahmentragwerk

2 Ebene 2 - 5

2.2 Idealisierung der Tragwerke

19

2.2.2 Lager und Gelenke Die Lagersteifigkeit von Tragwerken ist in der Realit¨ at oft nicht genau feststellbar. Ein in den Baugrund gebettetes Fundament ist weder fest eingespannt noch gelenkig gelagert. Entscheidend f¨ ur den Grad der Einspannung ist das Verh¨altnis der Steifigkeiten des Tragwerks und des angrenzenden Bodens oder Bauwerks. F¨ ur die Berechnung der Tragwerke werden vereinfachend die Lagerungsarten nach Bild 2-2 gew¨ahlt, in der auch die vom jeweiligen Lager aufnehmbaren Kr¨afte und Momente angegeben sind.

Bild 2-2 Lagerungsarten und Reaktionskr¨afte im Lager Auch die Verbindungen von Tragwerksteilen untereinander sind in der Regel weder starr noch vollst¨andig gelenkig. Hier setzt man entsprechend Bild 2-3 Gelenke f¨ ur Momente und Querkr¨afte sowie Schiebeh¨ ulsen f¨ ur Normalkr¨ afte an, wenn die Konstruktion entsprechend ausgebildet ist oder die Steifgkeiten geschw¨acht sind.

Schiebehülse

Querkraftgelenk

Momentengelenk

N=0 Q = 0 M = 0

Q=0 N = 0 M = 0

M=0 Q = 0 N = 0

Bild 2-3 Verbindungselemente Aufgrund der in der Wirklichkeit vorhandenen Lagersteifigkeiten, der Reibung oder der Maßungenauigkeiten sind fast immer Nebenspannungen vorhanden, die zwar f¨ ur das Systemtragverhalten unbedeutend sind, o ¨rtlich aber konstruktiv ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. Gelenke oder verschiebliche Lager sind in der Realit¨at in der Regel nicht perfekt ausgebildet, sondern als Querschnittsschw¨achung konstruiert. F¨ ur die Modellbildung sind die Steifigkeitsverh¨ altnisse benachbarter Bauteile entscheidend. In Bild 2-4 sind den idealisierten Lagern und Gelenken wirkliche Konstruktionen gegen¨ ubergestellt.

20

2 Tragwerksmodelle der Stabstatik verschiebliches Lager

w = 0, M = 0 N=0

Rollenlager

Neoprenlager festes Lager

w = 0, M = 0

St¨ utzenfuß

Mauerwerkssturz Einspannung

w = 0, j = 0

Kragbalken

K¨ocherfundament

Gelenk

M=0

Balkengelenk

Fachwerkknoten

Schiebehülse

N=0

Rollenk¨afig

Rohrh¨ ulse

Bild 2-4 Reale St¨ utzungen und Anschl¨ usse des konstruktiven Ingenieurbaus

2.2 Idealisierung der Tragwerke

21

2.2.3 Werkstoffe Reale Werkstoffe zeigen im einaxialen Zug– und Druckversuch ein mehr oder weniger ausgepr¨agt nichtlineares Spannungs-Dehnungsverhalten. Baustahl weist unter Zug– und Druckspannungen einen nahezu linear-elastischen Verformungsbereich unterhalb der Fließspannung auf, vergleiche Bild 2-5-links. Spannungssteigerungen oberhalb der Fließspannung sind wegen des ausgepr¨ agt duktilen Verhaltens mit sehr großen Dehnungen oder Stauchungen verbunden. Beton verh¨alt sich im Druck und Zugbereich sehr unterschiedlich und stark nichtlinear. Unter Druckbeanspruchung kann Beton sehr große Spannungen bei geringer Duktilit¨at aufnehmen. Im Zugbereich zeigt der Werkstoff bei geringen Spannungen Spr¨odbruchversagen. Weiterhin sind unter Last in der Zeit anwachsende Verformungen infolge Kriechen vorhanden. s

s Baustahl

Beton Druckversagen

Verfestigung Fließplateau Hooke’sche Gerade

arctan E

e

e

Sprödbruch

Bild 2-5 Reales Werkstoffverhalten: Baustahl (links) – Beton (rechts) F¨ ur die Berechnung eignen sich nichtlineare Werkstoffkennlinien nur bedingt, da sie spezielle iterative L¨osungsverfahren erfordern. H¨ aufig setzt man daher vereinfachend Linearisierungen an. Im Rahmen der Elastizit¨ atstheorie wird das Hooke’sche Gesetz verwendet, solange die Dehnungen gen¨ ugend klein sind. Im Stahlbau ist das Plastifizieren des Werkstoffs in die Bemessungskonzepte eingebunden. So wird das Materialverhalten beim Traglastverfahren vereinfachend als elastisch-plastisch entsprechend Bild 2-6 ber¨ ucksichtigt.

Bild 2-6 Idealisiertes Werkstoffverhalten

22

2 Tragwerksmodelle der Stabstatik

Aus verschiedenen Komponenten hergestellte Werkstoffe bezeichnet man als Verbundwerkstoffe (z. B. Stahlbeton, faserverst¨arkte Kunststoffe). Hierbei u ¨bernimmt die Faser (z. B. Stahl, Glas, Kohle) die Zugspannungen. Der Matrixwerkstoff (z. B. Beton, Kunststoff) gibt die ¨außere Form, wirkt f¨ ur die Fasern stabilisierend und u ¨bernimmt teilweise die Druckspannungen. In modernen Konstruktionen wird Glas auch als Konstruktionswerkstoff f¨ ur tragende Bauteile verwendet.

2.3 Idealisierung der Einwirkungen Bauwerke erfahren je nach Verwendungszweck unterschiedliche Wechselwirkungen mit der Umwelt. Dies sind die Einwirkungen, die von außen auf das Tragwerk wirken und den Spannungs– und Verformungszustand des Tragwerks ver¨ andern. Die im Regelfall anzusetzenden Einwirkungen sind in der Normenreihe DIN 1055 [45] und im Eurocode EC 1 [49] angegeben. Einwirkungen k¨onnen zeitkonstante oder zeitver¨anderliche Kraft– und Wegwirkungen sein. Sie k¨onnen auf das Tragwerk r¨aumlich (z. B. Volumenkr¨ afte, Erw¨ armung) oder fl¨ achig (an der Oberfl¨ache) einwirken. Im statischen System werden sie u ¨ ber den Querschnitt integriert und als Einwirkungen der Tragwerksachse bzw. -fl¨ ache beschrieben. Einwirkungen k¨onnen oft nur relativ ungenau quantifiziert werden, da sie in der Regel erst im Gebrauch des Bauwerks auftreten. In den Regelwerken sind daher auf der sicheren Seite liegende Werte gew¨ahlt, um die unzureichende Kenntnis im Einzelfall kompensieren zu k¨onnen.

2.3.1 Lasten Kraftwirkungen sind im weiteren als Lasten bezeichnet. Sie werden im Berechnungsmodell im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigt. a) Das Eigengewicht ist st¨andige Last. Es entsteht aus der Gravitationswirkung und ist im realen Tragwerk r¨aumlich verteilt. Im Berechnungsmodell wird es als ¨ außere Last auf das unbelastete statische System aufgebracht. b) Nutz– u. Verkehrslasten k¨onnen r¨aumlich und zeitlich ver¨ anderlich sein. Dies sind z. B. Personen, Lagerstoffe, Fahrzeuge, Kranlasten, auch Ersatzlasten f¨ ur nicht n¨aher definierte Einwirkungen. Nutzlasten sind vorwiegend ruhend (z. B. Lagerstoffe). Verkehrslasten sind nicht vorwiegend ruhend (z. B. Fahrzeuglasten, Bremskr¨afte, Massentr¨agheiten). In Bild 2-7 ist ein Lastmodell f¨ ur die Einwirkungen auf Straßenbr¨ ucken dargestellt. Das Modell enth¨alt f¨ ur die einzelnen Fahrstreifen Einzel– und Gleich-

2.3 Idealisierung der Einwirkungen

23

lasten unterschiedlicher Gr¨oße, die den Schwerlastwagen sowie die Personenkraftwagen erfassen.

Bild 2-7 Lastmodell 1 aus DIN Fachbericht 101 [47] c) Windlasten sind stochastisch in Raum und Zeit ver¨ anderlich. Sie h¨ angen vom Staudruck, den Umgebungsbedingungen sowie den geometrischen Abmessungen und der Form des Bauwerks ab. Im statischen System werden sie vereinfachend als zeitkonstante Lasten angesetzt, wobei die Gr¨ oße der Windlast mit Hilfe des Geschwindigkeitdrucks q und dem tragwerksabh¨ angigen Druckbeiwert cp bestimmt ist. d) Schneelasten sind mit extremen Wetterlagen f¨ ur unterschiedliche Wetterzonen quantifiziert. Sie h¨angen von der Dachneigung und der jeweiligen Situation am Bauwerk ab. Einflussparameter wie Feuchte, Dichte und Art des Schnees werden nicht unterschieden. e) F¨ ur Silos und Beh¨alter sind besondere Lastannahmen erforderlich, die den jeweiligen Beanspruchungszustand beim F¨ ullen, bei der Lagerung und beim Entleeren von Fl¨ ussigkeiten und Sch¨ uttg¨ utern erfassen. So h¨angen die Einwirkungen auf die Silowand u. a. vom Bewegungszustand und von der Dichte des F¨ ullgutes ab. Infolge Massentr¨agheit des Sch¨ uttgutes sind die Vertikalkr¨afte pv beim F¨ ullen am gr¨oßten. Beim Entleeren treten die gr¨oßten Horizontallasten ph und Wandreibungslasten pw auf, wenn sich eine Gew¨olbewirkung einstellt und sich das Sch¨ uttgut an der Silowand Entleeren Einfüllen abst¨ utzt.

24

2 Tragwerksmodelle der Stabstatik Getreide, Kies, Zement

Flüssigkeiten p

p

h

p

p

h

h

he

p

p

hf

w

Entleerungskurve

Füllkurve

ph = g · z

z

z

pv

f) Baugrundlasten entstehen aus Erddruck. Der Erddruck e wird mit den Einwirkungen γ, p und dem Erddruckbeiwert k bestimmt. Bei aktivem Erddruck uckt das Erdreich auf das nachgebende Tragwerk. Beim Erdruhedruck ea , ka dr¨ (ungest¨orter Zustand) eo ,ko sind keine Verschiebungen des Erdreichs und des Tragwerks vorhanden. Passiver Erddruck ep , kp entsteht, wenn das Tragwerk gegen das Erdreich dr¨ uckt. Beispiel Spundwand

pv -s

+s

ep

ev

ea

k

kgo = 0,5 kgp = 3 . . . 5 kga = tan2 (45 o − ϕ/2)

kp ka -s

Der Erddruck ist mit der Last festgelegt. So ist der Erddruck aus Eigengewicht mit der Dichte γ e = γ · h · kg und aus Verkehrslast mit ev = pv · kp festgelegt. Die Erddruckbeiwerte sind vom Winkel der inneren Reibung ϕ des Baugrunds und damit vom jeweils vorliegenden, in der Regel geschichteten Material abh¨ angig. Richtwerte sind

ko +s

Der Winkel der inneren Reibung ist z. B. f¨ ur Kies ϕ = 35 o .

g) Dynamische Effekte aus Stoßeinwirkung, Erdbeben, Maschinenschwingungen bewirken eine Ver¨anderung des Spannungs– und Verformungszustandes gegen¨ uber einer statischen Betrachtung. Sie werden in der Regel mit einem Schwingbeiwert ϕ und statischen Ersatzlasten erfasst.

2.3 Idealisierung der Einwirkungen

25

2.3.2 Verformungen Analog zu Kraftwirkungen auf ein Tragwerk sind auch Wegwirkungen m¨ oglich. Dies sind z. B. Lagersetzungen und –verdrehungen oder Dehnungen und Verkr¨ ummungen aus Erw¨armung. Sie f¨ uhren zu Zw¨angungen und inneren Eigenspannungszust¨anden (bzw. Kr¨aften, Momenten) bei Tragwerken, die sich nicht spannungsfrei verformen k¨onnen. Eingepr¨agte Wegwirkungen werden in der Verformungsgeometrie ber¨ ucksichtigt. a) Ein W¨armezu– oder –abfluss bewirkt im Bauwerk Temperatur¨anderungen, die u onnen. Wenn ¨ ber die Tragwerksdicke konstant oder nichtkonstant sein k¨ auf der Außenseite eines Tragwerks andere Temperaturen vorliegen als auf der Innenseite, ist ein Dehnungsgradient die Folge, der das Tragwerk verkr¨ ummt. Die Gr¨oße der bei der Erw¨armung im Tragwerk auftretenden Dehnungen bzw. Stauchungen εT h¨angt vom W¨armeausdehnungskoeffizienten αT ab:   = 10−5 [1/ o C] Beton, εT = + αT · (T1 − T0 ) αT κT = − αT · (Tu − To )/h = 1,2 · 10−5 [1/ o C] Stahl. Kann sich das Tragwerk ungezw¨angt verformen, ist der Spannungszustand null, siehe Bild 2-8 oben. Liegt eine Dehnungsbehinderung vor, stellt sich ein Eigenspannungszustand ein. Zu beachten ist, dass die Dehnungen bei Volleinspannung schon bei ca. 50 o C Temperaturdifferenz die Gr¨ oßenordnung der Dehnungen aus planm¨aßigen Lasten erreichen k¨onnen. In der Regel sind die Zw¨ ange infolge der Nachgiebigkeit der Anschl¨ usse jedoch geringer.

gleichmäßige Erwärmung

T0

ungleichmäßige Erwärmung To

so

Tu

su

T1

s

⎫ ⎪ ⎬

σ = −E · αT (T1 − T0 ) N = −EA · αT (T1 − T0 ) u = 0, ⎪ ⎭ M =0

DT = Tu - To

⎫ σo/u = ± E · αT 12 ΔT ⎬ ⎪ N =0 w = 0. ⎪ ⎭ M = −EI · αT ΔT /h

Bild 2-8 Stabtragwerke bei Erw¨armung – hier ohne Querdehnung

26

2 Tragwerksmodelle der Stabstatik

b) Lagerverschiebungen oder -verdrehungen k¨onnen als Folge von Setzungen oder Hebungen des Baugrundes erfolgen. Dies kann beim Einbrechen von unterirdischen Hohlr¨aumen in Bergbaugebieten auftreten, bei ungleichm¨ aßig nachgebendem Baugrund und auch bei Erdbeben. Hebungen treten z. B. beim Quellen von bindigen B¨oden infolge von Wasseraufnahme auf, oder beim Gefrieren des Baugrundes, wenn keine frostsichere Gr¨ undung vorliegt.

d1

d2

d3

d

Hohlraum

Quelle

c) Schwinden ist die Verk¨ urzung des Betons beim Erh¨ arten. Das Schwinden f¨ uhrt zu Schwindrissen, wenn die inneren Spannungen im Betonbauteil die Zugfestigkeit des Betons u ¨ berschreiten. Dies kann auftreten, wenn die Temperatur im Betonbauteil beim Erh¨arten sehr ungleichm¨ aßig ist, oder wenn die Verk¨ urzung durch angrenzende Lagerung behindert wird.

Schwindrisse

d) Kriechen ist eine in der Zeit anwachsende Verformung des Werkstoffs infolge eines st¨andig wirkenden Spannungszustandes. Die Verformungsgeschwindigkeiten sind sehr gering, sodass man im Bauwesen in der Regel die Endwerte ansetzen kann. Kriechen ist bei Holz, Beton und Kunststoffen zu beachten, bei Metallen nur bei h¨oheren Temperaturen. In gezw¨angten Bauteilen, deren Spannungszustand z. B. aus Lagerverschiebungen, Lagerverdrehungen oder Erw¨armung entsteht, kann der umgekehrte Prozess ablaufen. Bleibt der Verformungszustand zeitlich konstant, verringern sich die Spannungen mit der Zeit, der Werkstoff relaxiert.

2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen

27

2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen Br¨ uckentragwerk Das obere Bild zeigt die Letziwaldbr¨ ucke, die der Schweizer Ingenieur Christian Menn 1959 entworfen und gebaut hat, siehe [42]. Die Br¨ ucke erscheint aufgrund des flachen Bogens extrem schlank und ist ¨ asthetisch sehr ansprechend ausgef¨ uhrt. Der Werkstoff Beton ist dem Felsgestein angepasst.

Bild 2-9 Letziwaldbr¨ ucke [42] Im unteren Bild ist das statische System angegeben, das aus den tragenden Elementen Balken, Bogen und Fundament entsprechend den vorhandenen Einwirkungen besteht. Aufgrund der großen Steifigkeit des Baugrundes kann der untenliegende Tragwerksteil große Normalkr¨afte aufnehmen. Er ist als Dreigelenkbogen ausgef¨ uhrt, sodass eine m¨ogliche Lagersetzung keine weiteren Beanspruchungen bewirkt. Die seitlich angeordneten Verbindungselemente zwischen Balken und Bogen versteifen das Tragwerk zus¨atzlich.

Bild 2-10 Statisches System der Letziwaldbr¨ ucke An den Lagern sind Querschotte angeordnet, die als Torsionseinspanungen wirken. Aufgrund der großen Steifigkeit und Festigkeit des Bogens und des anstehenden Felsgesteins ist das Tragwerk extrem schlank.

28

2 Tragwerksmodelle der Stabstatik

Hallenrahmen mit Kranbahn (Stahl) Das obere Bild zeigt einen Ausschnitt der Versuchshalle im Leichtweiß-Institut f¨ ur Wasserbau der Technischen Universit¨at Braunschweig. Unten ist das statische System der tragenden Elemente angegeben.

Bild 2-11 Versuchshalle im Leichtweiß-Institut f¨ ur Wasserbau Der Dachbinder ist als Fachwerk mit steigenden und fallenden Streben ausgebildet. Die Stahlst¨ utzen sind in H¨ohe der Kranbahn abgesetzt und fest mit dem Dachbinder verbunden. Die Lagerkraft der Kranbahn lastet direkt auf dem Flansch des unten angeordneten I-Profils.

Kranbahn auf Flansch

Bild 2-12 Statisches System des Hallenrahmens

2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen

29

Klappbr¨ ucke ¨ uber den Peenestrom (Stahl) Im Bild ist die Klappbr¨ ucke u ¨ ber den Peenestrom in Wolgast gezeigt. Die kombinierte Straßen– und Eisenbahnbr¨ ucke wird mehrmals am Tag f¨ ur den Schiffsverkehr ge¨offnet und muss daher filigran und beweglich gebaut sein. Die Br¨ ucke ist einfl¨ ugelig und mit Waagebalken mit hochliegendem Gegengewicht versehen.

Bild 2-13 Klappbr¨ ucke mit Waagebalken in Wolgast Die Br¨ uckenkonstruktion ist aus Stahl, da der Werkstoff im Druck und Zugbereich gleiche Festigkeiten aufweist sowie bei Wechselbeanspruchungen eine hohe Lastspielzahl zul¨asst. Außerdem ist mit der Stahlkonstruktion eine relativ filigrane Konstruktion m¨oglich. Infolge der unterschiedlichen Hebepositionen ¨andern sich die statischen Systeme und die Einwirkungen, sodass im Einzelfall sehr unterschiedliche Lastfallkombinationen und Spannungszust¨ande zu untersuchen sind. An dem beweglichen Br¨ uckenbauwerk wird deutlich, dass das Tragwerk nicht nur f¨ ur statische Einwirkungen nachzuweisen ist, sondern dass aufgrund der speziellen Nutzung auch die Dynamik sowie die Kinematik eines Bauwerks entscheidend f¨ ur den Entwurf sein k¨onnen.

30

2 Tragwerksmodelle der Stabstatik

Trockendock mit unterschiedlichen Tragwerken und Baustoffen Das im Bild gezeigte u ¨ berdachte Trockendock der Meyer–Werft in Papenburg ist ca. 360 m lang und ca. 40 m breit, die Halle ist ca. 60 m hoch. Das Bauwerk besitzt eine große Zahl unterschiedlicher Tragwerke, die in der Regel einzeln untersucht werden k¨onnen. Die unten liegende Bodenplatte ist ein fl¨achiges Stahlbetontragwerk, das mit Ortbetonrammpf¨ahlen im Boden verankert ist, um dem Auftrieb infolge Grundwasser entgegen zu wirken. Als Anker k¨onnten auch st¨ ahlerne St¨ abe mit Betonplomben an den Enden verwendet werden. Die an den Seiten aufstrebenden Spundw¨ande sind als Balken beschreibbar und aufgrund des Erddrucks seitlich im Boden verankert. Die Kranbahnen m¨ ussen ebenfalls gegr¨ undet werden, wobei neben statischen Einwirkungen auch horizontal und vertikal wirkende St¨oße angesetzt werden. Das Trockendock ist von einer Hallenkonstruktion u ¨berdacht, die im wesentlichen aus einem Stahlrahmentragwerk mit aussteifenden Windverb¨anden besteht. Die Ausfahrt in das offene Gew¨ asser ist mit einem st¨ahlernen Tor gesichert.

Bild 2-14 Trockendock der Meyer–Werft in Papenburg

2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen

31

Bild 2-15 zeigt einen Schnitt durch das Trockendock einer Werftanlage mit typischen Tragwerkselementen. Dies sind Pfahlb¨ocke, Spundw¨ ande, Bodenplatten und Verankerungselemente, die in der Regel verplombt werden. Die Elastizit¨ at des Bodens kann man mit Hilfe einer Bettung ber¨ ucksichtigen, die als kontinuierliche Verteilung von Federn interpretierbar ist. Als wesentliche Einwirkungen sind hier Kranlasten, Wasser– und Erddruck angegeben, der von den Bodeneigenschaften sowie den Verformungen der Spundwand abh¨ angt. Kranlast Pfahlbock Spundwand

Bodenplatte Anker

Anker

Belastung der Spundwand Erddruck

Belastung der Bodenplatte

Wasserdruck

Auftrieb Verankerung

Bild 2-15 Einwirkungen und statische Systeme eines Trockendocks

32

2 Tragwerksmodelle der Stabstatik

2.5 Modellierungsfehler Die Idealisierung des Tragwerks muss so erfolgen, dass die in der Regel erforderlichen Vereinfachungen das Tragverhalten nicht verf¨ alschen, sondern lediglich in der Gr¨oßenordnung von Nebenspannungen beeinflussen. Zu beachten ist, dass die hierbei gemachten Fehler in keiner Berechnung nachweisbar sind. Nach jeder Berechnung sind daher die Ergebnisse zun¨achst mit der eigenen Anschauung sorgf¨altig zu u ufen und dann zus¨atzlich mit dem wirklichen Tragwerk zu ¨berpr¨ verifizieren. Ungenauigkeiten in der Modellbildung k¨ onnen an unterschiedlicher Stelle entstehen: a) Das Tragwerksmodell kann zu ungenau gew¨ahlt sein, wenn man z. B. eine Scheiben– oder Plattentragwirkung mit einem Balkenmodell beschreibt. Dies kann eine sehr ungenaue Beschreibung des Spannungs– und Verformungszustandes zur Folge haben, was im Einzelfall zur Rissbildung oder zum Plastifizieren f¨ uhren kann. ¨ Die Uberg¨ ange zwischen angrenzenden Bauteilen m¨ ussen richtig modelliert werden. Dies ist z. B. bei der Verbindung einer Platte mit einem Unterzug oder einer St¨ utze zu beachten. Lager sind in der Regel immer elastische Einspannungen. Das hieraus folgende Moment wird bei gelenkiger Lagerung vernachl¨assigt und bei fester Einspannung u ¨ bersch¨atzt. b) Bei ebenen Tragwerken wird die Torsion nicht ber¨ ucksichtigt. Zu beachten ist, dass Lasten oder Anschl¨ usse, die bez¨ uglich der Tragwerksachse exzentrisch sind, Torsion hervorrufen und im Einzelfall eine Ere P weiterung des Modells erfordern. Ebenso wird beim Verspringen von Tragwerksachsen Torsion geweckt. Torsion ist f¨ ur das globale Gleichgewicht wichtig, wenn keine aussteifenden Elemente vorgesehen sind. c) Nebenspannungen sind Spannungen, die aus nicht ber¨ ucksichtigten Zw¨ angungen und Tragwirkungen entstehen, aber in der Regel vernachl¨ assigbar sind. So k¨onnen Fachwerkst¨abe als gelenkig angeschlossen anH gesetzt werden, da die Biegespannungen im Anschluss vernachl¨assigbar sind. Bremslasten von Fahre zeugen bewirken nicht nur Normalkr¨afte in St¨aben, sondern durch ihren exzentrischen Lastangriffspunkt bez¨ uglich der Tragwerksachse auch verteilte Momente, die lokal zu Nebenspannungen f¨ uhren. Fehler in der Modellbildung k¨onnen in der Berechnung nicht mehr bemerkt und korrigiert werden und sind daher besonders gef¨ahrlich.

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

F¨ ur die Berechnung des Trag– und Verformungsverhaltens von Tragwerken m¨ ussen Modellgleichungen f¨ ur die einzelnen Tragwerkstypen formuliert werden. Ziel der baustatischen Verfahren ist, die Modellgleichungen m¨ oglichst effizient zu l¨ osen, um die f¨ ur die Sicherheitsnachweise erforderlichen Zustandsgr¨ oßen schnell zu erhalten. Hierf¨ ur sind vereinfachende Annahmen erforderlich, die f¨ ur ebene Stabtragwerke nachfolgend zusammengestellt sind. a) Ebene Stabtragwerke bestehen aus geraden oder gekr¨ ummten St¨ aben, die in einer Ebene angeordnet sind. Ihre Abmessungen betragen h, b < /4. b) Die Einwirkungen ebener Stabtragwerke liegen in der Tragwerksebene. c) Die Verformungen des Tragwerks finden in der Tragwerksebene statt. Der Verformungszustand des Stabquerschnitts ist mit den Weggr¨ oßen u,w,ϕ der Tragwerksachse beschreibbar. Die Weggr¨oßen sind messbare Gr¨ oßen. d) Der Spannungszustand wird bei Stabtragwerken integral mit den Zustandsgr¨oßen M, Q, N der Tragwerksachse beschrieben. Der Einfluss anderer Spannungen auf den Verformungszustand wird vernachl¨assigt. Der Spannungszustand ist Modellvorstellung und nicht direkt messbar. e) Es gilt das Prinzip von St. Venant: In hinreichender Entfernung von der Krafteinleitungsstelle h¨angt die Wirkung von Kr¨aften nicht mehr von der ortlichen Verteilung der Spannungen ¨ im Krafteinleitungsbereich ab, sondern nur noch von den Resultierenden. Hiermit ist der jeweilige lokale Spannungszustand nicht entscheidend f¨ ur das Tragverhalten des Tragwerks.

N Q M

h

s

h

s

M, N

M, N

f) F¨ ur Biegest¨abe wird die Bernoulli–Hypothese f¨ ur schubstarre Balken angesetzt. Die Querschnitte bleiben bei der Verformung eben und senkrecht zur Stabachse. Dies bedeutet, dass die Verformung des Balkens allein aus Verkr¨ ummungen κ entsteht. Timoshenko erweitert die Theorie f¨ ur schubsteife Bal© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_3

34

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

ken um den Schubwinkel γ, dessen Einfluss auf den Verformungszustand f¨ ur die hier vorliegenden F¨alle vernachl¨assigbar ist. Mit einer genauen 3D–Analyse des Balkens k¨onnen weitere Verformungsanteile bestimmt werden, die aber ebenfalls nur St¨orungen der Bernoulli–Theorie sind.

g

Bernoulli

Theorie

genaue Theorie

Timoshenko Theorie g = konst.

g=0

exz ≠ konst.

g) Es wird eine lineare Theorie I. Ordnung verwendet. Dies bedeutet, dass die Verformungen der Tragwerke so klein sind, dass ihr Einfluss auf die Verformungsgeometrie und das Gleichgewicht vernachl¨assigbar ist. Die lineare Theorie ist in Abschnitt 20 um die nichtlinearen Anteile einer Theorie II. Ordnung erg¨ anzt, sodass auch Stabilit¨atsf¨alle untersucht werden k¨ onnen. Im Bild zeigt der Kragarm ein lineares Tragverhalten, wenn die Biegelinie w keinen Einfluss auf das Gleichgewicht hat. Nichtlineares Tragverhalten entsteht, wenn das Versatzmoment aus Normalkraft P und Biegelinie ber¨ ucksichtigt wird. P

linear w

P, H

Knicklast

H

nichtlinear

w

h) Das Werkstoffverhalten ist linear elastisch und mit dem Hooke’schen Gesetz beschreibbar. Das Plastifizieren von Stahl kann mit dem Traglastverfahren ber¨ ucksichtigt werden, das jedoch eine ganz andere Bemessungsphilosophie ¨ verfolgt. Bei Stahlbetontragwerken kann die Rissbildung beim Ubergang vom ungerissenen Zustand I zum gerissenen Zustand II vernachl¨ assigt werden, wenn die Biegesteifigkeit vereinfachend nach Zustand II angesetzt wird. i) Im linearen Fall gilt das Superpositionsprinzip. Damit k¨ onnen Lastf¨ alle getrennt berechnet und anschließend additiv u ¨ berlagert werden. Mit den hier getroffenen Annahmen sind die L¨osung der Modellgleichungen und damit das Tragverhalten nach Theorie I. Ordnung eindeutig. Mehrere L¨ osungen der Modellgleichungen k¨onnen nur existieren, wenn das Tragverhalten nichtlinear ist, z. B. nach Theorie II. Ordnung.

3.1 Das Schnittprinzip

35

3.1 Das Schnittprinzip Grundlage aller Berechnungsverfahren der Baustatik ist das Schnittprinzip. Erst hiermit ist es m¨oglich, komplexe Tragwerke in u ¨ berschaubare Teile zu zerlegen und einer Berechnung zug¨anglich zu machen. Hier wird es f¨ ur die Berechnung der Schnittgr¨oßen M, Q, N eingesetzt. Das Schnittprinzip enth¨alt folgende Gedanken: An beliebigen Stellen eines Tragwerks k¨onnen gedanklich Schnitte gemacht werden. Damit die Schnitte das Trag– und Verformungsverhalten des Tragwerks auch in der Vorstellung nicht ver¨andern, m¨ ussen die im Inneren des Tragwerks vorhandenen Kraftwirkungen an den Schnittufern als ¨außere Kraftwirkungen angesetzt werden, siehe Bild 3-1. Sie werden im weiteren als Schnittgr¨oßen bezeichnet.

d

d

a a

b

c

c b

Bild 3-1 Schnitte an beliebigen Stellen eines Tragwerks Sind in einem Schnitt Gelenke“ vorhanden, so sind die entsprechenden Schnitt” gr¨oßen null. In Stabtragwerken unterscheidet man zwischen Momenten–, Querkraft– und Normalkraft gelenken“, vergleiche Bild 3-2. ”

N,Q,M

N,Q

Q,M

N

Bild 3-2 Zwischenreaktionen in Schnitten Pendelst¨abe haben an beiden Stabenden Momentengelenke und k¨ onnen daher nur Normalkr¨afte u ¨ bertragen, sofern sie selbst unbelastet sind.

36

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

F¨ ur die richtige Verwendung der Begriffe der Kraftwirkungen ist es wichtig, zwischen den Einwirkungen q, P, M e , die von außen auf das Tragwerk wirken (Index e , falls nicht eindeutig), den Schnittgr¨oßen M, Q, N sowie den inneren Kraftwirkungen zu unterscheiden, siehe Bild 3-3. Hiermit gelingt es, das Gleichgewicht zwischen den ¨außeren Einwirkungen“ und den inneren Kr¨ aften“ an” ” schaulich zu verstehen. q N, Q, M

M, Q, N







Schnittgr¨oßen innere Kraftwirkungen Schnittgr¨ oßen ¨ Bild 3-3 Außere und innere Kr¨afte, Schnittgr¨oßen Die inneren Kraftwirkungen sind als Reaktion auf die Schnittgr¨ oßen und die ur das Schnittprinzip ohne wei¨außeren Einwirkungen interpretierbar. Sie sind f¨ tere Bedeutung, werden aber sp¨ater bei den Arbeitss¨ atzen ben¨ otigt.

3.2 Vorzeichendefinitionen Nach Durchschneiden“ der Tragwerksachse werden die im Tragwerk vorhan” denen nach außen nicht beobachtbaren Spannungen bzw. Kr¨ afte und Momente zu ¨außeren Schnittgr¨oßen. Beim Schnitt der Tragwerksachse zeigt die Normale des positiven Schnittufers in die positive Richtung der x–Koordinate, das negative Schnittufer liegt auf der anderen Seite des Schnitts. Normalenrichtung

x positives

negatives Schnittufer

Die in der Baustatik verwendeten Kraftgr¨oßen und Weggr¨ oßen sind einander zugeordnet (N → u, Q → w, M → ϕ). Kraftgr¨oßen sind die Lasten und die Schnittgr¨oßen, Weggr¨oßen sind die Wege aus Last und die Schnittuferwege. Im weiteren werden folgende Vorzeichendefinitionen f¨ ur die Weggr¨ oßen und Kraftgr¨oßen der Tragwerksachse verwendet, die hier auf in der x–z–Ebene liegende ebene Stabtragwerke beschr¨ankt sind.

3.2 Vorzeichendefinitionen

37

1. Die Verschiebungen u, v, w [m] sind positiv in Richtung der positiven Koordinaten x, y, z. Die x-Koordinate ist die Tragwerksachse. F¨ ur die Verdrehung ϕ [rad] gibt es verschiedene Definitionen. Hier ist ϕ positiv in Richtung w . x v

y

x z w

j=w

u z

+w

Weggrößen aus Einwirkungen

2. Klaffungen (Schnittuferwege) δN = Δu, δQ = Δw, δM = Δϕ sind positiv, wenn sie in Richtung der positiven Schnittgr¨oßen am Schnittufer zeigen. Dj

dN

dQ

j2

j1

dM = Dj = j1 + j2

Schnittuferwege

3. Eine Schnittkraft N [N ],Q [N ] ist positiv, wenn der zugeh¨ orige Kraftvektor am positiven Schnittufer in die positive Koordinatenrichtung x, z zeigt. Ein Moment M [N m] ist positiv, wenn der Momentenvektor am positiven Schnittufer in die positive Koordinatenrichtung y zeigt. Am negativen Schnittufer zeigen die positiven Schnittgr¨oßen in die entgegengesetzte Richtung. N Q M

Damit das positive Moment auch bei komplexen Tragwerken eindeutig definiert ist, wird an jedem Stab eine gestrichelte Linie in die Tragwerksskizze eingezeichnet. Ein positives Moment erzeugt auf der gestrichelten Seite des Stabes Zugspannungen. P2 P1

-

-

-

+

-

pos. M

M +

Bild 3-4 Vorzeichenregelung f¨ ur Momente

+

+

-

38

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Die Momente aus Einwirkungen werden immer auf der Seite des Systems abgetragen, auf der das Moment Zugspannungen erzeugt. Das Vorzeichen des Momentes richtet sich dann nur noch nach der gestrichelten Linie. Positive Querkr¨afte und Normalkr¨afte werden auf der gestrichelten Seite abgetragen. ¨ 4. Außere Lasten“ P [N ], q [N/m], M e [N m] sind positiv, wenn sie in Richtung ” der konjugierten positiven Weggr¨oßen u, w,ϕ zeigen. 5. F¨ ur Lagerkr¨afte und -momente gibt es keine spezielle Vorzeichenregelung.

3.3 Statische Bestimmtheit An jedem aus dem Gesamttragwerk herausgeschnittenen Teilsystem (differentielle Elemente, Einzelst¨abe, Knoten ...) gelten die gleichen Bedingungen wie am Gesamttragwerk. Ist das Gesamttragwerk im Gleichgewicht, ist auch jedes Teilsystem im Gleichgewicht. F¨ ur jedes freigeschnittene ebene Teilsystem gilt Σ H = 0, Σ V = 0, Σ M = 0. Mit den Gleichgewichtsbedingungen k¨onnen die Schnittgr¨ oßen berechnet werden, wenn die Zahl der Schnittgr¨oßen und die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen u ur alle Systeme m¨ oglich ist, m¨ ussen Statische ¨ bereinstimmt. Da dies nicht f¨ Systeme unterschieden werden in:

Statisch unterbestimmte Systeme Wenn es f¨ ur beliebige ¨außere Belastungen keinen Gleichgewichtszustand gibt, dann ist das System lokal oder global verschieblich bzw. kinematisch. Dies ist z. B. der Fall, wenn zu wenige Lager oder zu viele Gelenke vorhanden sind. d

Ψ

d

Ψ

Bild 3-5 Statisch unterbestimmte Systeme Die Verschieblichkeit ist eine Systemeigenschaft und damit unabh¨ angig von den Einwirkungen.

3.3 Statische Bestimmtheit

39

Statisch bestimmte Systeme Der Spannungszustand kann bei statisch bestimmten Systemen allein mit den Gleichgewichtsbedingungen ermittelt werden. Auch die statische Bestimmtheit ist eine Systemeigenschaft. Verschiedene grundlegende statisch bestimmte Systeme sind in Bild 3-6 angegeben. Zu beachten ist, dass ein Drei-GelenkRahmen nicht immer drei Momentengelenke besitzen muss, sondern im Einzelfall auch andere Schnittgr¨oßen null sein k¨onnen. N=0

M=0

Q=0

Kragarm

Balken

M=0

M=0

Drei-Gelenk-Rahmen

M=0

Drei-Gelenk-Rahmen

Bild 3-6 Statisch bestimmte Grundsysteme

Statisch unbestimmte Systeme Bei statisch unbestimmten Systemen kann der Spannungszustand nur mit den Gleichgewichts– und mit den Verformungsbedingungen berechnet werden, sodass alle Grundgleichungen gemeinsam gel¨ost werden m¨ ussen. Geschlossene Rahmen oder Tragwerksteile sind innerlich statisch unbestimmt, da man die Schnittgr¨oßen nicht allein mit Gleichgewichtsbedingungen bestimmen kann, siehe hierzu die beiden rechten Systeme in Bild 3-7. Sind mehr Lagerkr¨afte und -momente als Gleichgewichtsbedingungen vorhanden, ist das System wie im rechten und im linken System ¨ außerlich statisch unbestimmt.

Bild 3-7 Innere und ¨außere statische Unbestimmtheit Der Grad n der statischen Unbestimmtheit ist eine Systemeigenschaft und kann auf verschiedenen Wegen ermitteln werden.

40

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

3.3.1 Aufbauprinzip f¨ ur ebene Rahmentragwerke Der Grad der statischen Unbestimmtheit kann anschaulich ermittelt werden, wenn man das wirkliche statisch unbestimmte System von den Lagern aus so aufbaut, wie man es in der Realit¨at auch bauen k¨onnte. Ausgehend von einem statisch bestimmten Grundsystem wird so das wirkliche System durch sukzessives Anf¨ ugen von Scheiben und Bindungen entwickelt. Die Zahl der statisch wirksamen Anschlussgr¨oßen gibt den Grad der statischen Unbestimmtheit an.

Beispiel 1: Stockwerkrahmen Das Grundsystem ist ein Drei-Gelenk-Rahmen. Auf den statisch bestimmten Stockwerkrahmen wird ein zweites Stockwerk errichtet, das f¨ ur sich ebenfalls ein statisch bestimmter Drei-Gelenk-Rahmen ist. Danach werden drei Gelenke geschlossen, sodass ein dreifach unbestimmtes System vorliegt.

n=0

n=0

n=3

Bild 3-8 Statisch unbestimmtes Rahmentragwerk

Beispiel 2: Talbr¨ ucke Ausgangssystem sind die zwei Pylone, die als Kragarme statisch bestimmt sind. Danach wird die Fahrbahn als Balken auf die Pylone gelegt und in einem zweiten Schritt fest mit den Pylonen verbunden. Zuletzt werden die ¨ außeren Lager angesetzt. Insgesamt liegt ein dreifach statisch unbestimmtes System vor.

n=0

n=0

n=1

n=3

Bild 3-9 Statisch unbestimmte Talbr¨ ucke

3.3 Statische Bestimmtheit

41

Beispiel 3: Abgeh¨ angte Br¨ ucke Der Drei-Gelenk-Bogen in Bild 3-10-links ist statisch bestimmt. An den Bogen k¨ onnen jetzt sukzessive vom linken oder rechten Lager ausgehend jeweils ein H¨ anger und ein untenliegender Balken gelenkig und damit statisch bestimmt angebracht werden. Der letzte Balken f¨ uhrt auf ein einfach unbestimmtes System. Die biegesteife Verbindung der untenliegenden Balken f¨ uhrt auf ein insgesamt f¨ unffach unbestimmtes System.

n=0 n=1

n=5

Bild 3-10 Statisch unbestimmte Bogenbr¨ ucke

Beispiel 4: Vierendeel-Tr¨ ager Vierendeel-Tr¨ager sind geschlossene Rahmentragwerke, die aus biegesteif verbundenen Einzelst¨aben bestehen. Im Gegensatz zu Fachwerken, die ihre große Steifigkeit bei vernachl¨assigbarer Biegung aus den im Dreieck angeordneten Druck– bzw. Zugst¨ aben beziehen, tragen Vierendeel-Tr¨ ager auf Biegung und sind daher viel weniger steif. n=0

n=0

n=2

Bild 3-11 Statisch unbestimmter Vierendeel-Tr¨ager Der untenliegende Balken mit den biegesteif angebrachten St¨ utzen ist statisch bestimmt. Nach Anbringen des linken und rechten Drei-Gelenk-Rahmens ist das System weiterhin statisch bestimmt. Das Schließen des inneren oberen Riegels bewirkt eine zweifache Unbestimmtheit.

42

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

3.3.2 Abz¨ ahlkriterium f¨ ur Rahmentragwerke Besteht ein statisches System aus einem einfach zusammenh¨ angenden Gebiet, das im weiteren als Scheibe bezeichnet wird, so kann man alle Schnittgr¨ oßen und die Lagerreaktionen allein mit den Gleichgewichtsbedingungen berechnen. Einfach zusammenh¨angende Scheiben besitzen eine zusammenh¨ angende Oberfl¨ache, die man ohne Schnitt umfahren kann. Beispiele sind in Bild 312 gegeben. Der Vierendeel-Tr¨ager nach Abschnitt 3.3.1 ist mehrfach zusammenh¨ angend. Balken

Q=0

M=0

Kragarm

M=0

Pendelstab

Drei-Gelenk-Rahmen

Bild 3-12 Einfach zusammenh¨angende Scheiben Besteht ein statisches System aus mehreren Scheiben p, so wird es als Schei” benverband“ bezeichnet. Ein aus zwei Scheiben bestehendes System ist der Dreigelenkrahmen nach Bild 3-13. Der Rahmen ist ¨ außerlich und innerlich statisch bestimmt. Nach Freischneiden der einzelnen Scheiben k¨ onnen die drei Gleichgewichtsbedingungen an beiden Scheiben so angesetzt werden, dass alle Lagerreaktionen a : Hd , Vd , Hc , Vc und alle Zwischenreaktionen z : Hb , Vb berechenbar sind.

Hb

b Vb d

c

Hd

Vd

Hc

Vc

unbekannt z = 2, a = 4 , Gleichungen 2 · 3 = 6 , Scheiben p = 2. Bild 3-13 Scheibenverband: n = 0 Bei komplexen Scheibenverb¨anden bestehen die einzelnen Scheiben aus statisch bestimmten Untersystemen, die selbst Fachwerke oder Rahmen sein k¨ onnen.

3.3 Statische Bestimmtheit

43

Zerlegt man ein komplexes statisches System mit Hilfe von Schnitten in einfach zusammenh¨angende Scheiben und vergleicht die Zahl der Schnittgr¨ oßen in den Schnitten und die Zahl der Lagerreaktionen mit der Zahl der Gleichgewichtsbedingungen, so erh¨alt man den Grad der statischen Unbestimmtheit, siehe Bild 3-14.

2 1 3

Bild 3-14 Statisch unbestimmtes System: n = 3, a = 6, z = 6, p = 3 Bei der Bestimmung der Zwischenreaktionen in Schnitten ist darauf zu achten, dass die Zahl der Reaktionen durch bereits vorhandene Gelenke verringert wird. Pendelst¨abe k¨onnen durch einwertige Schnitte bzw. Lager ersetzt werden, z¨ahlen aber dann nicht mehr als Scheibe. Mit a z p n

Zahl der Lagerreaktionen Zahl der Zwischenreaktionen (Schnittgr¨ oßen in Schnitten) Zahl der einfach zusammenh¨angenden Scheiben Grad der statischen Unbestimmtheit

ist die Zahl der Unbekannten a+z und die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen 3 p. Damit ist der Grad der statischen Unbestimmtheit bei ebenen Systemen n = a+z −3p

0

statisch unterbestimmt, verschieblich, statisch bestimmt, statisch unbestimmt.

Bei r¨ aumlichen Systemen gibt es sechs Gleichgewichtsbedingungen, sodass hier n = a + z − 6 p anzusetzen ist.

Satz zur statischen Unbestimmtheit Ein System ist n–fach statisch unbestimmt, wenn die Zahl der unbekannten Lager– und Kraftgr¨oßen in Schnitten, die zu einfach zusammenh¨angenden Scheiben f¨ uhren, um n gr¨oßer ist als die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen.

44

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Beispiele zur Berechnung der statischen Unbestimmtheit 2

1

3

1

3

3 a = 6, z = 0, p = 1, n = 3

3

a = 8, z = 2, p = 2 , n = 4

2

1

2

1

4

3

2

3

a = 8, z = 4, p = 3, n = 3

3

3

a = 8, z = 4, p = 3, n = 3

3

3

1

3

3

3

3

a = 6, z = 4, p = 2, n = 4

3

3

1

a = 7, z = 9, p = 2 , n = 10

Anmerkungen In der Literatur wird manchmal der Begriff statisch unterbestimmtes System f¨ ur die in unserem Sinne statisch unbestimmten Systeme verwendet. Hiermit ist gemeint, dass die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen kleiner ist als die Zahl der unbekannten Schnitt– bzw. Lagergr¨oßen. Zu beachten ist, dass mit dem Abz¨ahlkriterium nicht alle verschieblichen Systeme identifiziert werden k¨onnen, da auch statisch bestimmte oder unbestimmte Systeme teilweise verschieblich sein k¨onnen. Hinreichende Kriterien f¨ ur die Verschieblichkeit von statischen Systemen geben allein die Untersuchungsmethoden f¨ ur kinematische Systeme nach Abschnitt 5.

3.3 Statische Bestimmtheit

45

3.3.3 Aufbauprinzip f¨ ur ebene Fachwerke Fachwerke werden aus bekannten statisch bestimmten Grundsystemen sukzessive durch Anbindung neuer Knoten entwickelt. Hierbei gelten folgende Regeln: a) Zwei St¨abe schließen einen neuen Knoten statisch bestimmt und unverschieblich an, wenn die St¨ abe nicht auf einer Geraden liegen. verschieblich

fest

b) Zwei St¨abe schließen eine neue Scheibe immer gelenkig an, wenn die angeschlossene Scheibe nicht ausreichend gelagert ist. Es entsteht ein verschiebliches Gelenkviereck.

Drehpol verschieblich

c) Drei St¨abe schließen eine neue Scheibe statisch bestimmt und unverschieblich an, wenn sich die Geraden, auf denen die St¨abe liegen, nicht in einem Punkt schneiden. Wenn sich die Richtungen der drei St¨abe in einem Punkt schneiden oder parallel sind, sind beide Scheiben gegeneinander verschieblich. Drehpol

verschieblich fest

46

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Beispiel 1: Ein statisch bestimmtes Fachwerk Das statisch bestimmte Fachwerk mit den Knoten 1–7 und der Lagerung in den Knoten 1 und 7 kann wie folgt aufgebaut werden. Ausgangssystem ist der Stab mit den Knoten 1–3 und dem Lager in Knoten 1. Das System ist zun¨ achst verschieblich.

1

6

4

2

5

3

7

Hilfslager

Nach Einbau eines Hilfslagers am Knoten 3 und Anbinden von Knoten 2 folgt ein erstes statisch bestimmtes, nicht verschiebliches Fachwerk 1–2–3. Das Anbinden der Knoten 4–7 erfolgt sukzessive jeweils mit Hilfe zweier St¨ abe bis alle Knoten angeschlossen sind. Nach Anbinden des zweiten Lagers am Knoten 7 und Entfernen des Hilfslagers liegt das statisch bestimmte und nicht verschiebliche System vor.

1

6

4

2

5

3

7

a

b

Beispiel 2: Ein statisch unterbestimmtes Fachwerk Nachfolgendes System ist statisch unterbestimmt und damit verschieblich bzw. kinematisch. Da eine einzige Verschiebungsm¨oglichkeit vorhanden ist, ist das System einfach verschieblich. 2

4 1 3

Die Scheiben 1 und 4 besitzen jeweils nur ein Lager und sind durch zwei andere Scheiben, dies sind hier die parallelen St¨abe 2 und 3, miteinander verbunden. Damit bilden die Scheiben 1, 2, 3 und 4 ein verschiebliches Gelenkviereck. Die Pfeile deuten die Bewegungsm¨oglichkeiten der Scheiben 1 und 4 an.

3.3 Statische Bestimmtheit

47

Beispiel 3: Ein statisch unbestimmtes Fachwerk Das System ist ¨außerlich und innerlich statisch unbestimmt, da die Zahl der Lagerkr¨afte gr¨oßer als die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen ist und nach dem Aufbauprinzip mehr St¨abe vorhanden sind als zum Anbinden der Knoten erforderlich.

n=0

n=4

Im unteren Bild ist ein m¨oglicher statisch bestimmter Teil des Tragwerks grau hinterlegt. Drei zus¨ atzliche St¨abe sowie eine zus¨atzliche Lagerkraft kennzeichnen die statische Unbestimmtheit des Systems. Bild 3-15 zeigt eine Zweifeld-Straßenbr¨ ucke u ¨ ber die Elbe in Hamburg, die als statisch unbestimmt gelagertes Stahlfachwerk ausgef¨ uhrt ist.

¨ Bild 3-15 Fachwerkbr¨ ucke ¨uber die Elbe – Uberseeallee in Hamburg

48

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

3.3.4 Abz¨ ahlkriterium f¨ ur Fachwerke Das Abz¨ahlkriterium f¨ ur Rahmen gilt auch f¨ ur Fachwerke, wenn die gelenkige Verbindung der Fachwerkst¨abe beachtet wird. Einfacher ist das folgende, speziell f¨ ur Fachwerke g¨ ultige Kriterium. Bei Fachwerken sind die Momente aprioi zu null gesetzt, sodass nur die Lagerreaktionen und die Stabkr¨afte unbekannt sind. Zur Berechnung der unbekannten Stab– und Lagerkr¨ afte stehen an jedem Fachwerkknoten und an jedem Lager zwei Kraftgleichgewichtsbedingungen zur Verf¨ ugung. Es werden daher alle Fachwerkknoten frei geschnitten. Mit a s k n

Zahl der Lagerreaktionen Zahl der Stabkr¨afte Zahl der Fachwerkknoten Grad der statischen Unbestimmtheit

ist die Zahl der Unbekannten a+s und die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen 2 k. Hiermit gilt in der Ebene n = a +s−2k

0

statisch unterbestimmt, verschieblich, statisch bestimmt, statisch unbestimmt.

n ist der Grad der statischen Unbestimmtheit bei ebenen Fachwerken. Bei r¨aumlichen Fachwerken gibt es drei Gleichgewichtsbedingungen je Knoten n = a + s − 3 k. Der Kran in Bild 3-16 ist in der Ebene 1-fach statisch unbestimmt. Die grau angelegte Fl¨ache ist nach dem Aufbauprinzip statisch bestimmt, wenn von den beiden Lagern ausgehend jeder Knoten mit zwei St¨ aben angeschlossen wird. Der zus¨atzliche Stab bewirkt die Unbestimmtheit.

a=3 s = 28 k = 15 a

}

n = 3 + 28 2 * 15 = 1

b

Bild 3-16 Statisch unbestimmter Kran Die Fachwerkbr¨ ucke in Bild 3-17 ist 2-fach statisch unbestimmt. Auch hier ist

3.3 Statische Bestimmtheit

49

der grau angelegte Bereich mit dem Aufbauprinzip als statisch bestimmt identifizierbar. Ausgehend von einem Lager und einem Hilfslager kann man sukzessive alle Knoten mit zwei Fachwerkst¨aben anschließen. Das Hilfslager wird entfernt, sobald das Fachwerk auf beiden Lagern ruht. Die zwei zus¨ atzlichen St¨abe bewirken die statische Unbestimmtheit des Systems. a=3 s = 35 k = 18

}

n = 3 + 35

a

2 * 18 = 2

b

Bild 3-17 Statisch unbestimmte Fachwerkbr¨ ucke Bild 3-18 zeigt eine r¨aumliche Stahlfachwerkkonstruktion des Schiffshebewerks in Niederfinow. Die Konstruktion dient dazu, einen H¨ ohenunterschied von ca. 36 m auf dem Oder-Havel-Kanal zu u ur ¨berwinden. Zurzeit wird ein neues, f¨ gr¨oßere Schiffe nutzbares Schiffshebewerk in Stahlbetonbauweise errichtet.

Bild 3-18 Schiffshebewerk in Niederfinow

50

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke Die Modellierung von beliebigen Tragwerken des Ingenieurwesens umfasst neben der Idealisierung des Tragwerks auch immer die mathematische Beschreibung des Trag– und Verformungsverhaltens mit den Grundgleichungen und den zugeh¨origen Randbedingungen. Die Grundgleichungen werden f¨ ur kontinuierliche Tragwerke (St¨abe, Fl¨achentragwerke, 3-D-Kontinua) am differentiellen Element aufgestellt. Im einzelnen gibt es folgende Grundgleichungen: V Die Verformungsgeometrie oder Kinematik beschreibt den Verformungszustand im Gebiet und auf dem Rand. Beschreibungsvariable sind Weggr¨oßen und Verzerrungen. G Die Statik beschreibt das Gleichgewicht im Gebiet und die Kraftrandbedingungen. Beschreibungsvariable sind Spannungen sowie Kr¨ afte und Momente. W Die Werkstoffgleichungen beschreiben unabh¨ angig von Kinematik und Statik das Werkstoffverhalten mit den Spannungen und Verzerrungen. Die Grundgleichungen kann man u ¨bersichtlich in das Tonti–Schema nach Bild 3-19 einordnen. Die Gleichungen f¨ ur die Kinematik und das Gleichgewicht sind Differentialgleichungen, deren Integrationskonstanten an die Randbedingungen des jeweiligen Gebietes angepasst werden. Sie gelten unabh¨ angig voneinander und m¨ ussen gleichzeitig erf¨ ullt sein. Die Werkstoffgleichung ist im einfachsten Fall eine algebraische Gleichung, die werkstoffunabh¨angig mit Hilfe vergleichbarer Materialparameter wie dem Elastizit¨atsmodul und der Querdehnzahl formuliert werden kann. So wird die Biegesteifigkeit EI und die Dehnsteifigkeit EA f¨ ur Stahl, Holz und Stahlbetonquerschnitte angesetzt und das Materialverhalten als linear elastisch beschrieben. Lasten P, q  

6 Gleichgewicht ? Spannungen σ

Verschiebungen u 



6 Kinematik

  ?    Werkstoffgleichung Verzerrungen ε  

Bild 3-19 Tonti–Schema der Grundgleichungen [40]

 

3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke

51

Die Werkstoffgleichungen verkn¨ upfen die Beschreibungsvariablen der Kinematik und der Statik. Der Werkstoff legt fest, wie sich das Tragwerk bei gegebenem Spannungszustand verformt: σ → ε → u. Der Werkstoff legt damit auch fest, wie sich der Spannungszustand bei gegebenem Verformungszustand einstellt: u → ε → σ. Wie groß die Verformungen bei gegebenem Spannungszustand sind, ist mit der Steifigkeit des Werkstoffs festgelegt. Man unterscheidet generell zwischen starren Tragwerken mit unendlich großen Steifigkeiten, steifen Tragwerken mit endlichen Steifigkeiten und schlaffen Tragwerken mit verschwindender Steifgkeit. Die in der Baustatik untersuchten Stabtragwerke werden als schubstarr, dehnstarr und biegesteif angesetzt. Die Grundgleichungen sind linear, wenn die Verformungen in der Tragwerksberechnung als infinitesimal klein angenommen werden und das Werkstoffverhalten als linear elastisch angesetzt wird. In desem Fall ist die L¨ osung der Grundgleichungen nach Kirchhoff eindeutig, sodass die L¨ osungen f¨ ur unterschiedliche Lastf¨alle superponiert werden k¨onnen. Wenn die Stabilit¨at von Tragwerken (Kippen, Knicken, Beulen) untersucht werden soll, sind die Verformungen endlich groß und m¨ ussen in den Grundgleichungen zus¨atzlich ber¨ ucksichtigt werden. Hierbei kann es mehrere unterschiedliche L¨ osungen der Grundgleichungen zu gleichen Einwirkungen geben. Aufgrund der Nichtlinearit¨at gilt das Superpositionsprinzip dann nicht mehr. Nachfolgend sind die Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke in einer Form zusammengestellt, die im Bauwesen ausreichend ist.

3.4.1 Das differentielle Element Die Grundgleichungen werden am differentiellen Element aufgestellt, das aus dem jeweiligen Tragwerk an der Stelle x ± dx/2 entsprechend Bild 3-20 herausgeschnitten wird. Mit der speziellen Wahl des differentiellen Elementes lassen sich die Grundgleichungen widerspruchsfrei herleiten. q M

dx j z, w

Bild 3-20 Das differentielle Element

x

e

P

52

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Zus¨atzlich zu den Grundgleichungen sind die Randbedingungen des Tragwerks angegeben, da sie die Integrationskonstanten der L¨ osung der Grundgleichungen festlegen. In der hier zun¨achst gew¨ahlten Theorie I. Ordnung sind die Tragwirkungen des Balkens und des Dehnstabes nicht gekoppelt, sodass die Grundgleichungen getrennt entwickelt werden k¨onnen.

3.4.2 Biegest¨ abe der Bernoulli–Theorie Biegest¨abe bzw. Balken sind in z–Richtung belastete St¨ abe, sodass die Verformungen des Tragwerks in der x–z–Ebene stattfinden. Nachfolgend sind die Grundgleichungen unter Annahme der Bernoulli–Hypothese angegeben. F¨ ur Einzelst¨abe gilt: Raumkoordinaten Verschiebung Verdrehung Verkr¨ ummung Lasten Biegesteifigkeit

: : : : : :

x,z w(x) ϕ(x) κ(x) q(x),P,M e EI

q(x)

M j

x

e

P

z,w

I beschreibt das Fl¨ achentr¨agheitsmoment des Balkenquerschnitts. P, M e sind eingepr¨agte Kr¨afte und Momente am Rand des Balkens.

Verformungsgeometrie Die Verformungsgeometrie beschreibt den Zusammenhang zwischen der Verschiebung w, der Neigung der Stabachse ϕ und der Verkr¨ ummung κ. Bei der Bernoulli–Theorie stehen die Normalen auf die Querschnittsbene und die Balkenachse vor und nach der Verformung senkrecht aufeinander. dx x z

w – dw/2

w

w + dw/2 j

j – dj/2

j

x j + dj/2

Bild 3-21 Kinematik am differentiellen Balkenelement

3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke

53

Am differentiellen Element nach Bild 3-21-links ist die Neigung ϕ der Balkenachse mit der Biegelinie w verkn¨ upft. Im Bild rechts folgt die positive Ver¨ kr¨ ummung aus der positiven Anderung der Verdrehung. tan ϕ = dd w = w , x ϕ = arctan w , dϕ



κ = d x = (1 + w . w 2 )3/2 Die Gleichungen sind stark nichtlinear, wenn die Verdrehung ϕ groß ist. Wenn ϕ klein ist, kann man die Gleichungen vereinfachen. Es gilt dann   ϕ − w = 0 we − w = 0 auf dem Rand. im Gebiet und ϕe − ϕ = 0 κ − ϕ = 0 we ist eine eingepr¨agte Lagerverschiebung und ϕe eine eingepr¨ agte Lagerverdrehung. Hiermit sind die Weggr¨oßen am Rand des Biegestabes festgelegt.

Gleichgewicht Die Gleichgewichtsbedingungen im Gebiet werden am differentiellen Element an der Stelle x aufgestellt. Ber¨ ucksichtigt werden die Schnittgr¨ oßen sowie die ¨ Streckenlast q [N/m]. Außere Streckenmomente m(x) [N m/m] z. B. aus Bremswirkung k¨onnen im Rahmen der Bernoulli–Theorie nicht ber¨ ucksichtigt werden. q

M

dM/2

M + dM/2

Q

dQ/2

Q + dQ/2 dx/2

dx/2

x

F¨ ur die Summe der Kr¨afte in Richtung z gilt − ( Q − dQ/2 ) + ( Q + dQ/2 ) + q dx = 0 . Mit dQ = Q dx kann man die Gleichung vereinfachen ( Q + q ) dx = 0 . Die Gleichgewichtsbedingung f¨ ur die Momente an der Stelle x liefert ( Q − dQ/2 ) · dx/2 + ( Q + dQ/2 ) · dx/2 + ( M − dM/2 ) − ( M + dM/2 ) = 0 .

54

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Auch hier kann man die Gleichung mit dM = M  dx vereinfachen ( M  − Q ) dx = 0 . Zus¨atzlich zu den Gebietsgleichungen muss das Gleichgewicht auf dem Rand erf¨ ullt werden. Der Rand hat in x–Richtung keine r¨ aumliche Ausdehnung, sodass kein differentielles Element erforderlich ist. Hier wird das Gleichgewicht zwischen den Einwirkungen P, M e und den inneren Reaktionen Q, M gefordert. Rand x

M Q

z

l

e

M

P

Damit sind die Gleichgewichtsbedingungen wie folgt anzusetzen:   Q + q = 0 P −Q=0 auf dem Rand. im Gebiet und Me + M = 0 M − Q = 0

Werkstoffgleichungen Das Werkstoffverhalten wird hier als linear elastisch angesetzt. Plastische Verformungen und Rissbildung erfordern zus¨atzliche Annahmen und Bedingungsgleichungen, die erst bei weiterf¨ uhrenden Modellen eingesetzt werden. Im Rahmen der Bernoulli–Theorie werden die Verkr¨ ummungen aus Elastizit¨ at und Erw¨armung mit dem Biegemoment sowie dem Temperaturgradienten ΔT in Dickenrichtung verkn¨ upft. Es gilt κel = −M/EI κT = −αT (Tu − To )/h = −αT ΔT /h +M +k

Die Verformungsbedingung verkn¨ upft die Verkr¨ ummungen aus Elastizit¨ at und Erw¨ armung mit der Verformungsgeometrie κ − κel − κT = 0. Die Querkr¨afte sind mit den Biegemomenten nur u ¨ ber die Gleichgewichtsbedingungen verkn¨ upft. Eine Werkstoffgleichung f¨ ur die Querkraft kann im Rahmen der Bernoulli–Hypothese mit schubstarren Querschnitten nicht angesetzt werden, da die Schubverformungen verschwinden.

3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke

55

3.4.3 Dehnst¨ abe Dehnst¨abe sind in L¨angsrichtung des Stabes (x–Achse) belastet und k¨ onnen Druck– und Zugkr¨afte aufnehmen. Sie werden in der Baustatik als dehnstarr angesetzt, da die Dehnsteifigkeiten in der Regel erheblich gr¨ oßer als die Biegesteifigkeiten sind. Streckenlasten k¨onnen u ¨ ber den Stab integriert und an den Stabenden als Einzellasten aufgebracht werden. Bei statisch unbestimmten Systemen sind die Steifigkeiten wesentlich f¨ ur den Lastabtrag, sodass die St¨abe im Einzelfall als dehnsteif angesetzt werden m¨ ussen. Am Einzelstab gilt zun¨achst allgemein: Koordinate Verschiebung Dehnung Lasten Dehnsteifigkeit

: : : : :

x u(x) ε(x) p(x),P EA

p(x) P x,u

A beschreibt die Querschnittsfl¨ache des Dehnstabes. p(x) ist eine Streckenlast und P eine Einzellast. Die Grundgleichungen des Dehnstabes werden analog zum Biegestab am differentiellen Element aufgestellt.

Verformungsgeometrie Die Verformungsgeometrie bzw. Kinematik definiert den Zusammenhang zwischen den Verschiebungen u(x) und den Verzerrungen ε(x). In der Mechanik und der Statik sind verschiedene Verzerrungsmaße bekannt, die je nach Anwendungsgebiet unterschiedlich definiert sind. Hier wird die anschauliche Ingenieurverzerrung verwendet, bei der die L¨ange des verformten differentiellen Elementes auf die unverformte L¨ange bezogen ist. dx/2

dx/2

u

x u

du/2

u + du/2

Entsprechend der Abbildung sind die Ingenieurverzerrungen wie folgt definiert ε =

(u + du/2) − (u − du/2) . dx

56

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Mit du = u dx folgen die Grundgleichung und die zugeh¨ orige Randbedingung f¨ ur u. Es gilt u − ε = 0 ue − u = 0

im Gebiet und auf dem Rand.

ue ist eine eingepr¨agte Lagerverschiebung, die die Randverschiebung festlegt.

Gleichgewicht Das Gleichgewicht der Kr¨afte liefert am differentiellen Element − ( N − dN/2 ) + ( N + dN/2 ) + p dx = 0 . P N

dN/2

N + dN/2

dx/2

dx/2

x

Mit dN = N  dx kann man die Gleichung umformen zu ( N  + p ) dx = 0 . Außerdem sind die Kraftrandbedingungen zu erf¨ ullen. Damit gilt N + p = 0 P −N =0

im Gebiet und auf dem Rand.

Werkstoffgleichungen Die Werkstoffgleichungen verkn¨ upfen die Verzerrungen εel ,εT mit den Normalkr¨ aften N sowie der Erw¨armung von T0 auf T1 . Vereinbarungsgem¨ aß ist lineares Werkstoffverhalten angesetzt. Hierf¨ ur gilt εel = N/EA εT = αT (T1 − T0 ) Die Verformungsbedingung verkn¨ upft die Werkstoffgleichungen mit der Verformungsgeometrie ε − εel − εT = 0.

3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke

57

3.4.4 Torsion Torsionsst¨abe erfahren eine um die L¨angsachse (x–Achse) wirkende Momentenbelastung, die zu einer Verdrillung des Stabes f¨ uhrt. In der St. Venant Torsionstheorie setzt man voraus, dass die Querschnitte bei der Verformung eben bleiben und keine Verw¨olbung auftritt. Dies ist f¨ ur die Torsion von Kreisringquerschnitten exakt. Bei beliebigen Querschnitten treten jedoch Verw¨ olbungen auf, die man nur mit einer genaueren Theorie beschreiben kann. Hierf¨ ur gelten die folgenden Grundgleichungen daher nur, wenn als Randbedingungen der freie Rand mit vorgegebenem Torsionsmoment oder die Gabellagerung zugelassen sind. Die Gabellagerung nimmt das Torsionseinspannmoment auf, ist jedoch keine Festeinspannung, sodass eine ungehinderte spannungsfreie Verw¨ olbung m¨ oglich ist, die in den Grundgleichungen nicht ber¨ ucksichtigt werden muss. F¨ ur die Beschreibung des Tragverhaltens von Torsionsst¨aben gilt: Raumkoordinate Drillwinkel Verdrillung Einwirkungen Drillsteifigkeit

: : : : :

x ϑ(x) d(x) mT (x),MTe GIT

mT

J

e

MT

x

G ist der Schubmodul und IT beschreibt das polare Fl¨ achentr¨ agheitsmoment des Querschnitts.

Verformungsgeometrie Die Verformungsgeometrie beschreibt nicht die Dehnungsverteilung im Querschnitt, sondern ausschließlich die Verdrillung d in Stabl¨ angsrichtung, die einem Schubwinkel entspricht. Hierf¨ ur gilt J

dJ/2

d =

(ϑ + dϑ/2) − (ϑ − dϑ/2) . dx

x

dx/2 dx/2 dJ/2

Mit dϑ = ϑ dx folgen die Grundgleichung und die zugeh¨ orige Randbedingung ϑ − d = 0 ϑe − ϑ = 0

im Gebiet und auf dem Rand.

ϑe ist ein eingepr¨agter Drillwinkel am Lager, analog zu einer Lagerverdrehung bei einem Biegestab.

58

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Gleichgewicht Torsionsst¨abe k¨onnen von Einzelmomenten MTe und von Streckenmomenten mT belastet werden. Momentengleichgewicht um die L¨ angsachse liefert −(MT − dMT /2) + (MT + dMT /2) + mT dx = 0. mT

MT dMT /2

MT + dMT /2

dx/2

dx/2

x

Mit dMT = MT dx sowie dem einwirkenden Torsionsmoment MTe folgt MT + mT = 0 MTe − MT = 0

im Gebiet und auf dem Rand.

Werkstoffgleichung Auch f¨ ur die Torsion wird elastisches Werkstoffverhalten angesetzt. Erw¨ armung liefert jedoch keinen Beitrag. Damit gilt die Werkstoffgleichung del = MT /GIT sowie die Verformungsbedingung d − del = 0.

Anmerkung In der Bemessung der Tragwerke unterscheidet man Gleichgewichtstorsion und Vertr¨aglichkeitstorsion. Die Unterscheidung ist nicht zwangsl¨ aufig erforderlich, sondern in unterschiedlichem Systemtragverhalten begr¨ undet.

Gleichgewichtstorsion

Vertr¨aglichkeitstorsion

3.5 Analytische L¨osung der Grundgleichungen

59

1. Gleichgewichtstorsion muss nachgewiesen werden, da das Tragwerk einst¨ urzt, wenn die Torsionsmomente nicht aufgenommen werden k¨ onnen. Dies bedeutet f¨ ur das im Bild links dargestellte Tragwerk, dass der L¨ angstr¨ ager torsionssteif und eine Gabellagerung vorhanden sein muss. 2. Vertr¨aglichkeitstorsion liegt vor, wenn die Einwirkungen zwar zur Torsion eines Stabes f¨ uhren, aber zus¨atzliche Tragwirkungen vorhanden sind, die die Standsicherheit auf anderem Wege sicherstellen k¨ onnen. Das im Bild rechts dargestellte System tr¨agt die Lasten auch u ¨ber Biegung ab.

3.5 Analytische L¨ osung der Grundgleichungen Hier wird die analytische Vorgehensweise f¨ ur Biegest¨ abe allgemein erl¨ autert, ohne die im Einzelfall m¨oglichen Vereinfachungen zu ber¨ ucksichtigen. F¨ ur den auf Biegung beanspruchten Einzelstab mit konstanter Biegesteifigkeit gilt nach Zusammenfassung der Grundgleichungen EIw = q(x) . Die Gleichung beschreibt das Kr¨aftegleichgewicht in z-Richtung. Die Gleichgewichtsbedingung enth¨alt folgende Teill¨osungen, die superponiert werden. • Die L¨osung der homogenen Differentialgleichung EIw = 0

wh = ao + a1 x + a2 x2 + a3 x3

−→

• und die Partikularl¨osung, hier f¨ ur konstante Belastung EIw = q

−→

wp =

qx4 . 24EI

Damit ist die Gesamtl¨osung w = wh + wp = ao + a1 x + a2 x2 + a3 x3 +

qx4 . 24EI

Die Anpassung der Konstanten ai der Gesamtl¨osung an die Randbedingungen erfolgt f¨ ur den jeweils vorliegenden Einzelfall. F¨ ur das im Bild gew¨ ahlte System gilt: q(x)

x

j z,w

b

a l

w(0) w(l) M (0) M ( )

= = = =

0 0 −EIw (0) = 0 −EIw ( ) = 0

60

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Damit folgt die an die Randbedingungen angepasste Gesamtl¨ osung w = ( l3 x − 2 lx3 + x4 )

q . 24 EI

Mit der Gesamtl¨osung der Differentialgleichung ist die Biegelinie w bekannt. Im Nachlauf kann man mit den Grundgleichungen auch die anderen Zustandslinien (ϕ, M, Q) nach Differentiation der Biegelinie berechnen. F¨ ur den gelenkig gelagerten Balken mit konstanter Belastung erh¨alt man den Verlauf der Zustandslinien wie im Bild dargestellt. Wenn die Biegelinie w(x) ein Polynom vierter Ordnung ist, ist die Neigung w=j w ϕ(x) dritter Ordnung. Beide Zustandslinien sind hier nur der Vollst¨andigkeit halber angegeben. Prim¨ar interessieren j j=-M EI das Moment und die Querkraft. Wenn w(x) ein Polynom vierter Ordnung ist, folgt ein quadratischer Verlauf der MoM=Q M mentenlinie und ein linearer Verlauf der Querkraftlinie. Am gelenkigen Lager ist Q=-q Q die Momentenlinie null. Der Extrem wert der M–Linie gibt wegen M = Q den Nulldurchgang der Querkraftlinie an. F¨ ur eine anschauliche Kontrolle des Ergebnisses kann man den Zusammenhang zwischen Moment, Verkr¨ ummung und Einwirkung verwenden. Die Berechnung der Lagerkr¨afte ist in der Regel nicht erforderlich, kann aber in einer nachfolgenden Berechnung mit den Zustandslinien M und Q erfolgen. Entsprechend Bild 3-22 k¨onnen die Lagerkr¨afte f¨ ur das vorliegende Beispiel mit den Querkr¨aften ermittelt werden. Qa

Qb B

A A = Qa

B = - Qb

Bild 3-22 Schnitt am Lager Bei mehreren Feldern und bei Rahmentragwerken sind die Grenzen der analytischen Vorgehensweisen schnell erreicht, sodass hier immer die viel effizienteren Verfahren der Baustatik eingesetzt werden.

3.6 Vorgehensweise der Baustatik

61

3.6 Vorgehensweise der Baustatik In der Baustatik berechnet man grunds¨atzlich zuerst die Momentenlinie. Erst danach werden alle anderen Zustandslinien mit Hilfe der Grundgleichungen und danach eventuell die Lagergr¨oßen ermittelt. Hierbei gelten folgende Regeln: 1. Die Momentenordinaten werden nur an ausgezeichneten Stellen des Tragwerks ermittelt. Dies sind vorzugsweise die Grenzen der Integrationsbereiche der Grundgleichungen, also z. B. Lager und Rahmenecken. 2. Der Verlauf der Momentenlinie zwischen den berechneten Einzelordinaten wird mit Hilfe der nachfolgenden Tabellen f¨ ur den Zusammenhang der Zustandslinien ermittelt. 3. Die genaue Momentenlinie zwischen Einzelordinaten wird mit Hilfe der Schlusslinie und der Momentenlinie am Einzelfeld bestimmt, was nachfolgend ebenfalls erl¨autert ist.

3.6.1 Zusammenhang der Zustandslinien F¨ ur vorhandene Lasten q(x) erh¨alt man die analytische L¨ osung der Zustandslinien nach Differentiation der Gesamtl¨osung, siehe Abschnitt 3.4.2 und Abschnitt 3.5. Bei Einzellasten und Einzelmomenten weisen die Zustandslinien Knicke und Spr¨ unge auf, siehe Bild 3-23. M li

P

M re

M Q re

Q li

e

M li Q li

M re Q re

M

M

Qre = Qli − P Mre = Mli

Qre = Qli Mre = Mli + M e

Bild 3-23 Einzellast und Einzelmoment F¨ ur die qualitative Beschreibung der Zustandslinien ist der Zusammenhang der Zustandsgr¨oßen in Tabelle 3.1 angegeben. Hiermit sind der Verlauf der Zustandsgr¨oßen sowie Nulldurchg¨ange, Knicke und Spr¨ unge ohne weitere Berechnung qualitativ angebbar, wenn eine einzige Zustandslinie bekannt ist. In nachfolgender Tabelle ist auch die Zuordnung von Nullstellen, Extremwerten

62

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

und Wendepunkten der Zustandslinien angegeben, sodass man mit gegebener Momentenlinie M die Biegelinie w qualitativ zeichnen und hiermit die Momentenlinie anschaulich kontrollieren kann. Tabelle 3.1 Verlauf der Zustandslinien bei gegebener Last q(x)

Q

M

0 0 konstant linear ... Einzellast Einzelmoment

0 konstant linear Parabel 2. Ordnung ... Sprung unver¨andert

konstant linear Parabel 2. Ordnung Parabel 3. Ordnung ... Knick Sprung

0

max/min 0

w

Wendepunkt

Nachfolgendes Beispiel zeigt, wie die Momentenlinie von der Art der Last abh¨angt. Die Gleichlast q bewirkt eine quadratische Momentenlinie. Im unbelasteten Teil des Balkens ist die Momentenlinie linear. An der Stelle des rechten Lagers ist ein Knick vorhanden. Der Verlauf der Querkraft ist als Neigung der Momentenlinie ablesbar. Die Kr¨ ummung der Biegelinie entspricht direkt der Momentenlinie. Lager und Momentennullpunkte sind Zwangspunkte der Biegelinie. q

WP

w

M min

Q

P

3.6 Vorgehensweise der Baustatik

63

Beispiel 1 Das Moment und die Querkraft im Pendelstab b − c sind null. Das Moment links neben dem Gelenk b erh¨alt man als Schnittmoment im Kragarm b − d. Weil die Querkraft im Gelenk b und die Normalkraft im Stab b − d null sind, ist die Querkraft Qa−b ebenfalls null und die M–Linie vom Gelenk bis zur Einspannung konstant. Die Querkraft ist die Neigung der M–Linie. Die hier nicht dargestellte Normalkraft Nb−c ist null, und die Normalkraft im Stab a − b konstant, Na−b = −P . P

d b

a

c

P

w

M

+ + M=0

Q

Q=0 N=0

Wichtig f¨ ur das anschauliche Verstehen des Tragverhaltens ist der Zusammenhang von Biegelinie w und Momentenlinie M . Besonders bei modernen Berechnungsprogrammen ist eine schnelle und effiziente Kontrolle m¨ oglich, wenn man die berechnete Biegelinie mit der Anschauung u uft. Wenn M auf der ¨ berpr¨ Zugseite abgetragen wird, ist die Verkr¨ ummung des entsprechenden Balkenabschnitts vorgegeben. Hiermit verschiebt sich der Stab b − d nach oben und der Knoten d nach links. Stab b − c ist nicht gekr¨ ummt. Die aus der Momentenlinie entwickelte Biegelinie entspricht der Anschauung.

Beispiel 2 In c und d ist ein Momentengelenk angeordnet, damit ist die Momentenlinie im Bereich c − d null, da der Stab unbelastet ist. In c−links springt die M–Linie auf M e . Die Neigung der M–Linie bleibt von c nach b null, weil die Querkraft bei einem Momentensprung unver¨andert ist. Von b nach a ist keine Belastung vorhanden, sodass die M–Linie linear auf null in a abnimmt. Die Querkraft folgt aus der Neigung der M–Linie.

64

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

Auch hier kann man die Momentenlinie mit der Biegelinie anschaulich kontrollieren. Stab c−d ist nicht gekr¨ ummt, Stab a−c ist einsinnig mit untenliegender Zugseite gekr¨ ummt. M a

e

c

b

d

w

M

+ Mb

Q

+

Me

M=0 Qc= 0

Beispiel 3 In c ist das Moment null. Rechts und links von c springt die M–Linie auf M e . Im Bereich c−d verl¨auft die M–Linie linear bis auf null in d. Von c nach b bleibt die Neigung der M–Linie unver¨andert, sodass Mb direkt ermittelt werden kann. Von b nach a nimmt die M–Linie linear auf null ab. Die Querkraft folgt aus der Neigung der M–Linie. Die Biegelinie weist in c einen Knickwinkel auf, wobei die Biegelinien links und rechts vom Knick gleich gekr¨ ummt sind. M a

b

e

c

d

w

M

Q

+

+

Mb

Me

M=0 Qc = – Me / lcd

3.6 Vorgehensweise der Baustatik

65

Beispiel 4 In c ist das Moment null. Rechts von c springt das Moment um −M e . Im Bereich c − d nimmt die M–Linie linear auf null in d ab. Da das Einzelmoment in c die Neigung der M–Linie unver¨andert l¨asst, steigt das Moment von null in c linear und parallel zum Verlauf in c − d auf Mb an. Schnitt in b und a sowie Σ M = 0 um b gibt die Querkraft rechts von a und damit die Neigung der M– Linie von a bis zur Einzellast. Damit ist auch die M–Linie von der Einzellast nach b bekannt. Die Querkraft ist die Neigung der M–Linie. e

P

M

a

b

c

d

WP

w

M

-

+

-

Q

-

+

+

3.6.2 Schlusslinien Das in Abschnitt 3.1 erl¨auterte Schnittprinzip wird zur Berechnung der Schnittgr¨oßen eingesetzt, ohne die Grundgleichungen explizit zu l¨ osen. Aufgrund des Superpositionsprinzips kann man am gelenkig gelagerten Balken die Momentenlinien aus Stabendmomenten Mli , Mre sowie aus Last P jeweils getrennt berechnen und danach addieren. Hierbei wird vorausgesetzt, dass die Momentenlinien am gelenkig gelagerten Einfeldbalken unter beliebiger Einwirkung bekannt sind. P Mli

M

Mre Mli

Mre

P · l/4

Bei komplexen Tragwerken kann man entsprechend verfahren. Wenn an beliebigen Stellen eines Tragwerks Schnitte gelegt werden k¨ onnen, so kann man durch

66

3 Grundlagen der Berechnungsverfahren

geschickte Wahl der Schnitte die Schnittgr¨oßen an besonders ausgezeichneten Stellen im Tragwerk direkt berechnen. F¨ ur alle freigeschnitten Teilsysteme gilt ΣH = 0,

ΣV = 0,

ΣM = 0.

Sind die Momentenordinaten an ausgezeichneten Schnitten bekannt, so kann man den Verlauf der Momentenlinie und der Querkraftlinie zwischen benachbarten Schnitten mit Hilfe einfacher Regeln analog zum links und rechts gelenkig gelagerten Balken bestimmen. Sind in einem beliebigen Stababschnitt eines Stabtragwerks die Momentenordinaten am linken und am rechten Rand mit Hilfe des Schnittprinzips berechnet, so wird die geradlinige Verbindung zwischen den Ordinaten der Stabendmomente als Schlusslinie bezeichnet.

Beispiel 1 Wenn der Stababschnitt unbelastet ist, muss die Momentenlinie wegen

Q li

M li

M (x) = Mli + Qli · x linear zwischen den Randwerten verlaufen. Wegen ΔM Q = M  = (Mre − Mli )/l = l

M re

Q re

x l

M

+

Q

+

wird die Querkraft mit den Randwerten der Momentenlinie berechnet.

Beispiel 2 Steht eine Einzellast in Feldmitte, muss die lineare Momentenlinie des unbelasteten Stababschnitts um den Anteil aus Einzellast erg¨anzt werden. Dies erfolgt so, dass die Momentenlinie aus Einzellast am gelenkig gelagerten Einfeldbalken auf die Schlusslinie addiert wird. Die Querkr¨afte erh¨alt man mit Q = M  oder aus Addition der Querkraftlinie infolge Einzellast und der Querkraftlinie des unbelasteten Stababschnitts.

P

x l Pl 4

M

Schlusslinie

M li

M re

Q Q li

P

Q re

3.6 Vorgehensweise der Baustatik

67

Beispiel 3 Im Stababschnitt sind die Momentenordinaten am linken und rechten Rand gegeben. Bei konstanter Belastung x muss die Momentenlinie wegen l ql 2 M (x) = Mli + Qli · x − q · x2 /2 Schlusslinie 8 zwischen den Randwerten quadratisch M verlaufen. Wegen + M li M re Q(x) = M  = Qli − q · x ist die Querkraftlinie linear. V¨ollig anaQ + Q re log ist vorzugehen, wenn die Belastung Q li beliebig verteilt ist oder Einzelkr¨afte oder Einzelmomente vorhanden sind. Damit ist es grunds¨atzlich von Vorteil, bei beliebigen Tragwerken nur die Ordinaten in ausgezeichneten Schnitten zu berechnen und die Zustandslinien M (x) und Q(x) des gelenkig gelagerten Balkens zwischen den Schnitten einzuh¨angen.

Beispiel 4 Die Berechnung der Momentenlinie des Durchlauftr¨ agers erfolgt in zwei Schritten. Zuerst wird die Schlusslinie feldweise bestimmt. Momentengleichgewicht am Abschnitt c − d um die Stelle c gibt das St¨ utzmoment an der Stelle c. Nach Freischneiden der Lager des Balkens folgt aus dem Momentengleichgewicht um die Stelle c die Querkraft am linken Rand a. Mit Q = M  in Abschnitt a − b folgt das Schnittmoment in b. Damit ist die Schlusslinie gegeben. Die Momentenparabel im Abschnitt b − c wird nur noch eingeh¨angt. P

q

x,u a

c

b

z,w

d

WP

w

M

-

+ max

Q

+

+

STATISCH BESTIMMTE SYSTEME

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

In diesem Abschnitt werden die Vorgehensweisen zur Berechnung von Zustandslinien von statisch bestimmten Tragwerken erl¨autert und an ausgew¨ ahlten Beispielen gezeigt. Das Vorgehen der Baustatik ist f¨ ur Durchlauftr¨ ager bereits in Abschnitt 3.3 gezeigt. Im folgenden Abschnitt stehen die M,Q,N -Verl¨ aufe in ebenen Fachwerken sowie Rahmen– und Bogentragwerken im Vordergrund.

4.1 Fachwerke Beim Entwurf von Fachwerken und der Berechnung der Stabkr¨ afte erleichtern einige Grundregeln die Analyse des Tragverhaltens. Fachwerkknoten sind Schnittpunkte der idealen Stabachsen. Die St¨abe sind gerade und gewichtslos, Lasten greifen nur in Fachwerkknoten an. Fachwerkst¨ abe sind im Berechnungsmodell grunds¨atzlich gelenkig miteinander verbunden. Die in der Wirklichkeit vorhandenen Einspannwirkungen sind vernachl¨assigbar, da sie f¨ ur das Tragverhalten unwesentlich sind. Zeigt bei einem Stab-Dreieck eine Knotenlast in Richtung der Winkelhalbierenden zweier St¨abe, sind die Stabkr¨afte gleich groß. Zeigt bei einem Stab-Dreieck eine Knotenlast senkrecht zur Winkelhalbierenden zweier St¨abe, sind die Stabkr¨afte entgegengesetzt gleich groß (Druck bzw. Zug). Stehen zwei St¨abe senkrecht aufeinander, so u ¨ bertragen sie keine Kraftwirkungen untereinander. Liegen an einem Knoten zwei St¨ abe auf einer Geraden und ist ein dritter in einem beliebigen Winkel dazu angeordnet, so ist die dritte Stabkraft null. P P D

Z

P Z 0

D

0

0

≠0

≠0

Die Berechnung der Stabkr¨afte von statisch bestimmten Fachwerken erfolgt mit dem Schnittprinzip. Wenn die Verschiebungen der Fachwerkknoten von Interesse sind, m¨ ussen die St¨abe als dehnsteif angesetzt werden. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_4

72

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

4.1.1 Anwendung des Schnittprinzips Bei der Berechnung der Stabkr¨afte mit Hilfe des Schnittprinzips herrscht an jedem freigeschnittenen System Gleichgewicht (Ritter-Schnitt). Die Berechnung statisch bestimmter Fachwerke erfolgt dann in folgender Reihenfolge. 1. Zuerst sind die Lagerkr¨afte des Gesamtsystems zu berechnen. 2. Danach ist das Schnittprinzip sukzessive so anzuwenden, dass in jedem Schnitt maximal drei Stabkr¨afte unbekannt sind. Die Stabkr¨ afte kann man dann mit den drei Gleichgewichtsbedingungen berechnen. 3. Die Gleichgewichtsbedingungen sind am freigeschnittenen Teilsystem so anzusetzen, dass je Gleichung nur eine unbekannte Stabkraft vorhanden ist, und die Gleichgewichtsbedingungen damit entkoppelt sind. Hierbei kann auch ΣM = 0 f¨ ur verschiedene Drehpunkte angesetzt werden. P

1

5

3

8

6

4

2

7

a

9 b

S42

ΣM3 = 0 → S42 ΣM4 = 0 → S35 ΣV = 0 → S34

S

34

P

Ha S35 Va

Vb

4.1.2 Vergleich dreier Fachwerkbr¨ ucken Auf den nachfolgenden Seiten werden drei Br¨ ucken mit unterschiedlichem Fachwerk aber sonst gleichen Bedingungen verglichen. Die Lagerkr¨ afte sind in allen F¨allen: → HA = 0 ΣH = 0 = HA ΣM1 = 0 = VB 4 − P ( + 2 + 3 ) → VB = 1,5P ΣV = 0 = VA + VB − 3P → VA = 1,5P Mit bekannten Lagerkr¨aften kann man jetzt sukzessive alle Stabkr¨ afte nacheinander mit jeweils einer Gleichung berechnen.

4.1 Fachwerke

73

Schr¨ age Druck– und Zugstreben Das nachfolgende Fachwerk besitzt 15 St¨abe und ist insgesamt viel weniger aufw¨andig hergestellt als das zweite und das dritte Fachwerk. Besonders vorteilhaft ist, dass alle Knotenverbindungen gleichartig sind und die Stabl¨ angen auf maximal zwei Varianten beschr¨ankt sind. Außerdem ist das optische Erscheinungsbild ausgewogener. Es gilt c2 = h2 + 2 /4, sin α = h/c, cos α = /2c. 2

8

6

4

15 Stäbe

c

h

1 Ha

a

Va

P l

geschnittene St¨abe

7

5

3

a

P l

9 b

P l

l

Vb

Gleichgewicht

Stabkraft

P/h

S12 − S13

ΣV

S12

−1,5 a

S12 − S13

ΣH

S13

+0,75

S13 − S23 − S24

ΣV

S23

+1,5 a

S13 − S23 − S24

ΣH

S24

−1,5

S24 − S34 − S35

ΣV

S34

−0,5 a

S24 − S34 − S35

ΣH

S35

+1,75

S35 − S45 − S46

ΣV

S45

+0,5 a

S35 − S45 − S46

ΣH

S46

−2

S46 − S56 − S57

ΣV

S56

+0,5 a

S46 − S56 − S57

ΣH

S57

+1,75

S57 − S67 − S68

ΣV

S67

−0,5 a

S57 − S67 − S68

ΣH

S68

−1,5

S68 − S78 − S79

ΣV

S78

+1,5 a

S68 − S78 − S79

ΣH

S79

+0,75

S79 − S89

ΣV

S89

−1,5 a

74

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

Schr¨ age Druckstreben und vertikale Zugst¨ abe Das zweite Fachwerk besitzt 13 St¨abe, ist jedoch schwieriger herzustellen, da die Knotenverbindungen sehr vielf¨altig sind. Nachteilig ist auch, dass die Stabkr¨afte teilweise gr¨oßer und die Druckstreben l¨anger sind als im ersten Fall. Damit erfordert der Knicksicherheitsnachweis gr¨ oßere Querschnitte. Vorteilhaft ist nur, dass hier der mittlere obere Druckstab des ersten Beispiels nicht vorhanden ist. Aus der Geometrie des Fachwerks folgen die Stabl¨ angen und Winkel c2 = h2 + 2 , sin β = h/c, cos β = /c. 6

4

2

13 Stäbe

c

h

b

1 Ha Va

5

3

a

P l

geschnittene St¨abe

8

7 P

l

b

P l

l

Vb

Gleichgewicht

Stabkraft

P/h

S12 − S13

ΣV

S12

−1,5 b

S12 − S13

ΣH

S13

+1,5

S13 − S23 − S24

ΣV

S23

+1,5 h

S13 − S23 − S24

ΣH

S24

−1,5

S24 − S34 − S35

ΣV

S34

−0,5 b

S24 − S34 − S35

ΣH

S35

+2

S35 − S45 − S57

ΣV

S45

1,0 h

S35 − S45 − S57

ΣH

S57

+2

S78 − S68

ΣV

S68

−1,5 b

S78 − S68

ΣH

S78

+1,5

S46 − S67 − S78

ΣV

S67

+1,5 h

S46 − S67 − S78

ΣH

S46

−1,5

S46 − S47 − S57

ΣV

S47

−0,5 b

4.1 Fachwerke

75

Schr¨ age Zugstreben und vertikale Druckst¨ abe Das Tragverhalten des dritten Fachwerks entspricht der Umkehrung des zweiten Fachwerks, wenn Druckst¨abe und Zugst¨abe verglichen werden. Nachteilig ist, dass die Druckkr¨afte teilweise gr¨oßer sind. Vorteilhaft ist, dass die Druckst¨ abe k¨ urzer sind als im zweiten Fall, was sich g¨ unstig auf den Knicksicherheitsnachweis auswirkt. Von Nachteil sind auch die drei Nullst¨ abe S13 , S79 und S56 , urzt. Aus der Geomewobei der Stab S56 die Knickl¨ange des Obergurtes verk¨ trie folgen die Stabl¨angen und Winkel c2 = h2 + 2 , sin γ = h/c, cos γ = /c. 4

2

10

8

6

17 Stäbe h

c

1

P

Va l

geschnittene St¨abe

g

5

3 a

Ha

7

P l

9 b

P l

Vb l

Gleichgewicht

Stabkraft

P/h

S12 − S13

ΣV

S12

−1,5 h

S13 − S23 − S24

ΣV

S23

+1,5 b

S13 − S23 − S24

ΣH

S24

−1,5

S24 − S34 − S35

ΣV

S34

−0,5 h

S24 − S34 − S35

ΣH

S35

+1,5

S35 − S45 − S46

ΣV

S45

+0,5 b

S35 − S45 − S46

ΣH

S46

−2

S46 − S56 − S68

ΣH

S68

−2

S58 − S57 − S68

ΣV

S58

+0,5 b

S58 − S57 − S68

ΣH

S57

+1,5

S57 − S78 − S810

ΣV

S78

−0,5 h

S57 − S78 − S810

ΣH

S810

−1,5

S810 − S710 − S79

ΣV

S710

+1,5 b

S910 − S79

ΣV

S910

−1,5 h

76

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

4.1.3 Analogie zwischen Fachwerk und Ersatzbalken Wenn Fachwerke in ihrem Gesamttragverhalten wie Biegest¨ abe wirken, kann man die Stabkr¨afte mit Hilfe von Ersatzbalkensystemen interpretieren und berechnen.

Fachwerk

Ersatzrahmen

Gegeben sei das nachfolgend im Bild dargestellte Fachwerk – z. B. eine Eisenbahnbr¨ ucke – mit den Knoten 1–12. Das Fachwerk mit der untenliegenden Fahrbahn ist in den Knoten 3, 5, 7, 9 und 11 belastet. Idealisiert man die gesamte Br¨ ucke als Ersatzbalken ohne genaue Aufgliederung in die einzelnen Fachwerkst¨abe, so kann man die Schnittgr¨oßen M und Q am Ersatzbalken ermitteln. Die Achse des Ersatzbalkens ist hier im Untergurt angeordnet. 2

4

6

8

10

7

9

11

Fachwerk 1

3

5

a

12

b 6Dl P

P

P

P

P

Ersatzbalken Q

M

Die beim Freischneiden anzusetzenden Schnittgr¨ oßen M und Q des Ersatzbalkens m¨ ussen den beim Schnitt des Fachwerks vorhandenen Stabkr¨ aften Sij ¨ statisch ¨aquivalent sein, sodass die Stabkr¨afte aus Aquivalenzbedingungen berechnet werden k¨onnen. F¨ ur das gew¨ahlte Beispiel k¨ onnen z. B. die Stabkr¨ afte S56 , S46 und S57 aus nachfolgenden drei Bedingungen ermittelt werden.

4.1 Fachwerke

77

Die Summe der vertikal wirkenden Anteile der Stabkr¨ afte entspricht der Querkraft, die Summe der horizontal wirkenden Anteile der Stabkr¨ afte entspricht der Normalkraft und die Gurtkr¨afte entsprechen den Druck– und Zugkr¨ aften ¨ aus Biegetragwirkung. Die Aquivalenzbedingungen sind ΣV : S56 sin α = −Qi , ΣH : S46 + S57 + S56 cos α = Ni , ΣM : S46 · h + S56 · sin αΔx = −Mi (x).

2

Wendet man die Vorgehensweise auf alle Schnitte an, so entsprechen die st¨ uckweise konstante Querkraft“– und die ” st¨ uckweise lineare Momenten“-Linie ” des Fachwerks den Zustandslinien des Ersatzbalkens.

S46 S56

4

1 a

3

a

P

5 P

P

P

S57

M

Q N

Dl

Dl

Dx

Ist der Untergurt der Fachwerkbr¨ ucke aus Eigengewicht und Verkehr gleichm¨ aßig belastet, so kann man als Ersatzbalken einen gleichm¨ aßig belasteten Balken w¨ahlen. Hierbei ver¨andern sich die Querkraft– und die Momenten-Linie gegen¨ uber dem ersten Fall. q = P / Dl

Ersatzbalken

Q DQ Versatz

M

Weil die Gleichlasten beim Fachwerk direkt zu Knotenlasten integriert werden, muss die Differenz ΔQ infolge feldweise konstanter Querkraft bei Belastung in den Fachwerkknoten und der linearen Querkraftlinie des Ersatzbalkens beachtet werden. Damit ist bei linearer Querkraftlinie f¨ ur die Berechnung der Stabkr¨ afte des Fachwerks in jedem Schnitt ein Versatzmaß von 0,5 Δl vorzusehen, das den stabweisen Lastabtrag auf die Knoten des Fachwerks ber¨ ucksichtigt.

78

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

4.2 Rahmentragwerke Ebene Rahmentragwerke sind aus St¨aben zusammengesetzt, die gleichzeitig das Tragverhalten von Dehnst¨aben (Membrantragwirkung) und Biegest¨ aben (Biegetragwirkung) aufweisen. F¨ ur den Einzelstab zwischen den Rahmenknoten gelten die in Abschnitt 3.4 angegebenen Grundgleichungen. Die Einzelst¨ abe r¨aumlicher Rahmen tragen zus¨atzlich auf zweiachsige Biegung und Torsion. Im Vergleich zur Biegesteifigkeit sind die Dehnsteifigkeiten der St¨ abe sehr groß, sodass die Verformungen aus Dehnung oder Stauchung der St¨ abe in der hier vereinfachenden Berechnung vernachl¨assigt werden k¨ onnen. Die St¨ abe sind daher als dehnstarr angesetzt. Lasten in Richtung der Stabachsen werden in den Stabenden angesetzt.

Bild 4-1 Rahmentragwerke Analog zu Balkentragwerken wird auch bei Rahmentragwerken zuerst die Momentenlinie ermittelt. Hierbei bietet es sich an, zun¨ achst die Stabendordinaten der Momentenlinie mit Hilfe des Schnittprinzips zu berechnen und zwischen den Stabenden die Schlusslinie mit den Momentenlinien des gelenkig gelagerten Balkens einzuh¨ angen. Die Querkr¨afte werden weiterhin aus der Neigung der Momentenlinie bestimmt und die Normalkr¨ afte in einem dritten Schritt mit Knotengleichgewichten berechnet.

Kr¨ aftegleichgewicht an Rahmenknoten An jedem Rahmenknoten gilt ΣH = 0 und ΣV = 0. Bei nicht rechtwinklig angeordneten St¨aben k¨onnen die Schnittkr¨afte mit einer Transformationsvorschrift in eine andere Richtung transformiert werden. Es gilt

a

N = +H cos α + V sin α Q = −H sin α + V cos α

Q

oder invertiert

H = +N cos α − Q sin α V = +N sin α + Q cos α

x

N

z

H V

4.2 Rahmentragwerke

79

Momentengleichgewicht an Rahmenknoten An jedem Rahmenknoten muss ΣM = 0, ΣH = 0 und ΣV = 0 erf¨ ullt sein. Da sich die Momente und die Kr¨afte wegen der Schnittufer-Definition nicht vorzeichengerecht addieren lassen, m¨ ussen Momente und Kr¨ afte entsprechend ihrer Wirkungsrichtung angesetzt werden. Mo

Nl Ql Ml

Qo No

Rahmenmittelknoten

Mu Qu

Rahmenecke Mu Qu Nu

Nu

Mr Qr Nr

4.2.1 Anschauliches Finden der Zustandslinien Der Zusammenhang der Zustandslinien von Balkentragwerken ist aus Abschnitt 3.6.1 bekannt. Bei Rahmentragwerken gelten f¨ ur den Biegeanteil die gleichen Zusammenh¨ange, hinzu kommen die Normalkr¨afte. Die anschauliche Kontrolle der Zustandslinien gelingt daher analog zu Balkentragwerken mit der Verformungsfigur des Rahmentragwerks. Setzt man dehnstarre St¨abe und kleine Verschiebungen voraus, kann man die Verformungen eines Rahmens mit Hilfe des Sehnenpolygons anschaulich entwickeln. Hierbei gibt man die Verschiebung eines Rahmenknotens entsprechend der Einwirkungen vor und zeichnet die daraus folgenden Verschiebungen der anderen Rahmenknoten. Die geradlinige Verbindung der Rahmenknoten bezeichnet man als Sehnenpolygon. In einem zweiten Schritt erg¨anzt man den Sehnenpolygon um die aus dem Sehnenpolygon folgenden Knotenverdrehungen und Stabverkr¨ ummungen sowie um die aus den Einwirkungen folgenden Verkr¨ ummungen. Mit den Verkr¨ ummungen der Einzelst¨abe kann man die Biegelinie und die Momentenlinie vereinfachend skizzieren. P q

Sehnenpolygon

80

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

Beispiel F¨ ur das folgende System lassen sich die Biegelinie und die Zustandslinien f¨ ur M,Q,N ohne direkte Berechnung der Ordinaten qualitativ entwickeln. 1. Anschauliche Bestimmung des Sehnenpolygons und der Biegelinie. Wenn die St¨abe dehnstarr sind, verschiebt sich Knoten b infolge Last horizontal und der Knoten d senkrecht zum Stab e–d nach oben. Damit ist der Sehnenpolygon bekannt. Die Biegung der Einzelst¨abe folgt jetzt aus der Streckenlast und der Kontinuit¨at der Verformungen in den Rahmenecken, wenn dort die Winkel bei der Verformung erhalten bleiben. Mit der Biegelinie liegt auch das Vorzeichen der Verkr¨ ummung fest. Sehnenpolygon

c

b

-

+

d w

-

M

e

a

2. Mit dem Verkr¨ ummungsverlauf und den Wendepunkten der Biegelinie ist der Verlauf der Schlusslinie qualitativ bekannt. Mit der Schlusslinie und der Belastung der Einzelst¨abe kann man die Momentenlinie vervollst¨ andigen.  3. Aus der Momentenlinie folgt die Querkraftlinie mit Q = M . 4. Aus der Querkraftlinie folgen die Normalkr¨afte mit Kr¨ aftegleichgewicht am Knoten.

-

-

+ Q

+

N

+ Die qualitative Bestimmung der Zustandsgr¨oßen mit Hilfe der Biegelinie ist weniger f¨ ur die Vorabanalyse des Tragverhaltens oder die Bemessung geeignet als vielmehr f¨ ur eine Kontrolle der Ergebnisse eines modernen Berechnungsprogramms.

4.2 Rahmentragwerke

81

4.2.2 Direkte Berechnung von Zustandslinien Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit Hilfe des Schnittprinzips. Hierbei werden in einem ersten Schritt die wesentlichen Schnittgr¨ oßen – dies sind M und Q – in ausgezeichneten Schnitten ermittelt, sodass die Momentenlinie bestimmt werden kann. Bei der L¨osung sollten m¨ oglichst wenig Schnitte und Schnittgr¨oßen verarbeitet werden, damit die Fehlerm¨ oglichkeiten gering bleiben. Abschließend werden die Zustandslinien analog zu Abschnitt 3.6 berechnet.

Beispiel 1 Im gesamten System a–b–c sind nur Vertikalkr¨afte vorhanden, da aus ΣH = 0 sofort Qb−c = 0 folgt. Da zus¨atzlich das Lagermoment Mc null ist, ist die Momentenlinie im gesamten Stab b − c null. Damit bleibt der Stab bei der Verformung gerade. Der Stab a − b tr¨agt die Einzellast wie ein gelenkig gelagerter Einfeldbalken. P a

b

h

w c l

-P/2 -

+

+ Pl/4

M

P/2

Q

Beispiel 2 Pendelst¨abe, die nicht direkt belastet werden, nehmen nur Normalkr¨ afte auf. Stab c − d wirkt daher wie ein horizontal verschiebliches Lager. Das Moment an der Stelle b kann damit wie bei einem Kragarm berechnet werden. Mit dem Eckmoment Mb = P · h und den Momentengelenken in a und c ist bereits die gesamte Momentenlinie gegeben.

82

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme a

b

h

w P

c h/2

d l

-Ph/l

Ph

P +

Q

M

Beispiel 3 Die Momentenlinie im Stab a − b ist mit dem Einzelmoment M e in b und dem Gelenk in a gegeben. Summe der Momente um das Lager a gibt die vertikale Lagerkraft in d, die gleich der negativen Querkraft in Stab b − c ist. Mit der Querkraft Qb−c = −M e /2 folgt das Moment in c und damit die Momentenlinie in Stab b − c und in Stab c − d. M

e

c

b

h

w a

d l

l e

-M /2l -

e

M /2 M

e

e

-M / h² + l ² -

M

+

Q e

M /2h

Die Biegelinie l¨asst sich mit Hilfe der Rahmenecke b − c − d konstruieren. Wenn auf der Außenseite der Rahmenecke die Zugseite liegt, muss Punkt b nach innen verschoben werden.

4.2 Rahmentragwerke

83

4.2.3 Berechnung von Zustandslinien mit dem Aufbauprinzip Das Aufbauprinzip wird bisher zur Bestimmung des Grades der statischen Unbestimmtheit verwendet. Hierbei entwickelt man das Tragwerk vom Fundament her kommend sukzessive bis zum obersten Bauteil. Besonders vorteilhaft l¨ asst sich das Aufbauprinzip jedoch f¨ ur die effiziente Berechnung der Zustandslinien komplexer Systeme einsetzen. Grundidee ist hierbei, das Tragwerk sukzessive von der Last her kommend so in Teilsysteme aufzuschneiden, dass die Schnittgr¨ oßen zwischen den einzelnen Bauteilen von oben“ nach unten“ schnell und m¨ oglichst einfach berechnet ” ” werden k¨onnen. Mit den Schnittgr¨oßen k¨onnen danach die fehlenden Momentenordinaten z. B. in Rahmenecken ermittelt werden. Das Aufbauprinzip ist vor allem bei geschlossenen Rahmen oft die einzige M¨ oglichkeit, die Momentenlinie effizient zu berechnen.

Beispiel 1 Nachfolgendes System wird zun¨achst entsprechend dem Aufbauprinzip so geschnitten, dass der Balken c − d in einem ersten Schritt berechnet werden kann und die Schnittgr¨oßen in c und d nachfolgend als Last“ auf die unten liegenden ” Bauteile wirken. q

q

d

c

b

Qc , Nc

q

h

Qd , Nd

d

b

e

a

0,5 l

l

M

N

Q

Q

N

1. Die Momentenlinie am Stab c − d ist eine quadratische Parabel. Die Querkr¨ afte Qc = +q /2 und Qd = −q /2 folgen aus dem Momentengleichgewicht um c bzw. d am freigeschnittenen Balken c − d. 2. Die Momentenordinate in b kann jetzt am Kragarm b−c des unteren Systems berechnet werden. Hiermit folgt Mb = −Qc · /2 − q ( 2 /4)/2 = −3q 2 /8. Die Querkraft in b ist mit der Summe der Vertikalkr¨afte am Stab b − c gegeben: Qb−c = Qc + q /2.

84

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

3. Die Momentenlinie und damit auch die Querkraftlinie sind im Pendelstab d − e null. Kr¨aftegleichgewicht am Horizontalschnitt durch die St¨ abe a − b und d − e liefert Qa−b = 0 und damit Ma−b = konst. Damit sind die Momentenlinie und die Querkraftlinie im gesamten System bestimmt. 3ql 8

2

2

-

q(1,5l) 8

1 ql 2

+ -

M

ql 8

ql

2

-

1 ql 2

+

Q

4. Die Normalkr¨afte N sind stabweise konstant und erf¨ ullen das Kr¨ aftegleichgewicht in den Knoten b und d. Hiermit folgen Nb−a = −Qb−c , Nb−c = Qb−a , Nd−e = Qd−c und Nd−c = −Qd−e . Qd-c

Qb-c -

ql

-

N

1 ql 2

Nb-c Qb-a Nb-a

Nd-c Qd-e Nd-e

Falls ben¨otigt k¨onnen die Lagerkr¨afte und Einspannmomente direkt aus den Zustandslinien abgelesen werden. Die Verformungen des Rahmens k¨onnen abschließend mit Hilfe der Momentenlinie skizziert werden, um eine anschauw liche Kontrolle der Berechnung zu erm¨oglichen. Ausgehend von Lager a verbiegt sich die St¨ utze a − b nach rechts, sodass die Zugseite des Stabes links liegt. Damit verschiebt sich der Riegel nach rechts. Alle horizontalen Verschiebungen des Riegels sind bei Dehnstarrheit gleich, die vertikalen Verschiebungen und die Verkr¨ ummungen folgen der Momentenlinie. Im Gelenk c ist wegen M = 0 ein Wendepunkt vorhanden. Die rechte St¨ utze verdreht sich nach rechts, bleibt aber wegen M = 0 gerade.

4.2 Rahmentragwerke

85

Beispiel 2 Liegt ein geschlossener Rahmen vor, so kann man die Momentenlinie nur mit Hilfe des Aufbauprinzips bestimmen. Das nachfolgende Tragwerk wird daher so geschnitten, dass im ersten Schritt die Schnittkr¨ afte in a und c sowie deren Verlauf im oberen Drei-Gelenk-Rahmen berechnet werden k¨ onnen. Mit den dann bekannten Schnittkr¨aften in a und c wird der untere Teil des Tragwerks im zweiten Schritt berechnet. P

P

b 2h

a

a a

c

h

4·l

Aufschneiden des oberen Systems in den Gelenken a und c liefert mit ΣMc = 0 die Schnittkraft Va = −P und mit ΣV = 0 die Schnittkraft Vc = −P . Ein zweiter Schnitt durch die Gelenke a und b liefert mit ΣMb = 0 die Schnittkraft Ha = −P /2h und damit auch sofort Hc = −P /2h. P

P

P Hb

b

Va

Vb

Ha

Hc

Va

Vc

Ha

Mit den Schnittkr¨aften k¨onnen die Momentenordinaten in den Rahmenecken direkt ermittelt werden, sodass die Schlusslinie und damit auch die Momentenlinie bekannt sind. 0 0

0

M lP/2

0 0

0 -

0

Q

l ·P 2h 0

0 l ·P + 2h

Die Momentenlinie ist im oberen Bereich null, da sie symmetrisch ist und das Gelenk auf der Symmetrieachse liegt. Außerdem entspricht die Tragwerksgeo-

86

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

metrie des oberen Drei-Gelenk-Rahmens der St¨ utzlinie, vergleiche Abschnitt 4.3.3. Die Momente in den Rahmenecken an den Lagern im unteren Bereich werden mit den Schnittkr¨aften Ha und Hc bestimmt. Mit M  = Q ist die Querkraftlinie und mit Knotengleichgewicht auch die Normalkraftlinie bestimmt. -lP/2h -

-P/sin

a N

-P

-

+

Nb = Na · cos a = P / tan a

-

-P/sin

a

a

P

Na

-

lP/2h

Na = P / sin a Q

-P

Das Tragverhalten des oberen Teilsystems weist nur Normalkr¨ afte auf, da die Einzellasten in die Rahmenknoten geleitet werden. Damit werden die St¨ abe a − b und b − c verdreht aber nicht verkr¨ ummt und die Knoten a und c nach außen gedr¨ uckt. Aufgrund der Dehnstarrheit verschieben sich die Rahmenecken vertikal nach unten. Die Biegelinie des unteren Tragwerkteiles ist mit den Lagern und den Verkr¨ ummungen der St¨abe infolge der Momentenlinie gegeben.

w

Beispiel 3 Auch das nachfolgende System kann mit dem Aufbauprinzip effizient analysiert werden. q 6

c c

a

7

4 5

3

1

2

8

9

b

b

a

Analog zum vorhergehenden Beispiel entspricht der obere Teil des Tragwerks

4.2 Rahmentragwerke

87

einem Drei-Gelenkrahmen, sodass dieser Tragwerksteil zuerst berechnet wird. Der Schnitt durch die Gelenke 1 und 2 (im Bild links) gibt zun¨ achst ΣH = 0

Q1 = −Q2 ,

ΣM2 = 0

2 2 N1 = −q a +4ab+3b . 4b

q

q

Q3 Q1

Q2

Q1

N1

N2

N1

N3

Danach erfolgt der Schnitt durch die Gelenke 1 und 3 (im Bild rechts) 2 −b2 Q1 = q a 4c .

ΣM3 = 0

Mit den Querkr¨aften Q1 und Q2 ist die Neigung der Momentenlinie in der linken und rechten St¨ utze bekannt, sodass die Momentenordinaten in den Rahmenecken und damit auch im unteren Riegel berechnet werden k¨ onnen. Der Kragarm im rechten oberen Riegel ist unbelastet, sodass die Momentenlinie null ist. Damit f¨allt die Momentenline von M7 in Punkt 7 nach Punkt 3 linear auf null ab. Da außerdem das Moment M6 = q a2 /2 mit Hilfe des Kragarms direkt berechenbar ist, folgt mit dem Momentengleichgewicht in der linken oberen Rahmenecke das noch fehlende Moment M4 = −q (a2 + b2 )/4. Damit sind die Schlusslinie und die Momentenlinie bestimmt. Im Bereich der Streckenlast ist die Momentenlinie parabolisch, sonst linear. – q · a /2 2

– q · (a2+b2)/4

- – q · (b –a )/4 2

-

2

- – q · (b2–a2)/4

M

+ Die Querkraftlinie ist mit Q1 und Q2 bereits teilweise berechnet. Die noch aftegleichgewicht fehlenden Querkr¨afte k¨onnen mit Q = M  sowie aus dem Kr¨ an den Rahmenecken berechnet werden.

88

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

  Hiermit folgen Q4 = Q6 − N1 , Q3 = M3−7 , Q8−9 = M8−9 = 0.

– q · (b2–a2)/4b

– qa

-

-

+

q · (a2+3b2)/4b

q · (b –a )/4c 2

-

Q

+

2

0

– q · (b2–a2)/4c

Die Normalkraft N1 ist bereits bekannt. Die fehlenden Normalkr¨ afte folgen aus dem Kr¨aftegleichgewicht in den Rahmenecken: N4 = Q1 , N2 = Q3 , N8−9 = Q2 . Q6

M4

Q4

4

N4

N6 = 0

M6 M5

Q3

Q=0

7

N3

N=0

Q1 N1

Q2 N2

– q · (b2–a2)/4c 2 2 - – q · (b –a )/4b

- N1

N

+ q · (b2–a2)/4c

Auch in diesem Fall kann man die Biegelinie von den Lagern ausgehend entwickeln. Der untere Tragwerksteil verkr¨ ummt sich der Momentenlinie entsprechend symmetrisch. Die Punkte 1 und 2 verschieben sich nach außen und bewirken die Verdrehung der dar¨ uber liegenden T –f¨ ormigen Bauteile. Die Verkr¨ ummung der oben angeordneten St¨abe folgt der Momentenlinie. Im Fall b > 2a verschiebt sich der Riegel nach rechts.

w

4.2 Rahmentragwerke

89

4.2.4 Besonderheiten bei symmetrischen Systemen Symmetrische Systeme weisen Besonderheiten auf, die bei einer Handberechnung der Zustandslinien zu Vereinfachungen f¨ uhren k¨ onnen und bei einer Computeranalyse eine Verringerung des Rechenaufwandes bewirken. Außerdem lassen sich hiermit die Ergebnisse zum Teil kontrollieren. Zun¨ achst k¨onnen beliebige Belastungen eines symmetrischen Systems in einen symmetrischen und einen antisymmetrischen Anteil aufgeteilt werden. Beide Lastf¨alle k¨onnen getrennt berechnet und danach superponiert werden. Bei einem gelenkig gelagerten Einfeld-Balken kann man die Last wie folgt aufteilen.

=

b

+

b

a

b

b

a

b

Bei der Berechnung von symmetrischen Systemen k¨ onnen danach die folgenden Zusammenh¨ange zwischen der Belastung und den Zustandsgr¨ oßen ( s: symmetrisch, a: antisymmetrisch) verwendet werden.

q

s

a

Q

a

s

Q = − q

M

s

a

M = Q

j

a

s

M ϕ = − EI

w

s

a

w = ϕ

Die Zusammenh¨ange lassen sich auf geometrisch beliebig komplexe symmetrische Systeme u ¨ bertragen. Wesentlich ist, dass bei symmetrischen und antisymmetrischen Einwirkungen jeweils ein Teil der Zustandsgr¨ oßen auf der Symmetrieachse den Wert null hat. Dies kann man verwenden, um die Ermittlung der Zustandslinien am halben System durchzuf¨ uhren, wenn entsprechende Zwangsbedingungen auf der Symmetrieachse gesetzt sind. Das Vorgehen ist jedoch nur

90

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

f¨ ur sehr große Systeme sinnvoll und wird in der Regel nur bei Computeranalysen verwendet, um hier den Rechenaufwand zu reduzieren. Symmetrie kann man mit einer verschieblichen Einspannung realisieren, Antisymmetrie mit einem gelenkigen Lager.

Symmetriebedingungen ϕ = 0, Q = 0. l 2

l

Antisymmetriebedingungen w = 0, M = 0.

Anwendungsbeispiel f¨ ur Systemsymmetrien Die Last auf dem symmetrischen Rahmen kann in ein symmetrisches und ein antisymmetrisches Lastbild aufgeteilt werden. Die symmetrische Last bewirkt eine symmetrische Momentenlinie und eine antisymmetrische Querkraftlinie. Die antisymmetrische Last bewirkt eine antisymmetrische Momentenlinie und eine symmetrische Querkraftlinie. P

Q=0

P

N=0

symmetrisches System

2P

l

antisymmetrisches System 6 · l/2

Symmetrisches System Im mittleren Riegelstab ist die Querkraft null und wegen des Gelenkes auch die Momentenlinie. Da die Momentenlinie außerdem im Pendelstab null ist, tragen die ¨außeren Riegelst¨abe die Einzellasten als Einfeld-Balken der L¨ ange . Antisymmetrisches System Im gesamten Riegel ist die Normalkraft null und damit auch in den Pendelst¨aben. Der Riegel tr¨agt die Einzellast als Einfeld-Balken der L¨ ange 3 /2.

4.2 Rahmentragwerke

91

P

P

P

P P/2

+ P/2

Pl/4

Pl/4

+

Ms

Qs

P

P

P - 1/3 Pl

+ 1/3 Pl

P

- 1/3 P -

+ 2/3 P

+ 2/3 P

Pl/6 Ma

Qa

Superposition der Zustandslinien Nach Superposition der symmetrischen und der antisymmetrischen Zustandslinien folgt die Momentenlinie und die Querkraftlinie des urspr¨ unglichen Systems. - 5/6 P -

- Pl/6 Pl/6

- Pl/12

- P/3 +

+

P/6

7/6 P

7/12 Pl

Mges

Qges

Die Normalkr¨afte werden am Gesamtsystem mit dem Kr¨ aftegleichgewicht in den Rahmenecken bestimmt. Q = -P/3

Q = -5/6 P

Q = -P/3

N = -0,25 P

N=0

Q = P/6 N=0

N = -0,25 P

Q=0

Q=0

N = -0,56 P 0,25 P -

-

-

0,56 P Nges

0,56 P

N = -0,56 P

92

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

4.3 Bogentragwerke ¨ Bogentragwerke eignen sich hervorragend f¨ ur das Uberspannen großer Spannweiten, da die Verformungen trotz großer Lasten klein sind. Ein besonders anschauliches Beispiel hierf¨ ur ist die Bogenbr¨ ucke nach Bild 4-2.

Bild 4-2 Bogenbr¨ ucke im oberen Rheintal [42] Im unteren Bild ist das statische System gegeben, das aus den tragenden Elementen Balken, St¨ utze, Bogen und Fundament entsprechend den vorhandenen Einwirkungen besteht. Ost

West

Rhein

Trotz der großen Spannweite und der insgesamt hohen Verkehrslasten k¨ onnen die einzelnen Bauteile relativ schlank gestaltet werden, was zu einem sehr ansprechenden Gesamteindruck f¨ uhrt. Die Ursache hierf¨ ur ist das besondere Tragverhalten von Bogentragwerken, das nachfolgend erl¨ autert wird, sowie die großen Steifigkeiten und Festigkeiten von St¨ utzen und Bogen verbunden mit der Gr¨ undung auf dem anstehenden Fels.

4.3 Bogentragwerke

93

4.3.1 Schnittgr¨ oßen in Bogentragwerken Die bisher untersuchten Tragwerke bestehen aus geraden St¨ aben. Hierbei ist das Tragverhalten von Dehnst¨aben und Biegest¨aben am differentiellen Element und damit am Einzelstab entkoppelt. Eine Kopplung im Tragwerk entsteht erst infolge der Gleichgewichtsbedingungen an Rahmenknoten, wenn L¨ angs– und Querkr¨afte im Gleichgewicht sind. Bei gekr¨ ummten Stabtragwerken ist die Kopplung bereits am differentiellen Element vorhanden. Ursache hierf¨ ur ist die Stabkr¨ ummung, die die Tragwirkungen entlang der Stabachse und senkrecht dazu miteinander koppelt, siehe Bild 4-3. Ganz entscheidend f¨ ur das Tragverhalten gekr¨ ummter St¨ abe ist, dass bei Querbelastung ps nicht nur Querkr¨afte und Biegemomente geweckt werden, sondern auch Normalkr¨afte. Diesen Anteil bezeichnet man als Gew¨ olbetragwirkung. Nebeneffekt oder sogar Ziel des Entwurfs von Bogentragwerken ist die Aktivierung der Gew¨olbetragwirkung, da hierbei mit relativ wenig Materialaufwand große Lasten aufgenommen und in die Lager geleitet werden k¨ onnen (die Membransteifigkeit ist gr¨oßer als die Biegesteifigkeit). Aufgrund der schlanken auf Druck beanspruchten Bauteile ist allerdings die Stabilit¨ atsgef¨ ahrdung zu beachten, sodass entsprechende Sicherheitsnachweise erforderlich sind. Das Biegemoment sowie die L¨angs– und Querkr¨afte sind im gekr¨ ummten t–s– Koordinatensystem entsprechend Bild 4-3 definiert, also tangential und senkrecht zur gekr¨ ummten Stabachse. Die Belastung kann man ebenfalls im t–s– Koordinatensystem angeben oder einfacher im globalen Koordinatensystem als horizontal und vertikal wirkende Lasten.

N-dN/2 Q-dQ/2

M-dM/2 P t t Ps

s t0

M+dM/2 N+dN/2 Q+dQ/2

Bild 4-3 Schnittgr¨ oßen am Bogenelement

Die Grundgleichungen f¨ ur Bogentragwerke werden hier nicht angegeben, da sie sehr komplex sind.

4.3.2 Berechnung der Zustandslinien f¨ ur Bogentragwerke Die Berechnung der Zustandslinien von statisch bestimmten Bogentragwerken erfolgt hier anschaulich mit dem Schnittprinzip und nicht u osung der ¨ ber die L¨ Grundgleichungen. Nachfolgend wird der Br¨ uckenbogen nach Bild 4-2 vereinfachend als Drei-Gelenk-Bogen idealisiert, dessen vertikale Lasten Pi aus den dar¨ uber angeordneten St¨ utzen eingeleitet werden.

94

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

Als Lagerkr¨afte werden die Vertikalkr¨afte Va und Vb sowie die in der Verbindungsgeraden a − b liegenden Kr¨afte Fa und Fb gew¨ ahlt. Mit den auf einer Geraden liegenden Kr¨aften Fa und Fb gelingt es, die Wirkung des Horizontalschubes besser zu verdeutlichen, als dies mit den Horizontalkomponenten H = F · cos α m¨oglich ist. a2 a1 Ha = Fa cos a

Fa

P2

P1

c

P3

= Va

Va + Fa sin a

hc

hx

b

a

a

Vb

x

Fa Va

Fb

l c

b

Bild 4-4 Drei-Gelenk-Bogen unter Einzellasten Die Berechnung der vertikalen Lagerkr¨ afte des Drei-Gelenk-Bogens erfolgt mit den Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtsystem a − b. Es gilt allgemein

c ai Pi

1. ΣMa = 0 : Vb = ΣPi · ai / , 2. ΣV = 0 : Va = ΣPi · (1 − ai / ), 3. ΣH = 0 : Fa = Fb . Wendet man das Schnittprinzip auf den linken Bogenabschnitt a − c an, erh¨alt man den Horizontalschub

hc

a

a Fa Va

x ai

Fa · hc cos α = Va · c − ΣPi · (c − ai ),

hx

(1 − c/ ) Fa = ΣPi · ai . hc cos α Erst mit bekanntem Horizontalschub sowie den Vertikalkr¨aften l¨asst sich die Momentenlinie M (x) berechnen.

M(x)

Pi

4. ΣMc = 0 :

a x

Fa Va

4.3 Bogentragwerke

95

Die Momentenlinie wird jetzt in jedem Schnitt der x–Koordinate ermittelt M (x) = Va · x − ΣPi · (x − ai ) − Fa · h(x) cos α. Trennt man die Anteile, die von den Vertikalkr¨aften verursacht werden, von den Anteilen, die der Horizontalschub bewirkt, so gilt M (x) = Mo (x) − Fa · h(x) cos α. Man erkennt, dass die beiden ersten Anteile einer Momentenlinie Mo (x) entsprechen, die an einem horizontal liegenden geraden Balken a–b ohne Gelenk in c ermittelt ist. Der zweite Anteil beschreibt den Einfluss des Horizontalschubes, der die Bogentragwirkung aktiviert. In Bild 4-5 sind beide Anteile getrennt dargestellt. Die Momentenordinaten entsprechen der Momentenlinie ¨ des Einfeldbalkens unter gleicher Last. Erst in der Uberlagerung wird deutlich, dass sich beide Anteile bis auf relativ kleine Momentenordinaten kompensieren, siehe Bild 4-6. Dies verdeutlicht das besondere Tragverhalten von Bogentragwerken im Vergleich zu geraden Balken. c hx

Pi b

a c

x

M0

Fa

MF

+

Fb

Fa. h x cos a

Bild 4-5 Teilmomentenlinien aus Vertikalkr¨aften und Horizontalschub Die Gesamtmomentenlinie des Bogens ist wegen h(x) von der Form des Bogens abh¨angig. Wenn die Form der Momentenlinie des Balkens entspricht, ist die Momentenlinie M (x) null, siehe Abschnittt 4.3.3. M

Bild 4-6 Momentenlinie am Bogen infolge der Einzelkr¨afte Pi Aus den Momentenlinien M0 und MF kann man mit M  = Q jeweils die Querkraft berechnen und zur Querkraftlinie superponieren. Wenn M klein ist, gilt dies ebenfalls f¨ ur Q. Die Normalkraft N kann danach mit dem Knotengleichgewicht bestimmt werden.

96

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

4.3.3 St¨ utzlinien Die Momentenlinie Mo des Einfeld-Balkens im letzten Beispiel wird um die Anteile aus Horizontalschub vermindert. Ist der Anteil aus Horizontalschub H gerade so groß wie die Momentenlinie am Ersatzbalken, so ist die Gesamtmomentenlinie M (x) identisch null. Dieser Fall tritt genau dann ein, wenn der Hebelarm die Bedingung h(x) cos α = Mo (x)/Fa erf¨ ullt. Diese spezielle geometrische Form des Tragwerks bezeichnet man als St¨ utzlinie. Die Form der St¨ utzlinie erh¨alt man daher aus der Momentlinie des Einfeld-Balkens. Einige Beispiele f¨ ur St¨ utzlinien sind im Bild dargestellt, links ist jeweils die St¨ utzlinie angegeben, rechts der Ersatzbalken mit der Last. P P

P

M

1,5 P

P

1,5 P

M q q

M

St¨ utzlinien sind besonders g¨ unstige Tragwerksformen, da sie die Lasten bei verschwindender Biegung allein u ¨ ber Druckkr¨afte tragen. Wenn die Biegung gering ist, sind auch die bei Werkstoffen mit geringer Zugfestigkeit auftretenden Risse vermeidbar, z. B. bei Naturstein, Mauerwerk oder Beton. Mit der St¨ utzlinie sind große St¨ utzweiten bei relativ kleinen Querschnitten realisierbar, sodass sie f¨ ur viele schlanke Bauwerke formgebend ist, so z. B. f¨ ur Kirchend¨ acher und Bogenbr¨ ucken. Zu beachten ist allerdings, dass die Druckkr¨ afte von der Neigung der St¨abe abh¨angen und mit sinkender Neigung u ¨berproportional anwachsen.

4.3 Bogentragwerke

97

Das Prinzip der St¨ utzlinien kann man auf Fl¨achentragwerke erweitern, wenn man den Lastabtrag auf Druck in verschiedene Richtungen zul¨ asst. So k¨ onnen z. B. moderne Dachtragwerke als Kuppel– oder Schalentragwerk in St¨ utzfl¨ achenform (Gew¨olbe) hergestellt werden, siehe hierzu die zusammenfassende Darstellung von Heinle und Schlaich [14].

Bild 4-7 Bogenstaumauer Bild 4-7 zeigt eine Bogenstaumauer, bei der aufgrund des Wasserdrucks eine perfekte Kreisform die St¨ utzfl¨ache horizontal beschreibt. In Bild 4-8 ist eine Vierpunkt–gelagerte Freiformfl¨ache als Dachtragwerk dargestellt. Die Form entspricht der St¨ utzfl¨ache aus Eigengewicht, die man z. B. mit Hilfe einer Vierpunkt–gelagerten Zugmembran erh¨alt. Aufgrund der geringen Biegesteifigkeit sind die freien R¨ander aus der Schalenfl¨ache herausgebogen.

Bild 4-8 Dachtragwerk in St¨ utzfl¨achenform – Naturtheater in Gr¨ otzingen [14]

98

4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme

4.4 Seiltragwerke Seiltragwerke zeichnen sich im Vergleich zu Bogentragwerken durch eine noch gr¨oßere Tragf¨ahigkeit aus, da sie ausschließlich auf Zug beansprucht werden und die Stabilit¨atsgef¨ahrdung entf¨allt. Hiermit sind noch gr¨ oßere Spannweiten bei geringerem Materialeinsatz m¨oglich.

Bild 4-9 Golden Gate Bridge [26], Max-Eyth-See Br¨ ucke [18] Am Beispiel der Golden Gate“-Br¨ ucke ist das Tragverhalten von H¨ angebr¨ ucken ” anschaulich erkennbar. Das u ¨ ber die Pylone gespannte Seil ist an festen Widerlagern verankert, die in der Regel mit massiven Betonbl¨ ocken sowie Erdankern realisiert werden. Die Belastung des Tragseiles erfolgt durch Eigengewicht sowie u ¨ber die H¨anger, an denen die Haupttragelemente der Fahrbahn als Durchlauftr¨ ager aufgeh¨angt sind.

345 m

1280 m

345 m

Bild 4-10 Statisches System der Golden Gate Bridge Die Tragseile und die H¨anger erhalten ihre Steifigkeit gegen Querlasten allein aus der Vorspannung infolge Eigengewicht des Br¨ uckentr¨ agers, sodass derartige Tragwerke in der Regel empfindlich gegen Windeinwirkung sind. Zur Verringerung der Gef¨ahrdung aus Wind sind die Fahrbahntr¨ ager von H¨ angebr¨ ucken als filigranes torsionssteifes Fachwerk und ohne Windangriffsfl¨ achen entworfen.

4.4 Seiltragwerke

99

Am Beispiel der Br¨ ucke u ¨ ber den Max-Eyth-See nach Bild 4-9 rechts wird deutlich, dass auch geometrisch komplexe Tragwerke m¨ oglich sind und die Pylone bei gelenkiger Lagerung mit Abspannseilen stabilisiert werden k¨ onnen. Die verschiedenen Bauweisen und das Tragverhalten von Br¨ ucken aller Art werden u. a. von Troyano [41], Leonhardt [26] und Holgate [18] umfassend dargestellt und diskutiert.

Seillinien In Seiltragwerken wird die Biegesteifigkeit apriori vernachl¨ assigtt, sodass die Seile biegeschlaff sind und keine Biegemomente und Querkr¨ afte aufnehmen k¨onnen. Wenn Seile belastet sind, spannen und stabilisieren sie sich, sodass sie den Einwirkungen Widerstand entgegensetzen k¨ onnen. Wegen der kleinen Querschnitte und der in der Regel großen Zugkr¨afte m¨ ussen jedoch die Dehnsteifigkeiten ber¨ ucksichtigt werden, sodass Seill¨ange und –form im belasteten Zustand ver¨andert sind. Der Seildurchhang unter Belastung wird als Seillinie bezeichnet, deren Form analog zur St¨ utzlinie von der Laststellung und der Lastgr¨oße abh¨angig ist.

Berechnung der Seilkr¨ afte Seile und H¨anger sind auf Zug beansprucht, wobei Nebenspannungen aus Biegung f¨ ur das globale Tragverhalten vernachl¨assigbar sind. Die Seilkr¨ afte m¨ ussen daher nur das Kr¨aftegleichgewicht erf¨ ullen: V : Sn sin αn − Sn+1 sin αn+1 − Vn = 0 , H : Sn cos αn − Sn+1 cos αn+1 = 0 . Wenn sich die Form der Seillinie wegen verschwindender Biegesteifigkeit entsprechend der Lasten frei einstellen kann, kann man die Seilkr¨afte nicht direkt berechnen, sondern muss die Verformungen im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigen. Die Berechnung der Seilkr¨afte kann daher nicht mit einer Theorie I. Ordnung erfolgen, sondern muss mit einer geometrisch nichtlinearen Theorie durchgef¨ uhrt werden, siehe Abschnitt 20.

an

Sn

an+1 Sn+1 Vn

Zus¨atzlich ist die Dehnung der Seile zu ber¨ ucksichtigen, da bei kleinen Querschnitten und den großen Seill¨angen betr¨achtliche Verschiebungen der Kraftangriffspunkte die Folge sind. Die Verschiebungen aus Dehnung m¨ ussen im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigt werden, k¨onnen aber teilweise beim Einbau entsprechend verk¨ urzter Seile vorweg kompensiert werden.

5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken

Bisher ist die Berechnung der Zustandslinien M,Q und N von statisch bestimmten Stabtragwerken erfolgt. Dies ist mit dem Schnittprinzip m¨ oglich, wenn die Gleichgewichtsbedingungen eingesetzt werden. Statische Systeme k¨ onnen nur dann im Gleichgewicht sein, wenn sie nicht verschieblich sind. Dies ist bei komplexen, insbesondere r¨aumlichen Systemen nicht immer deutlich sichtbar, sodass hierf¨ ur Entscheidungshilfen vorhanden sein m¨ ussen. Ob und wie ein System als ganzes oder ¨ortlich verschieblich ist, kann man zeichnerisch mit Hilfe von Polpl¨anen oder rechnerisch mit den Gleichgewichtsbedingungen untersuchen. Ziel der Untersuchungen ist daher: 1. Feststellen der Unverschieblichkeit des Tragwerks. Alle ausgef¨ uhrten Tragwerke m¨ ussen unverschieblich sein, da die Lasten sonst nicht in den Baugrund abgeleitet werden k¨ onnen. 2. Finden aller m¨oglichen Verschiebungsfelder eines verschieblichen Systems. Dies kann man dazu verwenden, das System gezielt dort mit Steifigkeiten zu versehen, wo die gr¨ oßten Verschiebungen auftreten. d

Ψ

d

Ψ

F¨ ur die Untersuchung der Verschieblichkeit werden folgende Annahmen und Voraussetzungen getroffen: 1. Es wird eine Theorie I. Ordnung vorausgesetzt. Dies bedeutet, dass die Verschiebungsfelder eines verschieblichen Systems infinitesimal klein angenommen sind. Zur Verdeutlichung der Verschiebungsm¨oglichkeiten eines Systems werden sie in Polpl¨anen endlich groß dargestellt. 2. Verschieblichkeit ist eine Systemeigenschaft und unabh¨ angig von den Einwirkungen. Sie wird daher stets am unbelasteten System untersucht. 3. Elastische Verformungen werden nicht ber¨ ucksichtigt, da sie erst als Folge von ¨ außeren Einwirkungen auftreten. Die Systeme sind daher aus kinematisch starren Teilsystemen zusammengesetzt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_5

5.1 Begriffsbildung f¨ ur Polpl¨ane

101

5.1 Begriffsbildung f¨ ur Polpl¨ ane Die zeichnerische Untersuchung der Verschieblichkeit eines statischen Systems erfolgt mit Polpl¨anen“. Hierbei geht man davon aus, dass das System ver” schieblich ist. Tritt im Polplan ein Widerspruch auf, so ist das System nicht verschieblich. Bei der Entwicklung eines Polplanes werden folgende Begriffe verwendet: Scheibe Eine Scheibe ist ein kinematisch starres Teilsystem. Bei einem Scheibenverband sind mehrere Scheiben gelenkig, aber unverschieblich miteinander verbunden. a 1

1

b

c

a b

Kinematische Kette Eine Kinematische Kette ist ein Scheibenverband, dessen Scheiben Starrk¨orperverschiebungen oder Rotationen ausf¨ uhren k¨ onnen. Eine zwangsl¨aufige kinematische Kette ist eine Kette mit einem Freiheitsgrad. 2 1

d

2

3

J

1 4

Pol Ein Pol ist ein Punkt der Tragwerksebene, um den sich eine Scheibe drehen kann. Ist der Pol von der Scheibe endlich weit entfernt, erfolgt eine Drehung ϑ der Scheibe um den Pol, liegt der Pol im Unendlichen, so findet eine Translation statt. ra J Pol

rb J

a da da ≠ d b

b db

Polstrahl Die Verbindung von einem Pol zu einem Punkt (i) einer Scheibe wird Polstrahl ri genannt. Die Verschiebung δi eines Scheibenpunktes (i) erfolgt senkrecht zum Polstrahl ri , solange infinitesimal kleine Drehungen angesetzt werden. Zwei bekannte Polstrahlen legen einen Pol fest, hier ra und rb .

102

5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken

Absolutpol (Hauptpol) Ein Absolutpol (n) ist ein nicht verschieblicher Punkt der Tragwerksebene, um den sich die Scheibe n drehen kann. Absolutpole sind z. B. feste Lager, hier Lager (1). Dies k¨onnen auch Verbindungspunkte zu festen Tragwerksteilen sein.

d

(1)

1

Relativpol (Nebenpol) Ein Relativpol (n/m) ist ein Pol, um den sich die Scheiben (n) und (m) relativ zueinander verdrehen. Momentengelenke (M = 0) geben den Relativpol direkt an, hier Relativpol (1/2). Bei Schiebeh¨ ulsen (N = 0) und bei Querkraftgelenken (Q = 0) liegt der Relativpol senkrecht zur Bewegungsrichtung im Unendlichen. Bei nicht benachbarten Scheiben liegt der Relativpol irgendwo in der Tragwerksebene.

1

2

(1/2)

d2

8

(1/2) 1

2

d1 d2

d1 1

2

8

(1/2)

Momentanpol Momentanpole sind verschiebliche Pole, die ihre Lage bei Annahme endlich großer Verschiebungen des Systems ver¨andern.

Pollinie Eine Pollinie ist die Verbindungsgerade dreier Pole, die die Relativbewegung der beteiligten Scheiben festlegen. Bei verschieblichen Systemen liegen immer mindestens drei Pole auf einer Pollinie. Absolutpollinie Auf einer Absolutpollinie liegen immer zwei Absolutpole und der zu den beteiligten Scheiben geh¨orende Relativpol, z. B. (1) − (1/2) − (2). Dies bedeutet, dass die beiden Scheiben – im Bild die Scheiben 1 und 2 – gegeneinander verschieblich sind, und sich bez¨ uglich des Relativpoles bewegen. (1)

d

1

(1/2)

2

(2) (1)

(1/2)

(2)

Relativpollinie Auf einer Relativpollinie liegen immer drei Relativpole. Bei drei Scheiben 1, 2 und 3 ist dies die Relativpollinie (1/2) − (2/3) − (1/3), die anzeigt, dass die drei beteiligten Scheiben gegeneinander verschieblich sind.

5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨anen

103

5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨ anen Das Aufstellen von Polpl¨anen sollte immer systematisch erfolgen, da sonst wesentliche Eigenschaften des Systems u onnen. Damit auch bei ¨bersehen werden k¨ großen Systemen u ufbar ist, ob der Polplan alle Informationen enth¨ alt, ¨ berpr¨ muss die Zahl der Pole und der Pollinien bekannt sein. Ein verschiebliches statisches System mit p kinematisch starren Scheiben hat genau • p Absolutpole, p(p − 1) p Relativpole, •( )= 2 1·2 p •( ) Absolutpollinien, z. B. (1) − (1/2) − (2), 2 p(p − 1)(p − 2) p •( )= Relativpollinien, z. B. (1/2) − (1/3) − (2/3). 3 1·2·3 Mit diesen Vorweginformationen kann man einen Polplan wie folgt entwickeln: 1. Benennen aller Scheiben des Systems. 2. Benennen aller sofort erkennbaren Absolutpole (feste Lager) und Relativpole (Momentengelenke, Schiebeh¨ ulsen und Querkraftgelenke). 3. Zeichnen der unmittelbar erkennbaren Polstrahlen senkrecht zu verschieblichen Lagern, zu Schiebeh¨ ulsen und Querkraftgelenken. 4. Sukzessives Suchen von weiteren Polen mit Hilfe von Absolut– und Relativpollinien. F¨ ur jeden weiteren Pol werden zwei geometrische Orte bzw. Richtungen ben¨otigt, in deren Schnittpunkt der Pol liegt. In dem Gelenkviereck rechts im Bild bestimmen die Relativpollinien der gegenu ¨berliegenden Scheiben den Relativpol der anderen beiden Scheiben. Hier legen die Relativpollinien

1

(1/4)

(1/2)

2

4

(1/4) − (1/2) sowie (3/4) − (2/3) den Relativpol (2/4) fest. Der Relativpol (2/4) liegt im Unendlichen, wenn beide Polstrahlen parallel zueinander liegen und sich nicht schneiden. V¨ollig analog kann man den Relativpol (1/3) finden.

(2/4)

(2/4) (3/4)

3 (1/3)

(2/3) (1/3)

In nachfolgendem Bild links sind die Pole (1) und (1/2) gegeben. Der Pol (2)

104

5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken

muss auf der Geraden (1) − (1/2) liegen, wenn das System verschieblich ist. Wenn der Pol (2) außerdem senkrecht zum verschieblichen Lager zu suchen ist, bestimmt der Schnittpunkt dieser beiden Polstrahlen den Absolutpol (2). Im Bild rechts ist eine zus¨atzliche Scheibe 3 vorhanden, sodass zwei Absolutpole (2) zum Widerspruch im Polplan f¨ uhren. (2) (2) (2/3) (1/3) (1/2)

3

(1/2) 2

1

1

2

(1)

d2 (1) - (1/2)

(1)

(2)

(2)

5. Wenn der Polplan vollst¨andig ist und alle Pole und Polstrahlen gefunden sind, kann man u ufen, ob der Polplan Widerspr¨ uche enth¨ alt. Ein Widerspruch ¨ berpr¨ liegt vor, wenn zu einer Scheibe mehrere Absolutpole oder zu zwei Scheiben mehrere Relativpole vorhanden sind. Sind Widerspr¨ uche vorhanden, sind Teile des Systems oder das gesamte System unverschieblich. Liegt kein Widerspruch vor, ist das System verschieblich. 6. Mit viel Erfahrung kann man die Entwicklung des Polplanes im Einzelfall auf ¨ das Wesentliche konzentrieren. So reicht es bei der Uberpr¨ ufung der Verschieblichkeit in der Regel aus, einen beliebigen Widerspruch zu finden und dann die weitere Entwicklung des Polplanes abzubrechen. Sind Verschiebungsfelder f¨ ur einen Scheibenverband gesucht, so reicht es in der Regel aus, die Absolutpole zu finden, um die sich die Scheiben drehen.

Beispiel 1 Das im Bild dargestellte System mit vier Scheiben ist statisch bestimmt (a = 4, z = 8, p = 4 bzw. a = 4, z = 2, p = 2). Es existieren vier Absolutpole (1), (2), (3) und (4), sechs Relativpole (1/2), (1/3), (1/4), (2/3), (2/4) und (3/4), sechs Absolutpollinien und vier Relativpollinien. Die Pollinien sind: Absolutpollinien (1) − (1/2) − (2) (1) − (1/3) − (3) (1) − (1/4) − (4) (2) − (2/3) − (3) (2) − (2/4) − (4) (3) − (3/4) − (4)

Relativpollinien (1/2) − (2/3) − (1/3) (1/2) − (2/4) − (1/4) (1/3) − (3/4) − (1/4) (2/3) − (3/4) − (2/4)

5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨anen

105

Der Polplan wird wie folgt bestimmt. 1. Alle Scheiben und alle unmittelbar gegebenen Absolutpole und Relativpole werden gekennzeichnet. 2. Der Absolutpol von Scheibe 1 ist das linke Lager a. Das rechte Lager b ist Absolutpol von Scheibe 2. 3. Jeweils zwei Pollinien f¨ uhren zu weiteren Polen.

(1) − (1/3) (1) − (1/4) → (3)∞ → (4)∞ (2) − (2/3) (2) − (2/4)

(1) − (2) (2/3) − (2/4) → (1/2) → (3/4)∞ (1/3) − (2/3) (1/3) − (1/4) (3/4) ∞ (3) ∞ (4) ∞ (1/4)

(2/4)

4 (2/3)

1 3

2

(1/3) (1/2)

(1) a

(2) b

Damit sind alle Absolutpole und alle Relativpole zun¨ achst ohne Widerspruch bekannt. Der Polplan kann jetzt mit den restlichen Absolut- und Relativpollinien kontrolliert werden. Von den Pollinien sind die Absolutpollinie (3)∞−(4)∞−(3/4)∞ sowie die Relativpollinie (1/4) − (2/4) − (1/2) noch nicht verwendet. Die Absolutpollinie liegt im unendlichen und f¨ uhrt zu keinem Widerspruch. Allerdings platziert die Relativpollinie den Relativpol (1/2) rechts von Scheibe 4, sodass ein Widerspruch vorliegt. Dies bedeutet, dass die Scheiben 1 und 2 zueinander unverschieblich sind und wie eine Scheibe wirken. Damit sind auch die Scheiben 3 und 4 fest, sodass das System insgesamt unverschieblich ist. Fragen: Gibt es eine Lage von Scheibe 3, bei der das System verschieblich ist? Unter der Annahme, dass es sich um elastische biegesteife St¨ abe handelt, gibt es eine Lage von Scheibe 3, bei der das System besonders steif ist, welche?

106

5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken

Beispiel 2 Der aus drei Scheiben bestehende Rahmen ist statisch bestimmt(a = 5,z = 4). Die Lager a und c sind Absolutpole, die Gelenke sind die Relativpole (1/2) und (2/3). (2/3)

Der Relativpol (1/3) folgt mit

(1) − (3) → (1/3) (1/2) − (2/3)

(2)

und der Absolutpol (2) mit ⎫ (1) − (1/2) ⎬ (3) − (2/3) → (2) ⎭ senkrecht Lager b → Widerspruch: Scheibe 2 ist fest.

2

(1/2)

3

1 (1/3)

(1) a

(3) c

b

Wenn Scheibe 2 fest ist, so werden die Relativpole (1/2) und (2/3) zu Absolutpolen (1) und (3). Damit m¨ ussen auch die Scheiben 1 und 3 fest sein, da die unverschieblichen Lager a und c ebenfalls Absolutpole (1) und (3) sind.

Beispiel 3 Nach Verlagerung des Gelenkes (1/2) ¨andert sich die Kinematik des Systems. Das System ist nach Abz¨ahlkriterium (a = 5,z = 4) weiterhin statisch bestimmt. F¨ ur Absolutpol (2) gilt ⎫ ⎬

(1) − (1/2) (3) − (2/3) ⎭ senkrecht Lager b

(2) (2/3)

→ (2) (1/2)

→ hier liegt kein Widerspruch vor F¨ ur den fehlenden Relativpol (1/3) gilt

(1/2) − (2/3) → (1/3) (1) − (3)

1 (1) a

2

3

(3)

(1/3) b

c

Der Relativpol (1/3) liegt in Lager a. Damit sind alle drei Absolut– und die einzige Relativpollinie ber¨ ucksichtigt. Wenn ein Absolutpol und ein zugeh¨ origer Relativpol in einem Punkt liegen, liegt auch der zweite Absolutpol in diesem Punkt, hier (2) − (2/3) → (3). Damit ist Scheibe 3 fest. Scheiben 1 und 2 sind dagegen verschieblich.

5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨anen

107

Beispiel 4 F¨ ur das im Bild dargestellte Tragwerk k¨onnen mit Hilfe des Aufbauprinzips vier in sich starre Scheiben festgestellt werden. Dies bedeutet, dass insgesamt vier Absolut- und sechs Relativpole sowie sechs Absolut– und vier Relativpollinien vorhanden sind. Das System ist statisch bestimmt (a = 4,z = 8).

2

1

a

3

c

4 b

Direkt gegeben sind der Absolutpol (1) sowie die Relativpole (1/2), (1/3), (2/4) und (3/4). Die anderen Pole k¨onnen wie folgt bestimmt werden.

(1/2) − (2/4) (1) − (1/2) (1/4) (2) (1/3) − (3/4) senkrecht Lager c

(2) − (3) (2) − (2/4) (2/3) (4) (1/3) − (1/2) senkrecht Lager b

(1) − (1/3) (3) senkrecht Lager b (2) (1/2) 2

1 (1)

(3) (2/4)

(1/3)

3 (2/3)

4 (4), (3/4) (1/4)

Die fehlende Absolutpollinie (3) − (4) − (3/4) liegt in Lager b, was ein Widerspruch bez¨ uglich des Absolutpoles (3) ist. Auch die Absolutpollinie (1) − (4) − (1/4) sowie die Relativpollinie (2/4) − (3/4) − (2/3) f¨ uhren zu Widerspr¨ uchen: doppelte Nebenpole (1/4) und (2/3). Damit sind die Scheiben 1 und 4 sowie 2 und 3 gegeneinander unverschieblich, und damit das gesamte System. Frage:

Gibt es eine Lage von Lager b, bei der das System verschieblich ist?

108

5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken

5.3 Anwendungsgebiete von Polpl¨ anen Das Ziel von Polpl¨anen ist der Nachweis der Verschieblichkeit eines Systems. Ist ein System nicht verschieblich, so ist es fest. Es gelten folgende S¨ atze: • Der Polplan ist ein hinreichendes Kriterium zum Nachweis der Verschieblichkeit eines Systems. • Ein System oder ein Teilsystem ist verschieblich, wenn der zugeh¨ orige Polplan widerspruchsfrei und vollst¨andig ist. • Ein Widerspruch im Polplan weist auf eine oder mehrere feste Scheiben. • Ein Widerspruch liegt vor, wenn die drei Pole einer Pollinie nicht auf einer Geraden liegen. • Ein Widerspruch liegt vor, wenn eine einzelne Scheibe mehr als einen Absolutpol aufweist. Sie ist dann unverschieblich. Kinematisch starre Systeme, bei denen die Widerspr¨ uche schwach ausgepr¨ agt sind, sind fast“ kinematisch und m¨ ussen ebenfalls vermieden werden. Dies ist ” z. B. der Fall, wenn bei einer festen Scheibe die Absolutpole dicht zusammen liegen oder die Pole einer Pollinie nur wenig von einer Geraden abweichen. Mit Hilfe von Polpl¨anen kann man auch gew¨ unschte Verschieblichkeiten finden oder kontrollieren. Dies ist der Fall, wenn statische Systeme so gelagert sein sollen, dass Zw¨ange aus Erw¨armung nur a geringe Spannungen bewirken. So werden im Br¨ uckenbau Pollagerungen verwendet, um unerw¨ unschte Zwangsbeanspruchungen klein zuhalten. Im Bild ist Lager a ein Festpunkt. Die anderen Lager sind so angeordnet, dass sie sich in Richtung des festen Lagers frei und daPollagerung einer Br¨ ucke mit spannungslos verschieben k¨onnen. Bild 5-1 zeigt die f¨ ur die Pollagerung erforderlichen Kipp– und Rollenlager.

Bild 5-1 Kipplager und Rollenlager

5.3 Anwendungsgebiete von Polpl¨anen

109

Um Missverst¨andnisse zu vermeiden, muss man folgende Begriffe unterscheiden: a) Ein System heißt verschieblich, wenn es eine kinematische Kette ist. b) Ein System heißt verschiebbar, wenn es keine kinematischen Mechanismen besitzt, aber die materiellen Punkte des Systems infolge Einwirkungen verschoben werden k¨onnen.

5.3.1 Verschiebungspl¨ ane F¨ ur einige Anwendungen ist nicht nur wichtig, zu entscheiden, ob eine Scheibe verschieblich ist, sondern auch wie groß die Verschiebungen der Scheibe oder einer kinematischen Kette sind. Dies kann rechnerisch u ¨ ber die oben angegebenen Beziehungen zwischen Polstrahl r, Verschiebung δ und Drehwinkel ϑ geschehen. Die rechnerische Bestimmung des Verschiebungsfeldes und der Stabverdrehungen kann bei Systemen mit nicht rechtwinklig angeschlossenen St¨ aben sehr aufw¨andig sein. Eine anschauliche Untersuchung der Verschiebungen erfolgt mithilfe eines Verschiebungsplanes, siehe Bild 5-2. (2)

(2)

h

d=1

1

d=1

1

1 l/h

h

1

h

2

2

2

(1)

(3) l

l

(1) l

l

Bild 5-2 Verschiebungsfelder bei Vorgabe einer Verschiebung δ = 1 Beim Aufstellen von Verschiebungspl¨anen wird Folgendes vorausgesetzt: • Die Bewegungen der Scheiben sind infinitesimale Drehungen um die Absolutpole, sodass man die Winkelbeziehungen linearisieren kann. Liegt der Absolutpol einer Scheibe im unendlichen, erfolgt eine Parallelverschiebung der Scheibe. • Die Verschiebung δi eines Scheibenpunktes (i) steht senkrecht zum Polstrahl ri und ist infinitesimal klein. • Die Verschiebung δi ist proportional zur Polstrahll¨ ange (Strahlensatz).

110

5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken

• Bei der Entwicklung des Verschiebungsfeldes einer einfach kinematischen Kette wird die Verschiebung eines Punktes oder der Drehwinkel einer Scheibe zu 1 vorgegeben. Infolge des Verschiebungsfeldes der Scheibe kann man die Verschiebungen und Verdrehungen der anderen Scheiben sukzessive ermitteln, siehe Bild 5-2. Eine weiteres Anwendungsgebiet von Verschiebungspl¨ anen ist die Untersuchung von beweglichen Tragwerken. Bild 5-3 zeigt die vom B¨ uro Schlaich, Bergermann und Partner konstruierte Fußg¨angerklappbr¨ ucke in Kiel-H¨ orn, deren Kinematik aufgrund der Faltkonstruktion sehr komplex ist. Hier ist nicht nur die Verschieblichkeit einer gegebenen Stabanordnung von Interesse, sondern insbesondere die beim Hochfahren der Br¨ ucke auftretende Nichtlinearit¨ at infolge großer Wege und der Ver¨anderung der Lage der Momentanpole.

Bild 5-3 Klappbr¨ ucke in Kiel–H¨orn [18, 41]

5.3.2 Aussteifung von Systemen Pol- und Verschiebungspl¨ane kann man dazu verwenden, verschiebliche oder nahezu verschiebliche Systeme gezielt auszusteifen. Hierzu setzt man in Richtung der gr¨oßten Verschiebungen Lagerbedingungen oder zus¨ atzliche Bauteile an, die die Verschiebungen behindern. Beispiele hierf¨ ur sind z. B. Windverb¨ ande, entweder als zus¨atzliche Maßnahme bei bereits vorhandenen Biegesteifigkeiten von Rahmentragwerken oder aber als zwingend erforderliche Aussteifung bei Gelenkverb¨anden. In der Praxis m¨ ussen alle verschieblichen und fast“ ver” schieblichen Systeme unbedingt vermieden werden. Beim Aussteifen eines Scheibenverbandes legt man gedanklich in alle biegesteifen Knoten des Systems Momentengelenke, sodass das System zur kinematischen Kette wird. Danach werden so viele Aussteifungselemente angeordnet, bis

5.3 Anwendungsgebiete von Polpl¨anen

111

das System unverschieblich ist. Dies k¨onnen Windverb¨ ande, Lager oder biegesteife Verbindungen sein. Ein Zuviel an Aussteifungselementen kann auch zu gewollt statisch unbestimmten Systemen f¨ uhren, die Zw¨ angungen aus Erw¨ armung oder Lagersetzungen bewirken. Je h¨oher der Grad der statischen Unbestimmtheit, desto h¨oher die Redundanz im Lastabtrag. In Bild 5-4 sind die zur Stabilisierung einer Halle erforderlichen Aussteifungsanden B − B und verb¨ ande V1 in den Giebelw¨anden A − A, V2 in den Seitenw¨ V3 ,V4 in den Dachebenen C − C angeordnet.

C V4 V3 B A C

V2

A B

V1 V1

B

A

Bild 5-4 Aussteifung einer Halle mit Windverb¨anden Der Dachverband V3 wirkt als oberes Lager f¨ ur den Wind auf die Giebelw¨ ande und leitet die Kr¨afte u ¨ ber die Verb¨ande V2 in das Fundament. Der Dachverband V4 leitet die Windlasten auf die Seitenw¨ande in die Giebelw¨ ande, wo sie von den Verb¨anden V1 in das Fundament geleitet werden. An Stelle des Dachverbandes V4 k¨ onnen die Hallenrahmen die Windlast auch u ¨ ber Biegetragwirkung direkt otigt. in das Fundament leiten, dann wird auch V1 nicht ben¨

5.3.3 Anmerkungen Generell ist zu beachten, dass bei statisch bestimmten Tragwerken eine einzige Fehlstelle z. B. in den Verbindungsmitteln der Bauteile ausreicht, um ein Tragwerk zur kinematischen Kette werden zu lassen. Dies ist auch bei Fertigteilkonstruktionen zu beachten, wenn die Verbindungen durch nachtr¨ agliches Betonieren hergestellt werden und damit eine Schwachstelle aufweisen k¨ onnen.

112

5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken

Besonders sorgf¨altig sind Montagezust¨ande von Bauwerken z. B. bei Br¨ ucken oder Hallenrahmen zu untersuchen, wenn die Tragf¨ ahigkeit des Tragwerks noch nicht ausgebildet ist. Hier werden in der Regel r¨ aumliche Lehrger¨ uste eingesetzt, die in den Standsicherheitsnachweisen nicht immer aufgef¨ uhrt sind. Tragwerke, die nur zeitweise in Gebrauch sind und h¨ aufig auf– und abgebaut werden, unterliegen besonderen Beanspruchungen, die zur Erm¨ udung von Verbindungsmitteln f¨ uhren k¨onnen. Wenn diese Tragwerke statisch bestimmt sind, kann durch Werkstoffversagen eine kinematische Kette entstehen.

5.4 Untersuchung der Gleichgewichtsbedingungen Ein rechnerischer Nachweis der VerschiebP lichkeit ist m¨oglich, wenn man die Gleichc d gewichtsbedingungen zur Berechnung der Vc Lager- und Schnittgr¨oßen als Gleichungsl system aufstellt. Dies ist immer der Fall, 30° b Hb wenn man ein Berechnungsprogramm eine b setzt und nicht das in Abschnitt 4 gezeigte Vorgehen w¨ahlt. Nachfolgend wird das Vb l Determinantenkriterium f¨ ur die Verschieblichkeit an einem statisch bestimmten Sya A stem mit den unbekannten Lagerkr¨aften b A,Vb ,Hb ,Vc erl¨autert. Die Gleichgewichtsbedingungen lassen √ sich in Matrizenschreibweise angeben, wobei sin 30o = 1/2 und tan 30o = 1/ 3 eingesetzt sind, ⎤⎡ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 1 0 cos β 1 P Vb ΣV ⎢ ⎢ ⎥ sin β 0 ⎥ 0 ΣH ⎢ 0 1 Hb ⎥ ⎥⎢ ⎥=⎢ √ ⎥. ⎥⎢ ⎢ ΣMb ⎣ 0 0 2 cos(β − 30o ) 0 ⎦ ⎣ A ⎦ ⎣ P 3 ⎦ √ Vc ΣMe 0 3 0 0 0 Die Koeffizientenmatrix ist nicht invertierbar, wenn die Determinante null ist. Wenn das Gleichungssystem nicht l¨osbar ist, bedeutet dies, dass kein Gleichgewicht m¨oglich und das System verschieblich ist. F¨ ur den vorliegenden Fall ist die Determinante √ det = 2 3 2 cos(β − 30o ) identisch null, wenn das Lager A mit β = − 60o ausgerichtet ist. Auf der anderen Seite ist das System kinematisch besonders stabil, wenn die Determinante

5.4 Untersuchung der Gleichgewichtsbedingungen

113

maximal wird. Dies ist der Fall f¨ ur β = +30o. Allerdings ist das Tragwerk f¨ ur diese Lagerrichtung sehr nachgiebig, da der untere Rahmen a − e − b im wesentlichen auf Biegung tr¨agt. Betrachtet man das Tragverhalten des Systems unter der vorgegebenen Belastung, so ist das System besonders steif, wenn die Last P direkt in das Lager A geleitet wird. Dies ist f¨ ur β = 0 der Fall. Das hier f¨ ur ein statisch bestimmtes System gezeigte Vorgehen und die Interpretation der Determinante des Gleichungssystems sind auf moderne Berechnungsverfahren u ur einen Einsatz ¨bertragbar. Auch wenn die Herleitung der f¨ auf einem Computer entwickelten Verfahren v¨ollig unterschiedlich ist, stellen sie ebenfalls Gleichgewichtsbedingungen auf. Wenn die Determinante verschwindet, weist dies in der Regel auf ein kinematisches System hin oder aber auf eine fehlerhafte Systembeschreibung.

6 Arbeitss¨ atze

Grundlage der bisher gew¨ahlten Berechnungsverfahren f¨ ur Zustandslinien sind der Kraft– und der Momentenbegriff. Wenn ein statisches System nicht verschieblich ist, dann sind bei beliebiger Anwendung des Schnittprinzips alle am System angreifenden Schnittgr¨oßen und Lasten im Gleichgewicht. Dies ist sichergestellt, wenn die Gleichgewichtsbedingungen zur Berechnung der Zustandslinien f¨ ur M, Q und N erf¨ ullt sind. Eine ganz andere Betrachtungsweise von statischen Systemen ist m¨ oglich, wenn integrale Bedingungen f¨ ur das gesamte System formuliert werden. Hierbei betrachtet man nicht mehr das Gleichgewicht am differentiellen Element oder an jedem Schnitt, das nat¨ urlich weiterhin erf¨ ullt sein muss, sondern die im System geleistete Gesamtarbeit aller Lasten und Schnittgr¨ oßen. Was bisher die Gleichgewichtsbedingungen leisten, wird jetzt unabh¨ angig hiervon mit Hilfe von Forderungen an die Gesamtarbeit erf¨ ullt. Die Beschreibung dieser integralen Systemgr¨oße erfolgt mit Hilfe der bereits bekannten Kr¨ afte und Momente sowie der konjugierten Verschiebungen und Verdrehungen.

6.1 Begriffe zur Formulierung der Arbeiten Arbeit wird von Kr¨aften auf konjugierten Wegen geleistet. Wenn Kraft und konjugierte Verschiebung nicht in die gleiche Richtung zeigen, darf nur die Projektion der Verschiebung in Richtung der Kraft betrachtet werden. A = F · u · cos α

Arbeit einer Kraft:

A = M · ϕ · cos α

Arbeit eines Momentes f¨ ur kleine Drehungen ϕ: F

.

u1

Projektion

u

u.cos a a

u2

.

. u

j . cos a

M

a j

Kraftgr¨oßen und Weggr¨oßen sind zueinander u ¨ ber die Arbeiten konjugiert. Bei den hier untersuchten ebenen Stabtragwerken sind die in Tabelle 6.1 aufgef¨ uhrten Arbeiten m¨oglich. Die Kraftgr¨oßen sind positiv definiert, wenn sie auf den konjugierten Wegen positive Arbeit leisten. Die Einheit der Arbeit ist nach Integration u ¨ ber den Raum immer [A] = N m bzw. [A] = kN m . © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_6

6.1 Begriffe zur Formulierung der Arbeiten

115

Tabelle 6.1 Arbeitskonjugierte Kraft– und Weggr¨oßen Kraftgr¨oße

[

Einzelkraft Streckenlast Einzelmoment

]

Weggr¨oße

[

]

F, P q, p Me

N N/m Nm

Verschiebung Verschiebung Verdrehung

u, w u, w ϕ

m m rad

innere Spannungen innere Normalkraft innere Querkraft inneres Biegemoment

σ N Q M

N/m2 N N Nm

Verzerrung Verzerrung Gleitung Verkr¨ ummung

ε ε γ κ

1 1 1 1/m

Schnittl¨angskraft Schnittquerkraft Schnittmoment

N Q M

N N Nm

δN = Δu δQ = Δw δM = Δϕ

m m rad

Spreizung Sprung Knickwinkel

Definition der Arbeiten Bei der Formulierung der Arbeiten ist zu beachten, dass Kr¨ afte nur auf den Wegen Arbeit leisten k¨onnen, die in die Richtung der Kraft zeigen.  In der Statik gilt A = F du, wenn F die Kraft und u die zu F konjugierte Verschiebung ist. Bei konstanter Kraft wird Verschiebungsarbeit geleistet. Kr¨afte, die von den Verschiebungen selbst abh¨angig sind, leisten Eigenarbeit. F

F

u Verschiebungsarbeit F = konstant

u Eigenarbeit F = kF · u

Verschiebungsarbeiten Die Arbeit, die eine Kraftgr¨oße auf den Wegen leistet, die von einer anderen Kraftgr¨oße verursacht werden, heißt Verschiebungsarbeit. Dies ist z. B. bei Gewichtskr¨aften der Fall, deren Kraftangriffspunkt verschoben wird. Hierbei ist

116

6 Arbeitss¨ atze

die Kraft F l¨angs des Weges u konstant  A = F du = F u|uu10 = F (u1 − u0 ). Die Arbeit ist in diesem Fall nur vom Anfangs– und vom Endzustand abh¨ angig und hat damit Potentialeigenschaften. Analog gilt f¨ ur die Momente  1 A = M dϕ = M ϕ|ϕ ϕ0 = M (ϕ1 − ϕ0 ).

Eigenarbeiten Die Arbeit, die eine Kraftgr¨oße auf den von ihr selbst verursachten Wegen leistet, heißt Eigenarbeit. Wenn eine Kraft den Weg, auf dem sie Arbeit leistet, selbst erzeugt, muss ein Zusammenhang zwischen Kraft und Weg existieren. Vereinfachend kann man zun¨achst F = kF u ansetzen, was einem linearen Federgesetz mit der Federsteifigkeit kF entspricht. F¨ ur die Arbeiten gilt jetzt   1 1 A = F du = kF u du = kF u2 |uu10 = kF [ (u1 )2 − (u0 )2 ], 2 2 sodass sie ebenfalls nur vom Anfangs– und Endzustand abh¨ angt und damit Potentialeigenschaften hat. F¨ ur Momente gilt analog   1 1 1 A = M dϕ = kM ϕ dϕ = kM ϕ2 |ϕ kM [ (ϕ1 )2 − (ϕ0 )2 ]. ϕ0 = 2 2

Energie Unter der Voraussetzung, dass die geleisteten Arbeiten Potentialeigenschaften besitzen, kann die Arbeit gespeichert und wiedergewonnen werden. Gespeicherte Arbeit wird als potentielle Energie oder Energie der Lage definiert. Dies ist z. B. der Fall, wenn beim Anheben von Gewichten negative Arbeit geleistet wird, das Gewicht hierbei die positive potentielle Energie der Lage speichert und beim Absenken des Gewichtes die gespeicherte Energie in positive Arbeit verwandelt wird. Es gilt Energie = – Arbeit.

Leistung Eine weitere wichtige, aber in der Statik weniger gebr¨ auchliche Systemgr¨ oße ist ¨ die Leistung. Die Leistung ist die zeitliche Anderung der Arbeit. Es gilt d Arbeit. Leistung = dt

6.2 Der Arbeitssatz f¨ ur elastische Stabtragwerke

117

6.2 Der Arbeitssatz f¨ ur elastische Stabtragwerke F¨ ur abgeschlossene Systeme gilt der Arbeitssatz. Er sagt aus, dass die Summe aller am System geleisteten inneren und ¨außeren Arbeiten verschwindet. In der Baustatik werden alle bewegungsabh¨angigen Wirkungen vernachl¨ assigt, da die Geschwindigkeiten und die Beschleunigungen null sein sollen. Die Belastung der Systeme erfolgt daher unendlich langsam“. Dies bedeutet, dass nur die ¨ außeren ” Lasten und die inneren Reaktionen des Tragwerks Arbeit leisten k¨ onnen. ΣA = Aa + Ai = 0. Der Arbeitssatz ist eine der wichtigsten Aussagen der Physik und der Mechanik, da er die unmittelbare Erfahrung und Anschauung ohne weitere Annahmen wiedergibt. Mit dem Arbeitssatz wird nicht mehr zwischen Arbeiten von Horizontal– und Vertikalkr¨aften oder von Momenten unterschieden, sondern es wird eine Bedingung f¨ ur die Summe aller Arbeiten formuliert. Der Arbeitssatz ist damit eine integrale Aussage f¨ ur das gesamte Tragwerk. Der Arbeitssatz kann in verschiedenen Formulierungen angeschrieben werden. Nachfolgend wird er f¨ ur die Arbeiten angeschrieben, die bei der Verformung eines Tragwerks geleistet werden, wenn es von der unverformten in die verformte Lage wandert. Diese Arbeiten werden als Form¨anderungsarbeiten bezeichnet.

¨ ußere Form¨ A anderungsarbeiten ¨ Außere Form¨anderungsarbeiten sind die Arbeiten aller am Tragwerk angreifenden Lasten auf den konjugierten Wegen. Die Arbeiten enthalten Eigenarbeiten, wenn die Wege von den Lasten selbst erzeugt werden, aber auch Verschiebungsarbeiten, wenn die Lasten auf Wegen Arbeit leisten k¨ onnen, die von anderen Lasten verursacht werden. Exemplarisch werden die Arbeiten f¨ ur zwei Einzellasten P1 und P2 angegeben. P1 d1,eig

P2

d1,fremd

d2,eig

Wenn zuerst P1 aufgegeben wird und danach P2 , gilt 1 1 Aa = P1 ( δ1 ,eig + δ1 ,fremd ) + P2 δ2 ,eig . 2 2 : selbstverursachte, eigene Wege δ1 ,eig δ1 ,fremd : fremdverursachter Weg von P2 an der Stelle 1

118

6 Arbeitss¨ atze

In Bild 6-1 sind die ¨außeren Arbeiten der Kr¨afte Pj auf den Verschiebungen δj als schraffierte Fl¨achen sichtbar. P1

P2

d1,eig

d1,fremd

d

d

d2,eig

Bild 6-1 Form¨anderungsarbeiten In Analogie k¨onnen die Arbeiten von Streckenlasten und von Einzelmomenten angegeben werden.

Innere Form¨ anderungsarbeiten Innere Form¨anderungsarbeiten sind die Arbeiten, die in den differentiellen Elementen des Tragwerks bei der Verformung geleistet werden. Dies sind auf unterster Ebene eines Materialteilchens die Arbeiten von Spannungen auf Dehnungen und bei Stabtragwerken die Arbeiten der integralen Schnittgr¨ oßen M, Q und N auf den konjugierten Verzerrungsgr¨oßen κ, γ und ε. Bei schubstarren Stabtragwerken der Bernoulli–Theorie sind die Schubverzerrungen γ identisch null, sodass die zugeh¨origen Arbeiten verschwinden. Die Vorzeichen der inneren Arbeiten sind negativ, wenn die positiven inneren Reaktionsspannungen (Zug) im differentiellen Element nach innen zeigen und damit auf positiven Dehnungen negative Arbeit leisten. Bei Stabtragwerken kann man dies direkt auf die Arbeiten der Normalkr¨afte u ¨ bertragen dAi (N ) = −Ni · du = −Ni · ε dx. Das Vorzeichen der inneren Arbeiten der Momente ist jedoch positiv, da die inneren Momente und die konjugierten Verkr¨ ummungen gleichgerichtet sind dAi (M ) = + Mi · dϕ = Mi · κ dx.

dx + du +e dx N

N

Ni

M

M +Mi

dj

+k

6.3 Verschiedene Formulierungen des Arbeitssatzes

119

Wenn die Normalkr¨ afte und die Momente von den Verzerrungen bzw. den Verkr¨ ummungen abh¨angen, sind die Arbeiten u ¨ ber die Verzerrungen bzw. die Verkr¨ ummungen zu integrieren. Am differentiellen Element dx werden dann die inneren Arbeiten   dAi = {− N d ε + M d κ } dx geleistet und am Gesamttragwerk nach Integration u ¨ber dx    Ai = {− N d ε + M d κ } dx. Die inneren Arbeiten sind Eigenarbeiten, wenn die Spannungen gemeinsam mit den Verzerrungen anwachsen, und Verschiebungsarbeiten, wenn sie bei Anwachsen der Verzerrungen konstant sind. Nachfolgend steht der Biegeanteil stellvertretend f¨ ur alle inneren Arbeiten. Wenn, wie oben gezeigt, zwei Lasten P1 und P2 nacheinander auf das Tragwerk aufgebracht werden, k¨onnen die inneren Arbeiten f¨ ur die Spannungszust¨ ande M1 und M2 entsprechend formuliert werden. Hiermit folgt  1 1 Ai = { M1 ( κ1 ,eig + κ1 ,fremd ) + M2 κ2 ,eig } dx. 2 2 κ1 ,eig κ1 ,fremd

: :

von M1 selbstverursachte, eigene Verkr¨ ummungen von M2 fremdverursachte Verkr¨ ummungen

6.3 Verschiedene Formulierungen des Arbeitssatzes F¨ ur die bei der Form¨anderung geleisteten Gesamtarbeiten von Einzellasten und zugeh¨origen inneren Spannungszust¨anden gilt damit 1 1 ΣA = P1 ( δ1 ,eig + δ1 ,fremd ) + P2 δ2 ,eig 2 2  1 1 + { M1 ( κ1 ,eig + κ1 ,fremd ) + M2 κ2 ,eig } dx = 0 . 2 2

(6.1)

Die beiden nacheinander aufgebrachten, unterschiedlichen Einzellasten kann man auch als Lastzust¨ande deuten, sodass eine Verallgemeinerung auf beliebige Lastanordnungen einfach m¨oglich ist. Der Arbeitssatz (6.1) betrachtet zwei unterschiedliche Systemzust¨ande, sodass er in dieser Form noch nicht f¨ ur die Berechnung eines der beteiligten Spannungszust¨ande eingesetzt werden kann.

120

6 Arbeitss¨ atze

Wenn nur der Lastzustand P1 aufgebracht wird und P2 verschwindet, gilt  1 1 ΣA = P1 δ1 ,eig + { M1 κ1 ,eig } dx = 0. (6.2) 2 2 Damit kann aber ebenfalls ΣA = P1 δ1 ,fremd +

 { M1 κ1 ,fremd } dx = 0

(6.3)

angesetzt werden, da die Eigenarbeiten des Zustandes P1 und auch die Eigenarbeiten des Zustandes P2 den Arbeitssatz erf¨ ullen m¨ ussen. Mit den Gleichungen (6.1), (6.2) und (6.3) liegen verschiedene Formulierungen des Arbeitssatzes vor, die im weiteren f¨ ur unterschiedliche Anwendungen zur Verf¨ ugung stehen.

Forderungen an den Spannungs– und den Verzerrungszustand In der Arbeitsgleichung wird die Arbeit eines Spannungszustandes auf einem Verformungszustand betrachtet. Es wird dabei implizit vorausgesetzt, dass beide Zust¨ande am jeweils betrachteten System m¨oglich sind. Das wirkliche System muss die Gleichgewichtsbedingungen, die Gleichungen der Verformungsgeometrie und die Werkstoffgleichungen erf¨ ullen. Dies bedeutet, dass der Spannungszustand im Arbeitssatz die Gleichgewichtsbedingungen und der Verformungszustand die Gleichungen der Verformungsgeometrie erf¨ ullen muss. Dies ist wesentlich und die Grundlage f¨ ur alle weiteren Betrachtungen. Die Erf¨ ullung der Werkstoffgleichungen erfolgt implizit, z. B. wenn mit dem Spannungszustand in einem weiteren Schritt die Biegelinie des wirklichen Systems berechnet wird. Hiermit sind zwei grunds¨atzliche Aussagen f¨ ur das jeweils betrachtete System m¨ oglich:

Anmerkung Wenn ein beliebiger Verformungszustand δ, κ die Gleichungen und die Randbedingungen der Verformungsgeometrie erf¨ ullt, ist der Arbeitssatz eine Bedingung f¨ ur den Spannungszustand P, M . Und umgekehrt: Wenn ein beliebiger Spannungszustand P, M die Gleichgewichtsbedingungen im Gebiet und auf dem Rand erf¨ ullt, ist der Arbeitssatz eine Bedingung f¨ ur den Verformungszustand δ, κ.

7 Virtuelle Arbeiten

Die bisher im Arbeitssatz angesetzten Terme sind die Arbeiten wirklicher Kraftgr¨oßen auf konjugierten wirklichen Wegen, wobei die m¨ oglichen Systeme starr – ohne innere Arbeiten – oder elastisch sein k¨onnen. Spannungs– und Verformungszustand sind zun¨achst in ihrer Gr¨oße und Verteilung unbekannt. Zus¨atzlich zu den wirklichen Lasten k¨onnen virtuelle Lasten oder virtuelle Wege auf das System gebracht werden, die zugeh¨orige innere Zustandsgr¨ oßen und Verformungen erzeugen. F¨ ur den virtuellen Zustand gelten grunds¨ atzlich die gleichen Grundgleichungen wie f¨ ur den wirklichen Zustand. Virtuell bedeutet: Die virtuell aufgebrachten Lasten oder Wege sind nicht wirklich, sondern nur gedanklich vorhanden. Sie sind infinitesimal klein, k¨ onnen aber in einer linearen Theorie passend gew¨ahlt werden, da der Skalierungsfaktor f¨ ur virtuelle Einwirkungen und daraus folgende virtuelle Tragwerksreaktionen gleich ist. Er kann daher in der Arbeitsgleichung gek¨ urzt werden. Virtuelle Gr¨ oßen werden im weiteren immer mit einem Querstrich gekennzeichnet. virtuelle Kraft virtuelle Verschiebung virtuelle Arbeit

P u A

: : :

P¯ , u ¯, ¯ A.

Virtuelle Verformungen und virtuelle Spannungszust¨ ande sind unabh¨ angig vom wirklichen Zustand und damit fremderzeugt, sodass die hiermit formulierten Arbeiten immer Verschiebungsarbeiten sind, die den Arbeitssatz entsprechend Gleichung (6.3) erf¨ ullen m¨ ussen.

7.1 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PvV) In Abschnitt 6.1 f¨ uhrt der Arbeitssatz u. a. auf die Formulierung von Verschiebungsarbeiten nach Gleichung (6.3). Es gilt, wenn der jetzt unn¨ otige Index 1 weggelassen wird sowie die Normalkr¨afte und ¨außere Einzelmomente erg¨ anzt werden,  A = P δfremd + M e ϕfremd + { M κfremd − N εfremd } dx = 0 . Bisher ist der im Arbeitssatz verwendete Verformungszustand aus einer vorgegebenen wirklichen Last entstanden, die nachtr¨ aglich auf das mit der Last © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_7

122

7 Virtuelle Arbeiten

P1 belastete System gebracht wird. Da die nachtr¨ aglich auf das System gebrachte Last P2 nicht mehr im Arbeitssatz auftaucht, braucht sie nicht weiter betrachtet zu werden. Der Verformungszustand kann daher auch beliebig gew¨ ahlt werden (zu einem nicht mehr interessierenden Lastzustand geh¨orig), ohne dass sich die Aussage des Arbeitssatzes ¨andert. Er muss aber auf jeden Fall die Verformungsgeometrie im Gebiet und auf dem Rand erf¨ ullen, denn sonst kann er kein Verformungszustand des wirklichen Systems sein. Jetzt wird der Verformungszustand als virtuell angenommen. Er wird dann nicht mehr als Folge einer Last verstanden, sondern kann v¨ ollig unabh¨ angig gew¨ ahlt werden. Die hieraus folgende Form des Arbeitssatzes  e ¯ ¯ ¯ − N ε¯ } dx = 0. (7.1) A = P δ + M ϕ¯ + { M κ wird als Prinzip der virtuellen Verschiebungen bezeichnet. Andere Bezeichnungen sind Prinzip der virtuellen Verr¨ uckungen oder Prinzip der virtuellen Weggr¨oßen. Die Bedeutung dieses Prinzips ergibt sich aus den Bedingungen, die an den Spannungszustand und den virtuellen Verformungszustand gestellt werden. • Der virtuelle Verformungszustand wird nicht berechnet, sondern kann beliebig gew¨ahlt werden. Er muss aber die Verformungsgeometrie des untersuchten Systems erf¨ ullen. Dies bedeutet f¨ ur die Biegearbeiten im Gebiet auf festem Rand auf eingespanntem Rand

κ ¯=w ¯  , w ¯=0 , ϕ¯ = 0

und f¨ ur die Dehnarbeiten im Gebiet auf festem Rand

ε¯ = u ¯ , u ¯=0 .

• Der wirkliche Spannungszustand muss die Gleichgewichtsbedingungen des Systems unter der wirklichen Last erf¨ ullen. Dies bedeutet, dass der wirkliche Spannungszustand ein Gleichgewichtszustand ist, wenn die Summe der am Tragwerk geleisteten virtuellen Arbeiten auf beliebigen, kinematisch zul¨assigen virtuellen Verschiebungen verschwindet. Damit ist das Prinzip der virtuellen Verschiebungen eine andere Formulierung des Gleichgewichts des wirklichen Spannungszustands.

7.1 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PvV)

123

Bedeutung des PvV Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen ist den Gleichgewichtsbedingungen des wirklichen Systems ¨aquivalent, wenn die virtuellen Verschiebungen die Verformungsbedingungen erf¨ ullen.

Beispiel In nachfolgendem Bild ist ein im Gleichgewicht befindliches System freigeschnitten. Im linken Fall sind die Lagerkr¨afte Fa und Fb freigeschnitten und eine virtuelle Verschiebung w ¯ senkrecht zum Balken gew¨ ahlt. Die Summe der virtuellen Arbeiten der Lagerkr¨afte und der Last P auf w ¯ verschwindet, wenn die Kr¨afte im Gleichgewicht sind. Die Arbeitsgleichung entspricht dem Gleichgewicht der Kr¨afte in Richtung w. ¯ Im rechten Fall ist eine virtuelle Verdrehung ϕ¯ des Balkens um Lager a gew¨ ahlt. Auch hier m¨ ussen die virtuellen Arbeiten der Last P und der Lagerkraft Fb auf den virtuellen Verschiebungen verschwinden. Klammert man im Arbeitssatz die virtuelle Verdrehung ϕ¯ aus, wird deutlich, dass Lagerkraft Fb und Last P mit dem jeweiligen Hebelarm multipliziert werden. Die Arbeitsgleichung entspricht dem Gleichgewicht der Momente um Lager a. Hiermit k¨ onnte man die Lagerkraft Fb bei gegebenen Lasten direkt berechnen. P

a

b

b

l

l

P

P

Fa

P

a

Fb

a

Fb

j w

−Fa · w ¯ − Fb · w ¯+P ·w ¯=0

Fb · · ϕ¯ − P · 2 · ϕ¯ = 0

(−Fa − Fb + P ) · w ¯ = 0

(Fb · − P · 2 ) · ϕ¯ = 0

Bild 7-1 Anwendung des Prinzips der virtuellen Verschiebungen

124

7 Virtuelle Arbeiten

Erg¨ anzungen Die Erweiterung des PvV um die virtuelle Arbeit weiterer Kraftgr¨ oßen ist einfach m¨oglich, da die Arbeiten skalar addiert werden k¨ onnen. Nachfolgend ist das PvV um die Arbeit von Streckenlasten q sowie Lagerkr¨ aften Fa und Laaußere Kraftgr¨ oßen germomenten Ma erg¨anzt, die nach dem Freischneiden wie ¨ angesetzt werden, siehe Bild 7-2. Die Richtung der virtuellen Verschiebungen und konjugierten Kraftgr¨oßen ist so gew¨ahlt, dass von den Lagerkr¨ aften und Einspannmomenten positive Arbeit geleistet wird. Wenn im Einzelfall virtuelle j a

z,w

x j

a

Ma da

q

P

Fa

b M

c

e

Bild 7-2 Arbeit auf virtuellen Lagerweggr¨oßen Wege und wirkliche Kr¨afte entgegengesetzt wirken, ist das Vorzeichen zu wechseln. Insgesamt liefert der Arbeitssatz des PvV folgende integrale Aussage f¨ ur das gesamte Tragwerk  ¯ A = { −N ε¯ + M κ ¯ } dx  + P · δ¯ + M e · ϕ¯ + q · w ¯ dx + Σ Fa · δ¯a + Σ Ma · ϕ¯a = 0. Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen ist ein ganz grundlegendes Prinzip der modernen Berechnungsverfahren f¨ ur Tragwerke. Es liefert dar¨ uber hinaus viele Einsichten u ¨ ber das Zusammenwirken der Grundgleichungen sowie der Kraft– und Weggr¨oßen. Das PvV wird hier eingesetzt, um Lagerkr¨ afte und Schnittgr¨oßen zu berechnen. Eine Erg¨anzung der Arbeitsgleichung des PvV um Arbeitsterme infolge Erw¨ armungen, Lagerverschiebungen und Lagerverdrehungen ist nicht m¨ oglich. Der tiefere Hintergrund des Fehlens von Erw¨armungen und Lagerwegen im PvV liegt darin, dass das PvV eine andere Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen ist und Erw¨ armungen und Lagerwege nur in den Verformungsbedingungen ber¨ ucksichtigt werden k¨onnen und nicht in den Gleichgewichtsbedingungen. Wirkliche Lagerwege und virtuelle Lagerwege d¨ urfen hierbei nicht verwechselt werden. Zu beachten ist auch, dass Temperatur¨anderungen Einwirkungen sind und daher keine virtuellen Temperaturdehnungen vorhanden sein k¨ onnen.

7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte (PvK)

125

7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨ afte (PvK) In vollst¨andiger Analogie zum Prinzip der virtuellen Verschiebungen kann aus dem Arbeitssatz Gl.(6.3) ein Prinzip der virtuellen Kr¨afte entwickelt werden. Es gilt zun¨achst wie in Abschnitt 6  ΣA = P δfremd + M e ϕfremd + { M κfremd − N εfremd } dx = 0 . Die Verformungen δ, ϕ, κ, ε werden jetzt als Verformungszustand gedeutet, der als Folge der wirklichen Belastung eintritt. Der Verformungszustand erf¨ ullt damit alle Verformungsbedingungen des wirklichen Systems. Der Spannungszustand P, M e , M, N ist nicht von den Einwirkungen hervorgerufen, aber weiterhin ein Gleichgewichtszustand. Die hierzu geh¨ orenden Verformungen interessieren nicht, da sie im Arbeitssatz nicht verwendet werden. Der im Arbeitssatz vorhandene Spannungszustand wird jetzt als virtuell angenommen. Er ist dann kein wirklicher Gleichgewichtszustand, sondern nur noch ¯,N ¯ . Die hiermit folgende Form des ¯ e, M ein gedachter Spannungszustand P¯ , M Arbeitssatzes  ¯ eϕ + { M ¯ κ−N ¯ ε } dx = 0 . ΣA¯ = P¯ δ + M (7.2) wird als Prinzip der virtuellen Kr¨afte – PvK bezeichnet. Die Bedeutung des Prinzips folgt aus den Bedingungen, die an den virtuellen Spannungszustand und den wirklichen Verformungszustand gestellt werden. • Der wirkliche Verformungszustand ist Folge der wirklichen Last. Er erf¨ ulllt daher die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems. • Der virtuelle Spannungszustand muss die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen. Die hiermit verkn¨ upften virtuellen Verformungen interessieren nicht. Dies bedeutet, dass das Prinzip der virtuellen Kr¨afte eine andere Formulierung der Verformungsbedingungen des wirklichen Tragwerks ist, wenn der gew¨ ahlte virtuelle Spannungszustand im Gleichgewicht ist. Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte kann daher als Forderung an die Verformungen des wirklichen Systems gedeutet werden: Der wirkliche Verformungszustand erf¨ ullt alle kinematischen Bedingungen, wenn die Summe der am Tragwerk geleisteten virtuellen Arbeiten beliebiger, statisch zul¨assiger virtueller Spannungszust¨ande auf den wirklichen Verschiebungen verschwindet.

126

7 Virtuelle Arbeiten

7.2.1 Virtuelle Arbeiten bei Erw¨ armung In Abschnitt 7.2 ist die Arbeitsgleichung des PvK gegeben. Bei Erw¨ armung verformen sich die Tragwerke, sodass entsprechende zus¨ atzliche Arbeiten von virtuellen Spannungen auf wirklichen Wegen geleistet werden k¨ onnen. Der virtuelle Spannungszustand im PvK ist bereits erkl¨ art, sodass nachfolgend die Verformungen aus Erw¨armung sowie die entsprechenden Arbeiten angegeben werden. ¯ und der virtuBisher sind die inneren Arbeiten der virtuellen Normalkr¨ afte N ¯ auf wirklichen Dehnungen und Verkr¨ ellen Momente M ummungen ber¨ ucksichtigt:  ¯ ·κ−N ¯ · ε } dx. A¯i = {M Wenn Tragwerke erw¨armt werden, treten neben den Dehnungen aus Elastizit¨ at auch Dehnungen aus Temperatur¨anderungen auf. Es gilt f¨ ur Elastizit¨ at und Erw¨ armung

ε = εel + εT .

N

dx

T

eel dx

eT dx

e dx

ε sind wirkliche Dehnungen, sodass die Arbeit infolge virtueller Normalkraft wie folgt geschrieben werden kann:  ¯ · ( εel + εT ) dx. ¯ ¯ Ai (N ) = − N Die Werkstoffgleichung“ f¨ ur die Temperaturdehnung kann, falls erforderlich, ” in die Arbeitsgleichung eingesetzt werden. Hierf¨ ur gilt εT = αT · T0

αT T0

[1/K] [K]

W¨armeausdehnungskoeffizient Temperatur¨ anderung in Kelvin

Die Verk¨ ummungen κ k¨onnen ebenfalls Folge elastischer Verformungen und Erw¨armung sein. Bei unterschiedlicher Erw¨armung der Ober– und der Unterseite eines Balkens verkr¨ ummt sich der Stab, wenn sich die einzelnen Fasern

7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte (PvK)

127

unterschiedlich dehnen. Mit εT o = αT · To und εT u = αT · Tu sowie ΔT = Tu − To kann die Verkr¨ ummung κT aus Erw¨ armung berechnet werden. Hierbei ist Tu die Temperatur auf der gestrichelten Seite des Balkens. To

κT = − ( εT u − εT o )/h

M

= − αT · ΔT /h.

k = kel + kT

Tu

Das Vorzeichen folgt aus der Definition positiver Momente und positiver Verkr¨ ummungen. Damit leisten die virtuellen Momente innere Arbeiten auf den Verkr¨ ummungen aus Elastizit¨at und Erw¨armung  ¯ · ( κel + κT ) dx. M

¯) = + A¯i (M

7.2.2 Virtuelle Arbeiten bei Lagerwegen Bisher sind die ¨außeren Arbeiten von virtuellen Einzelkr¨ aften und Einzelmomenten auf wirklichen Wegen erfasst ¯ · ϕ. A¯a = ΣP¯ · δ + ΣM Zus¨ atzlich k¨onnen eingepr¨agte Verschiebungen und Verdrehungen z. B. als Lagerverschiebung δa oder Lagerverdrehung ϕa vorhanden sein, sodass die zum virtuellen Spannungszustand geh¨orenden virtuellen Lagerkr¨ afte und -momente ebenfalls Arbeit leisten.

x

j z,w

Ma

P

ja a da

Fa

b M

c

Die Richtung der virtuellen Kraftgr¨oßen ist im Bild so angesetzt, dass sie auf den wirklichen Wegen positive Arbeit leisten. Falls die virtuellen Kr¨ afte und die wirklichen Wege entgegengesetzt wirken, ist ein Vorzeichenwechsel zu ber¨ ucksichtigen. Insgesamt liegen damit folgende ¨außere Arbeiten vor ¯ · ϕ + Σ F¯a · δa + Σ M ¯ a · ϕa . A¯a = Σ P¯ · δ + Σ M

128

7 Virtuelle Arbeiten

7.2.3 Arbeitsgleichung des Prinzips der virtuellen Kr¨ afte Die Erweiterung des Prinzips der virtuellen Kr¨afte um die in den Abschnitten 7.2.1 und 7.2.2 betrachteten Terme gibt  ¯ (εel + εT ) + M ¯ (κel + κT ) } dx A¯ = {−N ¯ · ϕ + Σ F¯a · δa + Σ M ¯ a · ϕa = 0 . + Σ P¯ · δ + Σ M Hiermit sind s¨amtliche Verzerrungen, Einzelweggr¨ oßen und Setzungen des wirklichen Systems in einer Gleichung ber¨ ucksichtigt. Der virtuelle Spannungszustand muss im Gleichgewicht sein, damit der Arbeitssatz eine Bedingung f¨ ur die Erf¨ ullung der Verformungsbedingungen des wirklichen Systems ist. Neben den Verformungsbedingungen muss das wirkliche Tragwerk auch die Gleichgewichtsbedingungen und die Werkstoffgleichungen erf¨ ullen. Daher m¨ ussen beide Gleichungen ebenfalls in das PvK einfließen, da sonst der Verformungszustand in keinem Zusammenhang mit den Einwirkungen des wirklichen Tragwerks steht. Mit den Werkstoffgleichungen M , EI ΔT εT = αT T0 , κT = −αT , h εel =

N , EA

κel = −

kann das PvK in der Form  ¯ ( N + αT T0 ) − M ¯ ( M + αT ΔT ) } dx A¯ = {− N EA EI h ¯ a · ϕa = 0 ¯ · ϕ + Σ F¯a · δa + Σ M +Σ P¯ · δ + Σ M

(7.3)

geschrieben werden. Die Gleichgewichtsbedingungen des wirklichen Zustands sind im Arbeitsprinzip nicht direkt erfasst, sondern m¨ ussen bereits vorweg bei der Berechnung der Schnittgr¨oßen N, M infolge der wirklichen Einwirkungen erf¨ ullt werden.

Bedeutung des PvK Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte ist den Verformungsbedingungen des wirklichen Systems ¨aquivalent, wenn die virtuellen Kr¨ afte und Momente die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen. Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte ist ein ganz grundlegendes Prinzip der Baustatik. Es wird hier eingesetzt, um einzelne Weggr¨oßen zu berechnen.

7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte (PvK)

129

Beispiel Die Bedeutung des P vK als Verformungsbedingung des wirklichen Systems wird mit folgendem Beispiel deutlich. Der Kragarm ist mit einem Einzelmoment M e am Ende belastet. Gesucht ist die Verdrehung ϕb am freien Ende. Im Bild links sind die Momentenlinie und die Biegelinie skizziert. Die analytische Berechnung der Verdrehung erfolgt mit    Me Me · ϕb = dx = − . κ dx = − EI EI 0 Die Verdrehung ist hier entsprechend der Vereinbarungen nach Abschnitt 3.4 positiv im Uhrzeigersinn. a

M

w

b

+

e

M=1

M

e

M

1

+

M

j

b

+ j w

F¨ ur die Anwendung des Prinzips der virtuellen Kr¨ afte muss ein virtuelles Einzelmoment ¯1 in Richtung der Verdrehung aufgegeben werden. Die virtuelle Momentenline ist im Bild rechts gegeben. Die Auswertung des P vK erfolgt mit  ¯ · ϕb − M ¯ · M dx = 0 A¯ = M EI e M . 1¯ · ϕb = 1¯ · EI Im Vergleich mit der analytischen L¨osung best¨atigt sich die Aussage des P vK. Das positive Vorzeichen besagt, dass die Verdrehung ϕb in Richtung des virtu¯ zeigt. ellen Einzelmomentes M

8 Berechnung von Schnittgr¨ oßen mit dem PvV

Der wesentliche Gedanke des Prinzips der virtuellen Verschiebungen ist in Abschnitt 7.1 herausgearbeitet: Die virtuellen Arbeiten des wirklichen Gleichgewichtszustands auf einem beliebigen, kinematisch zul¨assigen virtuellen Verschiebungszustand sind im Integral u ¨ber das gesamte Tragwerk identisch null. Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen wird hier zur Berechnung von Lagerkr¨aften und Schnittgr¨oßen eingesetzt. Die Berechnung erfolgt in drei Schritten. 1. An der Stelle im Tragwerk, an der die Schnittgr¨ oße f¨ ur eine gegebene Einwirkung gesucht ist, wird die zugeh¨orige Bindung gel¨ ost und die inneren Spannungen werden als ¨außere“ an den Schnittufern wirkende Schnittgr¨ oße aufge” bracht. Als Folge des Schnitts verringert sich der Grad der statischen Bestimmt– oder Unbestimmtheit um eins. Statisch bestimmte Systeme werden zur kinematischen Kette, statisch unbestimmte Systeme vom Grad n werden zu statisch unbestimmten Systemen vom Grad n − 1. Dieses Vorgehen wird als Lagrange’sche Befreiung bezeichnet. 2. Es wird eine kinematisch zul¨assige virtuelle Verschiebung −δ¯ vorgegeben, auf der die Schnittgr¨oße negative virtuelle Arbeit leistet. F¨ ur die Zuordnungen von Kraft– und konjugierten Weggr¨oßen sind Tabellen 6.1 und 9.1 zu beachten. Die angesetzten virtuellen Verschiebungen sind infinitesimal klein, werden in der Verschiebungsfigur aber endlich groß dargestellt. 3. Es wird der Arbeitssatz des PvV mit dem Spannungszustand nach 1. und dem virtuellen Verformungszustand nach 2. ausgewertet. Die einzige Unbekannte ist die gesuchte Schnittgr¨oße. Bei einer kinematischen Kette entstehen hierbei keine inneren Arbeiten, da sich die Einzelst¨ abe starr verschieben und die virtuellen Verzerrungen und Verkr¨ ummungen verschwinden. Die Auswertung der Arbeitsgleichung wird hierdurch erheblich vereinfacht. In den nachfolgenden Beispielen sind die Lager– und Schnittgr¨ oßen stets an statisch bestimmten Systemen gesucht. Die Lagrange’sche Befreiung f¨ uhrt daher immer zu einer kinematischen Kette mit starren Tragwerksteilen. Nach Vorgabe einer virtuellen Weggr¨oße kann das gesamte virtuelle Verschiebungsfeld mit Hilfe des Polplanes bestimmt werden. Der Arbeitssatz des P vV gilt ganz allgemein f¨ ur beliebige Stab– und Fl¨ achentragwerke und kann entsprechend eingesetzt werden. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_8

131

8 Berechnung von Schnittgroßen mit dem PvV

Beispiel 1 1. Das gegebene Tragwerk ist statisch bestimmt. Gesucht ist die Lagerkraft Va . Nach Entfernen der zu Va konjugierten Bindung wird die unbekannte Lagerkraft Va als ¨außere Kraft angesetzt.

q

M

a l/2

2. Jetzt wird das Tragwerk im Punkt a virtuell um δ¯ = −¯1 verschoben.

l/2

b c l/2

q

M b

3. Die auf den virtuellen Verschiebungen geleisteten Arbeiten m¨ ussen nach dem PvV in der Summe verschwinden. Dies liefert eine Bestimmungsgleichung f¨ ur die Lagerkraft.

c

Va

b

d

d l

1d 2

1 δ¯ δ¯ A¯ = −Va δ¯ + (q ) · ( ) − M = 0 , 2 22 l 1 1 Va = q l − M . 8 l

l/2

Beispiel 2 1. Das gegebene Tragwerk ist statisch bestimmt. Gesucht ist das Biegemoment Mb . Nach Entfernen der zu Mb konjugierten Bindung wird das unbekannte Biegemoment Mb als Schnittmoment angesetzt. 2. Das Tragwerk wird virtuell so verschoben, dass das Schnittmoment Mb virtuelle Arbeit auf dem virtuellen Knickwinkel Δϕ¯ leistet. F¨ ur kleine Winkel gilt tan ϕ¯ = ϕ¯ und damit 16 ¯ ¯ ¯ δ. Δϕ¯ = −δ/( /4) − δ/(3 /4) =− 3 3. Die auf den virtuellen Verschiebungen geleisteten Arbeiten m¨ ussen nach dem PvV in der Summe verschwinden. Dies liefert eine Bestimmungsgleichung f¨ ur das Schnittmoment Mb .

q a

c

b

l/4

3l/4

l/4

1 3d

Mb

d

d

l/4

2 3d

Dj = 16 d 3l

16 δ¯ δ¯ δ¯ A¯ = −Mb −q ( + )=0 3 4 3 6 1 ¯ 16 −q }δ = 0 { −Mb 3 42 3 Mb = − q 2 128

132

8 Berechnung von Schnittgroßen mit dem PvV ¨

Beispiel 3 1. Das gegebene Tragwerk ist statisch bestimmt. Gesucht ist die Querkraft Q links vom Lager c. Nach Entfernen der zu Q konjugierten Bindung wird die unbekannte Querkraft Q als Schnittkraft angesetzt.

q a

c

b

l/3

2l/3

P

l/2 dQ

2. Das Tragwerk wird virtuell so verschoben, dass die Querkraft Q virtuelle Arbeit auf der virtuellen Spreizung δ¯Q leistet.

Ql

3 l A¯ = −Q δ¯ − q δ¯ − P δ¯ = 0 6 2 l 3 −{ Q + q + P } δ¯ = 0 6 2 l 3 Q = −q − P 6 2

3. Die auf den virtuellen Verschiebungen geleisteten Arbeiten m¨ ussen nach dem PvV in der Summe verschwinden. Dies liefert eine Bestimmungsgleichung f¨ ur die Querkraft Q.

Beispiel 4

P d

q

e

a

2. Das Tragwerk wird virtuell verschoben, sodass Mb virtuelle Arbeit auf dem ¯ h leistet. Knickwinkel ϕ¯ = 4 δ/3

3l/4

3. Das PvV liefert die Bestimmungsgleichung f¨ ur Mb . δ¯ δ¯ δ¯ l δ¯ A¯ = −q h + P + Mb ( + ) 2 h 4 h 3h 4 ¯ h l = { −q + P + Mb }δ = 0, 2 4h 3h 3 3 P l. M b = + q h2 − 8 16

c

b

h

1. Der Drei–Gelenk–Rahmen ist statisch bestimmt. Gesucht ist das Moment Mb . Nach Entfernen der zu Mb konjugierten Bindung wird Mb als Schnittmoment angesetzt.

3 ld

Qr

3 2d

Mb

d h

d .l. 4 h 4 3l

d .l h 4

l/4

d

d h

133

8 Berechnung von Schnittgroßen mit dem PvV

Beispiel 5 P d

q

2. Die virtuelle Verschiebungsfigur kann hier mit Hilfe eines Polplans bestimmt werden. Die festen Lager sind die Absolutpole der Scheiben 1 und 3. Der Relativpol (1/2) liegt im Gelenk und der Relativpol (2/3) im Unendlichen. Mit den Absolutpollinien (1)−(1/2)−(2) sowie (3)−(2/3)−(2) ist der Absolutpol (2) im linken Lager festgelegt, sodass sich die Scheiben 1 und 2 wie eine einzige Scheibe verschieben. Das Tragwerk wird jetzt virtuell so verschoben, dass die Normalkraft N virtuelle Arbeit auf der Spreizung δ¯N leistet.

e

a 3l/4

l/4

2

(2/3)∞

) (2 ) /2 (1

1

3

) (1

(1) (3)

(2)

3. Die auf den virtuellen Verschiebungen geleisteten Arbeiten m¨ ussen nach dem PvV in der Summe verschwinden. Hiermit folgt die Bestimmungsgleichung f¨ ur die Normalkraft N . δ¯ δ¯ 3 l δ¯ A¯ = −(q h) − P −N l 2 h 4 h h 3l l ¯ = { −q − P −N }δ = 0, 2 4h h 3 h2 N =− q− P. 2l 4

c

b

h

1. F¨ ur den Drei–Gelenk–Rahmen ist die Normalkraft N in der rechten St¨ utze an der Stelle d gesucht. Nach Entfernen der zu N konjugierten Bindung wird die unbekannte Normalkraft N als Schnittkraft angesetzt.

(2/3)∞ (2)

(3)

d d h l d d h

d h

d . 3l h 4

d

N d h

Da die virtuellen Verschiebungen beliebig klein sind, verschieben sich die Schnittufer, ohne sich gegeneinander zu verkanten.

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

Die Schnittgr¨oßen M, Q, N werden bisher in Zustandslinien dargestellt:

Zustandslinien Die Funktion, die die Gr¨oße einer Schnittgr¨ oße an ver¨ anderlichem Ort x infolge einer festen Lastanordnung beschreibt, heißt Zustandslinie. Zustandslinien werden so dargestellt, dass die Schnittgr¨ oße an der jeweiligen Stelle x angetragen wird. Nach der Berechnung der Zustandslinien erfolgt die Bemessung der tragenden Konstruktion in der Regel an einzelnen, maßgebenden Querschnitten des Tragwerks. Hierf¨ ur werden jeweils die maximalen und minimalen Schnittgr¨ oßen aus allen Lastf¨allen ben¨otigt, um die ung¨ unstigste Kombination der Schnittgr¨oßen zu bestimmen. Ist die Zahl der Lastf¨alle gering, so kann man die Berechnung der Zustandslinien f¨ ur jeden Lastfall mit dem bisherigen Vorgehen durchf¨ uhren und erh¨alt so obere und untere Grenzwerte der Zustandslinien, siehe nebenstehendes Beispiel. Damit k¨onnen die ung¨ unstigsten Stabschnittgr¨oßen gezielt ausgew¨ahlt werden.

M

1

M

2

M

3

P1

P2

P3

M grenz

Sind viele Lastf¨alle zu ber¨ ucksichtigen oder sind bewegliche Verkehrslasten mit unendlich vielen m¨oglichen Laststellungen, z. B. bei Eisenbahnz¨ ugen, vorhanden, so kann das Finden oberer und unterer Grenzwerte der Zustandslinien sehr aufw¨andig sein. Der Aufwand kann in Grenzen gehalten werden, wenn nicht die Extremwerte der Schnittgr¨oßen im gesamten Tragwerk gesucht sind, sondern nur an wenigen f¨ ur die Bemessung maßgebenden Stellen. Da die maximalen und minimalen Schnittgr¨oßen von der Lastanordnung auf dem Tragwerk abh¨angen, ist die ung¨ unstigste Lastanordnung gesucht. Zur Vereinfachung kann man statt verschiedener Lastanordnungen zun¨ achst auch eine wandernde Einzellast ansetzen und beliebige Lastanordnungen gedanklich aus Einzellasten zusammensetzen. Im weiteren wird die Wanderlast immer als © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_9

9.1 Statische Methode

135

Einheitslast P = 1 gew¨ahlt und mit dem Zeichen ··↓·· dargestellt. Um die ung¨ unstigste Laststellung zu finden, muss der Einfluss des Ortes der Wanderlast auf die gesuchte Schnittgr¨oße am festen Ort bekannt sein.

Einflusslinien Die Funktion, die den Einfluss des ver¨anderlichen Ortes x einer Wanderlast P auf eine vorgegebene Schnittgr¨oße an einem festen Ort a beschreibt, heißt Einflusslinie. Sie wird so dargestellt, dass die Schnittgr¨ oße infolge der Wanderlast als Ordinate an der jeweiligen Stelle x der Wanderlast angetragen wird, vergleiche Bild 9-1. Die Einflusslinie f¨ ur eine Schnitt- oder Lagergr¨oße erh¨ alt die Bezeichnung η. Die Ordinaten der Einflusslinien sind positiv, wenn sie in Richtung der Wanderlast zeigen. Ihre Einheit richtet sich nach der gesuchten Schnittgr¨ oße. Im Beispiel Pl a

.. ..

P

M

x=l

x Pl 2

h

P

M

x = l/2

P M

Ma

x=0

Bild 9-1 Einflusslinie f¨ ur das Einspannmoment Ma nach Bild 9-1 kann man das gesuchte Einspannmoment am festen Ort a mit Ma = P |x · ηM (x) berechnen, wenn ηM (x) bekannt ist. Die Ermittlung der Einflusslinien η f¨ ur Kraftgr¨oßen wird nachfolgend erl¨autert.

9.1 Statische Methode Die Berechnung der Einflusslinie f¨ ur eine Schnittgr¨ oße erfolgt mit der stati” schen Methode“ durch mehrmalige Berechnung der gesuchten Schnitt– oder Lagergr¨oße f¨ ur verschiedene Laststellungen. Im Regelfall kann man die Einflusslinie bestimmen, indem man an ausgezeichneten Stellen des Tragwerks die Ordinaten bestimmt und dazwischen eine lineare Verbindung vorgibt. F¨ ur Sonderf¨alle gelingt es, die Einflusslinie geschlossen zu berechnen.

136

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

Beispiel 1 Gesucht ist die Einflusslinie η(ξ) f¨ ur die Querkraft Qf . Das Momentengleichgewicht um Lager b gibt die Lagerkraft Va = P ·

l−x = P · ( 1 − ξ ). l

a

l3

l x= x l

Wenn Qf = P · ηQf ist, folgt ηQf = −ξ . F¨ ur P an einer Stelle x ≥ 1 gilt ηQf = ( 1 − ξ ).

l2

l1

Qf = Va − P = − P · ξ.

und damit

b

f

F¨ ur P an einer Stelle x < 1 gilt

Qf = Va = P · ( 1 − ξ )

P=1

.. ..

x

c l

x 1

hQ

1 x h

Der Sprung Δη = 1 an der Stelle f ist charakteristisch und entspricht einer Spreizung δQ = −1.

Beispiel 2 Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur das Feldmoment Mf . Mit Hilfe des Schnittprinzips erh¨alt man f¨ ur x ≤ 1

P=1 .. .. f

a

Mf = Va · 1 − P · ( 1 − x ) l−x · 1 − P · ( 1 − x ) =P · l = P · ξ · ( − 1 )

b

l2

l1

l3

l x= x l

und die Einflusslinie ηM f = ξ ( − 1 ) . F¨ ur x ≥ 1 gilt Mf = Va · 1 ηM f

= P · ( 1 − ξ ) · 1 = ( 1 − ξ ) · 1 .

Zu beachten ist der Knick Δϕ = −1 an der Stelle des gesuchten Feldmomentes.

l1

h

hM Dj = -1

l2

9.2 Kinematische Methode

137

9.2 Kinematische Methode Die statische Methode zur Ermittlung von Einflusslinien verwendet das Schnittprinzip zur Berechnung der Schnitt– oder Lagergr¨ oßen. Dieses Vorgehen kann im Einzelfall sehr aufw¨andig werden und ist daher nicht zu empfehlen. Ein sehr viel u ¨bersichtlicheres und weniger aufw¨andiges Vorgehen ist mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Verschiebungen m¨oglich. Mit dem PvV k¨onnen nach Abschnitt 7 Lager– und Schnittgr¨oßen mit Hilfe der Lagrange’schen Befreiung bestimmt werden. F¨ ur die Berechnung der Lagerkraft Va des nebenstehenden Systems wird die zur Lagerkraft konjugierte Bindung am Lager a gel¨ost und eine virtuelle Verschiebung δ¯ so vorgegeben, dass die freigeschnittene Lagerkraft virtuelle Arbeit auf der Verschiebung leistet.

. . .P. = 1

x a

b

l

c

Va da

d(x)

Setzt man statt der festen Lastanordnung wie in Abschnitt 7 jetzt eine Wanderlast P |x = 1 an, so kann der Arbeitssatz v¨ollig analog ausgewertet werden. Aufgrund der geradlinigen virtuellen Verschiebung verschwinden die inneren Arbeiten, sodass mit A¯i = 0 ¯ =0 A¯ = A¯a + A¯i = Va · δ¯a + P |x · δ(x) folgt. Hieraus berechnet man die Lagerkraft Va zu ¯ δ(x) Va = − P |x · ¯ . δa W¨ ahlt man die virtuelle Verschiebung, auf der die gesuchte Lagerkraft virtuelle Arbeit leistet, zu δ¯a = − ¯1, so gilt Va = − P |x ·

¯ δ(x) = P |x · ηV a . − ¯1

Diese Schreibweise der Berechnung der Lagerkraft entspricht aber v¨ ollig der in Abschnitt 9.1 beschriebenen Bedeutung der Einflusslinie. Die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft kann damit analog zur virtuellen Verschiebungsfigur infolge einer Verschiebung von δ¯a = − ¯1 ermittelt werden, wobei ¯ 1 entgegengesetzt zur Lagerkraft aufgebracht ist ¯ δ(x) ηV a = ¯ . 1

138

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

Obwohl δ¯ beliebig klein angesetzt ist, ist η endlich groß, da sich die virtuellen Verschiebungen bei der Bestimmung der Einflusslinie herausk¨ urzen. η ist damit auch keine virtuelle Weggr¨oße, sondern eine wirkliche Weggr¨ oße und legt die wirklichen Ordinaten des Feldmomentes fest. Damit kann man anstelle virtueller Weggr¨oßen −¯1 auch von vornherein endliche Weggr¨ oßen −1 ansetzen, vergleiche Abschnitt 8. Die Berechnung der Einflusslinie f¨ ur beliebige Lager– und Schnittgr¨oßen kann jetzt v¨ollig analog erfolgen. Die zu der gesuchten Schnittgr¨oße konjugierte Bindung wird gel¨ost und eine Weggr¨ oße von δ = − 1 entgegengesetzt zur Schnittgr¨oße aufgebracht. Mit nebenstehenden Bild erfolgt die Berechnung der Einflusslinie f¨ ur das Feldmoment Mf nach Vorgabe eines Knickwinkels Δ ϕf = − 1. Wenn das System statisch bestimmt ist, ist die Einflusslinie bereichsweise geradlinig.

P=1

.. .. f x = lx d(x)

Mf

Dj f = 1

Die Arbeiten auf der vorgegebenen Verschiebung sind A = Mf · Δϕf + P |x · δ(x) = 0 . Mit Δϕf = − 1 gilt

δ(x) = P |x · ηM , −1 womit die Einflusslinie wie oben mit ηM festgelegt ist. Mf = − P |x ·

Satz von Land Eine Einflusslinie f¨ ur eine Lager– oder Schnittgr¨ oße ist identisch mit der Verschiebungsfigur infolge der zur Kraftgr¨ oße konjugierten Weggr¨ oße −1“, wenn die Verschiebungen des Lastgurtes auf die Lastrichtung pro” jiziert werden. η = δ(x).

Vorzeichendefinition und Einheiten Unabh¨angig von der aufgebrachten Weggr¨oße −1“ sind Einflusslinien positiv ” definiert, wenn sie in Richtung der Wanderlast zeigen. Die Einheit der Einflusslinie richtet sich nach der gesuchten Schnittgr¨oße. Damit folgt ηKraft = [ 1 ] und ηMoment = [ m ].

9.3 Beispiele zur kinematischen Methode

139

9.3 Beispiele zur kinematischen Methode Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen von statisch bestimmten Tragwerken bestehen aus geraden Streckenabschnitten, da nach L¨osen der zur Schnittgr¨ oße geh¨ orenden Bindung eine kinematische Kette entsteht. F¨ ur die Bestimmung der Einflusslinie mit der kinematischen Methode sind folgende Punkte zu bearbeiten. 1. L¨osen der zur Lager– oder Schnittgr¨oße geh¨orenden Bindung. 2. Vorgeben der zur Lager– oder Schnittgr¨oße konjugierten Weggr¨ oße −1“. ” 3. Bestimmung der Verschiebungsfigur infolge der Weggr¨ oße −1“ mit dem Pol” plan. Hierbei sind folgende Zusammenh¨ange mit dem Polplan zu beachten. a) Im Bereich einer Scheibe ist die Einflusslinie geradlinig. b) Unter einem Absolutpol ist η = 0. c) Liegt der Absolutpol im Unendlichen gilt η = konstant. d) Unter einem Relativpol ist ein Knick in η vorhanden. e) Liegt ein Relativpol im Unendlichen ist ein Sprung in η vorhanden. 4. Bestimmung der Projektion der Verschiebungsfigur in Richtung der Wanderlast, da nach dem Arbeitssatz nur die Projektion der Verschiebungen in Richtung der Last Arbeit leistet. 5. Bestimmung des Maßstabes der Einflusslinie, falls erforderlich. Tabelle 9.1 Vorzeichenregelung f¨ ur die Weggr¨oßen −1“ ” Schnittgr¨oße Lagerkraft

d= 1

V

Einspannmoment

Querkraft

Normalkraft

Weggr¨ oße

M

j= 1 d= 1 Q

N

Schnittmoment M

d= 1

Dj = 1

140

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

9.3.1 Einflusslinien bei Durchlauftr¨ agern Durchlauftr¨ ager bei direkter Belastung Wenn die Wanderlast direkt auf dem Tr¨ager l¨auft, f¨ ur den die Einflusslinien bestimmt werden, spricht man von direkter Belastung. Im nachfolgenden Beispiel kann man die Einflusslinien relativ effizient ermitteln, wenn die oben angef¨ uhrten Zusammenh¨ange mit dem jeweiligen Polplan beachtet werden. Die Polpl¨ane werden hier allerdings nicht gezeichnet, da die Lage der Absolut– und Relativpole eindeutig ist. So sind die Lager a,b,d in allen F¨allen Absolutpole und damit Nullstellen der Einflusslinien. Lager b ist bis auf den ersten Fall, wenn die Lagerkraft bestimmt wird, ebenfalls Absolutpol. Die Momentengelenke sind Relativpole und damit Knicke der Einflusslinie. Bei einer Querkraftspreizung liegen die benachbarten Scheiben parallel. Im ersten Fall ist die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft Vb gesucht, sodass eine Lagerabsenkung in b von −1“ erfolgt. Im zweiten Fall ist die Einflusslinie f¨ ur ” ur das die Querkraft Qs (Spreizung −1“) und im dritten Fall die Einflusslinie f¨ ” Moment Ms (Knick −1“) gesucht. ” a

b

c s

l1

hVb

hQs

d t

l1

l1

1

1

hMs 1

Durchlauftr¨ ager bei indirekter Belastung Eine indirekte Belastung liegt vor, wenn die Last u ¨ ber ein auf dem untersuchten Tr¨ager angeordnetem Hilfstragwerk eingeleitet wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine Br¨ uckenfahrbahn auf Quertr¨agern gelagert ist, die wiederum auf den Haupttr¨agern ruhen.

9.3 Beispiele zur kinematischen Methode

141

Hierbei sind mehrere F¨alle m¨oglich. Im Bild ist eine Fahrbahn gew¨ ahlt, deren Tr¨ager als Einfeldbalken gelenkig auf den Quertr¨agern gelagert sind. P=1

a

b

s

c

t

d

Die Einflusslinien f¨ ur die Schnittgr¨oßen des untenliegenden Tr¨ agers sind bei direkter Belastung bekannt. Bei indirekter Belastung wird die Last u ¨ber die Zwischenlager auf den untenliegenden Tr¨ager weitergeleitet. Damit m¨ ussen an den Zwischenlagern die Ordinaten ηi der Einflusslinien bei indirekter und direkter Belastung u ur die Ordinaten η(ξ) zwischen diesen St¨ utzstel¨bereinstimmen. F¨ len gilt Folgendes: Im gelenkig gelagerten Einzelfeld sind die Schnittkr¨afte Vn und Vn+1 bei wandernder Last P (x) vom Ort der Last abh¨angig. F¨ ur ein Einzelfeld gilt daher

x

P

x l−x P (x) und Vn+1 = P (x) . l l

Vn

Vn+1

Auf den untenliegenden Tr¨ager wirken jetzt die Einzelkr¨afte Vn und Vn+1 . Bei der Formulierung des Arbeitssatzes kann jetzt die Arbeit der Wanderlast mit der Arbeit der Schnittkr¨afte beschrieben werden. Mit dem P vV gilt

hn

hn+1

Vn =

x hn

h(x)

hn+1

¯ − Vn · δ¯n − Vn+1 · δ¯n+1 = 0. A¯ = P · δ(x) Wenn δ¯ = η · ¯1 angesetzt ist, folgt sowie

P (x) · η(x) = Vn · ηn + Vn+1 · ηn+1

x l−x · ηn + · ηn+1 ) . l l Hiermit ist die Einflusslinie zwischen den St¨ utzstellen festgelegt P (x) · η(x) = P (x) · (

η(ξ) = ( 1 − ξ ) ηn + ξ ηn+1 . Damit weisen die Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen bei indirekter Lasteinleitung zwischen den St¨ utzstellen einen linearen Verlauf auf.

142

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

F¨ ur nachfolgenden Durchlauftr¨ager mit indirekter Belastung sind die Einflussli¨ nien bei direkter Belastung gestrichelt angegeben, sodass die Anderung infolge indirekter Belastung gut zu erkennen ist. St¨ utzstellen der Einflusslinie sind die Ordinaten an den Quertr¨agern. Dazwischen verl¨auft die Einflusslinie linear. P=1

a

b

hQs

s

c

t

d

1

hMs

1 hQt

1

hMt

1

Auch wenn die Fahrbahnbalken u ¨ ber die Quertr¨ager hinausreichen, aber weiterhin gelenkig miteinander verbunden sind, werden die Werte der Einflusslinie bei direkter Belastung als St¨ utzwerte verwendet. P=1

a

hQs

b

s

c

1

hMs

1

d

9.3 Beispiele zur kinematischen Methode

143

Hierbei wird die direkte Verbindung der St¨ utzwerte an den Quertr¨ agern jeweils bis zum n¨achsten Gelenk verl¨angert und von dort linear auf die n¨ achste gegebene Ordinate weitergef¨ uhrt. Entsprechend ist vorzugehen, wenn die oben liegenden Balken Querkraftgelenke aufweisen oder ohne direkte Verbindung hintereinander liegen.

9.3.2 Einflusslinien bei schr¨ ag angreifender Last Wenn die Richtung der Wanderlast nicht senkrecht zur gew¨ ahlten Stabachse zeigt, muss die Einflusslinie aus der Projektion der Verschiebungsfigur in Richtung der Wanderlast bestimmt werden, da im Arbeitssatz P (ξ) · η(ξ) ausgewertet wird. Die Bestimmung der Einflusslinie f¨ ur das Moment Ms im unten dargestellten Tragwerk erfolgt in zwei Schritten. Zun¨achst wird die Verschiebungsfigur δ(y) infolge Knickwinkel Δϕ = −1“ wie bisher ermittelt. Hiermit sollte auch ” der Maßstab festliegen. Im zweiten Schritt wird die Verschiebungsfigur in die Richtung der Wanderlast projeziert. Die Projektion der Verschiebungsfigur gibt dann die Einflusslinie ηMs f¨ ur vertikale Wanderlasten.

Dj = -1

Ms s y

a x

d(y)

s h M(x)

F¨ ur das Beispiel gilt damit

ηMs(x) = cos α · δ(y) .

Bei der Auswertung der Einflusslinie f¨ ur Streckenlasten ist darauf zu achten, dass die Wanderlast auf dem schr¨agen“ Balken l¨ auft, und damit die Auf” standsl¨ange Δy gegen¨ uber der horizontalen Projektion Δx vergr¨ oßert ist.

144

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

9.3.3 Einflusslinien bei Fachwerken Beispiel 1 Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur die Stabkraft O3 . Das oben beschriebene Vorgehen zur Bestimmung der Einflusslinie ist auch hier anwendbar, wobei die Stabkraft die Arbeit −O3 · 1 leisten muss. Die Hauptpole (1) und (2) sind Nullstellen der Einflusslinie. Die Scheiben 1,2 sind in der Einflusslinie gerade Linien, die sich um die Hauptpole drehen. Aufgrund der Weggr¨ oße −1“ im ” agt werden. Obergurt muss im Nebenpol (1/2) ein Knick Δϕ1/2 = −1/h eingepr¨ d= 1

h

O3

1

2 (2)

(1) (1/2) P=1 l

l

l

l

2 1 h

1

h

Beispiel 2 Bei der Einflusslinie f¨ ur die Stabkraft U3 ist zu beachten, dass die Wanderlast nicht an allen Orten direkt auf die Scheiben 1 und 2 wirkt. Damit liegt hier teilweise eine indirekte Belastung vor. Auch hier ist der Knick Δϕ1/2 = −1/h zwischen Scheibe 1 und 2 vorhanden. (2)

h

(1/2)

1

2

U3

(1)

d= 1 P=1 l

h

l

l

1 2

l

1 h

9.3 Beispiele zur kinematischen Methode

145

Beispiel 3 Bei der Einflusslinie f¨ ur die Stabkraft D ist die Spreizung −1“ zwischen den ” Nebenpolen (1/3) und (1/4) anzubringen. In der Einflusslinie ist die Spreizung nicht direkt messbar, sondern mit dem Knickwinkel Δϕ1/4 = −1/r zwischen Scheibe 1 und 4 festgelegt. Da die Wanderlast u auft, ¨ ber die Scheiben 1, 4, 2 l¨ besteht die Einflusslinie aus drei Geraden. (3)

r

(2/3)

(1/3)

(1/2)

1

2 d= 1 (1/4)

(4) (3/4)

1 r h

(2) 4

(2/4) P=1

8

(1)

8

3

D

1 4

2

Die Relativpole (1/4) und (2/4) kennzeichnen die Knicke der Verschiebungsfigur. Die qualitative Bestimmung der Einflusslinie ist bereits mit der Lage der Absolut– und Relativpole m¨oglich. Bei der Bestimmung der wirklichen Ordinaten muss beachtet werden, dass sich Scheibe 1 und Scheibe 4 relativ zueinander um Δϕ1/4 = −1/r verdrehen sollen. Wenn der Winkel nicht eingehalten ist, muss die qualitative Einflusslinie mit einem Maßstabfaktor multipliziert werden.

9.3.4 Einflusslinien bei Rahmentragwerken Einflusslinien f¨ ur M,Q oder N sind eigentlich f¨ ur Rahmentragwerke nicht sinnvoll, da der Spannungsnachweis immer mit den Extremwerten von Spannungen aus einer Kombination von M,Q und N erfolgt. Um die Problematik zu vereinfachen, wird im weiteren das Vorgehen nur f¨ ur Einflusslinien von einzelnen Schnittgr¨oßen gezeigt. Einflusslinien sind bei Rahmentragwerken nicht so einfach zu ermitteln wie bei Durchlauftr¨agern, da die Scheiben in beliebigem Winkel zueinander angeordnet sein k¨onnen und Absolut– und Relativpole in der gesamten Tragwerksebene verteilt sind. Deshalb ist Folgendes zu beachten.

146

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

1. Vor der Bestimmung der Verschiebungsfigur ist immer festzulegen, welche Scheiben und welche Absolut– und Relativpole f¨ ur die Verschiebungsfigur und damit f¨ ur die Einflusslinie ben¨otigt werden. Pole, die f¨ ur die Einflusslinie nicht ben¨otigt werden, m¨ ussen auch nicht bestimmt werden. 2. Die Einflusslinie ist weiterhin die Verschiebungsfigur infolge einer Weggr¨ oße −1“. Das bedeutet, dass alle geometrischen Zuordnungen zwischen den Schei” ben, wie L¨angenverh¨altnisse und Winkel zwischen den Scheiben, bei der Projektion der Verschiebungsfigur zur Einflusslinie erhalten bleiben. 3. Bei Rahmentragwerken kann man die Verschiebungsfigur auf verschiedene Geraden in der Tragwerksebene projizieren, sodass Einflusslinien f¨ ur horizontale und vertikale Wanderlasten bestimmt werden k¨ onnen. Dies wird erforderlich, wenn z. B. Wind oder horizontale Stoßlasten ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen.

Beispiel 1 Am nachfolgenden Rahmen ist die Einflusslinie f¨ ur das Moment Ms im Riegel gesucht. Die Wanderlast ist auf dem gesamten Riegel angesetzt, sodass die Verschiebungsfigur f¨ ur die am Riegel beteiligten Scheiben ermittelt werden muss. Dies sind zuf¨allig alle Scheiben. Die Scheiben sowie die Absolut– und Relativpole sind im Bild angegeben. Punkt s ist gleichzeitig Relativpol (1/2), sodass der Absolutpol (2) bestimmt werden kann. Damit sind alle Absolutpole bekannt, sodass das Verschiebungsfeld bei Vorgabe eines Knickes −1“ in s gezeichnet ” werden kann. Damit ist die Einflusslinie als Polygonzug gegeben. (2)

s

2

(2/3)

4

3

1

(3)

(1) a (1)

h

(3/4)

(2/3)

(2)

1 s

(3)

(4)

a!

Die Konstruktion des Knickes −1“ erfolgt am besten so, dass der horizontale ” Abstand s − (2/3) → a unter dem Relativpol (2/3) der Einflusslinie abgetragen wird und dieser Punkt mit Absolutpol (1) der Einflusslinie verbunden wird. Die anderen Knicke und damit der Streckenzug der Einflusslinie liegen mit den Nebenpolen (2/3) und (3/4) fest.

9.3 Beispiele zur kinematischen Methode

147

Beispiel 2 Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur das Schnittmoment Ms in der St¨ utze. Hier ist zu beachten, dass der Knickwinkel −1“ nicht zwischen den Scheiben des Riegels ” auftritt, also nicht durch die Scheiben dargestellt werden kann, auf denen die Wanderlast l¨auft. Deshalb m¨ ussen die Verschiebungen der Riegelscheiben und die der mittleren St¨ utze in der Einflusslinie bestimmt werden.

(2)

2

h

(2/4)

(1/2)

1 (2/3)

1 (3/4)

4

b

3 (3)

(1)

s

a

(4)

(3/4)

a/h

h

1

1

2

4

3

Zuerst werden die Absolutpole der Scheiben 1, 2, 3 und 4 bestimmt. (3) wird hier ben¨otigt, da der Knickwinkel −1“ zwischen Scheibe 2 und 3 aufgebracht ” wird. Hierzu werden auch die Relativpole (1/2), (2/3) und (2/4) gebraucht. Nach Vorgabe der Verschiebung eines Punktes des Riegels kann die Einflusslinie f¨ ur die Scheiben 1, 2 und 4 qualitativ ermittelt werden. Obwohl die Scheibe 3 nicht Teil der Einflusslinie ist, muss der Maßstab der Einflusslinie mit Hilfe der Scheibe 3 festgelegt werden, da der Knickwinkel −1“ zwischen Scheibe 2 und ” 3 liegt. Verschiebt man den Punkt s nach rechts, sodass sich die Scheibe 2 dreht und die Basisl¨ange a entsteht, ist der Drehwinkel der Scheibe 2 mit a/h festgelegt. Damit kann man die Scheibe 2 der Einflusslinie um den gleichen Winkel a/h drehen, um den Polygonzug zu normieren. Der Knickwinkel zwischen den Scheiben 2 und 3 wird abschließend mit Hilfe von a und b auf die Gr¨ oße −1“ ” normiert, sodass hiermit auch der Maßstab festliegt.

148

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

Beispiel 3 Nachfolgend wird ein weiterer L¨osungsweg f¨ ur die Aufgabenstellung von Beispiel 2 beschrieben. F¨ ur den gleichen Rahmen ist ebenfalls die Einflusslinie f¨ ur das Schnittmoment Ms in der St¨ utze gesucht. Jetzt wird allerdings die horizontale Projektion der Verschiebungsfigur zur Bestimmung des Knickwinkels verwendet. Die Horizontalprojektion ist gleichzeitig die Einflusslinie f¨ ur horizontale Wanderlasten auf der mittleren St¨ utze. !

b=a

(2)

2

s

1

(2/3)

3 (1)

a

(2/4)

(1/2)

1

3

4

2

hM (3)

(4)

2

hV

1

1 3

4

Zuerst ist die Horizontalprojektion der Verschiebungsfigur zu ermitteln. Dies ist wie bisher mit den Absolutpolen (2) und (3) sowie dem Relativpol (2/3) m¨ oglich, der dem Punkt s entspricht. Der Knickwinkel −1“ wird mit den ” L¨ angen a = b konstruiert. Jetzt kann die Vertikalprojektion bestimmt werden. Hierbei ist zu beachten, dass die L¨angenverh¨altnisse und die Winkel des Rahmentragwerks auch in den jeweiligen Projektionen erhalten bleiben. Dies bedeutet, dass die Scheiben 2 und 3 der Vertikalprojektion senkrecht zu den Scheiben 2 und 3 der Horizontalprojektion liegen m¨ ussen. Ihre genaue Lage ist mit den Absolutpolen (2) und (3) der Vertikalprojektion gegeben. Damit ist auch der Knickwinkel −1“ der ” Vertikalprojektion festgelegt. Die Scheiben 1 und 4 k¨ onnen wie bisher mit den Absolutpolen und den Knickwinkeln zu Scheibe 2 bestimmt werden.

9.3 Beispiele zur kinematischen Methode

149

Beispiel 4 Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur die Querkraft Qs in der St¨ utze der Trib¨ unen¨ uberdachung.

(2)

1

2

S

2

h

(1/2)

1

3

3

1 h 1 (1)

h

(3)

1

2

1 h

1

Auch hier wird die Spreizung −1“ in der Horizontalprojektion aufgebracht. ” Die Scheiben 2 und 3 sind parallel, sodass die Verschiebungsfigur mit den Absolutpolen (2) und (3) sowie der Spreizung bestimmt ist. In der Vertikalprojektion liegt Scheibe 2 senkrecht zu Scheibe 2 der Horizontalprojektion, sodass die Einflusslinie mit (1/2) und (1) bereits maßstabsgerecht gegeben ist.

9.3.5 Einflusslinien bei Bogentragwerken F¨ ur die Einflusslinien von Bogentragwerken gelten die gleichen Bemerkungen wie f¨ ur Rahmentragwerke. Die Verschiebungsfigur infolge δ = −1 besteht auch hier aus geraden Linien, sodass auch die Einflusslinien trotz der Tragwerkskr¨ ummung Geraden sind. Wenn die Einflusslinie der Projektion der Verschiebungsfigur in Richtung der Wanderlast entspricht, sind mit den Absolutpolen die Nullstellen und mit den Nebenpolen die Knicke der Einflusslinie gegeben.

Beispiel 1 Die Einflusslinie f¨ ur das Schnittmoment Ms eines Drei-Gelenk-Bogens kann man u ¨ ber die Verschiebungsfigur infolge eines Knickwinkels −1“ ermitteln. ” Nach L¨osen der Momentenbindung gibt die vertikale Projektion der Verschiebungsfigur infolge Knick −1“ die Einflusslinie. Die Einflusslinie ist ein Strecken” zug, der die Scheiben 1,2,3 als gerade Linien enth¨ alt. Bei der Auswertung f¨ ur

150

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

Streckenlasten ist zu beachten, dass die Lastaufstandsl¨ ange auf dem Bogen anders ist, als die vertikale Projektion. (2)

s 2

3

1

a (3)

(1)

hM

1 a

s

Beispiel 2 Die Einflusslinie f¨ ur die horizontale Lagerkraft Hs kann man u ¨ ber die Verschiebungsfigur infolge einer Horizontalverschiebung δ = −1 ermitteln. Infolge δ = −1 dreht sich Scheibe 1 um den Absolutpol (1) mit dem Winkel −1/h. Damit dreht sich Scheibe 1 auch in der vertikalen Projektion um den gleichen Winkel, sodass mit dem Nebenpol (1/2) die gesamte Einflusslinie festliegt. Anstelle des Winkels −1/h kann man auch den Knickwinkel −1/f zwischen Scheibe 1 und Scheibe 2 im Nebenpol (1/2) ansetzen. (1)

(1/2)

h

1 h 1 Ha

1

f

2

a (2)

.

1 h hH

a

1 f

9.4 Auswertung von Einflusslinien

151

9.4 Auswertung von Einflusslinien Die Einflusslinien werden bei der kinematischen Methode mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Verschiebungen als Verschiebungsfigur interpretiert. Bei der Verwendung des PvV zur Berechnung von Lager– und Schnittgr¨ oßen k¨ onnen im Arbeitssatz aber nicht nur Wanderlasten, sondern auch beliebige Lasten ber¨ ucksichtigt werden. Daher ist es m¨oglich, Einflusslinien auch f¨ ur Streckenlasten und Einzelmomente auszuwerten, um die jeweils gesuchte Schnittgr¨ oße zu berechnen. Wenn Einzelmomente vorhanden sind, ist der Neigungswinkel η  (ξi ) der jeweiligen Scheibe aus der Einflusslinie zu berechnen. Die Auswertung der Einflusslinie erfolgt entsprechend dem PvV jeweils mit

Schnittgr¨oße =



P (ξi ) η(ξi ) +



l



M (ξi ) η (ξi ) +

i

i

q(ξ) η(ξ) dx.

(9.1)

0

Der Index i gibt jeweils den Ort der Einzellast bzw. des Einzelmomentes an.

9.4.1 Auswertung f¨ ur feste Laststellung F¨ ur nachfolgenden Balken ist die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft Va gegeben. 2 kN/m 3 kN

5 kNm b

a Va 4m

4m

1,5 m 1,5 m

x h 1

1 2

1 8

3 16

Die Auswertung der Einflusslinie erfolgt mit Gleichung (9.1), wobei die Neigung mit η  = −1/8 und die Verschiebung der Resultierenden der Gleichlast mit ηR = 1/2 · 1/2 ber¨ ucksichtigt sind. Hiermit folgt Va = P · η + (q · ) · ηR + M · η  3 1 1 1 13 Va = 3 · (− ) + (2 · 4) · ( · ) − 5 · = kN. 16 2 2 8 16

152

9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

9.4.2 Bewegte Laststellungen Bewegte Lasten sind zum Beispiel bei Straßen– und Eisenbahnbr¨ ucken vorhanden. Hierbei werden die vorgeschriebenen Lastanordnungen gedanklich u ¨ ber die Br¨ ucke geschoben, um die ung¨ unstigste Laststellung f¨ ur eine gesuchte Lager– oder Schnittgr¨oße zu erhalten. Zus¨atzlich sind Schwingbeiwerte ϕ als Vergr¨ oßerungsfaktoren der gesuchten Schnittgr¨oße zu ber¨ ucksichtigen. Bei der Berechnung der Schnittgr¨oße mit Hilfe der Einflusslinie wird das jeweilige Lastbild so u ur eine Bemessung wich¨ber die Einflusslinie gestellt, dass die f¨ tigen Extremwerte der gesuchten Schnittgr¨oße direkt ermittelt werden k¨ onnen.

Beispiel Straßenbr¨ ucke Nach DIN-Fachbericht 101 [47] – Lastmodell 1 ist f¨ ur Straßenbr¨ ucken nachfolgendes Lastbild f¨ ur den am st¨arksten belasteten Fahrstreifen anzusetzen, vergleiche Abschnitt 2.2, q = 9

kN m2

Fl¨achenlast und

P = 240 kN

P

P

1,2 m

beliebige Länge

Achslast

q

beliebige Länge

Auswertung der Einflusslinie F¨ ur nachfolgenden Durchlauftr¨ager sind die Extremwerte f¨ ur das Schnittmour Ms entspricht der Verschiebungsfigur ment Ms gesucht. Die Einflusslinie f¨ infolge des Knickes −1“ an der Stelle s. ” s 8m

2m

10 m

2m

1

1

2,5

hM

1

5

8m

9.4 Auswertung von Einflusslinien

153

Die Auswertung erfolgt mit Gleichung (9.1), wobei das Integral wegen der konstanten Streckenlast jeweils mit   1 q η dx = q η dx = q ηmax 2 vorweg integriert wird. Die Laststellung f¨ ur das maximale Moment ist dabei so anzusetzen, dass nur positive Arbeiten der Lasten auf der Einflusslinie geleistet werden. Die Breite des Fahrstreifens ist zu b = 3 m gew¨ahlt. P

P q

s 2,5

3,8 m 1,2 m

3,8 Ms,max = 240 · (2,5 + 5,0 · 2,5) + ( 9 · 12 · 2,5 · 10 ) · b = 1056 + 112,5 · 3 = 1393,5 kN m.

Die Laststellung f¨ ur das minimale Moment ist so anzusetzen, dass nur negative Arbeiten der Lasten auf der Einflusslinie geleistet werden. Auch hier ist die Breite des Fahrstreifens zu b = 3 m gew¨ahlt. P

P q

1

6,8 m

q

1

1,2 m

1 Ms,min = −240 · (1 + 6,8 8,0 · 1) − ( 9 · 2 · 1 · 10 ) · b · 2 = −444 − 45 · 3 · 2 = −714 kN m.

10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK

Bisher stand die Berechnung der Zustandsgr¨oßen f¨ ur den Nachweis der Standsicherheit im Vordergrund der Tragwerksanalyse. Hierf¨ ur werden allein die Gleichgewichtsbedingungen eingesetzt, da die bisher untersuchten Tragwerke statisch bestimmt sind. In der Praxis ist in der Regel jedoch auch die Gebrauchstauglichkeit zu untersuchen und gegebenenfalls nachzuweisen. Hierzu m¨ ussen die Verformungen des belasteten Tragwerks bekannt sein. Die Berechnung der Verformungen ist m¨oglich, wenn der Spannungszustand bekannt ist und die anderen Grundgleichungen – Verformungsgeometrie und Werkstoffgleichungen – in der Analyse ber¨ ucksichtigt werden. Grunds¨atzlich ist die gesamte Verformungsfigur von Interesse. Oft reicht es jedoch aus, die Knotenverschiebungen oder andere ausgezeichnete Ordinaten zu bestimmen, um die Verformungen des Gesamttragwerks einordnen zu k¨ onnen. Daher werden zun¨achst die Berechnungsverfahren f¨ ur Einzelweggr¨ oßen gezeigt.

10.1 Die Grundf¨ alle Mit dem PvK liegt ein Prinzip vor, mit dem beliebige Einzelweggr¨ oßen berechnet werden k¨onnen, wenn die zur Einzelweggr¨ oße konjugierte Kraftgr¨ oße als virtuelle Einheitskraft ¯1 angesetzt wird. Von praktischem Interesse sind die vier Grundf¨alle • • • •

Verschiebung eines Punktes, Drehung einer Tangente, Relativverschiebung (Abstands¨anderung) zweier Punkte, Relativverdrehung zweier Tangenten.

F¨ ur die Berechnung der Einzelweggr¨oßen wird die Arbeitsgleichung des PvK nach Abschnitt 7.2.3 entsprechend der Aufgabenstellung so umgestellt, dass die jeweils gesuchten Weggr¨oßen auf der linken Seite der Arbeitsgleichung stehen  ¯ ¯ ¯ ( N + αT T0 ) + M ¯ ( M + αT ΔT ) } dx Σ P · δ + Σ M · ϕ = {N EA EI h ¯ a · ϕa . − Σ F¯a · δa − Σ M Wenn eine einzelne Weggr¨oße gesucht ist, kann man die linke Seite vereinfachend durch ¯1 · δ ersetzen, wobei ¯1 fallabh¨angig f¨ ur eine virtuelle Kraft oder ein virtuelles Moment stehen kann. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_10

10.1 Die Grundf¨alle

155

10.1.1 Verschiebung eines Punktes Ist die Verschiebung δ eines Tragwerkpunktes in bestimmter Richtung gesucht, ¯=¯ muss die zur Verschiebung konjugierte virtuelle Kraft P 1 auf das unbelastete System gebracht und die zugeh¨orige virtuelle Momentenlinie ermittelt werden. Wenn die virtuelle Momentenline bekannt ist, kann der Arbeitssatz des PvK zur Berechnung der wirklichen Verschiebung δ ausgewertet werden. Die Gesamtverschiebung δ eines Punktes in der Ebene kann man nur mit zwei unabh¨angigen z. B. horizontalen und vertikalen oder beliebig zueinander angeordneten Anteilen bestimmen. Deshalb sind in der Regel zwei unabh¨ angige virtuelle Zust¨ande erforderlich. dh

d

d d1

dv

.

.

d2

Die Gesamtverschiebung ist dann mit dem Schnittpunkt der Senkrechten auf die Endpunkte der Teilverschiebungen gegeben, was im Sonderfall auf ein Rechteck f¨ uhrt.

Beispiel Mit der Voraussetzung, dass die Momentenlinie des im Bild dargestellten Drei– Gelenk–Rahmens bekannt ist, kann die Verformungsfigur entsprechend Abschnitt 4.2 qualitativ abgesch¨atzt werden. Die Berechnung einzelner Weggr¨ oßen des Rahmens – z. B. des Riegels – ist jetzt in einer Nachlaufrechnung mit dem PvK m¨oglich. q

b

c

e

d H

h

w f g

a l

156

10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK

F¨ ur die Berechnung der horizontalen Verschiebung in b wird eine horizontale virtuelle Einzelkraft in b aufgebracht, und f¨ ur die vertikale Verschiebung in c wird in einer weiteren Berechnung eine vertikale virtuelle Einzelkraft in c aufgebracht. h/2

b

1

l/8

1

l/8

c

h/2

Mb

Mc

M für horizontale Verschiebung dbh

M für vertikale Verschiebung dcv

Die Berechnung der virtuellen Momentenlinie erfolgt mit den gleichen Regeln wie f¨ ur wirkliche Systeme. Die virtuellen Momentenlinen sind immer geradlinig, da nur virtuelle Einzelkr¨afte angesetzt werden. Die Berechnung der Verschiebungen erfolgt in einem zweiten Schritt mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨ afte. F¨ ur die Gesamtverschiebung von d m¨ ussen zwei virtuelle Spannungszust¨ ande bekannt sein. So berechnet man zun¨achst eine horizontale und eine vertikale Verschiebung entsprechend folgender virtueller Momentenlinien. 1

1

l/4

l/4

h/2 d

d h/2

MV

MH

M für vertikale Verschiebung ddv

M für horizontale Verschiebung ddh

Die senkrechte Projektion beider Teilverschiebungen liefert im Schnittpunkt die Gesamtverschiebung δd . Auch wenn zwei beliebige andere Verschiebungen von d bekannt sind, kann man Gr¨oße und Richtung der Gesamtverschiebung wie oben gezeigt bestimmen.

ddh dd ddv

10.1 Die Grundf¨alle

157

10.1.2 Drehung einer Tangente an die Biegelinie Ist die Drehung einer Geraden gesucht, so muss das zur Drehung konjugierte ¯ = ¯1 auf das System wirken. Geraden sind im statischen virtuelle Moment M System als Tangenten an die Biegelinie 1 oder als Sekanten des Sehnenpolygons denkbar. Das virtuelle Moment wird bei j Tangenten in dem Punkt aufgebracht, in dem die Verdrehung gesucht ist. Die Tangente Sekantendrehung interessiert hier nicht.

Beispiel Die Momentenlinie f¨ ur den Drei-Gelenk-Rahmen ist berechnet und die Verformungsfigur entsprechend Abschnitt 4.2 abgesch¨atzt. q b

c

d

w

h

e

a l

Die Drehung der Tangente ϕb ist festgelegt durch die Drehung des Rahmenknotens b, sodass hierf¨ ur ein virtuelles Einzelmoment in b anzusetzen ist. Die Drehung der Tangente an die Biegelinie oberhalb von e wird mit einem virtuellen Einzelmoment in e bestimmt. 1

1 b 1

Mb

Me

1

M für Drehung von b

M für Drehung von e

Bei der Bestimmung des Drehsinns der Verdrehungen ist darauf zu achten, wie das jeweilige Moment auf das Tragwerk wirkt.

158

10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK

10.1.3 Relativverschiebung zweier Punkte Abstands¨anderungen zweier Punkte k¨onnen mit Hilfe eines virtuellen Kr¨ aftepaares berechnet werden, das entgegengesetzt aber auf gleicher Wirkungslinie angesetzt wird. Abstands¨anderungen k¨onnen die Verschiebungen zweier voneinander weit entfernt liegender Tragwerkspunkte sein, aber auch die gegenseitigen Verschiebungen in einer Schiebeh¨ ulse oder einem Querkraftgelenk. dN 1

a b

da

1

db

dQ

F¨ ur die direkte Berechnung der Abstands¨anderung sind die virtuellen Einzelkr¨afte gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung aufzubringen. Berechnet man z. B. die Gesamtarbeiten als Differenz der Arbeiten der virtuellen Einzelkr¨ afte in a und b ¯1 δb − ¯1 δa = ¯1 Δδba , so erh¨alt man die gegenseitige Verschiebung mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨ afte, wenn man die virtuelle Momentenlinie infolge des Kr¨ aftepaares ansetzt.

Beispiel F¨ ur den Drei-Gelenk-Rahmen sollen die Klaffung im Querkraftgelenk e und die gegenseitige Verschiebung der Punkte b und e oberhalb des Querkraftgelenkes bestimmt werden. q

c

d

h/2 b

e

w

h/2 a

f

F¨ ur die Berechnung der Klaffung im Querkraftgelenk ist ein Kr¨ aftepaar entsprechend einer Querkraft in e aufzubringen, und f¨ ur die Berechnung der gegenseitigen Verschiebung von b und e ein Kr¨aftepaar in b und e. Wenn die Momentenlinien bekannt sind, erfolgt die Berechnung der gegenseitigen Verschiebungen mit dem Arbeitssatz des PvK jeweils in einem Schritt.

10.1 Die Grundf¨alle

159

h/2

h

h/2

1

h

1

M

M

1 1

M für Spreizung D de

M für Abstandsänderung D dbe

10.1.4 Relativverdrehung zweier Tangenten Eine Relativverdrehung oder einen Knickwinkel zweier Tangenten kann mit dem Arbeitssatz direkt berechnet werden, wenn zwei entgegengesetzt wirkende virtuelle Momente gleicher Gr¨oße auf den Verdrehungen Arbeit leisten. Ist der Knickwinkel in einem Gelenk gesucht, sind die virtuellen Einzelmo1 mente ¯1 gleichzeitig an den Schnittufern der Stabenden in entgegengesetzter Richtung aufzubringen. Jedes EinDj zelmoment ist der Verdrehung des zugeh¨origen Schnittufers konjugiert. Berechnet man die Differenz der Arbeiten beider virtuellen Momente ¯1 ϕlinks − ¯1 ϕrechts = ¯1 Δϕ, so erh¨alt man den Knickwinkel mit dem Arbeitssatz direkt, wenn die virtuelle Momentenlinie infolge des Gesamtzustandes angesetzt wird. Hierbei wird der Knickwinkel in [rad] angegeben.

Beispiel F¨ ur den Drei-Gelenk-Rahmen unter Windlast soll der Knickwinkel im Momentengelenk c berechnet werden. q

b

c

d

w

a

e

160

10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK

Der virtuelle Spannungszustand wird jetzt mit einem virtuellen Doppelmoment im Gelenk c bestimmt. Bei der Bestimmung des Vorzeichens des Knickwinkels ist auf den Drehsinn der virtuellen Momente zu achten. Ist die gegenseitige Verdrehung der Tangenten in a und e gesucht, so sind die virtuellen Momente in a und e anzusetzen.

1

1

1

Mj

M für Relativverdrehung Djc

10.2 Umformung der Arbeitsgleichung des PvK Die Arbeitsgleichung des PvK zur Berechnung von Einzelweggr¨ oßen umfasst nach Abschnitt 7.2.3 folgende ¨außere Arbeiten der virtuellen Kr¨ afte und Momente. A¯a =

¯ · Δϕ ¯ ·ϕ + P¯ · Δδ + M P¯ · δ + M



 aus Einzellastgr¨oßen aus Doppellastgr¨ oßen

Wenn immer nur eine einzige virtuelle Lastgr¨oße angesetzt wird, kann man grunds¨atzlich einfacher schreiben A¯a = ¯1 · δ

[Nm].

¯1 ist dann immer die virtuelle Einheitslastgr¨ oße. ¯ δ ist dann immer die zu 1 konjugierte Weggr¨ oße. Außerdem kann man die Arbeitsgleichung des PvK nach der gesuchten Weggr¨ oße aufl¨osen  ¯ ( N + αT T0 ) + M ¯ ( M + αT ΔT ) } dx − Σ F¯a · δa − Σ M ¯ a · ϕa . ¯ 1 · δ = {N EA EI h F¨ ur die Berechnung der Weggr¨oße δ ist es vorteilhaft, den Faktor ¯ 1 grunds¨ atzlich zu k¨ urzen“, da er in allen Termen auftaucht, und die Weggr¨ oße δ auf ” δ  = δ · EIc zu skalieren, damit die Zahlenrechnung in einer vern¨ unftigen Gr¨ oßenordnung erfolgt. EIc ist hierbei eine Vergleichsbiegesteifigkeit, die in komplexen Biegetragwerken außerdem den Einfluss unterschiedlicher Stabsteifigkeiten auf die

10.3 Auswertung der Integrale der Inneren Arbeiten

161

Weggr¨oße widerspiegelt. Mit stabweise konstantem EI gilt dann   ¯ · EIc · αT ΔT + N ¯ · N Ic + N ¯ · EIc · αT T0 } dx ¯ · M Ic + M ¯1 · δ = {M I h A ¯ a · ϕa . − EIc · Σ F¯a · δa − EIc · Σ M

(10.1)

Diese Form der Arbeitsgleichung wird f¨ ur alle weiteren Untersuchungen verwendet.

10.3 Auswertung der Integrale der Inneren Arbeiten In der Arbeitsgleichung des PvK treten bei den Inneren Arbeiten Integrale der Form   ¯ (x) · M (x) dx = M ˆ f¯(x) · f (x) dx auf, wenn die Stabeigenschaften EI,αT ,h als konstant angesetzt sind. Die virtuelle Funktion f¯(x) ist wegen der Einzellastgr¨oßen immer linear und kann aus zwei Grundfunktionen additiv zusammengesetzt werden. a

b

+

b = a x

x

x

Die Funktion f (x) kann lastabh¨angig auch quadratisch (M-Linie bei Gleichlast) oder h¨oherer Ordnung sein. c

x

x

c

b +

b = a

a

x

Beim Multiplizieren der virtuellen und der wirklichen Momentenlinie kann das Gesamtintegral in eine Summe von Einzelintegralen aufgeteilt werden, die schnell ausgewertet sind: c

a

a

+

a

b

b dx

.

a

+

b+

b .

a

+

b+

c

c dx

162

10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK

¯ i · Mj lassen sich getrennt integrieren, sodass Die Produkte der Funktionen M die Auswertung der Integrale auf wenige Grundintegrale zur¨ uckf¨ uhrbar ist, die ¯ j dx angegebetabellarisch aufbereitet sind, siehe Tabelle 10.1. Die f¨ ur Mi · M ne Tabelle l¨asst sich sinngem¨aß auch f¨ ur alle anderen Arbeitsterme auswerten. Bei Anwendung der Tabelle ist zu beachten, dass die virtuellen Momentenlinien spaltenweise geordnet sind. Anzumerken ist, dass die Zeilen 8 bis 10 f¨ ur Parabeln gelten, die in der Mitte oder an einem Rand einen Scheitelpunkt aufweisen (M  = 0). Tabelle 10.1 Integraltabelle:

4

6

1 jk 3

1 jk 6

1 jk 2

1 jk 6

0

j 2

j

-j

-

j

-

j 2 gl

7

8

1 jk 2

j

5

dl

j j Quadr. Parabel

j

9

Quadr. Parabel

10

k

0

j

3

j Quadr. Parabel

k 2

-k k

1 jk 2

j

2

k

jk

j

1

¯ j dx = l ·Tabellenwert Mi M

k

k

l



2

j dx

1 jk 4

j

0

1 j2 3

1 jk 6

1 jk 4

1 j2 3

1 jk 6

1 jk 3

1 jk 4

1 j2 3

1 jk 4

0

1 jk 4

1 jk 4

1 j2 4

1 jk 4

1 jk 4

1 jk 4

1 jk 2

1 jk(1+g) 6

2 jk 3

2

1 jk 8

1 j2 4

1 jk(1-2g) 6

1 jkd 4

1 j2 3

1 jk 3

0

1 jk 6

8 2 15 j

1 jk 3

1 jk 4

1 jk 6

1 jk 24

1 jk 3

1 jk 12

1 jk 6

5 jk 24

1 j2 5

1 j2 5

10.3 Auswertung der Integrale der Inneren Arbeiten

163

Beispiel f¨ ur die Berechnung von Einzelverschiebungen F¨ ur nachfolgendes statisch bestimmtes Rahmentragwerk ist die Momentenlinie gegeben. Die Einheiten sind kN und m, die Biegesteifigkeit EIc = 2. 000 kN m2. Gesucht sind die horizontale Verschiebung des Riegels und die vertikale Verschiebung des Gelenkes in Punkt d. q = 0,2 3,9

0,9

b

Stab

Ic /I

a−b b−e e−g

0,5 1,0 0,5

+

e

d

2,1

P=3

4m

M 4,95

g

a 6m

Die Berechnung der Verschiebungen erfolgt mit dem PvK, sodass die virtuellen Momentenlinien infolge der entsprechenden virtuellen Einzelkr¨ afte bestimmt werden m¨ ussen. 1 2,0

b 1

1,5

1,5

+

d 2,0

Mb

Md

M für horizontale Verschiebung dbh

M für vertikale Verschiebung ddv

F¨ ur die Berechnung der Verschiebungen wird der Arbeitssatz des PvK nach Gleichung (10.1) auf die wesentlichen Terme reduziert. Es bleibt ¯1 · δ  =



¯ · M Ic dx . M I

Die Auswertung des Arbeitssatzes erfolgt bei gr¨oßeren Systemen tabellarisch. a) Die Berechnung der Horizontalverschiebung des Riegels erfolgt mit der Mo¯ b im linken Bild. Die systematische Auswertung der mit EIc = mentenlinie M 2 2. 000 kN m normierten Arbeitsintegrale ist in Tabelle 10.2 zusammengestellt.

164

10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK

Damit folgt die Horizontalverschiebung zu  /EIc = 56,00/2. 000 = 0,028 m . δbh = δHb

b) Die Berechnung der Vertikalverschiebung des Gelenkes in d erfolgt mit der ¯ d im rechten Bild und Tabelle 10.3. Momentenlinie M δdv = δV d /EIc = 18,47/2. 000 = 0,0092 m . Tabelle 10.2 Berechnung der Riegelverschiebung δbh Stab

¯ M

M

Ic /I



a-b

2

4

b-e

1

6

b-e

1

6

b-e

1

6

e-g

2

4

e-g

2

4



¯ i ·Mj ·Ic /I · dx = f · M 1 3 1 6

1 6

· 2,0 · 2,1 · 2 · 4

+11,20

· 2,0 · 2,1 · 1 · 6

+4,20

· (−2,0)·(−3,9) · 1 · 6

+7,80

0 · 2,0 · 0,9 · 1 · 6 1 3 1 4

δ

0,00

· (−2,0)·(−3,9) · 2 · 4

+20,80

· (−2,0)·(−3,0) · 2 · 4

+12,00

 δbh = +56,00

Tabelle 10.3 Berechnung der Gelenkverschiebung δdv Stab

¯ M

M

Ic /I



a-b

2

4

b-e

1

6

b-e

1

6

b-e

1

6

b-e

1

6

b-e

1

6

b-e

1

6

e-g

2

4

e-g

2

4



¯ i ·Mj ·Ic /I · dx = f · M 1 3 1 2

1 2

· (−1,5) · 2,1 · 2 · 4

–8,40

· (−1,5) · 2,1 · 1 · 6

–9,45

· (−1,5)·(−3,9) · 1 · 6 2 3

· (−1,5) · 0,9 · 1 · 6 1 4

1 4

+17,55 –5,40

· 1,5 · 2,1 · 1 · 6

+4,97

· 1,5 · (−3,9) · 1 · 6

–8,77

5 12 1 3 1 4

δ

· 1,5 · 0,9 · 1 · 6

+3,37

· (−1,5)·(−3,9) · 2 · 4

+15,60

· (−1,5)·(−3,0) · 2 · 4

+9,00

 δdv = +18,47

11 Berechnung von Biegelinien

Bisher k¨onnen mit dem PvK einzelne Verschiebungen oder Verdrehungen berechnet werden. F¨ ur verschiedene Aufgabenstellungen werden jedoch nicht nur einzelne Weggr¨oßen, sondern die gesamte Biegelinie eines Tragwerks ben¨ otigt. Die Biegelinie eines komplexen Rahmentragwerkes kann man additiv aus unterschiedlichen Anteilen zusammensetzen. Es sind dies • Knotenverschiebungen des Sehnenpolygons, dies sind auch Lagersetzungen und -verdrehungen, • Verkr¨ ummungen und Dehnungen der Einzelst¨ abe aus Last und Erw¨ armung. q

w

Die Berechnung von Einzelweggr¨oßen – z. B. der Rahmenecken – erfolgt mit dem PvK, sodass der Sehnenpolygon festgelegt ist. Hierzu geh¨ oren auch Lagersetzungen und Lagerverdrehungen, die bei statisch bestimmten Tragwerken zu geradlinigen Stabverschiebungen f¨ uhren. ja

x w(x) z,w

w(x) ca

Die Dehnungen aus Normalkraft bewirken in der Regel nur geringe L¨ angen¨ anderungen der St¨abe und werden daher bei der Verschiebungsfigur vernachl¨ assigt. Wesentliche Anteile folgen dagegen aus den Verkr¨ ummungen infolge Erw¨ armung, da sie mit der Biegeline w(x) verkn¨ upft sind. F¨ ur die Berechnung von Biegelinien stehen damit folgende Gleichungen zur Verf¨ ugung, wenn die Werkstoffgleichungen in die Gleichungen der Verformungsgeometrie eingesetzt sind: Verformungsbedingung : Gleichgewicht :

ΔT M − αT , EI h M  = − q.

w = −

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_11

166

11 Berechnung von Biegelinien

Die Differentialgleichungen k¨onnen bereichsweise integriert werden. wobei die Integrationsbereiche mit den Unstetigkeiten der Belastung und der Steifigkeiten sowie Lager– und Randbedingungen begrenzt sind. Die Anpassung der Bie¨ gelinie an Rand– und Ubergangsbedingungen kann allerdings sehr aufw¨ andig und un¨ ubersichtlich sein, wenn Tragwerke mit mehreren Bereichen analysiert werden m¨ ussen. In der Baustatik sind daher andere, effizientere L¨ osungswege entwickelt worden, um die Biegelinie w zu berechnen.

11.1 Baustatische Methode mit ω–Funktionen Die Biegelinie eines Tragwerks kann man n¨aherungsweise als Sehnenpolygon δ (x) aus einzelnen Verschiebungen bestimmen, die jeweils mit dem PvK berechnet werden. Die St¨ utzstellen der Einzelverschiebungen sollten die Orte mit P a

b

q d

c

e M

d db

dd

Unstetigkeiten in Geometrie, Steifigkeiten oder Belastung sein, da dies die Integrationsgrenzen bei L¨osung der Grundgleichungen sind. Zwischen den St¨ utzstellen der Einzelverschiebungen sowie den End– und Zwischenlagern muss zus¨ atzlich die Verkr¨ ummung κ der Stababschnitte ber¨ ucksichtigt werden, damit die Gesamt-Biegelinie w(x) alle Verformungsbedingungen erf¨ ullt. a

b

db

c

d

e

dd

Die Biegelinie w(M, ΔT ) aus Verkr¨ ummung ist mit M/EI bzw. αT ΔT /h festgelegt und kann dem Sehnenpolygon δ(x) additiv u ¨berlagert werden. w(M, ΔT ) kann man am zwischen den St¨ utzstellen liegenden Balkenabschnitt analytisch berechnen und f¨ ur verschiedene Momentenlinien tabellarisch aufbereiten.

11.1 Baustatische Methode mit ω–Funktionen

167

Berechnung der ω–Zahlen Im Bild ist dargestellt wie sich die Biegelinie feldweise aus dem Sehnenpolygon und der Biegelinie infolge M und ΔT am gelenkig gelagerten Einfeldbalken zusammensetzt. x

x da

d(x)

db

a

w(M,DT)

b

w(M,DT)

Die Berechnung der Gesamtbiegelinie erfolgt mit w(x) = δ(x) + w(M,ΔT ) , wenn w(M,ΔT ) bekannt ist. F¨ ur gerade Balken mit konstantem EI gilt M . EI Bei linearem Momentenverlauf und gelenkiger Lagerung w = −

M =

x Mb l

Mb

a

b 0

x

x = l

1

folgt nach Integration Mb x3 ( + a1 x + a2 ). l · EI 6 Die Anpassung der allgemeinen L¨osung an die Randbedingungen wa = 0 und wb = 0 gibt a2 = 0 und a1 = −l2 /6 . Damit ist die Biegelinie gegeben w=−

w=−

Mb ( x3 − l2 x ). 6 · l · EI

Die normierte Darstellung Mb 2 Mb 2 l ( ξ − ξ3 ) = + l ωD . 6 · EI 6 · EI ist Grundlage der tabellarischen Auswertung in den ω–Tabellen. In den nachfolgenden Tabellen sind die ω–Funktionen so aufbereitet, dass die Ordinaten an gegebenen St¨ utzstellen ξ als Zahlenwerte vorliegen. w=+

168

11 Berechnung von Biegelinien

Im Prinzip kann man mit den ωD –Werten f¨ ur Dreiecke beliebige lineare Momen¨ tenlinien durch Uberlagerung der Grundfunktion ber¨ ucksichtigen. Bei konstanten Streckenlasten muss der parabolische Anteil der Momentenline mit einer weiteren ωP –Funktion erfasst werden. ql 8

wD

M

2

M

wP

1

Tabelle 11.1 gibt die ω–Funktionen f¨ ur ausgew¨ahlte Momentenlinien als Funktion der dimensionslosen Koordinate ξ an. Bei Erw¨ armung kann man die Tabellen sinngem¨aß verwenden, wenn man M/EI durch den Faktor αT ΔT /h ersetzt. Tabelle 11.1 ω–Funktionen f¨ ur die Grundf¨alle der M-Linie

M-Verlauf 2

M

M

M

l 2

l 2

M

M

M

 ·. . . w = M EI

1 2 ωR

1 6 ωD

1 12 ωΔ

1 3 ωP 1

1 12 ωP 2

ω-Funktion

ωR = ξ − ξ 2

ωD = ξ − ξ 3

ωΔ = 3ξ − 4ξ 3

ωP 1 = ξ − 2ξ 3 + ξ 4

ωP 2 = ξ − ξ 4

In Tabelle 11.2 sind die ω–Funktionen f¨ ur eine Unterteilung des Balkenabschnittes in n = 10 gleiche Teile ausgewertet. Die Zahlen geben die 104 –fachen Werte der ω–Funktionen an den St¨ utzstellen m = 1, . . . 9 an. Hierbei l¨ auft die Koordinate ξ von links nach rechts und die Koordinate ξ  von rechts nach links.

Wenn Momentenlinien vorliegen, die den Zeilen 2 und 5 entsprechen, jedoch gespiegelt sind, kann man die Zahlenwerte der Funktionen ωD sowie ωP 2 spiegeln  und als ωD sowie ωP 2 entsprechend der Koordinate ξ  verwenden.

Anmerkung Heute sind die Tabellen weniger wichtig, da Biegelinien effizient und schnell mit dem Computer berechnet werden k¨onnen. Allerdings kann man hiermit einzelne Weggr¨oßen eines beliebigen Balkenabschnitts direkt berechnen, wenn z. B. ein Gebrauchstauglichkeitsbachweis f¨ ur die Mittendurchbiegung erforderlich ist.

11.1 Baustatische Methode mit ω–Funktionen

169

Tabelle 11.2 Tabelle der ω-Zahlen f¨ ur die Grundf¨alle der M-Linie, 104 -fache Werte M-Verlauf

m

1

2

3

4

5

6

7

8

9

ωR

900

1600

2100

2400

2500

2400

2100

1600

900

ωD

990

1920

2730

3360

3750

3840

3570

2880

1710

ωΔ

2960

5680

7920

9440

10000

9440

7920

5680

2960

ωP 1

981

1856

2541

2976

3125

2976

2541

1856

981

ωP 2

999

1984

2919

3744

4375

4704

4599

3904

2439

Beispiel An einem Durchlauftr¨ager unter Teilstreckenlast wird die Anwendung des Konzeptes gezeigt. Hierbei werden die Systemwerte mit = 6,0 m, q = 0,5 kN/m, EI = 800 kN m2 angesetzt. q a l

d

c

b l/3

2l/3

ql /9 2

ql2/18

M

ql/3

ql/9

Q ql/3

Die Zustandslinien M und Q werden wie bisher berechnet. F¨ ur den Polygonzug δ(x) ben¨otigt man hier nur die Verschiebung wc , die mit dem PvK berechnet wird 4 q 4 wc = = 0,0133 m . 243 EI Damit sind die linearen Verschiebungslinien des Polygonzuges δ(x) bestimmt. Die zus¨atzlichen Verschiebungen aus Verkr¨ ummungen werden mit der Momentenlinie und den ω-Funktionen ermittelt. Bei der Berechnung der Biegelinie w(M ) kommt der Quotient q 4 /EI = 0,81 m in mehreren Termen vor. Damit

170

11 Berechnung von Biegelinien

gilt bereichsweise: Bereich a − b : Bereich b − c : Bereich c − d :

q 2 2 1 q 4 ωD · · ωD = · = 0,015 ωD , 9 EI 6 EI 54  q 4 ωD q 2 ( /3)2 1   · · ωD = · = 0,0017 ωD , w(M ) = 9 EI 6 EI 484 q 2 (2 /3)2 1 q 4 ωD w(M ) = · · ωP 1 = · = 0,0067 ωP 1 . 18 EI 3 EI 121

w(M ) =

Wertet man die ω-Funktionen punktweise entsprechend Tabelle 11.2 aus, kann man die Biegelinie anschließend skizzieren. Beide Abschnitte a − b und b − d werden in jeweils f¨ unf gleiche Abschnitte unterteilt. In nachfolgender Tabelle sind die Verschiebungen wi an den St¨ utzstellen 1 bis 9 berechnet. Hierbei sind i die ¨aquidistanten St¨ utzstellen des gesamten Durchlauftr¨agers. F¨ ur jeden Bereich wird die Unterteilung so gew¨ ahlt, dass die St¨ utzstelle i mit einer entsprechenden St¨ utzstelle m der ω-Tabelle des jeweiligen Bereiches u ¨bereinstimmt. ωm sind die entsprechenden Zahlen aus Tabelle 11.2 und w(M ) die hiermit berechneten Verschiebungen aus Verkr¨ ummung. δ(x) gibt die entsprechenden Verschiebungen des Polygonzuges an. Mit w(M )m und δm k¨onnen die Verschiebungen wm bestimmt werden. i

Bereich

Funktion

m

ωm

w(M )m

δm

wi [m]

1 2 3 4

a−b

ωD

2 4 6 8

0,1920 0,3360 0,3840 0,2880

0,00288 0,00504 0,00576 0,00432

0,000 0,000 0,000 0,000

0,00288 0,00504 0,00576 0,00432

6

b−c

 ωD

6

0,3360

0,00504

0,008

0,0134

7 8 9

c−d

ωP 1

1 4 7

0,0989 0,2976 0,2541

0,0007 0,0020 0,0017

0,012 0,008 0,004

0,0127 0,0010 0,00570

Mit den Verschiebungen wi an den St¨ utzstellen kann die Biegelinie skizziert werden. w 10 · 0,2 l 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11.2 Rechnerorientiertes Vorgehen mit Teilbiegelinien

171

11.2 Rechnerorientiertes Vorgehen mit Teilbiegelinien Eine ganz andere und sehr schematische Vorgehensweise ist in den modernen Berechnungsprogrammen f¨ ur Stabtragwerke verwirklicht. Die Programme beschreiben die Biegelinie intern mit Hilfe der Verschiebungen und Verdrehungen der Knoten des Stabtragwerkes. Den einzelnen Knotenweggr¨ oßen sind Verlaufsfunktionen zugeordnet, die den Einfluss der jeweiligen Knotenweggr¨ oße auf die Verschiebungen des Stabes zwischen den Knoten beschreiben. Die Biegelinie des Stababschnittes a − b kann man damit aus Teilbiegelinien x f1 (x) − f4 (x) u ¨ berlagern, die den Vera b schiebungen und den Verdrehungen der wb wa R¨ander a und b zugeordnet sind. Diese vier Polynome entsprechen – nur anj b j ders geordnet – der L¨osung der homoa genen Differentialgleichung in 3.5, die ebenfalls vier Anteile besitzt. Die vier wa 1 Polynome geh¨oren zu einer besonderen f1(x) Polynomart, die in der Literatur als Hermite–Polynome bezeichnet werden. j a Die Polynome sind normiert und werf2(x) den mit der jeweiligen Knotenweggr¨oße 1 multipliziert. Zus¨atzlich zu den Teilbiegelinien aus Randverschiebung und –verdrehung in 1 wb f3(x) a und b wird zwischen den R¨andern die lastabh¨angige Partikularl¨osung wp adj diert. b wP

f4(x)

1

Wenn die Gesamtbiegelinie eines Stabes zu bestimmen ist, sind daher zun¨ achst die Einzelweggr¨oßen wa , ϕa , wb , ϕb sowie wp zu berechnen. Die Gesamtbiegelinie folgt dann zu w(x) = wa · f1 (x) + ϕa · f2 (x) + wb · f3 (x) + ϕb · f4 (x) + wp (x) . Die Teilbiegelinien f¨ ur den Einfluss der jeweiligen Knotenweggr¨ oßen k¨ onnen auch mit den ω-Funktionen verkn¨ upft werden, da diese den entsprechenden Momentenlinien zugeordnet sind. Hierbei ist ξ = x/l die normierte Stabkoor-

172

11 Berechnung von Biegelinien

dinate. f1 (x) = 1 − 3ξ 2 + 2ξ 3

 → − ωD + ωD + ( 1 − ξ)

 − ωR ) f2 (x) = l ( ξ − 2ξ 2 + ξ 3 ) → l · (ωD

f3 (x) = 3ξ 2 − 2ξ 3

 → + ωD − ωD +ξ

f4 (x) = l (−ξ 2 + ξ 3 )

→ l · (−ωD + ωR )

Aufgrund der in der Regel unbekannten Knotenweggr¨ oßen ist das Vorgehen f¨ ur die Handrechnung nicht praktikabel.

12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen

Die Arbeitss¨atze nach Abschnitt 6 sind integrale Aussagen f¨ ur das gesamte Tragwerk. Erg¨anzt man die Verschiebungsarbeiten nach Gleichung (6.3) um die Arbeiten entsprechend Abschnitt 7.2.3, so folgt   A = {−N (εel + εT ) + M (κel + κT ) } dx + q · w dx + Σ P · δ + Σ M e · ϕ + Σ Fa · δa + Σ Ma · ϕa = 0. Der Arbeitssatz in dieser Form bedeutet, dass die Arbeiten eines statisch zul¨ assigen (im Gleichgewicht befindlichen) Spannungszustandes auf einem kinematisch zul¨assigen (die Verformungsbedingungen erf¨ ullenden) Verformungszustand im Integral u ¨ ber das Tragwerk verschwinden. Spannungszustand und Verformungszustand m¨ ussen nicht voneinander abh¨angen, sondern k¨ onnen beliebig sein, insbesondere sind sie keine virtuellen, sondern zwei unterschiedliche wirkliche Zust¨ande. Dies kann man mit Hilfe der Indizes j und k beschreiben.   Ajk = {−Nj (εel + εT )k + Mj (κel + κT )k } dx + qj · wk dx + Σ Pj · δk + Σ Mje · ϕk + Σ Fa,j · δa,k + Σ Ma,j · ϕa,k = 0 . (12.1) Es wird vereinbart, dass der erste Index den Ort angibt, an dem die Arbeit geleistet wird, und der zweite Index die Ursache der geleisteten Arbeit.  1. Index : Ort (der Kraftgr¨oße j) Ajk 2. Index : Ursache (Weg infolge Zustand k) Der Arbeitssatz nach Gleichung (12.1) ist grundlegend und wird nachfolgend f¨ ur die Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen verwendet.

12.1 S¨ atze von Betti und Maxwell Die oben gegebene Formulierung des Arbeitssatzes ist Grundlage f¨ ur die S¨ atze von Betti und Maxwell. Stellvertretend f¨ ur beliebige Lastanordnungen werden Einzellasten an zwei unterschiedlichen Stellen j und k betrachtet, die nacheinander auf das System aufgebracht werden. Weil die inneren und die ¨ außeren Arbeiten entgegengesetzt gleich groß sind, werden außerdem nur die ¨ außeren Arbeiten explizit angeschrieben. Aa = −Ai © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_12

174

12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen

System 1 Die Reihenfolge der Belastung ist: zuerst Pj , dann Pk . Infolge Pj werden an der Stelle j Eigenarbeiten auf δjj und Verschiebungsarbeiten auf δjk geleistet. Infolge Pk werden an der Stelle k nur Eigenarbeiten auf δkk geleistet. Pj Pk d jj d kk

d jk

Die Gesamtarbeiten sind: A1 = Ai1 + Aa1 1 1 = Ai1 + Pj · δjj + Pk · δkk + Pj · δjk 2 2 Aajk = Ai1 + Aajj + Aakk +

  Eigenarbeiten Verschiebungsarbeiten

System 2 Bei Vertauschung der Reihenfolge gilt: zuerst Pk , dann Pj . Infolge Pj werden an der Stelle j nur Eigenarbeiten auf δjj geleistet. Infolge Pk werden an der Stelle k Eigenarbeiten auf δkk und Verschiebungsarbeiten auf δkj geleistet. Pk

Pj d jj

d kk d kj

Die Gesamtarbeiten sind: A2 = Ai2 + Aa2 1 1 = Ai2 + Pj · δjj + Pk · δkk + Pk · δkj 2 2 Aakj = Ai2 + Aajj + Aakk +

  Eigenarbeiten Verschiebungsarbeiten Der Endzustand ist in System 1 und System 2 gleich, wenn er unabh¨ angig von der Reihenfolge der Belastung ist. Dies ist f¨ ur elastisches Materialverhalten und richtungstreue Lasten erf¨ ullt, da in diesem Fall keine Arbeit dissipiert

12.1 S¨atze von Betti und Maxwell

175

wird. Wenn der Endzustand gleich ist, sind auch die gespeicherten inneren und ¨außeren Arbeiten jeweils gleich, sodass Ai1 = Ai2

und

Aa1 = Aa2

gilt. Weil die Eigenarbeiten in beiden Systemen identisch sind, sind auch die Verschiebungsarbeiten gleich groß Pj · δjk = Pk · δkj . Der oben f¨ ur Einzellasten hergeleitete Satz gilt auch, wenn in System 1 eine Kraft und in System 2 ein Moment angesetzt sind Pj · δjk = Mk · δkj . Die konjugierten Weggr¨oßen sind dann Verschiebungen und Verdrehungen. Diese ganz grundlegende Aussage ist im Satz von Betti f¨ ur beliebige Lastzust¨ ande – mit Kraftgruppen, Einzelmomenten und Streckenlasten – verallgemeinert angegeben.

Satz von Betti Die Verschiebungsarbeit Ajk eines ersten Lastzustandes j auf den Wegen eines zweiten Lastzustandes k ist gleich der Verschiebungsarbeit Akj des zweiten Lastzustandes k auf den Wegen des ersten Lastzustandes j: Akj = Ajk . W¨ ahlt man anstelle beliebiger Lastzust¨ande Einheitskr¨ afte und Einheitsmomente, so folgt der ebenfalls ganz grundlegende Satz von Maxwell.

Satz von Maxwell Die Verschiebungen δ zweier beliebiger Einheitslastzust¨ ande j und k in Richtung des jeweils anderen Lastzustandes k bzw. j sind gleich groß. Ort und Ursache d¨ urfen vertauscht werden. 1 · δkj = 1 · δjk . Wesentlich ist, dass die S¨atze von Betti und Maxwell die Gleichheit der Verschiebungsarbeiten – Einheit N m – ansetzen, und erst danach die Deutung f¨ ur unterschiedliche Lasten und Weggr¨oßen erfolgt. Dies bedeutet, dass die Einheiten der Lasten und Weggr¨oßen bei der Interpretation der S¨ atze beachtet werden m¨ ussen.

176

12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen

Beispiel 1 In Beispiel 1 ist zu beachten, dass die Einheit der Arbeit immer [Nm] ist, die Einheit von δjk aber damit von der Arbeit leistenden Last abh¨ angt. Mit den Verschiebungsarbeiten f¨ ur Einheitslasten A12 [Nm]

=

P1 · δ12

=

1 [N] · δ12 [m]

A21 [Nm]

=

M2 · δ21

=

1 [Nm] · δ21 [1] δ12 = δ21 .

gilt f¨ ur den Zahlenwert der Weggr¨oßen P1

M2

d21 d12

Beispiel 2 In Beispiel 2 sind der Knickwinkel δ21 infolge P1 = 1 und die Verschiebung δ12 infolge M2 = 1 gleich groß. d

21

P1

d

M2

12

Beispiel 3 F¨ ur die Kraftgr¨oßen P1 und P2 sind die Spreizung δ12 infolge P2 = 1 und die Verschiebung δ21 infolge des Kr¨aftepaars P1 = 1 gleich groß. P1

d21

P2

d12 P1

12.2 Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen

177

12.2 Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen In Analogie zu den Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen nach Abschnitt 9 k¨ onnen auch Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen definiert werden:

Definition Die Einflusslinie ηδ f¨ ur eine Weggr¨oße δkj an einer festen Stelle k infolge Wanderlast Pj = 1 an der Stelle j gibt an jeder Stelle j eines Tragwerks den Wert der Weggr¨oße δkj an. P=1 k j d kj

x

Die Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße kann man auf verschiedenen Wegen ermitteln. a) Die punktweise Bestimmung der Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨ oße, hier wkj = δkj , ist zwar anschaulich, erfordert aber die wiederholte Berechnung der Einzelweggr¨oße wkj . Im Bild sind drei verschiedene Ordinaten von ηw berechnet und entsprechend der Definition an der Stelle der Wanderlast abgetragen. 1 1

j=1

wk1 = h1

1 2

j=2

wk2 = h2

1 3

j=3

wk3 = h3

hWk

hW h1

h2

h3

Als Ergebnis dieser Vorgehensweise ist die Einflusslinie ηw f¨ ur die Verschiebung kontinuierlich und gekr¨ ummt. Der anschauliche L¨ osungsweg ist nat¨ urlich viel zu aufw¨andig, sodass der nachfolgende Weg gew¨ahlt wird, der zudem auf eine allgemeing¨ ultige Aussage f¨ uhrt.

178

12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen

b) Mit dem Satz von Betti gilt zun¨achst Pk · δkj = Pj · δjk . Wenn die Wanderlast Pj = 1 als wirklicher Lastzustand an der Stelle j interpretiert wird, ist δkj die gesuchte Weggr¨oße wkj an der festen Stelle k infolge der Wanderlast. Setzt man an der festen Stelle k eine Last Pk = 1 an, so geben die Weggr¨oßen δjk an der Stelle j der Wanderlast infolge der gedachten“ Last ” Pk = 1 direkt die gesuchte Weggr¨oße δkj an. 1 · δkj = Pj · δjk . Dies entspricht aber der Definition der Einflusslinie: ηδkj = δjk .

Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen Die Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße an fester Stelle k entspricht der Biegelinie f¨ ur die zu der Weggr¨oße konjugierten gedachten Kraftgr¨ oße Pk = 1. Die Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen werden mit einer gedachten“ Kraft” gr¨oße 1“ an der Stelle der gesuchten Weggr¨ oße berechnet. ” ηδk (x) = w(x) infolge Pk = 1. Dieser Satz gilt entsprechend f¨ ur alle elastischen Tragwerke – auch f¨ ur statisch unbestimmte Stabtragwerke – und f¨ ur alle m¨ oglichen Weggr¨ oßen, also f¨ ur Verschiebungen, Verdrehungen, gegenseitige Verschiebungen, gegenseitige Verdrehungen. Im Gegensatz zu Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen sind Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen auch an statisch bestimmten Systemen gekr¨ ummt. Dies bedeutet, dass die Biegelinie im Einzelfall detailliert ermittelt werden muss – z. B. mit Hilfe des Sehnenpolygonzuges und der ω–Funktionen.

Auswertung von Einflusslinien Die Auswertung der Einflusslinien f¨ ur gegebene Laststellungen erfolgt mit dem Satz von Betti. Es gilt f¨ ur die Weggr¨oße δk = δkj an fester Stelle k infolge Last an der Stelle j  1 · δk = ΣPj · ηj + ΣMj · ηj + qj (x) · ηj (x)dx. Da der Betti-Satz die Gleichheit der Arbeiten fordert, k¨ onnen auch Einzelmomente auf der Neigung η  der Einflusslinie Arbeit leisten. Die Einheit der

12.3 Dualit¨at der Einflusslinien f¨ ur Weg– und Kraftgr¨ oßen

179

Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße ist [m], wobei die Einheit der Kraftgr¨ oße 1“ auf ” der linken Seite der Gleichung zu beachten ist. Das Vorzeichen der Einflusslinie ist positiv, wenn die Ordinaten in Richtung der Wanderlast zeigen.

Beispiel Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur die vertikale Verschiebung δ1 . P d1

Die zur konjugierten gedachten Einzellast 1“ geh¨ orende Momentenlinie ist: ” 1 M

Die Biegelinie infolge P = 1 wird wie in Abschnitt 11 berechnet, also z. B. mit ω-Zahlen oder mit dem rechnerorientierten Vorgehen. Damit ist auch die Einflusslinie f¨ ur die Verschiebung δ1 gegeben. w

= h d1 =

hd1

12.3 Dualit¨ at der Einflusslinien f¨ ur Weg– und Kraftgr¨ oßen Die Bedeutung von Einflusslinien ist f¨ ur das Verst¨ andnis des Systemtragverhaltens bei vielen Lastf¨allen ganz fundamental. Erst hiermit wird deutlich, wie ung¨ unstigste Lastanordnungen aussehen und wo das Tragwerk gezielt verst¨ arkt werden muss. Bei der Berechnung von Einflusslinien zeigt sich noch einmal der duale Aufbau aller Berechnungsverfahren der Statik. Die Dualit¨ at von Kraftgr¨ oßen, die die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen m¨ ussen, und Weggr¨ oßen, die die Verformungsbedingungen erf¨ ullen m¨ ussen, wird hierbei ganz deutlich. Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen werden mit dem Satz von Betti begr¨ undet. Die Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße ist die Verformungsfigur infolge einer gedach” ten“ Kraftgr¨oße 1“. ” Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen werden bisher mit dem PvV begr¨ undet. Die Einflusslinie f¨ ur eine Kraftgr¨oße ist die Verformungsfigur infolge einer gedachten“ ” Weggr¨oße −1“. ”

180

12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen

Eine andere Begr¨ undung der Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen ist mit den S¨ atzen von Betti und Maxwell m¨oglich. Anstelle der beiden Einzellasten Pj und Pk werden jetzt eine Einzellast Pj an der Stelle j und eine Weggr¨ oße δk an der Stelle k betrachtet, die nacheinander auf das System gebracht werden. Hier wird δk vereinfachend als Lagerverschiebung entgegengesetzt zur Lagerkraft Fk angesetzt.

System 1 Die Reihenfolge der Einwirkungen ist: zuerst Pj , dann δk . Infolge Pj werden an der Stelle j Eigenarbeiten auf δjj und Verschiebungsarbeiten auf δjk geleistet. Infolge δk werden an der Stelle k Verschiebungsarbeiten der Lagerkraft Fkj und Eigenarbeiten der Lagerkraft Fkk auf δk geleistet, wobei die Lagerkraft Fkk bei statisch bestimmten Systemen null ist. Pj dk

d jj d jk Fkj

Die Gesamtarbeiten sind: A1 = Ai1 + Aa1 1 1 = Ai1 + Pj · δjj − Fkk · δk + Pj · δjk − Fkj · δk 2 2 Aajk + Aakj = Ai1 + Aajj + Aakk + 



Eigenarbeiten Verschiebungsarbeiten

System 2 Bei Vertauschung der Reihenfolge gilt: zuerst δk , dann Pj . Infolge Pj werden an der Stelle j nur Eigenarbeiten auf δjj geleistet. Infolge δk werden an der Stelle k von Fkk Eigenarbeiten geleistet. Da die Kraft Pj erst nach der Lagerverschiebung δk aufgebracht wird, werden in System 2 bei statisch bestimmten Systemen keine Verschiebungsarbeiten geleistet. Pj

d jk dk

d jj Fkk

12.3 Dualit¨at der Einflusslinien f¨ ur Weg– und Kraftgr¨ oßen

181

Die Gesamtarbeiten sind: A2 = Ai2 + Aa2 1 1 = Ai2 + Pj · δjj − Fkk · δk + 0 2 2 = Ai2 + Aajj + Aakk + Aakj 

 Eigenarbeiten Verschiebungsarbeiten Der Endzustand ist in System 1 und System 2 gleich, sodass auch die gespeicherten inneren und ¨außeren Arbeiten jeweils gleich sind. Damit folgt Ai1 = Ai2

und

Aa1 = Aa2 .

Weil die Eigenarbeiten in beiden Systemen identisch sind, sind auch die Verschiebungsarbeiten gleich groß. Damit bleibt aus System 1: Pj · δjk − Fkj · δk = 0 . Setzt man jetzt δk = 1, so erh¨alt man die Lagerkraft Fkj an der Stelle k infolge einer Wanderlast Pj an der Stelle j indem man die Wanderlast mit der Weggr¨oße δjk multipliziert. Dies entspricht aber vollst¨ andig der Definition der Einflusslinie f¨ ur eine Kraftgr¨oße: F = Pj · ηF . Damit liefern die S¨atze von Betti und Maxwell bez¨ uglich der Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen die gleiche Aussage wie das PvV.

Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨ oßen Die Einflusslinie f¨ ur eine Schnittgr¨oße an fester Stelle k entspricht der Verschiebungsfigur f¨ ur die zu der Schnittgr¨ oße konjugierten gedachten oße eingepr¨ agt wird. Weggr¨oße δk = 1, die entgegengesetzt zur Schnittgr¨ ηFk (x) = w(x)

infolge

δk = −1 .

STATISCH UNBESTIMMTE SYSTEME

13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme

Bisher wurde das Trag- und Verformungsverhalten an statisch bestimmten Systemen untersucht sowie die Berechnungsverfahren f¨ ur Schnittgr¨ oßen und Weggr¨oßen grundlegend entwickelt. Statisch bestimmte Systeme besitzen f¨ ur die Baupraxis verschiedene Vor- aber auch viele Nachteile, sodass man sie dort vermeidet, wo man auch andere Bauweisen w¨ahlen kann. Die Vorteile sind: 1. Der Zusammenbau vorgefertigter Bauteile zu einem Tragwerk ist mit relativ geringem Aufwand m¨oglich, wenn die Verbindungen der Bauteile nicht die volle Querschnittstragf¨ahigkeit der Bauteile aufweisen m¨ ussen, z. B. gelenkige Verbindung anstelle voller Biegesteifigkeit. Diese Bauweise eignet sich besonders f¨ ur Tragwerke aus Holz oder Stahl. Die Herstellung einer nachtr¨ aglichen biegesteifen Verbindung ist teilweise m¨oglich, aber in der Regel aufw¨ andig. 2. Das Ersetzen einzelner Bauteile ist m¨oglich, wenn die Verbindungen der Bauteile dies zulassen, z. B. Momentengelenk, Querkraftgelenk, Lager. Dies kann entscheidend sein, wenn z. B. ein Tr¨ager einer Mehrfeldbr¨ ucke in kurzer Zeit ausgewechselt werden muss. Die Nachteile statisch bestimmter Systeme sind gleichzeitig die Vorteile statisch unbestimmter Systeme. Wesentlich ist: 1. Statisch bestimmte Tragwerke sind in der Regel nicht robust. Sobald ein Querschnitt eine reduzierte Festigkeit z. B. aus Sch¨ adigung aufweist, k¨ onnen weite Teile des gesamten Tragwerks vom Einsturz bedroht sein. 2. Statisch bestimmte Tragwerke haben keine Systemtragreserven, die bei nicht ¨ vorhersehbaren Einwirkungen oder Uberbeanspruchungen den Kraftfluss u ¨ ber andere Tragwerksteile erm¨oglichen. 3. Die Bemessungsschnittgr¨oßen sind in statisch bestimmten Systemen in der Regel gr¨oßer als in vergleichbaren unbestimmten Systemen. Dies bewirkt unwirtschaftliche Systeme, bei denen der Werkstoff und die Querschnitte nur an wenigen Stellen im Tragwerk voll ausgenutzt sind. 4. Die Verformungen statisch bestimmter Tragwerke sind in der Regel gr¨ oßer als bei unbestimmten Systemen, da die Systemsteifigkeiten geringer sind. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_13

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13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme

13.1 Tragverhalten statischer unbestimmter Systeme Damit Tragwerke robuster gegen¨ uber nicht geplanten System¨ anderungen z. B. ¨ aus Alterung oder Umnutzung eines Bauwerks sind oder Tragreserven bei Uberbeanspruchung heranziehen k¨onnen, sollte man vorrangig statisch unbestimmte Systeme entwerfen. Nachfolgende Beispiele sollen verdeutlichen, wie man den Kraftfluss bei gegebener Last aber unterschiedlichen statisch bestimmten und unbestimmten Systemen beeinflussen kann.

Beispiel 1 Durchlauftr¨ager eines Dachtragwerks oder einer Br¨ ucke kann man mit unterschiedlichen statischen Systemen realisieren, siehe Bild 13-1. Ist das System statisch bestimmt, kann man die Momentenlinie und die Bemessungsmomente mit der Lage der Gelenke gezielt beeinflussen. Besonders unwirtschaftlich ist der Durchlauftr¨ager, wenn die Gelenke direkt u ¨ ber den Lagern angeordnet und daher die Feldmomente maximal sind. Eine gleichm¨ aßigere Ausnutzung des Durchlauftr¨agers ist sinnvoll und kann mit einer Ver¨ anderung des Systems erreicht werden. Dies gelingt, wenn die Lage der Gelenke so gew¨ ahlt wird, dass die Feldmomente verringert und die St¨ utzmomente vergr¨ oßert werden. Außerdem kann man mit der Wahl der Gelenke und der Steifigkeiten andere Eigenschaften des statischen Systems beeinflussen. M1

a

b

c

d

e

P

f Pl/4

4l Pl/6

M2 l/4

M3

Pl/6

0,1 Pl

0,0067 Pl 0,027 Pl

0,2 Pl

Bild 13-1 Durchlauftr¨ager Das erste in Bild 13-1 dargestellte System ist statisch bestimmt. Aufgrund der speziellen Anordnung der Gelenke verringern sich die Feldmomente f¨ ur die u utzmomente anwachsen. F¨ ur die ¨berwiegende Zahl der Lastf¨alle, wobei die St¨

13.1 Tragverhalten statischer unbestimmter Systeme

187

im Bild gezeigte Laststellung ist das System wenig robust, da ein Versagen des Querschnitts an der Stelle e infolge Mmax = p /4 ausreicht, um das gesamte System zur kinematischen Kette werden zu lassen. Im zweiten System bewirkt die spezielle Lage der Gelenke gleich große Feld– und St¨ utzmomente. Das System ist weiterhin statisch bestimmt, weist aber kleinere Bemessungsmomente auf und ist robuster, da bei einer Querschnittsschw¨achung in e nur Feld e − f gef¨ahrdet ist. Wenn der Durchlauftr¨ager wie in System 3 durchgehend biegesteif verbunden ist, bleibt die Systemtragf¨ahigkeit auch bei Querschnittsschw¨ achung in e erhalten. Infolge der statischen Unbestimmtheit sind die Extremwerte der Momentenlinie in der Regel kleiner und gleichm¨aßiger verteilt, sodass das Material besser ausgenutzt ist. Aufgrund der kleineren Momente und der u ¨ ber die gesamte L¨ange durchgef¨ uhrten Steifigkeiten ist die Biegelinie stetig, ohne Knicke und mit kleineren Maximalwerten versehen.

Beispiel 2 Im zweiten Beispiel soll gezeigt werden, wie man die Momentenlinie und damit das Tragverhalten eines Rahmentragwerks mit geeigneter Wahl der Steifigkeiten und Verbindungen zwischen den St¨aben gezielt beeinflussen kann. Hiermit gelingt es, Tragreserven zu aktivieren und den Kraftfluss unabh¨ angig von der Stabanordnung des Tragwerks zu optimieren. Das im Bild dargestellte Rahmentragwerk ist statisch bestimmt. Die Momentenlinie infolge Wind von links weist große Ordinaten in Feldmitte m der St¨ utze a−b und in der Rahmenecke c auf. Der Lastabtrag ist hier besonders ung¨ unstig, da eine H¨alfte der Windlast u utze c − d in das ¨ber den Riegel b − c und die St¨ rechte Lager geleitet wird und die Querkraft in d einen großen Wert annimmt: Qd = 0,5 qh. 0,50 c

q b m

h

0,125

a EI

M/qh

2

d l = 1,6 h

Bild 13-2 Statisch bestimmtes Rahmentragwerk Das System ist einfach statisch unbestimmt, wenn das Gelenk in der Rahmen-

188

13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme

ecke b geschlossen ist. Mit diesem System wird ein erheblich kleinerer Teil der Windlast in das rechte Lager geleitet: Qd = 0,39 qh. Die Folge ist eine stark ver¨ anderte Momentenlinie, bei der das Eckmoment Mc erheblich kleiner ist als ugig gr¨ oßer. Außerdem ist im ersten Fall und das Feldmoment Mm nur geringf¨ das System robuster, da eine Schw¨achung eines Querschnitts nicht zwangsl¨ aufig zum Einsturz des gesamten Systems f¨ uhrt. 0,39

0,11

q h

0,18

EI

M/qh

2

l = 1,6 h

Bild 13-3 Einfach statisch unbestimmtes Rahmentragwerk Im dritten System ist die Biegesteifigkeit der linken St¨ utze verdoppelt und das Gelenk in Lager a geschlossen. Das Trag– und Verformungsverhalten ist jetzt v¨ ollig ver¨andert, da ein großer Teil der Windlast u utze in das linke ¨ ber die St¨ Lager geleitet wird. Die horizontale Lagerkraft in a betr¨ agt jetzt Qa = 0,72 qh, in der Rahmenecke c halbiert sich das Eckmoment Mc gegen¨ uber dem statisch bestimmten System und das Feldmoment Mm verschwindet fast vollst¨ andig. 0,28 EI

q h

EI

2EI

M/qh

2

0,22 l = 1,6 h

Bild 13-4 Versteiftes statisch unbestimmtes Rahmentragwerk Die Momentenlinie deutet an, dass eine weitere Optimierung der Biegesteifigkeiten sinnvoll ist, da der Riegel und die rechte St¨ utze im Verh¨ altnis zur linken St¨ utze kleinere Biegesteifigkeiten aber gr¨oßere Momente aufweisen.

13.2 Berechnungsans¨atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme

189

Anmerkungen Ein Tragwerk sollte in der Regel so entworfen werden, dass die Lasten auf k¨ urzestem Weg und, wenn m¨oglich, redundant in die Lager geleitet werden k¨ onnen. Beide Beispiele verdeutlichen die M¨oglichkeiten und Vorteile statisch unbestimmter Systeme, sodass dies der Regelfall des Tragwerkentwurfs sein sollte. Je unbestimmter ein System ist, desto mehr Gestaltungsraum f¨ ur den Kraftfluss und die Sicherheitskonzepte sind vorhanden. Bei statisch unbestimmten Systemen sind die Schnittgr¨ oßen von den Steifigkeitsverh¨altnissen im Tragwerk abh¨angig. Dort, wo große Steifigkeiten angeordnet sind, werden die Einwirkungen in die Lager geleitet: Steifigkeiten ziehen ” Schnittgr¨oßen an“. Wesentlich ist, dass der Werkstoff bei statisch unbestimmten Systemen im Mittel besser ausgenutzt ist und die Tragwerke robuster sind. F¨ ur die Berechnung der Schnittgr¨oßen in statisch unbestimmten Systemen bedeutet dies, dass der Kraftfluss im System von den Gleichgewichts- und Verformungsbedingungen sowie von den Werkstoffgleichungen bestimmt wird. Damit sind spezielle Berechnungsverfahren erforderlich, die alle Bedingungsgleichungen mit wenig Aufwand l¨osen k¨onnen.

13.2 Berechnungsans¨ atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme Das Verst¨andnis f¨ ur das Tragverhalten und die Berechnungsverfahren von statisch bestimmten Systemen ist Grundlage f¨ ur die Analyse statisch unbestimmter Systeme. F¨ ur die Berechnung der Schnittgr¨oßen und Weggr¨ oßen von statisch unbestimmten Systemen sind jedoch Erweiterungen in den Vorgehensweisen erforderlich, da die bisherige Trennung in die Berechnung der Schnittgr¨ oßen und die nachfolgende Berechnung der Weggr¨oßen nicht mehr eingehalten werden kann. Warum nicht? Generell m¨ ussen alle Tragwerke die Gleichgewichtsbedingungen (Statik), die Verformungsgeometrie (Kinematik) und die Werkstoffgleichungen erf¨ ullen, wobei hier die geometrisch lineare Theorie I. Ordnung sowie das lineare Werkstoffverhalten nach Hooke angesetzt sind. Bei statisch bestimmten Systemen kann man mit dem Schnittprinzip die Schnittgr¨ oßen allein aus Gleichgewichtsbedingungen ermitteln. Die Berechnung der Weggr¨oßen und der Biegelinie ist hiervon entkoppelt und kann in einem zweiten Schritt mit der Verformungsgeometrie und den Werkstoffgleichungen mit einer Nachlaufrechnung erfolgen. Bei n-fach statisch unbestimmten System sind mehr unbekannte Schnitt- und

190

13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme

Lagergr¨oßen zu bestimmen als Gleichgewichtsbedingungen vorhanden sind, n = a + z − 3p. Die n zus¨atzlich erforderlichen Gleichungen k¨onnen als Verformungsbedingungen formuliert werden, sodass die Bilanz (Anzahl der Unbekannten = Anzahl der Gleichungen) wieder erf¨ ullt ist. Das gleichzeitige Erf¨ ullen der Gleichgewichtsbedingungen und der Verformungsbedingungen erfordert besondere Vorgehensweisen, wenn der Berechnungsaufwand klein bleiben soll. In der Baustatik sind daher zur Berechnung statisch unbestimmter Systeme • das Kraftgr¨oßenverfahren und • das Weggr¨oßenverfahren entwickelt worden. Nachfolgend sind die Grundideen beider Berechnungsverfahren an einem einf¨ uhrenden Beispiel erl¨autert.

13.2.1 Einf¨ uhrungsbeispiel Gegeben ist das folgende einfach statisch unbestimmte System mit konstantem EI und einer Einzellast im rechten Feld. P a

b

c m

l

l

Momentenlinien, die die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen, gibt es unendlich viele, da eine Schnitt- oder Lagergr¨oße unbestimmt ist und damit frei gew¨ ahlt werden kann. Im Bild unten ist jeweils die mittlere Lagerkraft vorgegeben, sodass man mit Σ Ma = 0 die anderen Lagerkr¨afte und damit die Momentenlinie berechnen kann. Zu jeder Momentenlinie geh¨ort eine Biegelinie, die jedoch nicht die Verformungsbedingungen erf¨ ullt. M G1

0

P/2

1/8 P

3/4 P

P/2

M G2

3/8 P

13.2 Berechnungsans¨atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme

191

Biegelinien, die die Stetigkeitsbedingungen und die Randbedingungen erf¨ ullen, gibt es ebenfalls unendlich viele. Zu den im Bild willk¨ urlich gew¨ ahlten Biegelinien geh¨ort jeweils eine Momentenlinie, die jeweils nicht die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullt. w V1

w V2

Im linearen Fall gibt es jedoch nur eine einzige Momentenlinie und die dazu geh¨orige Biegelinie, die die Gleichgewichts- und die Verformungsbedingungen gleichzeitig erf¨ ullen. Dies ist bei Annahme einer Theorie I. Ordnung und linearem Materialverhalten der einzig richtige Zustand des Tragwerks unter den gegebenen Bedingungen. Die Aufgabe ist nun, die richtige Momentenlinie und die dazu geh¨orende Biegelinie zu finden. Das wirkliche Tragverhalten kann man einschranken, wenn man das System k¨ unstlich ver¨andert. Ordnet man u ¨ber dem Lager b ein Momentengelenk an, erh¨ alt man eine untere Grenze f¨ ur das St¨ utzmoment, da die Balken keine Einspannwirkung erfahren (System A). H¨alt man den Balken am Lager b gegen Verdrehen fest (System B), so erh¨alt man eine obere Grenze f¨ ur das St¨ utzmoment, da die Balken voll eingespannt sind. Beide Systeme liefern Grenzwerte f¨ ur die Momentenlinie. F¨ ur die Korrektur des k¨ unstlich verf¨ alschten Systems gibt es die beiden nachfolgenden L¨osungswege.

13.2.2 L¨ osungsweg mit unbekannten Kraftgr¨ oßen – System A Wenn am Lager b ein Gelenk angeordnet wird, ist das System statisch bestimmt. Das unbekannte St¨ utzmoment Mb ist zun¨achst null gesetzt. Die Momentenlinie M (P ) kann wie bisher an einem statisch bestimmten System berechnet werden und erf¨ ullt damit die Gleichgewichtsbedingungen von vornherein. P M(P)

P l/4

Die Biegelinie w(P ) erf¨ ullt jedoch nicht die Verformungsbedingungen des wirk-

192

13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme

lichen Systems, da sie in b einen Knick aufweist. P w(P)

Djb (P) wm

In Knoten b ist die Verformungsbedingung des wirklichen Systems verletzt, da ein Knick in der Biegelinie auftritt, der am wirklichen System nicht vorhanden ist. Den Knick kann man beseitigen, wenn man in dem k¨ unstlichen“ Gelenk ” ein Doppelmoment M vorgibt, das die Gr¨oße des wirklichen Momentes Mb hat und den Knickwinkel korrigiert, siehe nachfolgendes Bild. Mb w(Mb)

Djb (M)

M(Mb)

Mb

Die Gr¨oße des Doppelmomentes ist zun¨achst noch unbekannt. Sie wird aus der Verformungsbedingung an der Stelle des k¨ unstlichen“ Gelenkes berechnet: ” Δϕ(P ) + Δϕ(Mb ) = 0. Die Berechnung der Verdrehungen Δϕ kann mit dem PvK erfolgen. Hierbei werden auch die Werkstoffgleichungen verwendet. Beide Teilbiegelinien erf¨ ullen ullt jedoch die Verformungsbedingung f¨ ur Δϕb nicht. Die Gesamtbiegelinie erf¨ alle Verformungsbedingungen. w = w(P ) + w(Mb ). ¨ Die Gesamtmomentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien: M = M (P ) + M (Mb ). Die Gesamtmomentenlinie ist im Gleichgewicht, wenn beide Teilmomentenlinien im Gleichgewicht sind. Dies ist eine Vorbedingung, ohne die dieses Konzept nicht anwendbar ist. Die Verallgemeinerung dieses Vorgehens f¨ uhrt auf das Kraftgr¨oßenverfahren. Unbekannt sind die Kraftgr¨oßen an den Orten der k¨ unstlich“ gel¨ osten Bin” dungen.

13.2 Berechnungsans¨atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme

193

13.2.3 L¨ osungsweg mit unbekannten Weggr¨ oßen – System B Wenn am Lager b eine feste Einspannung angeordnet wird, wird der linke Biegestab vollst¨andig gegen die Verformungen des rechten Stabes unter Einzellast abgeschottet. w(P ) erf¨ ullt jetzt die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems, da keine Knicke und keine Spr¨ unge vorhanden sind. Die Momentenlinie M (P ) verletzt jedoch am Lager b die Gleichgewichtsbedingungen, da hier ein Sprung ΔMb vorhanden ist. Am wirklichen System ist die Momentenlinie jedoch stetig, wenn kein Einzelmoment vorhanden ist. Hier entsteht der Sprung durch die k¨ unstliche Festhaltung des Systems am Knoten b. __ ___. 7 Pl³ 768

w(P)

EI

DM b= 3/16 Pl M(P) 5/32 Pl

Am wirklichen System verdreht sich der Balken in b jedoch um ϕb , sodass die Knotenverdrehung nachtr¨aglich auf das zun¨achst festgehaltene System gebracht werden muss. Die aus der Knotendrehung ϕb folgende Biegelinie erf¨ ullt ebenfalls die Verformungsbedingungen, die Momentenlinie jedoch nicht die Gleichgewichtsbedingungen. w(jb)

jb

DMb

M(jb)

¨ Die Gesamtmomentenlinie muss jedoch im Gleichgewicht sein. Uberlagert man die M -Linie aus Last und die M -Linie aus Verdrehung ϕb so, dass der Sprung gerade verschwindet, so kann man die Gr¨oße der noch unbekannten Verdrehung mit der Gleichgewichtsbedingung ΔM (P ) + ΔM (ϕb ) = 0 berechnen. Auch die Werkstoffgleichung ist ber¨ ucksichtigt, da die Momentenlinie aus Verdrehung ϕb von den Steifigkeiten abh¨angt. Die Gesamtmomenten-

194

13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme

¨ linie folgt aus Uberlagerung beider Teilmomentenlinien. M = M (P ) + M (ϕb ). Beide Teilmomentenlinien sind nicht im Gleichgewicht. Der Fehler wird durch die zus¨atzliche Gleichgewichtsbedingung am Knoten behoben, sodass die Gesamtmomentenlinie im Gleichgewicht ist. Die Gesamtbiegelinie folgt aus der Superposition beider Teilbiegelinien w = w(P ) + w(ϕb ). Beide Teilbiegelinien erf¨ ullen von vornherein alle Verformungsbedingungen, damit erf¨ ullt auch die Gesamtbiegelinie die Verformungsbedingungen. Die Verallgemeinerung des Vorgehens f¨ uhrt auf das Weggr¨oßenverfahren. Unbekannt sind die Weggr¨oßen an den Orten der k¨ unstlichen“ Festhaltungen. ”

13.3 Dualit¨ at von Kraft– und Weggr¨ oßenverfahren Die Gleichgewichtsbedingungen und die Verformungsgeometrie beschreiben unterschiedliche physikalische Zusammenh¨ange und sind daher unabh¨ angig voneinander und mit Kraft– bzw. Weggr¨oßen getrennt formuliert, siehe Abschnitt 3.4. Dennoch m¨ ussen alle statischen Systeme beide Bedingungen gleichzeitig erf¨ ullen, was mithilfe der Werkstoffgleichungen f¨ ur die jeweils zugeordneten Kraft– und Weggr¨oßen gelingt. Die in den Abschnitten 13.2.2 und13.2.3 entwickelten Vorgehensweisen zur Berechnung statisch unbestimmter Systeme greifen diese Dualit¨at der Grundgleichungen und der Zustandsvariablen auf, um den Spannungs– und Verformungszustand statisch unbestimmter Systeme zu bestimmen. Die Dualit¨at von Grundgleichungen und Zustandsvariablen wird in verschiedener Hinsicht deutlich. So wie die Gleichgewichtsbedingungen der Statik und die Verformungsbedingungen der Kinematik v¨ollig unabh¨ angig voneinander und gleichwertig formuliert sind, stehen auch die Arbeitsprinzipien des PvV und des PvK gleichwertig nebeneinander, da das PvV den Gleichgewichtsbedingungen und das PvK den Verformungsbedingungen ¨ aquivalent ist. Setzt man die Werkstoffgleichungen in das PvV bzw. in das PvK ein, kann man die unbekannten Wege mit dem PvK bzw. die unbekannten Kr¨ afte mit dem PvV berechnen. Aus der Dualit¨at von Kraft– und Weggr¨oßen lassen sich die beiden L¨ osungswege f¨ ur statisch bzw. kinematisch unbestimmte Systeme entwickeln und interpretieren.

13.3 Dualit¨at von Kraft– und Weggr¨oßenverfahren

195

Das Kraftgr¨oßenverfahren entsprechend System A arbeitet mit unbekannten Kraftgr¨oßen, dem St¨ utzmoment Mb im einf¨ uhrenden Beispiel, und setzt statisch zul¨ assige Momentenlinien bzw. Spannungszust¨ande voraus. Die Verformungsbedingungen werden zur Berechnung der unbekannten Kraftgr¨ oßen eingesetzt und m¨ ussen zus¨atzlich zu den Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullt werden, damit der Knick Δϕ in System A verschwindet. Das Weggr¨oßenverfahren entsprechend System B arbeitet mit unbekannten uhrenden Beispiel, und setzt kiWeggr¨oßen, der Knotenverdrehung ϕb im einf¨ nematisch zul¨assige Verformungszust¨ande voraus. Die Gleichgewichtsbedingungen werden zur Berechnung der unbekannten Weggr¨ oßen eingestzt und m¨ ussen zus¨atzlich zu den Verformungsbedingungen erf¨ ullt sein, damit der Momentensprung ΔM in System B verschwindet. Beide Vorgehensweisen f¨ uhren auf den gleichen Spannungs- und Verformungszustand, der alle Grundgleichungen erf¨ ullt, siehe Bild 13-5. Im linearen Fall ist dieser Gesamtzustand eindeutig. P 0,094 Pl

M + 0,094 P

0,688 P

0,203 Pl

w WP.

Bild 13-5 Momentenlinie und Biegelinie des Zweifeldtr¨agers

0,406 P

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

Die Zustandslinien von statisch unbestimmten Systemen k¨ onnen nicht allein mit den (bei ebenen Systemen) drei Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden. Es werden zus¨atzliche Gleichungen ben¨otigt, um die Gesamtbilanz Zahl der unbekannten Lagergr¨oßen und Schnittgr¨ oßen bei einfach zusammenh¨angenden Scheiben =

Zahl der zur Verf¨ ugung stehenden Gleichungen

zu befriedigen. Die zus¨atzlich erforderlichen Gleichungen sind beim Kraftgr¨ oßenverfahren die Verformungsbedingungen.

Beispiel P

P

a = 5, z = 0, p = 1 n= 5+0−3·1 =2

Das System ist 2–fach statisch unbestimmt. Damit m¨ ussen zus¨ atzlich zu den 3 Gleichgewichtsbedingungen 2 Verformungsbedingungen formuliert werden. Hieraus ergeben sich folgende Fragen: Wie werden die Gleichgewichtsbedingungen eingesetzt? Wie und wo werden die Verformungsbedingungen formuliert? Die Gleichgewichtsbedingungen werden eingesetzt, um statisch zul¨assige Zustandslinien (M, Q, N ) zu berechnen. Die Zustandslinien k¨ onnen • am statisch unbestimmten System nach Vorgabe von n Lager- oder Schnittgr¨oßen ermittelt werden oder • nach L¨osen von n Lager- oder Schnittgr¨oßenbindungen an einem (unverschieblichen) statisch bestimmten System. In beiden F¨allen werden n Verformungsbedingungen verletzt und m¨ ussen in einem zweiten Schritt nachtr¨aglich korrigiert werden. Hier wird der zweite Weg gew¨ahlt, da er anschaulicher ist. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_14

14.1 R¨ uckf¨ uhrung auf statisch bestimmte Hauptsysteme

197

14.1 R¨ uckf¨ uhrung auf statisch bestimmte Hauptsysteme Mit den Gleichgewichtsbedingungen allein k¨onnen Zustandslinien (M, Q, N ) berechnet werden, wenn das System statisch bestimmt ist. Werden an einem statisch unbestimmten System zun¨achst genau so viele Bindungen gel¨ ost, wie der Grad der statischen Unbestimmtheit betr¨agt, dann liegt ein statisch bestimmtes System vor. Dieses System wird als statisch bestimmtes Hauptsystem (HS) bezeichnet. Das statisch bestimmte Hauptsystem ist das Ausgangssystem f¨ ur die Berechnung der Zustandsgr¨oßen mit dem Kraftgr¨ oßenverfahren. Statisch bestimmte Hauptsysteme gibt es f¨ ur jedes n–fach statisch unbestimmte System n · ∞-viele, da man die Bindungen an jeder beliebigen Stelle des Tragwerks l¨osen kann. Beim Kraftgr¨oßenverfahren besteht Wahlfreiheit f¨ ur das statisch bestimmte Hauptsystem. Bei geschickter Ausnutzung dieser M¨ oglichkeit kann man Rechenumfang und Rechengenauigkeit g¨ unstig beeinflussen. Mit ein wenig Erfahrung kann man besonders geeignete Hauptsysteme schnell identifizieren und genau die Bindungen l¨osen, bei denen die nachfolgende Berechnung m¨oglichst effizient ist und die Fehlerm¨oglichkeiten klein sind. Bei der Wahl des statisch bestimmten Hauptsystem ist Folgendes zu beachten: 1. Beim L¨osen von n Bindungen werden n unbekannte Schnittgr¨ oßen freigeschnitten. Die unbekannten Schnittgr¨oßen werden zun¨ achst zu null gesetzt. 2. Alle St¨abe des statisch unbestimmten Systems m¨ ussen im statisch bestimmten Hauptsystem enthalten sein. 3. Das statisch bestimmte Hauptsystem darf nicht verschieblich sein. 4. Die Momentenlinien sollten am Hauptsystem m¨ oglichst schnell und einfach ermittelt werden k¨onnen. Dies erreicht man, wenn man m¨ oglichst nur Momentenbindungen l¨ost, da mit Momentengelenken unterschiedliche Bereiche des Tragwerks voneinander entkoppelt werden k¨onnen. ¨ Außerdem sind bei der Uberlagerung des Last– und der Einheitsspannungszust¨ande zur Gesamtmomentenlinie die Momentenordinaten an den Stellen der unbekannten Momente direkt gegeben. Besonders vorteilhaft sind hierbei Momentenbindungen in Rahmenecken oder u ¨ber einem Lager, da mit den unbekannten Momentenordinaten gleichzeitig ein Teil der Schlusslinie festliegt. Der Durchlauftr¨ager im Bild ist 2–fach unbestimmt. Das unbestimmte System wird durch gezieltes Entfernen von jeweils 2 Bindungen auf unterschiedliche sta-

198

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

tisch bestimmte Hauptsysteme zur¨ uckgef¨ uhrt. Als unbekannte Schnittgr¨ oßen sind Momente M und Lagerkr¨afte F gew¨ahlt. P

P

a

b

c

HS infolge  w0

ja

wb

 w0

wb

wc Djb

w0



ja

Ma Fb

Fb Fc

Ma Mb



gel¨ oste Bindung 

=0



 =0



 =0

ϕa wb

wb wc

ϕa Δϕb

 =0

 =0

 =0

Aufgrund der oben beschriebenen Vorteile ist das Hauptsystem am besten geeignet, bei dem zwei Momentenbindungen gel¨ ost sind. Daher werden die L¨ osungsschritte des Kraftgr¨oßenverfahrens am unteren Hauptsystem 3 erl¨ autert.

14.2 Die Gleichgewichtsbedingungen Die zun¨achst zu null gesetzten Lager- und Schnittgr¨ oßen sind die Unbekannten des Kraftgr¨oßenverfahrens. Sie m¨ ussen nachtr¨aglich auf die im wirklichen System vorhandenen Werte korrigiert werden. Hierzu ist der Einfluss der Last und der unbekannten Schnittgr¨oßen auf den Spannungs- und Verformungszustand zu ber¨ ucksichtigen. Dies erfolgt mit Last- und Einheitsspannungszust¨ anden.

Der Lastspannungszustand – LSZ Der Lastspannungszustand ist der Gleichgewichtszustand am HS unter der Wirkung der ¨außeren Belastung. Der Lastspannungszustand ist mit dem unteren Index 0 gekennzeichnet. Hierzu geh¨oren die Momentenlinie M0 und die Bieullt die Gleichgewichtsbedingungen, gelinie w0 . Der Lastspannungszustand erf¨ aber nicht die Verformungsbedingungen. F¨ ur das Hauptsystem 3 ist der LSZ

14.2 Die Gleichgewichtsbedingungen

199

nachfolgend angegeben. P

P

M0

w0

ja0

Djb0

Die Einheitsspannungszust¨ ande – ESZj Die Einheitsspannungszust¨ande sind Gleichgewichtszust¨ ande am Hauptsystem infolge der zu 1“ gesetzten Schnittgr¨oße am Ort der jeweils gel¨ osten Bindung. ” Hierzu geh¨oren die Momentenlinie Mj und die Biegelinie wj . Alle Einheitsspannungszust¨ande erf¨ ullen die Gleichgewichtsbedingungen, jedoch nicht die Verformungsbedingungen. F¨ ur das Hauptsystem 3 sind die Einheitsspannungszust¨ande nachfolgend gegeben. 1

M1 1

w1

ja1

Djb1 1

M2

w2

Djb2 ja2

Die Einheitsspannungszust¨ande entstehen stets aus Doppelwirkungen 1“ an ” beiden Schnittufern, bei Lagergr¨oßen im Schnitt zwischen Konstruktion und Fundament. Wenn die noch unbekannten Schnittgr¨ oßen am wirklichen System den Wert Xj haben, ist der gesamte Einheitsspannungszustand aus der jeweiligen Schnittgr¨oße 1“ mit dem Faktor Xj zu multiplizieren. ”

200

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

14.3 Die Verformungsbedingungen Am Hauptsystem sind die unbekannten Kraftgr¨oßen zun¨ achst zu null gesetzt, wenn die entsprechenden Bindungen gel¨ost sind. Wenn die Last- und Einheitsspannungszust¨ande am Hauptsystem berechnet werden, erf¨ ullen sie daher die Verformungsbedingungen des wirklichen, statisch unbestimmten Systems nicht. Die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems werden nachtr¨ aglich so erf¨ ullt, dass die Summe der Weggr¨oßen aus Einwirkungen und aus allen Schnittbzw. Lagergr¨oßen in den gel¨osten Bindungen verschwindet. ϕa (Ma ) + Δϕb (Ma ) +

ϕa (Mb ) + Δϕb (Mb ) +

ϕa (P ) Δϕb (P )

= 0, = 0.

Wenn Ma und Mb als Einheitsgr¨oßen zu 1 mit noch unbekannten Multiplikatoren Xj gesetzt sind, gilt auch ϕa (Ma = 1) · X1 Δϕb (Ma = 1) · X1

+ +

ϕa (Mb = 1) · X2 Δϕb (Mb = 1) · X2

+ +

ϕa (P ) = Δϕb (P ) =

0, 0.

Dies sind die Bestimmungsgleichungen des Kraftgr¨ oßenverfahrens. In allgemeiner Form kann man die Verformungsbedingungen auch mit δij · Xj + δi0 = 0 osten Bindung i schreiben, wenn die δij die Weggr¨oßen an der Stelle der gel¨ infolge der unbekannten Schnittgr¨oßen Xj sind und δi0 die Weggr¨ oßen aus Einwirkungen. Der erste Index gibt den Ort, der zweite Index die Ursache an.

14.4 Die Berechnung der Weggr¨ oßen am Hauptsystem Gegeben ist das System nach Abschnitt 14.2 mit konstanter Biegesteifigkeit EI. Die Momentenlinien des Lastspannungszustandes M0 und der Einheitsspannungszust¨ande M1 , M2 sind bereits berechnet. Die Berechnung der Weggr¨oßen δj0 und δjk erfolgt mit dem PvK. Anstelle der δ k¨onnen auch die EIc –fachen Werte berechnet werden. Damit gilt  ¯ · EIc · αT · ΔT } dx ¯ · M · Ic + M ¯1 · δ  = ¯1 · δ · EIc = {M I h ¯ ¯ −EIc · Σ Fa · δa − EIc · Σ Ma · ϕa . F¨ ur die Berechnung der Weggr¨oßen m¨ ussen die zu den Weggr¨ oßen konjugierten virtuellen Kraftgr¨oßen ¯1 auf das System gebracht und die virtuellen Momentenlinien berechnet werden. Zu beachten ist, dass die virtuellen Spannungszust¨ande mit den Einheitsspannungszust¨anden identisch sind, und damit die

14.4 Die Berechnung der Weggr¨oßen am Hauptsystem

201

Berechnung der virtuellen Momentenlinien nicht mehr explizit erfolgen muss.

1 M1

1 M2

Wenn die Last– und Einheitsspannungszust¨ande sowie die virtuellen Momentenlinien bekannt sind, kann der Arbeitssatz ausgewertet werden. Im hier vor¯ liegenden Beispiel sind nur die Integrale mit den Momentenlinien M und M auszuwerten. Damit folgt f¨ ur die Weggr¨oßen aus Lastspannungszustand   ¯1 · M0 · Ic dx = 1 · ¯1 · P · 1 · ¯1 · δ10 = M I 4 4  P  ¯2 · M0 · Ic dx = 2 ( 1 · ¯ ¯1 · δ20 1· ·1· ) = M I 4 4 und f¨ ur die Weggr¨oßen aus Einheitsspannungszust¨ anden   ¯1 · M1 · Ic dx = 1 · ¯1 · 1 · 1 · ¯1 · δ11 = M I 3  I  ¯1 · M2 · c dx = 1 · ¯1 · 1 · 1 · ¯1 · δ12 = M I 6  I  ¯2 · M1 · c dx = 1 · ¯1 · 1 · 1 · ¯1 · δ21 = M I 6  I  ¯2 · M2 · c dx = 2 · ( 1 · ¯ ¯1 · δ22 = M 1·1· 1· ) I 3 In der u urzten Darstellung der Berechnung der Weggr¨ oßen verzich¨ blichen verk¨ tet man auf die virtuelle Einheitsschnittgr¨oße ¯1 und die Kennzeichnung (¯) der virtuellen Momentenlinien und formuliert die Verformungsbedingungen direkt mit EIc –fachen Werten    δ11 X1 + δ12 X2 + δ10 = 0,    δ21 X1 + δ22 X2 + δ20 = 0.

Anschließend werden die unbekannten Faktoren Xj der Einheitsspannungszust¨ande berechnet.

202

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

14.5 Zustandslinien des statisch unbestimmten Systems Nach L¨osung der Verformungsbedingungen sind die zun¨ achst unbekannten Faktoren Xj bekannt, sodass die Berechnung der Momentenlinie des unbestimm¨ ten Systems erfolgen kann. Die Uberlagerung der Teilmomentenlinien aus dem Lastspannungszustand und den Einheitsspannungszust¨ anden zur Gesamtmomentenlinie erfolgt mit den berechneten Unbekannten Xj zu M = M 0 + X1 · M 1 + X2 · M 2 . Die anderen Zustandslinien Q,N des wirklichen Systems k¨ onnen in einem zweiten Schritt aus der Momentenlinie berechnet werden. Wenn alle Mj und M0 das Gleichgewicht erf¨ ullen, erf¨ ullen M und damit auch die anderen Zustandslinien die Gleichgewichtsbedingungen. Mit Hilfe der Zustandslinien k¨ onnen bei Bedarf die Lagerkr¨afte Fa , Fb , Fc sowie das Einspannmoment berechnet werden. Die Berechnung der Biegelinie w erfolgt v¨ollig analog zu statisch bestimmten Systemen. Zun¨achst wird der Sehnenpolygon wS mit Hilfe von Einzelweggr¨ oßen ermittelt und anschließend die Anteile aus Verkr¨ ummung infolge M und Δ T mit Hilfe der ω-Tafeln superponiert. Es gilt w = wS + w(M ) + w(Δ T ). Alternativ kann man die Biegelinie mit den Last- und Einheitsspannungszust¨ anden ermitteln. w = w0 + X1 · w1 + X2 · w2 . Dieser Weg ist in der Regel aufw¨andiger, bietet aber die M¨ oglichkeit, die Momentenlinie mit den Verkr¨ ummungen unabh¨angig, aber nur qualitativ zu kontrollieren. Ma M

Fa

Fc

Fb P

P w

Der Gesamtzustand M, w erf¨ ullt als wirklicher Zustand alle Gleichgewichtsund Verformungsbedingungen.

14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren

203

14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨ oßenverfahren Die Berechnung der Zustandslinien von statisch unbestimmten Systemen erfolgt mit dem Kraftgr¨oßenverfahren mit folgenden Schritten: ¨ 1. Ubersetzen des wirklichen Tragwerks in ein statisches System (hier statisch unbestimmt) mit Wahl der Systemabmessungen, Stabanordnung, Randbedingungen und Gelenke. Vorgabe der Steifigkeiten und Einwirkungen. 2. Ermittlung des Grades n der statischen Unbestimmtheit. Wahl des statisch bestimmten Hauptsystems durch L¨osen von n Bindungen. 3. Berechnung des Lastspannungszustandes LSZ. Hierbei sind alle freigeschnittenen Lager- und Schnittgr¨oßen zu null gesetzt. Der LSZ ist im Gleichgewicht. 4. Berechnung der Einheitsspannungszust¨ande ESZ. Hierbei wird jeweils eine Schnittgr¨oße zu 1 und alle anderen unbekannten Schnittgr¨ oßen zu null gesetzt. Die ESZ sind im Gleichgewicht. oßen 5. Berechnung der Weggr¨oßen δij und δi0 mit dem PvK. Ursache der Weggr¨ am Ort i der gel¨osten Bindungen sind der LSZ sowie die ESZ j. 6. Formulierung der Verformungsbedingungen am Ort i n

δij · Xj + δi0 = 0 , i = 1,. . . n

j=1

und L¨osen des Gleichungssystems f¨ ur die unbekannten Faktoren Xj der ESZ. ¨ 7. Uberlagerung der Last- und der Einheitsspannungszust¨ ande zur Momentenlinie. M = M0 +

n

Xj · M j .

j=1

Berechnung der Querkr¨afte Q und der Normalkr¨afte N aus der Momentenlinie. 8. Berechnung von Einzelweggr¨oßen des unbestimmten Systems und Berechnung der Biegelinie w mit Hilfe der Momentenlinie M . w = wS + w(Δ T ) + w(M ) . 9. Gleichgewichts- und Verformungskontrollen. Nachfolgend sind zun¨achst die Punkte 1 bis 7 f¨ ur Durchlauftr¨ ager und Rahmentragwerke detailliert aufgef¨ uhrt.

204

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

14.6.1 Durchlauftr¨ ager 1. System Der statisch unbestimmte Durchlauftr¨ager ist mit einer Einzellast P = 10 kN und einer Lagerverdrehung ϕa = 0,002 rad belastet. Gesucht sind die Momentenlinie und die Biegelinie. ja

P

c

b

a 4,5

1,5

d 3

3

Die Steifigkeitsverh¨ altnisse sind im linken Stab a − b Ic /I1 = 1 und im rechten Stab b − d Ic /I2 = 1,5. Die Biegesteifigkeit betr¨agt EIc = 1,5 · 104 kN m2 .

2. Hauptsystem Das System ist 1-fach statisch unbestimmt. Es wird die Momenten-Bindung in c gel¨ost, da dies eine u ande ¨bersichtliche Bestimmung der Spannungszust¨ und der Weggr¨oßen δi0 erm¨oglicht. Die L¨osung der Momentenbindung in a ist ebenfalls m¨oglich. Aufgrund der Lagerdrehung ϕa ist die Auswertung der Arbeitsgleichung f¨ ur die Berechnung der Weggr¨ oßen dann aber schwierig zu interpretieren.

3. Lastspannungszustand – LSZ Der Lastspannungszustand bewirkt am Hauptsystem eine Momentenlinie, die von der Einzellast bestimmt ist. Die Lagerverdrehung ϕa hat am statisch betimmten Hauptsystem keinen Einfluss auf die Momentenlinie. M0 15

ja w0

d10 Die Biegelinie w0 enth¨alt damit den Anteil entsprechend der Momentenlinie M0 sowie den Anteil aus Lagerdrehung ϕa , der die Verdrehung der St¨ abe a − b und

14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren

205

b − c bewirkt. Infolge der Einwirkungen entsteht am Hauptsysem ein Knickwinkel δ10 , der mit dem Einheitsspannungszustand korrigiert werden muss.

4. Einheitsspannungszustand – ESZ Der Einheitsspannungszustand ist mit dem Doppelmoment 1“ an der Stelle ” c sowie den Momentennullpunkten in den Gelenken festgelegt. Die Biegelinie ist mit den Verkr¨ ummungen entsprechend M1 bestimmt. Infolge des Einheits3

M1

1

w1

d11 spannungszustandes entsteht der Knickwinkel δ11 , der den Knickwinkel δ10 kompensieren muss.

5. Weggr¨ oßen aus Last- und Einheitsspannungszust¨ anden  Die Berechnung der δj0 Werte erfolgt mit dem PvK. Hier gilt  ¯ · M · Ic } dx − EIc · Σ M ¯ a · ϕa . ¯1 · δ  = {M I

Die beim PvK anzusetzenden virtuellen Spannungszust¨ ande aus Einheitskr¨ aften bzw. Einheitsmomenten sind beim Kraftgr¨oßenverfahren identisch den Einheitsspannungszust¨ anden, da die Weggr¨oßen jeweils an den Stellen der gel¨ osten ¯ = Mj gilt: Bindungen berechnet werden m¨ ussen. Mit M  Ic  δ10 = M1 · M0 · dx − EIc · Σ M1a · ϕa I 1 = · 1,0 · 15 · 1,5 · 6 − 1,5 · 104 · 3,0 · ( −0,002 ) = +123,75 4  Die Berechnung des δ11 Wertes erfolgt ebenfalls mit dem PvK.  Ic  δ11 = M1 · M1 · dx = I 1 1 1 · 3 · 3 · 1 · 4,5 + · 1 · 1 · 1,5 · 1,5 + · 1 · 1 · 1,5 · 6,0 = 17,25 3 3 3

206

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

6. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingung ist direkt mit EIc -fachen Werten formuliert   X1 + δ10 = 0. δ11

In Zahlen folgt das Gleichungssystem f¨ ur die Berechnung von X1      17,25 X1 + 123,75 = 0 . Die L¨osung der Gleichung liefert     X1 = −7,174 , womit gleichzeitig das St¨ utzmoment Mc = 1 · X1 gegeben ist.

7. Momentenlinie des statisch unbestimmten Systems ¨ Die Momentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien. M = M 0 + M 1 · X1 . Mit der Momentenlinie kann auch die Querkraftlinie berechnet werden. M

7,17

21,52

11,41 4,78

Q

3,80

+

6,20

8. Biegelinie Die Biegelinie enth¨alt verschiedene Anteile. Dies sind die Teilbiegelinie w0 (ϕa ) aus der Lagerverdrehung ϕa , die am Hauptsystem keinen Einfluss auf die Momentenlinie hat, und die Teilbiegelinie w = w(M ) aus der Verkr¨ ummung, die mit den ω–Tabellen punktweise bestimmt werden kann. w = w0 (ϕa ) + w(M )

j

a

w

wP wM

wjA

14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren

207

14.6.2 Durchlauftr¨ ager bei eingepr¨ agter Weggr¨ oße Sind Einzelweggr¨oßen als Einwirkung vorgegeben – z. B. als Lagerverschiebung oder als Knick an beliebiger Stelle im System, so bewirkt das im statisch unbestimmten System einen Spannungszustand und damit auch eine Biegelinie. Nachfolgend ist der L¨osungsweg f¨ ur die Berechnung der Momentenlinie und der Biegelinie infolge eines Knickes gezeigt.

1. System und Einwirkung Das System ist zweifach statisch unbestimmt. Der Knick Δϕ = −1 wird an der Stelle k am statisch unbestimmten System eingepr¨ agt. Die Biegelinie infolge des Knicks entspricht sp¨ater der Einflusslinie f¨ ur das Moment an der Stelle k. = 10 m , EIc = 8. 000 kN m2 (HEB 180) , Ic /Ij = 1,0 .

a

2/3 l

c

b

k

1/3 l

l

2. Hauptsystem F¨ ur das Hauptsystem werden die Momentenbindungen in a und b gel¨ ost. Hiermit vereinfacht sich die Berechnung der Einheitsspannungszust¨ ande und die Berechnung der Verformungsbedingungen.

3. Lastspannungszustand Am statisch bestimmten Hauptsystem wird der Knick Δϕ = −1 wie eine eingepr¨ agte Weggr¨oße behandelt. Die hieraus folgende Verformungsfigur ist geradlinig, da sich das System ohne weiteren kinematischen Zwang verformen kann. Bei geradliniger Verformung ist die Momentenlinie M0 identisch null. d10

d20

w0 Dj = 1

4. Einheitsspannungszust¨ ande Die Einheitsspannungszust¨ande M1 und M2 sind geradlinig und schnell berechnet, da an jedem Stabende entweder der Wert 1 oder 0 gegeben ist. Da das wirkliche Moment Mk des statisch unbestimmten Systems an der Stelle k

208

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

Arbeit auf dem Knick leistet, m¨ ussen die entsprechenden Ordinaten 1/3 und 2/3 der Einheitsspannungszust¨ande bekannt sein. M1

1/3

1

M2 2/3

1

5. Berechnung der Weggr¨ oßen  Die δj0 –Werte k¨onnen entweder sofort anschaulich aus w0 oder formal u ¨ ber die Arbeitsgleichung berechnet werden. Hier leisten die Momentenordinaten der Einheitsspannungszust¨ande an der Stelle k Arbeit.  Mj · M0 dx − Mj · Δϕ = −Mjk · Δϕk , 1 · δj0 = EI 1 2    = δj0 · EIc , δ10 = · EIc , δ20 = · EIc . δj0 3 3  -Werte werden mit der Arbeitsgleichung berechnet. Die δjk

10 1 · 1 · 1 · 1 · 10 = , 3 3 1 20 = 2 · ( · 1 · 1 · 1 · 10) = 3 3 10 1 . = · 1 · 1 · 1 · 10 = 6 6

 δ11 =  δ22  δ12

,

6. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingungen an den Stellen a und b werden wie bisher auf  · Xk + δj0 = 0 und mit den oben berechneten gestellt. Es gilt allgemein δjk Zahlenwerten        3,333 1,667 X1 0,333 · EIc 0 + = . X2 0,667 · EIc 1,667 6,667 0 Die L¨osung des Gleichungssystems gibt X1 = −0,0572 EIc , X2 = −0,0857 EIc .

14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren

209

7. Momentenlinie Mit den berechneten Xj folgt die Momentenlinie infolge Δϕ = −1 0,0572 EI c

M =0+



0,0857 EI c

M

Xj · M j .

j

0,00285 EIc

0,00857 EIc

0,0114 EIc

Die Momentenlinie erf¨ ullt alle Gleichgewichtsbedingungen.

8. Biegelinie Die Gesamtbiegelinie ist die Superposition der Teilbiegelinien aus Sehnenpolygon, Einzelweggr¨oßen und Verkr¨ ummungen. Dies ergibt insgesamt w = wS + w0 (Δϕ) + w(M ) . ur den Sehnenpolygon, der hier entf¨ allt. w0 (Δϕ) beschreibt Hierbei steht wS f¨ die Biegelinie am statisch bestimmten Hauptsystem infolge vorgegebener Einzelweggr¨oße Δϕ und w(M ) die Biegelinie am gelenkig gelagerten Balken“, die ” mit Hilfe der ω–Tabellen bestimmt werden kann. w(M ) weist u ¨ ber dem Lager b einen Knick auf, der nur mit w0 (Δϕ) beseitigt werden kann. w(M)

k

w0(Dj)

Dj= 1

w Dj= 1

Die Biegelinie erf¨ ullt alle Verformungsbedingungen. Der Knick −1“ ist einge” pr¨ agt.

210

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

14.6.3 Rahmentragwerk 1. System und Belastung Der statisch unbestimmte Rahmen ist mit einer Einzellast P und einer Streckenlast q belastet. Die Biegesteifigkeiten sind konstant und betragen f¨ ur alle St¨ abe EI = 20. 000 kNm2 . Gesucht ist die Momentenlinie. P q = 0,5 kN/m b

c

d 3m

a

e

h EI P q

= 5,0 m = 3,0 m = 20.000 kNm2 = 5,0 kN = 0,5 kN/m

5m

2. Hauptsystem Das System ist 2–fach statisch unbestimmt. Es werden die Momenten–Bindungen in a und b gel¨ost, da hiermit verschiedene Vorteile verbunden sind. So sind bei der Berechnung des Last– und der Einheitsspannungszust¨ ande die Momentenlinien der St¨abe a − b und b − d voneinander entkoppelt, und die Momentenordinaten in a und b jeweils direkt gegeben. Hiermit ist gleichzeitig die Schlusslinie f¨ ur alle Spannungszust¨ande in diesem Bereich bekannt. Außerdem werden mit den unbekannten Schnittultigen gr¨oßen Xj in a und b die endg¨ Momentenordinaten direkt berechnet.

3. Lastspannungszustand – LSZ Der Lastspannungszustand wird am Hauptsystem berechnet. Die Momentenlinie im Stab a − b wird mit Hilfe der Schlusslinie a − b berechnet, sodass in b eine Horizontalkraft q h/2 in den rechten Bereich geleitet wird und in Lager e eine gleich große horizontale Reaktionskraft bewirkt. Mit der Momentenordinate Md = h q h/2 ist bereits die gesamte Schlusslinie und damit auch die Momentenlinie bestimmt. Die Biegelinie w0 weist in a und in b jeweils einen Knickwinkel Δϕ0 auf, der am wirklichen System nicht gegeben ist, aber mit den Einheitsspannungszust¨anden korrigiert werden kann.

14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren 6,25

2,25

211

Djb0

5,125 0,56

ja0

M0

w0

4. Einheitsspannungszust¨ ande – ESZ Die Einheitsspannungszust¨ande sind mit den Einheitsmomenten im Schnitt a und im Schnitt b zu berechnen. Die Momentenlinien sind im Stab a − b mit den Stabendordinaten direkt gegeben. Im Stab d − e erh¨ alt man die Querkraft Q = ±1/h mit einem Schnitt durch die St¨abe a − b und d − e, sodass die Momentenlinie auch in d − e bestimmt ist. Einheitsspannungszustand 1 Djb1

1

ja1

M1

w1

1

Die Biegelinie w1 weist in a und in b jeweils einen Knickwinkel Δϕ1 auf, der am wirklichen System nicht gegeben ist. Einheitsspannungszustand 2 Djb2 1

1

M2

ja2

w2

Die Biegelinie w2 weist in a und in b jeweils einen Knickwinkel Δϕ2 auf, der am wirklichen System nicht gegeben ist.

212

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

5. Weggr¨ oßen aus Last– und Einheitsspannungszust¨ anden Die Berechnung der Weggr¨oßen erfolgt mit Hilfe des PvK. Die beim PvK anzusetzenden virtuellen Spannungszust¨ande aus virtuellen Einheitsmomenten sind beim Kraftgr¨oßenverfahren identisch mit den Einheitsspannungszust¨ anden, da die Weggr¨oßen jeweils an den Stellen der gel¨osten Bindungen berechnet werden m¨ ussen. Im weiteren wird daher nicht mehr zwischen den virtuellen Spannungszust¨ anden und den Einheitsspannungszust¨anden unterschieden.  ¯ j = Mj gilt f¨ ur die Weggr¨oßen δj0 aus Belastung Mit M  1 Ic  δ10 = M1 · M0 · dx = · 1 · 0,56 · 1 · 3 I 3 1 1 1 + · 1 · 2,25 · 1 · 5 − · 1 · 6,25 · 1 · 5 + · 1 · 2,25 · 1 · 3 = −1,24 3 4 3  1 I c  δ20 = M2 · M0 · dx = · 1 · 0,56 · 1 · 3 I 3 1 1 1 − · 1 · 2,25 · 1 · 5 + · 1 · 6,25 · 1 · 5 − · 1 · 2,25 · 1 · 3 = + 8,31 2 2 3  ¯ j = Mj . Die Berechnung der Weggr¨oßen δ erfolgt ebenfalls mit M 1 1 11 Ic dx = 2 ( · 1 · 1 · 1 · 3 ) + · 1 · 1 · 1 · 5 = I 3 3 3  Ic 1 1 1 = M1 · M2 · dx = · 1 · 1 · 1 · 3 − · 1 · 1 · 1 · 5 − · 1 · 1 · 1 · 3 = −3 I 6 2 3  Ic 1 = M2 · M2 · dx = 2 ( · 1 · 1 · 1 · 3 ) + 1 · 1 · 1 · 1 · 5 = 7 I 3

 = δ11  δ12  δ22

jk



M1 · M1 ·

  = δ12 δ21

6. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingungen sind direkt mit den EIc -fachen Werten formuliert    δ11 X1 + δ12 X2 + δ10 = 0,    X1 + δ22 X2 + δ20 = 0. δ21

In Zahlen folgt das Gleichungssystem f¨ ur die Berechnung der unbekannten Kraftgr¨oßen zu        −1,24 3,667 −3,0 X1 0 + = . −3,0 7,0 X2 8,31 0

14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren

213

Die L¨osung des Gleichungssystems liefert die unbekannten Kraftgr¨ oßen     X1 −0,975 = , X2 −1,605 die direkt die Momentenordinaten Ma bzw. Mb angeben.

7. Momentenlinie und Biegelinie ¨ Die Momentenlinie folgt mit der Uberlagerung der Teilmomentenlinien M = M 0 + X1 · M 1 + X2 · M 2 . Die Momentenlinie ist im Gleichgewicht, wenn die Teilmomentenlinien im Gleichgewicht sind. 2,88

1,60 4,01

M

w

0,975

Die Biegelinie erf¨ ullt alle Verformungsbedingungen. Die Bestimmung des Sehnenpolygons erfolgt mit den Horizontalverschiebungen der Punkte b und d.

8. Riegel mit doppelter Steifigkeit Wenn der Riegel b − d mit Ic /IR = 0,5 doppelt so steif ist, ¨ andern sich die Unbekannten     −0,96 X1 , = X2 −1,11 sodass die Eckmomente Mb = −1,11 und Md = −2,40 kleiner und das Feldmoment Mc = 4,50 gr¨oßer werden. Damit wird die geringere Einspannwirkung des steiferen Riegels in die weicheren St¨ utzen deutlich.

214

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

14.6.4 Rahmentragwerk bei Erw¨ armung und St¨ utzensenkung 1. System Das statisch unbestimmte Rahmentragwerk ist mit Wind q sowie mit einer Temperaturdifferenz ΔT und einer St¨ utzensenkung δd belastet. Gesucht sind die Momentenlinie und die Biegelinie. EIc h αT q δd ΔT

= = = = = =

1,5 · 104 kN m2 0,30 m 10−5 1/K 0,2 kN/m 0,05 m 15 K

q

DT c

b

d

4m a

Stab a − b : Ic /I1 = 1,0 Stab b − c : Ic /I2 = 1,5 Stab c − d : Ic /I3 = 1,0

4m

6m

2. Hauptsystem Das System ist 2-fach statisch unbestimmt. Es werden die Momenten-Bindungen in b und c gel¨ost.

Hauptsystem

3. Lastspannungszustand – LSZ Der Lastspannungszustand enth¨alt die Momentenlinie M0 infolge Wind q sowie utzensenkung δd . die Biegelinie w0 infolge Temperatur ΔT und St¨ d10

d20 0,05

2

ql /8 = 0,4

M0

w0

Die Knickwinkel δ10 und δ20 k¨onnen am wirklichen System nicht auftreten und m¨ ussen daher mit Hilfe der Einheitsspannungszust¨ ande korrigiert werden.

14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren

215

4. Einheitsspannungszust¨ ande – ESZ Infolge des ersten Einheitsspannungszustandes mit Einheitsmoment in b treten die Knickwinkel δ11 und δ21 auf. Der zweite Einheitsspannungszustand mit Einheitsmoment in c bewirkt die Knickwinkel δ12 und δ22 . d21

d11

1

w1

M1

d12

1

M2

0,167

d22

w2

Die vertikale Lagerkraft in d leistet Arbeit auf der Lagersetzung δd . Ihr Wert kann mit der Querkraft im Stab c − d ermittelt werden.

5. Weggr¨ oßen aus Last– und Einheitsspannungszust¨ anden Die Berechnung der δ  Werte erfolgt mit Hilfe des PvK. Hier gilt  ¯ · EIc · αT · ΔT } dx − EIc · Σ F¯d · δd . ¯ · M · Ic + M ¯1 · δ  = {M I h Die beim PvK anzusetzenden virtuellen Spannungszust¨ ande sind identisch mit  ¯ j = Mj gilt f¨ ur die δj0 Werte: den Einheitsspannungszust¨anden. Mit M  Ic ΔT  = ( M1 · M0 · δ10 + M1 · EIc · αT · ) dx − EIc · Vd1 · δd I h 1 15 1 = · 1 · 0,4 · 1 · 4 + · 1 · 1,5 · 104 · 10−5 · · 4 = 15,533 3 2 0,3  Ic ΔT  + M2 · EIc · αT · ) dx − EIc · Vd2 · δd = ( M2 · M0 · δ20 I h 15 1 = · 1 · 1,5 · 104 · 10−5 · · (4 + 6) − 1,5 · 104 · 0,167 · (−0,05) = 162,5 2 0,3

216

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

 Die Berechnung der δjk -Werte erfolgt ebenfalls mit dem PvK.  1 1 Ic  δ11 = M1 · M1 · dx = · 1 · 1 · 1 · 4 + · 1 · 1 · 1,5 · 4 = 3,333 I 3 3  Ic 1   δ12 = δ21 = M1 · M2 · dx = · 1 · 1 · 1,5 · 4 = 1,0 I 6  1 1 Ic  = M2 · M2 · dx = · 1 · 1 · 1,5 · 4 + · 1 · 1 · 1 · 6 = 4,0 δ22 I 3 3

6. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingungen sind mit den EIc -fachen Werten angegeben    X1 + δ12 X2 + δ10 = 0, δ11    X1 + δ22 X2 + δ10 = 0. δ21

Das Gleichungssystem f¨ ur die Berechnung der unbekannten Kraftgr¨ oßen Xj und die L¨osung des Gleichungssystems sind nachfolgend gegeben.            3,333 1,0 X1 15,533 0 X1 8,15 + = → = . 1,0 4,0 X2 162,5 0 X2 −42,66

7. Momentenlinie und Biegelinie ¨ Die Momentenlinie folgt mit der Uberlagerung der Teilmomentenlinien. Die unbekannten Xi geben zugleich die Schlusslinie an. 8,15

dM dT

-42,66

dM dT 0,05

4,47

M

w

Die Biegelinie enth¨alt verschiedene Anteile. Dies sind die Verkr¨ ummungen aus der Momentenlinie wM = w(M ) sowie die Verkr¨ ummungen aus der Temperaturdifferenz wT = wo (ΔT ) und die geradlinige Verschiebung wc = wo (δd ) aus Lagerverschiebung am Hauptsystem. w = w(M ) + w0 (δd ) + w0 (ΔT )

14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen

217

14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen W¨ ahrend und nach der Berechnung m¨ ussen Kontrollen durchgef¨ uhrt werden. Grunds¨atzlich sollte man die Momentenlinie und die Biegelinie auf ihre Plausibilit¨at u ufen. Dies bedeutet, dass man das Tragverhalten des Systems ¨ berpr¨ unter den gegebenen Einwirkungen zuerst anschaulich versteht und danach mit der Momentenlinie und der Biegelinie vergleicht. Dies ist mit der Verformungsfigur besonders schnell und einsichtig m¨oglich. Wenn die Ergebnisse nicht plausibel sind, sind detaillierte Kontrollen erforderlich.

14.7.1 Fehlerquellen in der Berechnung Die entscheidenden und mit Rechenkontrollen nicht auffindbaren Fehler wer¨ den h¨ aufig beim Ubersetzen des Bauwerks in ein Berechnungsmodell gemacht. Daran sollte man denken, wenn nachfolgend einige Fehlerm¨ oglichkeiten im eigentlichen Rechenablauf behandelt werden.

Rechenfehler 1. Wenn nur die Last– und Einheitsspannungszust¨ ande M0 , Mj fehlerhaft sind, k¨onnen unabh¨angige Gleichgewichtskontrollen auf den Fehler hinweisen. Fehler im Gleichgewicht k¨ onnen durch die am Ende der Rechnung u ¨blichen Verformungskontrollen nicht aufgedeckt werden.   2. Wenn die Weggr¨oßen δjk , δj0 falsch berechnet sind, kann die Verformungskontrolle I nach Abschnitt 14.7.3 den Ort ()j des Fehlers aufdecken. Hierbei sind Fehler bei den Steifigkeitsverh¨altnissen Ic /I, den Vorzeichen der Momentenlinien und bei der Tafel der Arbeitsintegrale m¨ oglich.

3. Fehler beim L¨osen des Gleichungssystems sind in der Regel Eingabefehler f¨ ur das Programm. So kann z. B. ein Vorzeichenfehler in der rechten Seite auftreten, wenn A · X = B mit A · X + B = 0 vertauscht ist. 4. Wenn die Superposition der M0 ,Mj zur Momentenlinie M = M0 + Xj · Mj falsch ist, kann man falsche Momentenordinaten mit unabh¨ angigen Gleichgewichtskontrollen aufgedecken. Wenn falsche Xj verwendet werden, deckt die Verformungskontrolle I den Fehler auf.

Verfahrensfehler Verfahrensfehler a¨ußern sich in Schwierigkeiten bei der Aufl¨ osung des Gleichungssystems. Maßgebend ist hier der Aufbau der δjk -Matrix: 1. det δjk = 0 :

Die Einheitsspannungszust¨ande sind linear abh¨ angig, z. B.

218

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

wenn M3 = a · M1 + b · M2 . Damit sind die Gleichungen linear abh¨ angig und das Gleichungssystem ist nicht eindeutig l¨osbar. 2. det δjk ≈ 0 : Das Gleichungssystem ist schlecht konditioniert“, d. h. ” die Zahlenrechnung f¨ uhrt auf kleine Differenzen großer Zahlen. Abhilfe ist mit Wahl eines anderen Hauptsystems m¨oglich.

14.7.2 Gleichgewichtskontrollen Last- und Einheitsspannungszust¨ande werden aus Gleichgewichtsbedingungen berechnet und erf¨ ullen damit alle Gleichgewichtsbedingungen. Da der endg¨ ultige Spannungszustand aus der Superposition dieser Teilzust¨ ande folgt, ist auch er im Gleichgewicht. Gleichgewichtskontrollen f¨ ur die Last- und Einheitsspannungszust¨ande sollten deshalb bereits vor Beginn der statisch unbestimmten Berechnung erfolgen. Das Gleichgewicht kann man auch nachtr¨aglich mit allen angreifenden Lasten und allen Lagerreaktionen mit ΣM = 0, ΣH = 0 und ΣV = 0 am Gesamttragwerk unabh¨angig kontrollieren.

14.7.3 Verformungskontrollen Die Verformungsbedingungen k¨onnen nur f¨ ur den endg¨ ultigen Spannungszustand u berpr¨ u ft werden. Die Verformungen, die zur endg¨ u ltigen Momentenlinie ¨ geh¨oren, d¨ urfen keine Verletzungen der Verformungsbedingungen des statisch unbestimmten Systems aufweisen. Speziell an den Stellen j, an denen beim Hauptsystem Bindungen gel¨ost werden, gilt am unbestimmten System die Verformungsbedingung δj = δj1 · X1 + δj2 · X2 + · · · + δjn · Xn + δj0 = 0. δj = 0 ist hierbei z. B. der Knickwinkel an der Stelle einer gel¨ osten Momentenbindung. δj0 folgt wie bisher aus Last, Temperatur und Lagerweggr¨ oßen  Mj · M0 dx + δj(T,Δ) δj0 = δjL + δjT + δjΔ = EI  und

δjk =

Mj · Mk dx, EI

j,k = 1, . . . n

wie bisher aus den Einheitsspannungszust¨anden. Die Weggr¨ oßen δj0 und δjk werden jetzt nicht betragsm¨aßig berechnet, da dies direkt auf die bereits verwendeten Verformungsbedingungen f¨ uhren w¨ urde.

14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen

219

Nach Einsetzen der δjk in die Verformungsbedingung folgt    Mj · M0 Mj · Mn Mj · M1 dx+. . . +Xn dx + dx + δj(T,Δ) = 0 δj = X 1 EI EI EI oder umgeschrieben  1 δj = Mj · (X1 · M1 + . . . +Xn · Mn + M0 ) dx + δj(T,Δ) = 0.

EI  endg¨ ultiger Spannungszustand M Dies ist die Kontrollformel I, die mit Normalkraftanteilen folgende Form erh¨ alt:   ΔT M N δj = + αT ) dx + Nj ( + αT · T0 ) dx Mj ( EI h EA Faj · δa − Maj · ϕa = 0. − a

a

Kontrollformel I Die Verschiebungsarbeit eines jeden Einheitsspannungszustandes j auf den Wegen des wirklichen Spannungszustandes am statisch unbestimmten System ist gleich null. F¨ ur die Arbeitsanteile der Lagerkr¨afte auf eingepr¨ agten Weggr¨ oßen gilt wie bisher folgende Regelung: δa sind eingepr¨agte Verschiebungen an der Stelle a, agte Verdrehungen Faj sind Lagerkr¨afte aus Mj an der Stelle a, ϕa sind eingepr¨ an der Stelle a, Maj sind Einspannmomente aus Mj an der Stelle a. Die Bedeutung der Kontrollformel wird noch einmal mit nachfolgender Biegelinie verdeutlicht. M und w sind bekannt. Eine Momentenlinie Mj infolge einer Doppelwirkung an beliebiger Stelle j bewirkt nur innere Arbeiten, da an der Stelle des Doppelmomentes in der Biegelinie w kein Knickwinkel δj vorhanden sein darf. Die Arbeit des Einspannmomentes auf der Verdrehung ϕa wird in Kontrolle I dagegen explizit ber¨ ucksichtigt.

ja

j

w

Mj

1

P

220

14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren

Kontrollformel I ist eine sehr effektive Kontrolle, wenn sie nacheinander f¨ ur alle j = 1,2, . . . n eingesetzt wird. Sofern die Kontrolle selbst fehlerfrei durchgef¨ uhrt wird, kann man hiermit feststellen, welcher Einheitsspannungszustand fehlerhaft ist. Jede Kontrolle erstreckt sich nur u ¨ber die von dem ESZ j erfassten Teile des Systems und ist daher leicht u ¨ berschaubar.

Beispiel 1 Zun¨achst wird der Knickwinkel Δϕc u ¨ ber dem mittleren Lager im Beispiel nach Abschnitt 14.6.1 kontrolliert. Das System und die Momentenlinie sind gegeben.

ja

P

4,5

M

21,52

c

b

a

1,5

d 3

3

7,17 11,41

Mit dem Spannungszustand aus Doppelmoment entsprechend M1 aus Abschnitt 14.6.1 gilt mit δ1 = Δϕc :  δ1 = M1 · M · IIc dx − EIc · M1a · ϕa = 0. 3

1

M1

Die Auswertung der Arbeitsgleichung gibt 1 1 1 Δϕc = − · 3 · 21,52 · 1 · 4,5 − · 1 · 7,17 · 1,5 · 1,5 − · 1 · 7,17 · 1,5 · 6 3 3 3 1 4 + · 1 · 15,0 · 1,5 · 6 − 1,5 · 10 · 3 · ( −0,002 ) = 0,02. 4 Damit liegt der Fehler unter 1 % des gr¨oßten Teilwertes.

Beispiel 2 Das Beispiel aus Abschnitt 14.6.4 ist 2-fach statisch unbestimmt. Nachfolgend werden daher die Knickwinkel in beiden Momentenbindungen bestimmt. System, Belastung und Momentenlinie sind im Bild gegeben.

14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen

q

221

DT

42,66

8,15

c

b

d

4m

4,47

M

a 6m

4m

F¨ ur beide Zust¨ande gilt die Arbeitsgleichung   ΔT Ic dx − EIc · Fdj · δd = 0 . δj = Mj · M dx + EIc · Mj · αT I h Die Spannungszust¨ ande aus Doppelmomenten sind aus Abschnitt 14.6.4 bekannt. 1 1

M1

M2

0,167

Die Anwendung der Kontrollformel f¨ ur Zustand j = 1 liefert Δϕ1 =

1 1 1 · 1 · 8,15 · 1 · 4,0 + · 1 · 0,40 · 1 · 4,0 + · 1 · 8,15 · 1,5 · 4,0 3 3 3 1 15 1 · 4,0 = +0,04 . + · 1 · (−42,66) · 1,5 · 4,0 + 1,5 · 104 · · 1 · 10−5 · 6 2 0,30

Damit liegt der Fehler f¨ ur den Spannungszustand 1 unter 1 %. Bei der Anwendung der Kontrollformel f¨ ur den Zustand j = 2 ist zu beachten, dass sowohl die Erw¨armung des Riegels als auch die St¨ utzensenkung in der Arbeitsgleichung zu ber¨ ucksichtigen sind. Δϕ2 =

1 1 · 1 · 8,15 · 1,5 · 4,0 + · 1 · (−42,66) · 1,5 · 4,0 6 3 1 1 15 + · 1 · (−42,66) · 1 · 6,0 + 1,5 · 104 · · 1 · 10−5 · · 10,0 3 2 0,30 −1,5 · 104 · 0,167 · ( −0,05 ) = +0,01 .

Auch f¨ ur den Spannungszustand 2 ist der Fehler kleiner als 1 % des gr¨ oßten Teilwertes.

15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨ oßenverfahrens

In einem abgeschlossenen elastischen System gilt nach Abschnitt 6.2 sowohl f¨ ur Eigen- als auch f¨ ur Verschiebungsarbeiten A = Aa + Ai = 0. Als Prinzip der virtuellen Kr¨afte interpretiert gilt ebenso

mit A¯ajk

=

und A¯ijk

=

A¯a + A¯i = 0, ¯ ja · ϕk P¯j · wk + M 

 ¯ j · κk dx = − M

¯ j · Mk M dx, EI

¯ a ¨außere virtuelle Kraftgr¨oßen sind. Wenn der virtuelle Spanwobei P¯j und M j nungszustand im Gleichgewicht ist, ist das PvK eine Verformungsbedingung des wirklichen Systems. Nachfolgend wird die Verschiebungsarbeit betrachtet, die ein virtueller Spannungszustand j“ auf den Wegen eines wirklichen Zustandes k“ leistet. ” ” ¯ j soll aus beliebigen virtuellen Dopj“ Der virtuelle Gleichgewichtszustand M ” pelschnittgr¨oßen entsprechend den Schnittgr¨ oßen in gel¨ osten Bindungen ¯ j entspricht damit den virtuellen Spannungszust¨ anden, entstanden sein. M mit denen die δj0 -,δjk -Werte berechnet werden. Es sollen sonst keine virtuellen Lasten vorhanden sein. Der virtuelle Spannungszustand ist im Gleichgewicht und damit ein statisch zul¨assiger Zustand“. ” k“ Der wirkliche Verformungszustand ist mit M/EI (hier Mk /EI) beschrie” ben. Er erf¨ ullt alle Verformungsbedingungen des wirklichen Systems. Mit dieser Annahme ist A¯ajk = 0, denn die Doppelwirkungen des virtuellen Zustandes leisten auf den Wegen des endg¨ ultigen Systems keine Verschiebungsarbeiten, wenn die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems erf¨ ullt sind, vergleiche Verformungskontrolle I nach Abschnitt 14.7.3. Wenn also ein virtuelles Doppelmoment an beliebiger Stelle angesetzt wird, leistet es keine Arbeit, wenn es an dieser Stelle keinen Knickwinkel gibt. ¯ j aus Doppelwirkungen ur spezielle M Damit bleibt A¯i = 0 f¨  ¯ Mj · M A¯i = dx = 0. (15.1) EI © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_15

15 Verallgemeinerung des Kraftgroßenverfahrens

223

Entwickelt man den endg¨ ultigen Zustand M nach beliebigen statisch zul¨ assigen Teilmomentenlinien M = M0 +

n

Xk · M k ,

k=1

wobei M0 und die Mk Gleichgewichtszust¨ande sind und die Mk außerdem linear unabh¨angig sein m¨ ussen, so kann man die Arbeiten abgek¨ urzt schreiben  ¯  ¯ Mj · Mk Mj · M0 δ¯j0 = dx, δ¯jk = dx. EI EI Mit Gleichung (15.1) folgt die verallgemeinerte Form der Verformungsbedin” gung“. Sie ist hier eine Bedingung f¨ ur die virtuellen Arbeiten δ¯j0 +

n

Xk · δ¯jk = 0.

k=1

Die δ¯jk sind hier nicht mehr Einzelweggr¨oßen, sondern virtuelle Arbeiten. Die ¯ j sowie Mk sind beliebige, jeweils linear unabh¨angige Gleichgewichtszust¨ M ande.

Anmerkungen 1. Unter Voraussetzung einer linearen Theorie, kann man den wirklichen Spannungszustand eines n-fach statisch unbestimmten Systems aus einem Lastspannungszustand M0 und n linear unabh¨angigen Spannungszust¨ anden Mk additiv zusammensetzen. 2. Alle Zust¨ande m¨ ussen Gleichgewichtszust¨ande sein. Die Xk sind Maßstabsfaktoren der gew¨ahlten Spannungszust¨ande Mk . Gesucht sind nicht wie bisher einzelne Schnittgr¨oßen an den Stellen gel¨oster Bindungen, sondern die Gleichgewichtszust¨ande Xk · Mk . ¯ j sind beliebig aber linear unabh¨ 3. Die virtuellen Gleichgewichtszust¨ande M an¯ j die gig. Die Berechnung wird jedoch einfacher, wenn man f¨ ur die virtuellen M ¯ j kann wirklichen Spannungszust¨ande Mk w¨ahlt. Der virtuelle Charakter der M dann in der Berechnung unber¨ ucksichtigt bleiben. ¨ 4. Ahnlich wie die Arbeitsgleichung des Prinzips der virtuellen Verschiebungen eine Verallgemeinerung der Gleichgewichtsbedingungen ist, ist die Arbeitsgleichung des Prinzips der virtuellen Kr¨afte eine Verallgemeinerung der Verformungsbedingungen. 5. Die Verformungsbedingung ist hier nicht mehr wie in Abschnitt 14.3 als Verformungsbedingung in einer speziellen gel¨osten Bindung zu verstehen. Sie

224

15 Verallgemeinerung des Kraftgroßenverfahrens ¨

besagt ganz allgemein, dass ein beliebiger virtueller Gleichgewichtszustand auf den Wegen des wirklichen – auch die Verformungsbedingungen erf¨ ullenden Spannungszustandes keine Verschiebungsarbeit leisten darf. Also muss  ¯ Mj · M i ¯ dx = 0, j = 1 . . . n. A = EI ¯ j erf¨ f¨ ur beliebige Spannungszust¨ande M ullt sein.

15.1 Folgerungen aus dem PvK Mit der Verallgemeinerung des Kraftgr¨oßenverfahrens sind verschiedene Interpretationen der Arbeitsintegrale m¨oglich, die betr¨ achtliche Rechenvereinfachungen bewirken k¨onnen und an nachfolgendem System verdeutlicht werden. P

l

l HS

1. Wahl verallgemeinerter Lastspannungszust¨ ande Ein Lastspannungszustand darf auch Kombinationen aus beliebig großen, aber fest angenommenen Einheitsspannungszust¨anden enthalten, wenn die Zust¨ ande im Gleichgewicht sind. Insbesondere kann das Hauptsystem auch statisch unbestimmt sein. LSZ wie bisher

LSZ verallgemeinert Pl/8

P + M10

Allgemein gilt

P +

Pl/4

M0 = M01 +

M0



Xj1 · Mj ,

j

wobei hier die Xj1 geeignete Faktoren zur Vorgabe von M0 sind. Hiermit kann man u. a. den Berechnungsaufwand der δj0 -Werte gezielt verringern.

15.1 Folgerungen aus dem PvK

225

2. Wahl verallgemeinerter Einheitsspannungszust¨ ande Ein Einheitsspannungszustand kann aus einer beliebigen Kombination mehrerer Doppelschnittgr¨ oßen berechnet werden. ESZ wie bisher

ESZ verallgemeinert 0,5

1

1

+ +

+ +

1

1

+

+

Hierbei muss man darauf achten, dass die Einheitsspannungszust¨ ande linear unabh¨angig sind, da das Gleichungssystem f¨ ur die Berechnung der Xj sonst wegen det = 0 nicht l¨osbar ist. Mit geschickter Wahl der ESZ kann man viele δjk –Werte von vorn herein auf null bringen, sodass der Rechenaufwand verringert wird.

3. Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme Der Lastzustand und die linear unabh¨angigen Einheitsspannungszust¨ ande k¨ onnen an jeweils anderen statisch bestimmten Hauptsystemen ermittelt werden, da ein statisch zul¨assiger Zustand nur die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen muss, sonst aber beliebig ist. P

M0

+

Pl/4

0,5 M1

M2

+

1l

1

+

+

1

Vorteilhaft ist, wenn sich die M -Linien nur u ¨ ber Teilbereiche des Systems erstrecken und damit die Berechnung der δjk erleichtert wird. Wenn beliebige Hauptsysteme verwendet werden k¨ onnen, kann man durch spezielle Wahl der Einheitsspannungszust¨ande den Berechnungsaufwand f¨ ur die ur j = k ist. Weggr¨oßen stark reduzieren, wenn δjk = 0 f¨

226

15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨ oßenverfahrens

15.2 Beispiel f¨ ur die Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme 1. System Die Berechnung des nebenstehenden symmetrischen Systems erfolgt f¨ ur den Sonderfall IR = IS = konstant, sodass Ic /I = 1,0 f¨ ur alle St¨abe gilt. Weil das System in der Anordnung der St¨ abe und Lager sowie in den Steifigkeiten symmetrisch ist, kann man die Symmetrien bei der Wahl der Einheitsspannungszust¨ande ausnutzen. Insgesamt verringert sich der Rechenaufwand, sodass weniger Fehlerm¨oglichkeiten vorhanden sind.

P = 5 kN W = 10 kN

IR

b

d

c

IS

IS a

h=4m

e l=6m

2. Lastspannungszustand

5 kN

Wenn die Einwirkungen unsymmetrisch verteilt sind, macht es wenig Sinn, die Systemsymmetrien auszunutzen. Das Ziel bei der Wahl des Hauptsystems ist daher, einfache Momentenlinien auf wenigen Bereichen zu erhalten.

10 kN 7,5

M0 40

3. Einheitsspannungszust¨ ande Das Ziel f¨ ur die Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme ist hier, ein entkoppeltes Gleichungssystem zu erhalten. Dies erreicht man durch spezielle Wahl von symmetrischen und antisymmetrischen ESZ. 1 +

1

M1 0,5

1 +

+

1

M2

1

1

M3

1

0,5

Obwohl hier nur Momentenbindungen gel¨ost werden, gibt es verschiedene Vorteile bei Wahl von symmetrischen und antisymmetrischen Einheitsspannungszust¨anden:

15.2 Beispiel f¨ ur die Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme

227

1. Die Momentenlinien der Einheitsspannungszust¨ ande m¨ ussen jeweils nur f¨ ur das halbe System berechnet werden, da jeweils die andere H¨ alfte aus Symmetrie bzw. Antisymmetrie folgt. 2. Es sind weniger Weggr¨oßen zu berechnen, da das Integral u ¨ ber das Produkt von symmetrischen und antisymmetrischen Momentenlinien verschwindet und die Weggr¨oßen δjk damit null sind.   3. Die Koeffizientenmatrix des Gleichungssysym. 0 stems zerf¨allt in zwei voneinander entkoppelte 0 antisym. Bl¨ ocke, die jeweils f¨ ur sich l¨osbar sind.   und δjk Damit folgen die Arbeitswerte δj0  δ10 =

1 2

· 1 · 7,5 · 1 · 6

= 22,5

 δ20 = − 31 · 1 · 40 · 1 · 4  δ30

=

1 2

= −53,3

· 1 · 40 · 1 · 4

= 80

 δ11 = 2 · ( 14 · 1 · 1 · 1 · 4 ) + 1 · 1 · 1 · 1 · 6

=8

 δ22 = 2 · ( 13 · 1 · 1 · 1 · 4 )

= 8/3

 δ33

= 2 · (1 · 1 · 1 · 1 · 4)+ 2 · (  = 0, δ12

 δ13 = 0,

1 3

· 1 · 1 · 1 · 3 ) = 10 .  δ23 = 0.

Aufgrund der hier gew¨ahlten Einheitsspannungszust¨ ande sind alle Nebendiagonalterme der Koeffizientenmatrix null. Diese Orthogonalisierung der Einheitsspannungszust¨ande ist immer m¨oglich, erfordert aber bei wenigen Unbekannten einen zu großen Aufwand.

4. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingungen sind hier durch die spezielle Wahl der Hauptsy  steme entkoppelt, sodass die Xj jeweils aus Xj = − δj0 /δjj berechnet werden k¨onnen. ⎤ ⎡ ⎡ ⎡ ⎤ ⎤⎡ ⎤ 22,5 8 0 0 0 X1 ⎥ ⎢ ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ ⎣ 0 8/3 0 ⎦ ⎣ X2 ⎦ + ⎣ −53,3 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ . X3 0 0 0 10 80 Die L¨osung des Gleichungssystems ist X1 = −2,81 , X2 = +20 , X3 = −8,00 .

228

15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨ oßenverfahrens

5. Momentenlinie Die Momentenlinie des statisch unbestimmten Systems folgt aus der Superposition der Einzelzust¨ande M = M0 + M j · Xj . j

Ma = −40 + (−0,5) · (−2,81) + 1,0 · 20 + (−1,0) · (−8,00) = −10,6 kNm Me =

0 + (−0,5) · (−2,81) + 1,0 · 20 + (+1,0) · (−8,00) = +13,4 kNm

Mb =

0 + (+1,0) · (−2,81) + 0,0 · 20 + (−1,0) · (−8,00) = +5,2 kNm

Mc = 7,5 + (+1,0) · (−2,81) + 0,0 · 20 + (+0,0) · (−8,00) = +4,7 kNm Md =

0 + (+1,0) · (−2,81) + 0,0 · 20 + (+1,0) · (−8,00) = −10,8 kNm

10,8

+ 5,2

4,7

M + 10,6

13,4

15.3 Grenzen des Kraftgr¨ oßenverfahrens Das Kraftgr¨oßenverfahren ist ein grundlegendes Berechnungsverfahren f¨ ur statisch unbestimmte Systeme, das mit den Vorteilen der Verallgemeinerung auch die Berechnung gr¨oßerer Systeme zul¨asst. Dies erfordert allerdings ein tieferes Verst¨andnis f¨ ur die Vorgehensweisen bei der Orthogonalisierung der Einheitsspannungszust¨ande. Infolge der umfangreichen Zahlenrechnung steigt der Aufwand bei Systemen n > 2 jedoch stark an. Der große Nachteil des Kraftgr¨oßenverfahrens ist die mangelnde Systematisierung der Berechnung der Last- und Einheitsspannungszust¨ ande f¨ ur unterschiedliche statische Systeme. So ist das Verfahren f¨ ur den Einsatz auf einem Computer wenig geeignet, da die Berechnung der Momentenlinien jeweils am Gesamtsystem erfolgen muss und hierbei das Schnittprinzip variabel eingesetzt wird.

16 Berechnung von Weggr¨ oßen

Die Berechnung von Biegelinien von statisch unbestimmten Systemen ist – sofern man die M -Linie kennt – analog zu statisch bestimmten Systemen durchf¨ uhrbar. Die Gesamtbiegelinie aus vorgegebenen Einwirkungen ist die Superpooßen w0 (δ, Δϕ) sition der Teilbiegelinien aus Sehnenpolygon wS , der Einzelweggr¨ am Hauptsystem sowie der Verkr¨ ummungen aus der Momentenlinie (ω–Tafeln) und aus Erw¨armung (ω–Tafeln). Damit gilt w = wS + w0 (δ, Δϕ) + w(M ). Die Berechnung von Einzelweggr¨oßen am statisch unbestimmten System kann mit dem Reduktionssatz vereinfachend durchgef¨ uhrt werden.

16.1 Herleitung des Reduktionssatzes Einzelweggr¨oßen k¨onnen mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨ afte berechnet werden. Das Vorgehen richtet sich hier nach dem bekannten Berechnungsweg von Einzelweggr¨oßen an statisch bestimmten Systemen. Mit dem PvK gilt  ¯ · M dx + . . . . ¯1 · δa = M EI F¨ ur nachstehenden Balken ist die Verschiebung δ an der Stelle a gesucht. q

a

M

+

a l

Wenn die Momentenlinie M bekannt ¯ ist, muss die virtuelle Momentenlinie M infolge einer Einzellast P¯ = ¯1 im Punkt a berechnet werden. Zun¨achst w¨aren M ¯ jeweils am statisch unbestimmund M ten System zu berechnen, wobei M und ¯ prinzipiell mit einem jeweils andeM ren statisch bestimmten Hauptsystem ermittelt werden k¨onnen.

w

da

P= 1 P

M

a +

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_16

230

16 Berechnung von Weggr¨ oßen

Wenn jeder der unbestimmten Zust¨ande bei der Berechnung nach dem Kraftgr¨oßenverfahren aus der Superposition von LSZ und Xj -fachen ESZ entsteht, ¯ und M auch umschreiben. Zun¨ kann man die Momentenlinien M achst gilt ¯ =M ¯0 + X ¯1 · M ¯1 + X ¯2 · M ¯2 + . . . M ¯ in die Arbeitsgleichung ein, so folgt Setzt man M  ¯  ¯  ¯ M1 · M M2 · M M0 · M ¯1 · ¯2 · ¯1 · δa = dx + X dx + X dx + . . . EI EI EI 



= 0

= 0

Hierbei verschwinden jeweils die den Xj zugeordneten Integrale, da eine beliebige Doppelwirkung auf der Biegelinie keine Arbeit leistet, vergleiche Kontrolle I in Abschnitt 14.7.3. Damit bleibt  ¯ M0 · M ¯1 · δa = dx EI und vollst¨andig mit Ber¨ ucksichtigung der Normalkr¨ afte sowie eingepr¨ agter Verformungen und Weggr¨oßen  ¯  ¯ N0 · N M0 · M ΔT ¯ ¯0 · αT · T0 } dx ¯ + M0 · αT · } dx + { dx + N 1 · δa = { EI h EA ¯ a0 · ϕa . F¯a0 · δa − M (16.1) − a

a

Hier wird also der tats¨achliche Zustand f¨ ur das statisch unbestimmte System und der virtuelle Zustand an einem beliebigen vorteilhaften Hauptsystem ermittelt. Diese Art der Berechnung stellt den Regelfall dar, weil im allgemeinen der tats¨achliche Spannungszustand am unbestimmten System f¨ ur die Bemessung erforderlich ist und damit vorliegt. Es ist nat¨ urlich denkbar, den virtuellen Zustand am statisch unbestimmten System zu ermitteln. Dann braucht der tats¨achliche Lastzustand nur an einem beliebigen statisch bestimmten Hauptsystem berechnet zu werden. Dieser L¨ osungsweg wird in der Regel nicht gew¨ahlt, wenn die wirkliche Momentenlinie bereits bestimmt ist.

Reduktionssatz Bei der Berechnung von Einzelweggr¨oßen statisch unbestimmter Systeme mit dem PvK muss nur einer der beiden Spannungszust¨ ande am statisch unbestimmten System ermittelt zu werden. Der andere Zustand kann an einem beliebigen statisch bestimmten Hauptsystem aufgestellt werden.

16.2 Anwendungsbeispiel f¨ ur den Reduktionssatz

231

16.2 Anwendungsbeispiel f¨ ur den Reduktionssatz Bei der Berechnung von Weggr¨oßen in statisch unbestimmten Systemen ist nachfolgender L¨osungsweg sinnvoll. 1. Die Momentenlinie aus Einwirkungen ist bekannt. 2. Entsprechend dem PvK ist die virtuelle Kraftgr¨ oße ¯ 1 am Ort und in Richtung der gesuchten Weggr¨oße anzusetzen. 3. An einem beliebigen statisch bestimmten Hauptsystem ist die virtuelle Mo¯ 0 zu 2. zu berechnen. mentenlinie M 4. Die Auswertung des Arbeitssatzes (16.1) liefert die gesuchte Einzelweggr¨ oße.

Beispiel Die Momentenlinie f¨ ur nachfolgenden Durchlauftr¨ ager unter Lagerverdrehung ϕa ist gegeben, siehe Abschnitt 14.6.1. Gesucht ist die Verdrehung des Balkens am Lager c. Das Hauptsystem ist mit einem Momentengelenk in c so gew¨ ahlt, dass die Auswertung der Arbeitsgleichung m¨oglichst einfach ist.

j

j

a

C

P

w

7,17

M 11,41

21,52

M0

1

¯ 0 am Hauptsystem folgt hier aus einem Der virtuelle Lastspannungszustand M ¯ virtuellen Einzelmoment 1 in Richtung von ϕc . Hierbei ist es gleichwertig, ob das virtuelle Moment rechts oder links vom Gelenk in c angesetzt wird. Auch hier gilt die Regel, die Momentenlinie so zu w¨ahlen, dass der Rechenaufwand m¨oglichst klein ist.  ¯ 0 M dx = 1 · 1 · (−7,17) · 6 · 1 + 1 · 1 · (15,0) · 6 · 1 = 8,16 ¯1 · ϕc = M EI 3 EI 4 EI EI

17 Das Drehwinkelverfahren

In vollst¨andiger Analogie zum Kraftgr¨oßenverfaren kann man ein Berechnungsverfahren f¨ ur die Momentenlinie entwickeln, das Weggr¨ oßen als Unbekannte verwendet, siehe System B in Abschnitt 13.2. Hierbei werden die Grundgleichungen wie folgt erf¨ ullt. 1. Der Verformungszustand ist additiv u ¨ berlagerbar aus (1 + m) Verformungszust¨anden, die alle die Verformungsbedingungen erf¨ ullen. Dies sind 1 Lastverformungszustand und m Einheitsverformungszust¨ande. Damit sind die Verformungsbedingungen im Gebiet und auf dem Rand vorweg erf¨ ullt. ur die Einheitsverformungs2. Unbekannt sind die Vergr¨oßerungsfaktoren Yj f¨ zust¨ ande. 3. Die Unbekannten Yj werden mit Hilfe von Gleichgewichtsbedingungen berechnet. Damit werden die Gleichgewichtsbedingungen des statischen Systems erst nachtr¨aglich beim L¨osen des Gleichungssystems f¨ ur die Yj erf¨ ullt. 4. Die Werkstoffgleichungen werden bei der Berechnung der Momentenlinien aus Einheitsverformungszust¨anden implizit ber¨ ucksichtigt. Nachfolgend wird das f¨ ur Handrechnungen besonders effektive Drehwinkelverfahren vorgestellt. Unbekannte sind hierbei nur Knotendrehungen und Stabdrehungen. Das Verfahren eignet sich in dieser Form f¨ ur Durchlauftr¨ ager und Rahmentragwerke, kann aber auf beliebige Tragwerke erweitert werden.

17.1 Kinematisch unbestimmte Tragwerke Verformbare Tragwerke sind generell kinematisch unbestimmt. Erst wenn die Verschiebungen aller Materialteilchen eines Tragwerks bekannt sind, ist ein statisches System kinematisch bestimmt. Dies bedeutet, dass die Grundgleichungen der Verfomungsgeometrie des einzelnen Stabes gel¨ ost sind und die ¨ Gesamtl¨osung an die Wegrandbedingungen oder an die Ubergangsbedingungen zu den benachbarten St¨aben angepasst ist. Beim Drehwinkelverfahren reicht es aus, die Verschiebungen und Verdrehungen der Tragwerksknoten zu kennen, wenn damit auch die Verschiebungen zwischen den Knoten eindeutig festgelegt sind. Dies ist bei Stabtragwerken erf¨ ullt, wenn die Biegelinien der Einzelst¨abe f¨ ur beliebige Lasten und Knotenweggr¨ oßen von vornherein bekannt sind. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_17

17.1 Kinematisch unbestimmte Tragwerke

233

Bei ebenen Stabtragwerken besitzt jeder Knoten 3 Freiheitsgrade, bei r¨ aumlichen Stabtragwerken 6 Freiheitsgrade. Dies sind die Verschiebungen u,v,w in Richtung der Koordinaten sowie die Verdrehungen ϕ1 ,ϕ2 ,ϕ3 um die Koordinatenachsen. Ebene

x

x, u j

z, w

Raum

z

j

x, u y, v

1

j

2

z, w

j

3

Dies bedeutet f¨ ur den Einzelstab eines ebenen Stabtragwerks, dass er an jedem Stabende drei freie Weggr¨oßen u,w,ϕ besitzt. Sind die Knotenweggr¨ oßen bekannt, ist der Stab kinematisch bestimmt. Der Grad der kinematischen Unbestimmtheit ist damit u oßen an den Knoten ¨ ber die Zahl der freien Weggr¨ festgelegt.

kinematisch unbestimmter Stab

kinematisch bestimmter Stab P

ub

a

wb

a

b

jb

wa ua ja

Sind die Knotenweggr¨oßen unbekannt, ist der Stab in der Ebene 6-fach kinematisch unbestimmt.

u w =0 j a

u w =0 j b

Sind alle Knotenweggr¨ oßen bekannt, ist der Stab kinematisch bestimmt.

Ein Stabtragwerk ist damit m-fach kinematisch unbestimmt, wenn das Stabtragwerk m unbekannte Knotenweggr¨oßen aus elastischer Verformung des Systems besitzt. Wenn alle Knotenweggr¨oßen eines Tragwerks null oder fest vorgegeben sind, ist das System kinematisch bestimmt. Am kinematisch bestimmten System sind die Zustandsgr¨ oßen der einzelnen St¨abe eines komplexen Stabtragwerks aufgrund der Knotenfesthaltungen weitgehend entkoppelt, was erhebliche Vereinfachungen bei der Berechnung der unbekannten Weggr¨ oßen bewirkt. Damit bleiben die Verformungen und Spannungszust¨ande aus Einwirkungen auf Einzelst¨abe beschr¨ ankt.

234

17 Das Drehwinkelverfahren

Beispiel 1 Beim nachfolgenden ebenen Rahmentragwerk besitzen die Knoten b, d, f je 3 Freiheitsgrade aus elastischen Verformungen des Systems. Das System ist damit 3 · 3 = 9–fach kinematisch unbestimmt. Setzt man dehnstarre St¨ abe voraus, sind die vertikalen Verschiebungen der Knoten b, d, f null. Außerdem sind bei dehnstarren St¨aben die horizontalen Verschiebungen der Knoten b, d, f gleich groß. Damit sind beim ebenen System nur die horizontale Riegelverschiebung sowie die drei Knotenverdrehungen in den Rahmenecken b, d, f unbestimmt. u w j

P

b

u w j

u w j

d

f

c

e

P a

Im r¨aumlichen Fall besitzen die Knoten b, d, f jeweils 6 Freiheitsgrade. Das System ist dann 3·6 = 18–fach und bei dehnstarren St¨ aben 13–fach kinematisch unbestimmt.

Beispiel 2 F¨ ur nachfolgendes System sind im ebenen Fall die Knotenweggr¨ oßen u,ϕ in Knoten e und u, w, ϕ in Knoten b und d sowie die Verdrehung ϕ in Knoten c unbekannt. Das System ist damit 9–fach kinematisch unbestimmt. Setzt man, wie in der Stabstatik u ¨ blich, dehnstarre St¨abe voraus, sind die vertikalen Verschiebungen der Knoten b, d, e null und die horizontalen Verschiebungen der Knoten b, d gleich groß. In diesem Fall ist das System 5–fach kinematisch unbestimmt. e

q

u w j

d

b

c a

u j u w j j

Wenn außerdem die Verdrehungen der Stabenden in den Knoten c und e mit entsprechenden Tabellen f¨ ur den Einzelstab aus der Berechnung eliminiert werden k¨onnen, ist das System nur noch 3–fach kinematisch unbestimmt. In diesem Fall sind die horizontale Verschiebung des Riegels sowie die Knotenverdrehungen in b und d unbekannt.

17.2 Kinematisch bestimmte Hauptsysteme

235

17.2 Kinematisch bestimmte Hauptsysteme Eine wesentliche Voraussetzung f¨ ur die Anwendung des Drehwinkelverfahrens ist, dass die Verformungsbedingungen des Systems von vornherein erf¨ ullt und die Einzelst¨abe kinematisch bestimmt sind. Dies ist erreicht, wenn das zu berechnende Tragwerk in allen Tragwerksknoten k¨ unstlich gegen Verdrehen und Verschieben festgehalten wird. Das k¨ unstlich festgehaltene Tragwerk wird als kinematisch bestimmtes Hauptsystem bezeichnet, siehe Abschnitt 17.1. An einem kinematisch bestimmten Hauptsystem sind alle Knoten so gegen Verdrehen und Verschieben festgehalten, dass sich die Zustandslinien benachbarter St¨ abe nicht mehr gegenseitig beeinflussen k¨onnen. Man erh¨ alt das Hauptsystem, indem nach Einteilen des Systems in Einzelst¨ abe alle Weggr¨ oßen der Knoten unterdr¨ uckt werden. Gelenke sind dabei nicht zu schließen, da sie die Einzelst¨abe ohnehin voneinander trennen. Die Zahl der f¨ ur diese Festhaltungen erforderlichen zus¨atzlichen Bindungen ist der Grad der kinematischen Unbestimmtheit. Die Symbole f¨ ur die unterdr¨ uckten Weggr¨ oßen sind Symbol

f¨ ur die Volleinspannung eines Knotens gegen Verdrehen sowie

Symbol

f¨ ur die Festhaltung eines Knotens gegen Verschieben.

Beim Drehwinkelverfahren sind die St¨abe dehnstarr, sodass sich die Zahl der erforderlichen Knotenfesthaltungen von vornherein verringert. Das Drehwinkelverfahren setzt weiterhin voraus, dass alle Zustandsgr¨ oßen Q, M, ϕ, w f¨ ur Einzelst¨abe infolge aller m¨oglichen Einwirkungen aus Last- und Knotenweggr¨ oßen tabellarisch zur Verf¨ ugung stehen. Sind die Tabellen auch f¨ ur Einzelst¨ abe mit Momenten- und Querkraftgelenken an den Stabenden aufbereitet, so sind im kinematisch bestimmten Hauptsystem nachfolgende Einzelst¨ abe zugelassen.

Diese Erg¨anzung ist sinnvoll, da mit den Momenten- und Querkraftgelenken zus¨ atzliche Informationen u ¨ ber die Momentenlinie vorliegen, die im Berechnungsablauf direkt verarbeitet werden k¨onnen. Die Erweiterung der kinematisch bestimmten Einzelst¨abe auf St¨abe mit gelenkigen Anschl¨ ussen an die Knoten verringert nicht nur den Grad der kinematischen Unbestimmtheit und damit den Berechnungsaufwand, sondern erm¨oglicht auch eine Systematisierung des Berechnungsablaufes ohne Sonderf¨alle.

236

17 Das Drehwinkelverfahren

Beispiele Aufgrund der Annahmen ist die Bestimmung der kinematischen Unbestimmtheit besonders einfach. Lediglich die Zahl der unbekannten Knotenverschiebungen ist nicht immer sofort ersichtlich. F¨ ur dehnstarre Systeme kann man die Verschiebefesthaltungen jedoch systematisch ermitteln. Legt man in alle Rahmenknoten und in alle Einspannungen k¨ unstliche Gelenke, so kann eine k¨ unstliche kinematische Kette entstehen. Die zur Stabilisierung der kinematischen Kette erforderlichen Festhaltungen sind die Verschiebefesthaltungen des kinematisch bestimmten Hauptsystems. Jeder Riegel kann einzeln verschoben werden. F¨ ur nachfolgendes System sind hiermit die Verschiebefesthaltungen mψ = 3 schnell und u ¨bersichtlich bestimmbar.

mΨ = 3

Das nachfolgende rechte System ist m = 3–fach kinematisch unbestimmt. Es besitzt zwei unbekannte Knotendrehungen in b, c und eine unbekannte Verschiebung in b. c

b m=3

m=1 a

d a

Das linke System besitzt nur einen Verdrehfreiheitsgrad, da der Knoten a bei dehnstarren St¨aben keine Verschiebungen erfahren kann. Nebenstehendes zweist¨ockiges Rahmentragwerk besitzt vier unbekannte Knotenverdrehungen in b, c, e, f und zwei unbekannte Riegel- bzw. Stockwerksverschiebungen in b und c. Alternativ kann man die Verschiebefesthaltungen auch in den Knoten e und f anordnen. Das System ist damit m = 6–fach kinematisch unbestimmt.

f

c

e

b m=6 a

d

17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens

237

Bei Annahme dehnstarrer St¨abe reicht es beim nachfolgendem System aus, nur einen der Riegelknoten horizontal und den Knoten c vertikal festzuhalten. Wenn auch die m¨oglichen drei Knotendrehungen in b, d, f zu null gesetzt werden, entsteht das kinematisch bestimmte Hauptsystem. b

c

d

f

e

g

m=5 a

Bei dehnstarren St¨aben ist das statische System m = 5–fach kinematisch unbestimmt.

17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens F¨ ur die hier mit dem Drehwinkelverfahren untersuchten Tragwerke wird zun¨ achst eine lineare Stabwerkstheorie entsprechend einer Theorie I. Ordnung und linear elastisches Materialverhalten vorausgesetzt. Sp¨ ater wird das Verfahren auf die nichtlineare Theorie II. Ordnung erweitert. Wie beim Kraftgr¨oßenverfahren werden nur ebene Rahmensysteme untersucht, was aber keine Einschr¨ankung f¨ ur die M¨oglichkeiten des Verfahrens bedeutet. Mit Einschluss von Torsion ist das Drehwinkelverfahren auch auf r¨ aumliche Systeme erweiterbar. Alle Einzelst¨abe besitzen eine n¨ aherungsweise konstante Biegesteifigkeit EI. Das Drehwinkelverfahren ist auf EI(x) erweiterbar. Die Stabverformungen aus den Spannungszust¨anden N und Q sind vernachl¨ assigbar klein, sodass die St¨abe als dehn- und schubstarr angesetzt werden d¨ urfen. Allerdings d¨ urfen L¨angen¨anderungen infolge eingepr¨ agter Verformungen aus Erw¨armung, Vorspannung oder Kriechen nicht vernachl¨ assigt werden, da sie Einwirkungen auf das Tragwerk sind.

eT

+T

wT

ev

Pv

wV

Bild 17-1 Biegelinien bei Erw¨armung und Vorspannung des Riegels

238

17 Das Drehwinkelverfahren

Die Momentenlinien aus ¨außeren Einwirkungen an den Einzelst¨ aben und aus den noch unbekannten Drehwinkeln“ m¨ ussen bekannt sein, entweder aus Ta” bellen oder aus eigener statisch unbestimmter Vorab–Berechnung. In der Berechnung werden nur die Stabendmomente der Einzelst¨ abe verwendet. Die Unbekannten des Drehwinkelverfahrens sind die Knotendrehungen sowie die Knotenverschiebungen des wirklichen Systems. Ausgehend vom kinematisch bestimmten Hauptsystem kann der Einfluss der unbekannten Weggr¨ oßen auf das Trag– und Verformungsverhalten systematisch ber¨ ucksichtigt werden, wenn die Unbekannten zun¨achst getrennt und als Einheitsweggr¨ oßen angesetzt werden, siehe Bild 17-2 und Bild 17-3. j=1 b

c

h

w1 a

Bild 17-2 Unbekannter Knotendrehwinkel Anstelle der unbekannten Knotenverschiebungen w kann man besser unbekannte Stabdrehwinkel ψ ansetzen, da hiermit die Schiefstellung eines Tragwerks direkt und dimensionslos beschrieben wird. Setzt man die Stabdrehwinkel ebenfalls als Einheitsweggr¨oße an, gelingt es, das Verfahren weiter zu systematisieren. wb

wb

=

wb h

Bild 17-3 Unbekannter Stabdrehwinkel Knotendrehungen haben immer die Gr¨oße 1“, Stabdrehungen k¨ onnen abh¨ angig ” vom statischem System auch andere Werte annehmen.

17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens

239

17.3.1 Vorzeichendefinitionen Das Drehwinkelverfahren verwendet andere Vorzeichenregelungen als die sonst u ur die Stabend¨blichen Vorzeichen der Baustatik. Die Vorzeichendefinition f¨ momente und die Drehwinkel ist hier ohne gestrichelte Linie so gew¨ ahlt, dass das Verfahren m¨oglichst fehlerunanf¨allig eingesetzt werden kann. Die Momentenlinien werden aber weiter auf der Zugseite der St¨ abe angetragen, sodass die Drehrichtung der Momente sofort erkennbar ist.

Schnittgr¨ oßen–Vorzeichen Es ist sinnvoll, das positive Vorzeichen der Stabendmomente im Uhrzeigersinn festzulegen, damit die Gleichgewichtsbedingungen sofort vorzeichengerecht hingeschrieben werden k¨onnen. Damit drehen die positiven Momente am Knoten entgegengesetzt, aber unabh¨angig von Orientierung und Zahl der angeschlossenen St¨abe. +M

Stabende

+M

Knoten

Weggr¨ oßen–Vorzeichen Beim Drehwinkelverfahren sind die Knotendrehungen und die Stabdrehungen unbekannt. Der positive Drehsinn wird so gew¨ahlt, dass die hieraus folgenden Stabendmomente ebenfalls positiv sind. Positive Knotendrehungen drehen daher im Uhrzeigersinn.

j

+ j



im Uhrzeigersinn

Positive Relativknotenverschiebungen Δw bewirken eine gegen den Uhrzeigersinn drehende positive Stabverdrehung ψ, die ebenfalls zu positiven Stabendmomenten f¨ uhrt. l + Dw



entgegen dem Uhrzeigersinn

Ψ = Dw / l

Positive Drehwinkel ϕ bzw. ψ erzeugen stets positive Stabendmomente. Negative Stabdrehwinkel erzeugen negative Stabendmomente.

240

17 Das Drehwinkelverfahren

17.3.2 Die Zustandsgr¨ oßen am Einzelstab Die Momentenlinie zwischen den Knoten des kinematisch bestimmten Hauptsystems l¨asst sich bei dehnstarren St¨aben sowie beidseitiger Einspannung grunds¨atzlich aus nachfolgenden vier Anteilen u ¨berlagern. 1. Momente aus Einwirkungen a

b

+ Ma< 0

Mb > 0

2. Momente aus Einheitsverdrehung ϕa des Knotens a b

a

Ma

+

+

ja

Mb

3. Momente aus Einheitsverdrehung ϕb des Knotens b jb

b

Ma

+

a

Mb

+

4. Momente aus Relativverschiebung Δw der Knoten a und b (Stabdrehung ψ) a Dw

Ψ = Dw/l

b

Ma +

+ Mb

Alle Einheitsverdrehungen sind so angesetzt, dass die Stabendmomente Ma und Mb positiv im Sinne der hier verwendeten Vorzeichendefinition sind. Die Knotendrehwinkel und die Stabdrehwinkel sind die Unbekannten des Drehwinkelverfahrens. Sie k¨onnen zun¨achst als Einheitsgr¨ oßen zu 1 angesetzt werden. F¨ ur die Zahlenrechnung ist es jedoch zweckm¨ aßig, nicht mit Einheitsdrehwinkeln, sondern wie im Bild mit ϕj = 1/EIc bzw. ψj = 1/EIc zu rechnen, wobei EIc eine Vergleichsbiegesteifigkeit ist. Außerdem ist es bei Systemen mit unterschiedlichen Fl¨achentr¨agheitsmomenten I in den einzelnen St¨ aben vorteilhaft, die Stabendmomente mit der bezogenen Stabl¨ ange l = l · Ic /I zu berechnen, da so der Berechnungsaufwand und die Fehlerm¨ oglichkeiten weiter verringert werden.

17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens

241

w1

Ψ=1•

M1 6EI 1 6 6 • = = l EIC l IC l’

1 EIC

I

Tabellen mit den f¨ ur das Verfahren ben¨otigten Momentenlinien am Einzelstab sind in vielen Taschenb¨ uchern vorhanden. Tabelle 17.1 gibt die Stabendmomente f¨ ur verschiedene Einwirkungen am Einzelstab an. Sie werden f¨ ur die Lastverformungszust¨ande ben¨otigt. Tabelle 17.1 Stabendmomente infolge der Einwirkungen auf den Einzelstab Lastfall

q

2

ql 12

+ql 12

2

ql 8

2

P

l/2

l/2

Pl 8

Stützensenkung Ψw =(wa wb)/l

Ψw

wa

+ Pl 8

3 Pl 16

+3EJ l Ψw

Ma

Mb wb

M a = M b = 6EJ Ψ w l

Temperatur DT h

Ma

Mb DT M a = M b = EJ a T h

3 EJ a DT T h 2

Tabelle 17.2 gibt die Momente f¨ ur die hier ben¨otigten Einheitsweggr¨ oßen an. Hierbei gilt ψ = Δw/l sowie l = l · Ic /I

242

17 Das Drehwinkelverfahren

Tabelle 17.2 Stabendmomente infolge der Einheitsverformungszust¨ande Stabelement

j = 1/EIc, y = 1/EIc

Stabendmomente

17.4 L¨osungsweg des Drehwinkelverfahrens

243

17.4 L¨ osungsweg des Drehwinkelverfahrens Das Drehwinkelverfahren ist ein f¨ ur die Handrechnung optimiertes Verfahren zur Berechnung der Momentenlinie. Ausgehend vom statischen System und den Einwirkungen sind folgende Schritte zu bearbeiten. 1. Ermittlung des Grades der kinematischen Unbestimmtheit, Festlegen des kinematisch bestimmten Hauptsystems. 2. Berechnung des Lastverformungszustandes LVZ. 3. Berechnung der Einheitsverformungszust¨ande EVZ. 4. Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen zur Berechnung der Vergr¨ oßerungsfaktoren Yi der Einheitsverformungszust¨ande. 5. L¨osen der Gleichgewichtsbedingungen. Hiermit sind die Knotendrehwinkel ϕj = Yj /EIc sowie die Stabdrehwinkel ψk = Yk /EIc bekannt. ¨ 6. Uberlagerung der Teilmomentenlinien zur Gesamtmomentenlinie und Berechnung der Querkr¨afte und Normalkr¨afte aus der Momentenlinie. ¨ 7. Falls erforderlich kann die Biegelinie z. B. aus Uberlagerung von Last- und Einheitsverformungszust¨anden ermittelt werden. Am nachfolgenden Beispiel werden die einzelnen Schritte zun¨ achst ohne Zahlen erl¨ autert. Um Verwechselungen mit dem Kraftgr¨oßenverfahren zu vermeiden, werden die Indizes f¨ ur die Last– und die Einheitsverformungszust¨ ande hochgestellt.

Das kinematisch bestimmte Hauptsystem Als ¨außere Einwirkungen sind hier P sowie T0 in Stab a − b angesetzt. P c

b h

T0

m=2

a l

Bei dehnstarren St¨aben ist das System 2-fach kinematisch unbestimmt. Nach Hinzuf¨ ugen von 2 Bindungen liegt das kinematisch bestimmte Hauptsystem vor. Die unterdr¨ uckten Weggr¨oßen sind die Einspannung von Knoten b gegen Verdrehen ϕb (Symbol ) sowie die Festhaltung des Riegels gegen Verschieben bzw. gegen Stabdrehung ψa−b (Symbol ).

244

17 Das Drehwinkelverfahren

Die Lastverformungszust¨ ande – LVZ Am kinematisch bestimmten Hauptsystem treten unter Einwirkungen Verformungen und als Folge davon Biegemomente, Querkr¨ afte und Normalkr¨ afte auf. Die Verformungen werden als Lastverformungszustand bezeichnet. Er erf¨ ullt al¨ le Verformungsbedingungen an den Uberg¨ angen zu den benachbarten St¨ aben, sodass hier keine Knicke und keine Spr¨ unge m¨oglich sind. Im Gebiet zwischen den Knoten sind die Biegelinien apriori stetig und stetig differenzierbar angesetzt. Die Gleichgewichtsbedingungen sind bei den Lastverformungszust¨ anden an den ¨ Knoten verletzt, da am Ubergang zu den Nachbarst¨ aben infolge der Abschottung durch die Festhaltungen Spr¨ unge in der Momentenlinie auftreten. Das Sprungmoment wird hierbei von der Festhaltung aufgenommen. Auch das Kr¨aftegleichgewicht ΣH = 0, ΣV = 0 F N am System und in den Rahmenecken ist nicht erf¨ ullt, da die Einzelst¨abe voneinander abgeschottet sind. Die Lagerkraft F in der VerschiebeQ festhaltung wird jeweils mit dem Knotengleichgewicht berechnet, siehe Abbildung rechts. Der Lastverformungszustand f¨ ur P gibt MP0 sowie FP0 = 0 : P F P0 w0

M0

P

P

Der Lastverformungszustand f¨ ur T0 gibt MT0 sowie FT0 = 0 : Dh

Ψ= l Dh = eT • h T0

w0

F T0

T

M0

T

17.4 L¨osungsweg des Drehwinkelverfahrens

245

Die Einheitsverformungszust¨ ande – EVZ Die Einheitsverformungszust¨ande werden so eingepr¨ agt, dass jeweils eine Festhaltung gel¨ost und die konjugierte Weggr¨oße vorgegeben wird. Die Verformungszust¨ande infolge der Einheitsweggr¨oßen erf¨ ullen ebenfalls alle Verformungsbedingungen. Es treten auch hier keine Spr¨ unge und keine Knicke auf. oßen Es ist zweckm¨aßig, mit den 1/EIc -fachen Weggr¨oßen als Einheits-Weggr¨ zu rechnen, da so die Zahlenrechnung einfacher wird. 1

j1= EI

1

C

F =

DM h + + M1

w1 +

F2 =

DM h +

1

Ψ2= EI

C

M2

w2 +

Die Gleichgewichtsbedingungen sind nur an den Knoten verletzt, die von den jeweiligen Drehwinkeln beeinflusst werden. Dies ist grunds¨ atzlich anders als beim Kraftgr¨oßenverfahren, wo sich die Momentenlinien aus Einheitskraftgr¨ oßen u ¨ ber das gesamte System erstrecken k¨onnen.

Die Gleichgewichtsbedingungen Anschaulich sind die Knoten des wirklichen Systems unter Einwirkungen so verdreht und verschoben, dass in allen in der Berechnung angesetzten Festhaltungen die Kraftgr¨oßen und Momente null und die Bindungen damit u ussig ¨ berfl¨ sind. Da die wirklichen Drehwinkel zun¨achst noch unbekannt sind, werden die Einheitsverformungszust¨ande mit unbekannten Faktoren Yj multipliziert. Gesucht sind diejenigen Werte von ϕ1 · Y1 und ψ2 · Y2 , mit denen auch die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullt sind.

246

17 Das Drehwinkelverfahren

Bei allen Last- und Einheitsverformungszust¨anden sind die Gleichgewichtsbedingungen nur an den Orten der Festhaltungen verletzt, sodass auch nur hier die Gleichgewichtsbedingungen f¨ ur die Berechnung der unbekannten Drehwinkel formuliert werden k¨onnen. Hierzu m¨ ussen die Momentenspr¨ unge und Lagerkr¨afte der Einheitsverformungszust¨ande mit den Faktoren Yi multipliziert ¨ werden. Wenn die Gesamtmomentenlinie aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien folgt, gilt dies auch f¨ ur die Kr¨afte und Momentenspr¨ unge in den Festhaltungen. Gleichgewicht f¨ ur die Momente am Knoten b gibt j Mb = ΔMb0 + ΔMb1 Y1 + ΔMb2 Y2 = 0, Am wirklichen System ist die Lagerkraft F = 0. Damit muss auch j Fb = Fb0 + Fb1 Y1 + Fb2 Y2 = 0. erf¨ ullt sein. Dies sind die zwei Bestimmungsgleichungen f¨ ur Y1 ,Y2 . Nach Berechnung der Unbekannten Yi erh¨alt man die Momentenlinie des wirklichen Systems mit M = M 0 + Y1 · M 1 + Y2 · M 2 . Die anderen Schnitt- und Weggr¨oßen werden mit der Momentenlinie berechnet.

17.5 Anwendungsbeispiele Nachfolgend werden die Gleichgewichtsbedingungen des Drehwinkelverfahrens mit dem Schnittprinzip zun¨achst anschaulich als Momenten- und Kr¨ aftegleichgewicht formuliert. Anschließend wird das Prinzip der virtuellen Verschiebungen zur Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen des Drehwinkelverfahrens in Abschnitt 17.6 erl¨ autert. Mit den Arbeitss¨atzen kann man besonders das Kr¨ aftegleichgewicht sehr elegant und weniger fehleranf¨allig aufstellen.

17.5.1 Momentengleichgewicht des Drehwinkelverfahrens Das kinematisch bestimmte Hauptsystem weist Bindungen auf, die am wirklichen System nicht vorhanden sind. Dies sind die Drehfesthaltungen der Knoten. Die wirklichen Verdrehungen der einzelnen Knoten sind identisch mit den Einheitverdrehungen, jeweils multipliziert mit den Vergr¨ oßerungsfaktoren Yj . Die wirklichen Drehungen der Knoten sind gerade so groß, dass die Momentengleichgewichtsbedingungen an den Knoten erf¨ ullt sind. Um dies im Berechnungsverfahren sicherzustellen, sind an jedem Knoten Rundschnitte um den Knoten zu f¨ uhren und das Verschwinden der Momentensumme zu fordern.

17.5 Anwendungsbeispiele

247

Bei der Momentensumme am Knoten i sind die Momente Mi0 aus dem Lastverformungszustand und alle Momente Mij aus den Einheitsverformungszust¨ anden zu ber¨ ucksichtigen, die am jeweiligen Momentengleichgewicht am Knoten i beteiligt sind: Mi0 +

 j

Mij · Yj = 0.

Beim Aufstellen des Momentengleichgewichtes sind die Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens zu beachten. pos. Stabendmoment

pos. Knotenmoment

Beispiel Das horizontal unverschiebliche Rahmentragwerk ist auf dem Stab b − c mit einer Streckenlast q = 2 kN/m sowie im Knoten c mit einem Knotenmoment M = 3 kN m belastet. Die Bezugsbiegesteifigkeit betr¨ agt EIc = 4. 000 kN m2 (IPE 200), wird aber f¨ ur die Berechnung der Momentenlinie nicht ben¨ otigt. Wesentlich sind jedoch die Steifigkeitsverh¨altnisse Ic /I, da sie den Lastabtrag beeinflussen. Zur Vorbereitung der Berechnung m¨ ussen daher die effektiven ur jeden Einzelstab ermittelt werden, damit die Stabendmomente Stabl¨angen l f¨ den Steifigkeiten entsprechend berechnet werden k¨ onnen. 2 kN/m c

b

3 kNm

3 e

d 1

a 6

Stab

l

Ic I

a−b b−c c−d c−e

4 6 3 4,23

1,5 1 1 1

3

1. Das kinematisch bestimmte Hauptsystem Das vorliegende System besitzt zwei unbekannte Knotendrehwinkel in b und c, sodass hier die Verdrehfesthaltungen angebracht werden. Der Riegel wird durch den dehnstarren Stab c − e festgehalten.

m=2

l = l · 6 6 3 4,23

Ic I

248

17 Das Drehwinkelverfahren

2. Der Lastverformungszustand Der Lastverformungszustand wird stabweise berechnet, da die Knotenverdrehungen null gesetzt sind. Die Momentenline in Stab b − c folgt f¨ ur die Streckenlast aus Tabelle 17.1. Das Knotenmoment wirkt nur am Knoten und hat damit keinen Einfluss auf die Momentenlinien der Einzelst¨ abe. 2 kN/m

2

ql /12 = 6

+6

3 kNm

3

3

M

0

w0

3. Die Einheitsverformungszust¨ ande Die Einheitsverformungszust¨ande folgen mit den Drehwinkeln 1/EIc in Knoten b und c. Die Stabendmomente infolge der Knotendrehungen k¨ onnen aus Tabelle 17.2 entnommen werden. Sie sind alle positiv im Sinne des Drehwinkelverfahrens und werden auf der Zugseite der Einzelst¨abe angetragen. 1/EIc

4/l = 0,67

w1

2/l = 0,33

1/EIc

2/l = 0,33

4/l = 0,67

M

1

4/l = 0,67

2/l = 0,33

1,33

w2

M

2

2/l = 0,67

17.5 Anwendungsbeispiele

249

4. Knotengleichgewicht Die Momentengleichgewichtsbedingungen m¨ ussen dort aufgestellt werden, wo die Verdrehfesthaltungen angebracht sind. Die Stabendmomente aus Last– und Einheitsverformungszust¨anden k¨onnen dabei mit gleichem Vorzeichen, aber gegendrehend als Knotenmoment angesetzt werden. Die Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨ anden werden mit dem jeweiligen Multiplikator Yj versehen. Zus¨atzlich ist das Knotenmoment aus Last in Knoten c anzusetzen. 1 1 2 2 + Mbc ) Y1 + ( Mba + Mbc ) Y2 + Mb0 = 0 Mb = ( Mba Mb = ( 0,67 + 0,67 ) Y1 + ( 0 + 0,33 ) Y2 − 6,0 = 0 1 1 1 2 2 2 + Mcd + Mce ) Y1 + ( Mcb + Mcd + Mce ) Y2 + Mc0 = 0 Mc = ( Mcb Mc = ( 0,33 + 0 + 0 ) Y1 + ( 0,67 + 1,33 + 0 ) Y2 + ( 6,0 − 3,0 ) = 0

5. L¨ osung des Gleichungssystems Die L¨osung des Gleichungssystems f¨ ur die unbekannten Faktoren Yj erfolgt in Matrizenschreibweise.        0 Y1 −6,0 1,33 0,333 . = + 0 +3,0 0,333 2,00 Y2 Mit den Faktoren Yj Y1 = 5,10, Y2 = −2,34 sind gleichzeitig die unbekannten Knotendrehungen ϕb = Y1 /EIc = 0,00127, ϕc = Y2 /EIc = −0,00058 sowie die hiermit verkn¨ upfte Biegelinie festgelegt.

6. Momentenlinie am unbestimmten System Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit den Teilmomentenlinien. Vorzugsweise werden die Stabendmomente superponiert, sodass die Schlusslinie festliegt. j 0 Yj · Mkl + Mkl = Mkl j

k = betrachteter Knoten l = abgelegener Knoten

250

17 Das Drehwinkelverfahren

Hierbei werden die Stabendmomente entsprechend der Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens superponiert. Damit gilt Mba Mbc Mcb Mcd

= 0,0 + 0,67 · 5,10 + 0,0 · (−2,34) = −6,0 + 0,67 · 5,10 + 0,33 · (−2,34) = 6,0 + 0,33 · 5,10 + 0,67 · (−2,34) = 0,0 + 0,0 · 5,10 + 1,33 · (−2,34)

= = = =

3,40 - 3,38 6,12 - 3,12

Im Bild ist die Momentenlinie so dargestellt, dass die Momente ohne Vorzeichen auf der Zugseite abgetragen sind. Die Gleichgewichtskontrollen sind an beiden Knoten erf¨ ullt. Der Momentensprung am Knoten c folgt aus dem a ¨ußeren Knotenmoment. Die Biegelinie ist entsprechend der Knotenverdrehungen und der Verkr¨ ummungen aus Momentenlinie skizziert und entspricht der Anschauung. 6,12 3,40

3,12 4,24

1,56 1,70

M

w

17.5.2 Gleichgewicht gegen Verschieben Beim Drehwinkelverfahren k¨onnen nicht nur Knotendrehungen unbekannt sein, sondern auch Verschiebungen von Knoten, die als Stabdrehungen deutbar sind. Auch aus den Stabdrehungen folgen Stabendmomente und entsprechende Knotenmomente, die im Momentengleichgewicht um den jeweiligen Knoten ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. Wenn verschiebbare Knoten am kinematisch bestimmten Hauptsystem gegen Verschieben festgehalten sind, sind im Last– und in den Einheitsverformungszust¨anden in der zugeh¨origen Festhaltung Lagerkr¨ afte vorhanden. Die Summe der Lagerkr¨afte F j muss am wirklichen System verschwinden, da das Lager am wirklichen System nicht vorhanden ist. Es gilt dann j Fi0 + Fi · Yj = 0. j

Die Berechnung der Lagerkr¨afte erfolgt fallabh¨angig mit den Quer– und Normalkr¨aften der angrenzenden St¨abe. Hierbei sind die Querkr¨ afte mit den Momentenlinien der Einzelst¨abe und die Normalkr¨afte mit dem Knotengleichgewicht gegeben.

17.5 Anwendungsbeispiele

251

Beispiel Nachfolgendes Beispiel verdeutlicht die Berechnung der Lagerkr¨ afte und das Aufstellen der entsprechenden Gleichgewichtsbedingung.

1. System und kinematisch bestimmtes Hauptsystem Das Rahmentragwerk ist mit einer horizontal wirkenden Einzelkraft P = 5 kN belastet. Die Abmessungen sind = 5,0 m, h = 3,0 m. Alle St¨ abe besitzen die gleiche Biegesteifigkeit EIc = 2. 000 kN m2 (IPE 160), sodass die Ersatzl¨ angen  wie die wirklichen L¨angen anzusetzen sind. Das System ist 3-fach kinematisch unbestimmt. Am Hauptsystem sind die Knoten b und c gegen Verdrehen und der Riegel b − c gegen horizontale Verschiebungen festgehalten. b h

c m=3

P

d

a

l

2. Lastverformungszustand Der Lastverformungszustand mit der Momentenlinie M 0 folgt Tabelle 17.1. Zus¨ atzlich zum Momentensprung an der Knotenverdrehfesthaltung ist jetzt eine Lagerkraft F 0 = P/2 in der Verschiebefesthaltung vorhanden, die am wirklichen System verschwindet. Die Lagerkraft kann mit dem Knotengleichgewicht f¨ ur die Horizontalkr¨afte aus der Querkraft Q = M  berechnet werden.

F

P

0

Ph/8 +

w0

M

0

-Ph /8

3. Einheitsverformungszust¨ ande Die Einheitsverformungszust¨ande und die Stabendmomente folgen aus den Knotendrehungen in b und c sowie der Stabdrehung ψ = 1/EIc , siehe Tabelle 17.2.

252

17 Das Drehwinkelverfahren 1 EIC

F1

4/l

2/l

4/h M1

w1 2/h 1 EIC

F2

4/l

2/l 3/h

w2

M

2

F3 6/h

1 EIC

3/h

w3

M

3

6/h

In allen Einheitsverformungszust¨anden sind Lagerkr¨ afte F j vorhanden, die jeweils mit dem Schnittprinzip und dem Gleichgewicht f¨ ur die horizontal wirkenonnen mit Q = M  den Kr¨afte berechnet werden k¨onnen. Die Lagerkr¨ afte F j k¨ und entsprechenden Horizontalschnitten am Gesamttragwerk ermittelt werden. F 1 = ( 4/h + 2/h ) /h = 6/h2 F 2 = ( 3/h ) /h = 3/h2 F 3 = ( 6/h + 6/h ) /h + ( 3/h ) /h = 15/h2

4. Gleichgewichtsbedingungen Die Momentengleichgewichtsbedingungen an den Knoten b und c sind 2 6 P ·h 4 4 Mb = + ( + ) · Y1 + · Y2 + · Y3 = 0 , 8 h l l h 2 6 5·3 4 4 = + ( + ) · Y1 + · Y2 + · Y3 = 0 , 8 3 5 5 3

17.5 Anwendungsbeispiele

253

2 4 3 3 · Y1 + ( + ) Y2 + · Y3 = 0, l l h h 4 3 3 2 = 0 + · Y1 + ( + ) · Y2 + · Y3 = 0 . 5 5 3 3

Mc = 0 +

Die unbekannten Knoten– und Stabdrehwinkel ϕj · Yj bzw. ψ j · Yj m¨ ussen auch die Bedingung erf¨ ullen, dass die Lagerkraft F in der k¨ unstlichen Verschiebe festhaltung am wirklichen System null sein muss. Mit F = F 0 + F j · Yj = 0 folgt

6 3 15 P + 2 · Y1 + 2 · Y2 + 2 · Y3 = 0 , 2 h h h 3 15 5 6 · Y3 = 0 . = + · Y1 + · Y2 + 2 9 9 9

F =

5. Gleichungssystem Damit folgt das Gleichungssystem in ⎡ ⎤⎡ 2,133 0,40 2,0 ⎣ 0,40 1,80 1,0 ⎦ ⎣ 0,66 0,33 1,66

Matrizenschreibweise ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 1,875 Y1 0 Y2 ⎦ + ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ . Y3 2,50 0

Zu beachten ist hier die Unsymmetrie der Koeffizientenmatrix. Die L¨ osung des Gleichungssystems ist Y1 = 0,85 , Y2 = 0,94 , Y3 = − 2,03 . Hiermit sind die unbekannten Knotendrehungen ϕb = Y1 /EIc = 0,000425 , ϕc = Y2 /EIc = 0,00047 sowie die horizontale Verschiebung des Riegels festgelegt ub = Y3 /EIc · h = −2,03/2. 000 · 3,0 = − 0,0030 m .

6. Momentenlinie am unbestimmten System Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit der Superposition der Stabendmomente sowie der Schlusslinie. Hierbei werden die Stabendmomente entsprechend der Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens superponiert. Mit j 0 Yj · Mkl + Mkl = Mkl j

254

17 Das Drehwinkelverfahren

folgt im Einzelnen: Mab = − 1,875 Mba = + 1,875 Mbc = 0,0 0,0 Mcb = Mcd = 0,0

+ + + + +

0,67 · 0,85 1,33 · 0,85 0,8 · 0,85 0,4 · 0,85 0,0 · 0,85

+ + + + +

0,0 · 0,94 0,0 · 0,94 0,4 · 0,94 0,8 · 0,94 1,0 · 0,94

+ + + + +

2,0 · (−2,03) 2,0 · (−2,03) 0,0 · (−2,03) 0,0 · (−2,03) 1,0 · (−2,03)

= −5,37 = −1,06 = 1,06 = 1,09 = −1,09

Im Bild ist die Momentenlinie ohne Vorzeichen auf der Zugseite abgetragen. Die Biegelinie ist entsprechend der Knotendrehungen, der horizontalen Verschiebung des Riegels sowie den Verkr¨ ummungen aus Momentenlinie skizziert. Falls erforderlich k¨onnen die Querkraft– und die Normalkraftlinie mit Q = M  und Knotengleichgewichten berechnet werden. 1,06

1,60

1,09

M

0,0030 m

w

5,37

17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV In Abschnitt 8 wird das Prinzip der virtuellen Verschiebungen f¨ ur die Berechnung von Einzelschnittgr¨oßen und Lagerkr¨aften verwendet. Das Vorgehen umfasst im Wesentlichen folgende Schritte: 1. Lagrange’sche Befreiung: L¨osung der zu der gesuchten Schnittgr¨ oße konjugierten Bindung und Ansetzen der Doppelschnittgr¨ oße als Einwirkung. 2. Virtuelle Verschiebung: Vorgabe einer virtuellen Weggr¨ oße −1“, auf der die ” gesuchte Schnittgr¨oße Arbeit leistet. 3. PvV: Aufstellen der virtuellen Arbeiten und Berechnung der gesuchten Schnittgr¨oße mit dem Arbeitssatz. Die Anwendung des PvV f¨ ur die Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen des Drehwinkelverfahrens kann entsprechend erfolgen. Beim Drehwinkelverfahren sind die gesuchten Schnittgr¨oßen die Stabendmomente des wirklichen Systems. Diese k¨onnen jedoch nicht direkt ermittelt werden, wenn an einem Knoten mehrere St¨abe angeschlossen sind, sondern nur implizit u ¨ber die Knoten– und Stockwerkgleichgewichtsbedingungen, die mit dem PvV aufgestellt werden.

17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV

255

17.6.1 Knotengleichgewicht Die Lagrange’sche Befreiung wird auf alle an einem Knoten angeschlossenen St¨ abe so angewendet, dass die angreifenden Stabendmomente bzw. die Knotenmomente virtuelle Arbeit leisten k¨onnen.

kinematisch bestimmtes HS

Lagrange’sche Befreiung der Stabendmomente

Die virtuellen Knotendrehungen ϕ¯ werden entgegengesetzt zur wirklichen Knotendrehung angesetzt, damit positive Arbeit geleistet wird. Die virtuelle Verschiebungsfigur ist geradlinig mit verschwindenden Auslenkungen, da die Gelenke der Lagrange’schen Befreiung direkt neben den Knoten liegen und die virtuellen Knotendrehungen damit keine Biegewirkung auf die angrenzenden St¨abe u ¨bertragen k¨onnen. jb

jc

w1

w2

In der Arbeitsgleichung werden die virtuellen Arbeiten der Knotenmomente auf den virtuellen Knotendrehungen ausgewertet. Aufgrund der gew¨ ahlten Drehrichtungen sind diese Arbeiten immer positiv. jc jb

F¨ ur die beiden jeweils getrennt anzusetzenden virtuellen Knotendrehungen folgen mit dem Arbeitssatz des PvV die Gleichungen

P ·h 4 4 2 6 A¯b = · ϕ¯b + ( + ) Y1 · ϕ¯b + · Y2 · ϕ¯b + · Y3 · ϕ¯b 8 h l l h

256

17 Das Drehwinkelverfahren P ·h 4 4 2 6 + ( + ) Y1 + · Y2 + · Y3 } · ϕ¯b = 0 , 8 h l l h 2 4 3 3 A¯c = 0 + · Y1 · ϕ¯c + ( + ) Y2 · ϕ¯c + · Y3 · ϕ¯c l l h h 2 4 3 3 = { 0 + · Y1 + ( + ) Y2 + · Y3 } · ϕ¯c = 0 . l l h h ={

Nach Ausklammern“ der virtuellen Verr¨ uckungen sind die beiden Gleichungen ” den Momentengleichgewichtsbedingungen nach Abschnitt 17.5.2 gleichwertig.

17.6.2 Stockwerkgleichgewicht Mit dem Prinzip der virtuellen Verschiebungen k¨ onnen auch Einzelkr¨ afte berechnet werden, dies sind hier die Lagerkr¨afte F . Das System ist dabei so zu befreien, dass ein virtuelles Verschiebungsfeld entsteht, bei dem die Stockwerksfesthaltungen verschoben werden und die Lagerkr¨ afte F virtuelle Arbeit leisten. M¨ oglich sind die im Bild angegebenen virtuellen Verschiebungen. w

w

F

F Q

Q w

w

Nachteilig ist, dass entweder die inneren Arbeiten aufgrund der virtuellen Verkr¨ ummungen nicht verschwinden oder die Querkr¨afte berechnet werden m¨ ussen. Da die virtuellen Verschiebungen beliebig w¨ahlbar sind, bietet es sich jedoch an, die Lagrange’sche Befreiung so zu w¨ahlen, dass die St¨ abe gerade bleiben und damit keine inneren virtuellen Arbeiten ausgewertet werden m¨ ussen. Dies erfolgt so, dass zus¨atzliche k¨ unstliche Gelenke an den Stabenden angesetzt werden, und das System in Richtung der Verschiebefesthaltung verschoben wird. Hierbei bleiben die St¨abe gerade. virtuelle Stabdrehung ψ¯ mit positivem Knickwinkel ϑ¯

w F Jb

Ψ

Jc

w3 Ja

Die virtuelle Verschiebung ist so zu w¨ahlen, dass die positiven Stabendmomente

17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV

257

positive Arbeit leisten. Daraus folgt, dass die virtuelle Stabdrehung ψ¯ entgegengesetzt zur wirklichen Stabdrehung ψ aufgebracht werden muss. Aufstellen der Arbeitsgleichung: Wenn die Lagerkraft F am wirklichen System verschwindet, m¨ ussen auch die zugeh¨origen virtuellen Arbeiten verschwinden. Es bleiben die Arbeiten aller ¨außeren Lasten auf den zugeh¨origen Verschiebungen und die Arbeiten der freigeschnittenen Stabendmomente auf den zugeh¨origen Stabendknickwinkeln.

Ph ¯ Ph ¯ 4 2 h ) · ϑa + ( ) · ϑb + Y1 · ( · ϑ¯b ) + Y1 · ( · ϑ¯a ) A¯ = P · ψ¯ · + (− 2 8 8 h h 6 ¯ 6 ¯ 3 ¯ 3 ¯ = Y2 · · ϑc + Y3 · · ϑa + Y3 · · ϑb + Y3 · · ϑc = 0 . h h h h

Hier vereinfacht sich die Gleichung wegen ϑ¯a = ϑ¯b = ϑ¯c = ψ¯ zu

h 6 3 15 ¯ A¯ = { P · + Y1 · + Y2 · + Y3 · } ψ = 0. 2 h h h

Auch hier ist die Arbeitsgleichung der Gleichgewichtsbedingung nach Abschnitt 17.5.2 gleichwertig, was nach dem Ausklammern“ des virtuellen Stabdrehwin” kels ψ¯ besonders deutlich wird. Im Vergleich zu Abschnitt 17.5.2 ist hier die Koeffizientenmatrix symmetrisch, was in dem besonderen Charakter des PvV begr¨ undet ist, wenn wirkliche und virtuelle Weggr¨ oßen gleich gew¨ ahlt werden.

17.6.3 Anwendungsbeispiel Das Rahmentragwerk ist mit einem Knotenmoment M e = 4 kN m, einer Einzelkraft F = 3 kN sowie einer Streckenlast q = 2 kN/m belastet. Zur Vorbereitung der Berechnung m¨ ussen die effektiven Stabl¨angen l f¨ ur jeden Einzelstab ur die in der Tabelle 17.1 ermittelt werden, da die Steifigkeitsverh¨altnisse Ic /I f¨ angegebenen Stabendmomente wesentlich sind. Die Vergleichssteifigkeit betr¨ agt EIc = 4. 000 kN m2 (IPE 200). Die Abmessungen sind in [m] angegeben.

M

q

e

c

b 4

a 3

5

F

Stab

l

Ic I

a−b b−c

5,0 5,0

1,0 0,5

l = l · 5,0 2,5

Ic I

258

17 Das Drehwinkelverfahren

1. Das kinematisch bestimmte Hauptsystem Das vorliegende System besitzt einen unbekannten Knotendrehwinkel in b sowie eine unbekannte Knotenverschiebung bzw. einen unbekannten Stabdrehwinkel, sodass das System 2-fach kinematisch unbestimmt ist.

2. Der Lastverformungszustand (LVZ) Einzelmoment und Einzelkraft haben keinen Einfluss auf die Biegelinie und die Momentenlinie des Lastverformungszustandes, da beide Einwirkungen direkt auf die Festhaltungen wirken. Die Streckenlast bewirkt am Stabende in Knoten b ein negatives Stabendmoment. 2

M

e

ql /8 = 6,25

F M0

w0

3. Einheitsverformungszust¨ ande (EVZ) Der Einheitsverformungszustand infolge Knotendrehung 1/EIc in Knoten b kann wie bisher ermittelt werden. 1/EI c 4/l’ = 0,8

3/l’ = 1,2

M1

F w1

2/l’ = 0,4

F¨ ur den Einheitsverformungszustand aus Stabdrehung ψ = 1/EIc in Stab a − b muss die Kinematik genauer untersucht werden. Aufgrund der Stabanordnung verschiebt sich der Knoten b bei einer Drehung des Stabes a − b um 5/EIc nach links oben. Dies bewirkt eine horizontale Verschiebung von Knoten b um 4/EIc nach links und um 3/EIc nach oben. Hieraus folgt ein negativer Stab-

17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV

259

drehwinkel f¨ ur den Stab b − c, was entsprechend Tabelle 17.2 auch negative Stabendmomente bewirkt. Infolge der Stabdrehung ψb−c = −3/5EIc sind die Stabendmomente nach Tabelle 17.2 mit dem Faktor −3/5 zu multiplizieren. 4/EIc 3/l’• 3/5 = 0,72 6/l’ = 1,2

3/EI c 3/5EI c

M2

1/EI c

w2

6/l’ = 1,2

Die virtuellen Stabdrehungen sind entgegengesetzt zum Einheitsverformungszustand angesetzt, weisen aber die gleichen Gr¨oßenverh¨altnisse auf. Auch hier sind positive und negative Stabdrehwinkel vorhanden. Die horizontale Verschiebung des Riegels betr¨agt aufgrund der geometrischen Verh¨altnisse ψ¯a−b · 4.



3/5 Ψ

Ψ

4. Die Gleichgewichtsbedingungen Die Momentengleichgewichtsbedingung wird in Knoten b aufgestellt, wobei die Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨anden mit dem jeweiligen Multiplikator Yj versehen werden. Zus¨atzlich sind das Knotenmoment aus Last sowie das Stabendmoment aus Streckenlast in Knoten b anzusetzen. Mb = ( 0,8 + 1,2 ) Y1 + ( 1,2 − 0,72 ) Y2 + ( −4,0 − 6,25 ) = 0. F¨ ur das Kr¨aftegleichgewicht am Stockwerk wird die Arbeitsgleichung des PvV angesetzt. Bei der Arbeit der Stabendmomente des Stabes b − c auf den virtuellen Stabenddrehwinkeln m¨ ussen die Vorzeichen beachtet werden. Weil die Stabendmomente und auch die virtuellen Stabenddrehwinkel negativ sind, ist die virtuelle Arbeit positiv. Dies gilt grunds¨atzlich auch bei anderen Stabanordnungen. Außerdem leisten die Streckenlast auf den vertikalen Verschiebungen und die Einzellast auf der horizontalen Verschiebung sowie die Stabendmomente des Lastverformungszustandes virtuelle Arbeit auf dem virtuellen Verschiebungszustand.

260

17 Das Drehwinkelverfahren

Insgesamt folgt A¯2 = [ 0,8 + 0,4 + 1,2(−3/5) ] ψ¯ Y1 ¯ Y2 + [( 1,2 + 1,2 ) ψ¯ + (−0,72) · (−3/5 ψ)] ¯ + (−6,25) · (−3/5 ψ) ¯ =0 + 3,0 · 4 ψ¯ + (2 · 5,0) · (2,5 · 3/5 ψ) = 0,48 ψ¯ Y1 + 2,832 ψ¯ Y2 + 30,75 ψ¯ = 0 .

5. L¨ osung des Gleichungssystems Die L¨osung des Gleichungssystems f¨ ur die unbekannten Faktoren Yj erfolgt in Matrizenschreibweise        −10,25 0 2,0 0,48 Y1 + = , Y2 +30,75 0 0,48 2,832 mit den Faktoren Yj Y1 = 8,07, Y2 = −12,23.

6. Berechnung der Momente aus Superposition Die Momentenlinie erfolgt mit Superposition der Teilmomentenlinien M = M 0 + M 1 · Y1 + M 2 · Y2 . Zuerst werden die Stabendmomente mit dem Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens berechnet. Hierf¨ ur gilt 0 + 0,4 · 8,07 + 1,2 · (−12,23) = −11,45 Mab = 0 + 0,8 · 8,07 + 1,2 · (−12,23) = −8,22 Mba = Mbc = −6,25 + 1,2 · 8,07 + (−0,72) · (−12,23) = +12,22 Die Stabendmomente werden ohne Vorzeichen auf der Zugseite der St¨ abe abgetragen. Damit liegt bereits die Schlusslinie fest. Auf die Schlusslinie wird die Parabel im Stab b − c eingeh¨angt. Der Sprung am Knoten b folgt aus dem Einzelmoment. Falls die Vorzeichen der Baustatik erforderlich sind, wird eine gestrichelte Linie vorgegeben. Eine unabh¨angige Gleichgewichtskontrolle kann mit den Lagergr¨oßen erfolgen.

8,22 6,25

12,22

M

11,45

17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV

261

Mit der Momentenlinie sind auch die Querkr¨afte und mit Knotengleichgewicht die Normalkr¨afte berechenbar. -7,44

+2,55

+3 -0,24

Q

N

+3,96

7. Berechnung der Biegelinie Mit der L¨osung des Gleichungssystems sind gleichzeitig die unbekannte Knotendrehung ϕb = Y1 /EIc = 0,00202 sowie die horizontale Riegelverschiebung nach rechts festgelegt. ub,H =

4 { · Y2 (−1/EIc )} = 0,0122 m.

Die vertikale Verschiebung von Knoten b nach unten folgt mit der Kinematik des Sehnenpolygons ub,V =

3 { · Y2 (−1/EIc )} = 0,0092 m.

Die Biegelinie folgt mit dem Sehnenpolygon wS aus den Verschiebungen der Systemknoten, vergleiche Abschnitt 17.5, und den Verkr¨ ummungen entsprechend der Momentenlinie. Die Verschiebungen des Sehnenpolygons sind bereits ohne weitere Berechnung mit dem Stabdrehwinkel ψ2 Y2 gegeben.

0,0122

w

w = wS (ψi Yi ) + w(M ) Der Teil w(M ) aus Verkr¨ ummung kann wie bereits gezeigt mit den ω–Tabellen berechnet werden.

262

17 Das Drehwinkelverfahren

8. Momentenordinaten f¨ ur konstantes EI Bei statisch unbestimmten Systemen ist die Momentenlinie von der Verteilung der Stabsteifigkeiten abh¨angig. Wenn beide St¨abe als IPE 200 ausgef¨ uhrt werden, folgen die Momentenordinaten zu Ma = 13,8 k N m, Mba = 6,72 k N m und Mbc = 10,72 k N m. Dies bedeutet, dass der im Vergleich zum ersten Fall jetzt weichere Riegel b − c st¨arker in den Stab a − b eingespannt ist, sich der Stab a − b st¨arker verdrehen kann und daher gr¨oßere Einspannmomente aufweist.

17.7 Eingepr¨ agte Weggr¨ oßen Analog zu statisch bestimmten Systemen sollen auch f¨ ur statisch unbestimmte Systeme Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen bestimmt werden, siehe Abschnitt 19. Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen entsprechen den Biegelinien infolge von Einzelweggr¨oßen. Die Einzelweggr¨oße ist beim Drehwinkelverfahren als Einwirkung dem kinematisch bestimmten Hauptsystem einzupr¨ agen. Die f¨ ur den Lastverformungszustand erforderliche Momentenlinie M 0 sowie die Biegelinie w0 m¨ ussen daher in einer Tabelle vorliegen. Die in der Tabelle 17.3 angegebenen Stabendmomente aus Einzelweggr¨ oßen kann man folgendermaßen anschaulich erkl¨aren. w0

jb0

jb0

jc0

M0

-1

w1

M1

jc0 w2

M2

w

M -1

Betrachtet man den im Bild dargestellten beidseitig gelenkig gelagerten Balken mit einem Knick Δϕ = −1 im Gebiet, so ist die Momentenlinie identisch null. Aus dem Zur¨ uckdrehen der beiden R¨ander um ϕ0b bzw. ϕ0c auf die Posi-

17.7 Eingepr¨agte Weggr¨oßen

263

tion des links oder/und rechts eingespannten Balkens entstehen die in Tabelle 17.3 angegebenen Stabendmomente. Ebenfalls angegeben sind die Stabendmomente infolge einer Spreizung in einem Querkraftgelenk. Spreizungen in einer Schiebeh¨ ulse bewirken keine Stabendmomente am Einzelstab, jedoch Verschiebungen der Knoten in Stabl¨angsrichtung. Tabelle 17.3 Stabendmomente aus Knickwinkel und Spreizungen l´ = l . Jc / J

a

b

+ +

a. l

l

b.l

Ma / EJc

M b / EJc

-2(3 b - 1) / l´

2(3 a - 1 ) / l´

-3 b / l´

0

-4 / l´

-2 / l´

-3 / l´

0

-1

6/( l . l´)

6/( l . l´)

-1

3/( l . l´)

0

-1

-1 -1

-1

Der L¨osungsweg zur Berechnung der Gesamtmomentenlinie und der Gesamtbiegelinie des kinematisch unbestimmten Systems infolge Einzelweggr¨ oße ist v¨ ollig analog zur Berechnung eines Systems unter den sonst u ¨blichen Einwirkungen. Die Momentenlinie am kinematisch bestimmten Hauptsystem infolge eingepr¨agter Weggr¨ oße sowie der Knickwinkel sind im Lastverformungszustand zu ber¨ ucksichtigen. Lagersetzungen oder -verdrehungen sind dagegen als vorgegebene Stabdrehwinkel oder Knotendrehwinkel zu behandeln.

264

17 Das Drehwinkelverfahren

Beispiel Das Rahmentragwerk erf¨ahrt an der Stelle k einen Knick der Gr¨ oße −1“ im ” Viertelspunkt des Stabes a − b. Wesentlich f¨ ur die Momentenlinie sind die Steifigkeitsverh¨altnisse Ic /I der einzelnen St¨abe, die in der Tabelle angegeben sind. Hier wird EIc = 4. 000 kN m2 (IPE 200) angesetzt. Zur Vorbereitung der Beur jeden Stab ermittelt werden. rechnung m¨ ussen die effektiven Stabl¨angen l f¨

1

d

b

f

k 3

3

e

c a 4

4

Stab

l

Ic /I

l = l Ic /I

a−b c−d e−f b−d d−f

4,0 3,0 3,0 4,0 4,0

1,5 1,5 1,5 1,25 1,25

6,0 4,5 4,5 5,0 5,0

Die Abmessungen sind in [m] angegeben.

1. Das kinematisch bestimmte Hauptsystem Das vorliegende System besitzt zwei unbekannte Knotendrehwinkel in b und d sowie eine unbekannte Riegelverschiebung, sodass das System 3–fach kinematisch unbestimmt ist.

2. Der Lastverformungszustand Der Lastverformungszustand infolge Knick −1“ wird f¨ ur den Stab a − b nach ” Tabelle 17.3 berechnet. Die Stabendmomente sind positiv und auf den Stab a − b beschr¨ankt. 4.000 • 2,5/6,0 k -1 w0

M0 4.000 • 0,5/6,0

17.7 Eingepr¨agte Weggr¨oßen

265

3. Einheitsverformungszust¨ ande Die Einheitsverformungszust¨ande infolge Knotendrehungen 1/EIc in Knoten b und d k¨onnen aus Tabelle 17.2 entnommen werden. Sie sind alle positiv im Sinne des Drehwinkelverfahrens. 1/EIc

4/5

2/5

4/6

w1

M1 2/6

4/5

1/EI c

2/5 4/4,5

w2

3/5

M2

2/4,5

Der 3. Einheitsverformungszustand entsteht infolge Stabdrehung ψ = 1/EIc . Weil die St¨abe d − c und f − e k¨ urzer sind, sind die entsprechenden Stabdrehungen und Stabendmomente gr¨oßer. 6/6 1/EI c

1,778

4/3EI c

4/3EIc

6/4,5 • 4/3 = 1,778

w3 6/6

M3

3/4,5 • 4/3 = 0,889

Die virtuellen Stabdrehungist entgegengesetzt zum Einheitsverformungszustand, weist aber die gleichen geometrischen Verh¨altnisse auf. 4/3Ψ Ψ

4/3Ψ Ψ w3

266

17 Das Drehwinkelverfahren

4. Knotengleichgewicht Die Momentengleichgewichtsbedingungen werden in den Knoten b und d aufgestellt. Die Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨ anden werden mit dem jeweiligen Multiplikator Yj versehen. Zus¨atzlich ist das Knotenmoment aus Last in Knoten b anzusetzen. Mb = ( 4,0/6,0 + 4,0/5,0 ) Y1 + 2,0/5,0 Y2

+ 6,0/6,0 Y3 + 4. 000 · 2,5/6,0 = 0 , Md = 2,0/5,0 Y1 + ( 4,0/5,0 + 4,0/4,5 + 3,0/5,0 ) Y2

4 Y3 + 0 = 0 . 3 Die Arbeitsgleichung des PvV wird f¨ ur das Stockwerksgleichgewicht angesetzt. Es gilt 4 A¯3 = ( 4,0/6,0 + 2,0/6,0 ) Y1 ψ¯ + ( 4,0/4,5 + 2,0/4,5 ) Y2 ψ¯ 3 4 4 + [( 6,0/6,0 + 6,0/6,0 ) ψ¯ + ( 6,0/4,5 + 6,0/4,5 ) · ψ¯ 3 3 4 4 ¯ + 3,0/4,5 · · ψ] · Y3 + 4. 000 · (0,5 + 2,5)/6,0 · ψ¯ = 0 . 3 3 + 6,0/4,5 ·

5. L¨ osung des Gleichungssystems Die L¨osung des Gleichungssystems f¨ ur die unbekannten Faktorn Yj erfolgt in Matrizenschreibweise: ⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 1,467 0,40 1,0 1. 667 Y1 0 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎣ 0,40 2,288 1,778 ⎦ ⎣ Y2 ⎦ + ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ . Y3 1,0 1,778 7,926 2000 0 Mit den Faktoren Yj Y1 = −1100, Y2 = 340 , Y3 = −190 sind gleichzeitig die unbekannten Knotendrehungen ϕb = Y1 /EIc = −0,275 , ϕc = Y2 /EIc = 0,085 sowie die Riegelverschiebung ub = h · Y3 /EIc = 0,19 nach rechts festgelegt.

17.7 Eingepr¨agte Weggr¨oßen

267

6. Momentenlinie am unbestimmten System Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit den Stabendmomenten: Mab Mba Mbd Mdb Mcd Mdc Mdf Mef

= 333 + 0,33 · (−1100) + 0,0 · 340 + 1,0 · (−190) = = 1. 667 + 0,67 · (−1100) + 0,0 · 340 + 1,0 · (−190) = = 0,0 + 0,8 · (−1100) + 0,4 · 340 + 0,0 · (−190) = = 0,0 + 0,4 · (−1100) + 0,8 · 340 + 0,0 · (−190) = = 0,0 + 0,0 · (−1100) + 0,44 · 340 + 1,778 · (−190) = = 0,0 + 0,0 · (−1100) + 0,88 · 340 + 1,778 · (−190) = = 0,0 + 0,0 · (−1100) + 0,6 · 340 + 0,0 · (−190) = = 0,0 + 0,0 · (−1100) + 0,0 · 340 + 0,889 · (−190) =

−220 +740 −744 −168 −188 −39 +204 −169

Im Bild ist die Momentenlinie so dargestellt, dass die Momente ohne Vorzeichen auf der Zugseite abgetragen sind. Kleine Rundungsfehler sind am Momentengleichgewicht in den Knoten erkennbar. Eine unabh¨ angige Gleichgewichtskontrolle kann mit den Lagergr¨oßen erfolgen. 740

168 204 39 -1 220

188

M

169

w

7. Biegelinie Die Biegelinie folgt mit dem Sehnenpolygon wS (ψi Yi ) aus den Verschiebungen der Systemknoten, vergleiche Abschnitt 17.5, der Biegelinie wg0 (−1) am gelenkig gelagerten Balken und dem Anteil infolge Verkr¨ ummungen aus der Momentenlinie: w = wS (ψi Yi ) + wg0 (−1) + w(M ) . Die Knotenverschiebungen f¨ ur den Sehnenpolygon sind wie bereits oben erl¨ autert mit den Stabdrehwinkeln festgelegt. Die Biegelinie zwischen den Knoten ist entsprechend der Knotenverdrehungen und den Verkr¨ ummungen aus Momentenlinie skizziert.

268

17 Das Drehwinkelverfahren

17.8 Berechnung von Biegelinien Biegelinien sind f¨ ur Gebrauchstauglichkeitsnachweise sowie f¨ ur eine anschauliche Kontrolle der Ergebnisse wichtig. Außerdem ist die Berechnung von Einflusslinien auf die Berechnung von Biegelinien zur¨ uckgef¨ uhrt. Beim Drehwinkelverfahren sind Biegelinien mit wenig zus¨ atzlichem Aufwand auf zwei Wegen berechenbar. Hierbei liegen jedoch im Vergleich zum Kraftgr¨oßenverfahren mit der Momentenlinie bereits alle Informationen vor, sodass keine zus¨atzlichen Berechnungsschritte mit dem P vK erforderlich sind.

¨ 1. Uberlagerung von Teilbiegelinien ¨ Die Gesamtbiegelinie folgt aus der Uberlagerung der Teilbiegelinien der Last¨ und Einheitsverformungszust¨ande wie die Gesamtmomentenlinie aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien 0

w=w +

m

Yi · wi .

i=1

Die Biegelinie w0 erh¨alt man aus Tabellenwerken analog zu M 0 . Die Teilbiegelinien infolge eingepr¨agter Knotendrehwinkel ϕa ,ϕb sowie Stabdrehwinkel ψab entsprechen den Hermite-Polynomen nach Abschnitt 11.2 und sind mit Hilfe der ω-Funktionen darstellbar.

2. Berechnung mit Sehnenpolygon und Momentenlinie Im Vergleich zum ersten L¨osungsweg erfolgt hier keine Superposition der Teilbiegelinien der Einheitsverformungszust¨ande, sondern eine strikte Aufteilung der Gesamtbiegelinie in den Sehnenpolygon aus Knotenverschiebungen und in die Verkr¨ ummungen infolge Momentenlinie. Die Knotenverschiebungen sind direkt mit den Stabdrehwinkeln ohne P vK berechenbar. Hiermit liegt der Sehnenpolygon wS (ψi Yi ) fest, da diese Verschiebungsanteile zwischen den Knoten linear verlaufen. Die zus¨ atzlichen Verschiebungen infolge Momentenlinie sind mit den ω-Tabellen berechenbar, wenn die endg¨ ultige Momentenlinie entsprechend der ω-Tabellen anteilig aufgespalten wird. Wenn Einzelweggr¨oßen im Feld der Einzelst¨abe vorhanden sind, ist zus¨ atzlich ucksichtigen, siehe Abder Anteil wg0 am gelenkig gelagerten Balken zu ber¨ schnitt 17.7. w = wS (ψi Yi ) + w(M ) + wg0 .

17.9 Kontrollen beim Drehwinkelverfahren

269

17.9 Kontrollen beim Drehwinkelverfahren Das Drehwinkelverfahren ist so aufbereitet, dass die Berechnungsschritte effizient und die Fehlerm¨oglichkeiten sehr gering sind. Mit der Schematisierung des Verfahrens geht nat¨ urlich ein großer Teil der Anschauung verloren, sodass eine direkte Kontrolle der einzelnen Berechnungsschritte kaum m¨ oglich ist. Eine nachtr¨agliche Kontrolle der Ergebnisse kann beim Drehwinkelverfahren am Gesamtsystem erfolgen. Zun¨achst sollten die Knotengleichgewichte und die ¨ Stockwerksgleichgewichte erf¨ ullt sein, da hiermit die Uberlagerung der Einheitsverformungszust¨ande sowie die L¨osung des Gleichungssystems kontrolliert werden k¨onnen. Am Gesamtsystem muss außerdem das Gleichgewicht f¨ ur die einwirkenden Kr¨afte und die Lagerreaktionen erf¨ ullt sein, sodass der Kraftfluss von der Einwirkung in die Lager sichergestellt ist und das Tragwerk als standsicher nachgewiesen werden kann. Die Verformungsbedingungen kann man nicht direkt kontrollieren, da sie im Berechnungsverfahen bereits vorweg erf¨ ullt sein m¨ ussen. So wirkt sich ein falsches Gelenk am Einzelstab bei der Gleichgewichtskontrolle nicht mehr aus. Falls erforderlich, kann man mit Verformungskontrolle I m¨ ogliche Fehler sukzessive dort aufdecken, wo die Verformungsbedingungen vorweg erf¨ ullt sein sollten. Sinn macht dies allerdings nur f¨ ur die Stabdrehwinkel, da falsch berechnete Schiefstellungen von Stockwerken zu zus¨atzlichen Abtriebskr¨ aften f¨ uhren k¨onnen, die den Einfluss aus Theorie II. Ordnung verst¨ arken, siehe Abschnitt 20. Eine Kontrolle der Knotenverschiebungen des Drehwinkelverfahrens ist m¨ oglich, wenn die Knotenverschiebungen unabh¨ angig und vergleichend mit dem Reduktionssatz berechnet werden.

18 Anmerkungen zu den Berechnungsverfahren

18.1 Analogie zwischen Kraftgr¨ oßen- und Drehwinkelverfahren Nachfolgend ist die Analogie bei der Berechnung der Momentenlinie mit dem Kraftgr¨oßen– und dem Drehwinkelverfahren gezeigt. Ist die Momentenlinie bekannt, k¨onnen Querkr¨afte und Normalkr¨afte sowie die Biegelinie in einer Nachlaufrechnung bestimmt werden. Beide Verfahren sind dual aufgebaut und unterscheiden sich in der Art und Weise, wie die Grundgleichungen erf¨ ullt werden.

Kraftgr¨ oßenverfahren 1. n–fach statisch unbestimmtes System 2. Statisch bestimmtes Hauptsystem w¨ahlen und n Bindungen freigeben. Es besteht Wahlfreiheit f¨ ur das Hauptsystem. 3. Lastspannungszustand am HS berechnen. Der LSZ erf¨ ullt die Gleichgewichtsbedingungen. Der LSZ verletzt die Verformungsbedingungen. 4. n linear unabh¨angige Einheitsspannungszust¨ande am HS ansetzen Die ESZ erf¨ ullen die Gleichgewichtsbedingungen. Die ESZ verletzen die Verformungsbedingungen. ande, mit Die n Unbekannten Xk sind die Faktoren der Einheitsspannungszust¨ denen die Verformungsbedingungen des Systems nachtr¨ aglich erf¨ ullt werden. 5. Das Gleichungssystem enth¨alt die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems in den zun¨ achst gel¨osten Bindungen: n δjk · Xk + δj0 = 0 , j = 1,. . . n k=1

6. Momentenlinie: Superposition der Last- und der Einheitsspannungszust¨ ande: n M k · Xk . M = M0 + k=1

Allein der endg¨ ultige Zustand erf¨ ullt die Verformungsbedingungen nach 5. und die Gleichgewichtsbedingungen. 7. Kontrollen: Verformungsbedingungen, Gleichgewicht am Gesamtsystem. 8. Nachlaufrechnung f¨ ur die Querkr¨afte und die Normalkr¨ afte. 9. Berechnung der Knotenverschiebungen f¨ ur den Sehnenpolygonzug mit dem P vK. Berechnung der Biegelinie aus Verkr¨ ummungen mit ω–Tabellen. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_18

18.1 Analogie zwischen Kraftgr¨oßen- und Drehwinkelverfahren

271

Drehwinkelverfahren 1. Das statisch unbestimmte System ist ein m–fach kinematisch unbestimmtes System. 2. Kinematisch bestimmtes Hauptsystem festlegen, indem m Bindungen zus¨ atzlich angesetzt werden. Dabei sind die Einzelbalken gegenseitig abgeschirmt. Es besteht (fast) keine Wahlfreiheit f¨ ur das HS. 3. Lastverformungszustand am HS. Der LVZ erf¨ ullt die Verformungsbedingungen. Der LVZ verletzt die Gleichgewichtsbedingungen. Die Momentenlinie M 0 wird aus Tabellen entnommen. 4. m linear unabh¨angige Einheitsverformungszust¨ande am HS ansetzen Die EVZ erf¨ ullen die Verformungsbedingungen. Die EVZ verletzen die Gleichgewichtsbedingungen. Die m Unbekannten Yi sind die Faktoren der Einheitsverformungszust¨ande, mit denen die Gleichgewichtsbedingungen des wirklichen Systems nachtr¨ aglich erf¨ ullt werden. 5. Das Gleichungssystem enth¨alt die Momenten- bzw. Kr¨ aftegleichgewichtsbedingungen des wirklichen Systems an den Orten der Festhaltungen j ΔMjk · Yk + ΔMj0 = 0 , k



Fjk · Yk + Fj0 = 0 .

k

Alternativ hierzu k¨onnen die Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV formuliert werden. ¨ 6. Die Momentenlinie des statisch unbestimmten Systems wird mit der Uberlagerung der Last- und Einheitsverformungszust¨ande berechnet. Allein der endg¨ ultige Zustand erf¨ ullt die Gleichgewichtsbedingungen und die Verformungsbedingungen. F¨ ur die Momentenlinie gilt: M = M0 +

m

M k · Yk .

k=1

7. Kontrollen: vorzugsweise Gleichgewichtsbedingungen, Riegelverschiebungen mit dem Reduktionssatz. 8. Nachlaufrechnung f¨ ur die Querkr¨afte und die Normalkr¨ afte. 9. Berechnung der Knotenverschiebungen f¨ ur den Sehnenpolygonzug mit den Stabdrehwinkeln ψ. Berechnung der Biegelinie aus Verkr¨ ummungen mit ω– Tabellen.

272

18 Anmerkungen zu den Berechnungsverfahren

18.2 Kontrolle des Spannungs- und Verformungszustandes In der Baupraxis werden die Handrechenverfahren nur f¨ ur kleine Systeme und f¨ ur erste Entw¨ urfe eingesetzt. Neben dem Verst¨ andnis f¨ ur methodische Vorgehensweisen und die jeweils zu erf¨ ullenden Grundgleichungen, bieten sie die M¨ oglichkeit, auch komplexe Tragwerke auf die wesentlichen Trag– und Verformungseigenschaften zu untersuchen. Die Nachteile der Handrechenverfahren sind die Beschr¨ankung auf Systeme mit wenigen Unbekannten und die Fehleranf¨alligkeit, die jeweils unabh¨angige Gleichgewichts– und Verformungskontrollen erfordert. Elektronische Berechnungsverfahren u ¨ berwinden diese Nachteile, da sie die M¨ oglichkeit schaffen, beliebig komplexe Systeme ohne Rechenfehler schnell und zuverl¨assig zu untersuchen. Allerdings werden hierbei oft wichtige Dinge in den Hintergrund gedr¨angt, die bei Handrechenverfahren unbewusst bereits im Rechenablauf mehrfach kontrolliert werden. Dies sind die Einwirkungen, die Steifigkeiten, Systemabmessungen und die Anordnung der St¨ abe, die Gelenke, die Randbedingungen und anderes. Wenn all diese Systeminformationen als Eingangsdaten der elektronischen Berechnung festgelegt werden, so ist ihr Einfluss auf das Endergebnis zun¨achst diffus, wenn man das Tragverhalten noch nicht richtig einsch¨atzen kann. Allzu oft nimmt man daher das Endergebnis als festgegeben hin und beginnt mit der Bemessung. Die Reflektion und Kontrolle der Eingangsdaten ist jedoch ganz wesentlich und f¨ ur einen guten Tragwerksentwurf entscheidend. Es bleibt die Frage nach m¨oglichen Fehlern und den zur Aufdeckung erforderlichen Kontrollm¨oglichkeiten. Die Berechnung des Gleichgewichts und der Verformungen des Tragwerks kann grunds¨atzlich als richtig angenommen werden, wenn es sich um ein erprobtes Berechnungsprogramm handelt. Hier, wo bei der Handrechnung die meisten Fehler auftreten, ist das Berechnungsprogramm unfehlbar. Aber, was kann und muss man dann kontrollieren, und wie? Berechnungsergebnisse h¨angen urs¨achlich von den Eingangsdaten ab, sodass auch nur diese kontrolliert werden sollten. Oft helfen graphische Hilfsmittel, mit denen eine Visualisierung des Systems und der Einwirkungen und somit eine augenscheinliche Kontrolle m¨oglich ist. Wenn diese Informationen nicht oder nur vereinfachend zur Verf¨ ugung stehen, ist man auf andere Vorgehensweisen angewiesen. Zur Veranschaulichung des grunds¨ atzlichen Vorgehens werden m¨ogliche Kontrollen an dem statischen System nach Bild 18-1 entwickelt. Wesentlich ist, dass das System unabh¨angig vom Ergebnisausdruck der elektronischen Berechnung vorliegt, damit eine unabh¨ angige Kontrolle m¨ oglich ist.

18.2 Kontrolle des Spannungs- und Verformungszustandes

273

4 kN/m

2 kN/m c

EI2

f

EI1

EI2 EI1

i

EI1

3,0 m

10 kN e

b

h

EI2

EI2

EI1

EI1

a

d

5 kNm

3,0 m

g

Ha

3 kN/m

Va

EI1

Hd

Ma

Vd

5,0 m

Md

Vg

5,0 m

Bild 18-1 Statisches System und Einwirkungen Bild 18-1 zeigt einen statisch unbestimmten zweigeschossigen Rahmen mit Lasten und Stabsteifigkeiten EI1 = 7500 kN m2, EI2 = 15000 kN m2. Die mit dem Kraftgr¨oßenverfahren, dem Drehwinkelverfahren oder einem Berechnungsprogramm ermittelte Verformungsfigur w und die Zustandsgr¨ oßen M, Q, N sind in Bild 18-2 gegeben. Eine erste grundlegende jedoch nur qualitative Kontrolle erfolgt anschaulich, ohne die konkreten Zahlenwerte zu u ufen. Hierbei k¨ onnen grobe Fehler ¨berpr¨ aufgedeckt werden, wenn die Plausibilit¨at der Ergebnisse hinterfragt wird. 1. Passt die Biegelinie zu den Einwirkungen, den Lagerbedingungen sowie den angesetzten Gelenkbedingungen: Kontrolle der Lastrichtung, der Lager, der Stabverkr¨ ummungen und der Durchlaufwirkungen. 2. Passt die Momentenlinie zu den Einwirkungen: Gleichlast – Parabel, Einzellast – Dreieck, Einzelmoment – Sprung. 3. Passt die Momentenlinie zur Biegelinie. Dies ist bei einem Berechnungsprogramm zwar von vornherein erf¨ ullt, gibt jedoch eine weitere M¨ oglichkeit, die Einwirkungen zu kontrollieren. Eine detaillierte und quantitative Kontrolle der Ergebnisse ist mit den Gleichgewichtsbedingungen und den Verformungen m¨oglich.

274

18 Anmerkungen zu den Berechnungsverfahren 8,676,33

6,45

1,05

3,86

2,34

6,25

12,50

3,38 11,82 12,51

0,09 3,37 3,46

0,090 2,66

12,50 3,38

w -1,24

3,48

6,52

4,82

2,10

M

11,71

5,00

12,91

4,82

10,02

7,10

3,59 4,27

2,85

9,98 1,97

4,18

8,05

2,85

3,48

16,50

10,02

3,65

2,27

1,95

2,85

8,47

Q

5,42

22,28

N

12,30

9,53

Bild 18-2 Verformungsfigur in [cm] und Zustandsgr¨ oßen in [kN, kN m]

18.2.1 Gleichgewichtskontrollen Gleichgewichtskontrollen sind besonders wichtig, da mit den Schnittgr¨ oßen die Standsicherheit der Tragwerke nachgewiesen wird. Das Kraftgr¨ oßenverfahren setzt voraus, dass die Last– und Einheitsspannungszust¨ ande im Gleichgewicht sind. Das Drehwinkelverfahren setzt voraus, dass die Verformungsbedingungen erf¨ ullt sind und die virtuellen Arbeiten richtig angesetzt werden, was den Gleichgewichtsbedingungen ¨aquivalent ist. Bei beiden Verfahren ist daher eine unabh¨angige Gleichgewichtskontrolle erforderlich. Bei einer elektronischen Berechnung mit einem erprobten Programm sind das Gleichgewicht und die Verformungsbedingungen von vornherein erf¨ ullt. Fehler k¨onnen jedoch bei der Eingabe der Daten auftreten und hier speziell bei den angesetzten Lasten und den Steifigkeiten, die im Einzelfall kontrolliert werden m¨ ussen. F¨ ur umfassende und unabh¨angige Gleichgewichtskontrollen m¨ ussen die Lagerreaktionen bekannt sein. Bei einer elektronischen Berechnung des Systems werden die Lagerreaktionen in der Regel dem Ergebnis beigef¨ ugt. Falls nicht, ist die Berechnung der Lagerreaktionen mit der Momenten– und der Querkraftlinie m¨ oglich. Die Berechnung der Lagerkr¨afte und Lagermomente liefert f¨ ur das

18.2 Kontrolle des Spannungs- und Verformungszustandes

275

oben angegebene System: Va = −Na = 5,42 kN ,

Ha = Qa = 9,53 kN ,

Ma = 11,71 kN m ,

Vd = −Nd = 22,26 kN , Hd = Qd = 8,47 kN , Md = 12,91 kN m , Vg = −Ng = 12,30 kN , Hg = 0 , Mg = 0 . Mit den Lagerreaktionen kann man die Lagerbedingungen qualitativ kontrollieren, dies sind Gelenke, verschiebliche Lager, Einspannungen, Festhaltungen. Mit den Lagerreaktionen sind jedoch auch globale Gleichgewichtskontrollen m¨oglich, die unabh¨angig vom Berechnungsverfahren angesetzt werden k¨ onnen. Erst wenn die globalen und lokalen Gleichgewichtskontrollen erf¨ ullt sind, kann das Tragwerk als standsicher bemessen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass hiermit auch die Stabsteifigkeiten u uft sind. ¨ berpr¨

Globale Kontrollen Mit den Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtsystem kann die Kontrolle f¨ ur den jeweiligen Lastfall in der Form H = 0, V = 0, M =0 mit den Lagerkr¨aften, den Lagermomenten und den ¨ außeren Lasten erfolgen. Hiermit ist in der Regel sichergestellt, dass die Systemabmessungen, die Lagerbedingungen sowie die Lasten mit dem richtigen Vorzeichen und der richtigen Gr¨oße ber¨ ucksichtigt sind. F¨ ur das Gleichgewicht der Kr¨ afte gilt im oben angegebenen Beispiel: H = 3 · (3,0 + 3,0) − 9,53 − 8,47 = 0,0 , V = 2 · 5,0 + 4 · 5,0 + 10 − 5,42 − 22,28 − 12,30 = 0,0 . Das Momentengleichgewicht muss f¨ ur jeden beliebigen Punkt erf¨ ullt sein. Hier ist Lager g gew¨ahlt: Mg = 3 · (3,0 + 3,0) · 3,0 − 2 · 5,0 · (5,0 + 2,5) − 4 · 5,0 · 2,5 − 10 · 7,5 + 5,0 + 5,42 · 10,0 + 22,28 · 5,0 − 11,71 − 12,91 = −0,02 . Die globalen Kontrollen sind damit im Rahmen der Rechengenauigkeit erf¨ ullt.

276

18 Anmerkungen zu den Berechnungsverfahren

Lokale Kontrollen Lokale Gleichgewichtskontrollen sind am Einzelstab sinnvoll. Mit Hilfe der Schlussline kann man am Einzelstab Gr¨oße und Richtung der auf dem Stab angesetzten Lasten kontrollieren. 4 · 52 q 2 = = 12,50 ≈ 0,5 · (6,33 + 6,45) + 6,11 8 8 10 · 5 p Dreieckstich b – e : = = 12,50 ≈ 0,5 · (3,46 − 11,82) + 8,32 4 4 Momentensprung g – h : M = + 5,0 − 5,0 = 0,0 Parabelstich f – i :

Auch die lokalen Kontrollen sind am hier vorliegenden Rahmentragwerk erf¨ ullt.

18.2.2 Verformungskontrollen Die Kontrolle der Verformungsbedingungen ist von nachrangiger Bedeutung, da hiermit zwar der Rechenablauf kontrolliert werden kann, jedoch nicht die f¨ ur die Bemessung erforderlichen Schnittgr¨oßen. Hierzu sei auch auf das am Ende des Buches dargestellte Traglastverfahren hingewiesen. Verformungskontrollen, wie sie beim Kraftgr¨oßenverfahren eingesetzt werden, machen beim Drehwinkelverfahren und bei einer elektronischen Berechnung wenig Sinn, da das Drehwinkelverfahren davon ausgeht, dass die Verformungsbedingungen erf¨ ullt sind und bei einer elektronischen Berechnung keine numerischen Fehler auftreten sollten. Dagegen kann es sinnvoll sein einzelne Weggr¨ oßen nachtr¨aglich zu berechnen oder zu kontrollieren, um Fehler bei der Eingabe der Steifigkeiten oder der Stockwerkskinematik beim Drehwinkelverfahren zu entdecken. Mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨afte ist es m¨oglich Einzelweggr¨ oßen zu berechnen und Stabsteifigkeiten zu identifizieren. Es gilt  ¯ 0 M dx + . . . ¯1 · δ = M EI ¯ 0 mit dem Reduktionssatz an einem Wenn M und EI bekannt sind und M passenden statisch bestimmten Hauptsystem ermittelt wird, ist δ die einzige Unbekannte. Wenn M und δ bekannt sind, ist EI die Unbekannte. Die Berechnung von Einzelweggr¨oßen oder die Kontrolle der Steifigkeiten mit dem P vK ist sinnvoll, wenn der Berechnungsaufwand klein gehalten werden kann. Dies gelingt, wenn das statisch bestimmte System f¨ ur den virtuellen Zu¯ 0 schnell ermittelt stand so gew¨ahlt wird, dass die virtuelle Momentenlinie M werden kann.

18.2 Kontrolle des Spannungs- und Verformungszustandes

277

• Fall 1: Kontrolle der Stabsteifigkeit EIa−b mit der Horizontalverschiebung δb ¯ 0 nach Abbildung 18-3–links. Mit dem PvK folgt zun¨ und M achst 1 1 1 1 1 19,9 1 ¯ 3 · 3,37 · 1 · δb = · ¯3 · 11,7 · · 3 − · ¯3 · 3,37 · ·3− ·¯ ·3 = 3 EI1 6 EI1 3 EI1 EI1 und mit bekannter Horizontalverschiebung δb = 0,00266 m die Biegesteifigkeit EI1 = 7. 481 kN m2. Die so ermittelte Biegesteifigkeit stimmt im Rahmen der Rechengenauigkeit mit der angesetzten Biegesteifigkeit u ¨ berein. 1/2 M

M

1

1 1·2h 4

1/2 1·h

¯ 0 am statisch bestimmten System Bild 18-3 Virtueller Zustand M Mit der virtuellen Momentenlinie nach Abbildung 18-3–rechts kann die Differenzverschiebung des Knotens b gegen¨ uber Knoten a,c und damit die Stabsteifigkeit der St¨ utze a − c kontrolliert werden. • Fall 2: Die Berechnung von Einzelweggr¨oßen kann f¨ ur Stabschiefstellungen oder f¨ ur Mittendurchbiegungen von Einzelst¨aben sinnvoll sein. Hierf¨ ur eignen ¯0 sich am besten solche Hauptsysteme, bei denen die virtuelle Momentenlinie M auf einen oder sehr wenige St¨abe beschr¨ankt ist. Dies erreicht man, wenn f¨ ur den virtuellen Zustand Gleichgewichtsgruppen angesetzt werden. Die Berechnung der Mittendurchbiegung eines Einzelstabes kann mit der vir¯ 0 entsprechend Bild 18-4–rechts erfolgen, die Berechtuellen Momentenlinie M nung der Stabschiefstellung nach Bild 18-4–links. 1

M

M

1

1/2

1l 4

1/2

1Z2h

¯ 0 am statisch bestimmten System Bild 18-4 Virtueller Zustand M

19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme

Die Bedeutung von Einflusslinien wird am Beispiel von mehrfeldrigen Straßen– oder Eisenbahnbr¨ ucken besonders deutlich. Bild 19-1 zeigt die im Zuge des Neubaus der Autobahn A45 im Jahr 1969 fertiggestellte Siegtalbr¨ ucke, die als Durchlauftr¨ager in Spannbetonbauweise ausgef¨ uhrt ist. Aufgrund der Durchlaufwirkung kann die St¨ utzwirkung u ¨ ber den Pfeilern ausgenutzt werden, sodass eine Bauh¨ohe von < 6 m m¨oglich ist. Die Br¨ ucke besteht aus 12 Feldern mit einer maximalen St¨ utzweite von ca. 105 m und einer maximalen Pfeilerh¨ ohe von ca. 106 m . Anstelle von beliebig vielen unterschiedlichen Laststellungen aus Lkw– und Pkw–Verkehr, die einer systematischen Auswertung nur mit großem Aufwand zug¨ anglich sind, k¨onnen die f¨ ur die Bemessung ung¨ unstigsten Laststellungen des fließenden Verkehrs mithilfe von Einflusslinien ermittelt werden. Hierbei reicht in der Regel eine qualitative Bestimmung der Einflusslinien aus, wenn im Nachgang eine explizite Berechnung der Bemessungswerte f¨ ur ausgew¨ ahlte Laststellungen erfolgt.

Bild 19-1 Siegtalbr¨ ucke Bereits 1868 verwendet Otto Mohr Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨ oßen und etwas sp¨ ater auch f¨ ur Weggr¨oßen. Einflusslinien f¨ ur Schnitt– oder Weggr¨ oßen sind f¨ ur statisch bestimmte Systeme in den Abschnitten 9 sowie 12 definiert: An der Stelle j“ der wirklichen Wanderlast wird die Ordinate der Schnitt– oder ” Weggr¨oße an fester Stelle k“ infolge der Wanderlast Pj = 1“ abgetragen. ” ” Die Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen erfolgt mit dem PvV bzw. den S¨atzen von Maxwell und Betti, die der Weggr¨oßen mit den S¨ atzen von Maxwell und Betti. Da die Arbeitsprinzipe allgemein f¨ ur beliebige Tragwerke und der entsprechenden Schnitt– und Weggr¨oßen g¨ ultig sind, k¨ onnen sie auch f¨ ur statisch unbestimmte Stabtragwerke verwendet werden. Offen bleiben zun¨ achst nur die im Einzelfall zu ber¨ ucksichtigen Arbeiten. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_19

19.1 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen

279

19.1 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen Die Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen verl¨ auft bei statisch bestimmten und statisch unbestimmten Systemen v¨ollig analog.

Beispiel Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur die Durchbiegung wk an der Stelle k f¨ ur eine Wanderlast P = 1 an der Stelle j. P=1 k a

b

j

c

wkj

d

Stellt man die Wanderlast P = 1 an eine beliebige Stelle j (hier 1,2,3), 1

1

1

1

2

wk1

3

wk2

wk3

so sind die Durchbiegungen wkj die jeweiligen Einflussordinaten η an der Stelle j = 1, 2, 3. P=1

h

k

-

+

1 h1 = wk1

2 h2= w k2

+

3 h3= w k3

d

Den L¨osungsweg zur Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen kann man aus den Arbeitss¨atzen ableiten. Nach dem Satz von Maxwell sind die Arbeiten der Last Pk = 1 auf der Verschiebung wkj gleich den Arbeiten der Last Pj = 1 auf der Verschiebung wjk . Hierbei kennzeichnet der erste Index jeweils den Ort, an dem die Arbeit geleistet wird, und der zweite Index jeweils die Ursache der Verschiebung: 1k · wkj = 1j · wjk . Pj =1

j

k j

Pk = 1

wjk

wkj

fester Ort der Weggr¨oße wandernde Ursache

j k

k

wandernder Ort der Weggr¨ oße fester Ort der Ursache

280

19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme

Hiermit folgt, dass die gesuchte ortsfeste Verschiebung wkj gleich der Verschiebung wjk ist, sodass diese identisch mit der Einflusslinie η(wkj ) ist. Damit kann man die Einflusslinie f¨ ur wkj als Biegelinie wjk infolge der ortsfesten Last ur beliebige Pk = 1k berechnen. Verallgemeinert man den Satz von Maxwell f¨ Weggr¨oßen δkj und konjugierte Einheitskraftgr¨oßen, so kann man Einflusslinien f¨ ur beliebige Weggr¨oßen definieren und entsprechend berechnen. Kraft– und Weggr¨oßen sind konjugiert, wenn die Kraftgr¨oße auf der Weggr¨ oße Arbeit leistet, z. B. P −→ w und M −→ ϕ. Damit folgt der Satz u ¨ ber die Berechnung der

Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen Die Einflusslinie η f¨ ur eine Weggr¨oße an der Stelle k“ ist gleich der Bie” gelinie infolge der konjugierten Kraftgr¨oße 1“ an der Stelle k“. ” ” Einflusslinie

η(wkj )

=

Biegelinie wjk Pk = 1

w1k = wk1= h 2

w,h 1

3

k

d

L¨ osungsweg zur Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen Die Berechnung einer Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße reduziert sich auf die Berechnung einer Biegelinie infolge der konjugierten Kraftgr¨ oße. Damit folgt der L¨ osungsweg: 1. Einheitskraftgr¨oße 1“ konjugiert zur gesuchten Weggr¨ oße auf das statische ” System geben. Hierbei gilt Tabelle 19.1. 2. Momentenlinie M infolge der Einheitskraftgr¨oße berechnen. 3. Biegelinie infolge der Einheitskraftgr¨oße f¨ ur die von der Wanderlast ber¨ uhrten St¨abe berechnen. Tabelle 19.1 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen an der Stelle k Einflusslinie Verschiebung Verdrehung Spreizung Knick

ηw ηϕ ηΔw ηΔϕ

vorgeben −→ −→ −→ −→

Einzellast 1“ in k ” Einzelmoment 1“ in k ” gegenwirkendes Kr¨ aftepaar 1“ in k ” gegenwirkendes Doppelmoment 1“ in k ”

19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen

281

Beispiele f¨ ur die Berechnung der Biegelinie von Stabtragwerken unter Ein” heitslasten“ sind f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren in Abschnitt 14 und f¨ ur das Drehwinkelverfahren in Abschnitt 17 gegeben. Die gedachte Kraftgr¨oße 1“ f¨ ur die Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Weg” gr¨oßen hat nichts mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨afte gemeinsam, da beim Satz von Betti beide Zust¨ande die Gleichgewichts- und die Verformungsbedingungen erf¨ ullen m¨ ussen. Dagegen muss der virtuelle Spannungszustand beim PvK nur das Gleichgewicht erf¨ ullen.

Auswertung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen Der Satz von Betti ist eine allgemeinere Aussage als der Satz von Maxwell, da er die Arbeiten zweier beliebiger Laststellungen betrachtet. Damit gilt allgemeiner f¨ ur beliebige Weggr¨ oßen und Lastbilder auch 1k · δkj = ( beliebiges Lastbild j ) · wjk , sodass die Einflusslinie η = wjk auch f¨ ur beliebige Lastbilder verwendet werden kann. Die Auswertung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen f¨ ur beliebige Laststellungen folgt daher aus dem Satz von Betti: δkj = ( beliebiges Lastbild j ) · η. Hiermit m¨ ussen die Arbeiten“ der Lasten auf der Einflusslinie η berechnet ” werden, siehe auch Abschnitt 19.4.

19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen Die Definition und der Berechnungsweg von Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨ oßen sind bei statisch bestimmten und bei statisch unbestimmten Systemen identisch. Die Berechnung erfolgt am einfachsten mit der kinematischen Methode auf Grundlage des Prinzips der virtuellen Verschiebungen. Den L¨ osungsweg f¨ ur die Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen beschreibt Robert Land bereits 1888:

Satz von Land Man erh¨alt die Einflusslinie f¨ ur eine Kraftgr¨ oße an der Stelle k“, indem ” man die zur gesuchten Kraftgr¨oße konjugierte Weggr¨ oße −1“ an der ” Stelle k“ als Verformungsfall einpr¨agt. Die Biegelinie infolge −1“ ist ” ” mit der Einflusslinie f¨ ur die Kraftgr¨oße identisch. Dieser Satz gilt sowohl f¨ ur das Kraft– als auch f¨ ur das Weggr¨ oßenverfahren. Nur der Weg zur Ermittlung der Einflusslinie η ist bei beiden Verfahren verschieden.

282

19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme

19.2.1 Statisch bestimmte Systeme Bei statisch bestimmten Systemen ist die Verschiebungsfigur infolge einer Weggr¨oße −1“ vergleichbar der Verschiebung einer kinematischen Kette mit ei” nem Freiheitsgrad. Sie setzt sich aus geraden Linienz¨ ugen zusammen, siehe Abschnitt 9.

Beispiel Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur das Moment M an der Stelle k. Mit dem Prinzip der virtuellen Verschiebungen folgt: 1. L¨ osung der Bindung in k, die zum gesuchten Biegemoment geh¨ort. Das Schnittmoment Mk ist als ¨außeres Doppelmoment aufzubringen.

Pj j

k

2. Vorgabe der virtuellen Verschiebungen infolge Knick Δϕ¯ = −¯1. 3. Anschreiben der virtuellen Arbeiten des Schnittmomentes an der Stelle k“ ” und der Wanderlast an der Stelle j“. ” Die inneren Arbeiten sind null. A¯ = Pj · δ¯j + Mk · Δϕ¯k = 0.

Pj Mk Pj

Mk

Dj = 1

Mit Δϕ¯k = −¯1 und Pj folgt mit dem PvV zun¨achst Pj · δ¯j = Mk · ¯1 sowie Pj · δj (−1) = Mk , wenn der virtuelle Charakter des Knicks gek¨ urzt“ wird, siehe Abschnitt 9. ” Damit ist die Verschiebungsfigur δj (−1) mit der Einflusslinie ηMk identisch, wenn die Einflusslinie an der Stelle j jeweils die Gr¨oße des Momentes Mk angibt ηMk = δj (−1).

19.2.2 Statisch unbestimmte Systeme Wenn bei statisch unbestimmten Systemen eine Bindung gel¨ ost wird, bleibt mindestens ein statisch bestimmtes System, auf das die Weggr¨ oße Δϕ = −1 eingepr¨agt wird. Dies bedeutet, dass bei statisch unbestimmten Systemen die Verschiebungsfigur infolge einer Weggr¨oße −1“ eine Biegelinie bzw. Einflussli” nie aus gekr¨ ummten Linienz¨ ugen ist. Die Motivation f¨ ur die Einflusslinie erfolgt auch hier zun¨achst u ¨ ber das PvV.

19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen

283

Beispiel Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur das Moment Mk f¨ ur nachfolgendes statisch unbestimmtes System. Die Anwendung des Prinzips der virtuellen Verschiebungen gibt: 1. L¨ osen der Bindung in k, die zur gesuchten Kraftgr¨oße geh¨ort. Das Schnittmoment Mk ist als ¨außere Kraftgr¨oße aufzubringen.

Pj k

Pj

2. Vorgabe der virtuellen Verschiebungen infolge des Knicks Δϕ¯k = −¯1. 3. Aufschreiben der virtuellen Arbeiten, die der Spannungszustand infolge Pj auf den virtuellen Verschiebungen infolge Δϕ¯ = −¯1 leistet. Hier sind zun¨achst auch innere Arbeiten infolge Verkr¨ ummungen zu beachten. Es gilt zun¨achst allgemein

j

Mk

j Pj

h

dj Dj = 1

A¯ = A¯a + A¯i = 0. Die ¨ außeren virtuellen Arbeiten sind wie bisher A¯a = Pj · δ¯j + Mk · Δϕ¯k . Hier ist Mk das Moment im Punkt k infolge der Wanderlast Pj . F¨ ur die inneren virtuellen Arbeiten gilt zun¨achst  A¯i = M (Pj ) κ ¯ (Δϕ¯k = −¯ 1) dx und mit der Werkstoffgleichung  ¯ (Δϕ¯k = −¯ 1) M A¯i = − M (Pj ) dx. EI Hierbei sind M (Pj )

die Momentenlinie am statisch unbestimmten System infolge Wanderlast Pj . Die Momentenlinie ist im Gleichgewicht.

¯ (Δϕ¯k )/EI die virtuelle Verkr¨ M ummung des statisch unbestimmten Systems infolge des virtuellen Knicks Δϕ¯ = −¯ 1 im Punkt k.

284

19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme

Entsprechend Verformungskontrolle I nach Abschnitt 14.7.3 kann man die inneren Arbeiten mit den Arbeiten der Last– und Einheitsspannungszust¨ ande beschreiben. Damit gilt  A¯i = −

M

¯0 M dx , EI

 da

M

¯j M dx = 0 . EI

¯ 0 /EI beschreibt die Verkr¨ κ ¯ 0 = −M ummung des statisch bestimmten Hauptsystems. Da die Verschiebungen des Hauptsystems infolge des Knicks Δϕ¯ = −¯ 1 geradlinig sind, ist die Verkr¨ ummung κ ¯ 0 identisch null. Damit verschwinden die inneren Arbeiten insgesamt A¯i = 0. Damit kann der Arbeitssatz des PvV wie bei statisch bestimmten Systemen ausgewertet werden A¯ = Pj · δ¯j + Mk · Δϕ¯ = 0. Mit Pj und Δϕ¯ = −¯1 folgt direkt Pj δj (−1) − Mk = 0, sodass die Einflusslinie analog zu statisch bestimmten Systemen mit ηMk = δj (−1) gegeben ist. Die Einflusslinie f¨ ur das Biegemoment Mk ist damit identisch mit der Biegelinie infolge eines Knicks Δϕk = −1. Im Unterschied zu statisch bestimmten Systemen ist die Einflusslinie bei statisch unbestimmten Systemen gekr¨ ummt.

L¨ osungsweg zur Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen Der L¨osungsweg f¨ ur die Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen ist damit analog zu dem L¨osungsweg f¨ ur die Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen. Beispiele sind f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren in Abschnitt 14 und f¨ ur das Drehwinkelverfahren in Abschnitt 17 gegeben. 1. Einheitsweggr¨oße −1“ konjugiert zur gesuchten Kraftgr¨ oße vorgeben, siehe ” Tabelle 19.2. 2. Momentenlinie M infolge Einheitsweggr¨oße berechnen. 3. Biegelinie infolge Einheitsweggr¨oße f¨ ur die von der Wanderlast P ber¨ uhrten St¨ abe berechnen.

19.3 Analogie der Einflusslinien f¨ ur Weg- und Kraftgr¨ oßen

285

Tabelle 19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen an der Stelle k Einflusslinie Biegemoment Querkraft Normalkraft

vorgeben

ηM ηQ ηN

−→ −→ −→

Knick Δϕ = −1 in k Spreizung Δw = −1 in k Klaffung Δu = −1 in k

19.3 Analogie der Einflusslinien f¨ ur Weg- und Kraftgr¨ oßen Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen

Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen

Die Einflusslinie einer Weggr¨oße folgt aus den S¨atzen von Maxwell und Betti (Pj δjk = Pk δkj ) und wird mit einer gedachten Kraftgr¨oße 1“ berech” net. Die zu der Weggr¨oße konjugierte gedachte Kraftgr¨oße wird an der Stelle der gesuchten Weggr¨oße angesetzt.

Die Einflusslinie einer Kraftgr¨ oße folgt aus dem Prinzip der virtuellen Verschiebungen (A¯ = 0). Die zu der gesuchten Kraftgr¨ oße konjugierte gedachte Weggr¨ oße −1“ wird an der ” Stelle der gesuchten Kraftgr¨ oße angesetzt.

Die Einflusslinie f¨ ur die Verdrehung ϕc ist die Biegelinie infolge Mc = 1.

Die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft Fa ist die Biegelinie infolge δa = −1.

P

a

b hj

+

P

Mc = 1 c

da = 1

+ hv

Damit gilt f¨ ur beliebige statische Systeme:

Satz Die Einflusslinie einer Weg– bzw. Kraftgr¨oße ist gleich der Biegelinie infolge der konjugierten Kraft– bzw. Weggr¨oße 1“ bzw. −1“, die mit der ” ” gesuchten Zustandsgr¨oße Arbeit leistet. Anzumerken bleibt, dass die gedachten“ Weg– bzw. Kraftgr¨ oßen keine vir” tuellen Einwirkungen sind, sondern wie wirkliche“ Weg– bzw. Kraftgr¨ oßen ” behandelt werden und damit alle Grundgleichungen erf¨ ullen m¨ ussen.

286

19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme

19.4 Einflusslinien bei Durchlauftr¨ agern und deren Auswertung Einflusslinien k¨onnen f¨ ur die Ermittlung der Extremwerte von Schnitt– und Weggr¨oßen eingesetzt werden. Anstelle einer ausf¨ uhrlichen Berechnung begn¨ ugt man sich in der Regel mit der qualitativen Bestimmung von Einflusslinien. F¨ ur nachfolgenden Durchlauftr¨ager werden die Einflusslinien daher f¨ ur verschiedene Kraft- und Weggr¨oßen nur qualitativ angegeben. 1

3

2

a

b

5

4

c

d

e

f

Die Einflusslinien kann man in der Regel anschaulich ermitteln und f¨ ur die Festlegung ung¨ unstiger Laststellungen verwenden. WP

r

EL f¨ ur Mr J= 1 WP

EL f¨ ur Mc

WP

J= 1 dQ = 1

EL f¨ ur Qr

r WP

WP

dQ = 1

WP

EL f¨ ur Qc links

1 r

EL f¨ ur wr

1

EL f¨ ur ϕa

Die qualitativ ermittelten Einflusslinien kann man dazu verwenden, in einem zweiten Schritt die tats¨achlichen Schnitt- und Weggr¨ oßen infolge ung¨ unstiger

19.4 Einflusslinien bei Durchlauftr¨agern und deren Auswertung

287

Laststellungen mit einem Berechnungsprogramm zu bestimmen oder zu kontrollieren. Mit den so berechneten Schnittgr¨oßen kann dann die Bemessung erfolgen.

Ung¨ unstige Laststellungen bei Durchlauftr¨ agern In der Regel werden Nutzlasten bei Durchlauftr¨agern in Lagerh¨ ausern, Parkh¨ ausern u. ¨a. feldweise variiert, sodass man ung¨ unstige Laststellungen f¨ ur Extremwerte der Zustandsgr¨oßen mit dem Vorzeichen der Einflusslinie feststellen kann. Mmax in Feld 1,3,5 und Mmin in Feld 2,4

Mmax in Feld 2,4 und Mmin in Feld 1,3,5

(Mc )min und (Qc links )min

(Mc )max und (Qc links )min

Auswertung f¨ ur bewegte Lastbilder Die Auswertung von Einflusslinien f¨ ur eine Kraftgr¨ oße F erfolgt analog zum PvV mit  n n  Pj · ηj + Mj · ηj + q · η(x)dx. F = j=1

j=1

l

P sind Einzellasten, M sind Einzelmomente und q ist eine Streckenlast. Die ur die Arbeit der Einzelmomente wesentlich. Neigung η  der Einflusslinie ist f¨

288

19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme

Im Bild ist die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft Fc eines Durchlauftr¨ agers gegeben. Die Einflusslinie ist gleich der Biegelinie infolge Lagerverschiebung −1“. ” Bei Eisenbahnbr¨ ucken erfolgt die Auswertung von Einflusslinien mit Lastenz¨ ugen gem¨aß den Vorschriften der Deutschen Bahn. F¨ ur den Lastenzug UIC 71 [47] wird dabei P = 250 kN und q = 80 kN/m angesetzt. Die Einzellasten P entsprechen den Radlasten der Zugmaschine, die Streckenlasten q den Waggons. Der Zug muss so u ucke gef¨ uhrt werden, dass der ung¨ unstigste ¨ ber die Br¨ Wert der gesuchten Schnittgr¨oße bestimmt werden kann.

2

1

q

3

4

P

q

c

x

l5

l3

x0 Fc

WP

dc= 1 WP

hFc

+ hj

+ WP

Die Berechnung der maximalen Lagerkraft Fc erfolgt mit den positiven Werten der Einflusslinie   4 250 · ηj + 80 · η(x) dx + 80 · η(x) dx. Fc = j=1

l3

l5

Da die Ordinaten ηj der Einflusslinie von der Laststellung x0 abh¨ angig sind, uhrt m¨ ussen in der Regel mehrere Berechnungen mit verschiedenen x0 durchgef¨ werden.

SPANNUNGSTHEORIE II. ORDNUNG

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

St¨ abe unter hoher L¨angsbelastung k¨onnen zur Seite ausweichen, wenn die L¨ angsbelastung bestimmte Grenzwerte erreicht oder u ¨ berschreitet. Bei perfekten, ideal geraden St¨aben wird dies als Knicken bezeichnet. Knicken beschreibt einen Vorgang, bei dem sich das Tragverhalten des Stabes schlagartig ver¨ andert. Unterhalb der Knicklast tr¨agt der Stab die L¨angsbelastung als Druckstab. Beim Knicken verkr¨ ummt sich der Stab, sodass zus¨atzlich die Biegetragwirkung aktiviert wird. Dieser Vorgang tritt pl¨otzlich und ohne Vorank¨ undigung ein und ist in der Regel mit großen Verformungen verbunden. Bei der Bemessung knickgef¨ ahrdeter Stabtragwerke sind daher die Sicherheiten f¨ ur • die Spannungen gegen Erreichen der zul¨assigen Spannungen, • die Stabilit¨at gegen Erreichen der Knicklast und • die Gebrauchstauglichkeit gegen Erreichen großer Verformungen nachzuweisen. An Stelle des Stabilit¨atsnachweises kann man nach Eurocode 3 [51] bzw. DIN 18 800 [46] auch den Nachweis nach Spannungstheorie II. Ordnung (Theorie II. Ordnung) f¨ uhren, und hat hiermit die M¨ oglichkeit, alle drei Nachweise mit einem Berechnungsschritt zu erf¨ ullen. Bei Anwendung der Theorie II. Ordnung werden oft Last-Weg-Diagramme zur Veranschaulichung des Tragverhaltens verwendet, da hier die Steifigkeiten und die Grenzlasten des Systems deutlich zu erkennen sind, siehe Bild 20-1. Th. II. O. Zug Theorie I. O.

Th. II. O. Druck

l E : Eulersche Knicklast

Bild 20-1 Geometrisch nichtlineares Tragverhalten von Knickst¨aben © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_20

292

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

Die Theorie II. Ordnung setzt realit¨atsnahe imperfekte Systeme mit Vorverformungen und Querlasten an, sodass die Biegetragwirkung grunds¨ atzlich auch unterhalb der Knicklast vorhanden ist. Bei L¨angsdruck λ P entstehen Biegeverformungen allerdings nicht nur durch die Querbelastung λ H, sondern auch durch Umlenkung der Normalkr¨afte N entlang der verformten Stabachse. Dies bedeutet, dass die Verformungen des Tragwerks im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. Wenn der Stab unter Druck zur Seite ausweicht, w¨ achst die Umlenkwirkung mit steigendem L¨angsdruck u ¨berproportional an. Ein nichtlineares Tragverhalten ist die Folge. Man bezeichnet die Theorie II. Ordnung daher auch als geometrisch nichtlineare Theorie. St¨abe unter steigendem L¨ angsdruck n¨ ahern sich so mit anwachsenden Durchbiegungen von unten der Knicklast. Gleichzeitig wachsen die Spannungen aus L¨angsdruck und Biegung. Damit sind die Verformungen und die Spannungen f¨ ur jedes Lastniveau berechenbar und bekannt, und die Sicherheitsnachweise k¨onnen direkt ohne Umweg“ u ¨ ber die Knicklast ” durchgef¨ uhrt werden. Entsprechend Bild 20-1 gilt f¨ ur den Fall eines gezogenen oder gedr¨ uckten Einzelstabes Folgendes: 1. Die Theorie I. Ordnung ist geometrisch linear und beschreibt das lineare Tragverhalten des Stabes unter Druck, Zug oder Biegung. Die Theorie II. Ordnung beschreibt das realit¨atsn¨ahere nichtlineare Tragverhalten, bei dem Druck/Zug und Biegung gekoppelt sind. 2. Bei Druck ohne Querbiegung (H = 0) liegt f¨ ur perfekte, gerade St¨ abe ein Verzweigungsproblem vor, wenn die Knicklast erreicht ist. F¨ ur die Knicklast existieren infinitesimal benachbarte Gleichgewichtszust¨ ande mit Biegeverformungen. Die Spannungen werden nach Theorie I. Ordnung berechnet. Zus¨ atzlich ist die Knicklast mit der linearen Stabilit¨atstheorie zu bestimmen. 3. Bei Zug mit Querbiegung (H = 0) versteift das System, der Stab wird ge” ummungen aus Querlast verringern. Die rade“ gezogen, sodass sich die Verkr¨ Theorie I. Ordnung ist hierf¨ ur eine gute N¨aherung. 4. Bei Druck mit Querbiegung (H = 0) wachsen die Biegeverformungen bereits unterhalb der Knicklast u orende ¨berproportional an, sodass der hierzu geh¨ Spannungszustand direkt f¨ ur den Sicherheitsnachweis ber¨ ucksichtigt werden kann. Das Knicken des Stabes ist hier implizit erfasst. Die Theorie II. Ordnung beschreibt das Trag- und Verformungsverhalten von Rahmentragwerken realit¨atsnah und kann den Knicksicherheitsnachweis ersetzen, wenn die Biegeverformung aus Einwirkung der Knickfigur aus Stabknickung entspricht.

20.1 Einf¨ uhrung in die Theorie II. Ordnung

293

20.1 Einf¨ uhrung in die Theorie II. Ordnung Wenn die Verformungen im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigt werden sollen, unterscheidet man je nach Gr¨oße der Verformungen unterschiedlich genaue Theorien. F¨ ur die Anwendung der unterschiedlichen Tragwerkstheorien ist es ganz wesentlich, die Grenzen der Modelle zu kennen, da die Tragwerksanalyse sonst zu v¨ ollig falschen Ergebnissen gelangen kann.

Theorie I. Ordnung Die Grundgleichungen d¨ urfen am unverformten System aufgestellt werden, wenn der Einfluss der Systemverformungen auf den Trag– und Verformungszustand vernachl¨assigbar ist. Dies bedeutet f¨ ur nebenstehendes System, dass sich das Kragarmende horizontal verschiebt und das Versatzmoment aus L¨angskraft P und Verschiebung w0 keinen Einfluss auf die Momentenlinie M hat. Damit gilt nach Theorie I. Ordnung Mu = H · und N = P .

l

u l

Geometrisch nichtlineare Theorie Wenn die Verformungen des Tragwerks groß sind, m¨ ussen alle Grundgleichungen am verformten System aufgestellt und gel¨ost werden, was jedoch nur f¨ ur Einzelf¨alle gelingt. Dies bedeutet f¨ ur die Gleichgewichtsbedingungen, dass die Versatzmomente infolge w0 und Δ in der Gr¨oßenordnung der Momente nach Theorie I. Ordnung liegen k¨onnen und nicht vernachl¨ assigbar sind. Die Ber¨ ucksichtigung beliebiger Verformungen in den Grundgleichungen f¨ uhrt auf sehr komplexe Zusammenh¨ange zwischen allen Zustandsgr¨oßen: ε = f (u , w . . . ), κ = f (u , w , w ,. . . ), Δ = f (ε, κ,. . . ), Mu = H · ( − Δ ) + P · w0 , N = f (P, H, w, w ).

l

l

u l

l

294

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

Theorie II. Ordnung F¨ ur baupraktische F¨alle sind die Verformungen zwar endlich, aber so klein, dass nur die wesentlichen Anteile beachtet werden m¨ ussen. Vernachl¨ assigbare Anteile h¨oherer Ordnung sind u. a. die L¨angen¨anderungen aus Normalkr¨ aften und die Absenkungen Δl von Knoten infolge Stabdrehungen sowie die genauen Verkr¨ ummungen aus Durchbiegung. Die einzig wichtigen Anteile sind dann die Versatzmomente aus Normalkr¨aften und Biegeverformungen. Hiermit vereinfachen sich die Gleichgewichtsbedingungen zu Mu = H · l + P · w0 ,

N =P.

Genaue Berechnungen mit aufw¨andigen numerischen Verfahren zeigen, dass bei Stabtragwerken zwei Anteile aus Theorie II. Ordnung in den Gleichgewichtsbedingungen von Bedeutung sind. 1. Die Versatzmomente aus Normalkraft und Biegelinie w(x) ver¨ andern die Trageigenschaften der Einzelst¨abe. 2. Die Schiefstellungen ψ von Tragwerksst¨aben bewirken Versatzmomente ¨ P · ψ · , die eine wesentliche Anderung des globalen Tragverhaltens bewirken k¨onnen. Die Einwirkungen sind von vornherein mit einem Sicherheitsbeiwert γ zu versehen, da das Last-Verschiebungsverhalten nichtlinear ist und das Superpositionsgesetz nicht mehr gilt, siehe Bild 20-1. Wenn die Schnittgr¨ oßen M, Q, N mit den γ–fachen Einwirkungen berechnet sind, darf der Spannungsnachweis entsprechend den Sicherheitskonzepten nach EC–3 [51] bzw. DIN 18800 [46] erfolgen.

Anwendungsbereiche der Theorie II. Ordnung Die Spannungstheorie II. Ordnung kann man f¨ ur die Berechnung von Tragwerken mit großen Zug- oder Druckkr¨aften einsetzen, da sie hier realit¨ atsn¨ ahere Ergebnisse liefert. Dies sind 1. bei Zug:

2. bei Druck:

Genauere Berechnung von stark verformbaren Tragwerken (Seilnetze, H¨angebr¨ ucken). Hier ist im Einzelfall eine noch genauere Theorie erforderlich, wenn sich die Seile stark dehnen k¨onnen. Ersatz des Stabilit¨atsnachweises nach EC–3 bzw. DIN 18800 (Rahmentragwerke mit schlanken St¨ utzen).

Der Stabilit¨atsnachweis darf durch eine Berechnung nach Theorie II. Ordnung ersetzt werden, wenn die Verformungsfigur des Tragwerks die zur niedrigsten

20.1 Einf¨ uhrung in die Theorie II. Ordnung

295

Knicklast geh¨orende Knickfigur enth¨alt. Mit kleiner St¨ orlast Ps oder einer Vorverformung ψo als Imperfektion wird das Verzweigungsproblem zum Spannungsproblem, und die Theorie II. Ordnung f¨ uhrt zum richtigen Ergebnis. Nachfolgender symmetrischer Rahmen ist symmetrisch belastet. Die Last bewirkt eine symmetrische Biegelinie, die dem Verformungszustand nach Theorie I. Ordnung entspricht. Trotz Biegeverformung aus symmetrischer Last liegt hier ein Knickfall vor, da das System mit Erreichen der 1. Knicklast vom symmetrischen Verformungszustand in die erste antisymmetrische Knickfigur umspringt. P

P

P

P q

q

y

Der ungest¨orte symmetrische Verformungszustand bewirkt einen Spannungszustand entsprechend der Theorie I. Ordnung, die das Ausknicken des Systems nicht erfassen kann. Dieser Ansatz f¨ uhrt am symmetrischen System zum falschen Spannungszustand.

y

Mit einer Anfangsschiefstellung ψ0 als Ersatzimperfektion weicht das System auch unterhalb der Knicklast zur Seite aus. Die Theorie II. Ordnung kann so den unsymmetrischen Verformungszustand ψ = ψ0 +ψLast entsprechend der 1. Knickfigur richtig erfassen.

Prinzipielle L¨ osungswege durch Iteration Nichtlineare Aufgabenstellungen m¨ ussen in der Regel iterativ mit wiederholter Linearisierung der Aufgabe gel¨ost werden. Die Iteration beginnt mit dem Ergebnis nach Theorie I. Ordnung: N1 , w1 . In jedem Iterationsschritt wird entweder N oder w aus dem vorangegangenen L¨osungsschritt u ¨ bernommen und sukzessive verbessert.

1. Variante nach dem Kraftgr¨ oßen–Verfahren (KV) Die Biegelinie w wird iterativ ermittelt. Die Konvergenz der Iteration ist langsamer als bei der 2. Variante, da sich die Verschiebungen in der Iteration stark andern. Außerdem ist die Berechnung der Knotenweggr¨ oßen relativ aufw¨ andig. ¨

296

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung P

P

H

w1 w2

Die Knotenweggr¨ oßen werden mit dem PvK und dem Reduktionssatz in jedem Iterationsschritt berechnet, sodass die Versatzmomente Pj · δj im Lastspannungszustand zus¨ atzlich ber¨ ucksichtigt werden k¨ onnen. Die Iteration endet, wenn mit der richtigen Biegelinie Gleichgewicht am verformten System erreicht ist.

2. Variante nach dem Drehwinkel–Verfahren (DV) Die Normalkr¨afte N werden iterativ berechnet, bis mit den richtigen L¨ angskr¨aften Gleichgewicht am verformten System erreicht ist. Die Konvergenz ist schneller als bei der 1. Variante, da sich die Normalkr¨ afte in der Iteration nur wenig ¨ andern und die Biegelinie mit den Knotenverdrehungen und der Stabschiefstellung ψ in y y den Gleichgewichtsbedingungen als Unbekannte direkt ber¨ ucksichtigt ist. Vorteilhaft ist, dass das Drehwinkelverfahren nach Theorie I. Ordnung nur geringf¨ ugig erweitert werden muss. Hier erfolgt die Berechnung nach Theorie II. Ordnung mit dem Drehwinkelverfahren. Die sukzessive Erweiterung auf das Weggr¨ oßenverfahren ist m¨ oglich.

20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung Nachfolgend werden die Anteile aus Verbiegung des Einzelstabes beschrieben, siehe auch Beton–Kalender I (1991) [7]. Die Herleitung gilt f¨ ur schub– und dehnstarre St¨abe, sowie endliche aber kleine Drehungen. Falls diese Bedingungen nicht erf¨ ullt sind, m¨ ussen in der Regel numerische Verfahren eingesetzt werden, die die Aufgabe n¨aherungsweise l¨osen k¨onnen.

20.2.1 Grundgleichungen am verformten Stab ¨ Die Anderung der Grundgleichungen am differentiellen Element ist bei Theorie II. Ordnung auf die Gleichgewichtsbedingungen beschr¨ ankt. Die Grundgleichungen gelten f¨ ur gerade Balken, EI = konst . und N als Druckkraft positiv.

20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung

297

Die Grundgleichungen der Verformungsgeometrie sind wie bei Theorie I. Ordnung definiert, siehe Abschnitt 3.4.2: Drehung : ϕ = w , Verkr¨ ummung

:

κ = ϕ .

Die Werkstoffgleichung gilt ebenfalls wie bei Theorie I. Ordnung nach Hooke

κ = −M/EI.

:

Die Gleichgewichtsbedingungen am verformten System sind entsprechend Bild 20-2 gegeben. Hierbei ist N als Druckkraft positiv angesetzt. ΣM = 0 : ΣV = 0 : ΣH = 0 :

M = Q , Q − (N · ϕ)  = −q(x) , N = 0 . q

x

x

j z,w

Nj

d(Nj)/2

Nj + d(Nj)/2

Bild 20-2 Normalkr¨afte am differentiellen Element bei Theorie II. Ordnung Mit konstanter Normalkraft N und konstantem EI kann man die Grundgleichungen zusammenfassen: EIw + N · w = q(x). Die Gesamtl¨osung w(x) der Differentialgleichung kann f¨ ur gegebene Normalkraft N wie gewohnt analytisch berechnet werden. Ohne explizite Herleitung gilt f¨ ur Druckkr¨afte  w(x) = wp + c1 + c2 · x + c3 · sin λx + c4 · cos λx mit λ = N/EI. Die Geamtl¨osung enth¨alt die Partikularl¨osung wp f¨ ur die rechte Seite und die homogene L¨osung bei verschwindender rechter Seite zur Anpassung der Gesamtl¨ osung an die Randbedingungen des Einzelstabes. Beim Drehwinkelverfahren wird jedoch nicht die Biegelinie ben¨ otigt, sondern oßen. Diese kann man die Stabendmomente Ma ,Mb aus Last und Knotenweggr¨ mit den Grundgleichungen aus der analytischen L¨osung w(x) f¨ ur gegebene Normalkraft berechnen.

298

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

20.2.2 L¨ osungsweg beim Drehwinkelverfahren In der Theorie II. Ordnung besteht zwischen den Einwirkungen und den Zustandsgr¨oßen ein nichtlinearer Zusammenhang. Das Superpositionsgesetz gilt also nicht mehr. Dennoch kann das Drehwinkelverfahren f¨ ur γ–fache Einwirkungen zur Berechnung der Tragwerksverformungen eingesetzt und die Momentenlinie M des Einzelstabes additiv aus M 0 und allen M i · Yi berechnet werden. Dies ist m¨oglich, weil die Normalkraft im Iterationsschritt konstant ist, und weil die Nichtlinearit¨aten infolge N direkt in den Gleichgewichtsbedingungen des Drehwinkelverfahrens ber¨ ucksichtigt werden. Daher m¨ ussen – die Stabendmomente M 0 aus Last und – die Stabendmomente M i aus den Drehwinkeln ϕa ,ϕb sowie ψ = Δw/l nach Theorie II. Ordnung am Einzelstab zur Verf¨ ugung stehen, siehe nachfolgende Abbildung.

Die Stabendmomente infolge Drehwinkel kann man wie folgt ansetzen: EI EI EI ϕa + β ϕb + (α + β) ψ, EI EI EI Mb = Mb0 + β ϕa + α ϕb + (α + β) ψ.

Ma = Ma0 + α

Die Steifigkeitskoeffizienten nehmen in der linearen Theorie I. Ordnung die Werte α = 4,0 und β = 2,0 sowie γ = 3,0 an. In der nichtlinearen Theorie II. Ordnung sind sie abh¨angig von der Stabschlankheit l/i und der Druckkraft N , die in einem dimensionslosen Schlankheitsgrad ε zusammengefasst sind. ε ist definiert zu ε=l·

|N | EI

oder

ε=

l · i

|N | EA

mit dem Tr¨ agheitsradius i =

I . A

Nachfolgend sind die Steifigkeitskoeffizienten α(ε), β(ε), γ(ε) f¨ ur Druckkr¨ afte als Tabelle angegeben, die f¨ ur eine Handrechnung ausreichend genau ist. In der Literatur sind zus¨atzlich auch analytische und graphische Darstellungen angegeben, siehe z. B. [7].

20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung

299

Tabelle 20.1 Steifigkeitskoeffizienten f¨ ur die Stabendmomente [7]

Infolge L¨angsdruckkraft mit ε = 1,20 ver¨andert sich die Momentenlinie aus Knotendrehung ϕa wie im Bild dargestellt. Anschaulich wird der Stab nach unten herausgedr¨ uckt, sodass die Verkr¨ ummung und damit das Stabendmoment am linken Stabende verringert werden und am rechten Stabende zunehmen.

genaue Theorie II. Ordnung

Theorie I. Ordnung

300

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

Aus dem Verlauf der Steifigkeitskoeffizienten in Abh¨ angigkeit von ε kann man folgende Hinweise f¨ ur die Anwendung des Drehwinkelverfahrens ableiten. 1. Bei gedrungenen St¨aben mit ε < 1,2 kann man n¨ aherungsweise α = 4,0 und β = 2,0 ansetzen, da der Fehler bei ε = 1,2 kleiner als 5 % ist. Der Fehler am Gesamtsystem ist in der Regel noch kleiner, wenn Anteile aus Knotenverschiebungen hinzukommen. Dies gilt f¨ ur fast alle Stahlbetonrahmen, zumal die Biegesteifigkeit von Stahlbetonquerschnitten nicht genau erfassbar ist, z. B. im gerissenen Zustand. 2. Bei schlanken St¨aben unter Druck mit ε > 1,2 sind die genauen Steifigkeitskoeffizienten mit kleineren α- und gr¨oßeren β-Werten anzusetzen. Dies betrifft vor allem die in der Regel schlanken Stahlst¨ utzen mit großen Druckkr¨ aften. 3. Bei Zugkr¨aften sind gr¨oßere α-, γ- und kleinere β-Werte vorhanden, da die St¨ abe unter Zug versteifen“. Hier k¨onnen die Werte nach Theorie I. Ordnung ” verwendet werden.

Last- und Einheitsverformungszust¨ ande In der nachfolgenden Tabelle 20.2 sind die Stabendmomente am Einzelstab f¨ ur den Lastverformungszustand angegeben, siehe [7]. Tabelle 20.2 Stabendmomente aus Einwirkungen +

+ a

EJ

b

+ a

EJ

b

b (1+ a )

20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung

301

In Tabelle 20.3 folgen die Stabendmomente am Einzelstab f¨ ur die Einheitsverformungszust¨ande ϕ = 1/EIc und ψ = 1/EIc . Tabelle 20.3 Stabendmomente aus Einheitsverformungen Stabgeometrie

1/EJ c ,

,

1/EJc

1

=l J c /J

1

Die Momentenlinien am Einzelstab sind infolge der Drucknormalkraft nichtlinear, werden aber in der Regel vereinfachend linear dargestellt.

20.2.3 Einfluss von Stabimperfektionen Reale St¨abe sind niemals perfekt und besitzen mehr oder weniger große Imperfektionen, die aus dem Herstellprozess folgen aber in ihrer Gr¨ oße beschr¨ ankt sind. Die Ber¨ ucksichtigunmg beliebiger Imperfektionen in Geometrie und Werkstoff erfolgt in der Berechnung in der Regel mit geometrischen Ersatzimperfektionen w0 (x), die die geometrische Form des Tragwerks bereits im unbelasteten Zustand gedanklich ver¨andern.

302

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

Wenn geometrische Nichtlinearit¨aten nach Theorie II. Ordnung im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigt sind, m¨ ussen auch die Ersatzimperfektionen im Gleichgewicht an gleicher Stelle ber¨ ucksichtigt werden, damit die Theorie konsistent ist. Die Gleichgewichtsbedingungen am verformten System sind entsprechend Bild 20-2 gegeben. Hierbei ist N als Druckkraft positiv angesetzt. Die Ersatzimperfektionen w0 (x) sind entsprechend w(x) zu ber¨ ucksichtigen, sodass ΣM = 0 : ΣV = 0 :

M = Q , Q − (N · (ϕ + w0 ))  = −q(x) .

folgt. w0 ist hier additiv ber¨ ucksichtigt, sodass w(x) von w0 aus z¨ ahlt. Wichtig ist, dass w0 keine Spannungen erzeugt, also weiterhin M = −EI · w gilt. Mit konstanter Normalkraft N , konstantem EI und bekannter Ersatzimperfektion kann man die Gleichgewichtsbedingungen sowie die anderen Grundgleichungen zusammenfassen. Es folgt EIw + N · w = q(x) − N · w0 . Der Term aus Ersatzimperfektion kann jetzt als Ersatzlast q0 = −N · w0 gedeutet werden und wird in der Berechnung wie eine Streckenlast verarbeitet. Bei Annahme einer quadratischen Ersatzimperfektion x x2 w0 = w ˆ0 (4 − 4 2 ) mit der Amplitude w ˆ0 folgt die konstante Ersatzlast zu q0 = N ·

−8 w ˆ0 . 2

Hiermit ist die Bedingung q0 2 /8 = −N w ˆ0 f¨ ur das Versatzmoment implizit erf¨ ullt. Die Ersatzlast ist in ung¨ unstiger Richtung anzusetzen, damit der Einfluss aus Theorie II. Ordnung die aus Einwirkungen vorhandenen Verformungen des Stabes verst¨arkt. Die Ersatzlast ist gemeinsam mit den daraus folgenden Lagerreaktionen anzusetzen, sodass die Ersatzlastgruppe am Einzelstab im Gleichgewicht ist und das Gesamttragwerk keine zus¨ atzlichen Lasten aufnehmen muss, siehe Bild 20-3. q0 w0 N

N q0 l/2

q0 l/2

Bild 20-3 Quadratische Ersatzimperfektion (links) und Ersatzlastgruppe (rechts)

20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung

303

20.2.4 Beispiel 1: Knickstab Am nachfolgend berechneten Knickstab soll gezeigt werden, wie sich die Stabendmomente aus Theorie II. Ornung auf die Momentenlinie auswirken. Die Berechnung erfolgt f¨ ur γ-fache Lasten, da das Superpositionsprinzip nicht gilt. Stabimperfektionen sind hier nicht angesetzt.

1. System und Belastung Das System ist mit einer Streckenlast γ · q = 0,6 kN/m sowie zwei Vertikalkr¨ aften mit γ · P = 300 kN belastet. Die Steifigkeiten und die Geometrie sind in untenstehender Tabelle angegeben. Das System ist 1-fach kinematisch unbestimmt. γP c l

Ic /I 2 = 1,5

m=1

γP b

γq

Ic /I 1 = 1,0

l

a

Stab 1

Stab 2

HEB 200

HEB 180

-

12. 000

8. 000

kN m2

0

0

-

L¨ange

6,0

6,0

m

Ic /I

1,0

1,5

-

l = l · Ic /I

6,0

9,0

m

gesch¨atzte N  ε = l · N/EI

600

300

kN

1,34

1,16

-

Profil EI Imperfektion ψ0

[

]

304

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

2. Stabendmomente Die Abweichungen der α,β,γ-Werte von denen nach Theorie I. Ordnung sind hier ber¨ ucksichtigt, da der Einfluss aus Stabbiegung wesentlich ist (ε > 1,2). Stab 1

Stab 2

[

]

α

3,751

3,819

-

β

2,064

2,048

-

γ

2,615

2,719

-

3. Last- und Einheitsverformungszust¨ ande Die Last- und Einheitsverformungszust¨ande sind nachfolgend f¨ ur die Theorie II. Ordnung aufbereitet. Hierbei sind die genauen Stabendmomente entsprechend der jeweiligen Normalkraft angesetzt. Das Stabendmoment des oberen Stabes im Lastverformungszustand ist entsprechend Tabelle 20.2 Mb2 = −q 2 /2α = −2,88 und die Stabendmomente des Einheitsverformungszustandes aus Tabelle 20.3 Ma1 = β/  = +0,344, Mb1 = α/  = +0,625, Mb2 = γ/  = +0,302.

jb =

1 EIc 0,625

2,88

w⁰

M⁰

0,302 w1

M1 0,344

Lastverformungszustand

Einheitsverformungszustand

4. Gleichgewichtsbedingung Das Momentengleichgewicht ist am Knoten b verletzt. Damit ist anzusetzen: Mb = 0 = Mb0 + Mb1 · Y1 = −2,88 + (0,625 + 0,302) · Y1

20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung

305

5. Au߬ osung des linearen Gleichungssystems 

0,927

       · Y1 + − 2,88 = 0



Y1 = 3,11

6. Ergebnis und Kontrolle ¨ Die Momentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien M = M 0 + Y1 · M 1 . Mit Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens betr¨agt das St¨ utzmoment Mb2 = −2,88 + 0,302 · 3,11 = −1,94 kN m und das Einspannmoment Ma1 = 0,344 · 3,11 = 1,07 kN m. Die Theorie I. Ordnung liefert Mb2 = −1,80 kN m und Ma1 = 0,90 kN m. Nachfolgende Schnittkr¨afte sind mit den Vorzeichen der Baustatik ermittelt. Hierbei kennzeichnen die Indizes den jeweiligen Knoten und Stab.

C

1,94

B

M

1,07

A

a) Querkr¨afte n¨aherungsweise mit Δ M/ Qa = −(1,07 + 1,94)/6,0 = −0,50 kN Qb1 = Qa = −0,50 kN Qb2 = 1,94/6,0 + 0,6 · 6,0/2 = 2,12 kN Qc = 1,94/6,0 − 0,6 · 6,0/2 = −1,48 kN b) Normalkr¨afte aus Gleichgewicht in c und b N1 = 600 kN N2 = 300 kN c) horizontale Lagerkr¨ afte A = Qa = −0,50 kN B = −Qb1 + Qb2 = 2,62 kN C = −Qc = 1,48 kN

Die Summe der Horizontalkr¨afte: A + B + C − q · = 0,00. Die Summe der Momente um Punkt a: C · 2 + B · + Ma − q · 1,5 = 0,01. Bei dem vorliegenden System ist keine weitere Iteration erforderlich, da die am Anfang der Berechnung gesch¨atzten Normalkr¨afte unver¨ andert bleiben.

306

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht Bei Theorie II. Ordnung haben die Anteile aus den Knotenverschiebungen einen sehr viel gr¨oßeren Einfluss auf die Gesamtl¨osung als die Anteile aus den Verkr¨ ummungen der Einzelst¨abe. Dies liegt daran, dass Rahmentragwerke gegen horizontale Lasten relativ nachgiebig sind.

Ersatzkr¨ afte bei Stabschr¨ agstellung Normalkr¨afte auf schr¨ag stehenden St¨aben erzeugen ein die Schr¨ agstellung verst¨arkendes Moment H · Δw, das von der Stabl¨ angskraft H und den Knotenverschiebungen Δw bzw. den Stabdrehwinkeln ψ abh¨ angt, siehe Bild 20-4. Dies f¨ uhrt dazu, dass die in der Festhaltung wirkende Kraft V entsprechend ver¨andert wird. Mit dem Momentengleichgewicht am Einzelstab folgt die Lagerkraft V =

Mo − Mu + H · ψ,

die im Stockwerksgleichgewicht entsprechend ber¨ ucksichtigt werden muss. Das am verformten Stab wirkende Moment H · ψ · kann statisch ¨ aquivalent am unverformten Stab mit dem Kr¨aftepaar H · ψ im Abstand an den Stabenden beschrieben werden. Die Kr¨aftepaare (Ersatzkr¨afte, Abtriebskr¨ afte) sind senkrecht auf alle St¨abe anzusetzen, die einen Stabdrehwinkel ψ aufweisen, wobei die ψ die noch unbekannten Stabdrehwinkel sind. H V=

Dw

H

DM +H·Ψ l

H·Ψ

V

l

Ψ

V=

DM +H·Ψ l H

Ψ

H·Ψ

V H

links: Kr¨afte am verformten System rechts: Kr¨afte statisch ¨aquivalent am unverformten System Bild 20-4 Gleichgewicht am Einzelstab

20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht

307

Die Formulierung des Gleichgewichts mit dem PvV erfordert eine zus¨ atzliche ¨ Uberlegung. Wenn das Gleichgewicht am verformten System erf¨ ullt sein soll, m¨ ussen die virtuellen Verschiebungen auf das verformte System aufgebracht werden. Da die virtuellen Verschiebungen dehnstarr erfolgen, verschiebt sich der obere Knoten horizontal um w ¯ und vertikal um u¯ = w ¯ · ψ, sodass die Vertikalkr¨afte H die Arbeit −H · u ¯ leisten. w

w H u

w

Ψ·l Ψ

u

l Ψ· Ψ

H

Ψ·l·Ψ N

Ψ

Ψ

Ψ

Ψ

Ψ

Ψ Ψ

Ψ

H

H

links: ohne Schiebeh¨ ulse rechts: mit Schiebeh¨ ulse Bild 20-5 Virtuelle Verschiebungen am verformten System Die virtuelle Vertikalverschiebung kann man vermeiden, wenn im Stab eine in Stabrichtung wirkende Schiebeh¨ ulse so angeordnet wird, dass sich die Schnittufer bei einer reinen Horizontalverschiebung gegeneinander verschieben und die Stabkraft N Arbeit leistet. Die virtuelle Schnittuferverschiebung folgt aus der Kinematik zu ( ψ¯ · ) · ψ und damit die virtuellen Arbeiten in der Schiebeh¨ ulse A¯s = −N · ψ · ( ψ¯ · ) . Diese Arbeiten kann man jedoch statisch ¨aquivalent als die Arbeiten des Kr¨ aftepaares N · ψ auf dem virtuellen Weg ψ¯ · am unverformten System deuten, sodass die anschauliche Herleitung nach Bild 20-4 mit dem PvV u ¨ bereinstimmt. Das Konzept der Schiebeh¨ ulse in der virtuellen Verschiebungsfigur ist umfassend im Betonkalender 1976 [7] dargestellt. Bei der Anwendung des PvV setzt man daher die Kr¨ aftepaare N · ψ am unverformten System an und setzt die virtuelle Verschiebung wie bei Theorie I.

308

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

Ordnung ebenfalls am unverformten System an. Hierbei wird die Schiebeh¨ ulse nicht weiter ben¨otigt, siehe Bild 20-6. y

H

N y

w

w

y N y

Bild 20-6 Virtuelle Verschiebungen am unverformten System

Ersatzkr¨ afte bei Systemimperfektionen ψ0 Nach EC-3 bzw. DIN 18 800 sind Vorverformungen ψ0 sowie w0 als Imperfektionen des Systems in St¨aben mit Druckkr¨aften so zu ber¨ ucksichtigen, dass die Spannungstheorie II. Ordnung das Knickproblem ersetzen kann. Die Stabimperfektionen w0 k¨onnen als Ersatzlastgruppe entsprechend Abschnitt 20.2.3 ber¨ ucksichtigt werden. Die Anfangsverdrehungen ψ0 werden im Lastverformungszustand als an den Stabenden wirkende Umlenkkr¨ afte N · ψ0 angesetzt. Mit den Abtriebskr¨ aften aus Stabdrehungen ψ und Vorverformungen ψ0 kann die Berechnung der unbekannten Drehwinkel wie bei Theorie I. Ordnung erfolgen, wenn die Kr¨ aftepaare im Stockwerkgleichgewicht analog zu Bild 20-6 angesetzt werden. Dies bedeutet, dass die Normalkr¨ afte N beim Aufstellen der Arbeitsgleichung im Gleichungssystem f¨ ur die unbekannten Drehwinkel direkt – ohne weitere Nebenrechnung – ber¨ ucksichtigt werden. Auch wenn die Normalkr¨afte zun¨achst noch unbekannt sind, und daher erst iterativ ermittelt werden m¨ ussen, deutet sich hier bereits an, dass nur wenige Iterationsschritte erforderlich sind, da sich die Normalkr¨ afte w¨ ahrend der Iteration in der Regel nur wenig ¨andern. Zur Beschleunigung der Iteration kann man im ersten Iterationsschritt die Normalkr¨afte N unter Einhaltung des vertikalen Gleichgewichts absch¨atzen oder einer Berechnung nach Theorie I. Ordnung entnehmen. Da die Iteration selbstkorrigierend ist, hat dies keinen Einfluss auf das Endergebnis.

20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht

309

20.3.1 Beispiel 2: Hallenrahmen Am Beispiel eines Hallenrahmens wird gezeigt, wie der Einfluss der Stabschiefstellung auf die Gleichgewichtsbedingungen nach Theorie II. Ordnung ber¨ ucksichtigt wird.

1. System und Belastung Das System ist mit einer Horizontallast γ · 0,1P = 20 kN sowie mit Vertikalkr¨aften γ · P = 200 kN belastet. Die Steifigkeiten und die Geometrie sind in untenstehender Tabelle angegeben. Das System ist 1-fach kinematisch unbestimmt. γP

γP

2γP

0,1 γ P 3

3 4

2

1 ψ0

ψ0 6

m=1

1 ψ0 6

Stab 1 / 2

Stab 3

HEB 180

HEB 200

-

EI

8. 000

12. 000

kN m2

Imperfektion Ψ0

1/200

0

-

L¨ange

4,0

6,0

m

Ic /I

1,5

1,0

-

l = l · Ic /I

6,0

6,0

m

200 / 400

0

kN

< 1,2

< 1,2

-

Profil

gesch¨atzte N  ε = l · N/EI

[

]

2. Steifigkeiten und Stabendmomente Die Abweichungen der α, β, γ-Werte von denen nach Theorie I. Ordnung werden hier nicht ber¨ ucksichtigt, da der Einfluss aus Stabbiegung bei ε < 1,2 unwesentlich ist, siehe auch Abschnitt 20.2.

310

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

3. Last- und Einheitsverformungszust¨ ande Der Lastverformungszustand muss die Vorverformungen ber¨ ucksichtigen, da diese unabh¨angig vom tats¨achlichen Spannungszustand sind und den Einzelst¨aben als konstante Schiefstellung zugeordnet werden. Sch¨ atzt man zun¨ achst die Normalkr¨afte in den vertikalen St¨aben aus Knotengleichgewichten, so kann man die Umlenkkr¨afte N · ψ0 infolge der Anfangsschiefstellung der vertikalen St¨abe bereits im ersten Iterationsschritt ber¨ ucksichtigen. Weil alle St¨ abe die gleiche Anfangsschiefstellung haben, wird die Umlenkkraft mit der Summe aller vertikalen Kr¨afte in ung¨ unstiger Richtung angesetzt. ΣN ψ0 = ( 200 + 400 + 200 )ψ0 = 800 ψ0 = 4 kN . 2 γP

γP

γP

0,1γ P N · Ψ₀ = 4,0 Ψ₀

Ψ₀

Ψ₀

4,0 M⁰

w⁰

Im Einheitsverformungszustand k¨onnen die Umlenkkr¨ afte N · ψ abgesch¨ atzt, zusammengefasst und zus¨atzlich zur Momentenlinie ber¨ ucksichtigt werden. Da alle Stabdrehwinkel gleich groß sind, gilt vereinfachend ΣN ψ = ( 200 + 400 + 200 )/ EIc = 800/ 12. 000 = 2/30 = 0,067 kN. Die Stabendmomente infolge Stabdrehung ψ werden hier wie bei Theorie I. Ordnung mit γ = 3,0 berechnet. Ψ1 = 1/EIc

N · Ψ = 0,067

0,067 w

1

0,5

M

1

0,5

3/h’ = 0,5

4. Virtuelle Verschiebungsfigur Die virtuelle Verschiebungsfigur wird entgegengesetzt zur wirklichen Verschiebung mit dem virtuellen Stabdrehwinkel ψ¯ aufgebracht. Da hier das Gleichgewicht am verformten System mit den Umlenkkr¨ aften statisch ¨ aquivalent am unverformten System erf¨ ullt wird, kann die virtuelle Verschiebungsfigur wie

20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht

311

bei Theorie I. Ordnung und ohne Schiebeh¨ ulse angesetzt werden. Die f¨ ur die virtuellen Arbeiten wichtige Horizontalverschiebung des Riegels ist f¨ ur alle Umlenkkr¨afte gleich groß. – 4,0 · Ψ

– Ψ –1 w

5. Gleichgewichtsbedingung Das Stockwerkgleichgewicht wird mit dem PvV formuliert. Hierbei wird die Arbeit der Stabendmomente auf den konjugierten Knickwinkeln ψ¯ wie bisher berechnet. Die Arbeit der Umlenkkr¨afte N ·ψ0 und N ·ψ auf der entsprechenden virtuellen Verschiebung h · ψ¯ = 4,0 · ψ¯ muss zus¨atzlich ber¨ ucksichtigt werden, damit das PvV am unverformten System angesetzt werden kann. Die zus¨ atzlichen Arbeiten infolge N ψ sind bei Druckkr¨aften grunds¨ atzlich negativ, da die Umlenkkr¨afte N ψ und die virtuelle Stabdrehung entgegengesetzt gerichtet sind. Auf der anderen Seite ist die Arbeit der Umlenkkr¨ afte N ψ0 grunds¨ atzlich positiv, da N ψ0 im Lastverformungszustand in ung¨ unstiger Richtung angesetzt wird. (ΣM − ΣN · ψ · h) · ψ¯ + (0,1 · P + ΣN · ψ0 ) · h · ψ¯ = 0 ( 3 · 0,5 Y1 − 0,067 Y1 · 4 ) · ψ¯ + ( 20,0 + 4 ) · 4,0 · ψ¯ = 0 →

Y1 = −77,8 .

An der Gleichgewichtsbedingung kann man die Wirkung der Umlenkkr¨ afte aus Theorie II. Ordnung anschaulich verstehen. Der Koeffizient auf der linken Seite beschreibt die Steifigkeit des Systems, die infolge der Umlenkkr¨ afte bei Druck verringert wird und damit direkt die Schiefstellung ψ · Y1 vergr¨ oßert. Auf der rechten Seite bewirkt die Anfangsschiefstellung ψ0 eine Vergr¨ oßerung der Einwirkungen, sodass die Schiefstellung des Systems in ung¨ unstiger Richtung weiter vergr¨oßert wird. Ganz wesentlich ist, dass die nichtlinearen Terme aus Theorie II. Ordnung direkt in der Gleichgewichtsbedingung ber¨ ucksichtigt sind und keine weitere Nebenrechnung erforderlich ist.

312

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

6. Momentenlinie und Biegelinie Die Einspannmomente am unteren Ende der St¨ utzen sind hier alle gleich: M = 0,5 · Y1 = 0,5 · (−77,8) = −38,9 kN m. Damit sind auch die Querkr¨afte in den St¨ utzen gegeben: Q = ΔM/ = 38,9/4 = 9,5 kN. Die Normalkr¨afte ¨andern sich gegen¨ uber den Anfangssch¨ atzwerten nicht, da die Riegel gelenkig auf den St¨ utzen liegen und damit den vertikalen Lastabtrag bei Schiefstellung nicht beeinflussen. 2,6 cm 0

0

w

M 38,9

38,9

38,9

Die Schiefstellung des Systems aus Einwirkungen betr¨ agt ψ · Y1 = 0,065, und die Horizontalverschiebung des Riegels w = ψ · Y1 · = 0,026 m. Die Ber¨ ucksichtigung der Imperfektion ψ0 bei der Biegelinie ist nicht sinnvoll, da ψ0 lediglich eine geometrische Ersatzimperfektion ist und andere Imperfektionen in Geometrie, Werkstoff und Einwirkungen integral ber¨ ucksichtigt.

20.3.2 Beispiel 3: Rahmen 1. System und Belastung Das System ist mit einer Windlast γ · q = 0,6 kN/m sowie zwei Vertikalkr¨ aften mit γ · P = 600 kN belastet. Die Steifigkeiten und die Geometrie sind in untenstehender Tabelle angegeben. Das System ist 2–fach kinematisch unbestimmt. P

2P 2

c

b 3

1

4

3

m=2

a d q 4

20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht

313

Das System wird nachfolgend unter γ-facher Belastung berechnet, die in der Tabelle in den Normalkr¨aften bereits ber¨ ucksichtigt ist. Die Normalkr¨ afte des ersten Iterationsschrittes werden mit dem Knotengleichgewicht am unverformten Tragwerk abgesch¨atzt. Stab 1

Stab 2

Stab 3

HEB 180

HEB 200

HEB 180

-

EI

8. 000

12. 000

8. 000

kN m2

Imperfektion Ψ0

1/200

0

1/200

-

L¨ange

3,0

4,0

4,0

m

Ic /I

1,50

1,0

1,50

-

l = l · Ic /I

4,50

4,0

6,0

m

gesch¨atzte N  ε = l · N/EI

1200

0

600

kN

< 1,20

< 1,20

< 1,20

-

Profil



[

]

Das Systemtragverhalten nach Theorie II. Ordnung wird im Wesentlichen von den Umlenkkr¨aften bestimmt, die vom jeweiligen Stabdrehwinkel ψ und den Normalkr¨aften abh¨angen. Zu beachten ist, dass die Umlenkkr¨ afte in Stab a − b gr¨oßer sind, wenn Stab a − b k¨ urzer wird, also die Umlenkwirkung mit kleinerer L¨ ange ansteigt.

2. Steifigkeiten Die Abweichungen der α,β,γ-Werte von denen nach Theorie I. Ordnung sind so gering, dass dieser Einfluss aus Stabbiegung bei einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung vernachl¨assigt werden kann (f¨ ur ε < 1,2 siehe Abschnitt 20.2).

3. Last- und Einheitsverformungszust¨ ande Die Last– und Einheitsverformungszust¨ande sind nachfolgend f¨ ur die Theorie II. Ordnung aufbereitet. Im Lastverformungszustand m¨ ussen die Umlenkucksichtigt werden. Die ungewollte Schiefstelkr¨ afte aus Imperfektion ψ0 ber¨ lung ist f¨ ur alle St¨ utzen mit ψ0 = 1/200 vorgegeben, auch wenn dies anschaulich zu Widerspr¨ uchen f¨ uhrt. Mit ungewollter Schr¨ agstellung ψ0 werden die Umlenkkr¨afte mit gesch¨atztem N zu N · ψ0 = 600/200 = 3,0 kN bzw.

314

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

N · ψ0 = 1200/200 = 6,0 kN angesetzt. Die Imperfektion wirkt ung¨ unstig, sodass die Umlenkkr¨afte in Richtung der Horizontallast anzusetzen sind. N · Ψ₀ = 3,0

6,0

0,8

Ψ₀

w⁰

6,0

M⁰

Ψ₀

0,8

3,0

Der erste Einheitsverformungszustand ist die Knotendrehung in Knoten c. Die Stabendmomente werden wie bei Theorie I. Ordnung berechnet. 3/l’ = 0,75 4/l’ = 0,67

w1

M1 2/l’ = 0,33

Der zweite Einheitsverformungszustand ist f¨ ur die Theorie II. Ordnung entscheidend. Bei Stabschr¨agstellung entstehen zus¨atzliche Umlenkkr¨ afte, die von der Gr¨oße des Stabdrehwinkels ψ abh¨angen. Als zus¨ atzliche Kr¨ aftepaare infolge des wirklichen Stabdrehwinkels sind N · ψ · h2 /h1 = 1200/EIc · 4/3 = 0,133 bzw. N · ψ = 600/EIc = 0,05 anzusetzen. N · Ψ · h2/h1 = 0,133

N · Ψ = 0,05 6/l’ = 1,0

Ψ w

Ψ1 = Ψ · h2/h1

2

0,133

2

M

6/l’ = 1,0 0,05

20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht

315

4. Gleichgewichtsbedingungen 1. Das Momentengleichgewicht ist am Knoten c verletzt. Damit gilt Mc0 + Mc1 · Y1 + Mc2 · Y2 Mc = 0 = = − 0,8 + (0,75 + 0,67) · Y1 + 1,0 · Y2 = 0 . 2. Das Kr¨aftegleichgewicht (Stockwerkgleichgewicht) ist am Knotenb verletzt. Damit folgt mit dem PvV: A¯ = 0. 3. Nach Anordnen von zwei zus¨atzlichen Gelenken in c und d kann man die virtuelle Verschiebungsfigur infolge ψ¯ mit geraden St¨aben angeben.

c

b – Ψ · h2/h1

– Ψ a

–2 w d

4. Virtuelle Arbeit wird in Gelenken an den Knoten c und d sowie auf Verschiebungen des Stabes c − d und des Riegels geleistet. 4ψ¯ A¯ = − 0,6 · 4 · − (6,0 + 3,0) · 4 ψ¯ − (0,8 − 0,8) ψ¯ 2 + (0,67 + 0,33) · Y1 · ψ¯ + (1,0 + 1,0 − 0,133 · 4 − 0,05 · 4) · Y2 · ψ¯ = { −40,8 + 1,0 · Y1 + 1,267 · Y2 } ψ¯ = 0 .

5. Aufl¨ osung des linearen Gleichungssystems Die Gleichgewichtsbedingungen werden in Matrizenschreibweise angegeben und gel¨ ost. Der Einfluss aus Theorie II. Ordnung erscheint auf der Hauptdiagonalen unstiger f¨ ur Y2 und in der rechten Seite der zweiten Gleichung, jeweils in ung¨ Richtung wirkend.         1,417 1,0 −0,8 Y1 0 Y1 = −50,02 , + · = −→ Y2 = +71,68 . 1,0 1,267 Y2 −40,8 0

6. Ergebnis und Kontrolle ¨ Die Momentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien M = M 0 + Y1 · M 1 + Y2 · M 2 . Die Momentenordinaten an den Stabenden werden mit den Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens berechnet: Mc2 = − 0,75 · 50,0 = − 37,5 kN m Mc3 = − 0,8 − 0,667 · 50,0 + 1,0 · 71,7 = + 37,5 kN m Md = + 0,8 − 0,333 · 50,0 + 1,0 · 71,7 = + 55,8 kN m

316

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

Die Momentenlinie ist in der Abbildung ohne Vorzeichen auf der Zugseite der St¨ abe angetragen. 37,5

w

M 55,8

Die Biegelinie ist hier nicht exakt berechnet, sondern mit den Stabdrehwinkeln als Sehnenpolygon und den Verkr¨ ummungen aus der Momentenlinie anschaulich entwickelt. Die Schiefstellung von Stab c − d betr¨ agt ψ3 = ψc−d = Y2 /EIc = 71,7/12. 000 = 0,00598 und von Stab a − b ψ1 = ψa−b = Y2 /EIc · 4/3 = 71,7/12. 000 · 4/3 = 0,00797 . Die Horizontalverschiebung des Riegels aus Einwirkungen betr¨ agt δHb = Y2 /EIc · = 0,024 m. Die Imperfektion ist eine Ersatzimperfektion und darf daher nicht mitgerechnet werden. Zudem f¨ uhrt sie f¨ ur die Knoten b und c auf verschiedene Werte. In der Nachlaufrechnung werden die Querkr¨afte wie bei Theorie I. Ordnung und die Normalkr¨afte aus Knotengleichgewicht berechnet. 22,1 9,4

Q 24,5

15

+ 1209 590 +

N

a) Die Querkr¨afte werden n¨ aherungsweise mit Δ M/ ± γq /2 berechnet: Q1 = 0 Q2 = 37,5/4 = 9,4 kN Qc3 = −(55,8 + 37,5)/4 + 0,6 · 4/2 = −22,1 kN Qd3 = −(55,8 + 37,5)/4 − 0,6 · 4/2 = −24,5 kN b) Die verbesserten Normalkr¨ afte der vertikalen St¨abe folgen aus Gleichgewicht in b und c: N1 = 2γP + Q2 = 1209,4 kN N3 = γP − Q2 = 590,6 kN Die Normalkraft N2 im oberen Riegel ist eine Zugkraft, da die Umlenkkr¨ afte in Stab a − b gr¨oßer sind als in Stab c − d.

20.4 Absch¨atzen der Stabsteifigkeiten

317

Da die Normalkr¨afte in den vertikalen St¨aben 1 und 3 im ersten Iterationsschritt mit N1 = 1200 kN und N3 = 600 kN angesetzt waren, betr¨ agt der Fehler des 1. Iterationsschrittes ΔN1 = 9,4 kN und damit weniger als 1 %. Die Berechnung der Normalkr¨afte an den Stabenden von Stab 2 ergibt mit den Eingangswerten f¨ ur N (als Druckkraft positiv) am verformten System: Nc2 = γP · (ψ3 + ψ0 ) + Qc3 = 600 · (0,00598 + 0,005) − 22,1 = −15,5 kN Nb2 = −N1 · (ψ1 + ψ0 ) = −1200 · (0,00797 + 0,005) = −15,6 kN Kleine Abweichungen in den Nachkommastellen sind in Rundungsfehlern begr¨ undet. Die horizontalen Lagerkr¨afte werden am verformten System mit Imperfektion berechnet und sind positiv nach rechts gerichtet. Mit verbesserten Normalkr¨aften folgt

2P

P

b

Q2 N2

Ψ1

Ha = −N1 · (ψ1 + ψ0 ) = −15,7 kN , Hd = −Qd3 −N3 ·(ψ3 +ψ0 ) = +18,0 kN .

c

N2 Q2 Q3

N1 N1

Damit ist das Gleichgewicht am verformten System bis auf einen kleinen Iterationsfehler erf¨ ullt: Ha Ha + Hd − γ q · = −0,10 kN.

N3 N3

Ψ1

Ψ3

Q3 Hd

Dieser Fehler nimmt jedoch bei weiteren Iterationen ab. Ein 2. Iterationsschritt k¨ onnte mit den verbesserten Normalkr¨aften durchgef¨ uhrt werden. Aufgrund der guten Konvergenz des Verfahrens lohnt sich der Aufwand in der Regel nicht.

20.4 Absch¨ atzen der Stabsteifigkeiten Bei Ansatz der Theorie II. Ordnung wird das Gleichgewicht am verformten System erf¨ ullt, sodass eine R¨ uckkopplung des Verformungszustandes in die Gleichgewichtsbedingung erfolgt. Wenn der Verformungszustand von den Stabsteifigkeiten abh¨angt, bestimmen die Stabsteifigkeiten auch den Einfluss der Theorie II. Ordnung auf den Spannungszustand. Will man diesen Effekt begrenzen, so kann man die hierzu erforderlichen Steifigkeiten wie folgt absch¨ atzen. In der Stockwerksgleichgewichtsbedingung steht vereinfachend ¯ ¯ ) Y II + . . . = ψ( MLast + N · · Ψ0 ) , N· ψ( ME V Z − EIc wenn N als Druckkraft positiv eingesetzt wird. Vernachl¨ assigt man die Ein-

318

20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung

heitsverformungszust¨ande der Knotendrehungen auf der sicheren Seite liegend, so kann man den Stabdrehwinkel ψ II = Y II /EIc mit dem Stabdrehwinkel ψ I nach Theorie I. Ordnung wie folgt vergleichen. Die prozentuale Abweichung infolge Theorie II. Ordnung folgt vereinfachend ohne Stabimperfektionen ψ0 zu    ψ II − ψ I MLast M MLast     EV Z ε= − ) · ≈ ( ψI ME V Z − N · /EIc ME V Z MLast  MEV Z  −1 ≈ ME V Z − N · /EIc  N ·   . ≈ EIc · ME V Z − N · Ber¨ ucksichtigt man, dass die Stabendmomente u. a. mit ME V Z = 6/  bzw. EIc · ME V Z = 6 EI/ angesetzt sind, so ist die jeweilige Abweichung ε direkt mit den Stabsteifigkeiten EI sowie den Stabnormalkr¨ aften N korreliert.

FACHWERKMODELLE

21 Fachwerkmodelle

Reale Tragwerke besitzen Ausdehnungen in allen drei Raumrichtungen. Wenn ein oder zwei Tragwerksabmessungen klein sind gegen die verbleibenden Abmessungen, kann man zur Vereinfachung der Berechnung Ersatzmodelle verwenden, bei denen das Trag– und Verformungsverhalten des gesamten Tragwerkkontinuums mit den Weg– und Schnittgr¨oßen einer Referenzfl¨ ache oder –achse beschrieben wird. Das Tragverhalten von Stabtragwerken wird mit der Bernoulli–Hypothese auf die Stabachse reduziert, wenn der Verformungs– und Spannungszustand in Dickenrichtung mit den Variablen der Stabachse beschrieben werden kann.

x

sx (x,y,z)

y

j z,w

z t (x,y,z)

x,u u , w ,j N,M,Q e , k ,g

}

(x)

Ein anderer Weg, das Tragverhalten anschaulich zu beschreiben und zu verstehen, ist mit Hilfe von Fachwerkmodellen m¨oglich. Hierbei werden die Tragwirkungen allein mit Fachwerkst¨aben (Druck und Zug) beschrieben. Dies erlaubt auch eine Trennung unterschiedlicher Werkstoffe in Verbundtragwerken. Die Vorteile von Fachwerkmodellen sind kurz erl¨autert. 1. In Fachwerkmodellen sind nur Druck– und Zugst¨ abe vorhanden. Alle Kraftwirkungen werden nur mit Fachwerkst¨aben beschrieben. 2. Mit Fachwerkmodellen werden alle Kraftwirkungen anschaulich interpretiert. 3. Nach B¨ undelung des Spannungsflusses auf die Fachwerkst¨ abe kann mit einfachen Mitteln kontrolliert werden, ob und wie das Gleichgewicht erf¨ ullt wird. 4. Das Vorgehen kann auf alle Tragwerke des Bauwesens erweitert werden. Hiermit ist auch das Tragverhalten von 3–D–Kontinua und Fl¨ achentragwerken interpretierbar. Wesentlich ist, dass Fachwerkmodelle nicht von vornherein festliegen, sondern dass Sie f¨ ur die jeweils vorhandenen Tragwerke und Kraftwirkungen neu entwickelt werden m¨ ussen. Sie k¨onnen dazu verwendet werden, das Tragverhalten anschaulich zu interpretieren oder Kraftwirkungen gezielt festzulegen, wenn z. B. in Stahlbetonbauteilen die Bewehrungsf¨ uhrung konstruiert wird. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_21

322

21 Fachwerkmodelle

21.1 Fachwerkmodelle f¨ ur Stabtragwerke Die Beschreibung des Tragverhaltens von Dehn– und Biegest¨ aben erfolgt mit den integralen Schnittgr¨oßen M, Q und N . Hierbei wird die Spannungsverteilung im Stabquerschnitt mit den Schnittgr¨oßen der Stabachse integral beschrieben. N

x

s, e

M

dx

F¨ ur Biegung und Normalkraft kann man am differentiellen Element nachfolgendes Fachwerkmodell entwickeln. Anstelle einer einzigen Stabachse mit den Schnittgr¨oßen M und N k¨onnen auch zwei Normalkr¨ afte No und Nu verwendet werden. Sie beschreiben die unterschiedlichen Tragwirkungen in der Druck– und Zugzone. Im Inneren des Biegetr¨agers werden die Normalkr¨ afte gedanklich von zwei Fachwerkst¨aben aufgenommen (nur Modellvorstellung, keine realen St¨ abe). Die Lage der St¨abe kann z. B. in den Schwerpunkten der Druck– und der Zugzone gew¨ahlt werden. No

N o = N/2

h

x Nu

M/h

N u = N/2 + M/h

Das Modell mit zwei Kraftwirkungen No und Nu erscheint komplexer als das differentielle Element der bisherigen Betrachtungsweise, beschreibt aber das Tragverhalten des Tragwerks ebenso gut wie das Balkenmodell mit M und N . Ein Fachwerkmodell f¨ ur Querkraftwirkung kann man wie folgt entwickeln. Zun¨ achst gilt am Element Δx des Balkens Q Δx = ΔM . Das Fachwerkmodell muss also die Wirkung der Querkraft gemeinsam mit dem Momentenzuwuchs beschreiben. Ersetzt man den Biegemomentenanteil durch ein Kr¨ aftepaar, so wirken an den Schnittfl¨achen die Kr¨afte Q, D und Z. Sie m¨ ussen mit Hilfe eines innenliegenden Fachwerks aufgenommen werden. D DM Q

Q

Dx

h

Q

Q

Z Q . Dx = D . h , D =

DM DM , Z = + h h

21.1 Fachwerkmodelle f¨ ur Stabtragwerke

323

Die Querkraft repr¨asentiert die in Dickenrichtung wirkenden Schubspannungen. In einem Fachwerkmodell m¨ ussen daher zun¨achst die Schubspannungen mit Hilfe eines vertikalen Stabes in das Fachwerk eingeleitet werden. Das Gleichgewicht zwischen der Stabkraft aus Querkraftwirkung und der Druck– und Zugkraft aus Momentenwirkung muss mit weiteren Fachwerkst¨ aben sichergestellt werden. Die Anordnung des Fachwerks ist auf verschiedene Arten m¨ oglich. a) Zugdiagonale Es wird angenommen, dass die Schubspannungen von Punkt a bzw. c ausgehend entlang der vertikalen St¨abe integriert werden. In a bzw. c sind die Stabkr¨ afte null, in b bzw. d ist jeweils die gesamte Querkraft im Stab vorhanden. Gleichgewicht ist im Punkt b und d noch verletzt, sodass eine Zugdiagonale bzw. Zugstrebe b − d angeordnet werden muss. Mit den Stabkr¨ aften V, S1 , S2 sind die Gleichgewichtsbedingungen zwischen den inneren Kraftwirkungen und den Schnittgr¨oßen an allen Knoten erf¨ ullt. b

Vmax = Q

(Druck),

Q (Druck), S2 = D = tan α Q Z = (Zug). S1 = cos α sin α

c

a

D

S2

S1 Q

a

d

Vmax

S2

.

S1

Vmax

Q

Z

D

Z

b) Druckdiagonale Es wird angenommen, dass die Schubspannungen von Punkt b bzw. d ausgehend entlang der vertikalen St¨abe integriert werden. In b bzw. d sind die Stabkr¨ afte null, in a bzw. c ist jeweils die gesamte Querkraft im Stab vorhanden. Gleichgewicht ist im Punkt a und c noch verletzt, sodass eine Druckdiagonale bzw. Druckstrebe a − c angeordnet werden muss. Mit den Stabkr¨ aften V, S3 , S4 sind auch hier die Gleichgewichtsbedingungen an allen Knoten erf¨ ullt. c

b

Vmax = Q

(Zug),

Q S4 = Z = (Zug), tan α Q D = (Druck). S3 = cos α sin α

D

S3 Q

a

a

S4 d

Q

Z

D Vmax

S3 Vmax

S4

. Z

324

21 Fachwerkmodelle

¨ Mit der Uberlagerung der Fachwerke f¨ ur Normalkraft, Querkraft und Momententragwirkung k¨onnen die Tragwirkungen innerhalb eines Biegestabes mit Hilfe eines Fachwerkes integral beschrieben werden. F¨ ur Einfeldtr¨ ager unter mittiger Einzellast sind folgende Modelle m¨oglich. a) Bei Fachwerken mit Zugdiagonalen stellen sich ¨ ortlich und global H¨ angetragwerke ein. Dargestellt sind nur die Zugdiagonalen. P

a h

C

b) Bei Fachwerken mit Druckdiagonalen k¨onnen sich ¨ ortlich und global Gew¨ olbetragwirkungen einstellen. Hierdurch kann die Last direkt in die Lager geleitet werden. Dargestellt sind nur die Druckdiagonalen. P

h a C

Zu beachten ist, dass im Fachwerkmodell die im Zuggurt vorhandenen Zugkr¨afte Z u ange der Einzelst¨abe jeweils konstant sind. Dies f¨ uhrt da¨ ber die L¨ zu, dass bei einer Bemessung nach Fachwerkmodellen ein Versatzmaß v der Zugkr¨afte gegen¨ uber der Momentenlinie vorhanden ist und im Einzelfall auch nachgewiesen werden muss. Hierf¨ ur gilt P

v = h · cot α.

M ZM v

21.1 Fachwerkmodelle f¨ ur Stabtragwerke

325

Tragwirkungen in einem Lager Bei gelenkigen Lagern werden gedanklich Einzelkr¨afte in die Unterst¨ utzung geleitet und dort auf den zur Verf¨ ugung stehenden Querschnitt verteilt. Hierbei entsteht bei vertikaler Lagerkraft V eine Sprengwerkwirkung, die bei Einhaltung der Gleichgewichtsbedingungen auch horizontal wirkende Spaltzugkr¨afte Z bewirkt. Diese Kraftwirkung ist grunds¨atzlich bei allen Punktlasten vorhanden und muss im Einzelfall nachgewiesen werden. Horizontale Lagerkr¨afte H werden wie Querkr¨afte weitergeleitet.

V

H

V

H Z

Z

D Z

Abgesetzte Lager Zur Verringerung der Bauh¨ohe und aus ¨asthetischen Gr¨ unden k¨ onnen im Lagerbereich von Biegetr¨agern Querschnittsanteile ausgeklinkt werden, die aufgrund von Fachwerkanalogien nichttragend sind. Wie beim Querkraftmodell k¨ onnen auch hier im Wesentlichen zwei Varianten gew¨ ahlt werden. Wenn das Fachwerkmodell mit Zugdiagonalen verwendet wird, stellt sich der links angegebene Kraftverlauf ein. Gegen¨ uber dem Biegetr¨ager ist der Nullstab am Lager weggelassen.

Z

Wird das Fachwerkmodell mit Druckstreben verwendet, wird die Druckdiagonale aus Querkraftwirkung mit vertikalen Zugst¨aben nach oben aufgeh¨ angt. Die als Folge im oberen Bereich des Balkens angreifende vertikale Zugkraft verursacht hier lokal eine Sprengwerkwirkung, sodass eine weitere horizontale Zugkomponente Z auftritt. Die aus Gleichgewicht erforderlichen Kr¨ afte m¨ ussen bis zum n¨achsten Vertikalstab geleitet werden, wo sie in der Zugzone verankert werden k¨onnen.

326

21 Fachwerkmodelle

Rahmenecken ¨ Der Kr¨aftefluss in Rahmenecken kann mit Uberlagerung der Momenten– sowie Normalkraft– und Querkraftwirkungen interpretiert werden. Auch hier muss das Kr¨aftegleichgewicht in allen Schnittpunkten der Kraftwirkungslinien erf¨ ullt sein. Hierf¨ ur k¨onnen u. a. nachfolgende Fachwerkmodelle entwickelt werden. Bei reiner Biegung m¨ ussen die Druckund die Zugkraft an der Rahmenecke umgeleitet werden. Dies ist aus Gleichgewichtsgr¨ unden nur m¨oglich, wenn Umlenkkr¨afte ber¨ ucksichtigt werden, die in der Rahmenecke diagonal wirken. Bei positivem Moment (oberes Bild) sind dies Zugkr¨afte, bei negativem Moment (unteres Bild) sind dies Druckkr¨afte. Diese Kr¨afte m¨ ussen in der Bemessung nachgewiesen werden, da die Rahmenecken sonst gesch¨adigt werden k¨ onnen. Insbesondere sind bei Betonbauteilen die Zugkr¨afte mit Bewehrungseisen aufzunehmen und bei d¨ unnwandigen Stahlbauteilen die Druckzonen durch zus¨atzliche Aussteifungen gegen Beulen nachzuweisen. Bei Querkraft und Momentenzuwuchs im Riegelanschnitt ist der Kraftfluss der nebenstehenden Gleichgewichtsgruppe in der Rahmenecke zu verfolgen. Hierbei kann sich ein Fachwerk vergleichbar der Querkraftwirkung am Einfeldtr¨ ager ausbilden. Die Normalkraft in der St¨ utze wird hierbei auf zwei Kraftwirkungen aufgeteilt.

D Z Z Z

D

Z D D Z

D

D Q Z

N

21.2 Fachwerkmodelle f¨ ur gedrungene Tragwerke Die Analyse des Tragverhaltens von gedrungenen scheibenartigen Tragwerken ist mit den bisher verwendeten Stabtragwerksmodellen nicht m¨ oglich. Erst bei Anwendung von Fachwerkmodellen kann das Tragverhalten mit einfachen Mitteln untersucht werden.

21.2 Fachwerkmodelle f¨ ur gedrungene Tragwerke

327

Konsolen Konsolen werden z. B. als Lager f¨ ur Einfeldtr¨ager verwendet, die in Rahmentragwerke eingebunden werden sollen. Mit Fachwerkmodellen kann der Kraftfluss zwischen der Last und den Schnittgr¨oßen des Rahmens anschaulich beschrieben werden. Die ¨außere Belastung der Konsole ist z. B. eine vertikal wirkende Einzelkraft. Die inneren Reaktionen aus Rahmentragwirkung sind Normalkr¨afte und Biegemomente in der St¨ utze, die, wie oben gezeigt, durch eine Druck– und eine Zugkraft ersetzt werden k¨onnen. Unabh¨ angig von konstruktiv angeordneten St¨aben sind verschiedene Gleichgewichtsgruppen m¨ oglich.

Konsole mit Zugdiagonale Die auf die Konsole wirkende Einzelkraft P wird u ¨ber die Druckkraft Do im unteren Bereich der Konsole aufgenommen. Zum Gleichgewicht ist eine unter dem Winkel γ schr¨ag wirkende Zugkraft Z1 und eine horizontale Druckkraft D1 erforderlich. Z1 und D1 werden so in das Tragwerk geleitet, dass an jedem Knoten Gleichgewicht erf¨ ullt ist.

P

Z1

g

D1 Z

D0

D

Konsole mit Druckdiagonale In Analogie zum Fachwerkmodell mit Zugdiagonale ist ein Modell mit Druckdiagonale m¨oglich. Hierbei steht die Einzelkraft P direkt im Krafteinleitungsbereich mit einer schr¨agen Druckkraft und einer Zugkraft im Gleichgewicht. Ein anderes Modell ist m¨oglich, wenn die Zugkraft auf die gegen¨ uberliegende Seite der St¨ utze und hier um 90o umgeleitet wird. Die zum Gleichgewicht erforderliche Druckkraft D wird wiederum auf die andere Seite geleitet, sodass auch hier Gleichgewicht m¨oglich ist. Je nach Geometrie ist eine Druck– oder Zugkraft H erforderlich. Dieser Kraftfluss kann vorteilhaft sein, wenn die konstruktive Auslegung des Tragwerks und die Bemessung erfolgen.

P Z Z

D

D

D Z

D

P Z Z

D D H

Z

D

328

21 Fachwerkmodelle

21.3 Lastabtrag ¨ uber St¨ utzlinien Eine andere M¨oglichkeit, Tragwirkungen in 3–D–Kontinua zu beschreiben, ist mithilfe von St¨ utzlinien gegeben. Hierbei wird innerhalb des Tragwerks eine St¨ utzlinientragwirkung entworfen, die die Lasten in die Lager weiterleiten kann. Dies kann die Interpretation des Lastabtrags gegen¨ uber einem Fachwerkmodell weiter vereinfachen.

Balken

q

Die St¨ utzlinie f¨ ur eine Gleichlast ist ein Parabelbogen. Der Bogen kann sich innerhalb eines Biegetr¨agers ausbilden, wenn die horizontale Schubkraft mit Hilfe eines Zugbandes aufgenommen wird. Liegen Einzellasten vor, so besteht die St¨ utzlinie aus Geraden. Auch hier ist ein Zugband f¨ ur das Gleichgewicht erforderlich.

D Z

P

P

D Z

Wandscheiben Wenn Wandscheiben wie Biegetr¨ager gelagert sind, k¨onnen je nach Art der Belastung unterschiedliche Modelle entwickelt werden. Bei einer Streckenlast, die aus einer oben liegenden Deckenplatte resultiert, stellt sich ein Druckgew¨olbe in der Scheibe ein. Die Horizontalkomponente der im Lagerbereich schr¨ ag angreifenden Druckkraft wird mit einem Zugband ins Gleichgewicht gesetzt. Die Vertikalkomponente wird direkt ins Lager geleitet. Greift eine untenliegende Einzelkraft als Zugkraft an, so muss diese innerhalb der Scheibe aufgeh¨angt werden, z. B. mit einer vertikalen Zugkraft. Die Zugkraft wird mit Druckdiagonalen ins Lager geleitet, wo wiederum ein Zugband f¨ ur das Gleichgewicht in horizontaler Richtung sorgt.

q

D

Z

D

Z Z P

D

TRAGLASTVERFAHREN

22 Einf¨ uhrung in das Traglastverfahren

Die Berechnung des Spannungs– und des Verformungszustandes statisch bestimmter und statisch unbestimmter Systeme erfolgt mit dem Ziel alle Grundgleichungen, also die Gleichgewichtbedingungen, die Werkstoffgleichungen und die Gleichungen der Kinematik zu erf¨ ullen. In der Baustatik werden hierf¨ ur das Schnittprinzip, das Prinzip der virtuellen Verschiebungen und das Prinzip der virtuellen Kr¨afte sowie das Kraftgr¨oßenverfahren und das Weggr¨oßenverfahren eingesetzt. F¨ ur die Standsicherheit von Tragwerken besitzt die Gleichgewichtsbedingung jedoch erste Priorit¨ at. Da das Werkstoffverhalten von Baustoffen in der Regel nur mit Mittelwerten oder Fraktilen beschrieben werden kann, sind auch die Verformungsbedingungen nur mit entsprechenden Abweichungen erf¨ ullt. So ist die Rissbildung bei Stahlbetonbauteilen Voraussetzung f¨ ur die Wirkungsweise der Verbundquerschnitte und das Fließen von Baustahl nutzbar bei ungewollten Spannungsspitzen oder sonst vernachl¨assigbaren Nebenspannungen. Bereits bei der Motivation der Schnittgr¨oßenberechnung statisch unbestimmter Systeme nach Abschnitt 13.2.1 wird darauf hingewiesen, dass bei n–fach statisch unbestimmten Systemen n · ∞ viele Momentenlinien m¨ oglich sind, die die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen – jedoch nicht die Verformungsbedingungen. Wenn das Gleichgewicht erste Priorit¨at besitzt, kann man mit Vernachl¨ assigung der Verformungsbedingungen ein v¨ollig neues Konzept f¨ ur den Nachweis der Standsicherheit entwickeln. Dabei werden von den Grundgleichungen nur noch die Gleichgewichtsbedingungen und die Werkstoffgleichungen ben¨ otigt. Weil die Gleichgewichtszust¨ande bei statisch unbestimmten Systemen jedoch nicht eindeutig sind, ben¨otigt man zus¨atzliche Kriterien, um den wirtschaftlichsten Gleichgewichtszustand zu bestimmen. Den Rahmen f¨ ur die Berechnung dieses Gleichgewichtszustandes gibt das nachfolgend beschriebene Traglastverfahren. Das Traglastverfahren ist die konsequente Erweiterung der Elastizit¨ atstheorie, wenn die im Tragwerk inh¨arent vorhandenen Tragreserven aus Duktilit¨ at des Werkstoffs ber¨ ucksichtigt werden. Hiermit sind wirtschaftlichere Tragwerke m¨oglich, da der Nachweis f¨ ur den Grenzzustand der Tragf¨ ahigkeit nach Elastizit¨ atstheorie in der Regel f¨ ur eine einzige Lastfallkombination und an einer einzigen Stelle im Tragwerk gef¨ uhrt wird. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_22

332

22 Einf¨ uhrung in das Traglastverfahren

22.1 Grenzen der Bemessung nach Elastizit¨ atstheorie Die Bemessung nach Elastizit¨atstheorie erfolgt unter den Annahmen, dass die Schnittgr¨oßen nach Elastizit¨atstheorie berechnet sind und die Spannungen an keiner Stelle des Tragwerks die zul¨assigen Spannungen erreichen, die mit den Grenzspannungen des Werkstoffs definiert sind.

Beispiel 1 F¨ ur das in Bild 22-1 dargestellte zweifach statisch unbestimmte System bedeutet dies, dass die Balkenquerschnitte nach den Extremwerten der Momentlinie aus allen Lastf¨allen bemessen werden. Kann man die Lastf¨ alle getrennt Lastfall 1 5 kN/m a

b

c

8m -30,0

4m

M1

-20,0 15,0

Lastfall 2 10 kN/m

-64,0

M2

-32,0

32,0

Lastfall 3 20 kN

-6,0 3,0

M3 17,0

Bild 22-1 Momentenlinien nach Elastizit¨atstheorie ansetzen, so betragen die maßgebenden Momente an der Einspannung Ma = −64,0 kN m, im Feld Ma−b = +32,0 kN m, am mittleren Lager Mb = −32,0 kN m und im rechten Feld Mb−c = +17,0 kN m. Mit Annahme eines konstanten Quer-

22.1 Grenzen der Bemessung nach Elastizit¨atstheorie

333

schnitts im Bereich a − b sind die Momente Ma = −64,0 kN m und Ma−b = +32,0 kN m maßgebend. Wenn Querschnittsabstufungen m¨ oglich sind, kann die Bemessung der Querschnitte feldweise nach den jeweiligen Extremwerten der Momentenlinie erfolgen, was zu Materialeinsparungen f¨ uhrt. In der Regel sind Lastfallkombinationen nachzuweisen. Der ung¨ unstigste Fall ist der Lastfall Volllast nach Bild 22-2. Bei konstantem Balkenquerschnitt betragen die Bemessungsmomente Ma = −91,0 kN m und Ma−b = 45,5 kN m, was ebenfalls sehr unwirtschaftlich w¨are. Beide Felder sind u ¨ ber weite Bereiche der jeweiligen Balken nur marginal ausgenutzt, weil die Extremwerte der Momentenlinien nur an jeweils einer Stelle auftreten. Auch in den maßgebenden Querschnitten ist bei reiner Biegung nur die ¨außerste Faser ausgenutzt, der restliche Querschnitt ist kaum beansprucht. 5 kN/m 10 kN/m 20 kN

-91,0 -58,0

M4 1,0

45,5

Bild 22-2 Lastfall Volllast nach Elastizit¨atstheorie Das Traglastverfahren l¨asst eine wirtschaftlichere Bemessung zu. Ohne die Herleitung des Traglastverfahrens vorweg zu nehmen, ist die Momentenlinie im Grenzzustand der Tragf¨ahigkeit in Bild 22-3 angegeben. Die Bemessungsmomente betragen hier bei Erf¨ ullung aller Gleichgewichtsbedingungen gerade einmal Ma−c = 60,0 kN m. Wird der Querschnitt mit Ma−c = ±60,0 kN m bemessen, sind hiermit auch die anderen Lastf¨alle implizit nachgewiesen. Bei Querschnittsabstufung in Feld b − c ist eine noch wirtschaftlichere Bemesssung m¨oglich, siehe hierzu das Beispiel in Abschnitt 31. -60,0

-60,0

MT 0,0

60,0

Bild 22-3 Lastfall Volllast nach Traglastverfahren

334

22 Einf¨ uhrung in das Traglastverfahren

Beispiel 2 Bild 22-4 zeigt ein Rahmentragwerk mit zwei unterschiedlichen Ausf¨ uhrungsvarianten bez¨ uglich der Steifigkeitsverh¨altnisse in den St¨ utzen. Der Riegel ist in beiden F¨allen gleich dimensioniert. q b

c h

a

d

q = 10 kN/m h = 4,0 m l = 6,0 m I c /IRiegel = 1,0 .. I c /IStutze-1 = 1,0 .. I c /IStutze-2 = 0,25

l

Bild 22-4 Rahmentragwerk mit unterschiedlichen St¨ utzensteifigkeiten Bild 22-5 zeigt die Momentenlinien f¨ ur die beiden F¨ alle. Die St¨ utzen sind im rechten Bild viermal so steif wie im linken Bild. Aufgrund der erh¨ ohten Einspannwirkung des Riegels in die St¨ utzen, vergr¨oßert sich das maßgebende Biegemoment in der Rahmenecke von M = −22,5 kN m auf M = −26,0 kN m. Gleichzeitig verringert sich das Feldmoment von M = 22,5 kN m auf M = 19,0 kN m, was jedoch f¨ ur die Bemessung ohne Bedeutung ist, wenn der Riegel einen konstanten Querschnitt aufweisen soll. F¨ ur die Bemessung bedeutet dies, dass die zul¨assige Last im Verh¨ altnis der Bemessungsmomente mit 22,5 qzul,2 = qzul,1 · 26,0 verringert wird, obwohl die Querschnitte verst¨arkt sind und dabei zus¨ atzliches Material verwendet wird. -22,5

-22,5

-26,0

-26,0 19,0

22,5

M2

M1 11,3

11,3 I c /I

.. Stutze

= 1,0

13,0

13,0 I c /I

.. Stutze

= 0,25

Bild 22-5 Momentenlinie eines Rahmentragwerks nach Elastizit¨atstheorie Auch wenn dieses Beispiel u uhrt es das Bemessungskon¨ berspitzt sein mag, f¨ zept nach Elastizit¨atstheorie an eine Grenze, die andere Wege der Bemessung sinnvoller erscheinen l¨asst.

22.2 Ph¨anomenologie des Werkstoffverhaltens

335

22.2 Ph¨ anomenologie des Werkstoffverhaltens Reale Werkstoffe sind kristallin, amorph oder organisch, nat¨ urlich oder k¨ unstlich. Sie zeigen unabh¨angig von ihrer Mikrostruktur auf der makroskopischen Ebene vergleichbare Ph¨anomene im Verformungsverhalten. die weit u ¨ ber die Elastizit¨at hinausreichen. Makroskopisch ist die Ph¨anomenologie des Verformungsverhaltens von verschiedenen grundlegenden Eigenschaften charakterisiert. Die f¨ ur das Traglastverfahohne Hysterese

mit Hysterese

σ

σ

ε

ε

Bild 22-6 elastisches und elastisch–plastisches Werkstoffverhalten ren wesentlichen Ph¨ anomene sind in Bild 22-6 dargestellt. In Bild 22-6–links ist nichtlinear–elastisches Verhalten skizziert. Be– und Entlastung folgen der gleichen Charakteristik. In Bild 22-6–rechts ist elastisch–plastisches Werkstoffverhalten dargestellt. Bei Belastung u ¨ ber den elastischen Bereich hinaus entstehen bleibende, irreversible Verformungen. Be– und Entlastung folgen nicht mehr der gleichen Charakteristik, sodass eine Hysterese die Folge ist. Die Fl¨ ache innerhalb der Hysterese entspricht der dissipierten Arbeit. In Bild 22-7 sind die rheologischen Modelle f¨ ur das in Bild 22-6 dargestellte Verformungsverhalten angegeben. Die einzelnen Elemente beschreiben die ohne Hysterese

mit Hysterese

Elastizita¨t

Elasto − Plastizita¨t

Bild 22-7 Rheologische Modelle f¨ ur das Werkstoffverhalten Elastizit¨at mit einer Feder und das plastische Verhalten mit einer Rutschkupplung. Die rheologischen Modelle eignen sich dazu, das Verformungsverhalten

336

22 Einf¨ uhrung in das Traglastverfahren

auf grundlegende Eigenschaften zur¨ uckzuf¨ uhren und entsprechende Modellgleichungen zu entwickeln. Generell wird das Werkstoffverhalten, das vom elastischen Verhalten abweicht, als inelastisches Werkstoffverhalten bezeichnet. Das Fließen von Metallen ist dabei ein Sonderfall und wird nach Bild 22-8 vereinfachend als linear–elastisch ideal–plastisch angesetzt. σ σy Elastizitätstheorie

εy

ε

Bild 22-8 linear–elastisch ideal–plastisches Werkstoffverhalten f¨ ur Baustahl Das Verformungsverhalten von spr¨oden, wenig duktilen Werkstoffen l¨ asst sich nicht so stark vereinfachen, insbesondere wenn sie unter Druck und Zug unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. In Bild 22-9 ist links das Verhalten unter Zugbeanspruchung mit einem abrupten Trennriss dargestellt und rechts das Verhalten unter Druckbeanspruchung mit einem Abfall der Kennlinie nach Erreichen der Grenzspannung, was als softening bezeichnet wird. Auch die Grenzspannungen sind in der Regel unterschiedlich, da die Druckfestigkeit erheblich u ¨ber der Zugfestigkeit liegen kann. σ

σ

Softening Trennriss

ε

ε

Bild 22-9 inelastisch–spr¨odes Werkstoffverhalten Zu den spr¨oden Baustoffen z¨ahlen Beton, Kohlenstoff–Fasern, Glas–Fasern, Glas, Keranik und andere mehr, sodass sich diese Baustoffe nicht f¨ ur eine Bemessung nach dem Traglastverfahren eignen. Nachfolgend wird das Traglastverfahren f¨ ur metallische, ausreichend fließf¨ ahige – das heißt duktile – Werkstoffe entwickelt. Das Werkstoffverhalten wird dabei nach Bild 22-8 als linear–elastisch ideal–plastisch angesetzt.

22.3 Elastisch–plastische Verformungen bei Balkenbiegung

337

22.3 Elastisch–plastische Verformungen bei Balkenbiegung Die Berechnung und Bemessung von Tragwerken nach Elastizit¨ atstheorie erfolgt unter der Voraussetzung, dass der Bereich linear–elastischen Materialverhaltens an keiner Stelle des Tragwerks verlassen wird und dass dar¨ uber hinaus an der am h¨ochsten beanspruchten Stelle im Tragwerk ein gew¨ ahltes Sicherheitsmaß der vorhandenen Spannungen σvorh aus Last gegen Erreichen der Fließspannung σy vorhanden ist, siehe Bild 22-8. Die Grenztragf¨ahigkeit nach Elastizit¨atstheorie ist demnach die Belastung, bei der an einer einzigen Stelle im Tragwerk die Fließspannung σy des Werkstoffs erreicht ist. Setzt man die Bernoulli–Hypothese voraus, so sind die Spannungen aus Biegung u ¨ ber die Querschnittsh¨ohe eines Balkens linear verteilt, siehe Bild 22-10. Vergleicht man die Tragf¨ahigkeit des Werkstoffs an jeder Stelle M

σ

Bild 22-10 Biegespannungsverteilung nach Elastizit¨ats–Theorie des Querschnitts mit den bei Biegung tats¨achlich vorhandenen Spannungen, so sind lediglich die Fasern an der Ober– und der Unterseite des Querschnitts ausgenutzt. Der gesamte restliche Querschnitt wird bez¨ uglich der zul¨ assigen Spannung nicht ausgenutzt. Setzt man vereinfachend bilineares elastisch–ideal plastisches Werkstoffverhalten nach Bild 22-8 an, so kann das Fließverm¨ogen des Werkstoffs bei der Ermittlung der aufnehmbaren Momente ber¨ ucksichtigt werden, wenn die Verzerrungen aus Biegung u onnen. ¨ ber die Elastizit¨atsgrenze hinaus gesteigert werden k¨ In diesem Fall ist die Grenztragf¨ahigkeit des Tragwerks als die Belastung definiert, bei der nicht die Spannungen sondern die Schnittgr¨ oßen eine definierte Grenze erreichen. Bei metallischen Baustoffen ist dies m¨oglich, wenn der gesamte Querschnitt als plastifizierbar angesetzt wird. Das aufnehmbare Moment des vollplastifizierten Querschnitts wird als plastisches Moment oder als vollplastisches Moment bezeichnet. Hierbei muss in jeder Faser des Querschnitts das bilineare σ − ε–Diagramm entsprechend Bild 22-8 beachtet werden. F¨ ur reine Biegung entwickeln sich die Spannungs– und die Dehnungsverteilung im Querschnitt entsprechend Bild 22-11. Wesentlich ist, dass der Querschnitt mit Erreichen des plastischen Momentes seine Steifigkeit verliert und f¨ ur Laststeigerungen wie ein Momentengelenk wirkt.

338

22 Einf¨ uhrung in das Traglastverfahren σy

σy

σ M

εo > εy

ε

εo

εy < εu



εu



Bild 22-11 Durchplastifizieren eines Querschnittes nach der Bernoulli–Hypothese Wird die Grenztragf¨ahigkeit eines Tragwerks mit der Querschnittstragf¨ ahigkeit definiert, so ist die Grenzlast erreicht, wenn das plastische Moment an einer einzigen Stelle im Tragwerk erreicht ist.

Beispiel F¨ ur das statisch bestimmte Tragwerk nach Bild 22-12 ist die Tragf¨ ahigkeit des Systems mit dem plastischen Moment Mpl festgelegt, da der Querschnitt bei Erreichen des plastischen Momentes keine weitere Steifigkeit besitzt und damit eine kinematische Kette vorhanden ist. P M l

Mmax =

Pl = Mpl 4

Bild 22-12 Momentenline bei Erreichen des plastischen Momentes Die maximal aufnehmbare Last Pmax betr¨agt in diesem Fall Mmax =

P 4



Pmax = Mpl

4 .

Liegt ein statisch unbestimmtes Tragwerk vor, so kann man weitere Tragf¨ ahigkeitsreserven nutzen, wenn man zul¨asst, dass in verschiedenen Querschnitten des Tragwerks die plastischen Momente erreicht werden, solange das gesamte Tragwerk die vorhandenen Lasten noch aufnehmen kann.

22.4 Grenzlasten nach Eurocode 3 – DIN 18800

339

Bild 22-13 zeigt die Momentenlinie f¨ ur einen einfach statisch unbestimmten Balken nach Elastizit¨atstheorie. Das maximale Moment infolge der mittigen Einzellast P1 tritt an der Einspannung auf, die f¨ ur die Bemessung nach Elastizit¨ atstheorie maßgebend ist. - 3 P1 l 16

P1

P1 l 4

M

5 Pl 32 1

Bild 22-13 Momentenline nach Elastizit¨atstheorie Bei Laststeigerung auf die Last P2 erreicht das Moment an der Einspannstelle das plastische Moment Mpl . Aufgrund der Gleichgewichtsbedingungen erh¨ alt das Moment in der Balkenmitte den Wert 5/6 Mpl , siehe Bild 22-14–links. An -Mpl

P2 l 4

-Mpl

5M 6 pl

P3 l 4

M

Mpl

Bild 22-14 Momentenline bei Laststeigerung der Einspannstelle besitzt der Querschnitt u ¨ber das plastische Moment hinaus keine weitere Tragf¨ahigkeit. Eine weitere Laststeigerung ist jedoch solange m¨oglich, bis auch die Tragf¨ahigkeit in Balkenmitte ersch¨ opft ist. Wenn beide Querschnitte vollplastisch sind und fließen, ist keine weitere Laststeigerung m¨oglich, siehe Bild 22-14–rechts. Die maximal m¨ogliche Last unter Ber¨ ucksichtigung aller Querschnitts– und Systemtragreserven ist die Traglast PT , hier PT = P3 . Mit Erreichen der Traglast wird das System zu einer kinematischen Kette, da ein regul¨ ares Momentengelenk und zwei plastische Gelenke auf einer Geraden liegen.

22.4 Grenzlasten nach Eurocode 3 – DIN 18800 Nachfolgend wird das Traglastverfahren f¨ ur Baustahl entwickelt, da Baustahl ausreichend duktil ist. Das Nachweiskonzept l¨asst sich eingeschr¨ ankt auch f¨ ur Stahlbetontragwerke einsetzen, obwohl das Sicherheitskonzept hierbei Bruchschnittgr¨oßen verwendet.

340

22 Einf¨ uhrung in das Traglastverfahren

Entsprechend den unterschiedlichen Sicherheitsanforderungen lassen sich im Stahlbau drei Grenzlasten definieren, die im Eurocode 3 [51] bzw. DIN 18800 [46] verankert sind. 1. Grenzlast nach Werkstoffversagen: elastisch–elastisch Die gr¨oßte im System auftretende Spannung σmax aus Lasten P ist kleiner oder gleich der zul¨assigen Spannung. Die Berechnung der Zustandsgr¨ oßen und die Bemessung der Querschnitte erfolgen nach Elastitizit¨ atstheorie. - 3 P1 l 16

M

σmax = σy PW

5 Pl 32 1

2. Grenzlast nach Querschnittsversagen: elastisch–plastisch Das gr¨oßte im System auftretende Moment Mmax aus Lasten ist kleiner oder gleich dem zul¨assigen Moment. Die Berechnung der Zustandsgr¨ oßen erfolgt nach Elastizit¨atstheorie, die Bemessung der Querschnitte erfolgt mit dem plastischen Moment Mpl . -Mmax M

Mmax = Mpl PQ ≥ PW

Pl - 1 Mmax + 2 2 4

3. Grenzlast nach Tragwerksversagen: plastisch–plastisch Die vom System unter Ausnutzung aller Reserven maximal tragbare Last ist die Traglast PT . Die vorhandene Last muss kleiner oder gleich der Traglast sein. Die Berechnung der Zustandsgr¨ oßen erfolgt mit dem Traglastverfahren, die Bemessung der Querschnitte erfolgt mit dem plastischen Moment Mpl . -Mpl M Pl M pl = - 1 Mpl + 3 2 4

Pmax = PT =

6M pl l

P3 = PT

Vergleicht man die verschiedenen Nachweiskonzepte, so gilt PT ≥ PQ ≥ PW .

22.4 Grenzlasten nach Eurocode 3 – DIN 18800

341

Aufgrund der sich w¨ ahrend der Laststeigerung ¨andernden Systemeigenschaften ist die Aufgabenstellung nichtlinear. Damit m¨ ussen die von den einschl¨ agigen Normen abh¨angigen Sicherheits– bzw. Teilsicherheitsbeiwerte f¨ ur die Einwirkungen und die Werkstoffeigenschaften von vornherein ber¨ ucksichtigt werden. Wird das Nachweiskonzept der Grenzlast nach Tragwerksversagen gew¨ ahlt, • so f¨ uhrt dies zur h¨ochst m¨oglichen Ausnutzung des Tragwerks • und damit im gesamten Tragwerk zum ausgeglichensten Sicherheitsniveau, das u ¨ berhaupt m¨oglich ist. Ziel des Traglastverfahrens ist die Berechnung der Traglast, um hiermit eine gegen¨ uber den anderen Sicherheitskonzepten wirtschaftlichere Bemessung durchf¨ uhren zu k¨onnen. Hierf¨ ur m¨ ussen folgende Aufgaben gel¨ ost werden. • Bestimmung der Tragf¨ahigkeit der Querschnitte, • Definition der Traglasttheoreme f¨ ur die Identifikation des bei Erreichen der Traglast vorhandenen Gleichgewichtszustandes, • Entwicklung von Berechnungsverfahren f¨ ur die Traglast. In der Regel h¨angt die Lage der plastischen Gelenke von der Lastverteilung im Tragwerke ab, sodass die Traglast jeweils nur f¨ ur eine einzige Lastfallkombination gilt. Damit gilt auch das Superpositionsgesetz nicht mehr, da die plastifizierenden Zonen von der Laststellung abh¨angen und sich außerdem die Systemeigenschaften bei Laststeigerung ¨andern.

23 Tragverhalten der Querschnitte

Das Tragverhalten der Querschnitte wird mit Annahme eines idealisierten σ − ε−Diagramms f¨ ur Baustahl nach Bild 23-1 ermittelt. Im Rahmen des Tragσ σy

arctan EV

E ≈ 30 EV ε 8 ≤ εV ≤ 16 y

arctan E εy

εV

ε

Bild 23-1 Idealisiertes σ − ε−Diagramm f¨ ur Baustahl lastverfahrens wird die Verfestigung mit EV = 0 auf der sicheren Seite liegend vernachl¨assigt, sodass sich der Baustoff linear–elastisch ideal–plastisch verh¨ alt. Dies ist auch sinnvoll, weil εV in der Regel nicht erreicht wird. F¨ ur I–Profile k¨onnen folgende Werte angesetzt werden: S 235 , fy = 235 N/mm2 , εy = 1,1 %o , S 355 , fy = 355 N/mm2 , εy = 1,7 %o , E = 2,1 · 105 N/mm2 . Hierbei kennzeichnen fy bzw. σy die Fließgrenze des Werkstoffs und εy die zugeh¨orige Verzerrung.

23.1 Momenten–Verkr¨ ummungs–Diagramme Wenn das Querschnittstragverhalten bei reiner Biegung beschrieben wird, tritt an Stelle des σ − ε−Diagramms das M− κ−Diagramm zur Bestimmung der Querschnittssteifigkeiten. Die Biegemomente f¨ ur elastische, teilplastische und vollplastische Querschnittte nach Bild 23-2 k¨onnen dabei aus der Spannungsverteilung im Querschnitt ermittelt werden. Nach Elastizit¨ atstheorie gilt  2   z z dy dz = σo · Wel , Mel = ( σ ) · z dy dz = ( σo ) · z dy dz = σo zo zo © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_23

23.1 Momenten–Verkr¨ ummungs–Diagramme σo

h -e 2 e

h 2 h 2

343

σy

σy

εo > εy

ε

εo



εu

εy < εu



Bild 23-2 Durchplastifizieren eines Querschnitts wobei Wel das elastische Widerstandsmoment ist. F¨ ur einen beliebigen voll durchplastifizierten Querschnitt gilt   Mpl = σy · z dy dz = σy z dy dz = σy · 2S = σy · Wpl , sodass das plastische Widerstandsmoment Wpl = 2 S mit der Summe der statischen Momente oberhalb und unterhalb der Schwerachse gegeben ist. Damit kann Wpl direkt aus jeder Profiltabelle abgelesen werden. W

M

= Mpl wird als Formbeiwert α des Querschnitts bezeichnet. Der Quotient Wpl el el F¨ ur symmetrische Querschnitte ist der Formbeiwert α in Bild 23-3 angegeben. Je mehr Fl¨ache in der N¨ahe des Schwerpunktes vorhanden ist, desdo gr¨ oßer ist der Formbeiwert α, da die innen liegenden Querschnittsteile erst beim Durchplastifizieren vollst¨andig aktiviert werden. F¨ ur andere Querschnittsgeometrien kann man entsprechend verfahren.

α

1,50

1,70

1,27 - 1,40

1,00

1,14

1,67

Bild 23-3 Formbeiwert α f¨ ur symmetrische Querschnitte F¨ ur Rechteckquerschnitte betr¨agt das elastische Widerstandsmoment Wel = bh2 /6. Das plastische Moment kann entsprechend Bild 23-4 mit den Kr¨ aften in der Zug– und Druckzone zu Mpl =

h h b h2 (σy b) = σy , 2 2 4

344

23 Tragverhalten der Querschnitte

berechnet werden, sodass das vollplastische Widerstandsmoment f¨ ur Rechteckquerschnitte mit Wpl =

b h2 = 1,50 · Wel 4

gegeben ist. σy

h 2

h Resultierende: σy • b •

b

h 2

Bild 23-4 Vollplastischer Rechteckquerschnitt ¨ F¨ ur den Ubergangsbereich zwischen elastischem Grenzmoment Mel und vollplastischem Grenzmoment Mpl gilt Mel = σy · Wel


0 )

Wenn alle vier Bedingungen erf¨ ullt sind, ist die Traglast gefunden.

Eindeutigkeitssatz nach Horne [19] Ist ein Zustand gefunden, der alle vier Bedingungen erf¨ ullt, so ist dies in der Theorie I. Ordnung der zur Traglast geh¨ orende einzig m¨ ogliche plastische Grenzzustand. Die zugeh¨orige Last ist die Traglast.

24.2 Einschrankungss¨atze

351

24.2.2 Statischer Satz – untere Schranke Solange noch keine kinematische Kette vorliegt, ist immer ein statisch zul¨ assiger Gleichgewichtszustand m¨oglich, der mit den entsprechenden Sicherheitskonzepten nachgewiesen werden kann. Dieser Zustand kann vollst¨ andig elastisch erreicht sein oder bereits plastische Gelenke aufweisen. Die zu einem statisch zul¨assigen Gleichgewichtszustand geh¨orige Last wird nach Greenberg und Prager [13] als Pstat bezeichnet. Wegen Pstat ≤ PT muss das Tragwerk nur zwei Bedingungen erf¨ ullen: B1 B2

Gleichgewicht Werkstoff: | M | ≤ Mpl

Statischer Satz Alle Zust¨ande, die die Bedingungen B1 und B2 erf¨ ullen, sind statisch zul¨assige Spannungszust¨ande. Pstat ist eine untere Schranke der Traglast. Hieraus folgt nach Feinberg [11] die ganz wichtige und fast triviale Eigenschaft statischer Systeme: Durch Hinzuf¨ ugen von Material oder konstruktiver Erh¨ ohung von Einspanngraden kann die Traglast nach dem hier vorgestellten vereinfachenden Verfahren niemals verringert werden. Mehr Material bedeutet in der Regel gr¨oßere plastische Momente und damit ein gr¨ oßeres PT .

24.2.3 Kinematischer Satz – obere Schranke Wenn die aufgebrachte Last gr¨oßer als die Traglast ist, muss eine kinematische Kette vorhanden und entsprechende Dissipationsarbeit geleistet sein. Aufgrund der Gleichgewichtsbedingungen k¨onnen jedoch die Momente gr¨ oßer als Mpl sein. Eine obere Schranke f¨ ur die Traglast erh¨alt man nach Greenberg und Prager [13], wenn die Bedingungen B1 B3 B4

Gleichgewicht kinematischer Mechanismus liegt vor Dissipationsarbeit positiv ( D > 0 )

eingehalten sind. Die zugeh¨orige Last wird als Pkin bezeichnet PT ≤ Pkin .

352

24 Traglasttheoreme

Kinematischer Satz Alle Zust¨ande, die die Bedingungen B1, B3 und B4 einhalten, sind kinematisch zul¨assige Verschiebungszust¨ande. Die hierzu geh¨ orende Last Pkin ist eine obere Schranke f¨ ur die Traglast. Eine obere Schranke Pkin erh¨alt man in der Regel durch Vorgabe einer kinematischen Kette mit entsprechenden plastischen Momenten. Mit den Gleichgewichtsbedingungen folgt das zur kinematischen Kette geh¨ orende Pkin . Bei der Berechnung der Momentenlinie im restlichen System muss die Bedingung | M | ≤ Mpl nicht eingehalten werden, auch wenn | M | > Mpl physikalisch unm¨ oglich ist. Wenn eine obere Schranke Pkin bekannt ist, kann man eine untere Schranke Pstat berechnen, indem man Last und zugeh¨orige Momentenlinie soweit abmindert, bis das vollplastische Moment an keiner einzigen Stelle im Tragwerk u ¨berschritten ist.

Beispiel Im folgenden Beispiel wird die Bedingung B3 mit der kinematischen Kette im rechten Feld des Durchlauftr¨agers erf¨ ullt. Die entsprechende Last Pkin muss die Gleichgewichtsbedingungen im rechten Feld erf¨ ullen. Mit Pkin kann jetzt auch im linken Feld die Momentenordinate in Feldmitte berechnet werden. Da die Momentenordinate M = 7/4Mpl > Mpl betr¨agt, ist die Bedingung B2 nicht eingehalten, so dass die Last Pkin u ¨ ber der Traglast liegt. P

P

1,25 l

l Mpl Pkin = 4 3 Mpl l 2 Mpl

M = 7 Mpl 4 4 M 7 pl Mpl

4 M 7 pl

Pstat = 4 Pkin 7

Die Abminderung der Last auf den bei Einhaltung von Bedingung B2 zul¨ assigen Wert liefert die zu Pstat zul¨assige Momentenlinie im unteren Bild. Die Traglast

24.3 Zahl der unabh¨angigen kinematischen Ketten

353

kann daher mit Pstat =

6 4 Pkin ≤ PT ≤ Pkin = Mpl 7

eingeschrankt werden.

24.3 Zahl der unabh¨ angigen kinematischen Ketten Die Bedingung B3 besagt, dass f¨ ur Lasten Pkin ≥ PT ein kinematischer Mechanismus bzw. eine kinematische Kette vorliegen muss. Dies bedeutet, dass die Last Pkin nicht mehr getragen werden kann. Als kinematische Kette werden hier immer Mechanismen mit einem einzigen Freiheitsgrad verstanden, die gedanklich nach Laststeigerung erreicht werden. Dies ist dann jeweils eine zwangsl¨aufige kinematische Kette. Bei komplexen Tragwerken und Lastverteilungen sind in der Regel mehrere kinematische Ketten m¨oglich. Welche Kette zur Traglast geh¨ ort, kann nicht von vornherein festgelegt werden. Entscheidend ist, dass alle vier Bedingungen erf¨ ullt und bei Vorgabe einer Kette nachtr¨aglich kontrolliert werden m¨ ussen. Man unterscheidet unabh¨angige Ketten und Ketten, die durch Kombination mehrerer unabh¨angiger Ketten entstehen. Eine kinematische Kette ist unabh¨angig, wenn sie sich nicht durch die anderen kinematischen Ketten darstellen l¨ asst. Die Anzahl der unabh¨angigen kinematischen Ketten k richtet sich nach der Anzahl der m¨oglichen plastischen Gelenke p und nach dem Grad der statischen Unbestimmtheit n und folgt zu k = p − n. Anschaulich bedeutet diese Formel, dass genau n plastische Gelenke erforderlich sind, um ein statisch bestimmtes System zu erhalten. Jeweils ein weiteres plastisches Gelenk f¨ uhrt zu einer kinematischen Kette, sodass die Differenz zur Zahl p der m¨oglichen plastischen Gelenke gerade die Zahl der unabh¨ angigen Ketten angibt. • Plastische Gelenke k¨onnen u ¨ berall dort auftreten, wo Extremwerte der Momentenlinie vorhanden sind. Dies ist an allen Rahmenecken, allen Einspannungen und unter Einzellasten der Fall. Extremwerte bei Gleichlasten werden hier noch nicht betrachtet. • Kinematische Ketten k¨onnen o¨rtlich begrenzt sein oder sich u ¨ ber das gesamte Tragwerk erstrecken. • Wieviele und welche plastischen Gelenke zu einer kinematischen Kette geh¨oren, muss von Fall zu Fall untersucht werden.

354

24 Traglasttheoreme

• Bei der Berechnung der Traglast ist wichtig, dass zun¨ achst alle unabh¨ angigen Ketten dahingehend untersucht werden, ob alle vier Bedingungen erf¨ ullt sind. Wenn die Bedingungen nicht erf¨ ullt sind, m¨ ussen die Ketten miteinander kombiniert werden, um die richtige Kette zu finden.

24.3.1 Lokale Ketten Nicht bei allen Lastanordnungen sind die zul¨assigen lokalen Ketten schnell identifizierbar. Besonders die Bedingung B4 muss kontrolliert werden. Der Durchlauftr¨ager ist einfach statisch unbestimmt und besitzt drei m¨ ogliche plastische Gelenke, sodass k = 3 − 1 = 2 unabh¨ angige kinematische Ketten vorhanden sind. P

P

M

Aufgrund der Momentenlinie sind folgende Ketten m¨ oglich, da sie die Bedingung B4 mit D > 0 erf¨ ullen.

Kette 1

Kette 2

Nicht zul¨assig ist die nachfolgende Kette, obwohl sie zun¨ achst als unabh¨ angige Kette betrachtet werden k¨onnte. Hier widerspricht das in a angenomme plastische Moment der sich infolge Last einstellenden Momentenlinie, die auf der Unterseite Zugspannungen hervorruft. Damit wird die Bedingung D > 0 nicht mehr erf¨ ullt. ..

nicht zulassig a

24.3 Zahl der unabh¨angigen kinematischen Ketten

355

24.3.2 Globale Ketten Bei Rahmen sind in der Regel auch globale Ketten am kinematischen Mechanismus bei Erreichen der Traglast beteiligt. Hierbei ist die genaue Lage der plastischen Gelenke zu beachten, wenn die an den Knoten angrenzenden St¨ abe ein unterschiedliches plastisches Moment besitzen. 2Mpl

P

Mpl

P

Mpl Plastische Gelenke in den Stielen

Mpl

Mpl

Mpl

Mpl Mpl

P

Mpl

P

Mpl Plastische Gelenke im Riegel

2Mpl

2Mpl

2Mpl

2Mpl

24.3.3 Knotenmechanismen Greifen mehr als zwei St¨abe an einem Rahmenknoten an, ist ein Knotenmechanismus m¨oglich, wenn in allen angrenzenden Stabenden plastische Gelenke auftreten. Dieser Mechanismus ist unabh¨angig von Abschnitt 24.3.1 und 24.3.2 und stellt daher ebenso eine unabh¨angige Kette dar. Mpl

P

2M pl

Mpl

2M pl

P

2M pl

Der im Bild dargestellte Rahmen ist sechsfach statisch unbestimmt und besitzt acht m¨ogliche plastische Gelenke. Damit muss es k = 8 − 6 = 2 unabh¨ angige kinematische Ketten geben. Die Stockwerkkette ist sofort identifiziert. Die fehlende zweite Kette ist nur als Knotenmechanismus m¨ oglich, Aufgrund der Zahl der unabh¨angigen Ketten ist der Knotenmechanismus zwingend erforderlich und besitzt die gleiche Bedeutung wie die anderen Ketten.

356

24 Traglasttheoreme

Anschaulich sind Knotenmechanismen m¨oglich, wenn am Knoten ein Einzelmoment angreift, das gr¨oßer ist als die Summe der in den angrenzenden St¨ aben vorhandenen plastischen Momente. In der Regel werden die Knotenmechanismen jedoch f¨ ur die Kombination mehrerer kinematischer Ketten ben¨ otigt, siehe Abschnitt 27.

25 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen

In Abschnitt 23.2 werden die in plastischen Gelenken geleisteten Dissipationsarbeiten beschrieben. F¨ ur das einf¨ uhrende Tragwerk nach Abschnitt 23.1 k¨ onnen die bei Laststeigerung geleisteten Eigenarbeiten und Verschiebungsarbeiten f¨ ur jedes Lastinkrement bestimmt werden. 1. Schritt: P01

a

b

c

A01 =

1 1 P01 w01 + 2 2

2. Schritt:

M01 κ01 dx = 0 . φ12 a

P12

A12 =

w01



1 1 P12 w12 + P01 w12 + 2 2

w12



 M12 κ12 dx +

M01 κ12 dx − (Mpl ϕ12 )|a = 0 .

3. Schritt: P23

φ23 a

φ23 b

w23

Nach dem Einfallen des zweiten plastischen Gelenkes liegt eine kinematische Kette vor, sodass keine weitere Laststeigerung m¨oglich ist und der Arbeitssatz mit P23 = 0 und M23 = 0 nur noch Verschiebungsarbeiten beschreibt: A23 = P02 w23 − (Mpl ϕ23 )|a − (Mpl ϕ23 )|b = 0 . Bei Erreichen von Zustand 3 sind insgesamt die Arbeiten A03 = A01 + A12 + A23 geleistet. Hierbei sind auch die Arbeiten A23 ber¨ ucksichtigt, die vom Tragwerk auf den Verschiebungen der kinematischen Kette w23 , ϕ23 geleistet werden. Da © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_25

358

25 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen

der Arbeitssatz in jedem Lastschritt gilt und auch nach Erreichen aller plastischen Gelenke g¨ ultig ist, verschwinden alle Eigenarbeiten und alle Verschiebungsarbeiten von 0 − 2 in Summe. Es bleibt A23 = P02 w23 − Σ Mpl ϕ23 = 0 .   Aa

D

Deutet man den Verschiebungszustand als einen m¨ oglichen virtuellen Verschiebungszustand einer kinematischen Kette, so gilt ebenso A¯ =  Pw ¯ − Σ Mpl ϕ¯ = 0 .  ¯a A

¯ D

Da sich die kinematischen Bedingungen des urspr¨ unglichen Systems aufgrund der bei Erreichen der Traglast vorhandenen plastischen Gelenke ¨ andern, m¨ ussen die virtuellen Verschiebungen lediglich mit den kinematischen Bedingungen der jeweiligen kinematischen Kette vertr¨aglich und sonst geradlinig sein. Beim Prinzip der virtuellen Verschiebungen werden die Arbeiten eines Gleichgewichtszustandes auf kinematisch zul¨assigen virtuellen Verschiebungen betrachtet, sodass hiermit die Gleichgewichtsbedingungen bei Erreichen der Traglast implizit erf¨ ullt sind. Damit ersetzt das Prinzip der virtuellen Verschiebungen die Bedingung B1 bei Erreichen der Traglast. Sie kann dazu verwendet werden, eine obere Schranke Pkin > PT entsprechend dem kinematischen Satz zu berechnen. Die Arbeitsgleichung kann ausgewertet werden, wenn die Lage der plastischen assige virtuelle VerschiebunMomente Mpl bekannt bzw. vorgegeben ist und zul¨ gen w, ¯ ϕ¯ vorgegeben werden.

Interpretation Wenn der Traglastzustand ein Gleichgewichtszustand ist, m¨ ussen die virtuellen Arbeiten des Traglastzustandes auf beliebigen virtuellen Verschiebungen verschwinden, also auch auf den virtuellen Verschiebungen einer kinematischen Kette. Hiermit wird das Gleichgewicht des wirklichen Systems erf¨ ullt. Die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems sind dagegen nicht erf¨ ullt, da f¨ ur die kinematische Kette plastische Gelenke angesetzt werden. Die Vorteile des Verfahrens sind offenbar: • Die Traglast kann ohne Hochrechnen bestimmt werden, wenn die kinematische Kette bekannt ist. • Es ist keine statisch unbestimmte Berechnung f¨ ur M erforderlich. • Es ist keine Verformungsberechnung erforderlich.

26 Traglast von Durchlauftr¨ agern und Rahmen

Nachfolgend werden die Traglasten f¨ ur ausgew¨ahlte Tragwerke mit dem PvV berechnet oder eingeschrankt. Nach Berechnung der Zahl der unabh¨ angigen kinematischen Ketten wird folgendermaßen vorgegangen: 1. F¨ ur jede Kette werden genau soviele Mpl vorgegeben, bis ein kinematischer Mechanismus mit jeweils einem Freiheitsgrad entsteht. Damit kann die virtuelle Verschiebungsfigur der kinematischen Kette gew¨ ahlt werden. 2. Mit Auswertung der Arbeitsgleichung des PvV erfolgt die Berechnung einer oberen Schranke Pkin der Traglast. 3. Abschließend erfolgt die Kontrolle der Bedingungen B1 − B4. Wenn alle Bedingungen erf¨ ullt sind, ist die Traglast mit PT = Pkin gegeben.

Beispiel 1 Das Tragwerk ist einfach statisch unbestimmt. Extremwerte der Momentenlinie treten an den Stellen b, c auf. Mit k = 2 − 1 ist eine einzige kinematische Kette m¨ oglich. b

a

c

d

l 2

l 2

l

Mpl = 5 kNm l = 3,0 m p =2 n =1

1. Ein kinematischer Mechanismus liegt vor, wenn in b und c die plastischen Momente erreicht sind. Damit kann man die virtuelle Verschiebungsfigur der kinematischen Kette so vorgeben, dass Bedingung B4 ( D > 0 ) erf¨ ullt ist. φc = 1 = 2 l/2 l



1 w

1 φb = 1 + 1 = 4 l/2 l/2 l



1

2. Es folgt die Auswertung der Arbeitsgleichung. Mit 4 2 A¯ = P · w ¯b − Mpl · ϕ¯b − Mpl · ϕ¯c = P · ¯1 − Mpl · ¯ 1 − Mpl · ¯ 1=0 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_26

360

26 Traglast von Durchlauftr¨ agern und Rahmen

folgt die Berechnung der oberen Schranke 6 Mpl = 10 kN . 3. Kontrolle der vier Bedingungen f¨ ur die Traglast: B1 und B3 werden im Verlauf der Berechnung erf¨ ullt. Bedingung B2 wird bei der Berechnung der Momentenlinie kontrolliert, da M im Gleichgewicht sein muss. Mit Pkin =

Pl 1 − Mpl = 7,5 − 2,5 = 5,0 = Mpl 4 2 ist Bedingung B2 erf¨ ullt.

Mpl

M

Mpl

Bedingung B4 ( D > 0 ) kann mit der Momentenlinie und den virtuellen Verschiebungen der kinematischen Kette kontrolliert werden. Da alle Bedingungen erf¨ ullt sind, ist die Traglast PT = Pkin = 10 kN .

Beispiel 2 Das Tragwerk ist einfach statisch unbestimmt und besitzt drei m¨ ogliche Extremwerte in der Momentenlinie an den Stellen b, d, e. l 3 a

b

c

e

d

Mpl 4 l

P

2l 3 Mpl l

f

2Mpl l

l

Mpl = 5 kNm, l = 3,0 m, p = 3, n = 1

Es gibt k = 3 − 1 = 2 unabh¨angige kinematische Ketten mit m¨ oglichen plastischen Gelenken in b, d und e. In d kann nur 1 · Mpl angesetzt werden, da der linke Stab weniger tragf¨ahig ist als der rechte Stab, in b nur 1/4 · Mpl . Damit sind die unabh¨angigen lokalen Ketten b − c − d und d − e − f denkbar. Die Kette b − c − d wird von der Belastung scheinbar nicht aktiviert, sodass die Berechnung zun¨achst f¨ ur die Kette d − e − f erfolgt.

361

26 Traglast von Durchlauftragern und Rahmen ¨

Berechnung von Pkin,1 f¨ ur Kette d−e−f 1. Vorgabe von plastischen Gelenken f¨ ur die Kette d − e − f und Vorgabe der virtuellen Verschiebungen der kinematischen Kette, sodass B4 erf¨ ullt ist. 1• d φd = l 1

e

f

w1

φe = 1 + 1 = 2 • 1 l l l

2. Auswertung der Arbeitsgleichung und Berechnung der oberen Schranke Pkin,1 der ersten Kette. Mit 2 1 A¯ = P · w ¯e − (2Mpl ) · ϕ¯e − Mpl · ϕ¯d = P · ¯1 − (2Mpl ) · ¯ 1 − Mpl · ¯ 1=0 folgt 5 Mpl = 8,33 kN . 3. Die Bedingungen B1, B3 und B4 werden im Verlauf der Berechnung erf¨ ullt. Die Kontrolle der Momentenordinaten entsprechend Bedingung B2 erfolgt mit der Momentenlinie, die mit den Gleichgewichtsbedingungen berechnet wird. Pkin,1 =

Mpl M1 Mpl 2

kin

2Mpl

An der Stelle b ist die Momentenordinate mit Mpl /2 gr¨ oßer als das plastische Moment Mpl /4. Deshalb muss die Momentenlinie so abgemindert werden, dass die Bedingung B2 u ullt ist ¨ berall erf¨ 1 Mpl . 4 Nach der Abminderung der Momentenlinie mit dem Faktor 0,5 folgt Mstat,1 . Mzul,b =

Mpl 2 Mpl 4

M1 Mpl

Jetzt ist die Bedingung B2, aber nicht B3 erf¨ ullt. Damit gilt Pstat,1 = 4,16 kN < PT < 8,33 kN = Pkin,1 .

stat

362

26 Traglast von Durchlauftragern und Rahmen ¨

Berechnung von Pkin,2 f¨ ur Kette b−c−e−f Eine zweite kinematische Kette, bei der P Arbeit leistet, ist mit plastischen Gelenken in b und e m¨oglich. 1. Vorgabe von plastischen Gelenken f¨ ur die Kette b − c − e − f , und Vorgabe der virtuellen Verschiebungen der kinematischen Kette, sodass B4 erf¨ ullt ist. a

φb = 2 • 1 l b

e

d

f

w2

1

c

φe = 2 • 1 l

2. Auswertung der Arbeitsgleichung und Berechnung der oberen Schranke Pkin,2 der zweiten Kette. Mit 2 1 2 1 1 − Mpl · ¯ 1=0 A¯ = P · w ¯e − Mpl · ϕ¯b − (2Mpl ) · ϕ¯e = P · ¯1 − (2Mpl ) · ¯ 4 4 folgt 4,5 Pkin,2 = Mpl = 7,50 kN . 3. Die Bedingungen B1, B3 und B4 werden im Verlauf der Berechnung erf¨ ullt. Md folgt aus linearer Verl¨angerung von Mb−c zu Mpl /2. Mit den Gleichgewichtsbedingungen kann der Stich der Momentenlinie im Bereich d − e − f kontrolliert werden. Mpl 2 M2

Mpl 4

stat

2Mpl

Jetzt ist auch die Bedingung B2 erf¨ ullt. Damit gilt PT = Pkin = 7,50 kN .

3. Kette b−c−d Die Kette b−c−d ist grunds¨atzlich m¨oglich, gibt aber physikalisch keinen Sinn, da die Last P keine Arbeit leistet. Rechnerisch muss Pkin,3 → ∞ streben, damit Mpl erreicht wird.

363

26 Traglast von Durchlauftragern und Rahmen

Beispiel 3 Das Rahmentragwerk ist zweifach statisch unbestimmt und besitzt vier m¨ ogliche plastische Gelenke. Damit sind k = 4 − 2 = 2 unabh¨ angige kinematische Ketten vorhanden. P 1P 4

b

c

d

h

Mpl = 10 kNm h = 4,0 m l = 5,0 m p=4 n=2

e

a l 2

l 2

Berechnung von Pkin,1 f¨ ur die Balkenkette 1. Vorgabe der plastischen Gelenke f¨ ur die erste Kette in b, c und d. Die virtuellen Verschiebungen folgen aus der lokalen Kette b − c − d. 2. Die Auswertung der Arbeitsgleichung f¨ ur Kette b − c − d liefert A¯ = P w ¯c − Mpl ϕ¯b − Mpl ϕ¯c − Mpl ϕ¯d 2 4 2 1 = 0. = P · ¯1 − Mpl ¯1 − Mpl ¯1 − Mpl ¯ Hiermit folgt 8 Mpl = 16 kN . 3. Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit den Gleichgewichtsbedingungen. Hierzu werden die Momente in den plastischen Gelenken so vorgegeben, dass B4 erf¨ ullt ist. Pkin,1 =

φb = 1 l/2

φd = 1 l/2

Mpl

Mpl

1 Mpl w1

φc = 2 •

1 l/2

M1

2Mpl h l

364

26 Traglast von Durchlauftr¨ agern und Rahmen

Da mit der kinematischen Kette die Lage der plastischen Gelenke vorgegeben ist, muss M hier nur an der Stelle a u uft werden. An der Stelle a ist ¨ berpr¨ Bedingung B2 verletzt, sodass Pkin > PT ist. PT kann nun mit Hilfe von Pstat eingeschrankt werden, indem die Last und die Momentenlinie so abgemindert wird, dass B2 u ullt ist. ¨ berall erf¨ Pstat,1 = Pkin,1

Mpl = 4 Mpl /h 2Mpl h/

Jetzt ist die Bedingung B2, aber nicht B3 erf¨ ullt. Damit gilt Pstat,1 = 10 kN < PT < 16 kN = Pkin,1 .

Berechnung von Pkin,2 f¨ ur die Stockwerkkette 1. Vorgabe der plastischen Gelenke in den Rahmenecken. Die virtuellen Verschiebungen folgen jetzt aus einer Stockwerksverschiebung. 2. Die Auswertung der Arbeitsgleichung f¨ ur die Stockwerkkette liefert P A¯ = ·w ¯b − Mpl ϕ¯a − Mpl ϕ¯b − Mpl ϕ¯d 4 P ¯ 1 1 1 1 = 0. = · 1 − Mpl ¯1 − Mpl ¯1 − Mpl ¯ 4 h h h Damit folgt 12 Mpl = 30 kN . h ¨ Da Pkin,2 > Pkin,1 kann P2 nicht PT sein. Zur Ubung erfolgt die Berechnung der Momentenlinie M in 3. Pkin,2 =

3. Nach Vorgabe der plastischen Momente, wobei B4 erf¨ ullt sein muss, erfolgt die Berechnung der Momentenlinie mit den Gleichgewichtsbedingungen. 1 φb = 1 • 1 h

w2

φd = 1 • 1 h

Mpl

Mpl

3Mpl φa = 1 • 1 h

Mpl

l h

M2

365

26 Traglast von Durchlauftragern und Rahmen

Da die Bedingung B2 an der Stelle c verletzt ist, muss Pstat,2 ermittelt und die Momentenlinie abgemindert werden. Pstat,2 = Pkin,2

Mpl = 4 Mpl / 3Mpl /h

Jetzt ist die Bedingung B2, aber nicht B3 erf¨ ullt. Damit gilt Pstat,2 = 8 kN < PT < 30 kN = P2,kin .

Berechnung von Pkin,12 f¨ ur die Kombination beider Ketten Die unabh¨angigen kinematischen Ketten 1 und 2 erf¨ ullen nicht alle Bedingungen an die Traglast, sodass sie die Traglast nur einschranken k¨ onnen. Deshalb muss es eine weitere Kette geben, die eine Kombination der beiden unabh¨ angigen Ketten ist. In nachfolgendem Bild sind die kombinierte Kette und die zugeh¨orige Momentenlinie angegeben. 2φ

0,57Mpl

Mpl



Mpl

w12

M12 φ Mpl

Bild 26-1 Kombination der unabh¨angigen kinematischen Ketten Die Berechnung von Pkin,12 erfolgt v¨ollig analog zu den unabh¨ angigen kinematischen Ketten. 1. Vorgabe der plastischen Gelenke in den Punkten a, c, d. Die virtuellen Verschiebungen folgen jetzt aus Drehung ϕ¯ von Stab a − b. 2. Die Auswertung der Arbeitsgleichung f¨ ur die Kombination von Kette 1 und Kette 2 liefert 1 A¯ = P12 · h ϕ¯ + P12 · ϕ¯ − Mpl |a · ϕ¯ − Mpl |c · 2ϕ¯ − Mpl |d · 2ϕ¯ 4 2 h = ( + ) P12 · ϕ¯ − 5Mpl · ϕ¯ = 0 . 4 2 Damit folgt Pkin,12 =

20 Mpl = 14,3 kN . h + 2

366

26 Traglast von Durchlauftr¨ agern und Rahmen

3. Nach Vorgabe der plastischen Momente, wobei B4 erf¨ ullt sein muss, erfolgt die Berechnung der Momentenlinie entsprechend Bild 26-1 mit den Gleichgewichtsbedingungen. Die noch unbekannte Momentenordinate in der Rahmenecke b folgt mithilfe der Querkraft in Stab a − b 1 P12 − Qd−e 4 1 20 1 Mpl − Mpl = 4 h + 2 h 4h − 2 Mpl . = h(h + 2 )

Qa−b =

Damit folgt die Momentenordinate zu Mb = −Mpl |a + Qa−b · h =

3h − 4 8 Mpl = − Mpl = −0,57 Mpl . h + 2 14

Da jetzt auch Bedingung B2 erf¨ ullt ist, ist Pkin,12 die Traglast: PT = Pkin,12 = 14,3 kN .

27 Kombination mehrerer kinematischer Ketten

Die direkte Berechnung der Traglast erfolgt mit dem PvV, bei dem die virtuelle Verschiebungen so gew¨ahlt werden, dass sie einem Verschiebungsfeld entsprechen, das das Tragwerk nach Erreichen der Traglast erfahren kann. Dies bedeutet, dass alle m¨oglichen kinematischen Mechanismen untersucht werden m¨ ussen. Bisher sind • Balkenketten als lokale kinematische Ketten, • Stockwerkketten als globale kinematische Ketten • sowie Knotenmechanismen als kinematische Mechanismen identifiziert. Knotenmechanismen k¨ onnen auftreten, wenn mehr als zwei St¨abe an einem Tragwerksknoten angeschlossen sind und der jeweilige Knoten ohne weiteren Widerstand verdreht werden kann. Die zugeh¨orige virtuelle Verschiebung besteht aus einer Knotendrehung. Zus¨ atzlich zu den unabh¨angigen Ketten k¨onnen verschiedene Ketten miteinander kombiniert werden, wenn die unabh¨angigen Ketten die Bedingungen f¨ ur die Traglast nicht erf¨ ullen. Die Gesamtzahl der m¨oglichen Ketten folgt aus der Kombinatorik zu  k  k , kges = i i=1

was mit nachfolgendem Beispiel schnell u uft werden kann. ¨ berpr¨

27.1 Systematische Kombination von Ketten Nachfolgendes Rahmentragwerk ist dreifach statisch unbestimmt. Plastische Gelenke sind an den Einspannungen, in den Rahmenecken und unter den Einzellasten m¨oglich. Damit ist die Zahl der unabh¨angigen Ketten k = 6 − 3 = 3.

P=6 n=3

k=3

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_27

368

27 Kombination mehrerer kinematischer Ketten

Aufgrund der Einzellasten in Feldmitte k¨onnen Balkenketten in der linken St¨ utze und im Riegel entstehen. Balkenketten sind in der Regel lokale Ketten. Die Stockwerkkette ist dagegen eine globale Kette, die zum seitlichen Ausweichen des gesamten Systems f¨ uhrt. Riegelkette

Stockwerkkette

Riegelkette

Bei der Bewertung der Ketten sind die plastischen Knickwinkel und die entsprechenden plastischen Momente wichtig. Plastische Momente und Knickwinkel m¨ ussen gleichgerichtet sein, damit die Dissipationsarbeit positiv ist. Die Gesamtzahl der m¨oglichen Ketten folgt mit k = 3 zu       3 3·2 3·2·1 3 3 3 = + + + + = 3+3+1 = 7. kges = 3 2 1 1 1·2 1·2·3 Mit dem Prinzip der virtuellen Verschiebungen und den unabh¨ angigen kinematischen Ketten kann man obere Schranken Pkin bestimmen und nach Abminur die Berechnung der Traglast derung entsprechende untere Schranken Pstat . F¨ m¨ ussen jedoch in der Regel verschiedene Ketten so kombiniert werden, dass die obere Schranke Pkin m¨oglichst klein wird. Aufgrund des Arbeitssatzes ¯ =0 A¯ = A¯a − D ¯ kann nur ¯ kleiner oder A¯a gr¨ oßer wird. D ist das der Fall, wenn entweder D kleiner werden, wenn nach Kombination von kinematischen Ketten plastische Gelenke, die jeweils in den beteiligten unabh¨angigen Ketten vorhanden sind, geschlossen beiben und die entsprechenden Querschnitte elastisch bleiben. F¨ ur den Fall von zwei Ketten bedeutet dies: ¯1 + D ¯2 − D ¯ 1∗ − D ¯ 2∗ } = 0 . A¯ges = {A¯a1 + A¯a2 } − {D Hierbei kennzeichnet ( )∗ die Dissipationsarbeiten, die bei einer Kombination ¯ 2 abgezogen werden. ¯ 1, D beider Ketten nicht vorhanden sind und daher von D Hierbei ist zu beachten, dass die virtuellen Verdrehungen in den beteiligten Ketten unterschiedlich normiert sein k¨onnen, sodass die jeweiligen virtuellen Arbeiten skaliert werden m¨ ussen.

27.1 Systematische Kombination von Ketten

369

Eine systematische Kombination der unabh¨angigen Ketten ist in tabellarischer Form m¨oglich, siehe Tabelle 27.1. A¯a Kette



¯ D 

λPi δ¯i

Pkin

Mpl ϕ¯p

λ=

2

A¯1 A¯2

¯1 D ¯2 D

3

A¯3

¯3 D

1+2

A¯1 + A¯2 A¯1 + A¯3

¯1 + D ¯2 − D ¯∗ − D ¯∗ D 1 2 ¯1 + D ¯3 − D ¯ 1∗ − D ¯ 3∗ D

A¯2 + A¯3 A¯1 + A¯2 + A¯2

¯2 + D ¯3 − D ¯ 2∗ − D ¯ 3∗ D ¯1 + D ¯2 + D ¯3 − D ¯∗ − D ¯∗ − D ¯∗ D

1

1+3 2+3 1+2+3

1

2

¯ D ¯a A

3

Tabelle 27.1 Systematische Kombination von kinematischen Ketten

Satz ¨ uber die kleinste obere Schranke Wenn die Pkin aller m¨oglichen kinematischen Ketten und Kombinationen von Ketten berechnet sind, gibt das kleinste Pkin die Traglast an. Oft ist die maßgebende Kette aus der Anschauung bekannt. Hier reicht es nat¨ urlich zu zeigen, dass Pkin = PT .

27.1.1 Beispiel 1 Das Rahmentragwerk ist einfach statisch unbestimmt und besitzt drei Orte mit m¨oglichen plastischen Gelenken. Damit existieren k = 3 − 1 = 2 unabh¨ angige kinematische Ketten. Aufgrund der Einzellast in Feldmitte existiert eine Balkenkette im Riegel. Außerdem kann das Stockwerk zur Seite ausweichen.

P 0,5P b

c M pl

d

h=4m l =3m

h M pl a l/2

l/2

Kombiniert man die beiden unabh¨angigen Ketten, entsteht eine neue Kette, bei der das plastische Gelenk in der Rahmenecke geschlossen wird. Das Schließen von plastischen Gelenken ist charakteristisch f¨ ur die Kombination von Ketten.

370

27 Kombination mehrerer kinematischer Ketten

Insgesamt sind damit drei kinematische Ketten m¨ oglich. Welche Ketten im Einzelfall als unabh¨angig angesetzt werden, ist willk¨ urlich w¨ ahlbar. In jedem Fall sind entsprechend der Vorschrift nur zwei Ketten unabh¨ angig. kombinierte Kette

Stockwerkkette

Riegelkette

1. Kette Die Riegelkette ist mit den plastischen Momenten in Riegelmitte und Rahmenecke sowie der gelenkigen Lagerung festgelegt. Mit den Gleichgewichtsbedingungen folgt das Einspannmoment Ma , das u ¨ ber dem plastischen Moment liegt, sodass Bedingung B2 verletzt ist. φb = φ 0,5P

P

Mpl Mpl

φc = 2 φ

w1

M1

h Mpl + Mpl • 3 l > Mpl

Mit dem PvV kann jetzt Pkin,1 berechnet werden. A¯ = P · ϕ¯ − Mpl · ϕ − Mpl · 2ϕ 2



Pkin,1 =

6 · Mpl .

2. Kette Die Stockwerkkette entsteht, wenn das Einspannmoment und das Moment in der Rahmenecke Mpl erreichen. Mit den Gleichgewichtsbedingungen folgt das Moment in Riegelmitte, das u ¨ ber dem plastischen Moment liegt, sodass auch hier Bedingung B2 verletzt ist.

27.1 Systematische Kombination von Ketten



371

P

0,5P

Mpl

φ

4l Mpl + Mpl • h 4 > M pl M2

w2

φ

Mpl

Mit dem P vV folgt Pkin,2 . A¯ = 0,5P · h ϕ¯ − Mpl · ϕ¯ − Mpl · ϕ¯



Pkin,2 =

4 · Mpl . h

Kombination 1 + 2 Bei beiden unabh¨angigen Ketten ist Bedingung B2 ( |M |≤Mpl ) verletzt. Daher muss die Kombination beider Ketten f¨ ur die Traglast maßgebend sein. Bei der Kombination der Ketten 1 und 2 bleibt der Querschnitt b elastisch, sodass Mpl nur in den Querschnitten a und c erreicht wird. 0,5P h φ

P 5 M 7 pl wc = φ • l/2

Mpl

φc = 2φ w12

φ

M12

Mpl

¨ Bei der Uberlagerung der virtuellen Arbeiten entsprechend Tabelle 27.1 muss ber¨ ucksichtigt werden, dass die virtuellen Verdrehungen in den plastischen Gelenken der Einzelketten nicht gleich groß sein m¨ ussen. Dies ist im vorliegenden Beipiel mit ϕ¯1 = ϕ¯2 nicht der Fall, sodass die Arbeiten direkt u ¨ bernommen werden k¨onnen. ¯1 + D ¯2 − D ¯ 1∗ − D ¯ 2∗ } A¯kom = {A¯1 + A¯2 } − {D = {P · /2 + 0,5P · h}ϕ¯ − {(Mpl + 2Mpl ) + (Mpl · 2) − Mpl − Mpl }ϕ¯ = 0 .

372

27 Kombination mehrerer kinematischer Ketten

Mit dem Arbeitssatz folgt Pkin und damit die Traglast der kombinierten Kette zu Pkom =

6 3·2 · Mpl = · Mpl = PT . +h 7

In diesem Fall w¨are es einfacher, die Traglast direkt aus der Kette zu berechnen: A¯ = P · ϕ¯ + 0,5P · h ϕ¯ − Mpl · ϕ¯ − Mpl · 2ϕ¯ = 0 2 6 · Mpl = PT Pkom = +h

27.1.2 Beispiel 2 Das im Bild dargestellte f¨ unffach statisch unbestimmte Rahmentragwerk nach [9] besitzt k = 9−5 = 4 unabh¨angige kinematische Ketten, mit denen die Traglast eingeschrankt werden kann. Die systematische Kombination der Ketten zur Verbesserung der Schranken wird mit dem Knotenmechanismus m¨ oglich. 1,5 q

q b

c

ql 4

2Mpl

d f e

g

h k=9-5=4

3Mpl

Mpl

Mpl

2Mpl

a

j

i

l

h h=l

l

1. Unabh¨ angige Ketten Insgesamt sind zwei Riegelketten, eine Stockwerkkette sowie ein Knotenmechanismus m¨oglich. Die Riegelketten im linken und im rechten Riegel sind unabh¨ angig und k¨ onnen getrennt auftreten. Aufgrund der Streckenlast und der unterschiedlichen plastischen Momente in den Rahmenecken liegen die maximalen Feldmomente der Riegel nicht exakt in Feldmitte, was jedoch vernachl¨ assigt werden kann. Die Stockwerkkette ist orthogonal zu den Riegelketten. Der Knotenmechanismus spricht die plastischen Momente in den Stabenden d, e, f an, weist aber keine virtuellen Verschiebungen sondern nur eine virtuelle Knotendrehung auf.

27.1 Systematische Kombination von Ketten

373

Im Bild sind die unabh¨angigen Ketten ohne die jeweils zugeh¨ origen Momentenlinien dargestellt. 1,5 ql /2

ql /2 φ

φ

φ

φ





w2

w1

ql/4

φ

φ

w3

φ

φ

φ

w4

Die Auswertung des Arbeitssatzes und die Berechnung der Pkin ,i erfolgt hier in Tabelle 27.2, da die ¨außeren Arbeiten und die Dissipationsarbeiten vergleichsweise einfach berechnet werden k¨onnen. Kette

A¯a

¯ D

qkin

2

Mpl ϕ¯

Mpl /l2

q ϕ¯ 1

0,25

7

28

2

0,375

11

29,33

3

0,25

7

28

4

0

6

-

Tabelle 27.2 Pkin der unabh¨angigen Ketten Die Berechnung der zu qkin,i geh¨orenden Momentenlinien wird hier nicht gezeigt, da die nach Vorgabe der plastischen Momente verbleibenden Restsysteme teilweise statisch unbestimmt sind, siehe hierzu Abschnitt 27.2. Die Kontrolle der Momentenlinien ergibt, dass alle qkin > qT > qstat .

374

27 Kombination mehrerer kinematischer Ketten

2. Kombination der Ketten 1 + 3 Die Kombination der kinematischen Ketten kann in jedem Fall systematisch erfolgen, was hier auf insgesamt zehn Kombinationen f¨ uhrt. Vereinfachend kann man die Kombinationen ausw¨ahlen, bei denen die ¨außere Arbeit m¨ oglichst groß und die Dissipationsarbeit m¨oglichst klein wird, und die Berechnung von qkin direkt vornehmen. Die Verringerung der Dissipationsarbeit erreicht man durch Schließen entsprechender plastischer Gelenke. Dies ist hier unter anderem der Fall, wenn die Ketten 1 und 3 kombiniert werden.

ql /2

φ

ql /4

φ 2φ

φ

φ

φ

φ

φ

Bild 27-1 Virtuelle Verschiebungen der kinematischen Kette w ¯13 Die Auswertung des Arbeitssatzes liefert qkin,13 nach Schließen des Gelenkes an der Stelle b. ¯∗ + D ¯∗ = 0 A¯13 = A¯1 + A¯3 + D 1 3 = {0,25 q 2 · ϕ¯1 − 7Mpl · ϕ¯1 } + {0,25 q 2 · ϕ¯3 − 7Mpl · ϕ¯3 } +Mpl · ϕ¯1 +Mpl · ϕ¯3 . Da in diesem Fall ϕ ¯1 = ϕ¯3 , folgt qkin,13 = Mpl ·

12 Mpl Mpl = 24 2 < 28 = qkin,1 0,5 2

Die Kontrolle kann mit direkter Auswertung des Arbeitssatzes f¨ ur die kinematische Kette w ¯13 entsprechend BIld 27-1 erfolgen. Mit h = folgt A¯13 = q · ϕ¯ + (q · ϕ¯ ) · 2 − Mpl · ϕ¯ (1 + 2 · 2 + 1 · 2 + 1 + 1 · 2 + 1 · 2) 4 2 4 = (q · ϕ¯ ) · 2 − Mpl · ϕ¯ · 12 . 4 Damit betr¨agt die obere Schranke der Traglast qkin,13 = 24

Mpl . 2

27.1 Systematische Kombination von Ketten

375

3. Kontrolle der M–Linie f¨ ur Kombination 1 + 3 Die Traglast muss alle vier Bedingungen nach Abschnitt 24.2.1 erf¨ ullen. F¨ ur die Kontrolle von Bedingung B2 wird die Momentenlinie infolge qkin,13 ben¨ otigt. In Bild 27-2 ist die auf Mpl normierte Momentenlinie gegeben. die nicht vorgegebenen Momentenordinaten werden mithilfe der Schlusslinie und der Gleichgewichtsbedingungen berechnet. 2

0

2

1 2,08

2

l /2 = x 0

3,01 3

0,472 l = y0

1

M/Mpl

2

Bild 27-2 Auf Mpl normierte Momentenlinie zu qkin,13 Die Bedingungen B1, B3, B4 werden bereits w¨ahrend der Berechnung von qkin,13 erf¨ ullt. Bedingung B2 ist jeweils im Feld der Riegel nicht erf¨ ullt, sodass eine Abminderung von qkin,13 auf qstat,13 erfolgen kann. Mit der unteren Schranke qstat,13 der Traglast qstat =

2,0 Mpl · qkin = 23,1 2 2,08

kann eine statisch zul¨assige Momentenlinie berechnet und die Traglast eingeschrankt werden qstat,13 = 23,1

Mpl Mpl < qT < 24 2 = qkin,13 . 2

Bei der geringen Abweichung der oberen und unteren Schranke ist keine weitere Einschrankung der Traglast erforderlich, sodass auf die Untersuchung der verbleibenden neun Kombinationen verzichtet werden kann.

376

27 Kombination mehrerer kinematischer Ketten

27.2 Vorgehen bei statisch unbestimmten Restsystemen Wenn die Zahl der plastischen Gelenke bei Erreichen der Traglast kleiner ist als der Grad der statischen Unbestimmtheit des Tragwerks, bleibt ein statisch unbestimmtes Restsystem. Das Rahmentragwerk nach Abschnitt 27.1.2 ist f¨ unffach statisch unbestimmt und besitzt neun Orte m¨ oglicher plastischer Gelenke. Damit sind k = 9 − 5 = 4 unabh¨angige kinematische Ketten vorhanden. In Bild 27-3 sind die Riegelkette w ¯1 sowie die dazu geh¨orige Momentenlinie gegeben. ql /2 φ

φ

Mpl

2Mpl 2Mpl



M?

w1

Bild 27-3 Momentenlinie der Riegelkette w ¯1 Aufgrund der plastischen Momente ist die Momentenlinie nur im Riegel festgelegt. Die Momentenlinie im u ¨brigen Tragwerk kann mit den Gleichgewichtsbedingungen nicht eindeutig berechnet werden, da das Restsystem statisch unbestimmt ist. Der Grad der statischen Unbestimmtheit des Tragwerks wird wie bisher berechnet. Hierbei werden die Quer– und Normalkr¨ afte in den plastischen Momenten als unbekannte Zwischenbedingungen z der entsprechenden Scheiben p behandelt. F¨ ur die in Bild 27-3 gegebene Riegelkette folgt mit drei plastischen Momenten und vier Scheiben (St¨ utzen, kinematische Kette, rechter Rahmen) nrest = a + z − 3 · p = 8 + 3 · 2 − 3 · 4 = 3 . Zur Berechnung der Momentenlinie im Restsystem bleiben zwei M¨ oglichkeiten: 1. F¨ ur die Berechnung der Traglast muss entsprechend Bedingung B1 das Gleichgewicht erf¨ ullt sein. Die Verformungsbedingungen m¨ ussen nicht erf¨ ullt sein. Damit k¨onnen genau soviele Momentenordinaten im Restsystem frei gew¨ahlt werden, bis die Momentenlinie im Restsystem mit den Gleichgewichtsbedingungen eindeutig berechnet werden kann. Im vorliegenden Fall k¨onnen damit nrest = 3 Momentenordinaten gew¨ ahlt werden. Mit der im Gleichgewicht befindlichen Momentenlinie erfolgt die Kontrolle von Bedingung B2 mit |M | ≤ Mpl .

27.2 Vorgehen bei statisch unbestimmten Restsystemen

377

2. Wenn die tats¨achliche Momentenlinie gesucht ist, die auch die Verformungsbedingungen erf¨ ullt, muss das statisch unbestimmte Restsystem mit den bekannten Verfahren der Baustatik berechnet werden (KV, DV). In Bild 27-4 ist eine m¨ogliche Momentenlinie gegeben, die im Gleichgewicht ist. Hierbei sind die Momentenordinaten an den Stellen a, h, i zu Mpl bzw. 2Mpl gew¨ahlt. Mit qkin,1 = 28 ·Mpl / 2 werden die fehlenden Momentenordinaten mit den drei Gleichgewichtsbedingungen berechnet. Die zul¨ assigen Momente sind hiermit in e und g verletzt, sodass qkin,3 lediglich obere Schranke der Traglast ist. 2Mpl

1,5 q

Mpl e

ql /4

g

Mpl 2Mpl

q kin,1 = 28Mpl / l 2

a

2Mpl

3Mpl

h

i

Mkin

4,75Mpl 2Mpl

Bild 27-4 Momentenlinie der Riegelkette mit statisch unbestimmtem Restsystem

28 Traglastverfahren mit M–N–Q–Interaktion

Bei Rahmentragwerken sind in der Regel zus¨atzlich zu M auch große L¨ angskr¨afte N vorhanden, die die Momententragf¨ahigkeit Mpl der Querschnitte stark beeinflussen. Der Einfluss der in u afte ¨ blichen Tragwerken vorhandenen Querkr¨ Q auf Mpl ist dagegen vergleichsweise gering, f¨ uhrt aber ebenfalls zu einer Abminderung der plastischen Momente Mpl .

28.1 M–N–Interaktion: Querschnittstragf¨ ahigkeit Bei gleichzeitigem Auftreten von M und N folgt bei Annahme des Ebenbleibens der Querschnitte eine lineare Dehnungsverteilung in Dickenrichtung der St¨ abe und hiermit die Spannungsverteilung entsprechend der Werkstoffkennlinie. In Bild 28-1 ist die Entwicklung der Spannungsverteilung bei linearer Dehnungsverteilung dargestellt. elastisch

plastisch

ε

M

-∞

h N

-σy ε

b

σy

+∞

σy

Bild 28-1 Dehnungs– und Spannungsverteilung im Querschnitt bei N und M ¨ Wenn das Verh¨altnis M/N beim Ubergang vom elastischen zum plastischen Grenzzustand konstant bleibt, ¨andert sich die Lage der Dehnungsnulllinie, da sich die Steifigkeiten im Querschnitt beim Durchplastifizieren ver¨ andern. Der Einfluss auf das Gesamttragverhalten des Tragwerks ist jedoch vernachl¨ assigbar. Im vollplastischen Zustand kann man die Spannungen der Normalkraft und dem Biegemoment nach Bild 28-2 zuordnen. Hierbei werden die außen liegenden Bereiche dem Biegemoment zugewiesen, da nur mit den Druck– und Zugspannungen ein entsprechendes Biegemoment darstellbar ist. Die Normalkraft wird den Spannungen im Bereich der Stabachse zugewiesen. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_28

28.1 M–N–Interaktion: Querschnittstragf¨ahigkeit

379

F¨ ur den voll durchplastifizierten Querschnitt kann man den Zusammenhang zwischen Normalkraft und zugeh¨origem Biegemoment mit einer Fließbedingung angeben.

=

e e

+ e h + 2 4

σ

M

σ

N

Bild 28-2 Aufteilung der Spannungsverteilung in N– und M–Anteile Zun¨ achst folgt entsprechend Bild 28-2 M = b·(

h2 − e2 ) · σy 4

N = b · 2e · σy .

und

Mit den jeweils vollplastischen Schnittgr¨oßen f¨ ur Rechteckquerschnitte Mpl =

bh2 · σy 4

und

Npl = bh · σy

folgt in normierter Darstellung M 2e = 1 − ( )2 Mpl h

und

N 2e . = Npl h

Da die normierten Schnittgr¨oßen nur von 2 e/h abh¨ angen, kann man 2 e/h eleminieren. Dies liefert die Fließbedingung M N 2 +( ) =1 Mpl Npl f¨ ur Rechteckquerschnitte. Wenn andere Querschnitte untersucht werden, wird die Fließbedingung mit einem Formfaktor ρ modifiziert: M N ρ +( ) = 1. Mpl Npl Der Formbeiwert ρ beschreibt die V¨olligkeit des Querschnitts. Je mehr Querschnittsfl¨ache an der Stabachse angeordnet ist, desdo gr¨ oßer ist der Einfluss der Normalkraft ρ=1

ρ=2

ρ>2

Bild 28-3 Formbeiwerte f¨ ur die V¨olligkeit der Querschnitte

380

28 Traglastverfahren mit M–N–Q–Interaktion

Vernachl¨assigt man den Steg des I–Profils, so folgt f¨ ur ρ = 1 ein Zweipunkt– Querschnitt mit folgenden Besonderheiten: M

+

=

N

σ(Mpl )

σ(Npl )

σ(M,N)

σ(M)

σ(N)

- Bei N = 0 fließen beide Gurte (Druck bzw. Zug) - Bei N = 0 fließt nur ein Gurt. Der zweite Gurt ist elastisch. Wenn die Fließbedingung in der oben angef¨ uhrten Form verwendet wird, wird das Querschnittsplastifizieren nach Bild 28-1 vernachl¨ assigt. Es gibt dann nur die Zust¨ande elastisch oder vollplastisch. Die zeichnerische Darstellung der Fließbedingung (28.1) in Bild 28-4 bezeichnet man als Interaktionsdiagramm. M/Mpl 1,0

Stahlbeton unter Vorspannung Rechteckquerschnitt

Grenze zum teilplastischen Zustand bei

- Querschnitt Zweipunktquerschnitt

1,0

N/N pl

Bild 28-4 M–N–Interaktionsdiagramm Das Interaktions–Diagramm gilt f¨ ur symmetrische Stahlprofile spiegelsymmetrisch auch f¨ ur M < 0, N > 0 und M > 0, N < 0. F¨ ur I–Profile kann man das Interaktionsdiagramm nach Bild 28-5 vereinfachen. M/Mpl 1,0

1,1

0,1

1,0 N/Npl

Bild 28-5 Vereinfachendes Interaktions–Diagramm f¨ ur I–Profile

28.2 M–Q–Interaktion

381

28.2 M–Q–Interaktion Wenn bei Biegetragwerken Momente und Querkr¨afte am gleichen Querschnitt vorhanden sind, wird das aufnehmbare Moment Mpl (Q) ebenfalls beeinflusst, wenn L¨angsspannungen und Querschubspannungen zusammenwirken. Analog zur M–N–Fließbedingung kann man im vollplastischen Zustand die ¨ außeren Querschnittsbereiche dem Biegemoment zuordnen und die inneren Bereiche der Querkraft, siehe Bild 28-6. M elastisch Q

τ(Q)

σ(M)

M

e e

vollplastisch

Q

Bild 28-6 Spannungsverteilung im Querschnitt bei Biegemoment und Querkraft Die genauere Herleitung der Fließbedingung erfordert ein tieferes Werkstoffverst¨andnis, da die Biegespannungen und die Querschubspannungen unterschiedliche Richtungen aufweisen und daher das Fließverhalten auf Spannungsebene ber¨ ucksichtigt werden muss. Deshalb wird an dieser Stelle nur die Fließbedingung f¨ ur den volldurchplastifizierten Querschnitt angegeben: Beim Rechteckquerschnitt sind die vollplastischen Schnittgr¨oßen mit Mpl =

bh2 · σy 4

σy Qpl = bh · √ 3

und

gegeben. F¨ ur e < h/4 folgt die Fließbedingung f¨ ur Rechteckquerschnitte in normierter Darstellung zu 0,541

 16 Q 2 M +μ 2( ) ≤1−δ Mpl 3π Qpl

!

< elastisch , = vollplastisch .

Die Beiwerte δ, μ betragen δ = 0, μ = 1 bei Rechteckquerschnitten 0 < δ < 1, μ =  1 bei anderen Querschnitten F¨ ur baupraktisch interessante Querschnitte ist die Fließbedingung nach Eurocode bzw. DIN 18800 Teil 1 zu w¨ahlen.

382

28 Traglastverfahren mit M–N–Q–Interaktion

28.3 M–N–Q–Interaktion Die Fließbedingung f¨ ur gleichzeitiges Auftreten der Schnittgr¨ oßen M, N, Q erfordert eine aufw¨andige Querschnittsanalyse mit Ber¨ ucksichtigung der Fließbedingung f¨ ur die Spannungen σ, τ . F¨ ur I–Profile ist eine vereinfachende Fließbedingung im Eurocode 3 [51] bzw. in DIN 18800 Teil 1 [46] angegeben, wobei dort die Querkraft Q als Vertikalkraft V bezeichnet wird und der Index ( )d den design–Wert der Bemessung kennzeichnet. Die Querschnittsparameter und die vollplastischen Schnittgr¨ oßen sind wie folgt definiert: b t h

y

s z

Npl,d = A · σy Mpl,d = α · Wel · σy = " Wpl · σy

√ Qpl,d = ASteg · τy = " ASteg · σy / 3 ASteg = (h − 2 t) s A = ASteg + 2 t b

Das Interaktions–Diagramm ist vereinfachend aus ebenen Fl¨ achen zusammengesetzt. F¨ ur kleine Normalkraft oder f¨ ur kleine Querkraft sind die Interaktions– Diagramme f¨ ur Beteiligung jeweils zweier Schnittgr¨ oßen erkennbar. Bei maßgeblicher Beteiligung aller Schnittgr¨oßen wird die Interaktionsfl¨ ache linear interpoliert. M/Mpl 1,0

0,72

0 0,1

0,33 1,0 Q/Qpl

0,75 1,0 N/Npl

Bild 28-7 Interaktions–Diagramm f¨ ur gleichzeitiges Wirken von M, Q, N

28.4 Berechnung der Traglast bei M–N–Interaktion

383

Im Einzelnen sind die Teilfl¨achen wie folgt definiert. 0≤

Q Qpl,d

≤ 0,33 N Npl,d

≤ 0,1



0,1
p. • Aufgrund der Sicherheiten gegen Erreichen der Traglast liegt die Bemessungslast in der Regel unterhalb der shake–down–load PS , sodass sich das Tragwerk nach wenigen Lastzyklen elastisch verformt. Entsprechende Sicherheiten gegen Erreichen der shake–down–load k¨ onnen daher im Einzelfall geringer sein.

31 Bemessung nach Traglastverfahren

Beim Traglastverfahren werden die Stabquerschnitte und damit die plastischen Momente Mpl in der Regel f¨ ur gegebene Lastanordnungen vorgegeben. Danach erfolgt die Berechnung der Traglast. In der Praxis ist jedoch die H¨ ohe der Belastung und damit die Traglast gegeben. Dagegen sind die Stabquerschnitte und damit die plastischen Momente Mpl unbekannt. Wenn f¨ ur den Grenzzustand der Tragf¨ahigkeit nur die Gleichgewichtsbedingungen, nicht aber die Verformungsbedingungen erf¨ ullt sein m¨ ussen, kann man den Spannungszustand so w¨ahlen, dass eine wirtschaftliche Bemessung mit den so berechneten Schnittgr¨oßen M, Q, N direkt m¨oglich ist. Unter der Forderung einer m¨oglichst optimalen Ausnutzung der stabweise konstanten Querschnitte wird der L¨osungsweg an folgenden Beispielen gezeigt.

Beispiel 1 In Bild 31-1 sind der Durchlauftr¨ager mit konstanter Biegesteifigkeit sowie die Momentenlinie nach Elastizit¨atstheorie f¨ ur den Lastfall Volllast nach Abschnitt 22.2 gegeben. 5 kN/m 10 kN/m 20 kN a

f

b

-91,0 -58,0

M4 1,0

45,5

Bild 31-1 Momentenlinie nach Elastizit¨atstheorie W¨ahlt man f¨ ur die Berechnung der Traglast die kinematische Kette im linken Feld mit plastischen Momenten in Punkt a, f, b mit noch unbekanntem plastischen Moment, so muss die Momentenlinie die Gleichgewichtsbedingungen mit ullen. Diese Bedingung liedem Parabelstich ΔM = (10+5) 2 /8 = 120 kN m erf¨ fert das plastische Moment zu Mpl = 60 kN m und die Momentenlinie nach Bild 31-2. Im Vergleich zur Elastizit¨atstheorie kann man das Bemessungsmoment f¨ ur den Durchlauftr¨ ager von ME −Theorie = 91,0 kN m auf MTraglast = 60 kN m herabsetzen. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_31

408

31 Bemessung nach Traglastverfahren -60,0

MT

-60,0

a

f

b

0,0

60,0

Bild 31-2 Momentenlinie nach Traglastverfahren mit Balkenkette

Beispiel 2 Nachfolgender L¨osungsweg ist dem Beitrag von Duddeck [8] im Betonkalender 1984 entnommen. Gegeben ist der Durchlauftr¨ager nach Bild 31-3. Die gegebene Last entspricht der Traglast des Systems. Gesucht sind die Gr¨oße und die Verteilung der plastischen Momente Mpl . 20 kN/m a

b

c

d

60 kN

e

4m

6m

Bild 31-3 Durchlauftr¨ager 2 unter gegebener Last Eine m¨oglichst gleichm¨aßige Momentenlinie mit optimaler Ausnutzung der Querschnitte der Einzelst¨abe erh¨alt man bereichsweise bei Volleinspannung der St¨ abe, siehe Bild 31-4. - q l = - 60 12 2

-60 -30

-30 Mstart

q l2 = +30 24

Pl = +30 8

Bild 31-4 Momentenlinie bei Volleinspannung beider St¨abe Dieser Ansatz liefert allerdings einen Momentensprung am Lager c, der die Gleichgewichtsbedingung in c verletzt. Die in c verletzte Gleichgewichtsbedingung kann mit einem Momentenausgleich korrigiert werden. Hierzu bieten sich zwei Wege an: 1. Ansatz: Im Bereich c − e ist die Momentenlinie bereits optimal. Deshalb muss die Momentenlinie im Bereich a−c so korrigiert werden, dass in c kein Sprung auftritt.

409

31 Bemessung nach Traglastverfahren

Die Korrektur sollte so erfolgen, das |Ma | = |Mb |, damit der Querschnitt an beiden Stellen gleich ausgenutzt werden kann. -65

-30

-30 M1

+65 Mpl = 65 kNm

+30

+30

Mpl = 30 kNm

Bild 31-5 Im Gleichgewicht befindliche Momentenlinie M1 2. Ansatz: In den Bereichen a - c und c - e sollen die Querschnitte m¨ oglichst gut ausgenutzt werden. Dies erreicht man, wenn |Ma | = |Mb | = |Mc | = 21 (q l2 /8) = 45 kN m. Danach wird die M-Linie im Bereich c - e angepasst. -45,0

-45,0

-25,0 M2 +45,0 Mpl = 45,0 kNm

+25,0

Mpl = 25,0 kNm

Bild 31-6 Im Gleichgewicht befindliche Momentenlinie M2 Der 2. Ansatz f¨ uhrt bei gleicher Traglast zu kleineren Querschnitten und ist damit wirtschaftlicher. Bei dem hier gezeigten L¨osungsweg treten aufgrund der Optimierung mehr plastische Gelenke auf als f¨ ur eine zwangsl¨ aufige kinematische Kette erforderlich sind.

32 Fließgelenktheorie II. Ordnung

Bei schlanken Tragwerken mit großen Stabdruckkr¨aften ist der Einfluss der Verformungen auf das Gleichgewicht nicht mehr vernachl¨ assigbar. In diesem Fall wird die Traglast durch bisher nicht erfasste Effekte der genaueren Theorie II. Ordnung verringert. Im Vergleich mit der Theorie I. Ordnung sind die Unterschiede besonders deutlich am Last–Weg–Diagramm in Bild 32-1 erkennbar. P

3

2 1 1

2 PTII

I

I

PT = PG

3 II PG

}

Theorie I. O.

Theorie II. Ordnung

δ

Bild 32-1 Last–Weg–Diagramm bei Theorie II. Ordnung Nach Theorie I. Ordnung sind die Traglast PTI und der plastische Grenzzustand PGI identisch. Der plastische Grenzzustand ist dadurch gekennzeichnet, dass genau soviele Fliessgelenke Mpl erreicht sind, wie zu der maßgebenden kinematischen Kette geh¨oren. Nach Theorie II. Ordnung ist das System weicher. Dies f¨ uhrt zu gr¨ oßeren Verformungen und zu einer Reduktion der Traglast PTII als Maximum des Last– Weg–Diagramms. Das Maximum des Last–Weg–Diagramms kennzeichnet einen kinematischen Mechanismus, der eine Folge der Verkn¨ upfung von geometrischer und werkstofflicher Nichtlinearit¨at ist, und weniger plastische Gelenke aufweisen kann als f¨ ur eine kinematische Kette im Sinne des Traglastverfahrens erforderlich sind. Im Unterschied zur Traglast wird die plastischen Grenzlast PGII erst auf dem abfallenden Ast des Last–Weg–Diagramms erreicht, auf dem kein stabiler Gleichgewichtszustand mehr m¨oglich ist. Damit ist die plastische Grenzlast kleiner oder gleich der Traglast. PGII ≤ PTII ≤ PTI . Die Berechnung der Traglast nach Fließgelenktheorie II. Ordnung kann wie bei Theorie I. Ordnung entweder mit sukzessivem Hochrechnen oder direkt mit dem Arbeitssatz erfolgen. Die plastische Grenzlast kann hierbei als untere Schranke f¨ ur die Traglast angesetzt werden. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_32

32.1 Grundlagen der Theorie II. Ordnung

411

32.1 Grundlagen der Theorie II. Ordnung Bei Anwendung der Theorie II. Ordnung sind die Gleichgewichtsbedingungen am verformten System zu erf¨ ullen. Hierbei sind f¨ ur baustatische Verfahren die beiden Anteile aus Schiefstellung und Verbiegung der St¨ abe getrennt zu ber¨ ucksichtigen. a) Bei Schiefstellung ψ eines auf Druck beanspruchten Stabes wird das Moment N · w geweckt, das die Schiefstellung ψ vergr¨oßert. Rechentechnisch wird das Moment mit Hilfe eines Kr¨aftepaares N · ψ erfasst, das im Abstand an den Stabenden auf den unverformten Stab aufgebracht wird. N ψ

w

N l

N

N statisch äquivalent

N• ψ

N• ψ

Bild 32-2 Abtriebsmoment infolge Stabverformungen Bei zus¨atzlichen Stabimperfektionen ist der Stabdrehwinkel ψ durch ψ + ψ0 zu ersetzen. b) Bei Verbiegungen des Einzelstabes zwischen den Knoten ver¨ andern sich die effektiven Steifigkeiten bez¨ uglich der Knotenweggr¨ oßen. Dieser Effektwird bei der Berechnung der Stabendmomente u ¨ ber die Stabkennzahl  = · |N |/EI erfasst. F¨ ur Kennwerte  ≤ 1,0 kann man vereinfachend die Werte nach Theorie I. Ordnung ansetzen, siehe hierzu Abschnitt 20

32.2 L¨ osungsweg Vor der Berechnung der Traglast nach Theorie II. Ordnung wird die Traglast nach Theorie I. Ordnung mit der entsprechenden kinematischen Kette berechnet. F¨ ur die Berechnung der Traglast nach Theorie II. Ordnung sind weitere Informationen erforderlich, da die Verformungen des Systems ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen: • • • • •

plastische Grenzlast und die kinematische Kette nach Theorie I. Ordnung, Ber¨ ucksichtigung der M − N − Q− Interaktion, das letzte plastische Gelenk f¨ ur die Verformungsberechnung und die Stabverdrehungen ψ der St¨abe mit großen Stabdruckkr¨aften. Der Einfluss aus Stabverbiegungen wird vernachl¨ assigt.

412

32 Fließgelenktheorie II. Ordnung

Der weitere Berechnungsablauf umfasst f¨ ur den Iterationsschritt i folgende Punkte: 1. Ansatz der Abtriebskr¨afte N i · ψ i bzw. N i (ψ i + ψ0 ). 2. Berechnung der plastischen Grenzlast analog zur Theorie I. Ordnung mit Ber¨ ucksichtigung der Abtriebskr¨afte. ¨ 3. Uberpr¨ ufen, ob die kinematische Kette nach Theorie I. Ordnung weiterhin maßgebend ist. In der Regel sind bei Theorie II. Ordnung eine Stockwerkskette oder entsprechende Kombinationen maßgebend. 4. Berechnung der neuen Stabkr¨afte N i+1 . ¨ Wenn geringe oder keine Anderungen der Abtriebskr¨ afte N · ψ vorhanden sind, ist die Iteration beendet. Wenn die Druckkr¨afte in der Iteration noch starke ¨ Anderungen erfahren, m¨ ussen die neuen Stabverdrehungen ψi+1 und damit die Abtriebskr¨afte f¨ ur einen neuen Iterationsschritt berechnet werden. Die Schritte 1. −4. werden solange wiederholt, bis N i · ψ i ≈ N i+1 · ψ i+1 .

32.3 Beispiel 0,1P

P

P

b

c

Mpl = 448 kN m

4m

Npl = 3576 kN EI = 52. 857 kN m2 a

d 6m

Bild 32-3 Rahmentragwerk mit großen Stabdruckkr¨aften

Ausgangsl¨ osung nach Theorie I. Ordnung Die Berechnung von Pkin erfolgt mit dem P vV . Hierbei ist bemerkenswert, dass von den ¨außeren Lasten nur die Horizontallast 0,1 P Arbeit leistet, da die Rahmenecken keine vertikalen Verschiebungen erfahren. A¯ = P · 0,1 · 4,0 · ϕ¯ − Mpl · 4 · ϕ¯ = 0



I Pkin = 4080 kN .

Aufgrund der großen Druckkr¨afte muss die M −N −Interaktion ber¨ ucksichtigt werden. Dies bedeutet, dass die Normalkr¨afte ermittelt, das InteraktionsdiaI mit Mzul neu berechnet wird. gramm ausgewertet und Pkin

32.3 Beispiel

413

Die Ber¨ ucksichtigung der M − N −Interaktion entsprechend der Gleichungen (28.1) und (28.2) f¨ uhrt auf den Abminderungsfaktor λ = 0,4626 und auf eiI ne Abminderung von Pkin = 4480 kN auf PTI = 2072 kN . Die entsprechende Momentenlinie nach Theorie I. Ordnung mit Ber¨ ucksichtigung der M − N −Interaktion ist in Bild 32-4–links gegeben. 222

-192

1/4 I

M -222

M 1/4

192 N = 2003 kN

1

N = 2141 kN

Bild 32-4 Momentenlinie nach Theorie I. Ordnung, virtuelle Momentenlinie Das letzte Gelenk liegt im Knoten b, weil die Normalkraft im Stab a − b kleiner ist als im Stab c − d und das Moment an der Einspannung a gr¨ oßer ist als am Riegelanschnitt b. Damit k¨onnen die Stabverdrehungen ψab und ψcd mit dem P vK und dem virtuellen Zustand nach Bild 32-4–rechts berechnet werden.  ¯ MM 1 1 ¯ 1 1 ds = { · 1 · 222 · 4,0 + · ¯1 · (2 · 222 − 192) · 6} = 0,0076 rad = ψab EI EI 6 6 1 1 ψcd = ψab = ψ1

Die anschließende L¨osung nach Theorie II. Ordnung erfolgt iterativ.

1. Iterationsschritt 1. Die Berechnung der Abtriebskr¨afte N i ·ψ i erfolgt mit den bekannten Normalkr¨aften und den Stabdrehungen des letzten Iterationsschrittes. Die Abtriebskr¨afte werden zus¨atzlich zu den Lasten auf das System gebracht. 0,1P N abψ 1

P

P N cd ψ 1

1 Nab · ψ 1 = 15,2 kN 1 · ψ 1 = 16,3 kN Ncd

N abψ 1

N cd ψ 1

414

32 Fließgelenktheorie II. Ordnung

2. Arbeitsgleichung des PvV: Als kinematische Kette wird wie bei Theorie I. Ordnung die Stockwerkverschiebung angesetzt. 1 1 · ψ 1 + Ncd · ψ 1 ) · 4,0 ϕ ¯ = (Ma + Mb + Mc + Md ) · ϕ¯ , (0,1 P + Nab 1 1 · (222 · 2 + 192 · 2) − (15,2 + 16,3) = 1755 kN . → PGII = 0,4 0,1

Damit betr¨agt die plastische Grenzlast mit Ber¨ ucksichtigung der Abtriebskr¨ afte II = 1755 kN . im 1. Iterationsschritt PG1 3. Aufgrund der großen Normalkr¨afte und der Momente in den Rahmenecken ¨andert sich die kinematische Kette nicht. 4. Mit der plastischen Grenzlast k¨onnen die neuen Normalkr¨ afte berechnet werden. Mit den Momentenordinaten des letzten Iterationsschrittes und den neuen Normalkr¨aften kann der Skalierungsfaktor λ zum Erreichen der Fliessgrenze berechnet werden, und hiermit die der Grenzlast entsprechenden zul¨ assigen Schnittkr¨afte. 2 = 1686 kN → λ2ab = 1,0846 Nab



2 2 Mab,zul = 240 kN m , Nab,zul = 1828 kN

2 = 1824 kN → λ2cd = 1,1115 Ncd



2 2 Mcd,zul = 213 kN m , Ncd,zul = 2027 kN

Damit folgt die Momentenlinie nach dem 1. Iterationsschritt mit Ber¨ ucksichtigung der Abtriebskr¨afte:

240

-213

II

M -240

213 N = 1828 kN

N = 2027 kN

Bild 32-5 Momentenline nach dem 1. Iterationsschritt

32.3 Beispiel

415

Weitere Iterationsschritte ¨ Die neue Stabverdrehung ψ 2 = 0,0081 bewirkt eine geringf¨ ugige Anderung der Abtriebskr¨afte: 2 · ψ 2 = 14,8 kN , Nab 2 Ncd · ψ 2 = 16,4 kN ,

¨ sodass entsprechend kleine Anderungen der plastischen Grenzlast zu erwarten sind. Eine Fortsetzung der Iteration mit Sprung nach 1. f¨ uhrt auf II II = 1953 kN → PG3 = 1943 kN → PG2



Damit liegt die plastische Grenzlast bei ca. 1943 kN .

...

33 Erg¨ anzungen

33.1 Beanspruchungen aus Zwang An statisch bestimmten Tragwerken bewirken Zw¨ angungen aus St¨ utzensenkungen, Lagerverdrehungen und Erw¨armung keine Spannungen bzw. Schnittgr¨oßen. Allerdings treten Verformungen auf. Bevor das letzte Gelenk plastifiziert, liegt gerade noch ein statisch bestimmtes System vor, sodass die Einwirkungen aus Zwang keinen Einfluss auf die kinematische Kette haben und damit die Traglast PT unver¨anderlich ist. Dennoch kann die Reihenfolge der plastischen Gelenke ver¨andert sein, sodass plastische Gelenke auch dort auftreten k¨ onnen, wo aus Belastung allein kein plastisches Gelenk auftritt. Außerdem werden hierdurch die Verformungen beeinflusst.

Beispiel Nachfolgender Balken wird mit einer Einzellast P in Feldmitte und einer St¨ utzensenkung δb am rechten Lager beansprucht. Die kinematische Kette weist plastische Momente an der Einspannstelle und in Feldmitte auf. P•λ

a

b

Mpl, EI δ•λ l

Mpl M

w

w

δ

Mpl

δ

w φ

Cb = 2 1



Mpl l M

1 Cb = 2

Die Berechnung der Traglast PT erfolgt mit dem PvV: P·

l · ϕ¯ − Mpl · (ϕ¯ + 2 · ϕ) ¯ =0 2



PT =

6 · Mpl l

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_33

33.2 Nicht geeignete Systeme

417

Die Mittenverschiebung bei Erreichen der Traglast PT wird mit dem PvK berechnet.  2 ¯ · M dx − C¯b · (−δ) = 1 · Mpl + 1 · δ ¯1 · w = M EI 12 EI 2 Hiermit wird deutlich, dass die Traglast bei Zwangsbeanspruchung unver¨ andert ist, die Weggr¨oßen jedoch wie in der Elastizit¨atstheorie bestimmt werden.

33.2 Nicht geeignete Systeme Das Traglastverfahren ist nur eingeschr¨ankt einsetzbar bei Tragwerken, bei denen die Traglast erst bei sehr großen Verformungen erreicht wird. Dies ist der Fall, wenn die Einzelst¨abe stark unterschiedliche Steifigkeiten aufweisen.

Beispiel 1 Bild 33-1 zeigt einen Durchlauftr¨ager, bei dem die außen liegenden Felder sehr viel gr¨oßere St¨ utzweiten β aufweisen als das innere Feld mit . a

Mpl

b

β• l

P

c

d β• l

l

Bild 33-1 Durchlauftr¨ager mit stark unterschiedlichen St¨ utzweiten Die Traglast betr¨agt unabh¨angig von den St¨ utzweiten PT = 8Mpl / , wenn orige das plastische Moment Mpl u ¨ber alle Felder konstant ist. Die dazu geh¨ Momentenlinie ist in Bild 33-2 gegeben. Der Grenzzustand ist erreicht, wenn an Mpl

Mpl M Mpl

Bild 33-2 Momentenlinie bei Erreichen der Traglast - Beispiel 1 den Stellen b und c ein vollplastisches Moment Mpl vorhanden ist, was nur bei einer entsprechend steifen Anbindung an die außen liegenden Balken m¨ oglich ist. F¨ ur wachsendes β verringern sich aber die Anschlusssteifigkeiten und gehen f¨ ur β → ∞ gegen null, was einem gelenkigen Anschluss entspricht. Hierf¨ ur ist die Traglast mit PT,gel. = 4Mpl / jedoch geringer als bei Volleinspannung mit PT,eing. = 8Mpl / .

418

33 Erg¨ anzungen

Die Erkl¨arung f¨ ur dieses Ph¨anomen ist, dass bei unendlich langen Außentr¨ agern unendlich große Verformungen erforderlich sind, um die St¨ utzmomente Mpl zu wecken. Dies bedeutet, dass eine Verformungsbeschr¨ ankung erforderlich ist, wenn die Traglast im Gebrauchszustand bemessungsentscheidend sein soll. Die Normen geben daher eine Beschr¨ankung des Knickwinkels in den plastischen Gelenken mit Δψpl,max ≤ 0,006 /d an. Im vorliegenden Fall plastifiziert bei großem β zuerst der Querschnitt in Feldmitte des mittleren Feldes. In diesem Fall betr¨agt der Knickwinkel bei Erreiankung des plachen der Traglast ψpl,Feld = 0,66 Mpl · β · /EI. Bei Beschr¨ stischen Knickwinkels auf Δψpl,max ≤ 0,006 /d kann das volle Mpl u ¨ ber den Lagern angesetzt werden, solange das Verh¨altnis der St¨ utzweiten β M (q), liegt diese Vereinfachung auf der sicheren Seite. Plastische Gelenke werden dabei an den Ersatzeinzellasten angesetzt. Wenn die Einschrankung der Traglast zu grob ist, kann man die Zahl der Einzellasten erh¨ohen und die Lage der plastischen Gelenke entsprechend korrigieren, siehe Beispiel 2 in Abschnitt 27.1.2.

420

33 Erg¨ anzungen

33.4 Verformungen im Gebrauchszustand Verschiebungen Der Tragsicherheitsnachweis erfordert die Ber¨ ucksichtigung von Sicherheitsbeiwerten f¨ ur die Einwirkungen und die Widerst¨ande des Tragwerks. Dies f¨ uhrt dazu, dass nicht die Traglast PT , sondern nur ein abgeminderter Wert Pzul auf das System gebracht werden darf. Wenn auch die Verformungen im Gebrauchszustand gesucht sind, kann man diese vereinfachend aus den Verformungen des Grenzzustandes linear interpolieren. Aufgrund des progressiven Last–Weg– Diagramms sind die Verformungen im Gebrauchszustand immer kleiner als die mit γ abgeminderten Werte. P

PT zul.P

δNäherung δGebrauch δT

PT zulP δT δGebr. = γ

γ= δ

Bild 33-5 Verformungen im Gebrauchszustand

Gelenkrotationen Die einschl¨agigen Normen geben eine Beschr¨ankung des Knickwinkels in den plastischen Gelenken mit Δψpl,max ≤ 0,006 /d an, um die Rotationskapazit¨ at bzw. die Duktilit¨at der plastischen Gelenke realistisch ber¨ ucksichtigen zu k¨ onnen. F¨ ur d¨ unnwandige Stahlprofile kann hiermit das lokale Beulen einzelner Querschnittsteile ausgeschlossen werden, und f¨ ur Stahlbeton–Querschnitte das Versagen der Betondruckzone. Wenn jedoch die Gelenkrotationen des P PT Traglastzustandes die zul¨assigen Werte u ¨berschreiten, muss die Traglast abgemindert werden. Dies kann in der Regel Steifigkeit des Endsystems mit den Steifigkeiten des Endsystems erfolgen, da hierbei große Wege und damit auch Gelenkrotationen m¨oglich δ sind. Eine auf der sicheren Seite liegende Abminderung ist analog zu Abschnitt 33.4 m¨oglich. Bild 33-6 Abminderung der Traglast

34 Stahlbetontragwerke

Im Stahlbetonbau erfolgt die Bemessung nach Bruchschnittgr¨ oßen Mu , Nu , siehe Eurocode 2 [50] . Wenn hier die Teilsicherheitsbeiwerte f¨ ur die Werkstoffeigenschaften und die Einwirkungen entsprechend ber¨ ucksichtigt sind, ist die Querschnittstragf¨ahigkeit mit dem Sicherheitsnachweis f¨ ur den maßgebenden Lastfall ausgesch¨opft. Die Fließgrenze der Schnittgr¨ oßen ist dagegen bei den Schnittgr¨oßen My , Ny erreicht, die den Mpl , Npl bei Stahltragwerken entsprechen. F¨ ur die Anwendung des Traglastverfahrens ist eine ausreichende Duktilit¨ at der Querschnitte erforderlich, damit auch die Systemtragreserven ausgenutzt werden k¨onnen. Die Duktilit¨at ist bei Stahlbetontragwerken jedoch nur eingeschr¨ankt vorhanden, da zwar die Stahlbewehrung ein ausreichendes Fließverm¨ ogen besitzt, der auf Druck tragende Beton aber nach Erreichen der Betondruckfestigkeit eine abfallende Kennlinie aufweist, vergleiche Bild 34-1. Dies bedeutet, dass die Eigenschaften beider Baustoffe u ¨ber den gesamten Querschnitt integriert werden m¨ ussen und die Tragf¨ahigkeit und das Fließverm¨ ogen nur mit einem integrierenden M− κ−Diagramm beschrieben werden k¨ onnen, das wie beim Baustahl zus¨atzlich von der Normalkraft abh¨ angt. Aufgrund der geringen Duktilit¨at der Stahlbetonquerschnitte m¨ ussen allerdings die Verformungen begrenzt werden, bis zu denen die Querschnitte im Sinne der Bruchschnittgr¨oßen tragf¨ahig sind. Die Begrenzung der Verformungen erfolgt mit der Rotationskapazit¨at der Querschnitte, die im wesentlichen die Verkr¨ ummungen im M−κ−Diagramm begrenzt.

34.1 Querschnittstragf¨ ahigkeit und M−κ−Diagramm Bild 34-1 stellt das σ−ε–Diagramm von Beton aus einem Prismen–Experiment vereinfachend dar. Im Druckbereich ist je nach Beton–Sorte ein mehr oder weniger nichtlinear–elastisches Verformungsverhalten vorhanden. Betone mit geringer Druckfestigkeit besitzen eine h¨ohere Duktiit¨ at als hoch– oder ultrahochfeste Betone, die mit Stahl– oder Kunststofffasern vermischt werden, um eine angemessene Duktilit¨at zu erreichen. Der Nachbruchbereich ist in der Regel mit einer abfallenden Kennlinie gekennzeichnet, die instabiles Baustoffverhalten charakterisiert. Unter Zugbeanspruchung ist der Beton unterhalb der Zugfestigkeit nahezu linear–elastisch, wobei sich Mikro–Risse entwickeln, die mit zunehmender Beanspruchung zu Makro–Rissen zusammenwachsen und letztendlich zum Trenn© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_34

422

34 Stahlbetontragwerke

riss f¨ uhren. Hierbei f¨allt die Kennlinie nach Erreichen der Zugfestigkeit ohne jegliche Duktilit¨at mit instabilem Baustoffverhalten bis auf null ab. Die Zugfestigkeit list dabei erheblich geringer als die Druckfestigkeit und wird in der Regel vernachl¨assigt. σc fcm

0,4 fcm tan α = E cm

α εc1

εcu1

εc

Bild 34-1 Realit¨atsnahes σ−ε−Diagramm f¨ ur Beton Das Verformungsverhalten von Betonstahl h¨angt von der Herstellung ab. Bild 34-2–links zeigt das Verhalten eines warmgewalzten Betonstahls. Im Bild rechts ist das Verhalten eines kaltverformten Betonstahles dargestellt, wobei die Fließspannung fy mit ε = 0,2 % bleibende Dehnung nach Entlastung definiert ist. σ

σ

f t = k f yk

f t = k f 0,2k f 0,2k

f yk

ε εuk

ε 0,2%

εuk

Bild 34-2 σ−ε−Diagramm f¨ ur Betonstahl Bei der Entwicklung eines M−κ−Diagramms wird die Zugfestigkeit des Betons vernachl¨assigt und der Druckbereich mit einem idealisierten Parabel–Rechteck– Diagramm nach Bild 34-3–links beschrieben. fck kennzeichnet hier die Druckfestigkeit, die mit einem Sicherheitsbeiwert auf den design–Wert fcd abgemindert wird. F¨ ur den Betonstahl wird vereinfachend das bilineare σ−ε−Diagramm im Bild rechts mit oder ohne Verfestigung angesetzt. Auch hier unterscheidet man zwischen der tats¨achlichen Fließspannung fyk und dem design–Wert fyd , der den Sicherheitsbeiwert γS ber¨ ucksichtigt.

34.1 Querschnittstragf¨ahigkeit und M−κ−Diagramm σ

σc

423 A k f yk

k f yk

k f yk / γS

f yk

f ck

f yd = fyk / γS B

f cd

εc εc2

εcu2

εud

f yd / E S

εuk

ε

Bild 34-3 Idealisierte σ−ε−Diagramme f¨ ur Beton und Betonstahl Stahlbetonquerschnitte sind so bemessen, dass die Druckkr¨ afte eines entsprechenden Fachwerkmodells vom Beton oder einer zus¨ atzlichen Druckbewehrung aufgenommen werden und die Zugkr¨afte von der Zugbewehrung. Bild 34-4 zeigt einen mit Zug– und Druckbewehrung versehenen Stahlbetonquerschnitt, der mit einem Biegemoment und einer Drucknormalkraft beansprucht ist. Bei Annahme der Bernoulli–Hypothese und den σ − ε−Diagrammen nach Bild 34-3 folgt die im Bild rechts skizzierte Spannungsverteilung σc im Druckbereich und die f¨ ur das Gleichgewicht erforderliche Zugkraft Fs im Zugbereich. Stahlbeb

d2

εc

σc εs2

As2 x d

As1

εs1

Fs

d1

Bild 34-4 Stahlbetonquerschnitt mit Druck– und Zugbewehrung tonquerschnitte unter Biegebeanspruchung zeigen ein stark nichtlineares Verformungsverhalten. In Bild 34-5 ist das M−κ−Diagramm eines Rechteckquerschnittes bei reiner Biegung dargestellt. Das Verformungsverhalten unterhalb des Rissmomentes entspricht der Elastizit¨atstheorie und wird als Zustand I bezeichnet. Der ungerissene Querschnitt besitzt die Steifigkeit EII . Bei Erreichen des Rissmomentes Mcr reißt die Betonzugzone, sodass die Zugbewehrung wirksam wird und der Querschnitt eine geringere Steifigkeit aufweist. Dieser Bereich des Tragverhaltens wird als Zustand II bezeichnet.

424

34 Stahlbetontragwerke

Bei Steigerung des Momentes bis zum Fließmoment My beginnt die Zugbewehrung zu fließen ohne dass der Querschnitt seine Tragf¨ ahigkeit erreicht hat. Dies ist erst der Fall, wenn die Druckzone versagt und das Bruchmoment Mu erreicht ist. Der Bereich zwischen Fließmoment My und Bruchmoment Mu beschreibt die Duktilit¨at des Querschnitts, die f¨ ur das Traglastverfahren eingesetzt werden kann. Wenn ein Querschnitt stark bewehrt ist, beginnt das Versagen der Druckzone fr¨ uher, sodass die Duktilit¨at des Querschnitts eingeschr¨ ankt ist.

My

M

Bruchmoment

sta n

Mu

Zu

Zusta nd I

Mu

dI I

M

My Fließmoment

B II

M cr

M cr

Tension Stiffening Rissmoment Mcr

κ κu

BI

κcr

κm

κy

κu

Bild 34-5 M−κ−Diagramm f¨ ur Stahlbetonquerschnitte ¨ Der Ubergang vom ungerissenen Querschnitt zum gerissenen Querschnitt ist mit großen Spannungsumlagerungen im Bereich der Zugbewehrung verbunden. Aufgrund der ¨ ortlich stark unterschiedlichen Dehnungen im Bewehrungsstahl und und im Beton ver¨andert sich die Schubspannungsverteilung zwischen dem Bewehrungsstahl und dem angrenzenden Beton. Dies f¨ uhrt dazu, dass der Beton in der Risszone komplett versagt, jedoch zwischen den Rissen weiter aktiviert werden kann. Das Mitragen des Betons zwischen den Rissen wird als Tension–Stiffening bezeichnet und kennzeichnet im M−κ−Diagramm den ¨ Ubergang vom Rissmoment Mcr zum Fliessmoment My . Die Sekantensteifigkeit zwischen Ursprung und Fließmoment ist geringer als die Steifigkeit EII des ungerissenen Querschnitts und wird daher vereinfachend als EIII bezeichnet. Obwohl der Querschnitt gerissen und die Bernoulli–Hypothese verletzt ist, kann die Tragwerksberechnung unterhalb des Fließmomentes mit der Steifigkeit EIII nach Elastizit¨atstheorie erfolgen. Bei Erreichen des Fließmomentes kann das Traglastverfahren eingesetzt werden. Analog zu Stahl–Profilen h¨angt die Tragf¨ahigkeit von Stahlbetonquerschnitten von der Kombination der Schnittgr¨oßen ab. Die Mu−Nu −Interaktion der Bruchschnittgr¨oßen ist in Bild 34-6 dargestellt. Bei m¨ aßigen Druckkr¨ aften wird die Zugzone aus Biegung teilweise u uckt, sodass die Druckzone des Quer¨berdr¨

34.1 Querschnittstragf¨ahigkeit und M−κ−Diagramm

425

schnitts vergr¨oßert wird und das Bruchmoment gegen¨ uber der reinen Biegebeanspruchung ansteigt. Die im Bild angegebene Interaktion beschreibt das Verhalten der Bruchschnittgr¨oßen, kann aber vergleichbar f¨ ur die Fließbedingung der Fließschnittgr¨oßen My , Ny entwickelt werden. Ein Fließen der Querschnitte mit einer Umlagerung der Schnittgr¨oßen analog zur M−N −Interaktion bei Stahlquerschnittten ist allerdings nicht m¨oglich. N Nu (Mu = 0)

M Mu (Nu = 0)

Bild 34-6 M−N −Interaktion f¨ ur Bruchschnittgr¨oßen In Bild 34-1 weist die Kennlinie f¨ ur den Beton auf das instabiles Baustoffverhalten nach Erreichen der Bruchspannung hin. Dies bedeutet, dass die Duktilit¨ at des Betons begrenzt ist und damit bei der Anwendung des Traglastverfahrens eine Verfomungsbeschr¨ankung erfordelich ist. F¨ ur das M− κ−Diagramm bedeutet dies, dass die Kennlinie nicht nur durch das Bruchmoment, sondern auch durch die zugeh¨orige Bruchkr¨ ummung begrenzt ist. Wenn die Kr¨ ummung bei konstant bleibendem Fließmoment nicht eindeutig bestimmbar ist, wird die Verformungsbeschr¨ankung auf Tragwerksebene rechnerisch mit dem Knickwinkel im plastischen Gelenk nachgewiesen. 0,6d

0,6d

Δψ

d

Bild 34-7 Begrenzung der Gelenkrotationen Der Knickwinkel kann entsprechend Bild 34-7 vereinfachend mit den Sekanten der verformten Tragwerksachse im Abstand 0,6 d vom plastischen Gelenk berechnet werden. Die Verformungsbedingung ist eingehalten, wenn der Knickwinkel den zul¨assigen Wert nach Norm nicht u assige Knick¨ berschreitet. Der zul¨ winkel wird hierbei in Abh¨angigkeit von der Betonsorte und den geometrischen Werten des auf Biegung beanspruchten Querschnitts ermittelt.

426

34 Stahlbetontragwerke

34.2 Systemtragreserven Bei Stahlbetontragwerken ist eine kontinuierliche Abstufung der Querschnittstragf¨ahigkeit entlang der Tragwerksachsen m¨oglich, wenn die Bewehrung an die Zugkraftdeckungslinie angepasst wird. Damit ist die tats¨ achliche Sicherheit der Querschnitte im gesamten Tragwerk ann¨ahernd gleich, sodass dieser Vorteil des Traglastverfahrens bereits vom Bemessungsansatz erf¨ ullt ist. Die Nutzung von Systemtragreserven im Sinne des Traglastverfahrens kann jedoch auch hier sinnvoll sein, wenn das Tragwerk f¨ ur mehrere Lastf¨ alle bemessen werden muss und die maßgebenden Lastf¨alle eine stark unterschiedliche Bewehrungsf¨ uhrung erfordern.

Beispiel Nebenstehendes Rahmentragwerk mit konstanter Biegesteifigkeit EI soll mit ur die Lastf¨alle P1 , P2 soP1 = P2 = P f¨ wie P1 +P2 bemessen werden. Die Mour mentenlinien M1 (P1 ) und M2 (P2 ) f¨ die getrennt aufgebrachten Lasten sind in Bild 34-9 angegeben. Der Lastfall P1 liefert große Momentenordinaten in den St¨ utzen, und der Lastfall P2 im Riegel.

0,2Ph

-0,2Ph

P2

P1 b

c

h

d

EI = konst. a

e 1,5h

Bild 34-8 Tragwerk mit P1 und P2

-0,14Ph

-0,14Ph 0,24Ph

M1 -0,3Ph

M2 0,3Ph

0,07Ph

0,07Ph

Bild 34-9 M−Linien f¨ ur Lastfall P1 und Lastfall P2 Die Momentenlinie f¨ ur den Lastfall P1 + P2 nach Elastizit¨ atstheorie ist in Bild 34-10 links angegeben. In der rechten St¨ utze addieren sich die Ordinaten der Lastf¨alle P1 und P2 , sodass hier ein hoher Bewehrungsgehalt erforderlich ist. Wendet man dagegen den Traglastgedanken auf den Lastfall P1 + P2 an, so m¨ ussen nur die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullt werden, was auch mit der Momentenlinie im Bild rechts m¨oglich ist. Die Momentenlinie nach Traglast vermeidet die nur f¨ ur diesen Lastfall vorhandenen Extremwerte und liefert eine

34.2 Systemtragreserven

427

in weiten Bereichen gleichm¨aßige Auslastung der Querschnitte bei insgesamt geringerem Stahleinsatz.

0,06Ph

-0,34Ph

0,1Ph

0,24Ph

-0,23Ph ( M1 + M2 ) E-Theorie

-0,3Ph 0,28Ph

0,37Ph

-0,3Ph

0,3Ph

( M1 + M2 ) Traglast

Bild 34-10 M−Linie f¨ ur Lastfall P1 + P2 nach E–Theorie und Traglastverfahren Die f¨ ur das Traglastverfahren erforderlich Duktilit¨ ate der Querschnitte erreicht man, wenn die Querschnitte so bemessen sind, dass die Zugbewehrung fließt, ohne dass die Druckzone ihre Tragf¨ahigkeit erreicht. Dies gelingt, wenn die zum Fließen erforderliche Zugkraft kleiner ist als die zum Betonversagen erforderliche Druckkraft. Die f¨ ur den Nachweis der Rotationskapazit¨at ben¨otigten plastischen Knickwinkel kann man im Anschluss mit dem PvK entsprechend Abschnitt 29 berechnen.

35 Anmerkungen zum Traglastverfahren

Das Traglastverfahren wird urspr¨ unglich f¨ ur die Handrechnung und f¨ ur Tragwerke mit wenigen Lastf¨allen entwickelt und dort eingesetzt, wo der Aufwand vertretbar ist. In der heutigen Bemessungsphilosophie sind die Tragwerke in der Regel f¨ ur viele unterschiedliche Lastf¨alle nachzuweisen, sodass die Sinnhaftigkeit des Traglastverfahrens oft in Frage gestellt wird. Hierzu gibt es einen Beitrag von Duddeck und Ahrens [6] mit einer bemerkenswerten Anregung: Anstelle der vielen unterschiedlichen Lastf¨ alle sollte man ganz wenige Lastf¨alle untersuchen, bei denen alle maßgebenden Lasten mit entsprechenden Sicherheitsfaktoren versehen gleichzeitig auf das Tragwerk gebracht und das Tragwerk nach Elastizit¨atstheorie bemessen wird. Da die Duktilit¨at des Werkstoffs erhebliche Umlagerungen der Schnittgr¨ oßenverteilung zul¨asst, sind dann auch alle einzelnen Lastf¨ alle sicher. Das Traglastverfahren f¨ uhrt zu sehr wirtschaftlichen Konstruktionen, wenn das Tragwerk mehrfach statisch unbestimmt ist und erhebliche Querschnitts– und Systemtragreserven zur Verf¨ ugung stellen kann. Aufgrund der Sicherheitsbeiwerte gegen Erreichen der Traglast verformen sich die Systeme trotz rechnerischer Ausnutzung der Fließbedingungen weitgehend elastisch. Die Anwendungsgrenzen des Traglastverfahrens sind erreicht, wenn • die Dauerfestigkeit maßgebend ist, • spr¨ode Werkstoffe kein ausreichendes Fließverm¨ ogen besitzen, • Verformungsnachweise f¨ ur Verschiebungen oder f¨ ur Gelenkrotationen maßgebend sind oder • die Stabilit¨at des Tragwerks gef¨ahrdet ist. Das Traglastverfahren ist dennoch bei vielen unterschiedlichen Bemessungsaufgaben und Nachweisen der Tragsicherheit inh¨arent von besonderer Bedeutung: • Ert¨ uchtigung von Tragwerken, Bauen in Bestand Die grunds¨atzliche Aussage, dass zus¨atzliches Material keine Reduktion der Tragf¨ahigkeit bewirken kann, sondern je nach Lastfall zu einer Erh¨ohung der Tragf¨ahigkeit f¨ uhrt, ist f¨ ur die Ert¨ uchtigung von Tragwerken beim Bauen im Bestand ganz wesentlich. uchtigung abgeZus¨atzliche Lasten k¨onnen daher mit einer ¨ortlichen Ert¨ fangen werden, auch wenn sich dadurch die Schnittgr¨ oßenverteilung im restlichen Tragwerk ¨andert. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1_35

35 Anmerkungen zum Traglastverfahren

429

• Unplanm¨aßige Lasten Wenn Tragwerke f¨ ur mehrere Jahrzehnte geplant und gebaut werden, sind nicht alle Lasten und Lastf¨alle vorhersehbar. Insbesondere wenn Nutzungs¨anderungen vorliegen, k¨onnen andere Lastf¨ alle maßgebend sein als beim Originalentwurf. Hierbei k¨onnen die Systemtragreserven helfen, die Standsicherheit nachzuweisen. • Erdbeben Tragwerke unter Erdbebeneinwirkungen sind ohne das Traglastverfahren in der Regel wirtschaftlich nicht nachweisbar. Die Schnittgr¨ oßen k¨ onnen bereits bei geringen Erdbeben so groß werden, dass die f¨ ur den Gebrauchszustand nachgewiesenen Querschnitte plastifizieren. Eine Bemessung nach Elastizit¨atstheorie ist daher nicht sinnvoll, wenn st¨ arkere Querschnitte erforderlich sind, die wiederum zu gr¨ oßeren Schnittgr¨ oßen f¨ uhren w¨ urden. Außerdem wird die Bewegungsenergie infolge Erdbeben in den plastifizierenden Querschnitten reduziert, sodass die Tragwerksschwingungen ged¨ampft werden. • Katastrophenlastf¨alle Der Standsicherheitsnachweis f¨ ur Tragwerke im Katastrophenfall erfordert in der Regel eine Sicherheit von 1,0, sodass entsprechende Tragwerke standsicher sein m¨ ussen, jedoch erhebliche Sch¨ adigungen erfahren k¨onnen. Wenn außerdem keine Verformungsbeschr¨ ankungen gegeben sind, kann das Fließverm¨ogen der Querschnitte rechnerisch voll angesetzt werden. • Fl¨achentragwerke Fl¨achentragwerke sind bereits in den Grundgleichungen statisch unbestimmt, sodass sie je nach Lastfall und Schlankheit ganz erhebliche Tragreserven aufweisen. Die Grenztragf¨ahigkeit von Platten wird in verschiedenen Ver¨offentlichungen untersucht. Grundlegende Arbeiten sind von Johansen [20] zur Bruchlinientheorie f¨ ur Stahlbetonplatten und von Sawcur metallische Werkstofzuk und J¨ager [36] zur Fließgelenklinien–Theorie f¨ fe ver¨offentlicht. In beiden Verfahren werden anstelle der plastischen Gelenke bei Stabtragwerken entsprechende linienartige Fließmechanismen angesetzt. Auch beim Beulsicherheitsnachweis von Platten und Schalen ist das Fließverm¨ogen der Werkstoffe implizit in den Grenzbeulspannungen des EC 3 [51] bzw. DIN 18800 [46] ber¨ ucksichtigt. Hierzu sei auf die einschl¨ agigen Normen und die umfangreiche Literatur verwiesen.

Tabellen

In den nachfolgenden Tabellen f¨ ur Einfeldbalken und eingespannte symmetrische Rahmentragwerke sind jeweils die Momentenlinie und die Querkraftlinie f¨ ur die wesentlichen Einwirkungen angegeben. Die Darstellung ist an die Tabellenwerke von Kleinlogel und Haselbach [21] sowie Duddeck und Ahrens [7] angelehnt, in denen sehr viele weitere Lastf¨alle sowie Durchlauftr¨ ager und unterschiedliche Rahmentragwerke, teilweise mit mehreren Feldern, angegeben sind. In den Tabellen werden die folgenden Abk¨ urzungen werwendet ξ=

a I2 h x , α= , k= I1

Links im Bild sind die statischen Systeme f¨ ur die Einfeldbalken und rechts im Bild die Bezeichnungen f¨ ur das Rahmentragwerk angegeben. x

A

B

l C

I2

D

I1

I1

h

B

A HA

HB

l

VA

VB

Bild 35-1 Statische Systeme und Bezeichnungen f¨ ur nachfolgende Tabellen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1

432

Tabellen

Tabelle A.1 Kragarm und gelenkig gelagerte Einfeldbalken System

Q-Linie

M-Linie P

1.

A

B

l

2. M

QA = P

MA = -Pl

e

M = -M

0

e

Q=0

q

3.

2

MA = -ql /2

QA = ql

qA

4.

MA = -qAl 2 /6

QA = qA l/2 QA = (1-a)P

P

5.

a

Q B= -a P

Mmax= Pl (a- a2) e

Mo

M

6.

Mu

a

e

e

Mo = -a M , Mu = (1-a)M q

Q = -M /l

e

x m=0,5

7. QA = ql /2

2

Mmax = ql /8 qA

Q A= qA l/3

xm=0,423

8.

QB = qAl /6

2

Mmax= qAl /15,6 q

9.

a

Mmax =

0,5

a Mmax =

ql 2 (2a-a ) 2

ql 2 2 2 (a-2a) 8

xm= a-a (a/3)

qA

10.

QA =

xm= a (1-0,5a)

qAl 2 1,5 a (1-a+2(a/3) ) 2

Q B= QA =

qAl 6

ql 2 a 2

2

(3a-a ) QB =

qAl 6

2

a

Tabellen

433

Tabelle A.2 Einseitig gelenkig gelagert - einseitig eingespannte Einfeldbalken System

B

l/2

M1 = M 12.

11 QA = P 16

3 MA = Pl 16

P A

11.

Q-Linie

M-Linie

5 Pl 32

QB =

5 P 16

e 2 M =M (-1+3a-1,5a ) A e 2 3 Ma-=M (-1+3a-4,5a +1,5a )

e

e

a

Q=

e Ma+=1,5a (a -3a+2)M 2

2

5 QA = ql 8

MA = -ql /8

q

3M 2 (a -2a) 2l

13.

M1 =

2

MA = -qAl /15

qA

14.

QB=

3 ql 8

QB=

1 ql 10 A

2 QA = qAl 5 2

qAl M1 = 33,54 q

15.

ql 2 2 2 (2a-a ) 8

MA =

QA=

ql 4 3 (a -4a +8a) 8

a

QB=

qA

16.

2 9 ql 128

qAl2 2 2 a (2-1,5a+0,3a ) 12

MA=

QA=

qAl 3 4 (4a-a +0,2a ) 8

a

QB= e

MA=

e

M

17.

e

e

jA

MA=

18.

Q=

3M 2l

3EI j l A Q=

MA= 19.

qAl 4 3 (0,2a -a ) 8

M 2

MB= M

Q= Q =+

DT

20.

MA=

3EI j l2 A

3EI d l2 A

dA

3 DT EIaT 2 d

ql 4 (a -4) 8

3EI d l3 A

DT 3 EI a 2 l T d

434

Tabellen

Tabelle A.3 Beidseitig eingespannte Einfeldbalken System

Pl MA = MB = 8

P A

21.

B

l/2 maxM e

=

QA =

P = QB l

Pl 8

2

MA =M (-3a +4a-1)

e

M

22.

Q-Linie

M-Linie

e

a

e

q

MA =

2

MB =M (3a -2a)

Q=

MB = MA

ql QA = 2 = QB

ql 2 12

23.

6M 2 (a -a) l

2

maxM

ql 24

=

2

2

qA

MA =

qAl 20

MB =

24. maxM

qAl2 46,6

QA =

ql 3 4 (4a-a -a ) 4

a

ql 3 4 QB = 4 (a +a ) ql 4 QA = 2A (a-0,1a )

2

ql 2 3 MA= 6A (a-a +0,3a )

qA

3 ql 20 A

7 ql 20 A

ql 2 3 4 MB = 6 (2a -1,5a )

a

26.

QB= QA =

ql 2 3 2 MA = 6 (3a-4a +1,5a )

q

25.

=

qAl 30

2

MB=

qAl 3 4 (a -0,6a ) 12

4

QB = 0,05 qAla

2

27.

P

P

a

a

MA= Pl(a-a ) QB = P MB = MA

jA

MA = 4

28.

EI j l A MB = - 2

29.

dA

QA = P

MA = M B=

EI j l A

6EI dA l2

Q=

Q=

6EI j l2 A

12EI dA l3

DT

30.

M = EIa

DT T d

0

Tabellen

435

Tabelle A.4 Gelenkig gelagerte symmetrische Rahmentragwerke I System

Lagerkräfte

M-Linie

P a

41.

I1

C A

MC h

HA = HB = b I2

D

I1

VA = P

b l

VB = P

a l

B

MC = MD =

P

P

a

a

Pab 3 l 2(2k+3)

MC h

HA = HB =

42. VA = V B = P MC = MD =

3Pa(1-a) 2k+3

q

MC h

HA = HB =

43.

VA = VB =

ql 2

2

MC = MD =

ql 4(2k+3)

P

HA = H B=

P 2

44. MC = P

h 2

VA = VB = P

h l

MD = MC

H A= q

qh 11k+18 8 2k+3 2 qh VA = VB = 2l HB =

45.

2

MC = MD =

qh 5k+6 8 2k+3 2 qh 3k+6 8 2k+3

qh 5k+6 8 2k+3

436

Tabellen

Tabelle A.5 Gelenkig gelagerte symmetrische Rahmentragwerke II System

Lagerkräfte

M-Linie

MC h

HA = HB =

46.

T0 VA = VB = 0

EI2 3 MC = MD= aT T0 h 2k+3

47.

MC h

HA = HB =

DT2,d2 DT1,d1

VA = VB = 0 MC = MD = aT

EI 2 DT1 3 DT h+ 2 l 2k+3 d1 d2 l

)

(

MC h

HA = HB =

48.

d VA = VB = 0

EI 2 3 MC = MD= d hl 2k+3

49.

M

e

e

MC = M MD = M

50.

M

HA = HB =

MC h

VA = VB =

M l

HA = HB =

MC h

VA = VB =

M l

e

3k+3 4k+6

k+3 4k+6

e

e

a e

MC = M a=

a h

e

MD = M

3+3k (1-a ) 4k+6

e

2

3+k (1+3a ) 4k+6 2

Tabellen

437

Tabelle A.6 Eingespannte symmetrische Rahmentragwerke I System

Pab l(5k-1)+2a(k+2) (k+2)(6k+1) 2l2 Pab l(7k+3)-2a(k+2) MB = 2 (k+2)(6k+1) 2l MA =

P a

31.

I1

C A

Lagerkräfte

M-Linie

b I2

D

I1

B

MC =

Pab 2a(k+2)-l(13k+4) (k+2)(6k+1) 2l2

HA = HB =

VA =

3P ab 2h l(k+2)

a(b-a) Pb 1+ 2 l (6k+1) l

(

)

VB = P - VA

Pab 2a(k+2)-11kl MD = 2 2l (k+2)(6k+1) P

P

a

a

3P a(l-a) h l (k+2)

HA = HB =

32.

P a(l-a)

MA = MB =

l(k+2)

VA = V B = P

2P a(l-a)

MC = MD =

l(k+2)

q l2 4h(k+2)

q HA = HB =

33.

MA = MB =

q l2 12(k+2)

MC = MD =

q l2 6(k+2)

P

VA = VB =

ql 2

HA = H B=

34. MA = M B = MC = MD =

MB =

35.

2

qh 30k +73k+15 24 (k+2) (6k+1) 2

2

MC =

18k +23k qh 24 (k+2) (6k+1) 2

MD =

3P h k l(6k+1)

P h 3k 2 6k+1

qh 18k +3k+9 24 (k+2) (6k+1) 2

q

VA = VB =

2

2

MA =

P h 3k+1 2 6k+1

P 2

2

6k +23k qh 24 (k+2) (6k+1)

qh 2k+3 H A= 8 k+2 HB =

qh 6k+13 8 k+2 2

VA = VB =

q h k l(6k+1)

438

Tabellen

Tabelle A.7 Eingespannte symmetrische Rahmentragwerke II System

Lagerkräfte

M-Linie

H A= HB =

3(2k+1) aT T0 EI22 h k(k+2) 36.

T0

MA = MB = a T0 T

EI2 3(k+1) h k(k+1)

VA = VB = 0

EI2 3 MC = MD= aT T0 h k+2 HA =HB =

DT2,d2 37.

aT

EI 2 DT2 3 k l -DT1 d2 d1 k(k+2) l

(

DT1,d1 EI 2 DT2 DT1 1 kl h(k+3) d2 k(k+2) d1 l EI DT2 DT1 1 l h MC = MD =aT 2 2 d2 k+2 d1 l

MA = MB =aT

( (

)

VA = VB = 0

)

H =H = d

38.

)

EI 2 3(2k+1) h2 l k(k+2)

d

EI 2 3(k+1) hl k(k+2) EI 2 3 MC =MD =d hl k+2 MA =MB = d

VA = VB = 0

HA = HB = 0

39. VA = VB =d dx

MA = MC = MB = MD = d

EI 2 6 l 2 6k+1

2

EI 9k+14k+3 MA= j 2 l k(k+2)(6k+1)

EI 2 12 l 3 6k+1

EI 3(k+1) HA = HB = j 2 k(k+2) hl

2

40.

j

EI 15k+26k+3 MB= j 2 l k(k+2)(6k+1) EI 9k+7 MC= j 2 l (k+2)(6k+1) EI 3k-5 MD= j 2 l (k+2)(6k+1)

EI 6 VA = VB = j 22 l 6k+1

Verst¨ andnisfragen

Zu den Abschnitten 1 – 3 Was ist der Unterschied zwischen einem Bauwerk und einem Tragwerk? Was ist der Unterschied zwischen Tragwerk und Konstruktion? Was ist ein Tragwerksmodell? Warum sind die Tragwerksmodelle der Statik f¨ ur beliebige Baustoffe verwendbar? Welche Schritte umfasst der Tragwerksentwurf? Welche Grundgleichungen gibt es f¨ ur Stabtragwerke? Unter welchen Voraussetzungen darf man das Superpositionsprinzip verwenden? Welche Annahmen umfasst die Bernoulli-Hypothese? Wann ist es zul¨assig, die Dehnstarrheit und Schubstarrheit von Balkentragwerken anzusetzen? Was ist der Unterschied zwischen Schnittgr¨oßen und inneren Kraftwirkungen? Wie oft kann man das Schnittprinzip bei einem statisch bestimmten Ein–Feld– Balken einsetzen, um die Schnittgr¨oßen zu berechnen? Warum kann man bei statisch bestimmten Systemen den Spannungszustand allein mit Gleichgewichtsbedingungen ermitteln? Was ist eine Schlusslinie? Welche Grundgleichungen werden bei der Berechnung der Schlusslinie verwendet? Warum und wie kann man mit dem Aufbauprinzip den Grad der statischen Unbestimmtheit von Rahmentragwerken und von Fachwerken ermitteln? Was sind Symmetriebedingungen? Welche Besonderheiten weisen die Zustandslinien symmetrischer Systeme auf?

Zu den Abschnitten 4 – 5 Welcher Zusammenhang besteht zwischen Last und Momentenlinie? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Momentenlinie und Biegelinie? Warum setzt man in den Knoten eines Fachwerks Gelenke an, auch wenn eine biegesteife Einspannung vorliegt? Was sind verschiebliche Systeme? Was ist eine einfach kinematische Kette? Aus welchen Elementen besteht ein Polplan? Welche Widerspr¨ uche sind in einem Polplan m¨oglich? © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1

440

Verst¨ andnisfragen

Welche Bedeutung hat ein Widerspruch in einem Polplan? Liefern Polpl¨ane hinreichende Aussagen u ¨ ber die Verschieblichkeit von Systemen? Welche Auswirkungen hat die Verschieblichkeit eines Systems auf das Gleichgewicht? Welche Systemeigenschaften kann man mit den Aussagen eines Polplanes verbessern?

Zu den Abschnitten 6 – 10 Was ist der wesentliche Unterschied zwischen den Grundgleichungen und den Arbeitsgleichungen? Was unterscheidet die Eigenarbeiten von den Verschiebungsarbeiten? Womit sind die Vorzeichen der inneren und ¨außeren Arbeiten begr¨ undet? Was sind virtuelle Verschiebungen? Welche Bedingungen erf¨ ullt der Arbeitssatz des Prinzips der virtuellen Verschiebungen in schwacher Form? Warum m¨ ussen die virtuellen Verschiebungen nur die Grundgleichungen der Kinematik erf¨ ullen? Warum wird eine Erw¨armung im PvV nicht ber¨ ucksichtigt, warum jedoch im PvK? Warum kann man mit dem PvV einzelne Schnittgr¨ oßen berechnen? Was ist eine Lagrange’sche Befreiung? Was sind virtuelle Kr¨afte? Welche Bedingungen erf¨ ullt der Arbeitssatz des Prinzips der virtuellen Kr¨ afte in schwacher Form? Warum m¨ ussen die virtuellen Kr¨afte die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen, nicht jedoch die Gleichungen der Kinematik? Warum und wie kann man mit dem PvK einzelne Weggr¨ oßen berechnen? Was ist der Unterschied zwischen einer Zustandslinie und einer Einflusslinie? Welche Einheiten haben die Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen und f¨ ur Momente? Welche Einheiten haben die Einflusslinien f¨ ur Verschiebungen und f¨ ur Verdrehungen?

Zu den Abschnitten 11 – 12 Mit welchem Arbeitsprinzip kann man Einzelweggr¨ oßen berechnen? Warum m¨ ussen beim PvK auch die inneren Arbeiten berechnet werden? Warum m¨ ussen bei der Weggr¨oßenberechnung die Erw¨ armungen ber¨ ucksichtigt werden?

Verst¨andnisfragen

441

Warum m¨ ussen bei der Berechnung von Weggr¨ oßen eines Rahmentragwerks auch die Werkstoffgleichungen ber¨ ucksichtigt werden? Warum muss man bei der Weggr¨oßenberechnung eines Fachwerks die Dehnsteifigkeit der St¨ abe ber¨ ucksichtigen? Aus welchen getrennt berechenbaren Teilen setzt sich die Biegelinie eines Rahmens zusammen? Welche Arbeiten werden in den S¨atzen von Maxwell und Betti betrachtet? Welche Grundgleichungen m¨ ussen die Kraft– und Weggr¨ oßen in den S¨ atzen von Maxwell und Betti erf¨ ullen?

Zu den Abschnitten 13 – 19 Warum m¨ ussen in statisch unbestimmten Systemen zus¨ atzlich zu den Gleichgewichtsbedingungen weitere Gleichungen zur Verf¨ ugung stehen? Welche Bedingungen m¨ ussen beim Kraftgr¨oßenverfahren von vornherein erf¨ ullt sein? Welche und wieviele Bedingungen werden beim Kraftgr¨ oßenverfahren zus¨ atzlich zu den Gleichgewichtsbedingungen angesetzt? Wieviele Gleichgewichtszust¨ande gibt es in statisch unbestimmten Systemen? Wieviele Gleichgewichtszust¨ande erf¨ ullen in statisch unbestimmten Systemen auch die Verformungsbedingungen? Warum m¨ ussen die Einheits– und die Lastspannungszust¨ ande des Kraftgr¨ oßenverfahrens die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen? Warum d¨ urfen die Einheitsspannungszust¨ande des Kraftgr¨ oßenverfahrens die Verformungsbedingungen verletzen? Warum darf man das PvK f¨ ur die Verallgemeinerung des Kraftgr¨ oßenverfahrens verwenden? Warum darf man f¨ ur die Berechnung der Momentenlinie eines n–fach statisch unbestimmten Systems mit dem Kraftgr¨oßenverfahren genau n linear unabh¨angige und statisch zul¨assige aber sonst beliebige Momentenlinien verwenden? Was ist ein kinematisch bestimmtes Hauptsystem? Welche Bedingungen m¨ ussen beim Drehwinkelverfahren von vornherein erf¨ ullt sein? Welche Bedingungen werden beim Drehwinkelverfahren zus¨ atzlich zu den Verformungsbedingungen angesetzt? Warum darf man das PvV f¨ ur die Verallgemeinerung des Drehwinkelverfahrens verwenden? Welche Kontrollm¨oglichkeiten gibt es bei der Berechnung statisch unbestimmter Systeme?

442

Verst¨ andnisfragen

Zu Abschnitt 20 Welche Nichtlinearit¨aten werden bei der Spannungstheorie II. Ordnung ber¨ ucksichtigt? Welche Nichtlinearit¨aten k¨onnen bei Theorie II. Ordnung vernachl¨ assigt werden? Welche Vorteile bietet die Theorie II. Ordnung gegen¨ uber der linearen Stabilit¨atstheorie? Was sind Imperfektionen, was ist eine Ersatzimperfektion? Warum und wie m¨ ussen bei der Theorie II. Ordnung Imperfektionen angesetzt werden? Welche Imperfektionen sind f¨ ur das Tragverhalten von Rahmentragwerken wesentlich? Welche Systemeigenschaften kann man in Last–Weg–Diagrammen erkennen? Warum und wie kann man das Gleichgewicht am verformten System mit der Geometrie des unverformten Systems formulieren? Warum muss man die Momentenlinie nach Theorie II. Ordnung iterativ berechnen? Warum darf man bei der Theorie II. Ordnung keine Lastf¨ alle u ¨berlagern? Warum muss man die Einwirkungen mit den Sicherheitsbeiwerten direkt multiplizieren, wenn die Bemessung nach Theorie II. Ordnung erfolgen soll?

Zu Abschnitt 21 Was ist ein Fachwerkmodell? Was ist der Unterschied zwischen einem Fachwerkmodell und einem klassischen Balkenmodell? Welche Bedingungen muss ein Fachwerkmodell erf¨ ullen? Was beschreibt der Kraftfluss? Warum kann man bei sonst gleichem Tragwerk unterschiedliche Fachwerkmodelle entwerfen? F¨ ur welche Tragwerke kann man Fachwerkmodelle einsetzen? F¨ ur welche Baustoffe eignen sich Fachwerkmodelle besonders gut? Was ist der Unterschied zwischen einem Fachwerkmodell und einem Modell mit St¨ utzlinie? Warum kann man Balkenmodelle, Fachwerkmodelle und St¨ utzlinienmodelle bei der Berechnung von Stabtragwerken alternativ einsetzen? Warum sind Balkenmodelle bei der Berechnung des Spannungszustandes in Konsolen, Rahmenecken, Scheiben und vergleichbaren Tragwerken zu ungenau?

Verst¨andnisfragen

443

Zu den Abschnitten 22 – 35 Was bedeutet der Begriff Duktilit¨at? Warum sind die Widerstandsmomente nach Elastizit¨ atstheorie und Traglastverfahren unterschiedlich? Was ist ein Fließgelenk? Welche Reserven sind bei der Bemessung nach Elastizit¨ atstheorie nicht genutzt? Was bedeuten die Begriffe elastisch–elastisch, elastisch–plastisch, plastisch– plastisch? Was sind Dissipationsarbeiten? Welche Bedingungen sind bei Erreichen der Traglast eingehalten? Welche Einschrankungss¨atze grenzen die Traglast ein? Was ist eine unabh¨angige kinematische Kette? Warum wird die Tragf¨ahigkeit von Querschnitten bei Vorliegen von Biegemomenten und Normalkr¨aften ver¨andert? Was ist der Unterschied zwischen Traglast und Ersch¨ opfungszustand? Warum ben¨otigt man bei der Verformungsberechnung das letzte plastische Gelenk? Was ist eine shake–down–load? Was sind Eigenspannungen? Was sind Grenzlasten?

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Bildnachweis

Bild 1-1 Lehrger¨ ust einer Spannbetonbr¨ ucke, Institut f¨ ur Statik, Technische Universit¨at Braunschweig Bild 1-2 B¨ urogeb¨aude in Braunschweig, Institut f¨ ur Statik, Technische Universit¨at Braunschweig Bild 1-3 Galileis Ansatz f¨ ur die Balkenbiegung, I. Szabo [39] Bild 1-5 Entw¨ urfe f¨ ur eine Br¨ ucke u ¨ ber die Elbe bei Pirna, W. Eilzer, S. Kobsch, R. Arloth, R. Jung [10] Bild 1-6 Bauablauf der Elbebr¨ ucke bei Pirna, W. Eilzer, S. Kobsch, R. Arloth, R. Jung [10] Bild 2-9 Letziwaldbr¨ ucke, C. Menn [42] Bild 2-12 Versuchshalle im Leichtweiß–Institut f¨ ur Wasserbau, Institut f¨ ur Statik, Technische Universit¨at Braunschweig Bild 2-13 Klappbr¨ ucke mit Waagebalken in Wolgast, wikipedia Bild 2-14 Trockendock der Meyer–Werft in Papenburg, Institut f¨ ur Statik, Technische Universit¨at Braunschweig ¨ Bild 3-15 Fachwerkbr¨ ucke u in Hamburg, Institut ¨ ber die Elbe – Uberseeallee f¨ ur Statik, Technische Universit¨at Braunschweig Bild 3-18 Schiffshebewerk in Niederfinow, Institut f¨ ur Statik, Technische Universit¨at Braunschweig Bild 4-2 Bogenbr¨ ucke im oberen Rheintal, C. Menn [42] Bild 4-8 Dachtragwerk in St¨ utzfl¨achenform – Naturtheater in Gr¨ otzingen, E. Heinle, J. Schlaich [14] Bild 4-9 Golden Gate Bridge, F. Leonhardt [26], Max-Eyth-See Br¨ ucke, A. Holgate [18] Bild 5-1 Kipplager und Rollenlager, Institut f¨ ur Statik, Technische Universit¨ at Braunschweig © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1

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Bildnachweis

Bild 5-3 Klappbr¨ ucke in Kiel–H¨orn, A. Holgate [18], L. F. Troyano [41] Bild 19-1 Siegtalbr¨ ucke, Institut f¨ ur Statik, Technische Universit¨ at Braunschweig

Stichwortverzeichnis

Abtriebskraft, 306, 308, 412 Abz¨ahlkriterium, 42, 48 analytische L¨osung, 59, 297 Arbeit, 346 Arbeitsgleichung, 154, 160, 257 arbeitskonjugiert, 115 Arbeitssatz, 13, 114, 117, 119 Aufbauprinzip, 40, 45, 83 Aussteifungsverband, 110 Auswertung von Einflusslinien, 151, 152, 286 Balkenbiegung, 5, 52, 296 Bauen im Bestand, 428 Bauwerk, 7 Bemessung nach Traglastverfahren, 407 Berechnungsmodell, 12 Bernoulli–Hypothese, 33, 52 Betonstahl, 422 bewegte Lasten, 152 Biegelinie, 60, 61, 79, 165, 171, 268 Biegestab, 52 biegesteif, 51 Bogenbr¨ ucke, 10, 27 Bogentragwerk, 16, 27, 92, 149 Br¨ ucke, 4, 10, 27, 29, 40, 73, 110, 152 Bruchschnittgr¨oßen, 421 Dehnstab, 55 dehnstarr, 51, 55, 78, 234, 237, 240 Determinantenkriterium, 112 differentielles Element, 51, 296 DIN 18800, 339 direkte Belastung, 140 Dissipationsarbeit, 346

Drehwinkelverfahren, 232, 237, 270, 271, 298 Druckdiagonale, 323, 327 Druckstrebe, 73–75, 323, 325 Dualit¨ at von Kraft– und Weggr¨ oßen, 194, 270 Durchlauftr¨ ager, 140, 286 Eigenarbeit, 116 Eigenspannungszustand, 395, 405 Einflusslinien bei Bogentragwerken, 149 Einflusslinien bei Fachwerken, 144 Einflusslinien bei indirekter Belastung, 140 Einflusslinien bei Rahmentragwerken, 145 Einflusslinien bei schr¨ ag angreifender Wanderlast, 143 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen, 134, 140, 151, 281, 284 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen, 173, 178, 279 Eingepr¨ agte Weggr¨ oße, 207, 262 Einheitsspannungszustand, 199 Einheitsverformungszustand, 245, 301 Einschrankungss¨ atze, 350 Einspielsatz, 398 Einwirkungen, 22 Elastizit¨ atstheorie, 332 Entwurf, 7 Erdbeben, 429 Ersatzbalken, 76 Ersatzimperfektion, 295, 301, 302, 308, 310 Ersch¨opfungszustand, 390 Erw¨armung, 25, 126

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23839-1

452 Eurocode 2, 421 Eurocode 3, 339 Fachwerk, 45–47, 71, 76 Fachwerkbr¨ ucke, 72 Fachwerkmodell, 321, 325 Fehlerkontrolle, 217, 274 Fehlerquelle, 217, 274 Finite–Element–Methode, 6 Fl¨achentragwerk, 6, 16, 97 Flachentragwerk, 429 Fließgelenktheorie, 331 Fließgelenktheorie II. Ordnung, 410 Form¨anderungsarbeit, 117, 118 Gelenk, 19, 20 Gleichgewicht, 50, 53, 56, 297, 302 Gleichgewichtsbedingung, 12, 198, 245 Grenzlasten, 339 Grundgleichung, 12, 13, 50, 59, 296 Hermite–Polynom, 171 Hooke’sches Gesetz, 21, 34 Imperfektion, 301, 307, 312, 313 Iteration, 295, 298 kaltverformt, 422 Kinematik, 12, 100 kinematisch bestimmt, 232 kinematisch bestimmtes Hauptsystem, 235, 243 kinematisch unbestimmt, 232 kinematische Kette, 101, 353 kinematische Kette – global, 355 kinematische Kette – Knotenmechanismen, 355 kinematische Kette – lokal, 354 kinematische Methode, 137, 139 kinematischer Satz, 351 Knicklast, 291 Knickstab, 291, 303

Stichwortverzeichnis Knotenverdrehung, 234 Knotenverschiebung, 234 Knotenweggr¨ oßen, 233 Kombination von unabh¨ angigen kinematischen Ketten, 367 Konsole, 327 Kontrolle der Gleichgewichtsbedingungen, 218, 269, 272, 274, 317 Kontrolle der Verformungsbedingungen, 218, 269, 272, 276 Kontrolle I, 219 Konvergenz, 296 Kraftfluss, 186, 321, 326 Kraftgr¨ oße, 36 Kraftgr¨ oßenverfahren, 14, 196, 203, 228, 270 Kraftgr¨ oßenverfahren, verallgemeinert, 222 Lager, 19, 20 Lagerkr¨ afte, 60 Lagrange’sche Befreiung, 130, 137, 254, 256 Last–Weg–Diagramm, 395, 397 Lasten, 22 Lastspannungszustand, 198 Lastverformungszustand, 244, 300 Lastzyklen, 398, 399, 405 M–N–Interaktion, 378, 383 M–N–Q–Interaktion, 378, 382 M–Q–Interaktion, 381 Modellbildung, 15, 20, 50 Modellgleichung, 12, 13 Momentengleichgewicht, 79, 246, 255 Momentenlinie, 61 Nebenspannungen, 32 Parabel–Rechteckdiagramm, 422 Pfahlbock, 30

Stichwortverzeichnis plastifizieren, 337, 342, 346 plastischer Grenzzustand, 350 plastisches Gelenk, 346, 347, 391 plastisches Widerstandsmoment, 342 Pol, 102 Pollagerung, 108 Pollinie, 102 Polplan, 100, 103, 108 Prinzip der virtuellen Kr¨afte, 125, 128, 129, 154, 160, 222 Prinzip der virtuellen Verschiebungen, 121, 124, 130, 254, 306, 357 Prinzip von St. Venant, 33 Querschnittsplastifizieren, 342 R¨ uckf¨ uhrung auf statisch bestimmte Hauptsysteme, 197 Rahmenecke, 78, 326 Rahmentragwerk, 28, 40, 78, 145, 187, 210, 214, 226, 309 Randbedingung, 50, 59 Reduktionssatz, 229, 230 Relativverdrehung, 159 Relativverschiebung, 158 Restsystem, 376 Rotationskapazit¨at, 425 Satz von Betti, 175, 281 Satz von Land, 138, 281 Satz von Maxwell, 175, 281 Schale, 17, 97 Scheibe, 40, 101, 328 Schiebeh¨ ulse, 19, 20, 307 Schlusslinie, 65 Schnittgr¨oße, 35 Schnittprinzip, 35, 72, 78 schubstarr, 33, 51, 54, 118, 237 Sehnenpolygon, 79, 157, 165, 229, 261, 268

453 Seiltragwerk, 98 Setzung, 25, 127 shake–down–load, 398, 405 Spannungstheorie II. Ordnung, 291 Spannungszustand, 14, 33, 120 St¨ utzfl¨ ache, 97 St¨ utzlinie, 96, 328 Stabendmomente, 240, 296, 299 Stabilit¨ at, 291 Stabimperfektion, 301 Stabsteifigkeiten, 317 Stabtragwerk, 15, 33, 50 Stahlbeton, 421 Stahlbetonquerschnitt, 423 statisch bestimmt, 39, 43, 71 statisch bestimmtes Hauptsystem, 197, 226 statisch unbestimmt, 39, 44, 185, 189 statisch unterbestimmt, 38 statische Methode, 135 statischer Satz, 351 statisches System, 18 Steifigkeitskoeffizient, 299 Stockwerkgleichgewicht, 250, 256, 306 Superpositionsprinzip, 34 Symmetrie, 89 Systemtragreserven, 426 Tabelle der ω-Funktionen, 168 Tabelle der ω-Zahlen, 169 Tabelle der Arbeitsintegrale, 162 Tabelle der Einfeldbalken, 432–434 Tabelle der Rahmentragwerke, 435– 438 Tabelle der Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨ anden, 242 Tabelle der Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨ anden – Theorie II. Ordnung, 301 Tabelle der Stabendmomente aus Einwirkungen, 241

454 Tabelle der Stabendmomente aus Einwirkungen – Theorie II. Ordnung, 300 Temperatur¨anderung, 25, 54, 126, 165 Theorie II. Ordnung, 293, 297, 302, 410 Tonti–Schema, 50 Torsionsstab, 57 Traglast, 331, 350 Traglasttheoreme, 348 Traglastverfahren, 331, 428 Tragwerk, 8 Tragwerksanalyse, 3, 186 Tragwerksberechnung, 9 Tragwerksentwurf, 9 Tragwerksmodell, 9, 12, 15, 27, 32, 321 Trockendock, 30 Verdrehung, 154 Verformungsbedingung, 200 Verformungsberechnung, 388, 390, 420 Verformungsgeometrie, 12, 50, 52, 55, 57, 297 Verformungskontrolle, 218, 230, 284 Verformungszustand, 14, 33, 120 Verkr¨ ummungen, 342 Verschieblichkeit, 108, 112 Verschiebung, 154 Verschiebungsarbeit, 115 Verschiebungsplan, 109 virtuelle Arbeit, 121, 357 virtuelle Kraft, 125, 128 virtuelle Verschiebung, 123, 137, 307 Vorgehensweise der Baustatik, 61 Vorzeichen der Baustatik, 36 Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens, 239 W¨ armeausdehnungskoeffizient, 25, 54, 126, 165

Stichwortverzeichnis Wanderlast, 135 warmgewalzt, 422 Weggr¨ oßenverfahren, 14 Weggr¨ oße, 36 Weggr¨ oßenberechnung, 154, 200, 229 Werkstoffgleichung, 12, 21, 50, 54, 56, 58, 297 Werkstoffverhalten, 21, 34, 335 Widerspruch im Polplan, 101, 104, 108 Widerstandsmoment, 342 Zugdiagonale, 323, 327 Zugstrebe, 73–75, 323 Zustandslinie, 61, 71, 79, 81, 83, 93, 134, 202 Zwangbeanspruchung, 25, 416