Grundfragen der Physik: Geschichte, Gegenwart und Zukunft der physikalischen Grundlagenforschung [Reprint 2022 ed.] 9783112619742, 9783112619735

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Grundfragen der Physik: Geschichte, Gegenwart und Zukunft der physikalischen Grundlagenforschung [Reprint 2022 ed.]
 9783112619742, 9783112619735

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Wissenschaftliche Taschenbücher

Mathematik • Physik Robert Rompe Hans-Jürgen Treder

Grundfragen der Physik

Akademie-Verlag • Berlin

Wissenschaftliche Taschenbücher

Eine Auswahl lieferbarer Bände:

WERNER DÜCK

HEINRICH ARNOLD Physikalische Chemie der Halbleiter

HANNELORE FISCHER JOACHIM PIEHLER Modellsysteme der Operationsforschung

JOACHIM AUTH / DIETMAR GENZOW

Diskrete Optimierung

KLAUS H . HERRMANN Photoelektrische Erscheinungen HANS BANDEMER ANDREAS BELLMANN WOLFHART JUNG / KLAUS RICHTER Optimale Versuchsplanung

HERBERT GOERING Asymptotische Methoden zur Lösung von Differentialgleichungen HERBERT GOERING Elementare Methoden z u r Lösimg von Differentialgleichungsproblemen

FRANK BEICHELT Prophylaktische Erneuerung

EDUARD HERLT / NIKOLAUS SALIIS

von Systemen

Spezielle Relativitätstheorie

JOACHIM BELLACH / PETER FRANKEN

HELMUT HESS

ELKE WARMUTH / WALTER WARMUTH

Der elektrische Durchschlag In Gasen

Maß, Integral und bedingter Erwartungswert WOLFRAM BRAUER HANS-WALDEMAR STREITWOLF Theoretische Grundlagen der Halbleiterphysik SIEGFRIED BREHMER E i n f ü h r u n g in die Maßtheorie SIEGFRIED BREHMER H i l b e r t - B ä u m e und Spektralmaße JOHN CUNNINGHAM

V . I . KARPMAN Nichtlineare Wellen In dispersiven Medien ULRICH KAUSMANN KLAUS LOMMATZSCH FRANTISEK N O M K A Lineare parametrische Optimierung A . B . KESSEL Akustische Kernresonanz KONRAD KREHER Festkörperphysik

Vektoren GEORG DAUTCOURT Relativistische Astrophysik IC. CH. DELOKAROV Relativitätstheorie und Materialismus

DIETER KRESS Theoretische Grundlagen der Signalund Informationsübertragung DIETER LEUSCHNER Grundbegriffe der T h e r m o d y n a m i k

V. S. LET0CH0W Laserspektroskopie

GERHARD WUNSCH Zellulare Systeme

DIERCK-EKKEHAED LIEBSOHER Relativitätstheorie mit Zirkel und Lineal

Festkörperphysik Entwicklungstendenzen und Anwendungsmöglichkeiten

WOLFGANG MEILING Digitalrechner in der elektronischen Meßtechnik Teil 1: Meßmethodik Teil 2: Gerätetechnik und Anwendungen

Die Schöpfer der physikalischen Optik Eine Artikelsammlung

L. I. MIROSCHNITSCHENKO Kosmische Strahlung im interplanetaren Raum PETER PAUFLER GUSTAV E. B . SCHULZE Physikalische Grundlagen mechanischer Festkörpereigenschaften Teil I und I I ULRICH RÖSEBEKO Quantenmechanik und Philosophie ALBRECHT ROST Messung dielektrischer Stoffeigenschaften J . V. SAÖKOV Wahrscheinlichkeit und Struktur E. M. SAWIZKI Perspektiven der Metallforschung WOLFGANG SCHÄFER Theoretische Grundlagen der Stabilität technischer Systeme ERNST SCHMUTZER Symmetrien und Erhaltungssätze der Physik VOLKMAR SCHURICHT Kernexplosionen für friedliche Zwecke NORBERT SIEBER HANS-PETER LEIDHOLD Einführung in die Datenverarbeitung

HANS-GEORG SCHÖPF Von Kirchhoff bis Planck HORST MELCHER Albert Einstein wider Vorurteile und Denkgewohnheiten RENATE WAHSNIR Mensch und Kosmos Die copemicanische Wende HELMUT FRIEMEL / JOSEF BROCK Grundlagen der Immunologie EBERHARD HOFMANN Funktionelle Biochemie des Menschen Band 1 und 2 LOTHAR JÄGER Grundlagen der Klinischen Immunologie KARLHEINZ LÖHS DIETER MARTINETZ Entgiftung Mittel, Methoden und Probleme JOACHIM NITSCHMANN Entwicklung bei Mensch und Tier STEPHAN SCHNITZLER Pharmakologische Aspekte von Immunreaktionen DIETER SPAAR HELMUT KLEINHEMPEL HANS JOACHIM MÜLLER KLAUS NAUMANN Bakteriosen der Kulturpflanzen

EBBRHAHD TEUSOHER

Pharmakognosie Teil I - I I I MICHAEL THEILE SIEGFRIED SCHERNECK

Zellgenetik HEINRICH BREUER KLAUS-PETER WENDLANDT

Heterogene Katalyse PETER BIRNER HANS-JÖRG HOFMANN CORNELIUS WEISS

MO-theoretlsche Methoden In der organischen Chemie

Vorschau auf die nächsten Bände: HORST-HEINO VON BORZESZKOWSKI RENATE WAHSNER

Newton und Voltaire Zur Begründung und Interpretation der klassischen Mechanik WERNER DÖPKE

Dynamische Aspekte der Stereochemie organischer Verbindungen GOTTFRIED FRITZSCHE

Entwurf aktiver Analogsysteme Netzwerke I I I MARTIN HEINRICH / HEINZ ULBRICHT

GÜNTHER EPPERT

Einführung In die Schnelle Flüssigchromatographie GERHARD GEISELER / HEINZ SEIDEL

Mechanik der Kontinua KARL LANIUS

Physik der Elementarteilchen

Die Wasserstoffbriickenbindung

DIETER MICHEL

HJELMUT HRAPIA

Grundlagen und Methoden der keramagnetischen Resonanz

Einführung In die Chromatographie

GERNOT NEUQEBAUER HANS LUPPA

Grundlagen der Histochemie Teil I und I I

Relativistische Thermodynamik VOLKER NOLLAU

Semi-Markovsche Prozesse HASSO MEINERT

Fluorchemie

VOLKMAR SCHÜRICHT

Fusionsreaktoren und Umwelt BUBKART PHILIPP GERHARD REINISCH

RAINER SINZ

Grundlagen der makromolekularen Chemie

Chronopsychophyslologie, Chronoblologle und Chronomedizin

HORST REMANE / RAINER HERZSCHUH

Massenspektrometrle In der organischen Chemie ADOLF ZSCHUNKE

Kernmagnetische Resonanzspektroskopie In der organischen Chemie

B A N D 216

Robert Rompe Hans-Jürgen

Treder

Grundfragen der Physik Geschichte, Gegenwart und Zukunft der physikalischen Grundlagenforschung

AKADEMIE-VERLAG

BERLIN

Reihe MATHEMATIK U N D P H Y S I K Herausgeber: Prof. Dr. phil. habil. W. Holzmüller, Leipzig Prof. Dr. phil. habil. A. Lösche, Leipzig Prof. Dr. phil. habil. H . Reichardt, Berlin Prof. Dr. rer. n a t . habil. H.-J. Treder, P o t s d a m Verfasser:

Prof. Dr. phil, Dr. rer. nat. h. c. Dr.-Ing. e. h. Robert Rompe Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der D D R

Prof. Dr. rer. nat. habil. Dr. h. c. Dr. rer. nat. e. h. Hans-Jürgen Treder Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der D D R

1980 Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1080 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Lektor: Dipl.-Phys. Ursula Heilmann © Akademie-Verlag Berlin 1980 Lizenznummer: 202 • 100/454/80 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", 7400 Altenburg Bestellnummer: 762 798 6 (7216) • LSV 1104 Printed in GDR DDR 8 , - M

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 7 2. Offene Fragen 10 3. Aufgabenstellung der Physik 18 4 . Die Diskussion zwischen E I N S T E I N und B O H R . . . . 28 5. Physik und Realität 33 6. Telepathie und Spiritismus? 40 7. Die substantielle Welt und das sogenannte Vakuum . 47 8. Denkmögliche, virtuelle und aktuale Welten 64 9. Anhang: Zum Verhältnis von Mathematik und Physik (1966) 76 1 0 . Anhang: Rundtischgespräch über E I N S T E I N 83 Literatur 98 Nachweis der Zitate 100

„Wie armselig steht der theoretische Physiker vor der Natur — und vor seinen Studenten." ALBERT BISSTEIN

(1879-1955)

„Aber unsere Zwecke sind so herrlich, daß, während es den Schwächsten ermutigen kann, daran zu arbeiten, es den Stärksten entzückt und beseligt." MICHAEL FARADAY

(1791-1867)

1. Einleitung Unser kleines Büchlein „Über Physik", in dem wir, gestützt auf Diskussionen in der Klasse Physik der Akademie der Wissenschaften der DDR und orientiert an der marxistisch-leninistischen Philosophie und an den Ansichten der Großen der Physik, einige Gedanken über die Stellung der Physik in Wissenschaft und Gesellschaft darlegten, hat ein lebhaftes Interesse gefunden. Fachkollegen der Akademie, der Universitäten und der Industrie teilten uns ihre Bemerkungen zu den verschiedenen Aspekten unserer Fragestellungen mit. Sie äußerten sich oft wohlwollend zustimmend und manchmal auch freundschaftlich kritisch hierzu. Besonders wichtig war uns das Interesse der jungen Generation unserer heutigen oder künftigen Kollegen, die durch unsere früheren, heutigen oder zukünftigen Hörer an den Hochschulen vertreten wurden. Dabei erkannten wir aber auch die Lücken unserer Darstellung; einiges, was man uns fragte, war objektiv zur Zeit nicht beantwortbar, es bezog sich auf Probleme, welche die künftigen Ergebnisse der Physik zu klären haben. Wir bemerkten aber auch, daß wir einiges von dem, was in unserem Buch steht, hätten weiter ausführen sollen; wir haben oft die Probleme nur angedeutet und nicht konkret weiterverfolgt, vor allem die inhaltlichen Fragen der zukünftigen Entwicklung der Grundlagenphysik. Wir müßten auch zu den methodischen Bemerkungen unseres Büchleins mehr sagen, um die Leser der jüngeren Generation, auf die es uns ja ankommt, besser zu befriedigen.

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1. Einleitung

Zu ausführlichen Diskussionen über Grundlagenprobleme der Physik gestern, heute und morgen gaben nun insbesondere die wissenschaftlichen Veranstaltungen der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Physikalischen Gesellschaft der DDR zum 100. Geburtstag von A L B E R T E I N S T B I N umfassend Anlaß. Hier fand ein Meinungsaustausch mit zahlreichen in- und ausländischen Kollegen statt. Wir denken dabei besonders auch an die im „Spektrum" und in der „Wochenpost" publizierten Diskussionen mit K L A U S F U C H S und M A X S T E E N B E C K über A L B E R T E I N S T E I N S Beiträge zur Physik und an das gemeinsame wissenschaftliche Kolloquium von der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Physikalischen Gesellschaft der DDR am 1. und 2. März 1 9 7 9 zum 1 0 0 . Geburtstag E I N S T E I N S . 1 ) Unser folgender Versuch, auf die uns übermittelten Anfragen zu unserem bereits erschienenen Büchlein zu antworten und auf weitere inhaltliche Probleme der zukünftigen physikalischen Grundlagenforschung einzugehen, entstammt zum Teil direkt aus den obengenannten Diskussionen. Dies gilt vor allem für die Kapitel über die Diskussion zwischen E I N S T E I N und B O H R und über E I N S T E I N S grundlegenden Aufsatz „Physik und Realität". Wir konnten aber auch sehen, daß die Bemerkungen über die Beziehungen zwischen Mathematik und Physik, die wir vor über einem Dutzend Jahren im Zusammenhang mit einer Diskussion zwischen den Berliner Mathematikern und Physikern gemacht hatten, durchaus der Auffassung prominenter Mathematiker entsprechen. Und wir glauben, daß das weitere Durchdenken dieser Bemerkungen uns gerade bei der Aufgabe geholfen hat, einige unserer Gedanken über die zukünftige Entwicklung der theoretischen Physik zu präzisieren. ') Vgl. hierzu Spektrum, Heft 2 (1979). — Einstein-Centenarium 1979 (Ansprachen und Vorträge auf den Festveranstaltungen des Einstein-Komitees der DDR bei der Akademie der Wissenschaften der DDR vom 28.2. bis 2. 3.1979 in Berlin. Für das Einstein-Komitee der DDR herausgegeben von H.-J. TREDER). Berlin 1979.

1. Einleitung

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Unser vorliegender Versuch, auf die Fragen unserer Studenten über die Entwicklung der theoretischen Physik zu antworten, zeigte uns objektiv und subjektiv die tiefe Wahrheit des einleitend zitierten Ausspruchs von EINSTEIN. Wir möchten für uns aber auch das Benefizium des ersten Teils unseres FABADAY-Zitats in Anspruch nehmen. Die Wahrheit des zweiten Teils zeigt sich wieder in den grundsätzlichen Ausführungen der großen Meister, auf die wir uns im Text immer erneut berufen können. — Wir haben über jeden Abschnitt unseres Büchleins aus den Werken der „Stärksten" Zitate vorangestellt. Diese sind so gewählt, daß sie einerseits als Leitmotive den Inhalt der folgenden Kapitel charakterisieren und andererseits in ihrer Gegenüberstellung die komplementären Aspekte der Probleme dialektisch erfassen.

„ B s ist nichts Besonderes, Fehler festzustellen; etwas Besseres geben — das ist es, was einem ehrenwerten Menschen gebührt." MICHAEL LOMONOSSOW (1711 —1765) „ W o h l jede Theorie wird einmal ihr „ n e i n " erleben." ALBERT EINSTEIN (1879-1955) „ B e i dem jeweiligen Stande des theoretischen Denkens besteht eine Hierarchie der Gesetze; es werden ihnen verschiedene Grade der Festigkeit zugeschrieben." HERMANN WEYL (1885-1955)

2. Offene Fragen Die größten Physiker unseres Jahrhunderts — PLANCK, EINSTEIN, BOHB — stimmten darin überein, daß es in der Physik offene Fragen gibt. Diese Fragen sind inhaltlicher Natur und lassen sich im formalen (tautologischen) Teil der Physik nicht beantworten. Bemerkenswert ist zweifellos, daß die großen Erfolge der Physik in Forschung und Technik unberührt davon zustande gekommen sind, was die Vermutung zuläßt, daß die Beantwortung jener Fragen zumindest zum Teil bereits im heute als gefestigt angesehenen Gebäude der Physik impliziert wird, in einer explizit nicht leicht ausdrückbaren Form. Andererseits ist dieser Situation mit den heute praktizierten Methoden der Physik kaum beizukommen. Das ist daraus zu ersehen, daß hier in den letzten 50 Jahren kaum uns bekannte Fortschritte gemacht wurden. Ein Teil dieser offenen Fragen hängt, wie wohl zuerst M. PLANCK erkannt hat, mit der Existenz von Elementarkonstanten zusammen: c, 7t, e, /, oder, wie BOHB es 1965 ausgedrückt hat, mit den näheren Beziehungen zwischen h und e. Zweifellos beziehen sich h und e auf Objekte im atomaren, mikroskopischen Bereich, während ihre Bedeutung im makroskopischen zurück-

2. Offene Fragen

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tritt. Die Ausbreitung von Licht ist wiederum auch ein makroskopischer Vorgang, ebenso die Gravitation. Daß e2/Ac eine dimensionslose Zahl ist, ist als besonders bemerkenswert angesehen worden, obgleich nicht ausgeschlossen werden kann, daß es sich hier um einen Zufall handelte Die Frage der Dimension setzt eine ganz bestimmte Darstellung der Wirklichkeit voraus, und zwar die auf mechanischen Begriffen beruhende. Falls diese nicht adäquat ist, ist auch die Frage der Dimension offen. Teilweise ist diese scheinbare Aporie dadurch begründet, daß die heutige Physik bereits die Antworten impliziert, aber dasjenige, was P L A N C K , E I N S T E I N oder B O H R vermißten, die richtigen Fragen hierzu sind. Die Kenntnis der implizierten Antworten reicht für den Nutzgebrauch der Physik aus; aber wenn man nicht die dazugehörigen Fragen kennt, hat man die Antworten erkenntnistheoretisch nicht verstanden. Ein schon von P L A N C K und E I N S T E I N angemerktes und heute genauso wie zu Beginn unseres Jahrhunderts offenes Problem ist z. B.: Weshalb beträgt e2 = 1/137hc (wo e die elektrische Elementarladung, h P L A N C K S Konstante und c die Lichtgeschwindigkeit ist)? Daß diese S O M M E R F E L D Konstante eine universelle, von nichts mehr abhängige, zu allen Zeiten und überall im Universum gültige Zahl ist, reicht für alle spektroskopischen, quantenchemischen und atomphysikalischen Anwendungen der Physik genauso aus, wie diese Universalität der SOMMERFELD-Konstanten die Astrophysik möglich macht. Das Suchen nach der richtigen Frage hierzu bedeutet das Aufsuchen einer Theorie, aus deren Gleichungen sich der Wert von e2/Äc als ein „Eigenwert" ergibt. Dieses Gleichungssystem und die Aufgabe, seinen Eigenwert zu bestimmen, ist die Fragestellung, die auf 1/137 als Antwort führt. Daß und wie das Erkennen der Fragestellung zu faktisch bereits bekannten Antworten die Physik prägt, zeigte E I N S T E I N S Allgemeine Relativitätstheorie. Die hier bekannte Antwort war die seit G A L I L E I , ja seit E P I K U R , wohl vertraute und empirisch scharf gesicherte Äquivalenz

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2. Offene F r a g e n

der trägen und schweren Massen. Als Frage hierzu erwies sich E I N S T E I N S Allgemeines Relativitätsprinzip. Dimensionsbetrachtungen rechtfertigen sich eben daraus, daß die Meßgeräte der Physik, mit denen alle Zahlenwerte bestimmt werden, NEWTONS Prinzipien der Mechanik genügen müssen. Die Berechtigung der Frage nach den „absoluten Dimensionen" physikalischer Quantitäten im Sinne von GAUSS und W E B E R ist der Ausdruck der letztendlichen Messung aller physikalischen Größen auf Grund der NEWTONschen Prinzipien, deren Zutreffen für die Wirksamkeit der Meßgeräte vorauszusetzen ist. In diesem Sinne haben GAUSS und W E B E K erstmals das absolute elektrodynamische Maßsystem bestimmt. Eine Fragestellung wie oben hat z. B . H E I S E N B E B G S unitäre Feldtheorie zu formulieren versucht. Der Fortschritt der heutigen Elementarteilchentheorie besteht wohl gerade darin, daß sie nicht nur die Frage zur Antwort e2 = 1/137 hc sucht, sondern die allgemeinere Frage nach dem Zahlenwert aller Kopplungskonstanten finden will. Diese Dimensionsanalyse bedeutet dagegen keineswegs, daß die Elektrodynamik selbst auf die Mechanik zurückführbar ist; es wird in der Elektrodynamik genauso wie in der Quantenphysik eben nur mit klassischen Meßgeräten gemessen, und für deren Reaktionen gelten die Gesetze der klassischen Physik. PLANCK bezeichnet andererseits als offene Frage das Verhältnis von Physik der ponderablen Materie zur Physik des Äthers. E s sei daran erinnert, daß die Gegnerschaft bedeutender Physiker wie HELMHOLTZ, MACH gegen die Realität der Atome der Einsicht entsprang, daß ihre Beständigkeit, Unveränderlichkeit und absolute Gleichheit allen Erfahrungen der in der Raum-Zeit-Konzeption der Mechanik darstellbaren Systeme widersprach. Man kann sagen: Ist die SoMMEBFELDsche Zahl e2/hc = 1/137 ein zufälliger, nicht mehr „hinterfragbarer" Zahlenwert, dann gibt die Elementarteilchenphysik mit ihren hochaufwendigen technischen, experimentellen und

2. Offene Fragen

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mathematischen Ansätzen nur einen exotischen orbis pictus submikroskopischer Raum-Zeit-Bereiche. Ist andererseits EDDINGTONS Zahl hclfM2 = 1IN, wo M die Baryonenmasse und N «s 10 80 die Zahl der Baryonen in der Metagalaxis (im EiNSTEiNschen Kosmos) ist, ein reiner Zufall und dementsprechend die Schwäche der universellen Gravitation im Mikrokosmos ein nicht weiter verstehbares F a k t u m , so gibt die ebenfalls recht aufwendige extragalaktische Astronomie nicht mehr als einen, genauso exotischen, teleskopischen orbis pictus. — Sind aber beide Zahlenwerte im obigen Sinne erfragbar (und suchen wir mit R e c h t nach den betreffenden Fragen), dann lohnen sich erkenntnistheoretisch alle Bemühungen der relativistischen Hochenergiephysik und Astrophysik. Man sieht, daß das Problem der Elementarkonstanten quer durch die Physik geht: A u c h die klassische Physik ist bereits so aufgebaut, daß die Quantenphänomene „korrespondenzmäßig" aus ihr herauskommen, und die „mikroskopischen" Elementarkonstanten von ihr erfaßt werden können. Über das Verhältnis von klassischer P h y s i k und Quantenphysik haben wir uns a. a. O. geäußert, wir wollen das dort Gesagte nicht wiederholen. Alle Aussagen über die Elementarkonstanten werden durch Beobachtung bzw. Messung makroskopischer Phänomene mit makroskopischen Meßmitteln gewonnen; etwa h/k aus der Lage des Maximums der Spektralverteilung des schwarzen Körpers, oder e/m durch Beobachtung der Ablenkung eines Elektronenstrahles im Magnetfeld, oder hje durch Messung des Photostroms, der kurzwelligen Grenze des Röntgen-Bremspektrums oder der Wechselstromfrequenz bei vorgegebener Spannung beim JOSEPHSON-Effekt. Die erhaltenen Größen, wie alle durch physikalische Meßgeräte ermittelten Daten, stellen Mittelwertsgrößen dar. Die dafür ausgearbeiteten Meßgeräte liegen voll in der Kompetenz der klassischen Physik, was naturgemäß auch für die Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit c und der Konstante der Gravitation / gilt.

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2. Offene Fragen

Die Auszeichnung als „Elementarkonstanten" ergibt sich aus der Theorie, die behauptet, daß ihr Mittelwertscharakter von der Messung herkommt. Die Genauigkeit, mit welcher mittels makroskopischer Messungen Elementarkonstanten ermittelt sind, ist recht unterschiedlich. Sie liegt zwischen der 7. und der 9. Dezimale. Eine offene Frage von allgemeinster Bedeutung ist die Herkunft der trägen Massen von Elektronen, Photonen usw. Wenn man, was wohl notwendig ist, an E I N S T E I N S Auffassung der Allgemeinen Relativität glaubt, dann besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen dem elektromagnetischen Feld (und andere durch „Teilchen" repräsentierbare Felder) und der Trägheit bzw. Gravitation, die offenbar auch für die Massen der Elementarteilchen zuständig ist.Dann wären allerdings entsprechend P L A N C K S Auffassung h und e mikroskopisch festgelegt, während m und M „teleskopisch" aus den Verhältnissen der Welt im Großen resultieren. 2 ) Aus dem Gesagten ist wohl ersichtlich, daß das, was man als „offene Frage" in der Physik anerkennt, damit zusammenhängt, was als Aufgabenstellung der Physik angesehen wird. Man muß daran denken, daß die Aussage, es gibt Elementarkonstanten, die Physik in toto voraussetzt. Die Elementarkonstanten isoliert zu betrachten und mit ihnen Spekulationen anzustellen, kann in gewissen Fällen gewisse heuristische Vorteile liefern, aber kaum mehr. Entsprechend der Auffassung, die von HELMHOLTZ, K I R C H H O F F , H E K T Z und B O L T Z M A N N entwickelt und von !

) h/e, h/k, e/m können als Quotienten zweier atomistischer Größen einen makroskopischen Wert besitzen — ähnlich wie 0:0 — und werden auf makroskopische Größen wie elektrische oder magnetische Feldstärken bezogen. Diese unterliegen thermodynamischen Schwankungen, die sich naturgemäß auf die ermittelten Werte der Elementarkonstanten übertragen. Daß die Elementarkonstanten „exakte" Werte besitzen, ist eine Behauptung, die sich z. B. auf die recht genau ermittelbare Frequenz von Spektrallinien stützt — die ihrerseits stets thermodynamisch eine Linienbreite durch DOPPLER-Effekt besitzen, die bei kosmischen Objekten sogar groß ist. Aus diesem Grunde ist die Frage „Wie konstant sind die Elementarkonstanten?" experimentell nur bis zu der thermodynamischen Grenze zu beantworten und eine Behauptung, die der Theorie entspricht.

2. Offene Tragen

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vielen anderen Physikern fortgeführt worden ist, hat die klassische Mechanik eine mehr als nur praktisch^ Rolle in der Physik: Die Mechanik läßt eine Präzisierung der Definition des physikalisch Wirklichen zu bzw. des Teils der Wirklichkeit, der in den Zuständigkeitsbereich der Physik fällt. Denn zweifellos haben H E L M H O L T Z , K I R C H H O F E und die anderen großen Physiker auch das Denken als Teil der Wirklichkeit angesehen, allerdings nicht in der Zuständigkeit der Physik. Was die primären Unterlagen jeder physikalischen Untersuchung anbelangt, die Ergebnisse von Beobachtungen und Messungen, so sind sich wohl alle Physiker einig, daß — mit E I N S T B I N — das uns unmittelbar gegebene die Koinzidenz von Ereignissen ist — von objektivem Geschehen und von der Ablesung des Zeigers eines Meßinstruments. Weiterhin — mit B O H B — daß damit die Notwendigkeit besteht, auch das Meßinstrument als Gegenstand der physikalischen Untersuchung anzusehen. (Der Beobachter, der die Koinzidenz konstatiert, kann hierbei außerhalb der Betrachtung bleiben, da er lediglich als „Null-Instrument" figuriert, d. h. im Sinne der Reaktion ja—nein). Wir möchten uns aber hier E O C K anschließen, die Rolle des Meßgerätes nicht überzubewerten. Denn der Sinn der physikalischen Untersuchung kann ja nicht in der Konstatierung der Koinzidenz bestehen, sondern in der Gewinnung von Aussagen über das wirkliche Geschehen, über die objektiven Eigenschaften und das Verhalten „körperlicher Objekte" und von Gebilden, auf die die Abstraktion von diesen p a ß t : elektrische Ladung, magnetisches Moment, Spin usw. Die Überbewertung des Meßgerätes führt zu einer Unterschätzung der Bedeutung der Abstraktion. Denn — nach E I N S T E I N — glauben auch wir, daß zwischen dem Konstatieren der Koinzidenz und einer Aussage wie „der Spin ist 1/2" die schöpferisch-geistige Leistung der Begriffs- und Theorienbildung liegt. P L A N C K hat an den Anfang seiner „ 8 Vorlesungen über

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2. Offene Fragen

Theoretische Physik" (1908) als bedeutendes Problem der Physik die Frage gestellt: Woher kommt ihre Irreversibilität bzw. die Reversibilität? In der Tat ist zweifellos erstaunlich, daß in einer Welt, wo Dissipation, Abbau von Strukturen, ein beherrschendes Phänomen darstellt, Bereiche vorhanden sind, in denen offenbar keine Dissipation vorhanden ist. PLANCK sagte: alles in unserer Welt ist mit Reibung und Wärmeleitung behaftet. Aber bei der Planetenbewegung, die wegen ihrer „fast-Dissipationsfreiheit" N E W T O N zur Formulierung seiner „Prinzipien" induziert hat, sind sie offenbar kaum merklich, wenigstens nicht in den Zeiträumen, in denen sie bisher von Beobachtern mit angemessener Meßgenauigkeit erfaßt wurden. Um so erstaunlicher ist es zweifellos, daß das Licht sich ohne Dissipation durch den Kosmos ausbreitet und daß die Bewegung der Elektronen und Protonen gegen- und umeinander offenbar prinzipiell dissipationsfrei verläuft. Aber bei ZERMELO, einem Mitarbeiter M. PLANCKS, gilt eine „elementare" Dissipation im mikroskopischen noch für denkbar — und heute wieder bei PRIGOGINE (Nobelvortrag 1978). Wenn wir die NEWTONschen Prinzipien und ihre Gültigkeit als verschärfte Kriterien für physikalische Wirklichkeit ansehen, dann gibt es offenbar zwei wohl unterschiedene Sphären dieser Wirklichkeit: Individuelle Gültigkeit der Prinzipien oder Gültigkeit für Mittelwerte. Im ersten Fall handelt es sich um dissipationsfreie, im zweiten um dissipationsbehaftete Vorgänge. Ohne uns hier näher darüber auszulassen, möchten wir die Auffassung vertreten, ein unterschiedliches Verhalten der Rolle des Meßvorgangs und des Meßgerätes nicht nur mit den Begriffen „Mikro" — „Makro" zu kennzeichnen, sondern auch mit der Gegenüberstellung „dissipationsfrei" — „dissipationsbehaftet". Während bei den dissipationsfreien Mikrovorgängen die Natur der Objekte, wie sie von H E I S E N B E R G in der Unbestimmtheitsrelation formuliert wurde, den Meß-

2. Offene Fragen

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prozeß beschränkt, wobei aber „ O r t " oder „Energie" nach wie vor beliebig genau gemessen werden können, verursacht bei den dissipativen Makrovorgängen der Zusammenhang zwischen Dissipation, Frequenz-Spektrum der Schwankungserscheinung und Größe der Schwankungsleistung (NYQUIST-Formel) eine Begrenzung der Messungen. Insbesondere sind „ O r t " und „Energie" nicht genauer meßbar als durch jenen Zusammenhang darstellbar. Dieser durch die NYQUIST-Formel dargelegte Zusammenhang ist aber bekanntlich aus den E I N S T E I N schen Überlegungen von 1917 ableitbar. Die Meinung, in der klassischen Physik seien diese Größen wie „ O r t " und „Energie" beliebig genau meßbar, vernachlässigen die Schwankungserscheinungen nicht nur der Vorgänge selbst, sondern auch die der Meßgeräte, die bei abnehmender Temperatur in die Null-Punkt-Bewegung entsprechend der Quantentheorie übergehen und damit in die spezifische mikroskopische Begrenzung nach der Unbestimmtheitsrelation. Die von B O H K 1 9 3 0 gesehene Analogie der Komplementarität auch in der klassischen statistischen Physik ist entscheidend gerade f ü r den Meßprozeß der klassischen Physik, und damit für alle physikalischen Messungen.

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Rompe/Treder

„Die Entwicklung der wissenschaftlichen Methode ist sozusagen das Skelett, das den Fortschritt der gesamten Wissenschaft trägt." LUDWIG BOLTZMANN ( 1 8 4 4 - 1 9 0 6 )

„Während auf der einen Seite die Fülle der beobachteten Naturerscheinungen auf allen Gebieten sich immer reicher und bunter entfaltet, nimmt andererseits das aus ihnen abgeleitete wissenschaftliche Weltbild immer deutlichere und festere Formen an." M A X PLANCK ( 1 8 5 8 - 1 9 4 7 )

„Bin unlösbares Problem gibt es überhaupt nicht." DAVID H I L B E R T ( 1 8 6 2 - 1 9 4 3 )

3. Aufgabenstellung der Physik KIRCHHOFF hat es wohl als erster, realistisch und ehrlich, ausgesprochen: Die Aufgabe der Mechanik sei, den Ablauf der Geschehnisse zu beschreiben, aus den vorgegebenen Koordinaten und Geschwindigkeiten zu einem Zeitpunkt t0 die für spätere und auch frühere zu berechnen. Die Frage aber, woher man die Kenntnis der Koordinaten und Geschwindigkeiten hat, wie sie gemessen werden und ob sie meßbar sind, wird als zur Kompetenz der Experimentalphysik gehörig, als eine Frage der Meßtechnik abgetan. Zweifellos hat für diese Aufgabenstellung die Astronomie Modell gestanden, und die Frage, warum es Himmelskörper gibt, und warum gerade die vorhandenen, woher sie gekommen sind, und was aus ihnen wird, ist nicht Gegenstand der Himmelsmechanik. Da — nach KIRCHHOFF — die Mechanik als das Rückgrad der Physik anzusehen ist, übertrug sich diese KIRCHHOFFsche Aufgabenstellung auf die ganze Physik: „Beschreiben" statt „erklären" und „begründen". DESCABTES verlangte in seiner Zeit von der Physik nicht nur die Begründung der Bewegung der Materie, sondern auch die ihrer aktuellen raum-zeitlichen Anordnung im Kosmos. — Dies forderte auch LEIBNIZ gegen-

3. A u f g a b e n s t e l l u n g d e r P h y s i k

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über N E W T O N (in seiner Diskussion mit S. C L A B K E , dem Sprecher N E W T O N S ) . L E I B N I Z verlangte die zureichende Begründung nicht nur der Bewegung der Körper (in Sonderheit der Himmelskörper), sondern auch den zureichenden Grund für die kosmologische Struktur des Weltalls. Nach L E I B N I Z sollten die Prinzipe der Mechanik sowohl die Bewegungsgleichungen als auch die Nebenbedingungen dazu enthalten und so den aktualen Kosmos bestimmen. Nach N E W T O N S Antwort an L E I B N I Z gelten dagegen die NEWTONschen Prinzipien in jedem virtuellen Universum. — K A N T S Kosmogonie ist der Versuch einer Synthese beider Gesichtspunkte. Der junge K A N T stellte hier der „mathematischen Hälfte der Weltwissenschaft", n ä m l i c h N E W T O N S B e w e g u n g s l e h r e , einen „physikalischen Teil" gegenüber, der die „Anfangs-Bedingung" für den Kosmos vorgab. Erinnert sei an H E R T z e n s Ausspruch, daß die Elektrodynamik weiter nichts als die Theorie der MAXWELLschen Gleichungen ist. Dabei wird z. B. von der Existenz der Elektronen abgesehen. (HERTZ selbst zweifelte ja überhaupt an der Realität der Elektronen.) Man sieht den Zusammenhang mit der Frage, welche Rolle der Mathematik in der Physik zukommt; wenn man nur die mathematisierbaren Teile der Physik als Physik b e t r a c h t e t , ist der K i R C H H O i r s c h e Standpunkt unausweichlich. In der 1. Auflage seiner „Prinzipien der Quantenmechanik" sagt DIKAC:3) „Die einzige Aufgabe der theoretischen Physik besteht darin, Vorhersagen zu machen, die sich mit der Erfahrung vergleichen lassen, und es ist durchaus unnötig, irgendwelche Beschreibung über den gesamten Verlauf der Vorgänge zu geben." — Diese Auffassung der Quantenmechanik im Sinne von K I R C H H O F E S Deutung der klassischen Mechanik hat D I R A C aber in spätere Auflagen seines Buches nicht mehr s)

2*

Wir folgen hierbei der Übersetzung von W. BLOCH.

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3. A u f g a b e n s t e l l u n g d e r P h y s i k

übernommen. Im Gegenteil, D I R A C kritisiert heute an der Quantenelektrodynamik, daß sie mit ihren Renormierungsmethoden zwar alle Effekte in bester Übereinstimmung mit den Experimenten berechenbar mache, aber keine einsichtige Begründung für dic^e Ersetzung theoretisch divergierender Größen durch ihre effektiven Meßwerte enthielte. Demgegenüber halten führende Vertreter der gegenwärtigen Entwicklung der Elementarteilchenphysik gerade die „Kalkulierbarkeit" — unter Verzicht auf alles Nichtkalkulierbare — für vorbildlich und berufen sich auf die Quantenelektrodynamik als Paradigma für die Elementarteilchenphysik.4) Tatsächlich ist die in der heutigen Elementarteilchentheorie mit unstreitigem Erfolg angewandte Methodik auch nicht mehr mit K I R C H H O F E S Sentenz zu begründen. K I R C H H O F F meinte im Sinne von N E W T O N S „hypothesis non fingo", daß die Prinzipien der Physik implizite Definitionen der physikalischen Größen sind (wie dies später H I L B E R T in seinen „Grundlagen der Geometrie" ausführte). N E W T O N und K I R C H H O F F gingen aber von einem vollständigen Axiomen-System aus, das die fundamentalen Züge der Wirklichkeit treffend widerspiegelt. — Demgegenüber erscheint uns das (z. B . von V A N H O V E dargelegte) Vorgehen der Elementarteilchentheorie eher an das Vorgehen der theoretischen Astronomie der Antike zu erinnern, an den von APOLLONIOS, H I P P A R C H und P O S E I D O N I O S begründeten und von P T O L E M A I O S systematisierten Standpunkt, daß es im Sinne P L A T O N S notwendig sei, „die Erscheinungen zu retten". Dies meinte die Kalkulierbarkeit der Ephemeriden auf Grund geometrischer Konstruktionen, die auf einer iterierten Anwendung der P L A T O N s c h f e n gleichmäßigen Kreisbewegungen beruht (Epicyceln-Theorie von APOLLONIOS bis P T O L E M A I O S ) . Hierbei wurde seit H I P P A R C H auch vor 4

) So z. B. L. VAN HOVE in seinem Interview zum 25. Jahrestag der Gründung von CERN.

3. Aufgabenstellung der Physik

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einer prinzipiellen Inkonsequenz nicht zurückgeschreckt, wenn es der Kalkulierbarkeit diente; H I P P A K C H und PTOLEMAIOS benutzten Excenter. Grundsätzlich ist diese Ptolemäisehe Methode beliebig ausbaubar. Führten neuere Beobachtungen oder Beobachtungen über lange Zeitdauer zu Abweichungen von der bisherigen Theorie, so waren eben neue Excenter und neue Epicyclen einzuführen, wobei die bisherige Theorie Abschätzungen für die neuen Hilfsgrößen lieferte. Gegen die physikalische Bedeutung dieser Methode sprach aber gerade ihr stets rettbarer rechnerischer Erfolg. Die reine Kalkulierbarkeit der Ephemeriden als alleiniges Ziel gestellt, ist die Ptolemäisehe Methodik immer unwiderlegbar.5) Uns scheint, daß, ähnlich wie nach dem Vorbild von PTOLEMAIOS, im geozentrischen Weltbild immer neue Epicyclen und Excenter eingeführt wurden, die heutige Theorie der Elementarteilchen immer neue Urpartikeln (Quarks, Leptonen) und vor allem immer neue Quantenzahlen (strangeness, charm, Farbe, . . .) einführt. Keine der neueren Quantenzahlen ist tatsächlich verständlich, und die Befürchtung ist, daß sie die ersten Glieder einer unendlichen Reihe von Quantenzahlen sind.6) Die Analogie etwa zur Geometrie ist naheliegend: Die Geometrie lehrt uns, aus zwei Seiten eines Dreiecks und dem eingeschlossenen Winkel die dritte zu berechnen. Woher wir die Kenntnis der Länge der Seiten und des Winkels haben, ist nach allgemeiner Auffassung nicht ') Dies gilt allerdings eben nur, wenn nicht mehr Fragen erlaubt werden als die oben gestellten. Das Ptolemäisehe Weltbild erlaubt wegen der großen Willkür, die in der Kombination der Epicyceln und Excenter möglich ist, keinerlei dreidimensionale Fragestellung bezüglich der relativen oder gar absoluten Abstände der Planeten. Erst recht führt der Ptolemäisehe Ansatz zu keiner Himmelsmechanik. •) Dieser Aufbau des „Picokosmos" erinnert an den bekannten Ausspruch Alfons X. von Castilien über das Ptolemäisehe Weltsystem: „Wenn Gott mich bei der Erschaffung der Welt zu Rate gezogen hätte, so würde ich Ihm • eine größere Einfachheit empfohlen haben." (Alfons zog sich damit erbitterte Feindschaft zu.)

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3. Aufgabenstellung der Physik

Gegenstand der Geometrie, des Mathematikers, sondern des Vermessungstechnikers oder des Maschinenkonstrukteurs. Seit HILBERTS „Grundlagen der Geometrie" (1899) sind die real existierenden geometrischen Gebilde nicht mehr Gegenstand der Geometrie. Sie gehören gegebenenfalls zu einer „Metatheorie", die de facto seit alten Zeiten in der Vermessungstechnik und seit 100 Jahren für die Präzisionsphysik ( P T R ! ) realisiert wird. 7 ) Wenn es sich aber um Physik handelt und nicht um Mathematik, so glauben wir, eine solche Einschränkung der Zuständigkeit für Vollständigkeit zugunsten der Präzision nicht hinnehmen zu können. Die Physik muß eine Naturwissenschaft bleiben, mit engem Kontakt zur Wirklichkeit in ihrer Totalität, unbeachtet des Umstandes, daß jede Theorie, die Mathematik gebraucht, einen gewissen Verzicht auf Detailtreue beinhaltet. HEISENBEKGS Auffassung über die Leistungsfähigkeit der Elementarteilchenphysik kann man einem Nichtphysiker vielleicht durch ein Gleichnis näher bringen: Ein Pianino hat ein Spektrum diskreter Frequenzen, welche durch Betätigung der Klaviatur einzeln und in Kombinationen zum Tönen gebracht werden können. Eine Analyse dieser Töne liefert erschöpfende Auskunft über die Eigenfrequenzen des Pianinos und sogar über die beim Anschlag entstehenden Feinheiten der zeitlichen Änderung der Eigenfrequenzen. Man kann die Eigenfrequenzen des Pianinos auch so ermitteln, daß man das Dämpferpedal heruntertritt und damit die Dämpfung ausschaltet und mit einem Tonsender mit variabler Frequenz die Saiten zum Mitschwingen anregt. Während die Betätigung der Klaviatur etwa der FßAircK-HERTZschen Elektronenstoßanregung entspricht, könnte die akustische Anregung als Anregung der Resonanzfluoreszenz atomaren oder molekularen Systemen entsprechen. Nun kann man natürlich auch eine Pistole nehmen und in das Klavier hineinschießen. Es wird dabei das Eigen' ) Siehe FELIX KLEIN, Elementarmathematik. Berlin 1923.

3. Aufgabenstellung der Physik

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spektrum des Klaviers angeregt, aber auch akustische Signale ausgelöst, die mit der Zerstörung einzelner Teile zusammenhängen, wobei die Einzelheiten naturgemäß schwer übersehbar sind. Auf jeden Fall ist das Pianino nach dieser Behandlung nicht dasselbe wie vorher und es mag sein, daß die ungewöhnlichen akustischen Signale gar nicht mit dem Pianino zusammenhängen, sondern mit dem Bruch von Teilen desselben. Noch extremer wäre die Methode, das Pianino aus dem vierten Stockwerk auf die Straße zu werfen. Zweifellos werden unter dem entstehenden akustischen Signal auch die Eigenschwingungen des Pianinos sich wiederfinden. Aber das meiste wird doch wohl auf die totale Zerstörung des Instruments zurückgehen, welches nach dieser Prozedur nicht einmal fragmentarisch mehr vorhanden ist. Es gibt und es gab Mathematiker, z. B. F. K L E I N , die die Lösung auch der Mathematik von den unmittelbar anschaulichen Fundamenten nicht begrüßt haben: „Jeder, der nur logische Untersuchungen als reine Mathematik gelten läßt, überläßt die Begründung der Arithmetik der angewandten Mathematik". Wir glauben auch, daß man allen Physikern, und natürlich auch uns, die Berechtigung, Fragen zu stellen, die die Grundlegung unserer Disziplin betreffen, nicht absprechen kann, unbeachtet des hervorragenden Funktionierens der Physik in vielen theoretischen und praktischen Fragen. Die wissenschaftliche Neugier, wie sie E I N S T E I N für sich als Motiv seines Forscherdranges in Anspruch nahm, scheint dem Menschen angeboren und ein progressives Element seiner Entwicklung. Die Frage, ob eine Teildisziplin der Physik abgeschlossen ist, ist nur zu beantworten, wenn man sich verständigt, welche Fragen zugelassen wurden. Wenn wir aber darauf aus sind, unsere Auffassungen über die Grundlagen der Physik weiterzuentwickeln, müssen wir Fragen in sehr weiten Suchräumen zulassen, was z. T. heute schon geschieht.

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3. Aufgabenstellung der Physik

Überlegungen über eine mögliche Erweiterung unserer physikalischen Vorstellungen müssen sich in dem Rahmen bewegen, der sich durch das LENIN-Zitat abstecken läßt, welches LANDAU und RUMER ihrem Büchlein „ W a s

ist

die Relativitätstheorie" vorangestellt haben: „Die Veränderlichkeit der menschlichen Vorstellungen über Raum und Zeit widerlegen ebensowenig die objektive Realität des einen und des anderen, wie die Veränderlichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse über Struktur und Formen der Bewegung der Materie die objektive Realität der äußeren Welt widerlegt". Über alle diese inhaltlichen Fragen der künftigen Entwicklung der Grundlagenforschung in der Physik werden oft recht unterschiedliche Ansichten von Physikern geäußert, je nachdem, von welchen inhaltlichen und methodischen Fachaspekten sie ausgehen. Es ist aber alter Usus der Physiker, daß jede Forschungsthematik grundsätzlich der opinio communis der Gesamtheit der Physiker in ihrer Bedeutung für die Physik überzeugend darlegbar sein sollte. Dies meint nicht, daß allgemeine Übereinstimmung bezüglich der zu erwartenden Resultate besteht, wohl aber in der Auffassung über die Relevanz der Forschungsziele. Wir werden dies in den folgenden Kapiteln anhand konkreter Probleme und am Beispiel der großen Denker der Physik unserer Zeit sehen. Wohl kann man aber sehr differierender Ansicht darüber sein, an welchen Stellen die nächsten großen, den Erkenntnisstand erweiternden Entdeckungen zunächst bevorzugt zu erwarten sind, ob in der Elementarteilchenphysik, in der Astrophysik oder bei der Erforschung der makroskopischen Quantenphänomene oder der dissipativen Strukturen. U m so wertvoller erscheinen uns Bemühungen, nach übergeordneten Gesichtspunkten zu suchen, unter denen die Gesamtentwicklung der Physik so gestaltet werden kann, daß keine Chancen für Einzelerfolge verschüttet werden. Deswegen scheint uns die Darlegung von J. AUTH über „Wege der Wissenschaft" bemerkenswert, die aus allgemein gesellschaftlichen

3. Aufgabenstellung der Physik

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Aspekten Kriterien für die gesellschaftliche Entwicklung maximal fördernde und dabei die Leistungen der Teildisziplinen der Physik stimulierende Aufgabenstellungen erörtert. Diese Auffassung stimmt weitgehend mit den in unserem gemeinsamen Beitrag im Bändchen „Über Physik" gemachten Bemerkungen überein. Es gilt aber auch die von uns im W T B „Über Physik" unterstrichene Bemerkung, daß die gesellschaftliche und die wissenschaftliche Relevanz von Forschungsresultaten nicht allgemein deckungsgleich sind. Jedoch sind Gebrauch und Nutzanwendung der Physik für die Physik selbst gerade deswegen bedeutungsvoll, weil die Fortschritte der Physik seit GALILEI in der Herstellung der durch den Fortschritt der physikalischen Technik möglich gewordenen Situationen und deren Erforschung bestanden haben, die in vom Standpunkt theoretischer Grunderkenntnis durchschaubarer Weise in der Natur kaum vorkommen.8) Diese technologischen Möglichkeiten der Schaffung künstlicher Situationen können allerdings auch dazu verführen, mit ihrerseits sehr komplexen und raffinierten und auch schon kaum mehr überschaubaren Gerätesystemen Situationen herzustellen, die „zwischen Himmel und Erde" sonst nirgendwo vorkommen und die nur noch „seltsam" und „fremdartig", nicht aber tatsächlich „elementar" und „fundamental" sind. Allgemein werden aber die weiteren Schritte der Physik von der Leistungsfähigkeit der Technik und in Sonderheit vom wissenschaftlich-technischen Gerätebau abhängig sein. AUTH weist darauf hin, daß das Ein") V. F . Weisskopf ("History of Twentieth Century Physics", New York 1977) sehreibt dazu : . . . There is one characteristic trait apparent in this development: physics, at least in the fields we are discussing here, is no longer dealing with processes that are readily and ordinarily happening on Earth. The nuclear and the subnuclear phenomena are dormant under terrestrical conditions. In order to get into this kind of study, we have to create on our laboratories situations that in nature exist only under very different conditions. In nuclear physics, these conditions exist in the center of a star and in exploding stars ; subnuclear physics takes place in cosmic rays or in the great cataclysmus of the Universe such as quasars, or exploding galaxies . . .

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3. Aufgabenstellung der Physik

dringen der Mikroelektronik in den Geräte-, Apparateund Anlagenbau selbst ein Forschungsobjekt bezüglich des Verhaltens großer komplexer Systeme ist, dessen Bearbeitung eventuell ganz neuartige begriffliche Strukturen erforderlich machen kann, die auch zu neuen Zweigen der Mathematik führen könnten. Die Technik schafft dann also völlig neue Gebiete (Prozesse und Gegenstände) der physikalischen Forschung, deren Rang sich hier aus ihrer technologischen Bedeutung ergibt. Daß sich auch in diesem Sinne die Technik im Bereich der naturwissenschaftlichen Forschung ständig ausdehnt, haben sowohl M A R X als auch E I N S T E I N gesagt. Wenn man die Ansichten kompetenter Physiker unserer Tage über die „Probleme der vordersten Front" durchmustert, dann sieht man, daß überall dort, wo die Mathematik nicht nur präzisierendes Kommunikationsmittel der Physiker (nach H. HEKTZ) darstellt, sondern unabhängig vom „Nachdenken" (schöpferische Theorienbildung im Sinne von E I N S T E I N ) als Mittel zur Findung neuer Erkenntnisse über das objektive Geschehen benutzt wird, der KiKCHHOFFsche Standpunkt weiterhin dominiert. 9 ) Man muß sich aber vergegenwärtigen, daß damit die Aufgabe der Physik tatsächlich „die Voraussage des Geschehens zu einem künftigen Zeitpunkt auf Grund der Kenntnis ausreichend genau bekannter Parameter zu einem früheren Zeitpunkt" darstellt und damit die mathematische Theorie des Vorgangs eine Rechentechnologie wird. Bei Rechentechnologie kommt es ja nicht auf das Detailverständnis des Ablaufes an, sondern auf die Möglichkeit einer Voraussage auf Grund einer ausreichenden Kenntnis des Startzustandes. Bei Technologien müssen wir aber damit rechnen, daß die — praktisch durchaus effektvollen — „Meisterweisheiten" sich herausbilden, die nur von wenigen Adepten beherrscht *) Wir verweisen z. B. auf das interessante Interviev von L. VAN HOVE in „Europhysic News" über 25 Jahre CERN.

3. Aufgabenstellung der Physik

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werden und leider meistens über kurz oder lang zum Absterben der betreffenden Technologie geführt haben. Auch Rechentechnologien können esoterisch sein oder es werden. Wir möchten daher die „communis opinio" in der Physik für ein entscheidendes Element der Erhaltung der Einheit der Physik und damit ihrer außerordentlichen internen und extremen Fruchtbarkeit betrachten.

„Die Vernachlässigung der atomaren Konstitution der Meßgeräte selbst bei der Beschreibung tatsächlicher Erfahrungen ist charakteristisch für die Uelativitäts- und die Quantentheorie." NIELS BOHR ( 1 8 8 5 - 1 9 6 2 )

„Die Objektivität der Physik ist in der Quantenmechanik voll gewahrt." WOLFGANG PAULI (1900-1958) „Erkenntnis aber ist keine Lotterie, sondern ein Spiel mit .belasteten Würfeln'". EKWIN SCHKÖDINGEK (1887-1961)

4. Die Diskussion zwischen A. Einstein und N. Bohr Die Entwicklung der modernen Physik ist in den letzten zehn Jahren Gegenstand umfangreicher physikalisch-historischer Forschungen geworden, die sich sogar der Förderung durch die UN erfreuen können. Zweifellos ist die Tragweite des Gewinnens an menschlichem Erkenntnisvermögen, das die Relativitätstheorie und die Quantentheorie gebracht hat, heute vielleicht noch gar nicht voll zu übersehen und hat sich u. a. noch nicht in allen Teilen der eigenen Disziplin ausgewirkt. Um so wertvoller ist es zweifellos, die dramatische Geschichte eines Kampfes um die Wahrheit zu rekonstruieren, wie ihn die Menschheit in gleichen Ausmaßen nur selten erlebt hat, und vermutlich nicht in einer so relativ kurzen Zeitspanne. Eines der bemerkenswertesten Ereignisse ist in dieser Entwicklung die Diskussion über die tiefsten Grundlagen der Physik, die in den 20iger Jahren von A. E I N S T E I N und N . B O H R geführt worden ist, und die sich bis zum Tode beider hingezogen hat. Der eine von uns (R. R.) hat als Doktorrand des Berliner Physikalischen Instituts den Beginn dieses geistigen Ringens der Titanen in mehreren Sitzungen der Physikalischen Gesellschaft erlebt, das, in Formen freundschaftlichster Achtung geführt, an innerer Dramatik nicht zu überbieten war.10) '") Diese Erinnerung an A. EINSTEIN im Berliner physikalischen Kolloquium

4. D i e D i s k u s s i o n z w i s c h e n E i n s t e i n u n d B o h r

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N. B O H R hat in seinem Beitrag zu dem von S C H I L P P herausgegebenen Band „Einstein als Naturforscher und Philosoph" eine wunderbare Darstellung gegeben, die — obwohl im Rahmen der Quantenphysik und -mathematik zwingend — E I N S T E I N nicht hat überzeugen können. B O H R selbst hat an anderer Stelle geäußert, daß „obwohl er sicher sei, recht zu haben, ihn die Vorbehalte Einsteins nicht schlafen lassen". Man muß daran denken, daß es A. E I N S T E I N war, der, um B O H R S Worte zu gebrauchen, mit unfehlbarer Intuition als erster die ganze revolutionäre Bedeutung der beiden Elementarkonstanten c und h erkannt hat, und den ersten Ausblick auf die Auswirkung dieser Entdeckungen im Jahre 1905 gegeben hat. E I N S T E I N hat dann in einer Reihe nicht minder umwälzender Arbeiten 1915 bis 1924 die statistische Natur des Entstehens und Verschwindens der Teilchen und die Konsequenzen aus der NichtUnterscheidbarkeit derselben gefunden. Es ist nicht zu bezweifeln, daß ein großer Teil des physikalisch die Grenzen alter Auffassungen sprengenden Neuartigen der Quantenphysik von E I N S T E I N gefunden wurde, wenn er auch an der Entwicklung der mathematisch-theoretischen Behandlung der Quantenphänomene weniger Anteil nahm, obgleich er, wie im Falle D E B R O G L I E , ihre Bedeutung als erster erkannt hatte. Es ist verständlich, daß die Physiker, die ihn kannten und ihn selbst erlebt haben, die seinen enormen Beitrag verstanden, seine „unfehlbare" Intuition, seinem Urteil großen Wert beimessen mußten. E I N S T E I N selbst hat sich zu der Diskussion mit B O H R geäußert, und diese Äußerung ist typisch für E I N S T E I N S wissenschaftliches Denken: Nach seiner Ansicht sei der quantenmechanische Formalismus ein Mittel zur Beschreibung des Durchschnittsverhaltens einer großen wurde kürzlich publiziert im Februar-Heft „Wissenschaft und Fortschritt", Berlin 1979.

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4. D i e D i s k u s s i o n z w i s c h e n E i n s t e i n u n d B o h r

Anzahl atomarer Systeme. BOHRS Ansicht, die Quantenmechanik sei eine maximale, erschöpfende Beschreibung der Einzelphänomene, sei ein Glaube, ohne Widerspruch zur Logik möglich, sei aber seinem wissenschaftlichen Instinkt zuwider, so daß er die Suche nach vollständigeren Auffassungen nicht aufgeben könne. Weiterhin schrieb E I N S T E I N : „Ich frage nun aber: Glaubt wirklich irgend ein Physiker, daß wir in diese bedeutenden Veränderungen der Einzelsysteme, ihre Struktur und ihre Kausalzusammenhänge niemals werden einen Einblick erlangen können, trotzdem jene Einzelvorgänge dank der wunderbaren Erfindungen der Wilson-Kammer und des Geiger-Zählers in solche Erlebnisnähe gerückt sind? Dies zu glauben, ist zwar logisch widerspruchsfrei möglich, widerstrebt aber meinem wissenschaftlichen Instinkt so lebhaft, daß ich es nicht unterlassen kann, nach einer vollständigeren Auffassungsweise zu suchen". E I N S T E I N hat seine von BOHR abweichende Auffassung auch so ausgesprochen: Er könne nicht glauben, daß Gott würfele. Da E I N S T E I N zeitlebens die Ansicht von BOLTZMANN, G I B B S und PLANCK über die Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsgrößen für das makroskopische Geschehen geteilt hat, darf man doch vermuten, daß er an eine ähnliche Situation auch für die Quantenphysik gedacht hat: Der Wahrscheinlichkeitscharakter kommt erst beim Übergang zu den beobachtbaren (makroskopischen!) Größen zum Vorschein. Diese Parallele hat andererseits auch N. B O H R gesehen, und z. B. in seiner Faraday-Lecture von 1930 ausgesprochen: Er hat dort auf die Komplementarität der Dynamik in den mikroskopischen Größen und den Mittelwertsgrößen, wie der Temperatur, hingewiesen. Was hat E I N S T E I N im Sinn gehabt, als er schrieb — „er glaube nicht, daß Gott würfele"? — Er selbst hatte doch die Lichtquanten erfunden und den statistischen Charakter der Adsorbtion und Emission zwingend nachgewiesen? War das kein Würfeln? Oder hat er sich dem Argument

4. Die Diskussion zwischen Einstein und Bohr

von

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angeschlossen, daß das wesentliche seiner — Ableitung wäre, den Nachweis der Gültigkeit der mikroskopischen Reversibilität auch für die Quantenphänomene, in völliger Analogie zur klassischen, statistischen Mechanik, zu erbringen, d. h., die Kompatibilität mit N E W T O N S Grundvoraussetzungen? In jenen 20iger Jahren, als E I N S T E I N S Wandlung vom instinktsicheren Entdecker entscheidender Züge der Quantenphysik zum Skeptiker der Interpretation der neuen Theorie begann, hat er jene bemerkenswerte Aussage getan, daß die gesetzmäßigen Verknüpfungen in der Wirklichkeit ihm viel weitergehender zu sein schienen, als wir es mit unseren Kausalvorstellungen (d. h. dem Determinismus der Mechanik) erfassen könnten. Vielleicht war E I N S T E I N S Haltung darauf begründet, daß er die Erkenntnisse der Quantenphysik (Komplementaritätsphysik nach B O H R ) zugleich auch unter dem Aspekt der Relativitätsphysik gesehen hat, in der Einheit der durch h und c bedingten Zusammenhänge? Es ist nicht unser Anliegen, auf jene Fragen der Interpretation der Quantentheorie einzugehen, die ausführlich von N. B O H R in der zusammenfassenden Darstellung der Diskussion mit A. E I N S T E I N dargelegt wurden (s. Zitat). Gegen Ende seiner Ausführungen sagt B O H R : „Es ist gewiß richtig, daß wir in der Atomphysik einer Anzahl ungelöster Probleme gegenüberstehen, im besonderen hinsichtlich der tieferen Beziehungen zwischen der Elementareinheit der elektrischen Ladung e und dem universellen Wirkungsquantum h". Das war aber auch das Anliegen von M. PLANCK 50 Jahre zuvor, erstmals 1899 durch die Einführung seiner „natürlichen Einheiten" (h, c, /). E I N S T E I N bestritt niemals die logische Konsistenz der Argumente von N. B O H R , konnte sich aber nicht entschließen, voll dem endgültigen Charakter der Aussagen der Quantentheorie zuzustimmen — unter Berufung auf seine Intuition, von der B O H R selbst sagte, sie sei unfehlbar. —

PLANCK

EINSTEINS

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4. Die Diskussion zwischen Einstein und Bohr

EINSTEIN hat seine Auffassung weiter entwickelt und begründet in dem Aufsatz „Physik und Realität" von 1936, die er niemals später korrigiert hat. An dieser Arbeit ist vieles bemerkenswert. Uns hat gewundert, daß diese profunde Arbeit so wenig Resonanz gefunden hat bei den Physikern, für die sie geschrieben wurde. Wir nehmen natürlich N. BOHR aus, der in seinem o. g. Aufsatz auf diese Arbeit eingeht. Unsere Darstellung ist ein erster Versuch, an den Inhalt dieses Aufsatzes etwas heranzukommen.

„Die Physik können wir als Lehre von den allgemeinen Eigenschaften der Naturkörper definieren." HERMANN Y. HELMHOLTZ (1821 —1894) „In den Experimenten über Atomvorgänge haben wir mit Dingen und Tatsachen zu tun, mit Erscheinungen, die ebenso wirklich sind wie irgendwelche Erscheinungen im täglichen leben. Aber die Atome oder die Elementarteilchen sind nicht ebenso wirklich." WERNER HEISENBERG (1901 - 1 9 7 6 ) „Realität! (Lauter Beifall)." SIR ARTHUR STANLEY EDDINGTON (1882—1944)

5. Physik und Realität In „Physik und Realität" macht wie : n )

EINSTEIN

Aussagen

— Der Physiker kann in einer Zeit, da das ganze Fundament der Physik problematisch geworden ist, die Suche nach einer neuen, soliden Basis nicht einfach der Philosophie überlassen — er bestreitet aber keineswegs die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der effektiven Mitwirkung der Philosophie, da diese Fragen weit über die Physik hinausgehen. — Alle Wissenschaft ist nur eine Verfeinerung des Denkens des Alltags. Die Wahrheitskriterien des Denkens des Alltags sind damit nicht ohne Bedeutung für das wissenschaftliche Denken (Kriterium von F . E N G E L S !). Die Verfeinerung des wissenschaftlichen Denkens gegenüber dem Alltagsdenken geht auf Kosten des Detail-Reichtums, des Anschmiegens an die Realität. — Man muß unterscheiden zwischen dem ,,formalen" Teil der Entwicklung der Mechanik (kanonischer Formalismus) — dem „tautologischen Teil" — und dem Fundament der Physik, dem die Mechanik trotz allem angehört. " ) EINSTEINS Aussagen sind kursiv gedruckt! 3

Bompe/Treder

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5. Physik und Realität

„Der detaillierte Ausbau des tautologischen Teils einer Disziplin ändert nichts an dem Inhalt seiner Grundlagen." ( R . v. M I S E S ) — Die vorliegende Problematik in den Grundlagen der Physik läßt sich nicht im „tautologischen Teil" abhandeln, durch noch so große Perfektionierung und Ilafinesse. In der Mathematik gilt der Satz: „Wer sich mit Spitzenproblemen der höheren Geometrie befaßt, braucht sich um die Axiomatik der Elemente Euklids nicht kümmern — obschon das ganze Lehrgebäude der Geometrie auf Euklids Elementen beruht". In der Physik kann man sich das nicht erlauben, ohne aufzuhören, Physik zu machen. — Die Schwierigkeiten in der Physik, vornehmlich in der Quantentheorie, sind entstanden aus einer Darstellung der Wirklichkeit, die sich auf die Grundbegriffe: materieller Punkt und Kraft aufbaut, deren Adäquanz um so mehr problematisch würde, je weiter wir uns von der Kompetenz der durch unmittelbare Anschauung gegebener Begriffsbildung wegbegeben. — Der Erfolg von Heisenbergs Methoden12) deutet auf eine rein algebraische Methode der Naturbeschreibung hin, auf die Ausschaltung kontinuierlicher Funktionen aus der Physik, auf prinzipiellen Verzicht der Verwendung eines Raum-Zeit-Kontinuum. 12

) Ohne die „Göttinger mathematische Gelehrsamkeit", wie HEISENBERG und PAULI es nannten, die vor allem M. BORN vertrat. Diese war erfolgreich aber in ihren Konsequenzen tautologisch. Tautologisch ist auch der im Sinne dieser Gelehrsamkeit erbrachte berühmte Beweis von J . v. NEUMANN, daß die Quantenmechanik die Existenz „verborgener Parameter" (die physikalische Konsequenzen haben könnten) nicht gestattet, v. NEUMANNS Beweis erhellt die axiomatische Struktur der von der Quantenmechanik, so wie sie ist, implizierten Prinzipien. Er ist von derselben Signifikanz wie KANTS Deduktion der „synthetischen Wahrheiten a priori" in der transzendentalen Ästhetik von Raum und Zeit und der transzendentalen Logik der Kategorien und Schematismen. KANT deduzierte als solche „synthetischen Wahrheiten a priori" NEWTONS absoluten Raum mit euklidischer Geometrie, NEWTONS absoluten Zeitfluß, die GALUEische Phoronomie und den Determinismus des NEWTONschen Kraftbegriifs. Sowohl v. NEUMANNS als auch KANTS Deduk-

5. Physik und Realität

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EINSTEIN sagt: Es ist nicht undenkbar, daß der menschliche Scharfsinn einst Methoden finden wird, welche die Beschreitung dieses Weges möglich machen. Einstweilen erscheint dieses Projekt, ähnlich wie der Versuch, in einem luftleeren Raum zu atmen. — Es existiert eine „Hierarchie" der durch unmittelbare Anschauung gegebenen Begriffe, an deren Spitze der Begriff des — „körperlichen Objektes" — steht, und zwar im Plural, in größerer Anzahl als Bestandteil der realen Außenwelt. — Mit POINCABE sind zwei Arten der Änderung an materiellen Objekten zu unterscheiden: Änderung des Zustandes und Änderung der Lage. Der anschaulich gegebene Begriff des körperlichen Objektes umfaßt die ganze Wirklichkeit. Seine Abstraktion zum Massewpunkt liefert den Ausgangspunkt für die Mechanik. Die Existenz unveränderlicher Massenpunkte (körperlicher Objekte kleinster Ausdehnung) ist aber eine Folge der Quantengesetze, die auch für die Existenz der „praktisch — starren" Objekte zuständig sind. Die Lageänderungen sind „relativ", die Zustandsänderungen „absolut". Dies ermöglicht gerade nach EINSTEIN, „Geometrie" und „Chemie" als eigene Disziplinen zu unterscheiden und zu treiben — und nicht etwa nur PoiNCAniis „Summe" beider. tionen sind endgültig, wenn auch die Prinzipien der Quantenmechanik bzw. der klassischen Mechanik als endgültig angesehen werden. Der Widerlegung etwa von EINSTEINS Einwänden gegen die Endgültigkeit der Quantenmechanik unter Berufung auf V. NEUMANNS Theorem ist durchaus gleichwertig der eeinerzeitigen a-priori-Widerlegungen von Eelativitäts- und Quantentheorie unter Berufung auf KANTS „synthetische Aussagen a priori". Daß die Quantenmechanik genau in demselben Sinne „ e n d g ü l t i g " ist wie die klassische Mechanik und der Beweis ihrer Endgültigkeit einen analogen Apriorismus impliziert, wie die auf NEWTONS Prinzipien reflektierende Philosophie KANTS, hat C. F . VON WEIZSÄCKER schon 1942 in seiner Studie über „ D a s Verhältnis der Quantenmechanik zur Philosophie K a n t s " ausgeführt. (Vgl. C. F. VON WEIZSÄCKER, Zum Weltbild der Physik. Leipzig 1945.)

3*

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5. Physik und Realität

Die Lagemöglichkeiten der Körper ohne Änderung ihrer Zustände sind die Grundlage der lokalen Geometrie und Chronometrie. Die geochronometrische Struktur der Welt wird zu einem wohldefinierten Problem, wenn davon ausgegangen wird, daß, hic et nunc, an einem Raum-ZeitPunkt (in physikalischer Annäherung) starre Festkörper auf Grund der Quantenstruktur der Materie existieren. Nach E I N S T E I N S Relativitätstheorie besteht dann das weitere Problem der Ausbreitung dieser Geochronometrie über eine Mannigfaltigkeit von räumlichen und zeitlichen Punkten, also der Vergleich von Messungen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten. Gerade dieses Problem wurde durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie Gegenstand der Physik und Astronomie. Der Übergang vom „starren Körper" zum „Massenp u n k t " ist eine wesentliche Konsequenz der von H E L M HOLTZ so stark betonten Maßstabsunabhängigkeit der Klassischen Mechanik. — Diese Maßstabsinvarianz der Klassischen Mechanik ist nach B O H R und R O S E N F E L D aber auch grundlegend für die Theorie des Meßprozesses in der Quantentheorie der Felder: Dem klassischen Meßkörper können beliebige Abmessungen zugeschrieben werden. Aus praktisch-starren körperlichen Objekten entsteht der Raum durch Aneinanderfügen mit „Berührung". Die Körper der Klassischen Mechanik haben diejenigen Eigenschaften, die physikalische Meßkörper besitzen müssen. Sie sind (im Rahmen der gewünschten Genauigkeiten) zeitweilig unveränderlich, gleichartig reproduzierbar und trotzdem durch geeignete Markierungen unterscheidbar. Dies sind aber gerade die Eigenschaften, die H I L B E R T bei seinen Spielmarken für die „metamathematischen" Operationen zur Begründung von Logik und Mengentheorie voraussetzte. Ihre ebenfalls notwendige Beweglichkeit ist nach HELMHOLZT, POINCARE und E I N S T E I N durch die lokale Geometrie gesichert. — Das heißt, die Metatheorie der Physik (die „Proto-Physik") ist gerade durch die G A L i L E i - N E W T O N s c h e n Prinzipien gegeben.

5. Physik und Realität

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Es gibt periodische Veränderungen des Zustandes (z. B. periodische Formänderungen, Wellen) oder der Lage der körperlichen Objekte, die eine meßbare Zeit (Uhr) ergeben (Tropfen, Himmelskörper). Nach unserer Ansicht implizierte E I N S T B I N den Gedankengang: — Körperliche Objekte veranlassen die Bildung des Begriffs „ganze Zahl". — Die Grundregeln der Arithmetik sind anschaulich gegeben, z. B. das kommutative Gesetz der Multiplikation (nach F . K L E I N ) :

Wenn das kommutative Gesetz nicht gilt, kann es sich nicht um „körperliche Objekte" handeln, daher nicht um „Massenpunkte". Diese Begriffe sind dann nicht adäquat. Körperliche Objekte, die sich in Merkmalen unterscheiden, lassen, wenn sie in ausreichend großer Zahl vorhanden sind, den Begriff der „relativen Häufigkeit des Merkmals" zu. Damit ermöglichen sie die Grundlegung von Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen. Offenbar gehören so bei E I N S T E I N die ganzen Zahlen und die Möglichkeit von Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen zu einem Bestand an Grundlagen, auf die, nicht verzichtet zu werden braucht, falls oder wo es nötig sein sollte, das Raum- und Zeitkontinuum zu opfern. Man kann einen Hinweis darauf, daß E I N S T E I N an einen hohen Rang der Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen gedacht hat, darin erblicken, daß er 1916 den Begriff „Apriori-Wahrscheinlichkeit" für die Quantenprozesse wieder eingeführt hat, zum Unterschied von den Wahrscheinlichkeiten der statistischen Mechanik, die auf relative Häufigkeiten zurückgeführt werden.

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5. Physik und Realität

Wenn man „volles Vertrauen auf die reale Bedeutung der Raum-Zeit-Konstruktion hat", kann man das Fundament der Mechanik entwickeln (wir folgen hier wörtlich Einstein): a) Begriff des materiellen Punktes: Körperliches Objekt, das hinsichtlich seiner Lage und Bewegung hinreichend genau als Punkt mit den Koordinaten X1 X2 X3 beschrieben werden kann. Beschreibung von dessen Bewegung (in bezug auf den Raum KO, in dem X1 X2 X3 als Funktionen der Zeit gegeben sind). N E W T O N S Prinzipien enthalten also die Protophysik. Aber gerade dann, wenn die Protophysik des Alltags und die Physik der Meßprozesse N E W T O N S Prinzipien befolgt, ergibt sich — außerhalb der Alltagsphysik — im Mikround Makrokosmos (die von E I N S T E I N S und P L A N C K S Konstanten c und h nicht absehen kann!) die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie. b) Trägheitsgesetz: Verschwinden der Komponenten der Beschleunigung für einen materiellen Punkt, der von allen anderen hinreichend weit entfernt ist. c) Bewegungsgesetz für den materiellen Kraft = Masse X Beschleunigung.

Punkt:

d) Kraftgesetze: Existenz von Wechselwirkungen zwischen materiellen Punkten. Eine wirkliche Theorie liegt erst dann vor, wenn die Kraftgesetze gegeben sind: Kräfte gehorchen dem Gesetz actio = reactio. In diesem Kontext ist die Bestimmung der Koordinaten des materiellen Punktes durch Berührung mit einem Aggregat körperlicher Objekte „quasi starrer Art" (Maßstab) möglich. Die Angabe gilt für „hier und jetzt", so daß weder die Problematik des Transportes des Maßstabes noch die Geschwindigkeit der Signalübermittlung eine Rolle spielen kann.

5. P h y s i k u n d R e a l i t ä t

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Geschwindigkeitsermittlung erfordert die Bestimmung zweier Koordinatentripel und der dazwischenliegenden Zeitdifferenz. Geschwindigkeit in einem Punkt ist nicht meßbar, sondern eine Extrapolation analog dem des Massepunktes, aber unabhängig davon. Zwei Idealfälle der Messung (ohne Rückwirkung): a) Die Passage eines Sterns durch das Fadenkreuz eines Teleskops bei Kenntnis der Winkeleinstellung und der Uhrzeit. b) Die Ablesung der Zahl eines geworfenen Würfels. Sowohl theoretisch als auch historisch sind Himmelsmechanik und Spieltheorie die Ursprünge der klassischen Physik und der ideale Gültigkeitsbereich von GALILEIS und N E W T O N S Klassische Mechanik und PASCALS und H U Y G E N S Wahrscheinlichkeitstheorie. I n der Axiomatik beider Theorien kann von dem Einfluß und der Rückwirkung des Beobachtungsvorganges abgesehen werden, in der Spieltheorie allerdings nur beim „ehrlichen Spiel"! E I N S T E I N selbst hat 1 9 1 7 die Veröffentlichung seiner, die Entwicklung der Quantenphysik und ihrer Begriffsbildung entscheidend gestaltenden Erkenntnisse über die Strahlungsemission, mit den Worten beschlossen: „Diese Eigenschaften der Elementarprozesse lassen die Aufstellung einer eigenen quantenhaften Theorie der Strahlung fast unvermeidlich erscheinen. Die Schwäche der Theorie liegt einerseits darin, daß sie uns dem Anschluß an die Undulationstheorie nicht näher bringt, andererseits darin, daß sie Zeit und Richtung der Elementarprozesse dem „Zufall" überläßt; trotzdem habe ich volles Vertrauen in die Zuverlässigkeit des eingeschlagenen Weges."

„Wir kennen nur zwei Quellen aller Kräfte,1Hvelche die Veränderungen der Körperweit bewirken, die Undurchdringlichkeit der Körper und die Handlungen der Geister." LEONHARD EULER (1707-1783) „Es scheint hart, dem Herrgott in die Karten zu gucken. Aber daß er würfelt und sich .telepathischer' Mittel bedient (wie es ihm von der gegenwärtigen Quantentheorie zugemutet wird), kann ich keinen Augenblick glauben." ALBERT EINSTEIN (1879 - 1 9 5 5 ) „Es ist möglich, daß wir in einer Welt des Äthers und der Elektronen auf Unsinn stoßen, niemals aber auf ,verdammten Unsinn'." Sir ARTHUR STANLEY EDDINGTON (1882-1944)

6. Telepathie und Spiritismus? In den Gesprächen mit B O H R gebrauchte E I N S T E I N die Worte „Gespensterfelder, die die Photonen leiten", die B O H R als „tiefwurzelnden Humor" ausgelegt hat. Da E I N S T E I N später wiederholt im Zusammenhang mit wirklichen Phänomenen der Quantenphysik Ausdrücke wie „spiritistisch" oder „Telekinese" gebraucht hat, möchten wir mehr als nur Humor hinter der Wahl dieser Worte sehen: Wenn wir die in Kapitel 4 ausgeführten Auslassungen E I N S T E I N S über den Zusammenhang wissenschaftlicher Begriffsbildung und der des alltäglichen Lebens berücksichtigen, wollte er zweifellos etwas ganz bestimmtes, über die Physik hinausgehendes ausdrücken. Die Physik, gestützt auf die Mechanik, setzt „volles Vertrauen auf die durch unmittelbare Anschauung fundierte Raum-Zeit-Konstruktion voraus". Spiritismus, Telekinese, Gespenster sind Begriffe aus einer — fiktiven — Welt, in der Raum und Zeit belanglos sind. Vielleicht wollte E I N S T E I N ausdrücken, daß in der Wirklichkeit neben oder hinter unserer Raum-Zeit-Konstruktion, die doch, wie er überzeugend zeigte, die körperlichen Objekte unserer Umwelt zut Grundlage hat, eine Sphäre existiert, in der die raum-zeitliche Ordnung gegenstands-

6. Telepathie und Spiritismus?

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los ist und die doch zur physikalischen Wirklichkeit gehört, d. h., dem Teil der Wirklichkeit, für den die Physik zuständig ist. 1920 kannte Einstein natürlich die Arbeiten von L A D E N B U R G zur Dispersionstheorie und förderte sie. Bei diesen kam heraus, daß anders als beim F B A N C K - H E B T Z Versuch der Elektronenstoßanregung von Atomen, die die Existenz angeregter Terme nachweist, bei Streuung von Licht außerhalb der Absorptionsfrequenz an Atomen sämtliche Übergänge der Atomelektronen, auch die in das Kontiiiu.um, simultan quantitativ mitwirken. Das führte bekanntlich zu der Einführung der „virtuellen Zustände" durch SLATER und der Vervollkommnung dieser Idee durch K R A M E B S und H E I S E N B E R G , dann zu den grundlegenden Ideen H E I S E N B E R G S und weiterhin zum „Superpositionsprinzip" D I R A C S . Dieser Begriff ging in die Bestände der Quantenelektrodynamik ein. Während also allgemein für stationäre Zustände die virtuelle Komponente einen experimentell nachweisbaren Einfluß ausübt, sind Zustandsänderungen nur nach der Aktualisierung, durch reelle Prozesse, möglich. Denn Zustandsänderungen müssen ja den Erhaltungssätzen genügen, während die virtuellen Prozesse hier das Benefiz der HEiSENBEBGschen Unschärfe-Relation genießen.13) Die bestechende Einfachheit der BoHEschen angeregten Zustände ging durch diese Erkenntnis bis auf die Stabilität des Grundzustandes wieder verloren, worauf SCHBÖDINGEB später mehrfach hingewiesen hat, vor allem in der Arbeit mit dem bezeichnenden Titel: „Gibt es überhaupt angeregte Zustände?" Nichtsdestoweniger bestand und besteht bei den Physikern nicht der geringste Zweifel daran, daß die „virtuelle" Seite der Quantenphänomene mit der Wirklichkeit etwas zu tun hat, ja sogar ein wesentlicher Bestandteil von ihr ist. " ) Dementsprechend deuten Quantenelektrodynamik, Quantenmeßodynamik und -chromodynamik die CouLOMBschen und YUKAWAschen Kräfte als den Austausch von virtuellen Feldquanten ohne und mit Buhmasse.

42

6. Telepathie und Spiritismus?

Die virtuellen Zustände bestimmen die Bindungsenergien und damit die Spektren mit. PAULINGS Tautomerie in der organischen Chemie zeigt die physikalische Realität der virtuellen Ladungsverteilungen im Molekül genauso, wie die Lambshift zu DIRACS relativistischem Wasserstoff-Atom den Einfluß der virtuellen Zustände des Vakuums ausdrückt. Das Auftreten „virtueller" Zustände wird, wie gesagt, allgemein angesehen als Konsequenz der „Unbestimmtheitsrelation" AE At ") Siehe aber die Unterscheidung des „Denkmöglichen" vom „Virtuellen" g e m . HEKTZ i n K a p . 8.

7. Die substantielle W e l t und das sog. V a k u u m

49

führen die Elementarteilchen, als Feldsingularitäten eingeführt, auf „innere Ränder". Diese könnten als Argumente dafür erscheinen, daß ein Kontinuum die Realität überhaupt nicht darstellen kann, daß daher die Physik zu algebraisieren und zu arithmetisieren ist (s. Kap. 8). — Zu den „inneren Rändern" treten die globalen Bedingungen, die die Struktur der „Welt im Großen", ihre Topologie, vorgeben — was nach HEISENBERG besagt, daß der Grundzustand eben „die Welt" (d. i. der Kosmos) ist und nicht irgendein virtuelles Kontinuum. Dies meint, daß nach H E I S E N B E R G dem Vakuum eine Topologie aufzuprägen ist, welche EINSTEINS „Grenzbedingungen im Unendlichen" entspricht. 4. Das Vakuum ist nicht ohne Gesetzlichkeit. Das Wirkungsquantum h bringt ein Element der Diskretheit, der Unteilbarkeit in das Vakuum, schafft ein Äquivalent für Abzählbarkeit. Das ermöglicht, Wahrscheinlichkeitsgesetze im Sinne von BOLTZMANN, GIBBS, PLANCK, E I N STEIN festzustellen. Damit wird das Vakuum integrierender, erfaßbarer Bestandteil der Wirklichkeit, es enthält „potentiell" (virtuell) die substantielle Welt. In der Raum-Zeit-Welt der substantiellen Partikel ist jedes Partikel selbst beliebig teilbar — das spiegelt sich offenbar in der Berechtigung der Verwendung der (zeitlichen) Differentialquotienten wieder — es gibt kein aTopLov; auch „Elementarteilchen" und Elektronen sind es nicht. In der virtuellen Welt ohne raum-zeitliche Struktur bewirkt die Konstante h Ganzheitserscheinungen. BOHR weist darauf hin, daß die Konstante h nur in den Beziehungen der HEiSENBERGschen Symbole auftritt, wie ja auch nach der EINSTEIN-BoHRschen Komplementarität die Aussage : Ein Lichtquant habe eine scharfe Energie E = hv den grundsätzlichen Verzicht auf raumzeitliche Beschreibung der Einzelheiten beinhaltet. Nur der nicht-kommutative Algorithmus enthält nach BOHR die Konstante h. 4

Rompe/Treder

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7. D i e s u b s t a n t i e l l e W e l t u n d d a s sog. V a k u u m

Auf der anderen Seite ist Ii unmittelbar „chemisch", d. h., unter Verzicht auf raum-zeitliche mechanische Darstellung des Ablaufs bestimmbar, z. B. aus dem Photoeffekt entsprechend der EiNSTEiNsehen photoelektrischen Beziehung. E I N S T E I N S Ableitung der P L A N C K schen Formel für die Spektralverteilung des schwarzen Körpers zeigt, daß, wenn man sich für das raumzeitliche Geschehen interessiert, etwa für die Stabilität der Geschwindigkeitsverteilung der substantiellen Teilchen bei Wechselwirkung mit Lichtquanten, man zwangsläufig zu einem statistischen Verhalten für den Einzelakt der Adsorption und Emission kommt. Das war gerade das, was BOHK 1 9 2 7 das Quantenpostulat genannt hat. Bei der Wechselwirkung von mikroskopischen Vorgängen mit Meßgeräten, die notwendigerweise, wie wohl alle übereinstimmen, makroskopischen Charakter haben müssen, sind diese naturgemäß an das raum-zeitliche Geschehen gebunden, und damit tritt jedesmal das von E I N S T E I N bei seinen Untersuchungen von 1 9 1 7 gefundene statistische Verhalten zutage. Eine andere Quelle als die von E I N S T E I N entdeckte, durch Wahrscheinlichkeitsgesetze festgelegte Wechselwirkung, gibt es nicht. Hier möchten wir uns W. FOCK anschließen. Er sagte, „daß jede Wechselwirkung, als ein physikalischer Prozeß betrachtet, immer kontrollierbar ist. Die angebliche Nichtkontrollierbarkeit hat immer nur den Zweck, eine logische Lücke zu decken; sie taucht nur dann auf, wenn man versucht, klassische Begriffe außerhalb ihres Geltungsbereiches anzuwenden" (Zitat nach W. FOCK, Planck-Festschrift). — Jedoch zeigte die Quantenmechanik mit B O H R , DE BROGLIE, H E I S E N B E R G und SCHRÖDINGER, daß diese Komplementarität von RaumZeitlichkeit und Determinismus universeller Art (und nicht nur auf die elektromagnetischen Erscheinungen beschränkt) ist. (Gerade diese Komplementarität war ja der Gegenstand der Diskussion zwischen E I N S T E I N u n d BOHR.)

7. Die substantielle Welt und das sog. Vakuum

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E I N S T B I N und B O H K betonten die Priorität des PLANCKschen Wirkungsquantunis der atomistischen Struktur des Phasenraumes gemäß PLANCK gegenüber der Atomistik. Danach sind nicht kleine Massenquanten im Sinne von D E M O K R I T , E P I K U R und L U K R E Z noch auch kleinste Raum-Volumina im Sinne einer Diskretheit der Geometrie des dreidimensionalen Raumes die primären Quanten, sondern diese Größen sind aus der Quantlung der Wirkung, d. h. aus der diskreten Struktur des Phasenraumes, herzuleiten. — Grundsätzlich ist, wie von NEWTON bis HELMHOLZT vorausgesetzt, jedes Volumen und jede Masse beliebig unterteilbar. Jedoch erfordert die Quantlung des Phasenraumes gemäß der H E I S E N B E R G schen Relation für die Feinteilung eines Volumens und einer Masse, d. h. für die Aufspaltung einer Partikel im Sinne der Atomistik, eine mit der Feinheit der Zerlegung wachsende Energiemenge. Aus PLANCKS Quantlung des Phasenraumes resultiert die Stabilität der Partikeln der Atomistik in dem Sinne, daß, je kleiner die Partikeln sind, eine um so größere Energiemenge notwendig ist, um sie zu spalten.

Diese bereits von N E W T O N zur Unterscheidung der chemischen Zerlegung der Moleküle von der „alchimistischen" Zerlegung der Atome angenommene Prinzip des Abwachsens der benötigten Energien pro Teilchen bestimmt die Stabilität der Moleküle, Atome und Elementarteilchen. Letztlich werden bei Teilchen, deren — im Eigenruhsystem gemessener — Radius von der Größenordnung ihrer COMPTON-Wellenlänge Ac = h/Mc ist, Energien nötig, die wesentlich größer als die Ruhenergie Mc2 der Partikeln selbst sind. Eine solche Aufspaltung der Elementarteilchen in Partikeln, deren Energie größer ist als die des ursprünglichen Teilchens, ist die von H E I S E N B E R G formulierte Aporie, daß ein Elementarteilchen letztlich in Teilchen zerlegt wird, die größer sind als das Teilchen selbst. Anders gesagt, die Zerlegung eines Elementarteilchens führt auf Teilchen, die nicht „elementarer" sind als das zu zerlegende Teilchen, und auf 4*

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7. Die substantielle Welt und das sog. Vakuum

Artefakte, „exotische Zustände" der bekannten Teilchen bei hohen Energien.17) Hierbei ergibt sich allerdings eine der großen Fragen der heutigen Physik. Die beiden Fundamentalkonstanten der Quanten- und der Speziellen Relativitätstheorie, h und c, können dimensionsgemäß die Ladungen der Par" ) In die Wellengleichung des Materieleides einer Partikel geht die Partikelmasse m als COMPTON-Wellenlänge Am = h/mc ein. Die Wirkungssphäre der Partikel im klassischen Sinne der Atomistik bestimmen „Kopplungskonstanten" (,,Ladungen") O und Teilchenmasse m über den „Wirkungsradius" (im — G'/mc' der Partikel. — Bei den stark wechselwirkenden Partikeln (insbesondere den Baryonen) beträgt die „starke Ladung" 0 ~ y*«, so daß für Baryonen der Masse m = M ihr effektiver (klassischer) Radius gleich der G' h Compton-Wellenlänge ist: ~ — = Au ~ « k . Für die Elektronen Mc' Mc mit der Masse m — h — M/1840 bestimmt die elektrische Ladung e = ^ahc (mit der SoMMERFELD-Konstante x x 1/137) den „klassischen Elektronenradius" a als Wirkungsradius; es ist daher h e' akc A,.= 184(Mjit, a„ = a/I ~ 13Am. P nc * vc? nc' * Damit ein Quant eine Substruktur der Partikel m sein kann, bzw. damit das Quant als Sonde in die Wirkungssphäre ~ a m s der Partikel eindringen kann, muß die de-Broolie-Wellenlänge X — h/p des Quants kleiner als der Wirkungsradius am der Partikel sein: A g a m . Im günstigsten Falle des ultrarelativistischen Quants bedeutet dies für die relative Energie E des Quants E

l

l

hc

l

a

Für ein Baryon ist um Am = hjMc, so daß bei Baryonen deren Subquanten eine Energie E ^ Mc2 besitzen. Im allgemeinen sind hier also „die Teile größer als das Ganze". Daraus schloß Heisenberg, daß de facto bei Baryonen Am = hßlc als eine endliche Meßscluanke wirkt, unter der der Begriff einer „Unterteilung" nicht mehr sinnvoll sei. — Beim Elektron müßte sein E

Pc

l

HC'

A oihc

d. h., die Energie E eines „Subelektrons" bzw. eines in das „ElektronenInnere" eindringenden Quantsmüßte wenigstensum einen Faktor ~ 1 / x = 137 größer sein als die Ruhenergie hc' des Elektrons. Deshalb sollte man die Elektronen (und überhaupt alle Teilchen ohne „starke Wechselwirkung") als „punktförmige Teilchen" ansehen.

7. Die substantielle Welt und das sog. Vakuum

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tikeln bestimmen, so daß es im Prinzip ausreichen sollte, sich auf h und c zu beziehen, um die Existenz der elektrischen Elementarladung e zu verstehen; die Existenz des elektrischen Elementarquantums ist somit nicht eine Folge der klassischen Atomistik, sondern eine Folge von P L A N C K S Quantelung des Phasenraumes. Dagegen erlauben h und c schon rein dimensionsmäßig nicht die Bildung von Längen oder Massen. Die räumlichen Dimensionen der Teilchen und ihre Trägheit sind aus der Relativitäts- und Quantentheorie allein nicht verstehbar. H E I S E N B E R G , M A R C H und — ihnen folgend — diejenigen Theoretiker, die an der physikalischen Endgültigkeit des mathematischen Raum-Zeit-Kontinuums für die Physik zweifelten, wollten daher die Quantlung des Phasenraumes ergänzen durch eine Quantlung der Massen im Sinne von D E M O K R I T und durch eine Quantlung der räumlichen Distanzen. Danach gab es außer h bzw. c auch kleinste Massenportionen bzw. kleinste Volumina. Daß diese beiden Aspekte — kleinste Massen und kleinste Volumina — notwendig zusammenhängen, wußte schon D E M O K R I T . — Die Grundgleichungen der Physik enthalten dann (wie die unitäre Feldgleichung H E I S E N B E R G S ) drei fundamentale Konstanten, h, c und die kleinste Länge A = h/Mc. Eine solche Begründung der Physik impliziert die Annahme, daß der gesamte physikalische Kosmos vom Mikrokosmos her verstehbar ist, daß die Makrophysik — bis zur Kosmologie — die „Aufsummierung" des mikrophysikalischen Geschehens ist. — Dem Geiste der Quantentheorie scheint uns aber mehr zu entsprechen, HEISENBERGS Argumentation beruht, auf dem Vergleich der (quantenphyßikaiischen) Wellenlänge A = h/me mit dem,.klassischen" Radius a der Partikel. — Die Teilbarkeit einer Partikel im klassischen Sinne ist unproblematisch, wenn wie bei allen makroskopischen Partikeln ihr geometrischer Radius a > A ist. Ähnliches gilt auch für den „gaskinetischen Radius" der Atome. Bei den Baryonen ist dagegen a ~ A . und das „Ganze" ist kleiner als seine „einzelnen Teile". Bei den Leptonen ist sogar A > a, so daß diese 1 als Punktteilchen anzusehen sind.

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7. Die substantielle Welt und das sog. Vakuum

daß die Mikrophysik ohne Bezug auf die Makrophysik unverständlich, physikalisch inhaltsleer, ist. Dann ist das raum-zeitliche

Kontinuum

v o n NEWTON

bis

EIN-

STEIN genauso fundamental wie die Algebraisierung des Phasenraumes gemäß der Quantenphysik, aus der alle Atomistik herzuleiten ist. Die fehlende dritte Fundamental-Konstante der Physik ist dann nicht eine hypothetische kleinste Länge, sondern eine genaue makrophysikalische Größe, die NEWTONsche Gravitationskonstante /, die auch die Grundkonstante der Allgemeinen Relativitätstheorie und jeder Gravodynamik ist. Der Bezug auf / neben h und c besagt, daß die „vollständige Physik" eine notwendig makroskopische Komponente besitzt, und daß auf Grund dieser makroskopischen Komponente (in Übereinstimmung mit den Meßvorschriften der klassischen Mechanik und der Geometrie) Massen und Längen meßbar werden. Ist dieser Gesichtspunkt richtig, so haben die Fundamentaleinheiten von Masse und Länge, die PLANOKschen Einheiten ZPLANCK = 1/PLANCK = Ä'/V/»/"1'2, ¿PLANCK = —¡Ti

PIANOK

> nichts mit einer primären Diskontinui-

tat der Massen und Längen zu tun, sondern die tatsächlichen diskontinuierlichen Massenspektren und das Auftreten effektiver Wirkungsgradien mikroskopischer Wechselwirkungen muß letztlich als ein Ergebnis der Zusammenführung von Mikro- und Makrophysik verstanden werden. 5. Das Vakuum kann in substantielle Partikel (.Substanzen' gemäß B. BOLZANO) dissoziieren, die verschiedenen Ladungen (elektrische, mesische) tragen. Diese Ladungen sind unteilbar. Allerdings sind dazu sich schnell verändernde elektromagnetische (makroskopische) Felder erforderlich, also substantielle Partikel. 6. Das Vakuum ist Träger des elektromagnetischen Wellenfeldes. Ladung und träge Masse bestimmen die Kopplung der substantiellen Partikel an das elektromagneti-

7. Die substantielle Welt und das sog. Vakuum

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sehe Feld. Das elektromagnetische Feld hat eine Geschwindigkeit c = Grenzgeschwindigkeit. Die Partikel des elektromagnetischen Feldes, Lichtquanten, haben keine Dissoziationsenergie, ihre Energie ist hv, sie sind „substanzlos". 7. Bei der Dissoziation des Vakuums entstehen Partikel mit der Ladung ¿ e und der Masse (träge) M. Die Dissoziationsarbeit E ist hierbei EM 2; 2Mc2. Ladung ohne Masse (Trägheit) gibt es nicht, Trägheit ohne Ladung bei den „substanzlosen" Teilchen, die Quanten des Vakuums, mit verschwindender Ruhmasse m = hvjc2. Energie besitzt Trägheit. In der klassischen Mechanik ist dagegen die Fundamentalgeschwindigkeit c oo. Daher gibt es in der klassischen Physik keine Trägheit der Energie. 8. Die bei der Dissoziation des Vakuums entstehenden substantiellen Partikel stellen „räumlich begrenzte Gebiete singulären Verhaltens des Vakuums" dar (MIE 1908). Dieses räumlich begrenzte Gebiet ist bestimmt durch die Elementarkonstanten „h" und ,,c", wobei h das Wirkungsquantum, c die konstante Maximalgeschwindigkeit der Ausbreitung von Wirkung ist. h und c „hängen von nichts a b " (PLANCK 1 9 0 8 ) . Es gilt A = hjMc, wobei M die träge Masse des Partikels ist. Massen bekommen die Partikel teleskopisch durch das Gravitationspotential der Gesamtheit der Partikeln des Kosmos. M ist keine Konstante wie h und c, sondern je nach Teilchenart verschieden; wenn man keine Vorschriften über die zeitliche Stabilität des Teilchens macht, ist M sehr variabel, fast kontinuierlich verteilt. Die Relation A — h/Mc kann aufgefaßt werden als Grenze der Bestimmung einer Länge. Da aber M im Prinzip beliebig groß sein kann, solange von der Gravitation abgesehen wird, gibt es, wie B O H B und R O S E N F E L D zeigten, im Rahmen der speziell-relativistischen Quantenfeldtheorie grundsätzlich keine Grenze für die Genauigkeit der Längenmessung außerhalb der H E I S E N B E E G schen Unschärfe-Relation.

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1. Die substantielle Welt und das sog. Vakuum

Demgegenüber führt gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie die Gravitation zu einer solchen neuen Meßschranke und damit zu einer Theorie, die entsprechend E I N S T E I N S Forderung bereits „jenseits des Gegensatzes von klassischer und Quantenphysik liegt". Diese neue Meßschranke ist eben die PLANCKsche Elementarlänge, der als größter Masse eines punktförmigen Teilchens (im Sinne der Relativitätstheorie) PLANCKS Masseneinheit yhc/f m 10 - 6 g entspricht. Gerade die Existenz dieser Extremalgrößen ist es, die die physikalische Ununterscheidbarkeit eines klassischen und eines quantisierten Gravitationsfeldes bewirkt. Ohne substantielle Teilchen enthält das Vakuum nur die Konstanten h und c, daher definieren die Vakuumschwankungen keine Teilchenmassen. Im Gegensatz zur klassischen Mechanik ist die träge Masse in der Relativitätstheorie keine kinematische Invariante und daher auch keine Konstante. Allgemein bedingen Selbstwechselwirkung und Fremdinduktion eine Abhängigkeit der trägen Masse von Geschwindigkeit und Beschleunigung. Diese in den Nah- und Fernwirkungstheorien der Wechselwirkung enthaltene „Relativität der Masse" (elektromagnetische Feldmasse nach M. ABRAHAM und H . A. LORENTZ, Relativität der Trägheit gemäß E. MACH) wurde in der Relativitätstheorie von E I N S T E I N und PLANCK als universale kinematische und dynamische Relation ausgesprochen. Die Geschwindigkeitsabhängigkeit der Masse M drückt die LORENTZ-POINCARÉ-Gruppe der Kinematik aus: M — M0 wobei M0 die Masse im Eigenruhsystem ist. Hinzu kommt noch die (angenähert von der EINSTEIN-Gruppe der allgemeinen Koordinatentransformation erfaßte) „Relativit ä t der Trägheit", welche eine Abhängigkeit der Masse vom lokalen Gravitationspotential

M die ultrakurze Reichweite fa

der schwachen CMyf Wechselwirkung bedingt, so daß sie nur bei „direktem K o n t a k t " effektiv wird. Die FERMische Kopplungskonstante der Radioaktivität berechnet sich damit zu / h \2 2 / h \2 hc ( t ~ | t — — I e ~ | T — — I ——. Das heißt, die „schwache \Mwc/ \M w c/ 137 Wechselwirkung" erscheint deswegen als „schwach" gegenüber der elektrischen, weil jene nur den kleinen Wirkungsradius ~ —— hat. Gemäß der Quantenfeldtheorie werden die Wechselwirkungen durch virtuelle Feldquanten (Photonen oder Mesonen) vermittelt. Die Reichweite der Wechselwirkung ist effektiv durch die COMPTON-Wellenlänge A = — (IC der Feldquanten (mit der Ruhmasse fi) gegeben. — Das NEWTON-CouLOMB-Potential ( ~ 1/r) gehört zu ruhmasselosen Quanten; dem N E U M A N N - Y U K A WA-Potential TlA I/ ~ e" \1 entsprechen Quanten der Masse ¡i. Eine symmetrische Unitarisierung von Feldern mit Quanten mit und ohne Ruhmassen, derart, daß beim unitären Feld beide Quantenarten gleich wahrscheinlich sind (aber verschieden im R a u m verteilt), ergibt das ") Siehe

NIELS BOHR,

1. c.

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7. Die substantielle Welt und das sog. Vakuum

1 B0PP-P0D0LSKY-P0tential: 9? ~ — ( 1 — e~ r ' / 1 ). Der mathematische Erfolg dieser Unitarisierung ist eine Regularisierung der Felder. Die Theorie enthält keine potentialtheoretischen Singularitäten mehr: Für r 0 ist 99(0) ~ -j-,