Grenzzeichen und Erinnerungsräume: Holländische Identität in Landschaftsbildern des 15.–17. Jahrhunderts 9783050094977, 9783050060996

Der nach 1600 aufkommende Realismus in der niederländischen Landschaftsmalerei ist in der Kunstgeschichtsforschung oft a

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Grenzzeichen und Erinnerungsräume: Holländische Identität in Landschaftsbildern des 15.–17. Jahrhunderts
 9783050094977, 9783050060996

Table of contents :
Vorwort
I. Zur Einführung
II. Der Garten Haarlems.
Identitätsstiftende Landschaftszeichen im 15. und 16. Jahrhundert
i. Einblicke
ii. Der gräfliche Garten
Situs und virtus
Haarlems Landschaft als holländisches Land
iii. Der batavische Garten
Die Entdeckung der Bataver
Batavische Landschaft und virtus
III. Grenzen und Garten.
Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600
i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik
›Natürliche‹ Abgrenzungen: Wasserwelt und Dünenkette
Grenzen und Territorien: Der tuin und das Dünenumland
Resümee: Das Potenzial der Landschaftsgrenzen
Grenzen und Zeitlichkeit
Das tuin-Umland als historischer Schauplatz
Der historisierte tuin
ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem
Haarlem als Kriegsschauplatz
Die historische Festung
›Vicit vim virtus‹
Landschaft und virtus
Die Betrachtung der Landschaft
Ausblick
Die ›geschichtete‹ Landschaft
Haarlems Dünen als Helikon
Haarlemer Erinnerungslandschaften in Claes Jansz. Visschers Serie ›Plaisante Plaetsen‹
IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620
i. Das eigene alte Land
Einheit
Erinnern und Erfahren: Schauplatzbeschreibungen
›In den sin schieten‹
ii. Das eigene arkadische Land
Arkadische Gipfelpunkte
Neue Ausblicke und alte Sehmuster
V. Schlussbetrachtung
i. Resümee
ii. Grenzen und Schau-Plätze. Ein Ausblick
VI. Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweis
Personenregister
Ortsregister

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Grenzzeichen und Erinnerungsräume

Ars et Scientia Schriften zur Kunstwissenschaft Band 4 Herausgegeben von Bénédicte Savoy, Michael Thimann und Gregor Wedekind

Miriam Volmert

Grenzzeichen und Erinnerungsräume Holländische Identität in Landschaftsbildern des 15. bis 17. Jahrhunderts

Akademie Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Umschlagabbildung: Links: Anonymus: Titelblatt der Flugschrift „Maechts antwoort tegen, op, en aen, de aenspraeck van een courtisaen / Die haer als een valsch gedrocht, tong-erg te verleijen socht“, 1617, Kupferstich, 19,2 × 15,2 cm, Rijksmuseum, Amsterdam, Rijksprentenkabinet Foto: Rijksmuseum, Amsterdam, Rijksprentenkabinet Rechts: Jan van Goyen: Dünenlandschaft mit Figuren, 1628, Öl auf Holz, 32,1 × 42,9 cm, Privatsammlung, Foto: Foto Collectie RKD, Den Haag Einbandgestaltung: Kerstin Protz, pro:design, Berlin Satz: Werksatz Schmidt & Schulz, Gräfenhainichen Druck: Concept Medienhaus GmbH, Berlin Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2013 Akademie Verlag GmbH Ein Unternehmen von De Gruyter www.degruyter.de Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-006099-6

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Einführung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Der Garten Haarlems. Identitätsstiftende Landschaftszeichen im 15. und 16. Jahrhundert i. Einblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii. Der gräfliche Garten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Situs und virtus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haarlems Landschaft als holländisches Land . . . . . . . iii. Der batavische Garten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entdeckung der Bataver . . . . . . . . . . . . . . . Batavische Landschaft und virtus . . . . . . . . . . . . . III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 . . . . . . . i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik . . . . . . ›Natürliche‹ Abgrenzungen: Wasserwelt und Dünenkette . Grenzen und Territorien: Der tuin und das Dünenumland Resümee: Das Potenzial der Landschaftsgrenzen . . . . . Grenzen und Zeitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Das tuin-Umland als historischer Schauplatz . . . . . . . Der historisierte tuin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem . . . . . . . . . Haarlem als Kriegsschauplatz . . . . . . . . . . . . . . . Die historische Festung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ›Vicit vim virtus‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landschaft und virtus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Betrachtung der Landschaft . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis Die ›geschichtete‹ Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haarlems Dünen als Helikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haarlemer Erinnerungslandschaften in Claes Jansz. Visschers Serie ›Plaisante Plaetsen‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 . . . . . . . . . . . . . . . . . i. Das eigene alte Land . . . . . . . . . . . . . . . . . Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erinnern und Erfahren: Schauplatzbeschreibungen ›In den sin schieten‹ . . . . . . . . . . . . . . . . ii. Das eigene arkadische Land . . . . . . . . . . . . . Arkadische Gipfelpunkte . . . . . . . . . . . . . Neue Ausblicke und alte Sehmuster . . . . . . . .

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V. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii. Grenzen und Schau-Plätze. Ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Das vorliegende Buch basiert auf meiner Dissertation »Grenzzeichen und Erinnerungsräume. Strukturen holländischer Identität in Dünenbildern der Frühen Neuzeit«, die 2011 am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg im Fachbereich Kulturgeschichte und Kulturkunde angenommen wurde. All denjenigen, die mein Dissertationsvorhaben begleitet haben, möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. An erster Stelle danke ich dem Erstgutachter der Arbeit, Wolfgang Kemp, der das Dissertationsprojekt betreut hat. Die Gespräche mit ihm wie auch seine Lehrveranstaltungen haben mich nachhaltig für einen kritischen sprachlichen und methodischen Umgang mit Bildern sensibilisiert. Uwe Fleckner danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Vor Beginn der Promotionszeit haben mich, neben der fruchtbaren Studienzeit am Hamburger Kunstgeschichtlichen Seminar, die Lehrveranstaltungen zur holländischen Landschaftsmalerei von Anette Michels am Kunsthistorischen Institut der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen wie auch das Studium Haarlemer Handschriften des 16. Jahrhunderts bei Truus van Bueren an der Universiteit Utrecht zu einer vertieften Beschäftigung mit der holländischen Kunst der Frühen Neuzeit motiviert. Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde haben mich während der Dissertationszeit mit hilf- und kenntnisreichen Gesprächen unterstützt. An erster Stelle danke ich Gwendolin Julia Schneider für viele konstruktive Gedanken und kritische Lektüren. Der von Claudia Fritzsche und Karin Leonhard gegründete Arbeitskreis »Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts« bot ein inspirierendes Forum wissenschaftlicher Diskussion, die in dem später aus dem Arbeitskreis hervorgegangenen DFG-geförderten Netzwerk »Ad Fontes! Neue Forschungen zu Bildkonzepten des holländischen 17. Jahrhunderts« noch vertieft werden konnte. Allen Kolleginnen und Kollegen des Netzwerks und Arbeitskreises bin ich für den vielfältigen Gedankenaustausch äußerst dankbar. Wichtige Hinweise gaben mir vor allem Britta Bode, Claudia Fritzsche, Andreas Gormans, Dagmar Hirschfelder, Karin Leonhard, Jan Nicolaisen, Almut Pollmer-Schmidt und Gregor Weber. Weitere themenspezifische Anregungen verdanke ich den Gesprächen mit Nils Büttner und Stefan Grohé im Rahmen des Arbeitskreises für Niederländische Kunst- und Kulturgeschichte e.V. (ANKK). Als Mitglied des von Stefanie Krebs

VIII

Vorwort gegründeten Arbeitskreises »Landschaftstheorie« hatte ich Gelegenheit, Aspekte der Landschaftskunst auch unter der Perspektive der interdisziplinären Landschaftsforschung zu diskutieren. Hier danke ich vor allem Guido Fackler, Norbert Fischer, Stefanie Krebs und Susan Müller-Wusterwitz. Weiterhin danke ich Rainer Guldin, Andrea Siegmund, Jana Teuscher und Vera Vicenzotti für anregende Dialoge. Großen Dank bin ich auch all denjenigen schuldig, von denen ich während der Druckphase der Arbeit Rat und Hilfe erfahren habe. An erster Stelle möchte ich Bettina Gockel meinen Dank aussprechen für methodisch wie inhaltlich erhellende Gespräche und ihre kritische Textlektüre. Caroline Smout danke ich für ihre kenntnisreiche redaktionelle Durchsicht der lateinischen Übersetzungen, ebenso danke ich Ute Boonen, dass sie meine Übersetzungen aus dem Niederländischen kurzfristig redigiert hat. Dagny Hildebrandt danke ich für ihr blickschärfendes Lektorat. Weiterhin gilt mein Dank den Kolleginnen Julia Häcki, Sophie Junge und Patrizia Munforte am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich der Studienstiftung des deutschen Volkes e.V., die mir mit einem Promotionsstipendium finanzielle wie ideelle Förderung gewährte. Der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften danke ich für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses, der entscheidend zum Buch in der hier vorliegenden Form beigetragen hat. Martin Steinbrück vom Akademie Verlag danke ich, dass er die Realisierung des Buchprojektes in die Wege geleitet und betreut hat. Die Gestaltung des Buches übernahm Hellmudt Schulz von der Firma Werksatz Schmidt & Schulz. Weiterhin danke ich den Herausgebern Bénédicte Savoy, Michael Thimann und Gregor Wedekind für die Aufnahme der vorliegenden Studie in ihre Reihe »Ars et Scientia«. Abschließend möchte ich all jenen Danke sagen, die ganz persönlichen Anteil an der Entstehung des Buches genommen haben. Zürich 2013

Miriam Volmert

I.

Zur Einführung

1701 veröffentlichte der Katwijker Historiograf Adriaan Pars den Index Batavicus, ein kommentiertes Übersichtswerk über die Schriften verschiedener Autoren von der Antike bis zur Gegenwart, die sich mit Holland bzw. dem germanischen Batavien befassen.1 Die Illustration auf dem Frontispiz (Abb. 1) zeigt Hollandia, die Personifikation Hollands, und den Löwen, das Wappentier der Vereinigten Provinzen, neben einem gewaltigen Säulenmonument, das in einem Regal eine Vielzahl von Schriftwerken vereint. Während diese Bücher offenbar auf das gesammelte Wissen der Landesgeschichte verweisen, belegen wiederum die am Boden verstreuten antiken Plastiken und Gefäße zu den Füßen Hollandias die antiken, germanisch-batavischen Ursprünge Hollands als materielle Spur. Das Fundament dieser ungebrochen erscheinenden historischen Kontinuität ist eine Dünenlandschaft. Vor der fernen Küste, wo Kirchen und Häuser das Land der Hollandia exemplarisch veranschaulichen, bietet die von Sträuchern und Bäumen umkränzte Abgeschiedenheit einer Dünenanhöhe einen repräsentativen Ort des nationalen Selbstverständnisses. In einer etwa 100 Jahre älteren Darstellung ist Hollandia ebenfalls in einer Dünenlandschaft zu sehen (Abb. 2). Ihr Territorium ist jedoch deutlich begrenzt: Hollandia thront in einem rund umzäunten Terrain, das auf der einen Seite fließend aus dem umliegenden Dünenland hervorzugehen scheint, auf der anderen Seite aber scharf mit den unmittelbar angrenzenden Wellen der See kontrastiert. Ein mit Untieren bestücktes Schiff, das sich der Zaungrenze nähert, markiert das Meer als ein gefahrvolles Außen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch einen janusköpfigen Ankömmling, der an die Gartenpforte herantritt und gegen den sich der Löwe drohend aufgerichtet hat. Die gesamte Situation weist auf die dringende Notwendigkeit, die Grenzen des kleinen Gebietes geschlossen zu halten.

1 Pars 1701. Das Werk stellt ein frühes Beispiel für die um 1700 aufkommende Gattung der Historia literaria dar. Im Unterschied bzw. in Ergänzung zu traditionellen Geschichtswerken hegte diese Gattung der Gelehrsamkeitsgeschichte den Anspruch, die Strukturen und Modalitäten der historischen Wissensordnungen selbst zu klassifizieren. Vgl. zu der Entstehung und Verbreitung dieser Gattung z. B. Grunert/ Vollhardt 2007; zu den frühen Anfängen der Gattung im 17. Jahrhundert vgl. auch Syndikus 2007.

2

I. Zur Einführung

Abb. 1 Hill van der Aa nach W. van Mieris: Frontispiz von Adriaan Pars: Index Batavicus, of Naamrol van de Batavise en Hollandse Schrijvers. Van Julius Cesar af, tot dese tijden toe. Leiden 1701, Kupferstich, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sign. 8 HLL IV, 6420

I. Zur Einführung

Abb. 2 Anonymus: Titelblatt der Flugschrift Maechts antwoort tegen, op, en aen, de aenspraeck van een courtisaen / Die haer als een valsch gedrocht, tong-erg te verleijen socht, 1617, Kupferstich, 19,2 × 15,2 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

Die 1617 entstandene Flugschrift Maechts antwoort […], in der diese Illustration begleitend erschien, gehört zu den vielen propagandistischen Blättern, die während des Zwölfjährigen Waffenstillstandes zwischen den nordniederländischen Provinzen und Spanien (1609–1621) verbreitet wurden. Diese Pamphlete riefen dazu auf, in der vorläufigen Unabhängigkeit der Vereinigten Provinzen vom spanischen Herrschaftsverband den Freiheitskampf nicht aufzugeben und die fortwährende Bedrohung aus dem spanischen Hinterhalt nicht zu vergessen. Auf der Bildebene, in den Flugschriftillustrationen, wird eine unabdingbar notwendige Eintracht der nördlichen Niederlande gegenüber einer zwielichtigen spanischen Gegnerschaft oftmals durch ein landschaftliches Grenzsystem formuliert: In vielen Grafiken kennzeichnet der umzäunte Garten, der tuin, das Territorium der Hollandia als eine kleine Bastion im feindlich besetzten Umland. Indem dieses tuin-Emblem auf ein altes Herrschaftszeichen zurückgreift – bereits in dynastischen Siegeln des 15. Jahrhunderts war der umgrenzte Garten eine Bezeichnung des Machtterritoriums –, konnte es auch eine eigene politische Tradition der Nordprovinzen implizie-

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I. Zur Einführung ren.2 Somit steht der tuin nicht nur für die geschlossene Abgrenzung und den Zusammenhalt der Aufstandsgebiete, sondern konnte deren Unabhängigkeit auch historisch legitimieren.3 Indem der umzäunte Garten in manchen Flugschriftillustrationen als Teil einer umliegenden Landschaft erscheint, in die die vom Wasser kommenden Angreifer bereits eingedrungen sind, konnten diese Projektionen eines bestehenden alten, gemeinsamen und unrechtmäßig bestürmten Landes noch konkretisiert werden. In beiden Darstellungen wird ein politisches Selbstbild durch landschaftliche Zeichen formuliert: Dem grenzmarkierenden System von tuin, Dünen und Wasser in der propagandistischen Grafik steht in dem ein Jahrhundert später entstandenen Frontispiz des Index Batavicus der repräsentative Prospekt einer nationalisierten Küstenlandschaft gegenüber. Die identitätsstiftende Bedeutung dieses jüngeren Landschaftsbildes erschließt sich jedoch erst im vergleichenden Blick auf das ältere Bild in ihrer historischen Reichweite. Während die tuin-Darstellung der Waffenstillstandszeit die Projektion einer politischen Gemeinschaft durch Abgrenzung von einem äußeren Anderen erst provisorisch erzeugt, prägt die Frontispiz-Illustration das Bild der bereits gefestigten Republik, die sich nicht über ein abgegrenztes Terrain definiert, sondern das gesammelte Wissen um ihre geschichtlichen Wurzeln ostentativ darbietet. Die Dünenlandschaft ist in beiden Fällen ein konstitutives Element des nationalen Anspruchs, indem sie den Territorien als Basis dient. Diese Bilder markieren, so die These meiner Untersuchung, Eckpunkte einer im Holland des 17. Jahrhunderts sich entfaltenden Entwicklung identitätsstiftender, politischer Landschaftszeichen. In zahlreichen politischen Bildprogrammen der jungen holländischen Republik, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, etwa in propagandistischen Flugschriften und Historienwerken, verbreitet wurden, nehmen Landschafts- bzw. Küsten- und Dünendarstellungen für die Markierung des unabhängigen nordniederländischen Territoriums einen maßgeblichen Stellenwert ein. Zugleich wiederum evozieren auch viele Gemälde und Grafiken, in denen die holländische Dünenlandschaft als ein autonomes künstlerisches Sujet behandelt wird, politische Assoziationen. Gerade die ersten realistischen Darstellungen der holländischen Landschaft,4 die zeitgleich zu den Widerstandspropagandabildern zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufkamen, können auch als eine identitätsbildende Auseinandersetzung mit den zurückliegenden Aufstandsjahren gedeutet werden.

2 Vgl. zu dieser Entwicklung des tuin-Emblems Winter 1957. 3 Vgl. zu der politischen Widerstandsdruckgrafik der Niederlande Kempers 1995; Müller 2003. 4 Zu dem Aufkommen der realistischen Landschaftsdarstellung in Malerei und Druckgrafik vgl. v. a. die profunde Darstellung von Sutton 1987; vgl. generell zu Sujets und Entwicklung der holländischen Landschaftsmalerei und -grafik im 17. Jahrhundert auch Ausstellungskatalog 1986; Ausstellungskatalog 1987; Ausstellungskatalog 1995; Ausstellungskatalog 1993; Ausstellungskatalog 1979; Freedberg 1980; Stechow 1966.

I. Zur Einführung Bereits Claes Jansz. Visschers Serie Plaisante Plaetsen (›Schöne Orte‹) beispielsweise, die 1611 in Haarlem entstandene früheste grafische Bildfolge mit Ansichten der nordniederländischen Landschaft, eröffnete während des Waffenstillstandes einen Raum, um die Ereignisse des gegen Spanien geführten Unabhängigkeitskrieges sinnstiftend als Teil einer kollektiven Vergangenheit zu überhöhen. So werden die ›schönen Orte‹ der Haarlemer Umgebung mit einem Titelblatt eingeleitet, auf dem unter dem Motto ›Vicit vim virtus‹ (›Die Tugend hat die Kraft besiegt‹) verschiedene Symbole der älteren und der jüngeren Geschichte Haarlems auf einem Dünenhügel vereint sind (Abb. 29). Der kahle Baum etwa, ein bekanntes Symbol der 40 Jahre zurückliegenden spanischen Besatzungszeit, das den damaligen Kahlschlag des Haarlemer Waldes und damit zugleich den verzweifelten Kampf und die Niederlage der Stadt in Erinnerung rief, ist geradezu symbiotisch mit einem Schiffskörper und mit zwei Teilen einer zerrissenen schweren Kette verbunden. Schiff und Kette verweisen als bereits konventionalisierte Symbole auf das erfolgreiche Wirken Haarlemer Bürger während des Fünften Kreuzzugs im Jahr 1219 bei der Eroberung der ägyptischen Hafenstadt Damiette, deren schützende Eisenketten der Legende nach von den Haarlemern mit einer Schiffssäge zersägt wurden.5 Indem in Visschers Darstellung diese Kettenteile an den Ästen des kahlen Baumes hängen, als seien sie durch seine Kraft zerrissen worden, und das Schiff aus seinem Stamm hervorzugehen scheint, werden die Ereignisse der spanischen Zerstörung mit den ruhmreichen Geschehnissen um Damiette in den Kreislauf eines überzeitlichen Vicit vim virtus gerückt. Zugleich ist dieser historisch besetzte Dünenhügel, in dessen Boden der Baum mit Kette und Schiff verwurzelt ist, der Ort, an dem Diligentia als Personifikation der Sorgfalt die Früchte der grafischen Künste präsentiert, indem sie eine Ansicht eines Haarlemer Stadtprofils in den Händen hält. Das produktive und rezeptive Erfassen der Landschaften Haarlems, so führt es dieses Titelblatt programmatisch vor, ist auch ein rückbesinnendes Betrachten von historischen Schauplätzen, deren vergangene Ereignisse zu festen Teilen einer kollektiven Geschichte werden. Orte, die besonders auf die zurückliegende Haarlemer Belagerungszeit verweisen, etwa die Lasery, ein ehemaliges spanisches Besatzungsquartier (Abb. 37), oder der Haarlemmerhout, der während der Besatzung kahl geschlagene Wald (Abb. 36), erscheinen so in den folgenden Blättern der Serie in idyllischen Szenerien,6 die aus der Distanz – wiederum oftmals von einer Dünenanhöhe aus – von Menschen betrachtet werden. Sind einzelne Landschaftselemente wie Dünen und Wasser in den propagandistischen Grafiken wie der tuin-Darstellung in dem Pamphlet Maechts antwoort […] (Abb. 2) in ein

5 Eine ausführliche Besprechung des Titelblattes erfolgt im Kapitel »Haarlemer Erinnerungslandschaften in Claes Jansz. Visschers Serie Plaisante Plaetsen«. 6 Zu diesem kontrastiven Gefüge idyllischer Kriegsruinen bei Visscher wie auch in anderen grafischen Serien dieser Zeit vgl. auch Levesque 1994.

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I. Zur Einführung Grenzschema eingebunden, das in erster Linie darauf abzielt, das Territorium der Vereinigten Provinzen in Abgrenzung zum Fremden, Feindlichen zu definieren, eröffnen diese zeitgleich entstandenen Bilder einer ›realen‹, in sich geschlossenen holländischen Landschaft die Möglichkeit, politische Identität in kollektiven Erinnerungsräumen zu formulieren. Im später entstandenen Frontispiz des Index Batavicus (Abb. 1) erscheint Landschaft wiederum zu einem nationalen Repräsentationsraum geronnen, der geradezu eine Schaubühne politischer Kontinuität darstellt. Die Entstehungsprozesse und die Bedeutungsdimensionen dieser identitätsstiftenden Landschaftsbilder sind Gegenstand des vorliegenden Buches. Im Zentrum steht die These, dass intermedial codierte Landschaftszeichen zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert an der politischen und sozialen Identitätsbildung der holländischen Provinz wie auch der späteren niederländischen Republik mitwirkten. Mit einem Fokus auf vorwiegend lokal und regional tradierte politische Landschaftsdiskurse wird analysiert, wie vor allem die holländische Dünen- bzw. Küstenlandschaft in verschiedenen Bild- und Textmedien zu einem komplexen Zeichen politischer Abgrenzung und kollektiver Erinnerung entwickelt wurde. Künstlerische Landschaftsdarstellungen des holländischen Realismus nehmen in dieser Untersuchung einen breiten Raum ein, werden jedoch zugleich mit einer intermedial ausgerichteten Blickrichtung untersucht, die an längerfristigen Semantisierungsprozessen interessiert ist. Gegenstand der Analyse sind dabei neben künstlerischen Medien wie Malerei und Druckgrafik propagandistische Flugschriftillustrationen, kartografische Werke und historiografische Frontispize; darüber hinaus werden diverse Textgattungen wie Stadtbeschreibungen, Chroniken, Gedichte und kunsttheoretische Abhandlungen einbezogen. Unter dieser Perspektive wird auch der Versuch unternommen, die seit dem Ende der 1980er-Jahre in der Kunstgeschichtsforschung geführte Diskussion über das politisierende Potenzial der realistischen holländischen Landschaftsmalerei mit neuen Aspekten fortzuführen. Dabei geht es weniger darum, einen generellen ›nationalisierenden‹ Status des holländischen Landschaftsrealismus in der Malerei und Druckgrafik zu verhandeln, wie dies etwa in älteren kulturhistorisch orientierten Forschungen unternommen worden ist.7 Vielmehr knüpft die Studie an Forschungsbeiträge an, die auf die Bedeutung lokaler Identität(en) abheben, wie auch an Untersuchungen, die das Interesse an visueller Identitätsbildung mit epistemologischen Gesichtspunkten von Wissensgenerierung und Wissensvermittlung verbinden.8 1876 bezeichnete der französische Kunstkritiker Eugène Fromentin die realistische holländische Malerei des 17. Jahrhunderts bekanntermaßen als ein »Porträt von Holland«,

7 Vgl. z. B. Schama 1987. 8 Siehe unten, 11 f.

I. Zur Einführung in dem die bürgerliche Gesellschaft in ihrer Lebensform direkt aufscheine.9 Die Frage nach dem politischen und sozioökonomischen Kontext ist vor allem seit den späten 1980er-Jahren vermehrt mit einem Denkansatz verbunden worden, der den Realismus nicht als ›Spiegel‹, sondern vielmehr als kulturelle Codierung zeitgenössischer Diskurse begriff. Ein kritisches Hinterfragen der realistischen Darstellungsmodi war bereits wenige Jahre zuvor, wenn auch mit dem ganz anderen Blickwinkel der ikonologisch-emblematischen Deutung, eingeleitet worden. Vertreter dieser von Eddy de Jongh für die holländische Genremalerei begründeten Forschungsrichtung,10 wie zum Beispiel Wilfried Wiegand, Hans-Joachim Raupp und Josua Bruyn,11 richteten ihr Augenmerk bei den holländischen Landschaftsbildern vor allem auf die Formelhaftigkeit stets wiederkehrender Motive wie etwa einsamer Wege mit vereinzelten Wanderern, knorriger Bäume oder alter Hütten, die sie als konventionalisierte Bildsprache einer religiösen bzw. moralisierenden Bildtradition verstanden. Auf der Folie der im 17. Jahrhundert verbreiteten Emblembücher und der Bildtradition der älteren biblischen Hintergrundlandschaftsmotive des 15. und 16. Jahrhunderts deuteten sie viele Landschaftselemente etwa als mahnende Vanitas-Symbole, die sie an den christlichen Topos der Lebenspilgerschaft banden. Als vor allem Bruyn diesen Deutungsansatz auf die meisten Landschaftsbilder des 17. Jahrhunderts angewandt wissen wollte, schien für die Niederlandeforschung ein Wendepunkt erreicht, wurde doch in einer derartigen Konzentration auf das Herauslesen einzelner Vanitas-Symbole die um 1600 einschneidende Entwicklung eines neuen Realismus in der Malerei der nördlichen Niederlande weitgehend vernachlässigt.12 Bekanntermaßen hatte Svetlana Alpers mit ihrer Studie The Art of Describing (1983) dieser Entwicklung in den

9 »La peinture hollandaise, on s’en aperçut bien vite, ne fut et ne pouvait être que le portrait de la Hollande, son image extérieure, fidèle, exacte, complète, ressemblante, sans nul embellissement. Le portrait des hommes et des lieux, des mœurs bourgeoises, des places, des rues, des campagnes […].« Fromentin 1876, 162. 10 Vgl. z. B. Jongh 1971. 11 Vgl. Wiegand 1971; Raupp 1980; Bruyn 1987. Auch in der jüngeren Studie Landschap en Wereldbeeld. Van Van Eyck tot Rembrandt von Boudewijn Bakker (Bakker 2004) wird der Landschaftsmalerei eine im Mittelalter wurzelnde spirituelle Bedeutungsdimension zugesprochen, wobei Bakker mit dieser Deutung umso stärker von einer Genese der Landschaftsgattung aus der älteren religiösen Malerei ausgeht. Zugleich aber finden in seiner breit angelegten Darstellung auch weitere Aspekte der frühneuzeitlichen Landschaftsentwicklung (etwa die Kartografie) eine Berücksichtigung, die in den älteren ikonologischen Forschungen nicht in den Blick genommen worden waren. Zu einer Kritik an Bakkers Ansatz vgl. Stumpel 2004/2005 und Büttner 2006. 12 Vgl. u. a. die Kritik von Eric Jan Sluijter an der Theorie der ›verborgenen Bedeutung‹ in Sluijter 1988; vgl. auch Alpers 1998, 375–81; einen kritischen Forschungsbericht zu verschiedenen Positionen und Deutungsansätzen unternimmt Westermann 2002, speziell zur Landschaft vgl. auch Becker 2002. Generell vgl. zu verschiedenen Forschungsfragen und -positionen zur holländischen Kunst Franits 1997; eine profunde Diskussion über Darstellungskonventionen und das Realismuskonzept der holländischen Malerei findet sich bei Goedde 1997.

7

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I. Zur Einführung Niederlanden bereits Rechnung getragen, indem sie, auch in kritischer Auseinandersetzung mit den Forschungen De Jonghs und seinem Begriff des ›Scheinrealismus‹,13 die holländische Malerei mit zeitgenössischen (natur)wissenschaftlichen Diskursen in Verbindung brachte und den Realismus generell – in polarisierender Abgrenzung zu der Kunst Italiens – als Teil einer spezifisch holländischen Sehkultur des deskriptiven Beschreibens begriff; auch die Landschaftsmalerei erschien in dieser Perspektive, in engem Bezug zu den Darstellungsmodi der Kartografie, im Wesentlichen an die Kategorie einer beschreibenden Oberfläche gebunden.14 Doch wenige Jahre nach dem ersten Erscheinen von Alpers’ Studie rückte die holländische Landschaftsmalerei dann auch vermehrt in den Mittelpunkt von kulturhistorisch orientierten Untersuchungen, die sich gleichermaßen von der ikonologischen Forschungsrichtung distanzierten, dabei aber verstärkt soziokulturelle Implikationen von Landschaft in den Blick nahmen und diese zu dem nach 1600 aufkommenden künstlerischen Interesse an der ›realen‹ Landschaft in Beziehung setzten. So unternahmen es etwa Simon Schama und Ann Jensen Adams, die konventionalisierten Darstellungsmuster der holländischen Landschaftsmalerei im Hinblick auf ihre selektive Verdichtung ›realer‹ Landschaftselemente in den Blick zu nehmen und sie auf ihren politischen, geografischen und ökonomischen Kontext zu befragen.15 Im Anschluss an die ikonologische Forschung

13 Eddy de Jongh prägte in seinem gleichnamigen Beitrag Realisme en schijnrealisme in de Hollandse schilderkunst van de zeventiende eeuw (1971) den Begriff ›schijnrealisme‹ (Scheinrealismus). Es ging ihm, mit einem besonderen Augenmerk auf die Genremalerei, darum nachzuweisen, dass die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts nur scheinbar ein ›Abbild‹ der Realität darstelle und hinter dem augenscheinlichen ›Realismus‹ vieler Darstellungen eine symbolisierende Sinnschicht angelegt sei, die von den zeitgenössischen Bildbetrachtern durch ihre Kenntnis der religiös-moralisierenden Bildtradition entschlüsselt werden konnte. Vgl. Jongh 1971. Zu einer Kritik an diesem Ansatz siehe Anm. 12. 14 Vgl. Alpers 1998, v. a. 213–286. Alpers’ Studie wurde in den Folgejahren hinsichtlich ihres polaren Schemas (der ›narrativen‹ Kunst Italiens versus der ›deskriptiven‹ Kunst der Niederlande) bzw. der einseitigen Festlegung der niederländischen Kunst auf den Darstellungsmodus des Beschreibens vielfach kritisiert (vgl. z. B. Didi-Huberman 1989, 144 ff.). Zugleich aber ist unbestritten, dass ihr Ansatz, indem er den Bildträger selbst und unter Einbeziehung anderer, auch der Wissenschaftsgeschichte zugehöriger Text- und Bildquellen ins Zentrum rückte, in der Niederlandeforschung einen wichtigen Wendepunkt einleitete. Zahlreiche Studien haben Alpers’ Denkanstöße kritisch aufgegriffen bzw. neue Wege eingeschlagen. Allein bezüglich der Wechselbeziehungen zwischen Kartografie und Landschaftsmalerei sind seit den 1990er-Jahren viele Publikationen erschienen, die sich spezifischeren Einzelthemen zuwandten. Vgl. zum Beispiel Büttner 2000 zu dem Geflecht zwischen Kunstmarkt, Kartografie und Landschaftsgrafik im flämischen 16. Jahrhundert. Zu einer aktuellen Diskussion der komplexen und prozessualen Bezüge zwischen Kartografie und Landschaftsdarstellung vgl. Michalsky 2011. Michalsky kritisiert Alpers’ Begriff des ›Beschreibens‹, da er die »Suggestivität« der Malerei unterschlage (269); demgegenüber hebt sie gerade in Abgrenzung zur Kartografie das Atmosphärische und Kontingente als piktorales Konzept vieler Landschaftsgemälde hervor (siehe auch unten, Anm. 28). 15 Schama 1987; Adams 1994. Vgl. zu einer solchen kulturhistorischen Perspektive auf Landschaftskunst bzw. Landschaftsmalerei, die weniger auf die Darstellung einer kohärenten Entwicklungsgeschichte von

I. Zur Einführung wurde dabei anstelle eines Abbildungsverhältnisses ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen dem Bild und den Strukturen seines Kontextes vorausgesetzt. So bilden für Schama etwa die um 1630 von Malern wie Jan van Goyen und Salomon van Ruysdael gestalteten, nahezu monochrom in Gelbbraun gehaltenen Darstellungen weiter Dünenund Flussebenen mit wenigen Bäumen, alten Häusern oder brüchigen Zäunen das holländische Land nicht real ab, sondern bilden es ideell mit (Taf. 1). Durch ihre Inszenierung eines augenscheinlich ganz ›unspektakulären‹ Zusammenstehens von vereinzelten Menschen in einer ansonsten weitgehend ›leeren‹ Landschaft – von Schama auch als »plotless place« bezeichnet16 – vermitteln diese Bilder seiner These zufolge die identitätsstiftende Vorstellung einer harmonischen Einheit des Landes und seiner Bewohner. Diese Einheit deutet Schama als eine sinnstiftende Projektion im Rahmen eines kulturellen Diskurses um Landgewinnung: So seien die politische ›Landgewinnung‹ – durch die Unabhängigkeit vom spanischen Herrschaftsverband – und die wirtschaftlich-geografische Landgewinnung – durch umfangreiche Entwässerungsmaßnahmen dieser Zeit – durch die künstlerische ›Landgewinnung‹ der Malerei als ein weitgehend harmonisches, kollektivierendes Zustandsbild definiert worden.17 Adams spitzt diese These zu, indem sie vor allem darauf abzielt, die typisierten Bildmuster auch im Hinblick auf das im Bild nicht Gezeigte zu befragen. So verweist sie beispielsweise darauf, dass in den meisten Bildern der 1630er-Jahre das durch Entwässerung gewonnene Polderland wie auch das neue Kanalverkehrssystem – beides Errungenschaften ebendieser Zeit – nicht dargestellt seien. Die reduzierten, naturalisierten Landschaftsbilder hätten so einen konfliktfreien Prospekt der neuen Nation geschaffen, gerade indem sie die ökonomischen und infrastrukturellen Veränderungen – die Konfliktpotenzial aufwiesen und mit sozialen Dysbalancen konnotiert werden konnten – ausblendeten.18 Auf diese Weise hätten die Bildstrukturen ein allen Bewohnern gehörendes, altes Land suggeriert,

Landschaftsrealismus denn auf die Offenlegung kultureller Bedeutungsschichten einzelner Landschaftsorte abzielt, generell den Band von Mitchell 1994 sowie Cosgrove/Daniels 1988. Vgl. auch die Studie Landscape and Memory von Schama 1995, der die Imagination von Natur in einer sehr breit angelegten Analyse in der kulturell und zeitlich vielschichtigen Historizität ihrer diversen Mythen, Topoi und Metaphern beschreibt. 16 Schama 1987, 69. 17 Ebd., 72–82. 18 Das neu gewonnene Polderland beispielsweise sei auch deshalb nicht dargestellt worden, weil es nur einer kleinen Gruppe wohlhabender Investoren zugutekam und somit nicht als ›gemeinsames‹ Land empfunden werden konnte. Vgl. Adams 1994, 48 ff. Zu der ›Naturalisierung‹ von Verkehrswegen vgl. auch Berger Hochstrasser 1997, die davon ausgeht, dass in der Darstellung der einfachen, abgeschiedenen Landschaft ein Zeitverständnis prolongiert werde, das der in der neuen Infrastruktur ermöglichten Erfahrung strukturierter, planbarer Zeit komplementär entgegenstehe. So würden die in die Bilder hineinführenden Wege durch einsame, weite Landschaften zu einer kontemplativen Reise einladen, die einen Raum für kulturelle Diskurse eröffne.

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I. Zur Einführung das in der Zeit des geografischen und ökonomischen Wandels der ersten Jahrhunderthälfte als identitätsstiftende Projektionsfläche nationaler Eintracht wirken konnte.19 Überdies und nicht zuletzt deshalb hätten sich Landschaftsgemälde im Holland des 17. Jahrhunderts zu einem in der breiten Bevölkerung gehandelten, populären Genre entwickelt.20 Generell eröffnen diese aufschlussreichen Analysen der Bildstrategien von Ausblendung und Verdichtung weitere Fragen, gerade auch, wenn das nicht Ausgeblendete stärker ins Blickfeld genommen wird, das, in Abgrenzung zu den nicht gezeigten Elementen des ›Neuen‹ und ›Anderen‹, demzufolge das ›Eigene‹ und ›Alte‹ materialisiert. Doch lässt sich eine solche kulturelle Bedeutungsdimension von Landschaft noch genauer fassen? Adams verweist generell darauf, dass Landschaft in den Niederlanden bereits seit Jahrhunderten ein hohes gesellschaftliches Identifikationspotenzial besessen habe, indem die Bewohner ihre unter dem Meeresspiegel liegenden Gebiete stets vor Überflutung schützen mussten; dies habe auch in einem breiten sozialen Rahmen zu einer starken Beziehung der Niederländer zu ihrem Land geführt, zumal aufgrund der geografischen Lage das feudale System in dieser Region nicht in der Form verankert werden konnte, wie es sonst in Europa der Fall war.21 Dieses Identifikationspotenzial der Landschaft sei dann vor allem zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Malerei ausgelotet worden. So hätten die nördlichen Niederlande im Zuge des Unabhängigkeitskrieges und der Abspaltung vom spanisch-habsburgischen Herrschaftsverband sozusagen in Ermangelung einer zentralen Regentenfigur das Land als identitätsstiftende Projektionsfläche gemeinsamer Geschichte und Eintracht gewählt – »The Dutch turned to their land«, wie Adams es pointiert formuliert.22 Die skizzierten Ansätze zielen, obgleich durchaus mit dem generellen Verweis auf eine gewachsene kulturelle Landschaftstradition, prinzipiell eher darauf ab, in einer Art Querschnittanalyse eines kürzeren Zeitabschnitts formelhafte Bildmuster zu identifizieren und an diesen grundsätzlich die These zu formulieren, dass Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert dazu beigetragen habe, die Projektionen einer »imagined community«23 zu festigen.

19 Ein vergleichbares Interesse an visuellen Projektionen des Egalitären prägt auch Daniela HammerTugendhats 1998 erschienenen Beitrag zu identitätsstiftenden Strukturen in holländischen Gruppenporträts. So hebt sie hervor, dass Gruppenporträts »nicht einfach Abbilder gesellschaftlicher Realität, sondern produktiv an der Entstehung nationaler Identität beteiligt gewesen« seien, indem die »egalitäre Bildstruktur […] die Fiktion von Gleichheit« erwecke. Auf diese Weise entstehe »das Bild einer harmonischen, konfliktfreien Verbindung von Individuen und Gemeinschaft, von Einheit und Gleichheit«. Hammer-Tugendhat 1998, 162 f. 20 Vgl. Adams 1994, 39 f.; zu der Popularität des Genres auf dem holländischen Kunstmarkt vgl. Chong 1987; North 1992, 121 ff., generell zum Kunstmarkt vgl. auch Montias 1987 und Bok 1994. 21 Vgl. Adams 1994, 42 ff. 22 Ebd., 44. 23 Benedict Anderson entwickelte den in der Folge stark rezipierten Begriff der ›imagined community‹ in seiner gleichnamigen Studie von 1983, um damit die gesellschaftliche Konstruktion bzw. ideologische Erfindung von Nationalstaaten offenzulegen. Vgl. Anderson 1983.

I. Zur Einführung Doch stellt sich die Frage, ob die einzelnen Erscheinungsformen bzw. die Wahrnehmungsgeschichte dieser landschaftlichen Bildmuster nicht noch präziser analysiert bzw. als Teil eines komplexeren Semantisierungsprozesses betrachtet werden können. Bereits der Historiker Willem Frijhoff hatte 1993 in kritischer Auseinandersetzung mit Pierre Noras Konzept der lieux de mémoire eingefordert, im Falle der Niederlande anstelle bereits gefestigter nationaler lieux constitués stärker deren lokale Entstehungsprozesse in den Blick zu nehmen.24 Ab Mitte der 1990er-Jahre verhandelten auch kunsthistorische Studien der Niederlandeforschung Gesichtspunkte politischer Identität und nationaler Repräsentationsstrategien in der Landschaftsmalerei zunehmend an exemplarisch verdichteten Fragestellungen, die lokale Identitätsdiskurse unter gleichzeitiger Berücksichtigung verschiedener Wechselbeziehungen zwischen Bild- und Textmedien stärker in den Fokus rückten. Für die vorliegende Untersuchung waren vor allem Huigen Leeflangs Forschungen zu der literarischen Tradition des Haarlemer locus amoenus-Topos in der Stadtlobdichtung und ihrer nachhaltigen Verschränkung mit der ›Genese‹ und der Entwicklung des Landschaftsgenres in Haarlem wegweisend.25 Ebenfalls ist hier Catherine Levesques Studie zu den frühen Haarlemer druckgrafischen Serien zu nennen, in der sie identitätsstiftende Dimensionen der künstlerisch erschlossenen Landschaft im vergleichenden Blick auf kartografische, propagandistische wie auch literarische Diskurse untersucht.26 Auch Karsten Müllers Analyse der grenzmarkierenden bzw. einheitsstiftenden Bildstrategien von Propagandaillustrationen am Beginn des Achtzigjährigen Krieges stellen einen für den hier verhandelten Kontext sehr aufschlussreichen Ausgangspunkt dar.27 Dass Identitätsdiskurse jenseits der Konzentration auf den Inhalt spezifischer Projektionen und damit verbundene Bedeutungszuweisungen zunehmend Gegenstand eines stärker auf epistemologische und wissenschaftshistorische Fragen bezogenen Interesses wurden, ist zuletzt in Studien deutlich geworden, die Aspekte nationaler Identität in der Landschaftsmalerei mit einem Fokus auf deren medialästhetische Voraussetzungen bzw. Darstellungsmodi verbinden. So haben vor allem die Arbeiten von Tanja Michalsky – auch in kritischer Auseinandersetzung mit Alpers – das Spektrum der Landschaftsforschung erweitert, indem sie zum Beispiel die komplexen epistemischen Beziehungen von

24 »Il faut, d’une part, essayer de saisir les lieux de mémoire non seulement à leur point d’aboutissement de lieux constitués, mais, dans la mesure du possible, aussi sur le lieu de leur production, afin de mieux comprendre, par le jeu des réussites et des échecs, des succès et des ratés, quelle est la consonance de l’ensemble des élements constitutifs des lieux de mémoire.« Frijhoff 1993, 67; siehe auch Nora 1984– 1992. 25 Leeflang 1995; Leeflang 1997; Leeflang 2002. Im Zusammenhang mit dem Haarlemer locus amoenusTopos bzw. der Tradition der Stadtlobdichtung ist ebenfalls De Bièvres Beitrag von 1988 hervorzuheben, der vor allem den virtus-Topos in der Haarlemer Stadtkultur untersucht. Vgl. Bièvre 1988. 26 Levesque 1994; vgl. auch Levesque 1997. 27 Müller 2003; Müller 2003a.

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I. Zur Einführung Kartografie und Landschaftsmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts diskutierten; Landschaftsrealismus in der Malerei wird dabei als ein Komplement der topografisch-kartografischen Tradition begriffen und auf medialspezifische Kategorien des Zeitlichen und Atmosphärischen untersucht.28 Das Interesse an Aspekten politischer und sozialer Identität in der Landschaftsforschung hat, so könnte man insgesamt resümieren, lediglich insofern abgenommen, als monolithisch fixierte Konzepte von ›nationaler Identität‹ und ›Landschaftsrealismus‹ zunehmend Fragestellungen gewichen sind, die Identitätskategorien stärker ausdifferenzierten bzw. visuelle Identitätsstiftung als einen komplexen, vielfach auch ambivalenten, kleinteiligen und in lokalen Diskursen wurzelnden Prozess begriffen. An diese Entwicklung anknüpfend, hat die vorliegende Untersuchung zum Ziel, den Vorgang, den Adams mit »The Dutch turned to their land«29 beschreibt, in seiner prozessualen und intermedialen Reichweite zu erschließen. Dem exemplarischen Fokus auf Dünen- und Küstenlandschaften liegt die oben formulierte These zugrunde, dass gerade diese Landschaften in verschiedenen Bild- und Textmedien zu komplexen Zeichen politischer Abgrenzung und kollektiver Erinnerung entwickelt wurden. Dass den Dünen in Holland ein identitätsstiftender Stellenwert eignete, scheint insofern prinzipiell vorstellbar, als sie seit Jahrhunderten in ihrer Funktion als einer natürlichen Schutzzone gegen die See wahrgenommen wurden.30 Bereits im Mittelalter spiegelt sich ihre Schutzdimension in Heiligenlegenden und in einer früh einsetzenden Benennung von Dünen wider.31 Überdies nahmen die Dünen in der holländischen Küstenlandschaft ohnehin eine breite Fläche ein. Gerade Haarlem – das Zentrum der ›Genese‹ des holländischen Landschaftsrealismus – war für seine ausgedehnten und hohen Dünenketten bekannt, die auch für die wichtigsten wirtschaftlichen Zweige der Stadt – das Brauerei- und das Bleichwesen – von Bedeutung waren.32 Die häufige Präsenz der Dünen in der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts erscheint vor diesem Hintergrund einerseits evident, andererseits ist ihre spezifische piktorale Thematisierung vielleicht nicht zuletzt aufgrund dieser ›Selbstverständlichkeit‹ ledig-

28 Komplementär zur Kartografie eröffnet die Malerei nach Michalsky einen konkreten und insofern auch identitätsbildenden Zugang zu der Materialität der individuellen, niederländischen Natur: »Das Vergnügen, den schweren Sand, die rauhe Luft und den Geruch des nahen Meeres durch die leicht auf den Bildgrund gesetzten, wenig differierenden Farben ›malerisch‹ vermittelt zu bekommen, spricht ebenso für eine ästhetische Erfahrung wie auch für ein Sensorium eben dieser Qualitäten der ›eigenen‹, niederländischen Natur.« Michalsky 2004, 352. Vgl. auch Michalsky 2002; Michalsky 2003; Michalsky 2007; Michalsky 2011. 29 Siehe Anm. 22. 30 Vgl. auch Ausstellungskatalog 1993, 94 f. 31 Zu mittelalterlichen Dünennamen und -legenden vgl. Rentenaar 1971; Rentenaar 1977. 32 Vgl. Leeflang 1997; Stone-Ferrier 1985.

I. Zur Einführung lich indirekt ins Blickfeld der Forschung geraten. Es ist zum Beispiel zu fragen, warum Dünen nur in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Malerei außerordentlich häufig dargestellt wurden – und in welchem Kontext die ›reduzierten‹, selektiv verdichteten Gemälde van Goyens, de Molijns und van Ruysdaels diese Landschaften eigentlich präsentieren (Taf. 1, 3, 4; Abb. 43–45, 47, 48). So ist hier beispielsweise zu konstatieren, dass das ästhetische Interesse an den Dünen sich nicht auf ein von Wind, Regen, Meer und Vegetation dynamisiertes Naturphänomen bezog. In den meisten Fällen erscheinen Dünen, im Kontrast zu dem atmosphärisch gehaltenen Himmel, in den Bildern vielmehr als eine weitgehend unbewachsene und unbewegte sandige Masse, die sich durch Festigkeit und zudem geradezu durch eine alle weiteren Motive farbig durchziehende Omnipräsenz auszeichnet. Darüber hinaus fällt vor allem auf, dass Dünen immer wieder als Orte der Landschaftsbetrachtung im Bild thematisiert werden: Menschen stehen häufig in kleinen Gruppen oder vereinzelt auf Sandhügeln und blicken von dort in die Weite der flacheren Dünenebenen. Angesichts der sonstigen Reduziertheit dieser scheinbaren ›plotless places‹ fällt diese Thematisierung des Landschaftsblicks umso mehr ins Gewicht. Auch im Kontext einer für viele holländische Landschaftsbilder typischen – etwa mit Motiven wie sich nach außen öffnenden Wegen und mit bewegter Licht- und Schattenführung erzielten – Sichtbarmachung von Seherfahrungen stellt dieses Sehen von den Dünen als Thema der holländischen Landschaftsmalerei eine Eigenart dar. Wie ich aufzeigen möchte, ist dieses explizite Thematisieren von Landschaftsbetrachtung im Bild nicht allein im Besonderen an die Darstellung von Dünen gebunden, sondern ist zudem mit identitätsstiftenden Diskursen historischer Erinnerung verknüpft. Ich gehe zudem davon aus, dass sich die kulturelle Reichweite dieser dargestellten Dünenblicke erst dann erschließt, wenn die Perspektive in medialer und zeitlicher Hinsicht erweitert wird. An der widerstandspropagandistischen Illustration (Abb. 2) wird zum Beispiel ersichtlich, dass Dünen bereits um 1600 in einem dezidiert politischen Kontext eingesetzt werden, um das eigene Land zu markieren. Daneben zeigt ein vergleichender Blick auf die frühen Grafiken Visschers (Abb. 29–40), dass den Dünen vom Beginn des Landschaftsrealismus an ein bedeutender ästhetischer Stellenwert als ein neuer, eigener Ausblickspunkt auf die einheimische Landschaft beigemessen wurde; darüber hinaus wird hier zugleich deutlich, dass das Schauen von den Dünen mit Momenten historischen Erinnerns verbunden sein kann. Nur wenige Jahre später werden dann die tonalen Landschaftsgemälde populär, in denen das Blicken von den Dünengipfeln, scheinbar losgelöst von expliziten historischen Konnotationen im Bild, so auffällig häufig thematisiert ist. In meiner Untersuchung möchte ich rekonstruieren, wie Landschaftszeichen von Dünen und Küsten in komplexen Produktions- und Rezeptionsprozessen des späten 15. und 16. Jahrhunderts zunächst als schematische lokalpolitische Grenzmarkierungen ausgebildet werden, um schließlich im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einem kollektiven Imaginationsraum von Geschichtsprojektionen weiterentwickelt zu werden. Wenn es in dieser

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I. Zur Einführung Arbeit unternommen wird, Semioseprozesse33, die etwa ein Gemälde van Goyens beim zeitgenössischen Betrachter auslösen konnte, in einer Untersuchung der Entwicklung von Zeichenstrukturen und -bedeutungen zu rekonstruieren, so schließt diese medial- und zeitübergreifende Perspektive auch eine Analyse textueller Zeichen mit ein. Textmedien wie Stadtbeschreibungen, Chroniken und Gedichte sollen damit nicht als bilderklärende Phänomene, sondern als äquivalente Zeichen einer »kulturellen Einheit« verstanden werden, die ein bestimmtes dynamisches Stadium landschaftlich geprägter Identitätsstiftung bezeichnet.34 Wenn im Folgenden von identitätsstiftenden, nationalisierenden Diskursen in den nördlichen Niederlanden die Rede ist, dann ist ›Nationalisierung‹ im erweiterten Sinne jenseits ihrer staatsbildenden Dimension im 19. Jahrhundert als ein mit kulturellen Zeichen manifestierter, ›experimenteller‹ Prozess zu verstehen:35 Wie Simon Schama in seiner Studie The Embarrassment of Riches aufgezeigt hat, galt es angesichts der Ungewissheiten und Unbeständigkeiten in der politischen, geografischen, sprachlichen und religiösen Grenzziehung während des langen Unabhängigkeitskrieges für die nördlichen Provinzen um 1600 zunächst vor allem, sich in Abgrenzung von einem starken Feindbild ex negativo als eine einträchtige Leidensgemeinschaft zu definieren.36 In einem weiteren Schritt konnte dann diese Eintracht auch historisch begründet werden: Mythen37 um die zeit33 Um von der Beweglichkeit identitätsstiftender Zeichenprozesse auszugehen, eröffnet der von Charles Sanders Peirce entworfene Semiosebegriff einen methodischen Zugang, indem er den komplexen Vorgang der zeitlich geschichteten Bedeutungsfluktuation einschließt. Indem das Zeichen nach Peirce bei seinem Rezipienten einen Interpretanten, ein »äquivalentes Zeichen«, erzeugt, welches wiederum weitere Zeichen evoziert, besteht die Abhängigkeit der Zeichen voneinander nicht in einem von vornherein gegebenen Gefüge, sondern generiert sich im Interpretationsprozess, in dem sprachliche wie nichtsprachliche Zeichen eingeschlossen sind. Vgl. Peirce 1932, § 228. In der Kunstwissenschaft widmete man sich hingegen zumeist der zweiten Zeichentrichotomie von Peirce, also der Beziehung des Zeichens zum Objekt, um mit den drei Peirce’schen Kategorien Ikon, Index und Symbol eine bildtypologische Klassifizierung vorzunehmen. Zu den verschiedenen Modellen vgl. u. a. Brög/Stiebing 1980, Nöth 2005, Nöth/Santaella 2000; zu verschiedenen Positionierungen von Zeichentheoretikern und Bildwissenschaftlern vgl. Majetschak 2005; zu einer Übertragung des Semiosebegriffs vgl. auch Volmert 2008. 34 Umberto Eco bezieht sich mit seinem Begriff der »kulturellen Einheit« auf Peirce’ InterpretantenBegriff und geht so von einem ähnlichen Modell komplexer Semioseprozesse aus. Vgl. Eco 1991, 106. 35 Vgl. zu diesen oftmals lokalen bzw. regionalen Prozessen sozialer und politischer Identitätsbildung im 15. und 16. Jahrhundert und den damit verbundenen Begrifflichkeiten generell Groenveld 1980, der sich mit den frühen, zunächst oftmals nur auf kleinste lokale Herkunftsgebiete bezogenen Bedeutungsebenen des Begriffes natie (›Nation‹) beschäftigt; vgl. auch Frijhoff 1993. Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch Volmert 2012. 36 Vgl. Schama 1987, 51 ff.; zur Feindbildzeichnung vgl. auch Pollmann 1992; zu einer Theorie der verschiedenen Abgrenzungscodes vgl. Giesen 1999. 37 Zur Definition des Begriffes ›Mythos‹ vgl. Frank Borchardt: »Veneration of the past, moral lessons, or explanation of otherwise inexplicable phenomena are, however, rarely the primary functions of myths, as they may be of saga, legend, and fairy tale. Myth is rather a means by which a culture organizes,

I. Zur Einführung genössischen Kriegserfahrungen wurden mit Mythen um vergangene holländische Kriegserfahrungen zu einer sinnstiftenden Geschichtsordnung komponiert, die zudem von Projektionen um die Traditionslinie des holländischen Grafenhauses und um die batavischen Vorfahren der Holländer ergänzt wurde.38 Zugleich haben diese Diskurse auch um 1600 bereits eine Vorgeschichte. So setzte die Entwicklung von Mythen, die das Bild einer historisch gefestigten holländischen Gemeinschaft projizierten, nachhaltig im 15. Jahrhundert ein, als Holland im burgundischen und später im habsburgischen Herrschaftsverband aufging. In Stadtchroniken etwa prägte das Interesse an der holländischen Grafendynastie und an einzelnen Stadtgründungsmythen frühe Formen lokaler und regionaler Identität. Seit dem frühen 16. Jahrhundert unternahmen humanistische Geschichtsschreiber zudem Versuche, die Abstammung der Holländer von dem antiken Stamm der Bataver zu belegen, um für das zunehmend als eine eigene natie betrachtete Holland auch eine antike Vergangenheit zu konstruieren.39 Das Neben- und Miteinander dieser verschiedenen Narrationsstränge – der diversen heroischen Stadtmythen, der dynastischen Kontinuität des holländischen Grafenhauses und der unterlegten Tradition der batavischen Vorfahren – konnte gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit dem Fluchtpunkt der nordniederländischen Unabhängigkeit weiterentwickelt werden. So wurden auch vormals lediglich lokal oder regional bedeutsame Mythen stärker auf die während der Aufstandsjahre identitätsbildenden Parameter der Abstammung und kollektiven Abgrenzung ausgerichtet und zu größeren Einheiten verknüpft, die zugleich oft – auch aufgrund der Vormachtstellung dieser Provinz – an Holland orientiert waren. Die holländische Landschaftsmalerei wie auch andere mediale Darstellungsformen von Landschaft sind in engem Bezug zu diesen Diskursen zu sehen: Wie zu zeigen sein wird, spielen Landschaftszeichen im Verlauf dieser Prozesse bereits in identitätsfördernden Mythenbildungen seit dem 15. Jahrhundert eine argumentative Rolle, die um 1600 dann in Texten und Bildern der Widerstandspropaganda sprunghaft an Bedeutung gewinnt und schließlich auch die realistischen Landschaftsdarstellungen prägt. Um diesen längeren Prozess einer Wechselwirkung nationalisierender Parameter und landschaftlicher

interprets, and gives authority to its most cherished assumptions about itself and the world. The validity of those assumptions depends not on any conformity with empirical reality – they may or may not be supported by the evidence of the senses – but on broad acceptance of the assumptions by the constituents of the culture.« Borchardt 1971, 13. Vgl. auch Jan Assmann, der auf die enge Verflechtung von Mythos und Geschichte verweist: »Vergangenheit, die zur fundierenden Geschichte verfestigt und verinnerlicht wird, ist Mythos, völlig unabhängig davon, ob sie fiktiv oder faktisch ist.« Assmann 2002, 76. Zu Prozessen der europäischen Nationen- und Mythenbildung vgl. Münkler 1997; Schulze 1996. 38 Vgl. zu diesen Mythenbildungen auch Schama 1987, 51 ff. 39 Vgl. zu den frühen Formen holländischer Identitätsfindung in der Historiografie Tilmans 1993a; Tilmans 1988; Tilmans 1987; zu visuellen Repräsentationsformen vgl. Scheller 1995. Zu der Entwicklung des Begriffes natie vgl. Groenveld 1980, siehe auch oben, Anm. 35.

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I. Zur Einführung Zeichenbildung zu untersuchen, gilt es somit, auch die Anfänge dieser Entwicklung zu berücksichtigen. Im ersten Teil des Buches werde ich zunächst darlegen, inwieweit der Prozess der landschaftlichen Zeichenbildung vor allem in einer frühen lokalen und regionalen Bedeutungsaufladung der Haarlemer Landschaft wurzelt: Bereits nach 1400 in Stadtlobliedern als ein locus amoenus der Stadt hervorgehoben,40 entwickelte sich die Haarlemer Landschaft seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert in Texten und Bildern allmählich zu einer diskursiven Schnittfläche verschiedener lokaler und überregionaler Mythen um gräfliche Herrschaftskontinuität, batavische Abstammung und bürgerliche virtus. Sie wird, so soll aufgezeigt werden, in verschiedenen Chroniken und einzelnen Regentenbildern im Kontext politischer Herrschaftsrepräsentation gleichsam als ein dynastisches Siegel eingesetzt, das eine ungebrochene Tradition der holländischen Rechtsmacht garantiert. Weiterhin gilt es zu fragen, inwiefern die Haarlemer Landschaft im Zuge dieser politisierenden Zeichenbildung auch in dem seit dem frühen 16. Jahrhundert geführten historiografischen Diskurs um die batavische Antike einen argumentativen Stellenwert erhalten konnte. In der Beweisführung holländischer Historiografen, dass die Bataver die Vorfahren der Holländer gewesen seien, spielte der Verweis auf die ursprüngliche Landschaft wie auch auf die virtus der Bataver eine wesentliche Rolle.41 Indem die Verbindung von Landschaft und virtus sich zu dieser Zeit bereits zu einem spezifischen Topos Haarlemer Stadtlobdichtung entwickelte und die Landschaft Haarlems darüber hinaus als ein Zeichen der gräflichen Herrschaftstradition konnotiert wurde, konnte sie in der Diskussion um die batavischen Ursprünge der Holländer auch die neu kultivierten Vorstellungen von der ›antiken‹, schönen Landschaft, der virtus und der Freiheit der batavischen Vorfahren vereinen. So wird die gesellschaftliche Vereinnahmung der Landschaft, wie Martin Warnke es in seiner Studie zu den Erscheinungsformen Politischer Landschaft formuliert, im 16. Jahrhundert zu einer »geläufige[n] Argumentationstechnik«.42 Wie die Dünenlandschaft um 1600 schließlich in dem erweiterten semantischen Bezugsfeld des Aufstandes gegen Spanien als Zeichen einer überhistorischen holländischen virtus und Herrschaftstradition eingesetzt werden kann, möchte ich im darauffolgenden Teil untersuchen. So soll erörtert werden, wie die Dünenlandschaft in propagandistischen Flugschriften einerseits wie auch im spezifischen lokalpatriotischen Kontext Haarlems andererseits auf unterschiedliche Weise erstmals in einem breiteren Rahmen als identitätsstiftendes Zeichen in Erscheinung tritt, um an Projektionen von ›natürlicher‹ und histo-

40 Zum locus amoenus-Topos in der Haarlemer Landschaftstradition in Text und Bild vgl. die Untersuchungen von Leeflang: Leeflang 1995; Leeflang 1997; Leeflang 2002; vgl. auch Bièvre 1988, die zudem den Topos der Haarlemer virtus untersucht. 41 Vgl. Tilmans 1987. 42 Warnke 1992, 139.

I. Zur Einführung rischer Grenzziehung mitzuwirken. Dabei werde ich zunächst analysieren, wie Dünen in propagandistischen Illustrationen – tuin-Bildern und politisierenden Walstrandungsdarstellungen – in formelhaft polarisierenden Bildmustern erscheinen, um die Sphäre des eigenen Landes gegenüber dem angreifenden Fremden zu kennzeichnen. Es gilt zum Beispiel zu fragen, in welcher Weise die den tuin grundierende Dünenlandschaft als ein bereits entwickeltes eigenes Zeichen dynastischer Tradition, batavischer und holländischer virtus die Kontinuitätsvorstellungen der Widerstandsrhetorik untermauern und die Idee einer legitimierten ›Rückeroberung‹ besetzten Terrains bedienen konnte.43 Im Anschluss wird zu diskutieren sein, inwieweit sich diese prinzipiellen Möglichkeiten landschaftlicher Zeichensysteme mit der während des Zwölfjährigen Waffenstillstandes (1609–1621) zunehmenden Historisierung der unmittelbaren Kriegsvergangenheit erschöpften: Während die Kriegsgeschichte in Chroniken und grafischen Bildfolgen von Städteplünderungen in repetitiven Formeln als eine kollektive Erfahrung der spanischen Grausamkeit erinnert werden konnte, mussten die tuin-Dünen-Zeichen gerade durch ihre polarisierende Gegenüberstellung der feindlichen Sphären stärker auf die schematische Vermittlung eines Status quo ausgerichtet bleiben. Als einen vermittelnden Zwischenraum zwischen diesen beiden Polen identitätsbildender Historisierung – der linear strukturierten Geschichtsnarration der Texte und Bildserien und dem Zustandsbild der tuin-Bilder – betrachte ich die realistischen Landschaftsgrafiken, die nach 1600 im Haarlemer Raum aufkamen. So werde ich ausführen, wie die spezifische, in sich geschlossene Landschaft, die in der Haarlemer Grafik um Hendrick Goltzius und Claes Jansz. Visscher entwickelt wurde, zu einem Erinnerungsort 44 exemplarischer und zugleich repräsentativer historischer Ereignisse werden konnte. Mit diesen neuen Bildern der Haarlemer Dünenlandschaft wurde, so die These, gewissermaßen das ›reale‹ Innere eines konkreten exemplarisch-lokalen tuin betrachtet, der als ein historischer Schauplatz gleich mehrere Momente der älteren und der jüngeren Kriegsvergangenheit zugleich ins Gedächtnis rufen konnte. Parallel sollen in diesem Abschnitt auch lokalpatriotische Texte wie etwa die Stadtgedichte Karel van Manders und Nicolaes van Wassenaars oder die Anthologie Den Nederduytschen Helicon analysiert werden, in denen um diese Zeit ebenfalls zunehmend eine kontemplative Dimension der Haarlemer Landschaft entfaltet wird. Wie diese Dimension des kontemplativen Erinnerns weiterentwickelt wird, werde ich im Anschluss anhand der Bildserie Plaisante Plaetsen von Claes Jansz. Visscher darlegen: Indem in dieser Bildfolge die Landschaftsbetrachtung auf mehreren Ebenen thematisiert

43 Vgl. generell zu den Bildern und der Rhetorik der Widerstandspropaganda vor allem die konzise Studie von Müller 2003; vgl. auch Müller 2003a. Die Rolle der Dünen wird hier indes nicht berücksichtigt. 44 Ein ›Erinnerungsort‹ ist hier in Anlehnung an Pierre Noras Konzept der lieux de mémoire (Nora 1984–1992) im erweiterten Sinne jenseits einer engen geografischen Definition als ein kulturell aufgeladenes, identitätsstiftendes Monument einer Erinnerungsgemeinschaft zu verstehen.

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I. Zur Einführung wird, wird meines Erachtens eine ästhetische Distanz evoziert, die eine symbolisch gefestigte kollektive Erinnerung suggerieren kann. Die Ansichten der in den Dünen gebetteten, ›natürlich‹ umgrenzten Ruinen-, Wald- und Dünengebiete erscheinen so als Einblicke in einen historisch semantisierten, lokalisierbaren tuin. In diesen Bildern wird die Haarlemer Dünenlandschaft zu einem lokalen Erinnerungsort der jüngeren Kriegsereignisse, der auch die ›Vorvergangenheit‹ eines vor der spanischen Verwüstung bereits gefestigten, gräflich-batavischen Landes einschließt.45 Sind die frühen Haarlemer Grafiken darauf angelegt, eine historische Ordnung bühnenartig zu präsentieren, so geht es in den späteren Landschaftsgemälden Jan van Goyens und seiner Zeitgenossen zunehmend um die Suggestion der kollektiven Zugehörigkeit zu dieser Ordnung. Im Teil »Grenzenloser Garten« wird aufgezeigt, mit welchen Implikationen sich in diesen Darstellungen der Blick auf die Landschaft in der Bildebene verschiebt. Die Anhöhe eines Dünenhügels eröffnet nicht mehr einleitend im Bildvordergrund den Einblick in ein Landschaftsgebiet; vielmehr rückt der Dünenblick in die Tiefe des Bildes und wird so zu einem festen Bestandteil einer grenzenlos erscheinenden Landschaft, in der Menschen an alten Zäunen stehen und von Dünenanhöhen auf das Umland schauen. Welche Effekte und historischen Assoziationen diese Landschaftsbilder bei einem Bildbetrachter auslösen konnten, möchte ich mit einer vergleichenden Betrachtung der historisierenden Dimensionen von Landschaft in der Dichtung einerseits und einem Blick auf zeitgenössische kunsttheoretische Vorstellungen zu den reflexiven, assoziativen Prozessen der Bildbetrachtung andererseits diskutieren. Dabei geht es auch darum, von verschiedenen Ebenen aus nachzuzeichnen, wie die Bilder mit ihrer Verbindung von aufgelösten, brüchigen Zaunspuren, schauenden Menschen und ›leeren‹, weiten Dünenstrecken auf die Dimension eines entgrenzten, freien und alten tuin rekurrieren, dessen Geschichte von seinen Bewohnern betrachtet wird: Wie zu diskutieren sein wird, suggerieren diese Bilder Landschaften, die, um eine Formulierung Simon Schamas aus seiner kulturwissen-

45 Inwieweit idyllische Ruinen in der Haarlemer Druckgrafik an vergangene Kriegsmomente erinnern konnten, diskutiert auch Levesque 1994. In ihrer Studie zu Identitätskonstruktionen in verschiedenen im Haarlemer Kreis entstandenen druckgrafischen Landschaftsserien betrachtet Levesque die historisierenden Implikationen von Visschers Serie im Kontext anderer zeitgenössischer grafischer Serien und in einem breiten Rahmen topografisch-kartografischer Tradition einerseits und – retrospektiv – späterer Stadtbeschreibungsliteratur andererseits; vernachlässigt bleibt dabei die spezifische Haarlemer Landschaftstradition und ihre über Jahrhunderte gewachsene lokale identitätsstiftende Dimension. Vgl. dazu auch die Kritik in Leeflang 1995a. Levesque bezieht in ihrem Kapitel zu den Grafiken von Willem Buytewech auch einige propagandistische Grafiken in ihre Analyse mit ein und diskutiert dabei die zeitgenössischen Implikationen des politischen Gartens (Levesque 1994, 75 ff.). Mir geht es dagegen im spezifischen Bezug auf Visscher stärker um eine auf Semantisierungsprozesse konzentrierte Auslotung der verschiedenen identitätsstiftenden Potenziale von Landschaftsbildern und Propagandabildern und um die in diesem Kontext wichtige Frage nach der Bedeutung des historisierenden Landschaftsblickes und der Dünen.

I. Zur Einführung schaftlichen Studie Landscape and Memory aufzugreifen, »aus Schichten der Erinnerung zusammengesetzt« sind.46 Abschließend wird erörtert, inwieweit die Betrachtung der Landschaft um die Jahrhundertmitte in den Gemälden Jacob van Ruisdaels schließlich zu einem sublimen Moment gesteigert wird. Eine einzelne, hohe Düne wird bei Ruisdael oft als ein nahezu arkadisch entrückter, idyllischer Aussichtspunkt inszeniert. Im vergleichenden Blick auf die zeitgenössische pastorale Literatur soll diskutiert werden, wie die Dünen in einem neuen Zeitabschnitt der holländischen Republik, indem sie als das Fundament des historischen tuin konnotiert sind, auch die Abgeschlossenheit seiner klassischen nationalen Geschichte bezeichnen können. Einem Ausblick auf die Konsequenz dieser Entwicklung ist schließlich das letzte Kapitel gewidmet. Im Verweis auf späte Dünendarstellungen von Jan Wijnants und Jan Vermeer van Haarlem werde ich skizzieren, wie die identitätsstiftende Wirkung der Dünenbilder in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts allmählich abnimmt und die Landschaftszeichen kollektiver Abgrenzung und Erinnerung in der Folge des Westfälischen Friedens zunehmend als repräsentative Staatssymbole fixiert werden: Auf dem Fundament dieser Entwicklung können die Dünen in dem eingangs erwähnten Frontispiz von Adriaan Pars zu einer nationalen, historischen Landschaft werden.

46 Schama vergleicht diese Erinnerungsschichten bekanntermaßen mit Gesteinsschichten: »Its scenery is built up as much from strata of memory as from layers of rock«. Schama 1995, 7.

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II.

Der Garten Haarlems. Identitätsstiftende Landschaftszeichen im 15. und 16. Jahrhundert

i. Einblicke »Adieu, Haarlem, schöne Stadt, Weit berühmt und sehr vergnüglich, Eine der ältesten von Holland. Käme in deinen friedlichen Garten Blutgierig ein Wolf oder Löwe, Kämpfe klug wie ein Bataver. Bringt den vertrockneten Baum überall hin, Der zwei grüne Sprossen brachte, Und Eure zwei Löwen nach draußen jagt: Hängt dann daran, wie es sich gehört, Eure Standarte und den roten Schild Wie ein Soldat, der kämpfen will. Kämpft mit dem Schwert von Damiette Flieht vor keiner Finsternis […].« 47

47 »Adieu Haerlem schoone Stede Wijt vermaerdt en seer playsant Een der Oudtste van Hollant. Quam in uwen Thuyn vol vrede Een Wolf ofte Leeu blootgier Strijt kloeck als een Batavier. Stelt den dorren Boom aldooren Die twee groene spruyten braecht U twee Leeuwen buyten jaecht: Hanght dan daer aen na ’tbehooren U Standaert en Roode schilt Als Soldaet die vechten wilt. Vecht met tsweert van Damiaten Voor gheen duysterheyt en vlucht […].« Soetendal 1618, 62. Übersetzungen sind hier und im Folgenden, soweit nicht anders vermerkt, von der Autorin vorgenommen.

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II. Der Garten Haarlems Das Lied »Adieu Haerlem schoone Stede« erschien in der Liedbuchsammlung Liedekens ende Refereynen, die ein Haarlemer Dichter unter dem Pseudonym Haerlem Soetendal 1599 verfasste.48 Diese Sammlung, die im Laufe des 17. Jahrhunderts in mehreren Ausgaben erschien und große Popularität erlangte, umfasst etwa 30 Liedstücke, die dem Themenfeld des Abschieds und der Reise gewidmet sind.49 Einige Lieder befassen sich mit dem Aufbruch des Dichters nach Lissabon, andere Abschiedsgesänge wenden sich in einem preisenden Rückblick der Heimatstadt Haarlem zu, die mehrfach als ›Soetendal‹, ›süßes Tal‹, bezeichnet wird. So reiht das erste Lied der Sammlung, »Adieu Haerlem Soetendal«, in einer Art Rundreise durch das Haarlemer Umland zahlreiche Sehenswürdigkeiten mit einem »Adieu« aneinander, etwa »Adieu, Overveen und Zantvoort / Wijck op Zee und auch der Strand […] Adieu, Brero, weite Blink-Dünen / Aelbertsberch, Bloemendal«.50 Das eingangs zitierte drittletzte Lied hingegen, »Adieu Haerlem schoone Stede«, resümiert zum Einstieg die Schönheit der alten Stadt, um dann eine andere Perspektive zu eröffnen: Haarlem wird als »friedlicher Garten«, als ein »Thuyn vol vrede«, umschrieben, der von dem Eindringen blutrünstiger, wilder Tiere gefährdet werden kann. Diese Vorstellung des ›tuin‹ als eines umgrenzten Gartengeheges, das mit einem feindlichen Angriff von außen konfrontiert wird, war um 1600 außerordentlich verbreitet. So bezeichnet der tuin in zahlreichen propagandistischen Flugschriftillustrationen das Gebiet der aufständischen nordniederländischen Provinzen, die ihre Unabhängigkeit vom spanischen Herrschaftsverband erklärten (Abb. 2, 8, 11, 13, 14, 16). Das Emblem des runden, umzäunten Gartenareals konnte zum einen auf die feste Einheit und Zusammengehörigkeit dieser Provinzen verweisen. Zum anderen garantierte die grenzmarkierende Polarisierung von innen und außen eine klare Feindbildzeichnung: Das spanische Heer, nicht selten als eine Horde wilder Tiere dargestellt, erscheint in diesem Schema als ein von Natur

48 Zur Identität von ›Haerlem Soetendal‹ vgl. Grootes 1993. 49 Etliche Dichter griffen dieses Motiv des literarischen Rundgangs auf, so etwa Samuel van Ampzing, der in seinem 1616 erschienenen Lobgedicht auf Haarlem (Den lof van Haerlem. Haarlem 1616, fol. B3 v., zit. nach Grootes 1993, 104) auch von Haarlem als einem »soeten Dal« (süßen Tal) spricht. Einen Rundgang durch Haarlems Umland beschreibt Ampzing auch ausführlich im fünften Kapitel seiner Chronik Beschrijvinge ende Lof der Stadt Haerlem. Vgl. Ampzing 1628, 70 ff. Siehe unten, Kap. »Erinnern und Erfahren: Schauplatzbeschreibungen«. Louis Peter Grijp zufolge ist für Haarlem eine spezifische Tradition von Liedbüchern kennzeichnend, die die eigene Stadt besingen: Den Beginnpunkt dieser Tradition, die in ihrem Umfang nur von Amsterdam übertroffen worden sei, sieht er in den Abschiedsliedern von ›Haerlem Soetendal‹. Vgl. Grijp 1992, 43 f.; vgl. zu der Liedbuchtradition auch Veldhorst 1999, zum Lob der Haarlemer Landschaft in den Stadtliedern und der damit zusammenhängenden Bedeutung des Haarlemer Raumes für die Entwicklung der künstlerischen Landschaftstradition vgl. inbesondere Leeflang 1995; Leeflang 1997, Leeflang 2002. 50 »Adieu Overveen en Zantvoort / Wijck op Zee, strant beneven […] Adieu Brero, Blincduynen wijt / Aelberts-berch, Bloemendale«. Soetendal 1618, 3.

i. Einblicke aus fremder Eindringling, der die Grenzen des Gartens gewaltsam zu überwinden versucht. Darüber hinaus konnte der tuin die Einheit der Nordprovinzen aber auch historisch legitimieren. So war das runde Gartenemblem bereits seit dem 15. Jahrhundert aus holländischen Siegeln und Münzen als eine traditionelle Bezeichnung des dynastischen Herrschaftsgebietes bekannt.51 Mit der Reformulierung dieses Zeichens während des Achtzigjährigen Krieges (1568–1648) konnte somit auch ein Kontinuitätsanspruch holländischer Herrschaft zum Ausdruck gebracht werden, der die spanische Obrigkeit umso mehr als eine unrechtmäßige ›Unterbrechung‹ oder Zerstörung bereits vorhandener politischer Stabilität und Tradition erscheinen ließ.52 Diese Kontinuitätsvorstellung wurde zudem auch durch die Kultivierung einer eigenen holländisch-batavischen Antike untermauert. So begannen Historiografen nach 1600, in Berufung auf die Abstammung der Holländer von dem germanischen Stamm der Bataver, den Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier mit der von Tacitus überlieferten Geschichte des Bataver-Aufstandes gegen die Römer zu vergleichen, und zahlreiche Pamphlete beriefen sich auf die fortwährende Wirksamkeit der batavischen Werte, auf das batavische Fundament des tuin.53 In Haerlem Soetendals Abschiedslied sind ebendiese Dimensionen miteinander verschränkt: An das Alter der holländischen Stadt – »eine der ältesten von Holland« – knüpft sich das Bild eines beständigen, friedlichen tuin, der erst durch einen wilden Angriff von außen aus dem Gleichgewicht geraten könnte. Sodann wird an die batavische Stärke appelliert, indem es gleich einem Bataver gegen den Feind zu kämpfen gelte: »Käme in deinen friedlichen Garten / Blutgierig ein Wolf oder Löwe, / Kämpfe klug wie ein Bataver.« Damit eröffnet das Lied eine überregionale politische Perspektive, in der verschiedene propagandistisch konnotierte historische Argumentationsformeln eingesetzt sind. Der anfängliche Verweis darauf, dass Haarlem schön, berühmt und alt sei, bekommt aus dieser Sicht auch eine andere Bedeutung: Er attestiert Haarlem den Status eines Pars pro Toto, eines Exemplums für die alte, batavische Wurzeln tragende virtus des nordniederländischen Provinzbundes. Und folglich wird in den nächsten Versen die batavische Stärke – als ein Garant, um das legitimierte Herrschaftsgebiet des tuin angemessen zu verteidigen – exemplarisch an Haarlems spezifischen Zeugnissen erfolgreicher Kampfeskraft ausgerichtet. So verweist der dürre Baum mit den zwei grünen Sprossen (»Bringt den vertrockneten Baum überall hin, / Der zwei grüne Sprossen brachte«) auf die Spuren der einige Jahre zurückliegenden Belagerung Haarlems durch die Spanier: War ein belaubter Baum einst das Zeichen des ältesten Haarlemer Stadtwappens, hatte sich nach der spanischen Belagerung (1572/1573) der entlaubte Baum als lokale Bildformel für die

51 Zur Entwicklung dieses tuin-Motivs vgl. Winter 1957. 52 Zum tuin-Motiv in der politischen Propaganda des Unabhängigkeitskrieges vgl. Müller 2003; Kempers 1995. 53 Siehe unten, 96 f.

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II. Der Garten Haarlems durchlebten Kriegsereignisse der Stadt entwickelt, die einen Kahlschlag des Haarlemer Waldes mit sich gezogen hatten.54 Um die Jahrhundertwende, als Haerlem Soetendals Liedbuchsammlung entstand, hatte die Belagerung, die für die Haarlemer nach harten Kämpfen 1573 letztlich mit einer Niederlage geendet hatte, aus der Retrospektive der kollektivierenden Geschichtsnarration bereits einen identitätsstiftenden Status erlangt. In der Haarlemer Text- und Bildpropaganda etablierte sich im lokalpatriotischen Rückblick auf die Ereignisse das städtische Motto Vicit vim virtus – ›Die Tugend hat die Kraft besiegt‹. Auch in größeren Abhandlungen zu der jüngsten Geschichte des Krieges wurde die Belagerung Haarlems zu einem besonderen Beispiel von holländischer patientia und Kampfesmut stilisiert und als ein Wendepunkt der Kriegsgeschehnisse betrachtet, dem eine Reihe holländischer Siege folgten.55 Die positive Kraft des entlaubten Baumes, der wie in Haerlem Soetendals Lied bereits neue Sprossen trägt, zeigt sich auf dem Titelblatt von Claes Jansz. Visschers 1611 herausgegebener druckgrafischer Serie Plaisante Plaetsen, die, wie der Titel verspricht, die »schönen Plätze« Haarlems zeigt (Abb. 29): Begleitet von dem Stadtmotto Vicit vim virtus sprießen aus den Wurzeln des kahlen Baumes unten neue, grüne Zweige. Zugleich ist der Baum mit anderen Zeichen einer älteren Haarlemer Erfolgsgeschichte in einer sinnstiftenden Ordnung verknüpft. So weisen die Ketten, das Schiff und das Wappen, das den Baumstamm panzert, auf das siegreiche Wirken der Haarlemer Bürger während des Fünften Kreuzzuges bei der Eroberung der ägyptischen Hafenstadt Damiette.56 In der Symbiose dieser verschiedenen Zeichen älterer und jüngerer Geschichte eröffnet sich so eine höhere Ordnung fortwährender, überzeitlicher virtus. Diese Verknüpfung leistet wiederum auch Haerlem Soetendals Lied. So ruft es zur Aktivierung der beschworenen batavischen Stärke auch dazu auf, die Standarte und den Schild zum Kampf an den Baum zu hängen und mit dem Schwert von Damiette zu kämpfen – es werden somit ebenfalls die Haarlemer Belagerung und die Kreuzzugsgeschichte miteinander in einer sinnstiftenden Einheit verschränkt. Die Rückbesinnung auf die historisch fundierte bürgerliche Kraft der Damiette-Eroberung garantiert somit eine neuerliche Verteidigung des friedlichen tuin. Das Lied endet schließlich mit dem Aufruf, den Sieg zu besingen, wenn der blutgierige Wolf wieder aus dem Garten vertrieben worden sei.57 Damit schließt sich der

54 Siehe hier und im Folgenden auch die Ausführungen unten, im Kapitel »Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem«. 55 Vgl. Levesque 1994, 65 f. 56 Der Legende nach sollen Haarlemer Bürger zu der Eroberung der Stadt beigetragen haben, indem sie die Eisenketten, die die Stadt im Wasser schützend umgaben, mit einer Schiffssäge zersägten. Daraufhin wurde ihnen ein neues Stadtwappen verliehen. Das Wappen, das Schiff und die zersägten Ketten erschienen im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts als spezifische Symbole dieser Begebenheit in diversen Texten und Bildern. Vgl. zu der Legende Anrooij 1993; siehe auch unten, 30 f. 57 Vgl. Soetendal 1618, 62.

i. Einblicke Kreis und führt assoziativ wieder zum anfänglichen Lob des alten und ruhmreichen Haarlemer Landes zurück, dessen tuin auch die Spuren der virtus-Geschichte trägt. Die schöne Haarlemer Landschaft funktioniert in diesem Kontext als ein Bindeglied, über das die Formel des holländischen tuin exemplarisch lokalisiert und historisch konkretisiert werden kann. Diese Tendenz zeigt sich auch in anderen Texten und Bildern dieser Zeit. Wie noch zu erörtern sein wird, sind etwa Visschers Bilder der Plaisante Plaetsen – nach dem ohnehin programmatischen Titelblatt, das auf einem Dünenhügel die höhere Ordnung des Haarlemer Vicit vim virtus verortet – darauf angelegt, die ›schönen Plätze‹ Haarlems als Innenansichten eines lokalen und zugleich historischen tuin zu begreifen.58 Die Schönheit des Haarlemer Umlandes war wiederum um diese Zeit bereits ein seit Jahrhunderten in Stadtlobgedichten und Stadtchroniken gefestigter lokalspezifischer Topos, der Haarlem von anderen Städten abheben sollte.59 Und auch dabei zeichnete sich zugleich bereits seit dem 15. Jahrhundert ab, dass das Lob des guten Haarlemer situs in vielen Texten mit dem Lob der Haarlemer virtus verbunden wurde. So preist schon das früheste Stadtlobgedicht auf Haarlem, das zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstand, einerseits den situs der Stadt als ein »halbes Paradies«, andererseits den Ruhm der Haarlemer Bürger während des Damiette-Feldzuges.60 Im Folgenden soll die frühe Entwicklung dieser beiden Haarlemer Topoi des situs und der virtus nachgezeichnet werden, um sodann ihr späteres Fortleben bzw. ihre Bedeutung im Kontext des Achtzigjährigen Krieges zu begreifen. Im Fokus steht dabei die Frage, inwieweit der Haarlemer Landschaft durch ihre frühen lokalen Bedeutungsdimensionen auch ein überregionales identitätsstiftendes Potenzial zukam: Es wird zu zeigen sein, dass sie nicht allein in einem narrativen Bezug zu der virtus der Haarlemer Bürger erscheint, sondern darüber hinaus auch seit dem 15. Jahrhundert zunehmend im Kontext holländischer Herrschaftsrepräsentation als ein dynastisches Signum wahrgenommen und eingesetzt wird. Abschließend ist zudem zu diskutieren, welchen Stellenwert diese kulturell aufgeladene Landschaft in dem seit dem frühen 16. Jahrhundert geführten historiografischen Diskurs um die batavische Antike einnahm. In der Beweisführung holländischer Historiografen, dass die Bataver die Vorfahren der Holländer und nicht etwa der Bewohner anderer Provinzen gewesen seien, spielte der Verweis auf die Landschaft wie auch auf die virtus der Holländer bzw. Bataver eine zentrale Rolle – beides Schlüsselargumente, die in den erwähnten lokalen Haarlemer Topoi ihren besonderen Niederschlag finden konnten. Diese Untersuchung der frühen identitätsstiftenden Bedeutungsdimensionen der Haarlemer Landschaft im Kontext von bürgerlicher virtus, städtischem locus amoenus und

58 Siehe unten, Kap. »Die ›geschichtete‹ Landschaft«. 59 Vgl. Leeflang 1995; Leeflang 1997; Leeflang 2002. 60 Mathijszen 1911; zu Mathijszen siehe unten, 29 ff. und 34 f.

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II. Der Garten Haarlems holländischer Herrschaftskontinuität ebnet den Weg für die Perspektive des sich anschließenden Kapitels: Dort wird dargelegt, wie die visualisierte Dünenlandschaft der Haarlemer Region gegen Ende des 16. Jahrhunderts schließlich auch in dem erweiterten semantischen Bezugsfeld des Unabhängigkeitskrieges als Zeichen einer überhistorischen holländischen virtus eingesetzt werden kann. So sind die charakteristischen Dünen der Haarlemer Küstenregion um 1580 in Grafiken von Hendrick Goltzius in einem lokalpatriotischen Haarlemer Kontext zum ersten Mal als autonome Landschaft visualisiert; zugleich sind sie auch in propagandistischen Flugschriftdrucken als grenzmarkierende Formeln eingesetzt, um das Eigene gegenüber dem Fremden zu charakterisieren und dem holländischen tuin ein spezifisches Fundament der virtus und der Herrschaftstradition zu verleihen.

ii. Der gräfliche Garten Situs und virtus Wenn der Haarlemer Historiker Francis Allan 1877 in seiner Geschiedenis en Beschrijving van Haarlem (›Geschichte und Beschreibung von Haarlem‹) die Haarlemer Landschaft als »Arkadien Hollands« bezeichnet, dessen Ansichten »das Auge erfreuen und niemals ermüden«,61 so nimmt er auf eine alte literarische Tradition Bezug.62 Bereits im 17. Jahrhundert preist der Chronist Samuel van Ampzing die varietas des Haarlemer Umlandes und bezeichnet das Panorama, das sich ihm von einer hohen Düne bietet, als »Augenweide von all unserem lieben Land«.63 Die frühe Fokussierung der landschaftlichen Attribute dieser Stadt, die sich schon seit dem 15. Jahrhundert in Stadtlobgedichten als ein Spezifikum Haarlems abzeichnet, lässt sich zunächst mit den geografischen Gegebenheiten Haarlems in einen Zusammenhang bringen. Schon zu der Zeit der Stadtgründung gehörte die bewaldete und wasserreiche

61 »We zijn hier eigenlijk in het Arcadië van Holland, […] landelijke tooneelen, […] die het oog bekooren en nooit vermoeien […].« Allan 1877, 110. 62 Vgl. zum Lob des Haarlemer locus amoenus in Text und Bild Leeflang 1995; Leeflang 1997; Leeflang 2002. 63 »So seht ihr auch von dort die tiefen blauen Wellen Und in der reichen See die großen Schiffe fahren Und auch das dorre Sandvoort in Dünen und am Strand. Und was für eine Augenweide von all unserem lieben Land!« »So siet gy ook van daer de diepe blaeuwe baren En in de rijke See de groote Schepen varen En’tdorre Sandvoort me in duyn en aen het strand. En wat een oog-geweij van al ons lieve Land!« Ampzing 1628, 75. Siehe zu Ampzing auch meine Ausführungen unten, im Kapitel »Erinnern und Erfahren: Schauplatzbeschreibungen«.

ii. Der gräfliche Garten Dünenregion Haarlems, das Zuid Kennemerland, zu den fruchtbarsten und vielfältigsten Gegenden des ansonsten größtenteils entwaldeten mittelalterlichen Holland. Es ist dieses Gebiet, für das 866 zum ersten Mal die Bezeichnung ›Holtland‹ – ›Waldland‹, ›Holzland‹ – dokumentiert ist, auf die wiederum ›Holland‹ zurückgeht.64 Die höchsten und breitesten Dünenketten der holländischen Küstenlinie betteten diesen Waldbewuchs ein.65 Sowohl im Westen als auch im Osten ist Haarlem von Dünenzonen umgeben, da sich die Stadt auf dem mittleren der drei Strandwälle befindet, die im Laufe der Zeit durch eine Verschiebung der Küstenlinie infolge eines Absinkens des Meeresspiegels nacheinander entstanden. Nahmen die Dünenstreifen entlang der holländischen Küste im Laufe der Jahrhunderte durch Sandverwehungen an Umfang ab, wurde das Gebiet um Haarlem aufgrund des besonderen Küstenwinkels immer breiter, sodass es eine Ausdehnung von nahezu sechs Kilometern erreichte.66 Östlich der Stadt erstreckt sich das alte, landeinwärts gewanderte waldige Dünengebiet, im Westen erheben sich die jüngeren Sandhügel, die das Land vor der See abschirmen, darunter auch die hohe Düne ›Witte Blink‹, die in der Stadtliteratur seit dem 17. Jahrhundert eine bedeutende Rolle einnahm.67 Generell wurde den Dünen an der holländischen Küste bereits im Mittelalter ein besonderer kultureller Stellenwert beigemessen, indem sie als eine natürliche Schutzzone vor der See wahrgenommen wurden. Diese Bedeutung findet ihren Niederschlag in Legenden, spiegelt sich in der Etymologie der Bezeichnung duin sowie in der frühen individuellen Benennung von einzelnen Dünen und Dünengebieten. So schildert etwa eine aus dem 12. Jahrhundert überlieferte Legende aus dem Leben des heiligen Willibrord, wie dieser auf der Insel Walcheren eine Spur in den Sand gezogen habe, um daraus einen riesigen Sandhügel aufsteigen zu lassen, der fortan als Schutzwall gegen die See gedient habe.68 Der Begriff duin selbst rekurriert auf diese Schutzfunktion, indem er auf die

64 Vgl. Woordenboek der Nederlandsche Taal, Lemma ›Holland‹, URL: http://gtb.inl.nl/iWDB/search? actie= article&wdb=WNT&id=M026192&lemmodern=holland (20. 1. 2013). 65 Zur Entwicklung der Küstenlinie im Mittelalter vgl. Lambert 1985, 6 f.; 97 ff. Vgl. auch Burke 1956, 15–17. 66 Der Strand verläuft dort in einem solchen Bogen, dass sowohl durch Nordweststürme als auch durch Südweststürme hervorgerufene Sandverwehungen sich an diesem Punkt vereinten. Auf diese Weise vermehrten sich die Sandmassen der Dünenkette sowohl an der Land- als auch an der Seeseite und entfernten die besiedelten Flächen immer mehr von der See, während an sämtlichen anderen Plätzen die See in das Landesinnere wanderte. Vgl. Burke 1956, 15. 67 Zur Witte Blink siehe unten, 33, 135 f. und 179 ff. Auf dem mittleren Wall waren neben Haarlem auch die benachbarten Orte Heemstede und Schoten entstanden; auf der jüngsten und westlichsten Dünenkette befindet sich Zantvoort, östlich von Haarlem liegt Spaarnwoude auf dem ältesten Strandwall. Die Hauptphase des Wachstums der jungen Dünen begann nach 1200. Vgl. Lambert 1985, 98; Ausstellungskatalog 1993, 94. Zur weiteren Entwicklung von Stadt und Küstenland vgl. Harten 1978. 68 Vgl. dazu Rentenaar 1977, 363 ff.

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II. Der Garten Haarlems Endung -dûnum zurückgeht, die in keltischen Stadtnamen wie Lugdunum ›Burg‹ beziehungsweise ›Festung‹ bedeutet.69 In holländischen Ortsbenennungen wiederum findet sich seit dem 13. Jahrhundert die Endung -duin, etwa bei ›Eikenduinen‹, was ebenfalls auf eine frühe kulturelle Wahrnehmung der Dünen als Festung oder Schutzwall schließen lässt; zu Beginn des 15. Jahrhunderts kamen darüber hinaus die ersten Benennungen einzelner Dünen oder Dünengebiete auf, im 16. und 17. Jahrhundert stieg ihre Anzahl dann erheblich an.70 Haarlems eigener Name wiederum verweist jenseits der Bezeichnung duin auf den besonderen Bezug der Stadt zu ihren höchsten und weitesten Dünen. So beinhaltet der Begriff ›Haarlem‹ etymologisch die germanische Wortbedeutung einer Behausung auf sandigem Hügelrücken.71 Dieser erhöhte und geschützte Ort konnte auch den Regenten der holländischen Grafendynastie als ein strategisch günstiger Sitz dienen, um die Handelswege zu Lande und auf dem Wasser zwischen Nord- und Südholland zu kontrollieren und schon früh ein Bollwerk gegen die Westfriesen aus dem Norden zu errichten. So hatten die ersten Grafen der Grafschaft Holland zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert in dieser Region eine feste Residenz.72 Ohnehin wies das Haarlemer Land auch in wirtschaftlicher Hinsicht ideale Bedingungen auf: Die bewaldete Dünenzone eignete sich für eine reiche Holz- und Torfnutzung, diente den holländischen Grafen jahrhundertelang als Jagdgebiet und bot mit dem reinen Quellwasser die Voraussetzung für die äußerst florierenden Wirtschaftszweige des Bleich- und des Brauereiwesens.73 Über die wirtschaftliche Bedeutung hinaus begann sich bereits im 14. Jahrhundert abzuzeichnen, dass der Haarlemer Region auch eine Dimension von freizeitlicher Muße zukam: So ließ Graf Albrecht I. von BayernStraubing-Holland 1391 außerhalb der Haarlemer Stadtmauern De Baen, das älteste öffentliche Erholungsgebiet Hollands, errichten, ein, wie es in den mittelalterlichen Handvesten van Haarlem heißt, »spoel-velde« (›Spielfeld‹) für die Stadtbewohner, auf dem Turnier- oder Volksspiele stattfinden sollten.74

69 Vgl. Vries 1997, 142. 70 Vgl. Rentenaar 1971. 71 Vgl. Vroegmiddelnederlands Woordenboek, Lemma ›Haerlem‹, URL: http://gtb.inl.nl/iWDB/search ?actie=article&wdb=VMNW&id=ID57513&lemmodern=haarlem&Betekenis_id=A57513 (20.1. 2013); vgl. auch Marsilje 1995, 21. 72 Vgl. Henderikx 2005, 49 ff.; Temminck 1969, 117. Vgl. auch Lambert 1985, 159 ff.; Niemeijer 1988, 12; Huizinga 1948a, 369 f. 73 Vgl. Bièvre 1988, 307 f.; Stone-Ferrier 1985, 423 f. 74 »[…] die baen die leydt buten der hout poerten ten hout-waert, dat die blyven sal leggende tot eenen spoel-velde sonder enich ander oerbaer daer op te doen tot ewigen dagen alsoe groet ende alsoe cleyn als sy nu ter tijdt daer leydt.« Handvesten en Privilegien, Oudtyds door de Graaven van Holland gegeven aan de stad Haarlem, in: Schrevelius 1754, 28. Allan merkt an, dass mit dem Terminus ›Spielfeld‹ ein Feld für die Durchführung von Ritter- oder Turnier- und Volksspielen gemeint gewesen sei. Vgl. Allan

ii. Der gräfliche Garten Wie Huigen Leeflang in seinen Studien zur Haarlemer Stadtlobtradition darlegt, begann sich das landschaftliche Profil Haarlems mit dem ausgehenden 14. Jahrhundert in der Stadtlobdichtung gerade dann zu schärfen, als die im Mittelalter in ökonomischer Hinsicht bedeutendste Stadt Hollands gegenüber Amsterdam zunehmend an wirtschaftlicher Stärke verlor.75 So spiegelt sich die Kultivierung der besonderen landschaftlichen Attribute Haarlems bereits um 1400 im Lofdicht op Haerlem 76 wider, dem frühesten bekannten Stadtloblied in niederländischer Sprache, das durch den Sangspruchdichter Diric Mathijszen wohl auch eine überregionale Verbreitung erfuhr.77 Direkt als erstes Argument dafür, dass Haarlem auch angesichts größerer Städte alles besitze, »was eine gute Stadt haben soll«78, führt Mathijszen die Vorzüge der Umgebung in allen Himmelsrichtungen an. So biete der Norden fruchtbaren Ackerboden, der Osten wasserreiche, saftige Wiesen mit fettem Vieh, der südliche Wald Jagdterrain und Holz, die See im Westen Meeresfrüchte aller Art.79 Der innere Stadtkern mit seinen Mauern, Toren und Gebäu-

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1877, 165; vgl. auch Huizinga 1948b, 399. In vielen Stadtbeschreibungen der späteren Jahrhunderte wird diese Einrichtung erwähnt. Vgl. zum Beispiel Ampzing 1628, 94. Vgl. zur Entstehung und landschaftlichen Bedeutung von De Baen im Kontext Haarlemer Stadtlobdichtung auch Leeflang 1997, 57. Vgl. Leeflang 1997, 57 ff. Mathijszen 1911. Zu der Datierung, die – unter anderem wegen der 1426 erfolgten Abholzung des Haarlemer Waldes zur Verteidigung der Stadt gegen die Truppen der Jakobäa von Bayern, die bei Mathijszen noch keine Erwähnung findet – zwischen 1400 und 1426 angesetzt wird, vgl. Hogenelst/ Ostrom 1995, 237. So wird Diric Mathijszen in gräflichen Rechnungsdokumenten erwähnt. Vgl. Anrooij 1993, 16; Meder 1991, 559; Hogenelst/Ostrom 1995, 237. »[…] al / Date en guede stede hebben sal.« Mathijszen 1911, 13, V. 11–12. »Want daer leit een coernlant bi noerden, Een schoen lant dat men vint onder die throen Van tarru, van gorst, rog ende van boen […] Nu leit daer een waterlant bi oesten, Dat rijck ende arm plach te troesten; Van daer comt vette ossen ende rinder, Butter, melc, troest der kinder, […] Nu heeft Haerlem een foreest bi suden, […] Welc is ghenueclic in sinen tiden Als hem die voghelkijns verblijden, Want in dat bosch mach men vinden Kanijnen, hazen, herten ende hinden, […] Nu leijt daer een zee an die westcant, Daer uut comt menich visch opt lant:

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II. Der Garten Haarlems den, etwa der bekannten St. Bavo Kerk, findet bei Mathijszen demgegenüber keine Erwähnung. Sein Lied erzeugt vielmehr eine landschaftliche Variante von Quintilians Grundsatz, dass die Städte gleichermaßen wie ihre Menschen zu loben seien,80 indem sich an das Lob des guten situs sogleich in ähnlicher Länge die Preisung der virtus der Bewohner anschließt. So berichtet Mathijszen ausführlich von ruhmreichen Verdiensten Haarlemer Bürger, die unter dem Grafen Willem I. von Holland während des Fünften Kreuzzugs zu der Eroberung der ägyptischen Stadt Damiette beitrugen:81 Nach dieser auch in etlichen späteren Chroniken immer wieder aufgenommenen Ausführung, die weiter oben mit Bezug auf Haerlem Soetendal bereits beschrieben wurde,82 haben Haarlemer Kreuzfahrer 1219 mit einer an ihrem Schiff angebrachten Säge die schweren Eisenketten zerschnitten, die die Hafenstadt Damiette schützend umgaben; auf diese Weise habe die Stadt schließlich eingenommen werden können. Als Dank sei den Haarlemern dann, so führt es Mathijszen aus, durch den Kaiser, den Papst sowie die Patriarchen Jerusalems ein neues Wappen verliehen worden, das fortan aus vier Sternen, einem Kreuz und einem Schwert bestand.83 Mathijszens Lofdicht ist eine der frühesten Quellen für diese ursprünglich wahrscheinlich nicht ausschließlich mit der Stadt Haarlem in Verbindung stehende historische Begebenheit um die Eroberung Damiettes.84 Zentral ist bereits in Mathijszens Schilderung, dass dieser Eroberungsfeldzug im Stadtlob zu einer Schlüsselgeschichte der Haarlemer virtus gemacht wird und eng an das Lob des Haarlemer situs geknüpft ist. Die Kultivierung dieses virtus-Exempels schlägt sich noch im 17. Jahrhundert in zahlreichen Stadtlobgedichten und Stadtchroniken wie auch in der Formulierung spezifischer visueller Symbole, vor allem in der Haarlemer Druckgrafik, nieder.85 Dabei wird es später nicht

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Bruunvisch, zeehont, salm ende stoer, Dese comen die burghers voer die doer:« Mathijszen 1911, 13 f., V. 14–42. »Laudantur autem urbes similiter atque homines«. Quintilian: Inst. orat., III, 7, 26, vgl. Quintilian 1970. Vgl. zu den klassischen Topoi der Stadtlobdichtung und Stadtbeschreibung Slits 1990, 242; Classen 1991, 104; Hallyn 1991, 154 f. Zu Mathijszen im Kontext der lokalpatriotischen Haarlemer Kultur bzw. der künstlerischen Tradition vgl. Leeflang 1997, 58 ff., Bièvre 1988, 306 f. Mathijszen 1911, 15 f., V. 75–116. Siehe oben, Anm. 56. Vgl. zu den Stationen dieser Legendenbildung auch Anrooij 1993. Mathijszen 1911, 17, V. 127–138. Aus diesen Symbolen besteht auch das heutige Haarlemer Wappen. Vgl. zu den verschiedenen Versionen hinsichtlich der Provenienz des Wappens und seiner einzelnen Motive Miedema 1926, 67 f. So liegt der Legende letztlich die Überlieferung zugrunde, dass die Stadteinnahme durch die Eroberung der Kettentürme erfolgte, die die Stadt schützend umgaben. In diesem Zusammenhang werden zwar Graf Willem I. und die Friesen, nicht aber die Haarlemer erwähnt. Ist die Schiffssäge bereits eine legendäre Abwandlung, präsentiert Mathijszen sie sogar als eine Idee der Haarlemer und konstruiert damit einen ruhmreichen, geplanten Auszug nach Ägypten. Vgl. zur Legendenbildung Anrooij 1993, 18 ff. Vgl. Bièvre 1988 zum Haarlemer virtus-Topos.

ii. Der gräfliche Garten allein mit anderen Momenten Haarlemer virtus parallelisiert, etwa dem erwähnten Verteidigungskampf der Haarlemer während der Stadtbelagerung durch die Spanier im Jahr 1573, sondern vor allem auch weiterhin eng an das Lob der Haarlemer Landschaft geknüpft:86 Genügt Mathijszen für das »halbe Paradies« 87 – wie er die Stadt schlussendlich preist – die Einheit von dem guten Haarlemer situs und der virtus der Bürger, so gehen diese beiden Elemente auch noch in Claes Jansz. Visschers druckgrafischer Serie Plaisante Plaetsen (1611) eine enge visuelle Symbiose ein (Abb. 29). So ist das Schiff des DamietteKreuzzugs mit einem Dünenhügel verwachsen, und die Haarlemer Landschaft ist der Ort des städtischen Mottos Vicit vim virtus. Die Bedeutung dieses hier visuell ausgeformten Haarlemer Topos einer Einheit zwischen dem locus amoenus und der virtus seiner Bewohner wird in Mathijszens frühem Lofdicht in seinen beiden noch nebeneinanderstehenden Komponenten rekonstruierbar.88 Bereits in einigen frühen Stadtgedichten, wie dem Ende des 15. Jahrhunderts verfassten Gedicht eines anonymen Autors, das mit fünf weiteren Stadtgedichten im Chronicon hollandiae comitum et episcoporum Ultraiectensium des Johannes a Leydis erschien,89 wird dieser lokalspezifische Konnex aufgegriffen. So knüpft sich an den preisenden Ausspruch »Deine Bürger sind erfahren, martialische Kriege zu führen, und nicht gewohnt, dem Feind zu vertrauen«90 ein ausführliches Lob der Vorzüge und Früchte von Haarlems Landschaft, bei der zum Beispiel die Schönheit des nahe gelegenen Waldes hervorgehoben wird.91 Im 15. Jahrhundert wurde diese Verbindung von städtischem Umland und bürgerlicher virtus zudem durch eine andere Haarlemer Geschichtsnarration gefestigt. In einigen Chroniken, etwa dem erwähnten Chronicon hollandiae comitum et episcoporum Ultraiectensium 92 und der Divisiekroniek von Cornelius Aurelius 93, wird über eine 86 Siehe unten, 112–118 und 141 f. 87 »een half paradise«. Mathijszen 1911, 17, V. 144. 88 Huigen Leeflang hat konstatiert, dass mit Mathijszens Gedicht ein Grundstein für die Entwicklung des für spätere Haarlem-Lieder spezifischen Topos des schönen situs gelegt ist, der sich von den Attributen anderer Städte in der Lobliedtradition abhebt. Vgl. zum Beispiel Leeflang 1997, 58 ff. Demgegenüber sieht Elisabeth de Bièvre die besondere virtus-Auszeichnung als Charakteristikum Haarlems, das die Stadt auch später in ihrem Motto Vicit vim virtus zur Zeit der Belagerung kultivierte. Vgl. Bièvre 1988, zu Mathijszen vgl. 306 f. Es gilt jedoch darüber hinaus, gerade die Verbindung beider Attribute noch stärker und unter Einbeziehung weiterer Medien zu berücksichtigen. 89 Anonymus: Haarlem. In: Leydis 1620, 8. 90 »Exercere tui Mavortia bella periti / Sunt cives hosti credere non soliti«. Ebd., V. 17–18. 91 Ebd., V. 33 f. 92 Leydis 1620, 239 f. 93 Aurelius 2011. Die 1517 erschienene Divisiekroniek des Cornelius Aurelius, die aus verschiedenen mittelalterlichen Chroniken und Legenden gespeist ist, aber erstmals auch antike Quellen wie Tacitus’ Germania aufnahm, stellte die erste Chronik der Niederlande von der Antike bis zur Gegenwart dar und wurde in 53 Ausgaben zwischen 1538 und 1802 zu einem populären und kanonischen Lehrbuchtext. Vgl. zur Divisiekroniek und zu Aurelius Tilmans 1987; Tilmans 1988; Tilmans 1993a; Tilmans 1993b; Schama 1987, 72.

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II. Der Garten Haarlems Begebenheit um den Sohn des holländischen Grafen Floris V., Witte van Haemstede, berichtet, die erstmals bereits in der holländischen Rijmkroniek von Melis Stoke 94 zu Beginn des 14. Jahrhunderts als ein zeitgeschichtliches Ereignis Eingang gefunden hatte: Demnach hat Witte van Haemstede im Jahr 1304, als die Flamen und Brabanter unter der Regierung von Jan van Avesnes in Holland und Zeeland eingedrungen waren, die Verteidigungskräfte der holländischen Städte erfolgreich mobilisiert. So sei er von dem belagerten Zierikzee aus in See gestochen und an der Haarlemer Küste gelandet, um in dem bewaldeten Dünengebiet schließlich mit erhobenen Bannern eine Schar an Aufständischen zusammenzurufen, eine vernichtende Schlacht gegen die Belagerungstruppen zu führen und weiteren erfolgreichen Widerstand auch in anderen holländischen Städten anzutreiben.95 Der erste Kampf bei Haarlem wird so in verschiedenen Chroniken als ein Wendepunkt der Kriegsereignisse betrachtet. Bereits in der von Cornelius Aurelius verfassten, 1517 erschienenen Divisiekroniek wird im Abschnitt »Hoe die Vlamingen uut Hollant verdreven worden« (»Wie die Flamen aus Holland vertrieben wurden«) geschildert, wie sich unter der Führung von Witte van Haemstede mit seinen »blinkenden Bannern« bei Haarlem eine widerständige Schar formiert habe und daraufhin das flämische Heer in einer Schlacht bei Hillegom geschlagen worden sei. Die Nachricht über den Ausgang dieses Kampfes habe sich dann sofort verbreitet und dazu geführt, dass auch die Delfter und im Anschluss die Leidener Bürger die Flamen aus der Stadt vertrieben hätten, wobei auch in diesen weiteren Schlachten wiederum das Erscheinen von Witte van Haemstede und seinem Heer entscheidenden Anteil am endgültigen Sieg genommen habe.96 Sind die Haarlemer Dünen bereits in der mittelalterlichen Rijmkroniek von Melis

94 Stoke 2004, Buch 8, V. 1076 ff. 95 Vgl. zu den tatsächlichen kriegerischen Auseinandersetzungen Graaf 1996, 189. Die durch Witte van Haemstede initiierte Schlacht wurde in der Folge auch als Schlacht am Manpad bezeichnet. Vgl. zu der Legendenbildung um den Manpad auch Hugenholtz 1954/1955, vgl. zu ihrer späteren nationalisierenden Dimension im 19. Jahrhundert auch Berg 1995. 96 »Als here Witte van Haemstede mit luttel wapentuers binnen die stede van Haerlem was gecomen, heeft hi sinen bannier mit rode leuwe ontwonden. Terstont zijn by hem gecomen alle dat volc uut Kermerlant, uut Waterlant ende veel uut Oest- ende West-Vrieslant, lovende God, dat si enen hoefman hadden van den rechten bloede van Hollant gecomen wesende; ende als here Witte sach dat si alle waren bereit mit hem te gaen, is hi uutgegaen mit ontwonden blinkende bannieren, mit een vreselic geluit van basunen. Ende als si quamen bi Hillegom, is hem daer te mote gecomen mit een grote menichte van Vlamingen die president van Vlaenderen; ende daer gevil enen groten strijt, overmis die vreselike slagen ende dat grote gecrij dat daer was van dengenen die geslagen worden. Ende als die Vlamingen dus verslagen waren, quamen die Vriesen, ende togen hem uut alle haer cleder, ende worpen se op een hoop. […] Dit gerucht is terstont over al Hollant openbaer geworden, ende als men dit tot Delft hadde vernomen, was daer een vroem welboren man, gheheten Ockenberch, ende nam die bannier in die hant, ende riep: ›Hollant, Hollant!‹ Ende dat volc is te samen int harnas gelopen, ende verdreven alle die Vlamingen uut haer stede, ende slogender mit allen vele doot. Die van Delft togen tot Leyden, ende reisden voert gelic na der Goude, ende overvilen daer die Vlamingen, vangende ende

ii. Der gräfliche Garten Stoke als Ort dieses Ereignisses erwähnt,97 so gewinnen sie im Laufe der Zeit in historiografischen Darstellungen den Status eines bedeutenden Schauplatzes, der die Erinnerung an die vergangene virtus dieses Kampfes wieder wachruft: Im 17. Jahrhundert hatte sich schließlich die einprägsame Vorstellung etabliert, dass auf dem Gipfel der hohen Haarlemer Düne Witte Blink der entscheidende Appell Wittes van Haemstede erfolgt sei, der dort das Banner zum Kampf geschwungen und die Haarlemer Bürger zur Gegenwehr angetrieben habe.98 So führt etwa Samuel van Ampzing in seiner Haarlemer Chronik von 1628 die Herkunft des Dünennamens ›Witte Blink‹ auf die ruhmreiche Tat Wittes zurück, der auf dem Gipfel der Düne »mit blinkenden Bannern […] uns zu Befreiung und Heil« erschienen sei.99 Der in der Sonne blinkende Gipfel erinnert für Ampzing fortwährend an den Moment dieses siegreichen Wendepunktes: Über den historischen Schauplatz hinaus wird die Düne somit zu einem effektiven Erinnerungsort. An anderer Stelle seines Werkes wiederum vergleicht Ampzing – indem er ebenfalls einen Verweis auf die »Dünenseite« einflicht, an der unter Witte van Haemstede dem Feind entgegengetreten worden sei – die Tragweite dieses Entscheidungskampfes mit der Bedeutung der Haarlemer Belagerung.100 In einer mit der oben beschriebenen Damiette-Legende vergleichbaren Weise wird nach 1600 auch die Begebenheit um Witte mit dem Haarlemer Belagerungskampf gegen die Spanier gleichgesetzt, und beide Ereignisse werden als entscheidende, ganz Holland zugutekommende Wendepunkte eines überregionalen Kriegsgeschehens betrachtet. Zugleich zeigt der im 17. Jahrhundert entwickelte Fokus auf die Witte Blink, dass die der Narration inhärente Dimension des lokalen Schauplatzes für einen solchen vergleichenden Rückblick zunehmend fruchtbar gemacht werden kann. Die Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts in Goltzius’ und Visschers Grafiken aufkommende enge visuelle Verschränkung von Landschaft und virtus speist sich, wie später zu analysieren sein wird, aus diesem Topos wie auch aus der oben beschriebenen,

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slaende, ende namen haer poorters weder die daer gevangen lagen. Hierentusschen is heer Witte van Haemstede mit alle zijn heer, mit ontwonden bannieren ende blasende hoornen, gecomen tot Leyden, ende hebben met groter wreetheit vele van den Vlamingen daer geslagen ende verjaect […]. Aldus heeft here Witte van Haemsteden met groter eren weder gewonnen heel Noort-Hollant, daeruut verjagende de Vlamingen, ende behilt van hem enen groten roef.« Aurelius 2011, Div. XXI, Kap. XVI, fol. 192r. »Dat her Witte daer es comen, Liept al uut dat lopen mach; Ende was op enen zonnendach. Tfolc ghinc uut al te stride, Dene bi den anderen, zide an zide; In den dunen liepen si jeghen,« Stoke 2004, Buch 8, V. 1107–1112. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Moment besonders nationalisiert, vgl. Berg 1995. »met blinkende banieren, […] Tot ons ontzet en heyl«. Ampzing 1628, 74. Vgl. ebd., 312 f. Zu diesen beiden Passagen bei Ampzing siehe unten, Kap. »Erinnern und Erfahren: Schauplatzbeschreibungen«.

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II. Der Garten Haarlems ebenfalls seit dem 15. Jahrhundert entwickelten Verknüpfung der ›Damiette-virtus‹ und des locus amoenus in Haarlemer Stadtlobgedichten. So kann die Haarlemer Dünenlandschaft nach 1600, etwa auf dem Titelblatt Visschers (Abb. 29), in einer visuellen Übertragung auch im Damiette-Kontext für den überhistorischen Vergleich als eine assoziative Folie adaptiert werden. Parallel wird um diese Zeit die Dünenlandschaft in propagandistischen Widerstandsdruckgrafiken zu einem Zeichen holländischer Abgrenzung gegenüber dem spanischen Angriff: Wie weiter unten dargelegt wird,101 fungiert die Düne in manchen Darstellungen als ein starker, die feindlich besetzte Zone des Wassers abschirmender Schutzwall (Abb. 5). In diesen Landschaftsformeln wirken die spezifischen lokalen situs- und virtus-Topoi nach, indem die Landschaft selbst zu einem Zeichen der starken holländischen Abwehrkraft wird. Zugleich wird in einigen Propagandabildern auch eine Dünenlandschaft mit einem tuin kombiniert (Abb. 2, 8, 11): Indem die Dünen hier das Fundament des holländischen Gartenareals bilden, untermauern und lokalisieren sie die von dem konventionellen Herrschaftszeichen des tuin garantierte politische Kontinuität. Auch diese identitätsstiftende Bedeutungsdimension der holländischen und vor allem wiederum der Haarlemer Landschaft lässt sich in ihren Anfängen bereits in Texten und Bildern des 15. Jahrhunderts rekonstruieren. So soll im Folgenden dargelegt werden, dass die Haarlemer Landschaft, die sich im Kontext lokalpatriotischer Stadtlobdichtung zu einem Zeichen bürgerlicher virtus entwickelte, zugleich auch im Zuge eines regionalen Geschichtsbewusstseins als ein Signum politischer Herrschaftspräsentation eingesetzt wurde.

Haarlems Landschaft als holländisches Land Als Mathijszen in seinem Lofdicht die Verdienste der Haarlemer bei der Eroberung Damiettes beschreibt, führt er als eine wesentliche Ursache für den Sieg die Eintracht der Bürger an: »Dass die [Bürger, M.V.] von Haarlem dies [das Wappen, M.V.] bekommen haben Über die Heiden mit so großem Degen, Ich will es wohl offen sagen, Dass die von Haarlem einträchtig waren. So wüsste ich keine Stadt gegenüber Haarlem zu preisen, Denn es dünkt mir ein halbes Paradies zu sein.«102 101 Siehe unten, Kap. »Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik«. 102 »Dat die van Haerlem dit hebben ghecreghen Opten Heiden mit so groten deghen, Ic dorst wel segghen int openbaere Dat die van Haerlem eendrachtich waren. So en wist ic ghien stat teghen Haerlem te prisen, Want het dunct mij sijn een half paradise.« Mathijszen 1911, 17, V. 139–144.

ii. Der gräfliche Garten Der Begriff der Eintracht prägt, wie Karin Tilmans überzeugend dargelegt hat,103 auch die im 14. Jahrhundert einsetzenden Zeichen eines holländischen Identitätsbewusstseins, das sich in zeitgenössischen Chroniken niederschlägt. So bezeichnet Johannes de Beke in seiner 1350 verfassten Chronik Holland und Utrecht als ein Volk »von einer Abstammung und von einer Art«, das, als Grafschaft und Bistum aufgeteilt, mit »ungeschiedener Eintracht« dem »Feind von außen«104 zu widerstehen habe. In ähnlicher Weise heißt es auch in der um 1400 erschienenen Kronijk van Holland, dass Holland gemeinsam mit Utrecht und im Krieg gegen die Friesen ein »einträchtig lebendes Volk« gewesen sei.105 In dieser aufkeimenden regionalen Identitätsbildung kam dem holländischen Grafenhaus wie auch den einzelnen Städten eine wachsende Bedeutung zu, die sich im 15. Jahrhundert in Stadtlobgedichten und Chroniken im Lob der bürgerlichen virtus wie auch in verschiedenen Mythen um Städtegründer und Regentenlinien widerspiegelt. So galt etwa in verschiedenen Chroniken des 15. Jahrhunderts der legendäre ›Heer Lem‹ als Städtegründer Haarlems;106 ebenso fand der in Europa verbreitete trojanische Abstammungsmythos auch in holländischen Schriften einen Niederschlag, indem die vertriebenen Nachkommen des Äneas als Städtegründer und als Vorfahren der holländischen Grafen etabliert wurden.107 Es entstanden vielerorts, um es mit Aleida Assmann zu formulieren, »Herkunftsgeschichten […] in dem Maße, wie sich die geschichtlichen Handlungssubjekte ausdifferenzierten«.108 In diesem Diskurs um Herrschaftskontinuität und lokale Eintracht gewinnt die Haarlemer Landschaft erneut einen exemplarischen Stellenwert. Ist im Lofdicht op Haerlem das Lob des Haarlemer situs mit dem Lob bürgerlicher virtus verknüpft, so erscheint die holländische Küstenlandschaft in Chroniken zur Geschichte Hollands im 15. und 16. Jahrhundert auch in einem argumentativen Bezug zur holländischen Regentschaftslinie. Wie bereits Kampinga in seiner Studie zu historiografischen Topoi der Frühen Neuzeit dargelegt hat, setzten Chronisten die Anfänge der Grafendynastie in Holland mit der Entstehung eines kultivierten, bewohnbaren Landes gleich – das ›vorgräfliche‹ Holland stellte man sich demgegenüber als ein überwuchertes Waldgebiet – ›Holt-land‹ – oder ein Wasserland – ›Hol-land‹ – vor. Auch noch der Chronist Jan van Hout kennzeichnet in

103 Vgl. Tilmans 1987, 194 f. 104 Beke 1982, 3. 105 »Ghi sult weten dat gestichte van Utrecht optie tiit mede Hollant was, […] ende was een volc eendrachtelic levende mit malcander, oirlogende tegen die heydene Vriesen: […].« Jutphaas 1867, 7. Eine Analyse der eendracht-Begriffe im Zusammenhang mit Cornelius Aurelius unternimmt Tilmans 1987, 194 f. 106 Dies wird in der Goudse kroniekje (ca. 1440) berichtet. Vgl. Tilmans 1987, 195. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts nimmt Johannis a Leydis in seiner Chronik darauf Bezug: Leydis 1620, 8. 107 Vgl. Tilmans 1987, 197 f.; vgl. auch Tilmans 1993a, 124 f.; Romein 1937; Cohen 1941. 108 Assmann 1999, 49.

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II. Der Garten Haarlems seiner Leidener Stadtchronik von 1602 die Gebiete der vorgräflichen Zeit als wüste und kaum bewohnte Gegenden, die von hohen, in Weststürmen herangetragenen Fluten überschwemmt worden seien.109 Holland ist dieser Vorstellung zufolge erst mit einer einschneidenden Naturkatastrophe bewohnbar geworden, die man im 9. Jahrhundert und als Entstehungspunkt der Grafschaft Holland ansetzte.110 Im alten Kern ›Holtlands‹, der Region um Haarlem,111 konnten die bekannten und zudem von den Grafen anerkannten landschaftlichen Vorzüge diese Verbindung zwischen der holländischen ›zivilisierten‹ Landschaft und der Grafschaft besonders exemplifizieren. Diese Verbindung wird im 15. Jahrhundert erstmals im Bild nutzbar gemacht. So ist es eine holländische Küstenlandschaft, die dem Machtanspruch eines Repräsentanten des Hauses Straubing-Holland Ausdruck verleiht: Die sogenannte Strandszene, eine Jan van Eyck zugeschriebene, 1904 zerstörte Miniatur aus dem um 1420 entstandenen TurinMailänder Stundenbuch112 (Abb. 3), zeigt einen Regenten zu Pferd, im Gebet auf einem Dünengrund oberhalb des Meeres, mit gefalteten Händen zu einer Erscheinung Gottvaters im Himmel gewandt. Der Frömmigkeit des Herrschenden steht die Ehrerbietung der Untergebenen gegenüber – direkt unter dem himmlischen Bild kniet ein Bauer vor dem betenden Souverän am Boden, und es verneigt sich vor ihm eine Prinzessin mit ihrer Gefolgschaft. Kleidung, Wappenfahne und Antoniusorden der Reitergruppe markieren den Betenden als Mitglied des bayerisch-holländischen Herrscherhauses.113 Es ist vermutlich auch eine Angehörige dieses Hauses, die ihm ihre Ehrerbietung erweist: Es wird angenommen, dass es sich bei der Prinzessin um Jakobäa von Straubing-Holland handelt,114 die ihrem Onkel Johann III. demutsvoll gegenübertritt. Als Tochter Willems II. von Straubing-Holland zunächst die Nachfolgerin auf dem gräflichen Sitz, war ihr die Herrschaft von ihrem Onkel Johann, Bischof von Lüttich, zunehmend streitig gemacht worden. So wurde Jakobäa, die 1433 ohnehin die Machtübernahme durch Philipp von

109 Vgl. Kampinga 1980, 175. 110 Als Ursache galt ein gewaltiger Sturm, der den Rhein umleitete, die Mündung bei Katwijk versanden und das Land überschwemmen ließ. Vgl. ebd. Als Quelle vgl. hier zum Beispiel die Ausführungen in der Divisiekroniek von Aurelius im Abschnitt »Van enen groten storme des zees die in dezen biscops tijden was«: Aurelius 2011, Div. III, Kap. XCV, fol. 86. 111 Siehe oben, 27. 112 Diese Miniatur gehört zu dem 1904 in der Turiner Bibliothek verbrannten Teilband eines älteren Gebets-, Mess- und Stundenbuches des Duc de Berry. Dieser unvollendete Band gelangte in den Besitz des Den Haager Hofs, und wahrscheinlich wurde der zweite Teil von Johann III., dem Onkel der holländisch-bayerischen Gräfin Jakobäa, in Auftrag gegeben. Zu dieser Zeit um 1420 war Jan van Eyck am Hof in Den Haag beschäftigt. Vgl. u. a. Châtelet 1980, 28 ff., Nr. 14; Belting/Eichberger 1983, 23–48; Kemperdinck 1997, 249–252; Scheller 1995, 31 ff. 113 Vgl. Scheller 1995, 41. 114 Vgl. z. B. Châtelet 1980, 28 f.

ii. Der gräfliche Garten

Abb. 3 Anonymus: Heures de Turin des Herzogs de Berry, um 1418, fol. 59 oder 60, ehem. Turin, Biblioteca Nazionale Centrale (verbrannt) (Aufnahme vor 1905)

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II. Der Garten Haarlems Burgund anerkennen musste,115 bereits 1419 im Vertrag von Woudrichem gezwungen, ihre nordniederländischen Gebiete quasi vollständig Johann zu übertragen. Dass hier dieses oder ein anderes spezifisches Ereignis dargestellt ist,116 ist nicht zuletzt auch wegen der Küstenszenerie zweifelhaft.117 Gleichwohl wird der Rahmen einer einfachen Illustration des begleitenden Gebetstextes, der Gottes Schutz für den weltlichen Fürsten und sein Volk erbittet, gesprengt – fällt doch die Illustration desselben Gebets in verschiedenen Stundenbüchern des Duc de Berry wesentlich schmaler aus und begrenzt sich höchstens auf den vor einer Gottesvision knienden und betenden Herzog.118 Dass dem Betenden hier vielmehr auch selbst in Form der weiteren Figuren gehuldigt wird, überrascht umso mehr durch die Einbindung der Szene in eine für die Malerei dieser Zeit ungewöhnlich realistisch dargestellte holländische Küstenlandschaft; diese wird überdies in einer an Mathijszens Lofdicht erinnernden detailreich geschilderten Breite im Randbild unten auf derselben Seite in einer holländischen Weidelandschaft vor einer entfernten Stadtkulisse fortgesetzt. Bis zum Horizont erstreckt sich ein zum Teil dicht bewachsener, welliger Dünensaum, auf seinen Gipfeln vereinzelte Menschen und Häuser, im auslaufenden Sand Boote und Menschengruppen an der in Schaumkronen bewegten See. Deutlich hebt sich diese Ansicht von den zeitgenössischen stilisierten Panoramalandschaften ab, selbst wenn sie die holländische Landschaft selbst thematisieren. Die Turiner Miniatur visualisiert charakteristische Züge der holländischen Dünenlandschaft – des ›Epizentrums‹ der holländischen Herrschaftstradition und Identitätsbildung: Unter einem dynastischen Fluchtpunkt tritt die holländische Landschaft erstmals ins Bild. Die von Johann III. in der Zeit des Machtkonflikts in Auftrag gegebene Darstellung projiziert eine konfliktfreie Machtübernahme als ein von allen Seiten – von Gott im Himmel, den Regenten auf Erden und den Untertanen – begrüßtes Hineintreten in das ›älteste‹ Land der frühen holländischen Grafen.119 Die visuelle Verortung Johanns in den alten Haarlemer Stammsitz der früheren Regenten deklariert ihn zum neuen Landesherren, zum Teil einer ungebrochenen Herrscherlinie.120 Diese mit landschaftlichen Zeichen argumentierende feudale Repräsentation zeugt von einem sich im 15. Jahrhundert ent-

115 Nach dem Tod Johanns musste Jakobäa im sogenannten Delfter Versöhnungsvertrag von 1428 Philipp von Burgund zu ihrem Erben einsetzen, 1433 ihre Gebiete im Haager Vertrag an ihn abtreten. Vgl. zu Philipp von Burgund Ehm 2002, 37. 116 Vgl. dazu die Überlegungen von Châtelet 1980, 30 f. 117 Ohnehin waren spezifische historische Ereignisse selten dargestellt. Vgl. Scheller 1995, 31ff. und Kemperdinck 1997, die sich nicht dafür aussprechen. 118 Vgl. z. B. die Petites Heures. Dazu Châtelet 1980, 28. 119 Dazu fügt sich das konventionelle Herrschergebet, das von Gott das zukünftige Wohl für den Regenten und sein Land erbittet. 120 Auch auf dem unteren Randbild könnte diese Herrschaft bekräftigt werden. So deutet Châtelet die in der Weidelandschaft zu sehenden Reiter mit erhobenen Schwertern als konventionalisiertes Zeichen der Macht, das hier die Stellung Johanns legitimiert. Vgl. Châtelet 1980, 28.

ii. Der gräfliche Garten wickelnden Landschaftsbewusstsein im Kontext der in Geschichtswerken und Stadtlobgedichten aufkeimenden holländischen Identitätsbildung. Das machtpolitische Interesse an der Formulierung einer historisch begründeten holländischen Identität wurde bestärkt, nachdem Holland 1433 endgültig dem burgundischen Reich Philipps des Guten einverleibt worden war.121 Seitens der burgundischen Regentschaft äußerte sich der Anspruch auf die direkte Zugehörigkeit zur holländischen dynastischen Linie. So ließ Philipp der Gute etwa in der Grabkapelle von Rijnsburg, in der in früherer Zeit die Grafen Hollands begraben worden waren, wieder neue Seelenmessen für die ›Vorväter‹ lesen und berief sich somit ganz bewusst auf seine Zugehörigkeit zu dieser Linie.122 Als eine Einrichtung seiner Ahnherren erwähnt der burgundische Regent auch den alten Haarlemer Erholungsort De Baen, der den Bürgern durch den Grafen geschenkt worden sei.123 Gerade der Haarlem-Bezug begründete – als Berufung auf den alten Wohnsitz der Grafen von Holland, der auf mehreren Ebenen bereits landschaftlich konnotiert war – zunehmend einen landschaftlichen Ausdruck holländischer Repräsentation. Die visuelle Projektion einer dynastischen historischen Einheit in der Haarlemer Landschaft manifestiert sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Bildern, die auch einer breiteren Öffentlichkeit zugedacht waren. So zeigt sich der imaginäre Brennpunkt dynastischer Stärke und Kontinuität an einer expliziten Lokalisierung der gesamten gräflichen Herrschaftslinie vor dem Haarlemer Landschaftspanorama: Eine zwischen 1486 und 1491 von einem unbekannten Maler angefertigte Grafenporträtserie124 (Taf. 2) konstruiert in 19 Porträts einen Stammbaum der holländischen Regenten von den mittelalterlichen Grafen des Hauses Holland bis zum – zu dem Entstehungszeitpunkt der Bildserie noch lebenden – habsburgischen Kaiser Maximilian. Über den durchlaufenden Bildhintergrund werden alle Figuren in die Architektur eines ›authentischen‹ Raumes im Haarlemer Karmeliterkloster eingebunden, in dem die Bilder auch gehängt waren. Dabei sollte die gemalte Architektur nicht nur an den tatsächlichen Klosterraum anschließen, sondern auch in der realen Umgebung verankert werden. So zeigt das linke Fenster auf dem ersten, die Reihe der Bilder einleitenden Heroldbild (Taf. 2) eine westliche Aussicht auf die fernen Haarlemer Dünen in Übereinstimmung mit ihrer tatsächlichen Lage. Das andere Fenster auf der rechten Seite eröffnet die östliche Aussicht auf den Haarlemer Fluss Spaarne.125 121 122 123 124

Vgl. Tilmans 1993a, 125 f.; Tilmans 1987, 195. Vgl. Scheller 1995, 48 f. Vgl. Allan 1874, 24. Allgemein zu den Grafenportraits vgl. Anrooij 1997, vgl. dort auch alle Abbildungen. Zu einer Besprechung des Heroldbildes im Kontext landschaftlicher Identitätsstiftung vgl. auch Volmert 2008, 129 ff. 125 Diese Hängung im Klostergang an der Südseite der Kirche erforderte einen nach Norden gewandten Blick des Bildbetrachters.

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II. Der Garten Haarlems In einer vergleichbaren ortgetreuen Einbindung tauchen die Dünen auch in einem zeitgleichen Gemälde eines unbekannten Malers auf, das die Verurteilung Christi darstellt: Diese Szene ist auf dem Haarlemer Marktplatz vor dem Rathaus und einem dahinterliegenden Dünenhügel situiert.126 Erneut ist die Landschaft Haarlems Teil einer künstlerischen Innovation, indem hier zum ersten Mal in der nordniederländischen Malerei ein biblisches Sujet mit einem realistischen Bildhintergrund versehen ist.127 Diese frühen Darstellungen der Haarlemer Umgebung im Historienbild und in der Porträtserie sind in Huigen Leeflangs Studie zur Haarlemer Landschaft beiläufig als zwei ›Vorboten‹ im Kontext der nach 1600 zuerst in Haarlem aufblühenden realistischen Landschaftsdarstellung erwähnt.128 Doch über diese Konstatierung einer Haarlem-spezifischen Landschaftstradition hinaus gilt es, vor allem bei den Grafenporträts die Verknüpfung von identitätsstiftenden Repräsentationsfiguren und Landschaft zu befragen. Die Landschaft in der Christusszene fungiert als Hintergrund einer Historienszene und bietet ein innovatives Äquivalent zu den Hintergrunddarstellungen biblischer Szenen der südlichen Niederlande im 15. Jahrhundert. Zugleich zeugt auch ihre frühe Präsenz von der aufkeimenden visuellen Bedeutung der bereits identitätsstiftend aufgeladenen Haarlemer Landschaft; gerade in der Verbindung der Landschaft mit dem Haarlemer Rathaus zeugt das Bild von dem großen städtischen und landschaftlichen Selbstbewusstsein der Stadt.129 Stärker aber noch tritt die Landschaft in der Grafenporträtserie im repräsentativen Kontext in Erscheinung: Hier zeigt sich ein früher Konnex zwischen den Grafenfiguren und dem Haarlemer Umland unter den Vorzeichen einer konstruierten Kontinuität holländischer Herrschaft. Die Verortung der Grafen in der Haarlemer Landschaft korrespondiert mit der Fokussierung Haarlems in dem die Bilder begleitenden, von Johannes a Leydis verfassten Spruchbandtext: Haarlem wird hier nicht allein als Todes- und Bestattungsort einiger Grafen, wie etwa Jans I., sondern auch als Aufenthaltsort erwähnt – so heißt es etwa bei Willem III., dass er einmal acht Tage lang zu Haarlem Hof gehalten habe.130 Neben dem als außerehelicher Sohn des Grafen Floris V. aufgeführten Witte van Haemstede131 findet auch die ruhmreiche Eroberung Damiettes durch die Haarlemer Bürger unter dem Por-

126 Anonymus: Christus vor Pilatus, um 1485, Öl auf Holz, 38,8 × 26,5 cm, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen (Collectie E. Frederiks, Leihgabe). Siehe Abbildung in Bièvre 1988, 308, Abb. 7. 127 Zu dem Gemälde vgl. Schretlen 1930, 126. 128 Vgl. z. B. Leeflang 1997, Anm. 108. 129 Diese These vertritt auch Bièvre 1988, 316: »This painting reflects the importance of Haarlem as an urban centre in a period when no other town in Holland was so self-conscious. […] It was almost certainly the legal complexities suggested by this particular subject which made it so appropriate to be set in front of the Town Hall, seat of the legal authority.« 130 »Met XX graven, C bannerheeren ende […] / M ridderen […]«. (V. 283–284). Der Spruchbandtext ist herausgegeben in Kurtz 1958. 131 Vgl. Kurtz 1958, 53. Zu Witte van Haemstede siehe oben, 31 ff.

ii. Der gräfliche Garten trät Willems I., der an den Geschehnissen des Damiette-Zuges beteiligt war, Eingang im Text. Den holländischen Anspruch auf diesen Mythos galt es im 15. Jahrhundert bereits gegenüber der friesischen Geschichtsschreibung zu verteidigen, die den Ruhm Damiettes für die eigene Region einforderte.132 So wurde die Haarlemer Version schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch in anderen Städten in der Form gestifteter Kirchenfensterdarstellungen visuell verbreitet.133 In Visschers Titelblatt von 1611 (Abb. 29) schließlich zeigt sich die enge Bindung dieses kultivierten Mythos an die Haarlemer Dünenlandschaft, die bereits im Fensterausblick der gräflichen Ahnengalerie zu sehen ist. Im Spruchband der Porträtserie ist über Damiette zu lesen, dass Graf Willem mit »Hilfe der Leute von Haarlem in seiner jungen Zeit« die uneinnehmbare Stadt Damiette gewonnen habe und die Haarlemer dann »mit weiser Sitte« ihr Wappen bekamen.134 Dass dieses Stadtwappen auf dem einleitenden Heroldgemälde (Taf. 2) einen ausgewiesenen Platz zugeteilt bekommt, verdeutlicht die Betonung der besonderen Stellung Haarlems in Holland auch auf heraldischer Ebene: Dort ist das Wappen unter den führenden acht aufgeführt – drei weitere vertreten die anderen drei wichtigsten holländischen Städte Dordrecht, Delft und Leiden; die oberen vier gehören zum Heiligen Römischen Reich, zu Frankreich, Aquitanien/›Troja‹ und Holland. Die letzteren illustrieren den Text, um den trojanischen Ursprung der Grafschaft Holland zu markieren.135 Die Stadtwappen verweisen wiederum ergänzend auf die Beziehung der Städte als holländische ›Eckpfeiler‹ zum Herrscherhaus, vor allem dem noch lebenden Regenten Maximilian: »Land und Städte«, so resümiert es auch die Figur des Todes auf dem letzten Bild der Reihe, bilden das Reich, über das die Grafen Hollands stets regiert hätten.136 Eine historisch und geografisch stabile und loyale Einheit von Land und Städten wird in dieser Porträtserie somit auf verschiedenen Ebenen und im Fokus Haarlems evoziert. Dass dabei jegliche Infragestellungen der Machtverhältnisse ausgeblendet werden, zeigt, wie Falkenburg diskutiert,137 auch die textliche Erwähnung des in Haarlem ansässigen

132 Vgl. Anrooij 1993, 18ff. 133 1518 stiftete Haarlem ein Kirchenfenster in Edam, 1522 in Purmerend und Enkhuizen, 1597 schließlich in Gouda. Haarlemer Bürger beanspruchten zudem, von Teilnehmern am Kreuzzug abzustammen, und führten ihr Familienwappen oft auf eine damit verbundene Wappenschenkung zurück. Vgl. zum Beispiel Karel van Mander: T’leven van Ian Mostart, Schilder van Haerlem. In: Mander 1969, fol. 229r; Ampzing 1628, 151 und 153 f.; vgl. auch Anrooij 1993, 13; Waal 1952, Bd. 1, 30 f.; Waal 1952, Bd. 2, Abb. 92. 134 Vgl. den Text bei Kurtz 1958, 52. 135 Auch der porträtierte Graf Dirk von Aquitanien alias Dirk I. von Holland führt als Wappen einen roten Löwen in einem goldenen Feld, das eine trojanische Herkunft bezeichnet. Vgl. Falkenburg 1997, 64 f. 136 Vgl. ebd., auch zu der in dieser Serie besonderen Verbindung von einer Grafenchronik mit Totentanzmotiven. 137 Vgl. ebd., 71.

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II. Der Garten Haarlems Geschlechts derer von Brederode:138 Die Brederode waren im 15. Jahrhundert in die Machtkonflikte zwischen den Fraktionen der altadligen ›Hoeken‹ und der städtischen ›Kabeljauwen‹ verwickelt.139 Die Partei der Hoeken hatte sich gegen die Regentschaft Maximilians in Holland gewandt. Zu ihrem Anführer hatten sie 1488 Frans van Brederode ernannt, der vergeblich versuchte, mehrere holländische Städte zu erobern. In Haarlem wurden rebellische Aufstände 1492 von Maximilian niedergeschlagen, und Haarlem wurde daraufhin schwer mit Geldbußen und dem Verlust all seiner Privilegien bestraft.140 »Land und Städte«, wie es im Spruchbandtext der Porträtgalerie heißt, verweist auf die uneingeschränkte Geltung dieser machtpolitischen Ordnung. Der habsburgische Anspruch auf die von den Brederode erstrebte holländische Grafenwürde tritt im Text der Serie in einer selbstverständlichen Eingliederung der Brederode in das einheitliche Bild der Herrschaftsverhältnisse zutage.141 Damit schafft der Text durch die Ausblendung jeglicher zeitgleichen Machtkonflikte ein ähnliches Konstrukt der Loyalität, das auch die ebenfalls von Johannes a Leydis geschriebene Chronik der Brederode selbst entwirft.142 Darüber hinaus ist auf der Bildebene der Porträts der Raum des den Brederode nahestehenden Karmeliterklosters verfügbar gemacht, um die Projektion einer loyalen Einheit zu festigen.143 Die Porträtreihe konstruiert so durch die Verknüpfung des Textes mit ›realen‹ Raumbezügen, heraldischen Zeichen und der fortlaufenden Figurenreihung eine einheitliche, ›trojanisch fundierte‹ Herrschaftslinie für alle aufeinanderfolgenden Dynastien, von den Herrscherhäusern Holland, Hennegau, Bayern, Burgund und Habsburg: In der Projektion dieser politischen Zusammengehörigkeit und Kontinuität geht somit die Rechtsmacht auf Maximilian als letzten und lebenden Regenten über. Es ist unklar, ob Maximilian die Bildserie, die er wahrscheinlich finanziell unterstützt hatte, selbst in Auftrag gab.144 Doch fügt sich diese Form der Bildpräsentation zu dem Propagandastreben Maxi138 V. 72 f. Zit. in Kurtz 1958, 48. 139 Zwischen diesen beiden Fraktionen der altadligen ›Hoeken‹ und der städtischen ›Kabeljauwen‹, die in erster Linie unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Thronfolge vertraten, kam es in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert immer wieder zu bürgerkriegsähnlichen Tumulten. Den ersten Auslöser bildete der nach dem Tod des kinderlosen Grafen Willem IV. van Holland (1345) entbrannte Machtkonflikt um die Nachfolge. Später kam es während der Auseinandersetzungen zwischen Johann III. und Jakobäa wie auch bei der Machtübernahme Maximilians zur erneuten Frontenbildung. Vgl. Braake 2009. 140 Vgl. Falkenburg 1997, 70. Vgl. auch zu den Tumulten der sogenannten ›Casenbroots‹, des ›Käse-undBrot-Volks‹, das gegen die Steuern rebellierte, Bièvre 1988, 307; Scheller 1995, 49; Witt Huberts 1943, 13. 141 So verweist etwa die Inschrift bei dem Porträt von Arnulf (V. 72 f.) auf seine Herkunft aus dem Geschlecht Brederode. Vgl. Falkenburg 1997, 71. 142 Vgl. dazu ebd. 143 Vgl. zu den Beziehungen zwischen dem Kloster und den Brederode ebd., 71 f. 144 Vgl. dazu ebd.

ii. Der gräfliche Garten milians hinsichtlich der habsburgischen Abstammung und des Anspruchs auf die Grafschaft Holland. Maximilian ließ genealogische Schriften anfertigen, die die trojanische Herkunft der Habsburger belegen sollten, um wiederum die Eingliederung der ebenfalls ›trojanisch orientierten‹ burgundischen Länder zu legitimieren.145 Der Raum dieser Kontinuität wird über die die Figuren umspannende Haarlemer Landschaft lokalisiert: Die Haarlemer Landschaft war als ›alter Kern‹ Hollands, als ein sehr früh von den Grafen besiedelter und auch als Erholungsgebiet geförderter Ort bekannt und textuell konnotiert und begann zudem, einen repräsentativen Stellenwert in Stadtgedichten und Chroniken einzunehmen. Etwa 100 Jahre später, in den 1580er-Jahren, wurde diese Grafenporträtserie vom Karmeliterkloster ins Haarlemer Rathaus umgehängt: In den Jahren nach der spanischen Belagerungszeit begann Haarlem im Kontext eines patriotischen historischen Rückblicks auf die vergangenen Kriegsereignisse, sein Profil als alte holländische Stadt zu schärfen. Unter dem Stadtmotto Vicit vim virtus wurde die Belagerung als ruhmreiches Exemplum einer größeren, auch hollandbezogenen virtus-Geschichte ausgedeutet. Wenige Jahre vor Visschers grafischer Serie verfasste Karel van Mander zwei Stadtlobgedichte, in denen die Stadtbelagerung wiederum mit der Eroberung Damiettes in einen sinnstiftenden Zusammenhang gestellt wurde; das oben erörterte Lied von Haerlem Soetendal, »Adieu Haerlem schoone Stede«, leistete eine ähnliche Verknüpfung. Es wurden auch weitere Porträtserien der holländischen Grafen angefertigt, die, parallel zu der neuen Präsentation der älteren Porträtreihe von 1480, das Bild Haarlems als altes Zentrum holländischer Herrschaftstradition festigen konnten.146 Damit konnte Haarlem in lokalisierender Konkretion an den identitätsstiftenden Vorstellungen partizipieren, die sich schematisch auch mit dem verbreiteten tuin-Emblem verbanden: Der tuin bezeichnete als ein reformuliertes altes Herrschaftszeichen ebenfalls die Legitimität einer lang bestehenden und durch die spanischen Übergriffe nur ›unnatürlicherweise‹ unterbrochenen politischen Einheit. Vor dem Hintergrund der frühen politischen Aufladung der Haarlemer Dünenlandschaft, die sich in den Darstellungen des 15. Jahrhunderts sozusagen in exemplarischer Ergänzung zum tuin-Emblem als ein lokales Zeichen der Regentschaftskontinuität entwickelt, weist die um 1600 geleistete Verknüpfung von einem tuin mit einer Dünenlandschaft (Abb. 2, 8, 11) darauf, dass die Landschaft nun programmatisch zur Verstärkung des kollektivierenden Einheitsgedankens eingesetzt wird. Bevor dieses Potenzial der landschaftlichen Grenzformeln – in denen die Düne einerseits die abgrenzende virtus, andererseits die grundierende historische Einheit markieren kann – in den Blick genommen werden soll, gilt es, noch einmal den Aufladungsprozess

145 Vgl. ebd., 72; Waal 1952, Bd. 1, 115 f.; vgl. auch zu der politischen Heraldik des 16. Jahrhunderts Kempers 1995. 146 Siehe zu diesen Formen lokaler Identitätsstiftung unten, Kap. »Haarlem als Kriegsschauplatz«.

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II. Der Garten Haarlems der Haarlemer Landschaft im 15. und frühen 16. Jahrhundert aus einer weiteren Perspektive zu betrachten. So soll im folgenden Kapitel diskutiert werden, inwieweit in der im 15. Jahrhundert beginnenden Beschäftigung mit der batavischen Antike – die in den Aufstandsjahren um 1600 ihrerseits einen entscheidenden Status in der Identitätsfindung der aufständischen Provinzen einnahm – auch eine landschaftliche Dimension verhandelt und an Haarlem konkretisiert wird.

iii. Der batavische Garten Die Entdeckung der Bataver »Ich werde daher infolge der Worte des Propheten beipflichten, dass die Holländer ganz nach der Art von der Ehrfurcht gebietenden Schar der Löwen sind, besonders wenn sie einmal herausgefordert gewesen sein wird, und dass nicht etwa bloß die Damietter deren einschüchternden Eindruck und Tapferkeit erfahren haben, sondern auch die Römer und Briten selbst mehrmals.«147 In seiner 1508 verfassten Schrift Defensio Gloriae Batavinae hebt der Chronist Cornelius Aurelius unter Berufung auf Jesaja 18,2148 die furchterregende Kampfeskraft des holländischen Volkes hervor. Sie gilt hier als Erbe der ruhmreichen Bataver, die Aurelius als Vorfahren der Holländer präsentiert. Stand die Bezwingung Damiettes in dieser Zeit durch die von Haarlem in gestifteten Kirchenfensterbildern und Chroniken betriebene Popularisierung im Spannungsverhältnis von holländischer und friesischer Geschichtsaneignung,149 so findet sie sich hier bereits in einem übergeordneten Kontext instrumentalisiert: Sie soll repräsentativ die Tapferkeit der Holländer bezeugen, welche ihrerseits wiederum als Beweis für die Abstammung der Holländer von den Batavern angeführt wird. Diese batavischen Ursprünge Hollands waren bereits von italienischen Historiografen formuliert worden.150 Mit Aurelius begannen die holländischen humanistisch geprägten Chronisten in Auseinandersetzung mit den entsprechenden Passagen bei dem wiederentdeckten Tacitus sowie bei Cäsar und Plinius,151 einen antiken Gründungsmythos ihres

147 »Adstipulabor itaque ex verbis Prophetae, Hollandos populum esse terribilem instar leonum, ubi vel semel fuerit provocatus, cujus terrorem et fortitudinem non Damiatae modo, verumetiam ipsi Romani et Britanni saepius experti sunt.« Aurelius 1609, 84. 148 »Ite angeli veloces […] ad populum terribilem, post quem non est alius, cujus diripiunt flumina terram ejus.« »Geht hin, ihr schnellen Boten, zum Volk, […], das schrecklicher ist als sonst irgendeins, […], dessen Land Wasserströme durchschneiden.« Jesaja 18,2. 149 Siehe oben, Anm. 133. 150 Tilmans 1988, 55 ff. 151 Tacitus: Germania 29, vgl. Tacitus 1983; Tacitus: Historiae 4, 12, vgl. Tacitus 2002; Tacitus: Annales, 2, 6, vgl. Tacitus 2005; Cäsar: De bello Gallico, 4, 10, vgl. Cäsar 1999; Plinius: Historia naturalis, 4; 15; 16, vgl. Plinius 1906. Seit 1470 existierten italienische Originalausgaben der Quellen. Tacitus’

iii. Der batavische Garten Landes und Volkes zu entwickeln.152 Eine neue Form holländischen Geschichtsbewusstseins konnte sich an der Idee entzünden, dass die Bataver als respektierte und ebenbürtige Verbündete der Römer die direkten Vorfahren der Holländer waren – sodass das holländische Volk als Ganzes nun eine neue historische Bedeutung zugesprochen bekam. Tacitus berichtet in seinen Historiae über den Aufstand dieses germanischen Stammes gegen die römische Oberherrschaft in den Jahren 69/70,153 jedoch erscheinen die Bataver bei ihm auch als socii, die der römischen Macht unbesoldete Hilfstruppen stellten.154 Dies konnte im 16. Jahrhundert die Vorstellung einer weitgehend freien Gemeinschaft nähren, die die Römer in prinzipieller Ebenbürtigkeit militärisch unterstützte – bis ihre Rechte zu sehr beschnitten waren und es zu dem von Claudius Civilis geführten Aufstand kam.155 Es war dieser Aufstand der Bataver, der später während des Unabhängigkeitskrieges gegen Spanien in der holländischen Geschichtsschreibung und Dichtung einen hohen Stellenwert einnahm:156 Seine Kultivierung legitimierte in dieser Zeit die Projektion eines seit jeher freien Volkes, das sich einst sein Land selbst erwählt hatte und sich auch nun mit Recht gegen eine erneut drohende Abhängigkeit verteidigen musste.157 Ein lediglich auf die Aufstandsjahre gerichteter Untersuchungsblickwinkel würde jedoch die längere Entwicklung des Batavermythos einerseits wie auch die identitätsstiftende Bedeutung der holländischen Grafendynastie im späten 16. Jahrhundert andererseits vernachlässigen. So konnte die in Chroniken und Porträtserien kultivierte Berufung auf die Geschichte des holländischen Grafenhauses um 1600 parallel zu der Batavergeschichte ebenfalls die Vorstellung eines freien, seit Jahrhunderten kontinuierlich eigenständig regierten Holland

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Germania wurde gerade von deutschen, niederländischen, englischen und französischen Humanisten breit rezipiert. Die ersten zehn Bücher der Annales wurden erst 1508 wiederentdeckt und 1515 in Rom sowie 1519 in Basel herausgegeben. Annales 2, 6 berichtet über die Insel der Bataver bei der Waalmündung. Die Bemerkungen Cäsars über die Bataver während seiner germanischen Feldzüge sind wahrscheinlich eine spätere, humanistische Ergänzung. Vgl. zu den verschiedenen Quellen Teitler 2004; vgl. den Überblick über die Rezeption der Bataver bei Schöffer 1981, 85–109. Vgl. zu dem Begriff ›Batavermythos‹ die Kritik bei Langereis, die den Begriff ›beeldvorming‹ (›Bildformung‹) vorschlägt, da er über die politische Dimension hinaus eine breitere kulturhistorische Perspektive binde: »De invalshoek ›beeldvorming‹ biedt een verruiming van perspectief, omdat waar de term ›mythevorming‹ een eenzijdige politieke connotatie heeft, ›beeldvorming‹ getuigt van een brede culturhistorische benaderingswijze.« Langereis 2004, 73; vgl. auch generell zu der Wiederentdeckung der Bataver Langereis 2001, 203 ff. Tacitus: Historiae, 4, 13, vgl. Tacitus 2002. Tacitus: Germania, 29, vgl. Tacitus 1983; Tacitus: Historiae 4, 12; 17, vgl. Tacitus 2002. Andere klassische Autoren wie Sallust, Plinius und Cäsar erwähnen, dass sich der germanische Stamm zwischen Rhein und Maas angesiedelt habe; er habe Hilfstruppen für einige römische Expeditionen gestellt. Vgl. Kampinga 1980, 69. Vgl. zum Aufstand Teitler 2004, 28 ff. Vgl. unter anderem Schama 1987, 51 ff.; Schöffer 1981. Siehe unten, 96 ff.

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II. Der Garten Haarlems legitimieren. Es gilt daher im Folgenden, zunächst die Diskurse des frühen 16. Jahrhunderts in den Blick zu nehmen. Um 1500 sahen holländische Historiografen wie Aurelius in dem habsburgisch regierten Holland zunehmend ein Land bzw. eine natie 158 von Holländern mit ihrer eigenen antiken Vergangenheit, die sie durch verschiedene, sich überkreuzende Gründungsmythen schufen. So entwickelte sich eine historische Identitätskonstruktion gewissermaßen ›vertikal‹ an der Vorstellung der linearen und gegebenenfalls trojanischen Abstammung der Grafendynastie, doch dann auch ›horizontal‹, im Sinne einer flächendeckenden Verbindung der Bewohner mit ihren batavischen Vorfahren auf ihrem gemeinsamen Land. In der »Pluralisierung von Geschichte« (Aleida Assmann)159 der Renaissance stellte die Bindung an die Grafschaft eine fundierende, die Kontinuität garantierende Voraussetzung für das spezifisch holländische Bemühen um die Bataver dar. Die Jahrhunderte der gräflichen Herrschaftszeit konnten den zeitlichen Bruch, der sich zwischen diesen antiken Vorfahren und den Holländern auftat, gewissermaßen überbrücken. Die Projektion eines batavischen Volkes vermittelte wiederum eine stärkere Verwurzelung der Holländer in ihrem Land, indem sie auch den Gründungsmythos eines Volkes umfasste, das sich, in Abspaltung vom germanischen Stamm der Katten, dieses Land selbst erwählt haben soll.160 Dieses Bewusstsein begann sich schon vor dem eigentlichen Herauslösungsprozess aus dem habsburgischen Verband in einem neuen patria-Verständnis niederzuschlagen: Während Johannes a Leydis den Begriff patria noch im allgemeinen Sinne von ›Land‹ gebrauchte und dieser Begriff, ebenso wie natio bzw. natie, generell ganz verschiedene Dimensionen umfassen konnte,161 bezieht sich bei Aurelius der Begriff patria auf Holland bzw. Batavien, das er auch als »dulce solum natale« bezeichnet.162 Das Interesse an einer kollektiven Identifikation mit dem eigenen, alten Land war bei den Historiografen bereits um 1500 an Abgrenzungsstrategien gebunden, die Bataver für die eigene Region zu reservieren. So verwies etwa der Chronist Wilhelmus Heda, um eine Gleichsetzung Bataviens mit Holland etymologisch zu legitimieren, darauf, dass »›Holland‹ […] im Deutschen nichts anderes [ist] als ›Batavia‹ selbst im Griechischen«.163 Der 158 Zu der Entwicklung des Begriffes natie mit seinen im 16. Jahrhundert verschiedenen, in erster Linie regional geprägten Bedeutungen vgl. Groenveld 1980. 159 Assmann 1999, 49. 160 Tacitus bezeichnet die Bataver in Historiae, 4, 12, 2 (vgl. Tacitus 2002) als Angehörige der Katten, als sie noch auf der anderen Seite des Rheines gewohnt hätten; dann hätten sie sich infolge interner Streitigkeiten abgespalten und seien in das unbewohnte Gebiet gezogen. Zu dieser Vorgeschichte der batavischen Besiedlung vgl. Teitler 2004, 21 f. 161 Vgl. dazu Groenveld 1980. 162 Cornelius Aurelius: Ad suam Bataviam. In: Scriverius 1609, 126. In diesem Sinne ist etwa auch in Reinier Snoys Geschichtswerk De rebus Batavicis libri tredecim von 1519 von »pietas patriae« die Rede. Vgl. hier Tilmans 1987, 212. 163 »Sed Hollandia Teutonicè nihil aliud est, quam ipsa Batavia Graecè.« Buchelius 1643, 58. Vgl. auch Erasmus’ Adagium Auris Batava: »Convenit inter plerosque doctos, nec id refragantibus conjecturis,

iii. Der batavische Garten Geschichtsschreiber Willem Hermans machte in seinem 1507/1508 erschienenen Werk Olandie Gelrieque bellum 164, das die zu der Zeit stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen um das Herzogtum Geldern spiegelt,165 Holland als Land der Bataver gegenüber Geldern stark. Die Konflikte zwischen den habsburgisch-burgundischen Niederlanden und Geldern, Groningen und Friesland boten schon vor dem Aufstand gegen Spanien einen Impuls, die Grenzen des batavischen Gebietes zunehmend zu definieren und zu politisieren. Auch bei Aurelius werden diese batavischen Grenzen zum Politikum. Er unternimmt es in den beiden Teilen seiner Defensio 166, in der er sich, wie eingangs zitiert, auf die von den Damiettern, Briten und Römern gefürchtete batavische Tapferkeit beruft,167 die Ansiedlung der Bataver in Holland zu verteidigen. Im Untertitel präsentiert er seine Schrift auch ganz explizit als Widerlegung der These des Gelderländers Gerhard Geldenhauer: Dieser versuchte zur selben Zeit zu beweisen, dass die Bataver sich ursprünglich in einer Region niedergelassen hätten, die später zum Herzogtum Geldern gehörte.168 Aurelius’ Kritik an der Theorie Geldenhauers bildete erst den Auftakt eines langen Kampfes um das batavische ›Vorrecht‹. Nicht zuletzt aufgrund der vielen nachfolgenden Schriften zugunsten von ›Holland-Batavien‹, darunter die bis ins 19. Jahrhundert breit rezipierte Divisiekroniek 169 von Aurelius selbst, und der zunehmenden politischen Bedeutung Hollands gegen Ende des 16. Jahrhunderts begann sich mehr und mehr die These durchzusetzen, dass die Bataver in Holland anzusiedeln seien.

Batavische Landschaft und virtus Wie wurde bei der batavischen Provenienz Hollands argumentiert? Aurelius’ Verweis auf die bei Damiettern, Römern und Briten furchteinflößende Stärke des holländischen Volkes170 ist suggestiv: Konzentrierter Mut und Kampfeskraft einer kleinen Gemeinschaft

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eam Insulam, cujus meminit Tacitus, esse quam nunc Hollandiam vocant.« Erasmus 1609, 137. Vgl. zu der Bedeutung Bataviens bei verschiedenen Historiografen des 16. Jahrhunderts Kampinga 1980, 59 ff. Wilhelmus Hermannus Olandus Goudanus: Olandie Gelrieque bellum (1508/09). Amsterdam o. J. [um 1514 gedruckt]. Zit. in: Matthaeus 1738, 344–346; vgl. auch Carasso-Kok 1981, 438–439. Vgl. Gorter-van Royen 1995, 229. Nach seiner Defensio von 1508 schrieb Aurelius eine Fortsetzung unter dem Titel Elucidarium variarum quaestionum super Batavina regione et differentia; sie erscheint bei Scriverius 1609 (108 ff.) als Batavia, liber II hinter seiner Defensio, vgl. Aurelius 1609. Siehe oben, 44. Geldenhauer 1609, 1 ff. Diese Schrift war schon einige Jahre vor ihrem ersten Erscheinen bekannt. Vgl. Tilmans 1987, 193 f. Aurelius 2011. Siehe oben, Anm. 147.

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II. Der Garten Haarlems ließen die Feinde demnach wie die Ketten Damiettes zerbrechen. Gegenüber diesen holländisch-batavischen Genossen der Römer erscheinen die Bewohner im Gebiet Geldern bei Aurelius als instabile, ›gallisch‹ geprägte Feinde der Römer, die sich grundsätzlich von den Holländern unterschieden.171 Auf diesem Fundament musste der Batavermythos gerade in einer unsicheren Zeit die Projektion der politischen Einheit, des Friedens und Wohlstandes garantieren – oder heraufbeschwören: Dass das Holland seiner Zeit nicht mehr dem batavischen Ideal entsprach, erklärte Aurelius vor allem mit der Tugendlosigkeit der Städte, die den Krieg gegen Geldern nicht zu finanzieren bereit waren und sich in größere Abhängigkeit von der Regierung begaben.172 So verwies er auch darauf, dass erst in römischer Zeit Städte und Festungen in Batavien gebaut worden seien;173 dem stellt er ein ländliches, ursprüngliches Idyll der tugendhaften batavischen Vorfahren gegenüber. In seinem 1508 entworfenen Gedicht Ad suam Bataviam kontrastiert Aurelius beispielsweise das tugendhafte goldene Batavien mit dem Verfall der Gegenwart. So hätten die Römer die militärischen Taten der Bataver gepriesen, auch Damiette sei überrascht worden, aber »Während Du mächtig bist auf dem so großen Land und der See, muss bedauert werden, Dass nur Geldern Deinen Ruhm vermindert. […] Du selbst, o mein Land, stürzt ein, durch Deine Reichtümer. Du verdirbst durch das Gold den Geist, den Du pflegtest durch das Eisen sowie das Langschwert, […] Ach, komme endlich wieder zu Sinnen, bitte ich, und dass Du Dich der Übel schämest, Damit die einstige Tatkraft mit der Frömmigkeit zurückkehre.«174 171 Vgl. Aurelius 1609, 118 f. Die gallische Verwandtheit fand ihre Aktualität darin, dass Karl von Egmond, der seit 1492 das Herzogtum Geldern beanspruchte, 1504 ein Bündnis mit dem französischen König gegen Habsburg geschlossen hatte. Vgl. Tilmans 1987, 206. 172 Um diese Zeit gerieten Haarlem und andere Städte aufgrund großer Schulden in stärkere Abhängigkeit von der habsburgischen Herrschaft. In der Folge verstand sich Haarlem mit den Kontrollgremien der Regierung zu vereinbaren, um finanzielle Begünstigungen zu erzielen. Vgl. Marsilje 1995, 21; Bourgondiën 2003. 173 »Uut allen desen voergenoemden redenen ende argumenten is claerlick ende openbaerlick te mercken dat voer Julius Cesars tijden, gheen steden, sloten ende castelen gheweest sijn in Duytslant.« Aurelius 2011, Div. I, Kap. XX, fol. 16v. 174 »Te Roma agnovit, Damiata stupescit, Arabsque, Et Tartessiaci fortia regna soli. At quum tanta potes terraque marique, dolendum est Ut minuat laudem Gelria sola tuam. […] Concidis ipsa tuis, o mea terra, bonis. Auro animum perdis, quem ferro atque ense fovebas, […] Ah tandem resipisce precor, pudeatque malorum, Pristinus ut redeat cum pietate vigor.« Cornelius Aurelius: Ad suam Bataviam. In: Scriverius 1609, 125 f.

iii. Der batavische Garten Auch in der Divisiekroniek versucht Aurelius durch seine Beschreibung der batavischen Sitten, in der er jegliche Züge der ›wilden Bataver‹ aus der Germania des Tacitus ausblendet, für seine Zeit das batavische Vorbild der allzeit bewaffneten Fischer und Bauern zu festigen; dabei greift er den klassischen Topos des guten Landlebens auf und schafft eine arkadische Sphäre, aus der die Tugendhaftigkeit der Bewohner hervorgeht.175 So wird die batavische Semantik im dichotomen Spannungsfeld »fundierender« und »kontrapräsentischer«176 Sinnsuche bewegt: Die batavische Stärke erscheint als ein fundierendes, ein reanimierbares Potenzial. Die Landschaft als eine des ursprünglichen ›Goldenen Zeitalters‹ bietet zugleich aber eine kontrapräsentische Dimension, die die Reinheit vergangener Tage der städtischen Tugendlosigkeit der Gegenwart gegenüberstellt. Zwar waren nicht alle anderen hollandgesinnten Geschichtsschreiber so antistädtisch ausgerichtet wie Aurelius; sie nahmen aber neben der Betonung der batavischen Stärke diese zweite Dimension auf, die in der Begründung der batavischen Ansiedlung eine wesentliche Rolle spielte: die Landschaft. Vor allem unter dem Einfluss der italienischen Humanisten, die sich mit Holland beschäftigten und ebenfalls diese Region mit Batavien gleichsetzten, erwuchs die Idealisierung der Landschaft als ein Garant für Holland.177 Diese Hinwendung zur batavischen Landschaft erfolgte mit verschiedenen Mitteln: Es galt zunächst, in Ausdeutung der Ortsangaben in den antiken Quellen geografisch zu argumentieren, was bei den verschiedenen Parteien zu ganz unterschiedlichen Auslegungen hinsichtlich der in den Quellen angedeuteten Rheininsel und der Lage am Ozean führte.178 Wenn die Quellen in der Argumentation nicht ausreichten, wurden die land-

175 Vgl. u. a. Aurelius 2011, Div. I, Kap. XIX, fol. 14; vgl. auch Tilmans 1987, 208; Langereis 2004, 79 f. 176 Vgl. Jan Assmanns Theorie zu fundierenden und kontrapräsentischen Funktionen von Mythen: »Die eine Funktion des Mythos wollen wir ›fundierend‹ nennen. Sie stellt Gegenwärtiges in das Licht einer Geschichte, die es sinnvoll, gottgewollt, notwendig und unabänderlich erscheinen läßt. […]. Die andere Funktion könnte man ›kontrapräsentisch‹ nennen […]. Sie geht von Defizienz-Erfahrungen der Gegenwart aus und beschwört in der Erinnerung eine Vergangenheit, die meist die Züge eines Heroischen Zeitalters annimmt. Von diesen Erzählungen her fällt ein anderes Licht auf die Gegenwart: Es hebt das Fehlende, Verschwundene, Verlorene, an den Rand Gedrängte hervor und macht den Bruch bewußt zwischen ›einst‹ und ›jetzt‹. Hier wird die Gegenwart weniger fundiert als vielmehr im Gegenteil aus den Angeln gehoben oder zumindest gegenüber einer größeren und schöneren Vergangenheit relativiert.« Assmann 2002, 79. 177 Vgl. zum Einfluss der mittelalterlichen Schriften auf die im Bataverkult früh betriebene Heroisierung der Holländer und zum Einfluss der italienischen Humanisten auf die Idealisierung der Landschaft und Städte Tilmans 1993b, 114. 178 Zu den antiken Quellen gehörten Tacitus: Historiae, 4, 12, vgl. Tacitus 2002; Plinius: Historia naturalis, 4, 101, vgl. Plinius 1906; Cäsar: De bello gallico, 4, x, I, vgl. Cäsar 1999. Die zugrunde liegenden Angaben bei den antiken Autoren waren jedoch zu ungenau. Tacitus (Historiae, 4, 12, 2) deutet lediglich an, dass sich die batavische Insel zwischen den beiden Rheinarmen befinde und von vorn vom Ozean umspült werde. Angesichts der Veränderungen des Rheinflusses im frühen Mittelalter kam Aurelius zu dem Schluss, dass Holland ursprünglich von den Rheinarmen umgrenzt gewesen sei und

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II. Der Garten Haarlems schaftlichen Beschreibungen gegebenenfalls mit archäologischen und sprachlichen Funden bestätigt. In seiner Divisiekroniek erklärt Aurelius, dass der Name ›Batavia‹ von ›Bassa Terra‹ komme, er unterlegt diesem Begriff somit einen landschaftlichen Ursprung: »Denn Batavia heißt so viel wie Bassa Terra, das ist Flach- oder Hohlland, denn es pflegte hier früher, bevor es eingedeicht wurde, mit ebbenden und flutenden Wassern bedeckt zu liegen und überflutet zu sein.«179 Durch direkte Zurückführung holländischer Orts- und Flussnamen und den Verweis auf ›antike Bauruinen‹ – etwa die im Meer versunkene Stadt Brittenburg nahe der Küste Katwijks, die zu der Zeit des Aurelius gelegentlich bei Ebbe zu sehen war – versuchte Aurelius weiterhin, die holländische Region als eine von den Batavern erstmals kultivierte Landschaft hervorzuheben.180 Doch, wie es an Aurelius’ Landschaftsidealisierung bereits deutlich geworden ist, ist es nicht allein das fundierende Beziehen der Orte auf ihre Vergangenheit, sondern auch die landschaftliche Gesamtbeschreibung eines ehemals fruchtbaren Arkadien, die Holland als batavisches Land reserviert. Es zeichnete sich in vielen topografischen Historienwerken der humanistischen Geschichtsschreibung, die zu solch umfangreichen Werken wie der Descrittione di tutti i Paesi Bassi (1567) von Lodovico Guicciardini181 führte, der Impetus ab, sowohl die verschiedenen Regionen als auch die einzelnen Städte der Niederlande in ihrer Lage und ihrer Gründungsgeschichte umfassend zu charakterisieren. Im Zuge dieser zunehmend komplexen Verschränkung von Geografie und Historie konnten die Beschreibungen Hollands mit den Thesen über die Herkunft und Situierung der Bataver in einem breiten Landschaftsprofil argumentativ verbunden werden. Bereits italienische Historiografen wie Luigi Marliani und Raffael Maffei begannen mit ihrer Beschreibung Hollands, das sie mit

deshalb eine Insel genannt werden konnte. Zudem beruft er sich auf die Überreste eines römischen Kastells, das im Süden Leidens 1502 gefunden worden war. Ein nicht mehr überlieferter Stein soll nach Aurelius diese Inschrift getragen haben: »Gens Batavorum amici et fratres Romani imperii.« Vgl. Aurelius 1609, 100. Nach der ersten neuen und vollständigeren Ausgabe der Annales im Jahr 1515 stellte sich bei Tacitus (2, 6) heraus, dass die batavische Insel an dem Punkt begonnen habe, an dem die Waal sich vom Rhein trennt. Dies lieferte Geldenhauer ein entscheidendes Argument und bewirkte wiederum eine erneute Verteidigung von Aurelius’ Thesen in seiner 1517 erschienenen Divisiekroniek. Vgl. dazu Tilmans 1993a, 129. 179 »[…] want Batavia is soe vele te segghen als bassa terra, dats laechlant of hoollant, want het plach hier voermaels, eert bedijct worde, mitten wateren ebbende ende vloeyende bedect te legghen ende overvloyet te wesen.« Aurelius 2011, Div. I, Kap. IX, fol. 10r. Vgl. dazu Kampinga 1980, 175. 180 Er zeigte etwa auf, dass diverse Namen direkt aus der Zeit der Bataver stammten – so rekonstruiert er in ›Katwijk‹ einen Bezug zu den Katten als dem germanischen Volk, aus dem die Bataver hervorgegangen seien. Vgl. Aurelius 2011, Div. I, Kap. XI, fol. 11. Vgl. zu diesem Diskurs auch Schöffer 1981, 91; Langereis 2004, 77 f. 181 Guicciardini 1968.

iii. Der batavische Garten Batavien identifizierten, den Grundstein zu legen.182 Marliani kennzeichnet Holland 1508 in seiner De Bataviae sive Hollandiae laudibus Epistola als schönes und fruchtbares Land, das sich gegen das Meer behaupte, und konstatiert, dass »alles, was diese glückliche Insel hervorbringt, so schön [ist], dass geglaubt wird, dass Venus die Mutter davon ist.«183 An das italienische Landschaftslob knüpfte Erasmus’ Ideal der batavischen Kultiviertheit in Natur und Gesellschaft an. In seiner Betrachtung der von Martial geprägten Redewendung Auris Batava (›Batavisches Ohr‹), die 1508 in seinen Adagia erschien, beschreibt Erasmus unter der Berufung auf Tacitus’ Historiae die Vertreibung und Neuansiedlung des batavischen Stammes und betont, dass es »unter den meisten Gelehrten« feststehe, dass »diese Insel, derer Tacitus gedacht hat, die ist, die sie nun Holland nennen, das Land, das ich immer rühmen und verehren sollte, da ich ihm ja den Beginn des Lebens verdanke«.184 Spielt die Wendung ›Batavisches Ohr‹ bei Martial auf eine einfache, bäurische Gesinnung an, bezeichnet sie bei Erasmus positiv die ›ländliche Tugendhaftigkeit‹ eines in arkadischen Verhältnissen lebenden Bauernvolkes.185 Die Imagination einer schönen Landschaft und ihrer entsprechenden tugendhaften Bewohner verdrängte die ältere, bis um 1500 vorherrschende Vorstellung eines in der Vorzeit wüsten Landes, das erst in der Grafenzeit einen bewohnbaren Charakter annahm.186 So bezweifelte der Chronist Janus Dousa etwa die Ansicht, dass Holland, »dieser äußerst kultivierte Boden unseres gemeinsamen Vaterlandes«, die »ruhmreiche batavische Insel«, damals wild bewachsen und unbedeicht der See ausgeliefert gewesen sei.187 Arkadisch anmutende Wälder und Gewässer grundieren, wie es sich zum Beispiel in Aurelius’ Beschreibung zeigt, das batavische Land: »Es gibt viele Seen und stehende Gewässer, gute Weiden, voll mit Vieh, und an einigen Plätzen sehr fruchtbares und ertragreiches Ackerland. Und es gibt kleine und anmutige Haine und Wildnis, in der viel Wild gejagt werden kann.«188 182 Vgl. Marliani 1609. Marliani beeinflusste damit die Beschreibungen Aurelius’ und Guicciardinis. Auch Raffael Maffei bezeichnete Holland 1506 explizit als Land der Bataver, vgl. Tilmans 1988, 55 ff. 183 »Mirum est, quicquid beata haec Insula parit tam pulchrum est, ut matre Venere editum putetur.« Marliani 1609, 123. 184 »Convenit inter plerosque doctos, necid refragantibus conjecturis, eam Insulam, cujus meminit Tacitus, esse quam nunc Hollandiam vocant, terram mihi semper & celebrandam, & venerandam, ut cui vitae hujus initium debeam.« Erasmus 1609, 137. 185 Vgl. Tilmans 1987, 199. 186 Vgl. Kampinga 1980, 178. 187 »[…] cultissimum hoc communis patriae nostrae solum […] gloriosam illam tot tantisque Ro. Historiae praeconiis Batavorum insulam, […] continuis minacis Oceani, […] inundationibus patuisse […].« Dousa 1601, 252 f. 188 »Het heeft veel meeren ende staende wateren, goede weiden vol van beesten, ende in sommige plaetsen seer vruchtbaer ende wasbaer van saeylant ende teellant. Ende heeft cleine ende lustige bosschagen ende wildernissen, daer veel wiltbraets in is om te jagen.« Aurelius 2011, Div. IV, Kap. V, fol. 91v.

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II. Der Garten Haarlems In das Bild einer idealen batavischen Antike fügt sich gerade der im 16. Jahrhundert bereits entwickelte spezifische Haarlemer locus amoenus-Topos.189 Bereits Diric Mathijszen hatte, wie oben beschrieben, in seinem Lob der Haarlemer varietas das wasserreiche Land, saftige Weiden und waldige Jagdgebiete (freilich noch stärker im Bezug auf den wirtschaftlichen Reichtum) hervorgehoben. Aurelius preist wiederum hinsichtlich der ursprünglichen Vielfalt des holländisch-batavischen Landes auch den Erholungswert der Haarlemer Landschaft mit ihren »viele[n] große[n] und kleine[n] Bergen und Hügeln, angenehmen und grasbewachsenen Tälern« sowie »schöne[n] Wälder[n]«, durch die sich Reisende ohne Gefahren und zu geringen Kosten bewegen könnten.190 Ein Wandelgang über kleine Hügel und durch schöne Wälder: Zu diesem klassischen Lob des situs bietet der sich seit dem 15. Jahrhundert herausbildende literarische Haarlemer Landschaftstopos einen besonderen Zugang, indem er sich zunehmend durch die Dimension des Delektierens in der varietas auszeichnet. Er erscheint im 16. Jahrhundert durch das wachsende humanistische Interesse an einer arkadischen holländisch-batavischen Landschaft wiederum geprägt und gestärkt, sodass die Vorzüge des Haarlemer und des batavischen situs dieselben werden. In dem oben erwähnten Stadtlobgedicht in der Chronik des Johannes a Leydis zeigt sich Ende des 15. Jahrhunderts mit dem Lob der landschaftlichen Schönheit zum ersten Mal, dass Haarlems Landschaftstopos auch die Dimension eines locus amoenus aufnimmt.191 Zollt Chrysostomus Neapolitanus in seiner Epistola de situ et moribus Hollandiae (1514) den Dimensionen der »langen und breiten« Haarlemer Dünenlandschaft Tribut, die einen Gruß an den Ozean als ihren Schöpfer evoziere,192 lobt Lodovico Guicciardini Haarlem wegen seiner Vorzüge der schönen Wiesen, des gefälligen Waldes und der gesunden Luft als »bonissima terra« und »la maggiore di tutte le altre terre d’Hollanda«.193 Hadrianus Barlandus, der Haarlem in seiner 1524 erschienenen Beschreibung

189 Siehe oben, 29. 190 »In den eersten sijn daer vele grote ende cleine montangen ende bergen, bequame ende grasige dalen, marasschen ende valeyen van grof ende cleyn wiltbraet. Voert, so sijnder schone wildernissen ende bosschaegen, lustich, ende dicht van bomen, ende sonder schade van ymant te vermoerden of te beschadigen; daer die coopman altijt reysen mach sonder sorch letsel of vertoeven.« Aurelius 2011, Div. I, Kap. XIX, fol. 14v. 191 Siehe oben, 31. 192 »Sed cum postremo ad illam Oceani partem pervenissem, quae haud procul ab Harlemo urbe infremens magnis arenarum cumulis longe lateque campos replet, e curru statim prosiliens Oceanum patrem rerum salutavi.« Neapolitanus 1609, 133. 193 Guicciardini 1968, 198. Diese Reputation konnte der Stadt um 1550 auch einen geeigneten Ausgangspunkt bieten, um der zu dieser Zeit wirtschaftlich größten Konkurrentin Amsterdam ein eigenes Gewicht entgegenzusetzen: Haarlems gesunde und ruhige Atmosphäre sollte als Anziehungspunkt – auch für ausländische Investitionen – gegenüber einem chaotischen und schnell wachsenden Amsterdam präsentiert werden. Vgl. Leeflang 1997, 57 ff.

iii. Der batavische Garten Hollands und Zeelands194 zu den wichtigsten vier Städten zählt und der Stadtbeschreibung vergleichsweise viele Zeilen widmet, spricht explizit von einem locus amoenus, den er überdies in den klassischen Vorzügen preist: »Die Stadt ist an einem sehr angenehmen Ort gelegen; sogleich hinter den Stadtmauern bietet sich der Wald dar, in dem es möglich ist, verschiedene Vogellaute zu hören, in dem es fliehende Rehe und scheue Hirsche, Hasen, Kaninchen und überhaupt jede Art der wilden Tiere gibt.«195 Einige Jahrzehnte später werden diese Attribute des schönen, rekreativen Haarlemer Umlandes auch in dem 1575 erschienenen Band des von Georg Braun und Frans Hogenberg herausgegebenen Städteatlas Civitates orbis terrarum aufgegriffen (Abb. 4): Im Bildhintergrund erstreckt sich mittig der Haarlemer Wald und daneben die Dünen, markant umrandet vom holländischen und vom städtischen Wappen. Im Bildvordergrund, auf dem hohen Aussichtspunkt auf die Stadt, sind drei Figuren in einem Wandelgang begriffen, und die begleitende Inschrift auf der anderen Seite kennzeichnet das städtische Umland als »locus peramoenus«.196 Auch Aurelius zeichnet Haarlem in seiner Defensio nicht nur wegen der Taten in Damiette aus, sondern führt im Zuge seiner Beschreibung Hollands ausführlich die landschaftliche Schönheit Haarlems an. So hebt er im zweiten Buch der Defensio die Gegend um Haarlem als irdisches Paradies unberührter Natur hervor, als einen ursprünglich Bacchus geweihten, arkadischen Ort: »Hier zeigen sich zum Walde gehörige Gärten und kleine Berge der Ergötzlichkeit, unberührte Waldgebirge und mit jeder Art der wilden Tiere, fruchtbare und zum Sumpf gehörige Felder, sehr geeignet für alle Vogelfänge und Hasen- und Kaninchenjagden. Hier sind fischreiche Gewässer und abkühlende Sturzbäche; so wie du kein anderes irdisches Paradies wünschen würdest. […] Hinter diesem […] folgte der dem Bacchus geweihte Ort, überall mit Weinreiben und dem Ulmenbaum bepflanzt. Die Bewohner dieses Ortes, einst Bacchanten, werden nun Haarlemer genannt, ein hartes Volk, aber am Recht festhaltend, wobei bis in unser Zeitalter […] ganz gewiss feststeht, an die Wurzeln der alten Weinstöcke zu gelangen […].«197

194 Barlandus 1609. 195 »Urbs sita est loco peramoeno; statim egressis moenia occurrit nemus, in quo varias avium linguas audire licet, in quo timidi damae, cervique fugaces, lepores, cuniculi, denique ferarum omne genus.« Ebd., 142. 196 Siehe Abb. 4. Vgl. dazu auch Leeflang 1997, 59. 197 »Hîc nemorenses horti, deliciarumque monticuli, saltus innoxii & omni ferarum genere offerti, fertiles agri & palustres, omnibus aucupiis & leporum cuniculorumque venationibus aptissimi. Hîc lacus piscoli, & torrentes refrigeratorii; ita vt alteram terrestrem non desideres Paradisum. […] Post hanc locus

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II. Der Garten Haarlems

Abb. 4 Georg Braun und Frans Hogenberg: Ansicht von Haarlem, aus: Georg Braun und Frans Hogenberg: Civitates Orbis Terrarum, Bd. 2. Köln 1575, Kupferstich, 34 × 47 cm

Haarlems Topos des guten situs wird durch die allgemeine batavische Landschaftsidealisierung beflügelt. Neben den schon bei Mathijszen erwähnten und in der Folge immer wieder aufgegriffenen Attributen wie der Fülle an Jagdtieren und den fruchtbaren Weiden sind es die waldigen Berge und Hügel, die auch im ausgehenden 16. und im 17. Jahrhundert Haarlem als Elemente eines besonders schönen, abgeschiedenen und nahezu arkadischen Idylls zugesprochen werden.198 Die Haarlemer Topoi konnten in ihrer profilierten Zuspitzung auf der anderen Seite geradezu prädestiniert sein, die für Holland proklamierte Schönheit der antiken, batavischen Landschaft als konkretes Exemplum zu belegen: Die sich bei Aurelius eröffnende landschaftliche Beschreibung Haarlems und seiner Bewohner wurde dem für Batavien

sequebatur Baccho dicatus, undique vitibus ulmoque consitus. Ejus loci incolae, Bacchiades olim, nunc Herlemii vocitantur, gens dura, sed aequi tenax, ubi adhuc nostra tempestate […] certissime constat ad […] veterum radices vitium inveniri.« Aurelius 1609, 113. 198 Zu der Entwicklung des locus amoenus-Topos, auch im Kontext populärer Gesangbücher des 17. Jahrhunderts, vgl. Leeflang 1995; Leeflang 1997; Leeflang 2002. Zu der Kultur der Gesangbücher vgl. auch Grijp 1992, 43 f.

iii. Der batavische Garten postulierten Bild gerecht, indem sich die Vorstellung der Haarlemer als eines alten, rechtschaffenen Volkes in einer reichen, schönen Landschaft für die Stilisierung der idealen Vergangenheit tugendhafter Bataver anbot. Haarlems eigenes Attribut der ›landschaftlichen virtus ‹199 hielt für die Ansiedlung der Bataver in Holland von vornherein die ideale Verknüpfung von Landschaft und ruhmreicher Historie bereit, um einen Bezug zwischen der goldenen Vergangenheit und der Gegenwart herzustellen. Die bei Aurelius ohnehin die batavische virtus untermauernden Haarlemer Ereignisse um Damiette, die er in seiner Defensio als Argument für Hollands Abstammung anführt, oder auch die Geschichte um Witte van Haemstede repräsentieren Haarlem, dessen Bürger allzeit »kluge, fromme Männer des Krieges«200 gewesen seien, dabei als bestärkendes Vorbild in verschiedenen Belagerungskämpfen. Die Stadt bietet einen Pars pro Toto holländischer Tugenden, gebunden an eine in mehrfacher Hinsicht ›alte‹ Landschaft, welche den Batavern wie auch den holländischen Grafen ›den Boden bereitet‹: Stand die Entwicklung der Haarlemer Landschaftsdimension im 15. Jahrhundert mit der visuellen Markierung der gräflichen Herrschaftskontinuität in einem Wechselverhältnis, so wurde sie im 16. Jahrhundert auch zunehmend von den humanistischen Tendenzen der Arkadisierung und Batavisierung der holländischen Landschaft geprägt. Vermehrt begannen historiografische Darstellungen des späten 16. Jahrhunderts, die Region um Haarlem, die von Chronisten zunächst zwar der alten batavischen Insel, aber dem den Batavern freundlich benachbarten Stamm der Kaninefaten zugeteilt worden war, als originären Teil der batavischen Landschaft aufzufassen.201 In Aurelius’ Defensio dient die Stadt Haarlem sogar als Beweis für die »wahre Lage Bataviens«, wie Aurelius sein viertes Kapitel nennt, in dem er in Berufung auf die »trefflichsten Autoren« zeigen will, dass das batavische Gebiet zu den Holländern gehöre:202 Zunächst bezieht er sich auf Cäsar, wenn er sagt, dass Batavien eine Inselprovinz sei, »von beiden Seiten vom Rhein umflossen, der auf beiden Seiten […] in den Ozean fließt«.203 Sodann will er im Anschluss zugleich beweisen, dass damit nicht die Gegend seines Kontrahenten Geldenhauer gemeint sein könne. Nachdem er Plinius zitiert, der ebenfalls von Batavien als einer

199 200 201 202

Siehe oben, 30 ff. »cloecke, vrome mannen van wapenen«. Aurelius 2011, Div. II, Kap. XXVI, fol. 49r. Vgl. Kampinga 1980, 119 ff. »Bataviae verus situs, eamque maxima ex parte ad Hollandos pertinere, probatissimorum auctoritatibus scriptorum irrefragabiliter & evidentissime demonstrantur.« (»Die wahre Lage Bataviens und dass dieses zum größten Teil zu den Holländern gehört, wird von den Erklärungen der trefflichsten Autoren ohne Widerspruch und ganz einleuchtend gezeigt.«) Aurelius 1609, 87 ff. 203 »Nam Batavia insularis est provincia, bicorni Rheno concluia, qui utraque ex parte se Oceano immergit.« Ebd., 88.

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II. Der Garten Haarlems Insel im Rhein spricht, die den sieben Stämmen der Bataver, Kaninefaten, Friesen und anderer gehöre,204 verweist er schließlich nachdrücklich auf Tacitus: »Wir werden Cornelius Tacitus anfügen, der unser wahres Batavien beschreibt. Batavia, sagt er, ist eine Insel, die vorn das Meer der Ozeane umfließt, deren Rücken und auch die Seiten der Fluss Rhein, und in der winterlichen Zeit wird sie von Wassern bedeckt. Aus diesen Worten können wir kurz und bündig ohne jedes Unrecht dieses folgern: Wie wenn welche begehren, uns Batavien zu entreißen, ist es vor allem notwendig, dass sie [d. h. die Worte, M.V.] lehren, dass die Kaninefaten ihnen [den Batavern, M.V.] benachbart sind und die äußerst gerühmte Stadt gefürchtet wurde von diesen selbst [d. h. den Kaninefaten, M.V.] und auch von den Ägyptern selbst und sogar von den Heliopolitanern; Haarlem sagen sie nun, einst riefen sie sie den Wald des Bacchus. Sodann sollen sie [die Worte, M.V.] zeigen, dass sie [die Insel, M.V.] zusammengehalten wird zwischen zwei Mündungen des Rheins (wir nennen sie Helinum und Flevum). Zuletzt sollen sie uns ebenso erklären, dass sie nichtsdestoweniger vorn vom Ozean gespült wird.«205 Im Kontext der Demonstration des »wahren Batavien« wird die alte und »gerühmte« Stadt Haarlem angeführt, um dann wieder auf die Lage Bataviens zwischen den Flüssen und dem Ozean zurückzukommen. Das allzeit »gefürchtete« Haarlem evoziert eine suggestive Projektion vergangenen Ruhmes, der für Batavien geltend gemacht wird. Bei Aurelius’ generellen Versuchen, siegreiche Momente der Holländer als batavische Tugend umzudeuten, dient erneut das holländisch imaginierte Haarlem der Beweisführung. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts nahm eine explizite batavische ›Vereinnahmung‹ Haarlems Gestalt an, indem man die batavische Dimension auf Nordholland und schließlich auf sämtliche Provinzen der Niederlande übertrug, die sich von Spanien losgesagt hatten.206 So ist Haarlem in dem 1568 verfassten und 1588 posthum erschienenen Werk Batavia des von den Generalstaaten zum offiziellen Historiografen ernannten Hadrianus Junius nicht allein ein locus amoenus – die in ihrer Größe und ihren Gebäuden

204 »In Rheno autem ipso, inquit, propecentum millia passuum in longitudine est nobilissima Batavorum Insula, & Caninefatum, & aliae Frisiorum, Caucorum, Frisiabonum, Sturionum, Morfaciorum, quae quidem Insulae sternuntur inter Helinum & Flevum.« Ebd., 91. 205 »Cornelium Tacitum jungemus, nostram in hoc veram Bataviam describentem. Batavia, inquit, Insula quam mare Oceanum a fronte, Rhenus amnis tergum ac latera ejus circumluit, & tempore hyemali aquis obtegitur. Quibus ex verbis hoc breviter citra omnem injuriam inferrre possumus, ut si qui nobis Bataviam praeripere gestiunt, doceant inprimis necessum est, Caninefates, sibi esse finitimos, urbemque ipsorum nominatissimam, & ipsis etiam AEgyptiis atque Heliopolitanis formidatam; Herlemum nunc dicunt, olim Bacchi sylvam vocitabant. Deinde vt inter duo Rheni ostia (Helinum dicimus & Flevum) demonstrent sese contineri. Postremo, nihilominus in fronte ab Oceano se ablui, aeque nobis declarent.« Ebd., 91 f. 206 Vgl. zu dieser ›Ausbreitung‹ des batavischen Reiches Kampinga 1980, 119; Langereis 2001, 206 ff.

iii. Der batavische Garten zweitrangige Stadt werde hinsichtlich der »Annehmlichkeit der Lage und der Heilsamkeit der Luft unstreitig zu den ersten gezählt«207 –, sondern auch in die Grenzen des ›großbatavischen‹ Reiches einbezogen.208 Das landschaftliche Privileg Haarlems schließt andere Ebenen des batavischen ›Nachlebens‹ nicht aus. In den den umfassenden Historienwerken beigefügten Stadtbeschreibungen und Stadtlobgedichten entwickelten sich auch für andere Städte vergleichbare Muster mit dem humanistischen Bestreben, die antiken batavischen Quellen für die Profilierung der Stadt heranzuziehen.209 Die batavisch fundierte Tugend der Bürger war ein ebenso allgemeingültiges Argument wie die ursprüngliche Schönheit des gesamten Landes. Doch konnte man mit Haarlems Landschaft im Besonderen einen für die batavische Identitätsfindung geeigneten locus amoenus mit einem festen historischen Firnis der alten Grafschaft und der bürgerlichen virtus verbinden. Wie sich diese frühen identitätsstiftenden Dimensionen der Haarlemer Landschaft gegen Ende des 16. Jahrhunderts schließlich in der Bildung popularisierender Bildformeln niederschlagen, soll die folgende Untersuchung der propagandistischen Druckgrafik aufzeigen. Die Zeichen der Haarlemer Landschaft entwickelten sich im Spannungsfeld von Projektionen der politischen Abgrenzung und Projektionen der holländischen Herrschaftstradition. Die Haarlemer Dünenlandschaft bindet Zeichen der holländischen Stärke und Grenzziehung, wie es sich etwa im Kontext der Geschichte um Witte van Haemstede herauskristallisiert,210 sie bietet einen Projektionsraum dynastischer Regentschaftskontinuität und bildet den Kern eines locus amoenus, der zunehmend mit batavischen Ursprüngen assoziiert wird. Auf der Bildebene der Widerstandspropaganda werden diese Ebenen miteinander verschnitten: In tuin-Darstellungen ist die Dünenlandschaft der abgrenzende Wall, der den Garten zum feindlich besetzten Meer hin abschirmt und die holländisch-batavische Stärke demonstriert. Zugleich ist sie auch das Fundament des umgrenzten tuin-Areals und kann so Vorstellungen von der alten gräflichen Herrschaftstradition einerseits und dem kollektiven batavischen Boden andererseits vereinen. »Klug wie ein Bataver«, so appelliert das eingangs diskutierte Lied »Adieu Haerlem schoone Stede« von Haerlem Soetendal, solle man den »friedlichen Garten« gegen den Feind verteidigen.211 Die landschaftlichen Zeichen dieses Kampfes – die Grenze und das umgrenzte Land – sollen im Folgenden betrachtet werden.

207 »Proxima ordinis, vt confessus, dignatio Harlemaeae civitati debita, postulat eam hoc loco dici, quae inter caeteras omnes amplitudine facile superior, aedificiorum cultu non postrema, situs amoenitate & caeli salubritate vel inter primas censetur.« Junius 1652, 421. 208 Vgl. ebd., Kap. XI, 217 f. Vgl. zu Junius und weiteren Historiografen Ende des 16. Jahrhunderts Kampinga 1980, 117 ff. 209 Vgl. Haitsma Mulier 1993, 100. 210 Siehe oben, 31 ff. 211 Soetendal 1618, 62. Siehe oben, Anm. 47.

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III.

Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik ›Natürliche‹ Abgrenzungen: Wasserwelt und Dünenkette Das Vakuum zwischen Wasser und Dünen ist ein Feld der Belagerung (Abb. 5): Die Massen dreier großer, dunkler Walkörper reihen sich hintereinander. Unmittelbar zieht der vorderste Wal den Blick des Betrachters auf sich, indem er in dynamisch-diagonalem Einfall das untere Viertel des Bildes besetzt und sein geöffnetes Maul zum Bildrand ragt. Dies setzt sich fort, und staffelartig gleitet der Blick zunächst von Walkörper zu Walkörper, wird trichterförmig in die Tiefe dieser Sandzone bis zu den entfernten Bootsumrissen geführt. Richtet sich die Aufmerksamkeit des Betrachters dann nachhaltiger auf das Meer, um dem Ursprung dieser Situation nachzugehen, zeigt sich ihm die Staffelung in einer zweiten Dimension potenziert: Die angelandeten Tiere werden dicht verfolgt von einer großen Gruppe weiterer Wale, die wasserspeiend, kurvig und gedrängt auf dicken Wellenbändern zu liegen scheinen und sich zum Strand bewegen. Ihre Verdichtung am linken oberen Bildrand suggeriert eine weitere Vielzahl jenseits der bildlichen Reichweite. Johan Wierix’ Stich Massastranding van potvissen bij Ter Heijde op 22/23 november 1577 (›Pottwalmassenstrandung bei Ter Heijde am 22./23. November 1577‹), der sich auf das Ereignis einer tatsächlichen Walstrandung in diesem Jahr bezieht,212 erweckt

212 Diese Massenstrandung von Pottwalen gehört zu den prominenten Walstrandungen, die sich tatsächlich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts an der holländischen Küste ereigneten. Im November 1577 gelangten 13 Pottwale vor die holländische Küste, von denen drei an Land gespült wurden und verendeten. Vgl. Müller 2003, 10 f. Müller betrachtet diese Darstellung ebenfalls unter dem Gesichtspunkt, dass hier der Eindruck einer (mit Spanien konnotierten) Invasion entsteht. Während Müller auf die Grenzüberschreitung abzielt, gehe ich im Folgenden davon aus, dass hier mit den Dünen dem Wasser auch eine starke Grenze geboten wird. Vgl. dazu auch Volmert 2012, 334 f.; diese Meinung teilt auch Müller-Wusterwitz 2007, 50 ff. Zu einer zweiten Version dieser Grafik von Wierix, der eine andere moralisierend-christliche textuelle Ebene unterlegt ist, vgl. Müller 2003, 11, der die Bildebene treffend als »visuelle[n] Widerhaken« gegenüber dieser neuen kontexuellen Vereinnahmung beschreibt.

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Abb. 5 Johan Wierix: Massastranding van potvissen bij Ter Heijde op 22/23 november 1577, 1577, Kupferstich, 34,5 × 30,5 cm, Leiden, Nationaal Natuurhistorisch Museum »Naturalis«

weniger den Eindruck einer für die Tiere verhängnisvollen Strömung als den Verdacht eines gezielten Ansturmes, dessen Front den Strand erreicht hat. In einem großen Bogen spannt sich eine bedrohliche Bewegung vom fernsichtigen Walgemenge über die Nahsicht des untersten Walkörpers hin zu den fliehenden, gestikulierenden Personen am rechten Bildrand, die aus dem Bild hinauslaufen. Ihre mögliche Zuflucht, zu der der eine mit erhobenem Arm hindeutet und der andere seinen Kopf erhebt, kann erst weiter oben erahnt werden: hohe, klippenartige Dünen. Hier beobachten Menschengruppen in sicherer Distanz das Treiben der Meerestiere. Denn es ist die in der Bildbetrachtung letzte und einzige Bildecke, die dem ›Angriff‹ entgegensteht. So erscheinen die Dünen, indem sie nicht weich in den Strand hinein auslaufen, sondern sich abrupt in die Höhe klüften, nicht allein gegen den Antrieb aus dem Wasser abgegrenzt, sondern gleichsam aufgebäumt, als hätten sie sich zu einem leicht überbordenden, zahnigen Wellenkamm zusammengezogen und erhoben. Die markante Schraffur der Sandzone, die sich zwischen den Dünen und dem Wasser wie ein Vakuum erstreckt, verstärkt den Eindruck einer Sogkraft, die in einem flutwellenartigen Zurückziehen und Auftürmen der Dünen begründet ist. Demgegenüber wirken die Wellen des Wassers, die nicht lang ausrollen als vielmehr von den Walkörpern mitgezogen zu werden scheinen, kleinteilig und schwach. So schei-

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik nen die Dünen den Menschen ›aktiv‹ Schutz zu bieten, während das Wasser eher ›passiv‹ von den Tieren als Tragfläche genutzt wird. Die holländische Inschrift, die in der linken unteren Bildecke zu sehen ist, trägt einen warnenden Ton: »Von diesen dreizehn Seemonstren versanden die drei, Womit uns Gott vor der Gefahr und Not warnte, Die uns bedrohlich war und die noch droht Durch gewisse Feinde – so groß wie Monstren.« 213 Die Wale als gestrandete »Monstren« werden damit als ein Zeichen Gottes aufgefasst, das vor den eigentlichen »Feinden«, die ebenso groß wie diese Ungeheuer seien, warnen soll.214 Mit diesen ›gewissen Feinden‹ spielen die Verse auf die drohende Gefahr des spanischen Heeres an, die zahlreiche Flugschrifttexte mit diesen Metaphern des Monströsen und Unberechenbaren umschreiben. Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts entstanden einige solcher Stiche, welche die – tatsächlich häufigen – Walstrandungen dieser Zeit dokumentierten und oft auch politisierten: Wierix’ Grafik ist eine der ersten, die bildwirksam in einer propagandistischen Flugschrift eingesetzt wurden, um den spanischen Angriff als eine monströse Invasion nahezubringen. Dabei sind auf der Bildebene im Unterschied zu dem begleitenden Inschrifttext beide »Monstren« zu einem großen, unheilvollen ›Anderen‹ vereint – das angekommen ist und ankommt, strandet und landet. Mit der landschaftlichen ›Frontenbildung‹ von Meereszone und Dünenkamm veranschaulicht das Bild jedoch zugleich auch die Lösung für die drohende Gefahr, die der Text nur impliziert: Die Stärke des eigenen Dünenlandes, das den Angriff aus dem Wasser abwehrt, verweist auf die Bedeutung der ständigen Wachsamkeit und der guten, sicheren Abgrenzung. In anderen Darstellungen erscheint der Wal auch im Begleittext explizit als bedrohliches und heimtückisches spanisches Wesen. Das Gedicht einer illustrierten Flugschrift von 1598 beispielsweise setzt nicht nur die Größe des Walkörpers mit der spanischen Truppenstärke gleich, sondern lässt den Wal zum lebendigen Ausdruck der spanischen Falschheit werden: Spanien wird mit einem grausamen, blutrünstigen Tier gleichgesetzt, das mit seinen Flossen der Scheinheiligkeit und des Meineides die Niederlande zu be-

213 »Van dees derthien seemonsters de drije versanden Waer deur ons Godt waerschouden t’perijckel en noot Dat ons was naeckende, ende noch is voorhanden Deur gheueijsde vijanden: als monsteren groot.« Vgl. Abb. 5. In der rechten unteren Bildecke ist eine französische Version zu lesen. 214 Vgl. Waal 1952, 19 f., zu älteren religiösen Deutungen solcher Naturereignisse. Vgl. auch MüllerWusterwitz 2007, 50 f.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 siegen versuche.215 So konnten Waldarstellungen in Flugschriften auf ihre Weise daran mitwirken, Geschichtsversionen einer omnipräsenten spanischen Aggressionslust zu verbreiten, deren Narrationsmuster geläufig als ›Schwarze Legende‹ bezeichnet werden.216 Seit den 1570er-Jahren, als Holland und Seeland von der antispanischen Opposition kontrolliert wurden, und vor allem seit 1581 mit der Gründung der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen wurde diese offensiv spanienfeindliche Haltung von Willem von Oranien und seinen Propagandisten massiv verbreitet.217 Es galt, den Gegner über das aktuelle Geschehen hinaus als einen ›natürlichen‹ Feind zu stilisieren, der sich in seiner schlechten Wesensart generell von den Niederländern unterscheide und nach einer Weltherrschaft strebe: Immer schon, so hebt es Willem von Oraniens Propagandist Philips van Marnix van St. Aldegonde in seiner Rede vor der Dordrechter Ständeversammlung 1572 hervor, seien die Spanier »aufgrund ihrer Natur und Beschaffenheit […] die Feinde der niederländischen Bevölkerung gewesen«.218 Mit diesem Bild einer genuinen Andersartigkeit der Spanier konnte die neu geschaffene aufständische Vereinigung der nördlichen Provinzen ex negativo als eine Art naturbedingte Einheit definiert werden – in geografischer, in sprachlicher und nicht zuletzt auch in religiöser Hinsicht war sie es längst nicht. So ermöglichte die Aktivierung des »primordialen Codes« kollektiver Identität, der in der Theorie Bernhard Giesens auf einen ›natürlichen‹, unveränderlichen Gegensatz – etwa bedingt durch Herkunft oder ›Rasse‹ – zwischen dem Eigenen und dem Anderen abzielt,219 eine definitive, einheitsstiftende Grenzziehung der aufständischen Provinzen. Aus der Abgrenzung vor dem Fremden entstand die Projektion der eigenen Leidensgemeinschaft, noch bevor sie wenige Jahre später mit der kollektiven Erinnerung an das Kriegsgeschehen sozusagen in die historische Tiefe einer Schicksalsgemeinschaft potenziert wurde. In diesem Sinne präsentieren frühe Flugschriften und Chroniken die Belagerungen und Plünderungen holländischer Städte nicht allein als Resultat einer kriegsbedingten

215 Zit. in Müller 2003, 18. Vgl. die ausführliche Besprechung dieser Flugschrift bei ebd., 15–18. Vgl. auch die Abb. in Barthelmeß/Münzing 1991, Bd. II., Nr. 17. 216 Vgl. zur Bildung der ›Schwarzen Legende‹ in den Niederlanden Pollmann 1992. 217 Vgl. Müller 2003, 144. 218 Albert Lacroix (Hrsg.): Œuvres de Philippe de Marnix de St. Aldegonde 8: Écrits politiques et historiques. Brüssel 1859, 343–354, hier 346. Zit. nach: Pollmann 1992, 74. Ebenso betonte Willem von Oranien in seiner Apologie von 1581, Spanien habe eine »natürliche Feindschaft« mit diesen Ländern, die daher nicht von einem »spanischen« Fürsten regiert werden könnten. Vgl. M. Mees-Verwey (Hrsg.): Apologie, ofte Verantwoordinghe van den Prince van Orangien (Leiden 1581). Santpoort/ Antwerpen 1923, 50 und 56. Zit. nach Pollmann 1992, 74. Pollmann untersucht das Phänomen des codierten Hasses auf die Spanier und seine Auswirkungen auf die ›Nationalisierung‹ der nördlichen Niederlande. Dabei weist sie auch auf jüngere Forschungsergebnisse hin, die herausgestellt haben, dass ein ursprünglicher Hass nicht die Ursache für den Aufstand gewesen sei. Vgl. Pollmann 1992, 75. 219 Giesen 1999, 32 ff.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Abb. 6 Frans Hogenberg: Gräueltaten der spanischen Truppen in Naarden, 30. November 1572, 1572–1575, Radierung, 21,7 × 28,5 cm, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Sign. 3.2 Geom.

Gegnerschaft, sondern auch als ein verhängnisvolles Exemplum der grausamen spanischen Veranlagung. So ist Frans Hogenbergs Situationskarte Gräueltaten der spanischen Truppen in Naarden, 30. November 1572 (Abb. 6) kein reines situatives ›Chaosbild‹ von spanischen Ausschreitungen und holländischer Gegenwehr: Die in die Stadt Naarden eindringenden spanischen Truppen gliedern die Situation. Der reitende spanische Kommandant im linken Bildvordergrund ist der Angelpunkt zweier Achsen der spanischen Gewalt, die die Stadt durchziehen. Die vertikale Achse führt über die Platzmitte, auf der zusammengetriebene Stadtbewohner von schießbereiten Soldaten sternförmig umringt werden, über einen Galgen mit drei Gehenkten hin zu einzelnen Verfolgten beim Stadttor am Horizont. Gegenüber diesen Massenhandlungen reihen sich auf der horizontalen Achse am unteren Bildrand separate Szenen der Gewalt aneinander, die sich durch eine beispielhafte Grausamkeit auszeichnen. So wird ein Haus ungeachtet seiner schreienden Bewohnerin gerade in Brand gesteckt, einzelne Männer werden niedergestochen, und eine am Boden liegende Mutter versucht, ihr kleines Kind zu bergen. Diese letzte Szene ist zentral in der unteren Bildmitte situiert, weil sie auf eine besonders nachhaltige Weise

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 die spanische Unverfrorenheit mit der holländischen Leidensfähigkeit und Tugendhaftigkeit konfrontiert.220 Das Spannungsfeld der beiden Gewaltschneisen wird jedoch im Bildausgang potenziert: Dem Ausblick des Betrachters am rechten Bildrand wirkt ein einmarschierendes Heer entgegen, gefolgt von weiteren außerhalb der Stadttore. Aus dieser Perspektive bestätigt sich rückwirkend der Eindruck, dass die gesamte Szenerie in der Stadt jenseits einer ›kriegstypischen‹ Brutalität von einer strukturierten Gewalt geprägt ist, die von einer unausweichlichen Zielstrebigkeit zeugt. Die zum Tor einmarschierenden Spanier bewegen sich als insektenartige Einheitswesen mechanisch wie auf einer Ameisenstraße, gesichtslos, vollkommen gleichförmig und überragend groß. Auch die anderen, die auf der Platzmitte die Stadtbewohner zusammentreiben und vorn ihre Waffen auf Einzelne richten, erscheinen im einheitlichen seitlichen Ausfallschritt mit erhobenen Lanzen von einer nahezu automatisierten Unerbittlichkeit. Gegenüber dieser Gesichtslosigkeit ist den Bedrängten die Individualität des verzweifelten Opfers zugesprochen. Die Städter haben schreckverzerrte Gesichter, die oft aus dem Bild blicken – selbst in der Masse der winzigen Köpfe auf dem Platz sind sie erkennbar. Ihr zusammengepferchtes Knäuel, ihr wirres Armringen, ihre runden Köpfe heben umso mehr die gerade, konforme Unausweichlichkeit der anderen hervor, die, alle vom Betrachter weggewandt, ganz auf das Erheben ihrer Lanzen und Gewehre programmiert zu sein scheinen – »wider alle kriegs ordnung und recht«, wie es in der Inschrift des Bildes heißt und auch in anderen Plünderungsdarstellungen Hogenbergs formelhaft betont wird. So zeigen Hogenbergs 1572 entstandene Grafiken,221 die eine große Verbreitung erfuhren, nicht allein eine minutiöse Reihung sämtlicher spanischer Grausamkeiten, wie sie dann vor allem in vielen nach 1609 entstehenden Bildfolgen zu einzelnen Stadtbelagerungen musterhaft aufgezählt wurden. Vielmehr eröffnen sie ein Panorama der gezielten fremden Invasion. Dieses unabsehbare Ausmaß an Zielstrebigkeit des Anderen ist in den Waldarstellungen zugespitzt. So ist die Walmetaphorik der Flugblatttexte darauf angelegt, explizit das Fremde, Unmenschliche und Blutrünstige des spanischen Wesens hervorzuheben. Doch es sind vor allem die Walbilder selbst, die mit Szenen von verdichteter und subtil unter-

220 Immer wieder war der Mut einfacher, ›natürlicher‹ Bürger mit häuslichen Tugenden gegenüber der besonderen Grausamkeit der Spanier ein Thema, sodass in der Fülle an Plünderungsschilderungen vor allem Muster herausragen, die von der spanischen Verletzung des niederländischen Haushaltes (Geburt, Heirat, Altenpflege) berichten. Vgl. Schama 1987, 87 ff. 221 Mit diesen zahlreich produzierten Grafiken, die er im Kölner Exil anfertigte, hatte Hogenberg großen Erfolg, sie wurden immer wieder in Historienwerke aufgenommen. Verschiedene Ansichten schildern eine Reihe von Gewaltexzessen und Stadtplünderungen spanischer Söldner zwischen 1572 und 1577, darunter die Plünderung Mechelens, das Blutbad in Naarden, die Massenhinrichtung calvinistischer Einwohner Haarlems nach dem Fall der Stadt 1573, das Massaker von Oudewater 1575, Straßenkämpfe in Maastricht 1576, die Furie in Antwerpen 1576. Vgl. Müller 2003, 48 f.; vgl. auch Hellwig 1983.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik wanderter Authentizität die vielen Einzelszenen der Situationskarten um die Suggestion eines unumschränkten Weitblicks auf die ›Grundformeln‹ erweitern: Das singuläre, dynamische Ereignis einer ›authentischen‹ Walstrandung ist in eine Konfrontation von Land und Meerwesen gebannt, die den Eindruck genuiner Andersartigkeit aktiviert. Die ›natürliche Feindschaft‹ offenbart sich, aller Exemplarität konkreter Ereignisse entkleidet, sozusagen a priori in der Gegenüberstellung ganz verschiedener Sphären – der des Wassers und seiner Tiere und der des Dünenlandes mit seinen Bewohnern. Im Bild des riesigen Wales, der an der holländischen Küste anlandet, kann das fremde spanische Weltherrschaftsstreben in eine übergeordnete Gültigkeit überführt werden. Die in den Situationskarten Hogenbergs betonte gleichförmige und gleichmütige Zielgerichtetheit der spanischen Heereskörper, deren Grausamkeit mehr als Automatismus denn als ›menschliches Versagen‹, mehr als eigenwillige Aktion denn als kriegsbedingte Reaktion erscheint, ist in den Walbildern jenseits aller situativen Einschränkungen generalisiert. Doch genauso stark und selbstständig ist hier die Charakterisierung des Eigenen. In der um 1600 kulturell bereits als Zeichen der virtus aufgeladenen Dünenlandschaft wird das Potenzial des Eigenen ausgelotet, das dem Fremden entgegensteht. So zeigt neben Wierix’ Illustration der Walmassenstrandung auch der Holzschnitt der 1608 entstandenen Flugschrift Ware verthooning […] 222 (Abb. 7) eine grenzmarkierende Konfrontation zwischen Wasser und Land: Ein einziger gestrandeter Wal liegt quer vor einer nur sehr blass konturierten See. So diffus sich hinter ihm Sand und Wasser aufzulösen scheinen, so deutlich erheben sich vor und über ihm mehrreihige spitze, hohe Dünen. Erst aus ihrer erhöhten Perspektive eröffnet sich der Blick auf das gestrandete Tier. Dieser Betrachterstandpunkt wird zu einem Ort der nahezu sezierenden Beobachtung der fortschreitenden Verwesungserscheinungen des Tieres. Sein Maul ist weit aufgerissen, die Zunge hängt lang heraus, die Flossen schälen sich ab, und aus der Körpermitte quellen seine Eingeweide hervor. Im Begleittext erläutert der Wal selbst seine Verwesung und präsentiert sie dabei explizit als das Ende seines inquisitorischen spanischen Wesens, das nun »krank, voll Stank auf den Strand geschmissen« sei.223 Die spanische Verderbtheit kommt prägnant zur Sprache und bestätigt sich zugleich auf der performativen Ebene, indem der sprechende Wal selbst schon wieder eine verräterische Lebendigkeit an den Tag legt, die seine Aufrichtigkeit untergräbt. Diese unheimliche Vitalität des sprechenden Toten wird in potenzierter Form ins Bild überführt: Eine bedrohliche Dynamik liegt hier nicht, wie in der Massenstrandung, in der ›frischen‹ Landung, sondern in dem allmählichen Verderben. Indem der Walkörper zu der Dünenseite und damit zum Betrachter gedreht ist, werden die Zersetzungsflüssigkeiten frontal sichtbar, die genau in der Bildmitte aus dem Walkörper ausströmen. Als ein üppiger Quell von der konzentrierten Fließkraft, die dem

222 Anonymus 1608. 223 »[…] cranck vol stanck, opt strand ghesmeten.« Ebd., 2.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 verblichenen Meer im Hintergrund fehlt, werden diese Körperflüssigkeiten von der geschwungenen Walmasse so aufgehalten und zentriert, dass sie direkt auf die vordere Dünengrenze zufließen. Parallel dazu entblättert sich hinten die Schwanzflosse, fällt vorn die riesige Zunge heraus. Die Zersetzung scheint dicht, nah und omnipräsent – und entfaltet so ihr eigenes Potenzial einer zielsicheren Kontamination. Wieder und zugleich auf andere Weise offenbart das massige Wesen des gestrandeten Wales einen ambivalenten Zustand von Schwäche und von unbestimmbar lauernder Reststärke. Auf diese Zwielichtigkeit weist auch der Titel der Flugschrift hin, in die der Holzschnitt eingefügt ist: »Wahre Darstellung und Abbildung eines toten und beinah halb verwesten Fisches, durch die See an den Strand geworfen am 20. des Monats September […]. Den Stand und die Lage des Königs von Spanien angebend und seinen Betrug beim Ausgang dieser Friedensverhandlung offenbarend.«224 Die scheinbare Friedfertigkeit, die offengelegte Schwäche und das angebliche Ende des spanischen Wales werden in dieser Schrift als Heuchelei enttarnt. Wie in vielen anderen Pamphleten nach 1600 wird hier vor dem bevorstehenden Waffenstillstand mit Spanien (1609–1621) gewarnt und zu weiterer militärischer Wachsamkeit aufgerufen.225 Es ist ebendieses misstrauische Grenzbewusstsein, an das auch das Bild selbst appelliert. So deutet es auf der einen Seite an, dass dem spanischen Wesen gerade seine Größe und Schwere zum Verhängnis werden können und sein direkter Ansturm zu einem Stillstand gekommen sein mag. Doch auf der anderen Seite offenbart es in der gärenden Unruhe des ›schlafenden Monstrums‹, welche offensiven Auswirkungen dieser Status quo noch besitzen könnte – und zeigt zugleich auf, wie dieser vergiftende Einfluss des ›kaltgestellten‹ Feindes dauerhaft bekämpft werden kann: durch eine feste, undurchlässige Grenze. Die spitzen Dünen besetzen den unteren Bildrand und wirken der Reichweite des Wales entgegen. Aus ihrer erhöhten Perspektive wird die potenzielle Gefahr erkannt und gebannt – und mit dieser Erkenntnis erschließt sich hier der Wert der sicheren Distanz. Die Dünen bieten somit einen Ort der wachenden, kontrollierenden Aussicht.

224 »Ware verthooning ende afbeeldinghe van eenen dooden ende meest half verrotten Vis / door die Zee aen der strande op gheworpen / den 20. der Maent September […] Aenwijsende den Standt ende conditie des Conincx van Spaignien ende sijn bedroch inden wtganck van desen Vrede-handel gheopenbaert«. Anonymus 1608. Noch expliziter erläutert ein Gedicht der Flugschrift Walvisch van Berckhey (1599), die ebenfalls mit einer Walstrandung illustriert ist (vgl. Müller 2003, Abb. 4), die Verbindung zwischen der Walverwesung und dem verschlagenen, brutalen spanischen Charakter, vor allem des Heerführers Francisco de Mendoza: So offenbare die verwesende Zunge des Wales, »daß die Beglaubigungen des spanischen Schelms wertlos sind. Seine Worte sind keine Worte; sie sind Gestank, Fäulnis, Brennen und Morden […]. Damit ist sein Gemüt schwanger wie der Walfisch mit faulig-stinkendem Blut.« Zit. in Müller 2003, 18. Müller 2003, 19, hebt wiederum bei der Flugschrift Ware verthooning […] zu Recht auf die bedrohliche Lebendigkeit des ›stinkenden Wales‹ ab, geht aber nicht näher auf das Spannungsfeld zwischen dem Wal und seinem Umland ein. 225 Siehe auch unten, Kap. »Grenzen und Zeitlichkeit«.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Abb. 7 Anonymus: Illustration der Flugschrift Prosopopoeia. Ware verthooning ende afbeeldinghe van eenen dooden ende meest half verrotten Vis / door die Zee aen der strande op gheworpen / den 20. der Maent September […] Aenwijsende den Standt ende conditie des Conincx van Spaignien ende sijn bedroch inden wtganck van desen Vrede-handel gheopenbaert, 1608, Holzschnitt, 16,1 × 13,5 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 In anderen Waldarstellungen, etwa bei Wierix, ist der Bildausschnitt so gewählt, dass die Strandung nach der Blickrichtung ausgerichtet ist und den anrückenden Walen eine Dünenkette entgegengestellt ist. In dieser Bildbewegung der unheilvollen Wale erscheinen die Dünen als eine letzte, unüberwindbare Barriere, die ein sicheres Grenzland bietet und, wie in Wierix’ Grafik, auch als eine aktive Gegenkraft fungieren kann. Kein Angriff erscheint in diesen Strandungsbildern, im Unterschied zu den Situationskarten Hogenbergs, somit grenzenlos gefährlich: Eine »Grenzüberschreitung«226 des Anderen – wie Karsten Müller es im Kontext dieser Waldarstellungen formuliert – thematisiert diese politisierende Bildform der Widerstandspropaganda meines Erachtens nicht oder nur bedingt. Vielmehr handelt es sich um eine Grenzziehung des Eigenen vor dem Anderen. Dem monströsen Angriff wird in der Bildpropaganda ›natürlicherweise‹ eine Grenze gesetzt. So ›natürlich‹ der Wal anlandet – und als riesiges Meereswesen die popularisierten Vorstellungen einer weltumspannenden spanischen Grausamkeit, die ihren Fokus nun auf Holland gerichtet hat, verdichtet –, so ›natürlich‹ ziehen sich dort die Sandhügel zu einer hohen Welle zusammen, um das Land vor dem Angriff abzugrenzen. Die konkreten Momente der Ausschreitung in den Belagerungsbildern Hogenbergs und die polemisch warnenden Töne der Flugschrifttexte werden mit diesen Walbildern um ein Kriegsdiagramm höherer Ordnung ergänzt, das die Stärke und Schwäche des Feindes mit der Größe des eigenen Potenzials misst und die Spannung kathartisch ausreizt. Das so hervorgerufene ›wohlige Schaudern‹ über die partiell gebannte Gefahr ermutigt zu einer selbstbewussten Abwehrhaltung: Der Wal ist übergroß und zielstrebig, doch zugleich kann ihm gerade sein ›Angriff‹ letztlich zum Verhängnis werden, sodass er mit seiner eigenen Schwere direkt an der undurchlässigen Grenze verharrt. Andererseits ist der ›Feind‹ noch nicht weit entfernt und verfügt über ein schwer kalkulierbares Potenzial – wie es gerade der Holzstich des lebendig-toten Unwesens zeigt. Umso deutlicher steht der Ambivalenz des Fremden die Sicherheit des Eigenen gegenüber: Die ›alten‹ Haarlemer Dünen sind der Ort, an dem – wie es Samuel van Ampzing in seiner Beschreibung der Belagerungskämpfe formuliert – dem Feind entgegengetreten wird,227 sie sind bereits der Ort der ›Damiette-geprüften‹ und batavischen virtus und Eintracht. So werden sie als Zeichen der holländisch-batavischen Wesensart zur Abgrenzung vom spanischen Unwesen eingesetzt. Die Belagerungsopfer der Grafiken Hogenbergs verkörpern vor allem die holländische patientia als Gegenentwurf zur überschreitenden spanischen Gewalt in vielen einzelnen exemplarischen Gesten. In den Walbildern können die propagandistischen Vorstellungen einer eigenen, festen Gemeinschaft mit der Dünenlandschaft gebündelt und über die Projektionen der virtus auch historisch untermauert werden, sodass die holländische Einheit nicht nur ex negativo definiert wird. Das historisierende

226 Müller 2003, 9. 227 Siehe unten, 177.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik virtus-Potenzial dieser Küstenlandschaft erschließt sich in dem oben unternommenen Rückblick auf die Semantisierung von lokalen Landschaftszeichen im 15. und frühen 16. Jahrhundert. Wie sehr sich die politische Semantisierung der Dünen bereits Anfang des 17. Jahrhunderts im kulturellen Bewusstsein verfestigt hat, wird in einem Bild ersichtlich, das der Dichter Joost van den Vondel in seinem die holländische Schifffahrt preisenden Gedicht Hymnvs, Ofte Lof-Gesangh, Over de wijd-beroemde scheeps-vaert der Vereenighde Nederlanden von 1613 anführt: »So, wie am Strand die Dünen uns zum Guten Den Überlauf der Fluten mit Gewalt verhindern, Wenn das wüste Meer aus seinem Abgrund bricht, Wodurch das ganze flache Land in Aufruhr gerät, So hat auch Nassau (neben Gott) in unserer Not, Um die Freiheit der Vereinigten Niederlande zu schützen, Ihre Grenzen ausgeweitet und endlich durch seine Tatkraft Den Frieden gebracht, gleich einem reichen Geschenk. O unübertroffener Prinz! O Blume von Oranien! O großer Kapitän! O Gegengift von Spanien!« 228 In seinem Lob des Statthalters und Oberbefehlshabers der holländischen Armee vergleicht Vondel das »reiche Geschenk« Maurits von Oraniens, die Grenzen der Niederlande gegen Spanien verteidigt und gestärkt zu haben, mit der Leistung der Dünen, die das Land vor Überflutung bewahren. So wird die Küstenlandschaft analog zu den bereits etablierten Landschaftsformeln der Widerstandspropaganda zu einem politischen Zeichensystem: Die holländischen Dünen werden als Antipoden einer tückisch über das Land hereinbrechenden ›feindlichen‹ See assoziiert, und die Operationen des holländischen Militärs erscheinen so wiederum als natürliche Schutzmaßnahme angesichts einer nahezu unberechenbaren invasiven Kraft.

228 »Ghelijck als aende Strangh, de Duynen ons ten goeden Beletten met gheweld den overloop der vloeden, Wanneer het woeste Meyr uyt sijnen afgrond braeckt, Waer door al ’t leege Land in rep en roere raeckt, Soo heeft Nassouwen oock (naest God) in onse allarmen, ’t Vereenighd’ Neder-landt haer vryheydt gaen beschermen, Haer palen uytghestreckt, en eynd’lijck door sijn drift Den vrede toe-ghebracht, ghelijck een rijcke gift. O onverwonnen Prince! O bloeme van Orangien! O grooten Capiteyn! O teghen-gift van Spaengien!« Vondel 1927, 443.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600

Grenzen und Territorien: Der tuin und das Dünenumland Die höchste Erhebung eines Dünenhügels am steilen Abgrund über dem Wasser ist die fragile Bastion eines umkämpften kleinen Geheges (Abb. 8). Ein großer Löwe hat sich drohend aufgerichtet, um mit seiner Lanze eine Horde von Angreifern abzuwehren, die jenseits der Zaungrenzen die Anhöhe belagern. Wilde Schweine sind aus dem Wasser an Land gekommen, zerwühlen den Boden und greifen die dort grasenden Lämmer an, umzingeln das abgegrenzte Terrain und versuchen, über das Gatter zu springen. Die Wappen und Fahnen, die an dieser Umzäunung befestigt sind, markieren das umzingelte Areal als das Gebiet der aufständischen nordniederländischen Provinzen. Der zügellose Ansturm von außen steht im Zeichen des spanischen Feindes: Am oberen Abhang trägt eines der Schweine das Banner Albas. Mit dieser Konstellation überzeichnet die um 1578 entstandene Pamphletillustration die in den 1570er-Jahren prägende Situation spanischer Stadtbelagerungen in einer mit den zeitgleichen propagandistischen Walstrandungsdarstellungen vergleichbaren Weise. Die spanische Seite erscheint als ein fremder, monströser Eindringling in die feste Ordnung der nordniederländischen Eintracht. Doch zugleich bietet hier das Zeichen des tuin, des umzäunten Gartengeheges, eine komplexere Art der politischen Grenzziehung: Im Unterschied zu den Walstrandungsdarstellungen, die nicht ausschließlich im Rahmen politischer Flugblätter entstanden, war der tuin, der die Gemeinschaft der Nordprovinzen markierte, ein exklusives Zeichen der Widerstandspropaganda. Seine runde Grundform war bereits aus holländischen Grafensiegeln und Münzen des 15. Jahrhunderts als eine traditionelle Bezeichnung des Herrschaftsgebietes bekannt.229 Ende des 16. Jahrhunderts wurde sie unter anderen Vorzeichen in der aufständischen Druckgrafik eingesetzt.230 Doch oftmals wird in dieser Reformulierung aus dem einfachen, isolierten Gartenemblem eine komplexe Gartensituation. So ist der neue tuin nicht allein ›gefüllt‹ – meist vom Löwen, dem Wappentier der Vereinigten Provinzen,231 oder der Hollandia, der Personifikation Hollands; vielmehr füllt er auch selbst eine holländische Landschaft, in der er mit einem äußeren Angriff konfrontiert wird. Durch diese Umformulierung wird das aufständische Gebiet zum einen ex negativo aus seiner aktuellen aufständischen Angriffssituation heraus als eine feste, vom Außen abgegrenzte Einheit begriffen. Zugleich aber wird es auch positiv über die territoriale Dimension des alten tuin-Emblems aus seiner dynastischen Kontinuitätsgeschichte heraus definiert: Mit diesen landschaftlichen Bildformeln konnte gerade in der Zeit nach der ersten Vereinigung der nördlichen Provinzen in der Union von Utrecht (1579) die

229 Zur Entwicklung dieses tuin-Motivs vgl. Winter 1957. 230 Vgl. zu der Verbreitung und den Bildstrategien dieses Motivs in der Widerstandsdruckgrafik Müller 2003. 231 Vgl. zur Symbolik des Löwen Deisel 1999, 117; Müller 2003, 100; Scheller 1995, 50 f.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Abb. 8 Anonymus: Houdt op in mijn tuin te wroeten Spaanse varkens!, um 1578, Radierung, 23,5 × 29,3 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

Vorstellung eines alten, in der Grafschaft Holland verwurzelten Landes erzeugt werden, dessen Privilegien es gegenüber einem unrechtmäßigen spanischen Angriff zu verteidigen galt. Als Ergänzung zu den Walstrandungsillustrationen, die in erster Linie auf den »primordialen Code« der ›natürlichen Feindschaft‹ zielten,232 aktivierten die tuin-Bilder umso stärker den »traditionalen Code« kollektiver Identität, der in der Theorie Bernhard Giesens die Gegenwart auf ein »Kontinuitätsmuster« der gemeinsamen Geschichte bezieht.233 In dem Begriff des vaderland, der von Willem von Oranien und seinen Räten propagiert wurde, fand der tuin sein sprachliches Pendant.234 Dieses alte Herrschaftsgebiet der

232 Zu Giesens Begriff des »primordialen Codes« siehe oben, Anm. 219. 233 Vgl. Giesen 1999, 42 f.: »Entscheidend ist dabei nicht die tatsächliche Kontinuität zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern der Versuch, die eigene Gegenwart in ein solches Kontinuitätsmuster einzureihen und damit zu begründen. Auf dem Umweg über die Vergangenheit, die selbst wieder eine Projektion der Gegenwart ist, konstruiert eine Gemeinschaft ihre kollektive Identität als Kontinuität.« 234 Vgl. zu diesem Begriff Mout 1988, 171 f.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 gräflichen Vorväter war eine dehnbare Projektionsfläche kollektiver Zugehörigkeit: Mit der Vergangenheit als einer bindenden Konstante konnte die Unabhängigkeit von Spanien ›traditional‹ legitimiert werden. Andererseits konnten sowohl innere Differenzen als auch äußere Grenzunsicherheiten und Veränderungen weitgehend ausgeblendet werden. So heißt es beispielsweise in einem Pamphlet von 1573, das sich an die »Mitbrüder« der südlichen Provinzen wendet: »Denn, auch wenn es so ist, dass wir durch die Bosheit der Zeit und besonders durch den bitteren Hass, die Missgunst und die Böswilligkeit einiger Fremder voneinander in dieser Zeit getrennt sind und durch ihre Bösartigkeit und gewissenlosen Praktiken gegen unseren Willen in Kämpfe und Krieg geraten sind; so hoffen wir nichtsdestoweniger auf Euer Urteilsvermögen und auf die natürliche Neigung zum Vaterland, die uns allen im Mutterleib angeboren und in uns verwurzelt ist, dass Ihr nimmermehr die gutwillige und freundliche Treuherzigkeit vergessen können werdet, die wir uns gegenseitig hier früher immer entgegengebracht haben und noch entgegenbringen, vor Gott und vor allen Menschen schuldend […].«235 Die angeborene, »natuerlicke ghenegentheyt des Vaderlants« garantiert eine überkonfessionelle Eintracht: Ihr kann ein gemeinsamer Feind gegenübergestellt werden, der somit in erster Linie auch nicht als katholisch, sondern vielmehr als heidnisch, dämonisch oder einfach als fremd charakterisiert wird.236 Spanienfreundliche Niederländer werden dementsprechend auch nicht als Katholiken, sondern allenfalls als ›Papst- und Kriegsknechte‹ bezeichnet und zur Treue gegenüber ihrem vaderland aufgerufen. So wendet sich ein 1568 erschienenes Pamphlet mit dem Titel Vermaninghe aen die gemeyne Capiteynen in polemischer Unschärfe gegen die Undankbarkeit der ›Papstknechte‹ gegenüber ihrem ›eigenen Vaterland‹: »Was habt Ihr doch empfangen, das Ihr nicht Eurem lieben Vater und Eurer lieben Mutter und Eurem lieben Vaterland schuldig seid?«237 Zahllose solcher 235 »Want, al ist sake, dat wy door die boosheyt des tijds ende insonderheyt door den bitteren haet, misgonsticheyt ende quaetwillicheyt eeniger vremden, van elckanderen voor desen tijt afghesondert zijn, ende door haer archeyt ende schalcke praktijken, in crijgen ende oorloge, teghens onsen wille […] gheraect; des niet te min verhopen wy op U. L. discretie ende op de natuerlicke ghenegentheyt des Vaderlants, die ons allen van moeders lijve aengeboren ende inghewortelt is, dat ghylieden nemmermeer en sult connen vergheten die goetwillige ende vriendelicke trouherticheyt, die wy deen den anderen hier voortijts altijd hebben toeghedragen, ende noch toedraghen, voor Godt ende voor alle menschen schuldich […].« Copie eens Sendtbriefs der Ridderschap, Edelen ende Steden van Hollandt aen die Staten van den Lande van Herwaerts overe […] (12. September 1573). In: Fredericq 1907, 55. 236 Vgl. Pollmann 1992, 87. Pollmann hebt hervor, dass nicht der reine katholische Glaube kritisiert wurde – nicht zuletzt, um auch die Katholiken der nördlichen Provinzen nicht abzuschrecken –, sondern immer wieder der spanische (letztlich heidnische oder gar teuflische) Missbrauch des Glaubens angeprangert wurde. 237 »Wat hebt ghy doch ontfangen, dat ghy niet schuldich en sijt uwen lieven vader ende moeder, ende uwen lieven vaderlande?« Vermaninghe aen die gemeyne Capiteynen (1568). In: Fredericq 1907, 43.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik Fragen reihen sich aneinander und suggerieren, wie frevelhaft und unverständlich ein Auflehnen gegen die eigenen familiären Wurzeln sei. Das vaderland wird dabei im semantischen Feld der Elternliebe zur Keimzelle jeglicher Obhut stilisiert. So führt der Text die Fürsorge der Eltern, die ohnehin eine natürliche Dankbarkeit einfordere, auf die »Früchte, Köstlichkeit, Erträge und Privilegien Eures lieben Vaterlands«238 zurück: »Aber diese [Vater und Mutter, M.V.], wie hätten sie Euch nähren […] und beschützen können, wenn sie der Wohltaten Eures lieben Vaterlandes beraubt gewesen wären? Haben nicht hierzu geholfen die klaren Flüsse? Die reinen Quellen? […] Die grünen Weiden? Die anmutigen Haine? […] Das friedfertige Zusammenwohnen der Nachbarn? Der reiche und in Rechtschaffenheit betriebene Kaufhandel? Die Fortschritte der Justiz? Die Bestrafung der Bösen? Das Beschützen der Unschuldigen? Die günstigen, köstlichen, herrlichen Privilegien, Euch und Euren Vorfahren unter Gefahr für Leben und Gut von Kaisern, Königen und anderen Eurer natürlichen Herren und Fürsten vergönnt?«239 Die »Wohltaten« des vaderland scheinen ursprünglich aus seiner Landschaft hervorzugehen. Aus ihren fruchtbaren Wurzeln, so suggeriert es die Aufzählung, wird eine Gesellschaft genährt und gehegt, die sich durch friedfertiges Zusammenleben, Wohlstand und schließlich soziale Gerechtigkeit auszeichnet – ummantelt nicht zuletzt wiederum durch die von den »natürlichen Herren« gegebenen Privilegien. Damit schließt sich der Kreis der Aufzählung: Die eigene Landschaft als ›nationale‹ Heimat und die früheren Regenten als ›nationale‹ Eltern bilden den natürlichen und kulturellen Rahmen jeglichen gesellschaftlichen Gedeihens. Dieser Konnex weist auf die dynastische Tradition der Haarlemer Landschaftsdimensionen:240 Die frühen holländischen Landschaftszeichen entwickelten sich im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Projektionen der Abgrenzung und Projektionen der holländischen Herrschaftstradition. Diese Entwicklung konnte auch in den im ausgehenden 16. Jahrhundert geführten Diskurs um das holländische vaderland und die landschaftliche Reformulierung des tuin als einem visuellen Parallelphänomen einfließen. Mit der Zeit wurden vaderland und tuin auch zu einer Projektionsfläche der batavischen Vorvergangenheit – mit dem Volk der batavischen Vorfahren konnte die breite 238 »[…] vruchten, costelycheyt, profyten ende privilegien uws lieven Vaderlants«. Ebd., 44. 239 »Maer dese, hoe souden sy u […] gheneert, […] ende beschermt hebben, soo sy berooft hadden geweest van de weldaden uws lieven Vaderlants? Hebben niet hier toe geholpen die schoone rivieren? die clare fonteynen? […] die groene weyden? Die lustighe bogaerden? […] die lieflycke byeenwooninghe der nabueren? den rycken ende in rechtverdicheyt ghedreven coophandel? die vorderinghe van de justitie? die straffe der boosen? die bescherminghe der onnooselen? die profijtelijcke, costelycke, heerlycke Privilegien, u ende uwen veurouders met groot perijckel lijfs ende goets van Keysers, Coningen ende andere uwe natuerlycke Heeren ende Vorsten vergunt?« Ebd. 240 Siehe oben, Kap. »Der gräfliche Garten«.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Masse der Aufständischen gleichgesetzt werden: Vor allem während des Zwölfjährigen Waffenstillstandes (1609–1621) wurde der zurückliegende Widerstand gegen Spanien in einen sinnstiftenden Zusammenhang mit dem batavischen Unabhängigkeitskampf gegen die Römer gestellt.241 Doch bevor diese Historisierung des Aufstandes einsetzte und den ›traditionalen Code‹ kollektiver Identitätsstiftung erweiterte, war es vor allem die Rückbesinnung auf die burgundische Herrschaftstradition und die ältere dynastische Linie der holländischen Grafen, die die Kontinuitätsprojektion des vaderland und des tuin konstituierte. In einem Pamphlet von 1574 beispielsweise wird die »Liebe« und »Treue« der Grafen zu ihrem »Volk« hervorgehoben, und der burgundische Regent Philipp der Gute wird als »Vater des Vaterlands« und »Hirte des Volkes«242 bezeichnet. Mit dieser Gleichung einer ›natürlich‹ gewachsenen, gerechten Beziehung zwischen Regenten und Volk operieren viele zeitgenössische Flugschriften und Historienwerke. Sie sprechen von einer ehemals fundierten, harmonischen Vereinigung von den Generalstaaten und dem ›Volkshirten‹, um darauf zu verweisen, dass erst die habsburgischen Herrscher, vor allem Philipp II., die alten Privilegien der Städte und die Freiheit der Generalstaaten beschnitten und demgegenüber ihre eigene Macht ausgebaut hätten. So konnte der Aufstand gegen Spanien zu einer Rückeroberung der eigenen Rechte umgedeutet werden.243 Dabei war es nicht in erster Linie von Interesse, diese alten Privilegien inhaltlich zu spezifizieren und ihre tatsächliche Neueinführung zu konkretisieren.244 Es ging vielmehr darum, mit dem historischen Garanten der dynastischen Tradition den ›kontrapräsentischen‹ Mythos245 einer besseren Zeit zu entwerfen, der die einheitsstiftende Idee einer gemeinsamen alten Ordnung implizierte, die von den Spaniern zerstört worden war. Genealogische Werke und serielle Grafenbildnisse sollten die Linearität dieser Herrschaftstradition ins kollektive Gedächtnis rufen. 1578 wurden die alten Haarlemer Grafenporträts (Taf. 2), die bislang im Haarlemer Karmeliterkloster hingen, ins Haarlemer Rathaus umgehängt.246 So konnten sie nicht allein vor einem möglichen Bildersturm im 241 Siehe unten, 96 ff. 242 »Ende hier wt is die groote ende onderlinghe liefde ende ghetrouwicheyt gecomen die de Princen deser Nederlanden den volcke toeghedragen hebben, ende wederom het volck heuren Landes heeren. Waer van voornamelick een […] exempel in de persoon des goeden Hertoghes Philippi ghebleken is, de welcke eerst dese Nederlanden in eenen lichame te samenvoechde […] Ende versamelde soo dickmael als het noodich was alle de Staten int generael, hun altesamen even ghelijck betoonende een Vader des Vaderlandes, ende een Herder des volcx te zijne«. Marnix de St. Aldegonde 1574, 32; 37. 243 Wie Judith Pollmann herausgestellt hat, spielten konfessionelle Argumente in diesen Diskursen eine weitaus geringere Rolle. Innerhalb des in konfessioneller Hinsicht keineswegs einheitlichen Aufstandsgebiets konnte vielmehr gerade der Verweis auf das vaderland und auf die Verletzung der alten Privilegien durch die Spanier eine größere einheitsstiftende Wirkung erzielen. Vgl. Pollmann 1992, 89 f. Allgemein zu den propagandistischen Pamphleten vgl. auch Kossmann/Mellink 1974, 92. 244 Vgl. Woltjer 1975, 34; vgl. auch Marsilje 1995, 37 ff. 245 Siehe zu Assmanns Begriff der ›kontrapräsentischen Funktion‹ eines Mythos oben, Anm. 176. 246 Vgl. Bueren 1997, 77. Zu den Grafenporträts siehe auch oben, 39–43.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

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Kloster bewahrt werden, sondern zugleich auch dazu beitragen, dass das politische Zentrum der Stadt als ein historisches Zentrum Hollands wahrgenommen wurde. Gerade Haarlem begann nach seiner Niederlage in der spanischen Stadtbelagerung (1572/73), seine ruhmreiche Vergangenheit als mittelalterlicher Grafensitz wieder nachhaltig zu kultivieren.247 Weitere Grafenporträts entstanden im Haarlemer Wirkungskreis, unter anderem fertigte Hendrick Goltzius eine Porträtserie der Grafen Hollands und Zeelands an, die in verschiedene historiografische Werke aufgenommen wurde. 1578 veröffentlichte Michiel Vosmeer seine genealogische Porträtgalerie der Principes Hollandiae Et Zelandiae, Domini Frisiae, die mit Grafiken von Philips Galle ausgestattet war.248 Eingeleitet wird sie von einem tuin auf der Titelseite (Abb. 9). Ist der Garten in den zahlreichen Flugschriften dieser Zeit meistens in einer landschaftlich eingebundenen AngriffsAbb. 9 Philips Galle: Frontispiz von konstellation zu sehen, so erscheint er im offizielleren Michiel Vosmeer: Principes Hollandiae Et repräsentativen Rahmen von solchen Titelblättern, Zelandiae, Domini Frisiae. Antwerpen 1578, aber auch von öffentlichen Bauten oder Medaillen als Kupferstich, 25 × 16,5 cm, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, isoliertes Emblem. Ohne die Angriffssituation, so Sign. H: T 985.2° Helmst. doch aber mit dem Löwen der aufständischen Provinzen als ›neuer‹ tuin gekennzeichnet, markiert er die Existenz eines einheitlichen, geschlossenen vaderland. Auf Vosmeers Titelblatt kann dieser tuin die Herrschaftsfolge der holländischen Regenten in einer höheren Sinnordnung umfangen: In den Grenzen des gräflichen Herrschaftsraumes ist das Land der Hollandia entstanden. Sie trägt noch das historische Gewand des früheren Grafenhauses, doch sie präsentiert das neue Wappen des holländischen Löwen. So ist sie mehr als nur eine neue Herrscherin – sie ist das Land der Vereinigten Provinzen selbst, sie bezeichnet gewissermaßen den Anfang und das Ende und bildet die vollendete Rahmung der Dynastienkette der burgundischen und habsburgischen Grafen. Schafft die Haarlemer Dünenlandschaft in der alten Grafenporträtserie von 1485 den imaginären Raum einer linearen Abstammung,249 so ist es in Vosmeers Genealogie der

247 So schärfte die Stadt ihr spezifisch holländisches Profil zum Beispiel, indem an den Fassaden neu errichteter Stadtbauten programmatisch das tuin-Emblem angebracht wurde. Siehe unten, 111 f. 248 Vgl. zu diesen Haarlemer Grafenporträts Jong 1997, 84. 249 Siehe oben, 39 ff.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 tuin, der das feste Territorium der holländischen Tradition beschreibt. Welches Spannungsfeld entsteht, wenn diese beiden landschaftlichen Zeichen in den tuin-Konstellationen der Flugschriften (Abb. 2, 8) strukturell miteinander in Verbindung treten, indem der tuin in eine Dünenlandschaft eingebunden wird? Vor dem Hintergrund der vorangehenden Überlegungen zu den identitätsstiftenden Projektionen einer ungebrochenen, erst von den Spaniern zerstörten Herrschaftstradition des vaderland sollen diese landschaftlichen Formeln noch einmal genauer in den Blick genommen werden. Es konnte bereits konstatiert werden, dass die Düne als dynastisch konnotiertes Zeichen den ›traditionalen Code‹ mitaktivieren kann. Doch sie fungiert meines Erachtens nicht allein katalytisch; vielmehr ist das Umland des tuin auch in einem komplexeren Sinne bildwirksam: Durch die Verschränkung von Gartengehege und umgebender Landschaft kann die genuine Statik des tuin mit der narrativen Dynamik des Angriffs verknüpft werden. Das gräfliche Signum ist zu einem ›Kampfgarten‹ geworden. Mit landschaftlichen Mitteln wird hier eine Grenzsituation erzeugt, im Vergleich mit dem polaren Schema der Walstrandungen ist die Spannung jedoch komplexer und subtiler. So ist die selbstverständliche Ausschließlichkeit des Gartens, der auf den ›staatstragenden‹, offiziellen tuin-Siegeln erscheint, hier infrage gestellt. Zwar befinden sich die spanischen Angreifer jenseits des Gartenzauns, doch sind sie – im Unterschied zu den gestrandeten Walen – nicht mehr nur vor den Toren des Landes. Sie sind bereits in die Dünenlandschaft eingedrungen, denselben Boden, auf dem der Garten angelegt ist – und der als altes holländisches Terrain eigentlich gänzlich vom Zaun umschlossen sein müsste: Durch die Kreuzung der beiden Landschaftsformeln tuin und Düne entsteht somit der Eindruck, dass die gegenwärtigen Grenzen des Gartens nicht mit seinen natürlichen Grenzen übereinstimmen, dass – angesichts des Angriffs – eine Verschiebung stattgefunden hat. Die Reichweite des tuin erscheint somit eingeschränkt, indem dieser sich nicht mit dem ganzen Dünenland deckt, sondern auf einen (noch) geschützten ideellen Kern begrenzt ist. Aus dieser Perspektive wirkt der Angriff der Schweine (Abb. 8) in doppelter Hinsicht zerstörerisch: Denn neben dem direkten Ansturm auf den Zaun kann die Geschlossenheit des Gartens auch dadurch unterwandert werden, dass sein Fundament abgetragen wird. Das auf den ersten Blick chaotisch anmutende Wüten der Tiere, die die Wurzeln des Umlandes herausreißen und davontragen und die grasenden Lämmer angreifen, erweist sich demnach als zielstrebiger Versuch, den Garten auch von außen zu erodieren. Wird dieser spanische Belagerungszustand nicht mit vereinten Kräften von Grund auf bekämpft, droht die ideelle Einheit der nördlichen Provinzen auseinanderzubrechen. Meines Erachtens ist in der Widerstandspropaganda somit nicht allein das neu ausgestattete tuin-Emblem für die Projektion eines gefestigten Landes von Bedeutung. Vielmehr ist es diese tuin-Landschaft-Konstellation, die in vielen Flugschriften am Mythos der einstigen natürlichen Herrschaftseinheit mitwirkt, welche nun gestört, eingeschränkt und bedroht ist. Auf diese Weise wird die Vorstellung der legitimierten Rückeroberung eigenen Terrains bedient: Erst wenn im Kampf gegen die Belagerer die ganze Landschaft

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik für den Garten der alten holländischen Privilegien zurückgewonnen ist, ist die Natürlichkeit der alten Herrschaftsverhältnisse wiederhergestellt. So wird in diesem Landschaftssystem die besondere Spannung zwischen den Idealen alter Herrschaftsprivilegien und holländischer Eintracht auf der einen Seite und dem realen Belagerungszustand und der konkreten Unsicherheit über die bestehenden Grenzen auf der anderen Seite sinnstiftend aufgefangen. Der eingeschränkte Garten verdichtet die vage Situation der heraufbeschworenen holländischen Einheit, deren Schicksal letztlich von der Basis des konkreten Kampfes bestimmt wird: Die Integrität des Gartenideals hängt von der Stabilität des belagerten Dünenlandes ab. Die spanischen Belagerungen und Plünderungen von holländischen Städten waren in der Tat eine zermürbende Taktik, um den Provinzbund an seiner Basis zu schwächen. Die tuin-Landschaft-Konstellation zeigt die Gefahren und den höheren Sinn dieses erpressenden, konstanten Belagerungszustandes auf und appelliert implizit an die bürgerliche Standhaftigkeit, an die Besinnung auf das ›liebe Vaterland‹, wie es in den Flugschriftentexten heißt. Eine feste holländische Einheit kann demnach erst dann wirklich wachsen und gedeihen, wenn die äußere spanische Demoralisierung und Destabilisierung erfolgreich bekämpft werden. Tatsächlich greifen manche späteren tuin-Darstellungen die hier evozierte Vorstellung der Gartenausdehnung auf, um dann auch auf die gewachsene Stabilität der nördlichen Provinzen hinzuweisen. So zeigt beispielsweise das Titelblatt der 1617 entstandenen Flugschrift Maechts antwoort […] (Abb. 2) einen breit und fruchtbar in die Dünen gebetteten Garten, der dem äußeren Feind kaum noch Raum lässt. Die Anerkennung des Status quo während des Waffenstillstandes spiegelt sich in diesem ausgedehnten, ›landschaftlicheren‹ Garten wider, in dem ein ›Oranje-Bäumchen‹ gedeihen und Hollandia thronen kann. Er markiert bereits ein festes, nutzbares eigenes Terrain, das nicht mehr dem direkten Angriff als vielmehr der bedachten Annäherung des Spaniers ausgesetzt ist. Durch die Dünenlandschaft sind in den tuin-Bildern Ebenen der bürgerlichen virtus und des gräflichen situs miteinander verschnitten.250 Darüber hinaus wird die neue, alte holländische Einheit nicht allein heraufbeschworen, sondern durch das asymmetrische Grenzverhältnis von Garten und Umland auch mit der Gegenwärtigkeit des ›beschnittenen‹ Landes konkretisiert. Mehr noch erscheint dieses Dünenumland auf einer weiteren Ebene als ein von der grenzziehenden Feindbildzeichnung letztlich unabhängiges Fundament: Denn aller Bedrohlichkeit trotzend ist dieses Dünenland eine selbstständige und sichere Instanz. Selbst wenn die Feinde den Garten überwältigen und seine Zäune niederreißen würden, wäre dieses holländische Fundament noch da – und der tuin könnte darauf wieder neu entstehen. So ist diese Landschaft mehr als eine beliebige Rahmung des Gartens. Sie bezeichnet das ursprünglich fruchtbare vaderland, das dem ›elterlichen‹ Gar-

250 Zu der Semantik der Haarlemer virtus und des Haarlemer situs siehe oben, Teil II, »Der Garten Haarlems«.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 ten der ›natürlichen Herren‹ zugrunde liegt und auf dem die holländischen Tugenden, an die so viele Pamphlete appellieren, gedeihen. Diese Landschaftszeichen stellen einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung spezifisch holländischer Identität dar, indem sie ein eigenes, über die Abgrenzung vom Feind hinausgehendes Bild Hollands erzeugen. Es ist deshalb auch diese den Garten einbettende Landschaft, die in einem propagandistischen ›Anti-tuin‹ instrumentalisiert wird: In der Grafik Modernus rebellantis Hollandiae status (Abb. 10), die die Torheit der Vereinigten Provinzen thematisiert und einen Text illustriert, der eine unumschränkte Rückwendung zu Spanien fordert, ist es gerade das landschaftliche Fundament des Gartens, an dem die Situation der Provinzen letztlich festgemacht wird. So liegt deren nahezu ausweglose Lage, die dieser Stich als Folge holländischer Uneinsichtigkeit und Verblendung suggeriert, genau darin, dass sie ihren schützenden Boden verloren haben: Der Garten der Provinzen ist als eine Insel abgedriftet – umgeben nicht von einem Zaun, sondern umflutet von Wasser und nur noch an einer kleinen Stelle mit dem Festland verbunden. Die Grenzsituation wird auf diese Weise satirisch in ihr Gegenteil verkehrt. So wird die ideelle Einheit des tuin zu einer Farce, indem ihr Fundament längst abgegraben ist. Das ›spanische Wasser‹ umgibt die Insel, und das Land selbst gehört nicht mehr den Holländern. Längst ist es von den Spaniern erobert, die nun auch die letzte ideelle Integrität unterwandern. Am Ufer des Festlandes steht der Oberfeldherr Ambrogio Spinola mit seinen Soldaten und entzündet das Flachsbündel Hollandias, welches das holländische Volk symbolisiert,251 zu »Aufruhr und Meuterei« gegen die Politik des Provinzbundes; vergeblich versucht Maurits von Oranien, das Feuer mit seinem Helm zu ersticken. Die Reichweite der Macht Spinolas, der zu dieser Zeit (1606) die Republik von Osten aus bedrohte, ist so groß, dass ihre subversive Kraft auch noch die Kernzone erreicht, die sich in eine aussichtslose und illusorische Isolation geführt hat – Spinolas dirigierter Lichtstrahl kann hier den Funken der Konterrevolution entzünden. Hollandia selbst ist bereits in ein verblendetes, sinnloses Treiben verfallen: Neben ihr ein Narr, um sie herum die mehrköpfige Schlange der Ketzerei, arbeitet sie weiter am Spinnrocken des Hochverrats, ohne zu merken, dass das produzierte Garn vom Eichhörnchen – gekennzeichnet als »Landesverräter« – aus der Staatskasse (»Aerarium«) entwendet wird. Grotesk erscheint demgegenüber der Löwe, der sein Schwert nicht mehr erhoben hat, sondern sich, einem resignierten Narren gleich, unten am Spinnrocken der Staatsfeindschaft und des Hochverrats niedergelassen hat und die Pfeile der Provinzen abwärts gerichtet hält. Wie tief das Land gesunken ist, deutet neben ihm auch die am Sockel angebrachte und mit ihren Buchstaben in vier Richtungen weisende Inschrift »Bassi« an, welche die »Niederen« Lande mehrsinnig charakterisiert. Auch

251 Ein »Deficit« genanntes Band weist das Flachsbündel als Verbund der ›Abtrünnigen‹, also der holländischen Bürger, aus, die sich zu Spinola bekennen. Vgl. zu dieser Symbolik der Grafik auch im Folgenden Müller 2003, 142 f.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Abb. 10 Anonymus: Modernus rebellantis Hollandiae status, 1606, Radierung und Kupferstich, 36 × 26,5 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 die Bildlegende H unter dem Löwen spricht vom »schwachen und ungehörigen Fundament«, auf das sich die »gottlose Gemeinschaft der meineidigen Rebellen« gründe.252 Dass dieses Fundament hinfällig ist, bestätigt sich nachhaltig in dem fortgeschwemmten Festland. Gerade die landschaftliche Situation macht vielmehr noch als die kleinen Bildsymbole diese ausweglose Situation der Niederlande deutlich: Durch ihre Haltung, so scheint es hier, haben sich die Holländer selbst das Land abgegraben. Die breite Basis des Volkes ist auf spanischer Seite – und damit ist den Provinzen buchstäblich der Boden entzogen. Es geht auch hier, allerdings im negativen Sinne, um die Beziehung der politisch-ideellen zur realen Grenzziehung. Der tuin wird als ein leeres, ideell verblendetes Konstrukt entlarvt, das jegliche Grundlage verloren hat: das konkrete Land und seine Bewohner sowie letztlich auch die ideelle Spitze selbst. Indem sich die Führung der nördlichen Provinzen immer weiter in ihrem Terrain abgrenzt und die prekäre Lage nicht einmal erkennen will, driftet sie ab, wird bereits feindlich unterwandert und verliert nur an Stärke, Grenze und Glaubwürdigkeit. Ein weiteres Beharren auf den Idealen des Provinzbundes, so suggeriert es die Darstellung, würde endgültig dazu führen, dass der ohnehin nur noch virtuell existierende Bund Hollandias buchstäblich unterginge. Die Bedeutung, die das Umland des tuin in der tuin-Argumentation einnimmt, um den Sinn und das Ziel des realen Widerstandes zu vermitteln, bestätigt sich am Negativbeispiel dieses ›Antituin‹. Noch in den 1620er-Jahren greift der Dichter Joost van den Vondel auf diese landschaftlichen Zeichen zurück, wenn er im ersten Vers seines Klinckdicht op Frederick Hendrik die Situation des vor dem endgültigen Sieg gegen Spanien noch geschwächten Landes in dem Bild eines halb überfluteten und morastigen tuin in den Dünen veranschaulicht: »Noch lebt, zum Heile Hollands, der Wächter des Gartens, Gebrochen, durch und durch, mit tiefen Wasserlachen, Hier umgrenzt mit Strömen und da mit seinen Sümpfen Und dort mit der sich in die Dünen wogenden See.« 253

252 »Het boos ghevvelt ende die ongoddelijcke versaeminghe der meyneedige rebellen is, eylaes, ghefondeert op een broos ende onbehoorlijck fondement, […].« Siehe die Inschrift in Abb. 10. Vgl. zum Text und einzelnen Symbolen in der Flugschrift Müller 2003, 142. 253 »Noch leeft, tot Hollants heyl, de Wachter van den tuyn, Gebroken, door en door, met diepe waterplassen, Met stroomen hier omheynt, en daer met syn moerassen, En ginder met de zee, zich wentelende in duyn. […]« Joost van den Vondel: Klinkdicht op Frederik Hendrik (um 1625). In: Vondel 1870, 190.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Resümee: Das Potenzial der Landschaftsgrenzen Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts wurde das Neben- und Miteinander verschiedener lokaler und regionaler identitätsstiftender Stränge – heroische Stadtmythen, die Grafenherrschaft und die batavischen Vorfahren – mit dem Fluchtpunkt des nordniederländischen Widerstands weiterentwickelt. Mythen oftmals regionaler und lokaler Größenordnung wurden auf die kollektivierenden Parameter der natürlichen und traditionalen Abgrenzung ausgerichtet und zu größeren Einheiten verknüpft, bei denen sich aufgrund der wichtigen Stellung der Provinz Holland ein holländischer Schwerpunkt abzeichnete. Die Haarlemer Dünenlandschaft als eine diskursive Schnittfläche verschiedener Mythen um gräfliche Abstammung und bürgerliche virtus wird in diesen Prozessen im fluktuierenden, experimentellen Rahmen der Widerstandssemantik eingesetzt: Wie die vorangehenden Betrachtungen gezeigt haben, können mit den landschaftlichen Zeichen generalisierende Bilder des spanischen Angriffs und der holländischen Verteidigung geschaffen werden, die die aktuellen Geschehnisse als sinnstiftende Einheiten einer höheren historischen Ordnung konturieren können. Sie erweitern die in den Situationskarten produzierten Vorstellungen der holländischen Leidensgemeinschaft, die sich in erster Linie ex negativo aus der spanischen Grausamkeit definiert, um die Idee einer eigenwertigen, historisch fundierten holländischen Eintracht. In den Walstrandungsdarstellungen wird diese Eintracht als eine positive Verteidigungskraft gegenüber dem spanischen Angriff gekennzeichnet. Die exklusive Grenzziehung zwischen den beiden Fronten reizt die Spannung einer kontrollierten Bedrohlichkeit kathartisch aus. Auch in vielen tuin-Bildern ist das eigene Land in einer Dünenlandschaft verdichtet: Hier ist es jedoch nicht allein durch die Abgrenzung, sondern auch durch die Umgrenzung definiert und so in eine zweidimensionale Flächigkeit überführt. Im umgrenzten Garten auf der Arena des breiten Dünenfundaments ist die Natürlichkeit der Feindschaft und auch die Natürlichkeit der eigenen – verletzten – Tradition subtil ins Bild gebracht. Diese Spannung zwischen dem angegriffenen Dünenumland und dem umkämpften, aber geschützten Gartengehege evoziert eindringliche Appelle an die Eintracht und die konstante Wachsamkeit der nördlichen Provinzen. Sie bedient die Vorstellung der legitimierten Rückeroberung und schafft so eine sinnstiftende Beziehung zwischen den idealen Zielen des Vaterlandes und der Realität des Belagerungskampfes: In diesen Befunden spanischer Gewalt und holländischer Tradition ist so auch eine Zukunftsdirektive angelegt. Diese Zukunft begann nach der militärischen Konsolidierung der nördlichen Niederlande nach 1600 und vor allem mit dem Zwölfjährigen Waffenstillstand zwischen 1609 und 1621 Gestalt anzunehmen, als das durch Konflikte mit Frankreich und England zusätzlich erschöpfte Spanien die Souveränität der nordniederländischen Republik vorerst anerkannte. Gerade in dieser Zeit der äußeren Stärke entwickelten sich jedoch massive innere Spannungen um die glaubenstheoretische und – damit verbunden – politische Orientierung des niederländischen Staatswesens, die schlussendlich 1619 in der Hinrich-

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 tung des Landesadvokaten Johan van Oldenbarnevelt unter Maurits von Oranien gipfelten.254 In dieser unsicheren Zeit des temporären Friedens und der inneren Konflikte waren es auch die jüngsten Kriegsereignisse, die in Historienwerken und Pamphleten als kollektives Gemeingut beschworen werden konnten.255 Welchen Anteil haben die bildlichen Darstellungen an dieser einheitsfördernden Historisierung? Nachdem die Mechanismen der Landschaftszeichen im Kontext der identitätsstiftenden Parameter der Abgrenzung und Traditionsbildung betrachtet worden sind, soll im Folgenden genauer untersucht werden, inwieweit das historisierende Potenzial der Landschaftsdarstellung mit der Zeit ausgelotet werden kann und an welche Grenzen die propagandistischen Grenzsysteme dabei stoßen können.

Grenzen und Zeitlichkeit Das tuin-Umland als historischer Schauplatz Die 1598 erschienene Illustration der Flugschrift Antwoordt op het tweede Refereyn […] eröffnet vom hohen Gipfel einer Düne die Aussicht auf eine gewaltige Schiffsmaschinerie auf der See (Abb. 11). Kämpferisch stellen sich ein Mann und ein Löwe in einem kleinen Gartengehege auf der Dünenklippe diesen ungeheuren Schiffen entgegen. Zu ihren Füßen, auf dem Boden des Gartens, ist ein Ausspruch Willems von Oranien zu lesen: »Ich begehre Frieden, aber keinen Betrug.«256 In diesem Sinne hält der Mann auch ein Band in seiner linken Hand, welches zu dem seitlichen, mit »pays« als Friedensschiff gekennzeichneten Segelschiff führt. Jedoch gehört dieses kleine Schiff nicht zu dem großen Schiffswerk, das in schweren Ketten eigene Ablegerboote nach vorn treibt: Auf dem Banner des vordersten ist »Friedensverhandlungen von Köln und Breda etc.« zu lesen. Doch mit diesen Booten wird kein ›wirkliches‹ Friedensangebot herangetragen, das dem reinen »pays« des anderen gleichkommt. Denn in ihrem Fahrwasser fahren andere Ableger, die mit ihren Fahnen auf den Mord an »Egmont, Hoorn und Batenburg« sowie auf den versuchten »Mord vorgenommen an seiner Exzellenz« verweisen. Gegen einen solch ›unreinen‹ Frieden hat der Holländer im tuin sein Gewehr erhoben, mit ihm hat sich auch der Löwe drohend aufgestellt: Die Friedensangebote der anderen Seite sind nur eine Strategie des großen betrügerischen Triebwerks, das vom dreiköpfigen Teufel beherrscht wird, dessen hoch aufgerichtete Gestalt riesig über dem Meer den Horizont verdeckt. Er verkörpert den habsburgischen »Verbond« mit dem zwielichtigen Motto: »Wer nicht tarnen kann, kann nicht regieren«.257 Auf dem Hauptschiff arbeiten Mönche 254 Zu den Machtkämpfen zwischen Maurits von Oranien und Johan van Oldenbarnevelt vgl. Tex 1973, 359 ff. 255 Vgl. allgemein zu solchen Prozessen der Historisierung auch Assmann 1998. 256 »Ick begeer paijs maer geen bedroch.« Zu dieser Grafik vgl. auch Volmert 2009, 155 ff.; Kempers 1995, 88. 257 »Wie niet can dissimuleren can niet regieren.« Vgl. Abb. 11.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Abb. 11 Anonymus: Titelblatt der Flugschrift Antwoordt op het tweede Refereyn, by de Overheerde Nederlantsche Provintien aen Hollant gheschreven: om haer met schoon-schijnende Redenen Ongefondeerde dreygementen, ende ongelijcke Exempelen te bewegen Vrede te maken met den Spangiaert, 1598, Radierung, 18,5 × 14 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 mit den Rudern der »Schijn van heijlicheijt«, »S Paus bullen« und »Placaten«: Diesem großen, komplexen Getriebe, das mit dem Treibstoff der »Scheinheiligkeit« und der dekretgebundenen, glaubensfernen Papstgefolgschaft bewegt wird, steht in asymmetrischer Konstellation die kleine Festung der einfachen holländischen Einheit gegenüber. Es gibt aus dieser Perspektive keinen fließenden Übergang zwischen diesen beiden Fronten – direkt über dem Wasser erhebt sich das holländische Land. Der Zaun wie auch der dunkel schattierte Dünenrand sind deutlich von der gekräuselten Meeresoberfläche abgegrenzt. Die Tendenz zu einer statisch gehaltenen Gegenüberstellung des Spanischen und des Holländischen, wie sie sich im späteren tuin der Flugschrift Maechts antwoort […] (Abb. 2) zeigt, deutet sich in dieser Flugschrift schon an: Kein direkter Angriff als vielmehr die historisch gefestigte Konfrontation der beiden Seiten wird hier umschrieben. Das aufständische Gebiet wird so nicht in erster Linie aus der unmittelbaren Abgrenzung vom spanischen Angreifer heraus definiert, sondern hat bereits historischen Bestand. Um diese Zeit hatte sich die Separierung der nördlichen Provinzen erhärtet. Mit dem Sieg bei dem flandrischen Nieuwpoort war den Holländern nicht allein ein beachtlicher Landgewinn auf spanischem Terrain gelungen, welcher der ›Rückeroberung‹ eine neue Perspektive verlieh;258 auch im Norden waren mehrere spanische Bollwerke nach 1590 erfolgreich aufgelöst worden. Gleichwohl galt es, das Kernland auch vor weiteren militärischen Gegenschlägen der Spanier besser zu schützen. Zentrale holländische Gebiete konnten durch einen bis 1606 an den Flüssen errichteten Schutzwall systematisch abgeriegelt werden – so entstand eine vor Landangriffen relativ gesicherte, ›rückeroberte‹ eigene Zone.259 Eine erste Anerkennung dieser Gebiete wurde den Holländern bereits 1598 mit einem habsburgischen Friedensangebot unterbreitet.260 Die holländische Ablehnung dieser Initiative wurde von einer heftigen Propagandawelle begleitet.261 Wie die tuin-Darstellung Antwoordt op het tweede Refereyn […] deutlich macht, wird der Fokus dabei nun zunehmend historisch: Im Kontext der Warnung vor einer Annäherung wird das aufständische Gebiet mit seiner Kriegshistorie konfrontiert und gewinnt dadurch selbst an historisch legitimiertem Bestandsrecht. Die ›Schwarze Legende‹ entfaltete zu dieser Zeit ihr eigentliches Gewicht, als mehr und mehr mit der Grausamkeit des 258 Vgl. Müller 2003, 106 f. Später kam es genau deshalb zu inneren Konflikten, da die niederländische Armee durch das Vordringen nach Flandern in eine schwierige Situation gelangte. Es begannen in der Folge erste Kontroversen zwischen Maurits und dem Landesadvokaten Oldenbarnevelt. Vgl. auch Israel 1995, 258 f. 259 Es handelte sich um einen an Ijssel, Lek, Linge, Maas und Waal entlang errichteten schützenden Ring aus Schanzen und verbindenden Erdwällen. Vgl. Müller 2003, 106; Duffy 1996, 80 ff.; zur oranischen Heeresreform vgl. Oestreich 1953; Sicken 1999. 260 Nach dem Tod Philipps II. im Jahr 1598 übernahmen seine Tochter Isabella und ihr Mann Albrecht VII. von Österreich die Regentschaft in den südlichen Niederlanden und unterbreiteten ein Friedensangebot, das den nördlichen Provinzen eine relative Freiheit zusicherte, welche die Anerkennung der habsburgischen Souveränität zur Bedingung hatte. Vgl. Israel 1995, 254 f. 261 Vgl. zu der Entwicklung der Propaganda dieser Zeit auch Kempers 1995, 86 ff.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik bereits Geschehenen argumentiert werden konnte. So verweisen viele Propagandatexte auf die Erfahrungen mit dem ›schlechten‹ spanischen beziehungsweise ›maurischen‹ Wesen, das nach der unumschränkten Weltherrschaft strebe. Ein Pamphlet von 1599 beispielsweise ruft die südlichen Provinzen, die »das edele Blut ihrer frommen Vorfahren« besitzen, auf, das »Joch der kastilianischen Sklaverei« abzuwerfen, damit aus dem »herrlichen freien Niederland« nicht ein »Lehen und Nachlehen des Königreichs der Mauranen« werde, denn die Absicht der Spanier sei es, »aus unserem Vaterland ein neues Hispaniola zu machen und aus den wenigen übrig gebliebenen Männern und Frauen ihre Huren und Sklaven«.262 Die Haltung der nördlichen Provinzen wird als vorbildliche, folgerichtige Reaktion auf die Grausamkeit der Spanier erklärt, die alle Niederländer vernichten wollten, so, wie sie in Amerika die Einwohner von so vielen »trefflichen Königreichen ausgerottet haben«.263 Der Verweis auf die zurückliegenden Gewalttaten spanischer Kolonialherren wurde vor allem während des Waffenstillstandes zu einem Topos der antispanischen Propaganda, der das spanische Streben nach Weltherrschaft anschaulich belegen sollte.264

262 »[…] om alle vrome Nederlanders te vernielen (ghelyck zy in Amerika de inwoonders van soovele treffelicke coninghrycken hebben uytgheroeyt), van ons vaderlandt te maken een nieu Hispaniola, ende van den weynighe overgeblevene mannen ende vrouwen haere hoeren ende slaven […]. Hadden de Heeren Staten ende invvoonderen van Vlaenderen, Brabandt, Artoys, Henegouwe en van den andere Nederlanden over ghene zyde, een deel van het edel bloedt harer vroome voorouderen […]? […] ende niet eenen yver gebruycken om […] van hare halsen af te werpen het jock van de Castiliaensche slaverneye? Souden zy ghedooghen, dat van het heerlicken vry Nederlandt soude gemaect worden een leen ende naeleen van het Coningkryk der Marranen?« Aende afgewekene Provintien van Hollandt, Zeelandt, etc. […] Aenwysinghe opt vermaen vande verleyde ende overheerde Provintien van Nederlandt ghedaen aen de vereen Nederlanden (1599). In: Fredericq 1907, 350–353, hier 352 f. Pollmann hebt hervor, dass gerade Kennzeichnungen wie »Mauranen« die Rhetorik der Schwarzen Legende prägten, indem sie eben nicht auf konfessionelle Unterschiede, sondern auf grundlegende Wesens- bzw. Herkunftsverschiedenheiten verwiesen. Vgl. Pollmann 1992, 87. 263 Zitat siehe Anm. 262. 264 Bei Willem Baudart beispielsweise heißt es in der Spaensche Tiranije mit einem Seitenhieb auf den Katholizismus, dass die Indianer wohl lieber in die Hölle gingen, als im Himmel wieder den grausamen Spaniern zu begegnen. Vgl. Baudartius 1610, fol. C4v: »Soo hebben de arme Americanen geandtwoort, dat zy dan inden Hemel niet en begheerden te comen, maer veel liever in de Helle woude varen, op dat sy gheheelijck van de moordadighe natie der Spaenjaerden souden moghen ghevryet sijn, ende ghevryet blyven.« Ein wichtiges Referenzwerk waren die nach 1516 erschienenen und in der Folgezeit in zahlreichen Auflagen in den Niederlanden publizierten Erinnerungen des Dominikanermönchs und Bischofs Bartholomé de las Casas (1474–1566), Historia general de las Indias. In ihnen berichtet der Verfechter der Indianerschutzgesetze von der spanischen Versklavungspolitik. In der 1609 in Amsterdam erschienenen Bildfolge Den Spieghel vande Spaensche Tyrannie beeldelijcken afgemaelt […] beispielsweise dienen sie als Begleittext für die musterhafte Veranschaulichung der verschiedenen spanischen Ausschreitungen gegenüber der indigenen Bevölkerung. Vgl. Müller 2003, 195. In Historienwerken wurden die Erinnerungen von De las Casas oft zitiert, um die spanische Unterdrückung in Amerika als eine Art Präzedenzfall zu präsentieren. Vgl. Schama 1987, 84.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Neben den Pamphleten konnten Historienwerke an der kollektivierenden Geschichte der spanischen Unterjochung mitwirken. So boten Chroniken wie Emanuel van Meterens Historia unnd Abcontrafeytungh 265 umfangreiche Darstellungen der vorangegangenen Kriegsereignisse, der spanischen Angriffe und Gräueltaten. Sie konstruierten in der Schilderung der Aufstandsjahre oft eine Linearität der Ereignisse, die eine eindimensionale Systematik der Zerstörung des vormals Intakten durch die Spanier suggerierte. Im Frontispiz der 1593 erschienenen Ausgabe von Meterens Historia unnd Abcontrafeytungh wird jedoch zugleich deutlich, dass die ›Vorher-Nachher-Narration‹ durch landschaftliche Bilder zu einer suggestiven Vorstellung gefestigter kollektiver Geschichte verdichtet wird (Abb. 12): Hier wird der ursprüngliche Zustand des reichen und friedlichen Landes mit dem Folgezustand des Krieges komplex verschränkt. Oben thront Belgica über einer Landschaft, die ihr geschlossenes Reich markiert – das ruhige Meer mit dem Segelschiff auf der einen und die Hügel mit Kutschen auf der anderen Seite verweisen auf seine unversehrte Breite. Unten dringen an der Küste spanische Schiffe ein, und das Land ist von einer Feuerbrunst verwüstet. Mehr noch ist diese Landschaft nun entrückt: Belgica sitzt, von Feinden ihrer letzten Güter beraubt, am Boden und kann die Landschaft nur noch fensterartig als Schauplatz der Verwüstung hinter den Säulen der Geschichte wahrnehmen.266 Es sind jedoch ebendiese Säulen, auf denen wiederum die obere Belgica thront – die gestürzte Belgica erscheint ihr gegenüber ebenfalls in eine skulpturale Geschichtlichkeit entrückt. Die Zerstörung wird somit als Vergangenheit aufgefasst, auf deren Fundament die alte und neue Belgica thront – das reiche und fruchtbare Land ist somit nicht nur ein Teil der Vorvergangenheit, sondern zugleich auf der notwendigen Basis der gelebten Vergangenheit auch Teil der Gegenwart. Wie bereits an der Flugschrift Antwoordt op het tweede Refereyn […] (Abb. 11) gesehen, wird die Landschaft vor allem in den propagandistischen Flugschriftillustrationen zunehmend als Schauplatz der abgelagerten kollektiven Geschichte eingesetzt. Die landschaftlichen Grenzformeln bieten die Möglichkeit, die Historizität der Kriegsereignisse argumentativ in den Appell zur gegenwärtigen Abgrenzung einzubinden und zugleich die eigene Tradition und virtus zu suggerieren. Auch in Walbildern nach 1590, wie in dem oben besprochenen Titelblatt der Flugschrift Ware verthooning […] (Abb. 7), wird in Abgrenzung zu der Textpropaganda deutlich, dass die Geschichte der spanischen Schlechtigkeit durch die Dünenlandschaft stets im Bezug zu der eigenen, an der Historie gewachsenen Stärke thematisiert wird. Die subtile Historizität der Argumentation kommt hier analog zu den tuin-Darstellungen in der Akzentverschiebung hin zu einer größeren statischen Konfrontation zum Ausdruck: Gilt es in einer frühen Walstrandungsgrafik wie der Massastranding van potvissen bij Ter Heijde op 22/23 november 1577 von Wierix 265 Meteren 1593. 266 Vgl. auch das Frontispiz des 1599 erschienenen Werkes Memoiren der Belgische ofte Nederlantsche Historie van onsen tijden, vgl. Meteren 1599. Abbildung in Levesque 1994, fig. 48.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Abb. 12 Frans Hogenberg: Frontispiz von Emanuel van Meteren: Historia unnd Abcontrafeytungh. Nürnberg 1593, Kupferstich, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 (Abb. 5), die eigenen Grenzen vor dem direkten Ansturm zu ziehen, so gilt es in den späteren, die bestehenden Grenzen vor der Ungewissheit zu sichern. Es entwickelt sich der Typus des einzelnen ›erlegten‹ Wales. Als ein studierbares, sezierbares Objekt verfügbar gemacht, veranschaulicht er die passive Schwere und zugleich undurchdringlich schwelende Bedrohlichkeit des spanischen Reiches. Der verwesende Wal in der Propagandaschrift Ware verthooning […] (Abb. 7), die sich mit dem Verweis auf die spanische Zwielichtigkeit gegen die Verhandlungen des bevorstehenden Waffenstillstandes wendet, motiviert eine Bestandsaufnahme der zersetzenden, schlechten spanischen Eigenschaften. Das Übel des Walinneren ist es, das sowohl im Text als auch im Bild in seinen Facetten präsentiert und der festen Dünenkette entgegengestellt wird. Der subtile Angriff in Form einer schleichenden Vergiftung oder Zersetzung – wie sie auch mit dem doppelgesichtigen Spanier im tuin der Flugschrift Maechts antwoort […] (Abb. 2) angedeutet ist – scheint hier in dem gezielt anmutenden, zentralen Verwesungsausfluss geradezu als trojanisches Pferd inbegriffen zu sein: Unter dem Deckmantel eines Scheiterns an der Grenze werden erst langwierige schädliche Zersetzungsprozesse freigesetzt, die das schlechte Innere des vermeintlich ruhenden spanischen Wesens herauslassen. Die Angriffsdynamik, die sich in der Massastranding van potvissen bij Ter Heijde op 22/23 november 1577 von 1588 zeigt, ist hier zurückgenommen, indem der Walkörper entgegen der Strandungsposition zu der Dünenseite und damit zum Betrachter gedreht ist; das Meer fungiert lediglich als eine Hintergrundfolie, welche gleichwohl die Herkunftssphäre des Anderen andeutet. Mit dieser vagen Historizität des vor der Dünenkette bereits siechenden Wales wie auch mit expliziten historischen Verweisen wie in der Flugschrift Antwoordt op het tweede Refereyn […] (Abb. 11) konnte man vor dem Vertrauensbruch des lauernden spanischen Wesens warnen. Zugleich aber konnte man auch auf den berechtigten Bestand eines Landes verweisen, das nicht mehr nur durch den unmittelbaren Angriff und eine ›gräfliche Vorvergangenheit‹, sondern auch durch die kollektive Kriegserfahrung definiert wurde. In einigen tuin-Bildern wird dieses Land so auch geradezu zu einer Plattform der jüngsten Geschichte. So argumentiert eine 1598 entstandene Illustration eines Flugblattes, das sich gegen das spanische Friedensangebot wendet (Abb. 13), nicht allein mit aufgereihten antispanischen Verweisen, sondern mit der Stringenz des bisherigen Kriegsverlaufs: Dieser beginnt in der linken Bildhälfte, wo die frei in der Landschaft wandelnde Hollandia von einem spanischen Unwesen angegriffen und von der löwenreitenden Rittergestalt der »Eendrachtich gewelt« (»Einträchtigen Gewalt«) verteidigt wird. Im weiteren Verlauf des Bildes ist Hollandias Raum auf einen begrenzten Garten beschränkt. Er wird von dem Löwen der Vereinigten Provinzen bewacht – vor demselben Ungeheuer, das sich nun als »Bedekte Tiranije« (»Getarnte Tyrannei«) im Tarngewand naht. Die Ablehnung seines Friedensangebots erscheint so als Konsequenz der historischen Entwicklung. Der Fokus liegt also nicht mehr auf der unmittelbaren Abgrenzung angesichts eines ›aktuellen‹ Angriffes als vielmehr auf einer bereits historisch gefestigten Frontenbil-

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Abb. 13 Anonymus: Allegorie op de bedrieglijke vredesvoorstellen van Spanje, 1598, Kupferstich, 15,5 × 29,1 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

dung. Die Landschaft ist als das eigene Land markiert, auf dem sich auch die jüngeren kollektiven Ereignisse ablagern. Durch die Bildnarration erscheint die Grenzkonstellation von Garten und Umland dynamisch verzeitlicht – es wird durch den linearen Verlauf gewissermaßen gezeigt, wie es durch den spanischen Angriff erst zu der Einschränkung des Gartens, zu der Beschneidung der holländischen Freiheit kam. Die sich bereits in der frühen tuin-Darstellung der ›spanischen Schweine‹ (Abb. 8) abzeichnende Bedeutung des Dünenumlandes als eines ursprünglich freien, nun belagerten Gartens wird hier unter der Perspektive des historisierenden Rückblicks ausgelotet. In einer anderen, ebenfalls 1598 entstandenen Darstellung ist auch das gegenwärtige Moment des Friedensangebots selbst vom tuin weggerückt und ins historisierte Umland verlagert (Abb. 14): Ein Holländer und ein janusköpfiger Spanier stehen im Zentrum der von den Geschehnissen der Vergangenheit durchdrungenen Landschaft. Ihr zweifaches Echo scheint diese Gegenüberstellung in den Figurenpaaren im Bildhintergrund zu finden. Doch sind dies zwei Attentatsversuche auf Maurits von Oranien, die das Paar im Vordergrund bezeichnenderweise umrahmen. Die ausgestreckte Hand des Spaniers mit dem Friedenszweig scheint so als das musterhafte Pendant der erhobenen Waffenarme im Hintergrund ein neues Attentat anzudeuten. Letztlich steht der ›Friedensbringer‹ als Endfigur einer kreisförmigen Gewaltachse, die bei dem ersten Attentat oben rechts beginnt und durch die Wendung der Figuren über das zweite Attentat zu dem großen, ebenfalls konkreten Gewaltakt im linken Vordergrund hinunterführt – dem Begraben einer noch lebenden Frau:267 Die Landschaft, in der die Wegstrecke der spanischen Knechtschaft ohnehin einge267 Vgl. dazu Müller 2003, 134. In den Medaillons und Kartuschen sind Beispiele der spanischen Ge-

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600

Abb. 14 Anonymus: Allegorie op de bedrieglijke vredesvoorstellen in 1598, 1598, Radierung, 14,6 × 37,2 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

zeichnet ist, wird so überdies zum ›realen‹, materiellen Träger eines Gewaltreliktes. Es ›genügt‹ offenbar nicht, dass ganz ähnliche Elemente des spanischen Angriffs – darunter wieder das Attentat auf Maurits – oben isoliert in den Kartuschen noch einmal ergänzend aufgereiht sind. Vielmehr wird die Geschichte des Holländers, der sich außerhalb des tuin auf demselben ›authentischen‹ Boden dem Spanier und den hinter ihm liegenden Taten zuwendet, durch die Materialität seiner eigenen Landschaft getragen. Ihm steht seinerseits nur der tuin im Rücken, das eigene integre Pendant zu dem krude ausgehöhlten Stück auf der anderen Seite. Die verletzte, von den Spaniern buchstäblich durchdrungene Landschaft steht der unberührten Enklave der Vereinigten Provinzen gegenüber, in der die Schafe der holländischen patientia grasen. Die Argumentation gegen das Friedensangebot bezieht sich hier aber weniger auf die neue Gefahr für den tuin als auf die Präsenz der Geschichte seines Umlandes, mit der der Holländer konfrontiert wird. In diesen beiden tuin-Darstellungen von 1598 gewinnt das Umland somit noch an historisch-assoziativer Bedeutung: Es ist der Ort einer gegenwärtigen Konfrontation, die von den Ereignissen der unmittelbaren Vergangenheit geprägt ist, über die tuin-Landschaft-Asymmetrie wird aber auch eine zukünftige Rückeroberung impliziert. Der Fokus der Widerstandspropaganda verschiebt sich so um die Zeit der Jahrhundertwende, die von der Verlagerung des Kampfes und der Einleitung der Waffenstillstandsverhandlungen geprägt ist, von der zweidimensionalen, gegenwarts- und zukunftsbezogenen Darstellung eines akuten Angriffs auf eine dreidimensionale Kopplung von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit: Das eigene Land wird in dieser Übergangszeit bereits wesentlich über seine jüngste Historie definiert – und die Perspektive liegt folglich mehr noch auf dem ›realen‹ Umland des tuin, das durch diese Ereignisse gezeichnet ist. waltherrschaft, Heuchelei und Inquisition angeführt, darunter das Oranier-Attentat und das spanische Friedensangebot und rechts die Darstellung eines spanischen Friedensantrags an die englische Königin sowie die Ermordung Willems von Oranien im Jahr 1584. Vgl. ebd., 134 f.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik Dass die nach 1600 zunehmende historische Aufladung der Landschaft selbst ein propagandistisches Walstrandungsbild in noch stärkerem Maße prägen kann, als es bei der Flugschrift Ware verthooning […] (Abb. 7) der Fall ist, zeigt die Illustration des 1617 von Nicolaes van Geilkercken herausgegebenen Flugblattes Afbeeldinghe van het groot wonder van vijfthien Walvisschen […] (Abb. 15): Die 15 an der Küste angeschwemmten Walkörper sind nicht, wie in Wierix’ Darstellung von 1588 (Abb. 5), Teil einer ›aktuellen‹, sondern vielmehr einer überzeitlich-simultanen Massenstrandung – denn sie bezeichnen Tiere, die zwischen 1519 und 1617 an der holländischen Küste angespült wurden. Der vollständige Titel der Illustration deutet aber auch an, dass die Walstrandungen hier erneut suggestiv mit spanischen Belagerungssituationen parallelisiert werden: »Abbildung des großen Wunders von fünfzehn Walfischen, die innerhalb kurzer Zeit an der niederländischen Küste gestrandet sind: ausgenommen diejenigen, die immer noch täglich mit starkem Gebrüll um das Land herum gehört und gesichtet werden«.268 Diese Bedrohlichkeit der noch vor der Küste ›gesichteten‹ und ›gehörten‹ lebenden Tiere deutet sich auf der Bildebene in der rechten unteren Ecke an, wo ein vital und reptilienartig erscheinendes Tier im flachen Wasser dem Strand naht, an dem die 15 Walkörper gestaffelt sind. Der längere Begleittext listet wiederum diese einzelnen vergangenen Strandungsvorfälle auf und lässt dabei seinerseits eine Parallelisierung mit verschiedenen zurückliegenden Schlüsselmomenten des Unabhängigkeitskrieges erkennen. So mündet die minutiöse Auflistung in der letzten Passage zunächst in der unheilvollen Andeutung, dass »jedem noch gut bekannt« sei, was vormals jeweils nach der Strandung von »solchen Ungeheuern« geschehen sei – dem ersten Fisch, so heißt es weiter, seien »viele große Unglücke gefolgt«. Dann werden im Folgenden Strandungsjahre mit Ereignissen des Krieges in Verbindung gebracht, so etwa das Strandungsjahr 1577 mit der Regierung Albas; ebenso werden etwa auch die während des Waffenstillstandes sich entzündenden kriegerischen Auseinandersetzungen um die Herzogtümer Kleve und Jülich erwähnt, deren Ausgang im Text noch als ungewiss beschrieben wird.269 Das Bild entfaltet eine semantische Spannbreite zwischen dem zukünftigen Angriff und der gegenwärtigen Beherrschung des Feindes: Einerseits werden die gestrandeten Tierkörper von Menschen bestiegen, seziert und verwertbar gemacht;270 andererseits ste-

268 »Afbeeldinghe van het groot wonder van vijfthien Walvisschen die in corten tijden aende Nederlantsche Zee-Custen zijn aengestrandet: behalven die geene / die noch dagelicx met groot getier ontrent het Landt ghehoort ende ghesien worden.« Vgl. Abb. 15. 269 »[…] maer wat ons in voorleden tijden naer sulcke Monsteren weder-varen is, is een yeghelijcken noch wel bekent: Den eersten Visch zijn vele groote ellenden ghevolcht gheweest: Inden jare 77 was het dat Duc d’Alba over dese Landen regeerde, ofter doen gheen miserie ghenoech en was, […] Eyndelick watter inden jaere 14 voorghenomen was, inde Landen van Gulick ende Cleef, waer van het eynde noch niet gheopenbaert en is […].« Vgl. Abb. 15. 270 Zu diesen Szenen, »die den Fortgang wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Verfügung über die monströsen Meerwesen demonstrieren […]«, und zu der naturkundlichen Bildtradition derartiger Walstrandungen vgl. Müller 2003, 13.

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Abb. 15 Nicolaes van Geilkercken (zugeschr.): Afbeeldinghe van het groot wonder van vijfthien Walvisschen die in corten tijden aende Nederlantschen Zee-Custen zijn aengestrandet: behalven die geene / die noch dagelicx met groot getier ontrent het Landt ghehoort ende ghesien worden, 1617, Radierung und Kupferstich, 34 × 44 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

hen diesen beherrschten Relikten die an Wierix’ Strandung erinnernden monströs-vitalen Wale gegenüber, die sich noch im Wasser befinden und sich unmittelbar auf den Strand zubewegen. Die bekannte Warnung vor dem direkt an den Grenzen liegenden bedrohlichen Feind wird so an die breite Darstellung der Historizität früherer Begegnungen geknüpft. Während in Wierix’ Bild auch die am Strand angelandeten Tiere die Gefahren des lebenden, angreifenden Ungeheuers verkörpern, erfolgt hier eine Trennung zwischen den toten Gestrandeten und den lebendigen Nahenden: Sie spiegelt die Situation des Waffenstillstandes wider, die von der formalen Anerkennung des Friedens, der Historisierung der jüngsten Vergangenheit und der geschürten Angst vor dem ›äußeren Feind‹ geprägt ist. Die bereits gestrandeten Walkörper erscheinen in der Gegenüberstellung mit ihren schwimmenden Pendants in einem ambivalenten Licht, das an den Schrecken früherer Belagerungsereignisse gemahnt und die auf den ersten Blick weitreichende Beherrschung des Landes infrage stellt. Die Darstellung gewinnt an Komplexität, indem sie die Küste lokalisiert: Hinter den spitzen Dünenhügeln sind mit Haarlem, Den Haag

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik und Leiden prominente Orte markiert, die die Assoziation der spanischen Stadtbelagerungszeit umso mehr konkretisieren. Die Dünen bilden somit nicht mehr nur eine Schutzgrenze vor der Zone des Angriffs, sondern betten das dahinterliegende Land ein, das von der Geschichte seines Krieges geprägt ist.

Der historisierte tuin Während des Waffenstillstandes verschiebt sich die Perspektive der landschaftlichen Propagandabilder mehr und mehr auf die Historizität des Landesinneren. Weitaus häufiger als solche Walstrandungsszenen treten nach 1609 neue tuin-Bilder in Erscheinung: Im Unterschied zu den besprochenen um 1600 entstandenen tuin-Illustrationen, die angesichts bevorstehender Friedensverhandlungen auf eine narrative ›Ablagerung‹ der Gewaltgeschichte im tuin-Umland konzentriert sind, thematisieren spätere Bilder der Waffenstillstandszeit den tuin als ausgeweitetes, wiedererrungenes Land, geprägt von Historizität und gegenwärtiger Fragilität. So liegt im bereits erwähnten tuin der Flugschrift Maechts antwoort […] (Abb. 2) der Akzent auf der Breite des Gartens. Sein im Vergleich zu früheren Darstellungen erweitertes und blühendes Terrain weist auf eine vorläufige ›Rückeroberung‹ im Zuge des Waffenstillstandes: Die äußeren Sandhügel gehen harmonisch in einen fruchtbaren, großen Garten über, der von einem Gärtner gehegt wird. In der Mitte thront Hollandia, und neben ihr gedeiht ein ›Oranje-Bäumchen‹. Jenseits der Zaungrenze bietet sich ein Ort der subtilen spanischen Unterwanderung. So erscheint die Haltung des nahenden spanischen Günstlings respektvoll und abwartend, doch sein Januskopf und das hinter ihm im Meer zu sehende monströs besetzte Schiff deuten zwielichtige, unterminierende Absichten an. Die äußere Gefahr für den Garten ist somit nicht gebannt: Der nur scheinbare ›Gast‹ kann zwar vor dem Gartenzaun nur noch einen kleinen Rand der Dünenlandschaft besetzen; doch zugleich ist das äußere Meer in unmittelbarer Nähe, und es gibt noch direkte Übergänge auf dem ungeschützten Küstenstreifen. Die Untiere im Wasser sind damit der Zaungrenze bedenklich nah – eines von ihnen nähert sich durch das Wasser und ist nur noch mit einer Kette an das Schiff gebunden. Erst wenn diese Bedrängnis aus dem Wasser dauerhaft gebannt ist, so suggeriert es die Darstellung, kann der tuin das natürliche Terrain der Düne endgültig besetzen.271 271 Dieser spätere tuin-Typus, der sich durch den Fokus auf das ausgedehnte Innere des kollektiven Gartens und auf die potenzielle Grenzgefährdung auszeichnet, findet sein programmatisches Gegenstück in der 1615 von Claes Jansz. Visscher gestalteten Illustration des Bataefsche Spieghel (Abb. bei Levesque 1994, fig. 85): Hier sind die Verhältnisse umgekehrt, indem der tuin kein ›natürlicher‹ Bestandteil der umgebenden Landschaft ist, sondern lediglich als eine Art Podest repräsentiert ist, das auf einem steinernen Pfosten aufgesetzt ist. Ähnlich wie in dem früheren ›Anti-tuin‹ thematisiert auch diese Darstellung die Gefahren der inneren Destabilisierung und Zersetzung durch eine Isolation des Gartens. Auf winzigem Raum sind hier Hollandia und der Löwe eingepfercht, während das Umland schleichend von abtrünnigen Gruppen und Spaniern eingenommen wird (vgl. dazu Müller 2003, 157 f.).

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Bild und Text überzeichnen nachdrücklich und ganz im Sinne der oranischen Propaganda die Risiken der vorläufig verfestigten Situation der Waffenruhe: Der Bund der nördlichen Provinzen hat demnach sein Land zwar ›rechtmäßig zurückerobert‹ und verfügt über ein anerkanntes eigenes Staatsgebiet – doch dieses nimmt keine endgültige, gesicherte Position ein und ist nach wie vor von dem vermeintlichen Friedensgenossen bedroht. Damit wird zur konstanten Absicherung des vorläufig bestehenden Landes und zur dauerhaften Zurückdrängung des Feindes aufgerufen. Die Wachsamkeit und das Bewusstsein über die eigenen Außengrenzen bedingen notwendigerweise das stete Wissen um die innere Einheit. Im Unterschied zu den früheren Stichen, die den tuin als sinnstiftenden Fluchtpunkt des Belagerungskampfes in Aussicht stellen, ist hier der Garten selbst das ›reale‹ Zentrum des Geschehens. Durch seine Positionierung scheinen beide Bedeutungsebenen der Dünenlandschaft – die Grundierung des eigenen Landes wie auch die virtus der Abgrenzung – in ihm aufzugehen: Die vordere Gartenhälfte geht direkt aus dem sandigen Untergrund hervor; hinten hingegen setzt der Garten die Grenzfunktion der entfernteren waldigen Dünen fort, indem er hier so aufragt, dass er einen Teil des Meeres regelrecht zu löschen scheint. Nach außen hin wird so die Konzentration auf die kollektive Grenzsicherung gelenkt. Nach innen hin, über diese programmatische textbegleitende Warnung der Flugschrift Maechts antwoort […] hinaus, garantiert gerade die tuin-Landschaft aber die neue Vision einer gewachsenen Einheit, indem sie die Ebenen der alten und der neuen holländischen Geschichte mit ihren historischen Assoziationsschichten gemeinsam assoziiert. Die Formeln des tuin – zunächst entwickelt, um im Spannungsfeld von unmittelbarer Zerstörung und Rückeroberung die Existenz des Eigenen zu definieren – werden so an die Situation der Waffenstillstandszeit adaptiert: Der Garten ist nun als ein autonomes, erstarktes Gebiet präsentiert, welches das Potenzial seines weitgehend ›rückeroberten‹ Umlandes inkorporiert. Die Verfestigung des ›Eigenen‹ als ein vom ›Anderen‹ unabhängig bestehendes Terrain deutet sich bereits um 1600 in den statischeren Konfrontationen der tuin- und Walbilder (Abb. 7, 11) an, mitunter auch in einer historisierenden Besetzung des tuin-Umlandes wie in den beiden tuin-Darstellungen von 1598 (Abb. 13, 14). Im tuin der Flugschrift Maechts antwoort […] aber ist sie explizit auch über die räumlichen Grenzen des Gartens definiert: So wird die mit dem Waffenstillstandsbeginn offizielle Anerkennung der nördlichen Niederlande in der Logik der propagandistischen Sprache als Ergebnis der Rückeroberung visualisiert, und der erweiterte Garten wird zu einer eigenen historischen Fläche. Diese Entwicklung zeigt sich auch in der 1615 von Willem Buytewech angefertigten Illustration der Flugschrift Merckt de Weijsheyt vermaert […] 272 (Abb. 16): Hier markiert Als Konsequenz ist der Garten jenseits aller möglichen landschaftlichen Erweiterung auf eine ideologische Spitze zusammengeschrumpft und trägt keinerlei landschaftliche Züge mehr. 272 Merckt de Weijsheyt vermaert vant Hollantsche huyshouwen en siet des luypaerts aert die niet is te vertrou-

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik nicht allein die Zaungrenze, die weite Teile des Bildes einnimmt und unten den Bildrand sogar überschneidet, die weitgehende Vereinigung des Gartens mit seinem Umland. Vielmehr ist der große tuin in seinem Inneren geradezu als ein Staatspark der batavischholländischen Republik angelegt, deren historische Insignien die Struktur seines Landes prägen. Wie an den Inschriften erkennbar wird, wird der Garten in linearen Beeten von Vertretern der »Macht« und »Vernunft« gepflegt und von einem mit »Batavische Herrschaft« betitelten Regierungsgebäude gekrönt,273 vor dem die thronende Hollandia von verschiedenen Repräsentanten der holländischen Gesellschaft, der »vereenicht geemeent«, umgeben ist.274 Es ist auch Hollandia bzw. Batavia, die in der begleitenden Flugschrift die Geschichte des Landes erläutert: »Ich war in alten Zeiten in einem freien Stand, danach sehr unfrei, und ich bin nun wiederum in meinem ersten Stand: Denn als mein Name einen Ursprung bekam, kamen meine Vorfahren hier in dieses freie Land, das niemandem gehörte als denjenigen, die es als Erste zu besitzen kamen (nach dem Gesetz der Natur), an demselbigen freien Ort bauten sie dies (mein) Haus, die batavische Herrschaft, heute die holländische Republik genannt, wohin ich meinen Stuhl oder Sitzplatz (Freiheit genannt) stellte.«275 Der tuin steht hier für das alte, freie holländische Land, das die Geschichte seiner batavischen Gründung, seiner Unfreiheit und seiner erneuten Freiheit in sich trägt. Die Fiktion eines altholländisch-gräflichen vaderland geht in einer noch breiter angelegten Vision der batavischen Gründerzeit auf: Die goldene Vorvergangenheit des einst von den Batavern frei gewählten Landes wird in den neu errungenen Grenzen der Nordprovinzen wieder eingeholt. Der tuin bekundet das Gefüge der historischen Kontinuität, und aus dem Gartenumland als einer Plattform, auf der sich die Ereignisse des Krieges aneinanderreihen (Abb. 13, 14), ist das Gartenbinnenland geworden, in dem sich Historien übereinanderlagern. Damit eignet dem tuin auch die visuelle Vermittlung des während der Waffenstillstandszeit neu kultivierten Batavermythos:276 In Historienwerken und Propagandaschrif-

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wen (›Beachtet die berühmte Weisheit der holländischen Haushaltung und seht des Leoparden Art, der nicht zu trauen ist.‹) Vgl. zu diesem Pamphlet auch Müller 2003, 127. Siehe Abb. 16. Müller bezeichnet die Konkretheit dieses Hauses und seiner Anlage als eine »nachvollziehbare Lebenswirklichkeit«. Ebd., 128; vgl. auch Levesque 1994, 143; Chapman 2000, 47 f. Hollandia empfängt zu ihrer Rechten einen »Freund des Vaterlandes« (»vrindt des vaderlans«), ebenso stehen bei ihr vier Repräsentanten unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen: ein Bauer, ein Städter, ein Seemann und ein schlafender Soldat. Siehe Abb. 16. Vgl. auch Müller 2003, 128 f. »Ick was in ouden tijden in een vrijen staet, daer na zeer onvrij / ende ben nu wederom in myn eersten staet: want als myn naem een beghinsel kreegh / quamen myne Voor ouders hier in dit vrije Landt, dat nyemant toe en behoorde dan de ghene die ’t eerst quamen bezitten (na de Wet de naturen) op zodanigen vrije plats bouden sy dit (myn) Huys, de Batavische Heerschappije, nu ter tijt de Hollandtsche Republijc ghenaemt / alwaer ick myn stoel ofte zitplaets (Vrijheyt gheheten) in stelde.« Originaltext zit. in: Levesque 1994, 143, Anm. 25. Zu der ›Entdeckung‹ der Bataver im 16. Jahrhundert siehe oben, Kap. »Der batavische Garten«.

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Abb. 16 Willem Buytewech: Illustration der Flugschrift Merckt de Weijsheyt vermaert vant Hollantsche huyshouwen en siet des luypaerts aert die niet is te vertrouwen, 1615, Radierung, 14,1 × 18,4 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

ten wurde der unter der Führung von Claudius Civilis betriebene Aufstand der Bataver gegen die Römer zu einem identitätsstiftenden Analogon des holländischen Unabhängigkeitskrieges.277 Beide Begebenheiten wurden in dieser Parallelisierung als Freiheitskämpfe eines Volkes aufgefasst, das sich gegen eine unrechtmäßige Unterdrückung durch fremdbestimmte Herrschaft zur Wehr setzte.278 Zu den wichtigsten Parametern in dieser Analogisierung gehörte die Wechselbeziehung zwischen der unerschütterlichen batavischholländischen virtus und dem frei gewählten Land. In seinem 1601 verfassten Werk Parallelon rerumpublicarum legte der Rechtsgelehrte Hugo Grotius dar, dass die vorteil-

277 Vgl. Langereis 2004, 87 f. Im Jahr 1594 wurden Szenen aus dem batavischen Aufstand in Form von Tableaux vivants aufgeführt, als Prinz Maurits, der gerade Groningen von den Spaniern zurückerobert hatte, festlich empfangen wurde. Vgl. ebd. 278 Demgegenüber spielte der Aufstand in den älteren Historienwerken des frühen 16. Jahrhunderts wie oben besprochen kaum eine Rolle, indem es vielmehr darauf ankam, das gleichberechtigte Bündnis dieses Germanenstammes mit den Römern zu betonen und zu beweisen, dass die Bataver die Vorfahren der Holländer und nicht etwa der Bewohner Gelderns waren. Siehe oben, 45 ff.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik hafte geografische Lage in Küstennähe letztlich die Ausbildung des starken batavischen Charakters und damit die Überlegenheit der Bataver gegenüber anderen germanischen Stämmen begünstigt habe.279 Die feste Bindung zwischen diesem Land und seinen Bewohnern wird auch in Philippus Cluverius’ 1616 publiziertem Werk Germania Antiqua libri tres 280 suggeriert, das die Geschichte und Kultur des Bataverstammes in einer neuen objektiven Breite zu verhandeln beanspruchte. Zahlreiche große grafische Illustrationen dienten in dieser Abhandlung dazu, die Lebensweise der germanischen Vorfahren, etwa ihre religiösen Riten, ihre Wohnstätten oder ihre Kleidung, visuell eindrücklich zu veranschaulichen. Der einheitliche Rahmen verschiedener thematischer Darstellungen ist eine karge holländische Dünenlandschaft mit vereinzelten Bäumen und Wolkenbändern, in deren Weite die batavischen Krieger, Reiter und Edelmänner repräsentativ postiert sind (Abb. 17–19). Die holländische Landschaft, die in den zeitgenössischen tuin-Konstellationen eine höhere historische Einheit vermittelt, wird hier in anderer Form als historischer Schauplatz eingeführt: So historisch unnahbar, so ›ursprünglich‹ die batavischen Vorfahren in ihrer Kriegerkleidung dem interessierten Betrachter erscheinen mögen, so sehr sind sie doch über diese gemeinsame, kollektiv aufgeladene Landschaft mit ihm verbunden.281 Dieses Land bekundete die ursprüngliche Freiheit seiner Bewohner. So hebt Grotius mit Verweis auf Tacitus hervor, dass die Bataver bei ihrem Auszug aus dem Kattenland die »unbewohnten« Gebiete der gallischen Küsten als Erste besetzt hätten. Daher seien diese Gebiete ihnen zugefallen, nach dem »allergerechtesten Gesetz der Natur, nach welchem die Güter, die keinen Eigentümer haben, denjenigen, die sie zuerst besitzen, als Eigentum zufallen«.282 Daraus folgert er die primäre politische Unabhängigkeit: »Dies ist deshalb ein sehr rechtmäßiger Beginn einer freien Republik: als solche von einem Volk, in seinem Ursprung frei, in einem freien Land begründet.«283 Die mit den Batavern assoziierte und sodann für die holländische Republik postulierte Freiheit wird in dieser Auffassung eng an das Land gebunden: Denn dieses zeugt nach wie vor von der ursprünglichen Unabhängigkeit der Vorfahren, die sich als freies Volk an der holländischen Küste angesiedelt haben – nach dem »Recht der Natur«, wie es auch in der Flugschrift Merckt de Weijsheyt

279 »Maris vicinia solertes ingenio & attentos facit. Praestant itaque Batavi animi ingeniique virtutibus, quod illustribus exemplis speramus nos abunde probaturos, ut corporibus & loco tertium accedat argumentum.« Grotius 1801, 20. 280 Cluverius 1616. 281 Demgegenüber diente die Darstellung wilder Küstenlandschaften in zeitgenössischen Reiseberichten dazu, die Exotik ferner Länder und ihrer indigenen Bevölkerung zu unterstreichen. Vgl. zu der Darstellung des ›Fremden‹ z. B. Müller-Wusterwitz 2007, 76 ff. 282 »[…] volgens d’ allerbillykste wet der natuure, waar door goederen, die leggen zonder eigenaar, in eigendom worden dengeenen, die de zelfde allereerst bezitten.« Grotius 1714, 24. 283 »Dit is derhalven een zeer rechtvaardig beginsel van een vrye Republijk: als welke een volk, vry van zijnen oorsprong, in een vrylandt gevest heeft.« Ebd.

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Abb. 17 Nicolaas van Geilenkercken: Ruime kleeding der galliers, Illustration aus Philippus Cluverius: Germania Antiqua libri tres. Leiden 1616, 201, um 1616, Radierung, Zentralbibliothek Zürich, Sign. L 78 / G

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik

Abb. 18 Nicolaas van Geilenkercken: Krijgslieden, Illustration aus Philippus Cluverius: Germania Antiqua libri tres. Leiden 1616, 199, um 1616, Radierung, Zentralbibliothek Zürich, Sign. L 78 / G

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Abb. 19 Nicolaas van Geilenkercken: Germaansche edelen te paard, Illustration aus Philippus Cluverius: Germania Antiqua libri tres. Leiden 1616, 195, um 1616, Radierung, Zentralbibliothek Zürich, Sign. L 78 / G

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik vermaert […] hervorgehoben wird.284 Als primärer Garant der batavischen Herrschaftsund Freiheitsprivilegien steht das Land nachhaltig für die historische Identität seiner Bewohner und legitimiert deren Widerstand gegen jegliche fremde Vorherrschaft. Eine tuin-Landschaft-Konstellation wie Buytewechs Illustration der Flugschrift Merckt de Weijsheyt vermaert […] konnte diese Projektionen visuell verdichtet formulieren (Abb. 16). Der ›Staatsgarten‹ vermittelt die einheitsstiftende Vorstellung, im Kampf gegen die Spanier den ursprünglichen Status eines freien, batavischen Idealstaats zurückerlangen zu können.285 So vereint der tuin Elemente der alten und neuen Freiheit: Zentral in seiner Mitte sind die alten holländischen prevelegie verankert – nicht als eine ephemere Pflanze, sondern als ein steinernes Pyramidenwerk, das den über alle Einschränkung hinweg unangetasteten, strukturierenden Kern des Gartens bildet. Auf einer Achse der republikanischen Herrschaft liegt diese Pyramide als Knotenpunkt zwischen der am Kopf des Gartens thronenden Hollandia, der Personifikation der alten batavisch-holländischen Republik, und dem vorn am Gatter stehenden Löwen, der die neue kämpferische Vereinigung der Provinzen markiert. An den beiden Seiten der Pyramide wiederum äußert sich in den symmetrisch angelegten Beeten das Potenzial der republikanischen Herrschaft – mit »Macht« und »Vernunft«286 werden die Früchte des Landes gehegt. Ein Beet liegt jedoch quer und schneidet die mittige Achse, sodass sich seine Frucht zwischen der Pyramide und dem Löwen befindet: Der Orangenbaum als Zeichen der Oranje-Statthalterschaft ist ›Primus inter Pares‹ unter den Gartenfrüchten und zugleich als konkrete zeitgebundene Ausformung der Macht ein Vermittler zwischen der Tradition der alten Privilegien und den vereinten Kräften des Aufstandes. Diesem historisch und politisch aktivierten Handlungsraum des Gartens droht, offenkundiger noch als in Maechts antwoort […] (Abb. 2), jenseits der Grenzen die kontinuierliche spanische Bedrohung. Ihr imponderables Ausmaß äußert sich wiederum einerseits in einer verdächtigen Annäherung am Gartentor, hier in Gestalt der janusköpfigen Hispania mit einem Leoparden, gefolgt von zwei Soldaten; andererseits aber auch im lauernden Hinterhalt unzähliger spanischer Soldaten an den hinteren Gartengrenzen, die von den Gesellschaftsvertretern neben der Hollandia, zumal dem vornübergebeugten Soldaten, unbeobachtet bleiben. Insofern mahnt die Illustration wiederum zur konstanten

284 Dieser Mythos fand eine Überhöhung in der zeitgleichen propagandistischen Parallelisierung des batavisch-holländischen Landes mit Kanaan. So konnte der Aufstand gegen Spanien mit einem doppelten mythischen Fundament – dem Unabhängigkeitskampf der Bataver gegen die Römer und dem Auszug der Israeliten über das Rote Meer nach Kanaan – als Freiheitskampf um ein altes, von Gott gegebenes Land der Vorfahren stilisiert werden. Vgl. zu den biblischen Topoi der Propaganda Groenhuis 1981; Schama 1987, 51 ff. 285 Vgl. zum Stellenwert der batavischen Staatsidee um 1600 Kampinga 1980, 119. 286 Mit »Macht« ist die linke Seite, mit »Reden« (vor dem Fuß des jätenden Gärtners) die rechte Seite der Beete bezeichnet. Vgl. Abb. 16.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Wachsamkeit und verweist auf die äußere Unsicherheit, die dem Land angesichts des Vormarsches spanischer Truppen an den Niederrhein und ihres Intervenierens in den JülichKlevischen Erbfolgestreit drohte.287 Doch bereits der Titel der Illustration hebt hervor, aus welcher Perspektive eine kollektive Aufmerksamkeit erfolgen soll: »Beachtet die berühmte Weisheit der holländischen Haushaltung und seht des Leoparden Art, der nicht zu trauen ist.«288 Die auch im Text verkündete historische Weisheit der batavischen Hollandia und damit der Blick nach innen machen die eigene Stärke und die effektive Abgrenzung nach außen bewusst. In den tuin-Bildern von 1598 (Abb. 13, 14) ist der Holländer außerhalb des Gartens im Umland mit den Geschehnissen der Vergangenheit konfrontiert. Hier ist demgegenüber das Land in den Garten hineingeholt, und das Bekenntnis zu diesem mit der eigenen batavisch-holländischen Geschichte belebten, fruchtbaren Gartenland ist eine positive Grenzmarkierung. So ist es die »Treue« (»Trouwicheyt«), welche den Grenzzaun explizit kennzeichnet: Wenn man dieser Einheit treu ist und das mit der Tradition begründete Gleichgewicht von »Macht« und »Vernunft« wahrt, dann kann der Garten stabil bleiben. In dieser polarisierenden Innen-Außen-Beziehung liegt der Fokus auf dem Wechselverhältnis von innerem Zusammenhalt und der effektiven Abgrenzung nach außen. So bekommen die Zaungrenzen einen neuen, inwendigen Wert. Das in den früheren tuin-Bildern konkrete Umland des Gartens, die Projektionsfläche der virtus des Belagerungskampfes, ist in ein schutzbedürftiges Terrain konvertiert; die jüngste Historie ist in die kristalline Struktur eines gegenwärtigen republikanischen Status quo eingegliedert. Erscheint der tuin in dem komplizierten Raum-Zeit-Gefüge der früheren Darstellungen als ein sinnstiftendes Ziel des Widerstandes, wird er in der von inneren Spaltungen geprägten Zeit des Waffenstillstandes289 als ein überblendendes Faktum errungener und historisch gefestigter Einheit eingesetzt. Während die Darstellungen um die Jahrhundertwende bereits von einer Historisierung des Umlandes geprägt sind und auch ganz konkrete Erinnerungsmomente (wie das Attentat auf Maurits) aufnehmen können (vgl. Abb. 14), ist die Geschichte hier gänzlich zu einem bereits kollektivierten, symbolischen Abstraktum deklariert. Dieses Postulat bedarf jedoch der konkreten exemplarischen Untermauerung: Eine notwendige Ergänzung zu dem neuen tuin-Programm ist eine Ereigniserinnerung, die einen linearen Strang zwischen dem Vorher und Nachher des Krieges entfaltet. Dies leisten in verdichteter, eindringlicher Form die während der Waffenstillstandszeit aufkommenden und stark verbreiteten propagandistischen Spiegel-Serien, wie beispielsweise Jan

287 Vgl. zu der propagandistischen Kritik am Krieg z. B. Deisel 1999, 127 ff.; Müller 2003, 126 f. 288 »Merckt de Weijsheyt vermaert vant Hollantsche huyshouwen en siet des luypaerts aert die niet is te vertrouwen.« Vgl. Abb. 16. 289 Vgl. Tex 1973, 359.

i. Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik Evertsz. Cloppenburgs Le miroir de la cruelle, & horrible Tyrannie Espagnole […] (1620), welche die Kriegsgeschehnisse an einzelnen Belagerungsschilderungen als Sukzession spanischer Untaten veranschaulichen.290 Über die Darstellung individueller Begebenheiten hinaus wurde mit diesen Bild-Text-Serien ein begrenztes Formenvokabular weltweiter spanischer Unterdrückung produziert, das ein vollständiges Spektrum des einseitigen, ausschließlich auf Eroberungsgewalt ausgerichteten spanischen Wesens suggerierte.291 So konnten die eigenen Kriegserfahrungen nicht allein noch stärker als Teil einer weltumspannenden zielgerichteten Unterwerfungsstrategie der machthungrigen, skrupellosen und ungläubigen Spanier erscheinen – wie sie etwa in der Schiffsmaschinerie der oben untersuchten Flugschrift Antwoordt op het tweede Refereyn […] (Abb. 11) letztlich auch zum Ausdruck kommt. Vielmehr fungierten die Serienbilder von Stadtbelagerungen während der Waffenstillstandszeit auch als Erinnerungsschablonen, in welche die jüngst vergangenen Kriegsereignisse portioniert in ein lineares Schema eingepasst werden konnten.292 Die Holländer wurden damit nicht nur zu einer gegenwärtigen, sondern zugleich zu einer historischen, schicksalhaft bestimmten Opfergemeinschaft stilisiert. In Ergänzung zu Historienwerken über den Krieg, wie sie etwa von Emanuel van Meteren um die Jahrhundertwende verfasst wurden,293 konnten die Spiegel-Serien die gesamte Entwicklung auf einen verbindlichen holländischen Leidensweg zuspitzen, der »geradlinig von ersten Demütigungen der Niederländer bis zur systematischen Destruktion ihres Landes und seiner politischen Strukturen führt«.294 Dieser linear strukturierten Geschichtsnarration, die die kollektive Wegstrecke der Opfergemeinschaft repetitiv durchspielt, steht das Zustandsbild der tuin-Bilder gegenüber, das über den festen Garten ein Traditionspostulat erhebt. Ein vermittelnder Zwischenraum zwischen diesen beiden Polen identitätsbildender Historisierung – eine Art konkreter Innenraum des Gartens – bildet sich um die Jahrhundertwende heraus: Die Haarlemer Dünenlandschaft, deren frühe Bedeutung bereits auf die Ausformung der landschaftlichen Formeln der Widerstandsdruckgrafik einwirkte, wird zusätzlich als ein ganzheitlicher Eigenraum konkretisiert (Abb. 20, 27, 28–40). Es wird eine spezifische, lokalisierbare, in sich geschlossene Landschaft geschaffen, die zu einem Schauplatz exem-

290 Cloppenburg 1620. Bei den früheren, um 1580 entstandenen Propagandabildern zeigt sich bereits, dass die tuin- und Walbilder (Abb. 5, 8) im Unterschied zu den ›Situationskarten‹ von Hogenberg (Abb. 6) nicht ausschließlich die Opferrolle, sondern vielmehr die Stärke und Ausdauer der Angegriffenen betonen können (siehe oben, 68 f.). Die späteren landschaftlichen Darstellungen sind ebenfalls, als eine Art ›positive‹ Ergänzung zu den Spiegeln, auf die Generalisierung des Feindbildes und der Kriegsvergangenheit, aber auch auf die Festigung des eigenen Landes konzentriert. 291 Vgl. hier die Untersuchungen von Müller 2003, 56–68. 292 Zur Konstruktion kollektiver Identität durch Ritualisierung der Erinnerung vgl. Assmann 1999, 56 ff.; Giesen 1999, 43 ff. 293 Meteren 1593; Meteren 1599. 294 Müller 2003, 59.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 plarischer und zugleich repräsentativer historischer Ereignisse wird – und so konkrete Anschaulichkeit mit abstrahierender Symbolik verbinden kann. Mit diesen um 1600 entstehenden Bildern der Haarlemer Landschaft wird gewissermaßen das ›reale‹ Innere des neuen tuin, das integrierte, historisch aufgeladene Dünenland, betrachtet – ist die Dünenlandschaft spezifizierbar, bedarf es keiner Grenzmarkierung: Dabei evoziert, wie zu sehen sein wird, der in den Bildern selbst thematisierte Akt der Landschaftsbetrachtung eine Distanz, die eine kollektive symbolisierende Erinnerung suggeriert – und somit das abstrakte Grenzsystem ersetzt. Die Haarlemer Dünenlandschaft wird in den Druckgrafiken Claes Jansz. Visschers zum Erinnerungsort der spanischen Belagerung Haarlems, der auch die ›Vorvergangenheit‹ eines vor der spanischen Verwüstung bereits gefestigten, gräflich-batavischen Landes einschließt. Doch bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts, wenige Jahre nach der Haarlemer Belagerung, setzt diese Entwicklung im lokalpatriotischen Raum mit einigen Grafiken von Hendrick Goltzius ein: Dieser Weg soll im Folgenden zunächst skizziert werden.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Haarlem als Kriegsschauplatz Die historische Festung Die Standarte, die der Fahnenschwinger (Abb. 20) auf dem Dünenhügel schwingt, gleicht einem vom Himmel herabwehenden Vorhang, der zur Seite gezogen wird, um einen Blick auf das Panorama zu eröffnen: Dahinter erstreckt sich eine ausgedehnte, in auslaufenden Hügeln gestaffelte Landschaft, an deren entferntem Horizont sich die Kulisse Haarlems andeutet. Dass die kleinen, verstreuten Figurenpaare in dieser Weite keine Spaziergänger, sondern offenbar Mitglieder einer bewaffneten, militärischen Einheit sind, erweist sich erst bei genauerem Hinsehen an den Umrissen ihrer erhobenen Lanzen. Als Hendrick Goltzius Mitte der 1580er-Jahre den Fahnenschwinger 295 und weitere ähnliche Darstellungen wie etwa den ebenfalls vor der Haarlemer Kulisse postierenden Feldwebel und den Standartenträger 296 anfertigte, waren bewaffnete Gruppen in der Landschaft Haarlems nicht ungewöhnlich. Sie riefen vielmehr ein wenige Jahre zurückliegendes Ereignis in Erinnerung, von dem sich Haarlem gerade erst wieder erholte – die Stadtbelagerung durch die Spanier in den Jahren 1572 und 1573. Vor Goltzius’ Stichen war die Belagerung bereits in verschiedenen grafischen Ansichten dargestellt worden, die

295 Diese Darstellung gehört zu der 1587 entworfenen Serie Soldaten und Offiziere (8. Blatt), für die Goltzius die Entwürfe anfertigte, während Jacques de Gheyn II die Stiche ausführte. Vgl. zu der Serie Ausstellungskatalog 2002, 80 f.; Hollstein 1953, 353–364; Schapelhouman 2003, 78; Schama 1987, 108. 296 Abb. in Hollstein 1953, 88.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem

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noch während des Ereignisses entstanden und auch noch Jahre danach in Historienwerke aufgenommen wurden. Sie zeigen die Belagerung jedoch aus einer anderen Perspektive als Goltzius. So bieten die um 1573 entstandenen Grafiken von Niclaes Liefrincx, Philips Galle und Henri Masen (Abb. 21–23) in der kartografischen Tradition Hogenbergs in vogelperspektivischer Übersicht einen detaillierten Lageplan des belagerten Umlandes.297 Allerdings überrascht, vor allem in den Darstellungen von Galle und Masen, die deutliche Hervorhebung bzw. Überzeichnung der westlichen Dünen. Die spezifischen Züge der bekannten Haarlemer Dünenlandschaft, die auch in der grundlegenden, in Hogenbergs und Brauns Städteatlas erschienenen Stadtansicht (Abb. 4) hervorgehoben sind, sind hier konkretisiert.298 In späteren Darstellungen, die auf diese frühen Grafiken zurückgreifen, sind die Dünen noch stärker Abb. 20 Hendrick Goltzius: Der Fahnenakzentuiert. So basiert die 1628 in Samuel van Ampschwinger, 1587, Kupferstich, 28,6 × 19,9 cm, zings Haarlemer Chronik erschienene Radierung TBeDresden, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett leg van Haerlem (Abb. 24), die Willem Akersloot nach Zeichnungen Pieter Saenredams anfertigte, zwar auf der Vorlage von Liefrincx; jedoch wirkt die Belagerung durch den abgesetzten Landschaftsgürtel deutlicher eingekesselt und von der Ebene des Betrachters abgeschirmt. Wo Liefrincx im Südosten Schlachtschiffe auf dem Spieringermeer andeutet, zeigt Akersloot einen ruhigen Teil des angrenzenden Haarlemmermeers mit einigen Segelschiffen; Liefrincx’ blasse Dünenketten im Westen, in denen die Belagerungssituation ausläuft, werden bei Akersloot, freilich auch mitgeprägt durch das Medium der Radierung, von scharf abgegrenzten Dünenwällen abgelöst, die am südlichen Horizont auf das Binnengewässer treffen. Während der Belagerungszustand bei Liefrincx somit in einer kartografischen Bestandsaufnahme in einer bildfüllenden Absolutheit erscheint, wird er in Akersloots Darstellung tellerartig in die Haarlemer Landschaft eingesetzt und dem Betrachter auf diese Weise in eine abgegrenzte Ebene entzogen. Diese Abgrenzung wird auch durch den Bildvordergrund bestärkt: Im Kontrast zu der unmittelbaren Aufsicht auf die scheinbar unbegrenzte Belagerungsfläche in der Vorlage führt die Radierung über den schattierten Vordergrund der landschaftlichen Anhöhe in die Belagerung ein. Das in Liefrincx’ Belagerungskarte einfach aufgesetzte Ortsverzeichnis wird hier als eine aufgestellte Tafel unter idyllischer Belaubung 297 Vgl. zu diesen Darstellungen auch Schwartz/Bok 1989, 35 ff. 298 Siehe oben, 53.

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Abb. 21 Niclaes Liefrincx: Dat Beleg van Haerlem, 1573, Kupferstich, 28,1 × 41,1 cm, Haarlem, Noord-Hollands Archief

Abb. 22 Philips Galle nach Maerten Jacobsz. van Heemskerck: Haerlem, 1572, Kupferstich, 22,3 × 34 cm, Haarlem, Noord-Hollands Archief

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem

Abb. 23 Henri Masen: Haarlem en deszelfs omtreken, tijdens de belegering in 1572–73, 1573, Zeichnung, 24 × 32,2 cm, Haarlem, Noord-Hollands Archief

direkt in die Landschaft integriert. Darunter huldigen folgende Verse Ampzings der ruhmreichen Vergangenheit der Haarlemer Belagerung: »Ihr habt den spanischen Arm für eure Stadt gebrochen, Oh, fromme Bataver! Und seinen Trotz gerächt. Und dem ganzen Vaterland ein sicheres Heil bereitet. Die Krone steht euch zu für eure Tapferkeit! Ihr wisst, was Spanien ist, und was wir da erwarten, Ihr wisst das in eurem Herzen und merkt es euch, Tut, wie ihr es getan habt, und stärkt euren Mut und eure Hand, Und opfert Gut und Blut für Gott und das Vaterland.«299 299 »Gy hebt den Spaentschen arm voor uwe Stad gebroken, O Vrome Bataviers! en synen trotz gewroken. En ’t gantsche vaderland een seker heyl bereyd. Die krone komt u toe voor uwe dapperheyd! Gy weet wat Spanjen is, en wat wy daer verwachten, Gy weet dat in uw hert, en houdt het in gedachten, Doet als gy hebt gedaen en sterkt uw moed en hand, En offert goed en bloed voor God, en’t vaderland.« Ampzing 1628, o.S. Vgl. Abb. 24.

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Abb. 24 Willem Akersloot nach Pieter Saenredam: TBeleg van Haerlem, Illustration in Samuel van Ampzing: Beschrijvinge ende Lof der Stadt Haerlem. Haarlem 1628, o.S., Radierung, 16,2 × 24,3 cm, Haarlem, Noord-Hollands Archief

So wird die Haarlemer Belagerung um 1630 zu einem ruhmreichen Exemplum der holländischen virtus stilisiert; die eigentlich blutige Niederlage der Haarlemer wird in eine höhere Sinnstiftung holländisch-batavischer Größe überführt. Diese historische Distanz wird durch die landschaftliche Rahmung der Belagerung ebenfalls evoziert, welche die in der früheren Zeichnung zum Ausdruck gebrachte Absolutheit des Status quo zurücknimmt und zum vermittelnden Ort der rühmenden Verse wird. Doch bereits in Goltzius’ Fahnenschwinger (Abb. 20), der nur einige Jahre nach der Belagerung entstand, ist die Dünenanhöhe ein entrückter Ort des Ruhmes, der das Ereignis der Belagerung in Abgrenzung zu den Belagerungskarten in eine assoziative Ferne rückt. Auf dem Dünenhügel setzt der Fahnenschwinger das stolze Schwingen des weiten Banners in Szene. Aus dieser Perspektive ist keine systematische Übersicht über die Belagerung gegeben. Zugunsten der patriotischen Repräsentation des Fahnenschwingers sind die Stadt und ihr unglücklicher Zustand weitgehend ausgeblendet. Auf diese Weise wird die Haarlemer Belagerung weniger als ein aktueller Zustand denn als ein in wenigen Zeichen erinnerbares historisches Ereignis präsentiert – symbolisch gefestigt im überzeitlichen Moment des Fahnenschwungs, der die Belagerung mit dem ruhmreichen Schein eines früheren historischen Ereignisses überblenden kann: Witte van Haemstedes Fahnenschwung auf der Witte Blink, der 1304 zum Aufstand gegen die Flamen aufrufen

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem sollte.300 Gerade dieses Moment des Kriegsappells Wittes auf dem Dünengipfel wurde seit dem 17. Jahrhundert als ein Schlüsselelement der Verteidigung Hollands kultiviert. »Als ein Geschenk von oben«, so umschreibt es der Dichter David Jacob van Lennep in seinem 1827 veröffentlichten Gedicht Hollandsche Duinzang, sei Witte mit seinem erhobenen Banner auf der Dünenkuppe erschienen, und »Jung und Alt mit Triumph und Jubelgeschrei kam aus Haarlem zu den Dünen geströmt«.301 Doch bereits 1628 ruft auch Ampzing in seiner Haarlemer Chronik dieses Ereignis an verschiedenen Stellen in Erinnerung. So führt er einmal den Namen der Düne ›Witte Blink‹ auf diesen Fahnenschwung Wittes zurück,302 und in einer anderen Passage berichtet er, dass »unser Volk […] mit seinem Oberhaupt Wit dem Feind entgegenzog« und zur »Dünenseite hin dem Feind in das Gesicht« trat.303 An dieser Stelle vergleicht Ampzing die Begebenheit auch mit der Haarlemer Belagerung: So, wie die Stadt in der spanischen Belagerung dem Land als eine Festung gedient habe, so sei sie auch früher schon »in solcher Not und gräulicher Unzeit den anderen wie eine Schanze, eine stählerne Mauer gewesen«.304 Indem der Aufstand gegen die Flamen durch Wittes Appell in Haarlem initiiert und danach in anderen Städten erfolgreich fortgesetzt worden sei, kommt Haarlem bei Ampzing der Stellenwert einer holländischen ›Abwehrmauer‹ zu, die in der »Dünenseite« auch einen landschaftlichen Ausdruck findet. In ähnlicher Weise gilt dann auch die eigentlich verlustreiche Haarlemer Belagerung bei Ampzing als »Mutter der Freiheit«305, die bei den darauffolgenden Belagerungen anderer holländischer Städte eine stärkere und siegreiche Abwehr der Spanier hervorgerufen habe. Beide Haarlemer Episoden erscheinen aus dieser Perspektive als Motor der holländischen virtus, gemeinsam erinnerbar durch den Schauplatz der Haarlemer Dünen. Jenseits des narrativen Vergleichs fallen diese beiden historischen Dimensionen in Goltzius’ Stich auf der visuellen Ebene zusammen (Abb. 20). Früher und direkter als in Akersloots kartografischen Illustrationen zu Ampzings Ausführungen (Abb. 24) wird die Dünenlandschaft bei Goltzius erstmals zu einem lokalisierbaren Ort der holländischen

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Siehe oben, 31 ff. Lennep 1966, 58. Vgl. Ampzing 1628, 74 f. »Hier-tuschen komt ons volk in grooter ijlen recken, Met Wit hun overhoofd den vijand tegen trecken, […] En treen den duyn-kant heen den vijand in’t gesicht […].« Ebd., 312 f. 304 »Gelijk dan onse Stadt ’t Land heeft gedient voor wallen In ’t Spaensche overlast: so ist ook doe gevallen En is in sulken nood / en grouwelik tempeest Den and’ren als een schanz / en stale muer geweest.« Ebd. Zu diesen Passagen siehe unten, Kap. »Erinnern und Erfahren: Schauplatzbeschreibungen«. 305 »Van Haerlem mag dan wel ten rechten sijn geseyd, Dat sy de moeder is van onse vrijicheyd.« Ebd., 165.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 virtus. Komplementär zu den Grenzformeln der Widerstandsdruckgrafik eröffnet sich so am Ende des 16. Jahrhunderts eine neue identitätsstiftende Aneignung der Haarlemer Landschaft. Sie kann als ein konkreter, exemplarischer Schauplatz der holländischen Geschichte einen anderen Zugang zu den Geschehnissen des Aufstandes schaffen: In der Figur des Fahnenschwingers auf dem Dünengipfel wird Witte van Haemstedes Appell reaktiviert – und in diesem historischen Sfumato wird die Haarlemer Belagerung zum Glied einer sinnstiftenden Kette ruhmreicher Ereignisse sublimiert. Als ›reales‹ Ereignis verblasst, wird sie als bereits kulturell codierte holländische Historie präsentiert. »Das Wohlergehen des Landes«, so hebt es die Inschrift hervor, die den von Goltzius angefertigten Standartenträger begleitet, »muss von den Getreuen bewahrt werden, die an jeder Seite ihre Treue zum Vaterland beweisen.« 306 Die Tradition dieses Vaterlandes wird in der sichtbaren Haarlemer Landschaft manifest. ›Vicit vim virtus‹ Der identitätsstiftende Status der Haarlemer Belagerung wird nach der Jahrhundertwende in weiteren Bildern der Haarlemer Landschaft gefestigt. So bieten auch die Ansichten von Visscher (Abb. 29–40) in der Zeit des Waffenstillstandes einen lokalisierbaren Schauplatz der holländischen Geschichte, einen Innenblick in den batavisch-gräflichen tuin. Doch bevor diese Phase der druckgrafischen Popularisierung betrachtet werden soll, gilt es, ihren lokalpatriotisch motivierten Ausgangspunkt genauer in den Blick zu nehmen – die Phase, in der Goltzius’ frühe militärische Darstellungen entstanden. Das identitätsstiftende Potenzial der Haarlemer Landschaft wurde Ende des 16. Jahrhunderts vorgezeichnet, als die codierten Landschaftsstrukturen der Widerstandsdruckgrafik aufkamen, in denen, wie oben dargelegt, auch die älteren lokalen Landschafts- und virtus-Diskurse der Haarlemer Region gerade im Bezug auf gräfliche Tradition, bürgerliche Kampfeskraft und batavische Abstammung aufgegriffen werden konnten. In Wechselwirkung mit dieser breiten, propagandistischen Popularisierung landschaftlicher Zeichen wurden die Haarlemer Topoi, gleichsam reflektiert, in ihrem ›Epizentrum‹ reaktiviert: In den 1580er-Jahren begann die nach der Belagerung geschwächte Stadt, ihr Profil als eine alte holländische Grafenstadt zu schärfen.307 In dieser sogenannten Haarlemer Renaissance308 ging Goltzius’ Standartenträger-Serie als eines der ersten visuellen Erzeugnisse aus der programmatischen städtischen Gedächtniskultur hervor. Bereits 1578 zeugte, wie oben ausgeführt wurde, das Umhängen der alten Grafenporträtserie ins Rathaus von dem Interesse der Stadt, sich nachdrücklich auf ihre gräflichen Wurzeln zu

306 »Des lants weluaert moet zyn bewaert byden getrouwen, die aen elcken cant voor tvaderslant haer trouw beuysen.« Siehe zu der Abbildung des Standartenträgers Strauss 1977, 282; vgl. auch Hollstein 1953, 88. 307 Vgl. Bièvre 1988, 313 ff. 308 Vgl. zu der Phase der Haarlemer Renaissance ebd., 312 ff.; Leeflang 1997, 63 ff.; Bueren 1997.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem berufen.309 In den folgenden Jahren wurden weitere Grafenporträts in Auftrag gegeben, unter anderem fertigte auch Goltzius 1586 eine Bildserie für die Chronik Affkomst ende korte Historie der Graven van Hollandt von J. G. Blyenburgh an, die später noch mehrmals aufgelegt wurde.310 Ihre Bedeutung als früher Grafensitz ließ die Stadt auch mit der in den 1590er-Jahren errichteten Residenz für Prinz Maurits von Oranien,311 den erklärten ›Erben‹ der holländischen Regentschaft, wieder aufleben. So konnte Haarlem als ein Knotenpunkt der holländischen Tradition, als ein Garant der viel beschworenen holländischen Privilegien erscheinen, deren ›Rückeroberung‹ im Zuge des Spanienkrieges propagiert wurde; aus dieser Perspektive erschien auch die Haarlemer Belagerung als ein zentrales Kriegsgeschehen.312 Dass sich Haarlem somit zu einer Art Zentrum des proklamierten tuin stilisierte, wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts auch an neu errichteten Bauwerken wie beispielsweise dem Waag Huis, dem Haus zur Kontrolle des Warenimports und der Steuererhebung, ersichtlich. So zeigt die zum Marktplatz gerichtete Fassade des zwischen 1594 und 1599 unter Leitung von Lieven de Key erbauten Gebäudes einen löwenbesetzten tuin.313 In diesem Rahmen erscheint er jenseits der Angriffskonstellation als isoliertes Signet, das die traditionelle niederländische Einheit proklamiert. Er steht zugleich im Zeichen der spezifischen Haarlemer Eintracht: An der anderen Fassade des Eckhauses ist das Haarlemer Wappen angebracht, das in dieser Zeit auch an anderen öffentlichen Gebäuden Haarlems, wie am 1613 errichteten Turm der Kirche von St. Anna314, erschien. Es erinnert besonders an die virtus der Haarlemer Bürger während des Damiette-Feldzuges, aus dem es hervorgegangen sein soll.315 In Kombination mit dem tuin an der Fassade des Waag Huis wird die Haarlemer virtus in eine höhere holländische Gültigkeit überführt,

309 Vgl. Bueren 1997; siehe zu der Grafenserie auch oben, 39 ff. 310 Siehe Hollstein 1953, 96; vgl. auch Strauss 1977, 324 ff. 1620 wurden Goltzius’ Drucke von Adriaen Matham kopiert, allerdings erst 1663 in Amsterdam als Illustrationen von Het oude Goutsche chronycxken van Hollandt, Zeelandt, Vreisdlandt en Utrecht mit Bemerkungen von Petrus Scriverius herausgegeben. Bemerkenswerterweise handelt es sich hier um Radierungen, die zwar auf Goltzius’ Stichen basieren, jedoch auch landschaftliche Elemente aufnehmen. Vgl. Jong 1997, 84. Vgl. zu den Abbildungen Someren 1888, 102, Nr. 100; Haitsma Mulier/Lem 1990, 377–378. 311 Für diesen ›Prinsenhof‹ baute man das Dominikanerkloster um. Vgl. zu der Politik der Haarlemer Regenten im Gefolge von Maurits von Oranien Bièvre 1988, 317. Vgl. auch ebd., 317 f., zu den Gemälden im Prinsenhof, deren verschiedene, alttestamentliche, neutestamentliche, mythologische und zeitgenössische Sujets nach Bièvre allesamt den richtigen Weg der Tugend dem falschen Weg der Sünde gegenüberstellen und auf diese Weise als politische Direktive verstanden werden können. 312 Die tuin-Darstellung der ›spanischen Schweine‹ (Abb. 8) scheint diese Pars-pro-Toto-Stellung Haarlems bereits aufzufangen: Die Zaunstelle, über die ein Schwein zu springen ansetzt – was der wohl entschiedenste Schritt zur Vereinnahmung des Gartens wäre –, ist mit dem Wappen Haarlems besetzt. 313 Vgl. hier und im Folgenden die Abb. bei Bièvre 1988, 318 ff. 314 Vgl. ebd., 321 und Pl. 15. 315 Siehe oben, 30. Vgl. zu dem Wappen auch Miedema 1926.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 welche bürgerliche Tugenden und gräfliche Tradition vereint; zugleich werden die Haarlemer Wurzeln des gräflichen tuin erinnert. So kann die Stadt die eigenen bürgerlichen und gräflichen Ursprünge programmatisch aktualisieren. Die virtus wird auch ganz explizit zur Devise der Stadt: Bereits in seinem während der Belagerung entstandenen Tagebuch berichtet der Vorsteher des Leproos-, Pest- en Dolhuys, Willem Janszoon Verwer, dass die neue Haarlemer Galeere bei der Schlacht auf dem Haarlemmermeer im Februar 1573 das Motto Vicit vim virtus (Die Tugend hat die Kraft besiegt) auf ihrer Flagge trug; neben seinem Text findet sich eine bekräftigende Skizze des Haarlemer Wappens.316 Dieses Motto konnte bereits den Topos festigen, dass die Belagerung trotz der Haarlemer Niederlage ein Exemplum holländischer virtus darstellte, die sich in der holländisch-haarlemischen Geschichte, etwa bei der DamietteEroberung oder dem Kampf Wittes van Haemstede, immer siegreich bewährt hatte.317 So wurde das Vicit vim virtus nur wenige Jahre nach der Belagerung an neuen Bauten und in zeitgenössischen grafischen Stadtprofilen festgeschrieben.318 Im 1596 entstandenen Holzschnitt, der ein Stadtlobgedicht Karel van Manders begleitet (Abb. 25), verbindet das Motto drei städtische Wappen miteinander, die über der Haarlemer Landschaft – zwischen der östlichen und der westlichen Dünenkette – verankert sind und das Profil der Stadt rahmen. In der Position der Worte kommt die Unterordnung der vis auch visuell zum Ausdruck: Während ›Vicit‹ von zwei Wappen gerahmt wird, ist ›vim‹ nicht eigens getrennt, sondern so nahe an ›virtus‹ herangerückt, dass der Blick des lesenden Betrachters es geradezu überspringt und in der ›virtus‹ und dem Schlussakzent des Baumwappens mündet. Dieses Baumwappen kann wiederum die virtus der Haarlemer besonders unterstreichen: Das Wappen des entlaubten Baumes ist eine nach der Belagerung aktualisierte Form des alten Baumwappens mit einem belaubten Baum319 und weist offenbar auf den während des Kampfes unternommenen Kahlschlag des Haarlemmerhout hin.320 Die Präsenz dieses neuen Baumwappens zeugt einmal mehr von der städtischen Gedächtniskultur, von der identitätsstiftenden, nahezu gründungsmythischen Dimension der Belagerungszeit – und darüber hinaus davon, dass diese Kultivierung sich auch in

316 Verwer 1973, 51. Zwei noch erhaltene Standarten eines weiteren Schiffes tragen ebenfalls das Motto – eine ist orange und blau und trägt das Datum 1572, die andere ist rot, von 1573 und zeigt auch noch das Stadtwappen mit den Wappen der beiden Militärkompanien. Vgl. Bièvre 1988, 305. 317 Als Chronogramm gelesen, ergibt die Devise ›Vicit vim virtus‹ zudem das Jahr 1219 und verweist somit auf die Eroberung Damiettes. Vgl. Robert 1975, 119; Miedema 1926, 73 ff. 318 Die 1603 erbaute Vleeshal trägt das von Satyrn getragene Stadtmotto Vicit vim virtus. Bièvre 1988, 320, deutet dies als ein Symbol für die städtische Kontrolle über die wilde Natur. 319 Vgl. Leeflang 1997, 62 f.; Bièvre 1988, 307. Vgl. auch Miedema 1926, 71. Siehe auch oben, 23 f., und unten, 141 f. 320 Dieser Kahlschlag war eine notwendige Maßnahme der Haarlemer, um die feindlichen Truppen besser verorten und angreifen zu können. Vgl. zu dieser These Bièvre 1988, 307 f., Leeflang 1997, 62 f.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem

Abb. 25 Karel van Mander: ’t Stadt Haerlems Beeldt, Illustration zu Karel van Mander: Het tweede beelt van Haerlem. ’t Stadt Haerlems Beeldt […], 1596, Holzschnitt

landschaftlichen Zeichen niederschlägt. Im dritten Stadtwappen, das links im Holzschnitt das Motto der virtus einleitet, ist der Baum mit den Emblemen Damiettes – dem Schild mit dem Schwert und den vier Sternen – kombiniert. Doch indem auch hier der entlaubte Baum an die Stelle des belaubten getreten ist, wird – in Analogie zu den Zeichen Damiettes – das fundierende Ereignis der Belagerung reflektiert. Indem somit in diesem Wappen die beiden Mythen um die Belagerung Haarlems und die Eroberung Damiettes zeichenhaft verknüpft sind, wird die Niederlage der Belagerung zu einem Sieg der virtus uminterpretiert. Der Eindruck einer höheren geschichtlichen Ordnung wird wiederum in der linearen Kombination der einzelnen Wappen mit den Worten der städtischen Devise erzielt. Gerade in der Verbindung mit den Haarlemer Wappen wird das Vicit vim virtus über den aktuellen Kontext der Belagerung hinaus zu einem überzeitlichen ›David-Goliath-Prinzip‹: In seinem Licht erscheinen sowohl die Eroberung von Damiette als auch die Verteidigung gegenüber den Spaniern als Triumphe in einer zunächst aussichtslos wirkenden Situation – Triumphe des Schwächeren, dessen Tugend sich durch Klugheit und Eintracht auszeichnet. Es sind diese hollandrelevanten Momente der Haarlemer virtus, welche auch in van Manders Stadtlobgedichten selbst hervorgehoben werden. Seine beiden um 1596 verfassten Gedichte sind Zeugnisse des neuen städtischen Selbstbewusstseins, die die Tradition der älteren Stadtlobgedichte aktualisieren und sich in den Dienst der ruhmreichen Gedächtnispflege stellen: »Denn löbliche Tat weicht selten aus des Menschen Erinnerung.«321 Als zentrale Manifestation des Vicit vim virtus wird in beiden Gedichten

321 »Want / Loffelijcke daet selden uijt s’ menschen memorij wijckt.« Mander 1911, 23.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 wiederum die Eroberung Damiettes angeführt. So betont van Mander in seinem ersten Gedicht, als er die Ereignisse um Damiette als Höhepunkt innerhalb einer Reihe bewaffneter Konflikte Haarlems seit dem 13. Jahrhundert schildert, dass Haarlem sein »edles Wappen […] als Lohn von streitbarer Tugend und Klugheit« bekommen habe. Die Stadt könne daher »sehr sinnreich schreiben: durch Tugendhaftigkeit die Kraft besiegt zu haben, denn die edle Tugend richtet sich immer wieder auf, was Damiette dann auch erfahren hat, als sie ihre Kraft durch die Haarlemer verlor«.322 Analog resümiert er in seinem anderen Gedicht bei der ausführlichen Darlegung der Ereignisse in Damiette: »Kunstvolle Spitzfindigkeit übersteigt Kraft wohl.«323 In diesem Licht erscheint hier dann auch die Haarlemer Belagerung, die van Mander vor seiner Schilderung der Damiette-Begebenheit geschickt einbaut. Dabei verfährt er geradezu analog zu der heraldisch-textuellen Repräsentation des allumspannend gültigen Vicit vim virtus im Holzschnitt. So setzt van Mander durch rahmende Verweise auf die städtische virtus die Episoden um Damiette und die Belagerung zueinander in Beziehung. So, wie im textbegleitenden Holzschnitt die musterhaften Worte Vicit vim virtus ihre fassbar ausgeformten Symbole miteinander verbinden, so ranken sich im Text die Erläuterungen zu der fortdauernden bürgerlichen Kampfestugend um die Schilderungen ihrer konkreten Triumphmomente. Ausführungen über die Kühnheit der Männer sowie auch der Frauen Haarlems leiten van Manders Kommentar zu der Belagerung beziehungsweise seine Schilderung der Eroberung Damiettes ein und vermitteln umso mehr den Eindruck einer überzeitlichen Reichweite der Tugend. Zunächst werden die Männer als batavische Nachfahren charakterisiert: »Gottesfürchtig, treu, vom Verstand geleitet, Edelmütig, langmütig und gern friedlich; Aber feindselige Streitigkeiten beweisen auf der Hand Noch ihre alte Klugheit als batavische Helden, Deren streitbares Wappen da in manchem historischen Bericht erscheint Von Cornelius Tacitus und vielen anderen.« 324 322 »Dus Haerlem heeft […] Haer edel schilt, en dat te loone van Strijtbare deucht en kloeckheijt, dus sij kan Voor haer advijs wel schrijven seer versinlijck: Door deuchtsaemheijt de kracht te sijn verwinlijck, Want d’edel deucht te boven komt aldoos, Welck Damiaet oock wel was ondervinlijck Doe sij haer kracht door d’Haerlemmers verloos.« Mander 1911a, 37. 323 »Konstijghe subtijlheijt gaet kracht te boven wel.« Mander 1911, 26. 324 »Godtvruchtich, getrouwe, onderworpen de reden, Goedertieren, lanckmoedich, en geerne met vreden; Maer vijandich bestreden bewijsen metter hant

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Mit dem Verweis auf die Belagerung wird diese batavische Stärke anschließend demonstriert: »Über ihre mannhaften Taten, keine ausgenommen, War die spanische Partei wohl verwundert, Deren schrecklicher Beschuss auf die Stadt donnerte Im Jahr unseres Herren tausendfünfhundertzweiundsiebzig und auch dreiundsiebzig; Aber der Feind verlor durchs Stürmen die Fantasie: Die Münze, die man schlug, gefiel ihm aufs Beste nicht, Das kluge, gemeinmutige Herz vernichtete seine Tyrannei: Bürgerliche Eintracht ist eine starke Festung, seht!«325 Durch den Charakter der batavischen Kämpfer wird die militärische Niederlage zu einem zivilen Sieg der Eintracht und des Mutes umgedeutet, der – ähnlich wie es später van Ampzing wieder aufgreift – als ›Festung‹ Hollands fungieren kann. Die Macht des Zusammenhalts und Durchhaltevermögens, die der Ungerechtigkeit der asymmetrischen Kräfteverhältnisse trotzt, wird in einer den tuin-Darstellungen vergleichbaren Weise heraufbeschworen. Gleichsam ist das Umland des tuin zwar von den Angreifern verwüstet, das umzäunte Gehege der Einigkeit selbst aber ist durch den beständigen Kampf nicht durchbrochen. Mit dieser Beständigkeit kann trotz der Opfer einer kurzfristigen Niederlage langfristig die Rückeroberung des restlichen Gartenterrains ermöglicht werden – sodass der Feind auf Dauer demoralisiert wird: In den Kontext dieser popularisierten Rhetorik fügt sich van Manders frühe Heroisierung der Haarlemer Belagerung. Um die historische und gesellschaftliche Reichweite der konsequent einmütigen Verteidigungsmacht Haarlems zu betonen, bezieht van Mander nach seiner Auslegung der Belagerung explizit die Leistung der Haarlemer Frauen in sein Lob mit ein, bevor er sich dann ausführlich den Geschehnissen um Damiette widmet. Er rahmt somit seinen Verweis auf die Haarlemer Belagerung mit Eindrücken der tugendhaften Männer und Frauen Haarlems, um dann mit dem Ruhm von Damiette als dem zweiten Nachweis der

Noch haer oude kloeckheijt als Bataviers valjant, Wiens strijtbaer wapen daer in menich hijstorie blijckt Door Cornelis Tacitus en meer andere […].« Ebd., 23. 325 »Van haer manlijcke daden, gene uijtgesondert, Was wel verwondert haer Spaensche partije, Wiens vreeslijck geschut op de stat heeft gedondert Int jaer ons Heeren duijsent vijf hondert ’t Seventich twee en oock ’t seventich drije; Maer den vijant van stormen verloos de phantasije: De munte die mer sloech beviel hem opt beste niet, ’t Kloeck gemeenmoedich hert dempte sijn tierannije: Borgerlijcke eendracht is een stercke veste, siet!« Ebd., 24.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 die Kraft besiegenden »kunstvolle[n] Spitzfindigkeit« den ersten Beleg überstrahlen zu lassen. Während die Belagerung jenseits genauer Schilderungen des nicht zuletzt ja unglücklichen Verlaufs auf ihre moralische Essenz der bürgerlichen Eintracht reduziert wird, wird die Begebenheit von Damiette als ein konkretes Exemplum in Einzelheiten dargestellt. Als überzeitliches Bindeglied zwischen diesen beiden Ebenen fungiert an dieser Stelle das Lob der Haarlemer Frauen, indem es den Ereignissen um Damiette vorangestellt wird: »Aber von ihrer Klugheit zeugen ihre Taten, Damals, als sie auch ihrer belagerten Stadt vorstanden; Die alte Frömmigkeit wurde bei ihnen noch gefunden, Denn in Vorzeiten sogen die holländischen Frauenmünder die Wunden aus, Die ihre Männer in blutigen Gefechten bekamen; Ja, die Frauen pflegen bei ihren Männern zu stehen und kühn zu überlegen, Klug zu fechten, sodass sie Gewinnerinnen werden. Es ist ein Wunder, wenn Frauen männliche Taten tun.« 326 Damit entwickelt van Mander das klassische, auf Mathijszen zurückgehende Lob, das sich ausschließlich auf die Schönheit der Haarlemerinnen bezieht,327 entscheidend weiter. Den Männern entsprechend erscheinen die Haarlemerinnen hier als Heroinen der batavischen Vergangenheit und Gegenwart, indem sie die Unvergänglichkeit der »alte[n] Frömmigkeit« batavischer »Vorzeiten« auch während der Belagerung demonstrierten. Mit den »männlichen Taten« spielt van Mander wohl auch auf den zeitgenössischen Ruhm der Haarlemerin Kenau Siemonsdochter an, der man wenige Jahre nach der Belagerung besondere Verdienste im Kampf gegen die Spanier zusprach. So soll die Witwe eines Haarlemer Schiffsbauers 300 Frauen bei der Verteidigung der Stadtmauern angeführt haben.328 Wurde die Haarlemer Belagerung im lokalpatriotischen Kontext van 326 »Maer van haer kloeckheijt haer daden oorconden, Doen sij oock voorstonden haere stat belegen; Die oude vroomicheijt wert bij haer noch gevonden, Want in voortijden d’Hollantsche vrouwenmonden Uijtsogen de wonden die haer mannen kregen In bloedighe strijden; ja, de vrouwen plegen Bij haer mannen te staen ende te raden koen Kloecklijck te vechten, dat zij verwinners bedegen. ’t Is wonder als vrouwen mannelijcke daden doen.« Ebd. 327 Siehe zu Mathijszen oben, 29 ff. Mathijszen widmete der Schönheit der Haarlemerinnen nach seinem ausführlichen Lob des Haarlemer situs eine kleine Passage, vgl. Mathijszen 1911, 14 f., V. 56–62. 328 Nachweisbar ist lediglich, dass Kenau als Witwe des Schiffsbauers Nanning Gerbrantsz. Holz für ein Schiff geliefert hat, das während der Belagerung über das Haarlemmermeer Kontakt zum Prinzen von Oranje unterhalten musste. Kurze Zeit nach der Belagerung wurden jedoch weitere Geschichten über sie in Umlauf gebracht, und ihre Rolle im Krieg, anfangs noch recht ungeklärt, nahm zunehmend

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Manders und Goltzius’ zu einem Exemplum des Krieges stilisiert, so konnte diese einzelne Haarlemerin wiederum als Pars pro Toto der Haarlemer Kriegstugenden angeführt werden. Als eine aktiv am Kampf mitwirkende Frau konnte sie die Reichweite und Konsequenz der Haarlemer Eintracht belegen und den David-Goliath-Topos – den Triumph des umsichtigen ›Schwächeren‹ – konkretisieren. Eine wenige Jahre vor den Stadtgedichten entstandene Radierung von Remigius Hogenberg zeigt den Ort dieses Triumphes (Abb. 26): Auf einem Hügel über der Stadt Haarlem hält Kenau, gewissermaßen als ›Judith Haarlems‹, einen abgeschlagenen Kopf in ihren Händen – der begleitenden Inschrift zufolge das Haupt eines spanischen Abb. 26 Remigius Hogenberg: Kenau Simonsz Hasselaar, ca. 1573–1588, Radierung, 31 × 26 cm, Offiziers, dessen Existenz aber sonst nicht 329 Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet Kenau wird somit nicht im belegt ist. Kampf, etwa als Anführerin der 300 Frauen, gezeigt, sondern ist bereits gleichsam zu einem Heldenstandbild der Belagerung geworden – dessen historische Reichweite von van Mander dann auch textuell entfaltet werden kann. Die Hügellandschaft Haarlems ist wie in Goltzius’ zeitgleichen Stichen zu einem patriotischen Schauplatz der lokalen Geschichte erhoben. Die Stadt selbst wiederum ist

heroische Züge an. Zum Teil mögen weitere Lebensumstände das nachträgliche Interesse bzw. den Bekanntheitsgrad verstärkt haben. So leitete Kenau den Betrieb nach dem Tod ihres Mannes weiter, führte viele Prozesse und wurde später selbst der Hexerei beschuldigt, bevor sie um 1588 auf einer Handelsreise verscholl. Vgl. Kloek 2001; Kurtz 1956. Vgl. in den historiografischen Texten des 17. Jahrhunderts zu Kenau zum Beispiel Hooft 1972, 297, der sie als »mutige Männin« bezeichnet, die unerschrocken dem Feind entgegengezogen sei (»Ook hadden zy bynaa duyzent delvers, volk van allerley soorte; booven driehondert wyven, bescheyden, tot het zelfste werk, onder Kenauw Simon Hasselaars, een’ moedighe mannin, weeduwe van zessenveertigh jaaren, onbesprooken van leeven, en van een der beste huyzen; die niet schreumde, met spiets, bus, en rappier, in vrouwen gewaadt, den vyandt te keer te gaan.«). Auch Ampzing hebt sie 1628 preisend hervor und bezeichnet sie als »Heldin van’t Nederland«. Vgl. Ampzing 1628, 160. 329 Die Haltung und das Thema erinnern nach Bleyerveld an das von Willem van Haecht entworfene Bildschema von Tyrannenmördern in seinem Buch Tyrannorum praemia. Den loon der tyrannen (1578). Vgl. dazu sowie zu der Ikonografie dieses Werkes Bleyerveld 2001, 144 ff.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 lediglich in ihren Umrissen angedeutet – im Fahnenschwinger mit der Silhouette der St. Bavo Kerk (Abb. 20), in der Kenau-Darstellung in einem vogelperspektivisch-kartografischen Umriss –, um die Landschaft zeichenhaft zu lokalisieren.

Landschaft und virtus Parallel zu den patriotischen Texten van Manders und seiner Zeitgenossen tritt die lokalisierbare Haarlemer Dünenlandschaft in mehreren Darstellungen ins Bild. Als ein historischer Angelpunkt des Vicit vim virtus verknüpft sie die historisierenden Dimensionen, die auf der narrativen Ebene nebeneinanderstehen. Aus der erhöhten Perspektive des landschaftlichen virtus-Axioms erscheint die Belagerung als Zeugnis einer historischen Gesetzmäßigkeit, die der real erfahrenen Unsicherheit über die Kriegsentwicklung eine Richtung vorgibt. Analog zu den Grenzmustern der Widerstandspropaganda wird in einigen Haarlemer Bildern mit der historischen Suggestivkraft der Erinnerungslandschaft an die bürgerliche patientia appelliert. Während die Landschaftsmuster in den propagandistischen Bildern jedoch eine Spannung zwischen der vergangenen virtus und dem gegenwärtigen feindlichen Angriff erzeugen, vermögen es die neuen lokalen Bilder von Haarlem, die Gegenwart bereits in siegreichen Kondensaten zu historisieren und die Überwindung der feindlichen vis anzudeuten. Konkrete landschaftliche Erfahrungen während der Haarlemer Belagerung konnten im Übrigen auch dazu beigetragen, das Haarlemer Land als einen aktuellen Erinnerungsort der spanischen vis und der holländischen patientia wahrzunehmen: Denn das traditionsreiche, vielseitige Umland erwies sich bei der spanischen Umzingelung als ein strategischer Nachteil, indem es das Abwehrpotenzial der Stadt minderte. Andere Städte, die in flachen, sumpfigen Ebenen gelegen waren, besaßen oft die Möglichkeit, feindliche Zonen zu überfluten; generell waren die spanischen Lager in diesen schlammigen Gebieten, in denen der Zugang zu trockenem Erdmaterial erschwert war, oft in einem schlechten Zustand und von frühzeitigen Erkrankungen bedroht. Im Gegensatz dazu waren die Bedingungen des Haarlemer Umlandes für die Spanier weitaus günstiger: Indem die Stadt auf einem hohen Sandwall gelegen ist, war sie an der Nord- wie an der Südseite einem Angriff stärker ausgeliefert. Der hoch gelegene Geestgrund im Norden war für Gräben, Batterien und andere Angriffskonstellationen der spanischen Belagerer geeignet. Hier dienten auch einige strategisch günstig situierte Gebäude wie das Huis te Kleef, das Leprozenhuis und das Reguliersklooster als spanische Lager.330 Darüber hinaus war Haarlem nicht nur im Westen vom Wasser aus angreifbar, denn die Spaarne verband zwei

330 Das Huis te Kleef, ein altes Kastell im Besitz der Brederode, war das Hauptquartier Don Fadriques, das Leprozenhuis (Lasery) lag kurz vor der Stadt und besaß einen Schießturm. Das Reguliersklooster war ein Gebäudekomplex, der ebenso wie das Leprozenhuis als Lager eines spanischen Regimentsstabs mit Truppen diente. Vgl. Wijn 1942, 12 f.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem große Seen – das Haarlemmermeer und das Spieringermeer im Süden und Südosten – mit dem Ij, der gezeitenabhängigen Einströmung der Zuiderzee.331 Und schließlich bot sich auch der Haarlemmerhout im Süden als Schlupfwinkel für spanische Truppen an, sodass die Haarlemer während der Belagerung einen Kahlschlag durchführen mussten, um einen besseren Überblick über die spanische Zone zu erlangen.332 Das Haarlemer Wappen des entlaubten Baumes, das auf diesen Kahlschlag verweist, bekundet das geschärfte Bewusstsein für die landschaftliche Dimension des Kampfes. Es zeugt von der Intention, die Historizität der kollektiven Gewalterfahrungen in landschaftlichen Zeichen zu formulieren. Doch in Kombination mit dem positiv besetzten Dünenzeichen wird bald ein überzeitlicher Kreislauf des Sieges konstruiert: In Visschers Titelblatt (Abb. 29) trägt der entlaubte Baum auf dem Dünenhügel die zerrissenen Kettenteile Damiettes an seinen Ästen. Er wird so zu einem Zeichen, das die Spuren der besiegten fremden vis im Kreislauf eines überzeitlichen Vicit vim virtus zeigt, wie es van Mander in seinen Stadtgedichten beschwört.333 Bereits in Goltzius’ früherer Fahnenschwinger-Grafik (Abb. 20) wird die historisch aufgeladene und zuletzt konkret erfahrene Haarlemer Landschaft eingesetzt, um die Überwindung der feindlichen vis zu postulieren. Ein zeitgleich mit dem Fahnenschwinger entstandener Stich (Abb. 27) von Goltzius charakterisiert das Wesen des Haarlemer Sieges richtungsweisend durch die beiden Allegorien Fortitudo et Patientia:334 Der Dünenhügel, der wie in den anderen Ansichten Goltzius’ vor einer nur matten Folie der Stadt aufragt, ist ein idyllischer Ort, an dem die Tugenden Fortitudo und Patientia vereint sind. Wieder erscheint aus der Perspektive des erhöhten Dünengipfels die Belagerung weniger als situative ›Momentaufnahme‹ denn als eine zeichenhafte historische Spur. Fortitudo, die Tapferkeit, artikuliert in ihrer Position auf der Düne ähnlich wie der Fahnenschwinger, dass die Haarlemer Belagerung als historisches Moment in einer Reihe ruhmreicher Episoden holländischer Kampfeskraft eingelagert ist. Doch die Tapferkeit ist hier gebunden an die Tugend der Duldsamkeit: In der Widerstandspropaganda ist die holländische patientia von großer Bedeutung, indem an das einträchtige Durchhaltevermögen einer festen aufständischen Einheit appelliert werden soll. So erscheint die holländische patientia in den Situationskarten von Hogenberg (Abb. 6) in der Gestalt der schreckverzerrten Opfer als Gegenstück zur spanischen Grausamkeit ausschließlich aus der Perspektive des gemeinsam durchlebten Leides; in den tuin-Darstellungen wird durch die Spannung zwischen dem belagerten Umland und dem

331 332 333 334

Vgl. ebd. Vgl. Leeflang 1997, 62 f. Zu Visscher siehe unten, 141 ff. Dieser Stich erschien um 1582 in der vierteiligen Serie Die vereinten Tugenden. Siehe dazu Hollstein 1953, 21.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 geschlossenen Garten die positive Wirkkraft der patientia als einer beharrlichen Ausdauer beschworen, indem die Dünenlandschaft ein Fundament holländischer virtus vermittelt. Diese überhistorische landschaftliche Dimension wird in Goltzius’ Panorama der Haarlemer Belagerung bestimmend: Die Dünenlandschaft ist ein abgeschiedener, erhöhter Ort jenseits der konkreten Kampfsituation, an dem die Tapferkeit und Duldsamkeit symbiotisch vereint zu festen Haarlemer Tugenden deklariert werden, die ›natürlicherweise‹ an diesem individuellen Ort beheimatet sind. In der Haarlemer Landschaft kann so ein überzeitlicher Kreislauf konstruiert werden, in welchem fortitudo und patientia fruchtbar ineinandergreifen. Aus dieser Perspektive scheint auch die Belagerung bereits ein historisches Zeugnis dieser Tugenden zu sein. Die historisch gefestigte holländische virtus, so kann mit dieser Landschaft garantiert werden, liegt in einer Stärke, die immer auch an Duldsamkeit gebunden ist. Indem patientia als eine Notwendigkeit höherer Ordnung erscheint, vermag es die Darstellung, stärker noch als der Fahnenschwinger, die historische Bedeutsamkeit der bürgerlichen Eintracht zu imaginieren. Damit soll in der unsicheren Gegenwart die Erinnerung an die Haarlemer Belagerung vor allem mit der Bestätigung kultiviert werden, dass bürgerliche Eintracht, wie es auch van Mander resümiert, »eine starke Festung« sei.335 Die Stärke dieser Haarlemer ›Festung‹ entwickelte sich auf dem Fundament der frühen lokalpatriotischen Projektionen zu einem Topos in Stadtchroniken und Historienwerken der folgenden Jahrzehnte. Wie Levesque herausgearbeitet hat, wird die Haarlemer Belagerung im 17. Jahrhundert oft als ein lobenswertes Exemplum holländischer fortitudo und patientia angeführt, das einerseits das Ausmaß der spanischen Gewalt, andererseits das Gegengewicht der holländischen Eintracht demonstrieren soll.336 Zunehmend wird die Belagerung zu einem ›nationalen‹ Wendepunkt des Aufstandes erklärt, der siegreiche Kämpfe der Holländer einleitete: Während Emanuel van Meteren in seinen 1599 erschienenen Memoiren der Belgische ofte Nederlantsche Historie van onsen tijden bereits betont, dass die Erfahrungen der Haarlemer Belagerung die Schwächen der spanischen Seite offengelegt und bei anderen holländischen Städten zu einer größeren Wachsamkeit und einer organisierteren Abwehrstrategie beigetragen hätten,337 betrachtet Adrianus Valerius

335 Mander 1911, 24. 336 Vgl. Levesque 1994, 64 ff. 337 »Hatte die Belagerung Haarlems nun sieben Monate angedauert (wenn sie auch für die Spanier einen Sieg bedeutete), so hat sie doch deren Ruf sehr gekränkt und bewiesen, dass sie auch […] nicht unbesiegbar waren, und hat auch den Städten von Holland Zeit gegeben, Beschlüsse zu fassen und sich zu bewaffnen […].« »Dat belegh van Haerlem nu seven Maenden gheduert hebbende (hoe wel het voor de Spaengiaerden victorie was) soo heeft het nochtans haer reputatie seer gekrenckt ende bewesen dat sy oock […] niet onverwinnelijck en waren ende het heeft oock den Steden van Hollandt tijt ghegheven om haer te resolveren ende mutineerden […].« Meteren 1599, fol. LXVv.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem

Abb. 27 Hendrick Goltzius: Fortitudo et Patientia, um 1576/1600, Kupferstich, 16,1 × 20,3 cm, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Sign. Graph. A1: 836f.1

1626 in seiner Nederlandtsche Gedenck-Clanck die Belagerungsereignisse sogar als eine Warnung Gottes.338 Pieter Cornelisz. Hooft wiederum bewertet in seinen 1642 veröffentlichten Nederlandsche Historien die Niederlage der Stadt als positiven Wendepunkt des

338 So heißt es in dem Begleitlied nach der Schilderung der Ereignisse um die Belagerung Haarlems, Gott möge seinen Zorn nach dieser gerechten Strafe abwenden und »unseren verblendeten Verstand« erhellen («HEere! keere van ons af / U vertoorent aengesicht, / En door dees verdiende straf, / Ons verblint verstant verlicht«, Valerianus 1942, 68); und im Weiteren betrachtet Valerius den Wendepunkt und den stärkeren Widerstand der anderen Städte ebenfalls ganz im Zeichen Gottes: »Doch diese spanische vorgestellte Gnade [wenn sich die Städte freiwillig ergeben, M.V.] ist von den Städten gänzlich verworfen worden, denn sie beschlossen, ihrem Feind bis zum Äußersten Widerstand zu leisten; um es mit dem königlichen Propheten David zu sagen: besser in Gottes Hände fallen (seiner väterlichen Liebe vertrauend) als in die der Tyrannen und Menschen.« («Doch dese Spaensche voorgestelde genade is by den steden geheel verworpen / resolverende haeren vyand totten uyttersten toe tegen te staen; seggende met den Koninglijcken Prophete David: beter te vallen in Godes handen (vertrouwende zijne Vaderlicke liefde) als inder tyrannen ende menschen.«) Valerianus 1942, 70. Vgl. auch die Besprechung bei Levesque 1994, 66.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Krieges, der eine forciertere Abwehr hervorgerufen habe;339 dabei erhebt er Haarlems Ausdauer gegenüber den Spaniern zum Vorbild. Wie oben bereits erwähnt, preist der Haarlemer Chronist Ampzing in seiner Beschryvinge ende Lof der Stad Haerlem unter der illustrierenden Grafik Die Belagerung Haarlems (Abb. 24), dass die Haarlemer, die »frommen Bataver«, den »spanischen Arm für ihre Stadt gebrochen« und dem »ganzen Vaterland ein sicheres Heil bereitet« hätten.340 An anderer Stelle resümiert er die Bedeutung dieser »allerdenkwürdigsten« 341 Belagerung, die »zum Heil und zur Rettung des ganzen Vaterlandes« und zum »unsterblichen Ruhm« Haarlems beigetragen habe, indem sie bewiesen habe, dass das »mächtige, gefährliche spanische Heer […] nicht unbesiegbar war«.342 So sei schließlich »der Ruf dieser Belagerung […] fortan durch ganz Europa geflogen und hat unsere Stadt in der ganzen Christenheit berühmt gemacht: sodass auch die Deutschen, Spanier, Italiener und andere Völker diese Ereignisse in ihren Sprachen zu der damaligen Zeit und auch danach weiträumig beschrieben haben«.343 Welche unsterbliche Kraft die holländische Beharrlichkeit in sich selbst erzeugt, wird in einem Stadtgedicht von C. Westerlöus, das als Widmungsgedicht in der 1647 veröffentlichten Stadtchronik des Theodorus Schrevelius erschien, mit einem landschaftlichen Bild formuliert: Die Stärke der Haarlemer Bürger, die durch ihr Leid gewachsen seien, gleiche einem nackten Baum auf offenem Feld, dessen Wurzeln durch seinen Widerstand im Sturm erstarkt und tiefer in der Erde verankert seien.344 Mit diesem Bild veranschaulicht der Autor einprägsam den Kreislauf des siegreichen Vicit vim virtus, den er in sei-

339 So beschreibt Hooft, wie Prinz Maurits in einem Brief an den Kriegsherren Dietrich Sonoy eindringlich warnt, dass mit dem Fall der Stadt Haarlem auch mit weiteren Niederlagen, als Nächstes bei Alkmaar, zu rechnen sei und daher aufgerüstet werden müsse. Hooft 1972, 305. Vgl. zu der Passage ebenfalls Levesque 1994, 65. 340 Siehe oben, 107. 341 »Also dese Belegeringe onser Stad Haerlem eene vande aldergedenkwaerdigste is die inde Nederlandsche Oorloge is voorgevallen […].« Ampzing 1628, 165. 342 »[…] maer tot heyl ende behoud van’t gansche Vaderland ende hunnen eygen […] onsterfelyken roem. […] ende bewesen dat het magtige vervaerlijke Spaensche heyr […] niet onverwinlijk en was […].« Ebd., 244. 343 »Want de roep van dit Beleg is voords door gansch Europen gevlogen ende heeft onse Stad inde gansche Christenheyd vermaerd gemaekt: so dat ook Duytschen, Spaniaerden, Italiaenen ende andere volkeren dese geschiedenissen in hunne talen ontrent dien tijd ende ook daer na wijdlustig beschreven hebben.« Ebd. 344 »Het schijnt wat met veel ramps kan d’overhant bekomen Dat blijft te vaster staen, gelijck de schorre boomen, Die in het open velt bevochten van den wint, Men altijt vaster in de gront gewortelt vint.« C. Westerlöus: Het Lof van Haerlem, Ter eeren des seer geleerden Hr. Dirck Schrevels. Oudt Rector ende Burger der selve Stede. In: Schrevelius 1647, o. S. Vgl. zu diesem Gedicht und dem Kontext des Haarlemer Wappens auch Bièvre 1988, 308.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem nem Gedicht entfaltet. So erwähnt er zuvor zunächst das Wappen und die damit verbundene Eroberung Damiettes, um dann auf das Prinzip der stets siegreichen »Deught«, der Tugend, zu verweisen;345 aus diesem Blickwinkel kommt er dann auf die spanische Belagerung zu sprechen – denn durch Mut und Leid, so führt er aus, hätten die Haarlemer die Spanier besiegt, die wie eine Biene ihren Stachel verloren hätten.346 Wie sehr diese starke holländische patientia zu einem Fundament der Widerstandsfähigkeit werden kann, veranschaulicht er dann im Anschluss mit seinem Bild des gestärkten Baumes – womit er das alte Wappenemblem in ein Zeichen der holländischen Wesensart konvertiert: Der heraldische Baum und die einzelnen narrativen Motive der Haarlemer Geschichte gehen in einer Landschaft auf, die die Geschichte und den Charakter ihrer Bewohner in sich trägt. Die Wurzeln dieses Textbildes liegen in den frühen Bildzeichen der Haarlemer Renaissance. Der entblätterte und zugleich kraftvolle Baum ist in Visschers Druckgrafik bereits ein Zeichen der holländischen Stärke; ihr historischer ›Nährboden‹, die Dünenlandschaft, ist bei Goltzius noch früher in Szene gesetzt. Diese Bilder tragen dazu bei, die Haarlemer Topoi in der Geschichtsschreibung zu festigen.

Die Betrachtung der Landschaft Die Ästhetisierung der spezifischen Haarlemer Landschaft in Goltzius’ Werken steht in einem engen Wechselverhältnis mit ihrem historisierenden Potenzial. Der neue landschaftliche Blick ist gebunden an die Projektion der Haarlemer Erinnerungsfiguren, die in der Visualisierung der Haarlemer Dünenlandschaft wiederum möglich wird. Diese Entwicklung deutet sich aber auch auf der Textebene an: In den zeitgenössischen lokalpatriotischen Texten van Manders geht die intensivierte Erinnerung an die Haarlemer Ruhmestaten mit einem neuen Blick auf die Haarlemer Landschaft einher, der eine kontemplative Dimension eröffnet. So beginnt van Manders Stadtgedicht, das die batavischen Tugenden der Haarlemer Bürgerinnen und Bürger so anschaulich preist, mit einem ausführlichen Lob des Haarlemer Umlandes: Dabei greift van Mander zwar das von Mathijszen gesetzte Schema auf, wenn er die landschaftlichen Vorzüge einzeln nach den vier Himmelsrichtungen aufruft und zum Beispiel den Westen Haarlems klassischerweise

345 »Waer van u Schilt getuycht, daer in vier sterren lichten, Versilvert neffens ’t sweert, bekomen door ’t herstichten Van ’t heylsaem kruys, wiens beelt daer op in ’t roode velt, De Patriarch heeft tot gedachtenis gestelt. De Deught verwint het al: ja selfs d’onruste vlagen, Waer door het twistigh volck malkandren liggen plagen.« Ebd. 346 »Die door ’t Belegh vermant, haer doot eerst wilden wreken Tot ’s Lants behoudenis, soo dat de Castiljaen Verdween gelijck een By, die d’angel had verdaen.« Ebd.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 wegen seiner Meeresfrüchte lobt; 347 aber neben der Fruchtbarkeit steht bei ihm auch der ästhetisch-kontemplative Wert der »irdischen Paradiese« 348 im Zentrum. Als ein Garant für beide Dimensionen nennt er die Dünen. Ihnen widmet er im Anschluss an sein Lob des Meeres im Westen – und an dieser Stelle bricht er das viergeteilte Schema Mathijszens auf – eine eigene Strophe: »Lang, weit und breit erscheinen dort die Dünen, Da laufen die Kaninchen wie im Gras die Ameisen, Ja, Hirsche und Hirschkühe in allen Gebieten, Kurzum, der Jäger findet dort wohl etwas nach seinem Geschmack, Womit er den Bürger erfreuen kann. Dann liegen da die Bleichen, die das alles verzieren, Schön weiß ausgebreitet und auch stellenweise grün, Was heiter zu sehen ist in jeder Art: Das Auge kann dem Herze eine Lust erwecken.« 349 In früheren Gedichten werden die Dünen, wenngleich sie generell den Kern der Haarlemer Landschaft ausmachen, nicht so explizit angeführt. In textueller Analogie zu den Darstellungen von Goltzius, welche die Dünen erstmals als visuellen Eigenraum zeigen, wird die Dünenlandschaft in diesem Gedicht nicht allein eigens mit einbezogen, sondern auch als sehenswert angesprochen. Darüber hinaus erfährt das Hinterland des Haarlemmerhout auf der alten Dünenkette im Osten, das in früheren Beschreibungen allein wegen seiner mannigfaltigen Jagdmöglichkeiten gelobt wird, einen nahezu ausschließlich ästhetisch-rekreativen Zuspruch:350

347 Siehe zu Mathijszen oben, 29 f. 348 Mander 1911, 20. 349 »Lanck, wijt en breet daer de duijnen verschijnen, Daer loopen de konijnen als in ’t gras de mieren, Ja herten en hinden, in alle termijnen, Somma den jager vinter wel van den sijnen, Daer hij den borger mede kan festieren. Dan leggen daer die bleijcken die ’t al vercieren Schoon wit overspreijt, ende oock bij plecken groen, ’t Welck lustich om sien is in alder manieren: ’t Oogh en kan ’t herte tot luste verwecken doen.« Ebd., 21. 350 Dass dieser Wald wahrgenommen werden sollte, zeigten zur selben Zeit auch die konkreten Maßnahmen, die in den Restitutionsjahren nach der Belagerung getroffen wurden. So ließ die Stadt in den 1580er-Jahren, unmittelbar nach der Neuerrichtung der Stadtmauern, als Erstes den während der Belagerung weitgehend zerstörten Haarlemer Wald mit 10 000 Eichen wieder aufforsten. Vgl. Bièvre 1988, 317.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem »Südlich der Stadt in Richtung Leiden, Entlang an den grünen Weiden, ist Haarlems Wald, In dem Jung und Alt sich vergnügen, Schlendern, spazieren, hierhin und dorthin ausschwärmen, Im Grünen sich ergehen dürfen, um den Geist zu erfreuen; Essen, trinken, spielen, lesen, singen, unverzagt, Was viel Melancholie vertreibt. Es scheint da richtig ein Kirmesfest zu sein: Der Mensch muss – wie ein Teppich – manchmal lüften.«351 Somit preist van Mander in seinem Gedicht einerseits das Haarlemer Umland als einen locus amoenus, der der kontemplativen Wahrnehmung wert ist; andererseits gedenkt er im Folgenden, wie bereits oben erläutert, der alle Zeiten überdauernden batavischen virtus der Haarlemer Eintracht und Klugheit, deren Sieg implizit auch für die holländische Zukunft geltend gemacht wird. Beide klassischen Haarlemer Topoi – der situs und die virtus – sind bei van Mander nicht allein weiterentwickelt, sondern auch angenähert. Denn die Landschaft erscheint in seinem Gedicht implizit auch als ein Ort, der, indem er zum Betrachten, Singen und Lesen bewegt, das Nachsinnen über die Vergangenheit anregen kann. Welche inspirierende Kraft dem locus amoenus der Haarlemer Landschaft innewohnt, führt Hadrianus Junius in seinem 1588 erschienenen Werk Batavia ebenfalls aus.352 So betont er nach einem allgemeinen Lob des Haarlemer Umlandes, dass der angenehm schattige Wald vor der Stadt auch zu kontemplativen Spaziergängen in der »ehrwürdigen Gesellschaft mit den Musen« einlade, jenseits des vergnügungssüchtigen Volkes in seinen »silenischen Schenken«.353 Junius lässt den Haarlemmerhout darüber hinaus zum Schauplatz der bahnbrechenden Schöpfungskraft des Haarlemers Laurens Janszoon Coster wer-

351 »Noch Zuijd van der stat soo gaet na Leijden Langhs de groene weijden ist Haerlems foreest, Daer hem jonck en out mach gaen vermeijden, Kuijeren, spatseeren, hier en daer verscheijden, Int groen hen spreijden, om verheughen den geest; Eten, drincken, spelen, lesen, singhen onbevreest, ’t Welck veel tempeest van droefheijt vluchten doet. Het schijnt daer recht te wesen een kermisfeest: Den mensch – als een kleet – hem somtijts verluchten moet.« Mander 1911, 22. 352 Junius 1652. Das um 1568 verfasste Werk erschien posthum erstmals 1588. 353 »Ante urbem nemus est, à luco (nisi abesset religio) propter opacitatem non multum recedens, in promiscuum usum prodeambulationi, voluptati, deliciis, exercitiisque dicatum, secessus suos habena, à concursu profani vulgi, ac strepitu separatos, dignissima Musis contubernia, unde exulant cauponae & Sileni stabula, nequitiae officinae & flagitiorum diversoria.« Junius 1652, 422 f. Vgl. zu Junius auch Gibson 2000, 98; Leeflang 1997, 60.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 den, der in Haarlem um 1425 den Buchdruck erfunden haben soll.354 Bei Junius findet sich die wohl früheste Auskunft darüber, dass der Haarlemmerhout der eigentliche Ort dieser Erfindung gewesen sei.355 Er schildert, dass Coster auf einem Spaziergang durch den Wald beim Einritzen von Buchstaben in die Rinde eines Buchenstammes die Idee der beweglichen Lettern entwickelt habe.356 Die Landschaft wird so auf verschiedenen Ebenen zu einem Träger historischer Dimensionen: Auf der narrativen Ebene ist die Haarlemer Landschaft ein weiteres Mal der Schauplatz eines lokalhistorischen Geschehens, das, ähnlich wie die Vertreibung der Flamen unter der Anführung Wittes van Haemstede in den Dünen, zu einem identitätsstiftenden holländischen Schlüsselereignis stilisiert wird. Zugleich hinterlässt die Begebenheit in dem geritzten Baumstamm auch eine greifbare Spur – die Landschaft trägt hier die ersten Zeichen der neuen Erfindung. Darüber hinaus ist diese gezeichnete Landschaft auch für die Handlung selbst von Bedeutung, denn erst seine landschaftliche Auseinandersetzung führt Coster zu seiner Erfindung. Auf einer übergeordneten selbstreflexiven Ebene wird die Haarlemer Landschaft zum Movens einer kulturellen inventio, welche die verbreitete Erinnerung an sich selbst – eben im Buchdruck – wiederum erst ermöglicht. Nur wenige Jahre später lädt ein Haarlemer Baum auf einem Dünengipfel in Visschers Titelblatt der Plaisante Plaetsen (Abb. 29) wiederum dazu ein, den Kreislauf der ruhmreichen Historie erinnernd zu betrachten.357 Die Rolle, die der Haarlemer Landschaft in Stadtbeschreibungen um 1600 zugesprochen wird, steht in einem engen Kontext mit dem Potenzial der visuellen Landschaftszeichen, die historische Erinnerung zu motivieren. Zeigt Junius dies auf der Metaebene des Coster-Mythos und van Mander durch die Verknüpfung von historischer Narration und dem Lob der zur Kontemplation anregenden Landschaft, so festigt schließlich der Autor Nicolaes van Wassenaar in einem weiteren Schritt das Bild der überhistorischen Dünenanhöhe, wie sie bei Goltzius zu sehen ist. In seinem griechischen Lobgedicht auf Haarlem 358, das er 1605 für die Haarlemer Stadtregierung verfasste, schmückt er die klassischen Haarlemer Bedeutsamkeiten des locus amoenus und der Kriegserfahrungen mit Damiette und Spanien in einem antikisierenden Rahmen aus. Die Pracht der Stadt mit ihrem »naturschönen reichen Umland« erhebe sich hoch über die der anderen Städte, so,

354 Bei Junius findet sich zum ersten Mal die Erwähnung, dass Coster (und nicht etwa Johannes Gutenberg) diese Erfindung zuzuschreiben sei. In den folgenden Jahrhunderten wurde diese Legende stark verbreitet. Vgl. zur Coster-Legende auch Maas 1995. 355 Vgl. Leeflang 1997, 60. 356 »Is sorte in suburbano nemore spatiatur (ut solent sumpto cibo aut festis diebus cives, qui otio abundant) coepit faginos cortices principio in literarum typos conformare, quibus inversa ratione sigillatim chartae impressis versiculum unum atque alterum animi gratia ducebat, nepotibus, generi sui liberis, exemplum futurum.« Junius 1652, 429. 357 Siehe unten, 141 ff. 358 Von Theodorus Schrevelius in lateinischer Fassung erhalten und publiziert in Venne 1997, 20 ff.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem »wie die Löwin mit struppiger Mähne die anderen wilden Tiere in den hohen Bergen überstrahlt«359. Nach der ausführlichen Schilderung der beiden Exempel der Haarlemer virtus greift er diese Assoziation der unübertroffenen Höhe auf: »Sei gegrüßt, Stadt, hoch gelegen auf den Strandwällen, ruhmreiche Stadt, reich an Sand. Gegrüßt, himmlische Stadt, bleibe für mich dieser gebenedeite Ort bis in Ewigkeit. Gegrüßt auch ihr, in Harmonie lebende Menschen, rechtschaffen und weise.«360 Die auf dem hohen Hügel liegende Stadt wird hier als ein ewiger Ort der holländischen virtus beschworen. Dieser Konnex von Dünenlandschaft, virtus und Erinnerung ruft Goltzius’ heroische Dünengipfelszenen vor der Kulisse Haarlems wieder auf, die die visualisierte Haarlemer Landschaft erstmals direkt zu einer Plattform der lokalen Historie deklarieren.

Ausblick Es zeichnet sich um die Jahrhundertwende ab, dass die Haarlemer Dünenlandschaft an einem weiteren Schwellenpunkt holländischer Identitätsfindung einen ästhetischen Stellenwert erlangt. Im ausgehenden 15. Jahrhundert war die Haarlemer Landschaft erstmals im Kontext historischer Selbstverortung argumentativ eingesetzt, als ein dynastisches Herkunftssiegel in der Regentschaftsrepräsentation und als ›batavisches Fluidum‹ der historisch-geografischen Selbstverortung. Als kulturelles Substrat bar jedweder politischer Konkretisierung und somit zugleich offen für programmatische Projektion batavischgräflicher Kontinuität konnte die Dünenlandschaft in der Widerstandspropaganda des 16. Jahrhunderts in einem neuen argumentativen Rahmen als Abgrenzungsformel zum Einsatz kommen. Dabei ist die Landschaft keine marginale oder folienhafte ›Begleiterscheinung‹ mehr, vielmehr wird ihr das Potenzial zugesprochen, das politisch, religiös und sozial unbeständige Widerstandsgebiet in den Grundformeln batavisch-holländischer Tradition zu repräsentieren. In Wechselwirkung mit dieser Popularisierung wird die Landschaft zugleich als spezifischer Ort lokalpatriotischer Erinnerung rekontextualisiert: Indem die Haarlemer Vergangenheit auch in der städtischen Gedächtniskultur als Pars pro Toto Hollands wieder explizit wird, kann eine konkretisierte Haarlemer Landschaft die gräflichen Wurzeln sowie die verschiedenen Momente der Haarlemer Kampfeskraft vereinen. Mit der landschaftlichen Imagination eröffnen sich so in der stadteigenen Erinnerungskultur exemplarisch mehrere Parameter, die Holland auch in den propagandistischen Bildern etabliert

359 »Zo hoog torent deze stad in schoonheid boven de andere steden uit, als de leeuwin, ruig van manen, uitmunt boven de andere wilde dieren in de hoge bergen.« Venne 1997, 23. 360 »Gegroet, stad hoog gelegen op de strandwallen, roemruchte stad, rijk aan zand. Gegroet, hemelse stad, blijf voor mij dit gebenedijd oord tot in eeuwigheid. Gegroet ok u, in harmonie levende mensen, rechtvaardig en wijs.« Ebd., 24.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 hat: zum einen die Kontinuität des alten holländischen Grafensitzes, zum anderen die Verbindung holländischer virtus und patientia. Momente der spanisch-holländischen Asymmetrie, des Kampfes der schwachen, tugendhaften Seite gegen eine übergroße Macht, werden gerade in der landschaftlichen Symbiose der Haarlemer Mythen um Witte, Damiette und die Belagerung zugespitzt und historisch überhöht. Komplementär zu der formelhaften Feindbildzeichnung in Wasser und Land in den Widerstandsdruckgrafiken bietet das Bild des Haarlemer Umlandes so die Möglichkeit einer assoziativen Historisierung, die auch die Ebene der unmittelbaren Vergangenheit mit einschließen kann. Die visuelle Annäherung von aktueller und zurückliegender Geschichte erfolgt durch die Thematisierung der Landschaftsbetrachtung: In Goltzius’ Soldatenserie (Abb. 20) wie auch in seiner Darstellung von Fortitudo et Patientia (Abb. 27) wird der Blick auf das Haarlemer Umland, auf das Ereignis der Belagerung von der assoziativ aufgeladenen Warte des Dünengipfels eröffnet. Diese Landschaftsbetrachtung – im Fahnenschwinger und Standartenträger durch den ›erhobenen Vorhang‹ besonders in Szene gesetzt – suggeriert die Perspektive eines sinnstiftenden Rückblicks, der das aktuell Vergangene in die Sphäre der kollektiven symbolisierenden Erinnerung mit aufnimmt. Der Dünengipfel ist ein patriotisch überhöhter ›Schutzrand‹, der den tiefer liegenden Schauplatz des Dünenlandes in die Reichweite der Haarlemer patientia und der virtus rückt. Ist der Dünengipfel in den zeitnahen Widerstandsdruckgrafiken Antwoordt op het tweede Refereyn […] (Abb. 11) und in der Massastranding van potvissen bij Ter Heijde op 22/23 november 1577 (Abb. 5) der abgegrenzte Aussichtspunkt nach außen auf die Aktualität des feindlichen Angriffs, so suggeriert er in Goltzius’ Haarlem-Bildern den Blick nach innen, auf die Historizität des eigenen Widerstands. An die Stelle der Abgrenzung vom Feind tritt die Betrachtung der Geschichte dieser Abgrenzung, die an eine neue Ästhetisierung der Landschaft gebunden ist. So wirken die Bilder, die die zweiteilige tuinStruktur von abgegrenztem Dünenland und dem umliegenden Angriffsland aufgreifen und umkehren, wie positive Kriegsappelle; sie ergänzen das Spektrum der tuin-Darstellungen, indem sie mit historisierender Suggestionskraft an die virtus der konstanten Abwehr appellieren können. Mit der Zeit verschiebt sich die Perspektive dieses neuen Landschaftsblicks. Goltzius’ Bilder ergänzen sozusagen noch die Angriffs- und Abwehrsemantik der propagandistischen Wal- und tuin-Grafiken vor 1600, indem sie ein Spannungsfeld zwischen Kriegsaktualität und Kriegsvergangenheit aufzeigen. Wenige Jahre später, zu Beginn des 17. Jahrhunderts, entstehen mit dem Auftakt des Waffenstillstandes Landschaftsbilder, die parallel zu den ausgedehnten Gärten der späten tuin-Bilder dem wachsenden Interesse an innerer Einheit Rechnung tragen: Die programmatische historisch-patriotische Rahmung eines, wenn auch verblassten, Kriegsereignisses im Fahnenschwinger wird abgelöst von einer Nahsicht auf eine in sich geschlossene Landschaft, die gänzlich zum Erinnerungsort geworden ist. Den Anfang machen Goltzius’ frühe Haarlemer Landschaftszeichnungen von 1604 (Abb. 28), mit Visschers Serie von 1611 aber kommt diese Entwick-

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem lung in der Druckgrafik endgültig in Bewegung. Das historisierende Potenzial dieser realistischen Landschaften soll im Folgenden betrachtet werden.

Die ›geschichtete‹ Landschaft Haarlems Dünen als Helikon In einigen um 1603 entstandenen Zeichnungen wie dem Blick von den Dünen bei Haarlem (Abb. 28)361 zeigt Goltzius das Haarlemer Dünenpanorama als selbstständiges Bildthema. Vom Gipfel einer hohen Düne wird der Blick über eine weite Ebene mit vereinzelten Häusern, buschigen Baumgruppen und Feldern geführt, die am Horizont wieder von einer weiteren Dünenkette umfangen wird. In den oben besprochenen, etwa 15 Jahre älteren Darstellungen (Abb. 20, 27) ist diese Landschaft auf die Kombination mit den wegweisenden Figuren der Haarlemer Tugenden, der Soldaten und der Standartenschwinger angelegt; insofern ist die Landschaftsszenerie darauf beschränkt, mit Dünenhügel und Stadtsilhouette zeichenhaft und exemplarisch einen sinnstiftenden Rückblick auf den historischen Schauplatz zu repräsentieren. In den jüngeren Zeichnungen von Goltzius jedoch ist das Dünenland ausschließlich und detailliert charakterisiert. Es ist zum ersten Mal ein autonomes Bildthema, das in dem fließenden Übergang von der vorderen Anhöhe über die dahintergelegenen flacheren Ebenen hin zu der entfernten Dünenkette am Horizont naturnah durchkomponiert ist. Dieser Fokus zeigt sich auch in einer neuen Hinwendung zu den vegetativen Feinheiten der buschigen Dünengräser und dichten Baumgruppen. Die Düne wird erstmals zu einem Ort, der den reinen Ausblick auf das Dünenland selbst eröffnet: In der holländischen Landschaft als einem eigenständigen Bildsujet ersetzt der Dünengipfel das konventionelle Bergmotiv der älteren flämischen Welt- bzw. Überschaulandschaft.362 Die Bedeutung der Haarlemer Dünen als Zentrum oder Schlüssel zu der neuen ästhetischen Erschließung der holländischen Landschaft zeigt sich um dieselbe Zeit auch auf der sprachlich-literarischen Ebene. In Literaturkreisen um die Jahrhundertwende wird das Lob der eigenen Landschaft zu einem Topos für die propagierte Hinwendung zu spezifisch niederländischen Sprachwendungen und Motiven.363 So erhebt der Amsterdamer

361 Vgl. zu den frühen Zeichnungen Plomp 2003, 200 f., Leeflang 1997, 66 f. 362 Zu diesem Bildgenre vgl. grundlegend Gibson 1989; Müller Hofstede 1979, zu Goltzius vgl. Leeflang 1997, 67. 363 Diese Bewegung äußerte sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts auch darin, dass klassische Werke nun ins Niederländische übersetzt wurden. So wurden etwa die frühesten Übersetzungen der drei klassischen pastoralen Werke von Horaz und Vergil alle um die Jahrhundertwende in Haarlem publiziert: Dirck Volckertsz. Coornhert übersetzte Horaz’ Beatus Ille, und van Mander übersetzte Vergils Bucolica und Georgica, die 1597 mit Holzschnittillustrationen von Goltzius herausgegeben wurden. Vgl. Leeflang 1997, 66, der erstmals auf die Präsenz der Dünen in der Haarlemer Literatur aufmerksam gemacht hat.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600

Abb. 28 Hendrick Goltzius: Blick von den Dünen bei Haarlem, um 1603, Federzeichnung in Braun, 16 × 28,6 cm, Rotterdam, Museum Boymans Van Beuningen

Autor Hendrik Laurensz. Spiegel364, um die niederländische Sprache gegenüber dem klassischen Kanon aufzuwerten, in seinem ethisch-philosophischen Werk Hert-spiegel von 1612 die Dünenlandschaft zu einem holländischen Äquivalent des griechischen Parnass: »Muss gerad’ ein deutsch’ Poet nun unbedingt bewandert sein In Griechisch? Latein? Da doch die erst’ und besten [Dichter, M.V.] Schäfer waren? Parnassus ist zu weit, hier ist kein Helikon; Aber Dünen, Wald und Bach […].«365 An anderer Stelle, im vierten Buch seines Werkes, führt Spiegel dieses Bild noch etwas ausführlicher aus. Er lässt Apollo und die Musen schildern, wie sie jahrtausendlang durch Länder antiker und jüngerer Zeiten gewandert seien, um nun schließlich nach Holland 364 Spiegel war Mitglied der Amsterdamer Rederijkerskamer der ›Eglentier‹. Sie sprach sich für die Verwendung rein niederländischer Ausdrücke und die Thematisierung der eigenen Historie in der Dichtung aus und lehnte mit ihrem rhetorisch-argumentativen Konzept den übermäßigen Gebrauch mythologischer Bilder ab. 1617 kam es unter Samuel Coster zur Gründung der Nederduytsche Academie für Wissenschaft und Künste durch einige Mitglieder der Eglentier-Kammer, denen es dort an Innovationen mangelte. Vgl. Schenkeveld 1991, 11ff.; Schenkeveld-van der Dussen 1986, 75f.; Leeflang 1997, 68. 365 »Moet juijst een duijts Pöeet nu noodich zijn ervaren In Griex? latijn? daar d’eerst’ en beste herders waren? Parnassus is te wijd, hier is geen Helikon; Maar duijnen, bosch, en beeck […].« Spiegel 1992, 10 f.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem gekommen zu sein: Dort hätten sie ihre neue Heimat gefunden, an deren »sumpfiger […], wasserreicher Küste / zu verkehren, ja, zu wohnen ist unseres Herzens Lust«.366 Die freudige Ankunft der Musen an der holländischen Küste evoziert die programmatische Vorstellung, dass ein neues kulturelles Zeitalter gerade auf dem Fundament der ursprünglichen, unverfälschten (Sprach-)Landschaft eingeläutet wird.367 Diese landschaftliche Semantik prägt auch Spiegels 1584 erschienenes Werk Tweespraack vande Nederduitsche letterkunst 368: In dieser sprachkundlichen Abhandlung spricht sich Spiegel noch vehementer für die niederländische Sprache aus, die seiner Ansicht nach von lateinischen und französischen Elementen gereinigt werden und fortan auch die bevorzugte Sprache gelehrter Schriftwerke werden soll.369 Denn da das Niederländische über so viele Wortbildungsmöglichkeiten verfüge und zudem viele Begriffe eine lautmalerische Nähe zur Natur aufwiesen, sei die Sprache reicher als alle anderen Sprachen; zudem sei sie wegen ihrer Vielzahl an einsilbigen, ›einfachen‹ Wörtern älter als andere Sprachen wie etwa das Französische.370 Diese Charakterisierung der einfachen Naturverbundenheit weitet Spiegel auch auf das Wesen der Sprecher aus.371 In einem semantischen Gravitationsfeld der ›Natürlichkeit‹ wird die holländische Landschaft in Spiegels sprachtheoretischen Betrachtungen zu einem Zeichen der ursprünglichen Reinheit, aus der das Wesen der Sprache und das Wesen der Sprechenden abgeleitet sind. Die Ankunft der Musen an Hollands Küste, der Ausruf des eigenen Helikon in der Dünenlandschaft umschreiben die bewusste Hinwendung zu diesen holländischen Wurzeln als einen programmatischen kulturellen Neubeginn. War zwar die Beschäftigung mit der eigenen Sprachkultur zu dieser Zeit ein bereits verbreitetes europäisches Phänomen, so setzte um 1600 in den Niederlanden doch eine

366 »[…] in dees bolle […] waterighe kust / verkeeren, ja te woonen is ons herten lust.« Ebd., 97. 367 Das Gleichnis verdeutlicht Spiegels Vorstellung eines Neubeginns der niederländischen Kultur, deren Eigenart die spezifische Landschaft symbolisiert, welche die Musen nun zu ihrer Heimat bestimmt haben. Die Musen scheinen sich dorthin zu bewegen, wo eine adaptierte, tradierte und schlussendlich unpassende Form durch eine neue, eigene substituiert wird: Jedes Land – so die Essenz dieses Gleichnisses – soll in seiner eigenen Sprache schreiben. Vgl. ebd., 10 f. 368 Spiegel 1962. 369 Vgl. z. B. ebd., 15: »Dies zoud ick wenschen dat wy Hóllanders eens de gheleerdheid smaken mochten in ons eighen sprake […].« 370 »Eerst moet ghy weten […] dat de huydighe Franse taal / na den onderghang des Roomschen Rycks / uyt de Roomsche óf Latynsche ende Duitsche spraack / gheraapt is: ende dat het Duits een oude eyghen taal is / bestaande meest uyt grondnamen ende wóórden van een silb; […] Dat het meest eensilbighe grondwóórden zyn: datse breder betekenis int Duits hebben / datter óóck veel ghesprotene ende t’samenghesette wóórden van zyn / die met de Franse taal óf hun wyze van t’samenvoeghen gheen ghemeenschap hebben. […] Dan de wyl onze taal verre d’oudste ende ryckste is / is dit bewys ten over vloet: als ghenoegh zynde / dat onze ouders voor de opkoomst des Fransen taals wóórden ghehad hebben om deze dinghen te noemen.« Ebd., 10; 11. Vgl. zu Spiegel auch Schama 1987, 58. 371 Vgl. Spiegel 1962, 58.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 neue Form der intensiven Wertschätzung der Muttersprache ein.372 Vor allem mit dem Waffenstillstand nach 1609, als sich mit der vorläufigen politischen Selbstständigkeit die Frage nach der Zusammengehörigkeit der politisch und religiös, aber auch sprachlich heterogenen Bewohner der nördlichen Niederlande besonders stellte,373 erweiterten verschiedene Autoren die – mit Haarlem bereits gewachsenen – landschaftlichen Bilder der Erinnerungsgemeinschaft um die Vorstellung einer naturgegebenen, neu erwachenden holländischen Sprachkultur: Das Bild der Dünenlandschaft, das in den Widerstandsdruckgrafiken und den Haarlemer Grafiken von Goltzius bereits auf verschiedene Weise die politische Einheit der nördlichen Niederlande formuliert, wird nun übertragen, um auch eine sprachlich-kulturelle Einheit der nördlichen Niederlande zu garantieren. So ist es auch gerade die lokalpatriotisch so aufgeladene Haarlemer Düne Witte Blink, die, von Goltzius zur selben Zeit ins Bild gebracht, von Autoren wie Spiegel bewusst angeführt wird: »Weitblinkend«, so umschreiben es im Hert-spiegel die Musen in ihrem Lob der von ihnen gewählten holländischen Landschaft, tue die Witte Blink es dem Kaukasus gleich, in den es Prometheus verschlug.374 Vor allem aber die Gleichsetzung der Witten Blink mit dem Helikon – die sich in Spiegels Ausruf »Parnassus ist zu weit, hier ist kein Helikon; aber Dünen, Wald und Bach« nur andeutet – wurde um dieselbe Zeit von einigen Dichtern explizit aufgegriffen, deren Beiträge 1610 in der Anthologie Den Nederduytschen Helicon erschienen: einer ursprünglich von Karel van Mander initiierten und nach dessen Tod von Jacob van der Schuere zusammengestellten Sammlung von 89 Gedichten, die meisten zwischen 1600 und 1610 entstanden.375 Schon der Titel Den Nederduytschen Helicon weist auf das selbstbewusste Ansinnen der Autoren, einen eigenen literarischen Kanon zu besitzen – sodass die Musen, wie es der Dichter Jasper Bernardus in seinem Gedichtbeitrag formuliert, von Apoll an die Spaarne nach Haarlem gelockt seien.376 372 Vgl. Thijs 2004, 165. Thijs verweist auch darauf, dass im 16. Jahrhundert noch nicht von einer vereinheitlichten Standardsprache ausgegangen werden kann. Wenn von der Muttersprache die Rede ist, dann immer in Abgrenzung zur lateinischen Sprache. Vgl. ebd., 165; 96 ff. 373 Vgl. hier Schama 1987, 51 ff. 374 »De blenk verd-blikkich hier een kaukasus verstrekt.« Spiegel 1992, 97. 375 Westbusch 1610. Zur Genese, Inhalt, Poetik von Den Nederduytschen Helicon vgl. Foncke 1918, Winkel 1899, Vermeer 1993; Thijs 2001; Thijs 2004; Leeflang 1997, 67 f. Der Initiator van Mander hatte wahrscheinlich bis zu seinem Tod 1606 bereits eine Sammlung angelegt, welche dann von Jacob van der Schuere, der wie van Mander Mitglied in der Rederijkerskamer ›De Witte Angieren‹ war, erweitert wurde. Neun der 89 Beiträge stammen aus van Manders Feder, 20 verfasste van der Schuere, darunter auch eine Rahmenerzählung, die alle Gedichte bindet. Thijs konstatiert, dass eine derartige Rahmenstruktur in der niederländischen Literaturgeschichte einmalig sei. Vgl. Thijs 2004, 164; 13. Sie vertritt die Ansicht, dass der Nederduytsche Helicon wohl weniger als Lehrbuch denn als eine Art Album Amicorum angelegt war, das in Dichterkreisen kursierte. Vgl. ebd., 32 f. 376 »Apoll’ heeft op zijn Lier, al spelend in’t vergaren / Tot sangh end’ dans gelockt beyd’ Mus’ end’ Nymph’ op ’t Sparen.« Bernardus 1610, 69.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem In dem den Beiträgen vorangestellten Widmungsbrief des Herausgebers Passchier van Westbusch an den Sprachgelehrten Simon Stevin377 wird diese programmatische Ausrichtung auch weiter ausgeführt. So beschreibt Westbusch, dass es mit diesem Werk nun endlich Zeit werde, die eigene Sprache aufleben zu lassen, »um dieselbe aus dem tiefen Grund der achtlosen Vergessenheit und dicken, düsteren Nebel des Missverstandes an den lichten Tag holen zu helfen, um gleich einem erfahrenen Goldschmied das verfälschte Gold von allen unnötigen fremdzungigen, vermischten Verbindungen zu reinigen«.378 In diesem Sinne offenbaren die im Nederduytschen Helikon gesammelten Gedichte »die liebliche Zusammensetzung und süße Koppelung unserer […] angeborenen Sprache, in welcher alle ausländischen Lehnwörter vermieden werden«.379 Dabei deutet er an, dass er die Zeit vor allem mit dem Beginn des Waffenstillstands, in der »nun geschenkten Ruhezeit«, als reif dafür ansieht, »mit einer neu erwachten Schreiblust den […] Federstab (anstelle des ruhestörenden scharfen Eisens) in die Hand zu nehmen, um unsere Muttersprache, die so lange von verschiedenen ausländischen Wörtern verkrüppelt […] gelegen hat, wiederum also an den Tag zu bringen«.380 Der gegenwärtige Frieden bringt demnach die Voraussetzung für das Aufblühen der holländischen Sprachkultur. Dieser Konnex durchzieht die Anthologie. Der Prosatext von Jacob van der Schuere, der die Gedichte als eine Art Rahmenerzählung einleitet und fortlaufend miteinander verbindet, vermittelt gleich zu Beginn diese ›Aufbruchsstimmung‹ in einer morgendlich erstrahlenden Landschaft. So schildert der Erzähler, wie er an einem nach langer, dunkler Nacht erwachenden Frühlingsmorgen381 den idyllischen Poetenberg von »mittlerer Höhe

377 Stevin sprach sich dafür aus, Wissenschaft in der Muttersprache zu betreiben. Seine Dialectike ofte Bewyskonst (1585) wie auch seine Uytspraek van de weerdicheyt der Duytsche taal (1586) stellen ein Lob für die Ausdrucksmöglichkeiten der eigenen Sprache dar. Vgl. Thijs 2004, 44; 99. 378 »[…] om de selve uyt den diepen gront der achtelooste vergetelheyt, ende dicken duysteren mist des misverstants, aen den lichten dagh te helpen halen, om gelijck als eenen verstandigen Goutsmit, het vervalschte goudt, van alle noodloose vreemdtongige verbastaerde vermengige te reynigen«. Westbusch 1610, 3. 379 »[…] de lieflijcke t’samenvoeginge en soete koppelinge van onse […] aengeboren sprake, in de welcke vermijdt worden alle geleende uytheemsche woorden«. Ebd. Jacob van der Schuere nimmt in seiner das Buch abrundenden Schlussbemerkung diesen Faden wieder auf, indem er dem Leser seine Hoffnung vermittelt, bei der Durchsicht des Werkes alle fremdsprachigen Ausdrücke durch niederländische ersetzt zu haben; ferner bittet er den Leser, ebenfalls so zu verfahren, sollte er bei der Lektüre noch weitere solcher fremdsprachlichen Stellen entdecken. Vgl. Westbusch 1610, 330 f. Vgl. zu dieser Programmatik auch Thijs 2004, 44 f. 380 »[…] om met eenen nieu-verweckten schrijf-lust, de […] Vederstaf (in plaetse van’t rust-stoorende scherpoordigh yser) in de handt te nemen, om onse Moeder-tale, die dus langhe van verscheyden uytheemsche woorden vercreupelt […] ghelegen heeft, wederomme also aen den dagh te brengen.« Westbusch 1610, 5. 381 Dieser Sonnenaufgang wird in zahlreichen Liedern und Traktaten dieser Zeit mit dem Entstehen der politischen und religiösen Freiheit verbunden. Vgl. Levesque 1994, 84.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 besteigt«.382 Die pastorale Landschaftskulisse vermittelt das Nahen eines Goldenen Zeitalters und erinnert an die Vorstellung des gewachsenen tuin, der nach einem vorläufigen Ende der Verwüstung im Inneren aufblühen kann. Im Laufe seiner Wanderung, die ihn auf den Gipfel und nachher wieder hinab an den Fuß des Berges und durch das Land führt,383 trifft der Erzähler auf verschiedene ›poetische Stationen‹ wie ein Theaterschauspiel, eine Dichtergruppe und eine Festgesellschaft,384 die jeweils in die verschiedenen Gedichtbeiträge einleiten; viele von diesen befassen sich mit dem Wesen der holländischen Dichtung und Sprache, aber auch mit dem gegenwärtigen Zustand zwischen Krieg und Frieden.385 Die erste Station auf dem Berg ist zum Beispiel ein Theater, in dem der Erzähler dem Vreught-eyndigh Spel zusieht,386 einem poetologischen Rederijkerstück, das über die veraltete Rederijkertradition reflektiert und neue literarische Formen vorschlägt. Was in diesem Spiel allegorisch stilisiert für das Rederijkergenre verhandelt wird, wird in anderen Texten wie Dirk Woutersz. Kolenkamps Lofdicht der Duytscher Talen 387 in allgemeinen Betrachtungen zur niederländischen Sprache ausgeweitet. Dabei steht das neue Erwachen der Sprachkultur, wie im vorangehenden Widmungsbrief an Stevin, oft in einer Wechselbeziehung zu der Situation des Waffenstillstandes, dessen Beginn in einigen Gedichten am Ende des Bandes388 wie auch in der Rahmenerzählung besonders gepriesen wird. Manche Gedichte nun verorten diesen neuen Helikon des Friedens explizit in der Haarlemer Düne Witte Blink. So wird in Kolenkamps Lofdicht der Duytscher Talen etwa beschrieben, dass der Dichter die Trommeln des Krieges nicht mehr hören möchte; stattdessen vernimmt er alsbald den »süßen Gesang« der Musen im »Land der Bataver«.389 382 Westbusch 1610, 7. Vgl. zu der Passage auch Beening 1963, 65; Spies 1991; Spies 1996; Vermeer 1993; Levesque 1994, 59. 383 Insgesamt lässt sich diese Wanderung somit in vier Teile einteilen: Am Morgen erfolgt der Aufstieg, gegen Mittag erreicht der Erzähler den Gipfel; und nach einer Ruhepause gelangt er über einen Traum schließlich wieder nach unten. Vgl. dazu Thijs 2004, 164. 384 Vgl. dazu ebd., 46 ff. 385 Vor allem in der zweiten Hälfte des Buches reihen sich Gedichte aneinander, die zunächst den Krieg beklagen und im Anschluss den anbrechenden Frieden preisen. Neben dem holländischen Widerstand und dem Waffenstillstand reihen sich die Themenkreise Hochzeit, die vier Jahreszeiten und die vier Elemente. Ebenso findet sich eine Übertragung des Gedichtes La Sepmaine ou Création du Monde (1579) von Guillaume de Salluste du Bartas (1544–1590) und von Petrarca-Sonetten. Vgl. zu der Thematik Thijs 2004, 206, und, vor allem zur Gegenüberstellung von Krieg und Frieden, Levesque 1994, 84. 386 Celosse 1610. 387 Kolenkamp 1610. Kolenkamp schrieb für den Band 13 Beiträge. 388 Darunter zum Beispiel Jacob Celosses Vreugden-gesang / op’t 12. jarigh Bestandt / ghemaeckt en besloten den 9. April 1609 (vgl. Celosse 1610a), der direkt anlässlich des Waffenstillstands geschrieben wurde. Vgl. dazu Thijs 2004, 19 f. 389 »[…] my dunckt te horen / Een soet ghesangh: en ist niet in den Choor / Daer ses en dry ghesusters singhen t’samen? […] ’T is my ghenoegh u hier te sien int landt / Der Bataviers.« Kolenkamp 1610, 62.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Diese Musenankunft ist für ihn auch insofern besonders gerechtfertigt, als das Niederländische ohnehin die älteste Sprache sei, die von den Menschen noch vor der babylonischen Sprachverwirrung gesprochen worden sei.390 Die Aufwertung der eigenen Sprache fasst er schließlich in einem landschaftlichen Bild: »Ihren Helikon [den Helikon der Griechen, M.V.] und unsere Witte Blink achte ich gleich.«391 Ähnlich formuliert es einige Seiten später auch Karel van Mander in seinem um 1600 verfassten Gedicht Strijdt tegen Onverstand (Streit gegen Unverstand): »Wohin will ich denn reisen, wenn ich es gut bedenk’? Mein Helikon sei fortan nur die Witte Blink.«392 Den neuen Helikon sieht auch van Mander in Abhängigkeit eines neuen ›Batavien‹,393 das er mit den im anbrechenden Frieden und Wohlstand erstarkenden holländischen Städten beschreibt. Dabei entwirft er geradezu die Vision eines vom Krieg befreiten, im Innern aufblühenden holländischen tuin: »In Hollands Garten befreit, gleichsam sieht man nun Eine süße Stille überall aufkommen und alle Zwietracht weichen: Wer leugnet, dass dies hier Saturns goldene Zeit ist? Du weißt, o Land!, nicht, wie glücklich du bist.« 394 Die letzten Worte über das eigentliche Nichtwissen des Landes trüben diese Vision des äußeren Friedens. Sie leiten über zu den folgenden Reflexionen über den inneren menschlichen Unverstand, durch den der Mensch sich selbst im Weg stehe. Damit prophezeit van Mander, der dieses Gedicht ja noch vor dem Beginn des Waffenstillstandes verfasste, bereits nicht nur die Früchte eines äußeren Friedens, sondern auch die fort-

390 Ebd. Diese Ansicht belegt Kolenkamp auch mit einem Verweis auf den Arzt Johannes Goropius Becanus (1518–1572), der sich in seinen Werken Origines Antwerpianae (1569) und Opera (posthum, 1580) mit der Frage nach der ältesten Sprache der Welt befasst. Dass das Niederländische (»Diets« bzw. »Duits«) die älteste Sprache sei, leitet er sogar etymologisch ab: So sei »Duyts« zusammengesetzt aus »de oudst« (»dem Ältesten«). Einen weiteren Beweis sieht Becanus in der Vielzahl einsilbiger Wörter im Niederländischen – er geht davon aus, dass die älteste Sprache die größte Anzahl kurzer Wörter besitzen müsse, da Menschen zuallererst geneigt seien, kurze Begriffe zur Benennung von Dingen zu wählen. Vgl. Thijs 2004, 94f. 391 »Hun Helicon, end’ onsen witten blinck / Acht ick ghelijck«. Kolenkamp 1610, 62. 392 »Waer wil ick reysen doch, als ick my wel bedinck? Mijn Helikon zy slechs voortaen den witten blinck.« Mander 1610, 108. 393 So schreibt er, dass die batavischen Penaten Astraea, die Göttin der Gerechtigkeit und des Goldenen Zeitalters, befreit hätten. Vgl. ebd., 97. 394 »Bin Hollandts Thuyn bevrijdt, gelijck men nu siet blijcken Een soete stilt’ al-om, en alle tweedracht wijcken: Wie loochent, of ’tis hier Saturni gulden tijdt? Ghy weet, o Landt! niet, hoe gheluckigh dat ghy zijt.« Ebd., 98.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 währende Gefahr einer inneren geistig-religiösen Spaltung.395 Insofern bleibt ihm am Ende seines Gedichtes nur der Wunsch, dass nicht das Plündern und Morden für gut befunden werde, sondern das Schreiben von schönen und metrischen Versen: »Nein, Hemelaer, ach nein, kein solch Morden noch Brennen Sei doch unsere Freude, sondern ein maßvoll schönes Gedicht, Das seinen Schreiber ehrt und seinen Leser erbaut.«396 Mit diesem Bekenntnis zur Dichtung und mit seiner Hinwendung zum niederländischen Helikon weist van Mander letztlich die Dichtung als Waffe in seinem »Streit gegen den Unverstand« aus: Durch ihre Einsicht kann sie aus dem dumpfe Zwietracht säenden Unverstand herausführen und das Bewusstsein für das anbrechende Goldene Zeitalter stiften. Die neue holländische Dichtung – so scheint in van Manders Gedicht das Ansinnen des Nederduytschen Helicon noch einmal auf einer Metaebene reflektiert – ist zwar die Frucht eines beginnenden Zeitalters des Friedens; andererseits kann erst sie durch ihre ästhetische Distanz – in der sich die Dimensionen der gemeinsamen Erinnerung und Sprache entfalten – das Bewusstsein für die Errungenschaften des Friedens öffnen und somit wirklichen Frieden schaffen. Nicht ohne Grund ist daher gerade die Haarlemer Düne Witte Blink zum holländischen Helikon deklariert, indem sie ein Ort ist, der die ruhmreiche historische Erinnerung besonders bindet und das Bewusstsein für die holländische Eintracht schärft. So eignet sich die von van Mander, Kolenkamp und Spiegel besungene Witte Blink nicht nur als holländisches Äquivalent für das klassische Gebirge, weil sie eine der höchsten Erhebungen des Landes ist. Die literarische Stilisierung dieses Landschaftselements um 1600 zeigt vielmehr – als Parallelphänomen zu der zeitgleichen Visualisierung bei Goltzius –, wie sehr sich die historisierende, identitätsstiftende Dimension der Düne um diese Zeit durch die lokalpatriotische Haarlemer Erinnerungskultur wie auch durch die Popularisierung der Widerstandspropaganda gefestigt hat. Bereits in dem früheren Stadtgedicht van Manders, in Junius’ Abschnitt zu Haarlem und mehr noch in van Wassenaars Stadtlob397 zeichnete sich parallel zu der visuellen Entwicklung ab, wie die Ästhetisierung der Haarlemer Landschaft an die Kontemplation der Geschichte gebunden ist. In dieser Entwicklung wird die Düne Witte Blink nach 1600 sowohl in der Literatur als auch in der Landschaftsgrafik zu einem Topos. Zwar sind in der Literatur stilisierte, pastorale Landschaftskulissen vorherrschend, wenn Landschaft überhaupt ausführlicher thematisiert

395 So führt van Mander etwa aus, dass der Mensch längst nicht alles von dem verstehe, was seinen Glauben ausmache. Vgl. Mander 1610, 102 f. 396 »Neen, Hemelaer, ay neen, geen moorden so, noch branden En zy doch onsen lust, dan matigh schoon ghedicht Dat zijnen Schrijver eert, en zijnen Leser sticht.« Ebd., 110. 397 Siehe oben, 126 f.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem wird.398 Doch gerade in der überraschenden Integration spezifischer Elemente wie der Dünen – wenn sie in einzelnen Ausrufen verknappt zu einem Symbol für die eigene Sprachkultur werden – fällt deren besonderer identitätsstiftender Stellenwert umso mehr ins Auge. Bemerkenswerterweise bleibt die holländische Düne auch in späteren pastoralen Werken oft ein präsentes Landschaftselement.399 In der sich nach 1610 entfaltenden hofdichtDichtung – den Lobgedichten, die sich der Beschreibung eines ländlichen Anwesens widmen – wird die Düne wiederum als das Fundament des fruchtbaren Gartens hervorgehoben, der neben Reflexionen zum Kreislauf des Lebens auch Betrachtungen über die Geschichte anregt.400 Und in späteren Stadtchroniken wie etwa van Ampzings Beschrijvinge ende Lof der Stadt Haerlem (1628), die in einem Stadtrundgang eine Vielzahl lokaler Orte in historischen Dimensionen beschreiben, lädt die Dünenlandschaft dazu ein, die ältere und jüngere Historie in Erinnerung zu rufen. So ist die Witte Blink für Ampzing wie bereits ausgeführt nicht nur eine »Augenweide von all unserem lieben Land«, sondern zugleich der Ort, der mit seinem Namen an die Taten Wittes van Haemstede und den Ruhm der Belagerung erinnert.401 Gerade in diesem Kontext des historisierenden Rundgangs entfaltet sich auch in der Literatur der Stellenwert der Haarlemer Dünen – von einem anfänglichen Symbol der eigenen Sprachkultur hin zu einer Erinnerungslandschaft, die patriotische Reflexionen evoziert.402 Auf der visuellen Ebene nimmt diese Dimension des geschichtlichen Imaginierens in der holländischen Landschaft nach 1600 ihren Anfang, nachdem bereits in den späten tuin-Bildern und in den lokalpatriotischen frühen Grafiken von Goltzius das historisierende Potenzial der Landschaft angelegt war. In Goltzius’ ersten reinen Landschaftsblicken (Abb. 28) eröffnet sich zeitgleich zum Nederduytschen Helicon ein Panorama, das vor dem Hintergrund der älteren kartografischen Belagerungsdarstellungen und Fahnenschwinger-Bilder als historischer Schauplatz der Haarlemer Belagerung konnotiert ist. Mit dem Blick von der hohen Düne, der aufgeladenen historischen Empore, über die authen-

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Vgl. zur Landschaft in der niederländischen Literatur insgesamt Beening 1963. Siehe unten, 195 f. und 202 f. Vgl. zu dieser literarischen Gattung Vries 1998. Ampzing 1628, 75; 312. Siehe zu Ampzing auch unten, Kap. »Erinnern und Erfahren: Schauplatzbeschreibungen«. 402 Leeflang verweist auch auf die Bedeutung der Haarlemer Landschaft in Erbauungsschriften des 17. Jahrhunderts und zitiert zum Beispiel aus der 1685 erschienenen Schrift Den Schepper verheerlykt in de schepselen […] des Mennoniten Jan van Westerhoven. Hier bietet eine Wanderung durch die Haarlemer Landschaft einen Rahmen religiös-erbaulicher Betrachtungen. Mehrfach kommt den Dünen – die als ›hohes Gebirge‹ mit grünen Tälern und Steilhängen gekennzeichnet werden – die Bedeutung zu, die Reflexion über den Reichtum der Schöpfung Gottes anzuregen; vor allem der Gipfel der hohen Düne ›Witte Blink‹ wird von den Wanderern gepriesen, da sein Ausblick ihnen die Wunder der Natur besonders einprägsam vor Augen stellt. Vgl. Leeflang 2002, 24 ff.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 tische Landschaft, in die eine Ruine der Belagerung idyllisch eingebettet ist, wird die neue Einsicht in Haarlems Umland zu einer imaginativen Reise. Diese wird wenige Jahre später in Claes Jansz. Visschers Serie Plaisante Plaetsen fortgesetzt.

Haarlemer Erinnerungslandschaften in Claes Jansz. Visschers Serie ›Plaisante Plaetsen‹ Nach Goltzius’ Zeichnungen zeigt Visschers Serie Plaisante Plaetsen (1611), die früheste Bildserie mit nordniederländischen Landschaftsszenerien, die holländische Landschaft erstmals in verschiedenen Ansichten als ein eigenes Bildthema. Wieder ist es die Landschaft Haarlems – die Serie führt gleichsam als eine Rundreise durch einzelne Stationen des Haarlemer Umlandes. Die Inschrift auf dem Titelblatt (Abb. 29) kündigt dieses Vorhaben an: »Vergnügliche Gegenden hier könnt Ihr rasch erblicken, Freunde, die Ihr die Zeit nicht habt, um weit zu reisen, Gelegen außerhalb der angenehmen Stadt Haarlem oder in ihrer Nähe Kauft, ohne lang zu feilschen.« 403 Das Betrachten der Haarlemer Landschaft wird Liebhabern schöner Orte als Ersatz für weite Reisen angeboten und gewinnt so einen eigenen ästhetischen Stellenwert. Das Delektieren einer solchen Landschaftsbetrachtung, der Genuss einer abwechslungsreichen varietas des locus amoenus, wird mehr noch im lateinischen Begleittext gepriesen, der die Bilder van Manders aufgreift: »Du, der sich erfreut zu betrachten die verschiedenen Anblicke der Landhäuser Und die verschiedenen Biegungen der Wege, in jeder Hinsicht lieblich, Leite die begierigen Augen an diesen flachen, kleinen Tafeln, Diese zeigen Dir die waldigen benachbarten Gegenden von Haarlem.« 404

403 »Plaisante Plaetsen hier, meught ghij aenschouwen radt. Liefhebbers die geen tijt en hebt om veer te reijsen, Gheleghen buijten de ghenoechelijke Stadt, Haerlem of daer ontrent, koopt sonder lang te prejsen.« Vgl. Abb. 29. In einer späteren Fassung ist der niederländische Text leicht variiert, indem es heißt: »Wie vreugde en wellust vint in ’t eenzaam buiten leven, Die boet hier zynen lust in twalef Printgetal, Hy zal aan het gezigt een zoete blydschap geven, Van’t zedorp Santvoort aftot Haarlems ouden wal.« Vgl. dazu die Abb. bei Levesque, fig. 29. 404 Vgl. Abb. 29: »Villarum varias facies, variosque viarum Cernere qui gaudes anfractus, undique amoenos: His avidos planis oculos, age, pasce tabellis; Sylvosa Harlemi tibi quas vicinia praebet.«

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Leeflang hat zu Recht betont, dass die Bilder der Serie, die einige solcher ›lieblichen Biegungen‹ zwischen Wald und Dünenanhöhen zeigen, den alten Haarlemer locus amoenusTopos mit der varietas des Haarlemer Umlandes zwischen Wald, Küste und Dünen aufgreifen.405 Ich schließe mich auch der Auffassung von Levesque an, dass diese Reise durch die ›schönen Orte‹ zugleich eine identitätsstiftende, historisierende Reise ist. So präsentieren etwa die in zwei Blättern dargestellten idyllischen Ruinen ehemaliger spanischer Belagerungsquartiere, darunter zum Beispiel das Huys te Kleef (Abb. 40), das kulturelle Erinnerungsgut der zurückliegenden Haarlemer Belagerung. Levesque sieht in dieser friedlichen Einbettung der Ruinen die plaisante Kontrastierung des vergangenen Krieges mit dem gegenwärtigen Waffenstillstand.406 Es ist dieser politische Kontext, der in Visschers Serie eine neue und spezifisch holländisch-lokale Sichtweise prägt. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Haarlemer Landschaftskompositionen in Aufbau und Motivwahl auch von den älteren flämischen Landschaftsgrafiken, die gemeinhin als Vorläufer der jüngeren holländischen Landschaftsserien gelten. So hat Visscher zwar die flämische Bildserie der sogenannten Kleinen Landschaften, die nach Entwürfen eines unbekannten Zeichners Mitte des 16. Jahrhunderts von dem Verleger Hieronymus Cock erstmals herausgegeben worden war, rezipiert und 1612 erneut aufgelegt.407 Doch er hat sich bereits in dieser Neuauflage, wie Tanja Michalsky überzeugend herausgearbeitet hat, auch mit neuen Möglichkeiten einer Vertiefung und anderen Strukturierung der älteren flämischen Landschaftsansichten beschäftigt, die er beispielsweise durch eine stärkere Hervorhebung der Wolken, das Einfügen von Wanderern und das Abschattieren des Bildvordergrundes erzielt;408 diese Darstellungsmittel suggerieren eine »Involvierung der Betrachter« 409 – und berühren damit einen Aspekt, der für die Serie der Plaisante Plaetsen von noch entscheidenderer Bedeutung ist. Zudem hat Visscher in den Plaisante Plaetsen ein neues kompositorisches Interesse mit einer deutlichen Hinwendung zu spezifischen, politisch aufgeladenen holländischen Bildthemen verbunden, die in der Zeit des Waffenstillstandes identitätsstiftende Prospekte einer idyllischen historischen Landschaft projizieren konnten.410

405 Ausstellungskatalog 1995, 22; Leeflang 1995. 406 Levesque 1994, 53 f. Eine ähnliche Sicht vertritt auch Gibson 2000, 85 ff. Vgl. hingegen zu einer in der Tradition Bruyns (vgl. Bruyn 1987) stehenden ikonologischen Interpretation der Serie, die die Wanderung durch die Landschaften Haarlems als eine moralisierende ›Lebenspilgerschaft‹ deutet, Bakker 1993. 407 Vgl. zu den Kleinen Landschaften im Kontext der literarischen und pikturalen Tradition des Ländlichen u. a. Gibson 2000, 1 ff.; Spickernagel 1972. 408 Michalsky 2004, 345 f.; Michalsky 2011, 277 f. 409 Michalsky 2011, 277. 410 Vgl. Levesque 1994, 41 ff. Levesque sieht bei Visscher eine neue »intimacy, immediacy, specificity, and effective power« (41), die sie auch mit Visschers kartografischem Schaffen in Verbindung bringt.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Im Anschluss an diese Thesen möchte ich vor dem Hintergrund der bereits von mir diskutierten landschaftlichen Aufladungsprozesse analysieren, wie die Historizität des Krieges bei Visscher auch in der Dünenlandschaft selbst angelegt ist. So sehe ich in diesen neuen Landschaftsbildern eine Art Synthese aus der lokalpatriotischen Haarlemer Historisierung der Landschaft und der späten tuin-Entwicklung der Widerstandsdruckgrafik: Als Innenansichten eines lokalisierbaren ›Haarlemer tuin‹ bieten Visschers Bilder – parallel zu den propagandistischen Waffenstillstandsdarstellungen wie Maechts antwoort […] (Abb. 2), die während des Waffenstillstandes den Schwerpunkt auf das Garteninnere legen – einen neuen Vermittlungsweg, um die gemeinsame Vergangenheit landschaftlich zu formulieren.411 Die vorangegangenen Betrachtungen haben gezeigt, dass die Witte Blink infolge der zunehmenden identitätsstiftenden Wirkkraft der Dünen bereits um die Jahrhundertwende zu einem kulturellen Symbol erklärt wurde. Die früheren Widerstandsdarstellungen hatten die Konnotationen gräflicher Tradition und holländischer virtus gefestigt. Auf der lokalpatriotischen Ebene Haarlems konnte diese alte holländische Landschaft relokalisiert werden und zugleich in einen engeren Kontext des gepriesenen locus amoenus gerückt werden: Die Dünen werden zu einem neuen Bestandteil des Haarlemer locus amoenus, wie er in grafischen und literarischen Werken um 1600 entworfen wird. Zeitgleich zu Goltzius’ teils schon idyllischer Dünenansicht im Stich Fortitudo et Patientia (Abb. 27) und seinen heroischen Fahnenschwinger-Bildern (Abb. 20) deutet sich bei van Mander, Junius und bei Wassenaar eine kontemplative Dimension des reaktivierten Haarlemer locus amoenus an. Bereits für Wassenaar impliziert Haarlems Lage, »hoch gelegen auf den Strandwällen«, auch die ruhmreiche Vergangenheit.412 In weiteren Texten und Bildern wie dem Nederduytschen Helikon und den Plaisante Plaetsen wird diese Dimension erweitert, und der ›neue‹ locus amoenus wird zunehmend als eine Erinnerungslandschaft der Haarlemer virtus angelegt. Der Standpunkt, von dem aus diese Betrachtung erfolgen kann, ist der Dünenwall. Als übergeordneter Ort der virtus legitimiert er in Goltzius’ Zeichnungen und in Texten wie dem Nederduytschen Helicon den Blick in das Innere des von ihm geschützten Gartens: Als Musenberg der neuen betrachtenden Ästhetik fungiert die Witte Blink.

411 Levesque sieht, vor allem in der wenige Jahre später entstandenen Landschaftsserie von Willem Buytewech, ebenfalls Allusionen an den niederländischen tuin, indem sie sich etwa auf die abgeschiedene Umschlossenheit dieser baumreichen Szenerien Buytewechs bezieht und das bekannte, oben besprochene tuin-Bild von Buytewech (Abb. 16) als Impuls betrachtet. Vgl. Levesque 1994, 75 ff. Mir geht es im Unterschied zu diesen generellen Vergleichen und Verweisen auf die Situation des Waffenstillstandes aber in erster Linie um die gewachsenen politischen Bedeutungsdimensionen der Dünenlandschaft, die, wie auch in den vorherigen Kapiteln diskutiert wurde, mitunter beide Sphären prägen: die des tuin und die der ersten reinen Landschaften. 412 Siehe oben, 127.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem

Die Programmatik der Titelseiten Diese Funktion des Musenbergs erfüllt der Dünenhügel auch in Visschers Serie Plaisante Plaetsen. Im Bild des Titelblattes (Abb. 29) ist der Dünengipfel der Ort, der in die folgenden Landschaften einweist. Die Einladung, die verschiedenen Ansichten Haarlems zu betrachten, ist in einen Stein gemeißelt, der sich auf dem Dünengrund befindet. In einer zweiten Stufe führt die Dünenlandschaft in dem der Titelseite folgenden Inhaltsverzeichnis (Abb. 30) noch einmal in die Serie ein – hier ist sie in einem Fensterausschnitt über dem eingravierten Ortsverzeichnis zu sehen. Bereits auf dieser unmittelbaren Ebene steht die Haarlemer Dünenlandschaft einleitend als Musenberg vor dem ästhetischen Vorhaben, die Umgebung Haarlems im Bild zu zeigen. Doch das vorangehende Titelblatt führt auch geradezu programmatisch an, dass die Haarlemer Düne als identitätsstiftender historischer Ort konnotiert ist. Jüngere und ältere Geschichte sind an diesem landschaftlichen Ort ruhmreich miteinander verwoben. So sind der Damiette-Sieg und die spanische Belagerung – in van Manders Lobgedicht auf Haarlem in geschickter Verknüpfung sinnstiftend nebeneinandergestellt, bei Wassenaar bereits im Zeichen des ruhmreichen Dünenwalls angenähert – hier auf dem Dünenhügel in einer überzeitlichen Symbiose miteinander vereint: Die Basis dieses historischen Makrozeichens bildet das zugrunde liegende Motto Vicit vim virtus, das direkt über der gemeißelten Inschrift zu sehen ist. Auf seinem Podest erhebt sich das prominente Haarlemer Wappen mit dem Schwert und den vier Sternen, der ehrenvolle Verdienst aus dem Sieg über Damiette. In der oben besprochenen Holzschnittillustration, die das eine der beiden Stadtgedichte van Manders begleitet (Abb. 25), ist dieses Wappen durch die Worte Vicit vim virtus mit dem Wappen des entlaubten Baumes verknüpft, der – auf den Kahlschlag des Waldes während der Belagerungszeit verweisend – das noch ältere Haarlemer Baumwappen aktualisiert; diese Reihung konstruiert einen sinnstiftenden Zusammenhang zwischen Damiette und der Haarlemer Belagerung im Zeichen der virtus. Auch in Visschers Radierung (Abb. 29) steht das Damiette-Wappen in einer höheren Ordnung – diese ist jedoch nicht durch Reihung, sondern mehr noch durch Verschmelzung gekennzeichnet. So umgibt das Wappen wie ein Brustpanzer den Stamm des entblätterten Baumes. Dieser ist nicht in ein Wappen gebannt, sondern erscheint, gleichsam relokalisiert, als ›natürlicher‹ Auswuchs des Dünenbodens. Damit bezeichnet der Baum einerseits die ›authentischen‹ Spuren der Belagerung, andererseits aber ist er in seiner spezifischen Struktur Teil eines höheren Kreislaufs: An seinen Ästen trägt er an beiden Seiten die Teile der Hafenkette Damiettes – als sei diese nicht von der Haarlemer Schiffssäge, sondern von seinen starken Armen zerrissen worden.413 Das Damiette-Schiff selbst ist aber auch geradezu symbiotisch mit dem Baum verbunden, indem der Baumstamm hinter dem Wappen aus dem Schiffsbauch emporgewachsen ist. Unterhalb der Schiffssäge wiederum sprießen

413 Zu diesen Damiette-Symbolen siehe auch oben, 30.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Blätter hervor, die einerseits auf den ehemals belaubten Baum des alten Wappens (also lange vor der Belagerung und damit wieder in der Zeit des Damiette-Ruhmes), andererseits auf ein neues Aufblühen weisen können. Damit gehen beide Episoden der Haarlemer Geschichte ganz im Zeichen von Vicit vim virtus ineinander auf. Der kahle Baum wird zu einem notwendigen Zeichen der Haarlemer patientia, die die grundsätzliche, fortwährende fortitudo der Haarlemer mit bedingt.414 Die von Goltzius entworfene Vereinigung von Fortitudo und Patientia auf dem Haarlemer Dünengipfel (Abb. 27) wird hier in eine gleichsam organische Struktur überführt. Sie wird von der Zeit begleitet: »Tempus« ragt mit seinem Oberkörper wie eine Galionsfigur über dem Schiff empor und greift oben einen Ast des Baumes. Mit seinem Fuß aber tritt er aus dem Schatten dieses Gewächses heraus und berührt das Podest der Inschriften. Die Zeit bestimmt nicht das Nacheinander der Ereignisse, sondern sie trägt, ganz im zeitgenössischen Modus der exemplarischen Geschichtsbetrachtung, den historischen Mythos an das Licht der darstellenden Gegenwart. Die ordnende Kraft dieser Darstellung, zu der sich Tempus unterordnend auch mit seinem Blick hinwendet, ist »Diligentia«, die im vollen Licht der Sonne sitzt. Sie steht mit den historischen Zeichen nicht wie Tempus in physischer Berührung, sondern in einer ästhetischen Beziehung: Die Ansicht Haarlems, die das geöffnete Buch in ihren Händen präsentiert, weist auf das darstellende Werk der Serie selbst.415 Die Lokalisierung der Geschichte ist mit dem Zeigen und Betrachten der Geschichte verbunden.416 In einer Weiterentwicklung des bühnenartigen Fahnenschwunges von Goltzius und der kontemplativen Landschaftsdimensionen der früheren Stadtbeschreibungen wird eine evidente Zentralisierung des Dünengipfels zugleich mit einer ganz expliziten Dimension des ästhetisierenden Betrachtens offengelegt. Der Blick in das Innere des ›Gartens‹, den die folgenden Bilder unternehmen, wird auf diese Weise gewissermaßen erklärt und legitimiert. Zudem ist dieses Dünenareal mit dem Baumgewächs auch von einem Zaun umgeben und scheint so in das Innere eines tuin verlagert. In diesem Garteninneren steht die Geschichte nicht isoliert für sich: Sowohl die schaffende Diligentia der visuellen Darstellung als auch der Betrachter – der durch die halbkreisförmig aus dem Bild laufende

414 Letztlich greift auch Westerlöus auf dieses Bild in seinem Stadtgedicht zurück. Siehe oben, 122 f. 415 Sie prägt in der Leserichtung und in der besonderen Akzentuierung des Lichtes den Anfang des Bildes. 416 Zusätzlich zu den lateinischen Bezeichnungen ›Tempus‹ und ›Diligentia‹, die direkt an den Figuren selbst zu lesen sind, sind weiter unten auch die beiden niederländischen Ausdrücke eingefügt: ›Neersticheyt‹ auf der einen Seite und ›Tydt‹ auf der anderen Seite rahmen unten auf dem Podest die einladende Inschrift (die, wie beschrieben, den Betrachter zum Delektieren der Landschaften auffordert) und werden so beide als Bedingungen der Serie selbst umso mehr verdeutlicht. Indem Visscher unter diesen beiden Einträgen übergreifend den Hinweis auf seine Autorschaft platziert hat, wird auch sein eigener Schaffensbeitrag in diesem kontextuellen Rahmen selbstreflexiv betont.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Zaunlinie in den Garten eintritt – und nicht zuletzt die Zeit in der Gestalt von Tempus sind Teil dieses Gartens.417 Parallel zum Nederduytschen Helicon wird in Visschers Serie der Dünenhügel, gerade indem er mit historischen Dimensionen und mit den Vorstellungen des tuin bereits so stark assoziiert ist, nicht allein zu einem Erinnerungszeichen und identitätsstiftenden Symbol, sondern darüber hinaus zu einem Musenberg, der die memoria inspiriert. Von seiner programmatischen Warte aus gestaltet sich die schöpferische und kontemplative Erinnerung in den folgenden Blättern, in denen das landschaftliche Interesse neue Formen findet. Doch bevor diese Einblicke erfolgen, wird die Dünenlandschaft im Inhaltsverzeichnis (Abb. 30) ein zweites Mal einweisend vorgeschoben. Hier ist es die ›authentische‹, in sich geschlossene Landschaft der westlichen Haarlemer Dünenkette mit dem Feuerturm und der Küste Zantvoorts, die über dem gemeißelten Verzeichnis der folgenden plaisante plaetsen gleichsam einleitend in der ersten Fensteraussicht des Rundbogens erscheint. Wiederum, wenngleich in einer praktischeren, schaffenstechnischen Dimension, bildet die Düne den Standpunkt, von dem aus einleitend über die grafische Landschaftsproduktion selbst reflektiert wird. Die hier angelegte architektonische Rahmung bezeichnet den Ort der ästhetischen Produktion, mit deren ›Rahmenbedingungen‹ das Landschaftsbild erst freigegeben werden kann. So sind auf dem Fensterbrett mit Büchern, Tintenfass und Schreibfeder, mit Griffeln, einer grafischen Vorlage und Säurefässern, mit kartografischem Werk, Palette und Pinsel die Werkzeuge des darstellenden Schaffens gezeigt.418 Diese Reihung weist auf die Komplexität der landschaftlichen inventio: Sie erschließt sich – indem jeweils einerseits Vorlagen und andererseits technische Werkzeuge vereint sind – aus dem rezeptiven wie dem produktiven Umgang mit Literatur, Grafik, Kartografie und Malerei; zugleich ist insgesamt dieser komplexen Ebene der Landschaftsproduktion wiederum die Rezeption eines ›fertigen‹ Haarlemer Landschaftsbildes gegenübergestellt, das sich im Fensterausschnitt zeigt. 417 Der im Titelblatt durch die Kombination der verschiedenen historischen Zeichen und Allegorien zum Ausdruck gebrachte Kreislauf des Schaffens ruft van Manders Reflexionen in seinem Gedicht Strijdt tegen Onverstand in Erinnerung (siehe oben, 135 f.): Aus dem Goldenen Zeitalter des Friedens entspringt die Dichtung, doch erst durch ihre spezifische Leistung der ästhetischen Distanz wird durch Anschauung das Bewusstsein für die gemeinsamen Errungenschaften geschaffen. 418 Levesque 1994, 50 f., hebt hervor, dass diese Elemente nicht nur auf Literatur und Kunst verweisen, sondern die Tradition der Haarlemer Druckkunst im Besonderen hervorheben: »The books, prints, and maps specifically suggest a celebration of printing and provide a reminder of Haarlem’s role in the development of that art.« Levesque verweist in ihrer Deutung der einzelnen Bilder wiederholt auf das 1728 erschienene Werk Haarlemmer Duinzang […] von Gijsbert Tijsens, eine Stadtlobdichtung, die sich direkt auf die Grafiken Visschers bezieht und diese illustrativ einbindet (vgl. Tijsens 1728). Dieses Werk bzw. sein Bezug zu Visschers Ansichten ist vor allem im breiteren Kontext der Haarlemer Stadtlobtopoi von Interesse, indem es die langlebige Tradition der einzelnen lokalen Mythen widerspiegelt.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Die Dimensionen des Zeigens und des Imaginierens von Landschaft, die auf dem Titelblatt im Makrozeichen des ›bewachsenen‹ Dünenhügels auf einer Art mythischen Metaebene verdichtet sind (indem sie in ihren Bedingungen, in ihrem Sein reflektiert sind), sind im Inhaltsverzeichnis in ihrer dinghaften Art erfasst und durch die Rundbogenrahmung voneinander getrennt: Dem grundlegenden Bild des zeichenhaft beladenen Hügels auf dem Titelblatt, der Erinnerungs- und Wahrnehmungsort, tuin-Zentrum und Musenberg zugleich ist, folgt die fassbare Zweiteilung der ästhetischen Rezeption und Produktion – in ein distanziertes Landschaftsbild und in den Ort seiner Wahrnehmung und praktischen Schöpfung. Tempus und Diligentia als Pfeiler der landschaftlichen Mythenbildung werden in diesem zweiten Blatt somit in ihrer methodisch-praktischen Dimension repräsentiert. Ihr Musenberg ist wiederum die Anhöhe der Haarlemer Dünen, wo die architektonische Rahmung ansetzt und die Instrumente von ihrem visuellen Erzeugnis getrennt werden. An dieser Stelle, auf dem Dünengipfel, setzt zugleich auch wieder der historisierende Blick an, den die Ästhetisierung erst ermöglicht: Die Haarlemer Geschichte ist im konkret gewordenen Landschaftsbild in einer anderen Dimension ebenfalls präsent. So konnte der im Bildhintergrund dargestellte Küstenstreifen beim zeitgenössischen Betrachter, der mit den Küstenbildern der populären Widerstandsdruckgrafiken vertraut war, auch die friedliche Situation des aktuellen Waffenstillstandes assoziieren. Die Szenerie der glatten See mit den Netze ziehenden Fischern steht im Kontrast zu den zahlreichen propagandistischen Grafiken wie Maechts antwoort […] (Abb. 2), Massastranding van potvissen bij Ter Heijde op 22/23 november 1577 (Abb. 5) oder Afbeeldinghe van het groot wonder van vijfthien Walvisschen […] (Abb. 15), in denen das Meer die Sphäre des spanischen Angriffs darstellt, denn sie vermittelt eine friedvolle, ungebrochene Einheit zwischen Wasser und Land. Die visuelle Erinnerung an jene im zeitgenössischen Bildgedächtnis verankerten Grenzziehungen wird umso mehr verstärkt, als die Küste nicht direkt im Vordergrund fokussiert wird, sondern aus der Perspektive der hohen Dünenhügel gezeigt wird, die auch die Funktion der schützenden tuin-Abgrenzung im Bewusstsein des Betrachters wach halten können. Levesque verweist darauf, dass dieses zweite Blatt geradezu eine Übersicht über die varietas des Haarlemer locus amoenus darstelle, die in die folgenden, intimeren Einblicke einführe, indem sie gleich mehrere Aspekte des Landschaftslobs vereine: den von Kaninchen bevölkerten Dünenhügel im Vordergrund – den reichen Kaninchenbestand419 in

419 Nach Levesque 1994, 51, die auch auf Ampzings Beschreibung verweist, könnten die Kaninchen, gemeinsam mit dem Turm, auch auf die Kaninefaten bzw. die Bakenesser anspielen, die im Kennemerland angesiedelten germanischen Vorfahren und Zeitgenossen der Bataver. Diese Deutung ließe sich mit der Überlegung vereinen, dass an das Haarlemer Land früh schon batavische (und gräfliche) Dimensionen geknüpft wurden, die zu der um 1600 einsetzenden verstärkten Politisierung und Ästhetisierung der Dünenlandschaft beitrugen, wie ich oben ausgeführt habe.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem den Haarlemer Dünengebieten heben etwa van Mander und Spiegel hervor – und die seit Mathijszen gepriesene fischreiche See im Hintergrund.420 Doch es ist darüber hinaus zu konstatieren, dass gerade in dieser visuellen Verknüpfung auch die Bedingungen für die Rezeption und Produktion der locus amoenus-Ansichten thematisiert werden. Durch die Verbindung der hohen und breiten Dünen – in denen ja wiederum die Rundbogenrahmung der ästhetischen distanzierten Wahrnehmung angelegt ist – mit der entfernten, ruhig auslaufenden See wird der Prospekt des Haarlemer locus amoenus umfassend zugleich auch als Prospekt eines Waffenstillstandes begriffen, in dem die Erinnerung an die jüngste Vergangenheit präsent ist. Insofern ruft dieses Inhaltsverzeichnis in anderer Form als das Titelblatt, jedoch ebenfalls auf einer über die Lokalhistorisierung hinausführenden ästhetischen Metaebene noch einmal die wechselseitige Abhängigkeit von politischem Frieden und ästhetischer Darstellung auf, die auch im Nederduytschen Helikon anklingt:421 Der im Bild der ruhigen Küste angedeutete friedliche Zustand des Landes ermöglicht das Aufblühen der Künste, wie es in der vorderen Ebene in den unterschiedlichen Werkzeugen thematisiert ist. Doch erst dieses Aufblühen der ästhetischen Darstellung wiederum ermöglicht die eigentliche historische Wahrnehmung des äußeren Zustandes. Der Angelpunkt dieser beiden Dimensionen ist der Musenberg der Witte Blink. Er durchzieht die Serie. So erfolgt der Blick in die weiteren Haarlemer Landschaften auch innerhalb der einzelnen Ansichten meist von der Perspektive eines Dünenhügels aus: Die Ansichten Paters herbergh, Blatt vier (Abb. 32), Potjes herbergh, Blatt fünf (Abb. 33), Blekeryen door den Houdt, Blatt acht (Abb. 36), Lasery van Haerlem, Blatt neun (Abb. 37), Plaijsante plaets aende duyn kant, Blatt zehn (Abb. 38) und Blekeryen aende duynen gelegen, Blatt elf (Abb. 39), werden im Bildvordergrund jeweils vom Standpunkt einer leichten abgeschatteten Anhöhe eröffnet. Sie bietet nun keinen panoramaartigen Überblick über Küste und Land als vielmehr einen intimen Einblick in einen nahe gelegenen Haarlemer plaisanten plaets.

420 Vgl. ebd. 421 Siehe oben, 133 ff.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600

Abb. 29 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Titelblatt, 1611, Radierung, 10,4 × 16 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

Abb. 30 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Vierbake t’Sandtvoordt, 1611, Radierung, 9,9 × 14,2 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem

Abb. 31 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Sandtvoordt, 1611, Radierung, 10 × 15,6 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

Abb. 32 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Paters herbergh, 1611, Radierung, 10,2 × 15,6 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600

Abb. 33 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Potjes herbergh, 1611, Radierung, 10,1 × 15,6 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

Abb. 34 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Aende Wegh na Leyden, 1611, Radierung, 10,3 × 15,8 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem

Abb. 35 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Onder wegen Heemstee, 1611, Radierung, 10,2 × 15,7 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

Abb. 36 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Blekeryen door den Houdt, 1611, Radierung, 10,4 × 15,8 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600

Abb. 37 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Lasery van Haerlem, 1611, Radierung, 10,2 × 15,7 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

Abb. 38 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Plaijsante plaets aende duyn kant, 1611, Radierung, 10,3 × 15,8 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem

Abb. 39 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, Blekeryen aende duynen gelegen, 1611, Radierung, 10,3 × 15,8 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

Abb. 40 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, t’Huys te Kleef, 1611, Radierung, 10,3 × 15,8 cm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 Frieden, Muße und Erinnerung Doch auch in einem komplexeren Sinne ist die gesamte Reise durch die Plaisante Plaetsen von der Programmatik der Titelblätter durchdrungen: Es entfaltet sich die von der höchsten, abstrakten Stufe des Titelblattes (Abb. 29) ausgehende Einladung, die schönen Landschaften betrachtend zu bereisen, kaskadenartig in immer kleineren Einheiten. Das Titelblatt reflektiert auf einer Metaebene über die Sinnschichten der Haarlemer Landschaft, über die Beziehung von Historie, Mythos und ästhetischer Landschaftsbetrachtung, während das Inhaltsverzeichnis (Abb. 30) auf einer direkteren Ebene die Produktion und Rezeption der historischen Haarlemer Landschaft thematisiert. In der folgenden ersten Hälfte der Ansichten (Abb. 31–34) vertieft die Bildfolge meines Erachtens die Bedeutung des neuen Friedens und der Muße für die Landschaftsbetrachtung; von der Mitte der Serie bis zum letzten, zwölften Bild (Abb. 35–40) wiederum werden die auf dem Titelblatt historisch verdichteten Orte von Wald und Dünen konkretisiert. So weisen die ersten drei Bilder, die dem Inhaltsverzeichnis folgen, Sandtvoordt (Abb. 31), Paters herbergh (Abb. 32) und Potjes herbergh (Abb. 33), zunächst in lokalisierbaren ›Innenansichten‹ auf die historische und ästhetische Perspektive der Landschaftsreise: Sandtvoordt führt zuallererst direkt in dieselbe Küstenlandschaft hinein, die auch im Inhaltsverzeichnis als erstes Landschaftsbild im Hintergrund zu sehen ist. Folgt der Betrachter dem sich schwungvoll eröffnenden Weg, so kann er sich den Menschen am Wegesrand anschließen, die über den Küstenstreifen blicken und dabei auch einem Zeichner über die Schulter schauen, der auf der anderen Seite des Zaunes sitzt und die Szene der Netze ziehenden Fischer festhält. Die ästhetische Wahrnehmung der friedlichen Zandvoorter Küstenlandschaft wird durch den Zeichner und die Menschen, die sein Werk wie auch die Landschaft betrachten, nun zu einem integrierten Bildthema – nach dem Inhaltsverzeichnis gleichsam als eine dritte ›Einladung‹ in die Serie. Die folgenden beiden Herbergsbilder wiederum rücken diesen ästhetischen Zugang zur Haarlemer Landschaft noch näher und zeigen ihn unter der Voraussetzung der landschaftlichen Muße und Kontemplation: Die bekannten Haarlemer Gaststätten Paters herbergh und Potjes herbergh, die in dem von van Mander als Erholungsort so gepriesenen Haarlemer Wald situiert sind,422 thematisieren gleich zu Beginn der Rundreise die Bedeutung des Rastens im Kontext der Landschaftsrezeption. So sind sie nicht als Stätten geselliger Unterhaltung en détail konkretisiert, indem etwa gleich einer genreartigen Bauernszene fröhliche Tischgesellschaften fokussiert würden.423 Vielmehr werden sie durch die

422 Auf der Rückseite des Entwurfs für Potjes herbergh findet sich ein Vermerk Visschers, dass sich der Ort »außerhalb Haarlems im Wald« befinde. Vgl. dazu Gibson 2000, 98. 423 Levesque 1994, 52, geht hier demgegenüber davon aus, dass Visscher einen moralisierenden Vergleich zwischen der ›guten‹ Gaststätte Paters herbergh und der ›lasterhaften‹ Potjes herbergh angelegt hat. Dabei verweist sie, auch im Bezug zu den späteren literarischen Beschreibungen, etwa von Tijsens (siehe oben, Anm. 418), vor allem auf narrative Details des im Kornfeld verschwindenden Liebespaars

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem distanzierte Perspektive zu lokalisierbaren Fixpunkten einer Landschaftsszenerie, die mit Zaunlinien und dichten Bäumen gleichsam zu einem Haarlemer tuin abgesteckt ist. An der abgeschatteten, erhöhten Grenzlinie wird der Bildbetrachter zum Weggefährten von Menschen, die in das Areal eintreten oder zur Betrachtung dort verweilen. So teilt er nun den Standpunkt und Blick mit dem Zeichner, den er in dem Bild zuvor noch aus einiger Entfernung an der Zandvoorter Küste gesehen hat: Seine Gestalt an der Zaunpforte wird in Paters herbergh an dem weiten Mantel und dem breiten Hut wieder erkennbar, in Potjes herbergh sitzt eine Figur überdies zeichnend auf der Zaunplanke, den Skizzenblock in der linken Hand haltend. So wird der zur Rundreise Geladene zu einem Teil der lokalen Landschaft, indem er direkt an der Grenze des eingebetteten plaisante plaets steht, und zugleich vollzieht er aus dieser Position den Blick des rastenden Zeichners mit. Dass das distanzierte Innehalten am hügeligen Saum die Voraussetzung ist für das kontemplativ-ästhetische Delektieren der schönen Landschaft, wird in diesen beiden Stationen nahegelegt, nachdem zuvor in Sandtvoordt noch einmal der Zustand des Friedens mit dem Beginn der neuen Landschaftsreise in Verbindung gebracht wird.424 Die Gegenwärtigkeit des Waffenstillstandes in der als ehemalige ›Kampfzone‹ assoziierten Küstenlandschaft, die Muße, in der eigenen Landschaft rastend zu verweilen, um die Präsenz der Historie, in der Schönheit ästhetisch transformiert, wahrnehmen zu können: Diese Dimensionen, die den neuen Blick auf die Haarlemer Landschaft bestimmen, werden somit in den ersten Bildern der Serie thematisiert. Mit diesem Ausgangspunkt geht es in die historische Tiefe der Haarlemer Landschaft. Mit dem mittigen Bild Aende Wegh na Leyden (Abb. 34) wird der Weg aufgenommen. Das Reisen beginnt als eine Bewegung durch ein Gebiet, das als ehemalige Lagerstätte des oranischen Heeres historisch positiv konnotiert ist.425 Es führt sodann in Wald, Dünen und Ruinen spanischer Belagerungsstätten – und damit in die ›geschichtete‹ tuin-Landschaft, die das Titelblatt bereits verdichtet präsentiert. Den zwei Ansichten des Haarlemer Waldes (Abb. 35, 36) folgt mit der Lasery (Abb. 37) die Ruine einer ehemaligen Lagerstätte des spanischen Heeres, und zwei Dünenbildern (Abb. 38, 39) folgt abschließend

und des urinierenden Mannes sowie die insgesamt ›chaotischere‹ Situation der Gaststätte in letzterer Darstellung: »Together, the two inns represent a spectrum of rustic behavior, from the peasants’ simple pleasures to their most disgusting vices.« Aber diese Aspekte schmälern meines Erachtens nicht ausschlaggebend den Eindruck, dass hier auch strukturelle Allusionen an den tuin anklingen und ein programmatisch-ästhetischer Aspekt historisierender und zugleich in Muße vollzogener Landschaftsbetrachtung zum Tragen kommt. 424 Um hervorzuheben, dass die Zandvoorter Kirche an die spanische Zerstörung während der Haarlemer Belagerung erinnern konnte, verweist Levesque 1994, 52, hier auf eine Passage in der 1804 verfassten Stadtbeschreibung von Adriaan Loosjes, Hollands Arkadia, of Wandelingen in de omstreeken van Haarlem, die sich in der Tradition Tijsens’ (siehe Anm. 418) ebenfalls letztlich auf Visschers Ansichten bezieht und im Bezug auf diese lokale Stätte in Zandvoort einen derartigen Kontext offenlegt. 425 Vgl. Levesque 1994, 52.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 die Ruine des Huys te Kleef (Abb. 40), ebenfalls als einstiges Feldlager der Spanier konnotiert.426 In dieser Verschränkung sind die Stationen von der im Titelblatt offengelegten Matrix der Haarlemer Geschichtsordnung durchwirkt: Alte und jüngere Geschichte berühren einander und treten in der Landschaft in der höheren Ordnung von Vicit vim virtus zusammen. Die beiden idyllischen Ruinen der besiegten vis, die Lasery und das Huys te Kleef, sind eingebettet zwischen Wald und Dünen, den Garanten des alten locus amoenus und den historisch konnotierten Orten der überzeitlichen virtus. Diese Verknüpfung erinnert an die narrativen Stränge, mit denen Karel van Mander in seinen Lobgedichten die ruhmreiche Damiette-Geschichte mit der Haarlemer Belagerungsgeschichte und zugleich dem Lob der Landschaft verbindet.427 Auf dem Titelblatt (Abb. 29) sind Wald und Düne bereits zum Makrozeichen der virtus vereint: Der oben kahle und unten neu ergrünende Baum trägt die Spuren der jüngsten und ältesten lokalen Vergangenheit, und seine trotz des Kahlschlags starken Äste beweisen die durchdringende und siegreiche Kraft der Haarlemer patientia. Die Düne ist das Zentrum des tuin, der diese Spuren der Geschichte trägt, und bildet das fruchtbare Fundament der höheren geschichtlichen Ordnung der virtus. Zugleich ist sie der Ort der Wahrnehmung und Sichtbarmachung dieser Geschichte. Dieses Verhältnis zeigt sich auch in den Plaisante Plaetsen der zweiten Serienhälfte: In den Waldbildern (Abb. 35, 36), die der Lasery (Abb. 37) vorangehen, bietet die Dünenlandschaft einen Standpunkt der kontemplativen und ästhetischen Distanz. So markiert sie in Onder wegen Heemstee (Abb. 35) den umzäunten Eingang in die Tiefe des Haarlemmerhout. Aus dieser Perspektive eröffnet sich, wiederum gleich einem Eintritt in einen umgrenzten tuin, ein dichtes, nach hinten geschlossenes Waldgebiet. Das reiche Laubwerk weist, wie die sprießenden Blätter des Baumes im Titelblatt, auf das Wiedererstarken des während der Belagerung kahlgeschlagenen Haines und vertieft die Assoziation der siegreichen Haarlemer patientia. Anders als in der verdichteten Struktur des Titelblattes wird der Haarlemmerhout hier zu einem lokalisierbaren Ort, der die alte Geschichte Haarlems um den germanischen Kaninefaten-Stamm und um Wittes Kampf am Manpad, um den alten gräflichen Erholungspark und um den Erfinder Coster als Schauplatz beheimatet.428 Dass die – ja auch bei van Mander so gepriesene – Muße im Waldgebiet wiederum die kontemplativ-ästhetische Betrachtung dieser Geschichte erst ermöglicht, zeigt sich in Verbindung mit der folgenden Ansicht (Abb. 36): Hier ist die Ebene der diligentia im ›Binnenbild‹ erneut konkretisiert, indem die Dünenzone am Waldesrand, ähnlich wie im Herbergsbild, zum Standort des Zeichners wird. So ist die auf dem Zaun sitzende Figur des Zeichners genau in der Mitte des Bildes platziert, Griffel und Papier

426 Zu diesen spanischen Feldquartieren siehe auch oben, Anm. 330. Vgl. auch ebd., 53. 427 Siehe oben, 114 ff. 428 Levesque 1994, 52, verweist hier erneut auf Tijsens 1728 (siehe auch oben, Anm. 418), der bei dieser Ansicht Visschers explizit an die Kaninefaten erinnert. Vgl. die Passage bei Tijsens 1728, 6: »In ’t oog van Haarlems wal, daar de Kaninifaten / Wel eertyds woonden, en deez’ groenen oord bezáten.«

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem sind zu seiner rechten Seite vor dem hellen Hintergrund des Feldes noch erkennbar. Seitlich daneben zieht auch eine Zaunöffnung den Blick des Betrachters auf sich und lädt ihn über den gewundenen Pfad in die Tiefe der Landschaft ein. Die Bleichen, die schon bei Spiegel und anderen Haarlemer Autoren mindestens ebenso so sehr als plaisant wie als bedeutender städtischer Wirtschaftszweig gepriesen werden,429 unterstreichen den ästhetischen Blickwinkel, der der vorangehenden rekreativen Wanderung durch den historischen Schauplatz folgt. Nach der visuellen Erschließung des historischen Waldes kann die Ruine der Lasery (Abb. 37) umso mehr als ein Bestandteil dieser schönen Landschaft begriffen werden, in der sich die Spuren der jüngeren und älteren Vergangenheit abgelagert haben. Auch hier erfolgt der Blick auf die Sehenswürdigkeit vom – diesmal noch höher gelegenen – Standpunkt eines abgeschatteten Dünenhügels aus, wodurch der Eindruck der distanzierten Wahrnehmung forciert wird. Zudem ist die Lasery durch stärkere Grenzlinien in die Ferne gerückt: Der vordere Zaun ist nicht von einem Durchgang durchbrochen; vielmehr wird seine Geschlossenheit spielerisch auch dadurch betont, dass ein Wanderer den Zaun gerade nach ›außen‹ übersteigt, gleichsam, um größeren Abstand zu gewinnen. Die Ruine ist überdies jenseits einer ausgedehnten Rasenfläche erst hinter einer zweiten Umzäunung zu sehen. Auf diese Weise tritt der Effekt ein, der bereits bei den Herbergsbildern zu konstatieren ist: Indem das Bauwerk im Hintergrund präsentiert wird, wird es als integrativer Teil einer in sich geschlossenen Landschaft aufgefasst. Ähnlich verhält es sich auch bei der anderen Belagerungsstätte, dem Huys te Kleef (Abb. 40), das gleichfalls erst hinter einem breiten Feld, welches wiederum hinter einer geschlossenen Zaunlinie zu sehen ist, am Horizont hinter Bäumen zutage tritt und von fernen Vögeln umschwirrt wird. Die Belagerung, an deren Zerstörung die Ruine erinnert, erscheint aus dieser Perspektive im Sfumato einer älteren, größeren und ruhmreicheren Vergangenheit, die nicht nur in den jahrhundertealten Ruinen selbst, sondern auch in der umliegenden Landschaft assoziiert wird. Auf diese Weise wird die Harmonie der Geschichte zum Ausdruck gebracht, wie sie das Titelblatt einfordert, indem es historische Symbole nicht isoliert, sondern sie vielmehr auf dem Dünenboden zu einer höheren Ordnung synthetisiert. Auch das Huis te Kleef wird wie die Lasery übergreifend durch zwei vorangehende Bilder eingebunden. Die beiden Dünenansichten bilden den abschließenden Höhepunkt der schönen, alten Haarlemer Landschaft. Plaijsante plaets aende duyn kant (Abb. 38) ist die einzige Ansicht, die auch in ihrem eigenen Titel das Attribut plaisant führt: Sie präsentiert mit der Hirschjagd und dem rastenden Wanderer im tiefer gelegenen Dünengrund, den beiden Reitern am Abhang und den Kaninchen am Wegesrand eine Szenerie, in der ausschließlich die ältesten, bekanntesten Erholungsmomente der Haarlemer Dünen vereint sind. Damit ist die Reise im Zentrum des Haarlemer tuin angelangt, um 429 Vgl. Spiegel 1992, 118f. Siehe auch van Manders Beschreibung in seinem Lobgedicht (siehe oben, 124). Zu der Bedeutung der Bleichen vgl. Stone-Ferrier 1985.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 schlussendlich an seine rahmende Grenze zu kommen. So wird in Blekeryen aende duynen gelegen (Abb. 39) ein zweites Mal ein Bleichenfeld gezeigt, das der Betrachter diesmal von dem noch entfernteren Ausblickspunkt eines steilen Dünenabhangs betrachten kann. Dieser hohe abschließende Grenzpunkt des Dünenkamms bildet auch einen Endpunkt des Rundgangs. Zwar folgt mit dem Huys te Kleef (Abb. 40) noch die letzte historisch aufgeladene Ruine, doch sie wird am Wegesrand ›links liegen gelassen‹: Der Weg des Wanderers führt nur noch parallel an ihr vorbei, und es bietet sich kein direkter Zutritt mehr, wie es in den anderen Szenen an Zaunpforten der Fall ist und auch bei der Lasery mit dem Zaunkletterer noch suggeriert wird. Somit wird der Blick des Betrachters von der seitlich verlaufenden Straße mit dem vorbeilaufenden Wanderer aus dem Bild und aus der Serie geleitet.

Das Reisen durch die tuin-Ansichten Die Plaisante Plaetsen entfalten nicht nur thematisch das Programm des Titelblattes. Sie sind auch strukturell als eine Reise durch historische tuin-Landschaften durchkomponiert. Der abgeschattete Hügel im Bildvordergrund prägt, wie bereits oben erwähnt, die meisten Ansichten und vermittelt dem Betrachter einen erhöhten, distanzierten Standpunkt. Die Düne ist wie in den frühen Grafiken von Goltzius die Warte für den Blick auf die historische Landschaft Haarlems. Der auf diese Weise erzeugte Eindruck harmonisch eingebetteter Schauplätze wird auch durch andere Elemente forciert. Die häufig in Erscheinung tretenden Zäune verstärken in Kombination mit der rahmenden Dünenlandschaft die Assoziation des lokalen tuin: Zäune heben nicht allein im Vordergrund in etlichen Bildern den erhöhten Standpunkt des Dünenhügels zusätzlich hervor, sondern stecken die Landschaft oft auch seitlich und hinten ab, wie etwa in Blekeryen door den Houdt, Paters herbergh und Potjes herbergh (Abb. 36, 32, 33). Diese lockere Umgrenzung wird auch durch weitere landschaftliche Elemente wie dichte Baumgruppen und Häuser unterstützt, die die Szenerie zumeist nach hinten hin mit abgrenzen und weite Ausblicke verhindern. In Onder wegen Heemstee (Abb. 35) schließen beispielsweise die dichten Bäume die Waldszene ab, im folgenden Bleichenbild (Abb. 36) umfangen sie den hinteren Zaun. Auch der Himmel ist ein Teil der landschaftlichen Einfassung dieser Szenerien: Eine über die Bildgrenzen hinausgehende landschaftliche Weite, wie sie in vielen späteren Landschaftsgemälden, zum Beispiel in Ruisdaels ›Haerlempjes‹ (Abb. 54), mit weit auseinanderdriftenden Kumuluswolken vermittelt wird, wird in Visschers Ansichten nicht über den Himmel artikuliert. Denn dieser ist zumeist direkt über dem zentrierten kleinen Landschaftsareal als weiße Fläche verdichtet, während er an den Seiten in gleichmäßiger Schraffur wieder ausläuft (Abb. 33, 34, 38).430 430 Ausnahme ist das erste Bild nach dem Inhaltsverzeichnis, Sandtvoordt (Abb. 31), das am oberen Bildrand einige Kumuluswolken zeigt. Aber diese scheinen auch noch an die mittige weiße Masse gebunden.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Auf diese Weise erscheint der plaisante Ort hell beleuchtet, während die vordere Anhöhe dunkel abschattiert ist, wie es besonders in Paters herbergh, Potjes herbergh, Blekeryen door den Houdt 431 und Lasery van Haerlem (Abb. 32, 33, 36, 37) auffällt. Somit wird durch das Arrangement von Licht und Schatten wie auch durch die generelle Komposition von Zaun-, Hügel-, Baum- und variierenden Einzelmotiven bühnenartig eine innere Landschaftsszene als runder Schauplatz begriffen und eine äußere Anhöhe als Ort der Betrachtung inszeniert. Kompositorische Ausnahmen stellen drei Ansichten dar, denen in der Serie ein gliedernder Stellenwert zukommt: das erste nach dem Inhaltsverzeichnis folgende Bild, Sandtvoordt (Nummer drei), das in den Rundgang hineinführt (Abb. 31), das sechste, Aende Wegh na Leyden, das als ›Durchgangsstation‹ und mittiger Wendepunkt fungiert (Abb. 34), sowie die letzte Grafik der Serie, t’Huys te Kleef, die wieder aus der Reise hinausführt (Abb. 40). In Sandtvoordt ist ein Ausblickspunkt auf die Landschaft im Unterschied zu den folgenden Ansichten nicht direkt einleitend im Bildvordergrund, sondern erst im seitlichen Mittelgrund zu sehen: Am Wegesrand schaut eine Gruppe von Menschen über den Zaun auf den Strand Zandvoorts. Durch die schwungvolle Kurve des breiten Weges wird der Betrachter so zunächst einmal in die Landschaft und damit auch in die Rundreise durch die Plaisante Plaetsen hineingeführt. Das sechste Blatt, Aende Wegh na Leyden, macht diese in Sandtvoordt eingeleitete Bewegung auf der Straße noch einmal zu einem eigenen Bildthema, bevor die folgenden Bilder wieder in enger umgrenzte Ansichten führen; gleichwohl wird hier nicht gänzlich auf eine abgeschattete umzäunte Anhöhe verzichtet, die hier seitlich integriert ist und so den Eindruck vermittelt, dass auch diese Straße ein Bestandteil der inneren Haarlemer Landschaft ist. Wird in der Mitte der Serie das fortgesetzte Reisen mitten durch die Landschaft akzentuiert, so lässt das letzte Bild, t’Huys te Kleef, als Gegenstück zu Sandtvoordt den Weg wieder aus der Serie hinausführen. In den anderen Ansichten kann der Blick des Betrachters zumeist einem Weg folgen, der seine Wanderer von einem erhöhten Aussichtspunkt aus und manchmal durch eine Zaunöffnung hindurch direkt in die Tiefe des Ortes führt. Nur im abschließenden Bild geht die Route, wie bereits erläutert, zum einzigen Mal parallel zu einem undurchbrochenen Zaun seitlich an dem plaisante plaets vorbei. Der Bogen der Landschaftsreise spannt sich so auch strukturell von der ruhigen Küste als dem übergeordneten Ort des Waffenstillstandes hin zu der Ruine des ehemaligen spanischen Besatzungsquartiers Huis te Kleef und damit mitten ins Zentrum der friedlich abgelagerten Haarlemer Geschichte. Die in den drei Angelpunkten gelenkte Bewegung

431 Hier gehen die Bleichfelder aus dem Bild heraus, doch die runde Abgeschlossenheit des Ganzen wird gleichwohl dadurch hervorgehoben, dass der Zaun vorn links einen leichten Knick macht, somit nicht parallel zu den gestreckten Leinentüchern verläuft, sondern vielmehr die seitliche Rundung andeutet. Ferner wird der Eindruck des Abgeschlossenen auch durch den gegenüberliegenden Zaun oben rechts unterstützt.

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III. Grenzen und Garten. Landschaftsformeln und Landschaftsblicke um 1600 durch die Serie spiegelt sich aber auch in den einzelnen plaetsen selbst. So entsteht in ihnen jeweils ein Spannungsfeld zwischen der prinzipiellen Umgrenzung und Einbettung der inneren Landschaft und den Eckpunkten der Durchlässigkeit, die sich in Zaunöffnungen und Wegen manifestieren: So, wie vorn meist ein Weg in das Gebiet hineinführt, so bietet sich hinten oft wieder ein ›Ausgang‹ mit einer zweiten Zaunpforte oder einem Weg. Den betrachtenden Figuren am vorderen Übergang stehen Figuren gegenüber, die sich auf der anderen Seite des plaets wieder über eine Öffnung hinausbewegen. So wird in Blekeryen door den Houdt (Abb. 36) nicht nur der Zeichner an der ›Eingangspforte‹ sichtbar, sondern zugleich auch ein Wanderer auf der anderen Seite, der sich am Rande der dichten Baumkulisse befindet. Auch in Paters herbergh (Abb. 32) steht den vorderen Menschen am Zauneingang am anderen Ende des umzäunten Areals ein Paar gegenüber, das an einer weiteren Zaunöffnung vor einer dichten Baumgruppe wieder hinaustritt; eine ähnliche Struktur weist das folgende Herbergsbild, Potjes herbergh, (Abb. 33) auf, wo ein Zeichner und weitere wandelnde Personen im Vordergrund und eine Gruppe Reisender im Hintergrund zu sehen sind. Plaijsante Plaets aende duyn kant (Abb. 38) zeigt diese Übergänge in einer lockeren Verschiebung, indem das Zaunareal seitlich eingefügt ist und zwei Reisende daneben auf der Anhöhe in das Gebiet eintreten, weit vor ihnen wiederum markiert eine wandernde Rückenfigur das Ende dieses Gebietsabschnitts; dazwischen sitzt zudem eine rastende Figur am Wegesrand. Über diese Bewegung an den Grenzen werden die Bilder der Serie miteinander als Glieder einer Kette verbunden. Die einzelnen ›tuin-Ansichten‹ erscheinen im Spannungsfeld von Betrachtung und Bewegung umso mehr als Stationen der kontemplativen historischen Landschaftsreise. Das Programm des Titelblattes wird somit auf verschiedenen Ebenen umgesetzt: In der thematischen Abfolge vom ruhigen Strand als einem Ort des eingetretenen Friedens über die Herbergen als Stätten der Muße hinein in die Schauplätze alter und jüngerer Geschichte werden die Bedingungen sowie die historische Ordnung der Landschaftsreise reflektiert. In der strukturellen Reihung der Weg- und Hügelmotive wird die Bewegungsrichtung des Betrachters gestärkt, der über den Zandvoorter Weg eingeladen, über die Straße nach Leiden weitergeführt und schlussendlich mit der seitlichen Fährte am Huis te Kleef wieder hinausgeleitet wird. Und in der Binnenstruktur wiederum vertiefen die einzelnen ›tuin-Ansichten‹ im Zeichen von kontemplativem Innehalten und fortgesetzter Bewegung noch einmal die Vorstellung des historischen Rundganges: gleichsam als ob – mit den sicheren Außengrenzen der beruhigten Küste – am Zaun eines erweiterten tuin entlanggewandert wird, um seine inneren Ansichten zu sehen. Die ›Randfiguren‹ erscheinen als Wanderer, als rastende Betrachter, als Zeichner und verkörpern damit alle Ebenen dieser neuen Landschaftserfahrung.

›Geschichtete‹ Landschaft Die Betrachtungen des Kapitels »Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik« hatten gezeigt, dass in der propagandistischen Rhetorik nach 1600 und vor allem während

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem der Waffenruhe ab 1609 mit neuen Bildmitteln gearbeitet wird, um die Kriegsvergangenheit identitätsstiftend im Zeichen von holländischer Eintracht und virtus zu inszenieren. In den tuin-Bildern wie in Buytewechs Flugschriftillustration (Abb. 16) oder Maechts antwoort […] (Abb. 2) wird im Typus des ›gewachsenen‹ Gartens mit thronender Hollandia das Bild des etablierten regierenden Nordbundes kultiviert, der von dem bekannten Feind fortwährend bedroht und somit auch ex negativo in seiner Einheit beschworen wird. In Ergänzung zu den seriellen Gewaltformeln in der Spiegel-Literatur, die in besonderem Maße auf die gemeinschaftlich durchlebte Erfahrung der feindlichen Gewalt abzielt, bieten die tuin-Landschaft-Konstellationen die räumliche Vorstellung einer geschlossenen Einheit: einer Einheit, die nicht nur klar von dem Anderen abgegrenzt ist, sondern zugleich über ein historisches Fundament verfügt, das die kollektive patientia ›traditional‹ als Teil der batavisch-holländischen virtus verankert. Auch zeitgenössische kartografische Werke, die im Unterschied zu tuin-Bildern die faktischen Grenzen der nördlichen Provinzen anzeigen und ihre einzelnen Orte konkret benennen, integrieren bestärkende Landschaftsformeln mythisch aufgeladener historischer Zugehörigkeit. So zeigt Claes Jansz. Visschers Kartenwerk Leo belgicus (Abb. 41) die Geografie der niederländischen Republik in Gestalt des holländischen Löwen. Auf einer Dünenlandschaft hat sich sein Körper kraftvoll zur Einheit der Provinzen aufgerichtet, als sei er selbst aus diesem gelbbraunen Boden, aus dem er auch sein Schwert herauszieht, materialisiert. Wie in den tuin-Bildern ist die Dünenlandschaft das Fundament, das dem politischen Gebilde zugrunde liegt und seine Grenzen legitimiert, da es ihm eine Jahrhunderte alte virtus und Herrschaftstradition attestieren kann. Diese historisierende Wirkkraft wird in den nach 1600 entstehenden realistischen Grafiken, die die holländische Landschaft als autonomen Raum thematisieren, verdichtet und potenziert. Als Innenansichten eines lokalisierbaren, ›geschichteten‹ tuin füllen die neuen Landschaftsbilder den komplementären Raum zwischen den verschiedenen Formen visueller Identitätsstiftung – zwischen der kartografischen Strategie, jenseits der Feindbildzeichnung die Gestalt der eigenen Grenzen konkret zu benennen, der SpiegelLiteratur, die die kollektive Leiderfahrung der belagerten Stadt narrativ memoriert, dem propagandistischen tuin, der in suggestiven Schablonen die Potenzen der Einheit im Spannungsfeld mit dem Fremden generalisiert. Die von Goltzius eröffnete historisierende Ästhetisierung der Haarlemer Landschaft wird in Visschers Serie erstmals zu einem visuellen Programm: Indem die Düne, in der zeitgenössischen Literatur bereits zum holländischen Helikon deklariert, zum richtungsweisenden Ausgangspunkt für den Blick auf das Haarlemer Landschaftsareal wird, wird ihre abgrenzende Funktion in eine ästhetische Dimension übertragen. Der umgrenzende Dünenwall schirmt hier nicht von einem feindlichen Außen ab, sondern fungiert als Distanz schaffender Standort für den Landschaftsblick nach innen, auf den ehemaligen Schauplatz älterer und jüngerer Geschichte. So eröffnet die Haarlemer Düne, mit den ruhmreichen Zeichen der lokalen Historie versehen, auf dem Titelblatt der Plaisante

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Abb. 41 Claes Jansz. Visscher: Leo Belgicus, 1609–1621, kolorierte Radierung, 47 × 57 cm, Leiden, Universiteits Bibliotheek, Collectie Bodel Nijenhuis

Plaetsen (Abb. 29) in expliziter Form den Eintritt in den Haarlemer Rundgang, und die einzelnen Landschaftsansichten wiederum werden tellerartig von der Dünenlandschaft eingebettet, um vom erhöhten Standpunkt aus erschlossen zu werden. In diesem Landschaftsblick wird der Bildbetrachter zum ›Weggefährten‹ der betrachtenden und wandernden Bildfiguren. Durch den mit der Düne mehrfach verknüpften Akt der Landschaftsbetrachtung wird eine ästhetische Distanz evoziert, die eine symbolisch gefestigte kollektive Erinnerung suggeriert: Sie impliziert die gemeinsame Leiderfahrung während der Haarlemer Belagerung als Teil einer größeren virtus-Geschichte, die sich in der fortwährenden Präsenz des alten Landes abgelagert hat. In dieser Ausrichtung bietet die ästhetisierte Haarlemer Landschaft in einem stärkeren und konkreteren Maße als die Landschaft der Widerstandsdruckgrafik eine Projektionsfläche für eine mehrschichtige historische Erinnerung. Die Haarlemer Dünenlandschaft wird zum lokalen Erinnerungsort der spanischen Belagerung Haarlems, der auch die ›Vorvergangenheit‹ eines vor der spanischen Verwüstung bereits gefestigten, gräflich-batavischen Landes einschließt.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Das Serienformat verstärkt diese Ausrichtung: Im Unterschied zu den Spiegel-Werken, in denen die Serialität ausschließlich zur Darstellung des narrativen Nacheinanders angelegt ist, bietet das serielle Prinzip hier, indem es zur Vermittlung eines visuellen Rundgangs eingesetzt wird, ein Nebeneinander historischer Narration.432 Die Reihung artikuliert einen Rundgang, der die assoziativen Dimensionen der alten Haarlemer Landschaft in der Wiederholung potenziert. Gerade indem etwa das Huys te Kleef (Abb. 40) nicht als Einzelansicht gefasst ist, sondern mit anderen Plätzen im Zeichen von Schönheit und virtus verbunden ist, wird die Erinnerung an die spanische Besatzungszeit nicht isoliert fokussiert: Im Vordergrund steht das positive Bewusstsein um die Vielschichtigkeit der kollektiven historischen Denkmäler – eingeflochtene Dünen- und Waldszenen rufen ruhmreiche Geschichten um Witte van Haemstede und die Bataver in Erinnerung. So eröffnen diese Bilder der aufgeladenen Landschaft ganz nach der Devise des Titelblattes die Möglichkeit, nicht allein historische Vergleiche zu ziehen, als vielmehr die Gewissheit einer größeren historischen Ordnung zu vermitteln. Der Dünengipfel, der Visschers Bilder auf verschiedenen Ebenen eröffnet, ist der identitätsstiftende Rahmen des neuen historischen Landschaftsblicks. Diese Funktion wird ihm nach dem Erscheinen der Plaisante Plaetsen auch in anderen druckgrafischen Serien zugesprochen, die das Repertoire der holländischen Landschaft erweitern. So weist Claes van Wieringen in seiner 1613 erschienenen Serie Amaeniores Aliquot Regiunculae einer Düne auf dem Titelblatt die übergeordnete Position zu, in die Bildfolge hineinzuführen (Abb. 42): Geradezu bühnenartig ist auf dieser Anhöhe zwischen zwei Bäumen ein Vorhang angebracht, der den Titel der Serie verkündet. Der zentrierte Gipfel ist nicht wie bei Visscher programmatisch zu einer lokalpatriotisch historisierten Warte stilisiert. Doch offensichtlich wird er in Rezeption von Goltzius und Visscher weiterhin eingesetzt, um das Betrachten der holländischen Landschaftsansichten zu eröffnen.433 Wenige Jahre später wird dieser Ort der Landschaftsbetrachtung zum eigentlichen Thema der tonalen Gemälde Jan van Goyens und seiner Zeitgenossen.

432 Parallel entstehen um diese Zeit in der Literatur vermehrt Stadtbeschreibungen, die als ein historisierender Wandelgang angelegt sind. Dies deutet sich bereits 1599 mit Haerlem Soetendals Gedichten an (siehe oben, 21 ff.) und erfährt mit Ampzings Stadtbeschreibung von 1628 (bereits 1616 verfasste er ein kürzeres Stadtgedicht, das ebenfalls als Rundgang konzipiert ist, siehe oben, Anm. 49) einen Höhepunkt. Vgl. zu der Entwicklung des Stadtrundgangs in der Literatur zum Beispiel Leeflang 1997, 75 ff., Grootes 1993, 105; allgemeiner zur kulturellen Dimension von Wandelgängen im Holland des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. Jong 2007. 433 Dieser Status deutet sich in abgeschwächter, stilisierter Form auch in Jan van de Veldes Serie Amoenissimae aliquot Regiunculae, et antiquorum monumentorum ruinae (1615, Amsterdam, Rijksprentenkabinet) an, deren Bilder in einer Vermischung von holländischen und antiken, italianisierenden Ruinen der holländischen Landschaft in einer anderen Weise ein idyllisches, arkadisches Potenzial zusprechen. Auf dem Titelblatt (siehe Levesque 1994, fig. 102) ist ein Hügel ebenfalls mit einem Vorhang versehen, dahinter erstrecken sich antike und holländische Gebäude.

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Abb. 42 Claes van Wieringen: Amaeniores Aliquot Regiunculae, Titelblatt, 1613, Radierung, 14,2 × 19,5 cm, Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, Sign. 28.1 Geom.

In seinem Lobgedicht auf die niederländische Schifffahrt, Hymnvs, Ofte Lof-Gesangh, Over de wijd-beroemde scheeps-vaert der Vereenighde Nederlanden (1613), hebt der Dichter Joost van den Vondel die militärischen Leistungen Maurits von Oraniens mit einem Landschaftsbild hervor. Wie oben bereits erläutert, vergleicht er die virtus des Statthalters während des Widerstandes gegen Spanien mit der Kraft der Dünen gegenüber der wilden See: So, wie die Dünen das Land vor der Überflutung bewahrten, so habe auch Maurits, »um die Freiheit der Vereinigten Niederlande zu schützen, ihre Grenzen ausgeweitet«.434 Im Princelied, das Vondel zwölf Jahre später, im Jahr 1625, für den neuen Statthalter Frederik Hendrik von Oranien verfasste,435 konstruiert er in der fünften Strophe erneut ein landschaftliches Bild: »Schöpft Mut dann, Herren Staaten, Euer Feldherr steht bereit; Die Reiter und Soldaten führt wieder an die Grenzen.

434 Vondel 1927, 443. Siehe oben, Anm. 228. 435 Frederik Hendrik folgte seinem älteren Bruder Maurits 1625 nach dessen Tod als Statthalter nach.

ii. Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem Was schreckt ihr vor oder zurück, Das Land hat auf der einen Seite Dünen, auf der anderen den Wächter und Schutzherren vom tuin.«436 Vondel lässt hier den Statthalter Frederik Hendrik einen kämpferischen Appell an die Generalstaaten richten, in der fortgesetzten Kriegsführung gegen Spanien – die sich um diese Zeit nach dem Ende des Waffenstillstands an die Grenzprovinzen verlagert hat – weiterhin Mut und Entschlossenheit zu beweisen. Im Unterschied zu dem früheren Seefahrtsgedicht, in dem Vondel sich eines anschaulichen landschaftlichen Bildvergleiches bedient, argumentiert er hier mit einem semantischen Gefüge von Land, Dünen, Wächter und tuin. In diesem imaginativen Spektrum vereinen sich die Vorstellungen des gefestigten eigenen Landes und der holländischen virtus : Die Dünen werden zusammen mit dem ›tuin-Wächter‹ – damit ist wohl der niederländische Löwe gemeint – als ein ermutigendes Argument gegen militärische Resignation ins Feld geführt. Sie erscheinen damit als ein repräsentatives Zeugnis der bereits erfahrenen kollektiven Stärke: In dem vor allem in der Druckgrafik entwickelten Prozess der Landschaftssemantisierung sind die Dünen zu einem komplexeren identitätsstiftenden Zeichen geworden. Es gewinnt in der zweiten Konsolidierungsphase der niederländischen Republik nach 1620 vor allem an historisierender Wirkkraft. So dient das Landschaftsbild von tuin und Dünen in Vondels späterem Lobgedicht nicht mehr dazu, die politische Abgrenzung konkret zu versinnbildlichen. Als ein Pars pro Toto der selbstbewussten jungen Republik soll es vielmehr in suggestiver Form positive Momente der Kriegsvergangenheit assoziieren. Die Dünen sind damit zu einem festen Topos der kollektiven Erinnerungsgemeinschaft geworden. Im Folgenden wird zu diskutieren sein, wie die Malerei der 1620er- und 1630er-Jahre diesen Topos formt.

436 »Schept moed dan Heeren Staten, Vw Veltheer staet bereyd; Die ruyters en soldaten Weer na de grensen leyd. Wat schrickt ghy voor of achter, ’tLand heeft aen d’een’ sy’ duyn, Aen d’andre sy’ den wachter, En Schutsheer van den tuyn.« Vondel 1928, 506.

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IV.

Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620

Ich höre Triton die überfrohe Nachricht Ausblasen über Strand und Düne, Wo Hollands Magd in ihrem tuin (Beschattet von Oranje-Bäumen, Deren Duft sie wieder erholen lässt Von dem bösen Gift der Lilienluft, Worüber noch so manche Magd seufzt) Saß und nach so langem Warten Die gute Botschaft empfangen hat.437

i. Das eigene alte Land Einheit Viele zwischen 1625 und 1640 in Holland produzierte Landschaftsgemälde vermitteln das Bild eines gänzlich von Dünen definierten Landes. Jan van Goyens um 1630 entstandene Dünenlandschaft (Taf. 3) ist ein charakteristisches Beispiel für die Kompositionen dieser Jahre, die mit nur wenigen Motiven den Eindruck einer nahezu omnipräsenten Sandigkeit erzeugen: So weit das Auge des Betrachters reicht, erstrecken sich unter dem Dunst eines tief liegenden, wolkigen Himmels wellige Dünenanhöhen und ihre flacheren Ausläufer, vereinzelt besetzt von kleinen Gruppen rastender und ins Umland schauender Menschen, durchzogen von einem brüchigen Zaun. Der markant mit dem Schattenfeld

437 »’k Hoor Triton de overblyde maren Uytblazen over Strant, en Duyn, Daar Hollands maagt in haaren tuyn (Beschaduwt van Oranje bomen, Wiens geur haar weder deet bekomen Van ’t boos vergift der Lely-lucht, Daar nogh zoo menig’ Maagt om zucht) Gezeten, na zoo ’n lang verlangen, De goede boodschap heeft ontfangen.« Arents 1724, 4.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 kontrastierende Lichteinfall setzt nichts anderes in Szene als einen Streifen des vorderen Sandhügels, auf dem zwei Rastende und zwei Wandernde am Zaun zu sehen sind. Bezüglich Jan van Goyen hebt der holländische Maler und Kunsttheoretiker Samuel van Hoogstraten in seiner Inleyding tot de hooge schoole der schilderkonst (1678) im Rahmen einer Künstleranekdote hervor, dass dieser im Unterschied zu den Malern François Knipbergen und Jan Porcellis in seinen Bildern stets als Erstes ein »Chaos der Farben« angelegt habe, indem er seine Leinwand ganz »überschwärzte, hier hell, da dunkel«. Daraus habe er dann seine Landschaft mit wenigen Strichen entwickelt, als habe er ihre Elemente im Chaos bereits »verborgen« gesehen.438 In charakteristischen Bildern van Goyens wie etwa der Dünenlandschaft ist die sandige Materialität der Dünen der Kern dieser ›chaotischen Urmasse‹: Ihre Tonalität wird mit Licht und Schattenpartien belebt, und mit wenigen weiteren Farbnuancen und Strichen sind Motive wie die Figurengruppen oder der alte Zaun aus diesem Fundament herausgearbeitet. Auch der Himmel scheint mit seinen tiefen Wolken diese dunkle Schwere des Landes aufzunehmen und nach oben zu treiben. Alle Dinge leiten sich, ganz, wie Hoogstraten es mit dem zugrunde liegenden »Chaos« umschreibt, aus der Tonalität der Sandmasse ab. Diese Sandigkeit thematisieren zahlreiche Bilder van Goyens, aber auch seiner Zeitgenossen Pieter de Molijn, Pieter van Santvoort und Salomon van Ruysdael: Sie produzierten zwischen 1625 und 1645 eine große Anzahl solcher monochromen, auf wenige wiederkehrende Motive reduzierten Landschaftsansichten (Taf. 1, 3, 4; Abb. 43–45, 47, 48). Als der Kunsttheoretiker und Klassizist Gérard de Lairesse in seinem Groot schilderboek

438 »Nevens deeze zat Jan van Gooyen, die op een gansch andere wijze te werk ging: want hy zijn geheel paneel in ’t gros overzwadderende, hier licht, daer donker […] als op het uitzien van gedaentens, die in een Chaos van verwen verborgen laegen, afgerecht, stierde zijn hand en verstandt op een vaerdige wijs, zoo datmen een volmaekte Schildery zag, eermen recht merken kon, wat hy voor hadt.« Hoogstraten 1969, 237 f. In dieser Passage, die verschiedene Modi künstlerischer Fertigkeit illustriert, geht es um die Schilderung eines Wettbewerbs zwischen den drei Landschaftsmalern Porcellis, van Goyen und Knipbergen, die die Aufgabe gestellt bekommen, jeweils an einem Tag ein Bild zu vollenden. Während allen drei ein großes Können attestiert wird, geht letztlich Porcellis als Sieger bzw. Primus inter Pares aus dem Wettbewerb hervor. Denn er steht für das klassisch-rhetorische Prinzip einer inventio, die auf dem sorgfältigen Anlegen innerer Denkbilder gründet, die dann in einem zweiten Schritt auf die Leinwand übertragen werden; van Goyen trägt demgegenüber die Farben direkt auf der Leinwand auf, um daraus dann erst einzelne Motive zu entwickeln, während Knipbergen die Leinwand mit einer gleichsam flink schreibenden Hand füllt. Nahezu wortgleich greift auch van Hoogstratens Schüler Arnold Houbraken in seiner Abhandlung diesen Passus auf, vgl. Houbraken 1976, 168. Vgl. zu dieser Passage auch Nicolaisen 2004, 36 f.; zu einer Diskussion der Passage im Kontext zeitgenössischer memoriaKonzepte vgl. Volmert 2012b und Volmert 2013, 150–153. Zur pikturalen Tradition des Zufälligen bzw. Fleckigen im Werkprozess, die – neben gelegentlichen Verweisen auf van Goyen – in der Kunst der Neuzeit meist mit Bezug auf Leonardo da Vinci und Alexander Cozens diskutiert wird, vgl. u. a. Gombrich 2000, 187; Busch 1995; Gamboni 2002; Guldin 2009; Schneemann 2008; Weltzien 2006.

i. Das eigene alte Land (1707) in einem Rückblick auf die Landschaftsmalerei zu Beginn des 17. Jahrhunderts kritisch beobachtet, dass »Menschen, die als gute und erfahrene Künstler in der Landschaftsmalerei gelten wollen, […] das schöne Grün ganz aus ihren Gemälden verbannen und stattdessen Schwarz, Gelb und weitere solcher fahlen Farben hineinbringen« 439, hat er wohl vor allem diese Maler im Sinn. Die Verbannung des Grün führt in Gemälden wie van Goyens Dünenlandschaft mit zwei alten Wettereichen (Taf. 4) zum Beispiel dazu, dass auch die Vegetation ganz in den bräunlichen Tönen der Dünenlandschaft gehalten ist: Im Unterschied zu den späteren Dünenbildern Jacob van Ruisdaels (Taf. 5, 6; Abb. 50, 52), in denen das Grün nicht allein ›zurückgekehrt‹ ist, sondern auch eine große Vielfalt an Bäumen und Pflanzen en détail in den Form- und Farbnuancen ihrer Blätter präsentiert wird,440 sind van Goyens Bäume nicht als eigenständiges Naturelement, sondern allein als ein abhängiger Bestandteil der Dünen aufgefasst. Die stilisierte Ausgestaltung ihrer Blätter und vor allem die farbliche Fassung evozieren den Eindruck, als seien die knorrigen Laubbäume ein plastischer Auswuchs ihres sandigen Untergrunds. Das beleuchtete Gelbgrau zieht sich vom Boden gleich einem blitzartigen Lichtstreifen über die Stämme bis in das Laubgeäst, wo es sich mit dem dunkleren Graubraun mischt, das aus Himmel und Erde gespeist scheint. Eine ähnliche atmosphärische Verdichtung prägt auch Pieter de Molijns Dünenlandschaft mit Bäumen und Wagen von 1626 (Abb. 43): Wiederum beherrscht der Dünengrund die gesamte Landschaft. Vorn wird die leere Fläche eines Sandweges durch starke Beleuchtung in Szene gesetzt. An ihren Rändern, wo das helle Gelb in dunklere Töne ausläuft, gehen vereinzelte Landschaftsmotive ähnlich wie bei van Goyen so in der Tonalität der Düne auf, dass sie kaum davon zu unterscheiden sind. Der vordere Wagen mit seinem grauen Pferd hebt sich farblich nur sehr schwach vom Boden ab, vielmehr schält sich seine materielle Form geradezu erst aus dem Sand heraus. Der zwischen Weg und Anhöhe liegende Zaun scheint in die breit konturierte Struktur des Sandes eingeflochten. Am Horizont sind unter den schweren, tiefen Wolken, die ihrerseits die Brauntöne des Landes aufnehmen, zwei Wanderer an ihren aufragenden Silhouetten mehr zu erahnen als genau zu erkennen. Und wiederum wirkt die grob umrissene Gestalt des einzelnen großen Baumes wie eine zweidimensionale Auffächerung ihres dunklen Untergrunds. Dieser Fokus auf die Sandigkeit bekundet kein deutliches Interesse an den Dünen als einem ›realen‹ Naturphänomen. Wie an den Bäumen ersichtlich wird, sind die Kompositionen nicht darauf angelegt, etwa die Facetten der Dünenvegetation ästhetisch umzusetzen. Auch weiterer Dünenbewuchs wie vor allem das Helmgras, das bei Ruisdael später in

439 »Doch het geen beklaagd moet worden, is dat menschen, die voor goede en ervarene Konstenaars in het Landschapschilderen willen doorgaan […] het schoone groen geheel uit hunne schilderyen verbannen, en, in plaats van ’t zelve, zwart, geel, en meer diergelyke vaale koleuren daar in brengen.« Lairesse 1712, 359. 440 Zu Ruisdael siehe unten, 192 ff.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620

Abb. 43 Pieter de Molijn: Dünenlandschaft mit Bäumen und Wagen, 1626, Öl auf Holz, 26 × 36 cm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum

Abb. 44 Jan van Goyen: Dünenlandschaft mit Schafen und Ziegen, 1631, Öl auf Holz, 39,5 × 62,7 cm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum

i. Das eigene alte Land

Abb. 45 Jan van Goyen: Dünenlandschaft mit Figuren an einem Zaun, 1631, Öl auf Holz, 30 × 50 cm, Privatsammlung

dichtem Grün die Dünen bedeckt, fällt nur sehr spärlich aus. Ebenso thematisieren die Bilder auch nicht die witterungsabhängige Veränderlichkeit und Beweglichkeit des Sandes. Ohnehin werden manche Wetterlagen wie Regen oder klarblauer Himmel mit Sonnenschein nur selten gewählt, und es überwiegt der mit mehreren schweren Wolken bedeckte Himmel: Dieses Wolkenspiel und das oft kontrastreiche Licht-Schatten-Gefüge vermitteln zwar den Eindruck von Dynamik und Kontingenz 441 – doch dieser überträgt sich nicht auf die Materialität der Dünen. Der Sand erscheint in vielen Fällen als eine feste, beständige Masse, er wird nicht vom Wind aufgewirbelt oder etwa stark durchnässt; stattdessen nimmt eher der Himmel seine gelbe Färbung auf. Auf diese Weise wird das Land als ein beständiges, von Witterung weitgehend unbeeinflussbares Fundament charakterisiert. Dieser Eindruck wird zudem insofern bestärkt, als die Wahl der ergänzenden Landschaftsmotive auch nicht darauf angelegt ist, die Dünen in Abhängigkeit von menschlichen, wirtschaftlichen Eingriffen zu betrachten: Wie auch von Schama und Adams konstatiert, sind Menschen in van Goyens, Ruysdaels oder de Molijns Szenen (Taf. 3, 4;

441 Zur Darstellungstradition der Wolken in der holländischen Malerei vgl. generell Walsh 1991; vgl. auch Guldin 2012, der die europäische mit der asiatischen Darstellungstradition vergleicht. Zu Aspekten von Kontingenz und Temporalität in Darstellungen des Wetters in der holländischen Malerei vgl. Michalsky 2003; zum ›schilderachtigen‹ (›pittoresken‹) Konzept von dunklen Wolken bei van Goyen vgl. Falkenburg 1996.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Abb. 43–45, Abb. 47, 48) in der Regel nicht als Arbeitende dargestellt; befestigte größere Straßen, angrenzende Felder oder das neue Kanalverkehrssystem der trekschuiten spielen in den Darstellungen ebenso keine Rolle, und auch das in den 1630er-Jahren im Zuge umfangreicher Landgewinnungsmaßnahmen trockengelegte, eingepolderte Land ist nur in sehr seltenen Fällen zur Anschauung gebracht.442 Es ist somit nicht die geografischökologische oder ökonomische Bedingtheit und Veränderlichkeit der Dünen als vielmehr eine Form der grundlegenden, allseitigen Beständigkeit und Festigkeit, die in den Bildern thematisiert wird. Dieser Fokus auf ›unveränderliche‹, grundlegende Dünenlandschaften entwickelt meines Erachtens den in der Grafik Haarlems und den propagandistischen tuin- und Walstrandungsillustrationen mit den Dünen konnotierten Wert des beständigen Fundaments, der allumfassenden und historischen Einheit weiter. Welche Bedeutung gewinnt dabei die bereits bei Visscher aufkommende Dimension der Erinnerungslandschaft? Das Arrangement der wenigen Motive, die zu sehen sind, ist für diese Frage noch einmal genauer zu betrachten: Die Landschaftselemente sind oft auf ein formelhaft komponiertes Repertoire von kleinen Menschengruppen, vereinzelten Bäumen und Hütten, kurvigen Wegen und Zäunen begrenzt. Zumeist fällt der Blick des Betrachters auf einen streckenweise beleuchteten Sandpfad, der an einer leichten Dünenanhöhe entlang unter schweren Wolken in die Tiefe führt. Vereinzelte Menschen sind als Wanderer auf dem Weg oder auf einem schmaleren, entfernteren Pfad in den seitlich aufragenden Dünen zu erkennen (Abb. 43, 45). Der Fokus liegt aber häufig auf einer kleinen Gruppe Menschen, die am Fuße des Hanges und an dort situierten Zäunen oder direkt auf dem Gipfel einer Anhöhe rasten und auf das Land schauen (Taf. 3, Abb. 44, 47, 48). Stärker noch als in der Dünenlandschaft von 1630 (Taf. 3) ist zum Beispiel in Jan van Goyens Dünenlandschaft mit Schafen und Ziegen (Abb. 44) ein solches Ensemble unmittelbar vor dem Auge des Betrachters in Szene gesetzt: Eingebettet am Fuße einer Anhöhe unter schwerem, grauem Himmel tut sich ein rund ausgeleuchtetes Dünenplätzchen mit alten Zaunplanken auf, auf dem einige Schafe und Ziegen, rastende Bauern und Hirten zu sehen sind. Weiter oben auf dem Gipfel des unter den Wolken verdunkelten Hügels ist eine weitere Gruppe von Menschen zu erkennen. Wieder hebt der stark zentrierte Lichteinfall scheinbar einen »plotless place«443 (Simon Schama) hervor – auf dem die Präsenz des Vorhandenen umso mehr ins Auge fällt: die Materialität des Sandes, die Rastenden und nicht zuletzt das Arrangement der Zaunplanken, die hier erneut und besonders stark als zentraler Bestandteil des Rastplatzes erscheinen. Zäune am Rande des Dünenabhangs markieren in Visschers Grafiken oft den Ort der Landschaftsbetrachtung.444 Dort sitzt etwa der Zeichner in Blekeryen door den Houdt 442 Vgl. Adams 1994, 51 ff.; Schama 1987, 69 ff.; vgl. auch Berger Hochstrasser 1997. 443 Schama 1987, 69. 444 Siehe oben, 156 ff.

i. Das eigene alte Land (Abb. 36) und betrachtet das umgrenzte Areal der Bleichfelder. Auch auf dem Titelblatt der Plaisante Plaetsen ist der Zaun ein Bestandteil der lokalpatriotisch aufgeladenen Düne, die den historisierenden Landschaftsblick des Rundgangs einleitet (Abb. 29). Wie oben bereits erläutert, sehe ich in der Verknüpfung von Dünen- und Zaunmotiven in den Haarlemer Landschaftsansichten einen Bezug zu den identitätsstiftenden Formeln der Widerstandsgrafiken: Vermittelt die Verflechtung von Düne und Zaun in den tuin-Bildern den Anspruch auf die ›Rückeroberung‹ des historisch legitimierten holländischen Grafenlandes und macht zugleich den Status der unrechtmäßigen Grenzverschiebung deutlich, so dient sie komplementär in den ersten Haarlemer Ansichten dazu, die Vision einer spezifischen, lokalhistorisch durchwirkten tuin-Landschaft zu schaffen. So sind plaisante Schauplätze in eine Dünenlandschaft eingebettet und werden vom leicht erhöhten und oft mit einem Zaunstück versehenen Dünenrand aus ästhetisch erschlossen. Jenseits einer Abgrenzung gegen den feindlichen Angriff erhält der Zaun im Fokus auf die innere historische Einheit den Status eines historisierenden ›Wegweisers‹, der den nur noch ›natürlich‹ in den Dünen gebetteten Garten assoziativ andeutet. Meines Erachtens hat sich diese Funktion in den tonalen Bildern weiterentwickelt, wie ein vergleichender Blick auf Visschers Grafik Blekeryen door den Houdt (Abb. 36) und van Goyens Dünenlandschaft (Taf. 3) zeigt: Dem Zeichner in Blekeryen door den Houdt eröffnet sich die beleuchtete Landschaftsszenerie auf der Zaunplanke am schattigen Dünenabhang. Der Bildbetrachter, der den Blick des Zeichners teilt, schaut in die Ordnung der Bleichfelder und Wiesen, eingebettet zwischen Dünen und Bäumen und überwölbt vom hellen Rund des Himmels mit seiner kreisenden Vogelschar. Er wird am Dünenrand zum Reisenden, der an der Station eines lokalen tuin innehält. In Jan van Goyens Dünenlandschaft ist er hingegen mitten darin. So dient der Zaun nicht dazu, auf einem abgeschatteten Gipfel in ein umgrenztes Areal einzuleiten und eine ästhetische Grenze zu markieren, die auch den Bildbetrachter offenkundig distanziert positioniert und zum Blick auf die Landschaft einlädt. Vielmehr hat der Betrachter den Eindruck, sich bereits ›selbstverständlich‹ in einer unbegrenzten Landschaft zu befinden, die sich aus Dünenanhöhen und Zaunresten mit rastenden und schauenden Menschen zusammensetzt. Der Standort und Status der Landschaftsbetrachtung hat sich verschoben, und das müßige, kontemplative Blicken an Zäunen und auf Hügeln ist somit in das Innere der Landschaft verlagert – diese ist Schauplatz, Denkmal und Erinnerungsort zugleich. Wie es sich auch in Vondels Lobgedicht auf Frederik Hendrik von 1625 abzeichnet,445 ist der tuin in den Dünen zu einem Topos der kollektiven Erinnerung geworden. Er ist nicht mehr vorrangig als programmatische Markierung der eigenen Grenzen relevant, sondern als Zeichen holländischer Kriegsgeschichte bedeutend. So bettet die weite Dünenlandschaft keine geschlossen umzäunten Terrains ein, sondern trägt mit brüchigen

445 Siehe oben, Anm. 436.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Zaunresten die historischen Spuren des ›rückeroberten‹ und somit in der natürlichen Einheit aufgegangenen Gartens. Die territorialen Formeln, die in der Widerstandsdruckgrafik der schematischen politischen Grenzziehung dienen, sind in den Gemälden in einer geschlossenen Landschaft ästhetisch transformiert. Aus der Perspektive des Semantisierungsprozesses erschließt sich, warum gerade solche weitgehend ›leeren‹ Szenerien von ›unveränderlichen‹ Dünen, brüchigen Zäunen und rastenden Menschen – und nicht etwa das realitätsnahe Dünenland in seiner geografischen oder ökonomischen Bedingtheit – über einen langen Zeitraum auf dem Kunstmarkt von einer breiten Käuferschaft nachgefragt waren. Für den holländischen Bildbetrachter, der mit der politischen Semantik der Düne, dem Topos des tuin vertraut war, waren diese Landschaften auch ein identitätsstiftender Träger historischer Imagination und konnten an der Projektion mitwirken, ein ›natürlicher‹ Teil einer kollektiv gefestigten Einheit zu sein. Diese semantische Entwicklung verdeutlicht sich auch bei einem vergleichenden Blick auf zeitgenössische Darstellungen von Küstenlandschaften. Im Unterschied zu den weitläufigen und kaum bevölkerten Dünenzonen van Goyens, in denen die Konzentration auf Zäune, Dünengipfel und wenige Menschengruppen prägend ist, erscheinen Küstenstreifen oft bunt belebt von Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. So sind in Willem und Adriaen van de Veldes Gemälde Die Küste bei Scheveningen (Abb. 46) sowohl vornehm gekleidete Gesellschaften wie auch Fischer am Strand versammelt. Die Küstenzone ist so als ein Ort markiert, an dem die Bandbreite der holländischen Bevölkerung Einzug erhält. Im Unterschied zu den Dünenlandschaften muss der Strand auf diese Weise erst programmatisch ›besetzt‹ werden, weil er im kulturellen Gedächtnis nicht bereits als ein selbstverständlicher Teil des eigenen Landes konnotiert ist. Während die Dünen bereits vor dem Waffenstillstand die historische Einheit der holländischen Republik geradezu garantierten, galt die Küste selbst lange Zeit als ein ambivalenter Ort.446 In vielen Grafiken um 1600 ist das Meer als ein gefahrenvolles Außen gekennzeichnet, aus dem die spanischen Feinde – oft auch als Seeungeheuer assoziiert – hereinbrechen.447 Der Strand zwischen Wasser und Dünenkette erscheint in diesem Kontext als eine Art bewegliches Grenzgebiet der nördlichen Provinzen: in der Kriegssituation bereits vom Feind überschritten, in der Waffenstillstandszeit als Machtvakuum oder Pufferzone und mit zunehmender Sicherheit und Konsolidierung wiederum als Ort der eigenen Machtausdehnung – stets also im Spannungsfeld von fremder Invasion und eigener Expansion. Vor diesem Hintergrund vermittelt, wie Susan Müller-Wusterwitz dargelegt hat, die programmatische Besetzung des Strandes mit verschiedenen Gesellschaftsgruppen in den Küstendarstellungen nach 1620 das identitätsstiftende Bild der ausgedehnten, konsolidierten

446 Zu der Darstellungstradition der bis in die Frühe Neuzeit oft als ambivalent oder gefährlich konnotierten Küste bzw. des Meeres vgl. z. B. Hartau 2005; Müller-Wusterwitz 2007. 447 Siehe oben, Kap. »Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik«.

i. Das eigene alte Land

Abb. 46 Willem van de Velde und Adriaen van de Velde: Die Küste bei Scheveningen, um 1660, Öl auf Leinwand, 44,5 × 56,8 cm, London, The National Gallery

Republik. Die Küste wird bewusst ›erobert‹ und zum Schauplatz gesellschaftlicher Eintracht und wirtschaftlichen Reichtums.448 Die Dünen jenseits der Küste wiederum assoziieren als kollektive Erinnerungslandschaft das historische Selbstverständnis dieser Gemeinschaft: Sie tragen die von Menschen betrachteten Spuren des aufgelösten tuin. Welche historischen Inhalte mit diesem kollektivierten tuin-Bild assoziiert wurden, haben die vorangehenden Betrachtungen bereits diskutiert: Der visualisierte Blick auf die lokale, als historischer tuin-Schauplatz wahrgenommene Landschaft konnte einen mehrschichtigen, ›überhistorischen‹ Erinnerungsprozess auslösen. Im Folgenden soll in einem Exkurs noch einmal vertieft werden, wie sich parallel zu den neuen tonalen Bildstrukturen bei van Goyen und seinen Zeitgenossen auch in der historiografischen Literatur eine Ebene landschaftlicher Erinnerung entwickelt. Im Anschluss gilt es dann, die im Bild ausgelösten Imaginationsprozesse im Diskurs kunsttheoretischer Betrachtungen zu erörtern. 448 Vgl. Müller-Wusterwitz 2007, 75 ff. Allgemein zu den Darstellungsmustern von Küsten- und Seebildern vgl. Goedde 1989; Goedde 1986; Goedde 1996.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620

Abb. 47 Salomon van Ruysdael: Dünenlandschaft mit Bauern, 1629, Öl auf Holz, 40,5 × 58 cm, Privatsammlung

Abb. 48 Jan van Goyen: Dünenlandschaft mit Menschengruppe, 1630, Öl auf Holz, 30 × 54 cm, Privatsammlung

i. Das eigene alte Land

Erinnern und Erfahren: Schauplatzbeschreibungen 1630 veröffentlichte der Dichter Cornelis Keyser einen fiktiven Brief des Statthalters Frederik Hendrik an seine Gattin Amalia van Solms: Der oberste Heeresführer wendet sich vom Feldlager in ’s-Hertogenbosch in einem Antwortschreiben an Amalia, um auf einen Brief zu reagieren, in dem sie ihre Sorgen angesichts des andauernden Kampfes um die belagerte Stadt zum Ausdruck bringt. Dieser Text ist als eine literarische Antwort auf den 1629 von Caspar Barlaeus in lateinischer Sprache verfassten ›Heroinenbrief‹ Prinzessin Amalias an Frederik Hendrik zu verstehen.449 In einer Neuinterpretation des klassischen ovidischen Heroinenbriefes formulierte Barlaeus einen nicht nur von Liebesklage, sondern auch patriotischem Stolz geprägten Brieftext: 1629, als s’-Hertogenbosch gerade vom holländischen Statthalter und Heeresführer eingenommen worden war und somit die Außengrenzen der Republik gesichert und erweitert waren, griff der fiktive Brief historisierend einen spannungsgeladenen Moment der zurückliegenden Belagerung auf, in dem der Sieg noch nicht feststeht. Amalia wendet sich folglich besorgt und voller Klage an Frederik Hendrik. Ihrer Bitte um kriegerische Umsicht folgt schließlich ein patriotischer Appell.450 In Cornelis Keysers ›Antwortbrief‹ nun kommt der Feldherr selbst zu Wort und begegnet den Sorgen Amalias seinerseits mit einem wirkungsvollen patriotischen Rückblick auf seine siegreichen Kriegsmomente. So weist er, um Amalia von der zielstrebigen und wirkungsvollen Kühnheit seines gegenwärtigen Vorgehens zu überzeugen, schließlich auf die historische Gewissheit seiner vergangenen Erfolge in der lange zurückliegenden Schlacht von Nieuwpoort (1600): »Wer schafft es, dass jedes Soldaten bis zu seinem Tode gedacht wird, Da weder Fürst noch Prinz noch Herr sein eignes Leben hütet? Es ist kein feiges Gemüt in mir verborgen: Es können die Dünen, Die die Küste Nieuwpoorts verzieren mit ihren Kronen, Bezeugen, wie die Klinge von Wilhelms jüngstem Sohn Des Herzogs Macht bezwang und tränkte mit seinem Tun Den vielen Sand, der solches Bespülen niemals gekannt hatte, Anstelle von Brackwasser musste er das spanische Blut fühlen.«451 449 Keyser 1630; Barlaeus 1655. 450 Dieser Brief fand in literarischen Kreisen eine hohe Resonanz, und es folgten Übersetzungen, weitere Versionen sowie Antwortbriefe. Keysers Antwortbrief greift vor allem das Motiv des Heroischen, Unerschrockenen auf. Vgl. zu diesem Kontext und den diversen Briefen sowie der literarischen Tradition Marion 2005, 161 ff. 451 »Wie maeckt dat elck Soldaet wort tot sijn doot gedaecht, Daer Vorst, noch Prins, noch Heer, sijne eygen leven waecht? Daer schuylt geen laf gemoet in my: konnen de Duynen De Nieu-poort water-kant, vercieren met haer kruynen, Getuygen, hoe de klingh, van Wilhelms jongste Soon,

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Frederik Hendrik schildert den Sieg in der Schlacht von Nieuwpoort hier nicht in der Form eines in die Argumentation eingelagerten Erzählstranges, der in einem narrativen Spannungsbogen den Verlauf des Kampfes in seinen verschiedenen Stadien und Wendepunkten nachzeichnet. Vielmehr ist das Geschehen zu einem Siegesbild kondensiert, dessen historische Spur in die Landschaft eingelagert ist: Die Dünen erscheinen als Gipfelpunkt des von der oranischen Klinge erfochtenen Sieges, und statt des Meeres tränkt sie das spanische Blut. Das Umspülen der Dünen durch die nahe See, traditionell durch die propagandistischen Bildformeln als fortwährende Bedrohung der spanischen Gefahr konnotiert, wird damit aufgegriffen und in ein Bild des Triumphes überführt, von dessen historischer Bedeutung die Dünen fortwährend zeugen: Mittels der Dünen wird das Erinnerungsbild dieses Sieges bewusst aktiviert. War die Schlacht um ’s-Hertogenbosch zu diesem Zeitpunkt gerade von der oranischen Armee siegreich zu Ende geführt worden, konnte die Briefliteratur von Keyser und Barlaeus für eine patriotische Reflexion des Kampfes aus der Perspektive seines noch ungewissen Ausgangs fruchtbar gemacht werden: Durch das Wissen des Rezipienten um den sicheren, bereits erfochtenen Sieg machte die relative, zeitgebundene Innensicht des ›staatstragenden‹ Protagonisten den Reiz aus, in seiner gesellschaftsmoralisch und patriotisch gestimmten ›richtigen‹ Haltung gegenüber der Gegenwart den zukünftigen Sieg letztlich bereits zu lesen. Die Logik einer übergreifenden virtus konnte auch durch eine Rückbesinnung an vergangene Siege umso mehr greifbar werden. Als Knotenpunkt einer argumentativen, für die Gegenwart bedeutenden Erinnerung an vergangenen Ruhm dient in der zitierten Passage von Keysers Brief das Bild der Dünen: Ähnlich wie in Vondels Lobgedicht auf den Statthalter von 1625, wo die Dünen durch ihre Verknüpfung mit dem tuin implizit zu historischen Garanten eines zuversichtlichen Zukunftsappells werden, suggerieren sie bei Keyser, indem sie hier ganz explizit zum ›Zeugen‹ erklärt werden, die notwendige Selbstverständlichkeit kollektiver Erinnerungsorte. Dass den Dünen zur selben Zeit auf der textuellen Ebene aber auch ein breiterer, landschaftlicherer Raum zuteil werden konnte, deutet sich in Samuel van Ampzings 1628 erschienener Stadtchronik an.452 Im siebten Kapitel seiner Beschrijvinge ende Lof der Stadt Haerlem bietet Ampzing einen Überblick über die sich im Laufe der Zeit ereigneten militärischen Auseinandersetzungen Haarlems. Dabei widmet er sich auch ausführlich der oben diskutierten Episode um Witte van Haemstede,453 der im Jahr 1304 auf der

Bedwongh des Hertochs macht, en meste met sijn doon Het gulle zant, dat noyt gewoon was sulck bespoelen, In plaets van bracke vloet, moest ’t Spaensche bloet gevoelen.« Keyser 1630, V. 123–130. 452 Ampzing 1628; allgemein zu Ampzing im Kontext der Stadtbeschreibungsliteratur vgl. zum Beispiel Nierop 1995; Bièvre 1988, 310 ff.; Leeflang 1997, 78. 453 Siehe zu Witte van Haemstede oben, 31 ff. und 108 ff.

i. Das eigene alte Land Düne Witte Blink sein Banner geschwungen haben soll, um die Haarlemer zum Aufstand gegen die anrückenden Flamen unter der Führung von Gwijde van Dampierre zu bewegen. In wenigen Worten kennzeichnet Ampzing zunächst die Dramatik der Ausgangslage, schildert, wie das feindliche Heer bereits Seeland eingenommen habe, um dann »gleich einem Sturm und Himmelsblitz« die Tore Haarlems zu belagern.454 Dann unterbricht er dieses Erzählschema, um die überzeitliche Bedeutung des Haarlemer Aufstandes als einer letztlich ganz Holland zugutekommenden Verteidigungsmaßnahme vorwegzunehmen: »So, wie unsere Stadt dem Land als Schutzwall diente In der spanischen Belagerung: So ist es auch damals geschehen, Und sie ist in solcher Not und grausamen Unzeit Für die anderen wie eine Schanze, eine stählerne Mauer gewesen. Inzwischen hat sich unser Volk in großer Eile aufgemacht, Um mit seinem Anführer Witte dem Feind entgegenzuziehen, So berichtet unser Bürger mir von ihrem Anmarsch, Sie treten zur Dünenseite hin dem Feind entgegen Und kommen zum Man. Da wurde so gekämpft, Dass alles Tun des Feindes in den Dreck getreten wurde: So wird dieser Ort auch noch Manpad genannt, Nach dieser großen Schlacht und dem grausigen Blutbad.«455 Im Folgenden führt Ampzing noch aus, dass nach dieser Schlacht auch andere benachbarte Städte von Wittes Appell und Haarlems Vorgehen so mobilisiert waren, dass sie eine nach der anderen das feindliche Heer überwältigen konnten.456 Dieser Hinweis bestätigt gewissermaßen seinen die Passage einleitenden Verweis auf die Haarlemer Belagerung: Denn auch diese gilt bei Ampzing und anderen Geschichtsschreibern als ein

454 »Niet anders als een storm, en ’shemels blixem doet.« Ampzing 1628, 312. 455 »Gelijk dan onse Stad ’t Land heft gediend voor wallen In’t Spaensche overlast: so ist ook doe gevallen En is in sulken nood, en grouwelijk tempeest Den and’ren als een schans, en stale muer geweest. Hier-tuschen komt ons volk in grooter ijlen recken, Met Wit hun overhoofd den vijand tegen trecken, So doet ons burger me van hunne komst bericht En treen den duyn-kant heen den vijand in’t gesicht, En komen aenden man. Daer werde so gestreden, Dat al des vijands doen wird in den dreck getreden: So houd ook noch die plaets den naem van’t Mannen-pad, Van desen grooten slag, en grousam bloedig bad.« Ebd. 456 Vgl. ebd.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Schlüsselereignis für Holland, indem sie eine Art positiven Dominoeffekt holländischer Verteidigung ausgelöst habe. Wie oben bereits ausgeführt, wurde die Belagerung Haarlems von etlichen Chronisten im 17. Jahrhundert zum Exemplum besonderer holländischer virtus stilisiert: Die Niederlage der Stadt gegen die Spanier galt a posteriori als Wendepunkt des Krieges, indem der mutige und lange Kampf der Haarlemer die Spanier endgültig geschwächt und die Bürger benachbarter holländischer Städte zur erfolgreichen Abwehr motiviert habe.457 So heißt es bei Ampzing an anderer Stelle seines Buches, als er sich der Belagerung in einem Lobgedicht widmet, die »frommen Bataver« hätten den »spanischen Arm […] gebrochen […]«.458 In der Illustration, die diese Verse Ampzings begleitet, eröffnet ein Dünengipfel den Blick auf das Panorama der Belagerung (Abb. 24). Wie im obigen Kapitel bereits erörtert, erweitert diese Illustration in Ampzings Werk, die Willem Akersloot nach Zeichnungen Pieter Saenredams anfertigte, das Schema der 1573 entstandenen dokumentarischeren Vorlage von Niclaes Liefrincx (Abb. 21) um eine historisierende Perspektive:459 Die Belagerung der Stadt wird nicht mehr wie in Liefrincx’ Zeichnung in Form einer kartografischen Bestandsaufnahme als ein ›aktueller‹ Zustand präsentiert. Vielmehr wird sie in der Rahmung der Dünenlandschaft in eine Distanz gerückt, welche den preisenden Rückblick, den Ampzing in seinen Versen unternimmt, visualisiert. Indem der Dünengipfel verschiedene Momente holländischer virtus zugleich assoziiert, kann er Ampzings Lob, dass Haarlem »dem ganzen Vaterland« das Heil bereitet habe« 460, auch besonders untermauern. Bereits in der Fahnenschwinger-Reihe von Goltzius (Abb. 20) findet wie erörtert eine historische Überblendung der Haarlemer Belagerung statt, indem die Figur des Fahnenschwingers auf dem Dünengipfel vor einer verschwommenen Kulisse der belagerten Stadt den heroischen Appell Wittes van Haemstede aktualisiert. In Visschers Titelblatt wiederum sind auf dem Dünenhügel verschiedene Symbole vergangenen Ruhmes zu einer Art Makrozeichen verknüpft, das programmatisch zu einer komplexen lokalpatriotischen Erinnerung einlädt. In Akersloots Illustration zu Ampzings Versen bedarf es keiner solch expliziten Verschränkung verschiedener historischer Ebenen: Es manifestiert sich hier, dass die Dünenlandschaft selbst zum bildwirksamen Argument identitätsstiftender Erinnerung geronnen ist. So evoziert allein die Rahmung des Haarlemer Panoramas durch die Dünen eine sinnstiftende heroisierende Sicht – in diesem Fall auf die Belagerungslandschaft. Parallel dazu schaffen die tonalen Landschaftsgemälde dieser Zeit durch die ausschließliche Konzentration auf das Moment der Landschaftsbetrachtung in den Dünen noch offenere Imaginationsräume.

457 458 459 460

Siehe oben, 120 ff. Vgl. Abb. 24. Siehe auch oben, Anm. 299. Siehe oben, 107. Ampzing 1628, 244. Siehe Anm. 342.

i. Das eigene alte Land Doch auch Ampzing bedient sich in seinem Text landschaftlicher Mittel, um die Ereignisse um Witte van Haemstede und die Schlacht am Manpad und um die Haarlemer Belagerung ineinanderzublenden. Er führt zunächst, wie erläutert, die spanische Belagerungszeit als Vergleich an, um das Bild der allzeitig verteidigungsstarken und ›Holland rettenden‹ Haarlemer zu festigen: Wie die Stadt während der spanischen Besetzung als »Schutzwall« Hollands gedient habe, so sei sie auch zu Wittes Zeiten »den anderen wie eine Schanze, eine stählerne Mauer gewesen« – denn, wie Ampzing im Folgenden ja schildert, der Appell Wittes und der Kampf der Haarlemer hätten schließlich zu einer starken Abwehr der benachbarten Städte geführt. Als landschaftliche Folie dieser Analogisierung dienen Ampzing dabei die »duin-kant« – ›die Dünenseite‹ – und der dort situierte Manpad. Einerseits intensiviert die Dünenseite, an der dem Feind entgegengetreten worden sei, das von Ampzing entworfene Bild von Haarlems virtus als einer für Holland zu allen Zeiten starken Abwehrmauer; implizit schwingt hier auch das bekannte Gegenbild des als feindliche Angriffssphäre konnotierten Meeres mit. Andererseits erscheint diese Landschaft als konkreter Schauplatz eines Kampfes, der in das kulturelle Gedächtnis eingegangen ist: Die Feinde seien hier so vernichtend »in den Dreck getreten« worden, dass der Ort noch gegenwärtig unter dem Namen ›Manpad‹ (›Mannenpfad‹) bekannt sei.461 An anderer Stelle in seinem Werk geht Ampzing wiederum den historischen Spuren dieser Erinnerungslandschaft retrospektiv nach. So widmet er sich in einer Passage des fünften Kapitels, in dem er ausführlich das Haarlemer Umland beschreibt, auch dem ›Gebirge‹ und im Besonderen der Düne Witte Blink und geht dabei sogleich auf ihre historische Bedeutung ein: »Der Fürst des Gebirges nun, der höchste unserer Sandhügel, Der wird Witte Blink genannt: weil er glimmend, Blinkend in der Sonne steht: oder weil vielleicht der Herr Van Haemstede, Ritter Witt, auf dieser Düne früher Von unserer Stadt gesehen wurde mit blinkenden Bannern, Weit wehend an der Stange den batavischen Löwen Uns zu Befreiung und Heil, als das Heer von dem Dampierre Nordholland schon verwüstet hatte und das Land bis hier bezwungen hatte.« 462

461 Vgl. zu der Legende um den Manpad Hugenholtz 1954/55; Berg 1995. 462 »De vorst nu van’t gebergt, de hoogste onser sanden Die heet de Witte-blink: dewijl hy staet te branden Te blinken in de son: of dat veel-lichede Heer Van Heemste, Ridder Wit, op desen duyn wel-eer Gesien is van ons Stad met blinkende banieren, Oytwaeijend aen de steng den Leeu der Batavieren Tot ons ontzet en heyl als ’tleger van’t Dampier Noord-Holland had verheerd en meester was tot hier […].« Ampzing 1628, 74 f.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Das Erscheinen des Ritters Witte van Haemstede auf dem Gipfel dieser Düne, der mit seinem erhobenen Banner zum Aufstand gegen die von Dampierre angeführten Flamen aufruft, präsentiert Ampzing als ein im kollektiven Bewusstsein verankertes Ereignis, das zur Benennung der Düne geführt haben könne. Mit ›Witte‹ und ›Blink‹ spiegelt die Benennung der Düne damit den fruchtbaren Moment des Fahnenappells. Indem Ampzing auch auf das schlichte Schimmern des ›leeren‹, gegenwärtigen Gipfels in der Sonne aufmerksam macht, schafft er für das Blinken einen doppelten Bezugsrahmen, der wiederum die Erinnerung an Wittes Appell umso mehr intensiviert: Das helle Leuchten des Sandes kann im kulturellen Gedächtnis immer wieder das Wehen des strahlenden Banners mit assoziieren. Nachdem Ampzing in diesem Passus erinnert, dass das Lager von Dampierre »das Land bis hier bezwungen hatte«, unterbricht er seine Ausführungen, indem er Passagen der Divisiekroniek und der Rijmkroniek zitiert, in denen ebendiese Konfliktsituation vor Wittes erfolgreichem Appell und dem anschließenden Kampf dargelegt wird: Diese Ausschnitte schließen wieder mit der Stelle, als Witte bei Zandvoort mit seinem Schiff anlandet und vernimmt, dass Holland schon verloren sei. Doch Ampzing fährt im Folgenden nicht damit fort, den positiven Ausgang dieser Episode zu erzählen, so, wie er es in seinem späteren Kapitel tut. Stattdessen wendet er sich wieder der Witte Blink zu und resümiert: »Eine sehr bekannte Düne im ganzen Land, weil sie so mächtig hoch und auch steil gelegen ist, bei einer so berühmten Stadt.«463 Vom »Fürsten des Gebirges« und seinem blinkenden Gipfel über die Erinnerung an Wittes Fahnenschwung und einen Rückblick in die zeitliche Vorvergangenheit – und wieder zurück zu der »berühmten Düne«: Im Rahmen des Spannungsbogens, den Ampzing mit seiner Schilderung des ungewissen Zustands bei der Ankunft Wittes aufbaut, füllt die Witte Blink die Leerstelle des nicht geschilderten Siegeszugs. Sie assoziiert das verheißungsvolle Blinken der Fahnen und damit den positiven Wendepunkt der Schlacht. Die Auszeichnung der Düne, im ganzen Land berühmt zu sein wegen ihrer »mächtigen« Höhe, bekommt in diesem imaginativen Raum eine politisch-historische Dimension. Damit bietet sich über das Landschaftsbild zugleich auch wieder retrospektiv die Möglichkeit, ein spezifisches historisches Ereignis jenseits seiner zeitlichen Gebundenheit als Teil einer übergreifenden virtus-Geschichte zu erinnern, in der etwa auch die Haarlemer Belagerung sinnstiftend eingelagert ist.464 Dieses patriotische Erinnern, das Wissen um die historische Bedeutung der Witte Blink ist eng mit dem Delektieren dieses landschaftlichen Gemeinguts verknüpft:

463 »Een seer vermaerde duyn in’t heele land, van wegen Dat hy so magtig hoog en steyl ook is gelegen By so beroemde Stad.« Ebd., 75. 464 Vgl. hier auch Volmert 2013, 139f.

i. Das eigene alte Land Ampzing schließt seine Betrachtungen, indem er beschreibt, mit welcher »Lust und Freude« man sich in dieses »Gebirge« begebe, mit »Händen und Füßen« den Gipfel erklettere und was für eine »Augenweide von all unserem lieben Land« sich einem von dort oben biete.465 In dem literarischen Rundgang durch das Haarlemer Umland, den Ampzing unternimmt, wird die Landschaft ›begehbar‹, in ihrer optischen und haptischen Qualität wie auch in ihrer historischen Dimension erfahrbar. Ampzing greift zwar an vielen Stellen seiner umfangreichen Beschreibung Topoi der Haarlemer Stadtlobtradition auf, etwa den Reichtum des Küstengebietes an Wild, Kaninchen oder Meeresfrüchten. Doch sie bilden nicht, wie bei van Mander, die Knotenpunkte einer schlaglichtartigen Aneinanderreihung sämtlicher lokaler Vorzüge, von denen aus Landschaft allenfalls punktuell gedacht wird. Vielmehr sind sie bei Ampzing als Elemente innerhalb einer imaginierten landschaftlichen Ganzheit begriffen. In dieser Perspektive gewinnen die Dünen an Raum: Sie werden im Unterschied zu früheren Texten explizit und ausführlich in den Blick genommen. Wichtig sind dabei aber nicht nur die bekannten ökonomischen Aspekte wie die bedeutenden Bleichfelder oder das weite Jagdgebiet. Mit dem Wandern, dem so plastisch ausgemalten ›Gebirgsklettern‹, dem Betrachten des Panoramas auf dem Gipfel kommt eine Ebene des Landschaftserlebnisses hinzu: Freilich jenseits der Absolutheit eines sich erst im ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelnden Landschaftsgefühls wird die Dünenlandschaft nicht nur als fruchtbarer locus utilitatis geschätzt, sondern delektiert – und dieses Delektieren ist auch eng an das Bewusstsein gebunden, dass diese Landschaft an stolze Momente der virtus erinnert. Eine größere assoziative Annäherung der beiden Topoi des locus amoenus und der Haarlemer virtus beginnt sich bereits, wie oben erörtert, um 1600 in Stadtbeschreibun-

465 »Wat loopt sich menig moe En dat met lust en vreugd na dit gebergte toe? En klout’ren na den top op handen en op voeten En staen te martelen, te krypen en te wroeten En liggen afgemend te hijgen op dien duyn, Eer sy dien Atlas sijn op sijnen kaelen kruyn. En sein van daer ons Stad en onse naeste steden, Gelegen wijd van ons, ook veele duysend schreden, De koopstad Amsterdam‚’twijs Leyden, en het Meer, Ja Alkmaer, suyvel-rijk, by gunst van locht en weer. So siet gy ook van daer de diepe blaeuwe baren En in de rijke See de groote Schepen varen En’tdorre Sandvoort me in duyn en aen het strand. En wat een oog-geweij van al ons lieve Land!« Ampzing 1628, 75 f. Auf dem Frontispiz von Ampzings Werk ist ein solcher Ausblick ebenfalls zeichenhaft eingefügt. Eine thronende Stedenmaagd, umgeben von den Stadtwappen, wird oben von einer Stadtvedute bekrönt, welche wiederum von Menschen eingeleitet wird, die auf einem Hügel stehend auf das Panorama blicken. Zu diesem Titelblatt vgl. Bièvre 1988, 311 f.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 gen zu entwickeln. So lässt van Wassenaar in seinem 1605 verfassten Gedicht die preisende Schilderung der spanischen Belagerung und der Eroberung Damiettes in einen abschließenden Lobesausruf münden, der den ewigen Ruhm der Stadt auch in einem landschaftlichen Bild vermittelt.466 Ebenso klingt zu diesem Zeitpunkt die Dimension kontemplativer, rekreativer Landschaftserfahrung erstmals an: So etwa in van Manders Lobgedicht im Kontext des Haarlemmerhout, den er, unter Bezugnahme auf den Topos der guten Haarlemer Luft, als Ausflugsort empfiehlt, um zu »schlendern, spazieren, hierhin und dorthin aus[zu]schwärmen, im Grünen sich ergehen […], um den Geist zu erfreuen«.467 Was sich in diesen frühen Texten lediglich andeutet und zugleich bei Goltzius und vor allem Visscher aber schon visualisiert wird – die Verbindung von Erholung und Muße, Landschaftsbetrachtung, patriotischer Erinnerung und dem Delektieren von Landschaft –, hat Ende der 1620er-Jahre in Ampzings Stadtchronik Eingang gefunden. In den zeitgleichen tonalen Landschaftsbildern wiederum ist das Erleben der Landschaft im Vergleich zu den frühen Grafiken ebenfalls weiterentwickelt: Die Erfahrbarkeit der Dünen, die sich in Ampzings Text andeutet, steht im Zentrum der visuellen Darstellungen. Während die Dünen am Beginn des Landschaftsrealismus einen übergeordneten Stellenwert einnehmen, den delektierend-erinnernden Blick in die Plaisante Plaetsen eröffnen und als historischer Bezugsrahmen dieser eingebetteten tuin-Schauplätze dienen, werden sie in den tonalen Gemälden auch selbst als eigener Landschaftsraum in ihrer Totalität erschlossen. Gleichwohl wird diese neue Fokussierung umso mehr von der Dimension des von Muße geprägten Wahrnehmens bestimmt. Das von Ampzing gepriesene Erwandern und Erklettern der Dünen wie auch das Betrachten der Landschaft vom Gipfel werden in den Bildern thematisiert. Die Dünen als ideales Gebiet für Bleichfelder und für die Jagd – also der klassische locus utilitatis-Aspekt der Stadtdichtung – sind wiederum, anders als noch bei den lokalen Ansichten Visschers, weniger von Interesse. Vielmehr zeugen die tonalen Bilder im Unterschied zu der textuellen Landschaftsdimension von der vertieften Verbindung der Haarlemer Traditionen mit den Bildformeln der Widerstandspropaganda, indem sie die Dimension der kontemplativen Erinnerung einerseits mit der Historisierung des tuin andererseits vereinen. Bilder wie van Goyens Dünenlandschaft (Taf. 3) entwerfen auf diese Weise eine freie, alte tuin-Landschaft, an deren historischen Spuren Menschen mit ihrer von Ruhe und Muße bestimmten Hinwendung teilhaben. Die Ausschließlichkeit des Wanderns, Rastens und des Schauens vom hohen Gipfel vermittelt das kollektive Bewusstsein, zu einem Land zu gehören, das den Widerstand der Bataver, den Fahnenschwung Wittes, die starke Abwehr gegen Spanien – den allzeitigen Kampf der holländischen Städte um die Freiheit ihres tuin immer wieder ins Gedächtnis rufen kann, wenn es von seinen Bewohnern betrachtet wird. Welche Haltung 466 Siehe oben, 126 f. 467 Zitat siehe Anm. 351.

i. Das eigene alte Land der Betrachter dieser Landschaften einnimmt, wie er sich mit der dargestellten Szenerie von Dünen und Menschen auseinandersetzen und patriotische Inhalte assoziieren kann, soll im Folgenden noch aus kunsttheoretischer Perspektive diskutiert werden.

›In den sin schieten‹ Die Bilder der weiten Dünenlandschaften mit Menschengruppen auf Anhöhen und an alten Zäunen konnten dem Betrachter des 17. Jahrhunderts die identitätsstiftende Projektion vermitteln, Teil einer kollektiven historischen Einheit zu sein. Diese Zugehörigkeit wird umso mehr durch eine suggestiv unprätentiöse Raumöffnung verstärkt. Legitimierte der Dünenhügel als ein eigener historischer Ort und holländischer Helikon vormals in Haarlemer Grafiken den ersten Blick auf das einheimische Panorama, so wird diese Pforte der ästhetischen Erschließung in den tonalen Bildern selbst ›verlandschaftlicht‹. So führt in zahlreichen Bildern, etwa in van Ruysdaels Dünenlandschaft mit Bauern (Abb. 47), in van Goyens Dünenlandschaft mit Menschengruppe (Abb. 48) oder in Pieter de Molijns Dünenlandschaft mit Bäumen und Wagen (Abb. 43), ein von Wagenspuren gekennzeichneter Weg direkt aus dem Bild heraus. In den Druckgrafiken Visschers eröffnet die Düne die Sicht ›nach innen‹ als eine programmatische Hinwendung zu einem identitätsstiftenden, erinnernden Landschaftsblick, und bühnenartig werden dem Betrachter die Ansichten überschaubarer, tiefer gelegener Plätze präsentiert. In den tonalen Landschaften ist das Schauen der Menschen auf dem Dünengipfel nach innen gewandert, ein Teil der Landschaft selbst. Die Geschlossenheit dieses kollektiven Selbstverständnisses bedingt eine ›natürliche‹ Öffnung nach außen. So kann sich der Betrachter über den ins Bild hineinführenden Weg imaginativ in die Landschaft des alten, historischen tuin hineinbewegen und sich zu der Erinnerungsgemeinschaft zugehörig fühlen, die sich über den (Rück-)Blick auf das alte tuin-Land definiert. Große Nähe und unüberwindbare Distanz zugleich bestimmen diese Position, die dem Betrachter der tonalen Bilder zukommt. So ist er einerseits als Teil innerhalb der Landschaft gedacht: Über die scheinbar grenzenlosen, über die Bildfläche hinausgehenden Sandflächen wie in van Goyens Dünenlandschaft (Taf. 3) oder seiner Dünenlandschaft mit Schafen und Ziegen (Abb. 44) und über die aus dem Bild laufenden Sandwege wie in Salomon van Ruysdaels Dünenlandschaft mit Bauern (Abb. 47) wird ihm die Zugehörigkeit zu dem alten tuin-Land suggeriert. Er kann in seiner Vorstellung in die Landschaft hineintreten, sie wie die dortigen Menschen durchwandern und betrachten. Doch andererseits bedingt dieses ›selbstverständliche Teilen‹ des Landes, dass dem Betrachter oft die Überschau entzogen wird: In vielen Bildern wie in der Dünenlandschaft von van Goyen sieht er auf den höchsten Erhebungen Menschengruppen, die unter dem dunstigen Himmel in die Weite der Landschaft schauen. Doch welches Panorama sich ihnen von dort bietet, bleibt dem Betrachter zumeist verborgen. Von seinem tiefen Standpunkt aus führt seine Sicht nicht über diese unmittelbar aufragenden Hügel hinaus. Vielmehr mündet

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 der betrachtende Blick oft in schweren, nach unten treibenden Wolken, die eine hinter den Dünen verborgene Tiefe andeuten (Taf. 3, Abb. 45, 47).468 Indem der Betrachter somit einerseits durch sich nach außen öffnende Sandwege den Eindruck einer nahezu greifbaren Nähe zur Bildebene erhält, andererseits aber auf Bereiche aufmerksam gemacht wird, die visuell nicht mehr erschließbar sind, erzeugen diese Landschaftsbilder eine Spannung zwischen einer augenscheinlichen ›Bildeinladung‹ und einem ›Bildentzug‹. Und da Menschen, die in die Dünenlandschaft blicken, ein zentrales Thema dieser ansonsten so handlungsarm erscheinenden Bilder sind und sich sonst keine anderen großen narrativen Sequenzen entfalten, fällt bei der Bildbetrachtung der Entzug eines indirekt thematisierten, von Menschen beschauten Landschaftsabschnitts ins Gewicht. Umso stärker ist ein solch ferner Aussichtspunkt auf dem Dünengipfel als ein Ort des unbegrenzten Schauens in Szene gesetzt: Er regt die Vorstellungskraft des Betrachters an, und so beschäftigt sich dieser mit dem imaginativen Spielraum, der mit dem Sehen der sehenden Menschen und dem gleichzeitigen Nichtsehen ihres Blickfeldes entsteht. Auf diese Weise erzeugen die Landschaftskompositionen auf ihre Art eine Wirkung, die von Kunsttheoretikern des 17. Jahrhunderts wie Karel van Mander, Franciscus Junius und Samuel van Hoogstraten mit »Anrühren« oder »Berühren« umschrieben wird: Freilich vorrangig im Bezug auf das Genre der Historienmalerei verstehen sie darunter einen Effekt, der für die hohe Qualität eines Kunstwerkes von wesentlicher Bedeutung ist. So erklärt van Hoogstraten in seiner Abhandlung Inleyding tot de hooge schoole der schilderkonst, dass es nicht genüge, wenn »ein Bild schön ist, es muss darin vielmehr eine sichere Beweglichkeit sein, die Macht über den Betrachter hat; […] Sie [die Maler, M.V.] berühren das Gemüt nicht, wenn sie diese Beweglichkeit weglassen.«469 Diese »Beweglichkeit« begreifen van Hoogstraten oder van Mander zum Beispiel als eine starke Wirkung des Dargestellten auf die Affekte, etwa indem durch Gemütsbewegungen einer Figurenszene beim Betrachter ein medelijden (Mitleiden) erzeugt wird.470 Ein generelles 468 Vgl. zu dieser Stellung des Betrachters auch Volmert 2009, 151 ff. 469 »’t Is niet genoeg, dat een beelt schoon is, maer daer moet een zeekere beweeglijkheyt in zijn, die macht over d’aenschouwers heeft; […] Zoo is’t ook met de Schilders, zy beroeren ’t gemoed niet, zooze deeze beweeglijkheyt overslaen.« Hoogstraten 1969, 292 f. Zur Rolle des Betrachters in den kunsttheoretischen Traktaten vgl. Hahn 1996. Vgl. auch Fritzsche 2013, die neben kunsttheoretischen Werken auch andere Quellen einbezieht, um die Reichweite des Begriffes aenschouwer zu untersuchen. Zum kunsttheoretischen Konzept van Hoogstratens vgl. Weststeijn 2008. 470 Vgl. etwa van Hoogstraten: »Pithagoras Leontinus schuf seinen Hinckepoot derart, dass die Betrachter den Schmerz seines klumpigen Beines zu fühlen meinten.« »Pithagoras Leontinus maekte zynen Hinckepoot zoodanig, dat d’aenschouwers de smerte zijns verzwooren beens meenden te gevoelen.« Hoogstraten 1969, 121. Vgl. auch ebd., 115: »Zu einer Maria Magdalena von Tizian wird angemerkt, dass sie, die Augen rot verweint gen Himmel richtend, obwohl sie schön ist, den Betrachter zugleich eher zur Buße zog als zur Wollust anregte.« »Van een Marie Magdalene van Titiaen wort aengeteykent, dat zy de oogen rood bekreeten ten Hemel slaende, hoewel schoon zijnde, den aenschouwer eer tot gelijke tocht van boete als tot wellust verwekt.«

i. Das eigene alte Land Staunen wiederum oder gar das Verlangen, das Werk mit den Händen zu berühren, löst der klassische Effekt des Augentrugs aus, wenn beispielsweise eine Lichtquelle oder Gliedmaßen eines Menschen ganz natuerlijck (natürlich) oder levendigh (lebendig) erscheinen.471 Insgesamt aber komme es bei der Bildwirksamkeit auch auf die richtige houding (›Haltung‹, Anordnung, Komposition) an:472 also die ganze Komposition von Grund auf ausgewogen zu gestalten und die Elemente so anzuordnen, dass sie die dargestellte Historie klar vermitteln und den aenschouwer (Betrachter) nicht überfordern.473 Idealerweise soll demnach zum Beispiel die Licht-Schatten-Führung zur Dramatisierung der Szene beitragen und den Blick des Betrachters auf das zentrale Geschehnis lenken. So heißt es beispielsweise bei van Hoogstraten: »Wir wollen gern zugeben, dass Dinge, die stark im Licht und weit vorn gemalt sind, das Auge des Betrachters gewaltig auf sich ziehen und dass braune Schatten den Dingen viele Möglichkeiten nehmen.« 474 Das um 1650 entstandene Gemälde Die Begegnung von David und Abigail von Jacob Willemsz. de Wet d. Ä. (Abb. 49) mag veranschaulichen, wie die konventionellen kunsttheoretischen Vorstellungen in der Gattung der Historienmalerei künstlerisch umgesetzt wurden. Im Zentrum des Bildes steht das Zusammentreffen von David und Abigail: Diese kniet, während ihr Gefolge huldigende Gaben ausbreitet, demütig vor David, um ihn davon abzubringen, die Uneinsichtigkeit und den Egoismus ihres Gatten Nabal mit einem Rachezug zu bestrafen, dessen Frevelhaftigkeit gegen Gottes Willen verstoßen würde. Die Bedeutung dieses entscheidenden Momentes, in dem Abigail (ihrem späteren

471 So heißt es etwa bei Karel van Mander in seinem Kapitel zu Holbein: »Was die Werke betrifft, die Holbein für den König schuf, so hat er ein sehr großes Porträt von Heinrich VIII. gemacht […] so ganz und gar lebendig, dass ein jeder, der es sieht, erschrickt: Denn es scheint, als ob es lebt, als ob man den Kopf […] sich natürlich bewegen und rühren sieht.« »Aengaende de wercken van Holbeen voor den Coningh ghedaen, hy heeft seer uytnemende ghemaeckt t’conterfeytsel van den Coning Henrick de achste […] soo gheheel levendigh, dat een yeder wie’t siet verschrickt: want het schijnt dat het leeft, en datmen t’hooft […] natuerlijck siet bewegen en roeren.« Karel van Mander: Het leven van Hans Holbeen, uytnemende Schilder, in: Mander 1969, fol. 222r. 472 Zum Begriff und Konzept von houding in den niederländischen kunsttheoretischen Traktaten des 17. Jahrhunderts vgl. Taylor 1992. 473 Vgl. zum Beispiel Hoogstraten 1969, 190 f. 474 »Wy zullen gaerne bekennen, dat dingen sterk in ’t licht, en vooraen geschildert zijnde, het ooge des aenschouwers geweldich tot zich trekken, en dat de bruine schaduwen de dingen veel van hun vermogen ontrooven.« Ebd., 307. In ähnlicher Weise äußert sich auch der Kunsttheoretiker Franciscus Junius: »Also sehen wir, dass die Künstler in ihren Werken allenthalben einige Schatten oder Vertiefungen anlegen, damit dasjenige, das in ihren Gemälden betont ist, mit größerer Kraft herausstechen möge und die Augen der Betrachter selbst auch außerhalb des Bildes zu treffen scheinen soll.« »Dus sien wy dat de Konstenaers allenthalven in haere wercken eenighe schaduwen ofte verdiepinghen te passe brenghen, ten eynde dat het gheene ’t welck in haere Schilderyen verhooght is, met meerder kracht moght uytsteken en d’oogen der aenschouwers selfs ook buyten het tafereel soude schijnen t’ontmoeten.« Junius 1641, 264.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620

Abb. 49 Jacob Willemsz. de Wet d. Ä.: Die Begegnung von David und Abigail, um 1650, Öl auf Holz, 51 × 66 cm, Privatsammlung

Ehemann) David begegnet und es ihr obliegt, ihn von dem richtigen Weg des Friedens zu überzeugen, ist dem aenschouwer vor Augen geführt: Der einzige Lichtstrahl fällt leuchtend auf die am Boden kniende Abigail und auf das kleine Fleckchen Erde, das zwischen ihr und David liegt. Aus der Perspektive des Betrachters ist alles so auf diese Gegenüberstellung ausgerichtet, dass sein Blick auch in der Erfassung des gesamten Bildes nicht abgelenkt, sondern immer wieder auf das Zentrum geleitet wird. So fungiert der steile Felsen als Hintergrundkulisse für das Gefolge Davids, in der die hinteren Figuren in die Höhe gestaffelt gleichsam wie in einem Theater die Szene verfolgen können. Auf diese Weise erscheinen sie dem Betrachter nicht als Menschengewirr, sondern als harmonisches Ensemble von Begleitfiguren und Zuschauern. Zugleich wird sein Blick auch im seitlichen Vordergrund nicht ›unnötig‹ verstellt als vielmehr erneut zur Mitte geführt, denn hier knien Bedienstete mit den Gaben auf dem schattigen Boden und schauen ebenfalls zu der zentralen Begegnung auf. Ein Mann jedoch steht hinter ihnen und schaut aus dem Bild heraus – er kommuniziert dem Betrachter somit das Gesehene noch einmal in einer, wie es Junius bezeichnen würde, »stummen Ansprache«.475 475 »Daerom plaght oock yeder een te verwachten dat de figuren selver, die in een Beelden-rijck tafereel afghemaelt staen, door de bequaemheyd van haere gheschickte t’saemenvoeghinghe, als door een stomme aenspraecke, een historische ofte zede-vormende Inventie souden voorstellen.« Ebd., 304.

i. Das eigene alte Land Wie es von van Hoogstraten, van Mander und Junius ganz in der Tradition frühneuzeitlicher kunsttheoretischer Traktate gefordert wird, ist dem Bildbetrachter hier nicht allein die Möglichkeit geboten, die Darstellung der Historie angenehm besehen zu können, sondern er wird auch angeregt, sich tiefer gehend mit ihrer narrativen Struktur und Bedeutung zu beschäftigen. So reizt das Bild die Spannung aus, die der Entscheidung von David vorausgeht: Dieser ist am Rande des Leuchtkreises noch im Halbdunkel, nur seine kriegerische Rüstung blitzt hier und da auf, seine Hand ist erhoben, doch eher zur Faust als zu einem empfangenden Gestus geformt – er ist noch nicht umgestimmt, sondern erfasst gerade erst die ihm vorgetragene Bitte. Doch so sehr das Bild hier einerseits den einen Augenblick fokussiert, der dem Entschluss Davids vorangeht, so sehr eröffnet es zur anderen Seite bei Abigail geradezu eine prophetische Sicht: Gegenüber den undurchdringlich erscheinenden hohen Felsen, aus denen David hervortritt, eröffnet sich hinter Abigail die freie, weite Landschaft, und über ihr reißen die schweren Wolken des Himmels verheißungsvoll auf. Erleuchtet, in blauem Gewand wird Abigail bereits als mariengleiche Segensreiche prophezeit. Der Sonnenstrahl fällt auf die Bittende und scheint sich in ihr zu einer besonderen Kraft zu bündeln, um dann die Erde zu treffen, die sich wiederum zu David erstreckt. Dieses Licht weist auf ihre eigentliche, von Gott bestimmte Gabe des Friedens für David, der sie empfangen darf. Indem das Bild über das Gefüge seiner Elemente, der Figuren, der Landschaft und des Lichtes, den Betrachter dazu anregt, über die Bedeutung der Begegnung von Abigail und David nachzusinnen, kommt es den Anforderungen von Junius an den Künstler entgegen, eine Historie in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen, die »vorgestellte Materie gründlich [zu] verstehen« 476 und dieses Verständnis dann auch dem Betrachter mit uytdruckelickheyt (›Ausdrücklichkeit‹) zu vermitteln: »So sehr wir auch in den vorangehenden Kapiteln ausführlich genug aufgezeigt haben, dass den Gemälden durch das geschickte Zusammenfügen der Figuren vielfach geholfen wird, so scheint doch gleichwohl die Deutlichkeit, die manchmal auch Ausdrücklichkeit genannt wird, eine der vornehmlichsten Früchte der Ordinantie zu sein. Denn so, wie ein guter und umsichtiger Künstler die ganze Fassung seiner Dispositie aus der Kraft seiner Fantasie zu holen pflegt, sofern er den ganzen Zustand der Materie sich selbst als gegenwärtig vorstellt, so pflegt er auch stets ein klares und lebendiges Abbild dieser vorgestellten Gegenwärtigkeit so kräftig seinen Werken aufzudrücken, dass die andächtigen Betrachter, durch die Deutlichkeit dieser Abbildungen angeleitet, offenbar dieselbe Vorstellungskraft auch in ihren Herzen vernehmen, die der schaffende Künstler schon zuvor im Anordnen und Zusammenfügen der Materie gefühlt hat […].« 477 476 »Het grootste behulp onser Ordinantie is daer in gheleghen, dat wy de voorghestelde materie grondighlick verstaen […].« Ebd., 301. 477 »Alhoewel wy in de voorighe afdeylinghen wijdloopghlick genoeg hebben aengewesen, dat de schilderijen door ’t bequaeme by een voeghen der figuren veelsins worden gheholpen, so schijnt doch evenwel

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Von einem aendachtighe aenschouwer (verständigen, andächtigen Betrachter) eines Kunstwerkes erwartet Junius folglich eine Kongenialität. Diese manifestiert sich in einem Vertiefen in die Leistung der inventio und damit auch in einer Beurteilung der künstlerischen Vorstellungskraft und geistigen Kombination eines in der memoria abgelagerten tradierten Bild- und Textwissens. Der Betrachter habe sich ganz in das Bild zu versenken, um, angeleitet von der »Ausdrücklichkeit« beziehungsweise »Deutlichkeit« des Künstlers, der »Wahrheit« nachzuspüren: »Es folgt dann hieraus, dass wir die besonderen Figuren, die uns in dem Werk vorgestellt sind, nicht allein mit unseren Augen hastig überfliegen sollten; sondern dass wir dieselben ebenfalls mit der ganzen Andacht unseres kunstliebenden Gemüts eingehend betrachten müssen, als ob wir es mit der lebendigen Gegenwärtigkeit der Dinge selbst und nicht mit ihren gemalten Darstellungen zu tun hätten. Denn so, wie wir […] aufgezeigt haben, dass die guten Künstler, die sich während und zwischen dem Arbeiten die lebendige Gegenwärtigkeit der Dinge vorstellen, ihre Werke mit einer ganz ausdrücklichen Deutlichkeit zu vollenden pflegten, so müssen wir hier anmerken, dass die kunstverständigen Betrachter, die sich durch die Ansicht der gemalten Abbildung zum Nachsinnen über die Wahrheit selbst anleiten lassen, die Kraft dieser Ausdrücklichkeit am allerbesten zu begreifen vermögen. [… Wir sollen danach streben, M.V.], dass wir uns selbst die ganze Verfasstheit des vorgestellten Arguments durch eine weitläufige und breite Darstellung nach dem Leben vorstellen können: Denn wenn wir dies also tun, werden wir nicht allein das, was in den Bildern selbst das Besondere ist, geschickt herausfinden, sondern es wird uns auch leicht fallen, den ganzen Begriff und die vornehmsten Umstände der Kunstwerke mit unseren zuvor bedachten und neu wieder zum Vorschein gebrachten Vorstellungen zu vergleichen.«478 de duydelickheyt, die somtijds oock ’t uytdruckelickheyt ghenaemt wordt, een van de voornaemste vruchten der Ordinantie te wesen. Want gelijck een goed ende omsightigh Konstenaer het gantsche beleyd sijner Dispositie uyt de kracht der fantasije ghewoon is te haelen, mids de gantsche geleghenheyd der materie sich selven als tegenwoordigh voorstellende; so plaght hy oock altijd een klaer en levendigh afdrucksel van dese verbeelde teghenwordigheyd soo krachtighlick in sijne wercken in te printen, dat d’aendachtighe aenschouwers door de duydelickheyt deser afbeeldinghen aengheleydt sijnde, even de selvighe verbeeldens kracht in haere herten schijnen te vernemen, die den werckenden Konstenaer wel eer in ’t schicken ende in ’t by een voeghen der materie ghevoelt heeft […].« Ebd., 311 f. 478 »Volght dan hier uyt, dat wy de bysondere figuren, die ons in ’t werck sijn voorgestelt niet alleen met onse ooghen haestighlick behooren t’overloopen; maer dat wy de selvighe insghelijcks door den gantschen aendacht onses Konst-lievenden ghemoeds moeten insien, als of wy met de levendighe teghenwoordigheyd der dinghen selver, ende niet met haere gekontrefeyte verbeeldighe te doen hadden. Want gelijck wy […] hebben aenghewesen, dat de goede Konstenaers, die sich onder en tusschen ’t wercken de levendighe teghenwoordigheyd der dinghen voorstellen, haere stucken met een gantsch uytdruckelicke duydelickheyd plaghten te vervullen, soo staet ons hier mede aen te mercken, dat de Konst-vroede aenschouwers, die sich door ’t ghesicht van de ghekontrefeyte afbeeldinghe tot de

i. Das eigene alte Land Junius hebt hier hervor, dass sich sowohl der Künstler als auch der kunstverständige aenschouwer tief mit der Materie des Themas, ihrem eigentlichen Wesen und ihrer künstlerischen Umsetzung auseinandersetzen sollen. Nach klassischer, in der rhetorischen Tradition wurzelnder Auffassung bewirken hier die Vorstellungskraft und das Gedächtnis gemeinsam mit dem Verstand den Prozess der beurteilenden Reflexion. Über die ›Ausdrücklichkeit‹ seiner Darstellung kann der Künstler den verständigen und kenntnisreichen Betrachter ›bewegen‹, d. h. rhetorisch überzeugen und ihm seine Einsicht vermitteln. Wenn dieser sich von der ›Ausdrücklichkeit‹ wiederum anregen lässt, sich alle Zusammenhänge des dargestellten Gegenstandes selbst im Geist zu vergegenwärtigen, kann er das Kunstwerk angemessen beurteilen, indem er es mit seinen geistigen Vorstellungen vergleicht. Der fantasije misst Junius dementsprechend einen hohen Stellenwert zu. Er versteht sie, in steter Anlehnung an antike Autoren, als eine Art »Register« des bereits Gesehenen, Erfahrenen, Gelernten.479 Dieses kann einerseits durch kontemplative Übung – etwa indem ›lebendige Eindrücke‹ gesammelt und bewusst in Erinnerung behalten werden – angereichert werden und andererseits bei einer entsprechenden Anregung, etwa durch die uytdruckelickheyt eines Kunstwerkes, wiederum zur reflexiven Beurteilung aktiviert werden.480 Ist die Fantasie auf diese Weise besonders entwickelt und der aenschouwer folglich kenntnisreich, so kann er beim bloßen Anblick einer beliebigen Bildkomposition stets das Dargestellte in einen höheren Zusammenhang einordnen, das gesamte dazugehörige ›Repertoire‹ im Geiste rekapitulieren, um dann wiederum die neu gesehene Ausführung danach zu bedenken und zu beurteilen:

bedenckinge der waerheyd selver laeten aenleyden, de kracht deser uytdruckelickheyd aller best maghtigh sijn te beseffen. […] dat wy ons selven de gantsche gheleghenheyd des voorghestelden arguments door een wijdloopighe ende onvernepen verbeeldige nae ’t leven konden voorstellen: Want dus doende sullen wy niet alleen ’t ghene inde Schilderyen selver aenmerckelickste is vaerdighlick uyt vinden, maer het sal ons oock licht vallen ’t gantsche begrijp ende voornaemste omstandigheden der konstigher wercken met onse voorbedochte en nieuwelick opghehaelde verbeeldighen te vergelijcken.« Ebd., 335; 338. 479 »Die Fantasie, sagt Michael Ephesius, ist in unserem Gemüt wie ein Register oder Anzeiger von dem, was wir jemals mit unseren Augen gesehen oder mit unserem Verstand begriffen haben.« »De fantasije, seght Michael Ephesius, »is in ons gemoede ghestelt als een Register ofte aenwijser van’t gunt wy oyt met onse ooghen gesien ofte met ons verstands begrepen hebben.« Ebd., 52. 480 »[…] dass es für diejenigen, die nach den rechten Kunstkenntnissen ungeheuchelt trachten, dringend vonnöten ist, ihre Fantasie durch eine beständige Übung daran zu gewöhnen, dass sie die wahre Ähnlichkeit wie auch die besonderen Umstände von allerlei vorgefallenen Angelegenheiten durch eine lebendige Vorstellung von Zeit zu Zeit von vorn bis hinten ordentlich und behände hervorzuholen wissen.« »[…] dat het den ghenen die nae de rechte Konst-kennisse ongheveynsdelick trachten, hoogh-noodigh is, haere fantasije door een ghestaedighe oeffeninghe daer toe te ghewennen, datse de waere ghelijckenis als oock de bysondere omstandigheden van allerley voorvallende saecken door een levendighe verbeeldingh t’eenigher tijd van vooren tot achteren ordentlick en vaerdighlick wisten op te haelen.« Ebd., 341.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 »Unsere äußeren Sinne brauchen unserem Gemüt nur den Beginn einiger Geschichten anzudienen, und sofort soll unser arbeitender Kopf die ganze Geschichte, wie sie aus vielen und fest aneinandergeketteten Umständen besteht, nicht allein nach dem Anspruch der Sache wirklich begreifen, sondern auch mit der Gelegenheit der gegenwärtigen Malerei bequem vergleichen.«481 Um die Allgemeingültigkeit dieses geistigen Prozesses noch einmal zu verdeutlichen, bedient sich Junius zweier unterschiedlicher Beispiele: Zum einen führt er eine gemalte Szene mit zwei kämpfenden Männern an, die beim gelehrten Betrachter sofort das Nachsinnen über sämtliche Umstände eines Kampfes in Gang setze.482 Zum anderen veranschaulicht er an einem Jagdbild, wie bei der Bildbetrachtung die »ganze Gelegenheit dieses mannhaften Vergnügens, ebenso wie auch die besonderen Umstände, die während des Jagens vorzufallen pflegen, in den Sinn schießen«.483 Diesen im Geiste aufgerufenen Inhalten widmet sich Junius bei beiden Beispielen wesentlich ausführlicher als der Beschreibung der Gemälde selbst. So schildert er in allerlei eindrucksvollen Einzelheiten, wie der Betrachter mit einer Jagd etwa unruhige Hunde und taubenetztes Gras verbinde.484 Die – wie Junius es bezeichnen würde – ›Ausdrücklichkeit‹ des Historiengemäldes Die Begegnung von David und Abigail, auf die besonderen Umstände der Begegnung und die Bedeutung von Abigails Bitte für Davids Zukunft zu verweisen, würde bei dem verständigen zeitgenössischen aenschouwer demzufolge das vertiefte Nachsinnen über diese Begebenheit anregen. Wenn es, wie Junius sagt, »immer auf dasselbe hinausläuft«, indem

481 »Onse uyterlicke sinnen behoeven slechts het beghinsel eenigher gheschiedenissen aen ons ghemoed aen te dienen, en strecks sal ons werckende hoofd de gantsche gheschiedenis, ghelijckse uyt veele en vast aen een gheschaeckelde omstandigheden bestaet, niet alleen nae den eysch der saecke vaerdighlick beseffen, maer oock met de gheleghenheyd der teghenwoordigher Schilderye bequaemlick verghelijcken.« Ebd., 340. 482 »Kommt ihnen ein anderes Gemälde vor Augen, auf dem zwei tapfere Männer, die um ihr Leben kämpfen, abgebildet sind, werden ihre Gedanken dann wiederum schon beim bloßen Betrachten dieses Bildes so kräftig bewegt, dass sie sich die ganze Gelegenheit eines solchen Gefechts einfach durch Vorstellungskraft nach dem Leben vorstellen.« »Komt hun een andere Schilderye voor ooghen, daer in twee dappere mannen, die lijf om lief vechten, afgebeeldet sijn, haere gedachten worden dan al wederom op’t bloote ghesicht deses tafereels soo krachtighlick gaende ghemaeckt, datse sich de gantsche gheleghenheyd van sulcken ghevecht door een ghemackelicke verbeeldinghe nae’t leven voor stellen.« Ebd. Die Gemüter und Beweggründe für einen solchen Kampf werden im Folgenden von Junius in ausführlicher Breite entwickelt. 483 »[…] hoe vaerdighlick hun de gantsche gheleghenheyd deses manhaftighen vermaecks, midsgaders oock de bysondere omstandigheden die onder en tusschen’t jaeghen plaghten voor te vallen, in den sin schieten.« Ebd., 339. 484 Vgl. ebd.

i. Das eigene alte Land der Reflexionsprozess stets in Gang gesetzt wird485 – welches Nachsinnen regt dann die ›Ausdrücklichkeit‹ der gemalten Dünenlandschaften an, die dem Betrachter suggeriert, sich als Teil des Dünenlandes zu begreifen, und ihn zugleich mit dem Sehen und Nichtsehen dieser Landschaft beschäftigt? Um den Betrachter zu ›bewegen‹, greifen Landschaftsmaler wie van Goyen, de Molijn und van Ruysdael klassische Mittel der houding wie akzentuierenden Lichteinfall, rahmende Motive und vermittelnde Staffagefiguren auf, um sie in ihrem Sujet anders einzusetzen. So fällt ein bühnenartig einfallendes, dramatisches Licht, das in Historiengemälden wie Die Begegnung von David und Abigail die entscheidende Szene beleuchtet, in van Goyens Dünenlandschaft (Taf. 3) auf die vordere sandige Erhebung mit den rastenden Menschen: Sie ist kontrastreich von umliegendem Schatten so eingebettet, dass sie zwischen den zwei tiefer gelegenen Ebenen umso stärker als erhöhter Punkt erscheint; das dahinterliegende ›Tal‹ verliert sich auf eine unbestimmte Weise im Dunkeln, und der Abstand zum hinteren Dünenkamm wird so nicht ermessbar. In etlichen Bildern wird ein Dünenabschnitt mit einer auf die Landschaft schauenden Menschengruppe durch solche bühnenartigen Licht-Schatten-Effekte in Szene gesetzt. Der Betrachter bekommt auf diese Weise suggeriert, dass hier ein Schauplatz nach den klassischen Maßstäben hervorgehoben wird, dass, so wie Junius es empfiehlt, dasjenige, »das […] betont ist, mit größerer Kraft herausstechen möge und die Augen der Betrachter selbst auch außerhalb des Bildes zu treffen scheinen soll«.486 Durch diese Evokationen wird der Betrachter angeregt, den in den Bildern ins Licht gerückten Akt der kontemplativen Landschaftsbetrachtung mit dem Schlüsselmoment einer Historie zu vergleichen und über die Bedeutung dieses Schauens umso mehr nachzusinnen. Diese Wirkung wird oft verstärkt durch den Einsatz von Hintergrundfiguren: In einer Historienszenerie wie Die Begegnung von David und Abigail werden entfernte Figuren wie erörtert zum Einsatz gebracht, um die zentrale, beleuchtete Hauptszene im Vordergrund mit hervorzuheben, indem sie ihr zugewandt erscheinen und damit den Betrachterblick auffangen und zu ihr lenken. In vielen Dünenlandschaften jedoch (Taf. 3; Abb. 45, 47) sind die Menschen auf dem hinteren Dünengipfel abgewandt, um ihren Blick auf ein landschaftliches Panorama zu richten, das der Betrachter selbst nicht mehr erfassen kann. Indem sie somit nicht die vordere Szene einbetten, sondern sie vielmehr wiederholen – dadurch, dass sie nicht zurück auf die Menschengruppe, sondern selbst auf eine Landschaft schauen –, führen sie den Blick des Betrachters in die Tiefe.

485 »[…] dass es immer auf dasselbe hinausläuft. […] Unsere äußeren Sinne brauchen unserem Gemüt nur den Beginn einiger Geschichten anzudienen, und sofort soll unser arbeitender Kopf die ganze Geschichte […] nicht allein nach dem Anspruch der Sache wirklich begreifen, sondern auch mit der Gelegenheit der gegenwärtigen Malerei bequem vergleichen.« Siehe dieses Zitat ausführlich in Anm. 481. 486 Zitat siehe oben, Anm. 474.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Über diese in den Bildern angelegten effektvollen Leerstellen als den »›gedachten Scharniere[n]‹ der Darstellungsperspektiven«487 wird der Betrachter veranlasst, sich nicht mit einer narrativ festgelegten Szene, sondern mit der Bedeutung des dargestellten Sehvorgangs selbst zu beschäftigen. Indem er zugleich durch den nach außen, über Wege geöffneten Landschaftsraum sich selbst als Teil dieser landschaftlichen Einheit begreifen kann, schließt dies auch ein Nachsinnen über sein eigenes Sehen als Teil eines kollektiven Sehens mit ein. Das geistige Register der fantasije, das ein verständiger Betrachter nach Junius sodann in seiner Vorstellungskraft aktiviert und in dessen Repertoire bereits frühere und zeitgenössische landschaftliche Diskurse um historische Begebenheiten eingelagert sind, lässt dieses Sehen als kulturellen Erinnerungsprozess begreifen. Das Schöpfen der Motive aus dem, wie van Hoogstraten es bezüglich van Goyen beschreibt, »Chaos der Farben«488 impliziert auf der Rezeptionsebene eine Bildbetrachtung, bei der Prozesse kollektiven Sehens und Erinnerns selbst als ein imaginatives Schöpfen aus der Landschaft thematisiert werden.

ii. Das eigene arkadische Land Arkadische Gipfelpunkte Die tonalen Bilder Jan van Goyens, Salomon van Ruysdaels und Pieter de Molijns thematisieren das kollektive erinnernde Sehen in einer historischen Landschaft. Sie lassen den Betrachter sich als Teil einer tuin-Dünen-Landschaft begreifen – einer Landschaft, die in einzelnen Schauplätzen der Betrachtung szenisch ausgeleuchtet ist und zugleich das weitgehend starre, feste Fundament eines grenzenlosen tuin umschreibt. Jacob van Ruisdaels um 1650 entstandene Dünenlandschaft (Abb. 50) führt ebenfalls mit einem Sandpfad in ein weites, einsames Dünengebiet, hier und da dramatisch beleuchtet von einzelnen schräg einfallenden Sonnenstrahlen. Doch der Betrachter wird in dieser Landschaft anders ›bewegt‹. Sein Blick wird nicht von einzelnen, von Licht und Schatten gestaffelten Sandplätzen angezogen, in denen die assoziative Spannung des Sehens ausgereizt wird. Vielmehr wird der Betrachter angeregt, sich mit der Oberfläche der Dünen selbst zu beschäftigen: auf dem Pfad in die Tiefe der Landschaft hineinzuwandern, den hinter dem auftauchenden Schäfer im Schatten sich verlierenden Abhang weiterzudenken, mit dieser imaginativen Ergänzung auf dem kurvigen Weg die steile Kuppe hochzugehen, um sich wiederum die dahinter verborgene Aussicht vorzustellen.

487 Iser 1976, 284; Kemp 1985, 261: Kemp zitiert hier direkt Iser, dessen literaturwissenschaftlich-rezeptionsästhetischen Begriff der ›Leerstelle‹ er am Beispiel von Historiengemälden des 19. Jahrhunderts für die Kunstgeschichte fruchtbar gemacht hat. 488 Siehe oben, Anm. 438.

ii. Das eigene arkadische Land

Abb. 50 Jacob van Ruisdael: Dünenlandschaft, um 1650, Öl auf Leinwand, 33,5 × 49,2 cm, Philadelphia, Philadelphia Museum of Art

In den tonalen Darstellungen bezeichnet das Dünenland die Einheit eines grenzenlosen tuin im Spannungsfeld eines offenen, assoziativen Schau-Platzes. Einfallendes Licht, wie in van Goyens Dünenlandschaft (Taf. 3), setzt einzelne Partien bühnenartig als Orte der Sehhandlung in Szene, doch in dieser Staffelung wird der Sand als eine weitgehend homogene Masse und nicht in seiner landschaftlichen Tiefe, seiner plastischen Struktur fokussiert. Ruisdaels Dünenlandschaft hingegen thematisiert das bewusste Wahrnehmen der landschaftlichen Oberfläche – es ist die Struktur des Dünengebietes, die den Betrachter in Bewegung versetzt. So dient das Licht hier dazu, die Vielfalt und Feinheit der landschaftlichen Erscheinung herauszumodellieren: Es streift pointiert die zarten, grünen Grasbüschel, leuchtet Unebenheiten und Vorsprünge so aus, dass sie felsenartig und kantig erscheinen, und legt den Farbreichtum offen – in dem dunklen Sand zwischen den Wagenspuren und dem hellen am Wegesrand, in den weiten Grasflächen bis hin zu dem einzelnen, rot gewandeten Wanderer. Diese Form von varietas in einer Dünenlandschaft, die sich durch eine idyllische Einsamkeit und bergähnliche Hügel auszeichnet, verbindet Ruisdael in einigen anderen Gemälden dieser Zeit 489 auch mit einem sublimen Schauen von einem hohen Gipfel: In 489 Zu den frühen Bildern Ruisdaels um 1650 vgl. Ausstellungskatalog 2002a; vgl. auch Walford 1991; vgl. auch das Gesamtverzeichnis von Slive 2001.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 seinem Gemälde Sandhügel mit Bäumen bewachsen (Taf. 5) führt ein leuchtend heller Pfad auf einen steilen, grün bewachsenen Dünenhügel, auf dessen entfernter Kuppe zwei Menschen stehen, die das Umland betrachten. Welches Panorama sich ihnen auf der anderen Seite des Hügels bietet, bleibt für den Betrachter des Bildes nur zu erahnen. Diese Spannung am Horizont, die auch in dem anderen Gemälde Ruisdaels angelegt ist, wird hier noch gesteigert. Durch den tiefen Betrachterstandpunkt führt der Blick des Betrachters nicht über den unmittelbar aufragenden Hügel hinaus, sondern mündet in den großen Wolken, deren Lichtreflexe die Kurvierung des Pfades aufgreifen und eine hinter der Düne verborgene Tiefe andeuten.490 Damit wird das in den tonalen Bildern an verschiedenen Punkten thematisierte Blicken von der Düne zu einem zentralen Moment gesteigert und zugleich als Gipfelpunkt einer Wanderung in eine idyllische Einsamkeit inszeniert. In starkem Kontrast zu den monochromen Weiten der früheren Bilder führt der leuchtende Sandweg an blaugrünem Gewässer mit rotbraunem Uferschlamm, an braungrünen Gräsern, weiß blühenden Strauchzweigen und dunkelgrünen Bäumen gezielt mitten in die Abgeschiedenheit eines einzelnen hohen Berges.491 In Ruisdaels im selben Jahr entstandener Dünenlandschaft mit einem Eseltreiber (Taf. 6) ist das Idyll eines einzelnen hohen Berges in einem solchen Maße arkadisiert, dass vor dem Hintergrund der tonalen Bilder kaum noch zu erkennen ist, dass es sich hier auch um eine Dünenlandschaft handelt. Auf dem entfernten Gipfel eines hohen, üppig bewachsenen Hügels verschwimmen die Umrisse der Figuren in einem klaren, rosagelblichen Licht, dessen sanfte Blendung durch das goldgrüne Laub der Bäume abgeschattet wird; hoch am Himmel durchziehen einige lose Wolken das leuchtende Blau. Mit diesem warmen Licht, der Fokussierung der Berghöhe und dem Motiv des Eseltreibers evoziert Ruisdael die Atmosphäre einer italianisierenden Landschaft, wie sie etwa Herman van Swanevelt in einer ganz ähnlichen zweigeteilten Komposition mit einer explizit südlichen Szenerie in seiner Abendlichen Gebirgslandschaft mit See, Ziegenhirt und Wanderern (Abb. 51) entwirft.492 Die bei van Goyen und Molijn so einheitlich karg erscheinenden Dünengebiete mit vereinzelten bräunlich-grauen Bäumen und Zäunen, der sich bis in den Himmel erstre-

490 Vgl. dazu auch Volmert 2009, 151. 491 Zu Ruisdaels ungewöhnlich ausgeprägtem Interesse an botanisch exakter Darstellung vgl. Ashton/ Davies/Slive 1982. 492 Zu Swanevelt vgl. u. a. Steland 2001/2002. Swanevelt gehörte neben Jan Both, Claes Berchem, Jan Hackaert und Carel Dujardin zu der zweiten Italianisantengeneration, die in den 1640er-Jahren aus Italien zurückkehrte. Die Landschaften dieser Gruppe zeichnen sich, in Abgrenzung zu den Bildern der älteren Italianisantengeneration, mit Baum-, Schäfer- und Ruinenmotiven weniger durch einen antikisierenden als durch einen typisierten südlichen Charakter aus und weisen kompositionelle Bezüge zu nördlichen imaginären Hügellandschaften auf, wie sie etwa Ruisdael in den 1650er-Jahren anfertigte. Vgl. u. a. Blankert 1978, 28–32, Stechow 1966, 148.

ii. Das eigene arkadische Land

Abb. 51 Herman van Swanevelt: Abendliche Gebirgslandschaft mit See, Ziegenhirt und Wanderern, um 1645, Öl auf Leinwand, 42,4 × 59 cm, Amiens, Musée de Picardie

ckenden erdigen Schwere, den verstreuten Personen auf einzelnen Erhebungen werden bei Ruisdael Ende der 1640er-Jahre abgelöst durch diese farbigen, idyllischen Landschaften, in denen ein Dünengipfel als abgeschiedener Ort der Landschaftsbetrachtung zentriert ist: Die Düne in der Dünenlandschaft mit einem Eseltreiber wird zu einem einheimischen Berg deklariert, dessen pastorales goldenes Hinterland jenseits des hohen, warm beleuchteten Gipfels vom Betrachter imaginiert werden kann. Dieses arkadische Land wird zur selben Zeit ein literarischer Schauplatz für den programmatischen Ausruf eines endgültigen politischen Friedens und neuen Goldenen Zeitalters. 1647, in demselben Jahr, in dem auch Ruisdael seine innovativen Dünenkompositionen anfertigte, verfasste Joost van den Vondel sein Drama De Leeuwendalers, das für die Feierlichkeiten des Westfälischen Friedens eigens in Auftrag gegeben worden war.493 In einer pastoralen Kulisse thematisiert es die Zeitgeschichte und nimmt die unmittelbare politische Zukunft vorweg: Das Hirtenland Leeuwendal (Löwental) ist durch einen Fluss, über den die Leeuwenbrug (Löwenbrücke) führt, in zwei Teile geteilt und von einem jahrelangen Streit des Nord- und Südvolkes erschöpft. Durch die Liebe zwischen Adelaert

493 Vondel 1930. Vgl. Kettering 1983, 25 f.; Ausstellungskatalog 1993, 96 f.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 aus dem Süden und der Waise Hageroos, die sich schlussendlich als die Tochter des Herrschers im Nordreich erweist, kommt es am Ende zu der friedlichen Vereinigung der beiden Teile. Der arkadische Schauplatz dieses Friedensschlusses wird nicht allein in der Anspielung des Namens Leeuwendal auf das niederländische Wappentier lokalisiert. So wird das Land auch trotz aller pastoralen Entrückung als ein Gebiet mit »hohen Dünen« gekennzeichnet.494 Die idyllische Schönheit dieses Dünengebietes im Zeichen des Friedens und des anbrechenden neuen Zeitalters wird schließlich von Adelaert ausgerufen: »Der Frieden und die Freundschaft verbinden die Welt, Der Himmel zieht über sie: Die Woge küsst den Strand, Die See umarmt die Düne, die Tauben schnäbeln.«495 Der Zustand des endgültigen Friedens, der, wie Vondel schreibt, ›die Welt verbindet‹, wird mit dem Bild einer liebevollen Vereinigung von Meer und Dünen umschrieben. Damit aktiviert Vondel die im kulturellen Gedächtnis bereits gefestigten Zeichen politischer Grenzmarkierung, um sie in einem pastoralen Kontext aufzulösen: Die feindliche Distanz zwischen den Dünen und der See als den vor allem in der Bildpropaganda konnotierten Antipoden des Eigenen und des Fremden wird überwunden.496 Vondel selbst hatte bereits während des Waffenstillstandes drei Jahrzehnte zuvor, in seinem Lobgedicht auf die holländische Schifffahrt von 1613, analog zu den zeitgleichen Flugschriftenillustrationen die militärischen Leistungen des oranischen Statthalters im Krieg gegen Spanien mit den vor der hereinbrechenden See schützenden Dünen verglichen.497 In seinem Gedicht auf den Statthalter Frederik Hendrik von 1625 wiederum sind die Dünen, wie oben diskutiert wurde, jenseits eines eher auf die Abwehrkraft bezogenen Grenzzeichens in einem semantischen Spannungsfeld mit dem tuin bereits zu einem politisch komplexeren Argument entwickelt: Sie dienen in dem Appell zur militärischen Zuversicht als Garanten der Stärke des eigenen tuin-Landes.498 Zur selben Zeit heben Maler wie van Goyen das erinnernde Betrachten dieses historischen Dünen-tuin-Landes in ihren Bildern hervor. Um die Jahrhundertmitte wiederum kann das Dünenland als ein politisch über Jahrzehnte konnotiertes Zeichen mit dem endgültigen Ende des Krieges und der beginnenden ›goldenen‹ Phase der niederländischen Republik das historische Fundament eines

494 Vondel 1930, 286. 495 »De vrede en vrientschap houdt de weerelt in den bant, De hemel drijft op haer: de bare kust het strant, De zee omhelst de duin, de duiven treckebecken.« Vondel 1930, 284. 496 Siehe zu der Polarisierung von Dünen und Meer oben, Kap. »›Natürliche‹ Abgrenzungen: Wasserwelt und Dünenkette«. 497 Siehe oben, Anm. 228. 498 Siehe oben, Anm. 436.

ii. Das eigene arkadische Land neuen Zeitalters markieren: Die arkadisch entrückten Dünen in Vondels Leeuwendalers weisen auf die Abgeschlossenheit der ›nationalen‹ Geschichte. Der von Ruisdael fokussierte Blick vom Gipfel eines bukolisch eingebetteten Dünenhügels, der das in den älteren tonalen Bildern entwickelte Moment des Sehens in eine neue Landschaftlichkeit transferiert, verspricht das Panorama eines klassischen historischen Landes, in dem die jüngste und ältere Geschichte vereint erinnert werden können. Es ist ein anderes Sehen als in den tonalen Bildern, in denen – in der unvollendeten Gegenwart des Krieges – das kollektive und ›selbstverständliche‹ Sein in der Dünen-tuin-Landschaft mit dem kollektiven erinnernden Betrachten verbunden wird. Das Bewusstsein über die Abgeschlossenheit einer langen Phase der Republikbildung erfordert um die Jahrhundertmitte eine neue ästhetische Distanz: Bei Ruisdael ist der Ausblick sublimiert und wird zu einem besonderen Moment gesteigert, in dem ein arkadisiertes Land betrachtet wird, dessen Geschichte ›klassisch‹ geworden ist. In seinem um 1650 entstandenen Gemälde Schloss Brederode (Abb. 52) findet Ruisdael für diese Arkadisierung der holländischen Geschichte noch einmal eine gesteigerte Ausdrucksform. Der abgeschiedene Dünengipfel erscheint nicht allein erneut als ein Aussichtspunkt eines einsamen Wanderers, sondern er bildet zugleich das Fundament für die Ruine des Haarlemer Schlosses Brederode. Bereits in der frühen Haarlemer Druckgrafik nach 1610 war diese Ruine als lokalpatriotisch aufgeladenes historisches Monument des alten Haarlemer Adelsgeschlechtes Brederode499 ein beliebtes Motiv.500 Auch in Ampzings Beschrijvinge ende Lof der Stadt Haerlem reiht sich die Darstellung dieses Anwesens ein in eine Reihe von Sehenswürdigkeiten, die die Präsenz der stolzen Haarlemer Geschichte, oftmals auch im aktuellen Bezug zu der Vergangenheit spanischer Zerstörung, dokumentieren. Der in Ampzings Werk erschienene Stich nach Pieter Saenredam zeigt, wie etliche andere Grafiken auch, das Schloss aus einer anderen Perspektive als Ruisdaels Gemälde: Vergleichbar mit dem Huys te Kleef in Visschers Serie Plaisante Plaetsen (Abb. 40) ist die Ruine eingebettet in eine Haarlemer Landschaftsszenerie und wird von Wanderern aus der Ferne von einem vorbeiführenden Weg aus betrachtet.501 In Ruisdaels Bild wird das Schloss entgegen seiner realen Position – so ist das tatsächliche Anwesen keineswegs auf einem solch hohen Dünenhügel situiert – geradezu symbiotisch mit dem Dünengipfel verbunden. Auf diese Weise wird es erhöht, erscheint analog zu der Düne selbst als Zielpunkt einer Wanderung – und zugleich aber auch wiederum als Aussichtspunkt selbst. Der Rundbogen rahmt geradezu den Ort, an dem der Wanderer das Panorama auf der anderen Seite des Hügels betrachten kann. In

499 Zu dem Geschlecht Brederode siehe auch oben, 42. 500 Vgl. Ausstellungskatalog 2005, 112 ff. 501 Zu der Brederode-Illustration in Ampzings Werk und den begleitenden Versen vgl. Ampzing 1628, o. S., siehe auch die Abb. in Ausstellungskatalog 2005, 119.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620

Abb. 52 Jacob van Ruisdael: Schloss Brederode, um 1655, Öl auf Holz, 30,2 × 37,8 cm, Philadelphia, Philadelphia Museum of Art, John G. Johnson Collection

Visschers Ansichten eröffnet der erhöhte Dünenrand das Panorama der eingebetteten Haarlemer Landschaften mit ›plaisanten‹ Ruinen. In Ruisdaels Gemälde sind beide Elemente miteinander zu einem arkadisch-pittoresken Ort vereint. So wird zum einen der Dünengipfel durch den Rundbogen noch einmal besonders zu einem sublimen Aussichtspunkt gesteigert. Und zugleich – und damit fällt bei der Düne wiederum der Ort des Sehens mit dem Schauplatz der Geschichte zusammen – scheint die Landschaft, die bei van Goyen den alten tuin bezeichnen kann, nun mit den klassischen Ruinen der tuinGeschichte gefüllt.

Neue Ausblicke und alte Sehmuster In historiografischen und literarischen Texten entwickelt sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend eine Spannbreite zwischen der Etablierung von Landschaftstopoi im Kontext der argumentativen Rückbesinnung auf vergangene virtus – wie es sich etwa bei Vondel, Keyser und Ampzing zeigt – und der zunehmenden Verräumlichung von Landschaftsbildern hin zu einem erfahrbaren, ›begehbaren‹ historischen

ii. Das eigene arkadische Land Schauplatz, wie ihn Ampzing in seinem Kapitel zur Haarlemer Landschaft entwirft und Vondel schließlich in seinem Drama De Leeuwendalers pastoralisiert. Parallel konstituieren die tonalen Landschaftsbilder bis in die 1640er-Jahre Erinnerungslandschaften, indem sie im Spielraum von verdichteten kulturell codierten Landschaftszeichen, landschaftlicher Immersion und imaginativer Distanz das kollektive Schauen auf historische Dünenlandschaften thematisieren. Mit Mustern der Beständigkeit, mit Formeln von Zäunen und Dünen greifen die Bilder den tuin-Topos auf und verbinden ihn mit der Dimension des Betrachtens. Im Vergleich zu den früheren Haarlemer Grafiken ist die Landschaftsbetrachtung ›nach innen‹ gewandert, indem die schauenden Menschen sich mitten in der Landschaft befinden, die sie betrachten, und auch der Bildbetrachter selbst zu diesem Standpunkt eingeladen wird. In Visschers Serie betritt der Betrachter gleichsam von Bild zu Bild an einem erhöhten Aussichtspunkt Stationen einer Bühne, auf der ein abgeschlossener Schauplatz spezifisch Haarlemischer Geschichte beleuchtet wird. In der tonalen Malerei wird er mit der ›chaotischen Urmasse‹ der sandigen Materialität und über die sich zur Bildgrenze öffnenden Wege in den Landschaftsraum einbezogen, partizipiert an den dargestellten Blicken im Bild. Auf diese Weise evozieren diese ›Dünen-tuin-Landschaften‹ bei dem zeitgenössischen Betrachter nicht allein die Einheit jüngerer und älterer holländischer Geschichte, wie sie etwa auch bei Ampzing mit dem Vergleich der beiden Haarlemer Verteidigungskämpfe anklingt, sondern zugleich die Zugehörigkeit zu der ›selbstverständlichen‹ Gemeinschaft der Sehenden. Eine ähnliches Bild von einer holländischen Erinnerungsgemeinschaft erzeugen um die Jahrhundertmitte jenseits der Landschaftsdarstellungen auch Kircheninterieurs wie Gerard Houckgeests Das Grabmal Prinz Wilhelms I. in der Nieuwe Kerk zu Delft (Abb. 53), die das ›selbstverständliche‹ Betrachten von Heldendenkmälern – in diesem Fall ist es das Grabmal Willems von Oranien – als Teil des öffentlichen Kirchenraumes präsentieren:502 Indem nicht allein die Präsenz des Denkmals selbst, sondern vielmehr auch der gesellschaftliche Vorgang seiner Betrachtung in etlichen Bildern thematisiert wird, werden die Sehprozesse einer kollektiven Gemeinschaft reflektiert. In den Landschaftsbildern wiederum nimmt dieser Prozess zu Beginn des Jahrhunderts in Visschers Ansichten seinen Anfang – hier wird das Sehen der historischen Denkmäler erst programmatisch eingeführt. 502 Zur Aktivierung der Imagination des Betrachters, die gerade durch den Ausschnittcharakter der Grabmaldarstellungen erzielt wird, vgl. Wheelock 1975/1976, 167. Eine aktuelle Diskussion von Blickund Sehkonzepten holländischer Kircheninterieurs findet sich in der Dissertation von Almut PollmerSchmidt (ersch. publiziert voraussichtlich 2013); dort wird auch die imaginative Reichweite dieser oftmals dargestellten Wahrnehmung von Grabmälern im Kirchenraum verhandelt; vgl. Pollmer-Schmidt 2011; vgl. zum Zusammenhang von Kunstbetrachtung und Meditation im Kontext des Kircheninterieurs auch Pollmer-Schmidt 2013. Vgl. zu der Thematik des Sehens und Erinnerns im gemalten Kircheninnenraum auch Gormans 2008 und Gormans 2013; weiterhin befinden sich aktuelle Forschungsergebnisse von Andreas Gormans zu dieser Thematik im Druck.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620

Abb. 53 Gerard Houckgeest: Das Grabmal Prinz Wilhelms I. in der Nieuwe Kerk zu Delft, 1650, Öl auf Holz, 125,7 × 89 cm, Hamburg, Hamburger Kunsthalle

ii. Das eigene arkadische Land Um die Jahrhundertmitte, in den Dünenbildern von Ruisdael, ist die Thematisierung des Landschaftsblicks an einem Gipfelpunkt angelangt, der zugleich einen Wendepunkt markiert: Eine einzelne hohe Düne wird zu einem entrückten idyllischen Aussichtpunkt, und die Betrachtung der Landschaft wird zu einem sublimen Moment und als Höhepunkt einer Wanderung in die Abgeschiedenheit eines arkadisierten Dünenlandes in Szene gesetzt. Das pastoralisierte Dünenland wird zur selben Zeit in Vondels Drama De Leeuwendalers zum Schauplatz des Friedensschlusses: Indem die Dünen als das Fundament des historischen holländischen tuin konnotiert sind, können sie in einer neuen politischen Ära der Republik die Abgeschlossenheit seiner ›klassischen‹ nationalen Geschichte bezeichnen. In der Folge dieses Gipfel- und Wendepunktes nimmt die unmittelbare, die aktive identitätsstiftende Wirkkraft der Dünen ab. In der Malerei der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist ihnen einerseits ein gesteigertes arkadisches Potenzial zugesprochen, indem sie in – im Unterschied zu Ruisdaels Bildern – explizit italianisierenden Landschaften als einheimisches idyllisches Motiv integriert sind; andererseits bieten sie in Panoramalandschaften der 1660er- und 1670er-Jahre im Bildvordergrund einen neuen Aussichtspunkt auf die einheimische Landschaft. Wie ich im Folgenden darlegen möchte, zeugen beide Erscheinungsformen davon, dass die Dünen zu einem festen Monument der holländischen Gründungsgeschichte respektive des politischen Selbstbewusstseins kondensiert sind. Die Dünenlandschaft mit Hirten und Taverne (Taf. 7) von Jan Wijnants ist ein Beispiel für die nach den Dünenbildern Ruisdaels aufkommenden Formen von ›Mischlandschaften‹: Sie evozieren mit Mitteln der Lichtgestaltung und auch der Staffage eine südliche Atmosphäre, die gleichwohl mit einer integrierten Dünenlandschaft holländische Züge trägt.503 So ist in Wijnants’ Gemälde eine Dünenlandschaft das Fundament einer abgeschiedenen Weite, die sich bis zu einem entfernten Hügelsaum am Horizont erstreckt und die mit dem warmen Licht, dem Tavernengebäude und der Schäferszene am Gewässer einen südlichen, idyllisch entrückten Anstrich erhält. Mit dem Schilf und den grasbewachsenen Sandflächen wird der Detailreichtum von Ruisdaels Dünenbildern aufgegriffen; zugleich erinnert der kahle Baum auf der seitlichen Anhöhe, dessen Umrisse von dem weichen Licht gerade besonders hervorgehoben werden, auch an die kargeren tonalen Landschaftsszenen. Die bereits in der Bildtradition verankerten charakteristischen visuellen Züge der Dünenlandschaft sind somit vereint: Indem das Land in der Betrachterperspektive ausgedehnt erscheint und nur seitlich in höhere Dünenhügel übergeht,

503 Neben einigen Bildern von Jan Wijnants existieren auch ›dünenbasierte‹ Mischlandschaften von Philips Wouwerman und Adriaen van de Velde. Aelbert Cuyp wiederum schuf mit seinem besonders warmen, südlichen Licht und mitunter mit dem Einsatz einer pastoralen Schäferstaffage auch für Flusslandschaften eine ganz eigene Form von Italianisierung der holländischen Landschaft. Vgl. zum Beispiel Sutton 1987, 45 ff.; zu Wijnants vgl. Eisele 2000.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 ruft es erneut die weiten Dünenszenerien van Goyens, van Ruysdaels und Molijns auf. Zugleich weisen die grünere Vielfalt und der rosig-goldene Lichteinfall wiederum auf die Kompositionen Ruisdaels wie die Dünenlandschaft mit einem Eseltreiber (Taf. 6) – der arkadische Eindruck wird zudem durch die Staffage und die Hintergrundskulisse mit der Taverne und den entfernten Hügeln noch gesteigert. Das Blicken von einem hohen Dünengipfel jedoch, das bei den tonalen Bildern wie auch noch einmal besonders in Ruisdaels Dünendarstellungen einen so zentralen Stellenwert einnimmt, ist in dieser Szenerie nicht von Bedeutung. Die am Gewässer sitzenden Schäfer erscheinen umso mehr als eine arkadische Transformation der rastenden Menschen van Goyens oder de Molijns, indem ihr Schauen nicht mehr in Szene gesetzt wird. Sie sind für den Bildbetrachter in dieser Hinsicht unauffälliger in die Landschaft integriert, indem sie Teil einer abwechslungsreicheren Szenerie sind, die ihren Blick auffängt. So kann der Betrachter zum einen ihrer Blickrichtung über das Wasser, den Hügel, die Taverne einfach nachfolgen. Darüber hinaus ist das Schauen ohnehin nicht, im Unterschied zu den älteren Bildern, durch starken Lichteinfall auf leere Sandplätze oder hoch aufsteigende und – für den Betrachter – Sicht versperrende Dünengipfel zu einem besonderen Vorgang dramatisiert, der bei der Bildbetrachtung die Imagination anregen würde, sich mit den Dimensionen dieses Sehens eingehender zu beschäftigen. Es eröffnet sich kein unruhiges Spannungsfeld zwischen einer starken Bildeinladung und einem Bildentzug. Somit bietet die Landschaft mit ihrem Verhältnis zu den dargestellten Menschen für den Rezipienten keinen so großen imaginativen Spielraum, was den Kontext des Sehens auf Landschaft betrifft. Auf diese Weise fordern die Bilder eine andere Partizipation des Betrachters ein – er nimmt die Dünen weniger als einzelne ›Schaltstellen‹ beziehungsweise unmittelbare Auslöser seiner Imaginationskraft als vielmehr in ihrer gesamtheitlichen harmonischen Struktur wahr. Indem sie aber noch im kulturellen Gedächtnis als historische Landschaft, als Fundament des tuin konnotiert sein mögen, ergibt sich durch ihre Transformation in eine ruhige, abgerundete Szenerie umso stärker der Eindruck einer abgeschlossenen Geschichte. Es geht folglich nicht mehr gleichsam als eine aktive Phase kollektiver Identitätsfindung darum, das Sehen und Erinnern in der Dünenlandschaft sichtbar zu thematisieren und den Bildbetrachter immer wieder mit der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit dieses Vorganges in Beziehung zu setzen. Vielmehr zeichnet sich in diesem auch von Malern wie Philips Wouwerman, Adriaen van de Velde und Aelbert Cuyp vertretenen Typus arkadisch-holländischer Landschaften ab, dass die Geschichte des eigenen Landes in einem klassisch-harmonischen Landschaftsbild als abgeschlossenes Ganzes entrückt wird. Die Dünen implodieren von einem durch Grenzmarkierung und Geschichtsstiftung aktivierenden Zeichen kollektiver Identitätsfindung zu einem im zunehmenden nationalen Selbstverständnis der Republik entwickelten landschaftlichen ›Markenzeichen‹, das das klassische und arkadische Potenzial des holländischen ›Goldenen Zeitalters‹ besiegelt. Parallel werden Dünen in der holländischen Dichtung der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch in politisch nicht expliziten pastoralen Kontexten zu

ii. Das eigene arkadische Land einem bedeutenden Motiv, indem sie als spezifisch einheimisches ›Gebirge‹ in eine ansonsten oftmals konventionelle südliche Landschaftskulisse transferiert sind.504 Wie Leeflang herausgearbeitet hat, zeichnete sich zudem in Haarlemer Stadtlobgedichten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erneut die – bereits in früheren Jahrhunderten schon aufscheinende – Tendenz ab, die Bedeutung Haarlems in Gegenüberstellung mit dem wirtschaftlich blühenderen Amsterdam vehementer als zuvor auf den Aspekt der Schönheit und Abgeschiedenheit seiner Region zu verlagern. Eine Arkadisierung der Haarlemer Landschaft wird dabei oftmals an den tradierten Topos der Erholungslandschaft gebunden. Der repräsentative Stellenwert, den dabei die Dünen einnehmen, deutet sich etwa in dem Titel Dubbelde Nieuwe Haerlemsche Duyne-Vreught (›Doppelte Neue Haarlemer Dünenfreude‹) eines Gedichts von 1655 an, das als Wechselgesang zwischen Amsterdam und Haarlem konzipiert ist. Haarlem rühmt sich darin seiner Schönheit und lädt die größere Stadt zu einem Rundgang durch sein Umland ein.505 Das Gegenstück zu der arkadischen Entrückung der ›Mischlandschaften‹ stellen die Panoramalandschaften der 1660er- und 1670er-Jahre dar: In Bildern wie Ruisdaels Die Bleichen von Haarlem (Abb. 54) und Jan Vermeer van Haarlems Blick auf Haarlem (Abb. 55) werden die Dünen ebenfalls und zugleich in einer anderen Weise nicht mehr als eine imaginativ einfordernde Einheit aufgefasst. Komplementär spielt dabei genau die tradierte Funktion beziehungsweise Position der Dünen eine Rolle, die in den ›Mischlandschaften‹ ausgeblendet wird: der Aussichtspunkt der Gipfelhöhe. Und parallel zu der in den ›Mischlandschaften‹ gewandelten Auffassung von Dünenland und Staffage ist in den Panoramabildern die Dimension des Gipfelausblicks eine Art Transformation der älteren Gipfelblicke bei van Goyen und Ruisdael. Denn auch dieses Motiv ist nicht mehr eingesetzt, um eine imaginative ›Leerstelle‹ zu bieten. Vielmehr ist das Dünenmotiv durch die vorangegangene intensive identitätsstiftende Auseinandersetzung kulturell so weit ›abgearbeitet‹, dass es nun auch in einer neuen landschaftlichen Dimension ›erklommen‹ werden kann: Es ist nicht mehr der Dünengipfel mit den sehenden Menschen selbst, der für den Bildbetrachter den Horizont ausfüllt und so den Blick ›versperrt‹ – stattdessen wird nun das hinter den Dünen liegende Land als Panorama freigegeben.

504 Vgl. zum Beispiel die Schäferkulisse, die von Willem Mylius in seinen Veldgezangen van Thyrsis (Leiden 1702) mit »himmelhohen Dünen« entworfen wird: »’t Wierd middernacht. De Maan verzilverde de kruinen / Van steile Popelen, en hemelhooge Duinen. / Elk lag in diepe slaap, en ronkte vast, genood, / Daar ’t zachte Brongeruisch een Ieders oogen sloot […].« Mylius 1702, 9. 505 Vgl. Leeflang 1997, 112. Vgl. auch Leeflang 2002, 24 ff., zu einer mennonitischen Erbauungsschrift Jan van Westerhovens (1685), in der die Dünen an verschiedenen Stellen als ein das Auge erfreuendes ›Gebirge‹ mit abwechslungsreichen ›Steilhängen‹ und ›Tälern‹ beschrieben werden. Vgl. zur literarischen Tradition Haarlems und ihrem Einfluss auf das Landschaftsgenre in der Malerei generell die Publikationen von Leeflang (Leeflang 1995, Leeflang 1997, Leeflang 2002) und Grijp 1992.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620

Abb. 54 Jacob van Ruisdael: Die Bleichen von Haarlem, um 1670/1675, Öl auf Leinwand, 62 × 55 cm, Zürich, Kunsthaus Zürich, Ruzicka-Stiftung

So teilen die im Bildvordergrund schauenden Menschen mit dem Betrachter einen weiten Rundblick auf das Haarlemer Umland. In Jan Vermeers Bild erstreckt sich dieses Land von den hohen Dünen mit den fast greifbar nahen Grasbüscheln über den Abhang und die tieferen baumreichen Felder bis hin zur entfernten Stadtsilhouette mit der bekannten Sankt-Bavo-Kirche Haarlems.506 Ruisdaels Gemälde bietet einen weniger fließenden Übergang und zugleich eine weitaus detailreichere Aussicht, indem nahezu in einer Überschauperspektive sämtliche städtische Wahrzeichen vereint präsentiert werden, die in der Haarlemer Stadtlobdichtung tradiert sind507 – die übergroße Kirche am Horizont, das ausgedehnte Gewässer, die leuchtenden Bleichfelder bis hin zu der hohen

506 Vgl. dazu Volmert 2012a. 507 Leeflang sieht einen besonderen Bezug zwischen dem neuen Aufblühen der Stadtlobdichtung in der zweiten Jahrhunderthälfte und diesen ›Haerlempjes‹ Ruisdaels. Vgl. Leeflang 2002, 24.

ii. Das eigene arkadische Land

Abb. 55 Jan Vermeer van Haarlem: Blick auf Haarlem, um 1660, Öl auf Holz, 42,5 × 78 cm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Fondation Corboud

Dünenkuppe mit den rastenden Menschen im Bildvordergrund. Indem der Gipfel nur noch in einem kleinen Ausschnitt zu sehen ist und keine direkte Verbindung zum Bildbetrachter konstruiert wird, nimmt die Düne eine Zwischenstellung ein: Sie erscheint einerseits als ein weiteres charakteristisches Haarlemer Kennzeichen und andererseits als eine noch ›notwendige‹, nach wie vor bedeutsame Einleitung für den lokalpatriotischen Rundblick. Eine ähnliche einleitende Funktion hatte der Dünenhügel zuletzt am Beginn des 17. Jahrhunderts. Während des Waffenstillstandes, als mit Visschers Serie Plaisante Plaetsen die ersten ›reinen‹ Bilder der holländischen Landschaft entstanden, eröffnete die hohe Warte des Dünengipfels den Blick auf das Haarlemer Umland. Dieser Ausblick ist jedoch anders aufgefasst: Einzelne Sehenswürdigkeiten wie der Haarlemmerhout, die Bleichfelder, das Huis te Kleef und das tiefer gelegene Dünenland selbst sind bei Visscher in der Dünenlandschaft gleichsam in einem runden, umgrenzten Areal eingebettet. Demgegenüber ist die Landschaft in den späteren Panoramabildern jenseits des Hügels eine weit offene, nahezu grenzenlose Fläche, bei Ruisdael und Vermeer einzig gebremst von der hoch in die Wolken aufragenden Sankt-Bavo-Kirche. Aus dieser Perspektive erscheint Landschaft nicht mehr als ein in sich geschlossener historischer Schauplatz im Zeichen von identitätsstiftenden Wahrnehmungs- und Erinnerungsprozessen. Vielmehr ist die Dünenlandschaft durch die dynamischen und wechselseitigen Aneignungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte, in denen landschaftliche und kollektive Bilder aneinander entfaltet wurden, in ihrem Identifikationspotenzial wie auch in ihrem Eigenwert so weit entwickelt, dass sie nun einen repräsentativen Status erhält.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Während Ruisdaels früheres Brederode-Gemälde (Abb. 52) mit der Kombination des hohen Gipfels und des Schlosses noch von einer Ambivalenz imaginativer Projektion und Repräsentation zeugt, ist der Dünengipfel in seinem Bild Die Bleichen von Haarlem (Abb. 54) Teil eines klaren, panoramatischen Blickes, der sämtliche Wahrzeichen der Stadt einschließlich der hohen Düne selbst vereint. Die Repräsentation der Stadt bedient sich alter, mit Haarlem seit Jahrhunderten verknüpfter Attribute: Das vielfältige grüne und wasserreiche Umland, die leuchtenden Bleichfelder, die abgeschiedenen, breiten Dünen rufen den Topos des fruchtbaren Haarlemer locus amoenus in Erinnerung.508 Diese spezifische lokale Dimension der Haarlemer Landschaft hatte im 15. und 16. Jahrhundert zunächst die Entwicklung landschaftlicher Ausdrucksmittel im Rahmen politischer Grenzmarkierung und Identitätsfindung beflügelt: Die Dünenlandschaft wurde schließlich um 1600 in Flugschriften zu einem Grenzzeichen holländischer virtus und im lokalen Kontext des spezifischen Haarlemer Geschichtsbildes zu einem Erinnerungsort der überzeitlichen bürgerlichen virtus und der gräflichen Tradition. Durch diese an Bedeutung gewinnenden Prozesse kollektiven Erinnerns konnte die Dünenlandschaft auch jenseits einer spezifischen Haarlemer Geschichtstradition in der tonalen Landschaftsmalerei als ein Schauplatz holländischer Geschichte entwickelt werden. Um die Jahrhundertmitte ist das Blicken von Dünenanhöhen auf das Umland so intensiv ausgelotet, dass die Eigenheit der landschaftlichen Oberfläche selbst ins Blickfeld gerät. Damit implodiert zugleich die dynamische identitätsstiftende Dimension der Dünen. Sie kondensieren einerseits zu einem festen Monument beziehungsweise einer ›nationalen‹ Landschaft: So können sie als ein spezifisch holländisches Arkadien die vollendete Geschichte des vergangenen Krieges assoziieren oder das bukolische Potenzial holländischer Landschaft garantieren. Andererseits werden die Dünen in den Panoramabildern rückwirkend explizit zu einem besonderen Markenzeichen der Stadt Haarlem – indem nun, gewissermaßen umgekehrt zu älteren locus amoenus-Projektionen, die ästhetische Landschaft bereits als ein repräsentatives Mittel zur Verfügung steht, um die städtischen Vorzüge zu vereinen. In Weiterentwicklung von Visscher, der die Landschaft an die Darstellung ihres historischen Wertes bindet und sie daran erst in einzelnen Sequenzen entfaltet, und auch den tonalen Gemälden, die imaginative Leerstellen eines historisch relevanten Schauplatzes fokussieren, wird die Landschaft in diesen späten Bildern Ruisdaels und Vermeers im Detailreichtum ihrer eigenen Oberfläche ausgelotet. Zugleich ist es weiterhin ein Dünenhügel, der in die Panoramen einführt. Die Dünen sind aufgrund ihrer ›nationalen‹ Aufladung das Fundament der neuen Repräsentation der Republik – sowohl in ihrer arkadisch-gesamtholländischen Fassung als auch in den panoramatischen Stadtprofilen.

508 Siehe Anm. 507.

ii. Das eigene arkadische Land

Abb. 56 Frans Post: Brasilianische Landschaft mit Ameisenbär, 1649, Öl auf Holz, 52,8 × 69,3 cm, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek

Ein Vergleich zwischen den Panoramabildern Vermeers und Ruisdaels und der Brasilianischen Landschaft mit Ameisenbär (Abb. 56) von Frans Post mag abschließend die Bedeutung der alten Sehmuster in den neuen Ausblicken verdeutlichen. Als Post in den 1640er-Jahren von seiner Brasilienexpedition zurückgekehrt war, blieben Ansichten von der brasilianischen Landschaft auf dem konkurrenzgeprägten holländischen Kunstmarkt sein Spezialgebiet. So schuf er in den 1650er- und 1660er-Jahren mit seinen spezifisch brasilianischen Motiven eine eigene Variante von exotischen Panoramalandschaften.509 Mit ausgedehnten Plantagenländern und Flussgebieten konnten seine Gemälde die durch Ruisdael oder Vermeer bekannten holländischen Dünengebiete um Einblicke in fremde Gefilde ergänzen.

509 Generell zum Œuvre Posts vgl. Ausstellungskatalog 2006. Zu Posts Überführung von gezeichneten Motiven der brasilianischen Landschaft in konventionalisierte Darstellungsmuster der Malerei vgl. Fleckner 1991, v. a. 33–37. Vgl. zu Posts visuellen Strategien, den Betrachter einzubinden, Michalsky 2011, 326 ff.; zu einem Vergleich der verschieden angelegten Panoramen von Post und Vermeer vgl. auch Volmert 2012a.

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IV. Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620 Doch Posts Panoramaversion weist dem Betrachter jenseits ihrer ungewöhnlichen Motive eine andere Rolle und Position zu als die Landschaftsrundblicke der Zeitgenossen. So ist der Bildvordergrund seines Gemäldes Brasilianische Landschaft mit Ameisenbär geradezu programmatisch als eine Art schmückendes Rahmenwerk gestaltet: Der mittig zwischen dichten Gräsern und Blättern sichtbar postierte Ameisenbär, die über ihm vor dem Himmelsblau aufleuchtende Ananasfrucht, die hoch aufragende Palme und die direkt neben ihr sich auffächernde Bananenstaude ziehen den Blick des Betrachters unmittelbar auf sich. Zugleich grenzt dieses in vielen Schattierungen und scharfen Konturen ausgebreitete Spektrum des Exotischen den weiten Raum dahinter ab – hinter den filigranen Palmzweigen, dem kräftigen Gebüsch und den spitzen Gräsern entzieht sich das matte Blaugrün der Flussauen und sanften Hügel dem direkten Zugang des Betrachters. Bieten Ruisdaels oder Vermeers Panoramen keine derart abgetrennte stilisierte Präsentation der für Holland charakteristischen Pflanzen und Tiere, so führt wiederum keine von Posts brasilianischen Ansichten mit einem vergleichbaren Hügelblick in die Landschaft ein, bei dem der Betrachter eingeladen würde, mit einigen Menschen auf dem Gipfel die Aussicht zu teilen.510 Post wählt vielmehr einen visuellen Zugang, der gerade auf die Wahrnehmung der kulturellen Fremdheit ausgerichtet ist. So geht er von der Nichtzugehörigkeit des holländischen Bildbetrachters zu der brasilianischen Landschaft und ihren Menschen aus und konstruiert eine Sichtweise, die der Haltung eines interessierten, erwartungsvollen Rezipienten entspricht: Ihm bietet sich die Möglichkeit, in der deskriptiven Auffächerung exotischer Tier- und Pflanzenarten das Neue und Fremde zu studieren und zugleich mit dem Hintergrundpanorama einen vagen Gesamteindruck des fernen Gefildes zu erlangen. Eine mit Jan Vermeers und Ruisdaels Bildern vergleichbare Thematisierung von Landschaftsbetrachtung ist in den brasilianischen Ansichten Posts vielleicht gerade deshalb weniger vorstellbar, weil die visualisierte Betrachtung so intensiv mit der kulturellen Bedeutung des Erinnerns und der Vertrautheit belegt ist. In den neuen repräsentativen Panoramaausblicken der zweiten Jahrhunderthälfte rücken die Dünen im Unterschied zu den monochromen sandigen Weiten der älteren tonalen Gemälde an den Rand der Darstellung. Doch sie garantieren den Modus einer Repräsentation, die auf historischer Zugehörigkeit gründet.

510 Menschen sind bei Post vielmehr meist nur in der abgetrennten Weite zu erkennen.

Taf. 1 Jan van Goyen: Hügelige Landschaft mit Fischern, 1636, Öl auf Holz, 33 × 43,2 cm, Privatsammlung

Taf. 2 Anonymus: De Heraut (erstes Bild der Haarlemer Grafenporträts), um 1490, Öl auf Holz, 80 × 133 cm, Haarlem, Stadhuis

Taf. 3 Jan van Goyen: Dünenlandschaft, um 1630, Öl auf Holz, 36,3 × 54 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum

Taf. 4 Jan van Goyen: Dünenlandschaft mit zwei alten Wettereichen, 1641, Öl auf Leinwand, 88,5 × 110,5 cm, Amsterdam, Rijksmuseum

Taf. 5 Jacob van Ruisdael: Sandhügel mit Bäumen bewachsen, 1647, Öl auf Holz, 69,7 × 91,7 cm, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München

Taf. 6 Jacob van Ruisdael: Dünenlandschaft mit einem Eseltreiber, 1647, Öl auf Leinwand, 71,7 × 95,3 cm, Leipzig, Museum der bildenden Künste

Taf. 7 Jan Wijnants: Dünenlandschaft mit Hirten und Taverne, 1660, Öl auf Kupfer, 67 × 95,5 cm, Kunsthaus Zürich, Stiftung Betty und David Koetser, 1986

Taf. 8 Jan Porcellis: Schiffbruch am Strand, 1631, Öl auf Holz, 36,5 × 66,5 cm, Den Haag, Mauritshuis, Koninklijk Kabinet van Schilderijen

V.

Schlussbetrachtung

i. Resümee Es war das Ziel der vorliegenden Untersuchung, die identitätsstiftende politische Semantik holländischer Landschaft in einer medien- und zeitübergreifenden Perspektive zu analysieren. Im Zentrum stand dabei die These, dass die holländische Dünenlandschaft zu einem komplexen Zeichen politischer Abgrenzung und kollektiver Erinnerung entwickelt wurde. Im Folgenden möchte ich zunächst die wesentlichen Punkte resümieren, bevor ich im Anschluss einige weiterführende Schlussbemerkungen unternehme. Der erste Teil des Buches widmete sich frühen lokalen und regionalen Bedeutungsdimensionen der Haarlemer Landschaft. Besonders berücksichtigt wurde die Frage, inwieweit seit dem 15. Jahrhundert im Kontext von Stadtlobdichtung und historiografischen Werken identitätsstiftende Bedeutungszuweisungen nachweisbar werden und in welcher Beziehung sie zu dem später einsetzenden Prozess der Landschaftssemantisierung um 1600 stehen. So wurde dargelegt, dass die Landschaft des Haarlemer Raumes seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert zu einer diskursiven Schnittfläche verschiedener lokaler und überregionaler Mythen um gräfliche Herrschaftskontinuität, batavische Abstammung und bürgerliche virtus entwickelt wurde. In Stadtgedichten erscheint die Haarlemer Landschaft als locus amoenus zunehmend in einem narrativen Bezug zur virtus der Haarlemer Bürger; in verschiedenen Chroniken und einzelnen Regentenbildern wird sie darüber hinaus im Kontext politischer Herrschaftsrepräsentation bedeutsam, indem sie als ein Verweis auf die Ursprünge des ersten Grafensitzes die Kontinuität der holländischen Rechtsmacht mitgarantieren kann. Im Prozess dieser politisierenden Zeichenbildung gewinnt die Haarlemer Landschaft auch in dem im 16. Jahrhundert geführten historiografischen Diskurs um die batavischen Vorfahren der Holländer einen argumentativen Stellenwert, indem sie die dort verhandelten Vorstellungen von batavischer virtus und ursprünglicher Schönheit des batavischen Landes verbindet. Im zweiten Teil des Buches wurde untersucht, wie auf der Basis dieser Entwicklung Bilder von Dünen- und Küstenlandschaften gegen Ende des 16. Jahrhunderts schließlich in dem erweiterten semantischen Bezugsfeld der Bildpropaganda des Achtzigjährigen Krieges als Zeichen einer überhistorischen holländischen virtus und Herrschaftstradition

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V. Schlussbetrachtung eingesetzt werden konnten: Ich habe diskutiert, wie die Dünenlandschaft in propagandistischen Flugschriftbildern und -texten einerseits wie auch im spezifischen lokalpatriotischen Kontext Haarlems andererseits auf unterschiedliche Weise erstmals in einem breiteren öffentlichen Rahmen als identitätsstiftendes Zeichen erscheint, das an Projektionen von natürlicher und historischer Grenzziehung mitwirkt. So konnte im Kapitel »Grenzlandschaften in der Widerstandsdruckgrafik« zunächst herausgearbeitet werden, dass Dünenregionen in propagandistischen Flugschriftdrucken in formelhaft polarisierenden Bildmustern die Sphäre der holländischen Einheit gegenüber dem angreifenden Fremden kennzeichnen. In politisierenden Walstrandungsillustrationen markieren sie etwa die virtus der holländischen Verteidigungskraft, indem sie das Land gegenüber einer feindlich besetzten See abschirmen. Auch in Kontexten wie dem 1613 entstandenen Gedicht Hymnvs, Ofte Lof-Gesangh, Over de wijd-beroemde scheeps-vaert der Vereenighde Nederlanden Joost van den Vondels werden diese Konnotationen aufgerufen, wenn hier etwa die Stärke des oranischen Statthalters im Krieg gegen Spanien mit der Kraft der Dünen gleichgesetzt wird, die den wüsten Sturm der Wellen abwehren. Zum anderen konnten die Landschaftszeichen, wie erörtert wurde, vor allem in propagandistischen tuin-Darstellungen eine identitätsstiftende Wirkkraft entfalten. Es wurde dargelegt, dass der mit dem tuin generell formulierte Kontinuitätsanspruch holländischer Herrschaftstradition durch die Kombination des tuin-Zeichens mit diversen Landschaftszeichen verstärkt wurde. So zeigen viele Darstellungen in propagandistischen Flugschriften den tuin als Gartenareal, das in eine breitere Landschaft bzw. Dünenlandschaft eingebettet ist, in die wiederum jenseits des Gartenzauns die spanischen Angreifer eingedrungen sind: Als ein bereits entwickeltes eigenes Zeichen dynastischer Tradition, batavischer und holländischer virtus, so die zentrale These, konnte die den tuin grundierende Dünenlandschaft die Kontinuitätsprojektion untermauern. Zudem wurde durch die Struktur des tuin-Umland-Gefüges die verbreitete Vorstellung der legitimierten ›Rückeroberung‹ besetzten Terrains bedient, da die Diskrepanz zwischen dem umgrenzten Garten und seinem breiteren, feindlich belagerten Umland eine bereits vorgenommene Einschränkung des Gartens suggerieren konnte. Erst wenn im Kampf gegen die Belagerer die ganze Landschaft für den Garten der alten holländischen Privilegien zurückgewonnen ist, ist demnach die ›Natürlichkeit‹ der alten Herrschaftsverhältnisse zurückerlangt. Während des Waffenstillstandes entstandene tuin-Darstellungen verweisen so auch mit ihrer größeren landschaftlichen Ausdehnung der Gartenfläche auf das vorläufig zurückeroberte Land. Wie ich im Anschluss diskutiert habe, gerieten diese visuellen Grenzsysteme mit der während des Zwölfjährigen Waffenstillstandes (1609–1621) zunehmenden Historisierung der Kriegsvergangenheit an ihre Grenzen: Während Geschichtswerke wie auch popularisierende grafische Bildserien von Städteplünderungen die Möglichkeit boten, die jüngste Kriegsgeschichte in repetitiven Formeln als eine kollektive Erfahrung spanischer Gewaltmacht zu erinnern, blieben die tuin-Landschaft-Zeichen gerade durch ihre polarisierende

i. Resümee Gegenüberstellung der feindlichen Sphären stärker auf die schematische Vermittlung eines Status quo ausgerichtet, in den sich die Historizität einzelner Ereignisse nur bedingt einbetten ließ. Zwischen diesen beiden Polen identitätsstiftender Selbstbilder – der linear strukturierten Geschichtsnarration der Texte und Bildserien einerseits und dem Zustandsbild der tuin-Bilder andererseits – bildete sich, wie ich im Kapitel »Das Innere des Gartens. Historisierende Bilderfindungen in Haarlem« argumentiere, um die Jahrhundertwende ein vermittelnder Zwischenraum aus. So wurde die Haarlemer Dünenlandschaft, deren frühe Bedeutung wie erörtert bereits auf die Ausbildung der landschaftlichen Formeln der Widerstandsdruckgrafik einwirkte, um 1600 komplementär auch als ein ganzheitlicher Eigenraum konkretisiert: In Haarlemer Druckgrafiken, die von Künstlern wie Hendrick Goltzius und Claes Jansz. Visscher entwickelt wurden, umschreiben in sich geschlossene Landschaftsprospekte Erinnerungsorte lokaler und zugleich repräsentativer historischer Ereignisse. Sie konnten damit eine Art konkretisierende Innenansicht eines spezifischen, lokalen tuin suggerieren, der als historischer Schauplatz auf verschiedene Momente der älteren und der jüngeren Kriegsvergangenheit zugleich verweisen konnte. Die Haarlemer Dünenlandschaft wird so etwa in Claes Jansz. Visschers grafischer Bildfolge Plaisante Plaetsen zum lokalen Erinnerungsort der jüngeren Kriegsereignisse, der auch die ›Vorvergangenheit‹ eines vor der spanischen Verwüstung bereits gefestigten, gräflich-batavischen Landes einschließt. Indem es zur Vermittlung eines visuellen Rundgangs angelegt ist, bietet das serielle Format hier – im Unterschied zu den konsekutiven Bildfolgen spanischer Städteplünderungen – eine Verkettung historischer Assoziationen, die durch das Prinzip der Wiederholung potenziert werden. So eröffnen diese Bilder ganz nach der Devise des programmatischen Titelblattes die Möglichkeit, nicht allein historische Vergleiche zu ziehen, sondern auch die Gewissheit einer größeren historischen Ordnung zu vermitteln. Parallel entfalteten Texte der Jahrhundertwende wie etwa die Stadtgedichte Karel van Manders und Nicolaes van Wassenaars oder die Anthologie Den Nederduytschen Helicon eine kontemplativ-historisierende Dimension der Haarlemer Landschaft. Die Landschaft sollte zum Verweilen und zum Betrachten der Vergangenheit anregen, und die Haarlemer Düne Witte Blink wurde darüber hinaus von verschiedenen Autoren zu einem holländischen Helikon deklariert. In Visschers Serie wiederum wird der Akt der müßigen Landschaftsbetrachtung auf verschiedenen Ebenen thematisiert und stärkt so den Eindruck einer historisierenden Erinnerungsreise, indem die durch das gezeigte Schauen auf ›alte‹ Landschaftsschauplätze evozierte ästhetische Distanz eine symbolisch gefestigte kollektive Erinnerung suggeriert. Sind die frühen Grafiken darauf angelegt, eine überzeitlich parallelisierende historische Ordnung bühnenartig zu präsentieren, so richtet sich der Fokus späterer Landschaftsdarstellungen zunehmend auf die Suggestion der kollektiven Zugehörigkeit zu dieser Ordnung. So wurde im Kapitel »Grenzenloser Garten. Dünenbilder nach 1620«

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V. Schlussbetrachtung aufgezeigt, dass in der tonalen Malerei der 1620er- und 1630er-Jahre die Anhöhe eines Dünenhügels nicht mehr, wie in den frühen Grafiken um 1600, einleitend im Bildvordergrund den Einblick in ein Landschaftsgebiet eröffnet; vielmehr ist der Dünenblick in die Tiefe des Bildes verschoben und wird so zu einem festen Bestandteil einer grenzenlos erscheinenden Landschaft, die von Menschen betrachtet wird: Viele Bilder Jan van Goyens, Pieter de Molijns und Salomon van Ruysdaels zeigen ausgedehnte Dünengebiete mit brüchigen, alten Zäunen und vereinzelten Anhöhen, auf denen häufig Menschen zu sehen sind, die an diesem Aussichtspunkt auf die Weite der Landschaft schauen. Welche historischen Konnotationen dieses thematisierte Blicken auf Dünenlandschaften bei einem zeitgenössischen Bildbetrachter auslösen konnte, wurde an diesen Darstellungen vor dem Hintergrund der vorangehenden Untersuchungen der Semantisierungsprozesse analysiert. Dabei erfolgte zudem eine vergleichende Betrachtung der historisierenden Dimensionen von Landschaft in Dichtung und Stadthistoriografie, ebenso wurden zeitgenössische kunsttheoretische Vorstellungen zu den reflexiven, imaginativen Prozessen der Bildbetrachtung diskutiert. Ich habe argumentiert, dass die Bilder mit der Verbindung von aufgelösten, brüchigen Zaunspuren und ›leeren‹, weiten Dünenstrecken die Dimension einer Einheit von Dünen und tuin, eines in der Dünenlandschaft entgrenzten, aufgelösten Gartens, evozieren, die die Vergangenheit des Krieges aufruft. Dieses als alt und historisch inszenierte Land wird durch Staffage und oft szenenartig gestalteten Lichteinfall als kollektiver ›Schau-Platz‹ definiert, an dem Menschen auf die Dünen blicken. Das inszenierte Schauen regt die Vorstellungskraft des Bildbetrachters an, der zudem über sich zur Bildgrenze hin öffnende Sandwege den Eindruck einer nahezu greifbaren Nähe zur Bildebene erhält. Die ›Dünentuin-Landschaften‹ rufen beim zeitgenössischen Betrachter nicht allein die Einheit jüngerer und älterer holländischer Geschichte in Erinnerung, sondern sie suggerieren zugleich auch seine Zugehörigkeit zu der ›selbstverständlichen‹ Erinnerungsgemeinschaft der auf das Land sehenden Menschen. Um die Jahrhundertmitte wird diese Thematisierung des Landschaftsblicks in den Dünenbildern Jacob van Ruisdaels noch einmal gesteigert. So wird, in deutlicher Auseinandersetzung mit den Bildern der älteren Generation, eine einzelne hohe Düne als ein entrückter, idyllischer Aussichtspunkt in Szene gesetzt. Zugleich erscheint dieser Ausblick auf dem Gipfel, nicht zuletzt durch eine neuartige, detail- und farbenreiche Schilderung der Vegetation, als Höhepunkt einer Wanderung in die Abgeschiedenheit eines arkadisierten Dünenlandes. Zur selben Zeit wird in Vondels Drama De Leeuwendalers (1647) ein pastoralisiertes Dünenland zum Schauplatz eines arkadischen Friedensschlusses, der auf den nahenden Westfälischen Frieden anspielt. Anhand dieser literarischen und visuellen ›pastoralen Entrückungen‹ der Dünenlandschaft wurde dargelegt, dass Dünenbilder, indem sie um die Jahrhundertmitte als das Fundament des historischen holländischen tuin konnotiert sind, in einer neuen politischen Ära der Republik auch die Abgeschlossenheit seiner ›klassischen‹ nationalen Geschichte bezeichnen können.

ii. Grenzen und Schau-Plätze. Ein Ausblick Das letzte Kapitel schließlich skizzierte die Konsequenzen dieser Entwicklung. Ich habe aufgezeigt, wie die aktive identitätsstiftende Bedeutungsfunktion der Dünen nach dem pastoralen ›Gipfelpunkt‹ bei Ruisdael in der Folgezeit allmählich nachlässt. In der anbrechenden neuen politischen Ära der holländischen Republik kondensieren die ehemals aktiv entwickelten Landschaftszeichen kollektiver Abgrenzung und Erinnerung zunehmend zu repräsentativen Symbolen des Städtischen wie des Landes. So ist den Dünen einerseits in ›Mischlandschaften‹ von Jan Wijnants ein gesteigertes arkadisches Potenzial zugesprochen, indem sie in italianisierenden Szenerien als einheimisches idyllisches Motiv integriert sind. Andererseits bieten sie in Panoramalandschaften der 1660erund 1670er-Jahre, wie sie etwa Ruisdael in seinen Haerlempjes schuf, im Bildvordergrund einen neuen Aussichtspunkt für einen weiten Rundblick über die holländische Landschaft. Durch die vorangegangene intensive identitätsstiftende Auseinandersetzung ist die Düne kulturell und piktoral so weit erschlossen, dass sie nun auch in einer neuen landschaftlichen Dimension ›erklommen‹ werden kann. So ist es nicht mehr der Dünengipfel mit den schauenden Menschen selbst, der für den Bildbetrachter den Horizont ausfüllt und so seine Vorstellungskraft aktiviert – stattdessen wird nun das jenseits der Dünen liegende Land in seiner detailreichen Oberfläche als Panorama freigegeben. Sowohl diese panoramatischen Stadtprofile als auch die arkadisierten Dünenbilder zeugen davon, dass die Düne in der zweiten Jahrhunderthälfte den Status eines ›nationalen‹ Symbols einnimmt, das ein gefestigtes historisches Selbstverständnis impliziert. Dabei wirken beide in der ersten Jahrhunderthälfte prägenden Erscheinungsformen der Düne noch nach: die Dünen als (Blick-)Grenze in den Panoramabildern, die Dünen als fundierendes, weites Land in den ›Mischlandschaften‹. Sind diese Ebenen in den Gemälden der ersten Jahrhunderthälfte noch zu einem identitätsstiftenden Schau-Platz vereint, in dem die Bilder einer kollektiven Erinnerungsgemeinschaft erst formiert werden, bieten sie in diesen späteren Darstellungen zwei verschiedene Formen nationaler Repräsentation. In der Grundierung eines klassischen holländischen Arkadien repräsentieren die weiten Dünen die Vollendung einer kollektiven Kriegsvergangenheit, als Aussichtspunkt auf das Haarlemer Umland führen sie die Wahrzeichen der selbstbewussten holländischen Stadt an.

ii. Grenzen und Schau-Plätze. Ein Ausblick Jan Porcellis’ Gemälde Schiffbruch am Strand (Taf. 8) ist eines der seltenen holländischen Seebilder, die das Kentern eines Schiffes vor der einheimischen Küste darstellen. In den meisten Marinebildern des 17. Jahrhunderts ist die Seenot aus einer anderen Perspektive thematisiert. So zeigen viele Bilder, wie beispielsweise Claes Claesz. Wous Stürmische See mit Schiffbruch (Abb. 57), wie ein Schiff an einer Küste zu zerschellen droht, die durch spitze Felsen als fremdländisch charakterisiert ist. Eine ebenfalls häufige Variante für die Darstellung von Gefahren der Seefahrt ist das Treiben eines oder mehrerer Schiffe auf

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V. Schlussbetrachtung

Abb. 57 Claes Claesz. Wou: Stürmische See mit Schiffbruch, Mitte 17. Jh., Öl auf Holz, 52 × 95 cm, Privatsammlung

Abb. 58 Willem van de Velde d.J.: Schiffe auf stürmischer See, um 1671/72, Öl auf Leinwand, 132,2 × 191,9 cm, Toledo, Toledo Museum of Art

ii. Grenzen und Schau-Plätze. Ein Ausblick hoher See, die den Wellen eines heftigen Unwetters ausgeliefert sind, wie etwa in Willem van de Veldes d. J. Gemälde Schiffe auf stürmischer See (Abb. 58). Der holländische Strand ist demgegenüber zumeist kein Schauplatz solcher bedrohlichen Situationen. Oft erscheint er mit ruhiger See und klarem Wetter als ein friedlich belebter Ort. In vielen Gemälden der ersten Jahrhunderthälfte wie dem oben diskutierten Bild van de Veldes, Die Küste bei Scheveningen (Abb. 46), repräsentieren dort arbeitsame Fischer und wandelnde Städter die einträchtige Bandbreite der holländischen Gesellschaft.511 Auch in Porcellis’ Bild finden sich im Vordergrund ein vornehm gekleidetes Paar und weiter hinten einige Fischer, die am Strand ihre Boote versorgen. Doch sind diese Figuren im Unterschied zu vielen anderen Darstellungen der holländischen Küste mit einer Szenerie von dramatischer Spannung verbunden: Eine dunkle, schwere Wolkenfront hat sich am Horizont aufgetürmt und rollt wellenartig über die See auf das Land zu. Von ihren schwärzesten und tiefsten Ausläufern direkt über dem Wasser erscheinen die Schiffe geradezu verschluckt, sodass sie kaum noch als eigenständige Körper wahrnehmbar sind. Auf diese Weise ist der Schiffbruch selbst kein bildbeherrschendes Element, sondern vielmehr ein Teil eines größeren atmosphärischen Gesamtbildes des treibenden Wolkensturmes. Dieser Eindruck wird nicht zuletzt durch die Organisation des Bildvordergrundes hervorgerufen. So wird das Bild mit einer Dünenanhöhe eröffnet, die durch den Lichteinfall von dem tiefer gelegenen Strand scharf abgetrennt ist. Im hell ausgeleuchteten Halbrund blickt dort das Städterpaar wie von einer Loge aus hinunter auf die Strandszene.512 Aus dieser Perspektive wird auch der Betrachter eingeladen, imaginativ den sandigen Grund der Düne zu betreten und den distanzierten Blick auf die Küste zu teilen. Die gefahrvolle Szene im Meer, ohnehin atmosphärisch in der Sturmwolke verdunkelt, wird somit durch die vorgeschobene Ebene des Aussichtspunktes gleichsam als ein Bild in einem Bild entrückt. In der sicheren Abgrenzung des Strandes bzw. des Betrachterstandpunktes vom Ort des Schiffbruchgeschehens spielt weniger das haptische Grenzspiel zwischen einem ›angreifenden‹ Meer und schützenden Dünen eine Rolle, wie es etwa aus den propagandistischen Grafiken des ausgehenden 16. Jahrhunderts tradiert ist. Vielmehr wird das Meer mit den Wolken und den treibenden Schiffen als eine diffuse atmosphärische Einheit optisch von den scharf ausgeleuchteten Dünen getrennt. Durch den Kontrast zwischen diesem nahen, hell markierten Ort des Schauens und dem entfernten Schiffbruch in dunklen Sturmwolken wird umso stärker ersichtlich, dass die Dünen hier weniger einen unmittelbaren Schutzwall vor den Gefahren der See bezeichnen, sondern vielmehr eine

511 Vgl. zu den Darstellungskonventionen der Marinemalerei vor allem Goedde 1986; Goedde 1989; Goedde 1996; Müller-Wusterwitz 2007. 512 George Keyes bemerkt zu dieser Perspektive, dass der Blick wie aus einem Amphitheater erfolge. Vgl. Ausstellungskatalog 1990, 132, Nr. 23.

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V. Schlussbetrachtung Distanz schaffende ästhetische Blickgrenze, die den bei van Goyen, van Ruysdael, de Molijn oder van Ruisdael geschilderten Orten des Schauens ähnelt (Taf. 3, 5, 6; Abb. 45, 47, 48). Das Gemälde Schiffbruch am Strand eröffnet so durch seine ungewöhnliche Perspektive komplementär zu van Goyens und van Ruysdaels ›Innenblicken‹ auf das Dünenland eine Art historisierenden ›Außenblick‹ von den Dünen auf die See. Der aufziehende Wolkensturm, der bedrohlich auf die holländische Küste zurollt, kann auf eine propagandistische Bildtradition anspielen, die in Küstendarstellungen den Widerstand gegen Spanien als einen Kampf gegen die Unwägbarkeiten eines unerwartet hereinbrechenden spanischen Angriffs ausdeutet. Doch als Bild im Bild ist der Ansturm zur historisierenden Erinnerung verblasst. Der Blick von den Dünen hinunter zum Strand wird zu einer (Rück)Schau auf die Grenzkämpfe des Landes. Viele Seebilder reizen die Spannung der Seegefahren aus, indem sie das Kentern oder das bedrohliche Treiben der Schiffe an fremdländische, exotische Küsten oder in die Weite des Ozeans bannen.513 Die Notlage auf See kann dem Betrachter somit in der sicheren Ferne eines unbestimmbaren landschaftlichen Gefildes geschildert werden. Indem Porcellis’ eher ungewöhnliches Gemälde eine Strandung an der einheimischen See mit einer Dünenaussicht verbindet, regt es über die politischen Bedeutungsmuster hinaus auch dazu an, die generellen Darstellungsmöglichkeiten der verschiedenen Landschaftselemente zu reflektieren: In diesem Bild wird die Kombination eines Schiffbruchs mit einer holländischen Küstenszenerie piktoral vielleicht gerade dadurch erst ›legitimiert‹, dass ein atmosphärisch bestimmtes Spannungsfeld zwischen der See und der Dünenaussicht eine ästhetische Distanz eröffnet, durch die die Strandung als Bild in einem Bild wahrgenommen werden kann. Es ist diese Ebene der landschaftsästhetischen Distanz, auf die auch der holländische Dichter Johan de Brune abzielt, wenn er in seiner 1657 verfassten kommentierten Sprichwortanthologie Banket-werk van goede gedachten zum spanischen Sprichwort »La pintura y la pelea, desde lexos me la otea« (»Das Gemälde und die Schlacht, die betrachte ich mir von fern«) schreibt: »Es ist besser, von einer Düne den Schiffbruch anzuschauen, als auf einer Planke oder einem Brett zu treiben, in der Hoffnung, an Land zu kommen. Kampf und Gemälde wollen aus der Ferne betrachtet sein.«514 Diese kleine Betrachtung prägt ein (auch landschaftsspezifisches) Spannungsfeld von Immersion und Distanz: Die Immersion bzw. das Eingetauchtsein in einem situativen Raum wird am Beispiel eines weitgehend überwältigenden, fremdbestimmten Gesche513 Vgl. Goedde 1996, 60 ff. 514 »[…] ’t Is beter van een duyn de schip-braeck aen te schouwen, als op een planck of luyck te drijven, op hope van aen land te komen. Ghevecht en schilderijen willen van verre ghezien zijn. La pintura y la pelea, desde lexos me la otea.« Johan de Brune: Verre van ghevaer. In: Brune 1657, Nr. DCCXCVIII.

ii. Grenzen und Schau-Plätze. Ein Ausblick hens (des Schiffbruches) als ungewiss ausgehendes Treiben verhandelt, dem die Möglichkeit einer vorausschauenden und beurteilenden Übersicht fehlt. Es ist nicht allein ex negativo die Dimension der schieren Gefahr, der es durch Ferne auszuweichen gilt. Die Distanz schafft, und dies verdeutlicht sich durch die folgende Gleichsetzung von Gemälde und Kampf, eine Sphäre des gewissermaßen unbeteiligten Schauens, das das von Weitem gesehene überwältigende Geschehen in seiner Bildlichkeit begreifen lässt. In der ästhetischen Dimension der distanzierten Betrachtung, die ein Gemälde einfordert, werden auch eine Schlacht oder ein Schiffbruch zu einer in sich geschlossenen überschauten Landschaft – und damit zugleich zu einem Bild. Einen möglichen Ausgangspunkt für eine solche landschaftsformende Distanz nennt De Brune gleich zu Beginn: Es ist der Gipfel einer Düne. In holländischen Landschaftsgemälden werden die Dünen in vielen Bildern, nicht zuletzt auch direkt in den frühesten Darstellungen holländischer Landschaft, zu einem ›Schau-Platz‹, der den imaginativen Zugang zur Landschaft anbietet. Ein selbstreflexiver Status des Bildes lässt sich aus dieser weiterführenden Perspektive mit der landschaftsästhetischen Kategorie der wahrnehmungsspezifischen Distanz zu einem gesehenen, quasibildlichen ›Ausschnitt‹ in Verbindung bringen, die aus landschaftstheoretischer Sicht häufig als Indiz der Entwicklung eines frühneuzeitlich-modernen kulturellen Landschaftsbegriffs betrachtet wird. Zugleich werden angesichts des langfristigen Semantisierungsprozesses, in dem diese Darstellungen, wie oben diskutiert, verortet werden können, die komplexen Verschränkungen ganz unterschiedlicher kultureller Landschaftsdiskurse sichtbar, die das Blickfeld über die ›Genese‹ dieser ästhetischen Distanz hinaus wesentlich erweitern.515

515 Bekanntermaßen prägte zunächst Joachim Ritter die These, dass die ästhetische Distanz zu einer zunehmend als (ökonomisch und wissenschaftlich) objektivierbar und vereinnahmbar erfahrenen Natur für das Aufkommen eines neuzeitlichen Landschaftsverständnisses von entscheidender Bedeutung war. Vgl. Ritter 1974. Zahlreiche Studien haben sich kritisch mit Ritters subjektivistischem Landschaftsbegriff und seiner zeitlichen Verortung auseinandergesetzt, vgl. z. B. Groh/Groh 1991. Für eine konzise Analyse der verschiedenen Theorien zur Genese eines neuzeitlichen Landschaftsverständnisses vgl. Kirchhoff/Trepl 2009, 25–42. Die enge Bindung der Idee der Landschaft an ästhetische Kategorien von Bildlichkeit, Harmonie und Einheit, die bereits in Georg Simmels Philosophie der Landschaft (1913) aufscheint (Simmel 1957), ist vor allem in den letzten Jahrzehnten von Landschaftstheorien relativiert worden, die etwa das Partikulare, Fluide und Heterogene zum Ausgangspunkt neuer Begriffsbildungen nahmen. Vgl. etwa Franzen/Krebs 2006; Franzen/Krebs 2005; Krebs/ Seifert 2012; vgl. auch die Übersicht bei Fischer 2008. Im engeren Feld der Kunstwissenschaft hat sich seit den 1980er-Jahren eine kritische Hinterfragung des ›klassischen‹ Landschaftsbegriffes abgezeichnet. Wegweisend war hier u. a. W. J.T. Mitchells Kritik an einer verabsolutierenden Konzentration – die er als ›Gralssuche‹ (Mitchell 1995, 104) bezeichnete – auf eine (in der frühneuzeitlichen Malerei vermeintlich schrittweise erschlossene) Zielgerade des Realismus, die etwa außereuropäische wie auch zeitlich vor der Renaissance liegende Bedeutungszusammenhänge von Landschaft ausblende. Vgl. Mitchell 1995; Mitchell 1994.

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V. Schlussbetrachtung Neben landschaftsspezifischen Fragen bietet die vorliegende Analyse identitätsstiftender Sehprozesse in der Landschaftsmalerei an etlichen Stellen auch Anlass, sich eingehender mit dem paradigmatischen Wandel zu beschäftigen, der sich zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert in der Speicherung und Vermittlung von Wissen vollzieht. Im Laufe des 17. Jahrhunderts werden beispielsweise in Texten wie auch in Bildern verschiedene Strategien sichtbar, um historisches Wissen einerseits so breit und umfassend wie möglich, andererseits aber auch portioniert und effektvoll zu vermitteln. In der obigen Diskussion konnte etwa aufgezeigt werden, dass historische Begebenheiten wie die Schlacht des Witte van Haemstede, die Haarlemer Belagerung und die Eroberung Damiettes in historiografischen Texten wie auch in Bildern häufig in parallelisierenden Narrationen zu übergreifenden Exempeln verdichtet wurden. Nicht zuletzt auf diese Weise konnten in Historienwerken die Begebenheiten gerade in der breiten Fülle zahlreicher Kapitel in eine sinnstiftende Gesamtordnung überführt und strukturiert werden. So zeigte sich beispielsweise, dass ein Chronist wie Samuel van Ampzing in seiner äußerst umfangreichen Chronik auf die Begebenheit um Witte an verschiedenen Stellen eingeht und diese dabei jeweils in einen einprägsamen Zusammenhang stellt. Zum einen etwa zieht er den oben zitierten Vergleich mit der Haarlemer Belagerung, der beide Ereignisse jenseits ihres großen zeitlichen Abstands zueinander unter dem besonderen Bild von Haarlem als einer starken Abwehrmauer effektvoll zusammenführt. Zugleich zeigt sich jedoch an anderer Stelle, als Ampzing erneut auf das Ereignis um Witte van Haemstede eingeht, dass er einen deutlich assoziativeren Zugang wählt, um dem Leser die Besonderheit der Begebenheit eindrücklich vor Augen zu führen und ins Gedächtnis zu überführen. So erinnert er, wie oben beschrieben, in seinem im fünften Kapitel geschilderten Rundgang durch die Haarlemer Landschaft an die Begebenheit um Witte, als er an der hohen Düne Witte Blink angelangt ist. Im Folgenden wird über das landschaftliche Bild ein besonderes Spannungsfeld erzeugt: Die Geschichte von Witte wird nicht mittels der expliziten Parallelisierung mit anderen Ereignissen ins Gedächtnis gerufen, sondern über imaginative ›Leerstellen‹, die mit der Suggestion des Erinnerungsortes in Zusammenhang stehen. So behauptet Ampzing, dass der Name Witte Blink etymologisch auf das Erscheinen Wittes mit seinen blinkenden Bannern an diesem Ort verweise, nachdem er den Namen zuvor mit dem unmittelbaren Leuchten der Düne selbst in Verbindung gebracht hat. Er erzeugt auf diese Weise gleich zu Beginn dieser Passage ein effektvolles Erinnerungsbild, das über das verheißungsvolle Leuchten der Banner das siegreiche Geschehen impliziert. Dieses Bild bleibt für den weiteren Aufbau der gesamten Passage bedeutsam. Denn, wie oben ausgeführt, beschreibt Ampzing im Folgenden zwar die Vorgeschichte des Konflikts, die er auch mit älteren Quellenbelegen anreichert; er spart aber dann, als er nach den zitierten älteren Quellen mit seiner Betrachtung fortfährt, die Schilderung des Siegeszugs aus, um direkt in einem Schlusslob der berühmten Düne zu münden. Dem Leser wird nahegelegt, diese Auslassung in Gedanken zu ergänzen – nicht zuletzt effektvoll

ii. Grenzen und Schau-Plätze. Ein Ausblick angeregt durch das zuerst entworfene Bild der blinkenden Düne, die die rettenden blinkenden Banner Wittes im Gedächtnis aufruft. Über die als bereits etablierter Erinnerungsort suggerierte Landschaft kann historisches Wissen jenseits der expliziten Parallelisierungsstruktur über assoziative ›Leerstellen‹ vermittelt werden. In der Landschaftsmalerei ist es zur selben Zeit die Suggestion des kollektiven Sehens, die das Scharnier der visuellen ›Leerstellen‹ bildet. Die Landschaftsbilder tragen auf diese Weise ganz wesentlich dazu bei, die sich wandelnden Modalitäten historischer Wissensvermittlung und kultureller Erinnerungskonzepte zu reflektieren.516 Sie partizipieren an einer Entwicklung, die Aleida Assmann als eine Aufwertung der (Wieder)Erinnerung als einer dynamischen vis gekennzeichnet hat.517 Am Beginn des 18. Jahrhunderts manifestiert sich dieser Wandel in einer zunehmenden Ausdifferenzierung von Konzepten subjektorientierter Erinnerung einerseits und objektorientierter, archivarischer Speicherung andererseits. Der Versuch einer theatralen Vereinigung des Wissbaren in Form einer rhetorisch durchdrungenen argumentativen Gesamtstruktur nimmt so zugunsten eines Wissenssystems ab, das expliziter auf der Akzeptanz von Unvollständigkeit einerseits und neuer kategorialer bzw. enzyklopädischer Ordnungen andererseits aufbaut. In dem ganz zu Beginn dieser Untersuchung angeführten Frontispiz des Index Batavicus von Adriaan Pars (Abb. 1) wird dieser Wandel sichtbar. Ein Dünenhügel, auf dem Hollandia und der Löwe vereint sind, ist hier noch der Ort einer einheitsstiftenden nationalen Repräsentation. Doch die am Boden verstreuten antiken Funde und das sich auftürmende, über den Bildrand hinausragende Bücherregal verweisen darauf, dass das historische Selbstbild des Landes auf einem gewandelten Wissensverständnis gründet: Das Dünengebiet beheimatet batavische und holländische Geschichte in einer Vielzahl von Kompendien und Funden, in denen Wissen einteilbar, nachschlagbar und auswählbar wird.

516 Vgl. Volmert 2013, 161 ff. 517 Vgl. Assmann 1999, 30 f.; 89–113.

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VI.

Anhang

Literaturverzeichnis Adams 1994 Ann Jensen Adams: Competing Communities in the ›Great Bog of Europe.‹ Identity and Seventeenth-Century Dutch Landscape Painting. In: William J. T. Mitchell (Hrsg.): Landscape and Power. Chicago 1994, 35–76. Allan 1874 Francis Allan: Geschiedenis en beschrijving van Haarlem, van de vroegste tijden tot op onze dagen. Bd. 1. Haarlem 1874. Allan 1877 Francis Allan: Geschiedenis en Beschrijving van Haarlem, van de vroegste tijden tot op onze dagen. Bd. 2. Haarlem 1877. Alpers 1998 Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. 2. Auflage, Köln 1998 (1. Ausgabe: The Art of Describing: Dutch Art in the Seventeenth Century. Chicago 1983). Ampzing 1628 Samuel van Ampzing: Beschrijvinge ende Lof der Stadt Haerlem. Haarlem 1628. Anderson 1983 Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 1983. Anonymus 1608 Ware Verthooning ende afbeeldinghe van eenen dooden ende meest half verrotten Vis, door die Zee aen der strande op gheworpen den 20. der Maent September, Anno 1608 […]. Middelburg 1608. Anrooij 1993 Wim van Anrooij: Middeleeuwse sporen van de Haarlemse Damiate-legende. In: Grootes 1993a, 11–26. Anrooij 1997 Wim van Anrooij (Hrsg.): De Haarlemse gravenportretten. Hollandse geschiedenis in woord en beeld. Hilversum 1997. Arents 1724 Thomas Arents: Vreugde Galm over de vrede, tusschen zyne majesteyt van groot Brittannie en de H. M. Heren Staten Generaal der Verenigde Nederlanden (1674). In: Thomas Arents: Mengel-poëzy. Hrsg. von M. Brouërius van Nidek. Amsterdam 1724, 4. Ashton/Davies/Slive 1982 Peter Ashton, Alice E. Davies und Seymour Slive: Jacob van Ruisdael’s Trees. In: Arnoldia. Journal of the Arnold Arboretum of Harvard University 42 (1982), Nr. 1, 2–31.

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VI. Anhang Assmann 1998 Aleida Assmann: Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Nationale Diskurse zwischen Ethnisierung und Universalisierung. In: Ulrich Bielefeld und Gisela Engel (Hrsg.): Bilder der Nation. Kulturelle und politische Konstruktionen des Nationalen am Beginn der europäischen Moderne. Hamburg 1998, 379–400. Assmann 1999 Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. Assmann 2002 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. 4. Auflage, München 2002. Aurelius 1609 Cornelius Aurelius: Batavia, sive de antiquo veroque eius Insulae quam Rhenus in Hollandia facit situ […]. Liber I: Defensio Gloriae Batavinae (1508); Liber II: Elucidarium variarum quaestionum super Batavina regione et differentia (1516). In: Scriverius 1609, 75–126. Aurelius 2011 Cornelius Aurelius: Die cronycke van Hollandt, Zeelandt ende Vrieslant, met die cronike der biscoppen van Uutrecht (Divisiekroniek) (Leiden 1517). Hrsg. von Aarnoud de Hamer. O.O. 2011, URL: http:// www.dbnl.org/tekst/aure001cron02_01/index.php (18. 1.2013) Ausstellungskatalog 1979 Irene de Groot (Hrsg.): Landscape Etchings by the Dutch Masters of the Seventeenth Century. Ausstellungskatalog. Amsterdam (Rijksmuseum). Maarssen 1979. Ausstellungskatalog 1986 Christopher Brown (Hrsg.): Dutch Landscape: The Early Years. Ausstellungskatalog. London (The National Gallery). London 1986. Ausstellungskatalog 1987 Peter Sutton (Hrsg.): Masters of 17th-Century Dutch Landscape Painting. Ausstellungskatalog. Amsterdam (Rijksmuseum), Boston (Museum of Fine Arts), Philadelphia (Philadelphia Museum of Art). Boston 1987. Ausstellungskatalog 1990 George S. Keyes (Hrsg.): Mirror of Empire. Dutch Marine Art of the Seventeenth Century. Ausstellungskatalog. Minneapolis (The Minneapolis Institute of Arts), Toledo (The Toledo Museum of Art), Los Angeles (County Museum of Art). Cambridge, MA, 1990. Ausstellungskatalog 1993 Thea Vignau-Wilberg (Hrsg.): Das Land am Meer. Holländische Landschaft im 17. Jahrhundert. Ausstellungskatalog. München (Staatliche Graphische Sammlung), Bonn (Rheinisches Landesmuseum). München 1993. Ausstellungskatalog 1995 Boudewijn Bakker und Huigen Leeflang (Hrsg.): Nach der Natur. Holländische Landschaftsgraphik aus dem Goldenen Jahrhundert. Ausstellungskatalog. Saarbrücken (Saarland Museum), Lübeck (Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck). Zwolle 1995. Ausstellungskatalog 1995a Koos Levy-Van Halm, Epco Runia und Bert Sliggers (Hrsg.): De trots van Haarlem. Promotie van een stad in kunst en historie. Ausstellungskatalog. Haarlem (Frans Hals Museum/Teylers Museum). Haarlem 1995. Ausstellungskatalog 1996 Jeroen Giltaij und Jan Kelch (Hrsg.): Herren der Meere – Meister der Kunst. Das holländische Seebild im 17. Jahrhundert. Ausstellungskatalog. Rotterdam (Museum Boijmans Van Beuningen), Berlin (Gemäldegalerie im Bodemuseum). Rotterdam 1996.

VI. Anhang Ausstellungskatalog 1996a Christiaan Vogelaar (Hrsg.): Jan van Goyen. Ausstellungskatalog. Leiden (Stedelijk Museum De Lakenhal). Zwolle 1996. Ausstellungskatalog 1999 Horst Lademacher (Hrsg.): Onder den Oranje boom. Niederländische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fürstenhöfen. Textband: Dynastie in der Republik. Das Haus OranienNassau als Vermittler niederländischer Kultur in deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert. Ausstellungskatalog. Krefeld (Kaiser-Wilhelm-Museum), Oranienburg (Schloss Oranienburg), Apeldoorn (Palais Het Loo). München 1999. Ausstellungskatalog 2002 Jürgen Müller, Petra Roettig und Andreas Stolzenburg (Hrsg.): Die Masken der Schönheit. Hendrick Goltzius und das Kunstideal um 1600. Ausstellungskatalog. Hamburg (Hamburger Kunsthalle). Hamburg 2002. Ausstellungskatalog 2002a Pieter Biesboer und Martina Sitt (Hrsg.): Jacob van Ruisdael. Die Revolution der Landschaft. Ausstellungskatalog. Hamburg (Hamburger Kunsthalle), Haarlem (Frans Hals Museum). Zwolle 2002. Ausstellungskatalog 2003 Huigen Leeflang, Ger Luijten und Lawrence W. Nichols (Hrsg.): Hendrick Goltzius (1558–1617). Drawings, Prints and Paintings. Ausstellungskatalog. Amsterdam (Rijksmuseum), New York (The Metropolitan Museum of Art), Toledo (The Toledo Museum of Art). Zwolle 2003. Ausstellungskatalog 2004 Louis Swinkels (Hrsg.): De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk. Ausstellungskatalog. Nijmegen (Museum Het Valkhof ). Amsterdam 2004. Ausstellungskatalog 2004a Dirk Luckow (Hrsg.): Augenkitzel. Barocke Meisterwerke und die Kunst des Informel. Ausstellungskatalog. Kiel (Kunsthalle). Kiel 2004. Ausstellungskatalog 2005 Susan Donahue Kuretsky und Walter S. Gibson (Hrsg.): Time and Transformation in Seventeenth-Century Dutch Art. Ausstellungskatalog. Poughkeepsie, NY (Frances Lehman Loeb Art Center, Vassar College), Sarasota, FL (John and Mable Ringling Museum of Art), Louisville, KY (The Speed Art Museum). Poughkeepsie, NY, 2005. Ausstellungskatalog 2006 Léon Krempel (Hrsg.): Frans Post (1612–1680). Maler des Verlorenen Paradieses. Ausstellungskatalog. München (Haus der Kunst). Petersberg 2006. Bätschmann 1989 Oskar Bätschmann: Entfernung der Natur. Landschaftsmalerei, 1750–1920. Köln 1989. Bakker 1993 Boudewijn Bakker: Levenspelgrimage of vrome wandeling? Claes Visscher en zijn serie Plaisante Plaetsen. In: Oud Holland 107 (1993), H. 1, 97–115. Bakker 1995 Boudewijn Bakker: Schilderachtig: Discussions of a Seventeenth-Century Term and Concept. In: Simiolus 23 (1995), 147–162. Bakker 2004 Boudewijn Bakker: Landschap en Wereldbeeld. Van Van Eyck tot Rembrandt. Bussum 2004. Barlaeus 1655 Caspar Barlaeus: Epistola Ameliae ad Fredericum Henricum, maritum, audacius sub ipsis Sylvae-Ducis moenibus militantem (1629). In: Caspar Barlaeus: Poemata. Editio V, Pars I: Heroicorum. Amsterdam 1655, 344–349.

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VI. Anhang Barlandus 1609 Hadrianus Barlandus: Hollandiae et Zelandiae compendiosa descriptio (1524). In: Scriverius 1609, 141– 144. Barthelmeß/Münzing 1991 Klaus Barthelmeß und Joachim Münzing: Monstrum Horrendum. Wale und Waldarstellungen in der Druckgraphik des 16. Jahrhunderts und ihr motivkundlicher Einfluß. Bd. 2. Hamburg/Bremerhaven 1991. Baudart 1610 Willem Baudartius: Morghen-wecker der vrye Nederlantsche Provintien. Danzig 1610, URL: http://www. dbnl.org/tekst/baud002morg01_01/index.php (18.1. 2013) Beck 1973 Hans-Ulrich Beck: Jan van Goyen, 1596–1656. Bd. 2. Amsterdam 1973. Becker 2002 Jochen Becker: »Een heuchelyk vermaak … maar ook een heldre baak«. Zu verschiedenen Möglichkeiten, holländische Landschaften zu betrachten. In: Ausstellungskatalog 2002a, 145–152. Beening 1963 Theo H. Beening: Het landschap in de Nederlandse letterkunde van de renaissance. Phil. Diss. Nijmegen 1963. Beke 1982 Johannes de Beke: Croniken van den Stichte van Utrecht ende van Hollant (1350). Hrsg. von Hans Bruch. ’s-Gravenhage 1982. Belting/Eichberger 1983 Hans Belting und Dagmar Eichberger: Jan van Eyck als Erzähler. Worms 1983. Berg 1995 Willem van den Berg: Vanaf de blanke top der duinen … In: Sas 1995, 21–32. Berger Hochstrasser 1997 Julie Berger Hochstrasser: Inroads to Seventeenth-Century Dutch Landscape Painting. In: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 48 (1997), 193–221. Bernardus 1610 Jasper Bernardus: Veldt-dichtsche T’saemspraeck tusschen Konst-oeffenaer, ende Konst-beminder. In: Westbusch 1610, 66–86. Bièvre 1988 Elisabeth de Bièvre: »Violence and Virtue«: History and Art in the City of Haarlem. In: Art History 11 (1988), 303–334. Blankert 1978 Albert Blankert: Nederlandse 17e Eeuwse Italianiserende Landschapschilders. Soest 1978. Bleyerveld 2001 Yvonne Bleyerveld: Van de tiran verlost. Het boekje Tyrannorum praemia. Den loon der tyrannen van Willem van Haecht (1578). In: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 52 (2001), 127–147. Bok 1994 Marten Jan Bok: Vraag en aanbod op de Nederlandse kunstmarkt, 1580–1700. Phil. Diss. Utrecht 1994. Borchardt 1971 Frank L. Borchardt: German Antiquity in Renaissance Myth. Baltimore/London 1971. Bourgondiën 2003 Maarten van Bourgondiën: Medemblik voor het Hof van Holland. De financiële problemen van een Hollandse stad gedurende het laatste kwart van de 15de eeuw. In: Holland, Historisch tijdschrift 35 (2003), H. 1, 27–44.

VI. Anhang Braake 2009 Serge ter Braake: Parties and Factions in the Late Middle Ages: The Case of the Hoeken and Kabeljauwen in The Hague (1483–1515). In: Journal of Medieval History (2009), 97–111. Brög/Stiebing 1980 Hans Brög und Hans M. Stiebing: Kunstwissenschaft und Semiotik. In: Semiosis 5 (1980), 152–161. Brune 1657 Johan de Brune: Banket-werk van goede gedachten. Middelburg 1657. Bruyn 1987 Josua Bruyn: Toward a Scriptural Reading of Seventeenth-Century Dutch Landscape Painting. In: Ausstellungskatalog 1987, 84–103. Buchelius 1643 Arnoldus Buchelius (Hrsg.): Historia Ultrajectina. Ioannes de Beka […] et Wilhelmus Heda de episcopis Ultraiectinis. Utrecht 1643. Bueren 1997 Truus van Bueren: Van karmelietenklooster naar stadhuis. In: Anrooij 1997, 73–77. Burke 1956 Gerald L. Burke: The Making of Dutch Towns. A Study in Urban Development from the Tenth to the Seventeenth Centuries. London 1956. Busch 1995 Werner Busch: Alexander Cozens’ »blot«-Methode. Landschaftserfindung als Naturwissenschaft. In: Heinke Wunderlich: »Landschaft« und Landschaften im achtzehnten Jahrhundert. Heidelberg 1995, 209–228. Büttner 2000 Nils Büttner: Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels. Göttingen 2000. Büttner 2006 Nils Büttner: Rezension von Boudewijn Bakker: Landschap en Wereldbeeld. Van Van Eyck tot Rembrandt. Bussum 2004. In: Sehepunkte. Rezensionsjournal für die Geisteswissenschaften 6 (2006), Nr. 6, URL: http://www.sehepunkte.de/2006/06/ 7416.html (15. 1. 2013). Büttner 2006a Nils Büttner: Geschichte der Landschaftsmalerei. München 2006. Carasso-Kok 1981 Marijke Carasso-Kok: Repertorium van verhalende historische bronnen uit de Middeleeuwen. Heiligenlevens, annalen, kronieken en andere in Nederland geschreven verhalende bronnen. Den Haag 1981. Cäsar 1999 Gaius Julius Cäsar: De bello Gallico. Hrsg. von Otto Schönberger. 2., überarb. Auflage, München 1999. Celosse 1610 Jacob Celosse: Vreught-eyndigh spel. Waer in speelwijs vertoont / hoe de Konst van Redenrijcke (ten leetwesen aller oprechte Konst-lievende) van vele in veel plaetsen misbruyckt wordt: En ten anderen / hoe sy ghebryckt te worden behoort. In: Westbusch 1610, 9–49. Celosse 1610a Jacob Celosse: Jacob Celosses Vreugden-gesang / op’t 12. jarigh Bestandt / ghemaeckt en besloten den 9. April 1609, In: Westbusch 1610, 279–280. Chapman 2000 H. Perry Chapman: Propagandist Prints, Reaffirming Paintings: Art and Community during the Twelve Years’ Truce. In: Arthur K. Wheelock Jr. und Adele Seeff (Hrsg.): The Public and Private in Dutch Culture of the Golden Age. Newark/London 2000, 43–63. Châtelet 1980 Albert Châtelet: Les Primitifs hollandais. La peinture dans les Pays-Bas du Nord au Xve siècle. Paris 1980.

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VI. Anhang Chong 1987 Alan Chong: The Market for Landscape Painting in Seventeenth-Century Holland. In: Ausstellungskatalog 1987, 104–120. Classen 1991 C. Joachim Classen: Lodovico Guicciardini’s Descrittione and the Tradition of the Laudes and Descriptiones Urbium. In: Pierre Jodogne (Hrsg.): Lodovico Guicciardini. Actes du Colloque International 1990. Brüssel 1991, 99–117. Cloppenburg 1620 Jan Evertsz. Cloppenburg: Le miroir de la cruelle, & horrible Tyrannie Espagnole perpetree au Pays Bas, par le Tyran Duc de Albe, & aultres Commandeurs de par le Roy Philippe le deuxiesme. Amsterdam 1620. Cluverius 1616 Philippus Cluverius: Germania Antiqua libri tres. Leiden 1616. Cohen 1941 Adolf E. Cohen: De visie op Troje van Westerse middeleeuwse geschiedschrijvers tot 1160. Assen 1941. Cosgrove/Daniels 1988 Denis E. Cosgrove und Stephen Daniels (Hrsg.): The Iconography of Landscape. Essays on the Symbolic Representation, Design and Use of Past Environments. Cambridge 1988. Deisel 1999 Frank Deisel: Der Löwe, die Kuh, der Garten und der Orangenbaum. Zur politischen Ikonographie der niederländischen Gesellschaft und des Hauses Oranien. In: Ausstellungskatalog 1999, 117–136. Didi-Huberman 1989 Georges Didi-Huberman: The Art of Not Describing: Vermeer – the Detail and the Patch. In: History of the Human Sciences 2 (1989), H. 2, 135–169. Dousa 1601 Janus Dousa: Bataviae Hollandiaeque Annales […]. Leiden 1601. Duffy 1996 Christoph Duffy: Siege Warfare. The Fortress in the Early Modern World, 1494–1660. 2. Auflage, London/New York 1996. Eco 1991 Umberto Eco: Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen. 2. Auflage, München 1991. Ehm 2002 Petra Ehm: Burgund und das Reich. Spätmittelalterliche Außenpolitik am Beispiel der Regierung Karls des Kühnen (1465–1477). Phil. Diss. Bonn 2000. München 2002. Eisele 2000 Klaus Eisele: Jan Wijnants (1631/32–1684). Ein niederländischer Maler der Ideallandschaft im Goldenen Jahrhundert. Stuttgart 2000. Erasmus 1609 Desiderius Erasmus: De Batavis sive Hollandis, In Adagio Auris Batava (1508). In: Scriverius 1609, 136–138. Falkenburg 1996 Reindert Falkenburg: »Schilderachtig weer« bij Jan van Goyen. In: Ausstellungskatalog 1996a, 60–69. Falkenburg 1997 Reindert Falkenburg: Het verband met andere vijftiende-eeuwse reeksen. In: Anrooij 1997, 59–72. Fischer 2008 Norbert Fischer: Landschaft als kulturwissenschaftliche Kategorie. In: Zeitschrift für Volkskunde 104 (2008), H. 1, 19–39.

VI. Anhang Fleckner 1991 Uwe Fleckner: Die Erfahrung der Fremde. Albert Eckhouts und Frans Posts Brasilienreise (1636–1644) und ihre Gestaltung in Porträt und Landschaftsbild. In: Regina Pleithner (Hrsg.): Reisen des Barock. Selbst- und Fremderfahrungen und ihre Darstellung. Beiträge zum Kolloquium der Arbeitsgruppe Kulturgeschichte des Barockzeitalters an der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel vom 10. bis 12. Juli 1989. Bonn 1991, 25–39. Foncke 1918 R. Foncke: Wie is de samensteller van Den Nederduytschen Helicon? In: Tijdschrift voor Nederlandse taal- en letterkunde 37 (1918), 261–269. Franits 1997 Wayne Franits (Hrsg.): Looking at Seventeenth-Century Dutch Art. Realism Reconsidered. Cambridge, MA, 1997. Franzen/Krebs 2005 Brigitte Franzen und Stefanie Krebs (Hrsg.): Landschaftstheorie. Köln 2005. Franzen/Krebs 2006 Brigitte Franzen und Stefanie Krebs (Hrsg.): Mikrolandschaften. Landscape Culture on the Move. Münster 2006. Fredericq 1907 Paul Fredericq (Hrsg.): Het Nederlandsch Proza in de zestiende eeuwsche pamfletten uit den tijd der beroerten, met eene bloemlezing (1566–1600) en een Aanhangsel van liedjes en gedichten uit dien tijd (Academie Royale de Belgique, Mémoires 2, Bd. 3). Brüssel 1907. Freedberg 1980 David Freedberg: Dutch Landscape Prints of the Seventeenth Century. London 1980. Frijhoff 1993 Willem Frijhoff: La ville: lieu de mémoire de l’Europe moderne? In: Pim de Boer und Willem Frijhoff (Hrsg.): Lieux de mémoires et identités nationals. Amsterdam 1993, 61–77. Fritzsche 2013 Claudia Fritzsche: Aenschouwer. Zur Kunstbetrachtung in schriftlichen Quellen und Bildern. In: Fritzsche/ Leonhard/Weber 2013, 237–261. Fritzsche/Leonhard/Weber 2013 Claudia Fritzsche, Karin Leonhard und Gregor J. M. Weber (Hrsg.): Ad Fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen. Petersberg 2013. Fromentin 1876 Eugène Fromentin: Les Maîtres d’Autrefois. Belgique – Hollande. Paris 1876. Gamboni 2002 Dario Gamboni: Potential Images. Ambiguity and Indeterminacy in Modern Art. London 2002. Geldenhauer 1609 Gerardus Geldenhauer (Gerardus Noviomagus): Lucubratiuncula […] de Batavorum Insula (1520). In: Scriverius 1609, 1–8. Gibson 1989 Walter S. Gibson: Mirror of the Earth. The World Landscape in Sixteenth Century Flemish Painting. Princeton 1989. Gibson 2000 Walter S. Gibson: Pleasant Places: The Rustic Landscape from Bruegel to Ruisdael. Berkeley/Los Angeles/ London 2000. Giesen 1999 Bernhard Giesen: Kollektive Identität. Die Intellektuellen und die Nation. Bd. 2. Frankfurt am Main 1999.

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VI. Anhang Goedde 1986 Lawrence O. Goedde: Convention, Realism and the Interpretation of Dutch and Flemish Tempest Painting. In: Simiolus 16 (1986), 139–149. Goedde 1989 Lawrence O. Goedde: Tempest and Shipwreck in Dutch and Flemish Art. University Park/London 1989. Goedde 1996 Lawrence O. Goedde: Das Seebild als Historie und Metapher. In: Ausstellungskatalog 1996, 59–74. Goedde 1997 Lawrence O. Goedde: Naturalism as Convention: Subject, Style, and Artistic Self-Consciousness in Dutch Landscape. In: Franits 1997, 129–143. Gombrich 1966 Ernst Gombrich: The Renaissance Theory of Art and the Rise of Landscape. In: Ernst Gombrich: Norm and Form. Studies of the Art of the Renaissance. Oxford 1966, 107–121. Gombrich 2000 Ernst Gombrich: Art and Illusion. A Study in the Psychology of Pictorial Representation. Princeton u. a. 2000 (1. Ausgabe New York 1960). Gormans 2008 Andreas Gormans: Sakrale Räume als politische Räume. Gemalte Kircheninterieurs in der holländischen Kunst des 17. Jahrhunderts. In: Susanne Wegmann und Gabriele Wimböck (Hrsg.): Konfessionen im Kirchenraum. Dimensionen des Sakralraumes in der Frühen Neuzeit. Korb 2007, 159–194. Gormans 2013 Andreas Gormans: Perspectief, doorzicht. Formen und Spielräume bildlicher Illusion. In: Fritzsche/Leonhard/Weber 2013, 83–107. Gorter-van Royen 1995 Laetitia V. G. Gorter-van Royen: Maria van Hongarije, regentes der Nederlanden. Een politieke analyse op basis van haar regentschapsordonnanties en haar correspondentie met Karel V. Leiden 1995. Graaf 1996 Ronald P. de Graaf: Orloog om Holland 1000–1375. Hilversum 1996. Grijp 1992 Louis Peter Grijp: De Rotterdamsche Faem-Bazuyn. De lokale dimensie van liedboeken uit den Gouden Eeuw. In: Volkskundig bulletin 18 (1992), 23–78. Groenhuis 1981 Gerrit Groenhuis: Calvinism and National Consciousness. The Dutch Republic as the New Israel. In: A. C. Duke und C. A. Tamse (Hrsg.): Church and State since the Reformation (Britain and the Netherlands 7). Den Haag 1981, 118–131. Groenveld 1980 Simon Groenveld: Natie en nationaal gevoel in de sestiende-eeuwse Nederlanden. In: Co van de Kieft u. a. (Hrsg.): Scrinium et Scriptura. Opstellen betreffende de Nederlandse geschiedenis aangeboden aan J. L. van der Gouw (Nederlands Archievenblad LXXXIV). Groningen 1980, 372–87. Groh/Groh 1991 Dieter Groh und Ruth Groh: Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. 2 Bde. 2. Auflage, Frankfurt am Main 1991. Grootes 1993 Elidius K. Grootes: Het liedboekje van ›Haerlem Soetendal‹. In: Grootes 1993a, 93–109. Grootes 1993a Elidius K. Grootes (Hrsg.): Haarlems Helicon. Literatuur en toneel te Haarlem vóór 1800. Hilversum 1993.

VI. Anhang Grotius 1714 Hugo Grotius: Verhandeling van de Outheidt der Batavische, nu Hollandsche, Republyk (1610). In: Jacob van Royen (Hrsg.): Antiquitates Germanicae, of hoogduitsche oudtheden: Waar in de gelegentheid en zeeden der Germaanen, beschreven door Tacitus, naaukeurig verklaart, en met Printverbeeldingen opgeheldert worden. Benevens H. Grotius verhandeling van de Oudtheid der Batavische Republyk. Amsterdam 1714, 225–382. Grotius 1801 Hugo Grotius: Parallelon rerumpublicarum liber tertius: De moribus ingenioque populorum Atheniensium, Romanorum, Batavorum (1602). Bd. 1. Hrsg. von Johan Meerman. Haarlem 1801. Grunert/Vollhardt 2007 Frank Grunert und Friedrich Vollhardt (Hrsg.): Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2007. Guicciardini 1968 Lodovico Guicciardini: Beschrijvinghe van alle de Nederlanden anderssins ghenoemt Neder-Duytslandt. Faksimile der Ausgabe Amsterdam 1612 (1. Ausgabe: Descrittione di Lodovico Guicciardini patritio fiorentino di tutti i Paesi Bassi altrimenti detti Germania inferiore. Antwerpen 1567). Amsterdam 1968. Guldin 2009 Rainer Guldin: Wolkenformationen […] aus dem Dunst der Möglichkeiten. Zur nubigenen Einbildungskraft. Köln 2009. Guldin 2012 Rainer Guldin: Luftschaften. Zur Rolle der Wolken in der Konstitution von Landschaften. In: Krebs/Seifert 2012, 127–144. Hahn 1996 Andreas Hahn: Untersuchungen zur Rolle des Betrachters in der Niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Phil. Diss. München 1996. Haitsma Mulier 1993 Eco O. G. Haitsma Mulier: De eerste Hollandse stadsbeschrijvingen uit de zeventiende eeuw. In: De Zeventiende Eeuw 9 (1993), 97–116. Haitsma Mulier/Lem 1990 Eco O. G. Haitsma Mulier und Anton van der Lem: Repertorium van geschiedschrijvers in Nederland 1500–1800. Den Haag 1990. Hallyn 1991 Fernand Hallyn: Lodovico Guicciardini et la topique de la topographie. In: Pierre Jodogne (Hrsg.): Lodovico Guicciardini. Actes du Colloque International 1990. Brüssel 1991, 151–161. Hammer-Tugendhat 1998 Daniela Hammer-Tugendhat: Rembrandt und der bürgerliche Subjektentwurf: Utopie oder Verdrängung? In: Ulrich Bielefeld und Gisela Engel (Hrsg.): Bilder der Nation. Kulturelle und politische Konstruktionen des Nationalen am Beginn der europäischen Moderne. Hamburg 1998, 154–178. Hartau 2005 Johannes Hartau: Grenzerfahrungen der Zivilisation. Das Bild der Küste. In: Martin Döring, Wolfgang Settekorn und Hans von Storch (Hrsg.): Küstenbilder, Bilder der Küste. Interdisziplinäre Ansichten, Ansätze und Konzepte. Hamburg 2005, 77–106. Harten 1978 J. D. H. Harten: Stedelijke invloeden op het Hollandse landschap in de 16de, 17de en 18de eeuw. In: Holland: Regionaal Historisch Tijdschrift 10 (1978), 114–134. Hellwig 1983 Fritz Hellwig (Hrsg.): Franz Hogenberg – Abraham Hogenberg. Geschichtsblätter. Nördlingen 1983.

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VI. Anhang Henderikx 2005 Peter Henderikx: Graaf en stad in Holland en Zeeland in de twaalfde en vroege dertiende eeuw. In: Reinout Rutte und Hildo van Engen (Hrsg.): Stadswording in de Nederlanden. Op zoek naar overzicht. Hilversum 2005, 47–62. Hogenelst/Ostrom 1995 D. Hogenelst und F. van Ostrom: Handgeschreven wereld. Nederlandse literatuur en cultuur in de middeleeuwen. Amsterdam 1995. Hollstein 1953 Friedrich Wilhelm Heinrich Hollstein: Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts. Ca. 1450– 1700. Bd. 8. Amsterdam 1953. Hooft 1972 Pieter Cornelisz. Hooft: Nederlandsche Historien (Amsterdam 1642–1647). In: Wytze G. Hellinga und Pierre Tuynman (Hrsg.): Pieter Corneliszoon Hooft. Alle de gedrukte werken, 1611–1738. Teil 4: Nederlandsche historien (1703). Buch 7. Amsterdam 1972. Hoogstraten 1969 Samuel van Hoogstraten: Inleyding tot de hooge schoole der schilderkonst: anders de zichtbaere werelt. Rotterdam 1678. Fotografischer Neudruck. O. O. 1969. URL: http://www.dbnl.org/tekst/ hoog006inle01_01/ (15.1. 2013). Houbraken 1976 Arnold Houbraken: De groote schouburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen. Amsterdam 1718–1721. Fotografischer Neudruck. Amsterdam 1976. Hugenholtz 1954/1955 Frederik W. N. Hugenholtz: Historie en historiografie van de slag aan het Manpad (1304). In: Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde (1954–1955), 31–47. Huizinga 1948a Johan Huizinga: Over de oudste geschiedenis van Haarlem. In: Johan Huizinga: Verzamelde Werken. Bd. 1. Haarlem 1948, 365–389. Huizinga 1948b Johan Huizinga: Aanteekeningen omtrent den Haarlemmerhout. In: Johan Huizinga: Verzamelde Werken. Bd. 1. Haarlem 1948, 398–405. Iser 1976 Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München 1976. Israel 1995 Jonathan Israel: The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477–1806. Oxford 1995. Jong 2007 Erik A. de Jong: Taking fresh air: Walking in Holland, 1600–1750. In: Michel Conan (Hrsg.): Performance and Appropriation: Profane Rituals in Gardens and Landscapes (Dumbarton Oaks Colloquium on the History of Landscape Architecture XXVII. Held at Dumbarton Oaks May 2–3, 2003). Washington, DC, 2007, 19–40. Jong 1997 Jan de Jong: Gravenportretten in de zestiende en zeventiende eeuw. In: Anrooij 1997, 78–92. Jongh 1971 Eddy de Jongh: Realisme en schijnrealisme in de Hollandse schilderkunst van de zeventiende eeuw. In: Eddy de Jongh (Hrsg.): Rembrandt en zijn tijd. Ausstellungskatalog. Brüssel (Palais des Beaux-Arts). Brüssel 1971, 143–194. Junius 1641 Franciscus Junius: De Schilder-Konst der Oude, Begrepen in drie Boecken. Middelburg 1641.

VI. Anhang Junius 1652 Hadrianus Junius: Batavia. Dordrecht 1652 (1. Ausgabe Leiden 1588). Jutphaas 1867 Barthold J. Lintelo de Geer van Jutphaas (Hrsg.): Kronijk van Holland van een ongenoemden geestelijke (gemeenlijk geheeten kronijk van den Clerc uten laghen landen bi der see). Utrecht 1867. Kampinga 1980 Herman Kampinga: De opvattingen over onze oudere Vaderlandsche Geschiedenis bij de Hollandsche Historici der XVIe en XVIIe eeuw. Utrecht 1980 (1. Ausgabe 1917). Kemp 1985 Wolfgang Kemp: Verständlichkeit und Spannung. Über Leerstellen in der Malerei des 19. Jahrhunderts. In: Wolfgang Kemp (Hrsg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Köln 1985, 253–278. Kemperdinck 1997 Stephan Kemperdinck: Noch einmal zum Problem der Seitenverkehrung in der Strandszene des »TurinMailänder Stundenbuchs“. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 60 (1997), H. 2, 248–252. Kempers 1995 Bram Kempers: Assemblage van de Nederlandse leeuw. Politieke symboliek in heraldik en verhalende prenten uit de zestiende eeuw. In: Bram Kempers (Hrsg.): Openbaring en bedrog. De afbeelding als historische bron in de Lage Landen. Amsterdam 1995, 60–99. Kettering 1983 Alison M. McNeil Kettering: The Dutch Arcadia: Pastoral Art and its Audience in the Golden Age. Montclair, NJ, 1983. Keyser 1630 Cornelis Keyser: Antwoort, inghestelt op den Naem van mijn Heer Frederick Hendrick Prince van Orange, over den beanghsten Sendbrief van Mevrouw De Princesse Amelia, Soo hy in ’t Leger voor den Bosch sijn Victory verwacht. Rotterdam 1630. Kirchhoff/Trepl 2009 Thomas Kirchhoff und Ludwig Trepl: Landschaft, Wildnis, Ökosystem: Zur kulturbedingten Vieldeutigkeit ästhetischer, moralischer und theoretischer Naturauffassungen. Einleitender Überblick. In: Thomas Kirchhoff und Ludwig Trepl (Hrsg.): Vieldeutige Natur. Landschaft, Wildnis und Ökosystem als kulturgeschichtliche Phänomene. Bielefeld 2009, 13–66. Kloek 2001 Els Kloek: Kenau: de heldhaftige zakenvrouw uit Haarlem (1526–1588). Hilversum 2001. Kolenkamp 1609 Dirk Woutersz. Kolenkamp: Lofdicht der Duytscher Talen. In: Westbusch 1610, 61–63. Kossmann/Mellink 1974 Ernst Heinrich Kossmann und Albert F. Mellink (Hrsg.): Texts concerning the Revolt of the Netherlands. London/Cambridge 1974. Krebs/Seifert 2012 Stefanie Krebs und Manfred Seifert (Hrsg.): Landschaft quer denken. Theorien – Bilder – Formationen. Leipzig 2012. Kurtz 1956 Gerda H. Kurtz: Kenau Symonsdochter van Haarlem. Assen 1956. Kurtz 1958 Gerda H. Kurtz: Onderschriften van de portretten der graven en gravinnen van Holland. In: Jaarboek Haerlem (1958), 46–59. Lairesse 1712 Gérard de Lairesse: Groot schilderboek. 2. Ausgabe. Amsterdam 1712 (1. Ausgabe Amsterdam 1707).

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VI. Anhang Lambert 1985 Audrey M. Lambert: The Making of the Dutch Landscape. An Historical Geography of the Netherlands. 2. Ausgabe. London 1985. Langereis 2001 Sandra Langereis: Geschiedenis als Ambacht. Oudheidkunde in de Gouden Eeuw. Arnoldus Buchelius en Petrus Scriverius. Hilversum 2001. Langereis 2004 Sandra Langereis: Van botte boeren tot beschaafde burgers. Oudheidkundige beelden van de Bataven, 1500–1800. In: Ausstellungskatalog 2004, 72–105. Leeflang 1995 Huigen Leeflang: Het aards paradijs. Het Haarlemse landschap in zestiende- en zeventiende-eeuwse literatuur en beeldende kunst. In: Ausstellungskatalog 1995a, 116–126. Leeflang 1995a Huigen Leeflang: Rezension von Catherine Levesque: Journey through Landscape in Seventeenth-Century Holland: The Haarlem Print Series and Dutch Identity. University Park 1994. In: Simiolus 23 (1995), Nr. 4, 273–280. Leeflang 1997 Huigen Leeflang: Dutch Landscape: The Urban View. Haarlem and its Environs in Literature and Art, 15th–17th Century. In: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 48 (1997), 52–115. Leeflang 2002 Huigen Leeflang: De Natuur van Jacob van Ruisdael. In: Ausstellungskatalog 2002a, 21–27. Lennep 1966 David Jacob van Lennep: Hollandsche Duinzang. In: David Jacob van Lennep: Verhandeling en Hollandsche duinzang (1827). Hrsg. von Garmt Stuiveling. Zwolle 1966, 55–60. Levesque 1994 Catherine Levesque: Journey through Landscape in Seventeenth-Century Holland: The Haarlem Print Series and Dutch Identity. University Park 1994. Levesque 1997 Catherine Levesque: Landscape, Politics and the Prosperous Place. In: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 48 (1997), 222–257. Leydis 1620 Johannis a Leydis: Chronicon hollandiae comitum et episcoporum Ultraiectensium (um 1480). In: Franciscus Sweertius (Hrsg.): Rerum belgicarum annales chronici et historici. De bellis, urbibus, situ, & moribus gentis antiqui recentioresque scriptores […]. Bd. 1. Frankfurt 1620, 1–349. Maas 1995 Nop Maas: Laurens Jansz. Coster. Opkomst en ondergang van een uitvinder. In: Sas 1995, 81–90. Maffei 1506 Raffael Maffei: Commentarium urbanorum octo et triginta libri. Rom 1506. Majetschak 2005 Stefan Majetschak (Hrsg.): Bild-Zeichen. Perspektiven einer Wissenschaft vom Bild. München 2005. Mander 1610 Karel van Mander: Strijdt tegen Onverstand in eenen Sendtbrief aen mijnen goeden vriendt I. de Hemelaer, vervaett (um 1600). In: Westbusch 1610, 97–110. Mander 1911 Karel van Mander: Het beelt van Haerlem de stadt, waerin ist te lesen haer gelegentheijt, aert, en out, heerlijck wesen. In: J. D. Rutgers van der Loeff: Drie Lofdichten op Haarlem. Het middelnederlandsch gedicht van Dirk Mathijszen en Karel van Mander’s Twee Beelden van Haarlem. Haarlem 1911, 19–28.

VI. Anhang Mander 1911a Karel van Mander: Het tweede beelt van Haerlem, ’t Stadt Haerlems Beeldt, in welck men speurt met lesen: Haer oudtheyt, aerdt, ghedaent’ en heerlijck wesen. In: J. D. Rutgers van der Loeff: Drie Lofdichten op Haarlem. Het middelnederlandsch gedicht van Dirk Mathijszen en Karel van Mander’s Twee Beelden van Haarlem. Haarlem 1911, 29–38. Mander 1969 Karel van Mander: Het schilder-boeck. Utrecht 1969 (Faksimile der 1. Ausgabe, Haarlem 1604). Marion 2005 Olga van Marion: Heldinnenbrieven. Ovidius’ Heroides in Nederland. Phil. Diss. Leiden, Nijmegen 2005. Marliani 1609 Luigi Marliani (Aloysius Marlianus): De Bataviae sive Hollandiae laudibus Epistola (1504–1508). In: Scriverius 1609, 121–125. Marnix de St. Aldegonde 1574 Philips van Marnix de St. Aldegonde: Sekere Brieven waer inne den aengheuanghen Vrede-handel deses Jaers LXXIIII. van het Nederlandtsche oorloghe veruaetet is: […]. Delft 1574. Marsilje 1995 Jannis W. Marsilje: De geografische, institutionele en politieke ontwikkelingen. In: Gineke F. van der ReeScholtens (Hrsg.): Deugd boven geweld. Een geschiedenis van Haarlem, 1245–1995. Haarlem 1995, 19–45. Mathijszen 1911 Diric Mathijszen: Lofdicht op Haerlem. In: J. D. Rutgers van der Loeff (Hrsg.): Drie lofdichten op Haarlem. Het middelnederlandsch gedicht van Dirk Mathijszen en Karel van Mander’s Twee Beelden van Haarlem. Haarlem 1911, 13–17. Matthaeus 1738 Antonius Matthaeus: Veteris aevi analecta. Bd. 1. 2. Auflage, ’s-Gravenhage 1738. Meder 1991 Theo Meder: Sprookspreker in Holland. Leven en werk van Willem van Hildegaersberch (ca. 1400). Amsterdam 1991. Meteren 1593 Emanuel van Meteren: Historia unnd Abcontrafeytungh fürnemlich der Niderlendischer geschichten und Kriegß hendelen. Nürnberg 1593. Meteren 1599 Emanuel van Meteren: Belgische Ofte Nederlantsche Historie van onsen tijden. Inhoudende hoe de Nederlanden aenden anderen ghehecht ende aen Spaengien ghecomen zjn […]. Delft 1599. Michalsky 2002 Tanja Michalsky: Hic est mundi punctus et materia gloriae nostrae. Der Blick auf die Landschaft als Komplement ihrer kartographischen Eroberung. In: Gisela Engel, Brita Rang, Klaus Reichert und Heide Wunder in Zusammenarbeit mit Jonathan Elukin (Hrsg.): Das Geheimnis am Beginn der europäischen Moderne. Frankfurt am Main 2002, 436–453. Michalsky 2003 Tanja Michalsky: Landschaft beleben. Zur Inszenierung des Wetters im Dienst des holländischen Realismus. In: Andrea von Hülsen-Esch, Hans Körner und Guido Reuter (Hrsg.): Bilderzählungen – Zeitlichkeit im Bild. Köln/Weimar 2003, 85–105. Michalsky 2004 Tanja Michalsky: Die Natur der Nation. Überlegungen zur »Landschaft« als Ausdruck nationaler Identität. In: Klaus Bußmann und Elke Anna Werner (Hrsg.): Europa im 17. Jahrhundert. Stuttgart 2004, 333–354.

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VI. Anhang Michalsky 2007 Tanja Michalsky: Medien der Beschreibung. Zum Verhältnis von Kartographie, Topographie und Landschaftsmalerei in der Frühen Neuzeit. In: Jürg Glauser und Christian Kiening (Hrsg.): Text – Bild – Karte. Kartographie der Vormoderne. Freiburg 2007, 319–349. Michalsky 2011 Tanja Michalsky: Projektion und Imagination. Die niederländische Landschaft der Frühen Neuzeit im Dialog von Geographie und Malerei. München 2011. Miedema 1926 Age S. Miedema: Over het wapen van Haarlem. In: L. C. Dumont u. a. (Hrsg.): Haerlem. Gedenkschrift uitgegeven ter gelegenheid van het vijf-en-twintig-jarig bestaan. Haarlem 1926, 59–82. Mitchell 1994 William J. T. Mitchell: Imperial Landscapes. In: William J. T. Mitchell (Hrsg.): Landscape and Power. Chicago 1994, 5–34. Mitchell 1995 William J. T. Mitchell: Gombrich and the Rise of Landscape. In: Ann Bermingham und John Brewer (Hrsg.): The Consumption of Culture, 1600–1800. Image, Object, Text. London u.a. 1995, 103–118. Montias 1987 John Michael Montias: Cost and Value in Seventeenth Century Dutch Art. In: Art History 10 (1987), 93–105. Mout 1988 Nicolette Mout: Ideales Muster oder erfundene Eigenart. Republikanische Theorien während des niederländischen Aufstands. In: Helmut G. Koenigsberger (Hrsg.): Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit. München 1988, 169–194. Müller 2003 Karsten Müller: Grenzmarkierungen. Argumentationsstrategien und Identitätskonstruktionen in der politischen Druckgraphik der Niederlande zwischen 1570 und 1625. Phil. Diss. Hamburg 2003. Müller 2003a Karsten Müller: Topographie und Choreographie: Der Bildraum als politische Bühne. In: Cornelia Jöchner (Hrsg.): Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit. Berlin 2003, 23–44. Müller Hofstede 1979 Justus Müller Hofstede: Zur Interpretation von Bruegels Landschaft. Ästhetischer Landschaftsbegriff und stoische Weltbetrachtung. In: Otto von Simson und Matthias Winner (Hrsg.): Pieter Bruegel und seine Welt. Ein Colloquium veranstaltet von der freien Universität Berlin und dem Kupferstichkabinett der SMPK. Berlin 1979, 73–142. Müller-Wusterwitz 2007 Susan Müller-Wusterwitz: Das Bild der Küste in der niederländischen Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts. Facetten eines nationalen Motivs. In: Norbert Fischer, Susan Müller-Wusterwitz und Brigitta SchmidtLauber (Hrsg.): Inszenierungen der Küste. Berlin 2007, 46–85. Münkler 1997 Herfried Münkler: Nationale Mythen im Europa der frühen Neuzeit. Zur Relevanz mythischer Narrationen bei der Nationalisierung Europas. In: Wolfgang Kemp, Gert Mattenklott, Monika Wagner und Martin Warnke (Hrsg.): Vorträge aus dem Warburg-Haus. Bd. 1. Berlin 1997, 107–143. Mylius 1702 Willem Mylius: De veldgezangen van Thyrsis. Leiden 1702. Neapolitanus 1609 Chrysostomus Neapolitanus: Epistola de situ et moribus Hollandiae (1514). In: Scriverius 1609, 127–136.

VI. Anhang Nicolaisen 2004 Jan Nicolaisen: Chaos unentwirrbarer Farben. Künstlerische Handschrift als Ausdruck von Subjektivität in der niederländischen Malerei und Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts. In: Ausstellungskatalog 2004a, 34–40. Niemeijer 1988 A. F. J. Niemeijer: »… Zeeckere poorters van Herlem aldaer ossen weyen …«. Sociaal-economische structuurveranderingen in de strandvlakte tussen Haarlem en Bloemendaal van de middeleeuwen tot op heden. In: Haerlem Jaarboek (1988), 8–21. Nierop 1995 Henk van Nierop: Lof en beschrijving van Haarlem bij Samuel Ampzing. In: Ausstellungskatalog 1995a, 13–20. Nöth 2005 Winfried Nöth: Warum Bilder Zeichen sind. In: Majetschak 2005, 49–61. Nöth/Santaella 2000 Winfried Nöth und Lucia Santaella: Bild, Malerei und Photographie aus der Sicht der Peirceschen Semiotik. In: Wirth 2000, 354–374. Nora 1984–1992 Pierre Nora (Hrsg.): Les lieux de mémoires. 7 Bde. Paris 1984–1992. North 1992 Michael North: Kunst und Kommerz im Goldenen Zeitalter. Zur Sozialgeschichte der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Köln/Weimar/Wien 1992. Oestreich 1953 Gerhard Oestreich: Der römische Stoizismus und die Oranische Heeresreform. In: Historische Zeitschrift 176 (1953), 17–43. Pars 1701 Adriaan Pars: Index Batavicus, of Naamrol van de Batavise en Hollandse Schrijvers. Van Julius Cesar af, tot dese tijden toe. Leiden 1701. Peirce 1932 Charles Sanders Peirce: Collected Papers. Hrsg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss. Bd. 2. Cambridge, MA, 1932. Petit 1601 Jean Francois le Petit: La grande chronique ancienne et moderne de Hollande, Zelande, Westfrise, Utrecht, Frise, Overyssel en Groningen jusqu’à la fin de l’an 1600. Bd. 1. Dordrecht 1601. Plinius 1906 Gaius Secundus Plinius: Historia naturalis. Hrsg. von Carolus Mayhoff. Bd. 1: Libri I–VI. Stuttgart 1906. Plomp 2003 Michiel C. Plomp: The Beauty or the Different Guises of Nature. Studies of the Natural World and Landscapes. In: Ausstellungskatalog 2003, 169–291. Pollmann 1992 Judith Pollmann: Eine natürliche Feindschaft. Ursprung und Funktion der schwarzen Legende über Spanien in den Niederlanden, 1560–1581. In: Franz Bosbach (Hrsg.): Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 1992, 73–93. Pollmer-Schmidt 2011 Almut Pollmer-Schmidt: Kirchenbilder. Der Kirchenraum in der holländischen Malerei um 1650. Phil. Diss. Leiden 2011 (ersch. voraussichtlich Weimar 2013). Pollmer-Schmidt 2013 Almut Pollmer-Schmidt: Meditatie. Zur Verwandtschaft von Meditation und Kunstbetrachtung. In: Fritzsche/Leonhard/Weber 2013, 109–135.

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VI. Anhang Quintilian 1970 Marcus Fabius Quintilianus: Institutionis oratoriae libri duodecim. Hrsg. von Michael Winterbottom. Teil 1: Libri I–VI. Oxford 1970. Raupp 1980 Hans-Joachim Raupp: Zur Bedeutung von Thema und Symbol für die holländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 17 (1980), 86–110. Rentenaar 1971 Rob Rentenaar: Die Namenlandschaft der niederländischen Dünen. In: Herwig H. Hornung (Hrsg.): Dispuationes ad Montium Vocabula aliorumque nominum significationes pertinentes. (10. Internationaler Kongreß für Namenforschung, Wien, 8.–13. 9.1969). Bd. 3. Wien 1971, 83–95. Rentenaar 1977 Rob Rentenaar: De Nederlandse duinen in de middeleeuwse bronnen tot omstreeks 1300. In: Geografisch Tijdschrift 11 (1977), 361–376. Ritter 1974 Joachim Ritter: Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft (Münster 1963). In: Joachim Ritter: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt am Main 1974, 141–163. Robert 1975 P. Robert: Vicit Vim Virtus. In: Haerlem Jaarboek (1975), 119–121. Romein 1937 Jan Romein: De functie van een historische fictie. De vermeende afstamming der Germanen uit Troje in verband met het begrip der Translatio imperii. In: Jan Romein: Het onvoltooid verleden. Amsterdam 1937, 184–195. Sas 1995 Nicolaas van Sas (Hrsg.): Waar de blanke top der duinen en andere vaderlandse herinneringen. Amsterdam 1995. Schama 1987 Simon Schama: The Embarrassment of Riches. New York 1987. Schama 1988 Simon Schama: Dutch Landscape: Culture as Foreground. In: Ausstellungskatalog 1987, 64–83. Schama 1995 Simon Schama: Landscape and Memory. New York 1995. Schapelhouman 2003 Marijn Schapelhouman: Many Fine Likenesses. Portrait Engravings and Drawings 1578–1590. In: Ausstellungskatalog 2003, 57–79. Scheller 1995 Robert W. Scheller: Representatie en realisme. De vormgeving van het laat-middeleeuwse identiteitsbesef. In: Bram Kempers (Hrsg.): Openbaring en bedrog. De afbeelding als historische bron in de Lage Landen. Amsterdam 1995, 29–59. Schenkeveld 1991 Maria A. Schenkeveld: Dutch Literature in the Age of Rembrandt. Themes and Ideas. Amsterdam/Philadelphia 1991. Schenkeveld-van der Dussen 1986 Maria A. Schenkeveld-van der Dussen: Nature and Landscape in Dutch Literature of the Golden Age. In: Ausstellungskatalog 1986, 72–78.

VI. Anhang Schneemann/Schneemann 2008 Peter J. Schneemann und Susanne Schneemann: Transitions. The Art Historian’s Gaze on Traditions within Artistic Issues. In: Peter Schneemann, Susanne Schneemann, Tony Frey, René Stettler und Ulrich Loock: Alois Lichtsteiner. Bern 2008, 194–201. Schöffer 1981 Ivo Schöffer: The Batavian Myth during the Sixteenth and Seventeenth Centuries. In: Pieter A. M. Geurts und Antoon E. M. Janssen (Hrsg.): Geschiedschrijving in Nederland. Studies over de historiografie van de Nieuwe Tijd. Bd. 2. ’s-Gravenhage 1981, 85–109. Schretlen 1930 Martinus J. Schretlen: Een Haarlemsch Stadsgezicht uit de 15de eeuw. »De Meester van Bellaert«. In: Oud Holland 47 (1930), 122–129. Schrevelius 1647 Theodorus Schrevelius: Harlemias, ofte de eerste stichting der stadt Haerlem […]. Haarlem 1647. Schrevelius 1754 Theodorus Schrevelius: Harlemias, of Eerste Stichting der Stad Haarlem […]. Haarlem 1754. Schulze 1996 Hagen Schulze: Das Europa der Nationen. In: Helmut Berding (Hrsg.): Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit. Frankfurt am Main 1996, 65–83. Schwartz/Bok 1989 Gary Schwartz und Marten Jan Bok: Pieter Saenredam. De schilder en zijn tijd. Maarssen/Den Haag 1989. Scriverius 1609 Petrus Scriverius (Hrsg.): Batavia Illustrata. Seu De Batavorum Insula, Hollandia, Zelandia, Frisia, Territorio Traiectensi Et Gelria, […]. Leiden 1609. Sicken 1999 Bernhard Sicken: Die oranische Heeresreform. In: Ausstellungskatalog 1999, 103–116. Simmel 1957 Georg Simmel: Philosophie der Landschaft (1913). In: Michael Landmann (Hrsg.): Brücke und Tür. Essays des Philosophen zur Geschichte, Religion, Kunst und Gesellschaft. Stuttgart 1957, 141–152. Slits 1990 Franciscus Petrus Thomas Slits: Het latijnse stededicht. Oorsprong en ontwikkeling tot in de zeventiende eeuw. Phil. Diss. Nijmegen. Amsterdam 1990. Slive 2001 Seymour Slive: Jacob van Ruisdael. A Complete Catalogue of his Paintings, Drawings and Etchings. New Haven/London 2001. Sluijter 1988 Eric J. Sluijter: Belering en verhulling? Enkele 17de-eeuwse teksten over de schilderkunst en de iconologische benadering van Noordnederlandse schilderijen uit deze periode. In: De zeventiende eeuw 4 (1988), 3–28. Soetendal 1618 Haerlem Soetendal: Liedekens ende Refereynen ghemaeckt by Haerlem Soetendal, van zijn Avontueren ofte Wedervarentheyt sint zijn vertrec uyt Haerlem int Jaer ons Heeren 1599. Haarlem 1618. Someren 1888 J. F. van Someren: Beschrijvende catalogus van gegraveerde portretten van Nederlanders. Bd. 1. Amsterdam 1888. Spickernagel 1972 Ellen Spickernagel: Die Descendenz der »Kleinen Landschaften«. Studien zur Entwicklung einer Form des niederländischen Landschaftsbildes vor Pieter Bruegel. Frankfurt am Main 1972.

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VI. Anhang Spiegel 1962 Hendrick Laurensz. Spiegel: Twe-spraack. Ruygh-bewerp. Kort begrip. Rederijck-kunst (1584). Hrsg. von W. J. H. Caron. Groningen 1962. Spiegel 1992 Hendrick Laurensz. Spiegel: Hert-spiegel (1612). Hrsg. von Fokke Veenstra. Hilversum 1992. Spies 1991 Marijke Spies: ›Poeetsche fabrijcken‹ en andere allegorieen, eind 16de-begin 17de eeuw. In: Oud Holland 105 (1991), H. 4, 228–243. Spies 1996 Marijke Spies: Helicon and Hills of Sand: Pagan Gods in Early modern Dutch and European Poetry. In: Helen Wilcox, Richard Todd und Alasdair A. MacDonald (Hrsg.): Sacred and Profane. Secular and Devotional Interplay in Early Modern British Literature. Amsterdam 1996, 225–236. Stechow 1966 Wolfgang Stechow: Dutch Landscape Painting of the Seventeenth Century. Oxford 1966. Steland 2001/2002 Anne Charlotte Steland: Studien zu Herman van Swanevelt: Zeichnungen zu Fresken und Gemälden. In: Oud Holland 115 (2001/2002), H. 1, 19–60. Stoke 2004 Melis Stoke: Rijmkroniek van Holland (um 1300). In: Jan W. J. Burgers (Hrsg.): Rijmkroniek van Holland (366–1305) door een anonieme auteur en Melis Stoke. Den Haag 2004. Stone-Ferrier 1985 Linda Stone-Ferrier: Views of Haarlem: A Reconsideration of Ruisdael and Rembrandt. In: The Art Bulletin 67 (1985), H. 3, 417–436. Strauss 1977 Walter Strauss (Hrsg.): Hendrik Goltzius 1558–1617. The Complete Engravings and Woodcuts. Bd. 1. New York 1977. Stumpel 2004/2005 Jeroen Stumpel: Rezension von Boudewijn Bakker: Landschap en Wereldbeeld. Van van Eyck tot Rembrandt. In: Simiolus 31 (2004/2005), Nr. 1/2, 115–123. Sutton 1987 Peter Sutton: Introduction. In: Ausstellungskatalog 1987, 1–63. Syndikus 2007 Anette Syndikus: Die Anfänge der Historia literaria im 17. Jahrhundert. Programmatik und gelehrte Praxis. In: Grunert/Vollhardt 2007, 3–36. Tacitus 1983 Publius Cornelius Tacitus: Germania. Hrsg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1983. Tacitus 2002 Publius Cornelius Tacitus: Historiae. Hrsg. von Joseph Borst, unter Mitarbeit von Helmut Hross und Helmut Borst. 6. Auflage, München 2002. Tacitus 2005 Publius Cornelius Tacitus: Annales. Hrsg. von Erich Heller. 5. Auflage, Düsseldorf 2005. Taylor 1992 Paul Taylor: The Concept of Houding in Dutch Art Theory. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 55 (1992), 210–232. Teitler 2004 Hans Teitler: Romeinen en Bataven: de literaire bronnen. In: Ausstellungskatalog 2004, 20–38.

VI. Anhang Temminck 1969 J. J. Temminck: De ontwikkeling van de autonomie van de stad Haarlem in de middeleeuwen. In: Holland: Regionaal-historisch Tijdschrift 1 (1969), 116–130. Tex 1973 Jan den Tex: Oldenbarnevelt. Bd. 2. Cambridge 1973. Thijs 2001 Boukje Thijs: »Ghevoestert uyt een borst«: woord en beeld in Den Nederduytschen Helicon (1610). In: De zeventiende eeuw 17 (2001), H. 3, 263–274. Thijs 2004 Boukje Thijs: De hoefslag van Pegasus. Een cultuurhistorisch onderzoek naar Den Nederduytschen Helicon (1610). Hilversum 2004. Tijsens 1728 Gijsbert Tijsens: Haarlemmer duinzang, ter eere van des zelfs vermákelyke land- en watergezigten van Sandtvoordt af tot Haarlem. Amsterdam 1728. Tilmans 1987 Karin Tilmans: Cornelius Aurelius en het ontstaan van de Bataafse mythe in de Hollandse geschiedschrijving (tot 1517). In: B. Ebels-Hoving, C. G. Santing und C. P. H. M. Tilmans (Hrsg.): Genoechlicke ende lustige historiën. Laatmiddeleeuwse geschiedschrijving in Nederland. Hilversum 1987, 191–213. Tilmans 1988 Karin Tilmans: Aurelius en de Divisiekroniek van 1517. Historiografie en humanisme in Holland in de tijd van Erasmus. Phil. Diss. Hilversum 1988. Tilmans 1993a Karin Tilmans: Aeneas, Bato and Civilis, the Forefathers of the Dutch: The Origin of the Batavian Tradition in Dutch Humanistic Historiography. In: Jean F. Brink und William F. Gentrup (Hrsg.): Renaissance Culture in Context. Theory and Practice. Cambridge 1993, 121–135. Tilmans 1993b Karin Tilmans: La Grande chronique de la Hollande (1517): Lieu de Mémoire Raté? In: Pim de Boer und Willem Frijhoff (Hrsg.): Lieux de mémoires et identités nationales. Amsterdam 1993, 113–119. Valerianus 1942 Adriaen Valerianus: Nederlandtsche gedenck-clanck (1626). Hrsg. von Pieter J. Meertens, Nicolaas B. Tenhaeff und Aafke Komter-Kuipers. Amsterdam 1942. Veldhorst 1999 Natascha Veldhorst: De Haarlemse Bloempjes: bloemlezing uit een zeventiende-eeuwse liedboekenreeks. Haarlem 1999. Venne 1997 Hans van de Venne: Een Grieks lofdicht op Haarlem (1605) in Latijnse Vertaling. Nicolaes van Wassenaer en Theodorus Schrevelius. In: Haerlem Jaarboek (1997), 9–35. Vermeer 1993 Wim Vermeer: Den Nederduytschen Helicon. In: Grootes 1993a, 77–92. Verwer 1973 Willem Janszoon Verwer: Memoriaelbouck. Dagboek van gebeurtenissen te Haarlem 1572–1581. Hrsg. von Jan Temminck. Haarlem 1973. Volmert 2008 Miriam Volmert: Landschaftszeichen. Bildsemiosen in der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. In: Michael Butter, Regina Grundmann und Christina Sanchez (Hrsg.): Zeichen der Zeit. Interdisziplinäre Perspektiven der Semiotik. Frankfurt am Main 2008, 125–141.

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240

VI. Anhang Volmert 2009 Miriam Volmert: Das »angenehme Gebirge«. Dünenlandschaften in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. In: Thomas Kirchhoff und Ludwig Trepl (Hrsg.): Vieldeutige Natur. Landschaft, Wildnis und Ökosystem als kulturgeschichtliche Phänomene. Bielefeld 2009, 151–162. Volmert 2012 Miriam Volmert: Garten und Grenze. Konstruktionen holländischer Identität in Dünenlandschaften des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Matthias Krüger und Isabella Woldt (Hrsg.): Im Dienst der Nation. Identitätsstiftung und Identitätsbrüche in Werken der bildenden Kunst. Berlin 2012, 325–344. Volmert 2012a Miriam Volmert: Vertraute und verfremdete Bilder von Landschaft im Holland des 17. Jahrhunderts. In: Krebs/Seifert 2012, 89–110. Volmert 2012b Miriam Volmert: Vom »Chaos der Farben« zum blot. Konzepte von Bilderfindung und Gedächtnis bei Alexander Cozens und Samuel van Hoogstraten. In: Flusser Studies 14 (2012), H. 2, 1–24, URL: http:// www.flusserstudies.net/pag/14/volmert-vom-chaos-der-farben.pdf (20.1.2013) Volmert 2013 Miriam Volmert: Memorie, gedachtenis, geheugen. Kunsttheoretische, historiografische und künstlerische memoria-Konzepte in den Niederlanden der Frühen Neuzeit. In: Fritzsche/Leonhard/Weber 2013, 137–163. Vondel 1870 Joost van den Vondel: Klinkdicht op Frederik Hendrik (um 1625). In: H. J. Allard (Hrsg.): De complete werken van Joost van Vondel. Bd. 1. ’s-Hertogenbosch/Amsterdam 1870, 190. Vondel 1927 Joost van den Vondel: Hymnvs, Ofte Lof-Gesangh, Over de wijd-beroemde scheeps-vaert der Vereenighde Nederlanden (1613). In: Johannes F. M. Sterck, Hendrik Moller, Cornelis R. de Klerk, Bernardus H. Molkenboer, Jacob Prinsen J. Lzn. und Leo Simons (Hrsg.): De werken van Vondel: Volledige en geïllustreerde tekstuitgave in tien deelen. Bd. 1: 1605–1620. Amsterdam 1927, 427–445. Vondel 1928 Joost van den Vondel: Princelied (1625). In: Johannes F. M. Sterck, Hendrik Moller, Cornelis R. de Klerk, Bernardus H. Molkenboer, Jacob Prinsen J. Lzn. und Leo Simons (Hrsg.): De werken van Vondel: Volledige en geïllustreerde tekstuitgave in tien deelen. Bd. 2: 1620–1627. Amsterdam 1928, 505–506. Vondel 1930 Joost van den Vondel: Leeuwendalers. Lantspel (1647). In: Johannes F. M. Sterck, Hendrik Moller, Cornelis R. de Klerk, Bernardus H. Molkenboer, Jacob Prinsen J. Lzn. und Leo Simons (Hrsg.): De werken van Vondel: Volledige en geïllustreerde tekstuitgave in tien deelen. Bd. 5: 1645–1656. Amsterdam 1930, 261–353. Vries 1997 Jan de Vries: Nederlands etymologisch woordenboek. Hrsg. von Félicien de Tollenaere. 4. Ausgabe, Leiden 1997 (1. Ausgabe Leiden 1971). Vries 1998 Willemien B. de Vries: Wandeling en verhandeling. De ontwikkeling van het Nederlandse hofdicht in de zeventiende eeuw (1613–1710). Hilversum 1998. Waal 1952 Henri van de Waal: Drie eeuwen vaderlandsche geschied-uitbeelding 1500–1800. Een iconologische studie. 2 Bde. s’ Gravenhage 1952. Walford 1991 E. John Walford: Jacob van Ruisdael and the Perception of Landscape. New Haven/London 1991.

VI. Anhang Walsh 1991 John Walsh: Skies and Reality in Dutch Landscape. In: David Freedberg und Jan de Vries (Hrsg.): Art in History, History in Art. Studies in Seventeenth-Century Dutch Culture. Santa Monica 1991, 94–117. Warnke 1992 Martin Warnke: Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur. München/Wien 1992. Weltzien 2006 Friedrich Weltzien: Von Cozens bis Kerner. Der Fleck als Transformator ästhetischer Erfahrung. In: Ästhetische Erfahrung. Gegenstände, Konzepte, Geschichtlichkeit. Hrsg. vom Sonderforschungsbereich 626 der Freien Universität Berlin. Berlin 2006, 1–15. Westbusch 1610 Passchier van Westbusch (Hrsg.): Den Nederduytschen Helicon, eygentlijck wesende der Maet-dicht beminders Lust-tooneel […]. Alkmaar 1610. Westermann 2002 Mariët Westermann: After Iconography and Iconoclasm: Current Research in Netherlandish Art, 1566–1700. In: The Art Bulletin 84 (2002), H. 2, 351–372. Weststeijn 2008 Thijs Weststeijn: The visible world. Samuel van Hoogstraten’s Art Theory and the Legitimation of Painting in the Dutch Golden Age. Amsterdam 2008. Wheelock 1975/1976 Arthur K. Wheelock: Gerard Houckgeest and Emanuel de Witte. Architectural Painting in Delft, around 1650. In: Simiolus 8 (1975–1976), 167–185. Wiegand 1971 Wilfried Wiegand: Ruisdael-Studien. Ein Versuch zur Ikonologie der Landschaftsmalerei. Phil. Diss. Hamburg 1971. Wijn 1942 J. W. Wijn: Het beleg van Haarlem. Den Haag 1982 (1. Ausgabe 1943). Winkel 1899 J. ter Winkel: Den Nederduytschen Helicon van 1610. In: Tijdschrift voor Nederlandsche Taal- en Letterkunde (1899), 241–267. Winter 1957 Pieter J. van Winter: De Hollandse Tuin. In: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 8 (1957), 29–121. Wirth 2000 Uwe Wirth (Hrsg.): Die Welt als Zeichen und Hypothese. Perspektiven des semiotischen Pragmatismus von Charles S. Peirce. Frankfurt am Main 2000. Witt Huberts 1943 Fr. de Witt Huberts: Haarlems heldenstrijd in beeld en woord, 1572–1573. Den Haag 1943. Woltjer 1975 J. J. Woltjer: Dutch privileges, real and imaginary. In: John Selwyn Bromley und Ernst Heinrich Kossmann (Hrsg.): Britain and the Netherlands. Some political mythologies. Bd. 5. ’s-Gravenhage 1975, 19–35.

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Abbildungsnachweis

Rijksmuseum, Amsterdam, Rijksprentenkabinet: Abb. 2, 7, 8, 10, 11, 13, 14, 15, 16, 26; bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte/Bayerische Staatsgemäldesammlungen: Taf. 5, Abb. 56; bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte/Museum der bildenden Künste, Leipzig/Ursula Gerstenberger: Taf. 6; bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte/Hamburger Kunsthalle/Elke Walford: Abb. 53; Kunstsammlungen der Veste Coburg: Abb. 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40; Deutsche Fotothek: Abb. 20; Foto Collectie RKD, Den Haag: Taf. 1, Abb. 45, 47, 48, 49; Mauritshuis, Koninklijk Kabinet van Schilderijen, Den Haag: Taf. 8; Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Abb. 1; Noord-Hollands Archief: Taf. 2, Abb. 22, 24; Nationaal Natuurhistorisch Museum »Naturalis«, Leiden: Abb. 5; © London, The National Gallery: Abb. 46; Bildarchiv Foto Marburg: Taf. 3, 4, Abb. 3, 44, 55; Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel: Abb. 6, 9, 12, 27, 42; © 2013 Kunsthaus Zürich: Taf. 7, Abb. 54; Zentralbibliothek Zürich: Abb. 17, 18, 19. Nils Büttner: Geschichte der Landschaftsmalerei. München 2006: Abb. 58; Susan Donahue Kuretsky und Walter S. Gibson (Hrsg.): Time and Transformation in Seventeenth-Century Dutch Art. Ausstellungskatalog. Poughkeepsie, NY (Frances Lehman Loeb Art Center, Vassar College), Sarasota, FL (John and Mable Ringling Museum of Art), Louisville, KY (The Speed Art Museum). Poughkeepsie, NY, 2005: Abb. 52; Jeroen Giltaij und Jan Kelch (Hrsg.): Herren der Meere – Meister der Kunst. Das holländische Seebild im 17. Jahrhundert. Ausstellungskatalog. Rotterdam (Museum Boijmans van Beuningen), Berlin (Gemäldegalerie im Bodemuseum). Rotterdam 1996: Abb. 57; Huigen Leeflang, Ger Luijten und Lawrence W. Nichols (Hrsg.): Hendrik Goltzius (1558–1617). Drawings, Prints and Paintings. Ausstellungskatalog. Amsterdam (Rijksmuseum), New York (The Metropolitan Museum of Art), Toledo (The Toledo Museum of Art). Zwolle 2003: Abb. 28; Catherine Levesque: Journey through Landscape in Seventeenth-Century Holland: The Haarlem Print Series and Dutch Identity. University Park 1994: Abb. 21, 41; J. D. Rutgers van der Loeff: Drie Lofdichten op Haarlem. Het middelnederlandsch gedicht van Dirk Mathijszen en Karel van Mander’s Twee Beelden van Haarlem. Haarlem 1911: Abb. 25; Anne Charlotte Steland: Studien zu Herman van Swanevelt: Zeichnungen zu Fresken und Gemälden. In: Oud Holland 115 (2001/2002), H. 1, 19–60: Abb. 51; Peter Sutton (Hrsg.): Masters of 17th-Century Dutch Landscape Painting. Ausstellungskatalog. Amsterdam (Rijksmuseum), Boston (Museum of Fine Arts), Philadelphia (Philadelphia Museum of Art). Boston 1987: Abb. 43, 50; Fr. de Witt Huberts: Haarlems heldenstrijd in beeld en woord, 1572–1573. Den Haag 1943: Abb. 23.

VI. Anhang

Abbildungen auf dem Cover Links: Anonymus: Titelblatt der Flugschrift Maechts antwoort tegen, op, en aen, de aenspraeck van een courtisaen / Die haer als een valsch gedrocht, tong-erg te verleijen socht, 1617, Kupferstich, 19,2 × 15,2 cm, Rijksmuseum, Amsterdam, Rijksprentenkabinet Rechts: Jan van Goyen: Dünenlandschaft mit Figuren, 1628, Öl auf Holz, 32,1 × 42,9 cm, Privatsammlung Foto Collectie RKD, Den Haag

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Personenregister

Adams, Ann Jensen 8–10, 12, 169 Akersloot, Willem 105, 178 Albrecht I. von Bayern-Straubing-Holland 28 Allan, Francis 26 Alpers, Svetlana 7–8, 11 Álvarez de Toledo, Fernando (Herzog von Alba) 70, 91 Amalia van Solms (Gräfin von Nassau) 175 Ampzing, Samuel van 26, 33, 68, 105, 107, 109, 115, 122, 137, 176–182, 197–199, 218 Assmann, Aleida 35, 46, 219 Aurelius, Cornelius 31–32, 44, 46–56 Barlaeus, Caspar 175–176 Barlandus, Hadrianus 52 Beke, Johannes de 35 Bernardus, Jasper 132 Blyenburgh, J. G. 111 Braun, Georg 53, 105 Brederode, Frans van 42 Brune, Johan de 216–217 Bruyn, Josua 7 Buytewech, Willem 94, 101, 159 Cäsar (Gaius Julius Cäsar) 44, 55 Claudius Civilis (Julius Civilis) 45, 96 Cloppenburg, Jan Evertsz. 102–103 Cluverius, Philippus 97 Cock, Hieronymus 139 Coster, Laurens Janszoon 125–126, 154 Cuyp, Aelbert 202 Dousa, Janus 51 Erasmus von Rotterdam 51 Eyck, Jan van 36 Falkenburg, Reindert 41 Floris V. von Holland 32, 40 Frederik Hendrik von Oranien 162–163, 171, 175–176, 196

Frijhoff, Willem 11 Fromentin, Eugène 6 Galle, Philips 75, 105 Geilkercken, Nicolaes van 91 Geldenhauer, Gerhard 47, 55 Giesen, Bernhard 62, 71 Goltzius, Hendrick 17, 26, 33, 75, 104–105, 108–111, 117, 119–120, 123–124, 126–129, 132, 136–138, 140, 142, 156, 159, 161, 178, 182, 211 Goyen, Jan van 9, 13–14, 18, 161, 165–167, 169–173, 182–183, 191–194, 196, 198, 202–203, 212, 216 Grotius, Hugo 96–97 Guicciardini, Lodovico 50, 52 Gwijde van Dampierre 177, 179–180 Hasselaer, Kenau Siemonsdochter 116–118 Heda, Wilhelmus 46 Hermans, Willem 47 Hogenberg, Frans 53, 63–65, 68, 105, 119 Hogenberg, Remigius 117 Hooft, Pieter Cornelisz. 121 Hoogstraten, Samuel van 166, 184–185, 187, 192 Houckgeest, Gerard 199 Hout, Jan van 35 Jakobäa von Straubing-Holland 36 Jan I. von Holland 40 Jan II. van Avesnes 32 Jean de Valois, Duc de Berry 38 Johann III. (Herzog von Straubing-Holland) 36, 38 Johannes a Leydis 31, 40, 42, 46, 52 Jongh, Eddy de 7–8 Junius, Franciscus 184, 186–192 Junius, Hadrianus 56, 125–126, 136, 140 Kampinga, Herman 35

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Personenregister Key, Lieven de 111 Keyser, Cornelis 175–176, 198 Knipbergen, François 166 Kolenkamp, Dirk Woutersz. 134, 136 Lairesse, Gérard de 166 Leeflang, Huigen 11, 29, 40, 139, 203 Lennep, David Jacob van 109 Levesque, Catherine 11, 120, 139, 144 Liefrincx, Niclaes 105, 178 Maffei, Raffael 50 Mander, Karel van 17, 43, 112–120, 123, 125, 132, 135–138, 140–141, 145, 152, 154, 181–182, 184, 187, 211 Marliani, Luigi 50–51 Marnix van St. Aldegonde, Philips van 62 Martial (Marcus Valerius Martialis) 51 Masen, Henri 105 Mathijszen, Diric 29–31, 34, 38, 52, 54, 116, 123–124, 145 Maurits von Oranien 69, 78, 82, 89–90, 102, 111, 162 Maximilian I. von Habsburg 39, 41–43 Meteren, Emanuel van 86, 103, 120 Michalsky, Tanja 11, 139 Molijn, Pieter de 13, 166–167, 169, 183, 191–192, 194, 202, 212, 216 Müller, Karsten 11, 68 Müller-Wusterwitz, Susan 172 Neapolitanus, Chrysostomus 52 Nora, Pierre 11 Oldenbarnevelt, Johan van 82 Pars, Adriaan 1, 19, 219 Philipp II. von Spanien 74 Philipp III. von Burgund 36, 39, 74 Plinius d. Ä. (Gaius Plinius Secundus Maior) 44, 55 Porcellis, Jan 166, 213, 215–216 Post, Frans 207–208 Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) 30 Raupp, Hans-Joachim 7 Ruisdael, Jacob van 19, 156, 167, 192–195, 197–198, 201–208, 212–213, 216 Ruysdael, Salomon van 9, 13, 166, 169, 183, 191–192, 202, 212, 216 Saenredam, Pieter Jansz. 105, 178, 197 Santvoort, Pieter van 166

Schama, Simon 8–9, 14, 18, 169–170 Schrevelius, Theodorus 122 Schuere, Jacob van der 132–133 Soetendal, Haerlem 22–24, 30, 43, 57 Spiegel, Hendrik Laurensz. 130–132, 136, 145 Spinola, Ambrogio 78 Stevin, Simon 133–134 Stoke, Melis 32–33 Swanevelt, Herman van 194 Tacitus (Publius Cornelius Tacitus) 23, 44–45, 49, 51, 56, 97, 114 Tilmans, Karin 35 Valerius, Adrianus 120 Velde, Adriaen van de 172, 202 Velde, Willem van de 172, 215 Vermeer van Haarlem (I), Jan 19, 203–208 Verwer, Willem Janszoon 112 Visscher, Claes Jansz. 5, 13, 17, 24–25, 31, 33–34, 41, 43, 104, 110, 119, 123, 126, 128, 138, 139–141, 143, 156, 159, 161, 170–171, 178, 182–183, 197–199, 205–206, 211 Vondel, Joost van den 69, 80, 162–163, 171, 176, 195–199, 201, 210, 212 Vosmeer, Michiel 75 Warnke, Martin 16 Wassenaar, Nicolaes van 17, 126, 136, 140–141, 182, 211 Westbusch, Passchier van 133 Westerlöus, C. 122 Wet d. Ä., Jacob Willemsz. de 185 Wiegand, Wilfried 7 Wieringen, Claes van 161 Wierix, Johan 59, 61, 65, 68, 86, 91–92 Wijnants, Jan 19, 201, 213 Willem I. von Holland 30, 41 Willem II. von Straubing-Holland 36 Willem III. von Holland 40 Willem von Oranien 62, 71, 82, 175, 199 Willibrord (Bischof von Utrecht) 27 Witte van Haemstede 32–33, 40, 55, 57, 108–110, 112, 126, 128, 137, 154, 161, 176–180, 218–219 Wou, Claes Claesz. 213 Wouwerman, Philips 202

Ortsregister

Amsterdam 29, 129, 203 Bloemendal 22 Breda 82 Brittenburg 50 Damiette 5, 21, 24–25, 30–31, 33–34, 40–41, 43–44, 47–48, 53, 55, 68, 111–116, 119, 123, 126, 128, 141–142, 154, 182, 218 Delft 32, 41, 199 Den Haag 92 Dordrecht 41, 62 Haarlem 5, 11–12, 16–18, 21–36, 38–44, 52–57, 68, 74–75, 81, 92, 103–105, 107–120, 122–129, 132, 134, 136–145, 152–157, 159–161, 170–171, 176–183, 197–199, 203–206, 209–211, 213, 218 ’s-Hertogenbosch 175–176 Hillegom 32 Jerusalem 30

Jülich 91 Katwijk 1, 50 Kleve 91 Köln 82 Leiden 32, 36, 41, 93, 125, 158 Lissabon 22 Naarden 63 Nieuwpoort 84, 175–176 Overveen 22 Rijnsburg 39 Scheveningen 172, 215 Ter Heijde 59 Utrecht 35, 70 Walcheren 27 Wijk aan Zee 22 Woudrichem 38 Zandvoort 22, 143, 152–153, 157–158, 180 Zierikzee 32