Grenzwerte im Doping: Naturwissenschaftliche Grundlagen und rechtliche Bedeutung [1 ed.] 9783428512997, 9783428112999

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Grenzwerte im Doping: Naturwissenschaftliche Grundlagen und rechtliche Bedeutung [1 ed.]
 9783428512997, 9783428112999

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Christian Paul · Grenzwerte im Doping

Beiträge zum Sportrecht Herausgegeben von Kristian Kühl, Peter J. Tettinger und Klaus Vieweg

Band 14

Grenzwerte im Doping Naturwissenschaftliche Grundlagen und rechtliche Bedeutung

Von Christian Paul

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 29 Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-7925 ISBN 3-428-11299-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Grenzwerte für Dopingsubstanzen entscheiden oft über die weitere berufliche Karriere eines Sportlers. Sie trennen zulässiges Verhalten von unerlaubtem Doping. Dabei ist ihre wissenschaftliche Begründung und rechtliche Bedeutung oft unklar. Zahlreiche Nandrolon-Dopingfälle haben die Grenzwerte sowie die Gefahr der Kontamination von Nahrungsmitteln mit Dopingsubstanzen sowohl bei Naturwissenschaftlern als auch Juristen in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Mit der vorliegenden Arbeit soll die Problematik der Grenzwerte im Doping - soweit erkennbar, erstmals - auf interdisziplinäre Weise aufgearbeitet werden. Dabei wird zum einen der naturwissenschaftliche Hintergrund der Grenzwerte im Doping dargestellt, zum anderen wird das Grenzwertesystem einer eingehenden rechtlichen Prüfung und Bewertung unterzogen. Kernstück der rechtlichen Prüfung ist die rechtliche Inhaltskontrolle der Grenzwertregelungen. Weiter wird auf formelle Aspekte, zu erwartende Probleme einer ausgedehnten Einführung von Grenzwerten sowie auf alternative Lösungsansätze eingegangen. Das Thema im Grenzgebiet zwischen Naturwissenschaft und Rechtswissenschaft war für mich Gelegenheit, meine Qualifikation als Diplom-Chemiker und Jurist für eine interdisziplinäre Fragestellung zu nutzen. Die Verbindung der unterschiedlichen Wissensgebiete war eine besondere und spannende Herausforderung. Ich möchte an dieser Stelle allen herzlich danken, die zum Zustandekommen dieser Arbeit beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Klaus Vieweg, für die Anregung zu dieser Arbeit und die Unterstützung bei ihrer Ausführung. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Max Vollkommer für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Sie wurde insbesondere unter Berücksichtigung der Einführung des WADA-Codes und der WADA-Liste der verbotenen Substanzen und Methoden auf den Stand Oktober 2003 aktualisiert. München, im Januar 2004

Christian Paul

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

21

I.

Einführung

21

II.

Übersicht über Anti-Doping-Regelungen

25

1. Der Olympic Movement Anti-Doping Code

26

2. Der Welt-Anti-Doping-Code der WADA

27

3. Gemeinsame Regelungsprinzipien der Anti-Doping-Regelungen

29

4. Gegenstand der Untersuchung

32

A. Naturwissenschaftliche Grundlagen I.

33

Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper

33

1. Einführung

33

2. Grundlagen der Pharmakokinetik a) Konzentrationsverlauf eines Pharmakons im Körper b) Biotransformation und Metabolismus

34 35 37

3. Dosis-Wirkungs-Beziehungen a) Rezeptortheorie b) Minimale und maximale therapeutische Konzentration

38 38 40

4. Zur Existenz einer Wirkungsschwelle a) Stochastische und nichtstochastische Effekte b) Wirkungs-Erkennungs-Schwelle (NOEL) c) Ergebnis

43 43 45 48

5. Individuelle Schwankungen und „biologische Variabilität" a) Enzympolymorphismen b) Dosis-Wirkungs-Beziehungen am Individuum und am Kollektiv.... c) Toleranzentstehung und Tachyphylaxie

48 49 50 52

nsverzeichnis

II.

III.

6. Wechselwirkungen zwischen mehreren Pharmaka a) Additiver Synergismus b) Überadditiver Synergismus c) Pharmakokinetisch bedingte Interaktionen

53 54 54 55

Dopingsubstanzen

55

1. Verbotene Substanzen a) Stimulanzien b) Narkotika c) Anabole Steroide d) Diuretika e) Peptidhormone aa) Erythropoietin (EPO) bb) Novel Erythropoiesis Stimulating Protein (NESP) cc) Wachstumshormone (hGH und IGF) dd) Choriongonadotropin (hCG) ee) Adrenocorticotropes Hormon (ACTH) f) Kortikosteroide g) Blutdoping

55 56 58 58 60 61 62 63 64 67 67 68 68

2. Dopingsubstanzen mit Grenzwerten a) Koffein b) Ephedrine c) Cannabis d) Morphin e) Testosteron/Epitestosteron-Quotient (T/E-Quotient) f) Epitestosteron g) Salbutamol h) Nandrolon i) Hämatokrit und Hämoglobin

69 72 76 77 78 79 82 82 83 89

3. Ergebnis

94

Dopinganalytik

94

1. Verwendete analytische Verfahren und Methoden a) Das Screening- und Nachweisverfahren b) Der Nachweis von Peptidhormonen (EPO, NESP, GH) c) Korrekturwerte

94 95 96 100

2. Entwicklung und Zukunft der Dopinganalytik a) Entwicklung der Nachweisgrenze b) Möglichkeiten des Nachweises „versehentlichen" Dopings

101 101 102

nsverzeichnis

IV.

Zur Notwendigkeit von Grenzwertregelungen

106

1. Problem der unbeabsichtigten Kontamination a) Nahrungsergänzungsmittel aa) Hormonelle Nahrungsergänzungsmittel, „Prohormone" bb) Nicht-hormonelle Nahrungsergänzungsmittel (1) Kreatin (2) Tribulus Terrestris (3) Chrysin (4) Kontaminationen in Nahrungsergänzüngsmitteln b) Andere Kontaminationsquellen aa) Kontaminationen mit Anabolika, insbesondere Nandrolon ... bb) Kontaminationen mit den übrigen verbotenen Substanzen.... c) Problem der legalen Einnahme d) Problem der endogenen Produktion

106 107 107 112 112 113 114 115 118 118 121 122 123

2. Das Prinzip der „strict liability"

123

3. Ergebnis

125

Β. Rechtliche Grundlagen I.

9

Grenzwerte als Regelungsmodell

128 128

1. Grenzwerte im Umweltrecht 128 a) Verfahren der Grenzwertfindung im Umweltrecht 130 aa) Naturwissenschaftliche Grenzwertfindung 130 ( 1 ) Festsetzung des Schutzziels des Grenzwerts 131 (2) Auswahl des Versuchsmodells 132 (3) Extrapolation hin zu kleinsten Dosierungen 133 (4) Übertragung der Ergebnisse aus dem Tierexperiment auf den Menschen 133 (5) Sicherheitsfaktoren zur Ausgleichung unterschiedlicher Empfindlichkeit 134 bb) Politische Grenzwertfindung 136 b) Arten von Grenzwerten 138 aa) Grenzwerte 138 bb) Richtwerte 142 cc) Anhaltswerte, Empfehlungen 142 dd) Schwellenwerte, Prüfwerte 143 ee) Summen-Grenzwerte 144 ff) Vorsorgliche Minimal werte, Vorsorgewerte 146 gg) Verbot als „Grenzwert null" 147 hh) Grenzwertunabhängige Konzeptionen 147

nsverzeichnis

c) Bewertung aa) Funktion von Grenzwerten im Umweltrecht bb) Nachteile von Grenzwerten im Umweltrecht cc) Ergebnis

148 148 150 153

2. Grenzwerte als Regelungsmodell im Lebensmittelrecht a) Acceptable daily intake (ADI) b) Zulässige Rückstände in Lebensmitteln c) GVO-Kennzeichnung d) Kennzeichnung von Lebensmitteln als naturrein e) Ergebnis

153 154 154 155 156 158

3. Grenzwerte für Alkohol und Drogen im Straßenverkehr a) Alkohol im Straßenverkehr b) Drogen im Straßenverkehr aa) Drogeneinfluss und Fahrtüchtigkeit bb) Drogeneinfluss als Gefährdungstatbestand c) Ergebnis

159 159 161 161 162 168

Grenzwerte als Regelungsmodell im Dopingrecht

169

1. Aktuelle Grenzwertfestlegung im Dopingrecht a) Klassifizierung der Grenzwerte b) Grenzwertregelungen im Reitsport c) Folgerungen

169 169 171 173

2. Möglichkeiten der Grenzwertfestlegung im Dopingrecht 174 a) Pharmakologisch begründete Grenzen 174 b) Zum Aussagegehalt dieser Grenzen 175 aa) Nachweisgrenze 178 bb) Normwert, Normgrenzwert 178 cc) Wirkungsschwelle 179 dd) „Bagatellschwelle", Wirkungsgrenzwert 181 ee) Ergebnis 182 c) Eignung von Stoffklassen für Grenzwertregelungen 182 aa) Körperfremde Substanzen 183 (1) Substanzen mit Akutwirkung 183 (2) Substanzen mit positiver Langzeitwirkung 184 bb) Substanzen mit endogener Produktion 187 (1) Substanzen mit Akutwirkung 187 (2) Substanzen mit positiver Langzeitwirkung 188 (3) Nachweis der exogenen Zufuhr körpereigener Substanzen 189 cc) Körpereigene Parameter 190 191 (1) Grenzwerte zum Nachweis von Doping

nsverzeichnis

(2) d) Ergebnis III.

Grenzwerte zum Gesundheitsschutz

191 193

Inhaltskontrolle der Dopingregelungen

194

1. Inhaltskontrolle durch staatliche Gerichte a) § 242 BGB als Schranke aa) Anwendbarkeit von § 242 BGB bb) Ergänzungsfunktion des § 242 BGB cc) Schrankenfunktion des § 242 BGB (1) Geeignetheit von Verbandsnormen (2) Erforderlichkeit von Verbandsnormen (3) Angemessenheit von Verbandsnormen i.e.S b) Treue-, Förder- und Rücksichtnahmepflicht aa) Treuepflicht bb) Förderpflicht cc) Rücksichtnahmepflicht c) Rechtsfolgen

195 197 198 199 199 202 203 203 204 204 204 204 205

2. Inhaltskontrolle durch den CAS

206

3. Materielle Anforderungen an Dopingverbote a) Ziele der Dopingbekämpfung b) Chancengleichheit aa) Konkrete Leistungssteigerung beim Sportler bb) Abstrakte Eignung der Substanz zur Leistungssteigerung c) Gesundheitsschutz d) Schutz des Ansehens der Sportart aa) Ethischer Aspekt bb) Kommerzieller Aspekt cc) Auswirkungen des Ansehensschutzes

210 211 213 214 215 216 218 218 220 220

C. Rechtliche Bewertung des Grenzwertesystems im Doping I.

11

222

Inhaltskontrolle bestehender Grenzwerte und Verbote

222

1. Voraussetzungen

222

2. Beweiswert einer positiven Dopingprobe a) Dopingprobe als Anscheinsbeweis b) Erschütterung des Anscheinsbeweises c) Abgrenzung von Anscheinsbeweis und Vermutung d) Rechtsfolgen eines Dopingverstoßes aa) Sanktionen

224 225 227 228 229 229

12

nsverzeichnis

bb) Disqualifikation e) Rechtsprechung des CAS aa) Beweisanforderungen bb) Grenzwerte f) Folgerungen

II.

III.

231 233 233 238 239

3. Geeignetheit der Dopingverbote a) Substanzen mit körpereigener Produktion aa) Direkter Nachweis bb) Indirekter Nachweis cc) Grenzwert b) Substanzen mit zulässiger therapeutischer Anwendung c) Möglichkeit unbeabsichtigter Kontamination aa) Koffein, Morphin, Cannabis (1) Grenzwerte (2) Das Problem des „normalen" Konsums bb) Nandrolon (1) Grenzwert (2) Risikoverteilung

241 242 242 243 243 244 246 246 246 246 248 248 249

4. Rechtsfolgen ungeeigneter Regelungen

250

5. Ergebnis

251

Erforderlichkeit der Dopingverbote

252

1. Voraussetzungen

252

2. Chancengleichheit

254

3. Gesundheitsschutz

256

4. Ansehen der Sportart

258

5. Ergebnis

259

Angemessenheit der Dopingverbote

261

261 1. Angemessenheit nach dem aktuellen Stand der Technik a) Angemessenheit bei Nachweis von Spurenmengen von Substanzen mit positiver Langzeitwirkung 262 b) Angemessenheit der Risikoverteilung bei Nahrungsergänzüngsmitteln und Fleisch 263 c) Angemessenheit von Dopingverboten für Substanzen mit Akutwirkung 266 aa) Nachweis von Konzentrationen oberhalb des Wirkungsgrenzwertes 267

nsverzeichnis

( 1 ) Angemessenheit von Sanktionen (2) Angemessenheit der Disqualifikation bb) Nachweis von Spurenmengen (1) Angemessenheit von Sanktionen (2) Angemessenheit der Disqualifikation

13

267 268 268 268 270

2. Berücksichtigung eines eindeutigen Nachweises von Kontaminationen 272 a) Chancengleichheit 273 b) Gesundheitsschutz 273 c) Ansehen der Sportart 274 d) Folgerungen 274 3. Ergebnis

275

IV.

Folgerungen hinsichtlich des WADA-Codes

275

V.

Formelle Anforderungen an Grenzwerte

279

1. Grundlagen

279

2. Grenzwerte mit Verhaltensspielraum

281

3. Grenzwerte zur Trennung natürlicher und manipulierter Zustände

283

4. Festlegung der Analysemethode

286

5. Warnungen

287

6. Ergebnis

289

Probleme bei der Anwendung und Festlegung der Grenzwerte

289

1. Wechselwirkungen zwischen mehreren Pharmaka

289

2. Grenzwerte für „verwandte Substanzen"

291

VI.

3. Ausgleich krankheitsbedingter Leistungsdefizite 293 a) Festsetzung eines Grenzwertes mit definierter Substanzwirkung ... 293 aa) Chancengleichheit 296 bb) Gesundheitsschutz 296 cc) Ansehen der Sportart 297 dd) Zwischenergebnis 298 b) Definition eines krankheitsbedingten Leistungsdefizits 298 c) Ergebnis 299 4. Möglichkeiten des Missbrauchs von Grenzwerten

301

5. Ergebnis

302

14

nsverzeichnis

VII. Am Sportler orientierte Regelungsmodelle

303

1. Individuelle Normwerte

303

2. Steroidprofil

304

3. Medikamentenpass

306

4. Gesundheitspass

308

5. Ergebnis

310

VIII. Zusammenfassung, Thesen und Ausblick

310

1. Zusammenfassung

310

2. Thesen

311

3. Ausblick

319

Literaturverzeichnis

321

Personen- und Sachwortverzeichnis

347

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle 1 :

Grenzwerte in der Liste der Verbotenen Substanzen des Olympic Movement Anti-Doping Codes des IOC (Stand 1.1.2003)

69

Tabelle 2:

Grenzwerte im Regelwerk der WAD A (Stand 1.1.2004)

71

Tabelle 3:

Analytische Grenzwerte für den Nachweis von Drogen im Straßenverkehr, § 24a St VG

166

Abbildung 1 : Entwicklung der Grenzwertregelungen im Dopingregulatorium des IOC (bis 2003) und der WADA (2004)

24

Abbildung 2: Konzentrations-Zeit-Diagramm

35

Abbildung 3: Konzentrationsverlauf eines Pharmakons im Körper

37

Abbildung 4:

Idealtypische Dosis-Wirkungs-Beziehung, halblogarithmische Darstellung

39

Abbildung 5: Konzentrations-Zeit-Diagramm unter Einbeziehung klinischer Wirkungsschwellen

41

Abbildung 6: Grundtypen von Dosis-Wirkungs-Beziehungen

44

Abbildung 7: Pharmakologisches Modell einer Dosis-Wirkungs-Beziehung und Bestimmung des No (Observable) Effect Levels (N(O)EL)

46

Abbildung 8: Schematische Darstellung des Auftretens einer Wirkung als Funktion der Dosis

51

Abbildung 9:

Syntheseschritt von Prohormonen zu Nandrolon, Hauptmetaboliten.. 85

Abbildung 10: Enzymkontrollierte biochemische Syntheseschritte von Testosteron 108 Abbildung 11 : Ableitung eines naturwissenschaftlich fundierten Grenzwertes (GW) aus der Wirkungsschwelle (NOEL) einer Substanz 131 Abbildung 12: Grafische Darstellung bedeutsamer Konzentrati on swerte einer Substanz 174 Abbildung 13: Idealtypischer Konzentrationsverlauf einer wirksamen pharmakologischen Dosis einer Substanz (1) und einer wirkungslosen Kontamination der gleichen Substanz (2) 176

Abkürzungsverzeichnis a. Α.

andere Ansicht

ABl.

Amtsblatt

ACE

Angiotensin-Konversionsenzym

ACTH

Adrenocorticotropes Hormon

ADI

Acceptable Daily Intake

ADK

Anti-Doping-Kommission

ARCI

Association of Racing Commissioners

BÄK

Blutalkoholkonzentration

Begr.

Begründer

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGE

Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts

BGH

Bundesgerichtshof

BSE

Bovine Spongiforme Encephalopathie

Ca 2+

Calciumionen

CAS

Court of Arbitration for Sport, Internationales Sportschiedsgericht, siehe auch TAS.

CHO

Chinese Hamster Ovary

d.h.

das heißt

DHEA

Dehydroepiandrosteron

DLV

Deutscher Leichtathletikverband

DNA

Desoxyribonukleinsäure

DSB

Deutscher Sportbund

EGE

Europäische Gruppe fur Ethik

EHSLC

European Horseracing Scientific Liasion Committee

ELISA

Enzyme Linked Immunosorbent Assay

EMRK

Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Europäische Menschenrechtskonvention

EPC

Effective Plasma Concentration

EPO

Erythropoietin

Abkürzungsverzeichnis

17

EU

Europäische Union

FDA

Food and Drug Administration, US-amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelüberwachungsbehörde

FEI

Fédération Equestre Internationale; Internationaler Pferdesportverband

ff.

fortfolgende Seiten

FIFA

Fédération Internationale de Football Association, Internationaler Fußballverband

FILA

Fédération Internationale des Luttes Associées, Internationaler Ringerverband

FINA

Fédération Internationale de Natation Amateur; Internationaler Schwimmverband

FIS

Fédération Internationale de Ski; Internationaler Skiverband

Fn.

Fußnote

FSH

Follikelstimulierendes Hormon

FTIR

Fourier-Transformations-Infrarotspektrometrie

GC

Gaschromatographie

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GH

Growth Hormone, Wachstumshormon

GHRH

Growth Hormone Releasing Hormone, Releasingfaktor für GH

GVO

Genetisch veränderte Organismen

hCG

Choriongonadotropin

hGH

körpereigenes Wachstumshormon, human Growth Hormone

h.M.

herrschende Meinung

HPLC

Hochdruckflüssigkeitschromatographie

HRMS

High Resolution Mass Spectrometry, Hochauflösungs-MS

Hrsg.

Herausgeber

IAAF

International Amateur Athletics Federation; Internationaler Leichtathletikverband

IBU

International Biathlon Union, Internationale Biathlon-Union

IE

Internationale Einheiten

IGF-1

Insulinartiger Wachstumsfaktor 1

IOC

Internationales Olympisches Komitee

IOC-Liste

Liste der Verbotenen Substanzen im WADA-Code des IOC

IPL

Irrelevant Plasma Level

2 Paul

Abkürzungsverzeichnis

18 IRMS

Isotope Ratio MS, Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie

ITF

International Tennis Federation; Internationaler Tennisverband

IUL

Irrelevant Urine Level

i.V.m.

in Verbindung mit

K

+

Kaliumionen

kD

Kilodalton, Molekulargewicht

LH

Luteinisierendes Hormon

LMBG

Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz

LOEL

Lowest Observable Effect Level

MAK

Maximale Arbeitsplatz-Konzentration

MEC

Minimale effektive Konzentration

MIK

Maximale Immissions-Konzentration

ml

Milliliter

MS

Massenspektrometrie

MS/MS

Tandem-Massenspektrometrie

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NA

19-Norandrosterone

NE

19-Noretiocholanolone

NEL

No Effect Level

ng

Nanogramm

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht

NOAEL

No Observable Adverse Effect Level

NOEL

No Observable Effect Level

NOK

Nationales Olympisches Komitee

OLG

Oberlandesgericht

PCR

Polymerase Chain Reaction, Polymerase-Kettenreaktion

pH

Messwert fur die saure oder alkalische Reaktion einer Lösung

rhGH

recombinant human GH, künstlich hergestelltes Wachstumshormon

SFC

Superkritische Flüssigchromatographie

SFE

Superkritische Flüssigextraktion

SpwRt

Zeitschrift für Sport und Recht

SSCC

Sports Safety and Conditions Commission

TAS

Tribunal Arbitral du Sport, gleichbedeutend zu CAS (siehe dort)

Abkürzungsverzeichnis

19

THC

Tetrahydrocannabinol, Wirkstoff von Cannabis

THCmet

Carboxy-THC, Metabolit von THC

TLV

Threshold limit values

u.a.

unter anderem

UCI

Union Cycliste Internationale; Internationaler Radfahrerverband

UIPM

Union Internationale de Pentathlon Moderne, Internationaler Verband für Modernen Pentathlon

UIT

Union Internationale de Tir; Internationaler Schützenverband

USA

United States of America, Vereinigte Staaten von Amerika

vs.

gegen

vgl.

vergleiche

Vol.

Volume, Ausgabe

WADA

World Anti-Doping Agency, Welt-Anti-Doping-Agentur

WADA-Code

Welt-Anti-Doping-Code der WADA

WADA-Liste

Liste der Verbotenen Substanzen der WADA

WHO

World Health Organisation, Welt-Gesundheitsorganisation

z. B.

zum Beispiel

ZGB

Schweizerisches Zivilgesetzbuch

Einleitung I. Einführung Doping gibt es vermutlich, solange es den Sport gibt. So berichten schon zur Zeit der antiken Olympischen Spiele Philostratos und Galen von einer Dopingmentalität der Athleten der Antike, „... welche für jede Art von Zubereitung empfänglich waren, die sie schneller laufen, höher springen oder mehr heben ließ". 1 Einige Athleten versuchten mit Pilzen eine Leistungssteigerung herbeizufuhren, andere tranken Wein oder Branntweinzubereitungen, wieder andere nahmen eine Art Schachtelhalmzubereitung zu sich.2 Es gibt Darstellungen, in denen geschildert wird, dass sogar Alkaloide wie Strychnin mit Alkohol gemixt wurden, um einen stimulierenden Effekt zu erreichen. 3 Auch in jüngerer Zeit wurden bereits 1865 Kanalschwimmer in Amsterdam beschuldigt, Koffein eingenommen zu haben.4 1879 bei der Uraufführung der berühmten SechsTage-Rennen wurden von den Fahrern verschiedenste „Wundermittel" angewandt. Einige saugten an mit Äther getränkten Zuckerstücken, andere verspeisten Koffeintabletten, wieder andere inhalierten reinen Sauerstoff, nahmen Strychnin, Heroin sowie Kokain und spülten es mit Brandy hinunter. 5 In heutiger Zeit ist bemerkenswert, dass in den letzten 50 Jahren im Spitzensport eine kontinuierliche Steigerung der Leistung beobachtet werden konnte. Jahr um Jahr wurden neue Rekorde erzielt. Bestmarken wurden aufgestellt, nur um in wenigen Jahren wieder übertroffen zu werden. 6 Es wird bereits vermutet, dass Top-Athleten längst die biologische Leistungsfähigkeit des mensch-

L. Woodland, Dope. The use of drugs in sport, 1980, S. 11. 2

R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 3; R. Voy , Drugs, Sport, and Polîtes, 1991, S. 5; B. Eriksson / J. Meilstrand /L. Peterson , Sport, Krankheit und Medikamente, 1989, S. 341. 3

Vgl. auch M. Verrohen , in: J. M. Holly /P. E. Mull is, Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 1. 4 R. Baier , Doping im Sport, 1998, S. 225 m.w.N. 5

R. Voy , Drugs, Sport, and Politcs, 1991, S. 6; L. Woodland , Dope. The use of drugs in sport, 1980, S. 14 f.; R. Baier , Doping im Sport, 1998, S. 3f. 6 Vgl. zu diesem Thema ausführlich A. Singler/G. Treutlein, Doping im Spitzensport, 2000, S. 11 ff.

Einleitung

22

liehen Organismus erreicht haben.7 Die Lösung scheint einfach: Wer mehr will, muss dopen.8 Dabei ist auch heute den Athleten kein Mittel zu ungewöhnlich: Die Siegerin des olympischen Marathonlaufs von Sydney 2000, die Japanerin Naoko Takahashi, steigerte ihre Leistung angeblich mit dem Magensaft von Riesenhornissen.9 Nach den geltenden Bestimmungen ist dies bislang kein verbotener Wirkstoff. Eine der Ursachen für die Zunahme des Dopings liegt wohl in der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports. 10 Durch den rapiden Handel mit Übertragungsrechten und wichtigen Sponsorenverträgen hat sich der Druck auf den einzelnen Sportler und seine Umgebung verstärkt, was die Verwendung verbotener Substanzen fordert. So werden beispielsweise Verträge zwischen Sportverbänden und Sponsoren abgeschlossen, die den Sportlern Vergütungen entsprechend ihren Ergebnissen oder bei wichtigen Wettkämpfen gewonnenen Medaillen gewähren. 11 Im Hochleistungssport geht es dabei, wie einmal formuliert wurde, „nicht um viel Geld, sondern um sehr viel Geld." 12 Die Professionalisierung der Sportbetätigung wird dabei von einer „Verwissenschaftlichung" der Trainingsmethoden begleitet. Hochleistungssport wird heute unter intensiver medizinischer und naturwissenschaftlicher Betreuung betrieben, aus der körperlichen Leistungsfähigkeit der Athleten das „medizinische Optimum" herausgeholt. Auf den Sportlern und ihren Betreuern lastet ein enormer Erfolgsdruck. Dabei sind die Übergänge von (medizinisch) erlaubten zu manipulierenden Trainingsmethoden fließend. 13

7 M Grossekathöfer / U. Ludwig /M. Wilzinger, laps, Der Spiegel v. 18.6.2000, S. 200 ff.

Experimentieren bis zum Kol-

8 Vgl. C. E. Yesalis/A. N. Kopstein/M. S. Bahrke, in: W. Wilson/E. Der se, Doping in Elite Sport. The Politics of Drugs in the Olympic Movement, 2001, S. 43; J. Leonard , in: W. Wilson/E. Derse , Doping in Elite Sport. The Politics of Drugs in the Olympic Movement, 2001, S. 236; zum EPO-Doping aus der eigenen Erfahrung eines Athleten E. Wagner, in: M. Gamper /J. Mühlethaler / F. Reidhaar, Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 35. 9 FAZv. 31.10.2000, S. 13. 10 L. Tarasti , Legal Solutions in International Doping Cases, 2001, S. 35. 11 J Andreu, in: V. Röhricht / Κ. Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 100; T. Knobbe, Spektakel Spitzensport, 2000, S. 247. Zur Vergütung, Salary-Caps und Transferzahlungen siehe I. Hannamann, in: K. Vieweg, Spektrum des Sportrechts, 2003, S. 163 ff. und A. Fikentscher, in: K. Vieweg, Spektrum des Sportrechts, 2003, S. 188 ff. 12

R. Zuck, NJW 1999, S. 831; vgl. auch A. Röthel, in: K. Vieweg, Spektrum des Sportrechts, 2003, S. 67; zum Marken wert und Merchandisung im Sport A. Neumann, in: K. Vieweg, Spektrum des Sportrechts, 2003, S. 296 ff. 13 B. Heß, in: B. Heß / W.-D. Dressler, Aktuelle Rechtsfragen des Sports, 1999, S. 9 f.

I. Einführung

23

Die Folgen des Dopings sind allerdings gravierend. Es wird geschätzt, dass bisher über 100 Sportler den Dopingtod gestorben sind. 14 Auf der sportlichen wie finanziellen Verliererseite stehen aber in jedem Fall jene Athleten, die dem Dopingsog standhalten, sich den Erwartungshaltungen von Massenpublikum und Sponsoren nach immer neuen Rekorden entziehen und keine sensationellen Höchstleistungen mehr erbringen. 15 Leider verfingen sich auch „saubere" Athleten in den letzten Jahren unbeabsichtigt im Regelwerk der Anti-Doping-Bestimmungen. Kontaminationen aus anscheinend harmlosen Produkten wie z. B. Nahrungsergänzüngsmitteln führten zu positiven Dopingproben. Im Zuge dieser Entwicklung rückten die in den Anti-Doping-Bestimmungen verwendeten Grenzwerte in den Blickpunkt des Interesses. Die Häufigkeit, mit der in den Medien die Grenzwertproblematik aufgegriffen wurde, korrespondiert dabei mit der Zunahme der Grenzwertregelungen im Anti-Doping-Regelwerk des IOC. So hat sich die Dopingliste pragmatisch entwickelt und wurde im Laufe der Jahre - angepasst an bestehende oder neue Dopingpraktiken - ständig erweitert, wobei weitere Wirkstoffgruppen, aber auch zunehmend immer mehr Grenzwertregelungen eingeführt wurden. 16 Die deutliche Zunahme der Grenzwertregelungen insbesondere in den letzten Jahren ist am Beispiel der Regelwerke von IOC 1 7 und WAD A 1 8 in Abbildung 1 dargestellt. Noch 1980 wurden in den Anti-Doping-Bestimmungen des IOC keine Grenzwerte verwendet. Dies änderte sich erst 1983, als zunächst ein Grenzwert für Testosteron eingefühlt wurde (in Form des T/E-Quotienten 19 ). 1984 folgte zu den Olympischen Spielen in Los Angeles ein Grenzwert für Koffein. 20

14 15 16

J. Linck^m 1987, S. 2545. R. Schröder/M. Bedau, NJW 1999, S. 3367. Vgl. dazu auch W. Schänzer, in: V. Röhricht/ K. Viewegs Doping-Forum, 2000,

S. 17. 17

Zunächst „Medical Code des IOC"; ab 1.1.2000 „Olympic Movement AntiDoping-Code"; vgl. Explanatory Memorandum Concerning the Application of the Olympic Movement Anti-Doping-Code, IOC, Lausanne, 9.12.1999. 18 Die WADA hat zum 1.1.2004 erstmals eine eigene Liste verbotener Substanzen aufgestellt, die die IOC-Liste als weltweiten Standard ablösen wird. 19

Siehe dazu A.II.2.e). M. Verroken , in: J. M. Holly / P. E. Mullis , Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 6 ff.; J. Todd/T. Todd , in: W. Wilson / E. Derse , Doping in Elite Sport. The Politics of Drugs in the Olympic Movement, 2001, S. 79; W. Schänzer , in: M. Gamper / J. Miihlethaler / F. Reidhaar , Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 193. 20

24

Einleitung

2520-

15• Anzahl

10-

Abbildung 1 : Entwicklung der Grenzwertregelungen im Dopingregulatorium des IOC (bis 2003) und der W A D A (2004) 21

Diese Regelungssituation mit nur zwei Grenzwerten blieb dann zunächst über Jahre stabil, um sich dann 1998 einschneidend zu ändern. Mit dem Medical Code des IOC wurden insgesamt 10 Grenzwerte eingeführt, davon allein sechs für die Substanzklasse der Ephedrine. Die Einführung des Olympic Movement Anti-Doping Code zum 1.1.2000 erhöhte die Zahl der Grenzwerte um weitere fünf auf insgesamt 15. Durch den Wegfall des Summengrenzwertes für Ephedrine zum 31.3.2000 sank die Zahl der Grenzwerte dann wieder auf 14 und blieb in der Neufassung des Anhangs A, in Kraft getreten am 1. Januar 2003, ohne Veränderung. 22 Die Liste der verbotenen Substanzen der WADA, die ab 1.1.2004 die IOC-Liste als internationaler Standard ersetzt, hat die Grenzwerte der IOC-Liste im Ergebnis zwar sowohl in Anzahl und Höhe beibehalten23, nennt aber zusätzlich 8 Grenzwerte für Alkohol, die allerdings nur für bestimmte Sportarten Geltung haben.24

Es liegt für 2003 die Fassung des Olympic Movement Ant-Doping Codes, Appendix A (Prohibited Classes of Substances and Prohibited Methods) vom 1. Januar 2003 und für 2004 die WADA Prohibited List 2004 vom 30. September 2003 zu Grunde. 22

Olympic Movement Anti-Doping Code, Appendix A (Prohibited Classes of Substances and Prohibited Methods) vom 27. September 2002, in Kraft getreten zum 1. Januar 2003. 23

Die Grenzwerte werden im W A D A-Code erstmals in zwei verschiedenen Dokumenten festgelegt: World Anti-Doping Code, Prohibited List 2004, gültig ab 1.1.2004,

II. Übersicht über Anti-Doping-Regelungen

25

In der vergangenen Zeit hat vor allem der Grenzwert für Nandrolon für Diskussionen gesorgt. 25 Dopingvorwürfe gegen Athleten wie ζ. B. die Speerwerferin Carolin Soboll, den Stabhochspringer Tim Lobinger, die Langstreckenschwimmer Meca-Medina und Majcen und den Ringer Alexander Leipold wurden in der Öffentlichkeit stark beachtet und waren auch Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. 26 Mit der vorliegenden Untersuchung soll die Problematik der Grenzwerte im Doping - soweit erkennbar, erstmals - auf interdisziplinäre Weise aufgearbeitet werden. Dabei wird zum einen der naturwissenschaftliche Hintergrund der Grenzwerte im Doping dargestellt, zum anderen das Grenzwertesystem einer eingehenden rechtlichen Prüfung und Bewertung unterzogen. Kernstück der rechtlichen Prüfung ist die rechtliche Inhaltskontrolle der Grenzwertregelungen. Weiterhin wird auf formelle Aspekte, zu erwartende Probleme einer ausgedehnten Einführung von Grenzwerten sowie auf alternative Lösungsansätze eingegangen.

I I . Übersicht über Anti-Doping-Regelungen Grundsätzlich regelt jeder Sportverband das Verbot des Dopings in seiner eigenen Satzung. In der Gestaltung ist er dabei prinzipiell frei, es sei denn, er wird von dem ihm übergeordneten Spitzenverband zur Übernahme dessen Dopingregulatoriums in seine Satzung verpflichtet. Entsprechend der Aufteilung des Sportverbandswesens nach den jeweiligen Sportarten sowie in internationale, nationale und regionale (Landes-)Verbände ergibt sich daraus eine erhebliche potenzielle RegelungsVielfalt. 27 Angesichts des globalen Charakters des modernen Spitzensports und des hohen Grades an internationaler Mobilität ist die Aufgabe der Harmonisierung

und Technical Docment TD2003MRPL „Minimum Required Performance Limits for Detection of Prohibited Substances"; siehe hierzu ausführlich A.II.2. 24

W A D A Prohibited List 2004, S. 15, Ziffer P.l.

25

Vgl. auch A. Abbot, What price the Olympian ideal?, Nature 2000, S. 126.

26

FAZ v. 30.11.2000, S. 48 und v. 20.11.2000, S. 48; FAZ v. 27.4.2000, S. 47; FAZ v. 5.2.2001, S. 46; CAS 99/A/234 & CAS 99/A/235 Meca-Medina and Majcen v. FINA, Award of February 29, 2000 und CAS 2000/A/270, Meca-Medina and Majcen v. FINA, Award of May 23, 2001; CAS 2000/A/310 Leipold v. IOC, Award of October 22, 2001. 27 Dazu und ausfuhrlich zu der Problematik vgl. C Prokop, Die Grenzen der Dopingverbote, 2000, S. 94; D. Ciasing/R. K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 18; R. C. R. Siekmann, in: V. Röhricht /K. Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 31.

Einleitung

26

wichtiger denn je, damit Dopingsünder Regelungsdifferenzen und Unstimmigkeiten zwischen verschiedenen Ländern und/oder Organisationen nicht ausnützen können. 28 Europa spielt dabei weltweit seit jeher eine Führungsrolle im Sport. Jedes Jahr finden die meisten Sportereignisse in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union statt, 1999 allein 77 Weltmeisterschaften und 102 Europameisterschaften. 29 Dies bedeutet eine zunehmende Mobilität der Sportler, die zumeist Profisportler sind. Deshalb ist es notwendig, für den Sport in Europa möglichst einheitliche Normen festzulegen, die den freien Verkehr von Dienstleistungen der Profisportler innerhalb der Europäischen Union nicht beeinträchtigen. 30 Einvernehmlich wird daher für notwendig gehalten, dass die Dopinglisten harmonisiert werden müssen. Maßstab und Leitbild der Harmonisierungsbestrebungen waren bisher die Regelungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). 31 Hinzu treten seit neuestem die Bestrebungen der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), ein weltweit einheitliches Regelwerk, den W A D A World-Anti-Doping-Code, zu schaffen. Beide Regelungen werden im Folgenden auf ihre Relevanz für den Gang der Untersuchung geprüft.

1. Der Olympic Movement Anti-Doping Code Die Anti-Doping-Regelung des Internationalen Olympischen Komitees, der „Olympic Movement Anti-Doping Code" (OMADC), wurde noch im Jahr 2000 als das Herzstück dessen bezeichnet, was der Kampf gegen Doping auf rechtlicher Seite für die Zukunft bedeutet.32 Er enthält die grundlegenden Prinzipien, die die gesamte Olympische Bewegung beachten muss.33 Unmittelbar gilt er nur für Wettkämpfe, die in Verantwortung oder mit Unterstützung des IOC veranstaltet werden und hat daher zwingende Geltung nur bei den Olympischen Spielen. 34 Er ist aber als Modellgesetz konzipiert und soll von den NOK, aber

28 B. Houlihan , Dying to win, 2000, S. 154; V. Grabow, in: D. Kurz /7/ Mester, Doping im Sport, 1997, S. 94. 29

J. Andreu, in: V Röhricht / Κ Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 106.

30

J. Andreu, in: V Röhricht / Κ Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 106; vgl. auch A. Röthel, in: V Röhricht /K. Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 109 ff. 31

So z.B. J. Fritzweiler/B. 1998, S. 152 m.w.N. 32

Pfister/T.

Summerer, Praxishandbuch Sportrecht,

T. Bach, in: V Röhricht /K. Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 72.

33

Vgl. Explanatory Memorandum Concerning the Application of the Olympic Movement Anti-Doping-Code, IOC, Lausanne, 9.12.1999, S. 5. 34

R. 45, 3. Spiegelstrich; R. 49, O.C., AusfUhrungsregel 5.1.

II. Übersicht über Anti-Doping-Regelungen

27

auch von den International Federations und ihren nachgeordneten Fachverbänden übernommen werden. 35 Er war damit über Jahre hinweg das Ziel der Harmonisierungsbestrebungen weltweit. 36 Eine unmittelbare Rechtspflicht zur Übernahme des olympischen Regelwerks für die eigene Verbandsorganisation besteht im Verhältnis zwischen IOC und den International Federations nicht. 37 Da aber Dopingkontrollen bei internationalen Wettkämpfen, insbesondere bei den Vorentscheidungen für die Olympischen Spiele, teils nach den Regelwerken der Fachverbände, teils nach dem Olympic Movement Anti-Doping Code durchgeführt werden, erschweren Konkurrenz und fehlende Konkordanz der Regelungswerke die Dopingbekämpfung nachhaltig. 38 Auf seine Übernahme wird vom IOC daher mit deutlichem Druck hingewirkt. So hat das IOC 1999 beschlossen, dass in Zukunft nur solche Verbände im olympischen Programm bleiben können, die den Regeln und Anforderungen des Anti-Doping-Codes genügen, um die Verbände zu bewegen, den Olympic Movement Anti-Doping Code vollumfänglich umzuset-

2. Der Welt-Anti-Doping-Code der WADA Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) mit Sitz in Montreal wurde am 10. November 1999 gegründet, um den Kampf gegen das Doping im Sport weltweit zu koordinieren und zu fördern. 40 Eine der Aufgaben der W A D A ist es, mit Vorschlägen auf die Harmonisierung der Anti-Doping-Regelungen der in-

35

B. Heß, in: B. Heß / W.-D. Dressler, Aktuelle Rechtsfragen des Sports, 1999, S. 12; vgl. auch die Präambel des Olympic Movement Anti-Doping Code. 36

E. N. Vrijman, in: J. O'Leary, Drugs and Doping in Sport: Socio-Legal Perspectives, 2001, S. 147 ff. 37

B. Heß, in: B. Heß / W.-D. Dressler, Aktuelle Rechtsfragen des Sports, 1999,

S. 7. 38

Internationale Wettbewerbe unterliegen unterschiedlichen Regelungswerken, vgl. TAS, Gutachten 94/128, danach haben die Internationalen Fachverbände die primäre Kompetenz (Jurisdiktion) zur Bekämpfung des Dopings bei ihren Wettbewerben. Regionale Wettbewerbe, die mehrere Sportarten gleichzeitig betreffen, unterstehen hingegen der Jurisdiction" der NOK, der „Medical Code" ist anzuwenden, TAS Gutachten 95/144. Vgl. zu der Problematik auch B. Heß, in: B. Heß /W.-D. Dressler, Aktuelle Rechtsfragen des Sports, 1999, S. 13. 39

T. Bach, in: V. Röhricht / K. Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 75; ebenso B. Houlihan , Dying to win, 2000, S. 164. 40

Zu ausführlichen und aktuellen Informationen siehe die Intemetseite der W A D A unter www.wada-ama.org.

Einleitung

28

ternationalen Sportverbände hinzuwirken. I m Rahmen dieser Zielsetzung hat die W A D A im Juni 2002 einen ersten Entwurf eines weltweit einheitlichen Welt-Anti-Doping-Codes vorgestellt. 41 Dieser erste Entwurf wurde nach Abstimmung mit den internationalen Sportverbänden erheblich umgestaltet, so dass im Oktober 2002 ein zweiter überarbeiteter Entwurf vorgestellt werden konnte. Nach erneuter Diskussion dieses Entwurfs haben die internationalen Sportverbände sowie Verteter von 80 nationalen Regierungen auf der Weltkonferenz über Doping im Sport am 5. März 2003 die Version 3.0 des W A D A Welt-Anti-Doping-Codes - nachfolgend kurz als WAD A-Code bezeichnet - als verbindliche Endversion angenommen. 4 2 Damit wurde erstmals ein weltweit einheitliches Muster-Regelwerk zur Bekämpfung des Dopings im Sport verabschiedet. Der WADA-Code wurde auf der Grundlage des Olympic Movement AntiDoping Codes des IOC entwickelt 43 und behält dessen wesentliche Prinzipien bei: Doping wird weiterhin enumerativ konkret bestimmt und liegt vor, wenn eine der in der Liste der verbotenen Substanzen aufgeführte Substanz in der Dopingprobe eines Athleten nachgewiesen wird. 44 Die W A D A erkennt auch die derzeit bestehende Dominanz des Olympic Movement Anti-Doping-Codes als faktisches Musterregelwerk ausdrücklich an. 45 Für das Jahr 2003 hat die W A D A auch noch übergangsweise die Liste der verbotenen Substanzen des IOC als Musterregelung empfohlen. 46 A m 30. September 2003 hat die W A D A eine eigene Liste von verbotenen Substanzen - kurz: WADA-Liste - vorgestellt, die zum 1. Januar 2004 in Kraft tritt. 47 Der WADA-Code unterscheidet sich in einem für die Grenzwertproblematik wesentlichen Punkt vom Olympic Movement Anti-Doping Code des IOC: Die Zielvorgaben für Substanzverbote sind wesentlich präziser und enger gefasst. So darf die Liste der verbotenen Substanzen nur solche Substanzen als Dopingsubstanzen verbieten, deren Verwendung gegen zwei der drei Ziele der Do-

41

Dieses und die folgenden WADA-Dokumente sind auf der Internetseite der W A D A einsehbar, www.wada-ama.org. 42

Pressemitteilung der WADA vom 6. März 2003, www.wada-ama.org.

43

Vgl. WADA-Code, Begründung zu Ziffer 2.1..1 (S. 11), ZifTer 2.2.1 (S. 12), Ziffer 4.2 (S. 15). 44

WADA-Code, Art. 4.1.

45

WADA-Code, The Prohibited List, Stand 10. November 2002, S. 2.

46 WADA-Code, 2. Entwurf, Ziffer 1.4.1.; WADA-Code, The Prohibited List, Stand 10. November 2002, S. 7. 47

W A D A Prohibited List 2004, einsehbar auf www.wada-ama.org.

II. Übersicht über Anti-Doping-Regelungen

29

pmgbekampfung verstößt. 48 Auch gibt es systematische Neuerungen bei der Einteilung der Grenzwerte. Hierauf wird noch ausführlich eingegangen.49

3. Gemeinsame Regelungsprinzipien der Anti-Doping-Regelungen Auch der WADA-Code ist trotz seines Anspruchs als Leitbild im Kampf gegen das Doping nur eine Musterregelung, die zu ihrer Wirksamkeit von Sportverbänden noch als Satzung übernommen werden muss und daher ohne diese Übernahme unmittelbar keine verbindlichen Wirkungen hat. Ebenso galt der Olympic Movement Anti-Doping Code des IOC ebenfalls zunächst nur für das IOC; zur Wirksamkeit bei anderen Vereinen und Verbänden musste er ebenfalls als Satzung übernommen werden. Es stellt sich somit die Frage, ob und inwieweit diese Regelungen tatsächlich von den internationalen, nationalen und regionalen Sportverbänden übernommen wurden, oder ob auch abweichende Anti-Doping-Regelungen existieren. Obwohl der Olympic Movement Anti-Doping-Code faktisch über Jahre hinweg als Mustergesetz herangezogen wurde und die W A D A das Ziel einer weltweiten Harmonisierung der Anti-Doping-Regelungen nunmehr mit Nachdruck verfolgt, so besteht derzeit bei Anti-Doping-Regelungen dennoch weltweit nach wie vor eine erhebliche RegelungsVielfalt. 50 Vergleichende juristische Untersuchungen zeigten erwartungsgemäß noch im Jahr 2000, dass weder eine für den Sport verbindliche Legaldefinition von Doping noch ausdrücklich festgelegte Kriterien für die Definition des Dopings existierten. Der Inhalt des Dopingverbots wurde vielmehr von den Sportverbänden nach eigener Vorstellung und teilweise unterschiedlich geregelt. 51 Die historische Entwicklung des Dopingbegriffs belegt darüber hinaus, dass dessen Tatbestand auch innerhalb der jeweiligen Sportverbände nicht einheitlich ist, sondern den Entwicklungen im Sport angepasst wird. Doping ist daher kein Rechtsbegriff, der eine allgemeingültige Interpretation zulässt. Es besteht aber ein Grundkonsens darüber, dass der Begriff des Dopings teleologisch bestimmt wird. Danach sind „Do-

48

WADA-Code, Art. 4.3.1 ; vgl. auch ausführlich unten B.III.3.a).

49

Siehe C.IV.

50

Vgl. z.B. R. C R. Siekmann, in: V. Röhricht / K. Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 31. Der WADA-Code ist aber im Vordringen begriffen; er wurde mittlerweile von 66 nationalen und internationalen Organisationen als Mustergesetz umgesetzt, unter anderem auch vom IOC (Stand: 3.10.2003). 51

Vgl. dazu K. Vieweg, in: K. Vieweg., Doping - Realität und Recht, 1998, S. 24; V. Röhricht, in: Württembergischer Fußballverband e.V., Sportrecht damals und heute, 2001, S. 16; K. Vieweg / C. Paul, The definition of doping and the proof of a doping offence, The International Sports Law Journal 2002, S. 2 ff.

Einleitung

30

ping" alle Verhaltensmuster im Sport, die durch die Dopingbekämpfung unterbunden werden sollen. 52 Hinsichtlich der einzelnen als unzulässig eingestuften Verhaltensweisen zeigt sich jedoch eine wesentliche Gemeinsamkeit aller zur Zeit verwendeten und anwendbaren Dopingdefinitionen: Doping wird übereinstimmend nicht mehr inhaltlich abstrakt, sondern enumerativ konkret bestimmt. 53 Diese „pragmatische Definition" erfolgt über die Aufstellung einer Verbotsliste, über welche die zulässigen von den unzulässigen Methoden abgegrenzt werden. Das Verbot von Doping besteht daher in einer Summe von jeweils selbständigen Untersagungen. 54 Diese Listen der verbotenen Substanzen sind unentbehrliche Grundlage jeder „Dopingfahndung" und Dopingsanktion. Sie bilden den Mittelpunkt des materiellen Dopingrechts. 55 Parallel dazu wurde nach Art des Art. 2 Nr. 1 Olympic Movement Anti-Doping Code ein abstrakter Tatbestand eingeführt, primär um die Erstreckung des Dopingverbots auf „verwandte Substanzen" zu gewährleisten. Dieser stößt jedoch auf breite Kritik und wird mangels Bestimmtheit für unwirksam gehalten; er kann nach diesen - zustimmungswürdigen - Auffassungen die Verbotsliste nicht ergänzen und schon gar nicht ersetzen. 56 Auch wenn sich die Harmonisierung noch immer in einer Frühphase ihrer Entwicklung befindet 57 , so gibt es doch in dem wichtigen Kernbereich der Liste der verbotenen Substanzen bereits weitgehende Übereinstimmungen. 58 Weitere systematische Gemeinsamkeit der Dopingregelungen ist, dass der tatsächliche

52

C. Prokop, Die Grenzen der Dopingverbote, 2000, S. 75 u. 93.

53

Vgl. U. Haas, SpwRt 2000, S. 6.

54

C Prokop, Die Grenzen der Dopingverbote, 2000, S. 90 ff.

55

L. Tarasti , Legal Solutions in International Doping Cases, 2001, S. 43; ebenso U. Steiner, NJW 1991, S. 2736. Seit ihrer Einführung 1986 wurde die IOC-Liste von den meisten Verbänden als die wichtigste Quelle bei der Aufstellung einer geeigneten Dopingliste für ihren Sport betrachtet; schon 1993 hatten bereits 38 von 54 internationalen Föderationen die IOC-Liste freiwillig übernommen; siehe dazu E. N. Vrijman, in: K. Vieweg, Doping - Realität und Recht, 1998, S. 184. 56

U. Haas, SpwRt 2000, S. 6; dazu ausführlich auch U. Steiner, in: V Röhricht /K. Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 132 m.w.N.; K. Vieweg / C. Paul, The definition of doping and the proof of a doping offence, The International Sports Law Journal 2002, S. 2 f. 57 Vgl. dazu ζ. Β. G. Engelbrecht, The International Sports Law Journal 2000, S. 3 ff. ; Ε. N. Vrijman , in: K. Vieweg , Doping - Realität und Recht, 1998, S. 177 ff. 58 Β. Houlihan , Dying to win, 2000, S. 153; S Netzle , in: M. Gamper/J. Mühlethaler/F. Reidhaar , Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 264; ebenso V. Röhricht, in: Württembergischer Fußballverband e.V., Sportrecht damals und heute, 2001, S. 17.

II. Übersicht über Anti-Doping-Regelungen

31

Eintritt einer Leistungssteigerung nicht Inhalt der Dopingbestimmung ist. 59 Die tatsächliche Auswirkung auf das Leistungsvermögen des Sportlers ist daher zur Bejahung eines Dopingverstoßes grundsätzlich nicht erforderlich. Ein weiteres wesentliches Grundprinzip der Dopingbestimmungen liegt regelmäßig darin, dass die in einer Kontrollprobe vorgefundenen verbotenen Wirkstoffe grundsätzlich nicht in einem bestimmten quantitativen Verhältnis vorliegen müssen.60 Die Prüfung der Dopingvoraussetzungen erfolgt daher nach einem Ja-NeinSystem. Eine Ausnahme ist lediglich - aus unterschiedlichen Gründen - für einige Wirkstoffe vorgesehen, bei denen ein Dopingverstoß erst ab Überschreiten eines bestimmten Grenzwertes angenommen wird. 6 1 Der Dopingdefinition wird daher grundsätzlich keine pharmakokinetische Beurteilung zugrundegelegt. Ein struktureller Unterschied zeigt sich bei der Berücksichtigung des Verschuldensprinzips. So gilt ζ. B. nach den Regeln der IAAF das Verschuldensprinzip nicht. Vielmehr folgt die IAAF dem Prinzip der sog. „strict liability" 6 2 , welches allerdings nicht uneingeschränkt als mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar angesehen wird 6 3 und - konform mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen - zunehmend lediglich als Beweislastverteilung ausgelegt wird. 6 4 Uneinigkeiten bestehen zudem in der Frage, ob die Beweisführung mittels eines Anscheinsbeweises oder einer Vermutung erfolgt. Auf diese Problemfelder wird später noch ausführlicher eingegangen.65

Beispielhaft Kapitel I I Art. 4 Abs. 4 Olympic Movement Anti-Doping Code; IAAF-Regel 55 Nr. 1 lit. a; WADA-Code, Art. 2.2.1; vgl. auch C. Prokop, Die Grenzen der Dopingverbote, 2000, S. 92. 60

Vgl. Kapitel II Art. 4 Abs. 4 Olympic Movement Anti-Doping Code; IAAFRegel 55.6; WADA-Code, Art. 2.1.2 und B. Corrigan/R. Kazlauskas, Drug testing at the Sydney Olympics, Medical Journal of Australia 2000, S. 312. 61

C Prokop, Die Grenzen der Dopingverbote, 2000, S. 92 f.

62

Regel 55 Nr. 2a i.V.m. Nr. 4 der IAAF-Satzung; eine derartige Regelung fand sich 1999 bei fast 50% der internationalen Sportorganisationen, vgl. R. C. R. Siekmann, in: V. Röhricht /K. Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 31; B. Spindler / J. Fritzweiler, in: J. Fritzweiler, Doping. Sanktionen, Beweise, Ansprüche, 2000, S. 133 ff. 63

Siehe insbes. OLG Frankfurt/Main, SpwRt 2001, 159, 162; NJW-RR 2000, 1117, 1121 sowie Rechtsausschuss des DLV, Beschluss v. 26.03.1993, SpwRt 1994, S. 66; M. Baddeley, L'association sportive face au droit, 1994, S. 243; K. Vieweg, in: N.N., Proceedings of the 7th International Congress of the International Association of Sports Law, (im Druck); vgl. auch J. Fritzweiler, NJW 2002, S. 1015. 64

H Fenn/G. Petri , SpwRt 2000, S. 233 mit Hinweis auf OLG Frankfurt/Main, SpwRt 2001, 159, 162; NJW-RR 2000, 1117, 1120 m.w.N.; L Tarasti , Legal Solutions in International Doping Cases, 2001, S. 65 ff.; F. Oschatz, Harmonization of anti-doping code through arbitration: the case law of the court of arbitration for sport, Marquette Sports Law Review 2002, S. 702. 65

Siehe unten C.I.2.a).

32

Einleitung

4. Gegenstand der Untersuchung Die Definition des Dopings über den Nachweis verbotener Substanzen, welche in einer Liste genannt werden, ist daher gemeinsames Strukturprinzip des Olympic Movement Anti-Doping Codes, des WADA-Codes und der nach dem Muster des Olympic Movement Anti-Doping Codes oder des WADA-Codes erstellten Anti-Doping-Regelwerke nationaler und internationaler Sportverbände. Grenzwerte für Dopingsubstanzen sind ein Bestandteil derartiger Verbotslisten. Ziel der Untersuchung ist es, die Problematik der Grenzwerte in derartigen Verbotslisten zu untersuchen. Da der Olympic Movement Anti-Doping Code noch faktisch das vorherrschende Modellgesetz ist, andererseits aber mit einer zunehmenden Übernahme des WADA-Codes zu rechnen ist, werden in Zukunft insbesondere zwei Typen von Regelungen relevant sein: Anti-Doping-Regelungen nach dem Muster des Olympic Movement Anti-Doping Code des IOC („IOC-Typ") sowie solche nach dem WADA-Code („WADA-Typ"). Beide Regelungen werden daher als Beispiel herangezogen. Die Untersuchung erfolgt soweit möglich abstrakt-modellhaft, so dass sie für die Bewertung unterschiedlicher Anti-Doping-Regelungen, die nach dem Prinzip des IOC oder der W A D A aufgebaut sind, herangezogen werden kann. Aufgrund der grundsätzlich übereinstimmenden Regelungsweise gilt dies gleichermaßen für nahezu alle Dopingregelungen.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen In diesem Teil der Untersuchung werden die naturwissenschaftlichen Grundlagen zum Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper, zur Dopinganalytik und zu Wirkungen, Nebenwirkungen und Anwendungspraxis der Dopingsubstanzen dargestellt, auf denen später die rechtlichen Erörterungen aufbauen.

I. Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper Der Zusammenhang zwischen bestimmten Substanzbeiträgen oder -„dosen" und ihren Wirkungen wird rechtlich nicht festgelegt. Dies wäre auch sinnlos, weil es sich um chemisch-biologische Gesetzmäßigkeiten handelt. Vielmehr muss ein solcher Zusammenhang durch Heranziehung der einschlägigen Naturwissenschaften aufgeklärt werden. 1 Ebenso ist der Abbau von Medikamenten im Körper und damit die Erniedrigung der Konzentration bis zum Unterlaufen der Nachweisgrenze eine biologische Gesetzmäßigkeit, die sich durch Verbandsbeschlüsse nicht ändern lässt.2 Da diese naturwissenschaftlichen Grundlagen die Basis für die Diskussion um Grenzwerte bilden, soll im Folgenden ein kurzer Überblick über das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper gegeben werden.

1. Einführung Die Wirkung eines Arzneimittels ist das Ergebnis zahlreicher, meist sehr komplexer Vorgänge im Organismus. In der Regel liegt ihr eine Reaktionskette zu Grunde, die in drei Phasen aufgeteilt wird: die pharmazeutische, die pharmakokinetische und die pharmakodynamische Phase. Die pharmazeutische Phase umfasst - bei den am meisten verwendeten festen Arzneiformen - den Zerfall der Arzneiform und die Auflösung der Arzneistoffe. Sie wird daher vorwiegend von den galenischen Eigenschaften des Arzneimittels bestimmt. Zur pharmakokinetischen Phase gehören die Teilprozesse

G. Winter, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 134. M Donike, in: W. Schild, Rechtliche Fragen des Dopings, 1986, S. 8. 3

Paul

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

34

Resorption, Verteilung und Elimination. Während man unter der Resorption die Aufnahme eines Arzneistoffes in den Organismus und unter der Verteilung den Stofftransport vom Blut in die Gewebe versteht, werden als Elimination alle Prozesse bezeichnet, die zu einer Konzentrationsabnahme des Arzneistoffs im Organismus fuhren (Biotransformation, Ausscheidung). Zur pharmakodynamischen Phase rechnet man die Pharmakon-Rezeptor-Wechselwirkung sowie die sich anschließenden Vorgänge, die Rezeptor-Effektor-Kopplung, an deren Ende der pharmakokinetische Effekt steht.3 Vereinfacht können die wichtigen beiden letzen Begriffe definiert werden als „was macht der Körper mit dem Arzneimittel" (Pharmakokinetik) bzw. „was macht das Arzneimittel mit dem Körper" (Pharmakodynamik). 4

2. Grundlagen der Pharmakokinetik Die Pharmakokinetik beschäftigt sich mit Resorption, Verteilung, Biotransformation und Exkretion der Arzneimittel. Diese Faktoren bestimmen gemeinsam mit der verabreichten Dosis die Konzentration eines Arzneimittels am Wirkort und somit die Intensität der Wirkung als Funktion der Zeit. Zum Verständnis dieses wichtigen Aspekts der Pharmakologie ist es notwendig, Erkenntnisse aus unterschiedlichen Wissensgebieten anzuwenden, insbesondere grundlegende Prinzipien der Biochemie und Enzymologie sowie die physikalischen und chemischen Grundlagen des aktiven und passiven Transports und der Verteilung von Substanzen durch biologische Membranen, sei es von kleinen Molekülen oder von Wirkstoffen mit Proteinstruktur. 5 Dementsprechend dienen pharmakokinetische Untersuchungen dem Vergleich verschiedener Zubereitungen wirkstoffgleicher Arzneimittel (Bioverfügbarkeits- und Bioäquivalenzstudien), der Bestimmung des Resorptionsverhaltens, der Ermittlung der im Organismus erreichbaren Wirkstoffkonzentration sowie der Aufklärung der Biotransformationswege und des Ausscheidungsverhaltens. 6

3

E. Mutschier, Arzneimittelwirkungen, 1996, S. 5.

4

J. G. Hardman/L. E. Limbird / A. G. Gilman et al., Pharmakologische Grundlagen der Arzneimitteltherapie, 1998, S. 1. 5 J. G. Hardman/L. E. Limbird/ A. G. Gilman et al., Pharmakologische Grundlagen der Arzneimitteltherapie, 1998, S. 1. 6

E. Mutschier, Arzneimittelwirkungen, 1996, S. 5.

I. Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper a) Konzentrationsverlauf

35

eines Pharmakons im Körper

Eine wichtige pharmakologische Kenngröße ist dabei die Eliminationshalbwertszeit (= Plasmahalbwertszeit, t/ 2 ). 7 Darunter versteht man die Zeit, nach der die Plasmakonzentration eines Stoffes auf die Hälfte des ursprünglichen Maximalwertes gesunken ist. 8 Da der Plasmaspiegel nach Applikation des Arzneimittels wegen gleichzeitiger Verteilungs- und Eliminationsprozesse zunächst meist rascher abfällt als später und die Elimination aus verschiedenen Verteilungsräumen unterschiedlich rasch erfolgen kann, können häufig mehrere Eliminationshalbwertszeiten bestimmt werden. In der Regel wird jedoch als Eliminationshalbwertszeit die längste, die sogenannte terminale Halbwertszeit, angegeben. Die lineare grafische Darstellung der Beziehung zwischen der Abnahme der Plasmakonzentration und der Zeit hat, wie Abbildung 2 zeigt, exponentiell abfallenden Charakter. 9 M

tl/2—H«

tl/2 —

tl/2

tl/2—M
Β = Verzögerungszeit, A —> D = Latenzzeit (der Wirkung), D —» E = Wirkungsdauer (Plateauzeit).

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

42

fäßerweiterung, Schmerzempfindlichkeit,...) erkennbar wird, die mit zunehmender Konzentration des Wirkstoffs ein Konzentrationsmaximum C erreicht, das in der Regel mit dem Wirkungsmaximum identisch ist. Das Durchschreiten des Maximums deutet an, dass die Elimination gegenüber der Invasion dominant wird und zum Zeitpunkt E soweit fortgeschritten ist, dass die für den Mess Vorgang gewählte Wirkungsindikation unterschritten wird. 31 In einem bestimmten, ermittelbaren Zeitraum (beispielsweise von D bis E in Abbildung 5) kann die Konzentration mit einer erkennbaren Wirkung korreliert werden. Dieser Zeitraum bildet die „Wirkungsdauer" oder „Plateauzeit" der Substanz, in der die Konzentration über der minimalen therapeutischen Wirkstoffkonzentration liegt. Der Zeitraum zwischen Einnahme und Wirkungsbeginn, die sog. „Latenzzeit", ist als Zeitintervall zwischen den Punkten A und D erkennbar. 32 Aus der Grafik lassen sich zwanglos und folgerichtig weitere Größen ableiten wie „Überdosis", „Unterdosis", „Kumulative Dosis", „Abbaurate" usw. 33 Die obere Grenze des therapeutischen Bereichs wird von der Toxizität, nicht von der Wirksamkeit festgesetzt. In der Regel wird die obere Grenze so bestimmt, dass bei nicht mehr als 5-10% der Patienten eine toxische Wirkung auftritt. Zu beachten ist allerdings, dass diese Zahlenwerte stark variieren. Dabei können einige Patienten auch von Arzneimittelkonzentrationen, welche den therapeutischen Bereich überschreiten, durchaus profitieren, während andere bereits bei viel niedrigeren Werten toxische Symptome aufweisen. 34 Um einen rationellen Dosierungsplan erstellen zu können, muss der Kliniker einiges Wissen über die Resorptions- und Verteilungsgeschwindigkeit des Arzneimittels besitzen. Außerdem muss er abschätzen, welche Änderungen dieser Parameter bei einem bestimmten Patienten zu erwarten sind. Es gibt jedoch auch zwischen normalen Individuen schwer vorherzusagende Schwankungen. Bei vielen Arzneimitteln beträgt eine Standardabweichung der maßgeblichen pharmakokinetischen Parameter 20% bis 50%. Das hat zur Folge, dass zu ungefähr 95% der Zeit der erreichte tatsächliche Konzentrationswert im Körper zwischen 35% und 270% der Zielkonzentration liegen kann; das ist ein unannehmbar breiter Bereich für ein Arzneimittel mit einem kleinen therapeutischen Index. 35 Schließlich können für einige Arzneimittel mit besonders schwieriger 31

H. Grimme/M.

Faust/R. Altenburger, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 36.

32

E. Mutschier, Arzneimittelwirkungen, 1996, S. 40.

33

H. Grimme / M. Faust/R, Altenburger, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 36 f.

34 J. G. Hardman/L. E. Limbird/A. G. Gilman et al., Pharmakologische Grundlagen der Arzneimitteltherapie, 1998, S. 26. 35 J. G. Hardman/L. E. Limbird/A. G. Gilman et alPharmakologische lagen der Arzneimitteltherapie, 1998, S. 27.

Grund-

I. Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper

43

Handhabung Computerprogramme bei der Erstellung von Dosierungsplänen hilfreich sein. Solche Programme, welche die gemessenen Arzneimittelkonzentrationen und individuelle Faktoren berücksichtigen, sind in zunehmendem Maße erhältlich. 36

4. Zur Existenz einer Wirkungsschwelle „Dosis sola non facit venenum - allein die Menge macht, dass ein Ding kein Gift ist". Diese klassische Erkenntnis von Paracelsus 37 kann als die Grundlage der Dosis-Wirkungs-Lehre angesehen werden. 38 Danach gibt es eine - gegebenenfalls sehr niedrig anzusetzende - Konzentrationsschwelle, unterhalb derer ein Stoff keine Wirkung mehr entfaltet. Es erscheint daher grundsätzlich möglich, Dosis-Wirkungs-Beziehungen zur Abschätzung von möglichen Schwellenwerten heranzuziehen. Dies wurde in den klassischen sog. Haberschen Phosgenversuchen bestätigt.39 Diese Aussage ist allerdings nicht unumstritten. So finden sich insbesondere in der umwelttoxikologischen Literatur Standpunkte, wonach Grenzwerte, unterhalb derer Fremdstoffe den Organismus wirkungslos durchlaufen, eine gefährliche Illusion seien.40 Umstritten ist dabei, ob es überhaupt eine Wirkungsschwelle für Substanzen gibt; fraglich ist zudem, welche Auswirkungen eine Substanz in einer Konzentration unterhalb einer derartigen Wirkungsschwelle aufweist. Es gilt insofern zu überprüfen, ob trotz dieser scheinbar gegensätzlichen naturwissenschaftlichen Standpunkte für den Bereich der Dopingsubstanzen von der Existenz einer Wirkungsschwelle ausgegangen werden kann.

a) Stochastische und nichtstochastische Effekte Zweifel an der Existenz einer Wirkungsschwelle werden vor allem im umwelttoxikologischen Bereich für kanzerogene Substanzen geäußert. Die Besonderheit dieser Stoffe liegt in ihrer erbgutverändernden Wirkung. Dabei reicht

36 J. G. Hardman/L. E. Limbird/A. G. Gilman et al., Pharmakologische Grundlagen der Arzneimitteltherapie, 1998, S. 28. 37

Paracelsus = Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493-1541.

38

H. Grimme /M. Faust / R. Alienburger, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 35.

39

H. Grimme /M. Faust /R. Altenburger, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 37.

40

D. Henschler, Veränderungen der Umwelt - Toxikologische Probleme, Angewandte Chemie 1973, S. 48.

44

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

bereits die Erbgutveränderung in einer einzigen Körperzelle aus, um einen Tumor entstehen zu lassen. Theoretisch ist dieser Effekt daher bereits mit einem einzigen Molekül einer kanzerogenen Substanz möglich, die Modellvorstellung wird auch als „Ein-Treffer-Modell" bezeichnet.41 Das Vorliegen dieser Substanz ist somit unabhängig von der Menge immer potenziell wirksam und daher gefährlich; eine Steigerung der Dosis macht das Risiko einer Erbgutveränderung lediglich wahrscheinlicher. Umgekehrt macht eine Senkung der Dosis eine Erkrankung nicht unmöglich, sondern lediglich unwahrscheinlicher. Da nicht die Schwere der Erkrankung, sondern die Wahrscheinlichkeit, dass es zu der Erkrankung kommt, von der Dosis abhängig ist, nennt man derartige Wirkrinzipien „stochastische" Effekte. Diese Gesetzmäßigkeiten sind in Abbildung 6 verdeutlicht.

Abbildung 6: Grundtypen von Dosis-Wirkungs-Beziehungen 42

H. W. Levi , Grenzwerte - warum, wozu, woher?, 1996, S. 13; ebenso H. v. Lersner, in: U. Arndt /R. Böcker /A. Kohler, Grenzwerte und Grenzwertproblematik im Umweltbereich, 1995, S. 159; M. Fischer, in: A. Grohmann, Transparenz und Akzeptanz von Grenzwerten am Beispiel des Trinkwassers, 1996, S. 57. 42 Nach H. W. Levi , Grenzwerte - warum, wozu, woher?, 1996, S. 10; vgl. auch H. Schreiber, in: U. Arndt /R. Böcker /A. Kohler, Grenzwerte und Grenzwertproblematik im Umweltbereich, 1995, S. 19.

I. Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper

45

Danach existiert für stochastische Effekte keine Wirkungsschwelle. Letzteres ist nun allerdings eine Hypothese, die sich empirisch weder belegen noch widerlegen läßt, weil bei diesen niedrigen Dosen die Effekte zu klein sind, um statistisch signifikante Aussagen zu erlauben. Henschler 43 sagt sogar einmal: „Hier soll etwas Negatives (nicht Messbares) bewiesen werden - eine mit üblichen naturwissenschaftlichen Versuchskriterien im Grundsatz nicht lösbare Aufgabe." In der Theorie gilt diese Erkenntnis jedoch als gesichert. 44 Bei nichtstochastischen Effekten ist die Wirkung innerhalb einer biologischen Bandbreite durch die Dosis determiniert. Sie zeigen in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen von Haber und Paracelsus erst oberhalb eines DosisSchwellenwertes eine Wirkung (Substanzen mit nichtstochastischen Effekten werden daher auch „Paracelsus-Substanzen" genannt).45 Während stochastische Effekte auf den engen Ausnahmebereich der kanzerogenen Stoffe begrenzt sind, sind nichtstochastische Effekte der weitaus überwiegende Regelfall. Sie gelten vor allem insbesondere für die hier interessierenden Arzneistoffe und Dopingsubstanzen.46 Im Folgenden kann daher von der grundsätzlichen Existenz einer Wirkungsschwelle ausgegangen werden.

b) Wirkungs-Erkennungs-Schwelle

(NOEL)

Trotz der grundsätzlichen Erkenntnis, dass für die hier interessierenden Stoffe eine Wirkungsschwelle existiert, ist noch unklar, welche Folgen Substanzen in Konzentrationen unterhalb ihrer Wirkungsschwelle aufweisen. Aus der Theorie der physikalisch-chemischen Wechselwirkungen eines Fremdstoffes mit biologischem Material allein lassen sich Anhaltspunkte für Dosen gänzlich oh-

D. Henschler, in: W. Forth /D. Henschler / W. Rummel, Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 1980, S. 589. 44

Vgl. ζ. Β. M. Fischer, in: A. Grohmann, Transparenz und Akzeptanz von Grenzwerten am Beispiel des Trinkwassers, 1996, S. 57; H. W. Levi , Grenzwerte - warum, wozu, woher?, 1996, S. 13; H. v. Lersner, in: U. Arndt/R. Böcker/A. Kohler, Grenzwerte und Grenzwertproblematik im Umweltbereich, 1995, S. 159 m.w.N.; es erfolgt lediglich eine Risikominimierung durch TRK-Werte, vgl. D. Beyersmann, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 87. 45 B. Deller, in: Verband deutscher Landwirtschaftlicher Untersuchungs- und Forschungsanstalten, Richtwerte, Vorsorgewerte und Grenzwerte - Bedeutung für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt, 1999, S. 20. 46 Vgl. z. B. D. Beyersmann, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 33; H.-H. Wellhöner, Allgemeine und systematische Pharmakologie und Toxikologie, 1997, S. 54; T. Küttler, Pharmakologie und Toxikologie, 1998, S. 7 ff.

46

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

ne Wechselwirkung nicht allgemein ableiten.47 Allerdings werden Wirkungen der Substanzen in der Regel erst oberhalb Stoff- und lebewesenspezifischer Dosen beobachtet. 48 Die Situation wird in Abbildung 7 verdeutlicht:

Abbildung 7: Pharmakologisches Modell einer Dosis-Wirkungs-Beziehung und Bestimmung des No (Observable) Effect Levels (N(O)EL) 4 9

In einem Messsystem, das einen bestimmten pharmakologischen oder toxikologischen Wirkparameter betrachtet (ζ. B. die Schmerzempfindung der Vorderzähne eines Kaninchens), zeigt die Auftragung der Stärke des Wirkungsparameters gegen die Dosis auch hier einen dosisabhängigen Verlauf der Dosis-Wirkungs-Kurve. Eine Senkung der Dosis zeigt somit eine Verringerung der Wirkung bis zu einer (in der Regel statistisch abzusichernden) Dosis, die keine Wirkung mehr erkennen lässt. Unterhalb dieser Dosis beginnt der umstrittene Bereich, wo entweder gar keine Wirkung oder - als Fortsetzung der

H.-H. Wellhöner, Allgemeine und systematische Pharmakologie und Toxikologie, 1997, S. 59 am Beispiel von Kohlenmonoxid (CO) und Kopfschmerz. 48

D. Beyersmann, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 33.

49

H. Grimme /M. Faust /R. Altenburger, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 38.

I. Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper

47

Kurve gepunktet aufgetragen - weiterhin eine (nun nicht mehr erkennbare) Wirkung existiert. In diesem unteren Dosierungsbereich beruht die Interpretation der Kurve dabei auf Annahmen und ist experimentell praktisch nicht belegt. Diese sie begrenzende Schwelle wurde früher schlicht als Wirkungsschwelle oder „no effect level", „NEL" bezeichnet. Genau genommen handelt es sich in Wirklichkeit aber lediglich um eine methodisch bedingte Wirkungserkennungsgrenze („no observed effect level", „NOEL") und sagt nichts aus über mögliche Wirkungen, die abseits des gewählten Wirkparameters bzw. unterhalb der Erkennungsgrenze eintreten, vorliegen oder entstehen können. 50 Die Dosis-Wirkungs-Beziehung hängt daher davon ab, welche Wirkung eines Fremdstoffes oder einer vergleichbaren Einflussgröße unter mehreren Wirkungen ausgewählt wird. Eine Wirkungsschwelle ist daher stets von einer definitorisch festgelegten Wirkungsbestimmung und den dementsprechend gewählten experimentellen Bedingungen abhängig. Für einen Stoff kann man allgemein daher nicht einen einzigen Schwellenwert ableiten, weil die DosisWirkungs-Beziehung - wie gezeigt - von der Art des ausgewählten Effekts abhängt. 51 Anders ist die Situation bei Arzneistoffen. Insbesondere die als Medikamente eingesetzten Substanzen haben eine definierte und erwünschte Hauptwirkung. Weitere Wirkungen, sog. Nebenwirkungen, sind bei ihnen allein schon aus arzneimittelzulassungsrechtlichen Gründen nur von untergeordneter Bedeutung. Auch die hier interessierenden Dopingsubstanzen werden wegen ihrer bekannten Hauptwirkung von den Athleten eingenommen und in Kenntnis dieser potenziell leistungssteigernden Wirkung auch von den Sportverbänden verboten. Auch wenn bei diesen Substanzen genau genommen ebenfalls nur eine definitörisch bedingte „Wirkungs-Erkennungs-Schwelle" bestimmt werden kann, so bezieht sich diese „erkennbare Wirkung" ausschließlich auf den erwünschten Wirkeffekt der Substanz. Da andere nennenswerte Wirkungen der Substanz nicht vorliegen, erscheint es vertretbar, diese Wirkungs-Erkennungs-Schwelle der erwünschten Substanzwirkung verkürzt als die „Wirkungsschwelle" der Substanz zu bezeichnen. Damit wird auch dem Sprachgebrauch der Praxis gefolgt. 52

50 G. Leber, in: VDL-Bundesverband, Wertlose Grenzwerte?, 1991, S. 50; H. Grimme /M. Faust / R. Altenburger, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 39. 51

D. Beyersmann, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 32.

52

Vgl. H'. Grimme /M. Faust /R. Altenburger, in: G. Winter,

S. 35.

Grenzwerte, 1986,

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

48

c) Ergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die beabsichtigte Wirkung einer Dopingsubstanz ein dosisabhängiger, nicht-stochastischer Effekt ist, für den eine Wirkungs-Erkennungs-Schwelle bestimmt werden kann. Die oben geschilderten Probleme der Existenz einer Wirkungsschwelle, die vor allem im umwelttoxikologischen Bereich diskutiert werden, stellen sich fur Dopingsubstanzen daher nicht; ebenso kann statt von einer Wirkungs-Erkennungs-Schwelle vertretbar von einer Wirkungsschwelle der Substanz gesprochen werden. Dieses Ergebnis steht damit in Übereinstimmung mit der gängigen pharmakologischen Lehre und Praxis. 53

5. Individuelle Schwankungen und „biologische Variabilität" Unter „biologischer Variabilität" werden die Schwankungen von Substanzeffekten von Individuum zu Individuum verstanden. 54 So ist ζ. B. die Plasmahalbwertszeit fxir Substanzen nicht bei jedem Menschen gleich, da sie von Alter sowie Herz-, Leber- und Nierenfunktion abhängt.55 Als Beispiel können auch die bekannten Fälle von Sportlern mit angeboren hohem Hämatokrit- und Hämoglobin-Werten dienen, so ζ. B. der finnische Skilangläufer Eero Mäntyranta, der Sieger bei den Olympischen Winterspielen 1964 über die 15- und die 30Kilometer-Distanz. Er kam mit einem natürlichen „Dauer-Doping" auf die Welt, da er verkürzte Rezeptoren fur Erythropoietin (EPO) besitzt. Damit profitiert Mäntyranta von einer verschwindend seltenen Mutation. 56 Besonders deutlich werden die individuellen Unterschiede der Wirkung einer Substanz im Fall der Enzympolymorphismen.

Vgl. z.B. H. Grimme/ M. Faust/ R. Altenburger, in: G. Winter, 1986, S. 36 f.; D. Beyersmann, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 31. 54

Grenzwerte,

D. Beyersmann, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 67.

55

T. Küttler, Pharmakologie und Toxikologie, 1998, S. 28. Eine umfangreiche Sammlung möglicher Einflüsse auf die individuelle Pharmakokinetik und -dynamik bietet H. Schütz / G. Weiler, Zur Problematik der Festlegung von Grenzwerten fur „folgenlose Fahrten" im Straßenverkehr unter Einfluss von zentral wirksamen Mitteln aus pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Sicht, Blutalkohol 1993, S. 139 ff. 56

J. Bleich, Vorsprung in den Genen, Der Spiegel v. 23.7.2000, S. 262; vgl. auch W. Schmidt/B. Biermann / P. Winchenbach et al., How valid is the determination of hematocrit values to detect blood manipulations?, International Journal of Sports Medicine 2000, S. 133 f.

I. Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper

49

a) Enzympolymorphismen Der Stoffwechsel des Menschen ist ein komplexes Zusammenspiel unzähliger, durch Enzyme katalysierter, (bio)chemischer Reaktionen. Inzwischen ist für eine Vielzahl von Enzymen bekannt, dass sie polymorph (vielgestaltig) exprimiert werden. Als Folge gibt es es „gute" und „schwache" Metabolisierer, d.h. leistungsfähige und weniger leistungsfähige Enzyme. Bei diesen sog. Enzympolymorphismen handelt es sich um ein vererbtes Vorhandensein oder eine vererbte Abwesenheit einer Enzymaktivität. Jeder Mensch hat ein individuell geerbtes Spektrum von Enzymfunktionen; während er für das eine Enzym zu den „guten" Metabolisierern gehört, kann er für ein anderes zu den schwachen gehören. Jede Person weist ein individuelles Muster auf, jeder Enzymstatus ist von den anderen unabhängig. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es eine Vielzahl polymorph exprimierender Enzyme gibt, wird die Einzigartigkeit der individuellen Stoffwechselkonstellation deutlich. 57 Für das normale, traditionelle Leben, ζ. B. die Ernährung, spielen diese Enzympolymorphismen wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle. Im Laufe der Evolution hat sich der Mensch seiner Umgebung angepasst und ein komplexes System parallel und sukzessiv ablaufender Stoffwechselschritte aufgebaut. Bei der Auseinandersetzung mit synthetischen Stoffen, insbesondere Arzneimitteln und Industriechemikalien, fehlt jedoch diese evolutionäre Anpassung. Eine bestimmte Konstellation (oder Status) der Enzymexpression kann daher durchaus eine Vervielfachung des individuellen Erkrankungsrisikos für bestimmte Krankheiten bedeuten. In der Pharmakologie ist die Auswirkung solcher Enzym-Polymorphismen auf die individuelle Wirksamkeit eines Arzneimittels oder auf das Risiko des Auftretens von unerwünschten Wirkungen (Nebenwirkungen) seit langem bekannt. 58 Dieser „Status" kann häufig „phänotypisch" anhand eines Testsubstrats oder „genotypisch" durch Bestimmung des Erbmerkmals mittels PolymeraseKettenreaktion (PCR) bestimmt werden. Englische Mediziner haben neben der genetisch bedingten erhöhten Hämatokrit- und Hämoglobinwerte ein weiteres „Sportler-Gen" aufgespürt, das weitaus häufiger ist. Mindestens jeder vierte Europäer trägt es im Erbgut. Die be-

E. Haller, in: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften BIA-Report 4/98, 1998, S. 103.

HVBG,

58 E. Haller, in: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften HVBG, BIA-Report 4/98, 1998, S. 103; vgl. auch J. G. Hardman/L. E. Limbird/A. G. Gilman et αϊ , Pharmakologische Grundlagen der Arzneimitteltherapie, 1998, S. 27; E. Mutschier, Arzneimittelwirkungen, 1996, S. 72; Κ W. Bock/U. Klotz, in: C.-J. Estler, Pharmakologie und Toxikologie: Lehrbuch für Studierende der Medizin, Pharmazie und Naturwissenschaften, 2000, S. 35 ff.; W. Kalow, in: W. Kalow/U. A. Meyer /R. F. Tyndale, Pharmacogenomics, 2001, S. 125. 4

Paul

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

50

sonders talentierten Sportler besitzen allesamt die lange Variante des sog. Angiotensin-Konversionsenzyms (ACE). Auf welchem biochemischen Weg die lange ACE-Variante die körperliche Leistungskraft steigert, darüber spekulieren die Sportmediziner noch. Klar ist nur, dass die lange Enzymform nicht so effektiv arbeitet wie die kurze. Offenbar fuhrt aber gerade das dazu, dass die Muskelfasern rascher wachsen. Der Effekt wirkt so stark, dass die genetische Ausstattung offenkundig den sportlichen Werdegang vorbestimmt. Das haben die Londoner Mediziner durch Gentests an Bergsteigern nachgewiesen. 50% der untersuchten Bergsteiger verfugen über die lange Variante des Enzyms, es kam in dieser Gruppe damit doppelt so häufig vor wie in der Kontrollgruppe. Es gibt aber nicht „ein" Sportler-Gen. Vermutlich tragen 60, 80 oder sogar 100 Gene dazu bei, einem Sportler das Talent zum Spitzenathleten zu geben.59 Die rasche Entwicklung und Verbreitung molekularbiologischer Methoden macht die Aufdeckung vieler solcher „Dispositionsfaktoren" in wenigen Jahren und einen zunehmenden Einfluss auf die Arbeitsmedizin und die Toxikologie sehr wahrscheinlich. 60 Enzympolymorphismen können auch Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen begründen. Ein bekanntes Beispiel von ethnischen Unterschieden in Enzymaktivitäten ist ζ. B. der Enzympolymorphismus der Alkoholdehydrogenase, welcher dazu fuhrt, dass ζ. B. Asiaten Alkohol schlechter abbauen können als Europäer. 61 Auch für Steroide wird von unterschiedlichen Eliminationsgeschwindigkeiten bei Asiaten und Kaukasiern berichtet. 62 Ob beispielsweise afrikanische Läufer eine Art „Ausdauer-Gen" in sich tragen, ist allerdings noch völlig unerforscht. Bei der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts wird man vermutlich weitere Gene ausfindig machen, welche die Leistungsfähigkeit beeinflussen und evtl. Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen begründen.

b) Dosis-Wirkungs-Beziehungen

am Individuum und am Kollektiv

Die oben aufgezeigten Unterschiede der Substanzwirkung bei verschiedenen Individuen zeigt sich auch in dem Verlauf der Dosis-Wirkungs-Beziehung ei-

59 60

J. Bleich, Vorsprung in den Genen, Der Spiegel v. 23.7.2000, S. 262.

E. Haller, in: Hauptverband der gewerblichen BIA-Report 4/98, 1998, S. 103.

Berufsgenossenschaften

HVBG,

61

Vgl. W. Kalow, in: W. Kalow/ U. A. Meyer /R. F. Tyndale, Pharmacogenomics, 2001, S. 122 ff. mit weiteren Beispielen. 62

V. P. Uralets/P. A. Gillette, in: W. Schänzer / H. Geyer / A. Gotzmann et al Recent Advances in Doping Analysis (6), 1998, S. 154 m.w.N.

I. Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper

51

nes Kollektivs. Behandelt man ein Kollektiv von Tieren mit steigenden Pharmakadosen, zeigen bei kleinen Dosen meist nur wenige Tiere Wirkungen, während mit steigender Dosis die Zahl der reagierenden Tiere zunimmt, bis schließlich bei allen Tieren eine Wirkung aufgetreten ist. Dies zeigt das individuelle Verhalten der Tiere eines Kollektivs gegenüber einem Pharmakon, dessen graphische Darstellung meist einer Normalverteilung entspricht. 63

100 c ω 3 *Ό > τ> c Φ

j

90 8 0 --

70 60

-

50 -



40 -

Ξ

30 --

03 Ν Pharmakologische Grundlagen der Arzneimitteltherapie, 1998, S. 26.

I. Das Verhalten von Pharmaka im menschlichen Körper

53

Eine Toleranzwirkung kann sich auf andere Pharmaka ähnlicher Wirkung erstrecken und ist nach dem Absetzen des Pharmakons reversibel. Als Beispiel kann Amphetamin genannt werden, das bei chronischem Missbrauch in immer höheren Dosen eingenommen werden muss, um die gleiche Wirkung zu erhalten. 68 Eine sogenannte Kreuztoleranz zwischen zwei Pharmaka besteht, wenn der Organismus nach Toleranzentwicklung gegenüber Pharmakon 1 auch eine erhöhte Toleranz gegenüber Pharmakon 2 hat, auch wenn Pharmakon 2 zuvor nie verabreicht wurde. 69 Unter Tachyphylaxie versteht man dagegen das Phänomen, dass bei kurzfristig wiederholter Gabe eines Pharmakons beim zweiten Mal fast keine Wirkung mehr erzielt werden kann. Wartet man jedoch eine bestimmte Zeit, ist die volle Wirkungsstärke wieder erreichbar. Typisches Beispiel für Tachyphylaxie ist das Ephedrin, ein indirektes Sympathomimetikum. Es wirkt durch Entleerung der Adrenalinspeicher sympathomimetisch. Gibt man zweimal kurz nacheinander Ephedrin, sind die Speicher noch von erstem Mal geleert und es tritt fast keine Wirkung ein. Wartet man eine gewisse Zeit, haben sich die Speicher wieder gefüllt und Ephedrin wirkt wieder. 70

6. Wechselwirkungen zwischen mehreren Pharmaka Die Wirkung von Pharmaka ist nicht nur von Individuum zu Individuum verschieden, sondern kann auch durch gleichzeitige Anwesenheit eines weiteren Wirkstoffs beeinflusst werden. Die Änderung der Wirkungsstärke derart miteinander interagierender Arzneimittel kann pharmazeutische, pharmakodynamische, aber auch pharmakokinetische Gründe haben, wie ζ. B. Freisetzung aus Gewebsproteinbindung, Hemmung oder Förderung der Biotransformation, Hemmung der tubulären Ausscheidung.71 Aus pharmakologischer Sicht ist eine Kombinationswirkung von mehreren Stoffen, körpereigenen und Fremdstoffen, stets die Regel. Solche Effekte sind weder theoretisch vorhersehbar, noch sind sie im Tierversuch stets zu analysie-

68 D. Ciasing / R. Κ Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 22; E. Mutschier, Arzneimittelwirkungen, 1996, S. 71. 69

T. Küttler, Pharmakologie und Toxikologie, 1998, S. 10 f.

70

T. Küttler, Pharmakologie und Toxikologie, 1998, S. 11 ; vgl. auch E. Mutschier, Arzneimittel Wirkungen, 1996, S. 71. 71

H.-H. Wellhöner, gie, 1997, S. 65.

Allgemeine und systematische Pharmakologie und Toxikolo-

54

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

ren. 72 Während in der Praxis vor allem einige wenige Interaktionen bedeutsam sind, werden in der Literatur doch hunderte von Interaktionen katalogisiert. 73 Praktisch wichtig und für die Dopingbekämpfung besonders relevant sind dabei die Synergismen, die zu einer Verstärkung der Wirkung des Pharmakons A führen, wenn gleichzeitig Pharmakon Β eingenommen wird oder umgekehrt. Prinzipiell werden dabei zwei Arten von Synergismen unterschieden:

a) Additiver

Synergismus

Man erhält mit einer definierten Menge des Arzneimittels A eine Wirkung der Stärke x; eine definierte Menge des Mittels Β bewirkt ebenfalls diese Wirkung der Stärke x. Beim additiven Synergismus folgt, dass die Wirkung der Stärke χ auch erzielt wird, wenn man jeweils die halbierte Menge von A und Β gleichzeitig verabreicht oder man auch bei prozentualer Dosiszuteilung (ζ. B. 40% A + 60% Β) dieselbe Wirkungsstärke χ erhält. 74

b) Überadditiver

Synergismus

Man erhält mit einer definierten Menge des Arzneimittels A eine Wirkung der Stärke x, mit einer definierten Menge des Mittels Β ebenfalls die Wirkung der Stärke x. Beim überadditiven Synergismus wird bei gleichzeitiger Gabe der halben Dosis von A und Β eine stärkere Wirkung als χ erreicht. Überadditiver Synergismus liegt ebenfalls vor, wenn bei Kombination prozentualer Anteile zweier Pharmaka A und B, die allein in definierter Menge gegeben eine Wirkung der Stärke χ hervorrufen, eine stärkere Wirkung als χ erreicht wird. Potenzierung liegt vor, wenn Medikament Β die Wirkungsstärke von Medikament A erhöht. Dabei gilt, dass Medikament Β allein verabreicht überhaupt keine Wirkung zeigt. 75

H. J. Hapke, in: B. Schrieders / P. Grosdanoff, Zur Problematik von chronischen Toxizitätsprüfungen, 1980, S. 158; D. Beyersmann, in: G. Winter, Grenzwerte, 1986, S. 65. 73 H.-H. Wellhöner, gie, 1997, S. 65. 74 75

Allgemeine und systematische Pharmakologie und Toxikolo-

E. Mutschier, Arzneimittelwirkungen, 1996, S. 70.

T. Küttler, Pharmakologie und Toxikologie, 1998, S. 9; E. Mutschier, Arzneimittelwirkungen, 1996, S. 70.

II. Dopingsubstanzen

c) Pharmakokinetisch

55

bedingte Interaktionen

Auch solche Stoffe, die in der Dopinganalytik bislang unbeachtet bleiben, können die Wirkung von Pharmaka beeinflussen und ggf. erhöhen. So kann ζ. B. die Resorption eines Stoffes durch gleichzeitige Gabe eines anderen Stoffes behindert werden. Auf diese Weise behindern ζ. B. Kalziumionen (Ca 2+ ) die Resorption von Tetrazyklinen, da sie mit diesen unlösliche, nicht resorbierbare Komplexe bilden. Weiter kann der Abbau verzögert oder beschleunigt werden (Enzyminduktion). Auch die Plasmaeiweißbindung kann beeinflusst werden. Bei Gabe eines zweiten Medikaments, das eine höhere Plasmaeiweißbindung besitzt, wird ein großer Teil von Medikament 1 aus der Plasmaeiweißbindung verdrängt. Dies kann zu einer deutlichen Zunahme der Wirkstoffkonzentration im Plasma fuhren. Zudem können Wechselwirkungen in Form von funktionellem Synergismus und Antagonismus auftreten. Die Wirkung von Herzglykosiden kann durch Kalziumzufuhr (Ca 2+ ) verstärkt werden (Synergismus). Kaliumzufuhr (K + ) dagegen setzt die Wirkung der Herzglykoside herab (Antagonismus), während eine Verminderung des Kaliumspiegels die Glykosidwirkung verstärkt (Synergismus). 76 Insgesamt wird das Gebiet der Interaktionen noch als weitgehend unerforscht bezeichnet; im Hinblick auf die ungewöhnliche Komplexität der Fragen können häufig nur mehr oder weniger zulässige Analogieschlüsse gezogen werden. 77

I I . Dopingsubstanzen 1. Verbotene Substanzen I m Folgenden wird ein Überblick über die Wirkungen der Substanzgruppen gegeben, die in der Liste der verbotenen Substanzen des IOC und der W A D A

76

T. Küttler, Pharmakologie und Toxikologie, 1998, S. 9 f.; H.-H. Wellhöner, Allgemeine und systematische Pharmakologie und Toxikologie, 1997, S. 65; Κ W. Bock/U. Klotz, in: C.-J. Estler, Pharmakologie und Toxikologie: Lehrbuch für Studierende der Medizin, Pharmazie und Naturwissenschaften, 2000, S. 38 f. 77 H. Schütz / G. Weiler, Zur Problematik der Festlegung von Grenzwerten für „folgenlose Fahrten" im Straßenverkehr unter Einfluss von zentral wirksamen Mitteln aus pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Sicht, Blutalkohol 1993, S. 148.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

56

aufgeführt sind. 78 Für eine weitergehende, detailliertere Beschreibung aller verbotenen Substanzen wird auf die einschlägige Literatur verwiesen. 79

a) Stimulanzien Unter dieser Wirkstoffgruppe finden sich verschiedene pharmakologische Substanzen, welche die Aufmerksamkeit erhöhen und in der Lage sind, die Leistungsbereitschaft und die Aggressivität zu steigern. Als Aufputschmittel werden sie kurz vor oder im Wettkampf eingenommen.80 Die Anwendung dieser Substanzen kann zu einer Verringerung der Selbstkontrolle führen, was eine Gefährdung anderer Wettkampfteilnehmer zur Folge haben kann. 81 Die klassischen Dopingmittel sind hier die Phenylethylaminabkömmlinge, die strukturmäßig den körpereigenen Katecholaminen wie Adrenalin und Noradrenalin verwandt sind. Beispiele sind Amphetamin und Methamphetamin (Pervitin®), welches aufgrund der aufputschenden Wirkung bereits bei den Kampffliegern des Zweiten Weltkriegs eingesetzt wurde. Bei Amphetaminen steht die zentralstimulierende Wirkung im Vordergrund. Es kommt zu einem Gefühl erhöhten Selbstbewusstseins und Selbstvertrauens, Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft nehmen zu, das Ermüdungsgefühl wird unterdrückt. Die Einnahme von Amphetaminen unter hoher sportlicher Belastung ist aber nicht ohne Risiko. So steigen Blutdruck und Herzfrequenz an, der Blutfluss zur Haut wird gedrosselt. Es kommt zur Hyperthermie (Hitzschlag) unter Belastung besonders in feuchtheißem Klima. Hohe Konzentrationen bewirken eine neuromuskuläre Blockade durch einen curareähnlichen Effekt. Es besteht die Gefahr lebensbedrohlicher Zustände, wenn Hitze, Höhe mit vermindertem Sauerstoffdruck, Dehydrierung (Entwässerung) u.ä. hinzukommen. Für die Anwendung von Amphetaminen im Sport gibt es heute praktisch keine therapeutische Indi-

78

Die WADA hat sich sich ausdrücklich zu der Liste der Verbotenen Subastanzen des IOC bekannt und diese Liste empfohlen; WADA-Code, 2. Entwurf, Ziffer 1.4.1. 79

Eine detaillierte Übersicht findet sich ζ. B. in D. Ciasing, Doping - verbotene Arzneimittel im Sport, 1992, S. 13 ff.; R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 9 ff. sowie D. Ciasing /R. Κ Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 19 ff. Tabellarisch gegliederte Übersichten über die Dopingsubstanzen enthält beispielsweise B. Houlihan , Dying to win, 2000, S. 35 ff., siehe auch C Peters/T. Schulz / H. Michna, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 21 ff. Ausfuhrlich J. Kern, Das Dopingproblem, 2002, S. 13 ff. 80

W. Hollmann, in: Κ Vieweg, Doping - Realität und Recht, 1998, S. 39.

81

M. Donike/S. Rauth, Dopingkontrollen, 1996, S. 10.

II. Dopingsubstanzen

57

kation mehr. Über den Suchtmittelmarkt (Ecstasy) sind Amphetamine auch heute noch im Sport vertreten. 82 Zu der Gruppe der Stimulanzien gehören auch die sympathomimetischen Amine, zu denen Ephedrin zählt. In hohen Dosen kann diese Verbindung auf die Psyche stimulierend wirken und den Kreislauf anregen. Nicht erwünschte Effekte sind höherer Blutdruck und Kopfschmerzen, erhöhter und unregelmäßiger Puls, Angstgefühle und Zittern. In geringen Dosen sind Ephedrin, Pseudoephedrin, Norephedrin und Norpseudoephedrin häufig in Mitteln gegen Erkältungskrankheiten und gegen Heufieber enthalten, die in Apotheken und anderen Geschäften z.T. ohne ärztliches Rezept erstanden werden können. 83 Eine weitere Gruppe von Stimulanzien sind die ß2-Agonisten. Diese Substanzen sind sowohl als Stimulanzien als auch als anabole Substanzen klassifiziert. Nach oraler Einnahme oder parenteraler Applikation haben sie eine stark stimulierende und anabole Wirkung. 84 Therapeutisch werden sie als Mittel der Wahl zur Vorbeugung von allergischem Asthma und/oder Anstrengungsasthma eingesetzt, wofür ein Attest und neuerdings auch der Nachweis von Laborbefunden für ein entsprechendes Krankheitsbild 85 erforderlich ist. Die Einnahme in Tablettenform oder als Injektion ist nicht gestattet. Untersuchungen mit hochtrainierten Läufern belegten, dass die Gabe von Salbutamol an Lungengesunde keinen leistungssteigernden Effekt hat. 86 Die vielfach geübte Praxis von lungengesunden Ausdauersportlern, mit Beta-2-Agonisten zu arbeiten, muss daher als obsolet betrachtet werden. 87

82

D. Ciasing / R. K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 22; M. Donike / S. Rauth, Dopingkontrollen, 1996, S. 10; W. Schänzer, in: M. Gamper/J. Mühlethaler /F. Reidhaar, Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 203 ff.; vgl. zu Epidemiologie und Nebenwirkungen auch S. Harbort, NZV 1998, S. 17 f.; K. Kuoppasalmi, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 35 ff. 83 M. Donike /S Rauth, Dopingkontrollen, 1996, S. 11; W. Hollmann, in: K. Viewegs Doping - Realität und Recht, 1998, S. 39. 84

M. Donike / S. Rauth, Dopingkontrollen, 1996, S. 11.

85

Patrick Schamasch in FAZ v. 19.05.2001, S. 40; siehe auch Olympic Movement Anti-Doping Code, Anhang I.A., Stichwort Asthma; vgl. auch die Test Procedure für die Olypischen Spiele in Salt Lake City auf www.olympic.org. 86 A. R. Morton / K. D. Fitch , Asthmatic drugs and competitive Sport, Sports Medicine 1992, S. 228. 87

D. Clasing/R.

K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 24.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

58

b) Narkotika Zur Gruppe der Narkotika gehören die opioidartigen Analgetika vom Morphintyp, ζ. B. Morphin, Heroin, während alle nichtopioidartigen Analgetika, wie ζ. B. Aspirin, Naproxen oder Diclofenac, erlaubt sind. Die Substanzen dieser Wirkstoffgruppe haben meist starke Nebenwirkungen, von denen vor allem die dosisabhängige Depression der Atmung genannt sei. Weiterhin fuhrt ihre Anwendung häufig zu physischer und psychischer Abhängigkeit. 88 Ihre Dopingrelevanz haben diese Substanzen, da sie aufgrund ihrer schmerzstillenden Wirkung missbraucht werden können, wenn Schmerzen die sportliche Leistung limitieren. 89 Im Vergleich zu den nichtopioiden Analgetika werden sie aufgrund ihrer Suchtgefahr durch staatliche Betäubungsmittelgesetze erfasst und der Handel eingeschränkt bzw. wie für Heroin ganz verboten.

c) Anabole Steroide Die Substanzklasse der anabolen Wirkstoffe beinhaltet die anabolen androgenen Steroide und ß2-Agonisten. Die Substanzklasse der anabolen androgenen Steroide umfasst Verbindungen, die strukturell und von der Wirksamkeit her mit dem männlichen Keimdrüsenhormon Testosteron, das ebenfalls als Dopingmittel gilt, vergleichbar sind. 90 Die androgen anabolen Steroide wurden und werden im Sport missbraucht, nicht allein um die Muskelmasse und die Muskelkraft in Verbindung mit einer gesteigerten Nahrungsaufnahme zu erhöhen, sondern auch in geringen Dosen bei normaler Nahrungsaufnahme, um die Wettkampfbereitschaft (Aggression) zu steigern (psychogene Wirkung der androgenen Steroide). 91 Androgene (geschlechtsspezifische) Wirkungen sind das Wachstum der männlichen Fortpflanzungsorgane, Bartwuchs, viriles (männliches) Behaarungsmuster, Stimmlagenänderung sowie vermehrte Produktion der

88

M. Donike/S. Rauth, Dopingkontrollen, 1996, S. 12; J. Fritzweiler/B. Pßster/T. Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 1998, S. 151, ausführlich C. MüllerPlatz / S. Schmidt, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 47 ff. 89

W \ Schänzer, Dopingkontrollen und aktueller Stand der Nachweismethoden, Zeitschrift für Sportmedizin 2000, S. 261; W. Schänzer, in: M. Gamper/ J. Mühlethaler/F. Reidhaar, Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 206 f. 90

Anabole Steroide zählen insbesondere im Freizeitsport zu den „beliebtesten" und am hänfigsten missbrauchten Substanzen, vgl. V. Mougios, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 187 f. 91 Zur Frage, ob über die Steigerung der Wettkampfbereitschaft hinaus Anabole Steroide die Aggressivität erhöhen, kritisch R. K. Müller / C. Müller-Platz, in: Bundesinstitut fiir Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 108 ff.

II. Dopingsubstanzen

59

Talgdrüsen. Anabole (ei weiß anbauende) Wirkungen sind die Zunahme der Muskelmasse, Verringerung des Fettanteils am Gesamtkörpergewicht, Verringerung des Eiweißabbaus, Vermehrung der Erythrozyten und der Hämoglobinkonzentration. 92 Die Nebenwirkungen einer Einnahme von anabolen androgenen Steroiden sind abhängig von den Wirkstoffen sowie von der Dauer und der Höhe der Dosierung. Folgen ihrer Anwendung sind weiterhin Abfall des HDLCholesterins mit der Gefahr der Gefäßverkalkung, Abnahme des Hodenvolumens und der Samenproduktion bis zur Unfruchtbarkeit, Gynäkomastie (Brustwachstum bei Männern), Rhabdomyolyse (Muskelauflösung), Leberzellveränderung und Steroidakne. Hinweise gibt es auch auf kardiotoxischen Effekte mit Wirkungen von Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzinfarkt. 93 Die Anwendung von Anabolika kann zudem bei Heranwachsenden, deren Längenwachstum noch nicht abgeschlossen ist, zu einer Beendigung des Wachstums führen. Bei Frauen kommen Veränderungen im Sinne von Virilisierung (Vermännlichung) wie dunkle, übermäßige Gesichts- und Körperbehaarung, tiefe Stimme, typische männliche Glatzenbildung, Akne sowie Menstruationsstörungen hinzu. 94 Weiterhin wird auch über eine potenzielle Suchtwirkung von Anabolika berichtet. 95 Zwar mag die Wirksamkeit der Anabolika über eine beachtliche Zeit weiterbestehen, sie führt aber nicht zu einem auf Lebenszeit bestehenden Vorteil. Biomechanische Überlegungen zu den möglichen Langzeitwirkungen eines Anabolika-Dopings bei Kindern und Jugendlichen zeigten, dass anabole Steroide kaum mit einem positiven Langzeiteffekt in Verbindung gebracht werden können. Ein derartiger hormoneller Eingriff würde zu erheblichen Störungen in den Prozess der biologischen Adaption der mit dem Muskel in Verbindung stehenden Strukturen führen. Eine darauffolgende mechanische Überbeanspruchung krafttragender Strukturen würde vielmehr sogar zur Minderung der Leistungsfähigkeit führen. 96

92 93

D. Clasing/R.

K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 29.

A. Deligiannis, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, of Doping, 2001, S. 81 ff.

Biomedical Side Effects

94 D. Clasing/R. K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 31 f.; M. Donike/ S. Rauth, Dopingkontrollen, 1996, S. 13; W. Schänzer, in: M. Gamper/J. Mühlethaler /F. Reidhaar, Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 207 ff. 95

D. R. Mottram / A. J George , in: J. M Holly / P. E. Mullis , Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 67. 96

G.-P. Brüggemann, in: K. Vieweg , Doping - Realität und Recht, 1998, S. 67 ff. Zu den erheblichen Nebenwirkungen siehe auch G. Spitzer, in: Bundesinstitutfär Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 127.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

60

Es steht jedoch fest, dass durch Anabolika eine nachhaltige Beeinflussung des endokrinen Systems erfolgt, die nach Absetzen nicht immer oder nur zum Teil reversibel ist. Die Überprüfung auf Anabolika im Wettkampf deckt somit nur einen Teilbereich des Anabolika-Missbrauchs ab, die unmittelbare Leistungssteigerung aufgrund der psychogenen - das sind in gewisser Art stimulierenden - Effekte der Anabolika. Die im Training erworbenen Vorteile lassen sich jedoch bei frühzeitigem Absetzen zum Teil bis zum Wettkampftag erhalten, so dass die Gefahr eines positiven Ausgangs der Dopingkontrolle gering ist. 97 Anabolika werden oft zusätzlich mit anderen verbotenen Substanzen kombiniert, um die Nebenwirkungen zu therapieren oder die Optimierung des leistungssteigernden Effektes zu erreichen. Das daraus resultierende weitere Nebenwirkungspotenzial wird dann mitunter durch ein drittes Medikament oder weitere Medikamente kaschiert. So werden ζ. B. die auf hohe und langanhaltende Gaben von Testosteron zurückzuführenden schweren Nebenwirkungen wie ζ. B. die Gynäkomastie (abnorme Größenzunahme der männlichen Brust) oftmals unter Inkaufnahme weiterer großer gesundheitlicher Risiken mit AntiÖstrogenen einzudämmen versucht. 98

d) Diuretika Diuretika bewirken eine vermehrte Urinausscheidung und damit erhöhten Wasser- und Salzverlust. Sie werden bei Patienten zur Ausschwemmung von Ödemen und in der Bluthochdruckbehandlung eingesetzt. Im Sport werden Diuretika aus zweierlei Gründen missbraucht: Erstens kann durch die erhöhte Wasserausscheidung das Körpergewicht so erniedrigt werden („Gewichtmachen" 99 ), dass in Sportarten mit Gewichtsklassen, ζ. B. Kampfsportarten, der Start in einer niedrigeren (leichteren) Wettkampfklasse möglich wird. 1 0 0 Zweitens besteht die Möglichkeit, mit Diuretika positive Ergebnisse bei der Dopingkontrolle zu vermeiden. Hierbei wird durch die Erhöhung der ausgeschiedenen Urinmenge ein „Verdünnungseffekt" von Dopingsubstanzen erzielt. Damit

97

M. Donike, in: W. Schild, Rechtliche Fragen des Dopings, 1986, S. 8.

98

R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 79.

99

W. Hollmann, in: Κ Vieweg, Doping - Realität und Recht, 1998, S. 41; vgl. auch J. Kern, Das Dopingproblem, 2002, S. 135 f. 100

W. Schänzer, Dopingkontrollen und aktueller Stand der Nachweismethoden, Zeitschrift für Sportmedizin 2000, S. 262.

II. Dopingsubstanzen

61

wird versucht, die untere Nachweisgrenze des analytischen Verfahrens zu unterschreiten. 101 Nebenwirkungen der Diuretika sind u.a. Dehydrierung (Austrocknung), Hypovolämie (Verringerung der Gesamtkörperflüssigkeit) und damit Beeinträchtigung der Ausdauerleistungsfähigkeit. 102 Durch den Salzverlust kann es zu Muskelkrämpfen kommen; besonders beim „Gewichtmachen" besteht die Möglichkeit gesundheitlicher Gefährdung durch Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlust bei gleichzeitig schwerster muskulärer Beanspruchung. 103

e) Peptidhormone Peptidhormone sind - wie der Name bereits nahelegt - Peptide und damit eiweißartige, aus Aminosäuren aufgebaute Moleküle. Im Vergleich zu den übrigen Dopingsubstanzen handelt es sich um Riesenmoleküle. Daher können sie in den üblichen Testverfahren nicht erfasst werden, für sie sind spezielle Nachweise nötig. Aufgrund ihrer biologischen Natur können Peptidhormone je nach Art und Herstellungsweg bei gleicher Anzahl von Molekülen in verschiedenen Proben eine unterschiedliche Gesamtaktivität aufweisen. Daher beziehen sich Konzentrationsangaben bei Peptidhormonen auch nicht wie üblich auf die Anzahl bzw. die Masse von Molekülen in einer bestimmten Flüssigkeitsmenge, sondern auf die - letztlich entscheidende - Aktivität pro Flüssigkeitsmenge. Diese wird in „International Units" gemessen (Abkürzung: IU, deutsch: Internationale Einheiten, IE). Auf diese Weise wird ζ. B. in der Medizin sichergestellt, stets gleich wirksame Dosierungen eines Hormons verabreichen zu können. Peptidhormone und Verbindungen sind ζ. B. Choriongonadotropin (hCG), Corticotrophin (ACTH), Wachstumshormon (hGH), Insulinartiger Wachstumsfaktor (IGF-1), Erythropoietin (EPO) sowie Insulin. 104

101

M. Donike / S. Rauth, Dopingkontrollen, 1996, S. 13.

102

D. Clasing/R.

K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 34.

103

W. Hollmann, in: Κ . Vieweg, Doping - Realität und Recht, 1998, S.41; W. Schänzer, in: M. Gamper /J. Mühlethaler /F. Reidhaar, Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 212; vgl. auch D. Ciasing, Doping - verbotene Arzneimittel im Sport, 1992, S. 88. 104

D. Clasing/R. K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 35; vgl. auch W. Schänzer, in: M. Gamper / J. Mühlethaler /F. Reidhaar, Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 196; Α. T. Kicman/D. A. Cowan, Peptide hormones and sport: misuse and detection, British Medical Bulletin 1992, S. 496 ff.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

62

aa) Erythropoietin (EPO) EPO ist ein Hormon der Niere. Sauerstoffmangel des Gewebes fuhrt zur Ausschüttung von EPO. Dieses gelangt mit dem Blut in das Knochenmark und stimuliert dort die Zellteilung von Vorläuferzellen der Erythrozyten (roten Blutkörperchen). Die Erythrozytenmasse sowie die Sauerstofftransportkapazität werden erhöht. Das therapeutische Einsatzgebiet für EPO liegt in der Behandlung der renalen Anämie (Blutarmut) bei Patienten mit chronischem Nierenversagen (Dialysepatienten). Seit 1989 wird EPO gentechnologisch hergestellt. Zur Unterscheidung von körpereigenem EPO - human EPO, hEPO - wird das gentechnologisch hergestellte EPO auch als recombinant human EPO, rhEPO oder rEPO bezeichnet.105 Sportmedizinische Untersuchungen haben gezeigt, dass mit einer sechswöchigen EPO-Behandlung die gleichen Effekte erzielt werden konnten wie mit Eigenbluttransfusionen (1350 ml). Danach stieg der Hämatokritwert bei 15 gesunden Sportstudenten von 44,5 auf 49,7 und der Hämoglobinwert von 15,5 auf 16,9 (jeweils Mittelwerte). Die maximale Sauerstoffaufnahme nahm von 4,52 auf 4,88 1/min zu, die Laufzeit bis zur Erschöpfung verlängerte sich von 500 auf 583 Sekunden.106 Die eingesetzte Dosis betrug ca. 20-40 I U rEPO/kg Körpergewicht. Das Risiko der Verwendung von EPO bei einem gesunden Sportler liegt vornehmlich in der Möglichkeit, dass er bei erhöhter Viskosität des Blutes in Kombination mit der dauerleistungsbedingten Bradykardie (niedrige Herzschlagzahl) und Hypotonie (niedriger Blutdruck) eine Thrombembolie (Gefäßverschluss) erleidet. Bei unerwarteten Todesfällen junger Ausdauerportier wird eine EPO-induzierte Thrombembolie zunehmend häufiger vermutet. 107 Weiterhin wird diskutiert, dass die Anwendung von EPO möglicherweise Tumorwachstum fordern kann. 108 Auf die Dopingpraxis mit EPO wird im Rahmen der Diskussion des Hämatokritwertes ausführlich eingegangen.109

105 Β. T. Ekblom, in: J. M. Holly /P. E. Mullis, Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 95; D. Clasing/R. K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 38; W. Jelkmann, in: Bundesinstitut fìir Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 60. 106

Β. T. Ekblom/ B. Berglund , Effect of Erythropoietin administration on maximal aerobic power, Scandinavian Journal for Medical Science in Sports 1991, S. 88. 107

D. Clasing/R.

108

R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 84 ff.

109

Siehe unten A.II.2.Ì).

K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 38.

II. Dopingsubstanzen

63

bb) Novel Erythropoiesis Stimulating Protein (NESP) Eine neue Entwicklung begann mit der Verwendung des Blutdopingmittels „NESP" im Jahr 2001. NESP, kurz fur „Novel Erythropoiesis Stimulating Protein", ist ein neues Protein, welches zur gleichen Substanzklasse wie EPO gehört und unter dem Handelsnamen „Aranesp" mittlerweile auch auf dem deutschen Markt erhältlich ist. 1 1 0 Es ist zwei- bis dreimal wirksamer als EPO, wodurch, dem klinischen Ziel des Medikamentes entsprechend, Dialysepatienten bis zu 100 Injektionen weniger pro Jahr als bisher benötigen. 111 Aufgrund dieser höheren Wirksamkeit wird das Präparates ebenso wie EPO illegal zu Dopingzwecken eingesetzt. Ein erster prominenter Fall war der des Skilangläufers Johann Mühlegg. 112 Allerdings ist das Molekül aufgrund struktureller Unterschiede leichter von körpereigenem EPO zu unterscheiden. Da es zudem eine deutlich höhere Halbwertszeit im Körper aufweist (25,3 Stunden) 113 , ist es länger im Körper nachweisbar, was die Möglichkeit seiner Entdeckung weiter vergrößert, so dass die Anwendung von NESP fur den dopenden Sportler erheblich riskanter ist als die bisherige EPO-Anwendung. 114 Daher greifen Radprofis offenbar weiterhin nach neuen Medikamenten wie ζ. B. dem Medikament „Dynepo" mit dem NESP-Wirkstoff Epoetin delta, welches bisher nur in klinischen Tests verwendet werden darf. Hier könnten findige Dopingsünder Profit daraus zu schlagen versuchen, dass sie Medikamente verwenden, von denen die Veranstalter noch nichts wissen und bei Kontrollen nicht danach suchen lassen. 115

110

Vgl. J. C. Egrie/J. K. Browne , Development and characterization of novel erythropoiesis stimulating protein (NESP), Nephrol Dial Transplant 2001, S. 3 ff.; F. Locatelli /J. Olivares / R. Walker et al, Novel erythropoiesis stimulating protein for treatment of anemia in chronic renal insufficiency, Kidney International 2001, S. 741 ff. 111 Zu den Eigenschaften und zum therapeutischen Einsatz von NESP siehe P. Urena, Treatment of the anemia of chronic renal failure by a long acting activator of erythropoiesis, Presse Medicale 2002, S. 505 ff.; W. Jelkmann, in: Bundesinstitut fìir Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 69 f. 112

Ζ. Β. FAZ v. 7.5.2002, S. 48.

113

Die höhere Halbwertszeit bewirkt eine längere Wirksamkeit und dadurch für den Patienten mit chronischem Nierenversagen nur noch eine statt drei Injektionen pro Woche. Sie wird durch zusätzliche Zuckergruppen am Molekül erreicht, was ebenfalls den Nachweis des Moleküls im Vergleich zu EPO erleichtert, siehe P. Urena, Treatment of the anemia of chronic renal failure by a long acting activator of erythropoiesis, Presse Medicale 2002, S. 505 f f ; W. Jelkmann, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 69 f. 114

Siehe dazu FAZ v. 13.11.2001, S. 46.

115

Siehe dazu FAZ v. 29.5£002, S. 47.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

64

Mittlerweile lässt sich jedoch auch NESP mit der gleichen Testmethode wie EPO zuverlässig nachweisen.116

cc) Wachstumshormone (hGH und IGF) Wachstumshormon (Growth Hormone, GH, synonym auch Somatotropes Hormon, STH, oder Somatotropin) ist eine Polypeptidkette aus 191 Aminosäuren mit einem Molekulargewicht von 22 kDa. 1 1 7 Die körpereigene Produktion erfolgt stoßweise und wird in einem komplizierten Mechanismus von zwei weiteren Peptiden reguliert. Das Growth Hormone Releasing Hormone (GHRH) stimuliert die Produktion von hGH, während Somatostatin sie inhibiert. Frauen weisen dabei offenbar eine höhere hGH-Produktion auf als Männer. 118 Die Konzentration von hGH im Körper ist stark von der körperlichen Belastung abhängig. Unter längerdauernder moderater Belastung kann die Plasmakonzentration um das bis zu lOfache steigen, unter intensiver Kurzzeitbelastung scheinen Konzentrationssteigerungen um den Faktor 5-10 möglich. 119 GH besitzt zwei Wirkmechanismen, einen direkten nach dem sog. Second Messenger-Prinzip 120 sowie einen indirekten, der durch die Bildung wachstumsfördernder Faktoren charakterisiert ist. Diese Bbtenmoleküle wurden früher als Somatomedine, heute als „Insulin-like Growth Factors" (IGF) bezeichnet, da es sich um Eiweißmoleküle handelt, die dem Insulin ähneln. Die Anwendung von IGF (häufig in Form von IGF-1) hat daher die gleiche Wirkung wie die Anwendung von GH. 1 2 1 Zusätzlich scheint IGF-1 auch direkt auf das Muskelgewebe einzuwirken, zeigt bei einem gesunden Menschen (d. h. mit

116

Siehe A.III.l.b); M. Machnik/B. Bialas/W\ Schänzer, Der direkte Nachweis von rekombinantem Erythropoietin (rEPO) in Urin, F.I.T. Wissenschaftsmagazin 2002, S. 29 ff. Einen gut strukturierten Überblick über den aktuellen Stand der Nachweismethoden und der verwendeten Verfahren bietet die Internetseite des Instituts für Biochemie Köln, www.dopinginfo.de. 117

kDa = Kilodalton, es handelt sich damit im Vergleich zu anderen Dopingsubstanzen um ein Riesenmolekül. 118

C. Ehrnborg / B.-A. Bengisson / T. Rosen, in: J. M. Holly/P. Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 71. 119

C. Ehrnborg / B.-A. Bengtsson/T. Rosen, in: J. M. Holly/P. Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 72. 120 121

E. Mullis, Clinical E. Mullis , Clinical

Dazu ausführlich ζ. Β. R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 86.

A. Thomas, Hormone im Ausdauersport, 2000, S. 151 ff.; R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 86; M. Bidlingmaier / Z. Wu/C. J. Strasburger, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 76.

II. Dopingsubstanzen

65

normalen GH-Spiegeln) aber auch gravierende Nebenwirkungen wie ζ. B. Hypoglykämie, Muskelhypertrophie und eine erhöhte Krebs Wahrscheinlichkeit. 122 Seit 1988 ist GH als gentechnologisch (rekombinant) produziertes Medikament auf dem Markt. Zur Unterscheidung von körpereigenem GH, welches auch als hGH (human Growth Hormone) bezeichnet wird, ist fur rekombinant hergestelltes, also körperfremdes GH die Bezeichnung rhGH (recombinant human Growth Hormone) üblich. Die therapeutische Anwendung von GH ist vor allem die Behandlung von GH-Mangelzuständen und damit einhergehenden Wachstumsstörungen. Die positive Wirkung umfasst eine anabole Wirkung mit Aufbau von Muskelmasse und der Reduktion von Körperfett. Da in vielen Sportarten auch die Körperlänge ein entscheidendes Kriterium für Sieg oder Niederlage sein kann, besteht auch die Möglichkeit, sich insoweit Vorteile gegenüber anderen Sportlern zu verschaffen, indem man es an bereits im Vereinssport aktive Heranwachsende verabreicht. Man würde dann, wie oftmals in den ehemaligen Ostblockstaaten mit Anabolika geschehen, gewissermaßen „body engineering" betreiben. 123 Bei Erwachsenen hat die Anwendung von Wachstumshormon zahlreiche Nebenwirkungen zur Folge, die bis zum Bild der Akromegalie gehen (selektive Größenzunahme von Nase, Ohren, Händen, Füßen, Kinn u.a., „Schnabelkinn"). 1 2 4 Präpuberale Anwendung kann zu Gigantismus fuhren. Echte Langzeiteffekte können noch nicht beurteilt werden, da die Substanz erst seit ca. 10 Jahren im Dopingbereich verwendet wird. 1 2 5 Vor der Möglichkeit der gentechnologischen Herstellung von rhGH wurde GH aus der Hirnanhangdrüse von Leichen gewonnen. Daraus resultierte eine Ansteckungsgefahr mit CreutzfeldJakob-Prionen (auch die Auslöser von „BSE"), die zu mehreren Todesfällen durch die Creutzfeld-Jakob-Krankheit führten. 126 Mit gentechnologisch hergestelltem, rekombinanten rhGH besteht diese Gefahr nicht mehr. Die therapeutische Dosis beträgt 1-2 IU pro Tag. Im Doping finden offenbar weit höhere Dosierungen von 10-25 IU/Tag an 3-4 Tagen pro Woche Anwen-

122

G. R. Adams, Die Rolle von IGF-1 beim Muskelwachstum und die Möglichkeiten des Missbrauchs bei Sportlern, Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 2001, S. 35 f. 123

R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 88.

124

Dazu ausführlich M. Bidlingmaier /Z. Wu/C. J. Strasburger, in: Bundesinstitut far Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 76 ff. 125 C. Ehrnborg/B.-A. Bengtsson / T. Rosén, in: J. M. Holly/P. Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 74. 126

E. Mull is, Clinical

C. Günther, in: A. Grohmann , Transparenz und Akzeptanz von Grenzwerten am Beispiel des Trinkwassers, 1996, S. 103; R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 89; M. Bidlingmaier / Z. Wu/C. J. Strasburger, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 78. 5 Paul

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

66

dung. 127 Die Kosten eines rhGH-Missbrauchs sind dabei hoch und liegen bei ca. 3000-4000 US-$ pro Monat. Daher wird teilweise u.a. aus Kostengründen auch auf den Releasing Factor GHRH zurückgegriffen. Dabei ist die tatsächliche leistungssteigernde Wirkung von GH umstritten. Gerüchteweise wird von einer dramatischen Zunahme von Muskelmasse und Kraft nach Anwendung hoher Dosen von GH berichtet. 128 Die einzigen bisher durchgeführten klinischen Studien haben dagegen keine nennenswerte Wirkung einer GH-Applikation auf Kraft und Muskelmasse bestätigen können. 129 Ein möglicher Grund für diese Abweichung von den subjektiven Berichten von GH-Anwendern kann in der geringeren Dosierung gesehen werden (0,28-0,63 IU/kg/Woche), auch wurde der Effekt der im Doping nicht seltenen gleichzeitigen Einnahme von anabolen Steroiden nicht überprüft. Wissenschaftlich abgesicherte endgültige Aussagen über die Wirkung stehen daher noch aus. 130 Wegen der starken circadianen (tageszeitabhängigen) Schwankungen der endogenen Hormonproduktion wird als einzig praktikabler Weg zum Nachweis des rhGH-Missbrauchs eine direkte Nachweismethode zur Unterscheidung von hGH und rhGH gesehen. Eine solche steht noch nicht zur Verfügung, in dem Bereich wird aber intensiv geforscht. 131

127

C. Ehrnborg/B.-A. Bengtsson/T. Rosen, in: J. M. Holly/P. Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 73. 128

E. Mullis, Clinical

R. Baier , Doping im Sport, 1998, S. 88 m.w.N.

129

Vgl. dazu ausfuhrlich C. Ehrnborg / B.-A. Bengtsson/T. Rosén, in: J. M. Holly / P. E. Mullis , Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 74 m.w.N.; G. R. Adams, Die Rolle von IGF-1 beim Muskelwachstum und die Möglichkeiten des Missbrauchs bei Sportlern, Deutsche Zeitschrift fur Sportmedizin 2001, S. 35 f. sowie M. C. Kennedy, Newer drugs used to enhance sporting performance, Medical Journal of Australia 2000, S. 315 m.w.N. 130

C. Ehrnborg/B.-A. Bengtsson / T. Rosén, in: J. M. Holly/P. Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 74. 131

E. Mullis , Clinical

C. Ehrnborg/B.-A. Bengtsson / T. Rosén, in: J. M. Holly/P. E. Mullis , Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 75; M. Bidlingmaier/Z. Wu/C. J. Strasburger , in: J. M. Holly/P. E. Mullis , Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 99 ff. Zu Berichten über eine mögliche stressinduzierte Erhöhung des GH-Spiegels siehe D. Armanini /D. Faggian/C. Scaroni et al., Growth hormone and insulin-like growth factor I in a Sydney Olympic gold medalist, British Journal of Sports Medicine 2002, S. 148.

II. Dopingsubstanzen

67

dd) Choriongonadotropin (hCG) Human Chorionic Gonadotropin (hCG) ist ein Peptidhormon, welches natürlicherweise während der Schwangerschaft von der Plazenta sezerniert (abgesondert) wird. Seit den siebziger Jahren wird das Plazentahormon hCG zur Stimulierung der körpereigenen Testosteronsynthese eingesetzt, zusätzlich kann mit hCG auch einer Hodenatrophie bei gleichzeitiger Einnahme von Anabolika entgegengewirkt werden. Insoweit stellt es eine Art Kompensationsmedikament zu den anabolen Steroiden dar. Auf der Verbotsliste steht Choriongonadotropin (hCG), weil es bei Männern durch die Steigerung der Sekretion der androgenen Steroide die gleiche leistungssteigernde Wirkung hat wie die direkte Anwendung von Testosteron. 132

ee) Adrenocorticotropes Hormon (ACTH) Das Adrenocorticotrope Hormon (Adrenocorticotrope Hormone, ACTH, synonym auch Corticotrophin) ist ein Hormon des Hypophysenvorderlappens. Es ist ein Polypeptid mit 39 Aminosäuren und stimuliert die Sekretion von Kortikosteroiden aus der Nebennierenrinde. Es wird missbraucht, um den Blutspiegel von endogenen Kortikosteroiden zu erhöhen und dadurch eine Verbesserung der Energieversorgung zu erreichen und eine euphorische Grundstimmung zu provozieren. Die Applikation von ACTH ist gleichzusetzen mit der oralen, intramuskulären oder intravenösen Anwendung von Kortikosteroiden im Sport. 133 Die Wirksamkeit von ACTH erscheint allerdings zweifelhaft; in einer Studie konnte keine Steigerung der Leistungsfähigkeit nach Einnahme der Substanz nachgewiesen werden. 134

132

R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 85; W. Schänzer, in: M. Gamper/J. Mühlethaler/F. Reidhaar, Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem, 2000, S. 213; vgl. auch D. Ciasing, Doping - verbotene Arzneimittel im Sport, 1992, S. 90; A. Τ . Kicman/D. A. Cowan, Peptide hormones and sport: misuse and detection, British Medical Bulletin 1992, S. 496 f. 133

A. Thomas , Hormone im Ausdauersport, 2000, S. 98; R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 85; A. T. Kicman/D. A. Cowan , Peptide hormones and sport: misuse and detection, British Medical Bulletin 1992, S. 496. 134

E. Soetens / Κ. D. Meirleir / J. E. Hueting , No influence of ACTH on maximal performance, Psychopharmacologica 1995, S. 260 ff.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

68

j) Kortikosteroide Physiologische Kortikosteroide (synonym Glukokortikosteroide) wie Cortisol und Corticosteron werden im Rahmen einer Stressreaktion von der Nebenniere ausgeschüttet. Sie haben durch ihre Effekte - Bereitstellung schnell verfügbarer Energie, Kreislaufanpassung, Anpassung des Nervensystems an gestiegene Anforderungen - eine existentiell-lebensrettende Bedeutung. Kortikosteroide besitzen zudem auch eine anabole Wirkung. Die therapeutische Anwendung von Kortikosteroiden ist ihre entzündungshemmende Wirkung. I m Sport werden Kortikosteroide hauptsächlich aufgrund der stimulierenden Wirkung eingesetzt, um weitere Energiereserven zu mobilisieren. Sie werden zudem wegen ihrer schmerzstillenden Wirkung lokal durch Injektion oder Einreihen angewendet.135 Nebenwirkungen einer Langzeittherapie mit Kortikosteroiden ist das sog. Cushing-Syndrom mit Stammfettsucht, Ödemen, gestörter Wundheilung, Muskelathrophie, Osteoporose sowie zahlreichen weiteren schweren Nebenwirkungen. 136 Bei einer lokalen Anwendung ist vor allem mit Nebenwirkungen am Bewegungsapparat in Form der Schwächung von Bändern, Sehnen, Muskulatur und Knochen zu rechnen, welche zu Bänderrissen und Knochenbrüchen führen kann. 137

g) Blutdoping Unter Blutdoping versteht man die Verabreichung von Vollblut oder Zubereitungen, die rote Blutkörperchen enthalten, wenn keine medizinische Indikation für eine solche Behandlung vorliegt. Dieser Prozedur kann die Abnahme einer bestimmten Blutmenge vorausgehen, so dass der Athlet in einem Zustand relativer Blutarmut trainiert. Die Risiken von Blutdoping beinhalten allergische Reaktionen und akute hämolytische Reaktionen mit Nierenschädigungen, wenn falsch gekennzeichnetes Blut verwendet wird. Ferner können Nebenwirkungen auftreten wie Fieber, Gelbsucht, Infektionen (Virushepatitis und Aids) sowie Überlastungen des Herz-Kreislauf-Systems und metabolischer Schock. 138

135

M. Verroken, in: J. M. Holly / P. E. Mullis , Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 15. 136

D. Clasing , Doping - verbotene Arzneimittel im Sport, 1992, S. 97.

137

R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 81 ff.

138

R. Baier, Doping im Sport, 1998, S. 99 f.; D. Clasing/R. K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 37.

69

II. Dopingsubstanzen

2. Dopingsubstanzen mit Grenzwerten Während die Gruppen der verbotenen Wirkstoffe zunächst unterschiedslos alle Substanzen der Gruppe ohne Berücksichtigung ihrer Konzentration verbieten, wird dieses System teilweise durch die Festlegung von Grenzwerten fur einzelne Substanzen durchbrochen. Im Folgenden sollen die derart ausgenommenen Substanzen näher untersucht werden und die Gründe für die Einfuhrung derartiger Grenzwerte bestimmt werden. Grundlage bilden die langjährig als faktische Musterregelung verwendete und bis 2003 auch von der W A D A empfohlene Liste der Verbotenen Substanzen des Olympic Movement AntiDoping Code des IOC sowie die ab 1.1.2004 geltende WADA-Liste der Verbotenen Substanzen, die weitgehend mit der Liste der Verbotenen Substanzen des Olympic Movement Anti-Doping Code identisch ist. Zur Ergänzung wird zudem der von einigen Verbänden verwendete Hämatokrit-Wert diskutiert, um den Überblick zu vervollständigen. Tabelle 1

Grenzwerte in der Liste der Verbotenen Substanzen des Olympic Movement Anti-Doping Codes des IOC (Stand 1.1.2003)139 Substanz

Gruppe

Grenzwert

Koffein Ephedrin Methylephedrin Norpseudoephedrin (=Cathin) Phenylpropanolamin Pseudoephedrin Cannabis Morphin Testosteron Epitestosteron Nandrolon Männer Nandrolon Frauen Salbutamol

Stimulanzien Stimulanzien Stimulanzien Stimulanzien Stimulanzien Stimulanzien Stimulanzien Narkotika Anabolika Manipulation Anabolika

12 μg/ml 10 μg/ml 10 μg/ml 5 μg/ml 25 μg/ml 25 \ig/ml T H C m e t 15 ng/ml 1 μg/ml Quotient T/E > 6 200 ng/ml Norandrosteron 2 ng/ml Norandrosteron 5 ng/ml 1000 ng/ml 100 ng/ml

Anabolika (Training) Stimulanzien (Wettkampf)

139 Die angegebenen Werte beziehen sich auf die letzte Fassung des Olympic Movement Anti-Doping Code mit der neuen Bezugsliste der verbotenen pharmakologischen Gruppen von Dopingwirkstoffen und Dopingmethoden, in Kraft seit 1. Januar 2003.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

70

Der bis 31.12.2003 gültige Olympic Movement Anti-Doping Code des IOC enthielt die in Tabelle 1 gezeigten Grenzwerte. 140 Die von der W A D A seit 1.1.2004 verwendeten Grenzwerte (Tabelle 2) sind in Anzahl und Höhe im Ergebnis gleich. Unterschiede bestehen insbesondere in der Regelungstechnik: In der WADA-Liste der Verbotenen Substanzen selbst sind nur noch 5 für alle Sportarten gültige Grenz Wertregelungen enthalten. 141 Die umfassende Liste der Grenzwerte findet sich nunmehr in der technischen Leitlinie für die Dopingkontrolllaboratorien, wonach bestimmte Dopingsubstanzen erst ab dem Überschreiten bestimmter Grenzwerte als nachgewiesen anzusehen sind. 142 Neu am WADA-Code ist ebenfalls, dass Koffein, Phenylpropanolamin und Pseudoephedrin ab 1.1.2004 nicht mehr als verbotene Substanzen gelten. Diese Substanzen werden aber als Teil des „2004 Monitoring Program" überwacht 143 , wobei die Laboratorien den Befund erst ab dem Überschreiten der bisher geltenden Grenzwerte melden. 144 Bedeutsame Abweichungen von diesen Standard-Regelwerken enthalten die Regelwerke der UCI, die einen abweichenden Cannabis-Grenzwert von 40 ng/ml T H C m e t ausschließlich für die Disziplin Downhill normiert und einen Grenzwert für das Peptidhormon hCG aufweist 145 , sowie die ITF, die einen T/E-Quotienten von 10 zulässt und auf Grenzwerte für Ephedrin verzichtet, da

140

Zur seit 1. März 2000 geltenden Vorfassung siehe V. Röhricht / K. Vieweg (Hrsg.), Doping-Forum, 2000, S. 170. Wesentliche Änderungen in der Vorfassung waren die angehobenen Grenzwerte fur Pseudoephedrin und Phenylpropanolamin von je 25 μg/ml statt vorher 10 μg/ml sowie die Streichung des Summengrenzwertes, siehe dazu auch R. C. R. Siekmann / J. Soek/A. Bellani (Hrsg.), Doping Rules of International Sports Organisations, 1999, S. 605. 141

Weiterhin genannt werden 8 sportartspezifische Grenzwertregelungen für Alkohol, siehe WADA Prohibited List 2004, Seite 15, Ziffer P.l. 142

W A D A Technical Document TD2003MRPL „Minimum Required Performance Limits for Detection of Prohibited Substances", S. 2. Es handelt sich lediglich um eine neue systematische Einteilung; Dr. Olivier Rabin, WADA Science Director, persönliche Mitteilung vom 30. September 2003. Die Dokumente sind auf der Website der W A D A unter www.wada-ama.org einsehbar. 143

W A D A Prohibited List 2004, Seite 18, Part Three: The 2004 Monitoring Pro-

gram. 144

Alle drei Substanzen sind mit unveränderten Grenzwerten in der Anweisung an die Dopingkontrolllaboratorien genannt; WADA Technical Document TD2003MRPL „Minimum Required Performance Limits for Detection of Prohibited Substances", Seite 2 am Ende. 145

UCI Prohibited Classes of Substances and Prohibited Methods v. 01.04.2000, IV.E. und I.E.I.

71

II. Dopingsubstanzen

Ephedrin i m Reglement der I T F nicht zu den verbotenen Substanzen z ä h l t . 1 4 6 U C I , U I P M und I B U kontrollieren zudem den Hämatokritwert, die FIS den Hämoglobinwert (aktuell 17,5 für Herren und 16 für Damen, früher:

18,5/

16,5). 1 4 7 Tabelle 2 Grenzwerte im Regelwerk der WADA (Stand 1.1.2004) 148

Substanz

Gruppe

Grenzwert

in der W A D A-Liste enthalten: Stimulanzien Ephedrin Methylephedrin Stimulanzien Norpseudoephedrin (=Cathin) Stimulanzien Testosteron Anabolika Salbutamol Anabolika (Training)

10 μ ^ ι η ΐ 10 μg/ml 5 μg/ml Quotient T/E > 6 1000 ng/ml

in der Leitlinie für die Laboratorien enthalten: Cannabis Morphin Epitestosteron Nandrolon Männer Nandrolon Frauen Salbutamol

Stimulanzien Narkotika Manipulation Anabolika Stimulanzien (Wettkampf)

THCmet 15 ng/ml 1 μg/ml 200 ng/ml Norandrosteron 2 ng/ml Norandrosteron 5 ng/ml 100 ng/ml

nicht mehr verbotene, aber zu beobachtende Substanzen: Koffein Phenylpropanolamin Pseudoephedrin

Stimulanzien Stimulanzien Stimulanzien

12 μg/ml 25 ßg/ml 25 μg/ml

146 j j p s c h e d u j e 0 f Prohibited Substances 2000, S. 1 ; „ephedrines are monitored but player use is not penalised by the Programme". 147 Rule 13.1.001 und 13.1.002 der UCI Cycling Regulations; Rule 1.6.1 der IBU Anti-Doping, Blood Test and Gender Verification Rules; Rule 9.6 des UIPM Medical Rulebook; Rule A. 1.3 der FIS Procedural Guidelines for Doping and Haemoglobin Control; R. C. R. Siekmann/ J. Soek/A. Bellani (Hrsg.), Doping Rules of International Sports Organisations, 1999, S. 149, 293, 316,490; vgl. auch FAZ v. 14.11.2000, S. 48. 148 W A D A Prohibited List 2004 vom 30.9.2003, gültig ab 1.1.2004, und W A D A Technical Document TD2003MRPL „Minimum Required Performance Limits for Detection of Prohibited Substances", Seite 2 am Ende.

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

72

a) Koffein Koffein (chemische Bezeichnung: 1,3,7-Trimethylxanthin 149 ) gehört zur Substanzklasse der Stimulanzien und wurde erstmals 1984 auf die Dopingliste gesetzt, nachdem bekannt wurde, dass in verschiedenen Sportarten koffeinhaltige Medikamente verwendet wurden, um mögliche leistungssteigernde Effekte des Koffeins auszunutzen.150 Koffein ist jedoch bekanntermaßen in vielen anregenden Getränken wie Kaffee, Tee und auch „Energy Drinks" wie ζ. B. Red Bull oder „Guarana"-Drinks enthalten und gehört damit zur täglichen Ernährung. 151 Koffein ist in geringer Dosierung auch in handelsüblichen und rezeptfrei erhältlichen Erkältungsmitteln enthalten. 152 Um den Genuss von koffeinhaltigen Getränken nicht vollständig einzuschränken, wurde für Koffein daher ein Grenzwert im Urin festgelegt. 153 Dieser Wert liegt seit 1984 bei 12 μg/ml. 1 5 4 Zur Begründung des Wertes geht man davon aus, dass er durch den normalen Konsum von koffeinhaltigen Getränken nicht erreicht werden kann. 155 Selbst bei starken Kaffeetrinkern glaubte man nur Werte von 3 bis 4 μg/ml Koffein im Urin finden zu können. Die von der Medizinische Kommission des IOC festgesetzte Grenze von 12 μg/ml übersteigt diesen Wert um das 3-fache, eine Sicherheitsmarge, die als großzügig angesehen wurde. 156

149

Für weitergehende Informationen zur Chemie des Koffeins sowie der verwandten Methylxanthine siehe O. Adam / W. Forth , Koffein: Umgang mit einem Genussmittel, Deutsches Ärzteblatt 2001, S. 2412. 150 Vgl. C. J. Sinclair/ J. D. Geiger , Caffeine use in sports. A pharmacological review, The Journal of Sports Medicine and Physical Fitness 2000, S. 71 ff. 151

Für eine ausführliche Darstellung des Vorkommens von Koffein als Genussmittel siehe O. Adam / W. Forth , Koffein: Umgang mit einem Genussmittel, Deutsches Ärzteblatt 2001, S. 2412 ff.; zu koffein-positiven Dopingtests durch Guarana vgl. F. Delbeke, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Biomedical Side Effects of Doping, 2001, S. 157. 152 Die Konzentration liegt dann üblicherweise bei ca. 50 mg; M Verrohen, in: J. M. Holly / Ρ. E. Mullis, Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 10. 153

M. Donike/ S. Rauth , Dopingkontrollen, 1993, S. 35.

154

Olympic Movement Anti-Doping Code, Anhang A, I.A, siehe auch oben A.I.; W A D A Technical Document TD2003MRPL „Minimum Required Performance Limits for Detection of Prohibited Substances", S. 2. 155

W. Schänzer, in: V. Röhricht / K Vieweg, Doping-Forum, 2000, S. 19.

156

Vgl. ζ. Β. DSV-Schiedsgericht, Beschl. v. 23.8.1994, SpwRt 1994, 210, 212.

II. Dopingsubstanzen

73

Die kritische Konzentration v o n 12 μ g / m l entspricht 500 bis 600 m g K o f f e i n oder fünf bis sechs Tassen Kaffee i n ein bis zwei Stunden. 1 5 7 Nach anderer Quelle w i r d dagegen eine Dosis von 1000 m g K o f f e i n für nötig gehalten, u m den Grenzwert v o n 12 μ g / m l zu erreichen. 1 5 8 Der Koffeingehalt i n Tee beträgt dabei ca. 20-50 m g pro Tasse, i n Kaffee 80-150 m g . 1 5 9 Softdrinks wie ζ. B . Colagetränke enthalten pro 0,331-Dose j e nach Marke ca. 38 m g bzw. 46 m g K o f f e i n 1 6 0 , Red B u l l ζ. B. 80 mg K o f f e i n . 1 6 1 Der K o n s u m von 8 Tassen ( = 1,5 1) Kaffee kann zu einer Konzentration v o n 16 μ g / m l K o f f e i n i m U r i n führen. 1 6 2 Der Grenzwert w i r d bei durchschnittlichem Kaffeegenuss (1-3 Tassen zu j e 100 m g Koffein) als unerreichbar angesehen. 163 Z u m Umgang m i t dem Koffein-Grenzwert wurde daher noch 1993 folgende Empfehlung gegeben (Donike, 1993): „Die Erfahrungen seit 1982 lehren, dass in der Praxis mit dem Grenzwert von 12 μg/ml kaum Probleme zu erwarten sind, wenn nicht Koffein in reiner Form appliziert wird oder ein übermäßiger Konsum koffeinhaltiger Getränke (ζ. B. mehr als 1 Liter normal starker Kaffee) vorliegt. Durch die verzögerte Resorption aus der doch gering konzentrierten Lösung und die gleichzeitig vermehrte Urinproduktion kann bei durchschnittlichem Konsum der oben genannten Getränke (ζ. B. 1-3 Tassen normaler Kaffee) kein Koffeinspiegel über dem festgelegten Grenzwert erwartet werden." 164 Diese Annahme musste i n den letzen Jahren allerdings korrigiert werden. Es kann unter Umständen zu Problemen kommen, wenn ein Athlet zwar mäßig Koffein zu sich nimmt, er aber individuell eine schlechtere Verstoffwechselung

157 Β. H. Jacobson / F. A. Kulling, Health and ergogenic effects of caffeine, British Journal for Sports Medicine 1989, S. 34. 158 P. J. v. d. Merwe/F. R. Muller/F. O. Muller , Caffeine in sport: urinary excretion of caffeine in healthy volunteers after intake of common caffeine-containing beverages, South African Medical Journal 1988, S. 103. 159 O. Adam / W. Forth , Koffein: Umgang mit einem Genussmittel, Deutsches Ärzteblatt 2001, S. 2413. M Verrohen, in: J. M. Holly /P. E. Mullis, Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 10, gibt dagegen als Durchschnittswerte fur Tee 50-80 mg pro Tasse an. 160 A. J. George , in: J. M. Holly / P. E. Mullis , Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 84; vgl. auch Ο. Adam / W. Forth , Koffein: Umgang mit einem Genussmittel, Deutsches Ärzteblatt 2001, S. 2413. 161

Red Bull Energy Drink Technical Information, S. 8 (Herstellerangabe, 2000); ebenso O. Adam / W. Forth , Koffein: Umgang mit einem Genussmittel, Deutsches Ärzteblatt 2001, S. 2413. 162

DSV-Schiedsgericht, Beschl. v. 23.8.1994, SpwRt 1994, 210, 212.

163

D. Ciasing / R. K. Müller, Dopingkontrolle, 2001, S. 25.

164

M. Donike /S. Rauth, Dopingkontrollen, 1993, S. 35.

74

Α. Naturwissenschaftliche Grundlagen

von Koffein aufweist, so dass im Vergleich zu anderen Personen mehr Koffein unverändert ausgeschieden wird. Es ist dabei grundsätzlich bekannt, dass die Absorption von Koffein stark von Alter, genetischer Disposition, körperlicher Aktivität sowie dem Status als Raucher oder Nichtraucher abhängig ist und offenbar auch von solchen Medikamenten beeinflusst wird, die in den Metabolisierungsweg von Koffein eingreifen, wie es bei Kontrazeptiva (Verhütungsmitteln) der Fall sein kann. 165 In einem Versuch wurde 9 Probanden ca. 300mg Koffein verabreicht (dies entspricht 2 Tassen normalstarken Kaffees zu je 150 ml). 1 6 6 Die Urinproben wurden vor und nach der Koffeinaufnahme analysiert und der Koffeingehalt bestimmt. Nach ca. 3 Stunden wurde in den Urinproben eine je nach Proband unterschiedliche maximale Konzentration von 4-7 μg/ml erreicht, die dann in der Folgezeit allmählich abnahm (nach 11 Stunden wiesen die Probanden Probenwerte von ca. 1-5 μg/ml auf). Alle diese Personen hätten demnach 2 Tassen Kaffee vor dem Wettkampf trinken können, ohne eine positive Dopingprobe zu produzieren. Der gleiche Versuch wurde allerdings auch mit einer leichtgewichtigen Athletin durchgeführt. 167 Nach dem Genuss von 2 Tassen Kaffee erreichten ihre Koffeinwerte im Urin ebenfalls nach ca. 3 Stunden ein Maximum, welches mit ca. 15-17 μg/ml allerdings deutlich über dem Koffeingrenzwert von 12 μg/ml lag. Diese Athletin wäre somit nach einer „Kafferunde" mit den anderen Probanden als einzige positiv getestet worden, obwohl alle Teilnehmer die gleiche Menge Kaffee zu sich genommen hatten. U m Athleten eine ausreichende Information zum Genuss koffeinhaltiger Getränke zu geben, damit sie nicht mit den Kontrollen in Konflikt geraten, wurde die Empfehlung neu gefasst: „Damit bei einer Dopingkontrolle der Grenzwert von 12 μg Koffein / ml Urin nicht überschritten wird, wird folgende Empfehlung gegeben: 1. An einem Wettkampftag sollten „Normalpersonen" (75 kg) nicht mehr als 2 Tassen (à 150 ml) „normalen" Kaffee trinken. Personen mit geringerem Gewicht entsprechend weniger. Für Tee und andere koffeinhaltige Getränke gilt je nach dem jeweiligen Koffeingehalt Entsprechendes.

165

A. J. George , in: J. M. Holly / P. E. Mullis , Clinical Endocrinology & Metabolism Vol. 14, Doping in Sport, 2000, S. 84. 166

W. Schänzer, in: K. Vieweg , Doping - Realität und Recht, 1998, S. 63 ff.

167

W. Schänzer, in: Κ. Vieweg , Doping - Realität und Recht, 1998, S. 63.

II. Dopingsubstanzen

75

2. Vom Beginn des Wettkampfes bis zur Urinabgabe bei der Dopingkontrolle sollte auf Kaffee und Tee ganz verzichtet werden." 168

Es erscheint ferner möglich, dass durch bestimmte Medikamente (Fluvoxamin) der körpereigene Koffeinmetabolismus unabsichtlich beeinflusst werden kann, so dass auch bei „normalen" Dosen von Koffein abnormal hohe Koffeinwerte im Urin gefunden werden. 169 Ein Hinweis auf derartige Hemmungen des Koffeinmetabolismus kann aber anhand eines bestimmten Verhältnisses der Koffeinmetaboliten (Paraxanthin/Koffein