Grenzen des Paternalismus im Strafrecht [1 ed.] 9783428539314, 9783428139316

Maria Rigopoulou wirft die grundsätzliche Frage auf, ob und inwieweit der Staat den Einzelnen vor sich selbst mit den Mi

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Grenzen des Paternalismus im Strafrecht [1 ed.]
 9783428539314, 9783428139316

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 239

Grenzen des Paternalismus im Strafrecht Von

Maria Rigopoulou

Duncker & Humblot · Berlin

MARIA RIGOPOULOU

Grenzen des Paternalismus im Strafrecht

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 239

Grenzen des Paternalismus im Strafrecht

Von

Maria Rigopoulou

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Bernd Schünemann, München Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13931-6 (Print) ISBN 978-3-428-53931-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83931-5 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„… weil der Mensch immer und überall, wer er auch sei, stets so zu handeln vorzieht, wie er will, und durchaus nicht so, wie ihm Vernunft und Vorteil diktieren; wollen aber kann man auch gegen den eigenen Vorteil, zuweilen ist es unbedingt notwendig. Sein eigenes uneingeschränktes und freies Wollen, seine eigene, selbst die allerausgefallenste Laune, seine Phantasie, die zuweilen bis zur Verrücktheit verschroben sein mag – das, gerade das ist ja jener übersehene allervorteilhafteste Vorteil, der sich nicht klassifizieren lässt und durch den alle Systeme und Theorien fortwährend zum Teufel gehen. Und wie kommen diese Besserwisser darauf, dass der Mensch auf irgendein normales, irgendein tugendhaftes Wollen angewiesen ist? Der Mensch ist einzig und allein auf das selbständige Wollen angewiesen, was diese Selbständigkeit auch kosten und wohin sie auch führen mag. Nun, das Wollen, weiß der Teufel …“ Fjodor Dostojewskij, Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

Meinen Eltern und Leonidas

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2011 als Dissertation zur Erlangung eines Doktortitels an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Ende September 2011 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Doktorvater Professor Dr. Dr. h.c. mult. Bernd Schünemann, der diese Arbeit betreut und in jeglicher Hinsicht über die Jahre gefördert hat. Er stand mir immer mit seinem Rat zur Verfügung und gab entscheidende Hinweise. Professor Dr. Ulrich Schroth danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Professor Dr. Lothar Philipps bin ich für die Durchführung meiner mündlichen Prüfung und für sehr wertvolle Gespräche sowohl in wissenschaftlicher als auch in menschlicher Hinsicht dankbar. Während meines Aufenthaltes im Institut für die gesamten Strafrechtswissenschaften, Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik war die Unterstützung der wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Luis Greco und Dr. Peter Kasiske besonders hilfreich. Meinem akademischen Lehrer an der Juristischen Fakultät der Nationalen Kapodistrias Universität Athen, Herrn Professor Dr. Ioannis Giannidis, schulde ich mein besonderes Interesse an der Dogmatik des Strafrechts und der Rechtstheorie. Ihm möchte ich auch an dieser Stelle für die Unterstützung während der Ausfertigung der vorliegenden Arbeit herzlich danken. Herrn Professor Dr. Aristotelis Charalambakis danke ich für das stetige Interesse für mein Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Für wertvolle Hinweise bei der Endphase der Arbeit danke ich auch Herrn Professor Dr. Konstantinos Vathiotis. Weiterhin möchte ich der Onassis Stiftung für die großzügige finanzielle Förderung der vorliegenden Dissertation danken. Professor Dr. Dr. h.c. F.-C. Schroeder bin ich besonders dankbar für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen“ des Verlags. In (nicht nur) fachlicher Hinsicht haben mich die Gespräche mit meinen Freunden Privatdozent Dr. Vasileios Petropoulos und Dr. Ioannis Morozinis sehr bereichert. Ihre wertvolle Beratung und Hilfe in entscheidenden Zeitpunkten dieses Verfahrens war von großer Bedeutung. Frau Dr. Athina Xinopoulou schulde ich nicht nur die Erweiterung meiner Perspektive aus zivilrechtlicher Sicht, sondern danke ihr auch für ihr offenes Ohr für alle meine Gedanken und Probleme.

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Vorwort

Ich möchte auch Frau Assessorin Anna Richter für die zügig bewältigte Lektüre der Arbeit und die wertvollen Korrekturhinweise danken. Für die verbleibenden sprachlichen Ungereimtheiten bin ich natürlich selbst verantwortlich. Mein aufrichtiger Dank gilt vor allem meinen Eltern, Evangelia und Georgios, die mich während meines ganzen Studiums vielfältig unterstützt und schon früh die Grundlagen der wissenschaftlichen Forschung gelehrt haben. Ohne ihre ständige und wertvolle Ermutigung wäre die vorliegende Arbeit nicht zustande gekommen. Ihnen und meinem Bruder ist diese Arbeit in ewiger Dankbarkeit gewidmet. Athen, im August 2012

Maria Rigopoulou

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Prolegomena zum thematischen Feld der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 C. Grundgedanke der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 D. Begriffliche Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Teil Rechtsphilosophische Grundlagen

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A. Die Relevanz einer philosophischen Grundlegung des Antipaternalismus . . . . . . . . . . 27 I. Die Inadäquatheit der konsequentialistischen Begründung der Paternalismuskritik 28 II. Weicher Paternalismus als die liberale Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Feinbergs Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß? . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Weicher Paternalismus im Lichte beschränkter Rationalität (Bounded Rationality) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Leitlinien zur Zulässigkeit eines begrenzten staatlichen (nicht-strafrechtlichen) Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Teil Verfassungsrechtliche Grundlagen

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A. Die Paternalismuskritik als Produkt des politischen Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Die grundrechtsdogmatische Verortung der Selbstverfügungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 50 I. Die Relevanz der einzelnen Grundrechte für den grundrechtlichen Schutz selbstverfügender Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

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Inhaltsverzeichnis II. Der Schutz des selbstverfügenden Verhaltens durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 III. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Grundrecht zur Abwehr von Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

C. Schranken der Verfügungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Der Schutz des mündigen Menschen vor sich selbst als legitimer Gesetzeszweck

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1. Verfassungsrechtlich vorgegebene Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Schranken aus dem Schutz der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 c) Das Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Grenzen der Zwecksetzungskompetenz des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 67 II. Schranken der Verfügungsfreiheit bei defizitären Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 73 1. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Geisteskranken- und Jugendschutzes vor selbstgefährdenden Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Vorgaben für die normative Relevanz defizitärer Entscheidungen grundsätzlich kompetenter Personen unter dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Verfassungsrechtliche Grenzen weich paternalistischer Eingriffe . . . . . . . . . . . 82 III. Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung und der Rechte anderer . . . . . . . . . . 84 1. Beeinträchtigung von Rechten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Bestand der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Der Schutz der Allgemeinheit vor Folgekosten von selbstschädigenden Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 IV. Die Schranke des Sittengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 V. Der Schutz des Menschen vor sich selbst in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Entscheidungen über den allgemeinen Rechtspaternalismus . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Entscheidungen über den strafrechtlichen Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Inhaltsverzeichnis

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3. Teil Direkter strafrechtlicher Paternalismus

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A. Strafrechtsspezifische Einwände gegen den direkten Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Strafrechtsfundamentaler Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Strafrechtsutilitaristischer Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Präventionsstrafrechtlicher Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 IV. Strafrechtsethischer Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 B. Besonderer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Die Strafbarkeit des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BtMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Schutz inkompetenter Betäubungsmittelkonsumenten (weicher Paternalismus) 134 a) Betäubungsmittelabhängigkeit als Grund der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Jugendschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Konsequenzen für das abstrakte Gefährdungsdelikt des Verbots des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln: weicher Paternalismus als Erweiterungsprinzip der Kriminalisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Schutz der Rechte und Interessen Dritter und der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . 145 a) Schutz der Volksgesundheit als kollektives Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Schutz konkreter Interessen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Staatliche Drogenverkehrshoheit als Zwischenrechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Strafbarer Organhandel gem. § 18 Abs. 1 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Schutz der Menschenwürde des Spenders (harter Paternalismus) . . . . . . . . . . 160 2. Gesundheitsschutz des Spenders vor sich selbst (harter Paternalismus) . . . . . . 165 3. Schutz vor Ausbeutung von existentiellen Notlagen (weicher Paternalismus) 167 a) Schutz von potentiellen Organempfängern vor Ausnutzung einer gesundheitlichen Notlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Schutz von potentiellen Organspendern vor Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Schutz vor Selbstkorrumpierung (weicher Paternalismus) . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5. Schutz des Pietätsgefühls der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

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Inhaltsverzeichnis 6. Bekämpfung des Organhandels in Schwellen- und Entwicklungsländern . . . . 182 7. Schutz der Integrität der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 III. Paternalistische Verbote im Recht der Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 188 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4. Teil Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

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A. Die freiverantwortliche, die Rechte anderer nicht beeinträchtigende, selbstverfügende Opferentscheidung als normativer Ausgangspunkt für die Beurteilung des Verhaltens des Außenstehenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Die Fälle der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung . . . . 195 1. Kritik zum Teilnahmeargument der h.M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Das Prinzip der Selbstverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Dogmatische Einordnung innerhalb der Lehre der objektiven Zurechnung: das Veranlassen bzw. Ermöglichen eigenverantwortlicher Selbstschädigungen als ein rechtlich erlaubtes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Die Ausgliederung des rechtlich unerlaubten Risikos in die Prüfung des tatbestandsmäßigen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Fehlen einer rechtlich missbilligten Gefahrschaffung kraft Eigenverantwortlichkeit des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 II. Die Fälle der einverständlichen Fremdschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Normative Kriterien zur Abgrenzung zwischen strafloser Mitwirkung an eigenverantwortlicher Selbstschädigung und Fremdtötungstäterschaft in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Das Kriterium der Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Abgrenzung nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . 219 c) Das Kriterium des tatbestandsmäßigen Verhaltens nach Murmann . . . . . . . 225 III. Die Fälle der eigenverantwortlichen Selbst- und der einverständlichen Fremdgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Die Abgrenzung zwischen Schädigungs- und Gefährdungssituation . . . . . . . . 228

Inhaltsverzeichnis

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2. Die dogmatische Differenzierung zwischen der Beteiligung an einer Selbstgefährdung und der einverständlichen Fremdgefährdung anhand des Kriteriums der Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Dogmatische Behandlung der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Der Erst-Recht-Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) Die Lehre vom Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 c) Dogmatische Grenzen des viktimodogmatischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . 239 d) Eigenverantwortlichkeit des Opfers als maßgebliches Zurechnungskriterium und ihre Einschränkung im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts . . 242 4. Die Behandlung der Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung . . . . . . . . . 245 a) Die Sorgfaltswidrigkeitslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Die Rechtsfigur der Risikoeinwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) Einwilligung in die Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 bb) Disponibilität des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Die tatbestandliche Zurechnungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 d) Plädoyer zugunsten einer Streichung der dogmatischen Kategorie der einverständlichen Fremdgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 IV. Dogmatische Einordnung der Einwilligung: ein Problem „sinnvoller Begriffsbildung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Tatbestand und Rechtswidrigkeit als Grundkategorien des Deliktstypus . . . . . 262 2. Die Einwilligung als Sonderfall des Ausschlusses der objektiven Zurechnung 267 B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen . . . . . . . . . . 271 I. Normativ relevante Defizite bei der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Täuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3. Drohung und Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 II. Zum Begriff der Verantwortlichkeit in Fällen der Selbstschädigung bzw. -gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 III. Zur normativen Gleichwertigkeit von Selbstverletzung und einverständlicher Fremdverletzung – eine einheitliche Beurteilung der Verantwortlichkeit für defizitäre Entscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

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Inhaltsverzeichnis IV. §§ 216, 228 StGB als abstrakter Schutz vor der Gefahr von Entscheidungsdefiziten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Die abstrakte Gefahr fehlender Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens 295 2. Der Verstoß gegen die guten Sitten als (mögliche) Verfehlung der Autonomie des Einwilligenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

C. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit aus Rechten anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 I. Schutz vor Missbrauchsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 II. Schutz des Lebens anderer durch Aufrechterhaltung des Tötungstabus . . . . . . . . 308 III. Schutz vor einem Dammbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 IV. Schutz des sozialen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 5. Teil Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

316

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abs. AIFO AMG Anm. AöR ARSP Art. AT BayObLG Bd. BGH BGHSt BT BT-Drucks. BtMG BVerfG BVerwG BVerwGE bzw. CanJPhil DAR ders. dies. d. h. DJ DVBl Ed/Edit. f./ff. Fn. FS GA GG gem. GS h.M. HRRS Hrsg. i. e.S. i.S.v.

anderer Auffassung am angegebenen Ort Absatz AIDS-Forschung Arzneimittelgesetz Anmerkung Archiv für öffentliches Recht Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel im engeren Sinne Allgemeiner Teil Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Canadian Journal of Philosophy Deutsches Autorecht derselbe dieselbe das heißt Deutsche Justiz Deutsches Verwaltungsblatt Editor folgende/fortfolgende Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundgesetz gemäß Gedächtnisschrift herrschende Meinung Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht Herausgeber im engeren Sinne im Sinne von

18 i.V.m. JA JGG JR JRuE Jura JuS JZ KJ KritV LK MDR MedR MK m.w.N. NJW NK Nr. NStZ OLG OWiG RGSt Rn. S. SK sog. SSW StGB StPO StV Tb. TPG u. a. umstr. usw. vgl. Vol. Vor/Vorbem. z. B. ZIS ZJS ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau Jahrbuch für Recht und Ethik Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Justiz Kritische Vierteljahreszeitschrift für die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Monatsschrift für deutsches Recht Medizinrecht Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Seite Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch sogenannte(r) Satzger/Schmitt/Widmaier Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Teilband Transplantationsgesetz und andere umstritten und so weiter vergleiche Volume Vorbemerkung zum Beispiel Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für das juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung A. Problemstellung Die Frage nach den Grenzen, innerhalb derer der Staat im Interesse des Einzelnen in dessen Freiheitsrechte eingreifen darf, berührt einen Brennpunkt eines auf liberale Prämissen aufbauenden Rechtssystems. Denn eine liberale Rechtsordnung verfolgt als primäres Ziel die Sicherung freier Persönlichkeitsentfaltung ihrer Mitglieder, indem sie die Grundvoraussetzungen für alle gewährleistet, ihren persönlichen Lebensplan frei zu gestalten und zu verwirklichen. Dem Einzelnen wird eine unantastbare, dem staatlichen Zugriff entzogene Sphäre zugewiesen, innerhalb derer er frei ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und sogar seine eigenen Fehler zu begehen, welche als wertvolle Basis für seine zukünftige Entwicklung fungieren können. Der Schutz der Interessen des Individuums gegen seinen Willen statuiert eine externe Definitionsmacht des Staates, bestimmte Werte und deren Rang als verbindlich für jedermann festzulegen und abweichende, individuelle Zielsetzungen für unbeachtlich zu erklären.1 Diese Art öffentlicher Kontrolle wird als staatlicher Paternalismus bezeichnet und gilt in der Tradition liberaler Ethiken als moralisch verwerflich.2 Eine authentische und autonome Zielsetzung des Individuums kann durch das Aufzwingen einer heteronomen Vernünftigkeit nicht verwirklicht werden. Eine Fremdbestimmung des Wohls des Einzelnen, so wohlmeinend sie auch sein mag, kollidiert mit seiner Autonomie als unerlässliche Bedingung für die Entwicklung menschlicher Individualität.3 Bei einem Menschenbild, das von der Selbstbestimmung geprägt ist, gerät also die Durchsetzung des wohlverstandenen Interesses des Individuums gegen seine eigenen Präferenzen in Konflikt mit dem Autonomieprinzip und ist daher begründungsbedürftig. Die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit der Staat den Einzelnen vor sich selbst schützen darf, ist im Bereich des Strafrechts von besonderer Bedeutung. Zum einen soll der Interessenschutz hier gerade durch die Androhung des schärfsten Mittels staatlichen Zwangs realisiert werden. Zum anderen zielt das Strafrecht auf die wechselseitige Kompatibilität von Freiheitssphären der einzelnen Bürger und nicht auf den Schutz von Individualrechtsgütern vor eigenverantwortlichen Handlungen ihres Inhabers ab. Unter Zugrundelegung der Funktion des Strafrechts als ultima ratio 1

Merkel, Früheuthanasie, S. 409. Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 219 f. 3 Zur Hervorhebung des Werts der Autonomie für die Entwicklung der Individualität vgl. von Humboldt, Ideen, S. 105; Mill, Über die Freiheit, S. 77 ff. 2

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Einleitung

zum Rechtsgüterschutz ist deshalb zu untersuchen, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine paternalistische Strafrechtsnorm überhaupt als legitim anzusehen ist.

B. Prolegomena zum thematischen Feld der Untersuchung Das Paternalismusproblem ist ein Knoten von rechtsphilosophischen, staatstheoretischen und verfassungsrechtlichen Fragen erheblicher Tragweite, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur behandelt werden können, soweit sie für materielle Fragestellungen aus strafrechtlicher Sicht von Bedeutung sind. Eine Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes ist deswegen in dreifacher Hinsicht erforderlich. Die erste Eingrenzung geht dahin, dass die in der Moral- und Rechtsphilosophie entwickelten Legitimationsstrategien zur Rechtfertigung der staatlichen paternalistischen Interventionen immer hinsichtlich ihrer konkreten Leistungsfähigkeit bei der Diskussion der normativen Begründungsansätze paternalistischer Strafnormen berücksichtigt werden können. Zweitens kann eine umfassende verfassungsrechtliche Analyse in dem hier abgesteckten Rahmen ebenso wenig geleistet werden, zumal die einschlägige Problematik in der verfassungsrechtlichen Literatur schon eingehend behandelt worden ist.4 Es erscheint trotzdem problematisch, die Zulässigkeit von Paternalismus in einem Rechtsgebiet unabhängig von der verfassungsrechtlichen Ausgangslage zu prüfen.5 Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit müssen deshalb vorrangig konkretisiert werden, um die Konsequenzen für die strafrechtliche Bewältigung der Problematik aufzuzeigen.6 Drittens erscheint eine thematische Beschränkung der Untersuchung auf bestimmte Deliktsgruppen sinnvoll und geboten. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einer 4 Vgl. aus verfassungsrechtlicher Perspektive Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst; Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht; Schwabe, JZ 1998, S. 66 f. Als erster beschäftigte sich von Münch, FS-Ipsen, S. 113 ff. mit der verfassungsrechtlichen Problematik eines Schutzes des Menschen vor sich selbst. 5 Für die Bedeutung der Primärordnung gegenüber spezifisch strafrechtsdogmatischen Erwägungen im Rahmen des Paternalismusproblems vgl. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 24; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 308 ff.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters, S. 5. 6 Für Gutmann, in: Schroth/Schneewind/Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 256, erweist sich die Frage nach Inhalt und Grenzen der Legitimität eines Schutzes des Einzelnen gegen sich selbst als eine grundrechtstheoretische Vorentscheidung der Verfassungsinterpretation. Sie sei, mit den üblichen Mitteln des Grundrechts- und „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“ nicht angemessen zu erfassen. Die antipaternalistische Vorentscheidung sei notwendigerweise Teil einer liberalen Interpretation der Verfassung. In diesem Sinne auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 15 und Murmann, Selbstverantwortung, S. 156 f. Dagegen Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 105.

C. Grundgedanke der Untersuchung

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Reihe von Straftatbeständen, von denen die meisten schon Gegenstand heftiger dogmatischer Auseinandersetzungen waren, wobei aber erst eine auf die spezifischen Probleme des Paternalismus abstellende Analyse einen konsequenten Lösungsansatz ermöglicht. Bei näherer Betrachtung stößt man nämlich auf einer Reihe von Strafnormen, deren Besonderheit darin besteht, dass das tatbestandsmäßige Verhalten entweder unmittelbar lediglich auf die Rechtsgüter des Handelnden einwirkt oder von der Einwilligung des Betroffenen getragen wird. Diese Normen werfen spezifische Legitimationsfragen auf und erscheinen als Fremdkörper innerhalb eines liberalen Strafrechtssystems. Um innerhalb dieses weit gespannten Rahmens nicht ins Uferlose abzugleiten, beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf die besonders heftig diskutierten Fälle im Hinblick auf die Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit. Insbesondere ist die Legitimität des strafbewehrten Verbots des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BtMG sowie des Organhandels gem. § 18 Abs.1 TPG kritisch zu hinterfragen. Das Paternalismusproblem wird auch im Bereich der Ordnungswidrigkeiten bei der bußgeldbewehrten Pflicht, einen Schutzhelm zu tragen oder einen Sicherheitsgurt anzulegen, angesprochen. Heftig umstritten sind außerdem die in § 216 und § 228 StGB verankerten Einwilligungsgrenzen. § 216 StGB ordnet für das Individualrechtsgut Leben an, dass selbst die zu einem ernstlichen und ausdrücklichen Verlangen gesteigerte Einwilligung die gewünschte Tötung durch einen anderen nicht straflos macht, sondern nur zu einer Strafmilderung führt. Erhebliche Anwendungsprobleme bereitet auch § 228 StGB, wonach die Einwilligung in Körperverletzungen unbeachtlich ist, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Die Einwilligungssperre des § 228 StGB ist nicht nur ähnlichen Einwänden gegen ihre Existenzberechtigung ausgesetzt, wie sie auch gegen § 216 StGB vorgebracht werden. Durch den direkten Zugriff auf die „guten Sitten“ wird darüber hinaus die Strafbarkeit des Eingreifenden an die Auslegung eines höchst unbestimmten Begriffes geknüpft. Sofern Leben und körperliche Unversehrtheit individuelle Rechtsgüter sind, die der freien Entfaltung ihrer Träger dienen sollen, bedarf es einer Antwort auf die Frage, weshalb die Verbote auch bei einer Einwilligung des Betroffenen in Kraft bleiben, während dem Rechtsgutsinhaber die Beeinträchtigung seiner eigenen Rechtsgüter durch eigene Hand gestattet ist.

C. Grundgedanke der Untersuchung Die bisherigen Versuche, die Legitimität solcher Vorschriften zu prüfen, sind weitgehend durch das Bemühen geprägt, den Anwendungsbereich strafrechtlicher Normen über das Instrumentarium der Rechtsgutstheorie zu bestimmen. Mit der vorliegenden Untersuchung soll die angerissene Problematik mit einer doppelten

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Einleitung

Zielsetzung aufgegriffen werden. Zum einen soll aufgezeigt werden, dass die Rechtsgutstheorie die Aufgabe, die legitimen Grenzen des strafrechtlichen Paternalismus abzustecken, aufgrund ihres konsequentialistischen Charakters tatsächlich nicht zu erfüllen vermag. In der herkömmlichen Diskussion werden die einschlägigen Straftatbestände überwiegend mit den Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit gerechtfertigt und vor diesem Hintergrund als unproblematisch angesehen.7 Für Eingriffe in die individuelle Freiheit kann meistens ein Bündel an Gründen genannt werden, bei dem der Paternalismus nie als alleiniger oder vorrangiger Legitimationstopos von Strafnormen angeführt wird – offensichtlich weil der Konflikt mit der grundrechtlich geschützten Autonomie der Person bei dieser Begründung augenfällig würde.8 Dies ist meistens eine Taktik der Verschleierung der wahren Motive des Gesetzgebers und verstellt den Blick auf das Problem des Paternalismus. Unecht paternalistische Eingriffsgründe sind problematisch, weil sie durch eine extensive Anwendung zur Aushöhlung des Selbstbestimmungsrechts führen können. Mit utilitaristischen, auf die gesellschaftlichen Folgen abstellenden Argumenten kann leicht die personale Autonomie überspielt werden.9 Dabei wird sich zeigen, dass eine konsequentialistische Begründung der Individualität staatlichen Paternalismus nicht generell widerlegen kann.10 Zum anderen soll die Legitimität dieser Normen auf der Grundlage eines näher zu bearbeitenden Modells des autonomieorientierten strafrechtlichen Paternalismus geprüft werden, der nach der hier vertretenen Meinung als Erweiterungsprinzip der Kriminalisierung anzusehen ist.11 Es liegt auf der Hand, dass manche Individuen voreilige Lebensentscheidungen mit irreversiblen oder schwerwiegenden Folgen treffen. Das Konzept des autonomieorientierten Paternalismus erlaubt Freiheitsbeeinträchtigungen nur, um den Einzelnen vor den Folgen defizitärer Entscheidungen zu schützen. Dabei handelt es sich um den einstimmig im liberalen Denken zulässigen, weichen Paternalismus. Die entscheidende Frage, die es zu klären gilt, ist, inwieweit weich paternalistische Eingriffe in die Selbstbestimmung des Einzelnen über strafrechtliche Regelungen legitimiert werden können. Die Ausdehnung der Definition der Entscheidungskompetenz kann nämlich weitreichende bevormundende staatliche Eingriffe legitimieren, die man aus einer anderen Perspektive bereits als hart paternalistisch bezeichnen würde. Es wäre unzulässig, unter dem Deck7

Feinberg, Harm to Self, S. 16; Birnbacher, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 26; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 16. 8 Schünemann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 230. 9 Greco, in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechts?, S. 78 ff., weist zu Recht auf dieses Manko eines „sekundären“ oder „residualen“ Begriffs der Privatsphäre hin; auch Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 23. 10 Zur Bedeutung der moraltheoretischen Grundposition für die Paternalismusdiskussion vgl. unter Teil 1. A. I. 11 Hefendehl , GA 2007, S. 6 ff., spricht über „Extending Principles“ bei der Strafbegründung, die die Legitimität einer Reihe von Strafnormen dort zu tragen vermögen, wo das Rechtsgüterschutzprinzip allein zu keinen eindeutigen Ergebnissen gelangt.

D. Begriffliche Vorfragen

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mantel der Sicherung der Rahmenbedingungen persönlicher Autonomie die Maßgeblichkeit des Präferenzsystems des Einzelnen in Frage zu stellen. Die kritische Aufgabe des Paternalismusskeptikers liegt also darin, die Voraussetzungen für eine materielle Selbstbestimmung zu sichern, ohne aber die Autonomie des Einzelnen aufzuheben. Das Hauptaugenmerk der Ausführungen wird dabei darauf liegen, Bedeutung und Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit abzustecken und diese Erkenntnisse zu einem autonomieorientierten Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit strafrechtlicher paternalistischer Eingriffe zu verarbeiten. Die Konkretisierung des Prinzips des autonomieorientierten strafrechtlichen Paternalismus wird schließlich mit Hilfe einer differenzierten Gruppierung der einschlägigen Strafnormen im Besonderen Teil der Untersuchung bei der detaillierten Prüfung ihrer Legitimation in Angriff genommen.

D. Begriffliche Vorfragen Debatten über Paternalismus kranken vielfach daran, dass sie von einer unzureichend geklärten begrifflichen Basis ausgehen und letztlich die deskriptive Ebene mit der Wertungsebene vermischen. Der Begriff „Paternalismus“ ist meistens pejorativ konnotiert12. Er erinnert an Strukturen patriarchalischer Herrschaft, in denen der Staat die Untertanen wie unmündige Kinder behandelt.13 Mit der Verabschiedung des Patrimonialismus, bei gleichzeitiger Prolongierung der ihn kennzeichnenden heteronomen Bestimmung des Wohls des Einzelnen, tritt für die liberale Perspektive ein neues schwarze Schaf in Erscheinung – der Paternalismus.14 Paternalistische Interventionen sind umstritten, da ihre Ziele zwar wohlwollend sind, die verwendeten Mittel aber Zwang auf die betroffene Person ausüben. Damit ist aber keineswegs ausgemacht, dass paternalistische Interventionen schlechthin negativ zu bewerten sind. Vielmehr soll sich erst zeigen, ob Verbote damit gerechtfertigt werden

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Feinberg, Harm to Self, S. 4: „Paternalism is a label that might have been invented by paternalism’s enemies“.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 358; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 7; Burrows, Oxford Economic Papers 45 (1993), 542; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 22; Seher, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 51; VanDeVeer, Paternalistic Intervention, S. 16 f.; Vgl. auch Kleinig, Paternalism, S. 4: „It is not on a moral par with ”murder”, where condemnation is built into the concept, such that its removal would divest the term of its point. It is more like ”killing”, where, although no moral judgment is embodied, there is accorded sufficient importance to the life/ death distinction to warrant our marking the circumstance of being moved from one condition to other“. 13 Vgl. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145, der eine väterliche Regierung (imperium paternale) als den „größten denkbaren Despotismus“ qualifiziert. Auch Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, S. 343, spricht von einer Vormundschaftsgewalt, die Menschen unwiderruflich in der Kindheit festzuhalten sucht. 14 Kleinig, Paternalism, S. 3.

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Einleitung

können, dass sie dem Wohl der Person dienen, die daran gehindert werden soll, sich selbst Schaden zuzufügen. Trotz dieser Bedenken wird die hiesige Untersuchung an dem in der philosophischen Diskussion schon längst eingebürgerten Begriff festhalten und euphemistische Umschreibungen wie „Interventionismus“ oder „Wohlfahrtsprinzip“ vermeiden.15 Die zugrundegelegte Paternalismusdefinition ist an der hier interessierenden Legitimationsproblematik von Rechtsnormen ausgerichtet, so dass bestimmte Merkmale, die für die rechtsphilosophische Diskussion von Bedeutung sind, bewusst ausgelassen werden. Paternalistische Rechtsnormen schränken die Handlungsfreiheit einer Person zugunsten von dessen Wohl ein, und zwar dadurch, dass sie das Verhalten des anderen in einer Weise bestimmen, die nicht seinem aktuellen Willen entspricht.16 Unerlässliche Komponente des Rechtspaternalismus sind somit einerseits sein Zwangscharakter17 und andererseits die Förderung des Wohls des Betroffenen. Das Erfordernis eines Eingriffs in die Handlungsfreiheit schließt zunächst Interventionen aus, die sich unterhalb der rechtlich relevanten Eingriffsschwelle bewegen.18 Manche Verhaltensweisen können etwa durch Inaussichtstellen von Subventionen, Steuererleichterungen oder mit einer flächendeckenden Informationspolitik (z. B. Anti-Drogen Kampagnen) gefördert werden, so dass die Befolgung der vorgeschlagenen Handlungsweise der autonomen Entscheidung der Adressaten überlassen ist (zumindest solange diese subtilen Beeinflussungsmittel nicht die Intensität einer vis compulsiva erreichen).19 Beim strafrechtlichen Paternalismus handelt es sich um eine Intervention mit dem größtmöglichen Zwangscharakter: den der strafrechtlichen Sanktion. Dass die paternalistischen Interventionen im Bereich des Strafrechts einer besonderen Legitimation bedürfen, sollte demnach auf der Hand liegen.20

15

Garzón Valdés, Rechtstheorie 18 (1987), S. 273. Vgl. zur Definition von Paternalismus Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 359; Dworkin, in: Sartorius (Hrsg.), Paternalism, S. 20; ders., The Theory and Practice of Autonomy, S. 121; ders., The Monist 56 (1972), S. 65; Feinberg, Harm to Self, S. 4; ders., Canadian Journal of Philosophy 1971, S. 105; Garzón Valdés, Rechtstheorie 18 (1987), S. 273; VanDeVeer, Paternalistic Intervention, S. 22; ders., Social Theory and Practice 6 (1980), S. 188; von der Pfordten, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 94. 17 Darauf wird häufig in der rechtsphilosophischen Diskussion verzichtet vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 10; Gert/Culver, Ethics 1979, 201 f.; Hobson, Journal of Applied Philosophy 1984, Vol. 1, No. 2, S. 294; Kleinig, Paternalism, S. 5 f.; von der Pfordten, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 94; Wolf, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 59. 18 Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 22. 19 Vgl. Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 221 f.; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, S. 263. 20 Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 21 f.; Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 157. 16

D. Begriffliche Vorfragen

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Impliziert ist aber noch eine weitere einschränkende Bedingung: Maßnahmen, die zwar den Einzelnen davor bewahren sollen, sich selbst Schaden zuzufügen, dafür aber nicht in seine, sondern in die Rechte Dritter eingreifen, werden von der hier vorgeschlagenen Definition nicht erfasst.21 Um ein Beispiel zu nennen: Das Verbot der Werbung für Zigaretten greift lediglich in die Grundrechte der Tabakindustrie und der Medien ein. Solange die Maßnahme gerade nicht dem Wohl der Hersteller dienen soll, sondern demjenigen der Raucher, handelt es sich um einen drittschützenden Eingriff. Hiervon zu unterscheiden sind Verbotsnormen, die sich nicht gegen den Verfügenden, sondern gegen einen Dritten richten, der mit Einwilligung des Rechtsgutsträgers dessen selbstschädigende Entscheidung ausführt. Es handelt sich um die Fälle des sog. indirekten Paternalismus, der über Einwilligungsschranken ausgeübt wird und daher in die Selbstverfügungsfreiheit des Rechtsgutsinhabers eingreift.22 Problematisch ist also nicht nur die direkte Zwangsanwendung gegen den potentiellen Selbstschädiger, sondern auch gegen einen Dritten. Die zweite notwendige Bedingung betrifft die Ziele der paternalistischen Intervention: Diese muss auf das langfristige Wohl des Betroffenen gerichtet sein, gleichgültig ob sie sich tatsächlich wohltuend auf ihn auswirkt.23 In unserem Zusammenhang beschränken sich paternalistische Verbote auf die Abwendung eines drohenden Schadens (negativer Paternalismus) und erstrecken sich nicht auch auf eine positive Förderung des Wohls (positiver Paternalismus).24 Der Paternalismus kann entweder physisch oder moralisch sein, je nach der Art des Schadens, der abzuwenden ist. Dabei ist zu beachten, dass das Wohl des Individuums ausschließlich subjektiv bestimmt sein darf, anderenfalls würde sich die paternalistische Intervention als bloßer Rechtsmoralismus entpuppen, der die Durchsetzung herrschender Lebensideale als solche bezweckt, um die moralische Desintegration der Gesellschaft zu vermeiden.25 Hiervon ist der moralische Paternalismus zu unterscheiden, der solche Interventionsgründe erfasst, deren Zweck in der Erzwingung eines Ideals liegt, das der Einzelne selbst anerkennt und Abweichungen davon als moralisch 21

Fateh-Moghadam, a.a.O., S. 22. Vgl. Feinberg, Harm to Self, S. 9; Kleinig, Paternalism, S. 11; Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 221; irreführend Dworkin, in: Sartorius (Ed.), Paternalism, 22; ders., The Monist 65 (1972), S. 68, der den Begriff „impure paternalism“ verwendet. Von dem Schädigungsprinzip ausgehend, vertritt Hart, Law, Liberty and Morality, S. 30 ff. die Meinung, dass ein Dritter strafgesetzlich gezwungen werden darf, jemanden mit dessen Einwilligung nicht zu schaden. In seinem Bestreben, Devlins Kritik abzufangen, vernachlässigt er es, die Grenzen des Prinzips richtig abzustecken. 23 Auf die Motive des Eingreifenden abstellend Husak, in: The Oxford Handbook of Practical Ethics, S. 389; Sunstein/Thaler, Chicago Law Review 2003, S. 1162. 24 Den sog. positiven Paternalismus lehnt im Bereich des Strafrechts auch Bayles, in: Pennock/Chapman (Edit.), The Limits of Law, S. 176 ab; vgl. für den erhöhten Legitimationsdruck des positiven Paternalismus Childress, Who should decide? Paternalism in Health Care, S. 18; Feinberg, Harm to Self, S. 8: „extreme paternalism“; Kleinig, Paternalism, S. 13; Wikler, in: Sartorius (Ed.), Paternalism, S. 83 ff. 25 Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 160; Fateh-Moghadam, in: FatehMoghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 25. 22

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Einleitung

schädlich ansieht, zu dessen Befolgung er aber aus welchem Grund auch immer nicht imstande ist.26 Die Sicherung der moralischen Integrität des Einzelnen ist dementsprechend Teil des paternalismusrelevanten Begriffs des Wohls, darf aber nicht als Vorwand für die Erzwingung herrschender Moralvorstellungen dienen. Eine wichtige begriffliche Differenzierung bezieht sich schließlich darauf, ob die paternalistische Rechtsnorm den autonomen Willen des Betroffenen respektiert oder nicht. Die liberale Kritik sowohl der Rechtsphilosophie als auch der Staats- und Strafrechtswissenschaft wendet sich gegen den harten Paternalismus, der nur dann vorliegen soll, wenn auch die freiverantwortliche selbstverfügende Entscheidung des Betroffenen übergangen wird. Es wird ein fremdbestimmtes, objektives Konzept angesetzt, das dem Einzelnen in fürsorglicher Weise vorschreibt, was optimal für ihn ist. Berechtigt erscheint dagegen der sog. weiche Paternalismus, der Eingriffe nur erlaubt, um eine defizitäre Entscheidung zu verhindern oder um festzustellen, ob die Verfügung substantiell autonom erfolgt.27 Direkter und gleichzeitig harter Strafrechtspaternalismus wendet die schärfste Rechtsfolge gegen den Rechtsgutsträger an und ist wegen seines autonomieverletzenden Charakters mit einem liberalen Strafrechtssystem nicht kompatibel.28 Andererseits soll bereits an dieser Stelle auf die fehlende Plausibilität eines direkten, weichen strafrechtlichen Paternalismus hingewiesen werden. Denn es würde keineswegs dem anerkannten Bedürfnis nach dem erhöhten Schutz inkompetenter Personen dienen, sie wegen einer Selbstverletzung zu bestrafen. Die Strafbarkeit eines Dritten (indirekter Paternalismus) hingegen anzunehmen, der mit einer mangelbehafteten Einwilligung des Rechtsgutsträgers in dessen Freiheitssphäre eingreift, erscheint unter gewissen Voraussetzungen als zulässig.29

26 Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 229; Ten, Ratio 13 (1971), S. 64; Tomás-Lanuza, Rechtstheorie 30 (1999), S. 434; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 189. 27 Feinberg, Harm to Self, S. 12; ders., in: Sartorius (Hrsg.), S. 17; Merkel, in: Hegselmann/ Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie, S. 71; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 27; Möller, a.a.O., S. 16; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 225 f.; Schroth, JZ 1997, S. 1153 f.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 2; FatehMoghadam, a.a.O., S. 27; Wohlers/Went, in: v. HirSch/Neumann/Seelman (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 293 f. 28 Schroth, JZ 1997, S. 1154. 29 Vgl. Roxin, AT I4, § 2 Rn. 33.

1. Teil

Rechtsphilosophische Grundlagen A. Die Relevanz einer philosophischen Grundlegung des Antipaternalismus Die Vorstellung, es könne ein legitimes Anliegen des liberalen Rechtsstaates sein, kompetente und freiverantwortlich entscheidende Menschen gegen ihren erklärten Willen vor sich selbst zu schützen, hat in der rechts- und moralphilosophischen Diskussion der vergangenen Jahrzehnte eine heftige Auseinandersetzung hervorgerufen.1 Insbesondere wird in den angelsächsisch geprägten Ländern eine intensive Diskussion zum Thema geführt, die auch für juristische Zwecke von Bedeutung ist.2 Die Einbeziehung philosophischer Ansätze an den jeweiligen Stellen der Untersuchung erweist sich in folgender Hinsicht als unerlässlich.3 Jede Erörterung des Paternalismusproblems muss explizit oder implizit einen moraltheoretischen Ausgangspunkt zugrunde legen.4 Die Frage, ob es rechtlich legitimierbar ist, die Freiheit einer Person einzuschränken, um diese vor sich selbst zu schützen, hängt von der moraltheoretischen Grundposition ab, die man als präjudiziell für die rechtliche Entscheidung ansieht.5 Die Darstellung der paternalistischer Argumente auf rechtsund moralphilosophischer Ebene ist zudem wichtig für systematische Gründe. Die 1 Zur neueren rechts- und moralphilosophischen Paternalismusdiskussion vgl. den Sammelband Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, In memoriam Angela Augustin, 2006; Gutmann, Zur philosophischen Kritik des Rechtspaternalismus, in: Schroth/Schneewind/ Gutmann (Hrsg.), Patientenautonomie am Beispiel der Lebendorganspende, S. 189 ff.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 159 ff. 2 Vgl. Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, Bd. 3, Harm to Self, 1986; Sartorius (Ed.), Paternalism, 1983; VanDeVeer, Paternalistic Intervention, 1986; Kleinig, Paternalism, 1984; Dworkin, The Theory and Practice of Autonomy, 1988. Vgl. auch die rechtsgeschichtliche Analyse von Gutmann, Paternalismus – eine Tradition deutschen Rechtsdenkens?, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 2005, S. 151 ff., wo er auf die Gründe für die Vernachlässigung der Kritik des staatlichen Paternalismus seitens der deutschen Rechtsphilosophie eingeht. 3 Für die Einbeziehung der rechtsphilosophischen Paternalismusdiskussion als Referenzrahmen für die juristische Argumentation vgl. Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 26 ff. 4 Für die Bedeutung der moraltheoretischen Grundposition bei der Paternalismusdiskussion Vgl. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 31 ff.; Sartorius (Ed.), Paternalism, Introduction, xi. 5 Vgl. Neumann, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 393.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

Diskussion um die Zulässigkeit von Paternalismus wird dadurch unübersichtlich, dass die Befürworter der fraglichen Rechtsnormen sich auf andere als paternalistische Rechtfertigungsmöglichkeiten berufen und die Antipaternalisten eine Reihe von uneinheitlichen Einwänden erheben. Gerade hier besteht ein erhebliches Maß an konzeptioneller Unklarheit. Die philosophische Analyse hilft dabei, das Problem zunächst richtig zu stellen, subtile begriffliche Differenzierungen vorzunehmen und verschiedene Legitimationsstrategien von paternalistischen Maßnahmen zu klassifizieren. Daraus kann man Art und Struktur möglicher Gegenargumente erschließen und Widersprüche einer rechtsdogmatischen Konzeption aufdecken. Die Frage nach einer angemessenen philosophischen Grundlage für die Kritik an staatlichem Paternalismus weist auf die in der analytischen Ethik entwickelte Unterscheidung zwischen konsequentialistischen und deontologischen Moralsystemen hin, die für die Analyse und die Gewichtung juristischer Argumentationen außerordentlich hilfreich sein dürfte.6 Überlegungen zu der Leistungsfähigkeit dieses Instrumentariums im Hinblick auf die Frage, ob es eine tragfähige Grundlage für einen widerspruchsfreien Ausschluss des aus liberaler Sicht einstimmig abgelehnten harten Paternalismus zu bieten vermag, erfolgen nur am Rande.7 Daraus ergeben sich jedoch keine normativen Vorgaben für die Annahme von Autonomiedefiziten und damit für die Konkretisierung der Schranken des weichen Paternalismus. Vielmehr soll eine kritische Aufnahme bestehender Bemühungen zur Bestimmung der moralischen Grenzen des weichen Paternalismus aufzeigen, dass auch autonomieorientierte Ansätze zu erheblichen Beschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit führen können (unter A. II.). An dieser Stelle soll bereits auf die Gefahr des Missbrauchs von Autonomiedefiziten durch die Ausweitung des Prinzips des weichen Paternalismus hingewiesen werden, um weitgehende staatliche Eingriffe zu legitimieren. Der zugrundeliegende Autonomiebegriff erweist sich als verschwommenes Einfallstor für staatliche paternalistische Interventionen (unter B.).8

I. Die Inadäquatheit der konsequentialistischen Begründung der Paternalismuskritik Für die hier zu führende Diskussion über die zulässigen Grenzen von Rechtspaternalismus ist es von Bedeutung zu prüfen, ob sich eine auf konsequentialistischen Erwägungen basierende juristische Argumentation als schlüssig erweist und 6 Zum Unterschied zwischen Konsequentialismus und Deontologie vgl. Neumann, ARSP Beiheft 44 (1991), S. 248 ff.; ders. Jahrbuch für Recht und Ethik 1994, S. 81 ff. 7 Für eine ausführliche Auswertung utilitaristischer und deontologischer ethischer Theoriebildung im Hinblick auf ihr antipaternalistisches Potenzial vgl. Gutmann, in: Schroth/ Schneewind/Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 189 ff. 8 Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 30 bezeichnet deswegen den Autonomiebegriff als den „blinden Fleck der Theorie des weichen Paternalismus“; ders., in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 27.

A. Die Relevanz einer philosophischen Grundlegung des Antipaternalismus

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einen absoluten Ausschluss von hart paternalistischen Eingriffen zu begründen vermag. Aus konsequentialistischer Sicht scheinen Einschränkungen der Autonomie immer gerechtfertigt, wenn es dadurch das Wohl des Betroffenen (oder des Kollektivs) zu maximieren gilt.9 Der Versuch, Autonomie folgenabhängig zu interpretieren, erweist sich im Endeffekt als paternalismusanfällig.10 Die Schwächen jeder konsequentialistischen Begründung lassen sich bei der utilitaristischen Paternalismuskritik von John Stuart Mill beobachten. Seine Annahme, dass wir immer besser als jeder andere wissen, welche unsere wahren Interesse sind und mit welchen Mitteln wir diese fördern oder ihnen schaden können, kann nicht als empirische Behauptung Allgemeingültigkeit beanspruchen. Dass der Verzicht auf staatlichen Paternalismus es den Einzelnen ermögliche, verschiedene Lebensexperimente auszuprobieren und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten, kann genauso wenig hart paternalistische Eingriffe generell widerlegen. Von einem konsequent utilitaristischen Ansatz aus sind auch die Kosten solcher Lebensexperimente gegenzurechnen, die für das Individuum sehr hoch sein können. Es ist also reiner Zufall, wenn bei einer utilitaristischer Kalkulation herauskommt, dass die Freiheit des Einzelnen geachtet werden muss.11 Neue Positionen versuchen dieses unannehmbare Ergebnis zu überwinden und den absoluten Status der individuellen Freiheit zu respektieren, indem sie paternalistische Interventionen für gerechtfertigt halten, wenn sie als Zwang zur Maximierung der künftigen Autonomie des Betroffenen fungieren. Im Rahmen eines sog. freiheitsmaximierenden Paternalismus ist eine Freiheitsbeeinträchtigung prima facie geboten, vorausgesetzt dass, die „Freiheitsräume des Entscheidenden in gegenwärtigen und zukünftigen Lebensphasen, in ihrer Gesamtheit betrachtet, durch diese paternalistische Freiheitsbeeinträchtigung maximiert werden.“12 Ausgangspunkt der Erwägungen über Freiheitsmaximierung ist der Sklavenfall Mills, in dem dieser darlegt, warum ein Vertrag, der den Verkauf der eigenen Person in die Sklaverei regle und somit die eigene Freiheit für immer und unwiderruflich aufhebe, als nichtig zu gelten habe. Man hat Mill vorgeworfen, er öffne sich damit gegenüber dem Paternalismus und relativiere insoweit seinen Standpunkt eines strikten Antipaternalis-

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Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 23. Zur näheren Darstellung und Kritik konsequentialistischer Rechtfertigungen vgl. Kleinig, Paternalism, S. 48 ff. 11 Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 201 f.; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 37; Arneson, Ethics 1980, S. 473; kritisch auch Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/ Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 227. 12 Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 52 ff. versucht, den Ansatz des „freiheitsmaximierenden Paternalismus“ zu begründen und auf dieser Grundlage eine Rechtfertigung für paternalistische Rechtsnormen im Bereich des Vertrags- und Arbeitsrechts zu gewinnen. Seine Argumentation stützt sich jedoch auf falsche Prämissen. Wer vom Recht des Einzelnen ausgeht, frei von paternalistischen Eingriffen je gegenwärtig über seine zukünftigen Angelegenheiten entscheiden zu können, ist entgegen Enderlein deswegen nicht dazu verpflichtet, die gegenwärtigen Freiheiten des Betroffenen zu maximieren. 10

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

ten.13 Wie lässt es sich mit dem von ihm vertretenen Schädigungsprinzip vereinbaren, dass ein Vertrag für nichtig erklärt wird, durch den Dritte offensichtlich nicht berührt werden? Mill begründet seine These mit dem Argument, das Prinzip der Freiheit könne nicht fordern, dass das Individuum die Freiheit haben sollte, nicht frei zu sein. Es sei nicht Freiheit, sich seiner Freiheit entledigen zu dürfen.14 Verkaufe man sich selbst in die Sklaverei, so zerstöre man dieselbe Freiheit, die den Rechtfertigungsgrund dafür bilde, über sich zu verfügen. Die individuelle Freiheit stoße da an Grenzen, wo sie anhebt, sich selbst zu eliminieren. Der erste Gesichtspunkt in dieser Argumentation ist jedoch nicht überzeugend. Wenn man Freiheit als Wahlfreiheit zwischen den sich bietenden Alternativen hic und nunc versteht (diese Bedeutung der Freiheit vertritt auch Mill selbst sonst durchgängig), warum sollte die freie Entscheidung des Einzelnen gegen seine zukünftige Freiheit dann als widersprüchlich betrachtet werden?15 Es ist wenig nachvollziehbar, warum es einem Menschen nicht erlaubt sein soll, freiwillig selbst festzulegen, wann er seinen letzten freien Akt vollzieht.16 Letztlich sollte die in Kenntnis aller Umstände getroffene Entscheidung, die eigene Freiheit zu vernichten, als die höchste mögliche Ausprägung der Autonomie selbst betrachtet werden.17 Nichts in dieser Idee der Autonomie könnte das Individuum davon abhalten, zu sagen: „I want to be the kind of person who acts at the command of others. I define myself as a slave and endorse those attitudes and preferences. My autonomy consists in being a slave.“18 Man könnte sogar sehr wichtige Gründe dafür haben, sich als Sklave zu verkaufen.19 Die Ablehnung der Sklavereiverträge könnte trotzdem durch einen anderen Gesichtspunkt gerechtfertigt werden.20 Als besonders unerträglich erweist sich die Tatsache, dass mit dem Verkauf in die Sklaverei ein irreversibler Freiheitsverlust 13 Feinberg, Canadian Journal of Philosophy 1971, S. 117; ders., Harm to Self, S. 76; Arneson, Ethics 90 (1980), S. 486. 14 Mill, Über die Freiheit, S. 141. 15 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 384. 16 Buyx, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung des menschlichen Körpers, S. 274. 17 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 255. 18 Dworkin, The Theory and the Practice of Autonomy, S. 129. 19 Regan, in: Sartorius (Ed.), Paternalism, S. 117 nennt als Beispiel, dass eine Mutter nur auf diese Weise das Geld verdienen kann, um eine teure, lebensrettende Operation ihres Kindes zu bezahlen. Es ist jedoch zu beachten, dass sehr schlechte individuelle Lebensbedingungen oder existenzielle Bedrohungen für Angehörige ein Angebot, in ein Sklavereiverhältnis einzutreten, zu einem „unwiderstehlichen“ Angebot machen, welches einem direkten Zwang zumindest nahe kommt. Feinberg, Canadian Journal of Philosophy 1971, S. 117 erwähnt als Motive eines Versklavungswilligen auch die als Gegenleistung vorgenommene Vorauszahlung einer großen finanziellen Summe zugunsten eines wertvollen Zwecks oder zugunsten einer geliebten Person, oder eine religiöse Überzeugung, die ein Leben voller Bescheidenheit oder Reue verlangt. 20 Zu der Erörterung von überindividuellen Argumenten, die das Verbot von Selbstversklavung aus ethischer Perspektive begründen könnten vgl. Buyx, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung des menschlichen Körpers, S. 275 ff.

A. Die Relevanz einer philosophischen Grundlegung des Antipaternalismus

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anderen gegenüber verbunden ist.21 Sollte der Sklave seine Meinung in der Zukunft ändern, kann seine Entscheidung nicht rückgängig gemacht werden.22 Man kann natürlich jemandem de facto als Sklave dienen, ohne einen einschlägigen Vertrag geschlossen zu haben. Verpflichtet man sich aber vertraglich, besteht keine Möglichkeit mehr, dem Dasein als Sklave zu entrinnen. Bis zu dem Zeitpunkt, ab dem der Sklave seine Meinung ändert, könnte man dem „Sklaverei-Verhältnis“ nichts entgegenhalten. Wünscht sich aber das Individuum, gleichgültig aus welchen Gründen, seine Freiheit zurück, dann ist man verpflichtet, seinem Wunsch zu folgen und ihm seine Freiheit zurückzuerstatten.23 Das Konzept der Freiheitsmaximierung erlaubt den paternalistischen Schutz nicht immer, wenn jemand seine zukünftigen Freiheiten zu beeinträchtigen droht. Sonst liefe das Paternalismusverbot leer.24 Es verlangt vielmehr, dass die Freiheiten des Betroffenen durch den Eingriff maximiert werden.25 Man muss daher eine Werttheorie zugrunde legen und einen wertenden Vergleich ausführen, um festzustellen, ob die Möglichkeit zur Wahl der selbstschädigenden Alternative das Weniger an Freiheit überwiegen kann, das voraussichtlich aus dem Verlust an preisgegebenen Handlungsmöglichkeiten in zukünftigen Lebensphasen folgt.26 Vertritt man die Meinung, dass es beim Autonomieschutz darum gehe, dass das Individuum über möglichst viele wertvolle Handlungsalternativen für die Zukunft verfügt, dann verfehlt schon der Ansatz den Punkt. Denn jede Entscheidung schließt selbstverständlich gewisse Optionen aus und beeinflusst auf diese Weise die in der Zukunft offen stehenden Möglichkeiten.27 Wer sich z. B. dazu entscheidet Jura zu studieren, kann nicht mehr ohne weiteres professioneller Fußballer werden. Wer Frau X heiratet, kann nicht gleichzeitig der Mann von Frau Y werden. Gerade das ist aber der Sinn der Freiheitsausübung, sich wichtige und wertvolle Handlungsmöglichkeiten abschneiden zu können.28 Die Gewährung von Autonomie unter dem Vorbehalt seiner freiheitsmaximierenden Ausübung über die gesamte Lebensdauer führt dazu, dass die Entscheidungsfreiheit des Individuums hier und jetzt zugunsten möglicher künftiger Optionen geopfert werden kann.29 Das Maximierungsgebot respektiert nicht die je gegenwärtige Person um ihrer selbst willen, sondern behandelt sie nur als Wächter 21

Vgl. auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 173, der zwischen der Preisgabe eines Guts und der Übertragung einer Rechtsposition unterscheidet. 22 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 384. 23 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 257. 24 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 53. 25 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 53. 26 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 54. 27 Feinberg, Harm to Self, S. 84. 28 Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 205; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 124; Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 151. Dies räumt auch Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 64, selbst ein. 29 Feinberg, Harm to Self, S. 76.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

ihrer künftigen Handlungsmöglichkeiten und ersetzt ihre eigenen Entscheidungen durch heteronom zugeschriebene.30 Freiheit ist aber nicht als objektiver, auch gegen den Willen des Einzelnen zu maximierender Wert zu verstehen, sondern es geht immer um den Schutz subjektiver Freiheit.31 Der Antipaternalist unterstellt das Prinzip des Respekts vor dem Selbstbestimmungsrecht autonomer Individuen und weigert sich, die Person zugunsten ihrer zukünftigen Lebensphasen zu instrumentalisieren.32 Es steht also fest, dass sich die je aktuelle Ausübung des Selbstbestimmungsrechts nicht mit den Wert der Freiheit relativierenden Maximierungsgedanken konsequentialistischer Natur verträgt. Eine adäquate philosophische Theorie der Paternalismuskritik ist notwendigerweise Teil einer deontologischen Theorie des Respekts vor der Autonomie von Personen.

II. Weicher Paternalismus als die liberale Lösung Die These, die gegen jede Art von hartem Paternalismus plädiert, sich aber bereit erklärt, einen weichen Paternalismus anzunehmen, respektiert das Selbstbestimmungsrecht des Individuums. Dahinter steht der Gedanke, dass eine paternalistische Intervention die Autonomie nicht verletzt, wenn der Handelnde nicht in vollem Ausmaß zur eigenen Entscheidungsfindung kompetent ist, weil die Entscheidung auf einer entwicklungsbedingten oder geistigen Schwäche beruht oder aufgrund eines normativ relevanten Willensmangels als defizitär einzustufen ist.33 Denn derartige defizitäre Entscheidungen sind für den Betroffenen ebenso fremd, wie solche, die ein anderer für ihn – also fremdbestimmt – trifft. Der weiche Paternalismus respektiert autonome Entscheidungen kompetenter Personen und orientiert sich bei der Bestimmung von Selbstverfügungsschranken am Ziel der Autonomiesicherung des Einzelnen, so dass er vielfach als uneigentlicher Paternalismus angesehen wird.34 Autonomieabsichernde Eingriffe können Beschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit daher solange legitimieren, bis feststeht, ob ein Autonomiedefizit vorliegt. Wenn sich liberale Theoretiker um eine Rechtfertigung paternalistischer Bestimmungen bemühen, versuchen sie meist nachzuweisen, dass es sich dabei um 30

S. 54. 31

Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 208; Kleinig, Paternalism,

Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 124. Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 207. 33 Zum Begriff des weichen Paternalismus vgl. Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie, S. 82; Schroth, JZ 1997, S. 1153 f.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 2; Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 217 ff. 34 Beauchamp, The Monist 1977, S. 67 f.; Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/Seeelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht S. 13; Feinberg, Harm to self, S. 12; ders., in: Sartorius (Hrsg.), Paternalism, S. 17; Sartorius, (Hrsg.), Paternalism, xii; Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 198; dies., in: von Hirsch/Neumann/ Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 117. 32

A. Die Relevanz einer philosophischen Grundlegung des Antipaternalismus

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einen nur weichen (legitimen) Paternalismus handele. Dies kann sehr weitgehend geschehen, indem man die Anforderungen an Entscheidungsbildung und -inhalt von sehr strengen Bedingungen abhängig macht. Dabei besteht die Gefahr, dass die liberale Lösung eines weichen Paternalismus überdehnt und die personale Autonomie im Endeffekt unterwandert wird.35 Es muss demnach beachtet werden, wo die Grenzen eines die Selbstbestimmung nur sichernden und nicht negierenden weichen Paternalismus liegen, damit nicht unter seinem Deckmantel Fälle des harten Paternalismus legitimiert werden. Die entscheidende Frage für den liberalen Paternalismusskeptiker lautet also, wo die Grenzen des weichen Paternalismus verlaufen.36 Ein extensives Verständnis von Autonomiedefiziten würde die Selbstverfügungsfreiheit des Einzelnen aushöhlen. Die Voraussetzungen für die Annahme von Autonomiedefiziten müssen daher inhaltlich näher ausgearbeitet werden. Auf dieser Grundlage ist danach die Art von Eingriffen zu prüfen, die sich durch das Vorliegen eines entsprechenden Defizits rechtfertigen lassen, um schließlich die Normen aufzudecken, die mit dem liberalen weich paternalistischen Modell unvereinbar sind. Weich paternalistische Rechtsnormen stellen sich nicht als weniger freiheitsbeschränkend dar und werfen daher die Frage nach ihrer Rechtfertigung auf, zu deren Beantwortung die vorliegende Arbeit einige Lösungsansätze entwickeln kann. Man muss auch einem weichen Paternalismus Grenzen setzen, die sich an der Autonomie des Individuums orientieren. Er darf daher nicht automatisch, wie es teilweise angenommen wird, als unproblematisch betrachtet werden. Im Folgenden werden insbesondere drei verschiedene Modelle der Rechtfertigung des weichen Paternalismus dargestellt und kritisch untersucht, um genau die bedenkliche Tendenz aufzuzeigen, mit der Camouflage des Schutzes des Selbstbestimmungsrechts harten Paternalismus oder sogar Rechtsmoralismus zu legitimieren. Nicht alle Argumentationsstränge, die vorgeben, die Selbstbestimmung des Einzelnen zu respektieren, werden ihrem Anspruch gerecht. 1. Feinbergs Modell Ausgehend von einer Analogie zur Souveränität einer Nation stützt Feinberg seinen Antipaternalismus auf eine von ihm sogenannte „de jure autonomy“, die er als ein subjektives Recht auf eigenverantwortliche Lebensgestaltung versteht.37 Für den amerikanischen Strafrechtswissenschaftler und Rechtsphilosophen markiert die wirksame Einwilligung des Verfügenden die Grenze zwischen einem grundsätzlich legitimen weichen Paternalismus und einem abzulehnenden harten Paternalismus bzw. Rechtsmoralismus. Ist die Einwilligung des Rechtsgutsträgers freiwillig, ver35 Mayr, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 50; Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 82. 36 Feinberg, Harm to Self, S. 113 fragt sich mit Recht: „For the purposes of the soft paternalistic strategy – the effort to find an autonomy-respecting rational for reasonable, apparently paternalistic restrictions – how voluntary is voluntary enough?“. 37 Feinberg, Harm to Self, S. 52 ff. Kritisch Seher, Liberalismus und Strafe, S. 132 f.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

bietet sich eine rechtliche Intervention aus Respekt vor seiner Autonomie. Nach Feinberg stellt die Vernünftigkeit einer Entscheidung (reasonableness) keinen Maßstab für ihre Freiwilligkeit (voluntariness) dar.38 Er stellt insofern zutreffend fest, dass man freiwillig etwas Unvernünftiges wählen kann.39 Ein Zwang, vernünftig handeln zu müssen, läuft gerade unserem Selbstverständnis zuwider: Jeder nimmt sich das Recht, auch einmal unvernünftig zu handeln, und sieht eine solche Handlung als von seinem Selbstbestimmungsrecht gedeckt an. Probleme ergeben sich jedoch bei seiner Definition der Freiwilligkeit. Freiwilligkeit ist für ihn keine feststehende Eigenschaft eines bestimmten Verhaltens, sondern ein variables Konzept. Die Standards der Freiwilligkeit hängen von den besonderen Lebenssituationen, von den zu verfolgenden Zwecken und von den unterschiedlichen Interessen ab.40 Als erste Annäherung an das erforderliche Ausmaß an Freiwilligkeit formuliert Feinberg einige Faustregeln: Je riskanter das Verhalten sei und je unwiderruflicher der riskierte Schaden, desto größer sei der erforderliche Grad der Freiwilligkeit.41 Es gelte zudem eine Vermutung für die Unfreiwilligkeit eines Verhaltens (presumption of nonvoluntariness), der zufolge der Staat berechtigt sei, bei Zweifeln an der Freiwilligkeit einer Selbstschädigung bzw. -gefährdung diese vorübergehend zu unterbinden, um die Rahmenbedingungen der Autonomie zu sichern. Es entsteht der Eindruck, dass Feinberg trotz des Respekts vor der Autonomie des Einzelnen im Ergebnis bereit wäre, weitgehende paternalistische Eingriffe zuzulassen. Zudem ermöglicht er dem harten Paternalismus, sich durch die Hintertür der jeweiligen Anforderungen an die Freiwilligkeit einzuschleichen. Wichtiger ist aber ein anderer Gesichtspunkt des feinber’gschen Modells von Autonomie. Das Urteil Freiwilligkeit/Unfreiwilligkeit ist für Feinberg gleichzeitig eine Aussage über die Verantwortlichkeit interagierender Personen, so dass im Ergebnis zwei unterschiedliche Ebenen vermengt werden. Das Vorliegen eines Defizits ist zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung dafür, dass einem Defizit in moralischer oder rechtlicher Hinsicht Relevanz zukommt. Ist die Einwilligung nicht Ausdruck von Selbstbestimmung, dann entfällt ein zentraler Grund für ihre Wirksamkeit. Damit ist aber noch nicht entschieden, wem die Verantwortung für die defizitäre Entscheidung zuzuschreiben ist. Die Konzentration auf die Frage der Freiwilligkeit kann also vom Kern des Problems ablenken. Was für die Beurteilung von Zwei-Personen-Fällen entscheidend ist, ist zunächst einmal die Qualität 38

Feinberg, Harm to Self, S. 104 ff. Feinberg, Harm to Self, S. 106: „,Unreasonable choices‘ (…) are commonly made by fully competent persons in full command of their rational faculties. (…) Perfectly rational persons can have unreasonable preferences as judged by other perfectly rational persons, just as perfectly rational men and women (for example, great philosophers) can hold ,unreasonable beliefs‘ or doctrins as judged by other perfectly rational people.“ 40 Feinberg, Harm to Self, S. 117 f.: „We should treat voluntariness as a „variable concept“, determined by higher and lower cut-off points depending on the nature of the circumstances, the interests at stake, and the moral or legal purpose to be served.“ 41 Feinberg, Harm to Self, S. 117. 39

A. Die Relevanz einer philosophischen Grundlegung des Antipaternalismus

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der Interaktion als solche (z. B. A hat B getäuscht). Die weitere Frage, ob diese Täuschung die Reaktion von B zu einer unfreiwilligen macht, ist moralisch und rechtlich nur in besonderen Fällen von Interesse – vor allem im Hinblick darauf, wie viel Eigenverantwortung man B für die durch Täuschung ausgelöste Reaktion in verschiedenen Bewertungskontexten zuschreiben sollte.42 Es lässt sich damit nicht bestreiten, dass der von A getäuschte B in der Tat unfreiwillig handelt. Aber auf die Unfreiwilligkeit als solche kommt es nicht an, denn B würde sich auch dann genauso unfreiwillig selbst schädigen, wenn er sich einfach geirrt hätte. Der Irrtum erklärt zwar, warum die eingetretene Schädigung unfreiwillig ist, er kann aber die normative Signifikanz dieser Unfreiwilligkeit nicht begründen, weil er mannigfaltige normativ irrelevante oder normativ im Verantwortungsbereich des Einwilligungsempfängers liegende Ursachen haben kann. Für Feinberg wird dadurch, dass die selbstverfügende Entscheidung als freiwillig beurteilt wird, zugleich über die Kriminalisierbarkeit des die Entscheidung umsetzenden Verhaltens des Außenstehenden entschieden. Dies ist gerade eine gefährliche Verkürzung der Problematik. Aus der Antwort auf den ersten Teil der Untersuchung (Liegt ein die Willensbildung beeinträchtigendes Defizit vor?) lassen sich keine unmittelbaren Vorgaben für die Zulässigkeit der Kriminalisierung des in Frage stehenden Verhaltens ableiten. 2. Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß? Ausgehend von der kantischen moralphilosophischen Systematik versucht Michael Köhler, die Selbstverfügung als intrapersonalen Rechtspflichtverstoß zu begründen. Die von Köhler vorgeschlagene Konstruktion von Rechtspflichten gegen sich selbst als Schranken der Selbstverfügung im Strafrecht erscheint weich paternalistisch insoweit, als auf die immanenten Schranken des Selbstbestimmungsrechts verwiesen wird. Köhlers These stützt sich darauf, dass „die vernünftige Existenz in ihren gegliederten praktischen Schlüssen sich unbedingt selbstaffirmativ durch die Menschheit in der Allheit ihrer Subjekte verwirklicht“. Hieraus folgt für ihn „die pflichtige Selbsterhaltung der Person im Verhältnis zu sich und zum anderen, da sonst das Dasein, soweit es an uns liegt, vernunftlos würde“.43 Es sei daher ausgeschlossen, die äußeren Daseinsbedingungen menschenrechtlicher Selbstbestimmung in ihrem Entfaltungspotential mit gewisser Totalität zu negieren.44 Rechtspflichtwidrig seien demnach: „Handlungen gegen den Selbstbesitz der LeibGeist-Einheit, z. B. Selbsttötung, Tötung auf Verlangen, Selbstverstümmelung oder veräußerndes ,Sich-ausschlachten-lassen‘ des lebendigen Körpers (z. B. durch Organentnahme) oder Versklavung.“45 42 So zutreffend Du Bois-Pedain, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 48. 43 Köhler, Jahrbuch für Recht und Ethik 2006, S. 438. 44 Köhler, ZStW 1992, S. 18 f.; ders., AT, S. 255 f.; ders., in: FS-Küper, S. 277 f. 45 Köhler, Jahrbuch für Recht und Ethik 2006, S. 440.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

Die Annahme eines intrapersonalen Rechtspflichtverstoßes als Grenze der Selbstverfügungsfreiheit stößt aber auf erhebliche Bedenken. Geht man von den Grundlagen der kantischen Moralphilosophie aus, so ist insbesondere zu beachten, dass die Pflichten gegen sich selbst in der Metaphysik der Sitten explizit als Tugendpflichten konzipiert sind. Dies stimmt mit dem Rechtsbegriff Kants überein. Das Recht garantiert unantastbare äußere Handlungsspielräume, innerhalb derer der Einzelne die rechtliche Freiheit der Willkür genießt, ohne daran durch andere gehindert werden zu dürfen. Die rechtliche Handlungsbefugnis leitet sich aus der Verträglichkeit seiner Handlung mit der Freiheit aller anderen ab.46 Die Begrenzung des Rechts auf Regeln zur Herstellung der Kompatibilität der individuellen Freiheitssphären mehrerer Personen schließt eine Verrechtlichung des Verhältnisses einer Person zu sich selbst aus, soweit das selbstverfügende Verhältnis keinen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf Dritte hat. In der Verletzung einer Pflicht im Selbstverhältnis liegt keine Rechtspflichtverletzung gegenüber anderen, da deren äußere rechtliche Freiheit nicht verletzt wird. Schon mit dieser Festlegung des Rechtsbereichs scheiden Pflichten gegen sich selbst als Rechtspflichten aus.47 Kant sieht den zentralen Unterschied zwischen den Tugend- und den Rechtspflichten darin, „dass zu dieser ein äußerer Zwang moralisch-möglich ist, jene aber auf dem freien Selbstzwange allein beruht.“48 Die Differenzierung der Pflichtarten bezieht sich auf das dem Begriffspaar Legalität/Moralität zugrundeliegende Kriterium der Motivation der Verpflichtung.49 Die Tugendpflichten sind von der inneren Einschränkung abhängig, die Handlungsmaximen der Bedingung der Pflicht zu unterziehen. Dagegen begnügt sich das Recht mit der bloß legalen Befolgung seiner Gebote und ist der inneren Einstellung des Handelnden gegenüber blind. Rechtspflichten sind auf die Gesinnung der Moralität nicht angewiesen und können deshalb äußerlich erzwungen werden.50 Die Unmöglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung des Verbots deutet daher auf den fehlenden rechtlichen Charakter der Pflicht hin. Kant konstruiert in der Tugendlehre zwar das Selbstverhältnis als einen Selbstzwang, dieser ist aber ganz anderer Art. Es geht ihm um die intrapersonale 46

Kant, MdS A 33, S. 337. Vgl. Gutmann, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 2005, S. 164 ff.; Kühl, in: FS-Spendel, S. 89; ders., in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 172; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 66 f.; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2006, S. 493; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 173 f.; Ellscheid, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 192 f.; FatehMoghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 121; ders., in: Fateh-Moghadam/ Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 29. 48 Kant, MdS A 9, S. 512. 49 Kühl, in: FS-Spendel, S. 81 ff.; ders., Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 144 ff.; Maatsch, Selbstverfügung, S. 198 ff; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 78 ff. 50 Vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 130 f.; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 81; Maatsch, Selbstverfügung, S. 198 f; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 174 f. 47

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ethische Auseinandersetzung mit sich selbst.51 Köhler gibt grundlos das maßgebende Unterscheidungsmerkmal des Rechtszwangs auf und so gelingt es scheinbar, das intrapersonale Verhältnis dem interpersonalen strukturell gleichzustellen.52 Da sich die Selbstbindung per definitionem durch keinen äußeren Zwang besorgen lässt, entziehen sich die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst der Möglichkeit, als juridisch qualifiziert zu werden. Die Trennung von Recht und Moral kann nicht über die Einführung von Rechtspflichten gegen sich selbst wieder aufgehoben werden, ohne das Fundament der liberalen Rechtsphilosophie Kants zu zerstören.53 Die Annahme von „Grundpflichten der rechtlichen Selbstkonstitution“, die dem Selbstbestimmungsrecht vorrangig sein sollen, führt letztlich zu einer unzulässigen Umdeutung sittlicher in rechtlichen Wertungen. Die Konzeption der Rechtspflichten gegen sich selbst ist im Kern rechtsmoralistisch, da sie den Begriff der rechtlichen Selbstbestimmung sittlich auflädt, wie es der moralteleologischen Auffassung entspricht.54 Akzeptiere man die Ersetzung allgemeiner Handlungsfreiheit durch einen starken Begriff sittlicher Autonomie, so würden weicher und harter Paternalismus zusammenfallen.55 Schroth bemerkt hier zutreffend: „Eine Verpflichtung der Selbsterhaltung aus der Autonomie abzuleiten, bedeutet, Freiheit zu postulieren, um sie wieder abzuschaffen“.56 Man muss Köhler zubilligen, dass er Kants methodischen Ansprüchen und dessen Abgrenzung zwischen den ethischen Bedingungen der Autonomie und den rechtlichen Bedingungen der Selbstverfügung nicht unbedingt folgen muss, sondern zu eigenen Folgerungen berechtigt ist. Dies wäre nicht zu beanstanden, wenn er eine tragfähige Begründung für die Rechtspflicht gegen sich selbst anbieten würde. Köhler nimmt aber Kants Selbstzweckideal in Anspruch, ohne dessen methodische Voraussetzungen zu akzeptieren und gelangt damit zu einer unzulässigen Vermischung von rechtlichen und nicht positivierbaren ethischen Ansprüchen. Gibt man die Prämisse Kants auf, kann das ethische Verbot der Instrumentalisierung der eigenen Person nicht kohärent in eine allgemeine Menschenpflicht umgedeutet werden.

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Kant, MdS, S. 525. Vgl. Ellscheid, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 197; Vossenkuhl, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 282. 53 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 90; Ellscheid, in: Fateh-Moghadam/ Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 188. 54 Vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 178 ff. 55 So Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 124 f.; ders., in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 29. 56 Schroth, in: von Hirsch/ Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 214; ders., in: Middel/Pühler/Lilie/Vilmar (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 148; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 407. 52

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3. Weicher Paternalismus im Lichte beschränkter Rationalität (Bounded Rationality) Paternalistische Konzeptionen, die auf den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie und der kognitiven Psychologie zur begrenzten Rationalität (bounded rationality) beruhen, gehen davon aus, dass Menschen nicht immer optimal im Sinne ihrer eigenen Präferenzen entscheiden, weil sie kognitiven Schwächen oder Willensschwächen unterliegen oder weil ihre Präferenzen durch äußere Faktoren beeinflusst werden.57 Paternalistische Eingriffe könnten eingesetzt werden, um derartige Anomalien zu beseitigen und vollständig rationale Entscheidungen herbeizuführen. Dies weist zunächst auf den grundsätzlichen Fehlschluss solcher Theorien hin, die versuchen, die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie für die juristische Praxis fruchtbar zu machen.58 Die Verhaltensökonomie versteht sich als deskriptive Theorie über das tatsächliche Verhalten von Menschen, während die Annahme vollständiger Rationalität normativen Charakter hat. Die psychologischen Forschungen dienen nicht dazu, schlechte Entscheidungen aufzudecken, sondern ganz allgemein zu erhellen, wie Menschen entscheiden. Dagegen setzt eine Antwort auf die Frage, warum der Gesetzgeber Menschen daran hindern soll, sich bei der Wahl zwischen Handlungsalternativen risikofreudig zu verhalten, eine wertende Analyse voraus.59 Die Existenz von Anomalien in der Entscheidungsbildung bedeutet daher nicht automatisch, dass diese rechtlich reduziert werden sollten.60 Im Bezug auf die Wissensbasis einer Entscheidung ist insbesondere zu beachten, dass eine auf umfassender Tatsachenkenntnis und höchstmöglichem prognoserelevanten Wissen basierende Entscheidung nicht der Realität entspricht.61 Der Maßstab eines Allwissenden würde nicht nur das Menschenmögliche übersteigen. Der Verzicht auf eine Optimierung der Wissensbasis ist vielmehr Folge der begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen an Zeit und Energie und der Einsicht, dass viele Entscheidungen nicht in einem angemessenen Verhältnis zu einem solchen Aufwand stünden.62 Es muss auch berücksichtigt werden, dass Menschen in unterschiedlichem 57 Vgl. dazu van Aaken, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 109 ff.; Englerth, in: Engel/Englerth/Lüdemann u. a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, S. 231 ff.; Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 75 ff.; Sunstein/Thaler, Libertärer Paternalismus, in: Gesetze der Angst, S. 259 ff.; Zamir, Virginia Law Review 1998, S. 233 ff. 58 Vgl. van Aaken, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 110; Englerth, in: Engel/Englerth/Lüdemann u. a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, S. 236 f.; Gutwald, in: FatehMoghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 76; Joost, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 151. 59 So zutreffend Englerth, in: Engel/Englerth/Lüdemann u. a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, S. 236 f. 60 van Aaken, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 110. 61 Amelung, NStZ 2006, S. 318; Rönnau, Willensmängel, S. 219 ff., 228 ff.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 102 f. 62 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 440.

A. Die Relevanz einer philosophischen Grundlegung des Antipaternalismus

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Maße bereit sind, sich um die Wissensbasis ihrer Entscheidung zu kümmern.63 Personen in tatsächlichen Wahlsituationen verzichten meist aus unterschiedlichen Gründen (z. B. Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit) darauf, möglichst viele zutreffende Informationen zu sammeln, um auf dieser optimalen Basis Entschlüsse zu fassen. Autonomie als normativer Begriff schließt auch die Bereitschaft zur Eingehung von Fehlentscheidungsrisiken wegen des Verzichts auf zusätzliche Informationen mit ein. Es handelt sich lediglich um einen Charakterzug, der nicht deshalb ein Autonomiedefizit der Person begründet, weil andere mit ihren Gütern vorsichtiger umzugehen pflegen.64 Rationalität ist nur in einem minimalen Sinn eine unbedingte Voraussetzung für Autonomie. Sie umfasst ein Mindestmaß an kognitiven Fähigkeiten, um Informationen zu verstehen, Präferenzen zu bilden und logische Kalküle richtig auszuführen.65 Wenn wir Autonomie im Sinne einer stets optimierbaren Rationalität verstehen, sind die meisten Entscheidungen als defizitär einzustufen. Damit wird ein großer Raum für paternalistische Eingriffe eröffnet, um die Autonomie immer noch ein Stück zu verbessern. Dies führt zu einem Autonomieperfektionismus, der mit der liberalen Perspektive nicht mehr kompatibel ist. Eine Entscheidung ist immer noch autonom, auch wenn sie derartigen Rationalitätsmaßstäben nicht entspricht, denn die Möglichkeit der Person, in der ihr zugebilligten Privatsphäre nach selbst gesetzten Regeln zu leben, beinhaltet auch die Freiheit zur Unvernunft.66 Die Gefahr eines Vernunftpaternalismus besteht auch im Rahmen solcher Rechtfertigungstheorien, die sich auf die hypothetische, rationale Zustimmung des Betroffenen stützen.67 Das grundlegende Defizit solcher Vorschläge liegt gerade darin, dass sie die objektive mit der subjektiven Perspektive vermengen und schließlich darauf abstellen, was ein ideal rationaler Mensch wollen würde, egal wie seine sonstigen Lebensziele aus-

63 Rönnau, Willensmängel, S. 220; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 440 f. 64 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 441. 65 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 78. 66 Vgl. Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 84; Joost, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 154; Rönnau, Willensmängel, S. 216; aus verfassungsrechtlicher Sicht Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 177 f. 67 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 281 versucht, die Rechtfertigung von paternalistischen Interventionen unter Berufung auf die hypothetische Zustimmung der rationalen Individuen in dem von ihm konstruierten vertragstheoretischen Urzustand zu begründen. Einerseits spricht er davon, dass paternalistische Eingriffe „durch das offenbare Versagen oder Fehlen der Vernunft“ gerechtfertigt sein müssen, so dass Irrationalität lediglich im Sinne fehlender Entscheidungskompetenz angesprochen ist. Andererseits soll Paternalismus vor „törichten Handlungen“ und den „unglücklichen Folgen unklugen Verhaltens“ schützen. Auf diese Weise wird jedoch keine klare Differenzierung zwischen Irrationalität im starken Sinn (Inkompetenz) und im schwachen Sinn (Unvernünftigkeit) vorgenommen. Vgl. hierzu Feinberg, Harm to Self, S. 184 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 33 f.; Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 233 f.; Kleinig, Paternalism, S. 64 f.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

sehen mögen.68 Die Führung eines autonomen Lebens beinhaltet aber vor allem die Möglichkeit, sich zu irren und die daraus ergebenden Konsequenzen zu tragen. Stellen wir uns vor, während einer Schachpartie stünde eine Maschine neben uns, die sich jedes Mal in unsere Handlungen einmischt, wann immer wir eine nicht völlig rationale Entscheidung träfen, damit wir letztlich das Spiel gewinnen könnten. Zentral für ein autonomes Individuum ist aber nicht bloß, das Spiel zu gewinnen, sondern vielmehr die eigene Partie zu spielen.69 Der Rückgriff auf den hypothetischen Willen des konkreten Individuums verkennt wiederum, dass die tatsächlichen Gründe dafür, bestimmte Entscheidungen anstelle anderer zu treffen, inkommensurabel sind. Weder wir noch andere sind in der Lage, alle wichtigen Optionen des Lebens in eine konsistente Präferenzordnung zu bringen.70 Der weiche Paternalist muss sich also darum bemühen, eine minimale und verhältnismäßige Schwelle zu finden, die nicht in einen Rationalitätsperfektionismus münden darf.71 Solange Rationalitätsdefizite nicht die Schwelle eines rechtlich relevanten Autonomiedefizits überschreiten, sind paternalistische Eingriffe zur Optimierung der Entscheidungsrationalität aus rechtlicher Perspektive nicht legitim. Die Herbeiführung vollständig rationaler Entscheidungen ist keine Aufgabe des Rechts. Die Optimierung von Rahmenbedingungen autonomen Entscheidens von Personen ist als Grundlage für weich paternalistischen Maßnahmen deshalb zurückzuweisen.72

B. Leitlinien zur Zulässigkeit eines begrenzten staatlichen (nicht-strafrechtlichen) Paternalismus Folgende Erörterungen dienen dem Ziel, das Konzept eines begrenzten staatlichen Paternalismus zu konturieren, nach dem die Zulässigkeit weich paternalistischer Maßnahmen zu beurteilen ist. Unberücksichtigt bleiben die Fälle, in denen die Person aufgrund konstitutioneller Defizite, die einen pathologischen Befund aufweisen oder auf eine entwicklungsbedingte Unreife zurückzuführen sind, zu selbstbestimmtem Handeln nicht in der Lage ist. Es soll im Folgenden versucht 68 So Dworkin, Paternalism, in: Wasserstrom (Hrsg.), Morality and the Law, S. 120: „…securing goods such as health which any person would want to have in order to pursue his own good – no matter how that good is concieved.“ Ablehnend Birnbacher, in: von Hirsch/ Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 15. 69 Das Beispiel stammt aus VanDeVeer, Paternalistic Intervention, S. 72; ders., Autonomy respecting paternalism, Social Theory and Practice 1980, S. 196. Vgl. auch Feinberg, Harm to Self, S. 42: „A person’s highest good in life is self-fulfillment, and by its very nature, fulfillment is not something that can be achieved for the self by someone else (…) Insofar as these goods are produced by others for us, they are bogus goods made of plastic.“ (Hervorhebung von mir). 70 Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 230. 71 Gutwald, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 82. 72 Ablehnend auch Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 33 f.

B. Leitlinien zur Zulässigkeit eines begrenzten Paternalismus

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werden, einen normativen Maßstab für solche selbstschädigenden Entscheidungen zu entwickeln, die aufgrund eines Fehlers in dem Entscheidungsprozess als defizitär einzustufen sind. Vor diesem Hintergrund sind die Lösungsmodelle mit Skepsis zu betrachten, die auf einem voraussetzungsvollen Autonomiebegriff beruhen und letztlich weitergehende Eingriffe in die Selbstverfügungsfreiheit ermöglichen als manche Spielarten des harten Paternalismus. Die Plausibilität einer Theorie der Grenzen des weichen Paternalismus hängt maßgeblich von dem zugrunde gelegten Verständnis von Autonomie ab. Diese hat im philosophischen wie auch im juristischen Diskurs verschiedene Bedeutungen.73 Ein philosophisch gehaltvoller Begriff personaler Autonomie bezeichnet ein Lebensverwirklichungsideal, dem sich wirkliche Personen höchstens annähern können.74 Eine solche graduelle Auffassung von Autonomie, gemessen an einem idealen Standard, führt zu einem Autonomieperfektionismus, der sich nicht mit der liberalen Forderung, Personen eine Freiheitssphäre zu garantieren, innerhalb derer sie ihr Leben nach ihren eigenen Zielen und Wertvorstellungen führen können, verträgt.75 Perfektionistisch ist beispielsweise das von Raz entwickelte Autonomieprinzip insoweit, als nur bestimmte Formen des Freiheitsgebrauchs als „wertvoll“ bezeichnet werden.76 Jede derartige Vorstellung persönlicher oder moralischer Vollkommenheit ist der Willkür überlassen und muss im Rahmen eines freiheitlichen Autonomiekonzepts zurückgewiesen werden. Die liberale Paternalismuskritik muss deshalb Versuche widerlegen, den Autonomiebegriff an die Verfolgung perfektionistischer Ziele zu koppeln. Unter diesem graduellen Konzept von Autonomie kann eine Person mehr oder weniger autonom sein. Auf der Basis einer solchen relativistischen Ansicht kann die Trennlinie zwischen autonomen und inkompetenten Individuen nur willkürlich gezogen werden, so dass die Gefahr paternalistischer Interventionen einschleicht.77 73 Vgl. Meyer, Ausschluss der Autonomie, S. 75 ff., 129 ff.; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 18 ff.; Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 99 ff. 74 Für die Autonomie als Idealkonzept vgl. Feinberg, Harm to Self, S. 44 f.; Gutmann, Freiwilligkeit, S. 6 ff.; ders., in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 223 f. 75 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 84. Ebenso abzulehnen ist auch die Ersetzung rechtlicher Selbstbestimmung durch einen Begriff sittlicher Autonomie im kantischen Sinne. Siehe dazu Murmann, Selbstverantwortung, S. 172 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 37 ff. Es geht hier nicht um den moralischen, sondern um den pragmatischen Gebrauch der praktischen Vernunft, also darum, ob der Einzelne in der Lage ist, seine Ziele selbst zu bestimmen, nach denen er sein Leben ausrichtet. Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit, S. 5. 76 Raz, The Morality of Freedom, S. 417: „But the autonomy principle is a perfectionist principle. Autonomous life is valuable only if it is spent in the pursuit of acceptable and valuable projects and relationships“. 77 Wikler, Philosophy and Public Affairs 1979, S. 381: „We may be able to distinguish various levels of mental ability through tests, but any line drawn between mentally ,impaired‘ and mentally ,unimpaired‘ is arbritary. The line could be drawn anywhere else on the scale with equal justification.“

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

Vor diesem Hintergrund wäre die paternalistische Anleitung von Durchschnittspersonen durch die hochbegabten Mitglieder der Gesellschaft zulässig.78 Es kommt aber nicht darauf an, ob möglichst viele richtige Entscheidungen im Sinne einer intellektuellen Elite getroffen werden. In dem Recht, seine eigene Entscheidung zu treffen, liegt vielmehr ein absoluter Wert.79 Autonomie im Sinne eines Rechts auf Selbstbestimmung muss daher ein Schwellenkonzept darstellen: man ist es ganz oder gar nicht.80 Als die normative Kompetenz des Einzelnen, innerhalb der ihm zugewiesenen Freiheitssphäre selbstbestimmt zu entscheiden81, ist Autonomie unabhängig davon, inwieweit die Rechtsträger – soweit sie bestimmte Mindestanforderungen an Rationalität erfüllen – Idealvorstellungen autonomen Lebens verwirklichen.82 Ausschlaggebend ist nur, dass das jeweilige Subjekt als rationales Wesen die erforderliche Befähigung aufweisen kann, um dem durchschnittlichen Niveau entsprechen zu können. Wenn der Zustand eines Menschen diese Schwelle überschreitet, wird er als autonom angesehen, auch wenn seine Entscheidungen Dritten gegenüber unvernünftig oder unklug erscheinen.83 Die darüber hinasugehende geistige Begabung soll lediglich als „unused surplus“ bewertet werden, der für die Zuschreibung von Autonomie keine Rolle spielt.84 Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Autonomie von Entscheidungen beziehen sich auf ihren Charakter als Dispositionsbegriff: Sie ist nicht wesensmäßig vorfindbar oder der Empirie unmittelbar zugänglich, sondern bezeichnet ein normatives Konstrukt, das festlegt, wem bestimmte Handlungserfolge im Sinne rechtlicher Verantwortlichkeit zugerechnet werden sollen.85 Allein aus einem solchen Begriff der Autonomie lassen sich noch keine Grenzen für weich paternalistische Eingriffe ableiten. Der Prozess der Bestimmung von Autonomie bzw. ihres Fehlens vollzieht sich deshalb in der Weise, dass aus äußeren Umständen in Verbindung mit

78 Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 226; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 167; Valdés, Ratio Juris 1990, S. 179 ff.; VanDeVeer, Paternalistic Intervention, S. 349 f. 79 Wikler, Philosophy and Public Affairs 1979, S. 380: „Our right to self-direction, however, is a right to be free from constraint from any person whether of normal, subnormal or high intelligence. It is supposed to hold even when our decisions are poor and when others happen to know better“. 80 Feinberg, Harm to Self, S. 29: „threshold conception“; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 43; Kleinig, Paternalism, S. 9 f.; Gutmann, Freiwilligkeit, S. 9; Schroth/Schneewind/Gutmann u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 291; Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 80. 81 Vgl. Amelung, ZStW 1992, S. 822 ff.; Gutmann, Freiwilligkeit, S. 9; Schroth, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 89 ff. 82 Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 225. 83 Feinberg, Harm to Self, S. 67; Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 80; Seher, Liberalismus und Strafe, S. 132. 84 Wikler, Philosophy and Public Affairs 1979, S. 384; Feinberg, Harm to Self, S. 30. 85 Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 27.

B. Leitlinien zur Zulässigkeit eines begrenzten Paternalismus

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gewissen Erfahrungswerten ein Entscheidungsdefizit erschlossen wird.86 Die Annahme, eine bestimmte Entscheidung sei aufgrund des Vorliegens eines Entscheidungsdefizits nicht autonom, beruht daher immer auf Indizien. Bei der Bestimmung der Indizien für defizitäre Entscheidungen müssen konkrete, tatsächliche Anhaltspunkte dafür genannt werden, dass das Vorliegen (oder das Risiko des Vorliegens) eines Defizits zur Grundlage eines weich paternalistischen Eingriffs gemacht werden kann. Es liegt besonders nahe, die Rechtfertigung paternalistischer Eingriffe von der Größe der Wahrscheinlichkeit eines Autonomiedefizits bei der Person, in deren Handlungsfreiheit eingegriffen wird, abhängig zu machen.87 Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine defizitäre Entscheidung getroffen wurde (bzw. getroffen wird), desto eher ist das Risiko beim Entscheidenden zu belassen. Dieses Kriterium ist aber noch viel zu undifferenziert, denn die Unsicherheit über das Vorliegen einer defizitären Entscheidung ist in den gesamten Komplex der Umstände eingebettet, die für die Interessen der Beteiligten relevant werden. Indikator für ein Entscheidungsdefizit soll vielmehr der Wert des gefährdeten Rechtsguts in Verbindung mit dem Umstand sein, dass die Zwecksetzung des Verfügenden subjektiv irrational ist.88 Dies ist nur dann der Fall, wenn der Verfügende zur Verfolgung seines subjektiven Zieles ein objektiv ungeeignetes Mittel wählt.89 Die Extraktion sämtlicher, selbst gesunder Zähne, zu rein kosmetischen Zwecken (um mit Hilfe einer Prothese das Aussehen zu verbessern) erscheint subjektiv rational, da das gewählte Mittel zur Erreichung des Zieles grundsätzlich geeignet ist.90 Nicht aber die Forderung des Patienten, sämtliche Zähne entfernt zu haben, weil er in einer solchen Maßnahme die einzige Heilungschance für Kopfschmerzen sieht.91 Denn es ist absolut ausgeschlossen, dass die Extraktion der Zähne den medizinisch erwünschten Erfolg bewirken kann.92 Dieses Kriterium der subjektiven Mittel-Zweck-Relation befindet sich in Einklang mit dem liberalen Gedanken des Autonomieschutzes, weil die subjektive Perspektive des Verfügenden respektiert und nicht zugunsten einer ob-

86 Vgl. Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, S. 82 ff., 100 f.; Schroth, Hermeneutik, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie, S. 292. Ähnlich Dworkin, The Theory and Practice of Autonomy, S. 6 ff. 87 So Mayr, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 56. 88 Roxin, AT I4, § 13 Rn. 43; Schroth, in: FS-Hassemer, S. 798. 89 Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 129; ders., in: FatehMoghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 37. Ein weiteres Indiz einer nicht autonomen Entscheidung könnte sich daraus ergeben, dass weniger riskante und gleich geeignete Alternativen zur Verfügung stehen, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Allerdings darf der subjektive Wert der gewählten Alternative (z. B. Gefühlskitzel der riskanten Alternative) nicht übersehen werden. Vgl. Feinberg, Harm to Self, S. 119. 90 Roxin, AT I4, § 13 Rn. 88. 91 Vgl. BGH NJW 1978, S. 1206. 92 Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 130.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

jektiven Bewertung preisgegeben wird. Damit wird der Gefahr eines Vernunftpaternalismus entgangen.93 Es ist weiterhin zu beachten, dass allein die Irreversibilität des drohenden Schadens das Vorliegen eines Defizits nicht begründen kann. Köhler hat insbesondere die Auffassung vertreten, dass ein Verhalten vernunftwidrig – und damit freiheitswidrig – sei, „in welchem die autonome Subjektivität ihr eigenes Dasein negiert, also selbstwidersprüchlich Daseinsbedingungen entgegenhandelt, auf denen moralisch, pragmatisch freie Subjektivität substantiell beruht“.94 Allein aus der Tatsache, dass bestimmte Entschlüsse die existentielle Basis des Individuums endgültig vernichten, kann nicht gefolgert werden, dass solche Entscheidungen per se unwirksam sind.95 Denn der Tod kann aus der Sicht eines Lebensmüden sehr wohl das vernünftige Ende eines qualvollen Sterbeprozesses sein.96 Wie Murmann zutreffend bemerkt, die Möglichkeit der Wiederholbarkeit vernünftigen Entscheidens sei kein Kriterium der Verallgemeinerbarkeit. Ein Vernunftgebrauch, der sich selbst als finaler Vernunftgebrauch wisse, sei deshalb nicht widersprüchlich, sondern eben nur nicht wiederholbar.97 Ein Autonomiekonzept, „das neben der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts in jedem Bereich und mit jedem beliebigen Inhalt die Autonomie in Bezug auf sich selbst beschränken würde“98, ist daher abzulehnen. Schließlich verdient noch ein weiterer Gesichtspunkt Beachtung. Ein Indiz für das Vorliegen einer defizitären Entscheidung könnte die gewählte äußere Form der Ausführung der Entscheidung sein. Es wird nämlich unterstellt, dass die Delegation der Ausführungshandlung psychisch leichter fällt, als die eigenhändige Vornahme der selbstschädigenden bzw. -gefährdenden Handlung.99 Erhebliche Hemmungen, die sich gegen die Selbstvornahme der Rechtsgutsbeeinträchtigung geltend machen, 93

Vgl. Feinberg, Harm to Self, S. 119. Köhler, ZStW 1992, S. 18 f.; ders., AT, S. 255 f. Ähnlich auch Klimpel, Bevormundung, S. 29 ff., 71 f., 96 f.; Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 134 f.; Maatsch, Selbstverfügung, S. 189 ff. Zur Kritik vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 255 f.; Tenthoff, Die Tötung auf Verlangen, S. 96 f. 95 Nach Schroth, in: FS-Volk, S. 728 bedürfen irreversible Eingriffe, die die Freiheit des Handelnden eklatant beeinträchtigen, eines „nachvollziehbaren Grundes“. Er räumt selbst ein, dass, was noch als nachvollziehbares Interesse verstanden wird und was nicht mehr, eine Frage des gesellschaftlichen Standards ist. Es ist ihm trotzdem zuzustimmen, dass die Irreversibilität der Entscheidung die Existenz eines Autonomiedefizits nahelegt. 96 Mit Recht bemerkt Feinberg, Harm to Self, S. 120: „Aged patients in terrible pain from incurable illnesses, in that case, might choose death voluntarily by standards a good deal lower than those applied to youthful depressed would-be suicides.“ Ähnlich Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 165 Fn. 160. 97 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 188. 98 So aber Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 135. 99 Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 264 ff.; Dölling, GA 1984, S. 86; Engisch, in: FS-Dreher, S. 317 f.; Hirsch, FS-Lackner, S. 612, 614; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, S. 107; ders., FS-GA, S. 184; ders., NStZ 1987, S. 347 f.; ders., TuT8, S. 569.; Schünemann, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 31. 94

B. Leitlinien zur Zulässigkeit eines begrenzten Paternalismus

45

bestehen vor allem bei solchen Handlungen, die sich gegen das Leben und die körperliche Integrität richten. Ich möchte hier die empirische psychologische Basis dieser Annahme nicht in Frage stellen.100 Die Delegation der Ausführung als Indiz für ein Entscheidungsdefizit erreicht jedenfalls dort ihre Grenzen, wo die gewählte Form der Selbstverfügung ihren Grund nicht in psychischen Hemmnissen hat, sondern die unvermeidliche Folge eines physischen Defizits darstellt oder aus sonstigen Motiven des Einzelnen erklärt werden kann. Es sind nämlich Fälle vorstellbar, wo die eigenhändige Vornahme gar nicht möglich ist (z. B. wegen einer Lähmung) oder der besondere Reiz gerade davon ausgeht, dass die Handlung von einem anderen vorgenommen wird (z. B. riskante sportliche Betätigungen).101 Verliert die Delegation der Ausführungshandlung ihre indizielle Kraft, dann muss man sich an anderen Hinweisen auf die Qualität der Entscheidung orientieren. Ich habe bisher die Zulässigkeit weich paternalistischer Eingriffe im Bezug auf konkrete Entscheidungen des Einzelnen untersucht. Der Gesetzgeber muss aber beim Erlassen von Rechtsnormen Generalisierungen vornehmen.102 Es ist immer problematisch, in einer pluralistischen Gesellschaft Typisierungen vorzunehmen, ohne jemanden zu benachteiligen.103 Es stellt sich daher die Frage, ob sich das für den Einzelfall entwickelte Konzept auf generelle paternalistische Maßnahmen übertragen lässt. Es wäre illusorisch zu erwarten, man könne aus dem dargestellten Konzept fertige Anweisungen bekommen, die auch generell für defizitäre Entscheidungen Geltung beanspruchen. Es besteht nämlich die Schwierigkeit, dass bei Normen nicht auf konkrete, dem Betroffenen unterstellte kognitive Fehler oder volitive Abweichungen abgestellt werden kann, auf die der Eingriff gestützt wird.104 Insofern muss ein zusätzlicher Schritt gemacht werden. Der Gesetzgeber kann mit Blick auf die Möglichkeit eines Entscheidungsdefizits berechtigt sein, auch solchen Entscheidungen die Wirksamkeit zu versagen, die in Wahrheit nicht defizitär getroffen wurden. Denn bei der Begründung rechtlicher Regeln ist von einem nicht mehr tolerablen Risiko einer defizitären Entscheidung auszugehen, wenn sich in einem bestimmten Lebensbereich, das Vorliegen tatsächlicher Zustände nur über Indizien erschließen lässt und es deshalb nur um die Frage gehen kann, welche Indizien dafür ausreichen sollen.105 Es handelt sich dabei um eine komplexe Abwägung, in deren Rahmen einerseits Effizienzgesichtspunkte, andererseits der Wert des Rechtsgutes, das im Falle einer 100 Zu den Einwänden gegen diese empirische Annahme siehe Neumann, in: FatehMoghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 255. 101 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 491 f.; von Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 679 f.; dies., in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 80 f. 102 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 192 f.; Mayr, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 70. 103 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 88 104 Vgl. Mayr, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 70. 105 So Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 495.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlagen

defizitären Entscheidung betroffen ist, die Höhe des Risikos, dass eine defizitäre Entscheidung getroffen wurde bzw. wird, und die Möglichkeit, die selbstbestimmte Entscheidung im Falle ihrer Unwirksamkeit noch auf andere Weise zu realisieren, zu berücksichtigen sind.106 Das Recht muss nicht die Wirksamkeit einer nicht-defizitären Entscheidung auch dort garantieren, wo bestimmte objektive Umstände die Möglichkeit nahe legen, dass es sich um eine defizitäre Entscheidung handelt. Die zu verfolgende Strategie im Besonderen Teil der Arbeit wird sein, auf die in diesem Teil skizzierten Leitlinien für die zulässigen Grenzen des weichen Paternalismus zurückzugreifen und sie bei der Analyse der paternalismusverdächtigen Straftatbestände weiterzuentwickeln.

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Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 495.

2. Teil

Verfassungsrechtliche Grundlagen A. Die Paternalismuskritik als Produkt des politischen Liberalismus Geht man von einem Konzept aus, das den Staat als eine moralische Anstalt zur Erfüllung der allen Menschen obliegenden Pflicht zur Vervollkommung ansieht, dann erscheint es völlig legitim, die bürgerliche Wohlfahrt ohne und manchmal sogar gegen den Willen des Einzelnen zu fördern und ihm eine grundlegende Pflicht zur Selbsterhaltung aufzuerlegen. Apotheose eines solchen paternalistischen Staates war der aufgeklärte Absolutismus des 18. Jahrhunderts.1 Erst der Versuch, die legitimen Grenzen der staatlichen Gewaltausübung genau zu bestimmen, ermöglichte die Paternalismuskritik des 19. Jahrhunderts.2 Der Schutz des Menschen vor sich selbst wird aus dem Kreis zulässiger Staatszwecke ausgeschlossen und als einziger legitimer Grund von Freiheitseinschränkungen wird nunmehr die Verhütung der Schädigung anderer verstanden.3 Der eudämonistische Despotismus des Wohlfahrtsstaates des 18. Jahrhunderts wird als illegitim angesehen und der Staat wird auf den Schutz des gleichen subjektiven Rechtes aller, unbehelligt von staatlichen Interventionen innerhalb der allgemeinen Gesetze ihre eigenen Vorstellungen von einem glücklichen Leben zu realisieren, eingegrenzt.4 Die liberale Ordnung gründet auf der wechselseitigen Anerkennung von souveränen, autonomen Individuen, die fähig sind, Werte, Vorstellungen und Ziele ihres Lebens selbst festzulegen. Unter Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts des Individuums, verdeutlicht durch die Gewährleistung der mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundfreiheiten, konnte die

1

Zu den Staatszwecklehren des aufgeklärten Absolutismus und ihren Vertretern siehe Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 27 ff.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 18 ff. 2 Zur politischen Philosophie der Aufklärung siehe Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 49 ff. 3 Grundlegend sind hierbei die Ausführungen von John Stuart Mill, Über die Freiheit, S. 16 und Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, S. 145. 4 Zu dem Gebot der staatlichen Neutralität gegenüber den widerstreitenden Vorstellungen des guten Lebens vgl. Huster, Die ethische Neutralität des Staates. Eine liberale Interpretation der Verfassung (2002).

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Frage nach Inhalt und Grenzen eines legitimen Rechtspaternalismus gestellt werden.5 Der Streit um Inhalt und Grenzen eines staatlichen Paternalismus erlangt also erst mit einer Entscheidung für den normativen Individualismus Bedeutung, eine Position also, wonach Politik und Recht in letzter Instanz nur durch Bezug auf alle jeweils betroffenen Menschen zu rechtfertigen sind.6 Dies lässt sich gerade bestätigen, wenn man den Hauptgedanken der liberalismuskritischen Gegenströmung des Kommunitarismus in den Vordergrund zieht. Hier kann es nicht darum gehen, die Liberalismus-Kommunitarismus Debatte und ihre Entwicklung in allen Facetten nachzuzeichnen; vielmehr soll der Blick lediglich auf einen bestimmten Aspekt gerichtet werden, der gerade für den Paternalismus von besonderer Bedeutung ist: die Kritik an den „atomistischen“ anthropologischen Prämissen der liberalen Theoriebildung und ihre Konsequenzen für die Paternalismusdiskussion.7 Kommunitaristen betonen die Konstitution der personalen Identität durch die Einbettung in Lebenszusammenhänge. Michael Sandel meint, dass ein angemessener Begriff der Person von der konstitutiven Vorrangigkeit einer Gemeinschaft, die dem Einzelnen Werte und Identität vermittelt, auszugehen hat.8 Die für eine Identität notwendigen Bestandteile und Überzeugungen seien nicht gewählt, sondern werden vom Selbst innerhalb eines „umfassenden Lebens“ vorgefunden. Selbstbestimmung werde daher innerhalb der sozialen Rollen und nicht unabhängig von ihnen ausgeübt. Sandel betont, dass das Subjekt an der Konstitution seiner Identität „partizipiert“9 und dass somit die Möglichkeit zu distanzierender Reflexion und der Revision einer gegebenen Identität bestehe.10 Seine Darstellung erscheint aber widersprüchlich, als er einerseits die Distanzierung für das handelnde Subjekt als gefährlich ansieht11, andererseits jedoch eine subjektive Introspektion für möglich hält. Er verallgemeinert seine These und kommt zu dem Schluss, dass jede deontologische Moralkonzeption seit Kant aufgrund ihrer unzutreffenden, voluntaristischen Konzeption des Selbsts zum Scheitern verurteilt sei. Wenn aber wir unsere Identität nur in der Zugehörigkeit zu substanziellen Gemeinschaften mit ihrem je spezifischen Hintergrundbegriff des „Guten“ finden könnten, bestünde kein Anlass, nennenswerte Spielräume eigenverantwortlicher 5 Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 25. 6 von der Pfordten, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 97.; ders., JZ 2005, S. 1069. Für Paternalismus als Erscheinungsform des Kollektivismus vgl. Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 18 f. 7 Zur Kritik an dem „ungebundenen Selbst“ des Liberalismus vgl. Brugger, AöR 1998, S. 340 ff.; Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, S. 23 ff. 8 Sandel, Liberalism and the Limits of Justice, S. 55 ff., 152 ff., 172. 9 Sandel, Liberalism and the Limits of Justice, S. 153. 10 Sandel, Liberalism and the Limits of Justice, S. 179. 11 Sandel, Liberalism and the Limits of Justice, S. 179.

A. Die Paternalismuskritik als Produkt des politischen Liberalismus

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Entscheidung rechtsförmig zu schützen.12 Der kleine Spielraum zur Selbstrevision ihrer Identität, der den Individuen bei Sandel eingeräumt wird, dient der Anpassung ihrer verbliebenen Interessen und Bedürfnisse an den vorkonstituierten Teil der eigenen Person. Auf diese Weise lässt die Konstitutionsthese keinen Raum für individuelle moralische Autonomie. Die Gemeinschaft wird als homogenes Großsubjekt betrachtet, in der eine Einheit von kollektiver und individueller Identität herrscht. Die Hervorhebung der Idee des Gemeinwohls und die damit verbundene Vorrangigkeit gemeinschaftsbezogener Werte führen dazu, dass das Individuum zu seinem vorbestimmten Wohl gezwungen werden kann. Bei einem derartigen normativen Kollektivismus der Förderung des Gemeinwohls erscheint eine Kritik des Rechtspaternalismus überflüssig und bedeutungslos. Was als Paternalismus erscheine, sei nur Nebenwirkung der rechtsförmigen Durchsetzung von Gemeinschaftsinteressen.13 Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist daher eine Rechtsbegründung von dem Individuum her, die eine Instrumentalisierung des Einzelnen zugunsten der Gemeinschaft ausschließt. Die Wendung des liberalen zum sozialen Rechtsstaat der Nachkriegszeit stellte den Bürger wiederum in das Spannungsverhältnis zwischen Individualfreiheit und sozialer Bindung.14 Die Bestimmung der Grenzen zwischen unzulässiger Bevormundung des Einzelnen durch die Gemeinschaft und der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht bezüglich hochwertiger Rechtsgüter wirft erhebliche Schwierigkeiten auf.15 Eine weitestgehende Gemeinschaftsbindung des Einzelnen als Kehrseite sozialstaatlicher Daseinsvorsorge würde einerseits die Freiheit zum Risiko erheblich einschränken. Andererseits stellt die Komplexität der modernen Gesellschaft mit ihrer kaum noch überschaubaren Vielzahl von Handlungsalternativen und dem Zerfall tradierter Verhaltensmuster höhere Anforderungen an die Entscheidungsbereitschaft und die Selbststeuerung der Individuen.16 Dieser auf die Sicherung individueller Entscheidungsfreiheit zielende Schutzauftrag muss auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden. Die Bezugnahme auf verfassungsrechtliche Wertungen hängt wiederum mit dem Versuch zusammen, unmittelbar von den verfassungsrechtlichen Vorgaben ausgehend die Grenzen eines zulässigen staatlichen Paternalismus für das Strafrecht abzustecken. Der Rückgriff auf das Grundgesetz als Inbegriff der normativen Identität einer Gesellschaft ist deshalb unerlässlich. Ausgehend von diesen Überlegungen sind im Folgenden insbesondere zwei Fragen zu beantworten. Es ist zunächst zu untersuchen, ob selbstschädigendes bzw. -gefährdendes Verhalten überhaupt grundrechtli12

Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 194. Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 196. 14 Hesse, Der Schutzstaat, S. 17 f.; Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 39; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 85. 15 Zu den Formen des Paternalismus im Hinblick auf das staatliche Bereitstellen kollektiver Güter vgl. Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 441 ff. 16 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 3 f.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 115 f. 13

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

chen Schutz genießt, so dass sich staatliche Maßnahmen, die solche Verhaltensweisen verbieten, als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe darstellen. Danach wird zu erörtern sein, ob eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung solcher Eingriffe mit der alleinigen Zielsetzung des Schutzes des mündigen Bürgers vor sich selbst möglich ist. Dabei werden die im verfassungsrechtlichen Schrifttum angeführten Begründungsansätze hinsichtlich der Legitimität dieses Zwecks dargestellt und kritisch gewürdigt. Anhand der Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollen schließlich die latenten Strategien für die Legitimation der paternalistisch suspekten Vorschriften entlarvt werden.

B. Die grundrechtsdogmatische Verortung der Selbstverfügungsfreiheit I. Die Relevanz der einzelnen Grundrechte für den grundrechtlichen Schutz selbstverfügender Entscheidungen Zunächst einmal bedarf es der Klärung die Frage, ob und inwieweit selbstverfügendes Verhalten als Betätigung grundrechtlich geschützter Freiheit verstanden werden kann, so dass sich staatliche Interventionen zum Schutz des Einzelnen vor den Folgen eben dieses Verhaltens als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe darstellen.17 In der verfassungsrechtlichen Literatur wird das Recht auf Selbstgefährdung bzw. -schädigung und die Möglichkeit einer konsentierten Fremdgefährdung bzw. -schädigung18 überwiegend aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) bzw. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) hergeleitet. Zweifellos greifen die speziellen Grundrechte ein, wenn ihr jeweiliger Schutzbereich durch das selbstverfügende Verhalten betroffen wird. Ihre Relevanz für die verfassungsrechtliche Einordnung der Selbstverfügungsfreiheit als solche bleibt, wie zu zeigen ist, allenfalls marginal. 17 Geht man von einem Grundrecht des Einzelnen auf Sicherheit aus, wird das Problem der Befugnis zur Selbstgefährdung zur Frage des Verzichts auf den in den Einzelgrundrechten verankerten Rechtspositionen. Demnach sei auch ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Selbstgefährdung nicht erforderlich. So Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 221, der zwar über ein „Recht auf Schutz gegen Selbstgefährdung spricht und die Figur eines Grundrechtsschutzes gegen sich selbst als überflüssig sieht. Wie aber Schwabe, JZ 1998, S. 70, richtig betont, geht es hier nicht um die Frage, ob der Staat etwas zum Schutz eines Rechtsguts unternehmen muss, sondern ob er es darf. Es steht nicht eine Schutzpflicht, sondern eine Schutzberechtigung zur Diskussion. 18 Es handelt sich insoweit um die Entfaltungsfunktion der Einwilligung, die es dem Rechtsgutsträger ermöglicht, entsprechend seinen Vorstellungen mit Hilfe Dritter über sein Rechtsgut zu verfügen. Die rechtliche Unwirksamkeit einer solchen Einwilligungserklärung begründet eine Freiheitseinschränkung, die legitimationsbedürftig ist. Vgl. Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 78 und Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 20 ff.

B. Die grundrechtsdogmatische Verortung der Selbstverfügungsfreiheit

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Die einzelnen Freiheitsrechte werden für den grundrechtlichen Schutz selbstverfügender Entscheidungen zunächst in ihrer abwehrrechtlichen Dimension relevant, wenn die Realisierung einer solchen Entscheidung nur durch einen Eingriff in Grundrechtsgüter verhindert werden kann (z. B. lebensrettende ärztliche Eingriffe in die körperliche Integrität eines die tödliche Krankheit bzw. Verletzung hinnehmenden Patienten). Das Eingreifen der einzelnen Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension stellt aber kein spezifisches Problem der Selbstverfügungsfreiheit dar, sondern ist durch den speziellen Garantiegehalt der einschlägigen Grundrechtsnorm gekennzeichnet.19 Die Verortung in den speziellen Grundrechten findet nicht gerade in dem spezifisch selbstverfügenden Charakter des Verhaltens ihre Berechtigung auch in Fällen, in denen die Selbstverfügung zugleich Ausübung einer anderen grundrechtlich geschützten Freiheit ist oder als Zwischenschritt hierzu dient.20 Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das selbstverfügende Verhalten um der Ausübung eines bestimmten Glaubens willen nach Art. 4 Abs. 1 GG vorgenommen wird, wissenschaftlichen Zwecken dient oder demonstrativen Charakter hat und damit eine Meinungsäußerung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG darstellt oder in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit erfolgt, die unter Art. 12 Abs. 1 GG fällt.21 Die Gewissensfreiheit ist für die Frage des grundrechtlichen Schutzes selbstverfügenden Verhaltens nachrangig, wenn eine dem eigenen Gewissen zuwiderlaufende normative Vorgabe nicht vorliegt und damit kein Konflikt mit der selbstverfügenden Handlung entsteht. Auch die Überschneidung einer Selbstverfügung mit der Ausübung eines Berufes ist nicht zwangsläufig, wenn die in Frage stehende Tätigkeit nicht unter den Berufsbegriff fällt, weil sie z. B. nur einmal ausgeübt wird und nicht auf Dauer angelegt ist. Der Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts wird hier zusätzlich betroffen und nicht um der Freiheit zur Verfügung selbst willen eröffnet.22 Den primären Schutz der Selbstverfügungsfreiheit betrifft dagegen die Frage, ob das Verfügungsrecht über ein Gut dem Schutzbereich des auf dieses Gut bezogenen speziellen Grundrechts unterfällt. Nach Sternberg-Lieben sei das Selbstbestimmungsrecht über das jeweils geschützte Gut allen Grundrechten immanent.23 Dagegen erhebt Amelung den Einwand, dass die Befugnis, ein Rechtsgut preiszugeben, sachlich und begrifflich nicht mit der Befugnis, das Rechtsgut gegen den Staat zu verteidigen, identisch sei. Die historische Interpretation der Grundrechte lege es nahe, diese allein als Abwehrrechte gegen den Staat und die Möglichkeit der Preisgabe dieser Grundrechte in der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt zu sehen.24 Eine Verortung der Verfügungsfreiheit in den Einzelgrundrechten ergebe 19

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 227; Schwabe, JZ 1998, S. 69. In diesem Sinne auch Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 126 Fn. 388. 21 Schwabe, JZ 1998, S. 69. 22 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 234. 23 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 19 f. So auch Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 66 II 2e. 24 Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S. 29. 20

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

sich aufgrund ihrer strukturellen Unterschiede allenfalls durch ihre Auslegung.25 Eine verallgemeinernde Aussage erscheine dagegen verfehlt, weil ein qualitativer Unterschied für den Gutsinhaber zwischen staatlichen Eingriffen in ein grundrechtlich geschütztes Gut und der Reglementierung seiner Dispositionsfreiheit bestehe.26 Gegen den behaupteten qualitativen Unterschied im Eingriffscharakter wird ausgeführt, dass die einzelnen Freiheitsgrundrechte nach dem „modernen Eingriffsbegriff“ des Verfassungsrechts durch staatliche Eingriffe ganz unterschiedlicher Qualität beeinträchtigt werden können.27 Murmann bemerkt zutreffend: „Der Unterschied wird in den Schrankenbestimmungen der Grundrechte reflektiert, die Grenzen des Schutzes eines Guts markieren und nicht ohne weiteres als Grenzen der Verfügungsfreiheit für den Inhaber des Guts verstanden werden können“.28 Zudem verkennt die Berufung auf Grundrechte mit mehrdimensionaler Schutzrichtung, die neben dem positiv garantierten Freiheitsgebrauch auch negativ die Nichtausübung der Freiheit schützen sollen, die Existenz von Grundrechten, die ihrem Inhaber gar keine Einwirkungsbefugnisse verleihen, sondern lediglich ein Rechtsgut im Verhältnis zum Staat subjektiv zuordnen. Hier greift die Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG samt ihren Schranken ein.29 Der Rückgriff auf das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit kommt daher auf jeden Fall in Betracht, wenn man entsprechende selbstverfügende Entscheidungen nicht dem Schutzbereich eines speziellen Grundrechts zuordnen kann.30 Auf eine differenzierende Behandlung der verschiedenen Grundrechte kann indes hier verzichtet werden.31 In dem verfassungsrechtlichen Schrifttum wird insbesondere die Frage kontrovers diskutiert, ob Verfügungen über das Leben und die körperliche Unversehrtheit dem Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unterfallen.32 Dieser Streit kann für die hiesige Untersuchung dahinstehen, da sich angesichts 25 Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S. 28; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 231 f.; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 140 f.; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 29 ff. 26 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 231. 27 Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 80. 28 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 231. Die Bedeutung der genauen grundrechtlichen Verankerung der Einwilligung für die Schrankenbestimmung betont ebenfalls Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 18 und Merkel, Früheuthanasie, S. 401. 29 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 140. 30 Dietlein, Die Lehre der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 225; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 104; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 115; Hohmann/Matt, JuS 1993, S. 373; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 45; Schwabe, JZ 1998, S. 69. 31 Eingehend hierzu Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 29 ff. 32 Dagegen etwa Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 12; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 67 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 61; Kunig, in: GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 2 Rn. 50; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 94; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 232; Schwabe, JZ

B. Die grundrechtsdogmatische Verortung der Selbstverfügungsfreiheit

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des einfachen Gesetzesvorbehalts in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zumindest in vergleichbarem Maße bei Art. 2 Abs. 1 GG stellt.33 Es muss genügen darauf hinzuweisen, dass die speziellen Freiheitsgrundrechte keine allgemeine Erklärung anbieten können, warum die Selbstverfügungsfreiheit als solche grundrechtlich geschützt sein sollte.34

II. Der Schutz des selbstverfügenden Verhaltens durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG Selbstverfügende Verhaltensweisen wären von vornherein dem grundrechtlichen Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG entzogen, wenn man in Anlehnung an die früher vertretene Persönlichkeitskerntheorie den Schutzbereich auf die geistig-sittliche Persönlichkeitsentfaltung einschränken würde.35 Diese enge Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG soll der Eigenart der Grundrechte als „punktueller Gewährleistungen der Freiheit besonders wichtiger oder gefährdeter Lebensbereiche“ entsprechen.36 Dieser wertende Vergleich mit den übrigen Freiheitsrechten führt nicht zwangsweise zu einer Ausgrenzung weniger wertvoller, für die Persönlichkeitsentfaltung unerheblicher Betätigungen, da die speziellen Freiheitsrechte auch belanglose Handlungen umfassen können.37 Eine solche enge Auslegung, die die Handlungsfreiheit auf einen bestimmten Bereiche schützenwerten Verhaltens reduziert, enthält eine Bewertung anhand von wertethischen Maßstäben.38 Die Kriterien der Grenzziehung zwischen belangloser und besonders achtenswerter Freiheitsausübung lassen sich jedoch in einer pluralistischen Gesellschaft nicht verallgemeinern.39

1998, S. 69; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 12 ff. a.A. Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 80 ff.; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 98; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 392. 33 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 142; Hufen, NJW 2001, S. 851; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 135; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 29. 34 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters, S. 7. 35 So aber Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 428; Peters, in: Laun-FS, S. 673; ders., Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 48, 74. Kritisch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 309 f.; Evers, AöR 1965, S. 88 ff.; Hillgruber, Der Schutz des Menschen, S. 112 ff. 36 So Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 428. Ähnlich argumentiert in seinem Sondervotum auch Grimm, BVerfGE 80, 164 f. 37 Degenhart, JuS 1990, S. 163. 38 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 236. 39 Vgl. Cornils, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, S. 1182; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 17. BVerfGE 80, 137 (154) stellt ebenfalls auf derartige, in der Praxis kaum lösbare Abgrenzungsprobleme ab.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Über die Abgrenzungsschwierigkeiten hinaus stellen die engeren Konzeptionen einer positiv definierten Persönlichkeitsentfaltung den Sinn der allgemeinen Handlungsfreiheit überhaupt in Frage. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit liegt gerade darin, dass dem Einzelnen nicht ein inhaltlich vorgegebenes Konzept einer werthaften Persönlichkeitsentfaltung aufgedrängt werden kann.40 Gegen die Ausgrenzung bestimmter Freiheitsbetätigungen aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG lässt sich das der Menschenwürdegarantie immanente Autonomieprinzip einwenden. Wenn Art. 1 Abs. 1 GG als oberstes Konstitutionsprinzip der Verfassung auf die nachfolgenden Grundrechte einwirkt, müssen Inhalt und Reichweite der grundrechtlichen Gewährleistung vor dem Hintergrund des aus Art. 1 GG fließenden Autonomieprinzips bestimmt werden.41 Der Autonomiegehalt der Menschenwürde hat zur Folge, dass jeder frei darüber entscheiden darf, ob und mit welcher ethischen Zielsetzung er von seiner Freiheit Gebrauch macht. Die Würde des Menschen besteht gerade in der freien Willensbildung und -betätigung, sofern keine Freiheitsrechte anderer tangiert werden. Darüber hinausgehende Versuche, den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG unabhängig von widerstreitenden Interessen der Grundrechtsträger auf einen Persönlichkeitskern einzuengen, sind vor dem Bekenntnis zur Menschenwürde nicht überzeugend.42 Eine Begrenzung des Grundrechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG wird verschiedentlich mit einer streng am Wortlaut orientierten Interpretation begründet, wenn die auf Lebensbeendigung zielenden Selbstverfügungen als Vernichtung und nicht als „Entfaltung“ der Persönlichkeit verstanden werden.43 Selbst die Vernichtung der physischen Existenz und damit jeglicher individueller Entfaltungsmöglichkeit kann einen letzten Akt der freien Selbstbestimmung darstellen.44 Problematisch erscheint insoweit die von Köhler vorgebrachte Argumentation, nach der eine selbstnegierende Freiheitsausübung gegen die Vernunftautonomie verstößt.45 Es ist zwar richtig, dass der Entzug der physischen Existenz sich als Verzicht auf die Möglichkeit vernünftigen Verhaltens darstellt. Er verkennt aber, dass der freiverantwortlich verfasste Entschluss zur Selbsttötung noch auf der physischen Existenz des vernunftbegabten 40 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 13; Cornils, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, S. 1182; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 49; Hufen, in: FS-50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 112 ff.; Lege, Jura 2002, S. 755. 41 Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 80 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 236; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 133; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 86. 42 Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 84; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 236. 43 Sonnen, JA 1977, S. 484; VG Karlsruhe 1988, S. 209. Hiergegen Gallas, JZ 1960, S. 653; Schmidhäuser, in: FS-Welzel, S. 816; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 89; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 83 m.w.N.; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 130. 44 Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 100; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 128. 45 Köhler, ZStW 1992, S. 18 f.; ähnlich Wilms/Jäger, ZRP 1988, S. 46.

B. Die grundrechtsdogmatische Verortung der Selbstverfügungsfreiheit

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Rechtssubjekts basiert. Es darf demnach nicht im Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG nach dem Persönlichkeitswert des in Frage stehenden Freiheitsgebrauchs differenziert werden. Die enge Auslegung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG nimmt Wertungen bei der Bestimmung des grundrechtlichen Tatbestandes vor und führt auf diese Weise zu einer Vorverlagerung der Interessenabwägung.46 Für die Persönlichkeitsentfaltung weniger gewichtige Betätigungen sind vielmehr unter Einbeziehung aller Umstände des konkreten Falls erst auf der Rechtfertigungsebene im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen.47 Geht man mit dem BVerfG48 und der h.M.49 davon aus, dass Art. 2 Abs. 1 GG nicht einen bestimmten, begrenzten Lebensbereich, sondern jegliche Form menschlichen Verhaltens schützt, so lässt sich nicht bestreiten, dass auch selbstverfügende Verhaltensweisen als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit umfassenden Schutz genießen.50 Schon der Bestand einer Verhaltensvorschrift, die dem Einzelnen die rechtliche Wirksamkeit seines selbstverfügenden Verhaltenes verbietet oder seiner Einwilligungserklärung die rechtliche Wirksamkeit versagt, stellt einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Verfügenden dar.

III. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Grundrecht zur Abwehr von Paternalismus Im Gegensatz zu den bisherigen verfassungsrechtlichen Untersuchungen, die die Zulässigkeit des staatlichen Paternalismus im Zusammenhang mit der Prüfung der Legitimität des Zwecks des aufgedrängten staatlichen Schutzes vor sich selbst behandeln, verschiebt Möller den Schwerpunkt seiner Erörterungen auf die Frage, ob sich aus der dogmatischen Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein

46

Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 24. Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 17. 48 BVerfGE 6, 32; 9, 83, 88; 80, 137, 152 f. 49 Jarras, in: Jarras/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 3; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 27 ff.; Degenhart, JuS 1990, S. 162 ff.; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 12; Hufen, Staatsrecht II, S. 234 f.; Kunig, in: v. Münch/Künig, GG, Art. 2 Rn. 12; Lang, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 2 Rn. 2; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 8 ff.; Murswiek, in: Sachs, GG Kommentar, Art. 2 Rn. 42 ff; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 386. 50 Dietlein, Die Lehre der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 225; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 85; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 116; Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 42; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 124 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 237; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 128; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 19. Nach Paeffgen, in: BGH-FS, S. 697, enthält die allgemeine Handlungsfreiheit auch die Achtung vor der Entscheidung zur Dummheit und Selbstschädigung (Hervorhebung von mir). 47

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

„echtes“ Grundrecht auf Paternalismusfreiheit konstruieren lässt.51 Er untersucht nämlich, ob eine Beeinträchtigung mit paternalistischer Zwecksetzung sich qualitativ von Beeinträchtigungen zum Schutz Dritter oder der Allgemeinheit so unterscheidet, dass es gerechtfertigt ist, diesen Aspekt des allgemeinen Freiheitsrechts besonders herauszustellen.52 Diese Annahme liegt zunächst einmal nahe, wenn man dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht den Schutz ethisch wichtiger Positionen zuordnet. Es entspreche dem Selbstverständnis des Einzelnen, Fragen die nur ihn betreffen, ohne paternalistische Bevormundung selbst entscheiden zu können.53 Die allgemeine Paternalismusfreiheit sei somit vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst. Dies hätte zur Konsequenz, dass dem Einzelnen wegen der paternalistischen Zielrichtung des Eingriffs das allgemeine Persönlichkeitsrecht zur Seite stände. Paternalistische Rechtsakte wären daher an zwei Grundrechten zu prüfen. Zunächst sei die Zulässigkeit des paternalistischen Regelungsziels anhand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu beurteilen. Sei dieses gerechtfertigt, liege kein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Danach müsse das direkt betroffene Grundrecht geprüft werden, das durch den Rechtsakt eingeschränkt werde, wobei im Rahmen der Schranken-Schranken die Frage nach der Legitimität des Paternalismus als Gesetzeszweck noch einmal auftaucht. Diese Frage sei dann je nach dem Ergebnis der vorangegangenen Prüfung zu bejahen oder zu verneinen.54 Demnach sollte bei einem paternalistisch motivierten Rauchverbot zunächst die Zulässigkeit des paternalistischen Zwecks durch eine Prüfung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ermittelt werden. Das Rauchverbot als solches greife zudem in die allgemeine Handlungsfreiheit ein und wäre folglich an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen. Damit verwischen jedoch die Konturen zwischen dem allgemeinen Freiheitsrecht und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Für die Abgrenzung des allgemeinen Freiheitsrechts von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird die Zweiteilung Handlung/Zustand bzw. Tun/Sein von Möller als nicht tragfähig betrachtet. Stattdessen wird die Einordnung einer Handlung als vom allgemeinen Freiheitsrecht oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt danach vorgenommen, ob ein ethischer oder ein pragmatischer Aspekt – nach der von Habermas ausgearbeiteten Differenzierung – im Vordergrund der Handlungsmotivation steht.55 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird damit zu einem Grundrecht auf Selbstbestimmung in grundlegenden Fragen der eigenen Lebensführung. Selbstbestimmung bedeutet in diesem Zusammenhang nicht Autonomie im allgemeinen Sinn, sondern die Möglichkeit, seine Identität selbst zu bestimmen. Sie bezieht sich nicht auf die Freiheit

51 52 53 54 55

Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 45 ff. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 96. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 97. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 99. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 63 ff.

C. Schranken der Verfügungsfreiheit

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der Handlung, sondern auf Kenntnis und Bestimmung der eigenen Identität.56 Bei einer selbstverfügenden Entscheidung liegt allerdings der Schwerpunkt nicht in ihrer identitätsstiftenden Wirkung, sondern vielmehr in der Freiheit des Individuums, diese Entscheidung erst recht selbstbestimmt fällen und durchführen zu können. Damit ist die Freiheit von staatlichen paternalistischen Interventionen eher Schutzgegenstand des allgemeinen Freiheitsrechts. Die dogmatische Konstruktion, Paternalismus als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu sehen, soll die Schwierigkeit von Hillgrubers Ansatz vermeiden, eine einheitliche Lösung für die Legitimität des Zwecks des Schutzes des Einzelnen vor sich selbst für alle Grundrechte auf einmal zu entwickeln, ohne die Besonderheiten des jeweiligen Grundrechts zu berücksichtigen.57 Es ist jedoch nicht zwingend, den von Hillgruber entwickelten Ansatz des Vorbehalts allgemeiner Gesetze zu übernehmen, um die Legitimität des Zwecks des Schutzes des Menschen vor sich selbst zu verneinen, zumal seine Ansicht in der Literatur als unvereinbar mit der verfassungsrechtlichen Schrankensystematik kritisiert wurde. Es ist nicht ersichtlich, wo der behauptete qualitative Erkenntnisgewinn durch die vorgeschlagene Aufspaltung der Grundrechtsprüfung liegt, da der einfache Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt. Die jeweiligen Überlegungen zur Legitimität des Schutzes vor sich selbst werden auf unterschiedlichen Ebenen geführt, gelangen aber praktisch zum gleichen Ergebnis. Die Aufnahme der Paternalismusfreiheit in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führt zu einer unnötigen Doppelprüfung der Legitimität der paternalistischen Zwecksetzung des in Frage stehenden Gesetzes und verfehlt den entscheidenden Gesichtspunkt. Es geht letztlich darum, ob paternalistische Eingriffe gerechtfertigt werden können, und nicht darum, ob das Grundgesetz ein „echtes“ Recht gegen Paternalismus enthält. Es liegt der Verdacht nahe, dass Möller die von ihm bevorzugte philosophische These hinsichtlich der Zulässigkeit des Paternalismus mit dieser Auslegung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts widerspruchslos in sein Konzept zu integrieren versucht. Dem Ansatz liegen zum großen Teil ergebnisorientierte Erwägungen zugrunde.58

C. Schranken der Verfügungsfreiheit Staatlicher Schutz vor Selbstverletzungen bzw. eingewilligten Fremdverletzungen bedeutet daher eine Freiheitsbeschränkung des Grundrechtsträgers, die verfassungsrechtlicher Legitimation bedarf. Das die Selbstverfügungsfreiheit einschränkende Gesetz muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen, d. h. geeignet und erforderlich zur Erreichung des jeweils verfolgten, seinerseits verfassungslegitimen 56 57 58

Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 38. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 103, 105. Vgl. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 181 f.

58

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Zwecks sein.59 Ob der Schutz des Einzelnen vor sich selbst als verfassungsrechtlich legitimer Zweck herangezogen werden kann, bedarf einer genaueren Klärung.60 Die meisten Untersuchungen im verfassungsrechtlichen Schrifttum gehen stillschweigend oder unbewusst von dem Erfordernis einer verfassungsrechtlichen Grundlage des aufgedrängten Schutzes vor sich selbst aus und prüfen anschließend nur aus der Verfassung abgeleitete Legitimationsansätze, ohne zu erörtern, ob dem Gesetzgeber darüber hinaus eine originäre Zwecksetzungskompetenz zusteht, die es ihm ermöglicht, neben den verfassungsrechtlich vorgegebenen Zwecken weitere eigenständige Ziele zu verfolgen.61 Wer den Schutz des eigenverantwortlichen Menschen vor sich selbst als Gesetzeszweck ablehnt, darf sich nicht darauf beschränken, zu zeigen, dass dieser von der Verfassung selbst als positiv vorgegebenes Ziel nicht verfolgt werden darf. Vielmehr kommen in der Verfassung nicht angesprochene Zielsetzungen in Betracht, die der demokratisch legitimierte Gesetzgeber für sich selbst und für die Gesetze anwendenden Staatsorgane aufstellt.62

I. Der Schutz des mündigen Menschen vor sich selbst als legitimer Gesetzeszweck 1. Verfassungsrechtlich vorgegebene Zwecke Zunächst soll untersucht werden, ob der Schutz des mündigen Bürgers vor sich selbst auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden kann. Für die Rechtfertigung von Freiheitseinschränkungen um des Schutzes des Betroffenen selbst willen werden verschiedene verfassungsrechtliche Begründungsansätze angeführt. So ließe sich der objektiven Wertordnung der Grundrechte oder der herausgehobenen Stellung der Menschenwürde als oberstem Verfassungswert eine Grenze des grundrechtlich verbürgten Freiheitsgebrauchs entnehmen. Außerdem könnte sich ein staatlicher Schutzauftrag zur Vermeidung selbstgefährdender Ver59

Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 107; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 272; Sachs, Verfassungsrecht II, Grundrechte, S. 148 f.; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 154; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 41; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 19. 60 Diese Frage kann entgegen Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 119 ff., 130 ff., nicht im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beantwortet werden. Sofern die Zulässigkeit des mit dem grundrechtseinschränkenden Gesetz verfolgten Zwecks festgestellt wurde, findet dieser Grundsatz Anwendung, um zu prüfen, welche Einschränkungen zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig sind. 61 Dies verkennt offenbar Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 107 ff., der eine Rechtfertigung von Paternalismus nur anhand der Autonomie gleichrangigen, entgegenstehenden Verfassungsprinzipien prüft; ähnlich auch Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 228 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 229 f. und Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 109 ff. 62 Sachs, Verfassungsrecht II, Grundrechte, S. 148.

C. Schranken der Verfügungsfreiheit

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haltensweisen aus dem Sozialstaatsprinzip ergeben. Ob sich aus diesen Verfassungsprinzipien eine Legitimationsgrundlage für den Schutz des Menschen vor sich selbst ableiten lässt, wird im Folgenden zu erörtern sein. a) Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten Die Grundrechte bezwecken die Sicherung der verfassungsrechtlich garantierten Freiheitssphäre des Einzelnen durch die Abwehr ungerechtfertigter staatlicher Eingriffe. Sie sind also in erster Linie als Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat konzipiert. Neben der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte hat das Bundesverfassungsgericht schon früh eine Pflicht des Staates, sich „schützend und fördernd“ vor ein grundrechtliches Schutzgut zu stellen, „das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren“.63 Es stellt sich freilich die Frage, ob die Schutzpflicht des Staates für grundrechtlich gewährte Freiheiten sich allein in der Abwehr von Übergriffen seitens Dritter erschöpft oder ob sie auch zum Schutz des Betroffenen vor sich selbst besteht. Eine solche Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit auch zugunsten des Grundrechtsträgers ist tatsächlich bejaht worden.64 Hinter solchen Annahmen steht ein Verständnis, das die Schutzpflichtenlehre aus der objektiven Dimension der Grundrechte entwickelt und die Freiheit als ein inhaltserfülltes Konzept auf- und abwertet.65 Damit ist grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, den Grundrechtsträger im Dienste seiner werthaft begriffenen Freiheit vor wertwidrigen Verhaltensoptionen zu schützen.66 Versteht man die Schutzpflicht als eine auf dem Gedanken der Herstellung von Sicherheit der Bürger untereinander beruhende Legitimationsgrundlage staatlichen Zwanges, dann erscheint es nahe liegend, diese Pflicht auf die Abwehr von Beeinträchtigungen anderer zu beschränken. Denn der Staat kann nicht für sich beanspruchen, die Sicherheit auch dort herzustellen, wo der Einzelne durch eigene Entscheidung selbst zugefügte Verletzungen oder Gefährdungen vermeiden könn-

63 BVerfGE 39, 1 (42); 49, 24 (53); 49, 89 (141); 53, 30 (57); 56, 54 (73); 77, 170 (214); 77, 381 (402); 92, 24 (46); siehe dazu Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 51 ff.; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 197 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 197 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 11 Rn. 350; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 1992, § 111; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht S. 130 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, § 69 IV 5d; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, passim. 64 BGH 46, 279, 285; BayObLG, NJW 1989, S. 1816; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, S. 734; Duttge, in: FS-Schlüchter, S. 783 f.; Tröndle, ZStW 1987, S. 38; aus philosophischer Sicht Hösle, Was darf und was soll der Staat bestrafen?, S. 54. 65 Böckenförde, NJW 1974, S. 1534. 66 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 246.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

te.67 Die staatstheoretische Ableitung von Schutzpflichten kann daher Grenzen der Handlungsfreiheit zum Schutz des Menschen vor sich selbst nicht legitimieren. Wenn man mit dem BVerfG die Rechtsbasis der Schutzpflichten in der objektiven Wertordnung bzw. dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte erblickt68, könnte ein Schutz des Einzelnen vor sich selbst insofern gerechtfertigt werden, als dass der subjektive Freiheitsgebrauch des Grundrechtsträgers am objektiven Gehalt des einschlägigen Grundrechts zu messen wäre und bei einem „wertlosen“ Freiheitsgebrauch gegebenenfalls zurücktreten hätte. Ein Rückgriff auf den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte zur Begrenzung des subjektiven Freiheitsgebrauchs stößt jedoch auf erhebliche Bedenken. Die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien besteht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft“.69 Die Verstärkungsfunktion setzt der Geltung der Grundrechte als objektiven Wertentscheidungen zugleich eine Grenze: Die subjektive Grundrechtsposition des Einzelnen darf durch den objektiven Grundrechtsgehalt nicht eingeschränkt werden, anderenfalls würde die intendierte Verstärkung des subjektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte in eine Grundpflicht des betroffenen Grundrechtsträgers umgedeutet werden.70 Die Abwehrfunktion der Grundrechte „lässt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbstständigen, in denen der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt“.71 Der objektive Gehalt eines Grundrechts ist mit seinem normativen Inhalt identisch. Für die Freiheitsrechte bedeutet dies, dass der „objektive Wert“ eben die Freiheit als solche ist.72 Somit kann durch die

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Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 246. BVerfGE 39, 1 (41); 49, 89 (142); 53, 30 (57); 73, 261 (269); 77, 170 (214). Das BVerfG weist auch auf den Menschenwürdegehalt der Einzelgrundrechte hin. Vgl. etwa BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (251). 69 BVerfGE 7, 198 (205); siehe auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 181; Stern, Staatsrecht III/1, § 68 III 4, S. 795; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 229 f.; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 176; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 182; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 69 II 3, S. 918. 70 Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 197 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 228 f.; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 130 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 247; Nitschmann, ZStW 2007, S. 570; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 220 f.; Schwabe, JZ 1998, S. 70; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 156 f.; SternbergLieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 34 ff.; ders., in: FS-Amelung, S. 341 f.; Tenthoff, Die Tötung auf Verlangen, S. 88; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 43 ff. 71 BVerfGE 50, 290 (337 f.). 72 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 127. 68

C. Schranken der Verfügungsfreiheit

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Anerkennung einer objektiven Wertordnung kein die Freiheitsrechte beschränkender Gehalt entnommen werden.73 Dagegen spricht auch die Schwierigkeit der Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über ein Grundrechtsgut und dem objektiv bestimmten Wert eben dieses Gutes. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung paternalistischer Maßnahmen geht es nicht um die Abwägung zwischen zwei kollidierenden Interessen verschiedener Grundrechtsträger, sondern um die Selbstverfügungsfreiheit ein und derselben Person.74 Wenn der Einzelne nach der Zweckrichtung der staatlichen Maßnahme vor sich selbst geschützt werden soll und diese Eingriffsmaßnahme das Selbstbestimmungsrecht des sich freiwillig Gefährdenden betrifft, fallen der staatlich verfolgte Zweck mit der Beeinträchtigung zusammen.75 Eine Abspaltung des im Grundrecht geschützten Werts von seinem Träger und dessen Freiheitsausübung ist – wie schon dargelegt wurde – mit der freiheitssichernden, abwehrrechtlichen Garantiefunktion der Grundrechte unvereinbar. b) Schranken aus dem Schutz der Menschenwürde Der Schutz der Menschenwürde soll das Individuum vor einer Instrumentalisierung durch andere bewahren, unabhängig davon ob eine Würdeverletzung von staatlicher oder privater Seite droht.76 Dieser normative Gehalt des Gebots, die Würde des Menschen „zu achten und zu schützen“, ist unstrittig und in Art. 1 des Grundgesetzes als unantastbar festgeschrieben. Eine andere Frage ist, ob die Achtung der Menschenwürde Pflichten des Menschen gegenüber sich selbst begründet, und daher Selbstbestimmung nicht nur schützt, sondern auch einschränkt. Es wurde nämlich argumentiert, dass auch Handlungen, die den Umgang mit sich selbst betreffen, die Menschenwürde verletzen können, wenn sie eine eklatante Missachtung oder Erniedrigung der eigenen Person zum Ausdruck bringen, also im Sinne der Kantischen Würdeformel eine Selbstinstrumentalisierung bedeuten, in der der Mensch sich nicht mehr zugleich als Zweck begreifen kann.77 Insbesondere hat die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung unter Hinweis auf die Menschenwürde selbstverfügenden Entscheidungen Grenzen gesetzt und aus 73

Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 181, bemerkt richtig: „Soweit die in den Grundrechten enthaltene objektiv-rechtliche Garantie subjektive Rechte einschränkt, lässt sich dies nur über die Lehre der Grundrechtsschranken bewerkstelligen.“ 74 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 35 f; ders., in: FSAmelung, S. 342; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 89. 75 Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 132 ff.; Merkel, Euthanasie, S. 397; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 156; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 40 ff. 76 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 70; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 46 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 1 Rn. 27; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 40; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 29. 77 So Enders, Die Menschenwürde, S. 368.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Art. 1 Abs. 1 GG eine Pflicht zum Eingreifen hergeleitet.78 In seinem ersten PeepShow-Urteil sah das Bundesverwaltungsgericht eine Verletzung der Menschenwürde in der objekthaften Rolle der Frau, die wie eine der sexuellen Stimulierung dienende Sache zur entgeltlichen Benutzung dargeboten wird. Da die Würde des Menschen ein „objektiver, unverfügbarer Wert“ sei, könne der Einzelne nicht auf sie verzichten, so dass es keine Rolle spielen könne, wenn die Darstellerinnen freiwillig handelten.79 Die Entscheidung ist zu Recht auf heftige Kritik gestoßen, weil sie den Grundsatz der Menschenwürde zu einem „Wertabsolutismus“ verändere.80 Unter Bekenntnis zu einer objektiven materialen Werttherorie der Grundrechte definiert das Gericht die Menschenwürde als einen inhaltlich für den Grundrechtsträger bereits festgelegten Wert, so dass eine Herabwürdigung des Betroffenen unabhängig von dessen individueller Einstellung angenommen wird. Damit wird die Wertwidrigkeit des in Frage stehenden Verhaltens von einer heteronomen Perspektive aus bestimmt. Eine objektiv-rechtliche Dimension der Menschenwürde lässt sich zwar nicht in Abrede stellen, denn sie ist Staatsfundamentalnorm und soll als Prinzip einen objektiven Bestand an Werten sichern und damit garantieren, dass individuelle Würde überhaupt möglich ist.81 Diese objektive Schutzrichtung ist jedoch nicht mit einem objektiven Verständnis der Menschenwürde zu verwechseln. Es muss vielmehr beachtet werden, dass der Wertgehalt der Menschenwürde durch das Schutzgut des Art. 1 Abs. 1 GG bestimmt ist: der Mensch in seiner individuellen Freiheit ist der Wert, den das Grundgesetz zum Gegenstand hat.82 Die Erhebung des objektiven Gehalts der Menschenwürde über die Freiheit des Einzelnen stellt eine Missachtung der Subjektqualität dar. Der Versuch, der Menschenwürdegarantie eine Schranke der Selbstverfügungsfreiheit zu entnehmen, verkennt ihren normativen Aussagegehalt. Denn der Schutz der Menschenwürde ist wesentlich durch die Achtung der individuellen Selbstbestimmung geprägt und gebietet, die freie Entscheidung über die eigene Lebensgestaltung innerhalb der durch die Sozialbindung gezogenen Grenzen zu respektieren.83 Zwar ist die Menschenwürde als Konstitutionselement des Rechtsstaats der 78 BVerwGE 64, 274, 277 ff. („Peep-Show-Entscheidung “); VGH München, NVwZ 1992, 76; VG Neustadt, NVwZ 1993, 98 („Zwergenweitwurf-Entscheidung“); VGH München, BayVBl. 1984, S. 152 („Frauenringkampf im Schlamm“). 79 BVerwG, NJW 1982, 664, 665. Zustimmend Hinrichs, NJW 2000, S. 2175; Duttge, in: FS-Schlüchter, S. 786; Gromius, JuS 1985, S. 174 f. 80 Für eine Kritik eines objektivierenden Menschenwürdeverständnisses am Beispiel der Peepshow-Entscheidung des BVerwGE 64, 274 siehe Hillgruber, Der Schutz des Menschen, S. 104 f.; Höfling, NJW 1983, S. 1582 ff.; Gusy, DVBl. 1982, S. 986; Klass, in: GS-Blumenwitz, S. 32 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 252 f.; v. Olshausen, NJW 1982, S. 2221 ff. 81 Klass, in: GS-Blumenwitz, S. 31. 82 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 251. 83 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 1 I Rn. 40; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 192; Hufen, NJW 2001, S. 851; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 75; Kämpfer, Selbstbestimmung Sterbewilliger, S. 214 f.; Klass, in: GS-Blumen-

C. Schranken der Verfügungsfreiheit

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Verfügung des Individuums entzogen.84 Aus der Unverzichtbarkeit der persönlichen Würde kann aber nicht die staatliche Befugnis abgeleitet werden, die Definition einer gleichsam vorgegebenen Menschenwürde dem Individuum aufzuzwingen. Der Menschenwürdeschutz steht und fällt mit der richtigen Definition des Garantiegehalts.85 Die Definitionsbefugnis über den konkreten Inhalt der Würde muss dem Betroffenen selbst als ein gleichsam „negatives Tatbestandsmerkmal“ des Art. 1 Abs. 1 GG zustehen, welches verhindert, dass sich der Anspruch auf Achtung der Würde in eine Pflicht zu würdigem Verhalten verkehrt.86 Liegt die Würde gerade darin, dass der Einzelne sich nach seinen eigenen Vorstellungen bestimmen kann, so ist es ausgeschlossen, eine fremdbestimmte Konkretisierung der Menschenwürde dem Individuum gegenüber in paternalistischer Weise durchzusetzen.87 Denn zur Menschenwürde gehört gerade, nicht zur Leistung von Würde gezwungen zu werden und selbst die maßgebliche Instanz für die Bestimmung der eigenen Würde zu bilden.88 Es erscheint auch abwegig, dem Einzelnen darzulegen, dass ihm eine Verletzung seiner Würde angetan wurde, die er selbst gar nicht bemerkt.89 Maßgeblich ist, ob der Handelnde seine Subjektstellung behält, was wiederum von der Freiwilligkeit seiner Entscheidung abhängt.90 Eine freiwillig begangene Handlung, witz, S. 34; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 230; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 250; v. Olshausen, NJW 1982, S. 2222; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 158; Robbers, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), MAK-GG, Art. 1 Rn. 22; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 11; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 173 f.; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 93; Zippelius, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof (Hrsg.), BK-GG, Art. 1 Abs. 1 und 2 Rn. 39. 84 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 225; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 138; Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 923; SternbergLieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. Vgl. auch BVerfGE 49, 286 (298): „Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität begreift und seiner selbst bewusst wird“. 85 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 34; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 138 ff. 86 So Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 48; Amelung, StV 1985, S. 259. 87 Benda, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, § 6 Rn. 57; FatehMoghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 115; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 190; Hufen, NJW 2001, S. 851; ders., Staatsrecht II, S. 156 f.; Köhne, ZRP 2001, S. 435; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 251; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 158; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 47 f.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S 87. 88 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 152; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 29; Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 46; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 88 f.; Manoledakis, in: FS-Bemmann, S. 72. 89 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 118; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 94. 90 Gusy, DVBl 1982, S. 986; Herdegen in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 75; Klass, in: GS-Blumenwitz, S. 35; v. Olshausen, NJW 1982, S. 2222; Roth, Eigentum an Körperteilen,

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

die der Einzelne als seiner Würde entsprechend ansieht, schließt einen Menschenwürdeverstoß aus. Nur in diesem freiheitlichen, die Entscheidung des verantwortlichen Menschen respektierenden Sinne ist die Menschenwürdegarantie zu verstehen. Dies heißt nicht, dass alle selbstverfügenden Darstellungen schon allein deshalb unproblematisch sind, weil und soweit die Teilnahme an ihnen freiwillig ist. Niemand wäre bereit, es zu akzeptieren, dass Menschen sich für hohe Geldbeträge vor laufender Kamera auf Leben und Tod bekämpfen oder russisches Roulette spielen. Es wäre wiederum voreilig, auf die wohlverstandenen Interessen und die Menschenwürde der Teilnehmer abzustellen. Es mag gute und nachvollziehbare Gründe dafür geben, dass jemand für einen entsprechenden Betrag zum allgemeinen Nervenkitzel beiträgt, indem er seine Gesundheit riskiert. Dagegen spricht aber unsere Sorge um die Orientierungssicherheit des Gemeinwesens.91 Wir wollen nicht, dass Menschen sich öffentlich totschlagen und erschießen, weil wir befürchten, dass derartige Darstellungen auf die Allgemeinheit sozial-ethisch desorientierend wirken und dadurch zu einer Verwahrlosung unseres Zusammenlebens führen.92 Der Staat darf nur dann einschreiten, wenn ein bestimmtes menschliches Verhalten die Grenze zur Sozialschädlichkeit überschreitet.93 Der Schutz Dritter oder der Allgemeinheit vor aufdringlichen, sie belästigenden oder gar (etwa Jugendliche) gefährdenden Darstellungen ist unter gewissen Voraussetzungen zulässig.94 Doch geht es um diesen Schutz, nicht um die Vorstellung, dass jemand gegen sich selbst oder gegen ein zweifelhaftes Verständnis seiner Würde geschützt werden müsste.95 Die Berufung S. 28 ff.; Robbers, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), MAK-GG, Art. 1 Rn. 22. Auch VG Berlin, NJW 2001, S. 986 betont, dass nur bei ernsthaften Zweifeln am eigenverantwortlichen Handeln, an der Fähigkeit zu einer freien Entscheidungsfindung, ein staatlicher Schutz gegen den (vordergründigen) Willen des Grundrechtsträgers in Betracht komme. 91 Huster, NJW 2000, S. 3478; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 203 f.; Kleinig, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 171: „Unreguliertes entwürdigendes Verhalten kann zu einer Verrohung des sozialen Umgangs führen und menschliche Entwicklung in ganz ähnlicher Weise beeinträchtigen wie belästigendes Verhalten“; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 432. 92 Huster, NJW 2000, S. 3478. 93 Roxin, AT I4, § 2 Rn. 22. 94 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 170 f., verneint zutreffend eine Belästigung des sittlichen Empfindens der Allgemeineheit durch Stripteasedarstellungen, weil die Beobachter zwar öffentlichen Zugang zu der Veranstaltung hätten, aber niemals unfreiwillig mit ihr konfrontiert werden könnten. Sofern die Veranstaltung nicht durch eine aufdringliche Werbung gegenüber unbeteiligten Passanten besonders hervortritt, ließe sich das Vorhandensein derartiger Shows ignorieren. Kleinig, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 166 erwähnt auch den Fall, in dem sich jemand gegen Entgelt als Darsteller in einem kommerziellen pornographischen Film freiwillig einer Reihe schwerer sexueller und persönlicher Entwürdigungen unterzieht. Hier könnten die möglichen sozialen Folgen Prüfpflichten, Werbebeschränkungen und Warnhinweisen nach sich ziehen, aber eine strafrechtliche Verfolgung des Darstellers oder ein absolutes Aufführungs- und Vertriebsverbot würden zu weit gehen. 95 So Benda, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, S. 190.

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auf den selbsterniedrigenden Charakter eines Verhaltens an und für sich reicht keineswegs aus, um paternalistische Eingriffe zu rechtfertigen.96 Abzulehnen ist in diesem Zusammenhang der Versuch, aus einer Vorstellung von „Gattungswürde“ als angeblich objektiv-rechtlicher Dimension der Menschenwürde durchsetzbare Pflichten der Grundrechtsträger gegenüber dem Humanum abzuleiten, die subjektive Dispositionsbefugnisse über Körper und Person begrenzen sollen.97 Derartige Annahmen beruhen auf einem Kategorienfehler. Denn die Bindung des Staates an die Würde des Menschen als einer objektiven Rechtsnorm setzt ein personales Schutzobjekt, als den würdebegabten Menschen voraus. Die objektive Seite läuft ins Leere, wo es ein solches Subjekt nicht gibt.98 Der Gedanke einer Gattungswürde wird tatsächlich in der so genannten Laserdorme-Entscheidung aufgriffen.99 Hier hatte das Gericht zu entscheiden, ob die gewerbliche Veranstaltung von Unterhaltungsspielen, bei denen mit Laserzielgeräten auf Mitspieler „geschossen“ werden sollte, wegen Sittenwidrigkeit genehmigungsunfähig ist. Ausgehend von der Objektformel führt das Bundesverwaltungsgericht aus, Menschenwürde sei nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern auch die Würde des Menschen als Gattungswesen.100 Daher könnten Unterhaltungsspiele auch dadurch gegen die Garantie der Menschenwürde verstoßen, dass beim Spielteilnehmer eine Einstellung erzeugt oder verstärkt werde, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugne, der jedem Menschen zukomme. Die Identifikation der Spielteilnehmer mit der Gewaltausübung gegen Menschen sei mit der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie unvereinbar. Ein aus der Sicht eines gattungsspezifischen Standards „würdeloses“ Verhalten bedeutet jedoch noch keine Einbuße an Würde im Sinne des Art. 1 GG.101 Denn Schutzobjekt der Menschenwürdegarantie ist nur der konkrete Mensch, nicht die Würde der Menschheit.102 Es 96

Obwohl Kleinig, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 169 ff., Appelle an die Menschenwürde für eine wackelige Basis paternalistischer Gesetze hält, diskutiert er die Möglichkeit staatlicher Einmischung, wenn die Verfolgung selbst gewählter Ziele mit schwerer und andauernder Entmenschlichung endet. 97 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 29; Robbers, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), MAK-GG, Art. 1 Rn. 22, Rn. 66; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 62: „Schutz der Gattung von den Selbstgefährdungen einer sittlich richtungslosen Freiheit“; Gutmann, in: van den Daele (Hrsg.), Biopolitik, S. 241 ff.; Neumann, ARSP 1998, S. 157; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 260. Vgl. auch Seelmann, in: FatehMoghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 215, der ein Menschenwürdeschutz im Sinne eines Schutzes der Gattungswürde nur dann als berechtigt ansieht, wenn jemand durch ein bestimmtes Verhalten die Orientierungskompetenz anderer beeinträchtigt; ders., in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 250. 98 Enders, Menschenwürde, S. 493 f.; Geddert-Steinacher, Menschenwürde, S. 71. 99 BVerwGE 115, 189 ff. 100 BVerwGE 115, 189 (199). 101 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 29. 102 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Art. 1 Abs. 1 Rn. 116; Zippelius, in: BK-GG, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rn. 55.

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entsteht daher der Eindruck, als ob man sich eines Konstruktes bedient, das die jeweiligen eigenen Wertungen und Überzeugungen unmittelbar auf die höchste verfassungsrechtliche Ebene transportiert und gegen alle Einwände immunisiert.103 Ebenso wenig dürfen Verfügungsschranken aus dem Menschenwürdegehalt der Einzelgrundrechte geltend gemacht werden. Die Möglichkeit, einen Teilaspekt der Menschenwürde in jedes Grundrecht hineinzulesen, darf nicht zu einer Vermischung an sich eigenständiger Schutzbereiche führen, so dass jede Entscheidung zur Verfügung über Individualrechtsgüter als Verletzung der menschlichen Würde anzusehen wäre.104 Diese Auffassung wird vielfach im Hinblick auf Verfügungen über das Leben vertreten, weil es als unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung der anderen Grundrechte in einem besonderen Verhältnis zu Art. 1 Abs. 1 GG steht. Sie ist nicht nur in systematischer Hinsicht wegen des ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG bedenklich, sondern auch deshalb, weil sie die biologisch-tatsächliche Gegebenheit des Lebens mit einer rechtlichen Wertung über das Schutzniveau vermengt.105 Die Gleichsetzung des Schutzes von Autonomie mit deren biologischen Voraussetzungen würde zu einer bereits oben abgewiesenen Verselbständigung der menschlichen Würde ihrem Träger gegenüber führen. c) Das Sozialstaatsprinzip Die Sozialstaatsbestimmung eröffnet – isoliert betrachtet – eine breite Palette möglicher staatlicher Interventionen, die von dem lediglich das Existenzminimum sichernden Staat bis hin zu dem auf stetige Expansion und Perfektion gerichteten Versorgungsstaat reicht.106 Die Gefahr der extensiven Anwendung eines so verstandenen sozialstaatlichen Interventionsgebots liegt auf der Hand. Man könnte somit die Auffassung vertreten, dass dem Staat eine Fürsorgepflicht zukommt, die sich auf die Verhinderung selbstschädigender Handlungen erstreckt. Zur Pflege des sozialen Zusammenhalts und des sozialen Ausgleichs kann das Sozialstaatsprinzip Einschränkungen in die individuellen Freiheitsrechte rechtfertigen. Es ist jedoch zu beachten, dass sich die Interpretation des Sozialstaatsprinzips zugleich an den anderen materiellen Bestimmungen des Grundgesetzes orientieren muss. Der paternalistische Effekt des Sozialstaates ist durch die permanente Rückbindung der rechtlichen Praxis des freiheitsfunktionalen Sozialstaats an die Formen des freiheitsschützenden Rechtsstaates einzuhegen.107 103

Dreier, in: ders. (Hrsg.), Art. 1 Abs. 1 Rn. 120. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 95. 105 Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S .92; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 262 f.; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 96. 106 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 107; Zacher, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 28 Rn. 32 ff. 107 Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, S. 262; Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 107. 104

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Dem Sozialstaatsprinzip wird eine Pflicht des Staates zum Schutz hilfsbedürftiger bzw. sozial schwacher Bürger entnommen.108 Sozial kann ein Staat sein, der Hilfe anbietet, wenn sie benötigt oder gewünscht wird. Es gibt keinen Grund, das Sozialstaatsgebot darüber hinausgehend so zu interpretieren, dass der Staat auch das Recht hätte, ungewollte Hilfe aufzuzwingen, so dass die Grundrechte in einer nicht zu rechtfertigenden Weise beeinträchtigt werden würden.109 Das der rechtlichen Einwirkung der Menschenwürde und der nachfolgenden Grundrechte unterliegende Sozialstaatsprinzip darf die rechtlichen Voraussetzungen selbstverantwortlicher Daseinsgestaltung nicht beseitigen.110 Als Grenze der sozialen Fürsorgepflicht muss die Autonomie des Einzelnen gewahrt bleiben.111 d) Zwischenergebnis Damit lässt sich aus der Verfassung keine positive Zweckbestimmung ableiten, die den Schutz des Menschen vor sich selbst rechtfertigen könnte. Dies ist jedoch noch kein Präjudiz hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Gesetzeszwecks. In der Grundrechtsdogmatik wird zusätzlich die Frage aufgeworfen, ob der erzwungene Schutz vor Selbstverletzungen als eigenständiger legitimer Eingriffsgrund neben den verfassungsrechtlich vorgegebenen Zwecken in Betracht kommt. 2. Grenzen der Zwecksetzungskompetenz des Gesetzgebers Von dem Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers sind solche Zielsetzungen ausgenommen, die mit der Verfassung in Widerspruch stehen. Die Frage nach den verfassungslegitimen Eingriffszwecken stellt sich demnach negativ: Alle Mittel und Zwecke sind erlaubt, die vom Grundgesetz nicht ausdrücklich oder stillschweigend verboten sind.112 Der Gesetzgeber ist nicht auf die von der Verfassung positiv vorgegebenen Zwecksetzungen begrenzt, sondern es reicht aus, wenn der verfolgte Zweck mit der Verfassung in Einklang steht.113 Die mit Grundrechtseingriffen verfolgten Zwecke müssen entgegen Fischer nicht notwendigerweise auf verfassungsrechtliche Prinzipien zurückgeführt werden.114 Sein Ansatz beruht auf der Lehre von den Grundrechten als Prinzipien und der Annahme, dass die Zweckset108

Benda, NJW 1979, S. 1004. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 132. Insofern unzutreffend Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 129. 110 Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 258; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 158 ff. 111 Vgl. auch BVerfGE 50, 256, 262. 112 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 20. 113 Hufen, Staatsrecht II, § 9 Rn. 19; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 275; Sachs, Verfassungsrecht II, A 10 Rn. 33; Bleckmann, Staatsrecht II – Die Grundrechte, S. 443 f. 114 Vgl. Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 130 ff. 109

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

zungskompetenz des Gesetzgebers allein durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt ist. Es entspräche der Logik des Wert- oder Prinzipiendenkens, dass die Grundrechte als Teil der Verfassung und damit der höchstrangigen Ordnung nur durch Prinzipien von Verfassungsrang eingeschränkt werden könnten.115 Die Notwendigkeit, alle für Grundrechtsbeschränkungen herangezogenen gesetzgeberischen Ziele auf die Verfassung zurückführen zu müssen, soll auch für Gesetze Anwendung finden, die das jeweilige Grundrecht als Konkretisierung eines normierten Gesetzesvorbehalts einschränken.116 Damit lägen die eigentlichen Grenzen dieser Grundrechte in der Verfassung selbst und würden sich nicht mehr von verfassungsimmanenten Grenzen unterscheiden.117 Seine Auffassung, dass auch die unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechte nur durch Prinzipien von Verfassungsrang eingeschränkt werden dürfen, verkennt die der Verfassung zu entnehmende Schrankensystematik. Die Existenz einfacher und qualifizierter Gesetzesvorbehalte lässt erkennen, dass der Gesetzgeber zur Konkretisierung eines Gesetzesvorbehalts über eine zunehmende Freiheit verfügt und auch Ziele verfolgen kann, denen kein Verfassungsrang zukommt, sondern die in noch näher zu bestimmenden Grenzen seinem Ermessen obliegen.118 Im Ergebnis erweist sich der von Fischer verlangte Verfassungsbezug der verfolgten Gesetzeszwecke als eine sehr unbestimmte Voraussetzung, da er eine entfernte Anbindung des betroffenen Interesses an ein Verfassungsprinzip durch eine unbeschränkte Zahl von Konkretisierungsschritten als ausreichend gelten lässt.119 Auf diese Weise könnte aber der Verfassungsbezug in den meisten Fällen durch eine weite Interpretation der dehnbaren Verfassungsnormen konstruiert werden.120 Es erscheint durchaus vorzugswürdig, der Verfassung hinsichtlich der Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes vor sich selbst eine negative Aussage zu entnehmen, statt positive verfassungsrechtliche Vorgaben für mögliche zulässige Gesetzeszwecke zu untersuchen. Woitkewitsch versucht aus der Auslegung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG, eine negative Aussage über die Grenzen gesetzgeberischer Zielsetzung zu ziehen.121 Seine Interpretation der Schrankentrias beruht auf dem Gedanken, dass die Auslegung der verfassungsmäßigen Ordnung nicht dazu führen dürfe, dass die Schranke der „Rechte anderer“ bedeutungslos

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Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 140. Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 280. 117 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 169. 118 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 169; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 57 f. 119 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S.148. 120 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 169; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 56, bemerkt zutreffend, dass Art. 1 und Art. 20 GG wegen ihres generalklauselartigen Charakters alle gesetzlich geschützten Rechtsgüter auf Verfassungsebene zu heben vermögen. 121 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 59 ff. 116

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werde und keinerlei eigenständigen Aussagegehalt mehr enthielte.122 Die Schrankentrias müsse gegenüber den anderen „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes“ einschränkbaren Freiheitsrechten eine über den einfachen Gesetzesvorbehalt hinausgehende Bedeutung besitzen.123 Er geht zunächst davon aus, dass die „Rechte anderer“ als die erstgenannte und präziser gefasste Schranke der allgemeinen Handlungsfreiheit eine Sperrwirkung für die Anwendung der anderen Schranken entfalte.124 Zudem lasse sich ein aufgedrängter staatlicher Schutz vor Selbstschädigungen nicht unter die erste Schranke subsumieren, weil selbstverfügende Verhaltensweisen keine Kollisionslagen begründen und daher durch die „Rechte anderer“ nicht einschränkbar seien.125 Aus der Sperrwirkung für die Anwendung der zweiten Schranke ergebe sich, dass der Schutz vor selbstverfügenden Verhaltensweisen auch nicht durch Rückgriff auf die verfassungsmäßige Ordnung legitimiert werden könne und damit kein von den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG gedeckter Gesetzeszweck sei.126 Zwingend ist diese Interpretation des Aussagegehalts der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG jedoch nicht. Die Bedeutung der ersten Schranke muss nicht notwendig dadurch gewonnen werden, dass man den Anwendungsbereich der anderen Schranke begrenzt.127 Nach Degenhart bezeichnen die „Rechte anderer“ einen maßgeblichen Gesichtspunkt im Rahmen der Abwägung eines unter die verfassungsmäßige Ordnung zu subsumierenden Eingriffs. Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit seien umso weitergehend gerechtfertigt, als deren Ausübung Rechte anderer beeinträchtigt.128 Aus dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt für Beschränkungen der Grundrechte folge wiederum, dass die „Rechte anderer“ der Positivierung durch den Gesetzgeber bedürfen, um als Grundrechtsschranke wirken zu können.129 Es ist auch zu beachten, dass die „Rechte anderer“ aus der Perspektive des Gesetzgebers beim Entwurf von Strafgesetzen von besonderer Bedeutung sind.130 Der Ausschluss von Gesetzen, die dem Schutz der Rechtsgüter 122

Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 61. Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 62. 124 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 64. 125 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 65. 126 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 65. 127 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 171. 128 Degenhart, JuS 1990, S. 164. Nach Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG Art. 2 Rn. 102, verkörpern die „Rechte anderer“ den allgemeinen Rechtsgrundsatz des neminem laedere und bringen zum Ausdruck, dass sie vom Grundgesetz als gegeben vorausgesetzt werden und dass daher die sie verbürgenden gesetzlichen Normen keiner anderen Rechtfertigung bedürfen. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 44, erblickt in den Rechten anderer einen wesentlichen Hinweis auf eine jeder Freiheit stets immanente Begrenzung. Vgl. auch Kunig, in v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 19; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 272. 129 Degenhart, JuS 1990, S.164. 130 Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 65 ff., hat die Schranke der „Rechte anderer“ zu einer materiellen Vorgabe jeder legitimen Pönalisierung erklärt. Die Ansicht, die diese 123

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

anderer dienen, aus der verfassungsmäßigen Ordnung und ihre Heranziehung nur wenn „besondere, durch die Verfassung geschützte Gemeinwohlgüter berührt würden“, ist zumindest ihrem Wortlaut nach nicht haltbar.131 Jedenfalls bleibt unklar, ob der Schutz des Einzelnen vor sich selbst als Gesetzeszweck auch für andere Grundrechte ausgeschlossen ist. Die bereits erwähnte ausdifferenzierte Schrankensystematik spricht gegen eine Übertragung der Ergebnisse der vorgeschlagenen Auslegung der Schrankentrias auf andere Grundrechtsschranken. Eine abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit des Schutzes des Menschen vor sich selbst als Gesetzeszweck könnte sich aus der Existenz vorbehaltlos gewährter Grundrechte ergeben, wenn man den Grund hierfür im geringeren Konfliktpotenzial dieser Grundrechte sieht.132 Eine vorbehaltlose Gewährleistung von Grundrechten sei dann sinnvoll, wenn die geschützten Lebensbereiche keinen oder nur einen geringen sozialen Bezug aufwiesen, so dass hinsichtlich ihrer Einschränkbarkeit kein oder nur ein geringer, durch Verfassungsinterpretation lösbarer Regelungsbedarf bestünde. Das Grundgesetz habe durch die vorbehaltlose Gewährleistung der ihrem Wesen nach konfliktarmen Freiheiten die Entscheidung getroffen, dass die Freiheit eines zur eigenverantwortlichen Freiheitsausübung befähigten Menschen ohne Gefährdung von Grundrechten Dritter oder anderen Gütern von Verfassungsrang vom Staat nicht reglementiert werden dürfe.133 Es erscheint trotzdem zweifelhaft, ob ein entsprechendes Konfliktpotenzial bei allen Grundrechten ohne Gesetzesvorbehalt fehlt. Dies dürfte ohne weiteres für die in Art. 8 GG getroffene Privilegierung von Versammlungen in geschlossenen Räumen gegenüber denjenigen unter freiem Himmel stimmen.134 Die in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG vorbehaltlos gewährten Freiheiten des Glaubens und des Gewissens beschränken sich jedoch nicht auf die Vorgänge des menschlichen Innenlebens bzw. auf das in Zurückgezogenheit praktizierte Bekenntnis zu einer Lehre unter Gleichgesinnten.135 Vielmehr umfasst der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG auch Handlungen, mit denen Einzelne oder Gruppen ihre Anschauungen in der Öffentlichkeit mit unterschiedlicher Absicht darstellen und hierdurch Konflikte im gesellschaftlichen Umfeld entstehen können.136 Für sozial folgenlose Gewissensentscheidungen wäre das Grundrecht der Gewissensfreiheit praktisch entbehrlich.137 Schranke als überflüssig einstuft und für eine Streichung plädiert, sei darauf zurückzuführen, dass vorrangig an die Prüfung von verwaltungsrechtlichen Maßnahmen bzw. die Kontrollperspektive des Bundesverfassungsgerichts gedacht werde. 131 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 170. 132 Vgl. dazu Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 77 f. 133 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 83. 134 Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 8 Rn. 55; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 172; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 78. 135 So aber Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters, S. 81. 136 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 34, 39. 137 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, § 12 II 2, Rn. 524.

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Auch die in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verankerte Kunstfreiheit umfasst neben der eigentlichen künstlerischen Tätigkeit, dem sog. Werkbereich, auch die kommunikative Vermittlung eines Kunstwerks an Dritte, den sog. Wirkbereich und erreicht damit die soziale Freiheitssphäre.138 Neuere Kunstformen wie das Happening oder das Graffitti können bereits aus ihrer künstlerisch-ästhetischen Dimension heraus eine spannungsreiche Beziehung zum gesellschaftlichen Umfeld entwickeln.139 Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt zeichnen sich somit zumindest nicht ausnahmslos dadurch aus, dass ihre Ausübung keine Konfliktgefahr in sich birgt. Vielmehr zeigt das Fehlen eines Gesetzesvorbehalts, dass der Gesetzgeber nicht mehr die Freiheit zur Beurteilung und Bekämpfung der Gefahr von Konflikten hat.140 Hillgruber begründet die verfassungsrechtliche Begrenzung gesetzgeberischer Zielsetzungskompetenz mit dem aus Art. 5 Abs. 2 GG entnommenen Vorbehalt der Allgemeinheit des einschränkenden Gesetzes, den er auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG überträgt. Die Handlungsfreiheit begrenzende Gesetze dürften sich nicht gegen eine bestimmte Handlung als solche richten, sondern hätten dem Schutz eines Gemeinschaftsgutes zu dienen.141 Ungeschriebene Voraussetzung jedes grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts sei daher, dass ein den Grundfreiheiten einschränkendes Gesetz gegenüber der Freiheitsausübung neutral und in diesem Sinne „allgemein“ sein müsse.142 Mit der Begründung eines Schutzes vor sich selbst würden nämlich Freiheitsbetätigungen als solche wegen ihres Handlungsinhalts verboten.143 Sein Ansatz wurde aber mit Recht als unvereinbar mit der ausdifferenzierten Schrankensystematik des Grundgesetzes kritisiert, da diese 138 Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 5 Rn. 107; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 5 Abs. 3, Rn. 65; Vlachopoulos, Kunstfreiheit, S. 107 m.w.N. 139 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 81 Fn. 375. 140 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, § 6 IV 1, Rn. 259. 141 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 119. 142 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 120. 143 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 120; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 110 f., vertritt die Auffassung, dass sich der aufgedrängte Schutz des Menschen vor sich selbst nicht gegen eine Handlung als solche richte. Ein Gesetz, das sich gegen eine bestimmte Handlung „als solche“ richte, habe keinen über den Normbefehl selbst hinausgehenden Zweck, sondern sei sich selbst Zweck. Anders liege es beim Schutz des Menschen vor sich selbst. Hier lasse sich überprüfen, ob ein Grundrechtseingriff zum Schutz des Menschen vor Selbstschädigungen geeignet und erforderlich sei und ob der Eingriff und der verfolgte Zweck in wohl abgewogenem Verhältnis zueinander stünden, denn ein außerhalb des Verbots selbst liegender Zweck sei vorhanden. Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 174, sieht hier zu Recht eine künstliche Aufspaltung einer Handlung in Handlungsausführung und Handlungserfolg. Wird geltend gemacht, dass selbstgefährdende oder -schädigende Handlungen nicht um ihrer selbst willen, sondern aufgrund der mittelbaren gesetzgeberischen Intention, die Rechtsgüter des Einzelnen wie etwa Leben, Gesundheit oder Eigentum zu bewahren, verhindert werden, so werden hierdurch nicht trennbare Elemente ein und derselben Handlung voneinander gelöst und gegeneinander abgewogen. Selbstverfügende Handlungen lassen sich nicht von ihrem Erfolg trennen, so dass es nur um die Verhinderung gewisser Handlungen als solcher gehen kann und nicht um den Schutz hiervon getrennter Schutzgüter.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

grundsätzlich gegen eine Übertragung besonderer Schrankenqualifikationen auf andere Grundrechte spricht.144 Hillgruber müsste überzeugend aufzeigen können, dass die Allgemeinheit des gesetzgeberischen Ziels für alle einschränkenden Gesetze gilt und ihre ausdrückliche Normierung in Art. 5 Abs. 2 GG lediglich deklaratorischer Natur ist.145 Dafür fehlt es jedoch an einem konkreten Anhaltspunkt im Grundgesetz. Auch die gebotene kurze Fassung des Verfassungstextes als Ursache für das Auslassen dieser Qualifikation einschränkender Gesetze vermag nicht zu erklären, warum Art. 19 GG keinen Hinweis für den Vorbehalt „allgemeiner“ Gesetze enthält.146 Es erscheint jedenfalls methodisch verfehlt, für alle Grundrechte pauschal einen Zweck ausschließen zu wollen, ohne die Besonderheiten der jeweiligen Grundrechte zu berücksichtigen.147 Sein Ausgangspunkt enthält trotzdem einen richtigen Kern, nämlich, dass ein Grundrecht nicht aus dem Grund eingeschränkt werden darf, dass es in verwerflicher Weise gebraucht wird. Die entscheidende Frage lautet daher, ob der Verfassung selbst das Erfordernis der „Allgemeinheit“ gesetzgeberischer Ziele für grundrechtseinschränkende Maßnahmen entnommen werden kann. Ein solches Gebot der Neutralität der Ziele staatlicher Grundrechtseingriffe ergibt sich tatsächlich aus dem Gedanken, dass die Grundrechte einen Anspruch auf gleiche Freiheit gewährleisten.148 Ein individueller Anspruch auf gleiche Freiheit setzt voraus, dass das „Ob“ und „Wie“ des Grundrechtsschutzes nicht davon abhängt, ob der Freiheitsgebrauch als solcher von der jeweiligen Mehrheit geschätzt oder missbilligt wird.149 Das Gebot der neutralen Interpretation des Grundrechtsschutzbereiches ist inzwischen anerkannt.150 Es wäre daher inkonsequent, Freiheitseinschränkungen zuzulassen, die auf dem Gesichtspunkt einer intrinsischen Bewertung des Freiheitsgebrauchs beruhen, die für die Interpretation des Schutzbereiches aber keine Rolle spielen dürfen.151 Wenn also im Rahmen der traditionellen Schrankendogmatik nach der Legitimität des Regelungszwecks gefragt werden soll, liegt es nahe, das Neutralitätsgebot auf

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Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 102 f.; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 176; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 50 f. 145 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 176; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 52. 146 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 176; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 52. 147 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 103. 148 Vgl. das von Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 439 entwickelte axiomatische Recht des Einzelnen auf „equal concern and respect“, aus dem er alle Einzelrechte ableitet. 149 Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 652. 150 Vgl. auch Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 179, der eine Neutralitätspflicht des Staates gegenüber der Ausgestaltung individueller Selbstbestimmungsfreiheit aus der Wertung des Art. 4 Abs. 1 GG über den Schutzbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit ableiten möchte. 151 Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 653.

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dieser Ebene zu thematisieren.152 Daraus ergibt sich, dass Freiheitseinschränkungen, die bestimmte, neutral nicht zu rechtfertigende Ziele verfolgen, als unzulässig einzustufen sind. Es ist also festzuhalten, dass eine aufgedrängte staatliche Schutzgewährung gegen den freiverantwortlichen Willen des Betroffenen als verfassungsrechtlich illegitim qualifiziert werden muss, weil sie mit dem Neutralitätsgebot des Grundgesetzes unvereinbar ist. Eine andere Einschätzung könnte sich aus der potentiellen Beeinträchtigung der Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit durch das grundsätzlich selbstschädigende Verhalten des Individuums ergeben. Ob und unter welchen Voraussetzungen solche Rechte schützenswert sind, bedarf einer ausführlichen Untersuchung, die anhand der jeweiligen Strafnorm zu ergehen hat.

II. Schranken der Verfügungsfreiheit bei defizitären Entscheidungen 1. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Geisteskrankenund Jugendschutzes vor selbstgefährdenden Handlungen Es ist schon oben aufgezeigt worden, dass ein aufgedrängter staatlicher Schutz des mündigen, selbstbestimmungsfähigen Bürgers vor sich selbst mit der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährten Selbstverfügungsfreiheit unvereinbar ist. Die paternalistische Bevormundung von Minderjährigen bzw. Geisteskranken soll dagegen ein legitimer Gesetzeszweck sein.153 Auch die in ihrer Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkten Personen, die zur Bildung eines natürlichen Handlungswillens imstande sind, werden von dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG umfasst.154 Insoweit 152

Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 655. So Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 145; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 266 und 272; von Münch, in: FS-Ipsen, S. 124 f.; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 181; Roxin, AT I4, § 2 Rdn. 33; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 265; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 67 f.; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 27 f.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 225; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 165 ff. So auch BVerfGE 58, 208 (224 f.). 154 BVerfGE 10, 302 (309 f.); BVerfGE 59, 360 (382); 58, 233 (246 f.); Roth, Die Grundrechte Minderjähriger, S. 48; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 151; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 170 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 264 f.; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 147; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 19. Für die Grenzen des grundrechtlichen Schutzes Minderjähriger wurde lange Zeit auf das Konzept der Grundrechtsmündigkeit abgestellt, nach dem die Fähigkeit der selbständigen Grundrechtausübung erst ab einer bestimmten Altersgrenze gegeben sein sollte. Die in Art. 5 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 7 GG ausdrücklich normierten Eingriffsermächtigungen im Interesse des Jugendschutzes zeigen, dass Minderjährige zur Grundrechtsausübung berechtigt sind und nur den vorgesehenen Grundrechtsschranken unterfallen. Für eine umfassende Darstellung und Kritik der Figur der 153

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

stellen gesetzliche Bestimmungen zum Schutz dieser Personen vor selbstgefährdenden bzw. -schädigenden Handlungen Freiheitseinschränkungen dar, die verfassungsrechtlicher Rechtfertigung bedürfen.155 Der Grund der Zulässigkeit paternalistischer Interventionen in diesem Fall liegt in dem Selbstbestimmungsrecht selbst, dessen Ausübung von einer entsprechenden Fähigkeit hierzu abhängt.156 Wenn das Individuum wegen einer geistigen oder seelischen Störung oder seines geringen Alters nicht in der Lage ist, den Stellenwert und die Konsequenzen seiner selbstschädigenden Entscheidung zu erfassen, besteht kein sachlicher Grund, seine Selbstbestimmung zu schützen. Die Selbstverfügungsfreiheit des Einzelnen ist daher nur soweit zu respektieren, als das selbstschädigende Verhalten Ausdruck eines autonomen Willensentschlusses ist.157 Insbesondere finden gesetzliche Bestimmungen zum Schutz Minderjähriger ihre verfassungsrechtliche Grundlage im staatlichen Wächteramt über die Erfüllung der elterlichen Erziehungsaufgabe gem. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, das den Staat gegebenenfalls als „Erziehungshelfer“ zum Eingriff berechtigt, „wo die Eltern nicht oder nicht mehr allein in der Lage sind, ihre Erziehungsaufgabe wahrzunehmen“.158 Der Staat darf das Erziehungsrecht der Eltern insbesondere in der Öffentlichkeit unterstützen, da den Eltern insoweit aus faktischen Gründen eine umfassende Kontrollmöglichkeit aller potentiellen Gefahrenquellen fehlt.159 Darüber hinaus wird dem Grundrechtsmündigkeit siehe Roth, Die Grundrechte Minderjähriger, S. 63 ff.; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 140 ff; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 190 ff. 155 Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 23. 156 BVerGE 58, 208 (224 f.) greift ergänzend auf das Sozialstaatsprinzip zurück, um fürsorgerische staatliche Eingriffe zugunsten psychisch Kranker zu rechtfertigen. Zustimmend Amelung, ZStW 1992, S. 827 f.; Amelung/Eymann, JuS 2001, S. 940; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 266; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 46; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 24. Kritisch mit Recht dagegen Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 72; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 162 ff.; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 148. 157 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 213 ff., möchte darüber hinaus eine Pflicht des Staates zu paternalistischem Schutz von Minderjährigen und Geisteskranken annehmen, die sich aus einer teleologischen Auslegung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergibt. So auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 265; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6 Rdn. 241; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 45. 158 BVerFGE 74, 102 (124); Amelung/Eymann, JuS 2001, S. 940; Amelung, ZStW 1992, S. 828; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 124. 159 Nach Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 196 und S. 203, sei aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ein eigenes Recht der Eltern auf flankierende staatliche Maßnahmen abzuleiten, soweit diese zur Abwehr unerwünschter Beeinflussungen durch Dritte unabdingbar seien. Die Legitimität von flankierenden Maßnahmen sei daher mit der Durchsetzung des primär den Eltern zustehenden Rechts zu begründen, das durch allgemeingültige Verbotsnormen in Bereichen unterstützt werde, in denen Eltern wegen der unbeherrschbaren Einwirkung Dritter auf Kinder

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Kinder- und Jugendschutz aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG Verfassungsrang zugesprochen.160 Deshalb stünde Minderjährigen ein Anspruch auf Schutz und Hilfe zu, die sie benötigten, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten in der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln.161 Der Jugendliche sei mit zunehmendem Alter in immer stärkerem Maße eine eigene durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit.162 Soweit also die Handlungen Jugendlicher auf einem freien und natürlichen Willen beruhen, ist das Selbstbestimmungsrecht zu respektieren und Eingriffe dürfen nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erfolgen.163 Dies ist auch für Geisteskranke anzunehmen. Die Zulässigkeit fürsorgerischer Maßnahmen gegenüber psychisch Kranken wird in aller Regel ohne genauere dogmatische Begründung generell als unproblematisch betrachtet.164 Da nicht jede psychische Krankheit zum Ausschluss einer freien Willensbildung führt, kann ein pathologisches Defizit kein umfassendes Recht zu paternalistischer Bevormundung begründen.165 Es ist zirkulär, dem psychisch Kranken zunächst das Grundrecht auf selbstgefährdendes Handeln trotz eingeschränkter Willensbetätigungsfreiheit zuzusprechen, es ihm aber gleichzeitig wegen eben dieses Defizits im Wege staatlicher Fürsorge wieder zu nehmen.166 Maßgeblich ist hingegen die sich an der konkreten Situation orientierte Beurteilung, ob die jeweilige Handlung des Geisteskranken Ausdruck seines autonomen, natürlichen Willens ist.167 Die rechtliche Relevanz der selbstverfügenden Entscheidung eines Geisteskranken darf nicht ohne weiteres abgesprochen werden, wenn anzunehmen ist, dass diese Entscheidung nicht auf seiner krankhaften Störung beruht, sondern einem freien Willensentschluss ent-

und Jugendliche weitgehend machtlos seien. Diese Meinung vertritt auch Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 68. Zur Rechtfertigung einer Erziehungszwecke verfolgenden Jugendschutzgesetzgebung besteht jedoch keine Notwendigkeit, Rechte anderer anzuführen, sofern man den Schutz Minderjähriger vor sich selbst als legitimen Gesetzeszweck anerkennt. 160 Vgl. BVerfGE 30, 336 (343), wo der Schutz der Jugend als „ein Ziel von bedeutsamen Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen“ qualifiziert wird. So auch BVerfGE 77, 346 (356). 161 BVerfGE 80, 130 (140). 162 BVerfGE 47, 46 (74). 163 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 148 f.; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 265. 164 Schwabe, JZ 1998, S. 67. 165 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 268; Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie, S. 85. Es ist deshalb nicht zutreffend, wenn Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 122, einen entgegenstehenden natürlichen Willen des Kranken ohne jegliche Differenzierung als rechtlich unbeachtlich einstuft. 166 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 165. 167 In diesem Sinne Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 168.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

springt.168 Das Vorliegen eines natürlichen Willens verlangt die geistige Disposition eines Handelnden, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, zu dulden oder zu unterlassen, auch wenn dieser Wille kein Ausdruck eines rationalen Abwägungsprozesses ist.169 Unter diesen Voraussetzungen ist auch die Entscheidung eines psychisch Kranken, die ärztliche Behandlung abzulehnen und den Freitod zu wählen, zu respektieren. Der Leidensdruck darf in solchen Fällen nicht pauschal als Ausdruck einer defizitären Entscheidung qualifiziert werden.170 Die Beachtlichkeit des natürlichen Willens des Betroffenen findet jedoch dort ihre Grenzen, wo sein zuvor geäußerter freier oder mutmaßlicher Wille entgegensteht.171 Der zuvor geäußerte freie Wille genießt gegenüber dem natürlichen Willen Vorrang, da er dem autonomen Individuum entspringt, welches nicht durch krankheitsbedingte Faktoren beeinträchtigt ist.172 Dies ist der Fall, wenn die erkrankte Person für die nächsten Krankheitsphasen ausdrücklich erklärt hat, dass bestimmte von ihr vorgenommene selbstverfügenden Handlungen von Dritten nicht zu respektieren sind.173 Verstößt eine selbstgefährdende Handlung eines Geisteskranken gegen seinen sich auf die konkrete Situation beziehenden und fortwirkenden freien Willen, ist sie nicht mehr als selbstbestimmte Handlung zu klassifizieren. Hat der Betroffene vor seiner geistigen Störung nicht ausdrücklich sein Selbstbestimmungsrecht durch Äußerung seines freien Willens konkretisiert, kommt die Rechtsfigur des mutmaßlichen Willens in Betracht.174 Die Bestimmung des hypothetischen Willens des Betroffenen bereitet viele Schwierigkeiten. Auch wenn sich ein noch aktueller Lebensplan des psychisch Kranken feststellen lässt, dürfen die im gesunden Zustand geltenden Maßstäbe und Präferenzen nicht ohne weiteres auf die Krankheitsphase

168 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 149; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 182 f. 169 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 187. Die Einführung zusätzlicher Qualitätsmerkmale des Willensentschlusses würde zur mittelbaren Anwendung der für die Grundrechtsmündigkeit bereits abgewiesen Kriterien führen. 170 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 269 f.; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 186. 171 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 122; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 203; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 149; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 189 f. 172 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 192 f. 173 Das Problem der Wirksamkeit sogenannter Vorausverfügungen betrifft die Fälle, in denen der im Sterbeprozess befindende Patient gar keinen natürlichen Willen äußern kann. Psychisch Kranke dagegen sind in den meisten Fällen in der Lage, einen natürlichen Willen zu vertreten, der aber ihrem zuvor geäußerten Willen widerspricht. Nach Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 122, sind auch Vorausverfügungen als Ausdruck der durch die Grundrechte geschützten Selbstbestimmung anzuerkennen. Die entgegengesetzte Annahme hätte zur Folge, dass die Einwilligung in eine operative Heilbehandlung ihre rechtfertigende Wirkung mit dem narkosebedingten Eintritt der Bewusstlosigkeit verlieren würde. 174 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 122; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 149.

C. Schranken der Verfügungsfreiheit

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übertragen werden.175 Es ist hingegen zu beachten, dass die Person in der Situation einer krankhaft gestörten Selbstbestimmung andere Bedürfnisse und Prioritäten entwickeln kann. Wenn sich also keine konkreten Anhaltspunkte für die im kranken Zustand vorgenommenen Handlungen aus dem bisherigen Lebensplan ergeben, sind die auf dem natürlichen Willen basierenden Handlungen als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts anzusehen und fürsorgerische staatliche Eingriffe sind unzulässig. Ist die selbstverfügende Handlung des psychisch Kranken nach den dargestellten Maßstäben nicht als Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts geschützt, eröffnet sich zunächst die Möglichkeit, die Ausführung der konkreten Handlung zu verhindern. Ob darüber hinaus andere staatliche Maßnahmen zum Schutz des Geisteskranken, wie z. B. die zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung, die mit weitergehenden Freiheitseinschränkungen verbunden ist, im Einzelfall gerechtfertigt sind, ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu untersuchen.176 Die weich paternalistischen Eingriffe können nur dann legitim sein, wenn sie verhältnismäßig, also für den Schutz des Betroffenen geeignet, erforderlich und angemessen sind. Dabei ist insbesondere im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit, die den Rechtsgütern des Betroffenen durch ihn selbst drohende Gefahr gegen die Schwere des staatlichen Eingriffs in die Freiheit der Person abzuwägen.177 Auf die verfassungsrechtlichen Grenzen von weich paternalistischen Eingriffen wird noch im Zusammenhang mit den einzelnen Tatbeständen zurückzukommen sein. Damit ist die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzes von Minderjährigen und Geisteskranken vor Selbstschädigungen nachgezeichnet. Es bedarf noch einer weiteren Untersuchung, ob der Aspekt des Jugend- und Geisteskrankenschutzes überhaupt eine Sanktionierung mit den Mitteln des Strafrechts als legitim erscheinen lässt. Selbst wenn man staatlichen Paternalismus unter bestimmten Umständen als verfassungsrechtlich unbedenklich ansieht, heißt dies jedoch noch nicht, dass auch ein Eingreifen mit den Mitteln des Strafrechts zweckmäßig ist.178 Das Modell eines autonomieorientierten, weichen Paternalismus als Ausgangspunkt der nachfolgenden Erörterungen wirft spezifische dogmatische Probleme auf, wenn man strafrechtliche Sanktionen einsetzt.179 Erlaubt ein selbstverfügendes Verhalten mit Blick auf den Schutz Inkompetenter staatliche Interventionen, so ist damit nur ein Rahmen für die Schaffung einfachrechtlicher Verbote gesteckt. Ob der Geistes175

Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 196. Für die Verhältnismäßigkeit weich paternalistischer Eingriffe vgl. unten Teil 2. C. II. 3. 177 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 149; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 205; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 192, weist auf die Gefahr einer dauerhaften zwangsweisen Therapie hin, die in abwehrrechtliche Bereiche zentraler Grundrechte, wie die auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person eingreift, und den Menschen nur noch als Objekt fürsorgerischer Bemühungen würdigt. 178 Roxin, AT I4, § 2 S. 24 Fn. 45; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 271. 179 Vgl. von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 240 ff. 176

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

kranken- und Jugendschutz als Grund für strafrechtliche Verbote anzuerkennen ist, ist eine weitere, gesondert zu prüfende Frage. Die mit dieser Frage zusammenhängenden dogmatischen Probleme sind im strafrechtlichen Teil der Arbeit zu behandeln, wo die Grenzen eines zulässigen strafrechtlichen Paternalismus näher bearbeitet werden. 2. Vorgaben für die normative Relevanz defizitärer Entscheidungen grundsätzlich kompetenter Personen unter dem Grundgesetz Die vorstehenden Überlegungen beanspruchen nur für solche Personen Geltung, die aufgrund eines pathologischen oder altersbedingten Defizits nicht in der Lage sind, die Bedeutung und die Folgen ihres selbstverfügenden Verhaltens einzusehen. Es stellt sich die Frage, ob darüber hinaus dem Grundgesetz überhaupt Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit entnommen werden können, wenn die grundsätzlich kompetente Person in der konkreten Situation defizitär entscheidet.180 Der tragende Grund für die Zulässigkeit paternalistischer Interventionen in den oben genannten Fällen liegt in der fehlenden Fähigkeit des Grundrechtsträgers zur Selbstbestimmung. Da Selbstbestimmung das Vermögen zur Entscheidung an selbstgesetzten Maßstäben ist, ist der Maßstab, an dem sich ein Defizit als solches erweist, die entscheidende Person selbst in ihrer subjektiven Vernünftigkeit.181 Das Abstellen auf einen objektiv anerkannten Maßstab vernünftigen Verhaltens lässt sich mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, das dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen einen hohen Stellenwert einräumt, nicht vereinbaren.182 Aus der objektiven Unvernunft einer Entscheidung lassen sich daher keine Entscheidungsdefizite entnehmen, da die Person anhand von Maßstäben, die von den sonst akzeptierten Wertvorstellungen einer Rechtsgemeinschaft abweichen, selbstbestimmt entscheiden kann.183 Der Maßstab, anhand dessen die konkrete Entscheidung auf ihre Freiheit von De-

180

In diesem Sinne auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 267. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 267; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 107; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 34. 182 Rönnau, Willensmängel, S. 216. Mit Recht fragt sich ders., Willensmängel, S. 168, warum einer (erwachsenen) Person, die soweit ersichtlich einwilligungsfähig ist und ihre Entscheidung ohne Willensmängel getroffen hat, nicht die Freiheit zugebilligt werden soll, auch in extremen Situationen unvernünftig zu entscheiden. Die Unzulässigkeit eines solchen Maßstabs aus grundrechtlicher Sicht betonen auch Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 177 f.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 110; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 117. 183 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 503; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 88; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 34 f. Bereits Feinberg, Harm to Self, S. 101 ff., legt aus philosophischer Sicht dar, dass die Unvernünftigkeit einer Entscheidung kein Maßstab für ihre Freiwilligkeit sei, da eine Pflicht zu rationalem Handeln unserem Selbstverständnis widerspräche. Vgl. auch die philosophische Kritik Gutmanns, in: Schroth/Schneewind/Gutmann/ Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 231 ff. 181

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fiziten zu prüfen ist, ist also die entscheidende Person selbst in ihrer individuellen Vernünftigkeit.184 Dieser Maßstab wird ohne Zweifel verfehlt, wo die tatsächliche Möglichkeit der Person, sich frei zu entschließen, situativ aufgrund von Willensmängeln ausgeschlossen wird.185 Problematisch erscheint dagegen der Fall, wo die Person in der selbstverfügenden Entscheidung ihre eigene Selbstdefinition verfehlt. Es ist nämlich denkbar, dass die Person eine Entscheidung fällt, die von ihren sonst für sie geltenden Maßstäben abweicht. Maßgeblich ist dann, ob die konkrete Entscheidung Ausdruck einer defizitären Einstellung oder der Individualität der Person ist. Hier stellt sich also die Frage, ob der Maßstab, um eine Entscheidung als defizitär zu qualifizieren und damit nicht als Ausdruck von Selbstbestimmung anzuerkennen, die situative oder die grundsätzliche Einstellung der Person ist. Man könnte argumentieren, dass die stabilen Werte und Lebensvorstellungen des Individuums und nicht die in der konkreten Situation verfolgten Interessen den Inhalt des Selbstbestimmungsrechts markieren. Damit wäre eine Entscheidung, die nicht den verfestigten Lebensplan der Person widerspiegelt, sondern ihre kurzfristigen Motive zur Geltung bringt, als defizitär anzusehen.186 Diese auf der philosophischen Position Kleinigs187 über die moralische Zulässigkeit von Paternalismus beruhende Auffassung versucht Möller durch eine teleologische Interpretation der Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter dem Grundgesetz auszuarbeiten. Er untersucht nämlich, ob der Schutz der Integrität des Einzelnen eine Schranke des Rechts auf Paternalismusfreiheit darstellt.188 Er will zwar weiterhin die Entscheidungsfreiheit als Ausgangspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts achten, jedoch der Integrität des Einzelnen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einen gewissen Rang einräumen.189 Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Staat unter dem Grundgesetz auch dann eingreifen darf, wenn sich der Betroffene durch die selbstverfügende Entscheidung in Widerspruch zu seinen subjektiven Prioritäten setzt. Eine solche staatliche Intervention könnte auf den ersten Blick zulässig erscheinen, da sie dem Einzelnen kein fremdes Wertsystem aufzwingen würde. Bei näherer Betrachtung stößt dieser Ansatz jedoch auf schwere Bedenken. Man legt der 184 So Amelung, JR 1999, S. 46 f.; ders., ZStW 1992, S. 547; Amelung/Eymann, JuS 2001, S. 942; Hoerster, ZRP 1988, S. 4; Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 524 ff., 530 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 186 Fn. 39. 185 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 267. 186 Ähnlich argumentiert Amelung, ZStW 1992, S. 551 f., der zur Feststellung fehlender Autonomie auf eine „Verzerrung“ des Wertesystems des Handelnden abstellt. 187 Kleinig, Paternalism, S. 67 ff. Auch die von präferenzutilitaristischen Prämissen ausgehende Theorie des Wohls der Individuen Dan Brocks, Ethics 1988, S. 556, setzt als Ausgangspunkt ihre faktisch vorfindlichen Ziele und Wertungen und erlaubt paternalistische Eingriffe „nur im Hinblick auf Präferenzen oder Wünsche, die die Betroffenen als Folge von Rationalitätsmängeln haben“. 188 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 181 f. 189 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 183.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Bestimmung des Selbstbestimmungsrechts die festen, langfristigen Lebenspläne der Person zugrunde, ohne genau zu begründen, warum die Anerkennung eines selbstbestimmten Menschen eine in ihren Handlungen stets konsequente, widerspruchsfreie Person voraussetzt.190 Dies trifft aber für eine Anzahl von Personen nicht zu. Menschen neigen dazu, in ihrem je gegenwärtigen Handeln ihren zukünftigen Präferenzen schon deshalb weniger Gewicht zu verleihen, weil diese eben zukünftig sind.191 Bestandteil der Autonomie des Einzelnen ist gerade seine Möglichkeit, seine Werte, Ziele und Lebenspläne jederzeit zu revidieren und zu ändern.192 Es ist deswegen problematisch, die je aktuellen Präferenzen einer Person im Hinblick auf ihre möglichen zukünftigen Präferenzen zu diskontieren. Problematisch ist insbesondere, dass es eine an objektiven Kriterien ausgelegte Unterstellung ist, zu behaupten, dass das Individuum in Widerspruch zu seinen Prioritäten handelt und nicht etwa bloß seine Prioritäten einem Wandel unterzogen wurden.193 Will man dabei die Bedeutung des Autonomieprinzips nicht leer laufen lassen, kann die Maßstabsperson nicht dadurch gekennzeichnet werden, dass sie sich nicht situativ über selbst gesetzte Grenzen hinwegsetzt, es sei denn, diese Grenzüberschreitung muss als pathologisch-defizitär begriffen werden.194 Solange die den eigenen Interessen zuwiderlaufende Entscheidung nicht existentielle oder schwere 190 Ferner ist es praktisch unmöglich, alle Handlungen einer Person in einen konsistenten Lebensplan einzuordnen. Die vorausgesetzte Möglichkeit einer inneren Präferenzordnung ist wegen der Inkommensurabilität der verschiedenen Optionen schon zweifelhaft. Vgl. Raz, The Morality of Freedom, S. 345. 191 Gutmann, in: Schroth/Schneewind/Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 212; von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 237. 192 Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 38; Maatsch, Selbstverfügung, S. 47; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 201; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 104; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 88; Vgl. auch Gutmann, in: Schroth/Schneewind/Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 235 f., der einen starken Begriff authentischen Handelns des Individuums als Teil einer antipaternalistischen Theoriebildung zurückweist. Mit Recht bemerkt Feinberg, Harm to Self, S. 37: „Consider the great diversity of moral controversies that require us to take moral stands, however tentatively. What is our judgment about abortion?, mercy killing?, preferential treatment for the unjustly disadvantaged?, sexual equality, contraception?, „free love“?, public school prayer sessions?, capital punishment for murderers?, redistribution of wealth through steeply graduated income taxes?, painful experimentation on animals? Even the most thoroughly autonomous person will be constantly balancing und juggling his judgements on these questions, attempting to make them fit with his governing principles and cohere with one another, with no awkward tensions or disharmonies among them. (…) In any event, the morally authentic person doesn’t simply lay down his law; rather he reflects, and balances, and compromises.“ (Hervorhebung von mir.) 193 Die geforderte Interpretationsleistung der Werte und Lebenspläne des Einzelnen birgt daher große Missbrauchsrisiken in sich. Insofern halte ich die von Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 185, vertretene Meinung, dass das Bundesverfassungsgericht derartigen Missbrauchsgefahren erfolgreich begegnen könnte, für eine äußerst optimistische Einschätzung, wie die Zurückhaltung der noch später zu analysierenden Rechtsprechung des Gerichts zum Paternalismusproblem in der Tat beweist. 194 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 441.

C. Schranken der Verfügungsfreiheit

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Beeinträchtigungen eigener Rechtsgüter mit sich bringt, muss schließlich berücksichtigt werden, dass auch die Fehlschläge des Individuums zu seiner Persönlichkeitsentfaltung wesentlich beitragen.195 Möller will der in der Bindung an die eigenen, subjektiven Werte liegenden Gefahr einer Einengung der Persönlichkeit mit der Behauptung begegnen, dass, wenn sich jemand seiner eigenen Integrität zuwider verhielte, dies grundsätzlich nicht aufgrund einer überlegten Grundsatzentscheidung geschehe, sondern vielmehr aufgrund von Nachlässigkeit, Bequemlichkeit oder Ignoranz.196 Dies kann zwar nicht ausgeschlossen werden. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob die Person sich in solchen Fällen der Abweichung von ihren subjektiven Maßstäben bewusst ist. Wer sich aus Nachlässigkeit, Leichtsinn oder Laune auf Risiken einlässt, die er – wie er weiß – sonst nicht eingehen würde, muss sich nicht an dem Maßstab einer vorsichtigeren Person messen lassen, wenn dieser Maßstab sonst der seine ist.197 Die Bereitschaft zur Eingehung von Fehlentscheidungen ist demnach kein Defizit, sondern ein Charakterzug der Person. Solange kein pathologischer Grad erreicht wird, der die Persönlichkeitsbildung überhaupt betrifft, liegt ein Defizit nicht vor.198 Bei der Festlegung des Maßstabs von Autonomiedefiziten geht es um eine normative Entscheidung, die die personalen Entfaltungsmöglichkeiten des Abweichlers ebenso zu berücksichtigen hat wie den Schutzanspruch der defizitären Persönlichkeit von ihrem eigenen Selbstverständnis.199 Diese konfligierenden Interessen müssen daher bei der Beurteilung der Einzelfälle gegeneinander abgewogen werden. Die Verfassung kann lediglich einen Rahmen geben, innerhalb dessen die weitere Konkretisierung der Verantwortungsbereiche zu erfolgen hat.200 Unbedenklich ist ein Eingreifen des Staates nur dort, wo man eine fehlende Freiverantwortlichkeit aufgrund von psychischen oder altersbedingten Defiziten annehmen kann.201 In Ermangelung textlicher Vorgaben durch das Grundgesetz bleibt es weitgehend unklar, ob darüber hinaus konkrete Kriterien tatsächlich entwickelt werden können. Es bleibt also ein weiter Rahmen, innerhalb dessen die Rechtsordnung Defizite bei konkreten Entscheidungen in den Verantwortungsbereich des Entscheidenden stellen kann.202

195

Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 161; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 201. 196 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 180. 197 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 441. 198 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 268. 199 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 268. 200 So auch Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rdn. 112 f. 201 Die Bestimmung der psychischen Krankheiten gebührt der entsprechenden Wissenschaft. 202 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 266 f.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

3. Verfassungsrechtliche Grenzen weich paternalistischer Eingriffe Selbst wenn die Einschränkung der Selbstverfügungsfreiheit zum Schutz vor defizitären Entscheidungen ein legitimes Ziel darstellt, müssen auch weich paternalistische Eingriffe – wie schon oben angedeutet wurde – dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.203 Es ist insbesondere zu prüfen, ob das strafrechtliche Verbot einer einverständlichen Fremdschädigung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist.204 Die Geeignetheit des gewählten Mittels ist dann zu bejahen, wenn es zur Erreichung des konkreten Zwecks überhaupt tauglich ist.205 Bei der Beurteilung der Geeignetheit kommt dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu.206 Ein weich paternalistischer Eingriff ist geeignet, sein Ziel zu erreichen, wenn sich anhand konkreter Anhaltspunkte eine erhöhte Gefahr einer defizitären Entscheidung feststellen lässt. Es ist insoweit auf die im philosophischen Teil vorgenommene Konkretisierung der Indizien rechtlich relevanter Entscheidungsdefizite zu verweisen.207 Soweit eine Gefährdungssituation für die autonome Willensbildung festgestellt werden konnte, muss weiter geprüft werden, ob ein milderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks zur Verfügung steht, das bei gleicher Effektivität das Selbstbestimmungsrecht weniger intensiv einschränkt.208 Die Freiheitskosten einer paternalistischen Maßnahme sind je nach dem gewählten Mittel unterschiedlich hoch. Unbestritten greifen Duldungspflichten, wie die Unterbringung psychisch Kranker, am intensivsten in das Selbstbestimmungsrecht ein. Indirekt paternalistische Verfügungsverbote, die die Möglichkeit der Einwilligung in schädigende Eingriffe Dritter begrenzen, indem sie den Dritten mit Strafe bedrohen, orientieren sich entweder an objektiven Kriterien, etwa an der Intensität und Art der selbstschädigenden Handlung (vgl. §§ 216, 228 StGB; §§ 17, 18 TPG) oder an bestimmten Eigenschaften des Verfügenden, wie z. B. Alters- oder Personenkreisbeschränkungen (vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a TPG; § 8 Abs. 1 S. 2 TPG). Da sie zugleich immer in 203

Vgl. Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 130 f.; ders., in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 38 ff.; Oswald, in: FatehMoghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 97 ff.; Joost, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 152 f.; van Aaken, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 133 ff. 204 Ein direkter strafrechtlicher Paternalismus, um schon hier das Ergebnis vorwegzunehmen, lässt sich mit dem Ziel der Autonomiesicherung nicht vereinbaren. Für die strafrechtsspezifischen Einwände gegen einen direkten Paternalismus vgl. unten Teil 3. A. 205 BVerfGE 30, 292 (316); 81, 156 (192); Hufen, Staatsrecht II, § 9 Rn. 20; Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn. 283; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG Art. 1 Rn. 243. 206 BVerfGE 95, 173 (185). 207 Vgl. oben Teil 1. B. 208 Dreier, in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 93; Hufen, Staatsrecht II, § 9 Rn. 21; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rn. 243. Vgl. aus philosophischer Perspektive Dworkin, in: Sartorius (Hrsg.), Paternalism, S. 34: „principle of the least restrictive alternative“; Kleinig, Paternalism, S. 74; Mayr, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 55.

C. Schranken der Verfügungsfreiheit

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das Selbstbestimmungsrecht des Einwilligenden eingreifen, stellen sie zweifelsohne einen schweren mittelbaren Grundrechtseingriff dar.209 Als mildere Mittel zu strafrechtlichen Verfügungsverboten in Form abstrakter Gefährdungsdelikte kommen Verfahrensmodelle in Betracht, in denen das Vorliegen von Entscheidungsdefiziten präventiv geprüft wird. Das Konzept eines prozeduralen Paternalismus setzt in der Regel den materiellen Paternalismus voraus und sichert die Autonomie über Form- und Verfahrensvorschriften sowie gesetzliche Kommissionsmodelle zusätzlich ab.210 Grundgedanke eines solchen prozeduralen Paternalismus ist, die selbstschädigende Handlung vorübergehend zu verhindern, damit sorgfältig untersucht werden kann, ob eine tatsächlich autonome Entscheidung vorliegt oder nicht.211 Die Kommissionslösung des § 8 Abs. 3 S. 2 TPG kann dabei als Modell der prozeduralen Absicherung von Autonomiebedingungen angesehen werden.212 Es darf aber nicht übersehen werden, dass auch Verfahrenspaternalismus dem Individuum erhebliche Kosten auferlegen kann, nicht nur durch die möglicherweise unerwünschte, erzwungene Aufklärung und durch die in Anspruch genommene Zeit, sondern auch durch die konkrete Darstellung der Entscheidungssituation und die Art der Informationsangaben, so dass insoweit besondere Aufmerksamkeit auf die neutrale Ausgestaltung des Verfahrens zu fordern ist.213 In manchen Fällen wird schließlich eine prozedurale Lösung nicht in gleicher Weise geeignet sein, der Gefahr defizitärer Selbstverfügungen ebenso effektiv entgegenzutreten, wie ein absolutes Verfügungsverbot, so dass letzteres als erforderlich zu bewerten ist.214 Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einer weich paternalistischen Maßnahme besteht die Besonderheit, dass die durch den Eingriff bezweckte Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts zu dessen Schutz erfolgt und ihrerseits mit der größtmöglichen Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts abgewogen werden muss.215 Die mit dem Eingriff verbundenen Kosten für die 209 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 24 ff.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 25 ff. 210 Fateh-Moghadam, in: ders./Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 40. 211 Neumann, in: Fateh-Moghadam/ Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 263; Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 252. 212 Vgl. Fateh-Moghadam/Schroth/Gross/Gutmann, Zur Praxis der Lebendspendekommissionen, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 119 ff.; Fateh-Moghadam, MedR 2003, S. 245 ff.; Jung, in: ders./Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 403. 213 van Aaken, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 139. 214 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 191. 215 Vgl. Fateh-Moghadam, in: ders./Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 41; Oswald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 118; Joost, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 153. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 181 ff., fordert eine teleologische Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter Integritätsgesichtspunkten, wenn es feststeht, „dass die

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Selbstverfügungsfreiheit des Betroffenen müssen mit den potentiellen Lernkosten, also der subjektiv zu bewertenden Rechtsgutsbeeinträchtigung, die dem Verfügenden droht, wenn sich seine Entscheidung als defizitär erweist, verglichen werden. Bei der Bewertung der Eingriffs- und Lernkosten müssen nur die am Selbstbestimmungsrecht orientierten Interessen beachtet werden.216 Dabei sind das Gewicht und die Wahrscheinlichkeit des drohenden Schadens und die sich aus der defizitären Entscheidung ergebenden, langfristigen Konsequenzen für den Lebensplan des Verfügenden besonders zu berücksichtigen. Für die im Strafrecht bedeutsamen objektiven Verfügungsverbote spricht eine solche Abwägung zugunsten eines paternalistischen Eingriffs, wenn starke Indizien für das Vorliegen von Entscheidungsdefiziten bestehen und gleichzeitig die Lernkosten wegen der Irreversibilität des drohenden Schadens für ein besonders hochwertiges Rechtsgut des Verfügenden als extrem hoch zu bewerten sind.217 Problematisch erscheint insoweit, dass durch ein generelles Verfügungsverbot auch alle autonomen Entscheidungen als defizitär betrachtet werden. Aus diesem Grund sollen Einschränkungen abstrakter Gefährdungsdelikte im Besonderen Teil der vorliegenden Arbeit näher bearbeitet werden.

III. Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung und der Rechte anderer Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit können sich aus der zusätzlichen sozialen Dimension, die einem selbstverletzenden bzw. eine Verletzung bewilligenden Verhalten zukommen kann, ergeben.218 Denn menschliche Handlungen vollziehen sich in der Gemeinschaft, in die jeder einzelne Mensch hineingestellt ist. Die Person kann nicht allein „seiner Substanz nach“, sondern vielmehr als „Geflecht von Beziehungen“ gedacht werden, „in denen er zu seiner Welt steht, zu den Mitmenschen und zu den Dingen“.219 Sozial bedeutungslose Handlungen lassen sich daher schwer vorstellen.220 Der Aspekt der Sozialbezogenheit des Menschen wird insbesondere in der Menschenbildformel deutlich, die vom Bundesverfassungsgericht seit der Investitionshilfe-Entscheidung weitgehend unverändert verwendet und als Leitlinie immer bei der Berechtigung der Einschränkung allgemeiner Handlungsfreiheit Gewährleistung von Freiheit das mit dem Schutz der Freiheit angestrebte Ziel nicht zu fördern vermag, sondern sogar zu zerstören droht“. 216 Oswald, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 118. 217 Fateh-Moghadam, in: ders./Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 41; aus philosophischer Sicht Mayr, in: Fateh-Moghadam u. a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 53 f. 218 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 270 f. 219 Kaufmann, Über Gerechtigkeit, S. 216. 220 Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 205 f.; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 63; Wohlers, Deliktstypen, S. 272; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 97.

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eingesetzt wird.221 Der Hinweis auf die Sozialgebundenheit des Menschen ist nur dann berechtigt, wenn die Sozialbindung nicht als äußere Schranke der Selbstbestimmung, sondern als deren immanente Grenze verstanden wird.222 Das instrumentelle Staatsverständnis des Grundgesetzes, das den Staat in seiner dienenden Funktion gegenüber dem Menschen begreift, lässt sich nur mit einem Menschenbild harmonisieren, in dem der soziale Bezug des Menschen nicht als verselbstständigte staatliche Anforderung, sondern in seiner Abgeleitetheit von einzelnen Menschen begriffen wird.223 Ein solches Verständnis schließt die Gefahr aus, das Menschenbild über die Sozialgebundenheit mit heteronomen Inhalten zu füllen, die schließlich das Selbstverständnis des Individuums bestimmen. Es gilt im Folgenden, das Spannungsverhältnis zwischen der Eigenständigkeit des Einzelnen und den Schranken seiner Selbstverfügungsfreiheit, die sich aus dem zusätzlichen Sozialschädigungssinn seines Verhaltens ergeben, einer näheren Betrachtung zu unterziehen. 1. Beeinträchtigung von Rechten Dritter Zweck eines Gesetzes, welches selbstverfügende Verhaltensweisen bzw. das auf eine selbstverfügende Entscheidung bezogene Verhalten eines Außenstehenden verbietet, könnte auch der Schutz von unmittelbar beeinträchtigten Rechten konkreter Dritter sein. Die Paternalismusproblematik verlagert sich damit zu der Frage, ob selbstschädigende Verhaltensweisen mit Blick auf die „Rechte anderer“ beschränkt werden können. Um die Grenze des Schutzes der Rechte anderer abzustecken, müssen diese Rechte näher bestimmt werden. Als „Rechte anderer“ werden jedenfalls die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte Dritter sowie subjektive private und öffentliche Rechte, jedoch keine bloßen Interessen Dritter angesehen.224 Es besteht kein Zweifel, dass ein Recht des Staates zum Eingreifen dann vorliegt, wenn durch die konkrete Ausführung der Selbstverfügung grundrechtlich geschützte Rechtsgüter Dritter wie das Leben, die körperliche Unversehrtheit usw. beeinträchtigt werden (z. B. den Sprung des Suizidenten von einem Hochhaus zu hindern, 221 BVerfGE 4, 7, 15 f. Vgl. auch die von Schünemann, in: ders./Müller/Philipps (Hrsg.), Das Menschenbild, S. 3 f., zitierten unterschiedlichen Formulierungen der einschlägigen Entscheidungen. Schünemanns methodologischer Haupteinwand gegen die MenschenbildRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betrifft die Aufnahme zwei entgegensetzter Prinzipien in ein und derselben Formel ohne Demarkationslinie und das dadurch ausgelöste Überspringen auf die Ebene des Konflikts und der Abwägung widerstreitender Prinzipien, das wegen der ungenügenden Ausreizung des Mündigkeitsprinzips eine nicht legitimierbare Ausdehnung paternalistischer Dezisionen ermöglicht. 222 So Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 221. 223 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 222. 224 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 44; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 203 f.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 20; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 385; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 33; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 91. Für ihre eigenständige Bedeutung neben der Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung siehe oben Teil 2. C. I. 2.

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wenn die Gefahr der Verletzung von Passanten oder eines Verkehrsunfalls entstünde, oder die Begehung eines Suizids mittels einer Bombe an einem belebten Ort zu vereiteln).225 Einfach zu beurteilen sind auch die Fälle, bei denen die Selbstverfügung Leistungspflichten gegen andere vereitelt, wie bei der Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung (§ 109 StGB, § 17 WStG).226 Zu denken wäre außerdem an das Recht eines Kindes auf Erziehung durch die Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG) oder das Recht des Ehepartners auf eheliche Lebensgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 GG), die durch eine freiverantwortliche Selbsttötung beeinträchtigt werden könnten.227 Es ist jedoch zu beachten, dass die Verpflichtung zur gegenseitigem Beistand und Rücksichtnahme nicht so weit geht, dass einem Ehegatten eine Pflicht zu leben erwachsen könnte.228 Das betrifft auch das Selbstbestimmungsrecht der Eltern. Dies würde im Ergebnis ausgehöhlt, wenn man ihre Pflicht nicht mehr alleine an die für die Rechte der Kinder einschränkend wirkende Ausübung von Befugnissen knüpft, sondern bereits die Erhaltung der Fähigkeit zur Ausübung zur Pflicht macht.229 Problematisch erscheint dagegen, ob lediglich psychisch-moralischen Kosten Dritter geeignet sind, den Staat zu ermächtigen, selbstzerstörerische Verhaltensweisen zu unterbinden.230 Es stellt sich insbesondere die Frage, ob und in welchem Umfang Dritte Anspruch darauf haben, durch die Konfrontation mit einer selbstschädigenden Verhaltenweise oder bereits durch das bloße Wissen um eine solche, in ihrem Gefühlsleben nicht gestört zu werden.231 Anknüpfungspunkt des grund225 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 274; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 206. 226 SK-Rudolphi, § 109, Rn. 1; NK-Wohlers, § 109 Rn. 1; Lackner/Kühl, § 109, Rn. 1; LKSchroeder, § 109, Rn. 1 f.; Klee, GA 1901, S. 187; Neumann, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 397, betont, dass reflexiv nur die Struktur der Handlung, nicht die der Verpflichtung sei. Die Verpflichtung als solche bestehe gegenüber einem anderen – dem Staat, der Rechtsordnung, der Rechtsgemeinschaft. 227 So etwa Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 227. 228 Eine Pflicht zu leben der in familiären Bezügen stehenden Person ablehnend etwa Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 233 f.; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 121 ff.; Gallas, JZ 1960, S. 654; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 172; a.A. Schwabe, JZ 1998, S. 71. 229 Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 125. 230 Zu dieser Problematik aus philosophischer Sicht vgl. Dworkin, The Theory and Practice of Autonomy, S. 127; Feinberg, Harm to Self, S. 138 ff.; Kleinig, Paternalism, S. 92 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 368. 231 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 208 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 278, 283; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 109 f.; So argumentiert etwa Schwabe, JZ 1998, S. 71, dass eine Selbsttötung verhindert werden müsste und dürfte, weil viele Lokführer, vor deren Zug sich ein Selbstmörder geworfen hat, erwiesenermaßen schwere psychische Störungen erleiden. Er möchte sogar die Belange des Pflegepersonals vor dem Miterleben von schwerem Siechtum und Tod schützen. Nur wer für sich allein sterbe, könnte sich auf seine Autonomie berufen. Diese Auffassung geht ohnehin zu weit und verkennt, dass die Rettungshelfer, Therapeuten, Ärzte und

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rechtlichen Schutzes des Gefühlslebens könnte das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sein. Dieses umfasse nach Fischer das Recht, auch in der Sozial- und Öffentlichkeitssphäre „im weitesten Sinne in Ruhe gelassen zu werden“.232 Soweit die Selbstgefährdung „in die Öffentlichkeit ausstrahlt“, bestehe auch nach Robbers ein Schutzrecht des Einzelnen, nicht in unzumutbarer Weise mit Beeinträchtigungen seiner eigenen Wertvorstellungen konfrontiert zu werden, das in die Zuordnung der zu schützenden und zu respektierenden Rechtsgüter eingehe.233 Das Recht auf Achtung der persönlichen Gefühlswelt und der Willensherrschaft des Einzelnen über die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfassten Sphären ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit den Rechten des Selbstschädigers abzuwägen.234 Bei der Konkretisierung des Verhältnisses der Einschränkung der persönlichen Entfaltungsfreiheit um der Herstellung allgemeiner Freiheit willen und bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels steht dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu.235 Insbesondere obliegt ihm eine Prognosekompetenz bezüglich der Effektivität der ausgewählten Mittel, die nur bei evidentem Überschreiten zur verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit führt.236 Mit dem BVerfG ist davon auszugehen, dass Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit die Bedingungen personaler Entfaltung in unterschiedlicher Intensität betreffen. Je größer die Nähe zum Kernbereich der Entfaltungsfreiheit sei, desto stärker müssten die mit dem Eingriff verfolgten Freiheitsinteressen der anderen sein.237 Es ist insofern zu berücksichtigen, dass der Bezug zur engeren persönlichen Lebenssphäre und damit die Schutzintensität bei dem Aufenthalt in der Öffentlichkeit erheblich abgeschwächt sind. Bei dem Abwägungsvorgang ist einerseits entscheidend, ob die Konfrontation des Gefühlslebens mit Selbstschädigungen in zumutbarer Weise ausgewichen werden kann und welcher Art und Schwere sie ist.238 Andererseits verliert die Selbstverfügungsfreiheit in der Öffentlichkeit an Gewicht, wenn der Selbstschädiger ebenso gut in seiner persönlichen Sphäre handeln könnte Pfleger ihren Beruf freiwillig ergriffen haben und von Unlustgefühlen psychisch belastet werden, auch wenn das Opfer seine Verletzung nicht mitverschuldet hat. 232 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 221 f.; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Art. 2 Rn. 70; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, Rn. 375. 233 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 223. 234 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 230 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 290 f. 235 BVerfGE 67, 157, 173; BVerfG, NJW 1994, S. 1588; Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 254; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 292. 236 BVerfGE 81, 156, 194. 237 BVerfGE 17, 306, 314. 238 Feinberg, Offense to Others, S. 26 ff.; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 207; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 110; Schwabe, JZ 1998, S. 71, bemerkt, dass man sich häufig den Schock einer Selbsttötung entziehen kann, indem man den Schauplatz eines Rettungseinsatzes verlässt.

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oder die Störung der Öffentlichkeit sonst vermeidbar ist.239 Kommt es dem Selbstschädiger gerade auf die Belästigung Dritter an, dürfen solche durch Selbstschädigung vermittelte Fremdschädigungen grundsätzlich verboten werden, wobei eine differenzierte Beurteilung der Fälle der demonstrativen Selbsttötung, Selbstverstümmelung und des Hungerstreiks erforderlich ist, bei denen der Handelnde für die Verbreitung seiner Meinungen auf die Öffentlichkeit angewiesen ist.240 Die bloße Konfrontation mit selbstschädigenden Handlungen könnte zudem das Recht des Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG tangieren, wenn man mit der herrschenden Meinung neben dem Schutz der Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinn, auch die seelisch-geistige Integrität der Person als miterfasst sieht, wobei nur medizinisch messbare psychische Beeinträchtigungen, nicht aber das bloße Wohlbefinden dem Schutzbereich zuzuordnen sind.241 Es ist allerdings anzunehmen, dass die konkrete Art und Schwere der Ausführung nur in seltenen Fällen pathologische Reaktionen der Anwesenden hervorrufen könnte. Das bloße Wissen um eine vorkommende selbstschädigende Handlung kann jedenfalls die gebotene Erheblichkeit einer psychischen Belastung nicht erreichen.242 Hinzu kommt der Umstand, dass der Selbstschädiger in der Regel keinen Einfluss auf die Verbreitung eines solchen Wissens von dritter Seite hat und deswegen ihm die sich daraus ergebende Gefühlsbeeinflussung nicht zugerechnet werden kann.243 In diesem Zusammenhang von psychisch vermittelten Folgewirkungen ist noch zu erörtern, ob bestimmte Selbstverfügungen deshalb untersagt werden könnten, weil ihre rechtliche Anerkennung eine desorientierende Wirkung auf die anderen Mitglieder der Gemeinschaft hat, die darauf zurückzuführen wäre, dass die Achtung der Unantastbarkeit des Rechtsguts, über das verfügt wird, in Zweifel gezogen wird. Dieser Gedanke wird insbesondere in der Diskussion um die Legitimierbarkeit von § 216 StGB angeführt. Darauf ist noch ausführlich einzugehen.

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Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 235; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 273: „… denn je weniger die Verknüpfung von Selbstverfügung und Sozialbezug notwendig ist, desto eher kommt ein Verbot gerade der gewählten Art der Selbstverfügung in Betracht.“ 240 Siehe dazu ausführlich Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 235, 239 f. 241 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 55; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 62; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 63; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 149; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 225; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, § 9 Rn. 393; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 35; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 193; a.A. Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rn. 18; BVerfGE 56, 54, 75 erfasst auch nichtkörperliche Einwirkungen, die sich mittelbar körperlich auswirken. 242 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 207. 243 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 110 Fn. 509.

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Mit der Einsicht, dass ein Eingriff in die durch Art. 2 abs. 1 GG geschützte Selbstverfügungsfreiheit unter bestimmten Voraussetzungen mit den aufgezählten Effekten gerechtfertigt sein kann, ist aber noch nicht entschieden, dass derartige Erwägungen auch die Existenz strafrechtlicher Sanktionsnormen tragen könnten.244 Aus einem liberalen, gesetzgebungskritischen Rechtsgutsbegriff ergibt sich, dass der Schutz vor negativen Emotionen (Unlustgefühlen) keine legitime Aufgabe des Strafrechts sein kann.245 Nach Roxin ist eine Grenze dort zu ziehen, wo der Einzelne sich durch bestimmte Verhaltensweisen in seinem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt fühlt.246 Ein mit strafrechtlicher Sanktion verfolgtes Recht der Mehrheit, frei von unerwünschten emotionalen Belästigungen zu sein und nicht durch unmoralisches Verhalten anderer gestört zu werden, würde dagegen das Individuum den rechtlich begründeten Verhaltenserwartungen der Gesellschaft aussetzen.247 Die Vermeidung von unangenehmen Gefühlen wird lediglich als Nebeneffekt entsprechender Strafnormen angesehen, erlaubt aber nicht eine selbstständige Rechtfertigung.248 Unter welchen Voraussetzungen die Beeinträchtigung konkreter Rechte Dritter durch ein selbstgefährdendes oder -schädigendes Verhalten eine Kriminalisierung zu rechtfertigen vermag, ist jedenfalls keine abstrakt zu beantwortende Frage, sondern muss für jede in Betracht zu ziehende Strafnorm gesondert geprüft werden. Insoweit wird auf die Ausführungen des Besonderen Teils der Untersuchung verwiesen. 2. Bestand der Gesellschaft Zur Rechtfertigung der Sanktionierung selbstschädigenden Verhaltens wird manchmal auf dem Interesse der Allgemeinheit an der physischen Fortexistenz der eben diese Gemeinschaft bildenden einzelnen Personen abgestellt. Das Interesse des Staates an der Selbsterhaltung des Einzelnen leite sich wiederum von einem Selbsterhaltungsinteresse der Gemeinschaft ab.249 Diese Behauptung impliziert eine gegenüber der Gemeinschaft bestehende Pflicht des Einzelnen zum Weiterleben, die in einem säkularisierten Staat nur auf gemeinschaftsorientierten utilitaristischen Erwägungen beruhen kann.250 Da die Gesellschaft auf die physische Existenz ihrer 244

Wohlers, Deliktstypen, S. 271. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 346 f.; Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 78 f.; dies., in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Rechtsgutstheorie, S. 268 f. m.w.N.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 394 ff. 246 Roxin, AT I4, § 2 Rn. 26; ders., in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, S. 141 f.; ders., in: FS-Hassemer, S. 579 f. 247 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 212. 248 Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 84. 249 Vgl. Jescheck/Weigend, AT, S. 379; Otto, in: FS-Tröndle, S. 158; Schmidhäuser, in: FSWelzel, S. 817; Weigend, ZStW 1986, S. 63. 250 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtguts Leben, S. 212; Göbel, Die Einwilligung, S. 31; Maatsch, Selbstverfügung, S. 43; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 181. 245

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Mitglieder angewiesen sei, könne es sie nicht gleichgültig lassen, „wenn sich einzelne ohne weiteres ins Jenseits verabschieden“251, „ein Gemeinwesen, das sich selbst ernst nimmt, wird seine Existenz nicht in das Belieben aller einzelnen stellen können, sondern die Achtung vor dem Leben aller seiner Mitglieder auch gegenüber der Versuchung zum Selbstmord fordern müssen.“252 Konsequenterweise wären auch der Selbstmord und die Teilnahme an ihm strafwürdig, deren Pönalisierung allein wegen der fehlenden motivierenden Wirkung auf den Betroffenen unterbliebe.253 Die Straflosigkeit des Suizidversuchs und der Suizidteilnahme hat tatsächlich einige Autoren nicht davon abgehalten, Selbsttötung als rechtswidrige Tat zu qualifizieren.254 Wer die (versuchte) Selbsttötung als allenfalls entschuldbare Unrechtsbegehung ansieht, postuliert als Kehrseite des Suizidverbots eine Pflicht zum Leben. Schmidhäuser verweist auf die kategorische Forderung der Fortexistenz der Menschheit, ohne aber ein solches Gebot näher zu begründen.255 Wenn man den moralischen Vorrang des Kollektivs gegenüber dem Individuum propagiert und das einzelne Subjekt nicht für absolut werthaft hält, ist es dann wenig einleuchtend, der Summe aus mehreren gleichartigen für sich nur relativ bedeutenden Entitäten absoluten Wert zuzusprechen.256 Unter Bestandsschutzaspekten der Gemeinschaft wäre eine Selbsterhaltungspflicht des Einzelnen auch deswegen wenig einsichtig, weil der Einzelne das Recht hat, auszuwandern und seine Staatsbürgerschaft abzugeben.257 Wenn aber ein Individuum das Recht hat, in einen fremden Staat zu emigrieren, dann 251

Weigend, ZStW 1986, S. 66. Schmidhäuser, in: FS-Welzel, S. 817. 253 Vgl. Otto, in: FS-Tröndle, S. 169; Feuerbach, Lehrbuch, § 241, erklärt den Selbstmord für rechtswidrig, weil derjenige, der in den Staat eintrete, diesem seine Kräfte verpflichte und nicht eigenmächtig rauben dürfe; freilich handele der Staat unvernünftig, eine Rechtswidrigkeit mit Strafe zu bedrohen, welche zugleich ihren Urheber der Strafe entziehe. 254 So Schmidhäuser, in: FS-Welzel, S. 811 ff. und Weigend, ZStW 1986, S. 65; daran anschließend Klinkenberg, JR 1978, S.441 ff.; im Ergebnis auch Bringewat, ZStW 1975, S. 646 ff. Kritisch Bottke, GA 1983, S. 26; Charalambakis, GA 1986, S. 487; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 214 ff.; Dölling, GA 1984, S. 76; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 113 ff.; Göbel, Die Einwilligung, S. 32; Herzberg, JA 1985, S. 132 ff.; Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 82; Hohmann/König, NStZ 1989, S. 306; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 294; Roxin, in: FS-Dreher, S. 336 ff.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 114 f.; Lackner/ Kühl, Vor § 211 Rn. 9; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 36 f.; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 211 ff. Rn. 33; SK-Horn, § 212 Rn. 8; Schroeder, ZStW 1994, S. 566; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 172 ff. 255 Kritisch Maatsch, Selbstverfügung, S. 44; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 82 Fn. 84. 256 Maatsch, Selbstverfügung, S. 44. 257 Vgl. hierzu das Argument Beccarias, dass der Selbstmörder zumindest sein Vermögen hinterlässt, wobei der Auswanderer in der Regel alles mit sich nimmt. Auf die grundrechtlich garantierte Ausreisefreiheit des Individuums verweisen auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S.184; Merkel, Früheuthanasie, S. 417; Roxin, in: FSDreher, S. 338; Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 224 f.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 182. 252

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sollte es ebenfalls unbestritten sein, dass es über sein Leben beliebig verfügen darf. Es müsste überdies vorausgesetzt werden, dass die Existenz einer Gesellschaft etwas an sich Gutes ist, das auch gegen den Willen der Mitglieder erhalten werden sollte.258 Die Gesellschaft ist aber kein von seinen Bürgern losgelöstes, selbstständig existierendes Gebilde.259 Eine Gemeinschaft darf nicht zum Selbstzweck erhoben werden und kann als Sammelbegriff für die sie bildenden Individuen keine eigenständigen Interessen haben.260 Selbst unter Zugrundelegung einer gemeinschaftlichen Perspektive ließe sich eine Pflicht des Individuums zum Weiterleben nicht mehr begründen.261 Die komplexen Organisationsstrukturen und die Produktionssystemen der heutigen postmodernen Gesellschaft können nicht durch den Selbstmord einzelner Gesellschaftsmitglieder beeinträchtigt werden. Angesichts der hohen Zahlen von Arbeitslosen würde eine durch Freitod bewirkte Verringerung der Bevölkerungszahl sogar stets im staatlichen Interesse liegen, zumal die aus Sicht des Sozialstaates gewährte Arbeitslosenhilfe einzusparen wäre.262 Das hoch elitistische Argument, die Deprimierung der Gesellschaft von bestimmten Spezialisten könnte sich als besonders schädlich erweisen, beträfe eine geringe Zahl von Individuen und würde eine fragliche Differenzierung zwischen Individuen anhand ihrer Fähigkeiten vollziehen.263 Diese Ansicht müsste letztendlich zu einem gefährlichen „sozialen Darwinismus“ führen, denn im Interesse der Gesellschaft kann nur eine Pflicht zum Weiterleben für denjenigen bestehen, der dem sozialen Leben auch nützlich ist. Rein utilitaristisch gesehen sind Schwerstkranke, Behinderte, Drogenabhängige oder Straftäter eher eine Last für die leistungsfähigen Gesellschaftsmitglieder.264 Einer solchen qualitativen Bewertung des Lebens liegt auch die Annahme zugrunde, von der Unbeachtlichkeit der Einwilligung in eine vorsätzliche Tötung dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Betroffene aufgrund seiner Konstitution für die 258

Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 178. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 184. 260 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 209. 261 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 231, spitzt die Argumentation zu, indem er eine Fortpflanzungspflicht als weitere Folge der Postulierung einer Pflicht zum Weiterleben im Interesse der Allgemeinheit ansieht. Wenn alle Individuen auf Fortpflanzung verzichten würden, würde dies innerhalb von Jahrzehnten zum selben Ergebnis wie ein kollektiver Suizid aller lebenden Menschen führen. Hierbei wird jedoch verkannt, dass das Suizidverbot sich auf eine aktive Selbstvernichtung bezieht, während eine Fortpflanzungspflicht auf das Unterlassen der Zeugung abstellt und daher nicht ohne weiteres mit dem Suizid gleichgestellt werden kann. 262 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 221; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 210; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 182. 263 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 224. 264 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 221 f.; Maatsch, Selbstverfügung, S. 44; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 177; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 127; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 183. 259

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Allgemeinheit nicht mehr von „Nutzen“ sein kann.265 Einen genauen Maßstab, nach dem die Gesellschaftsnützlichkeit des Einzelnen beurteilt werden könnte, lässt dieser Ansatz jedoch vermissen.266 Die gleichen Einwände lassen sich der Auffassung entgegenhalten, nach der der Freitod bzw. die schwere, irreparable Körperverletzung die Gesellschaft durch die Entziehung des positiven Angebots des Individuums (Entzug von Arbeits- oder Wehrdienstleistungen) schwäche.267 Es ist schließlich fraglich, ob ein Selbsttötungsverbot zwangsläufig mit einer positiven Anstrengung des potentiellen Suizidenten zugunsten der Gemeinschaft korreliert. Denn ein besonders qualitativer Beitrag des Individuums zum Gesellschaftsleben könnte nicht durch Zwang, sondern eher durch Motivation in einer möglichst zwangsfreien Umwelt erreicht werden.268 Die fehlende Plausibilität dieser kollektivistischen, utilitaristischen Argumentation sollte daher inzwischen auf der Hand liegen. Die Heranziehung des Interesses der Gemeinschaft am Erhalt eines leistungsstarken Bürgertums als Grund für die Bestrafung selbstschädigenden Verhaltens verkennt vor allem das dem Grundgesetz zugrundeliegende Menschenbild. Die „totale Inpflichtnahme“ des Einzelnen für die Gemeinschaft widerspricht ersichtlich einem freiheitlichen Staatsmodell und verfehlt die Prämisse des Grundgesetzes, wonach Grund und Ziel des Staates die durch ihre Würde ausgezeichneten Menschen sind.269 Würde man den Interessen des Gemeinwesens einen gegenüber der Selbstbestimmungsfreiheit der Individuen eigenständigen Wert zuschreiben, wäre die individuelle Freiheitsentfaltung unter einen Gemeinwohlvorbehalt gestellt.270 Dies würde die Zwecksetzungsmacht des Individuums in Frage stellen und dem Staat die Möglichkeit eröffnen, zu bestimmen, welche Handlungen zulässige Formen menschlicher Selbstentfaltung darstellen.271 Der Mensch kann demnach nicht lediglich aus dem Grund vor sich selbst geschützt werden, dass er als Mitglied die Gemeinschaft mit konstituiert. Ein durch das öffentliche Interesse bestimmtes Selbstbestimmungsrecht negiert die Rechtssubjektivität des Einzelnen und macht ihn zum bloßen Objekt der verfolgten Gemein265 Maatsch, Selbstverfügung, S. 45; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 210, bemerkt richtig, dass die Bewertung des menschlichen Lebens nach seiner Gesellschaftsnützlichkeit zu einer teleologischen Reduktion des Tatbestandes des § 216 StGB führen müsste. 266 Maatsch, Selbstverfügung, S. 45. 267 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 219, bemerkt, dass wir keine Einwände gegen das Verhalten eines Mönchs oder eines Eremiten haben, obwohl sie die Gesellschaft ihrer positiven Anstrengung nicht weniger als ein Suizident berauben. So auch Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 182 und Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 91. 268 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 228 ff.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 127. 269 Dölling, GA 1984, S. 85; Gallas, JZ 1960, S. 654; vgl. Kaufmann, Strafrecht zwischen Gestern und Morgen, S. 144 f.: „… der einzelne ist der Gemeinschaft verpflichtet, aber nur solange er lebt; er ist der Gemeinschaft indessen nicht verpflichtet zu leben.“ 270 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 178. 271 Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 178.

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wohlbelange.272 Grundrechtliche Freiheit kommt dem Menschen bereits aufgrund seines Menschseins zu und nicht erst in Zusammenhang mit der Nützlichkeit seines Freiheitsgebrauchs für die Allgemeinheit, andernfalls würde er einem bedenklichen Kollektivismus ausgeliefert werden.273 In einem liberalen Rechtsstaat muss der kompetente Bürger auch die Freiheit zum Untergang besitzen; eine Wohlfahrtsdiktatur um der Gemeinschaft willen ist daher ohne weiteres abzulehnen. 3. Der Schutz der Allgemeinheit vor Folgekosten von selbstschädigenden Verhaltensweisen Im vorliegenden Rahmen ist auch der vieldiskutierte Topos der sozialen Folgekosten eines selbstschädigenden Verhaltens zu behandeln, auf die auch das Bundesverfassungsgericht in den beiden straßenverkehrsrechtlichen Entscheidungen zu der Verpflichtung, einen Schutzhelm zu tragen bzw. einen Gurt anzulegen, abgestellt hat.274 Es ließe sich nämlich behaupten, dass das Recht auf Selbstgefährdung bzw. -schädigung einschränkbar ist, weil das staatliche Sozialsystem vor den im Falle der Gefahrrealisierung entstehenden Folgekosten, die gewöhnlich auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, etwa in Form von Steuern oder Versorgungsleistungen zugunsten des Geschädigten, geschützt werden sollte. Da der Einsatz der Rettungsdienste, die ärztliche Versorgung der Verletzten, die Rehabilitationsmaßnahmen der Gesellschaft zur Last fallen, soll diese berechtigt sein, bei risikoreichen Handlungen auch mit den Mitteln des Strafrechts einzugreifen. Eine solche Begründung erweckt erhebliche Bedenken. Zunächst ist es zweifelhaft, ob in einer Selbstschädigung die Beeinträchtigung der „Rechte anderer“, nämlich der leistungsfähigen Bürger der Solidargemeinschaft erblickt werden kann.275 Unmittelbar wird nur der zur Sozialleistung verpflichtete Staat betroffen.276 Erst wenn die Kumulation von selbstschädigenden Handlungen zur Überforderung der Systeme sozialer Sicherheit führen würde, würde die Gemeinschaft der leistungsfähigen Bürger konkret wegen einer Erhöhung der Beitragspflichten belastet werden.277 Die sozialen Folgekosten sind jedoch nicht zwangsläufig, sofern man davon ausgeht, dass die Systeme sozialer Sicherheit mit entsprechenden finanziellen Spielräumen ausgestattet sind.278 272 Kämpfer, Selbstbestimmung Sterbewilliger, S. 223; Schmitz, Gefahrenabwehrrecht und psychisch Kranke, S. 178. 273 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 115. 274 Vgl. BVerfGE 30, 47, 53 f.; 59, 275, 279; BVerfG NJW 1987, S. 180. 275 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 265. 276 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 99. 277 So Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 54, Fn. 131; Doehring, in: FS-Zeidler, Bd. 2, S. 1557. 278 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 100 f., will trotz verfassungsrechtlicher Vorbehalte ein grundsätzliches Interesse der Solidargemeinschaft an der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Leistungsstandards des sozialen Sicherungssystems

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Aber auch im Falle einer drohenden Überforderung des bestehenden Sozialsystems ist fraglich, ob der mit dem Verbot der risikoreichen Freiheitsbetätigung verbundene Grundrechtseingriff erforderlich wäre, um die Allgemeinheit vor Folgelasten durch Selbstschädigungen zu schützen.279 Denkbar wäre die gegenüber dem Verbot des selbstschädigenden Verhaltens mildere, freiheitsverträgliche Alternative einer den selbstverschuldeten Eintritt der Hilfsbedürftigkeit berücksichtigenden Begrenzung oder sogar Verweigerung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche.280 Der Gesetzgeber könnte demnach dem Einzelnen die sozialrechtlichen Kosten seines selbstschädigenden Verhaltens ganz oder teilweise auferlegen, soweit die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein nicht gefährdet wären.281 Auf diese Weise werden die finanziellen Interessen der Gemeinschaft nicht beeinträchtigt und gleichzeitig kann sich der Einzelne frei für oder gegen das Eingehen des Risikos entscheiden. Die von Schwabe282 gegen diese weniger einschneidende Alternative angeführten Beweisschwierigkeiten der Kausalität zwischen der Selbstschädigung und dem entstehenden Schaden vermögen für sich genommen das strafrechtliche Verbot oder sonstige Hinderungen einer risikoreichen Freiheitsbetätigung nicht zu rechtfertigen.283 Der Zweck der Entlastung der Allgemeinheit von den Folgekosten der Selbstschädigung könnte auch dadurch erreicht werden, dass diejenigen, die wegen des bewussten Eingehens eines erhöhten Gesundheitsrisikos in erheblichem Maße Sozialleistungen in Anspruch nehmen werden, einen Sonderbeitrag für das Gesundheitssystem präventiv zahlen würden.284 Die Fahrer wären dann nicht mehr geanerkennen, das durch selbstgefährdendes oder -schädigendes Verhalten einzelner Anspruchsberechtigter wenigstens abstrakt gefährdet wird. Er fragt sich aber zu Recht, ob daraus eine Berechtigung des Staates folgt, den selbstgefährdenden oder -schädigenden Freiheitsgebrauch zu reglementieren, um vermeidbare Kosten zu sparen. Vgl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 292. 279 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 259; Haffke, ZStW 1995, S. 779. 280 Köhler, ZStW 1992, S. 21 f.; Paeffgen, BGH-FS, S. 698. 281 Englerth, in: Engel/Englerth/Lüdemann/Spiecker (Hrsg.), Recht und Verhalten, S. 250; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 54 Fn. 131; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 106; a.A. Weber, Handeltreiben, S. 366 f. Für die Sicherung des Existenzminimums durch sozialstaatliche Vorsorge als Grenze der Vorenthaltung Sozialleistungen Vgl. Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 260. 282 Schwabe, JZ 1998, S. 73. 283 Nach Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 260 f., dürften derartige Schwierigkeiten den Hoheitsträger noch dazu bewegen, die Kosten für bestimmte Schäden unabhängig von der Ursache auf die Allgemeinheit oder eine Gruppe abzuwälzen. Der Vermeidung solcher Schwierigkeiten wäre im Rahmen der politischen Verwaltung entgegenzutreten. 284 So Feinberg, Harm to Self, S. 139: „…we can achieve that goal equally well without criminal prohibitions, simply by requiring the risk-takers to purchase extra medical insurance as a condition of their licensing“; Dworkin, Paternalism, in: Sartorius (Edt.), S. 109; Schonsheck,

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zwungen, einen Sicherheitsgurt anzulegen oder einen Schutzhelm zu tragen, weil sie vorher eine Art Deckung ihrer risikoreichen Freiheitsbetätigung vorgelegt hätten. Eine indirekte Erhöhung der Sozialabgaben wäre auch bei risikoreichem Konsumoder Freizeitverhalten anwendbar: die Alkohol- oder Tabaksteuer könnte zugunsten der Gesundheitsvorsorge verwendet werden. Die Freiheit zum Rauchen oder Trinken würde über die Preiserhöhung der Ware auf die Kunden, die sich auf einen solchen Genuss einlassen, abgewälzt werden.285 Und das Betreiben bestimmter gefährlicher Sportarten könnte von einer entsprechenden Besteuerung abhängig gemacht werden, die wiederum für die soziale Unterstützung der Betreiber dieser Sportarten verwendet werden würde.286 Problematisch könnte dabei der Fall sein, in dem die betroffenen Individuen scheitern würden, die zusätzlichen Beitragssätze zu zahlen. Von einem liberalen Standpunkt aus könnte argumentiert werden, der Betroffene habe die Folgen seines selbstzerstörerischen Verhaltens zu tragen; letztendlich habe er es so gewollt. Eine derartige Annahme ist jedoch mit weitgehenden psychisch-moralischen Kosten für die Allgemeinheit („moralisms“) verbunden, die in der vorzunehmenden Abwägung berücksichtigt werden sollten.287 Es ist nämlich denkbar, dass sich Dritte durch die Konfrontation mit einem selbstschädigenden Verhalten psychisch belastet fühlen. Wir können nicht einfach gleichgültig dem Unglück anderer Menschen den Rücken zuwenden, sondern wir fühlen uns aus mitmenschlicher Solidarität zum Eingreifen verpflichtet. Es wird nämlich die Auffassung vertreten, dass die Verpflichtung zum Tragen von Sicherheitshelmen oder -gurten sich mit „der enormen psychischen Belastung“ rechtfertige, die den Verursacher eines Unfalls hinsichtlich der Verletzungen des anderen Unfallbeteiligten treffe.288 Die Einbeziehung solcher Schuldgefühle vermag trotzdem für sich genommen keine Reglementierung des individuellen Freiheitsgebrauchs mit den Mitteln des Strafrechts zu begründen, sofern das Sicherheitsgefühl der Bürger nicht tangiert wird.289 Derartige negative Emotionen sind in der heutigen hochtechnisierten Gesellschaft, in der man mit der Gefahr von On Criminalization, S. 123 f.; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 151 f.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 221 Fn. 364. 285 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 104. 286 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 259; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 105. 287 Dworkin, The theory and practice of autonomy, S. 127: „The libertarian answer ist that we announce ahead of time that such individuals will not be aided by us. But surely this imposes a psychic cost on us – that of ignoring or abandoning people in distress.“; ähnlich Feinberg, Harm to Self, S. 138 ff.; Kleinig, Paternalism, S. 92 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 368. 288 Siehe Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 152; ähnlich meint Gimbernat Ordeig, GA 2011, S. 293 f., dass das öffentliche Ärgernis und das Unwohlgefühl der Allgemeinheit als geschützte Rechtsgüter der entsprechenden Vorschrift der spanischen Straßenverkehrsordnung in Betracht kommen. 289 Vgl. Roxin, AT I4, § 2 Rn. 26 f.; ders., in: FS-Hassemer, S. 579 f.; ders., in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, S. 141 f.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Unfällen in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens konfrontiert wird, einfach hinzunehmen.290 Hillgruber hat einen weiteren gewichtigen Einwand gegen die Berücksichtigung von sozialen Folgekosten als Begründung von Freiheitseinschränkungen erhoben.291 Aus Gründen des Übermaßverbots dürfen die Freiheitseinschränkungen nur diejenigen treffen, die auf die Solidargemeinschaft angewiesen sind. Nur insoweit wäre eine Beschränkung der Verhaltensfreiheit zur Entlastung der Allgemeinheit erforderlich. Das Sozialstaatsprinzip soll aber nicht übergeordneten gesellschaftlichen Interessen dienen, sondern gerade sicherstellen, dass alle, insbesondere sozial Schwächere, durch Gewährleistung sozialer Sicherheit ein selbstbestimmtes Leben führen können.292 Mit dieser freiheitsermöglichenden Funktion des Sozialstaats ist eine sozialstaatlich begründete Legitimation von Beschränkungen grundrechtlicher Freiheit der sozial Schwachen unvereinbar. Eine solche Ungleichbehandlung zwischen Wohlhabenden und Besitzlosen erscheint erstens ungerecht. Denn nur wenige besäßen dann die Freiheit zum Wagnis, weil sie es sich leisten könnten.293 Zweitens wäre eine Differenzierung bezüglich der Anwendung des Verbots aus praktischen Gründen undurchführbar, weshalb der Gesetzgeber zur Lösung des Problems beim generellen Verbot bleiben müsste.294 Nach Schwabe führt auch der von Hillgruber befürwortete Zustand zu einer fragwürdigen Ungleichbehandlung, weil der eine das Wagnis auf eigene Kosten, der andere aber auf Steuerzahlerkosten eingeht.295 Schwabe verkennt jedoch, dass alle Beitragszahler dasselbe Recht zum Risiko und für den Fall der Gefahrrealisierung denselben Anspruch auf Sozialleistungen haben. Dass das System einer Solidargemeinschaft faktisch ungerecht wirkt, weil bestimmte Mitglieder nie oder in geringerem Maße als andere Sozialleistungen beanspruchen, ist ein systemimmanentes Defizit.296 Das Argument des Sozialsystems eröffnet schließlich ein Einfallstor für Verbote selbstverfügender Entscheidungen, weil die „slippery-slope-Gefahr“ übermächtig wird: Mit dem Folgekostenargument ließe sich jedwedes strafrechtliche Verbot ungesunder Lebensführung (beispielsweise der übertriebene Fleischgenuss, Alko-

290 Wie Dworkin, The Theory and Practice of Autonomy, S. 127 richtig bemerkt: „Ultimately I am left with the feeling that these arguments either are not relevant to justifying restrictions on behaviour or, if they are relevant, do not seem strong enough to tip the scale by themselves.“ Ähnlich Kleinig, Paternalism, S. 93: „Once again, it is not clear that we have anything like a decisive argument. Like it or not, the world has so much suffering in it that we are forced to develop accommodating mechanisms.“ 291 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 161. 292 Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 177. 293 Mosabcher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 208; Schwabe, JZ 1998, S. 73; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 107. 294 Schwabe, JZ 1998, S. 73. 295 Schwabe, JZ 1998, S. 73. 296 So Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 108 f.

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holkonsum oder eine unsportliche Lebensweise) legitimieren.297 Es gibt keine rechtliche und erst recht keine strafrechtliche Verpflichtung zu einer Lebensführung, die die Sozial- und Krankenversicherungssysteme nicht belastet.298 Bei einer konsequenten Anwendung des Kostenarguments kommt man zwar zu dem Ergebnis, dass die Selbstschädiger (z. B. Raucher, Drogenkonsumenten) durch ihre durchschnittlich verringerte Lebenserwartung tatsächlich die Kranken- und Rentenkassen entlasten und folglich die Gemeinschaft paternalistisch nicht intervenieren sollte, da sie die hohen Krankenbehandlungskosten und Rentenzahlungen im Endeffekt spart.299 Man könnte sogar mit Schünemann zynisch behaupten, dass die im extremen Risiko lebenden Motorradfahrer eine besonders anerkennenswerte soziale Leistung erbringen, indem sie bei tödlichen Unfällen die Bevölkerung mit frischen Organen versorgen.300 Die Beurteilung der Menschen allein unter Kostengesichtspunkten erweist sich daher einerseits sehr kompliziert, andererseits birgt das Argument die Missbrauchsgefahr in sich und ist beliebig einsetzbar.301 Die staatlichen Unterstützungsleistungen auch für die Folgen von Selbstschädigungen sind also der Preis, den ein in der Menschenwürdegarantie wurzelnden Sozialstaat zu zahlen hat.302 Eine Beschränkung der „Freiheit zum Risiko“ mit Rückgriff auf den Schutz der Solidargemeinschaft vor Folgekosten dehnte das Sozialstaatsgebot zu einem Eingriffsinstrument des Staates gegen den Bürger.303 Die Gewährung der Grundrechte unter dem Vorbehalt des Sozialstaatsgebots würde ihre Aufgabe der Sicherung individueller Freiheit auf den Kopf stellen und eine unannehmbare Rechtspflicht zum „vernünftigen“ Verhalten statuieren.304 Die Reichweite sozialstaatlicher Verpflichtung muss sich daher nach Maßgabe der grundrechtlich

297 Frisch, in: FS-Stree/Wessels, S. 95; Haffke, ZStW 1995, S. 780; Kleinig, Paternalism, S. 94; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 208; Schünemann, in: von Hirsch/ Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 239; Streicher, NJW 1977, S. 284. 298 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rdn. 236. 299 Englerth, in: Engel/Englerth/Lüdemann/Spiecker (Hrsg.), Recht und Verhalten, S. 249; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 207; Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/ Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 239. 300 So Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 239. 301 Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 239. 302 Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 262; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 162; Streicher, NJW 1977, S. 284; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 103. 303 Dietlein, Die Lehre der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 229: „… da der für den Bürger eingerichtete Sozialstaat auf diese Weise zum „Bumerang“ für den Bürger werden kann.“; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 262; Haffke, ZStW 1995, S. 780; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 143; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 105. 304 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 51.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

garantierten Freiheit bestimmen und nicht umgekehrt.305 Würde man eine weitgehende Gemeinschaftsbindung des Einzelnen als Kehrseite sozialstaatlicher Daseinsvorsorge anerkennen, so würde der freiheitliche Charakter des Grundgesetzes angetastet.306 Die Gesamtschau der dargestellten Einwände macht deutlich, dass es in der Tat nicht um die Vermeidung von Folgekosten für die Allgemeinheit geht, sondern darum, die betroffenen Menschen vor „unvernünftigem“ Freiheitsgebrauch zu schützen; man muss sich die Künstlichkeit dieser Begründung vor Augen führen. Es vermag deshalb nicht zu überzeugen, wenn zur Rechtfertigung der in Frage stehenden Straftatbestände auf angebliche Sozialkosten verwiesen wird.307 Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass auch eine solche die finanziellen Interessen der Allgemeinheit einbeziehende Erklärung nur Teil einer Taktik der Verschleierung der wahren paternalistischen Motive des Gesetzgebers ist, mit der sich ad hoc alles rechtfertigen lässt, was man rechtfertigen möchte. Eine auf die Kostenproblematik reduzierte Betrachtungsweise respektiert nicht die individuelle Autonomie und setzt den Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns herab. Die individuelle Entscheidungsfreiheit ist vielmehr als Endzweck zu achten und nicht, weil sie das Wohlergehen der Allgemeinheit fördert.

IV. Die Schranke des Sittengesetzes Der Verweis auf das Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG ist der verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt, wo sich paternalistische und moralistische Argumentationen zur Rechtfertigung von Einschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit häufig überschneiden, weil auch zur moralischen Forderung erhoben werden kann, seine Fähigkeiten optimal zu entwickeln und sich nicht selbst zu schädigen.308 Wer bestimmten rechtsmoralistischen Maßstäben zuwiderhandelt, beeinträchtigt nach diesem Verständnis zugleich sein eigenes Wohl als sittliches oder moralisches Wesen.309 Der Schutz vor einer moralistisch gedeuteten Selbstschädigung hat zusätzlich paternalistischen Charakter. Eine eigenständige Bedeutung dieser Grundrechtsschranke wird vor dem Hintergrund der weiten Auslegung der verfassungs305 Dazu, dass das Sozialstaatsprinzip keine unmittelbare Grundrechtseinschränkung legitimiert s. BVerfGE 59, 251 (263). 306 Doehring, in: FS-Zeidler, Bd. 2, S. 1557. 307 von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 246. 308 So auch Erbel, Das Sittengesetz, S. 55: „Hier wird das Sittengesetz zu einer verfassungsrechtlichen Einbruchsstelle moralisch-wohlfahrtsstaatlicher Tendenzen, zu einem Instrument der sittlichen „Erziehung“ des Bürgers“. Zur Abgrenzung zwischen moralischen Paternalismus und Rechtsmoralismus vgl. Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 27 f.; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 25; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 229 ff. 309 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 266.

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mäßigen Ordnung, aber auch wegen der fehlenden demokratischen Legitimation der nicht positiv normierten sittlichen Vorstellungen in der neuen verfassungsrechtlichen Literatur vielfach verneint.310 Dem Sittengesetz komme lediglich eine mittelbare Bedeutung bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der vom Gesetzgeber konkretisierten Schranken zu.311 Die Schranke erhält einen eigenständigen Sinngehalt, wenn man in ihm ein inhaltserfülltes Wertkonzept erblickt, an dem sich die Person um allgemeiner oder eigener Wertverwirklichung willen zu orientieren hat.312 Schranken der Selbstverfügungsfreiheit ergeben sich danach unmittelbar aus deren sittliche Missbilligung durch eine qualifizierte Mehrheit der Bevölkerung. Angesichts der faktischen Schwierigkeit der empirischen Ermittlung der das Sittengesetz ausmachenden allgemeinen Moralvorstellungen und ihrer zeitlich bedingten Wandelbarkeit ist fraglich, ob dem Sittengesetz derartige Freiheitsschranken entnommen werden können.313 Selbst wenn man die praktischen Feststellungsprobleme erfolgreich lösen könnte, würde sich die weitere Frage stellen, ob der von der Mehrheit einer Gesellschaft erhobene Anspruch, ihre moralischen Überzeugungen der Minderheit aufzuzwingen, überhaupt berechtigt ist.314 Eine pluralistische Gesellschaft, deren moralischer Grundkonsens gerade darin besteht, dass eine Vielfalt von Konzeptionen über ein gelungenes Leben nebeneinander bestehen sollen, darf keine Vorstellung des „Guten“ allgemeinverbindlich vorschreiben.315 Es liegt der Verdacht nahe, dass es in Wirklichkeit nicht darum geht, das gute Leben des Betroffenen zu fördern, sondern

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Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 46; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 60; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 19; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 26 („funktionslos“); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 41; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 99; Podlech, in: AK-GG Art. 2 Abs. 1 Rn. 64 f.; vgl. auch Degenhart, JuS 1990, S. 164; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 228; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 172 f.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken, S. 32. 311 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 46; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 44; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 28; Degenhart, JuS 1990, S. 164. 312 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 301. 313 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 45; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 27 f.; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 98; Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 57 f.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 230; Wohlers, Deliktstypen, S. 267; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 69. 314 Enders, Die Menschenwürde, S. 396; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 304; Wohlers, Deliktstypen, S. 267. 315 Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 25; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 130; Wohlers, Deliktstypen, S. 265. Zutreffend betont Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 230, dass es gerade die Exponierung (auch die unangenehme Konfrontation) des Einzelnen in dieser Polymorphie von Lebensidealen sei, die ihn zur Erfüllung des Zwecks einer möglichst umfassenden und harmonischen Entwicklung fördere.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

um die zwangsweise Durchsetzung von den herrschenden sozialethischen Anschauungen.316 Einer Vorstellung der Grundrechtsschranke des Sittengesetzes, die nicht mehr auf die allgemeinen Moralvorstellungen der Gemeinschaft abstellt, sondern auf die Sicherung der praktischen Konformität des Einzelnen mit seinen eigenen Wertvorstellungen zielt, sind auch erhebliche Einwände entgegenzuhalten. Es müsste eine Schranke der individuellen Freiheit errichten, die der eigenen Persönlichkeitsentfaltung des Grundrechtsberechtigten dient und den Menschen auch um seines Personenseins willen bindet.317 Die Erzwingung eines vom Grundrechtsträger selbst geteilten Lebensideals, das er aus welchem Grund auch immer zu befolgen nicht imstande ist, würde aber zu einer fragwürdigen Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des Einzelnen führen und die freiheitsbewahrende Funktion des Art. 2 Abs. 1 GG in erheblichem Ausmaß zurückdrängen.318 Ein so verstandenes Sittengesetz würde außerdem der paternalismusresistenten Menschenwürdegarantie entgegenstehen.319 Es ist demnach ausgeschlossen, die Sittlichkeit um ihrer selbst willen zu wahren oder dem Menschen ein Mindestmaß an Sittlichkeit vorzuschreiben und dieses paternalistisch durchzusetzen.

V. Der Schutz des Menschen vor sich selbst in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1. Entscheidungen über den allgemeinen Rechtspaternalismus Das Bundesverfassungsgericht hatte schon mehrmals die Möglichkeit, sich mit der Problematik des Rechtspaternalismus auseinanderzusetzen. Es problematisiert aber eher beiläufig und ohne nähere Begründung die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer staatlichen Eingriffsbefugnis zu dem Zweck des Schutzes des Menschen vor sich selbst. Bis in die späten neunziger Jahre hat das Gericht in seinen einschlägigen Entscheidungen ohne eine tiefgehende Erörterung des Problems die liberale These vertreten, die den paternalistischen Schutz von Geisteskranken und Minderjährigen in gewissen Grenzen für zulässig erachtet. Es handelte sich bei den

316 Die weitere Frage, ob Verstöße gegen zentrale moralische Normen soziale Folgewirkungen auslösen können, die die Qualität von Rechtsverletzungen erreichen, wird unter Teil 4. III. näher untersucht. 317 So Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 27. 318 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 167; Fischer, Die Zulässigkeit des aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 256; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 305; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, § 8 IV 3 Rn. 386. 319 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 167 f.; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 256 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 305.

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einschlägigen Entscheidungen um Sachverhalte, in denen die Betroffenen nicht oder noch nicht hinreichend eigenverantwortlich zu handeln vermögen. So will das Gericht in BVerfGE 22, 180 zwischen einem zulässigen Schutzzweck „wie z. B. die Unterbringung eines wegen Geistesschwäche Entmündigten in einer geschlossenen Anstalt, um ihn daran zu hindern, dass er sich selbst größeren persönlichen oder wirtschaftlichen Schaden zufügt“, und einem unzulässigen Erziehungszweck der moralischen Besserung der Bürger unterscheiden. Prüfungsgegenstand war § 73 Abs. 2 BSHG, der zur zwangsweisen Anstalts- oder Heimunterbringung einer gefährdeten Person durch richterliche Anordnung ermächtigte, wenn der Betroffene aus Mangel an innerer Festigkeit ein geordnetes Leben in der Gemeinschaft nicht führen konnte. Eine Freiheitsentziehung zu Zwecken der Besserung des Betroffenen wurde zutreffend für unzulässig gehalten, da der Staat nicht als moralische Erziehungsanstalt zu fungieren hat.320 Im Arbeitszwangentscheid, wo das Bundesverfassungsgericht erneut die Frage zu beantworten hatte, zu welchen Zwecken eine Freiheitsentziehung zulässig ist, vermeidet es zu Fragen des paternalistischen Schutzes Stellung zu nehmen, indem es nur mittelbar entstehende Folgekosten für die Allgemeinheit zum Eingriffsgrund erhebt, die dadurch entstehen sollen, dass die unterhaltsberechtigten Familienangehörigen des Untergebrachten aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden müssen. Zudem sieht das Gericht die Rechte Dritter im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, weil eine Vernachlässigung der Arbeitspflicht zugleich eine Gefährdung des Lebensunterhalts der Familienangehörigen bedeutet.321 Im Hinblick auf die besondere staatliche Schutzpflicht für Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) besteht an der Arbeitspflicht auch ein öffentliches Interesse.322 Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch den ersten, von § 26 Abs. 1 BSHG a.F. erfassten Fall, dass eine Person, die niemand anderem unterhaltspflichtig ist, sich beharrlich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten und deshalb wirtschaftlich hilfsbedürftig wird, nicht ausdrücklich behandelt. Es ist daher fraglich, ob die Beschränkung der Prüfung des § 26 Abs. 1 BSHG a. F. auf die zweite Alternative dahin gedeutet werden könnte, dass das Gericht einen Schutz des mündigen Bürgers vor Verelendung als unzulässigen Gesetzeszweck erachtet hätte.323 Die bußgeldbewehrte Rechtspflicht des Fahrers, einen Schutzhelm zu tragen oder einen Sicherheitsgurt anzulegen, wird als verfassungsgemäß gehalten.324 Die angegriffene Vorschrift stelle keine unzulässige Bevormundung des Bürgers dar. Das Gericht meint, dass eine Helm- bzw. Gurtpflicht erstens die Kraftfahrer schütze, ohne sie nenneswert zu belasten. Durch die Befreiungsmöglichkeit nach § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO würden die Fälle ernsthafter körperlicher Beschwerden erfasst und 320 321 322 323 324

BVerfGE 22, 180 (219 f.). BVerfGE 30, 47 (53 f.). Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 68. So aber Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 23. BVerfGE 59, 275 ff. (Helmpflicht); BVerfG, NJW 1987, S. 180 (Gurtpflicht).

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

unzumutbare Härten vermieden.325 Zweitens seien die Interessen Dritter berührt, weil in vielen Fällen weiterer Schaden abgewendet werden könne, wenn ein Unfallbeteiligter bei Bewusstsein bleibe.326 Drittens hätten Unfälle weitreichende Folgen für die Allgemeinheit, beispielweise durch den Einsatz der Rettungsdienste, ärtzliche Versorgung, Rehabilitationsmaßnahmen und Versorgung von Invaliden.327 Dem ersten Argument liegt die Annahme zugrunde, dass eine paternalistische Regelung im konkreten Fall wegen der Größe des drohenden Schadens, des hohen Risikos des Schadeneintritts und der geringen Freiheitsbeeinträchtigung zulässig sei.328 Aus der angeblichen geringen Persönlichkeitsrelevanz des Gurtanlegens bzw. des Helmtragens und der hohen Gefahr eines integritätswidrigen Schadens folgern einige Autoren tatsächlich die Angemessenheit der Schutzpflicht.329 Gegen diese Argumentation ist einzuwenden, dass es immer eine Frage subjektiver Wertung ist, wie wichtig eine bestimmte Verhaltensweise einzuschätzen ist. Es geht um eine dem Fahrer zuzumutende Abwägung, ob er im Hinblick auf die Statistik sich für oder gegen das Anlegen des Gurts bzw. das Tragen des Schutzhelms entscheiden will.330 Die Argumentation des Gerichts könnte allenfalls dann zutreffen, wenn man einer Variante der Theorie von den Grundrechten als objektiven Werten folgt, so dass die Autonomie des Einzelnen aufgrund des Wertes „Leben“ überspielt werden könnte.331 Genau diese Theorie wurde jedoch als unvereinbar mit der subjektiven Freiheit des Einzelnen abgelehnt. Wenn man es also mit der Autonomie des Individuums wirklich ernst meint, dann ist das Ziel, menschliches Leben zu retten, als solches eben kein zureichender Grund, um mündige Menschen an der Ausübung ihres Rechtes, ihr Leben nach eigenem Gutdünken zu gestalten, zu hindern, ja sogar zu bestrafen.332 Die Aussage des Gerichts zum drittschützenden Charakter der Helm- und Gurtpflicht ließe sich allenfalls aus der Betriebsgefahr, die vom Benutzen des Fahrzeuges ausgeht, ableiten. Diese Betriebsgefahr wird aber davon, ob man z. B. angeschnallt oder nicht fährt, gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern nicht beeinflusst. In dem Zeitpunkt, in dem der Sicherheitsgurt eine nützliche Wirkung auslösen soll, ist der Aufprall bereits erfolgt. Die Gurtpflicht dient daher nicht der Vermeidung des Unfalls mit seinen Auswirkungen auf Dritte und damit auf die öffentliche Verkehrssicherheit, sondern nur der Verringerung der Unfallfolgen für die

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BVerfGE 59, 275, 277 f. BVerfGE 59, 275, 279. 327 BVerfGE 59, 275, 279. 328 Vgl. auch OLG Hamm, NJW 1985, S. 1791. 329 Vgl. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 197 f.; Kleinig, Paternalism, S. 89 f.; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 177 f.; Knippel, NJW 1977, S. 939 f.; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 35. 330 Geiger, DAR 1976, S. 325. 331 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 196. 332 Persˇak, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 182. 326

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Fahrzeuginsassen selbst.333 Nach dem Beschluss des Gerichts zur Gurtanlegepflicht kann jedoch ein Kraftfahrer, der unangeschnallt verunglückt, keineswegs nur sich selbst schaden. „So wird ein Unfallbeteiligter, der durch den Schutz des Sicherheitsgurtes nicht oder nur leicht verletzt worden ist, eher noch sachgerecht reagieren können, wo dies erforderlich ist, um die Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer zu vermeiden. Der Sicherheitsgurt kann auch dagegen schützen, dass ein Fahrzeuginsasse gegen einen anderen geschleudert wird“.334 Diese Aussage des Gerichts wird dahingehend interpretiert, dass die Helm- und Gurtpflicht sich durch die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer rechtfertigt, deren Leben, Gesundheit und Eigentum durch das Hindernis eines (bewusstlosen) Unfallopfers und dessen Kraftfahrzeugs gefährdet werden. Deswegen haben die anderen Verkehrsteilnehmer ein berechtigtes Interesse daran, dass der Unfallbeteiligte bei Bewusstsein bleibt und sein Fahrzeug entfernt bzw. entsprechende Warnvorrichtungen aufstellt.335 Es wird aber ausgeführt, dass es sich um eine theoretische, nur in seltenen Ausnahmefällen praktische und nahezu listige Begründung handelt, die zur Einführung eines Zwanges zum Selbstschutz missbraucht wird. Ob tatsächlich die Gefährdung der Rechte Dritter zur Vermeidung einer paternalistischen Argumentation einfach konstruiert worden ist, ist noch näher zu diskutieren.336 Zentrales Argument für die bußgeldbewehrte Helm- und Gurtpflicht ist schließlich der Verweis auf die Folgekosten der ungeschützten Verkehrsteilnahme. Damit sind die verfassungsrechtlichen Grenzen angesprochen, die dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Sozialbezugs der Freiheitsrechte gezogen sind. Rein wirtschaftlich betrachtet scheint keineswegs ausgemacht, dass aufgedrängter staatlicher Schutz im Straßenverkehr tatsächlich zu niedrigeren Folgekosten führt. Denn die Schutzvorkehrungen bewirken auch, dass Personen bei Unfällen schwer verletzt überleben und kostspieliger Pflege bedürfen, die anderenfalls ihren Verletzungen erliegen würden.337 Der Gesetzgeber könnte letzten Endes die Kosten für Rettungsdienste und ärztliche Versorgung dem Fahrer auferlegen. Die Gefahr einer mittelbaren Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen der Allgemeinheit darf also nicht mit der vorgeblichen Beeinträchtigung von Drittinteressen gleichgesetzt werden.338 In der zweiten Entscheidung zum Transsexuellengesetz erklärte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der vorgesehenen Altersgrenze im 333 Streicher, NJW 1977, S. 284; Geiger, DAR 1976, S. 325; Lisken, NJW 1985, S. 3055, beschränkt die Vorsorgepflicht auf den Fahrer, als den für die konkrete Betriebsgefahr und ihre Meisterung Verantwortlichen. Für die übrigen Insassen ließe sich solche Sozialpflichtigkeit schwerlich begründen. 334 BVerfG NJW 1987, S. 180. 335 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 31; auch Schwabe, JZ 1998, S. 70. 336 Vgl. unten Teil 3. B. III. 337 Dworkin, in: Sartorius (Ed.), Paternalism, S. 109. 338 Geiger, DAR 1976, S. 325; Seebode, JR 1986, S. 266.

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Rahmen des personenstandsrechtlichen Feststellungsverfahrens nach § 8 TSG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Gesetzgeber hat nicht die geschlechtsumwandelnde Operation, sondern lediglich die personenstandsrechtliche Feststellung über die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit von der Vollendung des 25. Lebensjahres abhängig gemacht. Der paternalistische Charakter dieser starren Altersgrenze bedarf einer Legitimation. In der Argumentation des Gerichts findet sich eine Vermischung von weichem und hartem Paternalismus, wodurch die differenzierte Betrachtung der ersten TranssexuellenEntscheidung ohne ersichtlichen Grund verlassen wird. In der sog. ersten Transsexuellenentscheidung gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, dass dann kein öffentliches Interesse an der Verweigerung der Änderung des Geschlechtseintrags im Geburtenbuch erkennbar sei, das einen Eingriff in das Grundrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG rechtfertigen könnte, wenn es sich nach den medizinischen Erkenntnissen um einen irreversiblen Fall von Transsexualismus handelt und eine geschlechtsanpassende Operation durchgeführt worden ist.339 Da die Entscheidung für die Geschlechtsumwandlung den Bereich der Sexualität des Betroffenen betrifft, gehört sie zur intimsten Sphäre der Persönlichkeit, die prinzipiell staatlichem Zugriff entzogen ist und in die jedenfalls nur bei Vorliegen besonderer öffentlicher Belange eingegriffen werden darf.340 In der zweiten Transsexuellenentscheidung verneinte dagegen das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und führte ohne eine Eingrenzung auf Fälle fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit an, der Gesetzgeber sei zu Eingriffen in die freie Entfaltung der Persönlichkeit befugt, „wenn sie den Betroffenen daran hindern sollen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen“.341 Der Senat verweist einerseits auf BVerfGE 22, 180, 219 und 58, 208, 225, wo aber fürsorgliche Maßnahmen zugunsten Geisteskranken und damit Fälle des weichen Paternalismus diskutiert wurden. Andererseits stimmt das Bundesverfassungsgericht der Annahme des Gesetzgebers zu, dass dem Transsexuellen trotz des Zwanghaften seines Zustands regelmäßig eine bewusste Entscheidungsmöglichkeit verbleibe.342 Es ist auf den ersten Blick deshalb nicht deutlich, ob das Gericht die Selbstbestimmungsfähigkeit durch den „zwanghaften Zustand“ des Transsexuellen als beeinträchtigt ansieht343 oder auch den Schutz des mündigen Bürgers vor sich selbst als verfassungsrechtlich unbedenklich betrachtet. Aus dem Verweis des Gerichts auf die Begründung zum Regierungsentwurf, wonach der Gesetzgeber mit der Einführung der Altersgrenze bezweckte, junge Menschen davor zu bewahren, sich zu früh einem operativen Eingriff zu unterziehen, 339 340 341 342 343

BVerfGE 49, 286, 300 f. BVerfGE 49, 286, 298. BVerfGE 60, 123, 132. BVerfGE 60, 123, 133. So Schwabe, JZ 1998, S. 70.

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der es ihnen unmöglich macht, ihren Entschluss zu korrigieren344, geht allerdings hervor, dass es sich um die Einführung einer Altersgrenze zum Schutz vor Übereilung handelt und folglich um eine autonomieorientierte paternalistische Regelung.345 Das Gericht geht also im Bereich der sexuellen Bestimmung von einem bis zum 25. Lebensjahr noch nicht abgeschlossenen Reifeprozess aus. Dabei wird bewusst in Kauf genommen, dass im Einzelfall die Selbstverfügungsfreiheit von Transsexuellen, die das 25. Lebensjahr noch nicht erreicht haben und einen freiverantwortlichen Entschluss zur Geschlechtsumwandlung treffen, eingeschränkt wird. Die Einführung der starren Altersgrenze stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG dar, der nach Erreichen der Volljährigkeit unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich gebotenen Jugendschutzes nicht gerechtfertigt werden kann.346 Soweit man Beschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit dann für grundsätzlich zulässig hält, wenn das erhöhte Risiko einer defizitären Entscheidung nicht nur von Minderjährigen, aber auch von Heranwachsenden angenommen wird, könnte die Regelung als mit der Verfassung in Einklang stehend betrachtet werden. Bei der Wahl eines geeigneten Schutzinstruments steht dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu.347 Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Altersgrenze erreichen, dass der schwere medizinische Eingriff erst erfolgen solle, wenn eine Rückkehr des Transsexuellen zu seinem ursprünglichen Geschlecht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu erwarten ist.348 Es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb die Verweigerung der Änderung der Eintragung im Geburtenbuch vor Erreichung der vorgesehenen Altersgrenze ein taugliches Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks ist. Der Schutzzweck wird verfehlt und damit ist die Regelung unverhältnismäßig mangels Geeignetheit.349 Bei einer Überprüfung des Baden-Württembergischen Gesetzes über die zwangsweise Unterbringung von psychisch Kranken hat das Gericht ausdrücklich auf den Schutz des Betroffenen vor sich selbst als zulässigen Zweck abgestellt.350 Die 344

BVerfGE 60, 123, 132. So Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 77; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 28. 346 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 77, 125, vertritt die Meinung, dass sich der Gesetzgeber unter dem Aspekt der Selbstbindung an der Festsetzung des Volljährigkeitsalters auf 18 Jahre festhalten lassen müsse. Mit Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters, S. 29 ist aber der Gedanke der Selbstbindung des Gesetzgebers abzulehnen, weil die Gefahr entsteht, dass dem Gesetzgeber jeglicher politische Entscheidungsspielraum genommen wird. 347 Nach Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 29, stellt die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die menschliche Reife im besonderen Bereich der sexuellen Bestimmung ein länger währender Prozess als etwa im Bereich des rechtsgeschäftlichen Handelns ist, keine offensichtlich willkürliche Ungleichbehandlung dar. 348 BVerfGE 60, 123, 132. 349 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 78. 350 BVerfGE 58, 208 ff. 345

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

psychische Erkrankung beeinträchtigt die Selbstbestimmungsfähigkeit erheblich. Aus diesem Grund ist dem Staat fürsorgerisches Eingreifen auch dort erlaubt, wo beim Gesunden Halt geboten ist.351 Nach Auffassung des Gerichts darf das Gewicht des Freiheitsanspruchs nicht losgelöst von der Selbstbestimmungsfähigkeit des Fürsorgebedürftigen bestimmt werden. Damit spricht das Gericht Fälle eines zulässigen weichen Paternalismus an, in denen einem psychisch Kranken die Einsichtsfähigkeit fehlt, die nötig ist, um die Notwendigkeit einer Behandlung zu beurteilen oder sich aufgrund dieser Einsicht zu einer Behandlung zu entschließen.352 Das Bundesverfassungsgericht geht offensichtlich davon aus, dass die freiverantwortlich getroffene Entscheidung zur Selbstschädigung bzw. -gefährdung als Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheit zu respektieren ist. Es wird aber offen gelassen, wo die Grenzen einer „Freiheit zur Krankheit“ verlaufen. Zwar stehe es unter dem Grundgesetz jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, soweit dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen würden. Anschließend heißt es, nur wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls es zwingend gebieten, muss der Freiheitsanspruch des Einzelnen insoweit zurücktreten.353 In welcher Weise aber der Schutz des Betroffenen mit dem Zweck der Wahrung des Gemeinwohles zusammenhängt, erklärt das Bundesverfassungsgericht nicht.354 Mit der Einsicht, dass das Freiheitsrecht des Einzelnen bei fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit an Gewicht verliert, ist noch nicht gesagt, worin das Gemeinwohlinteresse an seiner Behandlung liegen soll. Es bleibt wieder im Dunkeln, wo die Grenzen eines zulässigen weichen Paternalismus nach dem Bundesverfassungsgericht liegen sollen. 2. Entscheidungen über den strafrechtlichen Paternalismus Das Bundesverfassungsgericht hatte in zwei Entscheidungen der neueren Zeit die Möglichkeit, sich mit Fällen eines direkten und harten Strafrechtspaternalismus auseinanderzusetzen, nämlich in der Cannabis-Entscheidung und in einem Kammerbeschluss zur Lebendorganspende. Eine kritische Würdigung der Entscheidung zur Strafbarkeit des unerlaubten Umgangs mit Cannabisprodukten soll die vom Bundesverfassungsgericht verfolgte Strategie, um die Legitimationshürden dieser paternalistischen Strafnorm zu umgehen, aufzeigen. Das Gericht hat anhand von Kriterien des schwachen allgemeinen Verhältnismäßigkeitgrundsatzes isoliert zunächst die Verhaltensnorm des Drogenbesitzes und danach die angedrohte strafrechtliche Sanktion geprüft, um anschließend das generelle strafbewehrte Verbot des Umgangs mit Betäubungsmitteln in den §§ 29 ff. BtMG für verfassungsrechtlich 351

BVerfGE 58, 208 (225). BVerfGE 58, 208 (225). 353 BVerfGE 58, 208 (225). 354 So auch Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 138; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 27. 352

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unbedenklich zu erklären.355 Diese Aufspaltung der verfassungsrechtlichen Prüfung im Bereich des intensivsten Eingriffes des Staates in die grundrechtlich gewährten Freiheiten des Individuums hat eine Reduzierung der strafrechtlichen Legitimationsanforderungen auf das Niveau allgemeiner Grundsrechtsbeschränkung und damit die Gleichsetzung von allgemeinem Rechtspaternalismus und Strafrechtspaternalismus zur Folge.356 Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung von Gelegenheitskonsumenten spielte in der Begründung der Entscheidung keine Rolle, obwohl das Gericht davon ausgeht, dass der Konsum von Betäubungsmitteln eine Wahrnehmung der grundrechtlich geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG darstellt.357 Ein dem Kernbereich von Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnendes und damit der öffentlichen Gewalt absolut entzogenes „Recht auf Rausch“ wird „aufgrund seiner vielfältigen sozialen Aus- und Wechselwirkungen“ dagegen verneint.358 Der Senat betont ausdrücklich in der einleitenden Passage, dass Beschränkungen der Freiheit aus Art. 2 Abs. 2 GG „unter bestimmten Voraussetzungen auch in Betracht kommen mögen, wenn sie den Betroffenen daran hindern sollen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen“.359 Durch die undifferenzierte Berufung auf die bereits oben analysierte Rechtsprechung ergibt sich nicht deutlich, ob das Gericht sich lediglich auf den Schutz der defizitär handelnden Erwachsenen vor möglichen Gefährdungen für sie selbst und auf den Schutz der Jugendlichen, deren Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkt ist, bezieht.360 Es wird zwar festgestellt, dass „ der Entschluss, sich durch den Missbrauch … im Handel erhältlicher Rauschmittel selbst gesundheitlich zu schädigen, im Verantwortungsbereich der Konsumenten selbst liegt“361, aber die Frage nach der Legitimität einer harten paternalistischen Straf355

BVerfGE 90, 145, 184. Zust. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 318 ff., der mit Ausnahme des bloßen Erbenbesitzes an Betäubungsmitteln die einschlägigen Tatbestände für verfassungsrechtlich unproblematisch haltet. Kritisch Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Strafrechtssystem und Betrug, S. 56. 356 Vgl. Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 145 ff.; ders., in: Strafrechtssystem und Betrug, S. 55 f.; ders., in: von Hirsch/Neumann/ Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafecht, S. 235; Böllinger, KJ 1994, S. 408. 357 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rdn. 80 ff. 358 BVerfGE 90, 145, 171. Kritisch hierzu Greco, in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechts?, S. 79. 359 BVerfGE 90, 145, 172. 360 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 35, kommt zu dem Ergebnis, dass der Beschluss keine eindeutige Stellungnahme zur Zulässigkeit des Zwecks des Schutzes des Einzelnen vor sich selbst enthält; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rdn. 91 ff., ist dagegen der Meinung, dass das Bundesverfassungsgericht trotz aller Formulierungen im Cannabis-Beschluss auch in dieser Entscheidung die Unzulässigkeit des Schutzes des Menschen vor sich selbst bestätigt, obwohl das Selbstbestimmungsrecht der Sache nach im Hinblick auf gesellschaftliche Interessen an der Prohibition ausgehebelt wird. 361 BVerfGE 90, 145, 195.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

gesetzgebung wird vom Bundesverfassungsgericht geflissentlich ausgeblendet.362 Über das eine eminente verfassungsrechtliche Bedeutung besitzende Problem der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung in einer Gesellschaft, die auf den mündigen Bürger setzt und ihm die selbstbestimmte Lebensführung überlässt, findet man in der Begründung der Entscheidung also kein Wort.363 Wäre es ausschließlich beim Betäubungsmittelstrafrecht um den Schutz des Lebens bzw. der körperlichen Integrität etwaiger Konsumenten gegangen, hätte seine Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Straflosigkeit der Selbstverletzung und den sich daraus für die Beteiligung Dritter ergebenden Konsequenzen thematisiert werden müssen.364 Um diesen hinsichtlich des Individualrechtsgutes auftretenden dogmatischen Schwierigkeiten auszuweichen, wird auf den fremdgefährdenden Charakter der nach § 29 Abs. 1 BtMG unter Strafe gestellten Verhaltensweisen abgestellt. Das Gesetz verfolge den Zweck, „die menschliche Gesundheit sowohl des Einzelnen wie der Bevölkerung im ganzen … zu schützen und die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor Abhängigkeit von Betäubungsmitteln zu bewahren“, wobei es „um die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens in einer Weise geht, die es von sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen freihält“, womit „das Betäubungsmittelgesetz Gemeinschaftsbelangen dient, die vor der Verfassung Bestand haben“.365 Durch Rekurs auf den überindividuellen Charakter des Rechtsguts „Volksgesundheit“ hat das Bundesverfassungsgericht das Problem umgangen, dass in einem liberalen Strafrecht nur die Gesundheit von Suchtabhängigen und Jugendlichen als schutzwürdiges Rechtsgut in Betracht kommt und auf keinen Fall die Gesundheit der freiverantwortlichen Konsumenten von Cannabisprodukten.366 Damit wird der harte, direkte Paternalismus der Tatbestände des Betäubungsmittelstrafrechts hinter dem scheinbaren Kollektivrechtsgut der Volksgesundheit versteckt, die sich in Wahrheit aus der Summe der Gesundheit aller Gesellschaftsmitglieder zusammensetzt und damit nichts anderes ist als ein Individualrechtsgut in klassenlogischer Betrachtung.367 Durch die Hypostasierung eines konturenlosen Kollektivrechtsgutes werden 362

Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 146. Haffke, ZStW 1995, S. 770. 364 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 267 f. 365 BVerfGE 90, 145, 174 f. 366 Schünemann, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 26; ders. (Hrsg.), in: Strafrechtssystem und Betrug, S. 55. 367 Schünemann, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 26; ders., in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S.146; ders. (Hrsg)., in: Strafrechtssystem und Betrug, S. 55; ders., in: FS-Herzberg, S. 48; ders., in: von Hirsch/ Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 231; ders., GA 2003, 299 (307); Roxin, AT I4, § 2 Rdn. 10, 46, 76; Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 270; Frisch, in: FS-Stree/Wessels, S. 94; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 140 ff.; Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 88; Greco, in: FS-Roxin, Bd. 1, S. 214: „die Volksgesundheit besteht den Nicht-Spezifizitäts-Test nicht“; Köhler, MDR 1992, S. 739; ders., ZStW 1992, S. 27 ff.; ders., NJW 1993, S. 763; Paeffgen, BGH-FS, S. 705; Schmitt, in: FS363

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in der Rechtsprechung die Grundsätze über den Wegfall jedes strafrechtlichen Schutzes bei Einwilligung des Rechtsgutsträgers einfach ignoriert, um ein Verhalten, das allenfalls wegen mittelbarer Gefahren für andere Rechtsgüter oder in einem paternalistischen Strafrecht strafwürdig sein könnte, scheinbar ohne Probleme pönalisieren zu können.368 Das Bundesverfassungsgericht führt noch zur Legitimation der Strafbarkeit des konsumvorbereitenden Verhaltens das abstrakt bestehende Abgaberisiko, welches eine Fremdgefährdung bedeuten soll.369 Das Gericht thematisiert jedoch an dieser Stelle in keiner Weise das Selbstbestimmungsrecht des kompetenten Abgabeempfängers. Der Besitz von Betäubungsmitteln schafft zwar die abstrakte Gefahr der Abgabe an Dritte, eine potentielle Fremdgefährdung darf allenfalls nur hinsichtlich Jugendlicher und schwerstabhängiger erwachsener Drogenkonsumenten angenommen werden.370 Der Topos des Jugendschutzes könnte wiederum nicht von vornherein ein umfassendes Umgangsverbot, das auch die Weitergabe an Erwachsene einschließt, legitimieren.371 Beim Umgang mit einer geringen Menge von Betäubungsmitteln kann der Betreffende nicht wegen des bloßen Verdachts der Weitergabe an nicht eigenverantwortlich handelnde Dritte bestraft werden. Das Gericht bemüht sich zumindest nicht darum, praktikable Einschränkungskriterien für die Legitimität der geschaffenen abstrakten Gefährdungsdelikte des Betäubungsmittelstrafrechts zu entwickeln.372 Durch typisierende Betrachtungen (etwa nach Art des abstrakten Gefährdungsdelikts) könne der Gesetzgeber vom konkreten Opfer abstrahieren und sich damit die Möglichkeit eröffnen, paternalistisch in die Verhaltensweisen auch derjenigen Individuen hineinzuregieren, denen er sonst Autonomie zugesteht.373 Die pauschale Rechtfertigung der Strafbarkeit des Besitzes mit dem hiermit verbundenen Abgaberisiko verkennt daher die Unzulässigkeit des Schutzes des mündigen Menschen vor sich selbst. Weiterhin wird der Begriff der „Gemeinschaftsbelange“ oder „Gemeinschaftsgüter“ zum Sammelbecken für ganz unterschiedliche Interessen an der Cannabis-

Maurach, S. 125; Wohlers, Deliktstypen, S. 190 f.; a.A. Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 376. 368 Schünemann, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 26. 369 BVerfGE 90, 145, 187: „Auch der unerlaubte Erwerb und der unerlaubte Besitz gefährden fremde Rechtsgüter schon insofern, als sie die Möglichkeit einer unkontrollierten Weitergabe der Droge an Dritten eröffnen.“ 370 Frisch, in: FS-Stree/Wessels, S.95; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 297 f. 371 Wohlers, Deliktstypen, S. 199; Haffke, ZStW 1995, S. 782; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 193 ff.; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rdn. 223 ff. 372 Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelman (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 235. 373 Vgl. dazu unten Teil 3. B. I. 1. c).

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prohibition.374 Damit werden ursprünglich paternalistische Regelungen durch den Verweis auf schützenswerte Belange des Gemeinwohls unausgesprochen aber doch unverhüllt utilitaristisch legitimiert.375 Wenn das gesellschaftliche Gemeinwohl zum Rechtsgut erhoben wird, dann hat die Idee des Rechtsgüterschutzes jegliche Funktion als Legitimations- und Limitationskriterium für das Strafrecht verloren.376 Solche Versuche, um die pauschale Pönalisierung des unbefugten Umgangs mit Betäubungsmitteln zu legitimieren, vermögen nicht zu überzeugen. Das Gericht hat sogar die Zielsetzung noch ausgeweitet, indem es die Einhaltung von internationalen Abkommen und die Daseinsbedingungen der internationalen Völkergemeinschaft in den Vordergrund gerückt hat.377 Dass die internationalen Verträge der deutschen Gesetzgebung zur Entkriminalisierung des Cannabis-Besitzes genügend Spielraum lassen, ist im Sondervotum Sommers überzeugend dargelegt worden. Erst die Einsicht in die Unzulänglichkeit der vom Gericht angeführten Interessen legt die Frage nahe, welche andere nicht ausgesprochene Begründung die Strafbarkeit des Umgangs mit Betäubungsmitteln trägt. Das Bundesverfassungsgericht billigt selbst bei Verhaltensweisen, die ausschließlich den gelegentlichen Eigengebrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, die materielle Strafbarkeit und ordnet lediglich ein Absehen von Strafe oder Strafverfolgung an. Es soll dem Gesetzgeber weiterhin frei stehen, die in §§ 29 ff. BtMG beschriebenen Verhaltensweisen für strafbar zu erklären und lediglich im Rahmen des Opportunitätsprinzips darauf zu vertrauen, dass die Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer keine Anklage erheben werden.378 Das Gericht versucht, die von ihm dogmatisch nicht haltbar begründete Einebnung der aufklärerischen Strafbarkeitsschwelle nachträglich mit Hilfe verfahrensrechtlicher Institute rückgängig zu machen.379 Das zeugt von Problembewusstsein, lässt aber erhebliche Rechtsunsicherheit und auch die Strafe als solche bestehen.380 Die Vorstellung hinsichtlich der Möglichkeiten einer Vereinheitlichung der Einstellungspraxis in der föderalen Bundesrepublik hat sich wegen der praktischen Unkontrollierbarkeit einer gleichmäßigen Ausübung des Opportunitätsprinzips als haltlos erwiesen.381 Die schwergewichtigen 374

BVerfGE 90, 145, 174 f., 175 ff. So zutreffend Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rdn. 90. 375 Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 233; ders., in: FS-Herzberg, S. 43; Wolf, in: Grönziger (Hrsg.), Recht auf Sucht?, S. 42. 376 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rdn. 232; Hohmann/Matt, JuS 1993, S. 373; Hassemer, NStZ 1989, S. 557. 377 BVerfGE 90, 145, 174 ff. 378 BVerfGE 90, 145, 189 ff. 379 Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 149. 380 So Roxin, AT I4, § 2 Rdn. 36. 381 Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 235, spricht mit Recht über eine merkwürdige „Regelungsschizophrenie“, weil der Gesetzgeber angeblich etwas unter Strafe stellen darf, sofern es nur nicht tatsächlich bestraft wird.

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Legitimationsprobleme des Strafrechtspaternalismus sind mit dieser prozessualen Lösung aus dem Blickfeld gedrängt worden und eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Paternalismusproblematik ist im Ergebnis ausgeblieben. Mit dem Beschluss vom 11. 8. 1999 über die Nichtannahme dreier Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht die strafbewehrte Begrenzung des Spenderkreises bei der Lebendspende nach § 8 Abs. 1 S. 2 TPG verfassungsrechtlich nicht beanstandet, auch wenn der Spender sich freiwillig zu einer Fremdlebendspende entscheidet und absolut altruistisch handelt.382 Die Entnahme von Organen, die sich nicht weiterbilden können, ist nur zulässig zum Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen.383 Die Vorschrift stellt einen Eingriff in das körperliche Selbstbestimmungsrecht des Organspenders (Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des potentiellen Organempfängers (Art. 2 Abs. 2 GG) und die Grundrechte des Arztes dar und bedarf einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Die Restriktion des Spenderkreises wurde vom Gesetzgeber unter anderem384 mit dem Vorrang der postmortalen Organentnahme gegenüber der Lebendspende begründet, da auch die freiwillige Organentnahme dem Spender grundsätzlich körperlich schade und ihn gesundheitlich gefährden könne.385 Der Schutz des Menschen vor sich selbst wird zum ersten Mal ausdrücklich und uneingeschränkt als legitimes Anliegen staatlichen Handelns anerkannt und das Konzept des Gesetzespaternalismus wird mit einer bisher nicht bekannten verfassungsrechtlichen Aura versehen.386 Die Vorschrift ist sogar indirekt paternalistisch, weil die Verletzung der Begrenzung des Spenderkreises den transplantierenden Arzt strafbar macht und nicht den Spender selbst.387 Die Voraussetzungen eines legitimen indirekten Strafrechtspaternalismus werden jedoch vom BVerfG nicht problematisiert. Es kann nicht einmal festgestellt werden, ob das Gericht die Problematik überhaupt erkannt hat.

382 Mit dieser Entscheidung ist nicht zugleich die Verfassungsmäßigkeit des § 8 TPG festgestellt worden, weil sie als bloßer Nichtannahmebeschluss keine Bindungswirkung gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG entfaltet. 383 Über die Unbestimmtheit der Beschränkung des Spenderkreises und die damit verbunden Probleme siehe Schroth, in: Schünemann/Müller/Philipps (Hrsg.), Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte, S. 41 ff. 384 Als weitere Begründungen für die Legitimation der Vorschrift werden die Absicherung der Freiwilligkeit der Organspende und die vorbeugende Absicherung des Organhandelsverbots vom BVerfG angeführt. 385 BVerfG NJW 1999, 3399 (3401). 386 So Gutmann, in: Schroth/Schneewind/Gutmann/Fateh (Hrgs.), Patientenautonomie, S. 255; ders., Freiwilligkeit, S. 239. 387 Gutmann, NJW 1999, S. 3388; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 162; Schroth, in: Schünemann/Müller/Philipps (Hrsg.), Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte, S. 40.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Die Kammer führt zunächst aus, dass der Schutz des Menschen vor sich selbst als Rechtfertigungsgrund staatlicher Maßnahmen in Ansehung der durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit grundsätzlich einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Auch selbstgefährdendes Verhalten sei Ausübung grundrechtlicher Freiheit. „Das ändert aber nichts daran, dass es ein legitimes Gemeinwohlanliegen ist, Menschen davor zu bewahren, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen“.388 Es ist jedoch nicht deutlich, für welche Belange der Allgemeinheit eine Gefahr bestehen soll, deren Abwendung ein Anliegen des Gesetzgebers sei. Die Formulierung des Gerichts könnte dahingehend verstanden werden, Gemeinwohlanliegen sei der Schutz des Menschen vor sich selbst als solcher.389 Gegen eine solche Interpretation ist einzuwenden, dass der Staat nicht um des Bürgers selbst willen mit der Behauptung eingreifen darf, das Wohl des Bürgers liege im Interesse der Allgemeinheit.390 Es ist unzulässig, generell den Schutz des Einzelnen vor sich selbst ohne zusätzliche Begründung zu einem Anliegen der Allgemeinheit zu erklären, das auch durch das Strafrecht bewahrt werden darf.391 Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn des staatlichen Eingriffs unternimmt das Gericht zudem einen Zirkelschluss, wenn es annimmt, dass „der Gesetzgeber Aspekte des Gesundheitsschutzes auch auf Seiten des potentiellen Organspenders berücksichtigen durfte“.392 Als einzige Rechtfertigung für die Ablehnung einer anonymen Vermittlung von Organen durch eine Vermittlungsstelle i.S. des § 12 TPG wie bei postmortal gespendeten Organen wird noch einmal vom Gericht die hart paternalistische Begründung des Gesundheitsschutzes des Organspenders vor sich selbst offen angeführt.393 Darüber hinaus wird der aufgedrängte staatliche Schutz des Menschen vor sich selbst als Rechtfertigung für den schwerwiegenden Grundrechtseingriff bei dem Organempfänger angeführt.394 Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG des potentiellen Organempfängers wird in seiner Abwehrdimension aktiviert, da „einem kranken Menschen eine nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell zugängliche Therapie, mit der eine Verlängerung des Lebens, mindestens aber eine nicht unwesentliche Minderung des Leidens, versagt bliebt“.395 Es ist deshalb nicht 388

BVerfG NJW 1999, 3399 (3401). Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 276. 390 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 277. Anders offensichtlich Weber, Handeltreiben, S. 366, nach dem das Individualrechtsgut der Gesundheit des Einzelnen als legitimes Interesse der Gesellschaft geschützt wird. 391 Schünemann, in: FS-Herzberg, S. 48 Fn. 41; Sternberg-Lieben, in: FS-Amelung, S. 343 Fn. 119. 392 BVerfG NJW 1999, 3399 (3402). 393 BVerfG NJW 1999, 3399 (3402): „Der vom Gesetzgeber legitimerweise verfolgte „Schutz des Spenders vor sich selbst“ wäre bei einer anonymen Vermittlung durch eine Vermittlungsstelle nicht erreicht.“ 394 Gutmann, NJW 1999, S. 3388. 395 BVerfG NJW 1999, 3399 (3400). 389

C. Schranken der Verfügungsfreiheit

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überzeugend, gegen diese abwehrrechtlichen Grundrechtspositionen von Organspendern und Organempfängern aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG, eine ebenfalls aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG abgeleitete objektive Schutzverpflichtung gegenüber dem freiverantwortlich handelnden Organempfänger geltend zu machen.396 Die objektive Schutzverpflichtung des Staates ist – wie schon ausgeführt wurde – auf eine Verstärkung und Absicherung der individuellen Schutzposition gerichtet.397 Statt sich mit den eine eminente verfassungsrechtliche Bedeutung aufweisenden Fragen des Strafrechtspaternalismus auseinanderzusetzen, verweist das BVerfG auf seine früheren Entscheidungen. Insbesondere weist es zunächst auf den Transsexuellenentscheid, wo es sich aber um die Einführung einer Altersgrenze zum Schutz vor Übereilung handelte, und darin wird wiederum weiter auf die Geisteskrankenentscheidung verwiesen, wo ebenfalls Fälle eines zulässigen weichen Rechtspaternalismus thematisiert wurden. Diese können auf keinen Fall mit der altruistischen und in hohem Maße fremd- und sozialnützlichen Organspende des ärztlich aufgeklärten erwachsenen Organspenders gleichgesetzt werden.398 Es liegt auf der Hand, dass bei einer Vermengung von hartem und weichem Paternalismus sämtliche Legitimationskriterien verschwimmen müssen.399 Der kritische Überblick über die bisher zum Thema erschienene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt insgesamt keine eindeutige Stellungnahme. Dem undifferenzierten Verweis des Gerichts auf Fälle, wo der Schutz von Geisteskranken und Jugendlichen als verfassungsrechtlich unbedenklich betrachtet wird, lässt sich keine allgemeine Entscheidung über die Zulässigkeit des Schutzes des mündigen Bürgers vor sich selbst entnehmen. Damit entwertet das Gericht sein grundsätzliches Bekenntnis zur liberalen These des weichen Paternalismus. Ferner wird das Problem geflissentlich ausgeblendet, wo es immer möglich ist, sich auf Drittinteressen zu berufen und die mittelbar entstehenden Folgekosten für die Allgemeinheit zum Eingriffsgrund zu erheben. Die Rechtsprechung zum strafrechtlichen Paternalismus stellt einerseits auf die eigenverantwortliche Selbstgefährdung als Ausübung grundrechtlich geschützter allgemeiner Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG ab, andererseits aber wird die zentrale Frage nach der Legitimität einer harten paternalistischen Strafgesetzgebung als Einschränkung eben dieser Freiheit nicht thematisiert. Stattdessen werden nicht näher spezifizierte, in ihrer rechtlichen Bedeutung unaufgeklärte „legitime Gründe des Allgemeinwohls“ geltend gemacht, die jedoch Legitimationshürden der in Frage stehenden Strafvorschriften nicht zu überwinden vermögen. Die latente Funktion dieser Strategie, die mit diesen Tatbeständen verbundenen Probleme des Paternalismus nicht offen anzusprechen, ist bei 396

Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 265. Siehe unter Teil 2. C. I. 1. a). 398 Gutmann, NJW 1999, S. 3388; Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 397; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 37. 399 Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 235. 397

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

ihrer detaillierten Analyse im Besonderen Teil der hiesigen Untersuchung aufzuzeigen.

VI. Zwischenergebnis Die Erörterung der Frage nach der Zulässigkeit von paternalistischen staatlichen Interventionen hat ergeben, dass ein aufgedrängter staatlicher Schutz gegen den autonomen Willen des Individuums als verfassungsrechtlich unzulässig einzustufen ist.400 Die Selbstverfügungsfreiheit darf nur für den Fall einer defizitären Entscheidung des Einzelnen oder zum Schutz Rechte anderer eingeschränkt werden. Dabei spielt keine Rolle, ob der Betroffene die selbstverfügende Entscheidung selbst oder mit seiner Einwilligung durch einen Außenstehenden realisiert.

400 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 101; Paeffgen, BGH-FS, S. 698; Schwabe, JZ 1998, S. 70; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 51; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 111.

3. Teil

Direkter strafrechtlicher Paternalismus Binding führt aus: „(…) so scheint mir die (…) Auffassung als die innerlich berechtigste und folgerichtigste auch die des positiven Rechts zu sein, wonach die Normen auf die Selbstverletzungen nicht erstreckt werden. Der gute Grund besteht darin, daß es dem Recht als der Ordnung des menschlichen Gemeinschaftslebens widerstrebt, die Scheidung von Rechtssubjekt und Rechtsobjekt auf das Individuum zu übertragen (…) Zudem gäbe es doch kaum eine seltsamere Pflicht als die zu leben und gesund zu bleiben, welche durch die angedeutete Ausdehnung der Normen entstehen würde.“1 Entscheidendes Merkmal der Selbstverletzung ist nach Binding die Identität zwischen dem Subjekt und dem Gegenstand der Verletzung. Das intuitive Argument („innerlich berechtigste Auffassung“) gegen den direkten strafrechtlichen Paternalismus beruht auf der aus logischen Gründen anzunehmenden Undenkbarkeit einer Selbstschädigung.2 Im Sinne einer „natürlichen Auffassung“ können wir zwar uns selber schlechter stellen, wenn wir z. B. durch den Konsum von Betäubungsmitteln unsere Gesundheit schädigen oder durch die Beteiligung an Glücksspielen unsere materiellen Ressourcen erschöpfen. Aber dieses Verhalten können wir nicht uns selber als schädigend zuschreiben, weil die Anerkennung und die rechtliche Erzwingung eines für die Realisierung unseres Lebensplans notwendigen Interesses uns gegenüber eine offenkundige Absurdität wäre.3 Ein dem Lebensplan des Individuums entsprechendes selbstverfügendes Verhalten kann also nach dem common sense nicht ihm gegenüber als „schädigend“ geltend gemacht werden. Die intuitiv erfasste Annahme der Undenkbarkeit des direkten strafrechtlichen Paternalismus könnte nur dann in Zweifel gezogen werden, wenn man der einzelnen Person ihre eigenen Güter als von ihr abgelöst gegenübersetzte und dann von außen betrachtet eine Verletzung der Güter durch den Rechtsgutsträger selbst als ihm zugefügtes Unrecht betrachtete.4 Die zur Unrechtsbegründung bei einer Selbstverletzung erforderliche Abspaltung der Güter von ihrem Träger ist zwar konstruktiv möglich. Sie könnte auf der These beruhen, dass Individuen nicht über ihre gesamte 1

Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 699. So auch Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 224 Fn. 370. 3 Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 226 f.; von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 242; ders., in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 19. 4 Rönnau, Willensmängel, S. 41; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 26 f. 2

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Lebenszeit als ein und dieselbe Person angesehen werden dürfen, weil sie häufig ihre Zielsetzungen und Wertvorstellungen im Laufe der Zeit ändern.5 Von dieser Prämisse ausgehend könnte der normative Schluss gezogen werden, dass die spätere Person vor bestimmten Handlungen der früheren Person geschützt werden müsse. Damit wären paternalistische Interventionen bei der früheren Person durch Berufung auf das Schädigungsprinzip hinsichtlich der späteren Person unproblematisch gerechtfertigt.6 Dagegen spricht aber vor allem der Gedanke der Verantwortlichkeit, der die Einheit der Person als nicht weiter auflösbare Basis allen Rechts voraussetzt.7 Anderenfalls würde die Idee vertraglicher Selbstbindung in Frage gestellt, weil niemand in der Lage wäre, Entscheidungen zu treffen, die ihn für die Zukunft verpflichten würden.8 Gegen den direkten strafrechtlichen Paternalismus spricht vor allem die Unmöglichkeit einer Verrechtlichung des Umgangs mit sich selbst. Das Recht ist auf die Verhältnisse unter Menschen bezogen und hat nur in interpersonaler wechselseitiger Anerkennung seine Wirklichkeit.9 Das selbstverfügende Verhalten als solches kommt als Gegenstand eines strafrechtlich sanktionierten Verbots schon deshalb nicht in Betracht, weil es die Sphäre der Interpersonalität, für die allein rechtliche Verbote und deren strafrechtliche Sanktionierung legitimierbar sind, nicht berührt.10 Die Anwendung des Universalisierbarkeitskriteriums von Autonomie schließt eine Verrechtlichung des Verhältnisses einer Person zu sich selbst aus, soweit das selbstverfügende Verhältnis keinen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf Dritte hat.11 Betrifft das Recht nur das äußere Verhältnis zu anderen und ist dieses Verhältnis strikt auf die Möglichkeit wechselseitiger Kompatibilität von Hand5

Die These wurde von Derek Parfit in seinem Werk „Reasons and Persons“ entwickelt. Vgl. hierzu Gutmann, Freiwilligkeit, S. 23 f.; Kleinig, Paternalism, S. 45 f.; Nida-Rümelin, M., Der Blick von innen, passim; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 226 f.; Regan, in: Sartorius (Hrsg.), Paternalism, S. 122 ff. 6 Diese normative Konsequenz zieht Morimura, ARSP 1991, S. 103 ff. Ähnlich Regan, in: Sartorius (Hrsg.), Paternalism, S. 122 f. und VanDeVeer, Paternalistic Intervention, S. 155 ff. Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 226 Fn. 376, bemerkt richtig, dass das Argument der Schädigung einer künftigen Person bei einem eventuellen tödlichen Unfall ihre Grenzen erreicht, weil ja gerade hier ex hypothesi keine zweite Person entstehen wird. 7 Schroth, in: Vossenkuhl u. a. (Hrsg.), Ecce Homo, S. 102 f. 8 Gutmann, in: Schroth/Schneewind/Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 241; ders., Freiwilligkeit, S. 25. Vgl. auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 162; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 28, die auf die Missachtung der menschlichen Persönlichkeit als moralische Qualität verweisen. 9 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 229 f. 10 Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 70; Jakobs, AT 14/4; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 119 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 316; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 64; Rönnau, Willensmängel, S. 40 und S. 116 Fn. 377; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 26. 11 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 66; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2006, S. 493; Köhler, ZStW 1992, S. 21; Greco, in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechts?, S. 83 ff.

A. Strafrechtsspezifische Einwände gegen den direkten Paternalismus

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lungsfreiheit beschränkt, kann selbstschädigendes Verhalten per se kein Unrecht sein.12 Diese Ausführungen legen zugleich eine strikte Neutralität des Staates in Bezug auf Ideale des guten Lebens nahe. Weltanschauliche Neutralität hinsichtlich der Legitimation von Zwangsmaßnahmen ist ein Grundpostulat des liberalen und säkularen Staates. In der Terminologie des amerikanischen Rechtsphilosophen Dworkin haben die Personen nicht nur erlebensbezogene Interessen, zu denen die körperliche Integrität oder die Freiheit von Schmerzen gehört, sondern auch wertbezogene Interessen (critical interests), nämlich Dispositionen und Überzeugungen, die sich darauf beziehen, was für ein Mensch man sein will, was ein Leben sinnvoll und gelungen macht. Diese Interessen können nicht stellvertretend von anderen definiert und deshalb von vornherein auch nicht paternalistisch durchgesetzt werden. Wir müssen einander, wenn wir uns wechselseitig als Personen wahrnehmen, die grundsätzliche Fähigkeit und das Recht zuschreiben, unsere je eigene Vorstellung des guten und richtigen Lebens zu entwickeln, konkurrierende und inkommensurable Optionen gegeneinander abzuwägen, unsere Vorstellungen zu hinterfragen und sogar zu ändern.13 Ob es einem nun aufgrund eigener Dummheit, charakterlicher Schwäche oder sonstiger Exentrizität schlecht geht, soll dem Strafrecht grundsätzlich gleichgültig sein. Es ist nicht Aufgabe eines liberalen Strafrechtssystems, dem Bürger Verhaltensweisen vorzuschreiben, die ihm zu einem „besseren“ Leben verhelfen oder ihn zu einem „guten“ Menschen machen. Der liberale Rechtsstaat darf nicht bestimmte Motive und Inhalte privilegieren und andere als unvernünftig verwerfen, sondern lediglich die autonome Basis der Ausübung von Handlungsfreiheit sichern; dem Einzelnen ist es vorbehalten, seine Vorstellung der Glückseligkeit zu verfolgen.14

A. Strafrechtsspezifische Einwände gegen den direkten Paternalismus Selbst wenn man unterstellt, dass bestimmte paternalistische Interventionen auf den ersten Blick legitim erscheinen, darf man allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass es sich in unserem Zusammenhang um Interventionen durch das Strafrecht handelt.15 Direkter Strafrechtspaternalismus wendet die schärfste Folge 12

Anders stellt sich die Situation bei einer einverständlichen Fremdverletzung dar, weil der Täter hier in formal tatbestandsmäßiger Weise auf fremde Rechtsgüter zugreift, so dass durch das Einschalten einer dritten Person der interpersonale Bereich des Rechts erreicht wird. Vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 316; Rönnau, Willenmängel, S. 41; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 229. 13 Dworkin, Sovereign Virtue, S. 449 f. 14 Greco, Lebendiges und Totes, S. 124 ff.; ders., GA 2010, S. 625 f. 15 Vgl. v. Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 237; ders., in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 58.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

gegen den Rechtsgutsträger selbst an. Das geltende Strafrecht darf lediglich an Fremdverletzungsunrecht anknüpfen. Eine Selbstverletzung ohne jedwede sekundäre Folge ist jedoch kaum denkbar.16 Es kommt in der Tat eher selten vor, dass eine Strafrechtsnorm ausschließlich paternalistisch begründet werden kann.17 Soll der Grundsatz der Straflosigkeit der Selbstverletzung nicht leer laufen, kann das strafrechtliche Einschreiten nicht allein davon abhängig gemacht werden, ob die Interessen der Allgemeinheit bzw. Dritter nur mittelbar als Reflex der selbstschädigenden Handlung berührt werden.18 Angesichts des Prinzips der Straflosigkeit der Selbstschädigung bzw. -gefährdung scheint die Strafbarkeit des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BtMG und des Organ- und Gewebehandelsverbots gem. § 18 Abs. 1 TPG einen systematischen Bruch im Rahmen eines liberalen Strafrechtssystems darzustellen. Für liberale Theoretiker ist insbesondere die Drogenpolitik ein Lackmustest dafür, ob sich eine Rechtsordnung zum Antipaternalismus bekennt oder ob sie bevormundend in die Entscheidungen der Einzelnen eingreift. Im Folgenden sind zunächst die spezifischen Einwände gegen den direkten Paternalismus, die mit der Funktion des Strafrechts als ultima ratio zum Rechtsgüterschutz verbunden sind, näher zu betrachten (unter A. I bis IV.). Anschließend soll ausführlich untersucht werden, ob die hier in Frage stehenden Straftatbestände angesichts ihrer Deliktsstruktur als abstrakte Gefährdungsdelikte mit dem autonomieorientierten Paternalismus als Erweiterungsprinzip der Kriminalisierung in Einklang stehen (unter B. I und B. II.). Schließlich sind die Besonderheiten des Paternalismus im Recht der Ordnungswidrigkeiten anhand der bußgeldbewehrten Gurt- und Helmpflicht in den Vordergrund zu ziehen (unter B. III.).

I. Strafrechtsfundamentaler Einwand Geht man davon aus, dass das Strafrecht dem subsidiären Rechtsgüterschutz dienen muss, darf der Gesetzgeber nur solche Verhaltensweisen pönalisieren, die ein Rechtsgut gefährden oder verletzen, mithin einen Sozialschaden aufweisen.19 Der 16

Hart, Law, Liberty and Morality, S. 31. Wohlers/Went, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 293. 18 Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 72 f. 19 Grundlegend Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3 Rn. 10 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 7; Freund, AT, § 1 Rn. 2 ff.; Heinrich, AT2, § 1 Rn. 3; Kindhäuser, AT4, § 2 Rn. 6; Schönke/ Schröder-Lenckner, Vor §§ 13 ff. Rn. 9 f.; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 2 ff.; NK3-Hassemer/ Neumann, Vor § 1 Rn. 108 ff.; LK12-Walter, Vor § 13 Rn. 8; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 1 ff. und passim; ders., GA 2007, S. 1 ff.; Roxin, AT I4, § 2 Rn. 7 ff.; ders., in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, S. 135 ff.; ders., in: FS-Hassemer, S. 573 ff.; Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 134 f.; ders., in: FS-Roxin, S. 27 ff.; ders., in: Strafrechtssystem und Betrug, S. 51 ff.; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 224; Paulduro, Verfas17

A. Strafrechtsspezifische Einwände gegen den direkten Paternalismus

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fundamentale Einwand gegen direkt paternalistische Strafnormen besteht gerade darin, dass der Schutz von Individualrechtsgütern gegen den Willen des Rechtsgutsträgers nicht mit dem Rechtsgüterschutzprinzip legitimiert werden kann.20 Roxin führt nachdrücklich aus: „Was mit dem Willen des Geschädigten geschieht, ist keine Rechtsgutsverletzung, sondern Bestandteil der Selbstverwirklichung und geht den Staat nichts an“.21 Es fehlt insoweit, wie lediglich die Interessen des Rechtsgutsträgers betroffen sind, an einer Rechtsgutsverletzung bzw. einem Sozialschaden.22 Denn Güter sind gegenüber ihrem dispositionsbefugten Inhaber nicht geschützt. Das Strafrecht wendet sich gerade und nur an jeweils die Menschen, denen das betreffende Rechtsgut nicht oder zumindest nicht ausschließlich zur freien Verfügung steht. Adressaten der rechtsgüterschützenden Normen des Strafrechts sind daher die anderen Menschen, ihr Inhalt ist der Appell, fremde Rechtsgüter nicht zu beeinträchtigen.23 Die Beschränkung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes auf die Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter spiegelt sich prägnant in der Formulierung der Tatbestände des Besonderen Teils wider. Eine Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB setzt zwingend voraus, dass jemand „einen anderen“ körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt. Diebstahl und Sachbeschädigung betreffen von vornherein nur die Wegnahme bzw. die Beschädigung oder Zerstörung einer „fremden“ Sache (§§ 242 Abs. 1, 303 Abs. 1 StGB) und § 263 Abs. 1 StGB spricht von der Schädigung des Vermögens eines „anderen“. Die Kritik des strafrechtlichen Paternalismus auf der Grundlage der Rechtsgutstheorie ist indes eine sehr voraussetzungsvolle Position, deren Überzeugungskraft von der Begründbarkeit einer Reihe weiterer Annahmen abhängt, um nicht tautologisch zu bleiben. Bei näherer Betrachtung der Grundlagendiskussion um Begriff und Funktion des Rechtsgutes zeigt sich, dass die einschlägigen dogmatischen Ausführungen letztlich Ausdruck eines rechtsphilosophischen und staatstheoretischen Grundverständnisses sind, die das Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Individuums und den Gemeinschaftsbelangen aufzulösen versuchen. Diese Diskussion kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht in jeder ihrer Facetten nachgezeichnet werden.24 Ganz bewusst soll hier auf zwei Aspekte der Rechtsgutslehre abgestellt werden, die für die vorliegende Untersuchung von besonderer sungsgemäßheit, S. 164; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 368 ff. 20 Hefendehl, GA 2007, S. 8; Wohlers/Went, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 295. 21 Roxin, AT I4, § 2 Rn. 32, 24; ders., in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, S. 142. 22 Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 232. 23 Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 116 f.; ders., in: FS-Roxin, Bd. 1, S. 153, der auf ein konkretes Abwehrerfordernis abstellt. 24 Für eine systematische Übersicht vgl. Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 29 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 59 ff.; Greco, Lebendiges und Totes, S. 303 ff.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Bedeutung sind. Erstens ist die Frage zu behandeln, wer in einer konkreten Handlungssituation rechtswirksam auf den Schutz eines Rechtsguts verzichten kann, d. h. wer Träger dieses Rechtsguts ist. Zweitens weist die Beantwortung der Frage, ob der Wille des Einzelnen bei der Konstituierung des Rechtsgutsbegriffs berücksichtigt werden muss, erhebliche Folgen für unsere Problematik auf. Es ist ohne weiteres ersichtlich, dass eine Rechtsgutslehre, die – wie die monistisch-etatistische25 und teilweise auch die dualistische26 Theorie – die Sozialinteressen der Gemeinschaft hervorhebt und die Interessen der Person von denen der Allgemeinheit her funktionalisiert oder den Sozial- bzw. Eigenwert der Rechtsgüter betont und deren personalen Bezug ausblendet, die argumentative Grundlage eines paternalistischen Konzepts konstituiert. Der einzelne Bürger erscheint nur als Verwalter der ihm zugewiesenen Güter, die ihm entzogen werden können, wenn er über diese Güter aus einer staatlichen Perspektive nicht sinnvoll verfügt.27 Rechtsschutz der Interessen des Einzelnen stellt sich folglich als Reflex des Schutzes von Gemeinschaftsinteressen dar. Da der seine Individualrechtsgüter verletzende Täter nicht der eigentliche Rechtsgutsträger ist, das Rechtsgut also nicht um seiner selbst, sondern um der Gemeinschaft willen bzw. an sich geschützt wird, käme dieser als Angreifer im Hinblick auf das von ihm isoliert zu betrachtende Rechtsgut in Betracht.28 Der tiefer liegende Grund für die zu Recht ablehnende Haltung der Individualisten gegenüber der etatistischen Rechtsgutstheorie liegt weder in den Spannungen mit dem geltenden Recht29 noch in der sozialontologischen Erkenntnis, dass „der einzelne Mensch sehr wohl ohne gesellschaftliche Bindung denkbar ist, eine Gemeinschaft oder ein Staat ohne menschliche Mitglieder dagegen nicht gedacht werden kann“.30 Vielmehr steht eine etatistische Rechtsgutsauffassung wegen ihrer Nähe zu autoritären bzw. totalitären Systemen politisch unter Verdacht. Indem der Bezug auf den Rechtsgutsträger ausgeblendet wird, verringert sie die Argumentationslast des Staates, wenn es darum geht, Güter auch gegen den Willen ihres Trägers zu erhalten.31 Sie begründet damit die Gefahr einer unangemessenen Bevormundung 25 Vgl. Binding, Normen I, S. 340 ff.; Honig, Einwilligung, S. 115; Oetker, ZStW 17 (1897), S. 508 f.; Hegler, ZStW 36 (1915), S. 28 f.; heute noch vertreten von Jescheck/Weigend, AT, S. 375 f.; Maurach/Zipf, AT Tb. 1 § 19 II Rn. 8; Schmidhäuser, AT, S. 38; dazu Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 35 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 67 ff.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 115 ff. 26 Geppert, ZStW 83 (1971), S. 967; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 98, 105; ders., in: FSWelzel, S. 785; Kühl, AT6, § 9 Rn. 22. 27 Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 165; Rönnau, Willensmängel, S. 34; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 114. 28 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 118. 29 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 39 ff.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 169 ff. 30 So Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 120. 31 Rönnau, Willensmängel, S. 142.

A. Strafrechtsspezifische Einwände gegen den direkten Paternalismus

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des Bürgers und führt letztlich zu einem Kollektivismus, der mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, das die Person als Eigenwert respektiert, nur schwer in Einklang zu bringen ist.32 Anders stellt sich die Situation bei den Rechtsgutskonzeptionen dar, die die Person mit ihren Interessen und Bedürfnissen ins Zentrum stellen. In ihrer monistisch-personalen Variante werden alle Rechtsgüter von den Interessen der Person her abgeleitet.33 Rechtsgüter der Allgemeinheit werden nur insoweit anerkannt, als sie auch Interessen des Einzelnen vermitteln. Der Eigenwert der Person wird auch von Dualisten in den Vordergrund gerückt.34 Individualrechtsgüter sollen die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen ermöglichen und ihm eine Freiheitssphäre zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung sichern.35 Güter genießen nicht allein um ihrer selbst willen, sondern in ihrer Zuordnung zu einem außerhalb ihrer selbst stehenden Rechtssubjekt rechtlichen Schutz.36 Die personale Rechtsgutstheorie ist damit ein Argumentationstopos, der gute Gründe dafür liefert, paternalistische Strafnormen als illegitim ausscheiden zu können, weil sich auch die Selbstschädigung als Bestandteil der Selbstverwirklichung des Individuums darstellt.37 Geht man mit Roxin davon aus, dass individuelle Rechtsgüter der freien Entfaltung des Einzelnen dienen, so kann „keine Rechtsgutsverletzung vorliegen, wenn eine Handlung auf einer Disposition des Rechtsgutsträgers beruht, die seine freie Entfaltung nicht 32 Rönnau, Willensmängel, S. 34 f.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 125 f. 33 Vgl. grundlegend Marx, Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut“, 1972; Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 192 ff.; ders., in: Philipps/Scholler (Hrsg.), Jenseits des Funktionalismus, S. 91 ff.; ders., ZRP 1992, S. 379; ders., NStZ 1989, S. 557; ders., in: Schlüchter-GS, S. 155 ff.; ders., in: v. Hirsch/Hefendehl/Wohlers/ (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 57; NK3Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 131 ff.; Hohmann, Umweltdelikte, S. 61 ff.; ders., GA 1992, S. 76 ff.; Neumann, in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), „Personale Rechtsgutslehre“ und „Opferorientierung im Strafrecht“, S. 84 ff.; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 1, 9; vermittelnd Roxin, AT I4, § 2 Rn. 7 ff.; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 69 ff.; Sternberg-Lieben, in: Hefendehl/v. Hirsch/ Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 67 f.; ders., Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 368 ff.; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 133 ff.; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 108 ff.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 125 ff. 34 Vgl. Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 119 ff.; Kuhlen, ZStW 1993, S. 704; Schünemann, GA 1994, S. 208 ff.; Amelung, in: Hefendehl/Wohlers/von Hirsch (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 162; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 73; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 43; Büttner, Verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelsstrafrechts, S. 86. 35 Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 166; Wohlers/Went, in: v. Hirsch/Neumann/ Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 295. 36 Vgl. zur Beziehungsstruktur des Rechtsguts Marx, Rechtsgut, S. 64 ff.; Eschweiler, Beteiligung, S. 62 ff.; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 115; Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 166; Rönnau, Willensmängel, S. 50; Sowada, Notwendige Teilnahme, S. 82 ff.; Weigend, ZStW 98 (1986), S. 59. 37 Dies verkennt Seher, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 51.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

beeinträchtigt, sondern im Gegenteil deren Ausdruck ist.“38 Zugleich ermöglicht eine solche Rechtsgutstheorie die Annahme eines zulässigen, autonomieorientierten Paternalismus im Rahmen eines liberalen Strafrechtssystems, da ein Schutz der Güter des Individuums gegen seinen Willen denkbar sein kann, wenn der Handelnde nicht in vollem Ausmaß für die eigene Entscheidungsfindung kompetent ist, weil die Entscheidung auf einer konstitutionellen Schwäche oder auf einem rechtlich relevanten Willensmangel beruht. Uneinheitlich wird von den Anhängern der personalen Rechtsgutslehre die zweite Frage beantwortet, nämlich ob Individualrechtsgüter losgelöst von der Dispositionsbefugnis des konkret betroffenen Rechtsgutsträgers interpretiert werden können. Ansätze, die bei der Bestimmung des Rechtsguts die Dispositionsfreiheit des Betroffenen berücksichtigen, gehen von einer tatbestandsausschließenden Wirkung der Einwilligung aus39, während die Auffassungen, die auf Tatbestandsebene das Gut losgelöst vom Einzelwillen vor Beeinträchtigungen schützen wollen, in der Einwilligung einen Rechtfertigungsgrund sehen.40 Die eigentliche Sachfrage wird jedoch mit der klassischen Diskussion über die „richtige“ deliktssystematische Einordnung der Einwilligung vernachlässigt.41 Die Frage, aus welchem Grunde einer Disposition des Betroffenen über sein Individualrechtsgut ausnahmsweise keine 38

Roxin, AT I4, § 13 Rn. 12. Grundlegend Roxin, AT I4, § 13 Rn. 14; ders., in: FS-Amelung, S. 269 ff.; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 22 ff.; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 91 ff.; Haffke, ZStW 1995, S. 778; SK-Horn/Wolters, § 228 Rn. 2; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 203 ff.; Jäger, Zurechnung, S. 22 f. (Ausschluss der objektiven Zurechnung); Kientzy, Mangel am Straftatbestand, S. 65 ff.; Kindhäuser, LPK-StGB Vor § 13 Rn. 161; ders., FS-Hollerbach, S. 645 f.; ders., FS-Rudolphi, S. 136 ff.; Kühne, JZ 1979, S. 242; Maurach/Zipf, AT 1, § 17 Rn. 33, 36 ff.; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 110; Rath, Subjektives Rechtfertigungselement, S. 569 ff.; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 79 ff.; ders., in: GS-Arm. Kaufmann, S. 374 f.; Seelmann, in: FS-Schreiber, S. 853 Fn. 2; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 285 f.; Weigend, ZStW 1986, S. 61; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 130 ff.; Zipf, Einwilligung, S. 28 ff. Vgl. auch Stratenwerth, ZStW 68 (1956), S. 43, der gleichwohl die Einwilligung als Rechtsfertigungsgrund einstuft. Eine vermittelnde Meinung vertritt Rönnau, Willensmängel, S. 85 ff.; LK12 -ders., Vor § 32 Rn. 156 f., nach dem der Wille eine Selektions- und Konkretisierungsfunktion im Hinblick auf die geschützten Handlungsoptionen des Individuums hat, ohne selbst zum Bestandteil des Rechtsguts zu werden. 40 Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsguts, S. 26 ff.; ders., Irrtum und Täuschung als Grundlage von Willenmängeln, S. 25 ff.; Baumann/Weber/ Mitsch, AT, § 17 Rn. 95; Frister, AT4 S. 175; Geerds, GA 1954, S. 262 ff.; ders., ZStW 1960, S. 42 ff.; Gropp, AT2, S. 179; Dölling, in: FS-Gössel, S. 216; Heinrich, AT I2, § 16 Rn. 438 ff.; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 96; Jakobs, AT 7/104 ff., 111 ff.; Jescheck/Weigend, § 34 I 3; Kubnik, JA 2003, S. 261 f.; Kühl, AT6, § 9 Rn. 22, 25; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 369 ff.; Otto, Grundkurs, Allgemeine Strafrechtslehre, § 8 Rn. 127; Rengier, AT, § 23 Rn. 1 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner, Vor § 32 Rn. 29 f, 33 f.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 361; eher vermittelnd Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 163. 41 Mit Recht fragt sich Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 60 Fn. 18, ob mit einem entsprechenden Rechtsgutsverständnis zwingend vorentschieden sei, an welcher Stelle der Straftatsystematik das Selbstbestimmungsrecht zum Tragen komme. 39

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strafbefreiende Wirkung zukommen soll, muss unabhängig von der straftatsystematischen Verortung der Einwilligung beantwortet werden. Es geht letztlich nicht um die rechtliche Bedeutsamkeit des Selbstbestimmungsrechts überhaupt, sondern um die sachgerechte Bestimmung der deliktssystematischen Kategorien „Tatbestand/Rechtswidrigkeit“ in Bezug auf deren Berücksichtigung.42 Darauf ist noch im Rahmen der dogmatischen Behandlung des indirekten Paternalismus zurückzukommen, um einen eigenen Lösungsvorschlag über den Standort der Einwilligung im Deliktsaufbau zu entwickeln.

II. Strafrechtsutilitaristischer Einwand Man könnte weiterhin in Frage stellen, ob direkt paternalistische Verbote nicht letztlich mehr Schaden als Nutzen stiften. Es lässt sich nämlich ernsthaft behaupten, dass der durch die Strafdrohung und erst recht durch deren Durchsetzung für die betreffende Person angerichtete Schaden meist größer ist als der Nutzen, der davon erwartet werden kann.43 Dies ist darauf zurückzuführen, dass durch die erhöhte Strafe dem Lebensplan des betroffenen Individuums ein möglicherweise genauso großer Schaden zugefügt wird wie durch das befürchtete Übel.44 Wie könnte beispielsweise das Interesse eines Drogenkonsumenten durch die langen Freiheitsstrafen, welche das Betäubungsmittelstrafrecht vorsieht, gefördert werden?45 Überdies sollte dem hohen Risiko, im Gefängnis mit Betäubungsmitteln in Berührung zu kommen, Rechnung getragen werden.46 Es ist auch an einen weiteren unerwünschten Effekt der Strafbarkeit des Umgangs mit Betäubungsmitteln zu denken, nämlich an die unkontrollierbare Qualität der Substanzen, die zusätzliche gesundheitliche Gefahren für die Konsumenten schafft.47 Alle diese Dimensionen sind indes empirische Fragen, die wissenschaftlich kaum aufklärbar und auch schwer beweiskräftig festzustellen sind.48 Das Problem einer 42

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 369. Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 232. 44 Chatzikostas, Disponibilität des Rechtguts Leben, S. 158. 45 v. Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 241; Husak, Drugs and Rights, S. 76. 46 Chatzikostas, Disponibilität des Rechtguts Leben, S. 158 Fn. 142; Husak, Drugs and Rights, S. 77. 47 Böllinger, KJ 1991, S. 395; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 122; Hassemer, JuS 1992, S. 112; Kniesel, Kriminalistik 1993, S. 290; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 40; Husak, Drugs and Rights, S. 76: „…illegal drugs are more likely to be contaminated by impurities. Legal drugs are subject to quality controls that are totally lacking for illegal substances.“ 48 Vgl. Kleinig, Paternalism, S. 49: „In individual cases, paternalistic interference might indeed maximize utility, but this cannot be concluded so far as paternalisitc laws are concerned, 43

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nüchternen Kosten-Nutzen-Analyse besteht zum einen darin, quantitativ zu zeigen, dass das massive Unbehagen, das aus der Bevormundung resultiert, tatsächlich mit der Bewahrung des persönlichen Wohls des Individuums aufgewogen wird. Die andere, tiefergreifende Schwierigkeit liegt in der qualitativen normativen Differenz zwischen dem Gut der Selbstbestimmung und etwaigen durch die Fremdbestimmung erreichbaren Gütern. In der Abwägung sind daher zu viele Prognosen und Variablen von Bedeutung. Dies gilt umso mehr, wenn man die subjektiven Wünsche und Ziele des Betroffenen als Maßstab dafür zugrunde legt, wie bestimmte Freiheitsbetätigungen zu bewerten sind.49 Wie soll z. B. im Fall eines Rauchers die Freiheit, die selbstschädigende Alternative wählen zu können, mit der Einbuße an Gesundheit verrechnet werden? Man sollte insbesondere berücksichtigen, dass die Freiheitseinbuße durch ein Rauchverbot für einen überzeugten Raucher mehr Verlust an Freiheit bedeuten würde als das Rauchen selbst, weil eben das Rauchen Bestandteil seiner Lebensphilosophie geworden ist, dessen wirkliche Bedeutung nur schwer einzuschätzen ist.50 Im Zuge der Besprechung der konsequentialistischen Rechtfertigungsmodelle von paternalistischen Interventionen wurde bereits aufgezeigt, dass eine haltbare theoretische Kritik des Rechtspaternalismus auf dieser Grundlage nicht gewonnen werden kann. Der grundlegende Einwand gegen strafrechtsutilitaristische Argumente bezieht sich darauf, dass sie einen gewissen Hang zugunsten paternalistischer Intervention haben.51 Die utilitaristische Theorie kann individueller Autonomie insgesamt zwar einen gewissen, aber keinen absoluten Status zugestehen, und ihr Antipaternalismus bleibt deshalb kontingent.52 Denn die Forderung, das Wohl von Personen zu maximieren, scheint nicht mit der Forderung vereinbar, die Autonomie einer Person auch dann zu respektieren, wenn diese gegen ihr eigenes Wohl handelt. Versucht man es mit einer regelutilitaristischen Begründungsstrategie53, indem man darauf hinweist, dass ein generelles Verbot von Paternalismus im Vergleich zu

because of the problems involved in providing and applying criteria for identifying those classes of behaviour in which the benefits of intervention would outweigh the evils.“ 49 Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 39. Überdies stellen sich Entscheidungsprobleme wegen der Inkommensurabilität der in Frage stehenden Optionen. Vgl. Raz, The Morality of Freedom, S. 321 ff. 50 Es ist deshalb unzutreffend, wenn Regan, in: Sartorius (Ed.), Paternalism, S. 120 ausführt, der Freiheitsverlust für Bergsteiger, wenn ihre Tätigkeit untersagt werde, sei viel größer als der aus einem Rauchverbot resultierende, weil das Bergsteigen zum einen die Quelle größerer Freude als Rauchen sei, zum anderen es enger mit der Identität des Einzelnen verbunden sei. 51 Regan, in: Sartorius (Ed.), Paternalism, S. 117; VanDeVeer, Paternalistic Intervention, S. 113, Fn. 14. 52 VanDeVeer, Social Theory and Practice 1980, S. 198. 53 Für den Regelutilitarismus siehe Smart, Utilitarian Ethics, S. 9; Lyons, Utilitarianism, S. 9 ff.

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einer beschränkten Zulassung glücksmaximierend wirkt,54 sollte man auch in diesem Fall bereit sein, in bestimmten Konstellationen diese Regel außer Kraft zu setzen, nämlich wenn ein Nichtbefolgen des Paternalismusverbots ausnahmsweise den Interessen des Individuums höheren Nutzen bringen würde.55 Diese Begründungsstrategie kann nicht den inhärenten Wert der Entscheidungsfreiheit zum Ausdruck bringen, weil sie aposteriorische, d. h. empirische Elemente enthält, die ihre Gültigkeit verlieren, sobald sich die Welt verändert.56 Die Verteidigung der individuellen Autonomie bleibt wieder von kontingenten Erwägungen abhängig. Stellt man auf den intrinsischen Wert der individuellen Entscheidungsfreiheit ab, und argumentiert idealutilitaristisch, ist es immer noch nicht überzeugend bewiesen, warum paternalistische Interventionen absolut ausgeschlossen sind.57 Man gelangt zu einer komplexen, ungewissen Abwägung, die im Ergebnis zugunsten anderer objektiver Güter des Individuums (oder des Kollektivs) ausfallen kann, wenn dies zu einer höheren Wertrealisierung führt.58 Die Begründung hängt auch in diesem Fall von einer Reihe kontingenter Annahmen ab und ist deshalb trotz der Emphase, die sie auf Autonomie und Originalität legt, problembehaftet und insgesamt schwach.59 Jeder Versuch, direkt paternalistische Verbote mit utilitaristisch geprägten KostenNutzen-Abwägungen zu begründen, kann deshalb durch empirische Begriffe wie Nutzen nur unvollständig erfasst werden. Denn die Problematik des direkten Paternalismus betrifft die nicht empirische, sondern apriorische Frage nach dem Inhalt der zu respektierenden Autonomie des Individuums.60

III. Präventionsstrafrechtlicher Einwand Die Geeignetheit von direkt paternalistischen Strafnormen zur Erreichung des angestrebten Zieles (des Schutzes des Einzelnen vor selbstschädigenden Entschei-

54

Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 37; Gutmann, in: Schroth/Schneewind /Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.): Patientenautonomie, S. 201. 55 Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 40. 56 Regan, in: Sartorius (Ed.), S. 114; Greco, Lebendiges und Totes, S. 134; ders., in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechts?, S. 77. 57 Gutmann, in: Schroth/Schneewind /Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.): Patientenautonomie,S. 199, 201 f.; Arneson, Ethics 1980, S. 473: „… an ideal utilitarian strand of thought, which asserts that freedom of choice is intrinsically a very great good and that paternalistic interference with liberty always thwarts freedom of choice“. 58 Arneson, Ethics 1980, S. 473: „This ideal Utilitarian argument appears to leave it open that paternalism, while sacrificing free choice, might succeed in gaining other goods that overbalance the loss of free choice.“; Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 37. 59 Gutmann, in: Schroth/Schneewind /Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.): Patientenautonomie, S. 199. 60 So zutreffend Greco, GA 2010, S. 625.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

dungen) muss in allen Varianten der präventiven Straftheorien verneint werden.61 Die generalpräventive Abschreckungswirkung einer direkt paternalistischen Strafnorm muss wesentlich bezweifelt werden. Da kein Einsichtsfähiger freiwillig ohne gewissen Grund seinen eigenen Interessen zuwiderhandelt, bedarf es nicht der Androhung einer Strafe, um von der Begehung eines selbstschädigenden Verhaltens abgehalten zu werden.62 Es ist insbesondere auf die natürliche Hemmschwelle hinzuweisen, die der menschliche Selbsterhaltungstrieb sowie das Empfinden eigenen Schmerzes errichten.63 Die präventive Wirkung der Strafe dürfte in diesem Fall gleich Null sein.64 Ein direkt paternalistisches Verbot hätte den Sinn, das Individuum von einem Übel (dem Opfern seiner eigenen Interessen) durch die Abschreckungswirkung eines anderen Übels (die Freiheits- oder Geldstrafe), abzuwenden. Es sollte nicht für selbstverständlich gehalten werden, dass die Individuen, die nicht von dem ersten Übel zurückschrecken würden, eine völlig umgekehrte Einstellung gegenüber dem Übel der Strafe einnehmen.65 Wer sich selbst schädigt, wird oftmals aus völliger Gleichgültigkeit im Hinblick auf die zu tragenden Konsequenzen handeln. Das Bild eines die Vor- und Nachteile seiner Handlung vernünftig abwägenden Individuums, auf dem die sog. „psychologische Zwangstheorie“ Feuerbachs beruht, dürfte insofern versagen.66 Wer sich selbst gefährdet, sucht oftmals gerade den Gefühlskitzel des Risikos. Ihn dürften Strafandrohungen insofern nicht abschrecken. Der verbotene Genuss kann sich sogar stimulierend auswirken.67 Selbstgefährdendes bzw. -schädigendes Verhalten ist in der Regel durch die Privatheit der Begehung gekennzeichnet. Direkt paternalistische Strafnormen hätten daher keine abschreckende Wirkung, weil der Täter nicht Gefahr liefe, entdeckt zu werden.68 Die Androhung einer schweren Übelszufügung gegen den zur Selbstschädigung Gewillten wäre letztlich widersinnig; denn die Konsequenzen der selbstschädigenden Tätigkeit als solche stellen die „Strafe“ des Betroffenen dar. Welche Strafe verdient einer, der seine Strafe selbst herbeiführt? Die schädlichen Folge seines Handelns dem Betroffenen vor Augen zu führen, ist vielmehr Aufgabe öffentlicher 61 Die absoluten Straftheorien, die den Sinn der Strafe nicht in der Verfolgung irgendwelcher sozial nützlichen Zwecke, sondern in der Herstellung von Gerechtigkeit durch Vergeltung sehen, sind bereits mit diesem Ausgangspunkt unvereinbar. 62 Gropp, Deliktstypen mit Sonderbeteligung, S. 177; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 190. 63 Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 130; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 227 Fn. 137. 64 Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 130; Otto, in: FS-Tröndle, S.169; Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 232, 237. 65 Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 157. 66 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 192. 67 Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 158; Kreuzer, in: FS-Miyazawa, S. 182: sog. „forbidden fruit effect“. 68 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 193.

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Aufklärung.69 Der seine Gesundheit und gegebenenfalls sogar sein Leben riskierende Drogensüchtige wird sich von der Strafandrohung kaum beeindrucken lassen. Es erscheint wahrscheinlicher, dass jemand auf den Drogenkonsum eher aus Angst vor der Suchtgefahr oder anderen gesundheitlichen Auswirkungen und nicht etwa aus Angst vor der Strafe verzichten würde.70 Auch auf den sein Vermögen verschwendenden Glücksspieler wird sich die Androhung einer erhöhten Geldstrafe nicht motivierend auswirken. Wer schließlich sein eigenes Leben beenden will, kann durch eine Strafdrohung nicht mehr zum Weiterleben motiviert werden.71 Bei einem misslungenen Suizidversuch würde paradoxerweise der Selbstmörder wegen seiner Ineffizienz bestraft werden.72 Gegenüber dem sich freiwillig selbstgefährdenden oder -schädigenden Individuum dürfte allenfalls die Androhung und Vollziehung drakonischer Strafen Wirkung entfalten. In diesem Fall wäre die Strafe gegenüber dem Einzelnen als Mittel zum Zweck der künftigen Abschreckung anderer potenzieller Selbstschädiger nicht legitim, weil dem Einzelnen kein Schuldvorwurf gemacht werden könnte.73 Der gedankliche Ausgangspunkt der Theorie der positiven Generalprävention, der die norm- und gesellschaftsstabilisierende Funktion der Strafe hervorhebt, lässt sich auf die Pönalisierung selbstgefährdenden oder -schädigenden Verhaltens genauso schwer übertragen. Die Selbstverletzung lässt das durch die generalpräventive Kraft des Strafrechts zu bestärkende Bewusstsein der Unantastbarkeit fremder Rechtsgüter unberührt.74 Die Stärkung des Normvertrauens der Bevölkerung wird außerdem sinnlos, wenn die Norm, deren Geltung stabilisiert werden soll, als illegitime Einmischung in die Privatangelegenheiten der Bürger wahrgenommen wird. Wo das Strafrecht nicht an die Fähigkeit zur autonomen Selbstbestimmung appelliert, sondern diese gerade bestreitet, kann es auch keine autonome Anerkennung der Norm produzieren.75 Das selbstschädigende bzw. -gefährdende Verhalten dürfte letztlich die Ordnung des friedlichen Zusammenlebens der Menschen nicht bedrohen. Ein Bedürfnis der Gesellschaft, sich aufgrund der Sanktion angesichts des

69 Vgl. Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 310 in Bezug auf die Strafbarkeit des Betäubungsmittelkonsums. 70 Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 158; Dölling, Eindämmung des Drogenmissbrauchs zwischen Repression und Prävention, S. 10. 71 Otto, in: FS-Lange, S. 213; Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 233; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 191; Roxin, in: FS-Dreher, S. 341, hält spezial- oder generalpräventive Wirkungen einer den Suizidversuch betreffenden Strafandrohung nicht für ausgeschlossen. 72 Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 130. 73 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 192. 74 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 227 Fn. 138. Für den Achtungsverlust gegenüber dem Rechtsgut Leben bei einer konsentierten Fremdverletzung siehe unten Teil 4. III. 2. 75 So Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 306.

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Rechtsbruchs zu beruhigen und den Konflikt mit dem Täter als erledigt anzusehen, entsteht insoweit nicht.76 Nach der Theorie der Spezialprävention soll der Täter von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten und die Allgemeinheit durch dessen Einsperrung gesichert werden. Der Gedanke der Sicherung der Bevölkerung vor einem Rückfall des Täters ist hier völlig deplaziert. Die Strafzwecktheorien gehen von einer Personenverschiedenheit des Täters und des Opfers aus. Im Fall eines direkt paternalistischen Verbots wäre aber die Person des Täters mit der des Opfers identisch, weil der Täter für die Verletzung der ihm zugeordneten Rechtsgüter bestraft würde. Dualismus von Täter-Opfer bzw. ein von der schützenswerten Gesellschaft isolierbarer Täter ist nicht konstruierbar. Dem Täter kann in diesem Fall nicht ein von ihm zu trennendes Opfer gegenübergestellt werden; die durch die Freiheitsstrafe erreichte Isolierung des sozialgefährlichen Täters von seinen Opfern ist nicht möglich.77 Auch der Gedanke der Besserung und Verhinderung des Rückfalls des Täters lässt sich auf den strafrechtlichen Schutz des Täters vor sich selbst nicht übertragen. Denn eine weitere Selbstschädigung des Einzelnen kann durch den Strafvollzug allenfalls begrenzt verhindert werden. Durch das Wegsperren lässt sich der Täter nicht von sich selbst isolieren, so dass die Gefahr einer erneuten Selbstverletzung vorhanden bleibt.78 Auch der Zwang zur Therapie durch Strafe gem. §§ 35 ff. BtMG für die abhängigen Drogenkonsumenten erscheint widersprüchlich und im Ergebnis wenig effektiv.79 Wer durch die Beeinträchtigung seiner Freiheit durch Abhängigkeit noch nicht ausreichend zur Therapie motiviert ist, dem wird die Freiheit vollständig genommen, damit der Zwang, sich für eine Therapie zu entscheiden, groß genug ist.80

IV. Strafrechtsethischer Einwand Die Sanktionierung selbstschädigenden Verhaltens ist weiterhin mit dem Tadel als Bestandteil der Strafe unvereinbar.81 Das Strafurteil kommuniziert über die objektsprachliche Ebene hinaus, auf der die Verhängung eines Übels dem Täter ge76

Roxin, AT I4, § 3 Rn. 27. Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 194. 78 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 194. 79 Haffke, ZStW 1995, S. 791; Köhler, ZStW 1992, S. 40: „… sie würden letztlich doch für den Drogenkonsum, für ihre Sucht bestraft“; Kreuzer, in: FS-Miyazawa, S. 194 f.; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 192 f. 80 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 310; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 193. 81 Für die zentrale Rolle des mit der Strafe verbundenen Unwerturteils vgl. Androulakis, ZStW 1996, S. 309 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 65; von Hirsch, in: Fairness, Verbrechen und Strafe, S. 48 ff.; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 12; Kühl, AT6, § 10 Rn. 2; ders., in: FS-Eser, S. 153 f.; Roxin, AT I4, § 3 Rn. 46, 61; ders., in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts, Schlussbericht, S. 178; Schroth/Neumann, Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, S. 9; LK12- Weigend, Einl. Rn. 1. 77

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genüber durch seine Schuld gerechtfertigt wird, auf einer metasprachlichen Ebene Tadel.82 Der Täter wird als Subjekt angesprochen, das als fähig angesehen wird, die Verwerflichkeit seines Verhaltens moralisch zu überprüfen und anzuerkennen.83 Durch den strafrechtlichen Tadel wird zum Ausdruck gebracht, dass das beurteilte Verhalten falsch ist und dass ähnliche Verhaltensweisen in Zukunft unterlassen werden sollten.84 Im Zusammenhang von Verhaltensweisen, die andere schädigen, ist eine solche tadelnde Reaktion gut zu begründen. Denn die vorwerfbare Missachtung der anerkannten Interessen des Opfers stellt tadelnswertes Unrecht dar.85 Die explizite Missbilligung des Täterverhaltens bringt dem Opfer gegenüber zum Ausdruck, dass seine Einbuße nicht auf ein einem Unglück vergleichbares Geschehen zurückzuführen ist, sondern dass ihm durch das schuldhafte Handeln eines anderen Unrecht zugefügt wurde.86 Übertragen auf selbstverletzendes Verhalten stößt jedoch dieses Paradigma des tadelnswerten Unrechts auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Das Verhalten kann nicht als eine tadelnswerte Verletzung der legitimen Ansprüche gesehen werden, die der Täter sich selbst gegenüber hat. Ein gegenüber dem Täter ausgesprochener Tadel wäre hier moralisch deplaziert.87 Grundannahme einer tadelbasierten Perspektive ist außerdem, dass die Höhe der Übelszufügung das Ausmaß des Tadels reflektiert.88 Das Ausmaß der paternalistischen Intervention sollte dementsprechend nach Erwägungen der Tatproportionalität bemessen werden. Die Umsetzung dieses Modells im Bereich des selbstverletzenden Verhaltens würde zu dem absurden Ergebnis führen, dass derjenige, der sich zu töten versucht, strenger zu bestrafen wäre als derjenige, der sein Leben oder körperliche Unversehrtheit lediglich riskiert und darauf vertraut, dass alles gut gehen werde. 82

Schünemann, in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 113. 83 von Hirsch, in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts, S. 68 f.; ders., in: Anderheiden/Bürkli/Heinig/Kirste/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 241; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 16 f.; Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 275. 84 Für die moralische Funktion des Tadels vgl. von Hirsch, in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts, S. 67 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 116 ff.; von Hirsch, in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 103 ff.; Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 278; Kühl, in: FS-Eser, S. 159. 85 von Hirsch, in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts, S. 72; ders., in: Anderheiden/Bürkli/Heinig/Kirste/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 241. 86 von Hirsch, in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts, S. 68; Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 275; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 117. 87 Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 232. 88 Für die Kongruenz zwischen Strafausmaß und Tadelnswertigkeit vgl. von Hirsch, in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts, S. 73; von Hirsch/ Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 12; von Hirsch, in: Schünemann/von Hirsch/ Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 105; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 135 f.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Denn das Verletzungsausmaß (Schädigung verglichen mit der Gefährdung) und der Unrechtscharakter (Vorsatz verglichen mit Fahrlässigkeit) wären im ersten Fall größer und damit tadelnswerter.89 Bedenken ergeben sich auch aus dem Umstand, dass das mit der Strafe verbundene Unwerturteil retrospektiv orientiert ist; sein Inhalt ist die Bewertung eines in der Vergangenheit liegenden Geschehens.90 Die Legitimität des Tadels baut gerade auf dieser retrospektiven Perspektive auf. Paternalistische Interventionen beziehen sich dagegen auf die Bewahrung der zukünftigen Interessen der betroffenen Person, nicht auf die Verwerflichkeit ihres vergangenen Verhaltens. Diese Orientierung auf die Zukunft macht die Strafe mit ihren starken retrospektiven und tadelnden Kennzeichen zu einer unangemessenen Form der Reaktion.91 Paternalistische Strafvorschriften laufen letztlich dem hinter dem paternalistischen Schutz stehenden Fürsorgegedanken entgegen. Denn Strafe ist in erster Linie eine sozialethische Missbilligung im Sinne der Verurteilung einer bestimmten Handlung, nicht aber eine Hilfe für den Täter.92

B. Besonderer Teil Bei der Prüfung der Legitimation von Straftatbeständen setzen die Versuche in der deutschen Strafrechtswissenschaft traditionell bei der Rechtsgutstheorie als Ausgangspunkt ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation und damit zugleich der Begrenzung der staatlichen Strafgewalt an. Während der Verweis auf ein geschütztes Rechtsgut sinnvoll ist, um die Struktur solcher Straftatbestände zu erhellen, die eine Schädigung anderer Personen voraussetzen, ist der analytische Gewinn des Rechtsgutsdogmas bezüglich Straftatbestände (soweit diese existieren sollten), die eine Schädigung der eigenen Person enthalten, begrenzt.93 Mit dem schlichten Verweis auf ein angeblich „geschütztes Rechtsgut“ verwischen sich die Grenzen zwischen Interventionsgründen, die den Schutz vor Eingriffen Dritter bezwecken und Interventionsgründen, die paternalistisch motiviert sind, da die Konstruktion eines Rechtsguts auch bei paternalistischen Normen immer möglich ist.94 Es wird unterstellt, dass die in Frage stehenden Strafnormen allenfalls dann mit der Auto89

von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 243. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 114. 91 von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 242. 92 Gropp, Deliktstypen mit Sonderbeteiligung, S. 177; von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 240; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 196. 93 von Hirsch, in: FS-Eser, S. 190. 94 Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 20; von Hirsch/Neumann GA 2007, S. 671 f.; dies., in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 71 mit Fn. 3; von Hirsch/Wohlers, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 196; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 251; Seher, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 51; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 86. 90

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nomie des Einzelnen vereinbar sein können, wenn sie sich durch den Verweis auf schützenswerte Belange des Einzelnen oder der Allgemeinheit utilitaristisch legitimieren lassen.95 Mit anderen Worten: das liberale Strafrecht könne gegenüber Paternalismus erst durch die Identifizierung von schädlichen Folgen für die Rechtsgüter Dritter abgeschirmt werden. Der Bereich des paternalistischen Strafrechts wird zudem häufig durch diffuse, konturenlose Rechtsgutskonstruktionen kaschiert, die sich auf angebliche Interessen der Allgemeinheit berufen, wie z. B. die Volksgesundheit, die Integrität der Transplantationsmedizin oder das Pietätsgefühl der Allgemeinheit. Nach der Entlarvung solcher Scheinrechtsgüter sind die in Frage stehenden Tatbestände nicht als rechtsgutslos zu verwerfen, sondern man muss sie auf weitere Legitimationsprinzipien hin untersuchen, die ihrerseits verfassungskonform sein müssen.96 Der Rechtsgutslehre wird in der strafrechtlichen Diskussion über Paternalismus letztlich zu viel zugemutet. Die Diskussion verharrt allzu sehr auf der Ebene eines verengten konsequentialistischen Denkens und vernachlässigt die Autonomie des Einzelnen als Kern jeder Paternalismuskritik.97 Mit dem schlichten Verweis auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers wird ihm die Befugnis verliehen, empirische Prognosen über die Folgen des Verhaltens für die Rechtsgüter des Einzelnen oder der Allgemeinheit weitgehend frei zu formulieren. Der blinde Fleck der Rechtsgutslehre besteht gerade darin, dass sie als konsequentialistisches Argument nur Augen für die Vor- und Nachteile hat, die von strafrechtlichen Verboten hervorgerufen werden können.98 Als mögliche Basis für Verbote des selbstschädigenden Verhaltens können paternalistische Argumente daher nicht ohne weiteres durch die Behauptung der indirekten Beschädigung Dritter ersetzt werden. Sonst liefe das Verbot des harten Paternalismus als Kriminalisierungsgrund leer. Ob sich die hier zu untersuchenden Normen tatsächlich auf den vorgeblichen Schutz von Dritt- oder Allgemeininteressen zurückführen lassen, wird in jedem Einzelfall zu diskutieren sein. In diesem Zusammenhang wird die These geprüft, dass die Normen einen unechten und daher zulässigen Schutz des Täters vor sich selbst beinhalten.99 Damit wird das kritische Potential der Rechtsgutslehre für die Konturierung der Straftatbestände nicht im Geringsten in Zweifel gezogen. Der Rechtsgutsbegriff ist in seiner systemkritischen Funktion weiterhin in dem strafrechtlichen Arsenal uner95 Nach Gutmann, in: Schroth u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 252, müsse die Diskussion um den Paternalismus letztlich auf dem Boden einer Theorie der Rechtsgüter und der rechtlichen Schutzzwecke ausgetragen werden. 96 Hefendehl, GA 2007, S. 8. 97 Zum konsequentialistischen Charakter der Rechtsgutstheorie vgl. Greco, ZIS 2008, S. 236 f.; ders., Lebendiges und Totes, S. 349 ff.; ders., in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechts?, S. 78; ders., Rechtswissenschaft 2011, 277 f. 98 So Greco, ZIS 2008, S. 236 f.; ders., Lebendiges und Totes, S. 349 ff. 99 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 151; Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 108; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 200.

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lässlich.100 Ein systemkritischer Rechtsgutsbegriff in seiner negativen Ausgrenzungsfunktion schließt zwar den harten Paternalismus als Kriminalisierungsgrund aus.101 Er vermag aber nicht die Grenzen eines zulässigen strafrechtlichen Paternalismus abzustecken. Es ist daher systematisch vorzugswürdig, die Legitimation und die Grenzen eines autonomieorientierten (weichen) Paternalismus nachzuzeichnen und seine Funktion als Erweiterungsprinzip der Kriminalisierung zu untersuchen, statt die Legitimation des weichen Paternalismus allein auf der Rechtsgutstheorie aufzubauen, die in diesem Fall an ihre Grenzen stößt.102 Mit Rückgriff auf das Prinzip des autonomieorientierten Paternalismus sind danach die paternalistisch suspekten Normen aus dem Bereich des Strafrechts hinsichtlich ihrer Deliktsstruktur näher zu untersuchen.

I. Die Strafbarkeit des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BtMG Das gesetzgeberische Ziel, möglichst alle auch nur mittelbar auf den Umgang mit Betäubungsmitteln bezogenen Verhaltensweisen und alle irgendwie daran beteiligten Personen in den Bereich der Strafbarkeit einzubeziehen, steht in Widerspruch mit herkömmlichen Strukturen und allgemein anerkannten Prinzipien der Strafrechtsdogmatik.103 Der Gesetzgeber zieht zum Schutz vor den potentiellen Folgen des Umgangs mit Betäubungsmitteln einen Ring von Straftatbeständen um eine tatbestandslose Handlung, indem sämtliche angebotsorientierte Verhaltensweisen (Handeltreiben, Anbauen, Einfuhr, Ausfuhr, Durchfuhr, Herstellung)104 bis hin zu den notwendig dem Konsum vorausgehenden Tätigkeiten des Konsumenten (Erwerb oder Besitz) erfasst werden. Die Straflosigkeit des Konsums von Betäubungsmitteln wird also durch den Kunstgriff der Erfassung typischer Vorbereitungshandlungen im 100 Für die systemkritische Funktion des Rechtsguts vgl. Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 27; Roxin, AT I4, § 2 Rn. 12 ff. 101 Vgl. Roxin, AT I4, § 2 Rn. 32; ders., in: FS-Hassemer, S. 579; ders., in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, S. 142. 102 Vgl. Schünemann, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 21, der einen „sorgfältig zu analysierenden und zu begrenzenden Einbau gewisser paternalistischer Elemente in das nach wie vor rechtsgüterschützende Strafrecht“ fordert. 103 Albrecht, Kommentar Strafrecht, Sonderband, Betäubungsmittelstrafrecht, Art. 19 Rn. 7; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 261; Böllinger, KJ 1991, S. 406; Kreuzer, in: FSMiyazawa, S. 186; Paeffgen, BGH-FS, S. 696, bezeichnet das Betäubungsmittelstrafrecht als „Sonder-Kosmos“. 104 Darüber hinaus werden auch Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, die für die Angebotsseite des Betäubungsmittelmarktes typisch sind, wie die Mitteilung von Gelegenheiten zum unbefugten Umgang mit Drogen (§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 BtMG), das Bereitstellen von Geldmitteln (§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 BtMG) oder das Auffordern zum Umgang mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 BtMG).

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Ergebnis konterkariert.105 Da sich der Konsum ohne vorherigen Besitz auf akademische Fallkonstellationen beschränkt, hat die scheinbare Achtung vor der Individualautonomie einen Mühlstein um den Hals.106 Wie jede andere selbstgefährdende Tätigkeit stellt der Konsum von Betäubungsmitteln die Wahrnehmung der gem. Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Handlungsfreiheit dar.107 Der Legitimation der Strafvorschriften des BtMG über den Schutz des Lebens und der körperlichen Integrität von Betäubungsmittelkonsumenten steht daher der Grundsatz entgegen, dass die Selbstgefährdung kein strafrechtlich relevantes Unrecht zu begründen vermag.108 Geht man davon aus, dass der Schutz des selbstbestimmten Konsumenten vor sich selbst sich mit den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbaren lässt, dann stehen prinzipiell zwei Wege zur Verfügung, die Legitimität der konsumbezogenen Straftatbestände des BtMG zu begründen. Entweder versucht man auf der Grundlage eines weichen, zulässigen Paternalismus darzustellen, dass die abstrakte Gefahr der Weitergabe an Inkompetente (Jugendliche oder Schwerstabhängige) die Pönalisierung des Besitzes und Erwerbs als Vorstufe jeder Weitergabe notwendig macht.109 Der weiche Paternalismus wäre insofern als Erweiterungsprinzip der Kriminalisierung zu verstehen, als auch die Konsumenten, die sich selbstbestimmt für den Konsum entscheiden, durch die Strafbarkeit des Besitzes und Erwerbs in ihrer Selbstverfügungsfreiheit eingeschränkt werden, weil und wenn der Schutz derer, die sich nicht freiverantwortlich selbst gefährden, nur in Form eines abstrakten Gefährdungsdelikts garantiert werden kann, das die Verfügbarkeit von Betäubungsmitteln für alle Konsumenten ausschließt.110 Eine Begründung, welche die mangelnde Verantwortlichkeit der Drogenkonsumenten zum Ausgangspunkt der 105

Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 262; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 73; Ellinger, Betäubungsmittel und Strafbarkeit, S. 52; Katholnigg, GA 1990, S. 193 f.; Köhler, ZStW 1994, S. 8; Körner, BtMG, § 29 Rn. 1373; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 189 f.; Lüderssen, StV 1994, S. 509; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 50; Schmitt, in: FSMaurach, S. 122; Schneider, StV 1992, S. 489; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 288 f. 106 So Paeffgen, BGH-FS, S. 701 Fn. 29. Zur straflosen Konsumformen vgl. Körner, BtMG, § 29 Rn. 1393 ff.; Joachimski, BtMG, § 29 Rn. 144; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 289 Fn. 1343. 107 Albrecht, Kommentar Strafrecht, Sonderband, Betäubungsmittelstrafrecht, Art. 19a Rn. 3; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 57 f.; Haffke, ZStW 1995, S. 775 ff.; Hohmann/Matt, JuS 1993, S. 373 f.; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 71 f.; ders., in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a.M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, S. 74. 108 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 264; Bensch, Der Begriff des „Handeltreibens“, S. 48 f.; Hesel, Untersuchungen, S. 278 f.; Wohlers, Deliktstypen, S. 192 f. 109 Böllinger, KJ 1991, S. 406; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 94; Schünemann, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 30. 110 So Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 571 Fn. 290.

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Legitimation des Betäubungsmittelstrafrechts nimmt, setzt einerseits die Bestimmung von normativen Kriterien voraus, nach denen der Drogenkonsum als nicht eigenverantwortlich einzustufen ist, und andererseits die Prüfung der Legitimität der abstrakten Gefährdungsdelikte des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch (unter 1.). Oder man versucht das Verbot der dem Konsum vorgelagerten Verhaltensweisen im Hinblick auf Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zu rechtfertigen (unter 2.). Im Mittelpunkt der Diskussion steht der Hinweis auf den Schutz der Volksgesundheit, die auf heftige Kritik in der Literatur gestoßen ist. Schließlich ist die Notwendigkeit der Konstruktion eines Zwischenrechtsguts der staatlichen Drogenverkehrshoheit mit Skepsis zu betrachten (unter 3.). Durch diese „Zwischenschaltung“ werden letztlich die Legitimationsprobleme des paternalistischen Betäubungsmittelstrafrechts aus dem Blickfeld gedrängt. 1. Schutz inkompetenter Betäubungsmittelkonsumenten (weicher Paternalismus) Die in die § 29 Abs. 1 BtMG normierten Straftatbestände sind im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Individualrechtsgüter der Konsumenten als abstrakte Gefährdungsdelikte konstruiert und als Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes vor jene Verhaltensweisen zu begreifen, die den Konsumenten die Verfügung über die Betäubungsmittel und damit den Konsum ermöglichen, also die Abgabe von Betäubungsmitteln.111 Das Strafrecht kennt keine abstrakten Gefährdungsdelikte, die Verhaltensweisen unter Strafe stellen, damit mittelbar bestimmte Schäden vermieden werden sollen, obwohl die unmittelbare Herbeiführung dieser Schäden nicht als Verletzung eines Rechtsguts strafbar ist.112 Als abstrakte Gefährdungsdelikte ließen sich die den Besitz und Erwerb erfassenden Straftatbestände nur dann legitimieren, wenn die Abgabe als solche Unrechtsqualität aufweist. Die Qualifizierung der Abgabe als Unrecht der abstrakten Gefährdung setzt demnach voraus, dass dann, wenn es tatsächlich zu einem Schaden aufgrund des Konsums kommt, die Abgabe konkret eine strafrechtliche Zurechnung des Schadens begründen kann.113 Diese Problematik wird im Rahmen des indirekten Paternalismus eingehend untersucht.114 Um das Ergebnis schon hier vorwegzunehmen, stellt die bloße Eröffnung der Möglichkeit zur Selbstgefährdung im Hinblick auf die eigenverantwortliche Opferentscheidung ein rechtlich erlaubtes Verhalten dar. Eine strafrechtliche Zurechnung der Folgen einer Selbstgefährdung durch den Konsum von Betäubungsmitteln gegenüber Dritten setzt somit voraus, dass die Selbstgefährdung nicht freiverantwortlich erfolgt. Die Strafbarkeit des Erwerbs und 111 112 113 114

Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 99. Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 100. Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 100. Siehe unten Teil 4. A. III. 3. d.

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Besitzes von Betäubungsmitteln wird tatsächlich vielfach damit begründet, dass dieses Verhalten stets mit der abstrakten Gefahr verbunden sei, die Betäubungsmitteln könnten an Jugendliche oder Suchtkranke weitergegeben werden. Diese Gefahr soll auch dann bestehen, wenn der Erwerbende oder Besitzende die Droge ursprünglich zum Eigenverbrauch bestimmt habe.115 Die eingeschränkte Verantwortlichkeit der Drogenkonsumenten beruht daher zum einen auf der entwicklungsbedingten Unreife. Zum anderen wäre das besondere Potential der Betäubungsmittel, Abhängigkeit zu erzeugen, der Grund dafür, dass innerhalb einer freiheitlichen Rechtsordnung, in der es grundsätzlich der Person selbst überlassen bleibt, Tätigkeiten vorzunehmen, die mit hohen Gefahren für Leben und Gesundheit verbunden sind, eine spezifische Form der Selbstgefährdung auch durch das Strafrecht verhindert werden soll.116 a) Betäubungsmittelabhängigkeit als Grund der Zurechnung Die Beurteilung der Eigenverantwortlichkeit von Konsumenten ist im Hinblick auf das Potential der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln schwierig. Das Betäubungsmittelgesetz enthält keine Definition der Abhängigkeit. Es mangelt insofern an einem einheitlichen Maßstab, weil die gesetzliche Umschreibung der Betäubungsmittel in § 1 BtMG Substanzen mit höchst unterschiedlichen pharmakologischen Wirkungen erfasst. Die Gleichsetzung von Abhängigkeit mit dem Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit des Konsumenten ist höchst voraussetzungsvoll und schildert besonders plakativ, in welchem Ausmaß die normativen Wertungen im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts von den zugrunde liegenden empirischen Annahmen über das differenzierte Gefährdungspotential von Rauschmitteln und die Auswirkungen des Konsums geprägt sind.117 Medizinisch mag es sinnvoll sein, für die Diagnose einer Abhängigkeit auf den häufigen Konsum immer größerer Mengen einer psychotropen Substanz (Toleranzbildung) oder auf das Erscheinen von physischen Entzugssymptomen anzuknüpfen.118 Dies bedeutet aber noch nicht, dass jede Person, die im Einzelfall unfähig ist, ein Angebot des Suchtstoffes auszuschlagen, als nicht eigenverantwortlich zu bewerten ist. Vielmehr müssen die normativen Krite-

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So BVerfGE 90, 145, 187; auch BT/Drs. VI/1877, S. 5 f. Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 129. 117 Zur empirischen Basis für eine etwaige Gesundheitsschädigung von Cannabis und zum Mythos der Schrittmacherfunktion vgl. Albrecht, Kommentar Strafrecht, Sonderband, Betäubungsmittelstrafrecht, Einl. Rn. 16; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 263; Böllinger, KJ 1994, S. 412; Hohmann/Matt, JuS 1993, S. 371 f.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 224 Fn. 370; Roxin, AT I4, § 2 Rn. 35; Schneider, StV 1992, S. 515 ff.; ders., StV 1994, S. 390 ff.; Wohlers, Deliktstypen, S. 192; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 300. 118 Vgl. Köhler, ZStW 1992, S. 30 f., derzufolge die pharmakologische Gewöhnung oder körperliche Abhängigkeit eine selbständig-vergegenständlichte Macht gegenüber dem selbstbestimmten Subjekt gewinne bzw. es als solches (partiell) aufhebe. So auch Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 200. 116

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rien benannt werden, nach denen ein kontinuierlicher Drogenkonsum nicht mehr als frei und selbstbestimmt angesehen werden kann.119 Da die Entscheidung für den Erstkonsum bei erwachsenen Konsumenten in der Regel selbstbestimmt erfolgt und durch weitere freie Entscheidungen zur Fortsetzung des Konsums bestätigt wird, muss geprüft werden, ob das aktuelle Verlangen nach dem Konsum als ein Zustand verstanden werden kann, der – wie ein Zwang so stark – wirkt, dass die Person die Freiheit verloren hat, sich entsprechend ihrem eigentlichen Wollen zu verhalten und gegen den Konsum zu entscheiden.120 Als Kriterium dafür, ob eine Person die Fähigkeit hat, auf die Befriedigung eines aktuellen Verlangens verzichten zu können, scheinen körperliche Entzugserscheinungen den Vorteil zu haben, dass es sich um einen objektivierbaren Prozess handelt.121 Es muss aber beachtet werden, dass die Unfähigkeit, den Konsum von Rauschmitteln aufzugeben, wie jede andere Abhängigkeit von vielfältigen Faktoren abhängig ist z. B. von der subjektiven Konstitution des Konsumenten, seinen sozialen Einflüssen, so dass die Angst vor den körperlichen Entzugserscheinungen nur eine Bedingung unter anderen darstellt und keine ausreichende Erklärung zu bieten vermag.122 Der in § 35 Abs. 1 S. 1 StGB verankerte Grundgedanke, dass die Rechtsordnung Normen keine rechtsrelevante Hemmungswirkung mehr zubilligt, wo körperliche Gefahren drohen, ist nicht ohne weiteres auf die Fälle der Selbstverfügung in Form eines Erst-Recht-Schlusses anwendbar, wenn die Entzugserscheinungen auf andere Weise (z. B. durch ärztliche Medikamentierung) als durch den erneuten Konsum vermieden werden können.123 Ebenso wenig vermag die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit eine umfassende Pönalisierung konsumbezogener Verhaltensweisen zu tragen. Denn eine psychisch vermittelte Abhängigkeit geht auch mit Verhaltensweisen einher, bei denen zwar kein psychotroper Stoff konsumiert wird, gleichwohl aber eine veränderte Wahrnehmung eintritt. Es wäre jedoch illusorisch, wenn die Rechtsordnung eine Welt zu schaffen versuchte, in der es keine psychischen Zwänge gäbe.124

119 Amelung, NJW 1996, S. 2396 f.; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 141 f. 120 Amelung, NJW 1996, S. 2397; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 146. 121 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 153. 122 Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 199; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 156 ff.; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 361; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 299. 123 So aber Amelung, NJW 1996, S. 2397. 124 Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 199; Mit Recht fragt sich Köhler, in: Neumeyer/Schaich-Walch (Hrsg.), Zwischen Legalisierung und Normalisierung, S. 172: „Aber von welchen missbrauchbaren Dingen kann man sich eigentlich nicht ,psychisch‘ abhängig – und wieder freimachen? Was alles müsste man demnach verbieten, – Süßigkeiten, Rauchen und so fort, vom Alkohol zu schweigen.“

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Ob die Betäubungsmittelabhängigkeit schließlich zu einem weitgehenden Ausschluss der Selbstbestimmungsfähigkeit der Person bei ihrer gesamten Lebensführung führt, ist empirisch zweifelhaft, da weder ein totaler noch ein irreversibler Freiheitsverlust eintritt.125 Es lässt sich nicht bestreiten, dass es gelegentliche kontrollierte Konsumenten gibt, die den Gebrauch von Betäubungsmitteln in einen stabilen Lebenskontext einzufügen vermögen.126 Selbst Heroinabhängige überwinden ihre Sucht in statistisch signifikantem Umfang im Rahmen einer Therapie oder sogar ohne professionelle Hilfe. Es ist zudem zirkulär, zu behaupten, dass die Sucht alle anderen Werte und Aktivitäten des Individuums in den Hintergrund dränge, weil die Beschaffung der Betäubungsmittel zur zentralen Lebensaktivität werde. Für eine Bewertung der Freiheitsverluste durch Abhängigkeit muss vielmehr unterstellt werden, dass abhängige Konsumenten freien Zugang zu Betäubungsmitteln haben.127 Dass die Abhängigkeit für sich genommen nicht mit dem Ausschluss der Verantwortlichkeit gleichzusetzen ist, wird durch die geltende Praxis und wissenschaftliche Begründung der strafrechtlichen Zurechnung bestätigt, die in der Betäubungsmittelabhängigkeit allenfalls einen Zustand verminderter Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB sehen, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen gelitten und dadurch zur Tat getrieben wurde oder wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt hat.128 Selbst Schwerstabhängige gelten bei Delikten, die, wie der Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln, unmittelbar der Befriedigung ihrer Abhängigkeit dienen, als (allenfalls vermindert) verantwortlich.129 Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Betäubungsmittelabhängigkeit ein Zustand sein kann, bei dem die Verantwortlichkeit der Konsumenten ausgeschlossen ist130, wäre noch die Legitimität der Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes in Form des abstrakten Gefährdungsdelikts zu prüfen. Eine pauschale Rechtfertigung der Strafbarkeit des Besitzes und Erwerbs mit dem hiermit verbundenen Abgaberisiko an Schwerstabhängige eröffnet die Möglichkeit, paternalistisch in die Verhaltensweisen auch derjenigen Individuen einzugreifen, denen die Rechtsordnung sonst Autonomie zugesteht.131

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Vgl. Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 206 ff. 126 Köhler, MDR 1992, S. 740; ders., ZStW 1992, S. 11; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 172 ff.; Böllinger, KJ 1994, S. 394. 127 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 172. 128 Für die Rechtsprechung vgl. Theune, NStZ 1997, S. 60 f.; MK-Streng, § 20 Rn. 105; Schönke/Schröder-Perron, § 20 Rn. 17, § 21 Rn. 9; Körner, BtMG, § 29 Rn. 1436; Weber, BtMG, Vor §§ 29 ff. Rn. 381 f.; Streng, in: FS-Benakis, S. 601 f. 129 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 177. 130 Bensch, Der Begriff des „Handeltreibens“, S. 49 f. lehnt das Argument der Abhängigkeit erwachsener Personen als Legitimationsgrundlage des Betäubungsmittelstrafrechts ab. 131 Paeffgen, BGH-FS, S. 714.

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b) Jugendschutz Es besteht kein Zweifel, dass für den Staat das Wohlergehen und die gesunde Entwicklung seiner Jugend von herausragendem Interesse sein müssen. Im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 GG sollen Kinder und Jugendliche unterhalb einer bereichsspezifisch festgelegten Altersgrenze vor Gefährdungen geschützt werden.132 Sie werden zu Recht als besonders schutzwürdig qualifiziert, da sie nach normativer Anschauung nicht über die volle Kompetenz bezüglich Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen für ihr Leben verfügen. Es ist deshalb grundsätzlich ein legitimes Ziel, die Abgabe von Betäubungsmitteln an Kinder und Jugendliche zu verbieten, um diese nicht der Gefährdung durch den Konsum auszusetzen.133 Die Legitimität jugendschützender Strafnormen kann trotzdem nicht einfach unterstellt, sondern muss genau untersucht werden. Der Jugendschutz kann nicht als schrankenlose Legitimationsgrundlage für eine umfassende Pönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln dienen.134 So wird der Genuss von Alkohol und Tabakwaren oder der Zugang zu pornographischen Schriften nicht allgemein untersagt, sondern lediglich für Jugendliche erschwert (§§ 9, 10 JuSchG, § 184 StGB). Da der Schutz des kompetenten Menschen vor den Gefahren des Drogenkonsums kein legitimer Zweck des Betäubungsmittelstrafrechts ist, wäre das generelle Abgabeverbot zum Schutz jugendlicher Konsumenten nur dann legitim, wenn dieser Schutz nicht schon durch ein spezifisches Verbot der Abgabe an Jugendliche geleistet werden könnte.135 c) Konsequenzen für das abstrakte Gefährdungsdelikt des Verbots des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln: weicher Paternalismus als Erweiterungsprinzip der Kriminalisierung? Erhebliche Bedenken gegen die Legitimität der Straftatbestände des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln als abstrakte Gefährdungsdelikte ergeben sich schon daraus, dass die Ausweitung des Strafrechtsschutzes gleichzeitig mit einem Verlust an Handlungsfreiheit für solche Konsumenten verbunden ist, die nicht abhängig sind und sich selbstbestimmt für den Konsum entscheiden.136 Denn die abstrakten Gefährdungsdelikte des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln differenzieren nicht nach dem Personenkreis, den die vermutete Abgabe betreffen

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Vgl. oben unter Teil 2. C. II. 1. Vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 665/70, S. 2 f. 134 Haffke, ZStW 1995, S. 782; Wohlers, Deliktstypen, S. 199; Paeffgen, BGH-FG, S. 705, sieht eine „kaum nachvollziehbare Mediatisierung“, die die Strafbarkeit des Besitzes und Erwerbs nicht erläutern könne; a.A. Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 Rn. 51; Ebert, Das Handeltreiben, S. 76; Gusy, JZ 1994, S. 863; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 390 f. 135 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 223. 136 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 197. 133

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würde.137 Zielt der weich paternalistische Begründungsstrang darauf ab, zu verhindern, dass Betäubungsmittel an Schwerstabhängige oder Jugendliche weitergegeben werden, muss näher geprüft werden, ob es sich um eine autonomieorientierte Norm handelt, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt und daher als Begründung für das umfassende Abgabeverbot, die die Freiheit zur Selbstgefährdung aller Konsumenten beschneidet, trägt. Soweit der Gesetzgeber auch Formen des Umgangs mit Betäubungsmitteln unter Strafe stellt, die nicht von vornherein umsatzbezogen sind und keineswegs eine direkte Rechtsgutsgefährdung Inkompetenter darstellen, wird der Besitz oder der Erwerb von Betäubungsmitteln als Vorstufe der Weitergabe bewertet. Und selbst wenn der Erwerbende oder Besitzende tatsächlich die Betäubungsmittel an Inkompetente abgibt, muss eine weitere Abstraktionsstufe erreicht werden. Denn es wird unterstellt, dass der verantwortungsunfähige Abnehmer die Droge tatsächlich konsumieren wird. Die mit der Statuierung abstrakter Gefährdungsdelikte verbundene Vorverlagerung des Strafbarkeitsbereiches beruht auf dem Verlust der Beherrschungsmöglichkeit eines Risikopotentials durch den Täter. Aus der Perspektive des Rechtsguts ist es nur dem Zufall zu verdanken, dass das gefährliche Verhalten nicht zu einer Verletzung geführt hat.138 Durch das alkoholisierte Autofahren beispielsweise werden alle Teilnehmer am Straßenverkehr einer für sie unkontrollierbaren Gefahr ausgesetzt (§ 316 StGB), und in gleicher Weise stellt das Anzünden von Wohngebäuden für ihre Bewohner (§ 306 StGB) eine unkontrollierbare Gefahr dar. Abstrakte Gefährdungsdelikte setzen somit eine heteronome Zuständigkeit für die Risiken des schadensträchtigen Verhaltens voraus.139 Die Trunkenheitsfahrt oder die Brandstiftung birgt bereits als solche die unmittelbare Gefahr einer Fremdverletzung. Bei dem Betäubungsmittelkonsum dagegen ist die Gefahrenlage eine andere. Die bloße Abgabe begründet nicht an sich schon eine unmittelbare Rechtsgutsgefährdung, weil sie noch nicht automatisch mit der Einnahme der Droge durch den Abnehmer gleichgesetzt werden kann.140 Die Gefahr, dass man sich im durch die Abhängigkeit verursachten Zustand der Nichtverantwortlichkeit selbst schädigt, wird nicht durch das Angebot der Abgabe begründet, sondern sie entsteht überhaupt erst

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Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 199; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 298. 138 Zu der Problematik der abstrakten Gefährdungsdelikte siehe Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 63 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 156 ff.; Wohlers, Deliktstypen, S. 286 ff. 139 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 200. 140 Hassemer, JuS 1992, S. 113; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 307, bemerkt richtig, dass ein mit der abstrakten Gefahr der Trunkenheitsfahrt begründetes Alkoholbesitzverbot von niemandem ernsthaft gefordert wird, da Alkoholkonsum und Trunkenheitsfahrt in keinem zwangsläufigen Zusammenhang stehen. Nicht jeder Alkoholisierte setzt sich anschließend ans Steuer.

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dann, wenn man sich für den Konsum entscheidet.141 Und selbst wenn man das Angebot annimmt, geht man keine unkontrollierbare Gefahr ein, denn Abhängigkeit entsteht nicht – wie schon ausgeführt wurde – sofort mit dem erstmaligen Konsum. Eine Verletzungsgefahr liegt allenfalls gegenüber solchen Personen vor, die schon abhängig sind. Somit ergibt sich bei der Abgabe von Betäubungsmitteln eine Konstellation, die bei anderen abstrakten Gefährdungsdelikten, die Verhaltensweisen erfassen, welche typischerweise zu einer Fremdverletzung führen können, gerade nicht auftritt.142 Aus der Perspektive des geschützten Rechtsguts ist die Abgabe nicht typischerweise, sondern nur partiell gefährlich. Erforderlich wäre ein solches abstraktes Gefährdungsdelikt nur dann, wenn der im Hinblick auf inkompetente Konsumenten partiellen Gefährlichkeit der Abgabe nicht anders als durch ein generelles Verbot begegnet werden könnte, das im Einzelfall auch autonome Selbstverfügungen verhindert.143 Wenn dagegen die Verantwortung für die Gefährdung Inkompetenter konkret verortet werden kann, lässt sie sich nicht über den Umweg des abstrakten Gefährdungsdelikts auf alle Beteiligten des Betäubungsmittelmarktes verteilen. Die Beschränkung des Verbots auf die partielle Gefährlichkeit, die gegenüber einer bestimmten Personengruppe besteht, findet man bei Tatbeständen, die aus Gründen des Jugendschutzes ein bestimmtes Verhalten gegenüber Jugendlichen untersagen.144 Die unkomplizierteste Möglichkeit bestünde hier in dem Verbot der Abgabe von Betäubungsmitteln an Jugendliche. Das BtMG enthält bereits ein solches Verbot in § 29a Abs. 1 Nr. 1 und § 30 Abs. 1 Nr. 2 sieht eine Strafschärfung vor, wenn sich der Täter eine fortlaufende Einnahmequelle durch wiederholte Vornahme von Betäubungsmitteldelikten mit Beteiligung Jugendlicher verschaffen will. Darüber hinaus stellt § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG das Bestimmen Minderjähriger durch Erwachsene zum Umgang mit Betäubungsmitteln unter Strafe. Ob solche spezifischen Verbote einen genauso effektiven Schutz für Minderjährige gewährleisten würden wie das generelle Abgabeverbot, ist empirisch schwer zu beantworten.145 Eine verlässliche Prognose, welchen Umfang der Konsum be141 Böllinger, KJ 1994, S. 413; Köhler, MDR 1992, S. 740; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 200; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 201; ders., in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a.M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, S. 75; Paeffgen, BGH-FS, S. 711. Dagegen vertritt Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 60 f., die Meinung, dass der potentielle Konsument unabhängig von seiner aktuellen Zustimmung darauf vertrauen können müsse, dass ihm die Möglichkeit der Selbstgefährdung nicht eröffnet werde. Mit Recht hat Neumann, GA 1996, S. 36 ff., 38 f. (Besprechung von Zaczyk) entgegengehalten, dass eine zur Selbstverantwortung fähige Person den Vorwurf nicht erheben kann, andere hätten ihr die Betäubungsmittel nicht abgeben dürfen, ohne selbstwidersprüchlich zu sein. In diesem Sinne auch Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 118. 142 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 202. 143 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 202. 144 Vgl. § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB für pornografische Schriften; § 3 JÖSchG untersagt den Aufenthalt von Jugendlichen unter bestimmten Umständen in Gaststätten. 145 Ablehnend Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 391.

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stimmter Betäubungsmittel annehmen würde, wenn Erwachsene legalen Zugang zu diesen Stoffen hätten und in welchem Umfang diese Produkte in die Hände von Jugendlichen gelangen würden, ist nicht möglich.146 Es lässt sich trotzdem einfach feststellen, dass es auf dem illegalen Markt keinerlei institutionalisierten Schutz für Jugendliche gibt, da das Angebot sich in identischer Weise sowohl an Erwachsene als auch an Minderjährige richtet. Eine staatlich kontrollierte Abgabe von Betäubungsmitteln147 ließe dagegen nicht nur eine Differenzierung zwischen diesen Personengruppen zu, darüber hinaus würde auch die Sozialnorm, dass man Betäubungsmittel nicht an Jugendliche weitergeben soll, auf symbolischer Ebene eine stärkere gesellschaftliche Wirkung entfalten als bei einem undifferenzierten Abgabeverbot.148 Schließlich wäre eine Konzentration der strafrechtlichen Verfolgung auf die Abgabe an Jugendliche möglich. Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot liegt gleichwohl fern, da es nicht vorherzusagen ist, ob ein gleich geeigneter Schutz Minderjähriger möglich wäre, wenn etwa für die Handlungsalternativen des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln mildere staatliche Regulationsmaßnahmen ergriffen würden. Im Hinblick auf den Schutz von abhängigen Konsumenten wäre ein generelles Abgabeverbot erforderlich, wenn die Abgabe von Betäubungsmitteln an diesen Personenkreis nicht durch bestimmte Kontrollmechanismen ausgeschlossen werden könnte. Eine derartige Kontrolle wäre im Rahmen einer staatlich kontrollierten Abgabe theoretisch möglich, sie würde jedoch inakzeptable Folgen mit sich bringen. Erstens bliebe ein illegaler Markt wegen der Nachfrage durch Abhängige weiterhin bestehen. Zweitens wäre eine solche Regulierung auch gesundheitspolitisch verfehlt, weil sie gerade diejenigen Konsumenten, die am meisten konsumieren, von den Vorteilen der Substanzkontrolle, der Aufklärung über Gesundheitsrisiken und den weniger riskanten Applikationsformen ausschließen würde.149 Demnach kann ein umfassendes Abgabeverbot mit der Form des abstrakten Gefährdungsdelikts im Hinblick auf pathologisch abhängige Konsumenten als erforderlich angesehen werden, da kein milderes Mittel einen gleich effektiven Schutz zu bewirken vermag. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne führt aber der Einsatz des Strafrechts insofern zu einem Wertungswiderspruch, als dass dem Jugendlichen und dem Abhängigen die Verantwortlichkeit für den Drogenkonsum abgesprochen und hiermit ihre Schutzbedürftigkeit begründet wird, während sie gleichzeitig für den Erwerb und Besitz strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.150 Solange der 146

Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 226. Für diesen Mittelweg vgl. Hartwig/Pies, in: Neumeyer/Schaich-Walch (Hrsg.), Zwischen Legalisierung und Normalisierung, S. 119; Adams, Kriminalistik 1992, S. 758; Pommerehne/Hart, Kriminalistik 1991, S. 522. 148 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 228. 149 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 204. 150 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 195 f. Der Abhängige ist, wie schon ausgeführt wurde, allenfalls vermindert schuldfähig und Jugendliche können nach ihrer geis147

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Inkompetente dem Anreiz, der vom Drogenbesitz eines Dritten ausgeht, widersteht, stellt er sich unter weich paternalistischen Gesichtspunkten als schutzbedürftiges Opfer dar. Sobald er aber der Versuchung erliegt und von dem Dritten die Betäubungsmittel annimmt, macht er sich gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BtMG strafbar und verwandelt sich vom potentiellen Opfer zum Erwerbstäter.151 Dieser Widerspruch lässt sich nicht damit ausräumen, dass im Fall der Abgabe der besitzende Jugendliche oder Abhängige nur deshalb bestraft wird, weil er nunmehr andere noch nicht besitzende Verantwortungsunfähige gefährdet, an die er die Droge seinerseits weiterreichen könnte. Dieser Gedankengang führt lediglich zu einem Teufelskreis. Denn die Gesundheit dieser Verantwortungsunfähigen erschiene nur solange als geschütztes Rechtsgut, als diese ihrerseits nicht der Verlockung der Drogenabgabe nachgeben.152 Der weich paternalistische Begründungsstrang führt also zu dem absurden Ergebnis, dass dieselbe Person zugleich als Opfer und Täter bewertet wird. Der Gesetzgeber hatte bei der Einführung der Strafbarkeit des Besitzes von Betäubungsmitteln die Bildung einer Art Auffangtatbestand im Auge gehabt, der die Beweisschwierigkeiten bei der illegalen Abgabe oder dem Handeltreiben ausräumen sollte.153 Würde der Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch von der Strafbarkeit ausgenommen, könnte diese Privilegierung des besitzenden Gelegenheitskonsumenten von Händlern ausgenutzt werden.154 Letztendlich ermöglicht die Pönalisierung des Besitzes eine prozessuale Vorverlagerung der Strafverfolgung. Der Besitz legitimiert als Straftat prozessuale Eingriffsinstrumente wie Durchsuchung von Personen und Wohnungen, ist also kriminalistischer Vorwand weitgehender Ermittlungen.155 Eine solche Bewältigung von Beweisschwierigkeiten durch die Ausdehnung des materiellen Strafrechts steht im Widerspruch zu dem Schuldprinzip, soweit ein Konsument dafür bestraft wird, dass andere vielleicht als Händler von Betäubungsmitteln den Besitz lediglich vortäuschen.156 Der Umstand, dass sich die Abgabe und der Handel von Betäubungsmitteln praktisch schwer nachweisen lassen, ist ein prozessuales Problem. Allein mit strafprozessualen Erwägungen lässt sich die materielle Strafbarkeit jedoch nicht begründen. Die pauschale Bestrafung jeder Handlung der Weitergabe könnte hier tigen und sittlichen Entwicklung fähig sein, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§ 3 S. 1 JGG). 151 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 308. 152 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 308. 153 Vgl. BT-Drucks. VI/1877, S. 9; BGHSt 25, 385; Körner, Betäubungsmittelstrafrecht, § 29 Rn. 1372; Maurach/Schröder/Maiwald, BT, Tb. 2, § 56 Rn. 6; Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, S. 83; Slotty, ZRP 1981, S. 63; Kreuzer, in: FS-Miyazawa, S. 188; Weber, BtMG, § 29 Rn. 1164. 154 So BVerfGE 90, 145, 211 f. (abweichende Meinung Graßhof). 155 Kreuzer, in: FS-Miyazawa, S. 188. 156 Köhler, ZStW 1992, S. 39; ders., MDR 1992, S. 740; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 143; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 218; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 302; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 265; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 139.

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dem Zweck dienen, den Strafverfolgungsorganen den Nachweis der fehlenden Verantwortlichkeit des Konsumenten zu ersparen.157 Nach Wohlers wäre eine umfassende Pönalisierung allenfalls dann gerechtfertigt, wenn anderenfalls die Rechtsgüter etwaiger nicht eigenverantwortlicher Konsumenten dem beliebigen Zugriff offen stehen würden. Dies sei jedoch nicht der Fall, da der Konsument regelmäßig auch noch nach der Tat als Zeuge zur Verfügung steht.158 Im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG ist in der Strafbarkeit des Drogenbesitzes eine unzulässige Funktionalisierung des einzelnen Konsumenten zu konstatieren. Denn der Besitzer, der regelmäßig selbst das Opfer skrupelloser Händler ist, wird als potentieller Dealer stigmatisiert und als bloßes Mittel zum Zweck einer wirksamen Verbrechensbekämpfung degradiert.159 Dies lässt sich an der fehlenden Abstufung nach dem Gefährlichkeitsgrad hinsichtlich des geschützten Rechtsguts feststellen, obwohl dem Handel und der Abgabe von Betäubungsmitteln offensichtlich ein höheres Gefährdungspotential als dem Erwerb und Besitz innewohnen.160 Rechtsstaatliche Bedenken ergeben sich auch spätestens dann, wenn man die Strafbarkeit des Besitzes als Druckmittel für die Preisgabe von Informationen über die Hintermänner des Drogenhandels begreift.161 Durch den Einsatz von privaten V-Leuten wird bereits im Vorfeld eines konkreten Tatverdachts ermittelt, wobei sogar nüchterne Bürger zum illegalen Betäubungsmittelumgang verführt werden.162 Wird eine Bestrafung auch für solche Konsumenten angenommen, bei denen eine Abgabe an nicht freiverantwortlich handelnden Personen niemals erfolgte oder erfolgen sollte, wird der Besitzer lediglich für seine unterstellte Gesinnung, die Betäubungsmittel gegebenenfalls weiterzureichen, bestraft.163 Wenn der Besitz von Betäubungsmitteln nur deshalb bestraft werden soll, weil darin ein Indiz für den Willen zur Weitergabe gesehen wird, so ist die Weitergabe durch den Erstbesitzer allenfalls die Vorbereitung für den Konsum des Zweitbesitzers. Der Erstbesitz ist dann nur die Vorbereitung einer Vorbereitung, deren Pönalisierung unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes die Grenzen eines Tatstrafrechts weit überschreitet.164 Gedanken können tatsächlich gefährlich sein. Dass sie dem staatlichen Zugriff gleichwohl entzogen sein müssen, kann nicht lediglich auf der praktischen 157

Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 156. Wohlers, Deliktstypen, S. 195. 159 So BVerfGE 90, 145, 220 f. (abweichende Meinung Sommer); Köhler, MDR 1992, S. 740; Kniesel, ZRP 1994, S. 355; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 303. 160 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters, S. 304 Fn. 1418. 161 Kreuzer, in: FS-Miyazawa, S. 188. 162 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 385 ff.; Seelmann, ZStW 1983, S. 803. 163 Böllinger, KJ 1994, S. 415; Schroeder, ZIS 2007, S. 445; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 305. 164 Kniesel, ZRP 1994, S. 352; Haffke, ZStW 1995, S. 782; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 304 f. 158

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Schwierigkeit beruhen, sie einer effektiven Kontrolle zu unterziehen.165 Vielmehr machen die Interna eines Subjekts als die Fähigkeit zu vorausschauender Planung und die Fähigkeit zu denken überhaupt den Kern des Menschseins aus.166 Eine freiheitliche Rechtsordnung gesteht dem Individuum eine unantastbare Autonomiesphäre zu, innerhalb derer selbst der böseste Gedanke uneingeschränkt frei sein sollte. Der Besitz von Betäubungsmitteln ist als solcher neutral und erst die Zwecksetzung des Besitzers kann überhaupt die Gefährlichkeit für Rechtsgüter begründen.167 Der Besitzer wird also deswegen bestraft, weil er hinsichtlich des beabsichtigten, ausschließlichen Eigenkonsums jederzeit anders entscheiden könnte. Wie Böllinger zutreffend bemerkt, handelt es sich um den einzigartigen Fall einer Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich noch nicht bewusster Handlungspotentiale. „Das ist mehr als Gesinnungsstrafrecht, das ist Psycho-Strafrecht!“168 Das mögliche Unrecht besteht hier nicht im an sich neutralen Verhalten des Besitzes oder Erwerbs von Betäubungsmitteln, sondern gerade in deren Abgabe oder Verkauf an Jugendliche und inkompetente Erwachsene. Diese erhalten die Rauschmittel nicht von selbst, sondern von jemand anderem, der dafür dann auch die strafrechtliche Verantwortung trägt. Da dem möglichen selbstschädigenden Konsum durch Jugendliche oder Schwerstabhängige ein konkret fremdverletzendes Unrecht vorausgeht, wäre das generelle Abgabeverbot eine unzulässige Vorverlagerung der Strafbarkeit.169 Nicht jeder erwerbende oder besitzende Konsument kann dafür abstrakt verantwortlich gemacht werden, dass dieses Verhalten anderen Personen die Begehung einer Straftat ermöglicht. Zeichnet sich das Gefährdungspotential der konsumorientierten Verhaltensweisen des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln durch einen derartig hohen Abstraktionsgrad zweiter und dritter Stufe aus, ist die Wahrscheinlichkeit und die Nähe des Schadenseintritts für die Gesundheit Inkompetenter als gering bzw. entfernt zu qualifizieren, so dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zusätzliche Bedenken hinsichtlich der Schuldangemessenheit der Kriminalisierung dieser Handlungsalternativen entstehen. Als Zwischenergebnis ist also festzuhalten, dass der Schutz Jugendlicher und nicht voll verantwortlich handelnder Personen vor

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So aber Jakobs, ZStW 1985, S. 753 f. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 230. 167 Nestler, in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a.M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, S. 67 f.; Eckstein, Besitz als Straftat, S. 104 f. 168 Böllinger, KJ 1994, S. 415. 169 Zutreffend bemerkt Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 203, dass nicht jeder, der eine Schusswaffe kauft, für das von denjenigen begangene Unrecht verantwortlich ist, die Waffen bewusst an Unzurechnungsfähige verkaufen.; so auch Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 224. 166

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den Gesundheitsrisiken des Konsums von Betäubungsmitteln die Strafbarkeit des Erwerbs und Besitzes in dieser Weite und Härte nicht zu tragen vermag.170 2. Schutz der Rechte und Interessen Dritter und der Gesellschaft a) Schutz der Volksgesundheit als kollektives Rechtsgut Das Abstellen auf den Schutz von Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ist daher der einzige Ausweg, um den hinsichtlich des Individualrechtsgüterschutzes auftretenden rechtsdogmtischen Friktionen auszuweichen. Die Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes sollen in ihren vielfältigen Handlungsalternativen das Rechtsgut der Volksgesundheit schützen.171 Gegen dieses kollektive Rechtsgut ist schon auf begrifflicher Ebene einzuwenden, dass von einem über die Summe der Körper der Einzelindividuen hinausgehenden, gesonderten „Volkskörper“ allenfalls in einem metaphorischen Sinne gesprochen werden kann.172 Es ist nämlich fraglich, ob das Volk eine organische Lebenseinheit mit eigenständigem Körper darstellt, der „gesund“ oder „krank“ sein kann. Ein solches organizistisches Konzept ist jedenfalls abzulehnen, nicht nur weil es die Hypostasierung eines scheinbaren Kollektivrechtsguts und dementsprechend eine Umgehung des Prinzips der Straflosigkeit der Selbstgefährdung bedeutet173, sondern vor allem weil die Berufung auf die Bedürfnisse des Gesellschaftsorganismus, um Positionen der Individuen einzuengen, politisch verdächtig ist und totalitäre Konnotationen mit sich bringt.174

170 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 204; Paeffgen, BGH-FG, S. 714; Sternberg-Lieben, in: FS-Puppe, S. 1286. 171 Vgl. dazu BT-Drs. 8/3551, S. 37; BGHSt 37, 179, 182 mit zust. Anm. Beulke/Schröder, NStZ 1991, 394 und Rudolphi, JZ 1991, S. 573 f.; bereits RGSt 63, 161, 162; BVerfGE 90, 145, 174 spricht von der „Gesundheit … der Bevölkerung im Ganzen“; Körner, BtMG, § 29 Rn. 236, 910, 1278; Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, S. 9; MK-Rahlf, Nebenstrafrecht I, Bd. 5, Vor §§ 29 ff. Rn. 5 ff. 172 Albrecht, Betäubungsmittelstrafrecht, Einleitung, Rn. 32; Frisch, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 216 f.; ders., in: FS-Stree/ Wessels, S. 94; Greco, Lebendiges und Totes, S. 336; Köhler, NJW 1993, S. 763; ders., MDR 1992, S. 739; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 205 f.; Roxin, AT I4, § 2 Rn. 46; ders., in: FS-Hassemer, S. 580; Sternberg-Lieben, in: FS-Puppe, S. 1292 f.; Wohlers, Deliktstypen, S. 191; Wohlers/Went, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 301 f. 173 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 43 f., 268; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 89; Ellinger, Betäubungsmittel, S. 53; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 82; ders., GA 1997, S. 122; Nestler-Tremel, StV 1992, S. 278; Schünemann, in: Kühne/Miyazawa (Hrsg.), Alte Strafrechtsstrukturen, S. 27. 174 Albrecht, Betäubungsmittelstrafrecht, Einleitung, Rn. 32: „anfällig auf ideologische Einflüsse“; Böllinger, KJ 1994, S. 409, bemerkt, dass der faschistoide Begriff der „Volksgesundheit“ in dem Cannabis-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nur mühsam vermieden wird; Greco, GA 2010, S. 624; Köhler, ZStW 1992, S. 28; ders., NJW 1993, S. 764; ders., MDR 1992, S. 739; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht, BT, Tb. 2, § 56 Rn. 3: „der Begriff ist

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Um das Prinzip der Straflosigkeit der Selbstgefährdung nicht aufgeben zu müssen, bemüht sich Schmitt hinsichtlich der Rechtfertigung des Betäubungsmittelstrafrechts um eine Parallele zum Gesetz der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, das ebenfalls die Volksgesundheit schütze. Dort könne die Einwilligung des Partners beim Geschlechtsverkehr die Strafbarkeit nicht ausschließen, weil das Gesetz nicht die besonders ansteckungsgefährdeten Menschen schützen, sondern vielmehr die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten überhaupt verhindern wolle.175 Diese Analogie verfehlt jedoch den Kern der Problematik. § 6 GeschKrG will der abstrakten Gefahr vorbeugen, dass viele gegen ihren Willen Infektionsgefahren ausgesetzt werden, weil ihre Partner sie nicht über die Ansteckungsgefahr aufgeklärt haben. Es erscheint deshalb insofern verfehlt, die Drogenabhängigkeit mit einer übertragbaren Krankheit zu vergleichen, als die mit dem Konsum verbundenen Gesundheitsrisiken den Drogenkonsumenten typischerweise bekannt sind und in Kauf genommen werden, um die erwünschten Rauschwirkungen zu erreichen.176 Solange an dem Prinzip der Straflosigkeit der Selbstgefährdung festgehalten wird, kann der Schutz der Volksgesundheit zu keinem anderen Ergebnis führen, wenn darunter allein das Allgemeininteresse am Schutz der vielen Einzelnen verstanden wird. Aus diesem Grund hat sich das hier erörterte Rechtsgut inhaltlich von der menschlichen Gesundheit partiell losgelöst und höchst unterschiedliche Gemeinschaftsbelange in sich aufgenommen.177 So soll die Gesellschaft von den enormen finanziellen Belastungen geschützt werden, welche durch die sich ausbreitende Drogenabhängigkeit entstehen. Verfolgt wird unter anderem das Interesse, einer Desintegration der Gesellschaft durch abweichende Lebensstile entgegenzuwirken. Hervorgehoben wird außerdem die Begehung von Straftaten unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln (Straßenverkehrsdelikte) sowie die Beschaffungskriminalität der Drogenabhängigen, und nicht zuletzt das Interesse, mit dem Drogenhandel die Haupteinnahmequelle der „organisierten Kriminalität“ zu bekämpfen und die einschlägigen internationalen Verpflichtungen zu erfüllen. Angesprochen werden damit die wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Grundlagen der Gesellschaft, letztlich auch deren Funktionsfähigkeit.178 Für diese Ansicht spricht auf den ersten Blick, dass sich die Sekundärfolgen eines massenhaft selbstschädigenden Verhaltens in gewichtiger Weise von den Primärdurch den nationalsozialistischen Missbrauch im Sinne eines Rassenschutzes belastet.“; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 24. 175 Schmitt, in: FS-Maurach, S. 125; ähnlich auch Haas, Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 86 f.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 572 f. 176 Bensch, Der Begriff des „Handeltreibens“, S. 42; Böllinger, KJ 1991, S. 405; Ellinger, Betäubungsmittel, S. 53; Hassemer, JuS 1992, S. 113; Hoyer, StV 1993, S. 129; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 200; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 36; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 294 f. 177 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 571 Fn. 294. 178 BT-Dr. VI/1877, S. 5; Beulke/Schröder, NStZ 1991, S. 393.

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folgen bei dem einzelnen Individuum unterscheiden können, so dass allein aufgrund der Quantität eine neue Qualität der Schädigungen entstehen könnte, die die Qualifizierung der Volksgesundheit als ein wichtiges Gemeinschaftsgut zu rechtfertigen vermag.179 Nach dieser Auffassung legitimieren – ganz unabhängig von den sonst geltenden strafrechtlichen Zurechnungsprinzipien – der gesellschaftliche Gesamtschaden und die massenhaft auftretenden Beeinträchtigungen der Gesundheit ihrer Mitglieder das Betäubungsmittelstrafrecht.180 Was im konkreten Einzelfall kein Strafunrecht nach den allgemeinen Zurechnungsprinzipien ist, soll in Kumulation mit den Verhaltensweisen anderer Unrecht sein. Der Kumulationstatbestand soll deshalb auch für sich genommen ungefährliche Einzelhandlungen erfassen, „weil ohne ein sanktionsbewehrtes Verbot derartiger Handlungen damit zu rechnen wäre, dass sie in großer Zahl vorgenommen würden“ und schließlich eine Verletzung des Rechtsguts zur Folge hätten.181 Die Abgabe von Betäubungsmitteln wäre danach als ein Kumulationsdelikt zu erfassen, bei dem zwar die einzelne Abgabe nicht das kollektive Rechtsgut der Volksgesundheit beeinträchtigen kann, aber bei vielfacher Abgabe insgesamt Beeinträchtigungen der Allgemeinheit zu erwarten sind. Dagegen ist jedoch ins Feld zu führen, dass beim Kumulationsdelikt ein Verantwortungszusammenhang zwischen jeder einzelnen Handlung und dem entstehenden Schaden hergestellt werden kann.182 Diese individuelle Verantwortung lässt sich für die Tatbestände des Betäubungsmittelstrafrechts gerade nicht begründen. Denn wegen des Prinzips der Selbstverantwortung können die Schäden nicht denjenigen zugerechnet werden, die den Konsumenten die Betäubungsmittel zur Verfügung stellen.183 Es handelt sich – wie noch näher zu erörtern ist – um die bloße Eröffnung der Möglichkeit einer Selbstgefährdung, die erst durch die selbstbestimmte Entscheidung des Opfers in die Tat umgesetzt wird.184 Die Abgabe an nicht verantwortliche Personen, insbesondere Jugendliche, ist natürlich nicht auszuschließen. Aber für die daraus entstehenden Schäden sind diejenigen verantwortlich zu machen, die an diese

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Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 89; kritisch Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 321 Fn. 1499. 180 So auch BVerfGE 90, 145, 204: „Die Gefahr verwirklicht sich für solche Rechtsgüter häufig gerade durch Massenverstöße; in ihrer Kumulierung bedrohen sie das jeweilige Rechtsgut, während die Gefährdungsintensität der einzelnen Handlung für sich genommen oft sogar gering ist.“ Zust. Weber, BtMG, Vor § 29 Rn. 8. 181 Grundlegend zu diesem Deliktstypus Kuhlen, GA 1986, S. 399 ff.; ders., ZStW 1993, S. 716 f.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 183 ff.; von Hirsch/Wohlers, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 207 ff.; von Hirsch, Fairness, Verbrechen und Strafe, S. 99 ff.; Wohlers, Deliktstypen, S. 318 ff. 182 Kuhlen, ZStW 1993, S. 716 f. 183 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 265; a.A. Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 315 f., die die Konsumentendelikte des Betäubungsmittelstrafrechts als Kumulations- und die Abgabedelikte als Vorbereitungs-Kumulationsdelikte erfassen will. 184 Vgl. unten Teil 4. A. I. 2. a). bb).

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Personen abgeben, und nicht auch alle anderen, die Betäubungsmitteln zur Verfügung stellen.185 Das Rechtsgut des Betäubungsmittelstrafrechts wird schließlich als Sammelbegriff für vielfältige Interessen interpretiert, wobei es sich bei den oben genannten Interessen um soziale Wertkonstrukte handelt, welche nicht mehr im Sinne eines rationalen Rechtsgüterschutzes konkretisierbar sind.186 Wenn das gesellschaftliche Gemeinwohl zum Rechtsgut erhoben wird, kann prinzipiell jedes Verhalten, das irgendwie sozialschädlich ist, zum Gegenstand strafrechtlicher Verbote werden. Damit verliert das Rechtsgut jegliche „limitierende und legitimierende Potenz für das Strafrecht“.187 Denn in einem Rechtsstaat lässt sich für jedes Rechtsgut behaupten, dass sein Schutz der „Funktionsfähigkeit der Gesellschaft“ dient.188 Angesichts der Konturlosigkeit des vorgebrachten Rechtsguts der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft, das als Worthülse für alle möglichen gesellschaftlichen Interessen angesehen wird, wird eine Begrenzung und Konkretisierung des Betäubungsmittelstrafrechts unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes systematisch ausgehebelt.189 Der Verweis auf die Bedrohung der Existenz funktionsfähiger gesellschaftlicher Systeme durch den Betäubungsmittelkonsum ist schließlich als Forderung nach einer „drogenfreien Gesellschaft“ zu deuten, deren Abstinenzparadigma angesichts der empirischen Erkenntnisse als ebenso illusionär anzusehen ist wie die Forderung nach einer kriminalitätsfreien Gesellschaft.190 Unter dem Gesichtspunkt eines paternalistischen Moralismus erscheint die Pönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln legitim, um den Archetyp des selbstkontrollierten Bürgers vor dem abweichenden Lebensstil des Rauschkonsumenten zu schützen.191 Die Bekämpfung eines solchen tugendethischen Verfalls wäre erforderlich, damit der Betreffende keinen „Sirenen“ erliegt, die seine Wohlfahrtsbasis beeinträchtigen könnten.192 Es besteht jedoch für den Gesetzgeber die Gefahr, die Basis eines rechtsstaatlich fundierten 185 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 265 Fn. 620. 186 Böllinger, KJ 1994, S. 409 f.; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 88 f., 93. 187 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 232; auch Hassemer, JuS 1992, S. 113; Hohmann/Matt, JuS 1993, S. 373; Kreuzer, in: FS-Miyazawa, S. 186 ff. 188 Nestler/Tremel, StV 1992, S. 276; Schmitt, in: FS-Maurach, S. 124; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 312. 189 Schneider, StV 1994, S. 390. 190 Hassemer, JuS 1992, S. 113; Kniesel, ZRP 1994, S. 355; Bensch, Der Begriff des „Handeltreibens“, S. 52. Nach Roxin, AT I4, § 2 Rn. 14 f., bedeutet die Konstruktion eines solchen Rechtsguts nichts weiter als die Beschreibung des Gesetzeszwecks und wird einem strafrechtsbegrenzenden „systemkritischen“ Rechtsgutsbegriff nicht gerecht. 191 Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 224 Fn. 370; Wohlers, Deliktstypen, S. 200; Wohlers/Went, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 303; Wolf, in: Grözinger (Hrsg.), Recht auf Sucht?, S. 51 f. 192 Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 230.

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Strafrechts zu verlassen, um unter dem puritanischen Einfluss einer Teleologie, die die Arbeitskraft und die Produktivität des Individuums als Maßstab seiner Nützlichkeit für die Gesellschaft überbetont, das Abstinenzparadigma eines Teils der Bevölkerung normativ festzuschreiben.193 Abstinenzforderungen bestimmter Bevölkerungsgruppen können aber in einer liberalen Gesellschaft nicht zu einer allgemeinverbindlichen und strafrechtlich schutzwürdigen Konzeption des „richtigen“ Lebens erhoben werden.194 Die Erzwingung perfektionistischer Lebensideale mit den Mitteln des Strafrechts lässt sich nicht mit dem Neutralitätsgebot eines freiheitlichen, pluralistischen Staates vereinbaren.195 Das Ideal eines abstinenten Lebens differenziert letztlich in sachlich ungerechtfertigter Weise zwischen den Konsumenten illegaler Drogen und solchen legaler Suchtstoffe, wie z. B. Alkohol und Nikotin, die sich allenfalls in gleichem, eher weitaus stärkerem Maße selbst schädigen.196 Diesbezüglich sind schließlich eine unerträgliche Doppelmoral des Gesetzgebers und ein hohes Maß an Willkür festzustellen.197 b) Schutz konkreter Interessen Dritter Die Volksgesundheit entpuppt sich daher als soziale Konstruktion, die stark normativ eingefärbt und ideologisch verzerrt ist. Es ist nunmehr auf die konkreten Rechte und Interessen Dritter einzugehen, die die Einschränkung der Freiheit zur Selbstgefährdung durch die Pönalisierung des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln als Fremdverletzungsunrecht rechtfertigen könnten. Betäubungsmittelkonsum kann in vielerlei Weise Dritte tangieren. Er kann ohne Zweifel die Beziehung der Menschen untereinander belasten und die Fähigkeit vermindern, beruflichen und anderen sozialen Anforderungen nachzukommen. Die Annahme, dass

193 Böllinger, KJ 1991, S. 406; ders., in: Neumeyer/Schaich-Walch (Hrsg.), Zwischen Legalisierung und Normalisierung, S. 156; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 90; Köhler, ZStW 1992, S. 7; Lüderssen, StV 1994, S. 512. 194 von Hirsch/Wohlers, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 196; von Hirsch/Wohlers, in: von Hirsch, Fairness, Verbrechen und Strafe, S. 85; Köhler, ZStW 1992, S. 28. 195 Böllinger, KJ 1991, S. 406 ff.; Haffke, ZStW 1995, S. 791 ff.; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 216; Wolf, in: Grözinger (Hrsg.), Recht auf Sucht?, S. 52 f.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 317. 196 Albrecht, Betäubungsmittelstrafrecht, Einleitung Rn. 42; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 274; Böllinger, KJ 1991, S. 406; ders., in: Neumeyer/Schaich-Walch (Hrsg.), Zwischen Legalisierung und Normalisierung, S. 157; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 196. Vgl. auch BVerfGE 90, 145, 197, wo die Verwendung des Alkohols im „religiösen Kult“ hervorgehoben wird. Kritisch zu Recht Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 148; ders., in: von Hirsch/ Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 236. 197 Vgl. auch Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 168 ff.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 319 Fn. 1486.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Betäubungsmittelkonsum den Zusammenhalt von Familien gefährden198 und zu sozialen Folgekosten führen kann, vermag jedoch die umfassende Strafbarkeit des Umgangs mit Betäubungsmitteln nicht zu legitimieren.199 Mosbacher weist zutreffend darauf hin, dass man konsequenterweise zu einer teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs der Strafnormen auf solche Personen kommen müsste, bei denen tatsächlich eine Beeinträchtigung familiärer Belange droht, und etwa Alleinlebende von der Strafbarkeit ausschließen. Der Schutz der Familie könne jedenfalls nicht die Bestrafung des konsumierenden Besitzers rechtfertigen, da dessen Bestrafung seine Familie erst recht belastet.200 Die Funktionalisierung der sozialen Folgekosten als Topos für die Schaffung von Verbotsnormen wurde schon im verfassungsrechtlichen Teil der vorliegenden Arbeit zurückgewiesen, so dass hier auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.201 Man darf auch nicht übersehen, dass die Gesellschaft die finanziellen Belastungen und die sozialen Folgen für die zahllosen Fälle von auf Alkoholismus oder Nikotinsucht beruhender Invalidität hinnimmt.202 Derartige Fernwirkungen des Konsums können demnach nicht als strafrechtsrelevante Beeinträchtigungen Dritter angesehen werden.203 Es bleibt noch die Frage zu klären, ob das strafrechtliche Verbot des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln damit begründet werden kann, dass Konsumenten möglicherweise unter Drogeneinfluss Straftaten begehen. Es wird nämlich vielfach argumentiert, dass der Konsum von Drogen deswegen untersagt werden soll, weil er zu weiteren kriminogenen Folgen führt, wie schwere Formen des Diebstahls, der Körperverletzung, des Vandalismus usw. Es ist zunächst richtig, dass der hohe Finanzierungsaufwand für den Eigenkonsum es vielen Konsumenten dauerhaft praktisch unmöglich macht, legalen Erwerbstätigkeiten nachzugehen und sie zu einer Suche nach illegalen Einkünften zwingt. Der Hinweis auf die Beschaffungskriminalität hilft als zirkuläres Argument jedoch nicht weiter, da die hohen Kosten des Betäubungsmittelerwerbs nicht zuletzt auf die Pönalisierung des Drogenkonsums selbst zurückzuführen sind, die dazu führt, dass Drogenkonsumenten in eine 198

Vgl. BGHSt 38, 339, 344. Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 236; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 314 f. Man muss sich schließlich vor Augen halten, dass viele Konsumenten weicher und harter Drogen ein sozial unauffälliges Leben führen. Vgl. hierzu Böllinger, KJ 1991, S. 394 f.; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 171 ff., 212; Wohlers, Deliktstypen, S. 199. 200 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 210 f. Ähnlich Ellinger, Betäubungsmittel und Strafbarkeit, S. 55; Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 81 ff.; auch Köhler, ZStW 1992, S. 4 f. 201 Vgl. oben Teil 2. C. III. 3. 202 Böllinger, in: Neumeyer/Schaich-Walch (Hrsg.), Zwischen Legalisierung und Normalisierung, S. 156; ders., KJ 1991, S. 406; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 90; Wohlers, Deliktstypen, S. 199; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 319. 203 Wohlers, Deliktstypen, S. 273. 199

B. Besonderer Teil

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Subkultur abgedrängt und den negativen Begleiterscheinungen eines sich entwickelnden schwarzen Marktes ausgesetzt werden.204 Eine Vorverlagerung des Schutzes von Rechtsgütern Dritter ist auch insoweit überflüssig, als die Eigentumsund Vermögensinteressen der potentiellen Opfer von Beschaffungsdelikten durch die bereits existierenden Tatbestände des Kernstrafrechts wirksam geschützt werden.205 Der Begründung des Betäubungsmittelstrafrechts mit der Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten durch die Drogenkonsumenten steht vor allem das Prinzip der Selbstverantwortung entgegen. Ist jeder primär selbst für die Straftaten verantwortlich, die er begeht, so wird gleichzeitig der Verantwortlichkeit anderer für diese Straftaten eine Grenze gezogen.206 Der Besitz oder Erwerb von Betäubungsmitteln bewirkt per se keine Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern anderer. Vielmehr soll das Verhalten des ursprünglich Handelnden in diesen Fällen deshalb verboten werden, weil sich andere Akteure (die der ursprünglich Handelnde nicht kontrolliert) zu einem späteren Zeitpunkt sich für die Begehung einer Straftat entscheiden.207 Bestraft man den erwerbenden oder besitzenden Konsumenten wegen vermuteter Straftaten anderer, so handelt es sich einerseits um eine unzulässige Verdachtsstrafe und angesichts der nie auszuschließenden Möglichkeit, dass eine andere Person an eine Ersthandlung zu deliktischen Zwecken anknüpft, schränkt man andererseits die Freiheitssphäre des Ersthandelnden in unzumutbarer Weise ein.208 Eine Verantwortlichkeit des ursprünglichen Akteurs ist nur in solchen Situationen anzunehmen, in denen er etwas unternimmt, das unter normativen Gesichtspunkten seine Beteiligung in die nachfolgenden Entscheidungen bedeutet, wenn also sein Verhalten tatsächlich die Begehung einer Straftat bedingt.209 Ebenso wenig hilft der Verweis auf die Sicherheit des Straßenverkehrs, die vor betäubungsmittelbedingt fahruntüchtigen Verkehrsteilnehmern geschützt werden soll.210 Da § 316 StGB einen ausreichenden, bereits in den Bereich abstrakter Gefährlichkeit vorverlagerten Schutz der Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer bietet, wäre ein generelles Verbot des Umgangs mit Betäubungsmitteln eine 204 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 273; Haffke, ZStW 1995, S. 781; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 213; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 248; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 320. 205 Ellinger, Betäubungsmittel und Strafbarkeit, S. 57; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 213; Wohlers, Deliktstypen, S. 197; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 320. 206 von Hirsch/Wohlers, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 200; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 242; Wohlers, Deliktstypen, S. 329 ff. 207 von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 246. 208 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 213. 209 Vgl. ausführlich dazu Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 244 ff.; von Hirsch/ Wohlers, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 202 ff.; Wohlers, Deliktstypen, S. 330 ff. 210 So aber BVerfGE 90, 145, 207 (abweichende Meinung Graßhof).

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

durchaus extreme Vorverlagerung der Strafbarkeit.211 Drogenkonsum und Fahren eines Kraftfahrzeuges stehen in keinem zwangsläufigen Zusammenhang. Auch der Umstand, dass sowohl der Nachweis des Konsums von Betäubungsmitteln schwer fällt als auch der Grad der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nicht sicher festgestellt werden kann, vermag die Bestrafung jedes erwerbenden oder besitzenden Konsumenten nicht zu rechtfertigen. Derartige Beweisschwierigkeiten sind einerseits nach neu entwickelten Methoden der Diagnose einer betäubungsmittelbedingten Fahruntüchtigkeit praktisch zu beheben und andererseits könnte auf die aktuell fehlende Möglichkeit der Sanktion einer Teilnahme am Straßenverkehr bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte wie beim Alkohol durch eine Änderung des § 24a StVG reagiert werden.212 Auch der vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene Zweck, vor den Gefahren der organisierten Kriminalität zu schützen213, begegnet jedenfalls bezüglich der konsumorientierten Tatbestände des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln Bedenken.214 Die Diskussion um die Unklarheit des Begriffs der organisierten Kriminalität mag hier dahinstehen.215 Es ist zunächst zu konstatieren, dass die von der organisierten Kriminalität ausgehenden Gefahren für die Gemeinschaftsgüter der inneren Sicherheit bzw. des inneren Friedens primär durch das professionelle Handeltreiben entstehen.216 Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass der Konsument auf den Kontakt zu der kriminellen Quelle des Händlers angewiesen ist, um seinen Bedürfnissen nachkommen zu können. Deswegen wird mehrfach argumentiert, dass auch der einzelne Konsument allein aufgrund seiner Nachfrage den Betäubungsmittelmarkt erhält und damit die hohen Gewinnspannen der organisierten Kriminalität erst ermöglicht.217 Die Einordnung des Konsumenten als Förderer der organisierten Kriminalität verkennt aber, dass der Konsument selbst das Opfer skrupelloser Händler ist.218 Abgesehen davon kann man nicht ernsthaft be211 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 256; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 214; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 320. 212 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 260. 213 BVerfGE 90, 145, 186. 214 Dieser Schutzzweck erscheint lediglich für das Handeltreiben im Hinblick auf die notwendigerweise bestehende Verbindung zum illegalen Drogenmarkt nachvollziehbar. Vgl. Bensch, Der Begriff des „Handeltreibens“, S. 54; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 90 f.; Kniesel, ZRP 1994, S. 355. 215 Vgl. Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 393 ff. 216 Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 90 f.; Kniesel, ZRP 1994, S. 355. 217 Vgl. BVerfGE 90, 145, 209 (abweichende Meinung Graßhof). Nach Allmers, ZRP 1991, S. 42, fördert der Konsument durch den entgeltlichen Erwerb von Betäubungsmitteln Mächte, die nicht nur durch den Drogenhandel selbst, sondern auch mittels der dabei erzielten Gewinne Gesellschaft und Staat zu korrumpieren drohen. 218 Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 91; Kniesel, ZRP 1994, S. 355; Kreuzer, in: FS-Miyazawa, S. 180 f.

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haupten, dass die in der Alltagspraxis dominierende Verurteilung kleiner Drogenhändler, die zumeist selber abhängig sind, einen wirksamen Beitrag gegen das organisierte Verbrechen leistet.219 Die ganz Großen der Branche werden selten gefasst, da ihre Tätigkeit infolge ihrer politischen Affinitäten weltweit verschleiert wird.220 Entscheidend ist vor allem, dass erst die Kriminalisierung des Betäubungsmittelumgangs die immensen Gewinnspannen des illegalen Marktes bewirkt.221 Strafbewehrte Prohibition führt bei entsprechender Nachfrage fast automatisch zur Bildung illegaler organisierter Strukturen. Es erscheint demnach zirkulär, Kriminalität, deren organisierte Begehung bekämpft werden soll, durch die Pönalisierung bestimmter Verhaltensweisen erst zu schaffen, damit man sie bekämpfen kann.222 Die Folgen des Verbots des Umgangs mit Betäubungsmitteln zum geschützten Rechtsgut zu erheben, entbehrt jeder dogmatischen Legitimationsbasis. Auch wenn man davon ausgeht, dass die organisierte Kriminalität auch auf anderen Gebieten tätig ist, bleibt noch zu bedenken, dass der Umgang mit Betäubungsmitteln deshalb pönalisiert wird, weil man bestimmte Personen, die man als besonders gefährliche Kriminelle eingestuft hat, im Hinblick auf ihre sonstigen Aktivitäten nicht zu fassen vermag.223 Das Verbot des Umgangs mit Betäubungsmitteln kann erst recht nicht mit der formellen Umsetzung der sich aus internationalen Verträgen ergebenden Verpflichtungen betreffend die Kontrolle von Suchtstoffen gerechtfertigt werden.224 Abgesehen davon, dass es bereits fraglich ist, inwieweit diesen internationalen Verträgen überhaupt eine Verpflichtung zum Erlass strafbewehrter Verbote zu entnehmen ist225, würde der einzelne Konsument zum bloßen Mittel zum Zweck der Austrocknung des Betäubungsmittelmarktes degradiert, ohne seinen subjektiven Wert- und Achtungsanspruch gem. Art. 1 Abs. 1 GG angemessen zu berücksichti-

219

Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 4 Rn. 241 und passim. Paeffgen, BGH-FG, S. 713. 221 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 212; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 322 f. 222 Vgl. dazu Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 273; Böllinger, KJ 1994, S. 414; ders., in: Neumeyer/Schaich-Walch (Hrsg.), Zwischen Legalisierung und Normalisierung, S. 160; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 91; Gusy, JZ 1994, S. 863 f.; Hassemer, KritV 1993, S. 207; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 191; Nestler, in: Institut für Kriminalwissenschaften (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, S. 76; Wohlers, Deliktstypen, S. 198; a.A. Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 399, der aber bloß rechtspositivistisch argumentiert. 223 Wohlers, Deliktstypen, S. 198. 224 Anders Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 400, der darin einen besonderen Aspekt des Schutzgutes des nicht vom Rauschgift beeinträchtigten sozialen Zusammenlebens sieht. Damit wird aber das Aufzwingen einer Lebensform als Rechtsgut begriffen. Vgl. auch Schünemann, in: Hefendehl/vonHirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 147 Fn. 60. 225 Vgl. Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 272; Bensch, Der Begriff des Handeltreibens, S. 53; Böllinger, KJ 1994, S. 410; Scheerer, ZRP 1996, S. 189 ff.; Schneider, StV 1992, S. 489 ff.; ders., StV 1994, S. 390; Wohlers, Deliktstypen, S. 198. 220

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gen.226 Nach Art. 3 Abs. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen vom 20. 12. 1988 ist die Verpflichtung zur Pönalisierung des Besitzes und Erwerbs von Suchtstoffen unter den Vorbehalt der „Verfassungsgrundsätze“ und „Grundzüge der Rechtsordnung“ gestellt worden. Will man also den verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der Straflosigkeit der Selbstschädigung nicht aufgeben, muss die internationalrechtliche Verpflichtung, Straftatbestände zu schaffen, dort eine Grenze erreichen, wo Besitz und Erwerb als notwendig vorausgehende Verhaltensweisen eines bloß selbstgefährdenden Handelns auftreten.227 Es liegt letztlich der Verdacht nahe, dass der proklamierte Gesundheitsschutz primär eine symbolische Bedeutung hat. Es wird vor einer Entkriminalisierung gewarnt, weil die Bevölkerung einen solchen Schritt als öffentliche Verharmlosung der Gefahren des Drogenkonsums missverstehen könnte. Infolgedessen dienen die Straftatbestände nicht tatsächlich der menschlichen Gesundheit, sondern dem Sicherheitsgefühl der Bürger.228 Ein solches Konzept, das sich auf einen selektiven, symbolischen Schutz zurückzieht, vermag die konsumorientierten Straftatbestände nicht zu legitimieren.229 Die Rechtsgutsausdehnung auf verschiedene diffuse Gemeinschaftsbelange und Interessen Dritter soll schließlich den Umstand verschleiern, dass der Konsum von Betäubungsmitteln eine für das Strafrecht irrelevante Selbstgefährdung darstellt. Es wirkt geradezu heuchlerisch, wenn die so extensive staatliche Strafgewalt einen wirksamen und notwendigen Schutz der Volksgesundheit oder anderer Rechtsgüter der Allgemeinheit vorspiegelt, obwohl sie gleichzeitig ein hohes Maß an Freiheitsverlusten mündiger Bürger (und zwar bloß symbolisch) verursacht und die gravierenden sozialschädlichen Nebenfolgen der Prohibition bedenkenlos in Kauf nimmt.230 3. Staatliche Drogenverkehrshoheit als Zwischenrechtsgut Die vorstehend kritisierte Hypostasierung von scheinbaren Kollektivrechtsgütern soll von denjenigen Konstellationen unterschieden werden, in denen der Gesetzgeber zur Erreichung seiner endgültigen Schutzaufgabe eine Institution zwischenge226

Böllinger, KJ 1994, S. 410; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 92; BVerfGE 90, 145, 221 ff. Sondervotum Sommer unter Verweis auf BVerfGE 45, 83, 96; a.A. Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 402. 227 Böllinger, KJ 1994, S. 413; Köhler, ZStW 1992, S. 60 f.; Paeffgen, BGH-FG, S. 713; Schneider, StV 1992, S. 490; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 323. 228 Hassemer, JuS 1987, S. 258 ff. 229 Böllinger, KJ 1994, S. 419; Hassemer, ZRP 1992, S. 380, 382; ders., JuS 1992, S. 112; ders., StV 1995, S. 486 f.; Haffke, ZStW 1995, S. 785; Kniesel, ZRP 1994, S. 352; Kreuzer, in: FS-Miyazawa, S. 184 f.; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 257. 230 Vgl. für die negativen Folgen und Kosten der Prohibition Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 269 ff.; auch Böllinger, KJ 1994, S. 413.

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schaltet hat, die nun ihrerseits des strafrechtlichen Schutzes bedarf.231 Im Vordergrund steht nach dieser Auffassung die Regulierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln, die als eine Art Zwischenrechtsgut auf die Erhaltung und Förderung der Gesundheit ausgerichtet ist. Schünemann führt zutreffend aus, dass es sich bei der Strafbarkeit des Erwerbs und Besitzes von Cannabisprodukten zum Eigenverbrauch um einen Straftatbestand handelt, dem kein Rechtsgut zugrunde liegt, der mit dem Konzept des mündigen Bürgers in einer freiheitlichen Rechtsordnung zu vereinbaren ist, und der im Vergleich zur Behandlung von Alkohol und Nikotin eine eklatante Ungleichbehandlung enthält.232 Er hält aber das Betäubungsmittelstrafrecht in einem reduzierten Umfang für legitimierbar, insofern nämlich zum Schutz Jugendlicher die Begründung einer staatlichen Drogenverkehrshoheit als Zwischenrechtsgut legitim sei. Damit könne man einerseits in Abänderung des heutigen Rechts für verantwortlich handelnde Personen eine Möglichkeit zum Erwerb von Cannabis in geringen Mengen zum Eigenverbrauch schaffen, müsste aber andererseits einen außerhalb dieses Wegs erfolgenden Handel weiterhin mit den Mitteln des Strafrechts unterbinden.233 Es ist aber nicht einzusehen, wozu die Schaffung eines Zwischenrechtsguts der „Drogenverkehrshoheit“ im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts dienen könnte. Es stellt sich nämlich die Frage, im Hinblick auf welche „endgültige Schutzaufgabe“, also im Hinblick auf welches (End-) Rechtsgut, die Begründung der staatlichen Drogenverkehrshoheit als durch strafrechtliche Mittel zu schützendes Zwischenrechtsgut legitim wäre. Der Schutz von diffusen Gemeinschaftsinteressen scheidet aus, so dass man hier wiederum auf den Schutz von menschlichem Leben und Gesundheit zurückgreifen müsste, also zu einer paternalistischen Legitimationsbasis, die bereits entschieden abgelehnt wurde.234 Die Anerkennung eines solchen Zwischenrechtsguts würde die dargestellten Legitimationsprobleme des Betäubungsmittelstrafrechts lediglich ignorieren. Diese scheinbare Legitimationsbasis paternalistischer Strafnormen würde das Prinzip der Straflosigkeit der eigenverantwortlichen Selbstschädigung im Ergebnis aushöhlen.235

231 So erstmals Schünemann, JA 1975, S. 793, 798; ders., in: Hefendehl/von Hirsch/ Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 152; ders., in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 35; zustimmend Roxin, AT I4, § 11 Rn. 161. 232 Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 146; ders., GA 2003, S. 307 ff.; ders., in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von AIDS, S. 215 ff. 233 Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 152 f. 234 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 178, der freilich kritisch bemerkt: „Mit der Formulierung vergeistigter Zwischenrechtsgüter ist keine Frage des Rechtsguts angesprochen, sondern lediglich die einer adäquaten Beschreibung des Handlungsobjekts im Hinblick auf das Rechtsgut.“ (Hervorhebung im Original). 235 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 149.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

4. Zwischenergebnis Die dargelegten Einwände sprechen insgesamt für eine Streichung der konsumbezogenen Straftatbestände des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln.236 Die Zielsetzung, die körperliche Unversehrtheit und das Leben kompetenter Konsumenten zu schützen, verstößt ohne weiteres gegen das Autonomieprinzip und kann folglich die Pönalisierung der den Eigenkonsum vorbereitenden Verhaltensweisen nicht legitimieren (harter Paternalismus). Aber auch beim Umgang mit einer geringen Drogenmenge kann der Konsument nicht wegen des bloßen Verdachts der Weitergabe der Droge an nicht eigenverantwortlich handelnde Dritte bestraft werden (weicher Paternalismus). Für das fremdgefährdende Verhalten anderer durch die Abgabe oder den Verkauf von Betäubungsmitteln an Jugendliche oder Schwerstabhängige kann nicht jeder besitzende oder erwerbende Konsument allein aufgrund dieses Faktums verantwortlich gemacht werden. Umso mehr erscheint die Bestrafung Jugendlicher oder inkompetenter Erwachsener für ihren Konsum widersprüchlich. Der Pönalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln steht schließlich nicht nur auf Konsumentenseite der Grundsatz der Straflosigkeit eigenverantwortlicher Selbstgefährdung entgegen. Es ist nicht schlüssig, die sich als Vorbereitungshandlung für eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung von Konsumenten darstellenden Verhaltensweisen auf der Anbieterseite über den Topos des Schutzes der körperlichen Integrität der Konsumenten unter Strafe zu stellen.237 Darauf ist noch im Rahmen der Erwägungen über den indirekten Paternalismus ausführlich einzugehen. Der Verweis auf die Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 29 Abs. 5, 31a BtMG, 153 und 153a StPO für konsumbezogene Verhaltensweisen zum Eigenverbrauch bei geringer Menge genügt jedenfalls nicht. Denn die Abgrenzung des Bereichs strafbaren Verhaltens ist in einer gewaltengeteilten Demokratie keine Frage der Opportunität im unkontrollierten Ermessen der Staatsanwaltschaft, sondern Aufgabe des Gesetzgebers.238 Darüber hinaus wird verkannt, dass der Betroffene belastenden Ermittlungsmaßnahmen ausgesetzt ist und ihm grundsätzlich der Status eines po-

236 Albrecht, Kommentar, Betäubungsmittelstrafrecht, Art. 19a Rn. 8; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 161 f.; Ellinger, Betäubungsmittel und Strafbarkeit, S. 57 f.; Köhler, ZStW 1992, S. 40; Schneider, StV 1994, S. 393; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 324 f. 237 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 265; Frisch, in: FS-Stree/Wessels, S. 95; Hesel, Untersuchungen, S. 292; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 225 f.; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 94; Nestler-Tremel, StV 1992, S. 274; Wohlers, Deliktstypen, S. 194 f.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 324. 238 Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 155 ff.; Nelles/Velten, NStZ 1994, S. 370; Wohlers, Deliktstypen, S. 188 f.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 325; Wolter, GA 1996, S. 229.

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tentiellen Täters auferlegt wird.239 Es erscheint letztlich widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber ein Verhalten einerseits materiellrechtlich für strafbar erklärt und andererseits darauf setzt, dass die Strafverfolgungsorgane von einer Verfolgung absehen.240

II. Strafbarer Organhandel gem. § 18 Abs. 1 TPG Die allgemeine Diskussion um die Transplantationsmedizin wird durch den Mangel an Transplantaten bestimmt. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für ein Transplantationssystem ausgesprochen, in dem der Entschluss zur Organspende auf zwischenmenschlicher Solidarität, Nächstenliebe und Mitleid beruht, nicht aber auf finanziellen Erwägungen.241 Diese gesetzgeberische Wertentscheidung bedeutet gleichzeitig eine Absage an Modelle einer marktregulierten Organgewinnung, wie sie aus philosophischer und ökonomischer Perspektive diskutiert worden waren.242 Sowohl bei der postmortalen als auch bei der Lebendspende ist ein Verstoß gegen das Organ- und Gewebehandelsverbot gem. §§ 18 Abs. 1 i.V.m. 17 Abs. 1, Abs. 2 TPG unter Strafe gestellt.243 Danach ist es verboten, mit Organen oder Geweben, die einer Heilbehandlung zu dienen bestimmt sind, Handel zu treiben. Ebenso ist es verboten, solche Organe oder Gewebe zu entnehmen, auf einen anderen Menschen zu übertragen oder sich übertragen zu lassen. In Deutschland sind bisher nur in beschränktem Maß Erscheinungen bedenklicher Kommerzialisierung aufgetreten. So hat es singuläre Aktivitäten von Organhändlern gegeben, die jedoch im Vorfeld geblieben sind. Verstöße der Transplantationszentren 239

BVerfGE 90, 145, 213, 225 (Sondervotum des Richters Sommer); Beck, Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, S. 43; Köhler, ZStW 1992, S. 40 f.; Nelles/Velten, NStZ 1994, S. 369; Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 149; Wohlers, Deliktstypen, S. 188; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 325. 240 Roxin, AT I4, § 2 Rn. 36; Schünemann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 235. 241 Schroeder, ZRP 1997, S. 266, bemerkt mit Recht, dass nur von dem Spender eine samariterhafte Einstellung verlangt wird, während alle anderen Beteiligten von der Transplantation profitieren. Der Empfänger erfährt eine wesentliche Verbesserung seiner Lebensqualität, wenn nicht die Rettung seines Lebens, die Krankenversicherung erspart sich im Fall der Nierenlebendspende hohe Kosten für die Dialysebehandlung und die Ärzte, die die Transplantation vornehmen, arbeiten nicht aus reiner Nächstenliebe. Vgl. auch König, in: Roxin/ Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 514; ders., Organhandel, S. 116; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 344. 242 Gutmann, MedR 1997, S. 154; ders., Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1993, S. 83 f.; Schneider, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 189 ff.; Zillgens, Lebendorganspende, S. 238 f. 243 Seit dem Inkrafttreten des Gewebegesetzes vom 20. 7. 2007 (BGBl I, S. 1574) wurde das Organhandelsverbot in „Verbot des Organ- und Gewebehandels“ unbenannt. Soweit im Folgenden von „Organ“ die Rede ist, ist Gewebe mitgemeint, es sei denn etwas anderes wird ausdrücklich ausgewiesen.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

gegen das Organhandelsverbot sind nicht bekannt geworden.244 Das Handelsverbot muss deshalb hinsichtlich des zwischen Spender und Empfänger intervenierenden skrupellosen Organhändlers auf ein Vakuum stoßen.245 Erster Adressat des § 17 Abs. 1 S. 1 TPG ist daher der potentielle Spender, der seine Gesundheit um des Geldes willen beeinträchtigt und sich als Organhändler betätigt.246 Die Strafdrohung wirkt zunächst direkt paternalistisch: Der Spender soll vor einer Verletzung seiner Würde, seiner körperlichen Integrität und der Ausnutzung seiner finanziellen Notlage bewahrt werden. Der Schutz vor der Ausbeutung seiner gesundheitlichen Notlage steht bei dem Empfänger im Vordergrund. Handelt der Organempfänger nicht in Weiterveräußerungsabsicht, so handelt er nicht eigennützig. Dennoch macht er sich wegen des Empfangs eines dem Organhandel unterfallenden Organs nach § 18 Abs. 1 Alt. 3 TPG strafbar, selbst wenn von dritter Seite für sein Organ bezahlt worden ist. Die Kriminalisierung des Organ- und Gewebeempfängers bedeutet praktisch, dass man Organe und Gewebe, die Gegenstand des Handeltreibens waren, „absterben“ lassen muss, obwohl sie noch lebensrettend sein könnten.247 Jedenfalls ist dem Gesetzgeber nicht gelungen, den Organempfänger und den Organspender nach gleichen Maßstäben zu beurteilen. Dies deshalb, weil die Strafbarkeit des Empfängers bei der Übertragung verortet ist, die den letzten und unvermeidlichen Akt des „Handelspakts“ bildet.248 Eine Strafbarkeit des Empfängers nach § 17 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 18 Abs. 2 TPG wegen des „Handelspakts“ scheidet aus, da nur der Erwerb zur Übertragung auf sich selbst und keine weitere Umsatztätigkeit intendiert ist. Das gesamte Vorfeld ist demnach nicht erfasst, und eine strafbare Teilnahme des Organempfängers ist nur bei Überschreitung der Mindestmaßbeteiligung möglich.249 Über die Verweisung auf § 17 Abs. 2 TPG erfasst das Verbot des Organ- und Gewebehandels auch denjenigen Arzt, der ein Organ, das Gegenstand verbotenen Handeltreibens ist, entnimmt oder auf einen anderen Menschen überträgt (indirekter Paternalismus). Dies bedeutet, dass sich der Arzt, der ein aus dem Organhandel stammendes Organ in Kenntnis seiner Herkunft überträgt, strafbar macht, selbst wenn er am Organhandel als solchem nicht beteiligt war. In einem solchen Fall wäre er „an sich“ bloßer Teilnehmer am fremden Unrecht des Organhandels. Warum es notwendig sein soll, ihn darüber hinaus als Täter zu bestrafen, ist nicht ersichtlich. 244

Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 102 f. König, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 513; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 325. 246 König, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 514 f. 247 Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 482. 248 König, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 520. 249 König, Organhandel, S. 178; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 520; Schroth/König/Gutmann-König, TPG, §§ 17, 18 Rn. 33; Schroth, in: FSRoxin, S. 889; ders., in: Schubert (Hrsg.), Medizin zwischen Ethik, Technik und Kommerz, S. 78 f.; ders., in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 178; ders., in: Gutmann/Schneewind/Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 130; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 122; Zillgens, Lebendorganspende, S. 281 ff. 245

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Eine Teilnahmehandlung wird ohne rechtlichen Grund zur Täterhandlung aufgewertet.250 Die gesonderte Pönalisierung der Entnahme und Übertragung eines gehandelten Organs schießt dabei über das Ziel hinaus. Dieses umfassende und wenig differenzierende strafbewehrte Organhandelsverbot ist in weiten Teilen nicht mit dem grundlegenden Legitimationserfordernis vereinbar, dass das Strafrecht lediglich der Verhinderung drittschädigenden Verhaltens zu dienen hat. Der Staat nimmt dem Einzelnen faktisch die Entscheidung ab, ob er das Risiko eingeht, eines seiner Organe zu verkaufen oder das Organ eines anderen zu erwerben. Das Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders, über seinen Körper frei zu verfügen, wird damit eingeschränkt. Dem Organempfänger wird die Möglichkeit abgesprochen, seine Gesundheit durch den entgeltlichen Erwerb eines dringend benötigten Organs zu verbessern und sogar sein Leben zu retten.251 Der Gesetzgeber hatte die berechtigten Autonomieansprüche von Spendern und Empfängern mit der Notwendigkeit des Schutzes vor der Gefahr des Organhandels sowie vor nicht hinreichend freiwilligen Organspenden zum Ausgleich zu bringen. Es ist jedoch äußerst zweifelhaft, ob eine sachgerechte Abwägung der in Frage stehenden Interessen durch das strafbewehrte Verbot des Organhandels in seiner jetzigen Form erfolgt.252 Hinzu kommen die Wertungswidersprüche, die sich aus problematischen Durchbrechungen des Organhandelsverbots ergeben, weil einzelne Organe sowie bestimmte Arzneimittel und Handelsarten außerhalb der Heilbehandlung aus seinem Anwendungsbereich ausgenommen werden.253 Das Verbot des Organhandels fügt sich nur unter Inkaufnahme absurder Ergebnisse in das materielle Strafrecht ein. Eine weitergehende inhaltliche Differenzierung der relevanten Verhaltensnormen und der Eingrenzung der Strafbarkeit ist deshalb dringend geboten. Die folgenden Überlegungen wollen nicht beanspruchen, alle problematischen Aspekte des Organhandelsverbots zu behandeln. Es ist im Folgenden insbesondere zu untersuchen, ob das bereits bestehende Organhandelsverbot unter dem Gesichtspunkt des Paternalismus und seiner Grenzen sachgerecht ausgestaltet ist.254 Schließlich wird die Legitimität des strafbewehrten Verbots des Organhandels unter Berücksichtigung kollektiver Rechtsgüter diskutiert.

250 Schroth, in: Gutmann/Schneewind/Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 130; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 481 f.; König, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 527. 251 Schroth, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 214; Paeffgen, in: FS-Schroeder, S. 591; Zillgens, Lebendorganspende, S. 320. 252 König, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 506. 253 Schroth, Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 404; ders., in: Middel/Pühler/Lilie/ Vilmar (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 145. 254 Nach NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 93, sei das eigentliche Problem des TPG in strafrechtlicher Hinsicht, dass es im maßlosen staatlichen Paternalismus die status-quo-ante Schranken des § 228 StGB durch neue (leges speciales) Strafvorschriften noch ausgeweitet habe.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

1. Schutz der Menschenwürde des Spenders (harter Paternalismus) Der Gesetzgeber hat die zentrale Aussage gemacht, dass die Garantie der Menschenwürde beeinträchtigt sei, wenn der Mensch bzw. seine sterblichen Überreste zum Objekt finanzieller Interessen würden. Sowohl der Verkauf menschlicher Bestandteile als auch deren entgeltliche Spende seien mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar.255 Sicherlich dürfte ein freier Organmarkt, auf dem Körperteile „wie andernorts gebrauchte Kraftfahrzeuge“ angeboten werden, nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes entsprechen.256 Jedoch geht das Organhandelsverbot weit über den Organverkauf hinaus. Die Kommerzialisierung des Menschen ist letztlich in vielfacher Hinsicht erlaubt und sogar im Hinblick auf unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weitgehend erwünscht.257 Hoffnungsvolle Tennis- oder Schauspieltalente werden von ihren Eltern systematisch aufgebaut und vermarktet. Verträge, die entgeltliche sexuelle Dienstleistungen im Zuge der Prostitution umfassen, werden zivilrechtlich anerkannt. Und sogar der tote Mensch kann Gegenstand kommerzieller Interessen sein (z. B. die Kommerzialisierung der Beerdigung von Lady Diana oder Michael Jackson), ohne dass die Behauptung aufgestellt wird, der Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG sei berührt. Die These, dass der Verkauf von Körperteilen als Verletzung der Menschenwürde zu bewerten sei, hat insbesondere Sasse zu begründen versucht. Nach seiner Auffassung lässt sich vor dem Hintergrund „krasser Formen der Würdeverletzung“ wie Sklaverei, Folter oder Zwangsarbeit, der Behauptung, die Degradierung menschlicher Körperteile zum Kaufobjekt sei menschenunwürdig, ein gewisses Maß an unmittelbarer Evidenz nicht absprechen.258 Es ist aber offensichtlich, dass eine solche Argumentation nicht zu überzeugen vermag. Im entscheidenden Punkt, warum eine Kommerzialisierung des menschlichen Körpers unter dem Aspekt der Menschenwürde unerträglich sei, findet sich nur der Verweis auf die Folgen eines freien Organmarktes. Es wird jedoch nicht dargelegt, warum die Handlung als solche einen Menschenwürdeverstoß begründen soll.259 255 BT-Drucks. 13/4355, S. 29. Ähnlich BSG, NJW 1997, S. 3314 ff. Auch das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Transplantationsentscheidung (BVerfG, NJW 1999, S. 3403) aus: „Es entspricht dem Bild des Grundgesetzes von der Würde und Selbstbestimmtheit des Menschen, dass eine so weit reichende Entscheidung wie die Spende eines Organs auf einem freiwilligen, von finanziellen Erwägungen unberührten Willensentschluss beruhen muss.“ 256 König, Organhandel, S. 112; Schroth/König/Gutmann/Oduncu-König, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 18. 257 König, Organhandel, S. 109; Schroth, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 215; ders., in: FS-Roxin, S. 872; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 17; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 343. 258 Sasse, Aspekte der Veräußerung von Organen, S. 96. 259 König, Organhandel, S. 111; Schroth, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 215; ders., in: FS-Roxin, S. 873; ders., in: Gutmann/Schneewind/

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Mit der Menschenwürdegarantie ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch gemeint, der jedem Menschen qua seines Menschseins zukommt. Der Schutz der Menschenwürde soll das Individuum vor einer Instrumentalisierung durch andere bewahren. Zu diesem Zweck ist es legitim, menschenwürdeverletzende Verhaltensweisen auch mit den Mitteln des Strafrechts zu verbieten.260 Wenn aber der Staat die Schutzpflicht der Menschenwürde heranziehen dürfte, um ein angeblich menschenunwürdiges, selbsterniedrigendes Verhalten des mündigen Individuums zu bestrafen, würde die Menschenwürdegarantie in eine Pflicht zur Wahrung einer heteronom festgelegten Würde umgedeutet.261 Art. 1 Abs. 1 GG kann eine paternalistische Eingriffsbefugnis des Staates wegen des in der Menschenwürdegarantie verankerten Autonomieprinzips jedoch nicht legitimieren.262 Der deutsche Gesetzgeber sorgt mit den in § 8 TPG vorgesehenen Voraussetzungen der Organ- und Gewebeentnahme bei Lebenden dafür, dass die Authentizität der Entscheidung des Spenders abgesichert wird, seine gesundheitliche Risiken minimiert werden und er eben nicht zum „Organersatzteillager“ degradiert wird.263 Wenn der potentielle Spender sich nach Aufklärung freiwillig bereit erklärt, für eine bestimmte Summe ein nicht lebensnotwendiges Organ zu spenden und ihm ein Rücktrittsrecht eingeräumt wird, ist seine Subjektqualistät nicht in Frage gestellt.264 Es wird also nicht der konkrete Mensch zum Objekt gemacht, sondern der Mensch selbst macht einen Teil seiner physischen Gestalt zum Objekt eigener Interessen.265 Es muss schließlich berücksichtigt werden, dass der Verkauf eines Organs der Heilung eines anderen Menschen dient. Daran ändert das Motiv des Organspenders Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 119 f.; ders., in: Oduncu/ Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 168; ders., in: Schubert (Hrsg.), Medizin zwischen Ethik, Technik und Kommerz, S. 64; ders., in: FS-Androulakis, S.675; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhadelsverbotes, S. 177. 260 Roxin, AT I4, § 2 Rn. 20. 261 In diesem Sinne aber Zillgens, Lebendorganspende, S. 329, die sich auf den objektivrechtlichen Gehalt der Menschenwürde beruft. Ähnlich Finger/Müller, NJW 2004, S. 1077. 262 Vgl. ausführlich Teil 2. C I. 1. b). 263 Vgl. hierzu ausführlich Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 235 ff.; Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 51 ff.; Schreiber, Lebendspende, S. 55 ff.; Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 470 ff.; ders., in: FS-Schreiber, S. 843 ff.; Zillgens, Lebendorganspende, S. 116 ff. 264 Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 115; Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 45; Schroth, in: Gutmann/Schneewind/Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 120; ders., in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 169; ders., in: Schubert (Hrsg.), Medizin zwischen Ethik, Technik und Kommerz, S. 65; ders., in: FS-Roxin, S. 873; ders., in: FS-Androulakis, S. 676; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 479; ders., in: Middel/Pühler/ Lilie/Vilmar (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 145; ders., in: FSHassemer, S. 802; Schreiber, Lebendspende, S. 224 f. Vgl. auch Hörnle, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 123 in Bezug auf die entgeltliche Eizellenspende. 265 Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 27.

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nichts. Das Kriterium des Altruismus zugunsten des Empfängers gibt keine klare Handhabe, ethisch Hinnehmbares von Unerträglichem zu scheiden.266 Die strenge Dichotomie altruistisch-kommerziell liefert also nicht unbedingt ein ethisches Unterscheidungskriterium. Vielmehr erscheint die Gewährung eines Vorteils eher ein selbstverständlicher Akt der Dankbarkeit zu sein und führt gerade dazu, dass der Spender nicht ausgebeutetes Objekt ist, sondern als gleichwertiges Subjekt betrachtet wird.267 Selbstbestimmung ist nicht mit Absichtslosigkeit gleichzusetzen. Es wäre zu weitgehend, als autonom nur den in jeder Hinsicht freien Willen zu verstehen, der unberührt von jeglichem Antriebsmotiv ist. Denn irgendeine Motivation steht letzten Endes hinter jedem menschlichen Handeln.268 In Bezug auf wirtschaftliche Aspekte kommt ein übermäßiger Handlungsdruck dann in Betracht, wenn anderenfalls das materielle Existenzminimum nicht mehr gewährleistet wäre, oder wenn es um die nackte Existenz ginge.In diesem Fall begründet bereits das Bestehen der Entscheidungssituation an sich eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG, wenn man die überwiegende Auffassung ernst nimmt, dass Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip den Staat verpflichtet, das materielle Existenzminimum zu gewährleisten.269 Legt man die Annahme zugrunde, dass das geltende soziale Sicherungssystem diese Schutzpflicht hinreichend erfüllt, kann die Konsequenz nur sein, dass eine finanzielle Drucksituation als solche nicht zum Ausschluss der Autonomie führt. Der vom Gesetzgeber hergestellte umfassende Bezug zur Menschenwürdeverletzung beim Handel mit Organen Verstorbener greift ebenfalls nicht ein. Eine Beeinträchtigung des Art. 1 Abs. 1 GG liegt nicht in Fällen vor, in denen der Spender die finanzielle oder sonstige materielle Absicherung seiner Angehörigen nach seinem natürlichen Tod als wichtiger ansieht als die Unversehrtheit seines Körpers.270 Andererseits erscheint es zwar bedenklich, wenn Angehörige sich ihre Zustimmung 266 König, Organhandel, S.114, weist zu Recht auf das Phänomen des „indirekten Altruismus“ hin, wenn etwa ein Vater eine Niere verkauft, um seiner Familie ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Auch Schroeder, ZRP 1997, S. 267, bemerkt richtig, dass eine Spende für soziale Zwecke nicht dadurch moralisch wertlos wird, dass der Spender sie als Sonderausgabe von der Steuer absetzen kann. 267 König, Organhandel, S. 113 f.; Jung, JZ 2004, S. 562; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 178. 268 Ried, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 192 f. 269 König, Organhandel, S.114; Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 29 f. Nach Schreiber, Lebendspende, S. 225 f., wird die Entscheidung des Spenders wegen der finanziellen Not kaum jemals freiwillig sein. In diesem Fall sei die Einwilligung zur Spende nicht Ausdruck freier Selbstbestimmung, sondern Ausdruck materieller Zwänge, so dass eine Verletzung der Menschenwürde zu bejahen sei. Ähnlich auch Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 157. Diese Argumentation beschreibt zwar zutreffend die Situation vieler Menschen. Daraus allerdings die Legitimität des Organhandelsverbotes abzuleiten, greift einerseits zu kurz und verwischt andererseits das eigentliche Skandalon, nämlich die Tatsache, dass sozioökonomische Bedingungen zugelassen werden, die Menschen ohne Alternativen lassen. 270 Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 174; König, Organhandel, S. 123; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 105.

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zu einer Organentnahme abkaufen lassen wollen. Diese müssen aber gemäß § 4 Abs. 1 S. 4 TPG, wenn der mutmaßliche Wille des Verstorbenen nicht feststellbar ist, in seinem Sinne entscheiden und dürfen nicht nach Gutdünken die Organe ihres Angehörigen verkaufen.271 Bekundet der Angehörige glaubhaft, der Verstorbene hätte nur unter einer solchen Bedingung eingewilligt, so muss der Eingriff schlimmstenfalls unterbleiben, wenn sich eine Entschädigung verbietet. Es ist daher nicht einzusehen, warum der Angehörige wegen eines derartigen Verhaltens (das als vollendeter Organhandel anzusehen wäre) zu bestrafen ist.272 Im Bereich der Transplantation und in anderen Zweigen der medizinischen und bioethischen Forschung wird das Menschenwürdeargument häufig benutzt, um Weiterentwicklungen zu diskreditieren oder zu verhindern. Die Menschenwürde wird damit nicht mehr in Bezug auf konkrete Individuen und deren Schutz, sondern zum Schutz eines bestimmten Menschen- oder Gattungsbildes herangezogen. Die Auffassung, die im Organhandel einen Angriff auf die Menschenwürde erblickt, ist nur dann haltbar, wenn man einen metaphysisch abstrahierten Würdebegriff von den konkreten Interessen des Betroffenen abkoppelt, so dass der empirischen Würde des Einzelnen die „Würde des Menschen als Gattung“ gegenüberstellt und die Autonomie des Einzelnen mit dem Argument eingeschränkt wird, sie verletze die Würde im Sinne dieses Menschenbildes.273 Der Grundsatz der Menschenwürde wendet sich dann gegen die Freiheitsrechte des Individuums, die einem spezifisch metaphysischen Menschenwürdebegriff untergeordnet werden.274 Ein solches ausuferndes Menschenwürdeverständnis führt zu einer völligen Konturenlosigkeit der Würdegarantie sowie zu ihrer beliebigen Einsetzbarkeit zur Begründung eines vermeintlich allgemeinen, tatsächlich aber stark subjektiv eingefärbten Moralstandards. Eine derartige Begründung der Einschränkung der Handlungsfreiheit ist letztlich rechtsmoralistisch, da die Würdevorstellungen des konkreten Individuums zugunsten eines abstrakten Ideals des richtigen Umgangs mit dem menschlichen Körper zurückgestellt werden.275 Es ist jedoch bisher nicht gelungen, einen vom einzelnen Würdeträger losgelösten Schutzgehalt der Menschenwürde konsistent zu begründen.276 271

Vgl. Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 452 ff. König, Organhandel, S. 124. 273 Gutmann, MedR 1997, S. 154; Neumann, ARSP 1998, S. 156 f.; Schroth, in: FS-Roxin, S. 874; ders., in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie, S. 468; ders., in: FS-Hassemer, S. 802. 274 Schroth, in: FS-Roxin, S. 874; ders., in: Gutmann/Schneewind/Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 121; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 403; ders., in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 216. 275 Vgl. Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 342 f.; van den Daele, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 128 f.; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 154. 276 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 29; Zippelius, in: Dolzer/Vogel/ Kahl/Graßhof (Hrsg.), BK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 55. 272

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Schließlich hätte das vorgebliche Schutzgut der Menschenwürde eine andere gesetzliche Ausgestaltung des Organhandelsverbotes erfordert. Es ist schwerlich widerspruchsfrei begründbar, dass die Kommerzialisierung des menschlichen Körpers schlechthin menschenunwürdig ist, wenn der Gesetzgeber selbst Ausnahmen davon zulässt. Nach § 17 Abs. 1 TPG ist das Verbot nur für solche Organe einschlägig, die einer Heilbehandlung zu dienen bestimmt sind. Die Verwendung der Organe zur wissenschaftlichen Forschung oder zur Kosmetikherstellung ist dagegen unschädlich. Weiter hat der Gesetzgeber in § 17 Abs. 1 Nr. 2 TPG solche Arzneimittel vom Organhandelsverbot ausgenommen, die aus oder unter Verwendung von Organen hergestellt wurden und den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes über die Zulassung oder Registrierung von Arzneimitteln unterliegen oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung oder Registrierung freigestellt sind. Es ist nicht einsichtig, warum man dieselben Organe und Gewebe verkaufen dürfen soll, sobald sie nach Aufbereitung und Konservierung sauber verpackt zur Abnahme bereitstehen. Steht die Garantie der Menschenwürde in Rede, kann dieser Unterschied normativ nicht begründet werden.277 Entweder liegt bei dem Verkauf von Körperteilen insgesamt ein Menschenwürdeverstoß vor oder die Menschenwürde wird durch den Verkauf von Organen oder anderen Körperteilen nicht in Frage gestellt.278 Das Organhandelsverbot nach §§ 17, 18 TPG lässt sich daher mit dem Argument, der Spender verletze seine Würde, nicht begründen. Wer sich freiwillig entscheidet, ein nichtlebensnotwendiges Organ gegen andere Güter einzutauschen, der übt sein Recht auf Selbstbestimmung aus und darf nicht daran gehindert werden. Ein fürsorgliches und insofern hart paternalistisches Handeln entgegen dem autonomen Willensentschluss des Spenders scheidet mithin aus.279 Das strafbewehrte Verbot des Organhandels soll vielmehr dazu dienen, das Festhalten der Gesellschaft an bestimmten, als verbindlich festgelegten Wertvorstellungen zu dokumentieren und im Falle der Zuwiderhandlung kontrafaktisch zu bekräftigen. Tangiert ist nicht die individuelle Würde des von dem Verbot erfassten Personenkreises, sondern die vorherrschende Vorstellung davon, welche Art des Umgangs mit menschlichen Organen

277 König, Organhandel, S. 146; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 510; ders., MedR 2005, S. 23. 278 Hesel, Untersuchungen, S. 323; Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 92; Schroth, in: FSRoxin, S. 874; ders., in: FS-Schreiber, S. 844; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 479; ders., in: Schubert (Hrsg.), Medizin zwischen Ethik, Technik und Kommerz, S. 65 f.; ders., in: Gutmann/Schneewind/Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 120; ders., in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 169; ders., in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 215 f.; König, Organhandel, S. 118 f., 146 f.; ders., in: Schroth/Gutmann/Oduncu, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 18; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 506 f.; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 431; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 344. 279 König, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 506; ders., in: Schroth/Gutmann/Oduncu, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 18.

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gesellschaftlich toleriert werden kann.280 Es ist aber unzulässig, unter dem Deckmantel des Schutzes der Würde des Organspenders Verhaltensnormen zu legitimieren, die eigentlich der Durchsetzung einer bestimmten Moralvorstellung dienen. 2. Gesundheitsschutz des Spenders vor sich selbst (harter Paternalismus) Das Argument des Gesetzgebers, mit dem Verbot des Organhandels werde die körperliche Integrität von potentiellen Spendern geschützt,281 erscheint mit Blick auf ihr körperbezogenes Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG fragwürdig. Das staatliche Interesse am Schutz der körperlichen Integrität ist grundsätzlich möglicher Legitimationsgrund zur Aufstellung von Verhaltensnormen. Dieses Rechtsgut kann jedoch nur Teile des Anwendungsbereichs des geltenden Organhandelsverbotes legitimieren. Zunächst ist anzumerken, dass dieses Rechtsgut nicht zu erklären vermag, warum auch der Handel mit postmortal gespendeten Organen oder Geweben unter Strafe gestellt wird.282 Eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität kommt nicht mehr in Betracht. Bei einem Leichnam sind die dem Verstorbenen verbleibende Menschenwürde und das postmortale Persönlichkeitsrecht die Gründe dafür, dass der Leichnam „nicht einfach wie beliebige tote Materie behandelt, zum Objekt industrieller Verwertung gemacht oder als Organressource betrachtet werden darf“.283 Das Rechtsgut der körperlichen Integrität kann daher die §§ 17, 18 TPG höchstens in Bezug auf die Lebendspende legitimieren. Zum anderen differenzieren die §§ 17, 18 TPG nicht hinsichtlich der Normadressaten. Der Spender als die Person, deren körperliche Integrität beeinträchtigt wird, wird ebenso von dem Verbot getroffen wie jeder andere am Organhandel Beteiligte. Es ist aber problematisch, die Person, die es zu schützen gilt, mit in den Anwendungsbereich der sie schützenden Verhaltensnorm einzubeziehen.284 Sofern der Spender nicht wirksam in die Organentnahme eingewilligt hat und folglich Opfer einer Körperverletzung ist, erscheint es absurd, ihn zum Adressaten einer Verbotsnorm zu machen.285 Das Verbot ist aber nicht weniger problematisch, wenn der Spender sich freiwillig für die Transplantation entscheidet. Denn ein aufgeklärter 280

Hesel, Untersuchungen, S. 323; auch Schroeder, ZRP 1997, S. 267, spricht von der „Unantastbarkeit von Idealen“. 281 BT-Drucks. 13/4355, Begründung zu § 16 Abs. 1 S. 1. 282 Hesel, Untersuchungen, S. 321; Schroth, JZ 1997, S. 1150; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 131; Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 141; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 330. 283 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 53. 284 Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 17 Rn. 12. 285 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 331; Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 87; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 131 f.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Spender, dessen Entscheidung Ausdruck seiner Autonomie als Rechtsgutsträger ist, soll nach seinem Belieben über seinen Körper verfügen können (Entfaltungsfunktion der Einwilligung). Das strafbewehrte Organhandelsverbot stellt sich also im Hinblick auf die körperliche Integrität des Spenders als unzulässiger harter Paternalismus dar. Schließlich ist jede Transplantation bei Lebenden ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Spenders. Da die körperliche Unversehrtheit sowohl bei einer erlaubten altruistischen Organgabe als auch bei einer kommerziell geprägten Motivationslage verletzt wird, kann sie schwerlich das geschützte Rechtsgut darstellen.286 Allein die körperliche Unversehrtheit kann nicht Schutzobjekt eines abstrakten Gefährdungsdelikts gem. § 18 Abs. 1 Alt. 1 TPG sein, da das entsprechende Verletzungsdelikt, die Körperverletzung gem. § 223 StGB, den exakt gleichen Strafrahmen eröffnet.287 Die Verhaltensnorm ist auch insofern paternalistisch relevant, als sie Dritten verbietet, einer Person mit deren wirksamer Einwilligung ein Organ zu entnehmen. Der potentielle Spender wird mittelbar gegen seinen Willen geschützt, indem den Personen, die notwendigerweise an der gewollten Körperverletzung beteiligt sind, das schädigende Verhalten untersagt wird.288 Auch in Bezug auf den Empfänger und den Arzt ist daher das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Spenders von Relevanz. Wenn ihnen verboten wird, die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität zu fördern oder – im Falle des Arztes – diese selbst vorzunehmen, dann wird indirekt der Spender daran gehindert, über seinen Körper nach Belieben zu verfügen. Solange die objektiven Grenzen der §§ 216, 228 StGB eingehalten werden, ist die Einwilligung des Spenders zu respektieren. Eine Transplantation, bei der einem Lebenden ein lebensnotwendiges Organ wie das Herz oder die Lunge entnommen wird, ist dementsprechend für den Arzt auch dann strafrechtlich verboten, wenn die Entnahme auf dem ernstlichen Verlangen des Spenders beruht. Auch kommerziell motivierte Einwilligungen in eine Organentnahme sind nach ganz herrschender Auffassung nicht sittenwidrig.289 Das Risiko eines Lebendspenders, bei einer Transplantation zu versterben, ist gering. Statistisch gesehen liegt die Lebenserwartung des Lebendspenders deutlich über derjenigen der Normalbevölkerung.290 Die Preisgabe der körperlichen Unversehrtheit ist damit nicht unverhältnismäßig und 286 MK-Hardtung, § 228 Rn. 42; Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 142; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 330. 287 Paul, MedR 1999, S. 216; Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 142. 288 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 133. 289 Fischer, § 228 Rn. 24a; MK-Hardtung, § 228 Rn. 42; Schönke/Schröder-Stree, § 228 Rn. 9; SK-Horn/Wolters, § 228 Rn. 8 f.; von Bubnoff, GA 1968, S. 67; König, Organhandel, S. 62 f.; Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 230; Sasse, Zivil- und strafrechtliche Aspekte der Veräußerung von Organen, S. 153; Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 473; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 143 f.; Zillgens, Lebendorganspende, S. 111 f.; wohl auch Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 330 mit Fn. 1541a. 290 Vgl. Schroth, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hsrg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 205 f.

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die Organentnahme zu Heilzwecken verfolgt sozialethisch hochstehende Interessen.291 Angesichts der in § 8 TPG konkret vorgesehenen Voraussetzungen einer fremdnützigen Organ- und Gewebeentnahme bei Lebenden (qualifizierte Aufklärung des Spenders, prozedurale Absicherung durch eine Spendekommission usw.) ist eine Einschränkung des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts aus Gründen der Sittenwidrigkeit im Sinne des Bestehens einer defizitären Entscheidung kaum möglich.292 Das Organhandelsverbot in seiner jetzigen Form umfasst also Verhaltensweisen, bei denen mehr als zweifelhaft ist, ob der Schutz der körperlichen Integrität Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit rechtfertigt. Der Schutz der körperlichen Integrität erfordert kein Verbot der Leichenspende, da das Schutzgut in diesen Fällen überhaupt nicht tangiert ist. Auch die Erstreckung des Verbots auf Fälle, in denen der Spender wirksam einwilligt, ist unter dem Aspekt der Erforderlichkeit verfehlt. Das hart paternalistische Argument des Gesundheitsschutzes des Organspenders vor sich selbst vermag das Organhandelsverbot daher nicht zu legitimieren.293 Ein Organhandelsverbot kann nur in den Fällen mit dem Schutz der körperlichen Integrität begründet werden, in denen der Spender nicht rechtswirksam eingewilligt hat (weicher Paternalismus). Dies bedeutet, dass das Verbot in seiner aktuellen Form über das legitime Ziel hinausschießt und insoweit nicht erforderlich ist. Eine verhältnismäßige Norm darf den Spender nicht als Adressat ansehen und muss die Verhaltensanweisungen Dritten gegenüber auf Fälle beschränken, in denen der Spender nicht wirksam eingewilligt hat.294 3. Schutz vor Ausbeutung von existentiellen Notlagen (weicher Paternalismus) Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung des Organhandelsverbotes die Ausnutzung gesundheitlicher Notlagen des Empfängers und wirtschaftlicher Notlagen des Spenders im Blickfeld. Einer „gewinnorientierten Ausnutzung existentieller Notlagen von Menschen“ soll zuvor gekommen werden.295 Das gesetzgeberische Ziel kann darin gesehen werden, eine Schwächesituation zu verhindern, in der entweder der Spender oder der Empfänger unfreiwillig entscheiden. Damit sich die in den §§ 17, 18 TPG enthaltene Verhaltensnorm durch dieses Schutzgut umfassend 291

König, Organhandel, S. 62; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 144. 292 Für eine autonomieorientierte paternalistische Legitimation von § 228 StGB vgl. unten Teil 4. C. II. 2. 293 So auch Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 86 f. 294 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 151. 295 Vgl. BT-Drucks. 13/4355, S. 15, 29. Auch das Bundessozialgericht (JZ 2004, S. 464 f. mit Anmerkung Schroth) hat eine teleologische Reduktion der §§ 17, 18 TPG dahingehend vorgenommen, dass es ein „Handeltreiben“ nur dann annimmt, wenn die Gefahr einer Ausbeutung im weitesten Sinne besteht.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

legitimieren ließe, müsste jeder Organhandel zwangsläufig das Ausnutzen einer Notlage beinhalten. Es sind aber durchaus Fälle denkbar, in denen der Spender zwar nicht mittellos ist, sich aber durch den Verkauf einer Niere z. B. eine Eigentumswohnung, ein Studium oder eine Reise finanzieren möchte. In einem solchen Fall ist es abwegig, von der Ausnutzung einer individuellen Schwächesituation zu sprechen. Auch ist es denkbar, dass jemand ohne finanzielle Not bereit ist, eine Niere gegen eine Aufwandsentschädigung oder Schmerzensgeld zu spenden.296 Der Verkauf eines Organs muss nicht zwangsweise den Zielen eines Menschen widersprechen, sondern kann sogar dazu führen, dass jemand bestimmte Ziele im Leben erreicht, die er ohne den Verkauf eines Organs niemals hätte realisieren können.297 Soweit die Entwurfsbegründung darauf abstellt, es solle der Empfänger vor der wirtschaftlichen Ausbeutung seiner gesundheitlichen Notlage geschützt werden, wird außerdem ausgeblendet, dass die Alternative unter Umständen darin bestehen kann, überhaupt kein geeignetes Organ zu erhalten und dass nicht jede Form der Kommerzialisierung zu einer solchen Ausbeutung führen muss. Es ist nämlich ein System vorstellbar, in dem nicht der Empfänger selbst die Kosten trägt, sondern ein regulierter Markt vorliegt, in dem die Krankenkasse den zuvor festgelegten Preis für das Organ bezahlt.298 Eine Ausbeutung des Empfängers findet dann nicht statt. Die aktuell bestehende Verhaltensnorm des TPG schießt daher über das legitime Ziel hinaus, weil nicht bei allen in §§ 17, 18 TPG erfassten Verhaltensweisen eine Ausbeutung von Notlagen vorliegt. a) Schutz von potentiellen Organempfängern vor Ausnutzung einer gesundheitlichen Notlage Der interfraktionelle Entwurf in seiner ursprünglichen Fassung sah nur den Spender als Täter an. Der auf die Übertragung dringend angewiesene Organempfänger stellte sich als das eigentliche Opfer des zu pönalisierenden Organhandels dar.299 Letztlich sollte auch der notstandsähnlichen Situation des Organempfängers Rechnung getragen werden, da dieser in dem Erwerb eines Organs die einzige Möglichkeit zur Rettung seines Lebens sah.300 In der endgültigen Fassung des TPG wurde jedoch der Erwerb eines Organs für den Eigenbedarf unter Strafe gestellt. Die Gleichstellung des Unwertgehaltes dieses Verhaltens mit dem Verhalten des Spenders resultiert offensichtlich aus der Erkenntnis des Gesetzgebers, dass die Initiative

296 Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 136. Dies verkennt aber Schreiber, Lebendspende, S. 221. 297 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 98. 298 Zu alternativen Modellen wie etwa einem Festpreissystem unter Kostenerstattung durch die Krankenkassen vgl. Schneider, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 189 ff.; dies., in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S.117 f. 299 Vgl. BT-Drucks. 13/4355, S. 30. 300 BT-Drucks. 13/4355, Begründung zu § 16 Abs. 1 S. 1.

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zur Organbeschaffung heutzutage meist von den finanzkräftigen Empfängern ausgeht und die Spender ebenfalls des Schutzes bedürfen.301 Der strafrechtliche Schutz von Personen vor wucherischer Ausbeutung ist durchaus berechtigt.302 Nach § 291 StGB werden bestimmte Rechtsgeschäfte untersagt, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis stehen und der Täter zudem die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche der anderen Partei ausgenutzt hat. Angesichts seiner lebensbedrohlichen Notlage könnte sich der potentielle Organempfänger tatsächlich genötigt sehen, für das dringend benötigte Organ ein „evident hohes Entgelt“303 zu zahlen und sich hierdurch finanziell zu ruinieren. Erhebliche Bedenken ergeben sich jedoch schon daraus, dass man der Sicherung der Entscheidungsfreiheit und des Vermögens des Organempfängers sein Leben und seine Gesundheit gegenüberstellt. Das menschliche Leben stellt die vitale Basis und Hauptvoraussetzung aller anderen Rechtsgüter dar.304 Allein aus finanziellen Erwägungen darf die Rettung eines Menschenlebens nicht unterlassen werden.305 Ein paternalistisches Verbot, das eigene Vermögen zur Rettung des eigenen Lebens einzusetzen, wäre menschenverachtend und würde die besondere Stellung des Lebens in der Rechtsgüterhierarchie in Frage stellen.306 In Bezug auf den Handel mit Organen und Geweben ist es zudem schwierig, das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung festzustellen. Organe haben keinen Marktpreis, ebenso wenig wie die körperliche Gesundheit und das menschliche Leben.307 Eine bestimmte Wertgrenze wäre hier fehl am Platz. Angesichts dieser Schwierigkeiten will man darauf abstellen, ob jemand Vorteile aus der Notlage eines anderen zieht.308 Ein solches Kriterium erweist sich auch als unzulänglich: Der Organempfänger ist schwer krank und befindet sich häufig in einer lebensbedrohlichen Situation. Eine existentielle Notlage aus seiner Sicht ist somit immer zu bejahen, so dass der Organspender in jedem Fall einen

301 Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 134 f.; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 99 f.; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 345. 302 König, in: Schroth/Gutmann/Oduncu, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 21; ders., in: Roxin/ Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 506; Schroth, in: von Hirsch/Neumann/ Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 217. 303 König, Organhandel, S. 128. 304 Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 173 ff. 305 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 346. 306 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 348. 307 Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 135; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 100. 308 So Gutmann, Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1993, S. 84; Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 135.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

verbotenen Organhandel begeht.309 Dieses Ergebnis befriedigt aber nicht. Allein das Vorteilziehen aus einer gesundheitlichen Notlage kann nicht aussreichen, um ein Verbot zu legitimieren.310 Die meisten Ärzte arbeiten nicht allein aus reiner Nächstenliebe. Der Kranke, der sich z. B. von einem bekannten Chirurgen behandeln lässt, ist nur wegen seiner starken Schmerzen bereit, einen sehr hohen Preis zu zahlen. Es ist, wenn auch vielleicht moralisch vorwerfbar, absolut legitim, den Kranken nicht zu behandeln, wenn er den entsprechenden Preis nicht zahlen kann. Die gesundheitliche Notlage ist somit kein Kriterium, das generell geeignet ist, ein Verbot zu begründen. Es empfiehlt sich vielmehr, immer den konkreten Fall im Auge zu haben und danach zu fragen, „ob der Spender den Empfänger rücksichtslos zum Objekt seiner materiellen Interessen degradiert“.311 Ob in einem solchen Fall ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, kann dahingestellt bleiben, weil es nicht darauf ankommt. Es kommt lediglich darauf an, dass sich der Empfänger in einer Notlage befindet und der Spender in verwerflicher Weise sucht, finanziell alles aus ihm „herauszusaugen“, was irgendwie möglich ist.312 Dies hätte aber – wie noch zu zeigen ist – einen anderen, weniger umfassenden Organ- und Gewebehandelstatbestand erfordert. Schließlich würde ein paternalistischer Schutz des potentiellen Empfängers vor der Ausnutzung seiner gesundheitlichen Notlage besonders zynisch anmuten. Denn sofern ihm der entgeltliche Erwerb eines Organs verboten wird, muss er die Beeinträchtigung seiner Gesundheit in Kauf nehmen und sogar seinen Tod riskieren.313 Hinzu kommt, dass die Norm den Empfänger in Bezug auf dieses Rechtsgut als Adressat einbezieht. Es ist aber nicht einzusehen, warum eine Person mit einem strafbewehrten Verbot belegt werden soll, die vor der Ausbeutung anderer zu schützen ist.314 Die Strafbarkeit des finanziell Ausgebeuteten kann keinesfalls mit dem Schutz seiner Entscheidungsfreiheit begründet werden. b) Schutz von potentiellen Organspendern vor Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notlage Fraglich ist auch, ob der Schutz vor Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notlage des Spenders ein umfassendes Verbot des Organhandels rechtfertigen kann. Hier 309 Schroth, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 217. 310 Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 135; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 101. 311 König, Organhandel, S. 247. 312 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 102. 313 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 101 Fn. 352. 314 Pommer, Blutstammzellenspende; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 103; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 348.

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wird die Gefahr gesehen, dass Menschen sich gezwungen sehen könnten, Teile ihres Körpers zu veräußern, um ihren Lebensunterhalt zu gewährleisten oder sich Lebenschancen offenzuhalten.315 Dieser Aspekt ist in Deutschland insofern relevant, als die Angst besteht, reiche Menschen könnten die Armen zu einer Art Organersatzteillager machen. Die Ausbeutung des Spenders fällt beim Handel mit Organen, die post mortem entnommen werden, grundsätzlich aus. In der Regel erwirbt der Spender selbst keinen materiellen Vorteil mehr von der Transplantation seiner Organe nach seinem Tod.316 Die Ausnutzung einer Notlage zu seinen Lebzeiten ist eher von theoretischer Relevanz, zumal der Spender immer noch kurz vor seinem Tod die Einwilligung in die Organentnahme widerrufen könnte.317 Auch die wirtschaftliche Ausbeutung der Angehörigen ist schwer vorstellbar. Diese müssen, wenn ein mutmaßlicher Wille des Spenders nicht ermittelbar ist, in seinem Sinne entscheiden und dürfen nicht nach Gutdünken die Organe ihres Angehörigen verkaufen. Denkbar ist nur der Fall, dass der Spender die Organentnahme davon abhängig macht, dass seiner Familie oder einer nahestehenden Person ein vermögenswerter Vorteil zukommt. So könnte der Organspender vom potentiellen Empfänger verlangen, dass dieser seinen Kindern eine bessere Ausbildung ermöglicht oder seiner Frau eine Zusatzrente gewährleistet. Es ist davon auszugehen, dass sich bei einer solchen Aussicht die Zahl der Organspender erheblich erhöhen würde. Problematisch erscheint hier die Möglichkeit der Begehung eines Selbstmordes, um den Angehörigen ein besseres Leben zu ermöglichen.318 Dieses Problem könnte man dadurch lösen, dass man im Fall des Suizids die Organe des Verstorbenen nicht zur Transplantation freigibt. Entgegen Schroeder ist eine solche Einschränkung notwendig, um schweres Leid von Familien abzuwenden, in denen ein Mitglied keinen anderen Ausweg sieht, als seine Organe zu verkaufen.319 Hier scheint es daher sachgerecht, den potentiellen Spender vor übereilten Kurzschlussreaktionen zu schützen. Die wohl herrschende Auffassung geht davon aus, dass eine Gegenleistung mit der Freiwilligkeit der Organspende nicht zu vereinbaren sei, vor allem dann nicht, wenn eine akute finanzielle Notlage des Spenders gegeben ist. Es ist aber unklar, warum die Bereitschaft, eine Geldsumme für Körperteile entgegenzunehmen, als solche bereits indiziert, dass das betreffende Individuum nicht autonom entscheiden kann. Immer wieder steht die Vergleichbarkeit gesellschaftlich geduldeter oder gewollter Kommerzialisierung körperlicher Produkte (z. B. Haare, Blutplasma) oder Leistungen, bei denen erhebliche gesundheitliche Risiken durch einen höheren Lohn 315

Ach/Anderheiden/Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 196. König, Organhandel, S. 128; ders., in: Schroth/Gutmann/Oduncu, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 21; Schroth, in: FS-Roxin, S. 878. 317 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S.103. 318 Vgl. Schroeder, ZRP 1997, S. 266. 319 So zutreffend Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 105. 316

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kompensiert werden, mit dem Organverkauf im Vordergrund der einschlägigen Diskussion.320 Die Befunde derartiger Vergleiche mit anderen Formen der Selbstkommerzialisierung enthalten trotzdem keinen zwingenden Schluss zugunsten der Freigabe des Organverkaufs. Der Gesetzgeber kann in Bezug auf verschiedene Lebensbereiche differenzierend vorgehen, je nachdem, wo er die typische Gefährlichkeit als gegeben ansieht.321 Eine Ungleichbehandlung findet auf den ersten Blick auch innerhalb des Heilbehandlungssektors zwischen dem Substanzinhaber und denjenigen Personen statt, die durch Bearbeitung Organteile und Gewebe in eine industrielle Ware verwandeln (§ 17 Abs. 1 S. 2 TPG). Ein umfassendes Verbot zur Verhinderung der Kommerzialisierung von Körpersubstanzen liegt somit nur dort vor, wo ein Mensch sein eigenes Organ verkaufen und selbst davon profitieren möchte. Die unterschiedliche rechtliche Behandlung lässt sich aber dadurch rechtfertigen, dass der Handel mit aufbereiteten Organen und Geweben in der Regel nicht zu Ausbeutungssituationen von potentiellen Spendern und Empfängern führt. Die Käufer, nämlich Pharmaunternehmen oder die Schönheitsindustrie, haben mit dem Spender normalerweise keinen Kontakt. Er oder seine Familie erhält grundsätzlich keine Gegenleistung für die Körpersubstanzen.322 Vielfach wissen sie entweder nichts von der Entnahme oder zumindest ist ihnen nicht bewusst, dass es sich um Material handelt, das für andere wertvoll ist.323 Die Ausnutzung einer gesundheitlichen Notlage bei den Käufern kommt ebenso wenig in Betracht. Schließlich basiert die Gewinnerzielung der Letzteren auf einer eigenständigen Dienst- oder Werkleistung, die hochspezialisiertes Wissen voraussetzt und durch die ein Mehrwert entsteht, der auch außerhalb des Bereichs der Heilbehandlung nicht umsonst zu haben ist.324 Abgesehen davon, dass sich Fallkonstellationen, in denen der Spender nur noch die entgeltliche Organentnahme als Möglichkeit sieht, sich aus seiner finanziellen Notlage zu befreien, für das Inland schwer konstruieren lassen, ist die pauschale Auffassung, die Zuwendung finanzieller Vorteile würde zu einer zwanghaften Annahme von Angeboten führen, nicht plausibel.325 Befürworter eines Organkaufs argumentieren gerade umgekehrt damit, dass das Angebot der Organentnahme gegen Entgelt für den Betroffenen ein mehr an Optionen bedeutete und somit sein Hand320 Vgl. dazu Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 107 ff.; Breyer/van den Daele/Engelhard/Gubernatis u. a., Organmangel, S. 131 f.; Gutmann, Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1993, S. 83; Taupitz, in: ders. (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 3. 321 Dies erkennt auch Schulte, a.a.O., S. 113 Fn. 389. 322 Vgl. König, Organhandel, S. 146, bemerkt, dass die dura mater Objekt finanzieller Interessen des explantierenden Arztes (der vielleicht sogar die Versorgung der Bevölkerung mit im Hinterkopf hatte) und des Unternehmens ist. 323 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 110. 324 Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 91. 325 Kliemt, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 100; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 269.

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lungsspielraum erweitert und nicht eingeschränkt werde.326 Der strittige Punkt liegt hier offensichtlich in der Frage, ob nicht auch zusätzliche Optionen, wenn sie unwiderstehlich sind, unzulässig manipulativ und damit autonomieverletzend sind.327 Faktisch mag es zwar Angebote geben, die so verführerisch sind, dass ihr Empfänger sie nicht ablehnen kann. Diese empirische Tatsache rechtfertigt es noch nicht, finanzielle Anreize normativ einem nötigenden Zwang gleichzusetzen.328 Zwang im normativen Sinn liegt vor, wenn eine Person keine von ihr selbst als vernünftig angesehene Alternative zu dem geforderten Verhalten hat und derjenige, der fordert, Unrecht tut.329 Zwang ist dabei zu unterscheiden von psychischem Druck. Wenn der Betroffene wegen der mit ihr verbundenen hohen Opportunitätskosten eine „schwierige Entscheidung“ zu treffen hat, dann kann man noch nicht von Unfreiwilligkeit sprechen.330 Paradigmatisch dafür ist der geschilderte Fall der kurzfristig zu treffenden Entscheidung einer Mutter für eine lebensrettende Leberspende zugunsten ihres Kindes. Die Probleme bei der Bewertung dieser Situation ergeben sich aus einer Verwechslung von freiwilligen mit „leichten“ Entscheidungen und der Vermengung von innerem Verpflichtungsgefühl und äußerem psychologischem Druck.331 Zwangssituationen gehen zwar grundsätzlich mit solchem Druck einher, dieser ist aber nicht hinreichend, um das Vorliegen von normativ relevantem freiwilligkeitsausschließendem Zwang zu begründen. Der Begriff Zwang zielt phänomenologisch auf etwas anderes als bloßen Druck, nämlich darauf, dass sich eine Person auf ungerechte bzw. unrechtmäßige Weise einer Situation gegenübersieht, in der ihre einzige Wahl darin besteht, ein unakzeptables Opfer zu erbringen, um nicht tun zu müssen, was von ihr verlangt wird.332 Freiwillig zu handeln ist nicht gleichbedeutend damit, unbeeinflusst von Dritten in dem Sinn zu handeln, dass diese nicht die Attraktivität bestimmter Handlungsoptionen verändern bzw. neue Handlungsgründe schaffen. Zwang liegt vielmehr nur dann vor, wenn es sich um eine Form von Einflussnahme handelt, die (moralische bzw. juristische) Rechte des Betroffenen verletzt.333 326

Vgl. LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 121; Breyer/van den Daele/Engelhard u. a., Organmangel, S. 132; Feinberg, Harm to Self, S. 230 f.; Gutmann, Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1993, S. 83; ders., Freiwilligkeit, S. 183; König, Organhandel, S. 49; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 332. 327 Dies bejaht Schöne-Seifert, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 47, ohne sich aber mit den Freiwilligkeitskriterien näher auseinanderzusetzen. 328 Hörnle, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 125. 329 Zu den normativen Theorien des Zwangs vgl. ausführlich Gutmann, Freiwilligkeit, S. 106 ff. 330 Gutmann, Freiwilligkeit, S. 112. Vgl. auch Schroth, in: FS-Volk, S. 729; ders., in: FSHassemer, S. 795. 331 Fateh-Moghadam/Schroth/Gross/Gutmann, in: Patientenautonomie, S. 170 f.; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 31. 332 Gutmann, Freiwilligkeit, S. 115. 333 Gutmann, Freiwilligkeit, S. 151.

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Gutmann hat überzeugend gezeigt, dass der Versuch, den Zwangscharakter von Angeboten aus ihrer ausbeutenden Natur herzuleiten, auf Fehlschlüssen beruht.334 Menschen sind in Notsituationen verletztlich, und sie sind deshalb empfänglich dafür, zum Nutzen anderer schlechte Angebote zu akzeptieren, sich also ausbeuten zu lassen. Ausbeutung ist moralisch anstössig, und die Rechtsordnung reagiert hierauf auf vielfältige Weise. Dies ist aber kein Grund dafür, Ausbeutung mit der Kategorie „Zwang“ zu vermengen. Dem Begriff „Zwang“, nicht aber dem der Ausbeutung ist die Vorstellung einer Einschränkung der Freiheit des Gezwungenen inhärent. Ausbeutung vermindert die Optionen des Ausgebeuteten jedoch nicht als solche. Ausbeutung und Freiwilligkeit sind also kompatibel: man kann sich freiwillig ausbeuten lassen.335 Im Ergebnis ist festzuhalten: Auch wenn man das Verbot des Organverkaufs als abstraktes Gefährdungsdelikt auffassen will, stellt sich das Problem, dass die Entgeltlichkeit des Angebots typischerweise in keinem zwangsläufigen Zusammenhang mit der Freiwilligkeit der Organspende steht.336 Der Durchsetzung des Organhandelsverbots soll auch die strafbewehrte Begrenzung des Spenderkreises bei der Lebendspende von nicht regenerierbaren Organen dienen (§ 8 Abs. 1 S. 2 TPG i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 2 TPG).337 Der Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus, dass Altruismus nur innerhalb eines Geflechts von engen emotionalen Beziehungen vorkommt. Es ist aber übersehen worden, dass im Rahmen enger familiärer Beziehungen wirtschaftliche Überlegungen dennoch eine gewichtige Rolle spielen. Die Möglichkeit, sich im Austausch für die Entnahme eines Organs eine Gegenleistung versprechen zu lassen, ist auch innerhalb verwandtschaftlicher Strukturen vielfältiger, weil die wirtschaftlichen Beziehungen der Beteiligten für Außenstehende nicht transparent sind und sich die finanziellen Anreize zielgerichteter einsetzen lassen als unter fremden Personen.338 So könnte der Ehemann eine Niere nicht nur aus Liebe und Zuneigung hingeben, sondern auch mit dem Ziel, der im gemeinsamen Betrieb arbeitenden Ehefrau zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft zu verhelfen, den früher gepflegten Lebensstandard zu erhalten oder eine brüchig gewordene Beziehung durch das mit der Organspende erbrachte Opfer wieder zu festigen und die mit einer Trennung verbundenen wirtschaftlichen Verwerfungen zu vermeiden.339 Die Beschränkung des Spenderkreises auf Verwandte oder offenkundig nahe stehende Personen ist demnach nicht geeignet, der Gefahr einer Ausbeutung von Notlagen zu begegnen.340 334

Vgl. ausführlich Gutmann, Freiwilligkeit, S. 151 ff. Gutmann, Freiwilligkeit, S. 182. 336 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 336. 337 BT-Drucks. 13/4355, S. 20; BVerfG NJW 1999, S. 3401. 338 Schroth, in: Schünemann/Müller/Philipps (Hrsg.), Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte, S. 40; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 488. 339 König, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 517. 340 Dagegen Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 270, vertritt die Auffassung, dass die Annahme eines Zusammenhangs zwischen dem Fehlen einer 335

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Bedenken gegen die Erforderlichkeit einer solchen Vorschrift bestehen vor allem deshalb, weil die abstrakte Gefahr eines Organhandels bereits durch das Verfahren vor der Lebendspendekommission hinreichend effizient kontrolliert und ausgeschlossen wird (§ 8 Abs. 3 S. 2 TPG). Durch die Notwendigkeit, dass vor jeder Lebendtransplantation eines Organs, das sich nicht weiter bildet, eine Kommission Stellung dazu nimmt, ob Zweifel im Hinblick auf einen Organhandel bzw. die Freiwilligkeit der Entscheidung gegeben sind, wird mit hinreichender Effizienz ausgeschlossen, dass ein Fall verbotenen Organhandels vorliegt.341 Es ist daher absolut überflüssig, den Organhandel auch noch dadurch ausschließen zu wollen, dass man den Spenderkreis begrenzt.342 Die Vorschrift lässt sich nicht als Vorverlagerung des Schutzes durch Bestrafung abstrakt gefährlichen Handelns legitimieren. Das Organhandelsverbot stellt bereits seinerseits ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar, das mit einer äußerst weitreichenden Vorfeldkriminalisierung verbunden ist. Wenn nun der Gesetzgeber durch § 8 Abs. 1 S. 2 TPG i.V.m. § 19 Abs. 2 TPG die altruistische freiwillige Lebendspende verbietet, um den Organhandel auszuschließen, dann will er vor der Gefahr einer Gefahr schützen.343 Mit der strafbewehrten Begrenzung des Spenderkreises werden Ärzte mit Strafe bedroht, die ein Organ entnehmen, obwohl der Organspender freiwillig und altruistisch entschieden hat, sein Organ einem anderen zur Verfügung zu stellen, nur weil die abstrakte Gefahr besteht, dass Dritte (Spender, Empfänger, Vermittler) eventuell Organhandel betrieben haben könnten.344 Einen Arzt für die abstrakte Gefahr strafbar zu machen, dass ein Dritter eventuell Rechtsgüter verletzt, ist mit dem Schuldprinzip nicht in Einklang zu bringen.345 Eine Sanktionierung des Vorfeldes eines Rechtsgüterschutzes lässt sich damit nicht legitimieren. Legitim ist ein indirekter Paternalismus nur dann, wenn dem Normadressaten im Hinblick auf die Verletzung von Rechtsgütern ein zumindest gebesonderen Nähebeziehung i.S.v. § 8 Abs. 1 S. 2 TPG zwischen Spender und Empfänger und der Gefahr des Organhandels i.S.v. §§ 17, 18 TPG nicht den Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers überschreitet. 341 Schroth, in: Gutmann/Schneewind/Schroth (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 137; ders., in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 185; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 406; ders., in: Schünemann/Müller/Philipps (Hrsg.), Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte, S. 41; ders., in: FSSchreiber, S. 847. 342 Schroth, JZ 1997, S. 1153; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 408; FatehMoghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 272. 343 Schroth, in: FS-Böttcher, S. 544; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 487: „Vorfeld des Vorfeldes des Rechtsgüterschutzes“. 344 Schroth, in: FS-Böttcher, S. 544; ders., in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 184; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 408; ; ders., in: Schünemann/Müller/Philipps (Hrsg.), Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte, S. 40; Gutmann, NJW 1999, S. 3389. 345 Schroth, in: Middel/Pühler/Lilie/Vilmar (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 150; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 408; Gutmann/Schroth, Organlebendspende in Europa, S. 17 f.

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fährdendes Verhalten vorgeworfen werden kann.346 Man könnte hiergegen einwenden, dass der Gesetzgeber durch die Beschränkung des Spenderkreises möglicherweise auch verhindern wollte, dass der das Organ entnehmende Arzt selbst Organhandel treibt, die Strafbarkeit sich also auf ein vermutetes Fehlverhalten des Arztes stützen könnte, das lediglich nicht bewiesen werden müsse. Dieser Einwand ließe sich dadurch entkräften, dass die Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Gefährdungsbereich nicht zur Bewältigung prozessualer Schwierigkeiten missbraucht werden darf.347 Nach der Gesetzesänderung durch das Gewebegesetz ist die vorgebrachte Argumentation noch weniger stichhaltig. Während über die Regelung des möglichen Spenderkreises nur die Spende von bestimmten Organen beschränkt ist, soll das Handeltreiben sowohl mit Organen als auch mit Geweben verhindert werden (§§ 1, 1a Nr. 4 TPG). Eine solche Differenzierung lässt sich aber nicht erklären.348 Schließlich hat der Vorwurf zynischer Ausbeutung insofern etwas Zynisches an sich, als es den Spendern eine der wenigen verbleibenden Chancen paternalistisch verwehrt, das eigene Elend zu mindern.349 Das weich paternalistische Argument des Schutzes vor Ausbeutung einer wirtschaftlichen Motlage erscheint zudem besonders deplaziert: Denn es mutet radikal an, den wegen seiner Notlage unfreiwilligen Organspender für seine durch äußeren Zwang beeinflusste Selbstschädigung zu bestrafen.350 Als strafwürdig könnten Organspender und Organempfänger nur dann angesehen werden, wenn sie den anderen ausbeuten. Das in §§ 17, 18 TPG umschriebene Organhandelsverbot setzt jedoch nicht bei der Ausbeutung von Schwächesituationen an. Dieser Schutzzweck ist kein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes. Pönalisiert wird vielmehr der Handel an sich und damit ungeachtet der Gegebenheiten des Einzelfalls die freiwillige Vereinbarung jeglichen objektiv messbaren Vorteils.351 Unterstellt man aber, dass durch das strafbewehrte Verbot des Organhandels die Ausnutzung von Notlagen unterbunden werden soll, hätte man ein 346 Schroth, in: FS-Böttcher, S. 544; ders., in: Gutmann/Schneewind/ Schroth (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 137 f. 347 Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 271. 348 Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 487. 349 NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 94; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 332. Mit Recht fragt sich Schöne-Seifert, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 47, ob man den Ärmsten und Armen diese Option vorenthalten darf, solange man am Kontext der unfairen Einkommensverhältnisse nichts geändert hat. Vgl. auch Ried, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 193. 350 Hesel, Untersuchungen, S. 324; König, Organhandel, S. 129; Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz, S. 162; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 334. 351 König, Organhandel, S. 129; Schroeder, ZRP 1997, S. 266; Schroth, JZ 1997, S. 1150; ders., in: FS-Roxin, S. 878; ders., in: Middel/Pühler/Lilie/Vilmar (Hrsg.), Novellierungsbedarf, S. 146; ders., in: Gutmann/Schneewind/Schroth (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 141; ders., in: FS-Androulakis, S. 681; ders., Schubert (Hrsg.), Medizin zwischen Ethik, Technik und Kommerz, S. 66; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 404 f.; Hesel, Untersuchungen, S. 318.

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an die Struktur des Wuchers angelehntes Verbot schaffen müssen.352 Der Unrechtsgehalt des Wuchers liegt darin, dass ein Täter eine individuelle Schwächesituation des Opfers materiell dazu ausnutzt, für seine eigene Leistung eine deren Wert übersteigende Gegenleistung zu gewinnen. Mit einer solchen Strafrechtsnorm würde die Autonomie der Entscheidung des Spenders und Empfängers sinnvoll geschützt. Es ist aber unsinnig, den Handel an sich zu pönalisieren, denn der Handel mit Organen bedeutet nicht per se eine Ausnutzung von gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Notlagen.353 Nur wenn die Notlage eines Spenders oder Empfängers ausgebeutet wird, liegt eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Rechtsgutsinhabers vor. Soll das Strafrecht dem Rechtsgüterschutz verpflichtet sein, so muss die Ausbeutung von Notlagen sanktioniert werden und nicht der Organhandel schlechthin. Das Argument der Verhinderung der Ausbeutung von existentiellen Notlagen vermag daher die §§ 17, 18 TPG nicht zu legitimieren. 4. Schutz vor Selbstkorrumpierung (weicher Paternalismus) Wenn sich die in der Gesetzesbegründung genannten Schutzgüter schwer tun, das Verbot des Organhandels zu legitimieren, so ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein unbegrenzter Organmarkt erhebliche Gefahren für die potentiellen Spender und Empfänger mit sich brächte.354 Würde das Handeltreiben mit Organen auf einem freien Markt zugelassen, so erhielten Organspender angesichts der durch einen Mangel an Organen gekennzeichneten Marktsituation die Möglichkeit, in kurzer Zeit mit wenig Aufwand viel Geld zu verdienen. Andererseits wären die Organempfänger bereit, jeden Preis zu bezahlen, um möglichst schnell an das begehrte Organ zu gelangen. Es bestünde die Gefahr, dass sie Entscheidungen träfen, die nicht in ihrer Person wurzeln, sondern in ihrem Leidenszustand. Beide Seiten stehen daher in der Gefahr, sich um kurzzeitiger Ziele willen selbst zu korrumpieren.355 Mit dem Verbot des Organhandels soll verhindert werden, dass Menschen diesen Anreizen ausgesetzt werden. Damit werden die Rahmenbedingungen geschaffen, unter denen die Beteiligten ihre Entscheidung über die Spende oder den Empfang des Organs unbeeinflusst von der Gefahr der Selbstkorruption treffen und damit ihre Autonomie erst 352 Vgl. für den Vorschlag eines Organwuchertatbestandes ausführlich König, Organhandel, S. 249 ff.; Schroth, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 186; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 109 ff. 353 Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 87; Schroth, in: FS-Roxin, S. 878; ders., JZ 1997, S. 1150. 354 Schroth, in: FS-Roxin, S. 879 f.; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 385 f.; ders., in: FS-Böttcher, S. 537. 355 Schroth, in: FS-Roxin, S. 879 f.; ders., in: FS-Schreiber, S. 851 f.; ders., in: Gutmann/ Schneewind/Schroth (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 121 f.; ders., JZ 2004, S. 469; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 385 f.; ders., in: Schubert (Hrsg.), Medizin zwischen Ethik, Technik und Kommerz, S. 67; Zillgens, Lebendorganspende, S. 322.

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wahrnehmen können.356 Unter diesem Aspekt wäre das Organhandelsverbot als Akt des direkten, jedoch weichen Paternalismus zu qualifizieren, da die Autonomie der potentiellen Spender und Empfänger respektiert und lediglich dahingehend eingeschränkt wird, dass finanzielle Erwägungen bei ihrer Entscheidung über eine Organspende keine Rolle spielen dürfen, weil sonst die Gefahr einer Selbstkorruption besteht.357 Zielt der weich paternalistische Begründungsstrang darauf ab, zu verhindern, dass Organspender oder -empfänger unfreiwillig entscheiden, muss näher geprüft werden, ob es sich um eine autonomieorientierte Norm handelt, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt und daher als Begründung für das umfassende Organhandelsverbot ausreicht. Der weiche Paternalismus wäre insofern als Erweiterungsprinzip der Kriminalisierung zu verstehen, als auch die Beteiligten, die sich selbstbestimmt für die Transplantation entscheiden, durch das strafbewehrte Verbot des Organhandels in ihrer Selbstverfügungsfreiheit eingeschränkt werden, weil und wenn der Schutz derer, die sich nicht freiverantwortlich selbst gefährden, nur in Form eines abstrakten Gefährdungsdelikts garantiert werden kann. Selbst wenn die Gefahr einer defizitären Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann, ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zu dem umfassenden Organhandelsverbot für die Erreichung des Ziels gleich geeignet ist. Erforderlich wäre ein solches abstraktes Gefährdungsdelikt nur dann, wenn im Hinblick auf Spender und Empfänger der Gefahr einer Selbstkorrumpierung nicht anders als durch ein generelles Verbot begegnet werden kann, das im Einzelfall auch autonome Selbstverfügungen verhindert. Deshalb stellt sich die weitergehende Frage, ob der Gesetzgeber die Freiwilligkeit z. B. einer Spendeentscheidung widerlegbar vermuten darf oder ob diese durch ein angemessenes Verfahren im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen ist. Zweifel hinsichtlich der Freiwilligkeit des Spenders im Fall des entgeltlichen Organhandels könnten aber gerade durch Einschaltung einer Gutachterstelle aufgehoben werden, so dass eine Phase der Reflexion und der Abwägung gesichert wird.358 Zwischen der ersten Entscheidung für die Organspende und der Explantation muss eine Zeitspanne liegen, innerhalb derer die autonome Willens-

356 Schroth, in: FS-Roxin, S. 881 f.; ders., in: Gutmann/Schneewind/Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 122; ders., in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 283; ders., in: Middel/Pühler/Lilie/Vilmar (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 145; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 2007, S. 404; Schroth/Schneewind/Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 120; Schroth/König/Gutmann-König, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 22; zustimmend Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 435. 357 Schroth, in: FS-Roxin, S. 882; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 436; a.A. Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 138, die insofern einen unzulässigen harten Paternalismus sieht, als finanzielle Erwägungen die Autonomie einer Entscheidung grundsätzlich unberührt ließen. 358 Kliemt, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 100 f.; Schroeder, ZRP 1997, S. 266; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 115; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 337.

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bildung des potentiellen Spenders sorgfältig geprüft werden muss.359 Eine solche verfahrensrechtliche Absicherung der Freiwilligkeit der Entscheidung von Spendern und Empfängern greift weniger intensiv in das Selbstbestimmungsrecht ein und ist genauso geeignet, die Gefahr einer Selbstkorrumpierung auszuschließen, wie das absolute Organhandelsverbot in Form eines abstrakten Gefährdungsdelikts, so dass Letzteres im Rahmen der Verfassungsmäßigkeitsprüfung als nicht erforderlich zu bewerten ist. Sollen potentielle Spender und Empfänger vor der abstrakten Gefahr der Selbstkorrumpierung geschützt werden, erscheint es letztlich unzumutbar, sie unter Strafe zu stellen. Hiergegen könnte behauptet werden, dass über das Organhandelsverbot unterschiedliche Personenkreise vor Selbstkorrumpierung geschützt werden sollen, nämlich Organspender einerseits und Organempfänger andererseits. Argumentiert man auf diese Weise, wird aus dem Schutz der konkreten Autonomie von Organempfänger und Organspender der Schutz eines überindividuellen Rechtsguts, nämlich das Rechtsgut der „Autonomie als solcher“ bei der Entscheidung für eine Organspende.360 Diese Begründung ist aber immer noch direkt paternalistisch und insofern problematisch.361 Es erscheint absurd, die Rahmenbedingungen der Autonomie bei der Organspende unter weich paternalistischen Gesichtspunkten sichern zu wollen, indem eine Schwächesituation des Spenders und des Empfängers unterstellt wird, und sie dennoch zu bestrafen. Damit lässt sich allenfalls die Strafbarkeit der an dem Organhandel beteiligten Ärzte oder Vermittler begründen, die eindeutig strukturell überlegen sind und die Notlage von Spender und Empfänger ausnutzen. Der Gesetzgeber selbst hat dies als nicht unproblematisch empfunden und in § 18 Abs. 4 TPG ein Absehen von Strafe bzw. eine Strafmilderung für Spender und Empfänger vorgesehen. Diese Vorschrift ist wohl auf das schlechte Gewissen zurückzuführen, das der Gesetzgeber aufgrund der weitgehenden Pönalisierung von Spendern und Empfängern mittels eines direkten Strafrechtspaternalismus haben musste.362 Nicht geregelt ist indes, nach welchen Kriterien die Strafe gem. § 49 Abs. 2 StGB gemildert bzw. ganz von Strafe abgesehen werden kann (vergleichbar vage § 86 Abs. 4, § 86 a Abs. 3, § 236 Abs. 5 StGB). Es ist daher zweifelhaft, ob die Regelung des § 18 Abs. 4 TPG dem Grundsatz rechtsstaatlicher Tatbestandsbestimmtheit des Art. 103 Abs. 2 GG entspricht.363 Das Bestimmtheitsgebot gilt ebenso 359

Breyer/van den Daele/Engelhard u. a., Organmangel, S. 133 f. Schroth, in: FS-Roxin, S. 881 f. 361 Dies räumt selbst Schroth, in: FS-Roxin, S. 882 ein. Kritisch auch Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 351. 362 So ausdrücklich Schroth, JZ 1997, S. 1151; ders., in: FS-Roxin, S. 881; ders., in: Roxin/ Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 482; König, Organhandel, S. 213; Schroth/König/Gutmann/Oduncu-König, TPG, §§ 17, 18 Rn. 66. 363 Roxin, AT I4, § 5 Rn. 67 ff.; Schroth, in: Gutmann/Schneewind/Schroth (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 141; ders., in: FS-Roxin, S. 881; König, in: 360

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für die Rechtsfolgen einer Tat, auch wenn diese eine etwas größere Unbestimmtheit als Strafbarkeitsvoraussetzungen haben dürfen. Das Verbot unbestimmter Strafgesetze und Strafen soll den Bürger vor der Willkür des Staates schützen. Im Falle unbestimmter Rechtsfolgenanordnungen ist dem Bürger keine Abschätzung der ihn möglicherweise treffenden Folgen möglich. Gegen eine Regelung, die es dem Gericht erlaubt, von Strafe abzusehen, ist nichts einzuwenden. Der Gesetzgeber muss aber ein normatives Kriterium dafür bereitstellen, wann von Strafe abgesehen werden kann. Eine solche Regelung widerspricht zugleich auch dem Grundsatz der Gewaltenteilung, da Richtern beliebige Rechtsanwendungsregeln gestattet sind.364 Es genügt außerdem nicht, wenn in den Gesetzesmaterialien Eckpunkte genannt sind, unter denen von Strafe abgesehen werden kann. Diese Kriterien sind obendrein wenig plausibel. Nach Auffassung des Gesetzgebers kann ein Grund gegeben sein, von Strafe abzusehen, wenn der Organempfänger Geld bezahlt hat und das begehrte Organ zur Rettung seines Lebens dringend benötigt. Es wird jedoch übersehen, dass bei dieser Sachlage der Organempfänger ohnehin bereits nach § 34 StGB gerechtfertigt ist: Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben Geld für ein Organ bezahlt, das der Organspender freiwillig und ohne Lebensgefahr spendet und damit eine Tat begeht, um diese Gefahr von sich abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig.365 § 18 Abs. 4 TPG erscheint in einem solchen Fall daher überflüssig. Das wahre Motiv der Regelung scheint deshalb darin zu liegen, bereits auf materiellrechtlicher Ebene eine Flexibilisierung der Rechtsanwendung zu erreichen.366 5. Schutz des Pietätsgefühls der Allgemeinheit Nach den gesetzgeberischen Erwägungen soll das strafbewehrte Organhandelsverbot auch dem Schutz des Pietätsgefühls der Allgemeinheit dienen.367 Fraglich ist bereits, ob dieser Aspekt im Hinblick auf seine Vagheit bei der Begründung der Strafbarkeit eine entscheidende Rolle spielen kann.368 Gerade in der modernen, säkularisierten Gesellschaft lässt sich ein Konsens über den angemessenen Umgang Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 520; Schroth/König/Gutmann/ Oduncu-König, TPG, §§17, 18 Rn. 66. 364 Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 483; Schroth/ König/Gutmann/Oduncu-König, TPG, §§ 17, 18 Rn. 66; a.A. Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 179 f., sieht dagegen den Richter in Anbetracht der Vorschrift des § 46 StGB an den aus den Gesetzesmaterialien deutlich werdenden gesetzgeberischen Willen gebunden. 365 Schroth, JZ 1997, S. 1151; Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 18 Rn. 6. 366 Hesel, Untersuchungen, S. 327. 367 BT-Drucks. 13/4355, S. 15, 29. 368 Kritisch zur Pietät als eigenständiges Schutzgut Schroth/König/Gutmann-König, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 19; MK-Tag, TPG, § 18 Rn. 9; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 352; vgl. auch MK-Hörnle, § 168 Rn. 1; dies., Grob anstössiges Verhalten, S. 368.

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mit den Toten schwer feststellen.369 Abgesehen davon, dass es höchst problematisch erscheint, reine Gefühle als strafschutzwürdige Rechtsgüter anzuerkennen370, ist unklar, warum die Pietät verletzt sein soll, wenn ein Spender sich gegen Geld dazu bereit erklärt, zu Lebzeiten oder nach seinem Tod ein Organ zu spenden.371 Weder das postmortale Persönlichkeitsrecht noch die Würde, an der auch der Leichnam in gewisser Weise noch teilhat, sind in einem Fall verletzt, in dem der Betroffene in die Organentnahme wirksam eingewilligt hat.372 Es würde sich um direkten, harten strafrechtlichen Paternalismus handeln, der die wirksam erteilte Einwilligung des Verstorbenen übergeht.373 Insofern vermag das Scheinrechtsgut des Pietätsgefühls der Allgemeinheit das absolute Organhandelsverbot nicht zu rechtfertigen, zumal es (wenn überhaupt) nur die Strafbarkeit des Organempfängers, des Arztes und des skrupellosen Händlers in dem Fall der postmortalen Organspende erklären könnte.374 Auch hinsichtlich der Organentnahme ohne oder gegen den Willen des Verstorbenen kommt der Schutz des Pietätsgefühls der Allgemeinheit nicht in Betracht. Dass gravierendes Fehlverhalten gegenüber Toten verboten werden kann, ist auch ohne das „Pietätsgefühl“ der Angehörigen bzw. der Allgemeinheit zu begründen. Entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das ein über den Tod hinaus bestehendes Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG ausdrücklich verneint hat,375 kann man davon ausgehen, dass die Auswirkungen des Selbstbestimmungsrechts nicht automatisch mit dem Tode enden.376 Art. 2 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht, zu Lebzeiten Entscheidungen für postmortale Angelegenheiten zu treffen, die nach dem Tod verbindlich sind.377 Das Selbstbestimmungsrecht bezieht sich auch auf die Frage einer postmortalen Organentnahme. Diese Entscheidung ist höchstpersönlicher Natur und darf einem mündigen Individuum nicht genommen werden. Wenn der Leichnam eines Menschen „ausgeschlachtet“ wird, ist seine über den Tod hinaus wirkende Menschenwürde bzw. sein postmortales Persönlichkeitsrecht tangiert.378 369

Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 87. Vgl. Roxin, AT I4, § 2 Rn. 26 ff.; ders., in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, S. 141 f.; ders., in: FS- Hassemer, S. 579 f. 371 Schroth, JZ 1997, S. 1151; Schroth, in: FS-Roxin, S. 871 f.; Schroth/König/GutmannKönig, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 19; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 433. 372 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 73 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 54. 373 Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 175, bemerkt richtig, dass eine Berufung auf das Sittengesetz ausscheiden muss, wenn die kommerzialisierte Gesamtverwertung des Leichnams mit einer vom Verstorbenen zu Lebzeiten erteilten Einwilligung vorgenommen wird. 374 Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 158. 375 BVerfGE 30, 173, 194; BVerfG NJW 2001, S. 2959. 376 Hörnle, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 276. 377 Starck, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 43. 378 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 73 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 54; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 61; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 22; Zippelius, BK-GG, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rn. 53; Vgl. auch Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 168 ff.; MK-Hörnle, § 168 Rn. 1. 370

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Es sind gerade diese überlebenden Interessen des Toten, die es uns verbieten, mit seinem Leichnam nach Belieben zu verfahren und ihm ohne oder gegen seinen Willen Organe oder andere Körpersubstanzen zu entnehmen. Auf die Gefühle einer Mehrheit der Bevölkerung oder ein gesellschaftliches Tabu in Bezug auf den Umgang mit Verstorbenen kommt es also nicht an.379 Es ist zudem fraglich, ob das Schutzgut „Pietätsempfinden der Allgemeinheit“ im Bereich der Lebendspende überhaupt eine Rolle spielt.380 Es kann vielmehr behauptet werden, dass gerade das mit materiellen Werten bekräftigte „Dankeschön“ für die Organspende dem allgemeinen Pietätsgefühl eher entspricht.381 Sofern nicht ein Fall der Ausbeutung vorliegt, dürfte die Allgemeinheit dem Kauf eines Organs durch einen Todkranken oder dem Verkauf des Organs durch einen in Not befindlichen Spender nicht mit absolutem Unverständnis begegnen.382 Die Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung des Organspenders durch den Empfänger könnte überdies helfen, den psychologischen Dankesdruck zu verringern. Auch der Anwendungsbereich des Transplantationsgesetzes in seiner ursprünglichen Fassung spricht gegen dieses Rechtsgut als tragfähige Begründung des Organhandelsverbotes. Gerade auf den Verkauf von embryonalen und fetalen Organen, der sicher einen Sturm der Entrüstung in der Öffentlichkeit hervorrufen würde, war das Organhandelsverbot nicht anwendbar.383 Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des TPG auf Embryonen und Feten könnte zwar ein Indiz dafür sein, dass das Pietätsempfinden der Allgemeinheit nun Schutzgut des Organhandelsverbotes sein soll. Aus der Gesetzesbegründung geht eine solche Zielsetzung jedoch nicht hervor. Vielmehr ist die Entnahme und Verarbeitung von embryonalem und fetalem Gewebe auch in der neuen Fassung des TPG nicht ausgeschlossen. Folglich sind die Änderungen durch das Gewebegesetz im Jahre 2007 kein zwingender Grund zur Anerkennung des Pietätsgefühls der Allgemeinheit als geschütztes Rechtsgut des Organhandelsverbotes.384 6. Bekämpfung des Organhandels in Schwellenund Entwicklungsländern Der enorme Bedarf an Spendeorganen und das knappe Angebot an legalen Organgaben befördern die Tendenz, dass Menschen in Länder mit niedrigeren re379

Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 199. König, Organhandel, S. 125; Schroth/König/Gutmann-König, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 19; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 193; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 433. 381 So König, Organhandel, S. 125. 382 König, Organhandel, S. 125; Schroth/König/Gutmann-König, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 19. 383 Vgl. dazu Schroth, in: FS-Roxin, S. 872; König, Organhandel, S. 125 f. 384 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 195. 380

B. Besonderer Teil

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gulativen Anforderungen ausweichen. Das Bestehen von Organhandel und kommerziellem Organtourismus in mehreren Staaten der „Dritten Welt“, wie etwa in Indien, im Irak, in der Türkei, in Pakistan, in Südafrika und in der Volksrepublik China, kann nicht geleugnet werden.385 Patienten aus den westlichen Industrienationen, aber auch aus den arabischen und den südasiatischen Staaten reisen in fremde Länder, um sich dort Organe transplantieren zu lassen. § 5 Nr. 15 StGB, der durch § 24 TPG neu eingeführt wurde, sorgt für die strafbewehrte Geltungskraft des Organund Gewebehandelsverbotes im Ausland. Danach fällt der strafbare Organhandel unter jene Straftaten, für die das deutsche Strafrecht auch dann gilt, wenn sie von einem Deutschen im Ausland begangen wurden. Die Verwirklichung des gesetzgeberischen Ziels der Bekämpfung des Organhandels in anderen Ländern ist also möglich, da sich die strafbewehrte Verhaltensnorm auch dann an Deutsche richtet, wenn sich diese im Ausland aufhalten. Soweit in den Entwürfen darauf verwiesen wird, dass die verwerfliche Ausnutzung von Notlagen von Organspendern in der Dritten Welt das strafbewehrte Verbot des Organhandels erforderlich mache386, überzeugt diese Argumentation nicht. Zum einen lässt sich durch eine Strafvorschrift in Deutschland eine skrupellose Ausbeutung von Personen in der Dritten Welt nicht verhindern. Ein derartiger Tatbestand dient lediglich dazu, das diesbezügliche schlechte Gewissen zu beruhigen.387 Zum anderen müsste erst der empirische Nachweis erbracht werden, dass ausnahmslos jeder Handel mit Organen in der Dritten Welt von derart verwerflichen Motiven getragen ist, damit ein legitimes Kriminalisierungsbedürfnis angenommen werden kann.388 Der Haupteinwand ist jedoch darin zu sehen, dass zur Erreichung des angestrebten Zwecks weniger grundrechtseinschränkende Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. So könnte man nur solche ausländischen Organspender zulassen, die im Inland von einer staatlichen Gutachterstelle gehört wurden und sich tatsächlich freiwillig für den Organverkauf entscheiden.389 Auch bei der Festlegung des Entgelts könnten die Spender von der Gutachterstelle betreut werden. Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob diese prozedurale Lösung in gleicher Weise geeignet ist, die Gefahren defizitärer Entscheidungen von Spendern aus der Dritten Welt ebenso effektiv auszuschließen wie ein absolutes Organhandelsverbot. Schwierigkeiten ergeben sich vor allem bei dem Versuch, die Grenze der verwerflichen Ausnutzung einer Notlage genau zu definieren. Das Vorliegen einer finanziellen oder sozialen Notlage dürfte in der Praxis schwer beweisbar sein und eine Recherche vor Ort wäre besonders kostspielig und zeitaufwändig. Selbst dann wäre es noch keineswegs 385

Vgl. Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 101 m.w.N. BT-Drucks. 13/4355, S. 15. 387 Schroeder, ZRP 1997, S. 267; Schroth, in: FS-Roxin, S. 878 f.; ders., JZ 1997, S. 1150; ders., in: Gutmann/Schneewind/Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 121; ders., in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 169; ders., in: Schubert (Hrsg.), Medizin zwischen Ethik, Technik und Kommerz, S. 66. 388 Schroeder, ZRP 1997, S. 267. 389 So Schroeder, ZRP 1997, S. 267. 386

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

gewährleistet, dass potentielle Hintermänner, sei es der Vermittler oder der Ehemann, der heimlich Zwang auf seine Frau ausübt390, entdeckt würden.391 Bei den Organhändlern handelt es sich meistens um Verbrechensorganisationen mit undurchschaubaren Strukturen, so dass ihre Tätigkeit weltweit verschleiert wird. Unter Effektivitätsgesichtsgesichtspunkten ist daher ein absolutes Organhandelsverbot vorzuziehen. Teilweise wird der Organhandel in der Dritten Welt zu einer Form „Entwicklungshilfe“ stilisiert. Es sei zynisch und heuchlerisch, armen Menschen diese Chance eines Gelderwerbs und der Verbesserung ihrer Lebensqualität vorzuenthalten.392 Man nötige durch ein Verbot des Organverkaufs Menschen dazu, in Umständen zu leben, die sie selbst als schlechter einschätzen als den Verkauf einer Niere. Demgegenüber ist einzuwenden, dass es keinerlei empirische Belege dafür gibt, dass Menschen durch einen Organverkauf besser gestellt werden und sich aus sozialen Notlagen befreien können.393 Menschen, die oft weder lesen noch schreiben können, werden durch einmalige Geldzahlungen prekären Lebensverhältnissen höchstwahrscheinlich nicht entkommen können. Der Rekurs auf ein kollektives Rechtsgut erscheint trotzdem besonders problematisch, da es letztlich um den Individualrechtsgüterschutz der in diesen Ländern lebenden Menschen geht. Die gesetzgeberischen Ziele „Schutz der körperlichen Integrität“ und „Schutz vor Ausbeutung existentieller Notlagen“ wurden jedoch bereits auf ihre Eignung zur Rechtfertigung des Organhandelsverbotes überprüft und zurückgewiesen. Folglich kommt der Bekämpfung des Organhandels in Schwellenund Entwicklungsländern keine eigenständige Schutzrichtung zu, es handelt sich vielmehr um ein Scheinrechtsgut, das letztlich auf den Schutz von Individualrechtsgütern des Organspenders zurückzuführen ist.394 7. Schutz der Integrität der Transplantationsmedizin Mit dem Organhandelsverbot soll die Transplantationsmedizin auch vor dem Anschein sachfremder Erwägungen bewahrt werden.395 Mit der Kommerzialisierung wachse die Gefahr, dass „die Verteilung lebenswichtiger Organe ungeachtet therapeutischer Dringlichkeit an die finanzielle Leistungsfähigkeit potentieller Empfänger geknüpft wird“.396 Damit verweist der Gesetzgeber auf die Abhängigkeit des Transplantationswesens von einem entsprechenden Vertrauen der Bevölkerung. Ist 390

Vgl. Schneider, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 116. Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 140. 392 Schroeder, ZRP 1997, S. 265 f. 393 Vgl. Schneider, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 116. 394 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 185; in diese Richtung eher Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 160. 395 BT-Drucks. 13/4355, S. 24. 396 BT-Drucks. 13/4355, S. 15. 391

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die Transplantationsmedizin von der Spenderbereitschaft und damit vom Vertrauen der Bevölkerung abhängig, kann die Integrität des Transplantationswesens durch den bloßen Verdacht kommerzieller Interessen in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Entgegen der Auffassung Schroths397 handelt es sich sehr wohl um ein eigenständiges Rechtsgut der Allgemeinheit, denn seine Beeinträchtigung gefährdet einen Teilbereich der medizinischen Versorgung und damit ein gewichtiges Interesse des Gemeinwohls.398 Dieser Aspekt ist im Bereich der postmortalen Organspende von entscheidender Bedeutung, weil altruistische Spender durch eine mögliche Entgeltzahlung abgebracht werden könnten, wenn sie darauf vertrauen, dass die gespendeten Transplantate allein nach therapeutischer Dringlichkeit verteilt werden. Auch Angehörige könnten sich dem Verdacht ausgesetzt werden, die Organe des Verstorbenen zu veräußern und deshalb ihre Zustimmung zu einer Entnahme von Organen ihres Angehörigen nach seinem Hirntod verweigern.399 Das Argument muss angesichts bestimmter Indikatoren für derartige Verdrängungseffekte also ernst genommen werden. Die Spendebereitschaft ist heutzutage in der Tat sehr gering. Die Organspende ist ein ethisch schwieriges Thema. Daher befassen sich viele Menschen gar nicht damit und besprechen es auch nicht mit ihren Angehörigen. Dem Argument des Verdrängungseffekts kann entgegengehalten werden, dass schon jetzt der Anteil der Bürger, die einen Spenderausweis haben, äußerst gering ist. Die intrinsische Motivation kann also faktisch nicht allzu stark sein, so dass kein besonderer Rückgang bei der postmortalen Spende befürchtet werden muss.400 Die Möglichkeit einer Gegenleistung könnte nun dazu führen, dass sich mehr Menschen mit der Organspende auseinandersetzen und sich explizit dazu äußern. Es ist zu erwarten, dass die Zustimmungsbereitschaft der Angehörigen wächst, wenn sie die Auffassung des Verstorbenen kennen.401 Für die Bereitschaft zur Lebendspende ist der Vertrauensaspekt dagegen von untergeordneter Bedeutung. Die Spende wird in Bezug auf einen begrenzten Empfängerkreis geleistet, so dass der Spender sein Organ nicht einem Allokationssystem anvertrauen muss.402 Die Lebendspende ist trotzdem nicht in der Lage, einen stetigen Rückgang postmortaler Organspenden zu kompensieren. Der Gesetzgeber sah daher in der Pönalisierung des Organhandels eine wichtige Bedingung, um die in der Bevölkerung bestehende Zurückhaltung bei der Organspende zu überwinden. Zu diesem Zweck ist ein Handelsverbot zweifellos geeignet. Es muss jedoch näher untersucht werden, ob ein absolutes Organhandelsverbot zum Schutz des Vertrauens der Bevölkerung in die Transplantationsmedizin erforderlich ist. Es ist nicht auszuschließen, dass bei einer begrenzten Zulassung des Organhandels die 397

Schroth, in: FS-Roxin, S. 871. So auch Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 188 f.; Zillgens, Lebendorganspende, S. 266. 399 Schöne-Seifert, in: Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung, S. 46. 400 Breyer/van den Daele/Engelhard/Gubernatis u. a., Organmangel, S. 137. 401 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbots, S. 187. 402 Zillgens, Lebendorganspende, S. 265. 398

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Spendebereitschaft gefördert und das Transplantationswesen vor dem Anschein sachfremder Erwägungen bewahrt werden könnte, solange die Kriterien klar definiert sind, die für eine Transplantation erfüllt sein müssen. Die Transplantation eines gehandelten Organs könnte der strengen Kontrolle einer staatlich überwachten Gutachterstelle unterliegen, die die Kompatibilität des gespendeten Organs, die Eignung des Empfängers oder auch die Einhaltung einer Warteliste überprüfen würde.403 Diese weniger restriktive Alternative, die einen staatlich regulierten Markt ermöglichen würde, wäre zum Schutz der Integrität der Transplantationsmedizin gleich geeignet. Es ist also festzuhalten, dass die Integrität der Transplantationsmedizin das Verbot eines freien Marktes rechtfertigen kann. Gegen einen staatlich regulierten Markt spricht dieses Rechtsgut jedoch nicht. Damit ist noch nicht gesagt, dass dieses Verbot mit den Mitteln des Strafrechts durchgesetzt werden darf.404 Der Gesetzgeber führt selbst an, dass Verstöße der Transplantationszentren gegen die Eigenbindung, keine gehandelten Organe zu implantieren, nicht bekannt geworden seien.405 Darüber hinaus stünde das ärztliche Standesrecht zur Verfügung, um derartige Verstöße zu sanktionieren.406 Die Gesetzesbegründung führt weiterhin aus, dass „eine Relativierung der medizinischen Indikation nicht hingenommen werden könne“, weil dies zu einer ZweiKlassen-Medizin führe.407 Die Verhinderung eines sozial ungerechten Zweiklassensystems im Transplantationswesen ist zweifellos ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers. Es ist allerdings fraglich, ob einer Privilegierung der Reichen im Bereich der Transplantationsmedizin mit strafrechtlichen Mitteln entgegengewirkt werden darf. Dabei ist zu beachten, dass Privatpatienten immerhin eine bessere medizinische Versorgung erhalten und Ansprüche auf Sonderleistungen haben.408 Soll man die Wohlhabenden mit der Argumentation sterben lassen, dass sich die Armen ihre Rettung nicht erkaufen können? Dies wäre ein besonders zynisches Solidaritätsverständnis. Sofern sich der Neffe zur Organentnahme bereit erklärt, weil ihm der wohlhabende Onkel eine größere Summe anbietet, wird niemand benachteiligt. Das Organ stünde ohne Kommerzialisierung niemandem zur Verfügung. In 403 Roth, Eigentum an Körperteilen, S. 87; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbots, S. 189. 404 Für die Trennung der Legitimationsanforderungen zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen vgl. Appel, Verfassung, S. 79 ff.; Frisch, in: FS-Stree/Wessels, S. 82 ff.; Lagodny, Strafrecht vor dem Schranken der Grundrechte, S. 78 ff. 405 BT-Drucks. 13/4355, S. 24. 406 König, Organhandel, S. 126; Schroth/Gutmann/Oduncu-König, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 20; Pfeiffer, Lebendorganspende, S. 159; Schroth, in: FS-Roxin, S. 871; Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbots, S. 191; Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 435. 407 BT-Drucks. 13/4355, S. 24. 408 Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbots, S. 186 Fn. 710; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 355.

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einem freiheitlichen Gemeinwesen kann es nicht Aufgabe des Staates sein, Vorteilen entgegenzuwirken, die sich aus einer besseren finanziellen Situation ergeben, sondern es kann nur darum gehen, auf eine möglichst gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung hinzuwirken.409 Nur dann, wenn Organe und Gewebe frei auf dem Markt für jeden zugänglich sind und der potentielle Empfänger sich eigenverantwortlich um ein Transplantat bemühen muss, haben finanziell schwache Menschen eine wesentlich geringere Chance, ein Transplantat zu erhalten.410 Auf einem staatlich beaufsichtigten oder staatlich koordinierten Markt mit Preisfestsetzungen ist das Entstehen einer Zwei-Klassen-Medizin im Transplantationswesen sehr unwahrscheinlich. In diesem Fall bliebe die medizinische Indikation auch weiterhin maßgebliches Kriterium bei der Frage der Allokation. Wenn der Staat die Kosten dafür nicht tragen kann, soll dies offen gesagt und nicht die Gewährung einer Gegenleistung für die Organgabe als unmoralisch gebrandmarkt werden.411

8. Zwischenergebnis Das in den §§ 17, 18 TPG aufgestellte Organhandelsverbot ist in weiten Teilen eine undifferenzierte, hart paternalistische Strafnorm. Die Zielsetzung, die körperliche Unversehrtheit des potentiellen Organspenders zu schützen, ist ohne weiteres im Hinblick auf das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht problematisch. Ausgangspunkt muss der Respekt vor der autonomen Entscheidung des Organspenders sein. Wenn rechtswirksam in die Organentnahme eingewilligt wird, darf der Staat das Individuum nicht daran hindern. Aber auch bei fehlender Wirksamkeit der Einwilligung erscheint es absurd, den Spender zum Adressaten einer Verbotsnorm zu machen. Genauso wenig überzeugt es, wenn auf den Schutz der Menschenwürde des Spenders abgestellt wird. Die Kommerzialisierung eigener Körpersubstanzen gerät nicht in Konflikt mit der Menschenwürdegarantie, sofern ein autonom gebildeter Wille des Spenders zugrundeliegt. Ob ein Willensentschluss nur dann frei sein können soll, wenn er unabhängig von finanziellen Anreizen gefasst wurde, ist äußerst fragwürdig. Es ist nicht einzusehen, warum die Zubilligung von Gegenleistungen altruistische Motive in jedem Fall ausschließen soll. Die manipulierende Wirkung positiver Verhaltensanreize rechtfertigt es nicht, diese einem nötigenden Zwang gleichzusetzen, sofern keine akute finanzielle Notlage vorliegt. Es handelt sich der Sache nach um eine Fassade für rechtsmoralistische Erwägungen in Bezug auf den richtigen Umgang mit dem menschlichen Körper. Als strafwürdig könnten Organspender und Organempfänger nur dann angesehen werden, wenn sie den anderen bewuchern. Das strafbewehrte Organhandelsverbot trifft jedoch mit seiner undifferenzierten Reichweite auch Personen, die nicht die wirtschaftliche Notlage eines potentiellen Spenders oder die gesundheitliche Not409 410 411

König, Organhandel, S. 116. Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbots, S. 186. Schroeder, ZRP 1997, S. 267.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

lage eines Empfängers ausbeuten, so dass eine andere Struktur des Tatbestandes zu fordern wäre. Will man das Organhandelsverbot weich paternalistisch begründen, indem man argumentiert, dass die Rahmenbedingungen autonomer Entscheidungen abgesichert werden sollen, ist eine Modifizierung des § 18 TPG im Sinne einer Straflosstellung von Organspender und Organempfänger zu fordern.412 Insgesamt betrachtet erweist sich das strafbewehrte Verbot des Organhandels als eine symbolische Gesetzgebung413 mit hart paternalistischer Ausgestaltung, die sogar sozialethisch hochstehender Verhaltensweisen als schlechthin unerträglich stigmatisiert und der Verwirklichung des Ziels der Gesetzgebung, die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen, eher kontraproduktiv ist.414

III. Paternalistische Verbote im Recht der Ordnungswidrigkeiten Während sich der direkte Paternalismus im eigentlichen Strafrecht starker Kritik ausgesetzt sieht, verhält es sich mit den Fällen des Rechtspaternalismus im Ordnungswidrigkeitenrecht anders. Mit Blick auf die verschiedene Rechtsnatur der Ordnungswidrigkeiten könnte man die Auffassung vertreten, dass ein Rechtspaternalismus, der im eigentlichen Strafrecht nicht zu legitimieren wäre, in diesem Rechtsbereich zu rechtfertigen sein könnte. Die Frage nach der Berechtigung von paternalistischen Vorschriften im Ordnungswidrigkeitenrecht wird selten gestellt, obwohl alles andere als klar ist, warum sie als unproblematisch qualifiziert werden sollten. Sind die oben vorgebrachten Einwände gegen den strafrechtlichen Paternalismus nicht einschlägig? Und worin liegt der Grund für die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Regelungsbereiche? Es ist insofern vor der Gefahr einer Bevormundung des Einzelnen durch die „Hypertrophien des Ordnungswidrigkeitenrechts“415 zu warnen. Bei der Einführung der Bußgeldbewehrungen für den Fall, dass der Insasse eines Kraftfahrzeuges bei der Teilnahme am Straßenverkehr keinen Sicherheitsgurt anlegt oder ein Motorradfahrer keinen Schutzhelm trägt (§ 21a StVO i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 20a StVO), wurde ein heftiger Streit unter dem Gesichtspunkt eines unzulässigen

412

Deutsch, ZRP 1994, S. 181, regt die Schaffung eines Strafausschließungsgrundes am Beispiel des § 1 Abs. 3 Nr. 1 ESchG an, nach dem die Frau, von der die Eizelle oder der Embryo stammt, sowie die Frau, auf die die Eizelle übertragen werden soll, straffrei bleiben. 413 Dippel, in: FS-Hanack, S. 692; Gutmann, ZRP 1994, S. 114; Schroeder, ZRP 1997, S. 267; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 357. 414 König, Organhandel, S. 135 f.; Schroth, in: FS-Roxin, S. 1152; a. A. Weber, Der Begriff des Handeltreibens, S. 436 f., der trotz etwaiger symbolischer Elemente das Organhandelsverbot als legitim bewertet. 415 Seebode, JR 1986, S. 269.

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gesetzgeberischen Paternalismus geführt.416 In der amtlichen Begründung zu § 21a StVO bekennt man sich lapidar zu dem paternalistischen Charakter der Vorschrift. Es heißt: “Es steht außer Frage, dass der Gesetzgeber auch Vorschriften erlassen kann, die nur dem Schutz des Betroffenen dienen“. Die Befugnis zur Erzwingung von Selbstschutz durch den Gesetzgeber wird ohne jede Problematisierung einfach behauptet. Die Schutzwirkung von Sicherheitsgurten und Schutzhelmen lässt sich zwar nicht ernsthaft bestreiten.417 Diese empirische Prämisse reicht aber nicht aus, um den Rechtspaternalismus auf diesem Gebiet zu rechtfertigen. Die hier vertretene Ansicht, die den direkten Paternalismus aus dem Strafrecht generell ausschließt, wirft die Frage auf, ob man angesichts der geringen Sanktionsschwere bei Verstößen gegen die Gurt-und Helmpflicht argumentieren könnte, dass konkret keine tadelnde Reaktion vorliegt, so dass der Rechtspaternalismus in einem gewissen Umfang im Bereich der Ordnungswidrigkeiten zu rechtfertigen wäre.418 Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 OWiG ist eine Ordnungswidrigkeit eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt. In ihrer formalen Struktur gleicht die Ordnungswidrigkeit also der Straftat. Auch bei der Ordnungswidrigkeit wird das äußere „Gerüst“ durch die drei Elemente Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld gebildet.419 Ein trennscharfer qualitativer Unterschied zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten besteht letzten Endes nicht. Es lässt sich leicht feststellen, dass die Ordnungswidrigkeiten des Straßenverkehrsrechts zum großen Teil, wenn auch in Gestalt abstrakter Gefährdungsdelikte, Leben und Gesundheit schützen und sich keinesfalls als bloßer „Ungehorsam gegen einen Verwaltungsbefehl“ darstellen.420 Wenn die Vorwerfbarkeit der Tat definitionsgemäß zu den Voraussetzungen einer Ordnungswidrigkeit gehört, dann ist in jeder Sanktionierung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit begriffsnotwendig Tadel enthalten. Daraus folgt, dass die verhängte Buße schon von ihrer Definition her ein tadelndes Unwerturteil beinhaltet. 416 Vgl. von Brunn, DAR 1974, S. 141 ff.; Streicher, NJW 1977, S. 282 f.; Jagusch, NJW 1977, S. 940 f.; Knippel, NJW 1977, S. 939 f.; Lisken, NJW 1985, S. 3053 f.; Seebode, JR 1986, S. 265 f.; Dehner/Jahn, JuS 1988, S. 30 ff.; Greisler, JuS 1988, S. 328. 417 Die strittigen verkehrstechnischen Einzelfragen sollen hier unerörtert bleiben. Es werden also die besonderen Konstellationen nicht in Betracht gezogen, die gegen das Gurtanlegen genannt werden, und die von der Möglichkeit der Fluchtvereitelung im Fall eines Kfz-Brandes, des Ertrinkens durch einen Sturz in ein Gewässer bis zu der Gefahr des Todes durch Überschlagen des Wagens reichen. Es wurde nämlich argumentiert, dass es aufgrund der mit dem Sicherheitsgurt verbundenen Verletzungsgefahren dem Autofahrer freistehen müsse, ob er sich anschnalle. Vgl. hierzu Müller, NJW 1983, S. 593 ff.; Geiger, DAR 1976, S. 325; Streicher, NJW 1977, S. 283; Jagusch, NJW 1977, S. 940 f.; Schlund, DAR 1976, S. 58, Fn. 27 und S. 59. 418 Vgl. von Hirsch, in: Anderheiden u. a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 247; Gimbernat Ordeig, GA 2011, S. 293. 419 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 14; Rosenkötter/Louis, Das Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 35 f. 420 Roxin, AT I4, § 2 Rn. 131; Weber, ZStW 1980, S. 316.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Ein Tadel kann auch aus der Feststellung einer Rechtsgutsverletzung als solcher abgeleitet werden. Nach Roxin bestehe der einzige Unterschied zum Strafrecht darin, dass der dem geschützten Rechtsgut zugefügte Schaden im Ordnungswidrigkeitenrecht weniger schwerwiegend sei als bei den Tatbeständen des Strafrechts.421 Daraus wird gefolgert, dass die Sanktionen für Ordnungswidrigkeiten ebenfalls ein gesellschaftliches Unwerturteil über die begangene Tat zum Ausdruck bringen, dass sie moralischen Vorwurf sowie Tadel enthalten, wenn auch milderer Art.422 Die Differenz zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ist daher überwiegend quantitativer, nicht qualitativer Art.423 Es gilt also, die Unzulässigkeit des direkten strafrechtlichen Paternalismus nicht durch eine bloße Umetikettierung auf Kosten des Ordnungswidrigkeitenrechts leerlaufen zu lassen, sondern dabei seinen tadelnden Charakter und dessen Implikationen im Auge zu behalten. Eine weich paternalistische Begründung der bußgeldbewehrten Gurt- und Helmpflicht könnte davon ausgehen, dass es die psychologisch bedingte Unfähigkeit vieler Verkehrsteilnehmer sei, abstrakte, in einer gewissen Selbstüberschätzung für steuerbar gehaltene Gefahren richtig einschätzen zu können, die ein Eingreifen legitimiere.424 In einem solchen Fall setzen sich die Verkehrsteilnehmer aus Nachlässigkeit oder Sorglosigkeit in Widerspruch zu ihren eigenen Prioritäten und Werten. Es geht dementsprechend um die Behebung eines kognitiven Mangels, weil der Verkehrsteilnehmer nicht verletzt werden will, sondern lediglich das Unfallrisiko und die Größe des drohenden Schadens falsch einschätzt.425 Aber dies muss nicht unbedingt der Fall sein. Feinberg hält eine Schutzhelmpflicht aus (weich) paternalistischen Motiven für nicht rechtfertigbar. Selbst die Sorglosen, die zugeben, sich unvernünftig zu verhalten, aber einfach nicht die Initiative aufbringen können,

421 Roxin, AT I4, § 2 Rn. 99; a.A. Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 1 Rn. 36 ff., wonach die Ordnungswidrigkeit eine „Beeinträchtigung der institutionellen Gefahren- und Daseinsvorsorge“ sei. 422 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 17, vertritt dagegen die Meinung, dass die Verhängung einer Geldbuße wegen der Angepasstheit und Unauffälligkeit des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Tätertyps keine entehrende, diskriminierende, stigmatisierende Wirkung habe. Ihre Funktion sei die einer Ermahnung, eines Denkzettels, der den Betroffenen an seine Pflichten erinnern soll. Ihm zustimmend Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes, S. 40. 423 Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 4 Rn. 16; Schmidhäuser, AT2, 8/107; Stratenwerth/ Kuhlen, AT5, § 1 Rn. 48; Persˇak, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 188. Für eine gemischt qualitativ-quantitative Betrachtung: Roxin, AT I4, § 2 Rn. 133; Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Vor § 1 Rn. 6; Jakobs, AT2, 3/9; Jescheck/ Weigend, AT5, § 7 V 3 b; Maurach/Zipf, AT8 1, 1/35; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 37. 424 So Singer, JZ 1995, S. 1140. 425 Eine solche weich paternalistische Begründung vertritt Schünemann, in: von Hirsch/ Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 239; ähnlich Dworkin, The Monist 1972, S. 79 f.; ders., in: Sartorius (Ed.), Paternalism, S. 30 f.

B. Besonderer Teil

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Helme zu tragen, handelten freiwillig.426 Er bemerkt zutreffend: „The soft paternalist would argue that self-regarding irresponsibility, foolhardiness, and lack of forethought and self-discipline need be no more involuntary than any other of the character flaws for which people are blamed, and in the absence of independent corroborating evidence of cognitive or emotional impairment, their possessor has a right to act on his own unreasonable but genuine preferences and, if it comes to that, to pay the price.“427 Selbst jemand, der sich aufgrund einer Aufklärung der vorhandenen Risiken klar bewusst ist und die Schadenshöhe richtig einschätzt, könnte sich aus den verschiedensten Gründen dagegen entscheiden, sich bei einer Fahrt im Auto anzuschnallen, etwa weil er seine Bequemlichkeit vorzieht oder risikoreich leben möchte.428 Es gibt nämlich neben der Risikoeinschätzung zahlreiche andere Gesichtspunkte, die in die Gesamtbewertung einfließen können, so dass es immer eine höchstpersönliche Entscheidung bleibt, ob jemand genug oder nicht genug Gründe dafür sieht, sich anzuschnallen oder einen Helm zu tragen.429 Es bleibt noch zu prüfen, ob die Gurt- und Helmpflicht über die Interessen Dritter legitimiert werden kann. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass die nicht angeschnallten Verletzten häufig nicht mehr in der Lage seien, die Unfallstelle abzusichern oder andere Verkehrsteilnehmer zu warnen; dadurch wachse auch die Gefahr von Auffahrunfällen.430 Ferner sei bei schweren Unfällen oft der Einsatz von Rettungsfahrzeugen notwendig; die dabei in der Regel gebotene höchste Eile lasse neue Unfallgefahren entstehen. Hillgruber wendet dagegen ein, dass diese Argumentation eine Pflicht des einzelnen Verkehrsteilnehmers voraussetze, alle nur zumutbaren Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um sich im Falle eines Unfalls zur Rettung anderer Unfallbeteiligter hilfsbereit zu erhalten. Selbst die allgemeine Hilfeleistungspflicht gemäß § 323 c StGB bestehe nur, soweit der Pflichtige im Zeitpunkt des Unglücksfalls dazu noch physisch in der Lage sei. Niemand sei hingegen mit Rücksicht auf § 323 c StGB verpflichtet, Vorsorge zu treffen, dass er bei einem 426 Feinberg, Harm to Self, S. 137: „But lest we judge too hastily that his failures must be beyond his own control and therefore somewhat less than sufficiently voluntary, each of us should remember the many diverse occasions in our lives when we quite voluntarily chose to do the convenient thing instead of something we knew at the time would we better to do, in situations where nothing prevented us from choosing the alternative except our own laziness, indifference, inertial habit, or short-term self-indulgence.“ 427 Feinberg, Harm to Self, S. 137 f. 428 Kleinig, Paternalism, S. 86: „Though we may wish to see thoughtlessness, laziness, rationalization, and so on as detracting from ,full voluntariness‘, they do not take us below the threshold of competence that would justify calling any paternalistically motivated interference with their consequences ,weak‘. Carelessness and discipline are vices rather than mere defects“. Auch Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 197. 429 Vgl. Persˇak, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 180; Geiger, DAR 1976, S. 325. 430 BVerfGE 59, 275, 279; OLG Hamm, NJW 1985, S. 1791; BVerfG, NJW 1987, S. 180; BGH, NJW 1979, S. 1365; auch Schlund, DAR 1976, S. 61; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 124.

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3. Teil: Direkter strafrechtlicher Paternalismus

Unglücksfall Hilfeleistung erbringen könne.431 Daraus ergibt sich jedoch nicht zwingend, dass der Verkehrsteilnehmer nicht durch weniger einschneidende Mittel dazu verpflichtet werden darf, bestimmte Vorsorgemaßnahmen im Hinblick auf eine Hilfeleistung zu treffen. Die in der bußgeldbewehrten Helm- und Gurtpflicht zum Ausdruck kommende Grundrechtseinschränkung könnte daher durch das Allgemeininteresse an der Wahrung der zur Schadensabwehr gebotenen mitmenschlichen Solidarität gerechtfertigt werden.432 Es handelt sich dabei um eine Vorverlagerung des Schutzes der Individualrechtsgüter anderer, da eine konkrete Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer nicht vorliegt. Angesichts der Tatsache, dass jeder nahezu jederzeit selbst die Ursache für die Verletzung anderer Verkehrsteilnehmer sein kann, und im Hinblick auf den hohen Stellenwert der bedrohten Rechtsgüter erscheint es legitim, eine in der Helm- und Gurtpflicht zum Ausdruck kommende Solidaritätspflicht zu einer bußgeldbewehrten Rechtspflicht zu erheben.433 Als weiteres Argument kommt schließlich hinzu, dass die Teilnahme am gefährlichen Straßenverkehr überhaupt ein Privileg darstellt und dass derjenige, der dieses Privileg in Anspruch nehmen will, fairer Weise auch gewisse damit verbundene Pflichten akzeptieren muss.434

IV. Zwischenergebnis Der direkte strafrechtliche Paternalismus als die härteste und invasivste Variante dieser Doktrin scheidet im Rahmen eines liberalen Strafrechtssystems als legitime Basis der Kriminalisierung aus. Denn er gerät mit der Zwecksetzung des Strafrechts als subsidiärer Rechtsgüterschutz und der tadelnden Funktion der Strafe in Widerspruch. Eine direkt paternalistische Begründung strafrechtlicher Normen verträgt sich vor allem mit dem Autonomieprinzip nicht.435 Paternalismus beinhaltet immer ein Beiseiteschieben des konkreten Willens des Individuums, eine zwangsweise Durchsetzung einer anderen Verhaltensoption unter das vermeintliche Eigeninteresse des Betroffenen. In seiner stärksten Form betont dieses auf die Autonomie gestützte Argument deren inhärenten Wert, d. h. den Eigenwert von Selbstbestimmung. Direkt paternalistische Strafvorschriften geraten damit in Legitimationsnot, die sie dadurch zu überwinden versuchen, indem diffuse Belange der Allgemeinheit, mittelbare Beeinträchtigungen von Interessen Dritter oder sogar rechtsmoralistische Erwägungen herangezogen werden. Der Einsatz des Strafrechts soll im Rahmen 431

Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 97 f. Vgl. Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 264. 433 Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 264. 434 Vgl. Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 240; kritisch hierzu Kleinig, Paternalism, S. 83 f. 435 Nach Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 233, liefert dieses Argument gegenüber Straftatbeständen ein argumentum a fortiori, weil es nicht nur den Strafrechtspaternalismus, sondern auch den Einsatz des Rechts zu paternalistischen Zwecken überhaupt trifft. 432

B. Besonderer Teil

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einer freiheitlichen Rechtsordnung stets auf den Schutz konkreter Belange des Individuums gerichtet sein, so dass die im Interesse der Förderung des individuellen Wohls geschaffenen Scheinrechtsgüter auszuscheiden haben. Die Einschränkung der Handlungsfreiheit durch die strafbewehrte Auferlegung des Schutzes mündiger Individuen vor den Folgen ihrer freiwillig getroffenen selbstverfügenden Entscheidungen ist im Rahmen einer freiheitlichen Rechtsordnung vehement abzulehnen. Genauso wenig trägt in diesem Zusammenhang eine weich paternalistische Begründung, die zugunsten inkompetenter Individuen mit den Mitteln des Strafrechts intervenieren will. Denn wenn als Ziel des weichen Paternalismus der Schutz des Einzelnen vor unfreiwillig getroffenen Entscheidungen propagiert wird, erscheint es ungereimt, wie eben dieser Zweck durch eine belastende und gravierende Bestrafung überhaupt erreicht werden kann. Man kann die Autonomie des Rechtsgutsträgers nicht dadurch schützen, indem man ihn bei Selbstverletzung seines ihm zustehenden Rechtsguts bestraft.436Anstelle des direkten Strafrechtspaternalismus muss der Staat mildere Mittel der sozialen Kontrolle (z. B. Schulungskurse über die Gefahren des Betäubungsmittelmissbrauchs) einsetzen, um der Gefahr einer defizitären Entscheidung vorzubeugen.437 Die Auferlegung einer Strafe dürfte jedoch weder gerecht sein noch ihre Präventionswirkung entfalten.

436

Schroth, in: JZ 1997, S. 1154. Schünemann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 238. 437

4. Teil

Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht In der Praxis tritt das Paternalismusproblem immer auch dann auf, wenn der Einzelne vor einverständlichen Fremdverletzungen bzw. -gefährdungen geschützt werden soll. Auf indirektem Paternalismus beruhende Konstellationen beschreiben nämlich zwei Personen in einem Verhältnis, das lediglich eine scheinbare Ähnlichkeit zu den üblichen Fällen hat, in denen ein Mensch von einem anderen verletzt wird. Im Fall der Tötung auf Verlangen lässt sich dies deutlich erkennen: Unter gewöhnlichen Umständen würde die vorsätzliche Tötung einer Person durch einen Dritten eine Schädigung im Sinne des Harm Principle bedeuten. Aber der Sterbewillige hat seiner Tötung zugestimmt und sie sogar verlangt. Man könnte zwar argumentieren, dass der indirekte Paternalismus als Strafgrund noch innerhalb der Tragweite des Schädigungsprinzips liegt, weil die Zustimmung des Opfers als irrelevant eingestuft werden muss.1 Man wird einem Vorgang, der die Struktur einer interaktiven Selbstschädigung aufweist, jedoch nicht gerecht, wenn man ihn als ein Ereignis zu beschreiben sucht, bei dem der Rechtsgutsträger zum Opfer einer ihm von einem anderen zugefügten Rechtsverletzung wird. Sofern man das Verlangen des Einzelnen ignoriert, wird implizit das angebliche Lebensinteresse der Person zu ihrem eigenen Besten geschützt. Die dahinter stehenden paternalistischen Gründe müssen daher direkt angesprochen werden.2 Die Szenarien des indirekten Paternalismus erfassen zwei unterschiedliche Fallgruppen: zum einen die täterschaftlich begangene Fremdschädigung bzw. -gefährdung des Opfers3 und zum anderen die Teilnahme an einer Selbstschädigung bzw. -gefährdung. Die Komplexität indirekt paternalistischer Konstellationen fordert die Auseinandersetzung mit der strafrechtsdogmatischen Behandlung eigenverantwortlichen Opferverhaltens und dessen Bedeutung für die Rechtlichkeit des Verhaltens des Außenstehenden. Kann sich der Rechtsgutsinhaber ohne Hilfe des Dritten nicht in der gewünschten Weise selbst verwirklichen, läuft die gegen den Dritten 1 Vgl. Birnbacher, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 18 f.; Yamanaka, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 324 ff. 2 von Hirsch/Neumann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 72; von Hirsch/Schorscher, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 336. 3 Der Begriff beschreibt lediglich die übliche Struktur für Zwei-Personen-Fälle. Es wird auf keinen Fall vorentschieden, wer für den Erfolgseintritt verantwortlich gemacht werden soll.

A. Die freiverantwortliche, selbstverfügende Opferentscheidung

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gerichtete Strafdrohung materiell auf eine Bevormundung des Rechtsgutsinhabers hinaus. Ist der Schutz des (nicht defizitär entscheidenden) Opfers vor sich selbst als Legitimationsgrund eines an den Außenstehenden gerichteten strafbewehrten Verbots ausgeschlossen, so stellt sich gleichzeitig die Frage nach der sachgerechten Aufteilung von Verantwortungsbereichen unter den am selbstschädigenden Verhalten Beteiligten. Die nachfolgende Diskussion zeichnet sich durch eine Akzentverschiebung von den herkömmlichen dogmatischen Konstruktionen zu einer auf materialen Kriterien beruhenden Argumentation aus. Es geht also im Folgenden darum, die Grenzen der Opferautonomie näher zu untersuchen und die Konsequenzen auf strafrechtlicher Ebene aufzuzeigen.

A. Die freiverantwortliche, die Rechte anderer nicht beeinträchtigende, selbstverfügende Opferentscheidung als normativer Ausgangspunkt für die Beurteilung des Verhaltens des Außenstehenden I. Die Fälle der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung Die dogmatische Kategorie der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung umfasst die Fälle, in denen das Opfer sich selbst vorsätzlich schädigt und der Außenstehende hierzu einen untergeordneten Beitrag erbringt. Zur Behandlung dieser Fälle setzt die h.M. unmittelbar an der Sanktionenordnung an und begründet die Straflosigkeit des Außenstehenden formal mit dem Fehlen einer teilnahmefähigen Haupttat, ohne den dahinter stehenden materiellen Gedanken des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen zu thematisieren. Die negative Feststellung, dass ein Verhalten keine strafbare Teilnahme ist, ergibt ferner keinen dogmatischen Gewinn, weil sie nichts über das gleichzeitige Nichtvorliegen einer Täterschaft des Außenstehenden auszusagen vermag. Aus eben diesem Grund erscheint es schon im Ansatz verfehlt, wenn die Verfechter des Teilnahmearguments jenes formal aus der allgemeinen Beteiligungslehre abzuleiten versuchen (unter 1.). Normativer Ausgangspunkt für die Konturierung der Freiheitssphären zwischen Täter und Opfer soll nach der hier vertretenen Auffassung das Prinzip der Selbstverantwortung sein, das im Folgenden in strafrechtlichen Zurechnungskategorien zu konkretisieren ist (unter 2.). 1. Kritik zum Teilnahmeargument der h.M. Ausgangspunkt der Argumentation in der strafrechtsdogmatischen Diskussion ist die These von der Tatbestandslosigkeit der Selbsttötung.4 Daraus ergebe sich die 4

Ausführliche Begründung hierfür bei NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 36 ff.

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Straflosigkeit des an einer freiverantwortlichen Selbstschädigung Mitwirkenden, da die bloße Teilnahme mangels tatbestandsmäßiger, rechtswidriger Haupttat im Sinne von §§ 11 Abs. 1 Nr. 5, 26, 27 StGB nach dem Akzessorietätsprinzip straffrei bleibe.5 Schon das RG hatte die Teilnahme am Selbstmord mangels tatbestandsmäßiger Haupttat für straflos erklärt.6 Dieser Befund wird anschließend mit einem argumentum a fortiori für solche Fälle fruchtbar gemacht, in denen der Außenstehende die Selbstschädigung lediglich fahrlässig ermöglicht bzw. fördert. Angesichts der Straflosigkeit der vorsätzlichen Selbstmordteilnahme würde die Annahme einer Fahrlässigkeitshaftung des Mitwirkenden wegen des geringeren Unwertgehalts der fahrlässigen Tat zu schweren Wertungswidersprüchen führen.7 Die Schwäche dieser Argumentation liegt auf der Hand. Der bloße Verweis auf die Tatbestandslosigkeit der Selbstverletzung thematisiert nicht die materielle Qualität des Selbsttötungsunrechts und lässt deshalb offen, ob die Beteiligung an solchen Selbstverfügungen materiell Unrecht darstellt.8 Dies erlaubt zum einen die Möglichkeit einer Umkehrung des Teilnahmearguments zur Begründung der Strafbarkeit der Suizidteilnahme9 oder die Bewertung jeder Beteiligung an einer Selbsttötung als täterschaftliche Begehung eines Tötungsdelikts.10 Zum anderen ist die Übertragung 5 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 22; Charalambakis, GA 1986, S. 489; Dölling, GA 1984, S. 76; Eisele, BT I, Rn. 163; Fischer, Vor § 211 Rn. 10; SK-Horn, § 212 Rn. 11; LK11-Jähnke, Vor §§ 211 ff. Rn. 22; Jäger, BT, Rn. 53; Klinger, Die Strafbarkeit der Beteiligung, S. 49; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, Tb. 1, § 1 V Rn. 16, 20; SSW-Momsen, Vor §§ 211 ff. Rn. 17; Rengier, BT/2, § 3 Rn. 9; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, S. 105; Schroth, GA 2006, S. 566; Schreiber, NStZ 1986, S. 343; Wessels/Hettinger, BT 1, § 1 IV 1 Rn. 43. 6 RGSt 70, 313, 315. Aus der Rspr. des BGH siehe BGHSt 2, 150, 152; 6, 147, 154; 13, 135, 137; 19, 135, 137; 24, 342, 343; 32, 367, 371; 46, 279, 284. 7 BGHSt 2, 150, 152; 6, 147, 154; 13, 162, 167; 24, 342; 32, 262. Im Schrifttum so Dölling, GA 1984, S. 76; Fischer, Vor §§ 211 bis 216 Rn. 10a; Kühl, AT6, § 4 Rn. 87; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I Tb. 1, Rn. 23; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 91; ders., in: FS-Gallas, S. 243 f.; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 79; LK11-Schroeder, § 16 Rn. 183; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 57; Schönke/Schröder-Eser, Vor §§ 211 ff. Rn. 35; Schönke/ Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 164 f.; Schünemann, JA 1975, S. 720; SK-Horn, § 212 Rn. 21; ders., JR 1984, S. 513; SK-Hoyer, Anh. zu § 16 Rn. 42, 50; Weber, in: FSSpendel, S. 376. Kritisch Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 292; Freund, AT2, § 5 Rn. 70 ff.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 322; Neumann, JA 1987, S. 248; Sax, JZ 1975, S. 145; Schilling, JZ 1979, S. 162; Spendel, JuS 1974, S. 750 f.; AKZielinski, §§ 15, 16 Rn. 104. 8 Schönke/Schröder-Eser, Vor §§ 211 ff. Rn. 35; MK-Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 34; Klinger, Die Strafbarkeit der Beteiligung, S. 50 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 325; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 6 f. 9 So Schmidhäuser, in: FS-Welzel, S. 815 f.; zust. Klinkenberg, JR 1978, S. 411 ff.; ähnlich Bringewat, ZStW 1975, S. 623 ff., der die Straflosigkeit der Selbsttötung auf Gewohnheitsrecht stützen will. 10 Diese Auffassung hat Schilling, JZ 1979, S. 163 ff. vertreten, nach der die Tatbestandslosigkeit der Selbstverletzung zur Tatherrschaft des Außenstehenden führe. Zur Kritik siehe Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 297 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 3 f.; Hohmann/König, NStZ 1989, S. 306 f.; Klinger, Die Strafbarkeit der Be-

A. Die freiverantwortliche, selbstverfügende Opferentscheidung

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der Argumentation auf die fahrlässige Teilnahme an selbstverletzendem oder -gefährdendem Verhalten unschlüssig, da es gerade an einer materialen Begründung für die mangelnde Strafwürdigkeit fehlt.11 Der strafrechtsdogmatische Begründungsvorgang der h.M. ist ferner gesetzessystematisch zu beanstanden, weil die rechtliche Qualifizierung einer Handlung als Anstiftungs- oder Beihilfehandlung bereits denklogisch die tatbestandliche Typisierung einer entsprechenden Haupttat voraussetzt.12 Genau diese Bedingung fehlt jedoch in den Fällen der Suizidbeteiligung, da das StGB keinen Straftatbestand der (versuchten) Selbsttötung enthält. Dies bedeutet folglich, dass die Beteiligung an einer tatbestandslosen Selbstverletzung von vornherein nicht in den Regelungsbereich der auf die Beteiligung an der Verletzung von Rechtsgütern Dritter zugeschnittenen Teilnahmebestimmungen fällt.13 Indem das Teilnahmeargument unmittelbar an das positive Recht anknüpft, versperrt es den Blick auf die dahinter stehende normative Wertentscheidung, nämlich auf die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts für die konkrete Gestaltung des rechtlichen Verhältnisses zwischen Täter und Opfer.14 Es kann daher keine Begründung für die Straflosigkeit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung liefern, sondern stellt vielmehr selbst erst das Ergebnis eines materiellrechtlichen Begründungsgangs dar.15 Die h.M. geht mit ihrem Hinweis auf das Teilnahmeargument stillschweigend davon aus, dass eine täterschaftliche Fremdverletzung bei eigenverantwortlicher

teiligung, S. 40 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 320; Neumann, JuS 1985, S. 678; Roxin, NStZ 1984, S. 71. Dagegen verfehlen die Kritiken von Bottke, GA 1983, S. 28; Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung, S. 154 f.; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 32 Fn. 44; Dölling, GA 1984, S. 76 f. und Herzberg, JA 1985, S. 134, den entscheidenden Punkt, wenn sie auf die freie Selbsttötungsentscheidung des Opfers hinweisen und damit dessen Werkzeugqualität in Frage stellen, weil mittelbare Täterschaft auch dann angenommen werden kann, wenn der Vordermann deliktisch voll verantwortlich handelt oder die Situation voll überblickt. 11 Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 48. 12 Neumann, JA 1987, S. 247; Hohmann/König, NStZ 1989, S. 307; auch Roxin, TuT8, S. 572: „Denn im technischen Sinn kann wegen der mangelnden Tatbestandsmäßigkeit des Freitodes von Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe gleichermaßen nicht die Rede sein.“Auch Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 168 Fn. 492, bemerkt richtig, dass man die Teilnahme am Suizid nur negativ definieren kann, als „ein Handeln, dass trotz seines Bezuges zu einem suizidalen Projekt keine täterschaftliche Verwirklichung des § 216 darstellt“. 13 NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 44. Für die Unanwendbarkeit dieser Vorschriften plädieren ebenfalls Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 33, 270; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 222; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor §§ 211 – 222 Rn. 20. 14 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 314; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 107 Fn. 230. 15 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 113; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 7.

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Selbstschädigung des Opfers nicht begründet werden kann.16 Daraus, dass die Teilnahmebestimmungen nicht erfüllt sind, folgt aber hinsichtlich der Möglichkeit und Grenzen täterschaftlicher Begehung überhaupt nichts.17 Dies ist hingegen die noch zu klärende Frage, die einer gesonderten Prüfung am Maßstab täterschaftlicher Kategorien bedarf. Der Einordnung des Verhaltens des Außenstehenden als straflose Teilnahme ist daher die Antwort auf die Frage logisch vorgeordnet, ob der Außenstehende in den Fällen des tatfördernden Opferverhaltens die Voraussetzungen täterschaftlicher Tatbegehung erfüllt. Als maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Täterschaft und Teilnahme kommt nach der herrschenden Meinung die Tatherrschaftslehre in Betracht. Ob sie den dogmatisch am besten geeigneten Ausgangspunkt darstellt, ist noch näher zu untersuchen, zumal eine Gegenmeinung die Leistungsfähigkeit der Tatherrschaftslehre kritisch hinterfragt und einen ganz anderen Gesichtspunkt als vermeintlich leistungsfähiger aufgreift, nämlich das Kriterium des tatbestandsmäßigen Verhaltens.18 2. Das Prinzip der Selbstverantwortung Es ist bereits festgestellt worden, dass das auf die formalgesetzliche Ausgestaltung der Sanktionenordnung beruhende Teilnahmeargument nur eine vordergründige Erklärung für die fehlende Strafwürdigkeit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung liefert. Geht es letztlich um die Frage, warum dem Außenstehenden der Erfolg nicht als sein Werk zugerechnet werden kann, so ist der tiefer liegende Grund dafür die Selbstverantwortung des Rechtsgutsinhabers für die sich aus der Wahrnehmung seiner Freiheit ergebenden Folgen.19 Freilich ist das Prinzip der Eigenverantwortung in der strafrechtlichen Literatur überstrapaziert worden, indem es gleichsam als eine abschließend fixierte Norm für die Einschränkung der Strafbarkeit des Dritten eingeführt wird, unter die lediglich subsu-

16 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 292 Fn. 623; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 327. 17 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 55; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 159; Herzberg, FS-Puppe, S. 501; ders., Jura 2004, S. 670; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 45; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 6 f. Nach Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 292, stelle die Feststellung der Straflosigkeit von Selbstmord und Selbstverletzung oder Selbstgefährdung einen nutzlosen Gedankenschritt dar, weil nicht nach der Strafbarkeit des Suizidenten, sondern vielmehr nach täterschaftlicher Strafbarkeit des Mitverursachers gefragt werde (Hervorhebung im Original). 18 So etwa Freund, AT2, § 10 Rn. 51; ders., Erfolgsdelikt, S. 118 f., 233 Fn. 32, 235 ff., 241, 251 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 41 Fn. 157; 70 ff., 240 ff., 289 ff., 385 Fn. 1 et passim; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 331 ff, 353 ff.; ders., Die Nebentäterschaft, S. 154 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 221 ff., 238 ff. 19 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 56; Jakobs, in: FS-Hirsch, S. 48: „Synallagma von Handlungsfreiheit und Folgenverantwortung“ ; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 125 f.

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miert zu werden braucht.20 Es erscheint daher zunächst angebracht, die Ableitung und den Inhalt des Prinzips näher zu bestimmen und anschließend zu klären, wo dieses strafrechtssystematisch ansetzen könnte. Ist der Einzelne als vernunftbegabtes Wesen zu freier Selbstbestimmung fähig, so folgt hieraus als Kehrseite seine primäre Verantwortlichkeit für das eigene Verhalten und dessen Auswirkungen.21 Wer die (zumindest) normativ zugeschriebene Autonomie für sich in Anspruch nehmen will, der muss auch die Verantwortung für die daraus resultierenden Kosten tragen. Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung lassen sich mithin als zwei Seiten ein und derselben Medaille verstehen.22 Zugleich ergibt sich aus der vorrangigen Zuständigkeit des Einzelnen für sein Handeln seine grundsätzliche Unverantwortlichkeit für das Verhalten anderer. Der Einzelne ist demnach verpflichtet, sein Verhalten so einzurichten, dass er selbst geschützte Rechtsgüter nicht verletzt, nicht aber dazu, bei der eigenen Verhaltensgestaltung ein etwaiges Fehlverhalten Dritter oder des Opfers einzukalkulieren und dagegen Schutzmaßnahmen zu ergreifen.23 Das ist mit dem Ziel des Strafrechts, den Individuen durch eine ultima ratio Intervention eine möglichst freie Entfaltung der Persönlichkeit zu gewähren, kompatibel. Denn Aufgabe des Strafrechts ist nur die Verhinderung von Beeinträchtigungen, für die der Rechtsgutsträger nicht selbst verantwortlich ist.24 Die entgegengesetzte Einsicht würde die Handlungsfreiheit 20 Schünemann (Hrsg.), Strafrechtssystem und Betrug, S. 73; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 2. Nach Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 89, 164, 239 Fn. 37, ist die Eigenverantwortlichkeit als zentraler Topos in die Frage nach der Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Einschränkung der Handlungsfreiheit einzubeziehen. 21 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 171; Diel, Regressverbot, S. 312; Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 59 f.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 343 ff.; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 128; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 242; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 68; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 1; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 79 ff. Gegen die bloße Berufung auf ein grundgesetzlich verankertes Menschenbild und für eine Ableitung des Prinzips der Selbstverantwortung aus vorrechtlichen axiologischen Prämissen auf der Grundlage von Kants Freiheitsbegriff vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 12, 19 ff.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 2 Fn. 4, 167 ff.; ders., Nebentäterschaft, S. 161 Fn. 7. Für eine rein funktionale Bestimmung des Prinzips innerhalb des strafrechtlichen Zurechnungssystems vgl. Jakobs, AT2, 1/4 ff., 9 ff.; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 169 f.; ders., GA 1998, S. 596 f.; Müssig, Mord und Totschlag, S. 343 ff.; Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 373, 377 ff. Kritisch zu dem inhaltsleeren Begriff der „Zuständigkeit“ Schünemann (Hrsg.), Strafrechtssystem und Betrug, S. 74; ders., in: FS-Roxin, S. 17 ff.; Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, S. 327 ff.; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 20 Fn. 84. 22 Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 60; Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 373; Huber, Die Selbstgefährdung des Verletzten, S. 89; Schneider, Tun und Unterlassen, S. 237 f. 23 Heinrich, AT II, Rn. 1047; Kühl, AT6, § 4 Rn. 84; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 344 f.; Otto, AT, § 6 Rn. 49; ders., in: FS-Wolff, S. 400 f.; ders., in: FS-Spendel, S. 277 ff.; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 72; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 101/101a; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 5. 24 Roxin, JZ 2009, S. 401; Thier, Retterschäden, S. 153.

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nahezu aufheben, weil die Verwertung des eigenen Verhaltens durch Dritte zur Vornahme selbstschädigender bzw. -gefährdender Handlungen jederzeit möglich und vorhersehbar ist.25 Es besteht jedoch kein Grund, die Handlungsfreiheit der Beteiligten einzuschränken, solange niemand gegen seinen Willen gefährdet oder verletzt wird. Das Prinzip der Selbstverantwortung hat sich mittlerweile zu einem eigenständigen Grundsatz der objektiven Zurechnung herausgebildet, anhand dessen die Verantwortungsbereiche aller kausal in ein strafrechtlich relevantes Geschehen verstrickten Personen abzuschichten sind.26 Offen bleibt, in welcher konkreten Form die Eigenverantwortlichkeit des Opfers unter dem dogmatischen Dach der objektiven Zurechnung von Relevanz ist. Bereits zu Beginn unserer Erwägungen lässt sich konstatieren, dass die Selbstverfügungsfreiheit es ausschließt, zur Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen des Opfers die Verhaltensweisen Dritter zu beschränken, die das Risiko eigenverantwortlicher Selbstverfügungen schaffen oder erhöhen. Denn wie jemand auf das Verhalten eines Dritten reagiert, der lediglich die Möglichkeit eines eigenverantwortlichen selbstschädigenden oder selbstgefährdenden Verhaltens eröffnet, unterliegt grundsätzlich allein seiner Verantwortung. Da der Außenstehende nicht unerlaubt in eine fremde Rechtssphäre eingreift, fehlt es – wie noch näher zu erläutern sein wird – bereits an einer zurechnungsrelevanten missbilligten Gefahrschaffung.27 a) Dogmatische Einordnung innerhalb der Lehre der objektiven Zurechnung: das Veranlassen bzw. Ermöglichen eigenverantwortlicher Selbstschädigungen als ein rechtlich erlaubtes Risiko aa) Die Ausgliederung des rechtlich unerlaubten Risikos in die Prüfung des tatbestandsmäßigen Verhaltens Nach dem von Frisch entwickelten Zurechnungsmodell bezeichnet das Erfordernis der missbilligten Gefahrschaffung nicht erst eine Frage der objektiven Zu25

Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 5. Engländer, Jura 2001, S. 537; ders., Jura 2004, S. 236; Kretschmer, Jura 2000, S. 275; Kühl, AT6, § 4 Rn. 83; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 100; Radtke, in: FS-Puppe, S. 836; Trüg, JA 2004, S. 597; Wessels/Beulke, AT, Rn. 185; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 345. Nach Schmoller, in: FS-Triffterer, S. 250, ergebe sich das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit aus einer der eigentlichen objektiven Zurechnung vorgelagerten Tatbestandsauslegung. 27 Kindhäuser, AT4, § 11 Rn. 23; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 345; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 333 ff.; Thier, Retterschäden, S. 153; Wessels/Beulke, AT, Rn. 185; NK3-Puppe, Vor § 13 Rn. 192, will die prinzipielle Eigenverantwortlichkeit anderer im Rahmen der objektiven Sorgfaltspflichtbestimmung berücksichtigen. Die Abschichtung von Verantwortungsbereichen beinhaltet zwar zugleich die wechselseitige Festlegung von Sorgfaltspflichten, aber diese restriktive Sorgfaltspflichtbestimmung ist nur ein Reflex der Verantwortungsübernahme durch das Opfer und damit der bereits erwähnten normativen Erwägungen. 26

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rechnung des Erfolgs, sondern schon eine solche des tatbestandsmäßigen Verhaltens.28 Es handele sich um die Frage nach der Reichweite und den Grenzen der rechtlich anerkannten Freiheit, die systematisch und logisch der Frage der Zurechnung vorausgehe.29 Auch Frisch geht bei der Frage des spezifischen Realisierungszusammenhangs davon aus, dass sich ein missbilligtes Risiko im Erfolg realisiert haben müsse. Dabei trennt er strikt zwischen Verhaltensunrecht, das durch das tatbestandsmäßige Verhalten konkretisiert wird, und Erfolgsunrecht, das durch den Kausal- und Realisierungszusammenhang bestimmt wird. Nur bei der Frage der Risikorealisierung handele es sich um ein Problem der objektiven Zurechnung.30 Dies würde im vorliegenden Zusammenhang bedeuten, dass die Frage nach der rechtlichen Beurteilung des die Selbstschädigung des Opfers ermöglichenden Beitrags des Außenstehenden als Teil des tatbestandsmäßigen Verhaltens und nicht als Teil der Zurechnungslehre anzusehen wäre. Roxin hat dem zutreffend entgegengehalten, dass die hinter Frischs Einordnung liegende strikte Trennung zwischen Handlungs- und Erfolgsunrecht nicht durchführbar sei, weil beide unlöslich miteinander verknüpft seien.31 Frisch führt aus, dass sich Verhalten und Erfolg rein gedanklich trennen lassen. Die Trennung sei die Voraussetzung, um die Missbilligung des Verhaltens zu begründen.32 Diese Trennung kann er jedoch bei den Fällen des „Risikozusammenhangs“, in denen ein bestimmtes Verhalten unter mehreren Aspekten als Verhaltensunrecht in Betracht kommt, nicht konsequent durchführen.33 Obwohl er eine missbilligte Risikoschaffung und damit das Verhaltensunrecht schon bejaht hat, will er nach dem Eintritt in die Prüfungsstufe der objektiven Zurechnung nochmals die Frage nach der Schaffung eines missbilligten Risikos stellen.34 Er gibt zu, dass in derartigen Fällen der Verwirklichung eines anderen als des schon das Verhaltensunrecht begründenden Risikos die Frage danach, ob das sich verwirklichende „zweite“ Risiko missbilligt sei, offenbar eine Frage der objektiven Zurechnung des Erfolgs ist.35 Eine strikte Trennung erweist sich demnach kaum als möglich.

28 Eingehend Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 33 ff., 59 ff., 70 ff.; ders., GA 2003, S. 733 ff.; ders., NStZ 1992, S. 5; ders., in: FS-Roxin, S. 231 f. 29 Frisch, GA 2003, S. 734; ders., in: FS-Roxin, S. 236. Zustimmend Freund, AT2, § 2 Rn. 13 ff., 72 ff.; Kuhlen, in: FS-Roxin, S. 337 f. Fn. 42 – 44; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 333 ff., 353 ff., 397 ff., 427 ff.; Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, S. 322; ähnlich NK3-Puppe, Vor § 13 Rn. 153 ff., nach der die Bestimmung der Sorgfaltspflichtverletzung die logisch vorrangige Kategorie sei, an die sich dann die Frage der Zurechnung anschließe. 30 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 55 f.; ders., in: FS-Roxin, S. 225. 31 Roxin, AT I4, § 11 Rn. 51. 32 Frisch, in: FS-Roxin, S. 234. 33 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 62 ff. (Hervorhebung im Original). 34 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 62. 35 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 63.

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Roxin hat außerdem den Einwand erhoben, dass es „im Ergebnis immer um Zurechnung oder nicht Zurechnung des Erfolgs geht“.36 Gegen dieses Argument führt Frisch aus, dass es für den Bürger von Interesse sei zu wissen, ob er rechtlich einwandfrei gehandelt habe oder ob man ihm trotz eines Fehlverhaltens nur den eingetretenen Erfolg nicht als sein Werk anlaste.37 Dies ist aber ebenso mit der Lehre der objektiven Zurechnung zu erreichen, wenn man die beiden Komponenten der Grundformel scharf voneinander trennt.38 Abgesehen von der keineswegs immer gegebenen Möglichkeit einer strikten Trennung werden damit die Akzente zu einseitig gesetzt, weil der in der verbotenen Gefahrschaffung sich realisierende Erfolg ebenso ein „Kernstück des tatbestandsmäßigen Verhaltens“ ist wie diese selbst.39 Der wesentliche Kritikpunkt von Frisch gegen die Einbeziehung der rechtlich missbilligten Gefahrschaffung in die objektive Zurechnung betrifft die Problematik der Versuchsstrafbarkeit und damit den Gegenstand des Vorsatzes. Nach Frisch stünde die bloß fehlende Erfolgszurechenbarkeit einem strafrechtlichen Versuch nicht entgegen, weil das Verhaltensunrecht als solches unberührt bliebe.40 Dies beruht wiederum auf seiner Auffassung, dass sich der Vorsatz auf das tatbestandsmäßige Verhalten, jedoch nicht auf die Erfolgszurechnung beziehen könne, da es sich dabei um einen Teil des Sanktionstatbestands des Rechtsanwenders handele.41 Dies betrifft jedoch nicht die Lehre von der objektiven Zurechnung als solche, sondern ihre Bedeutung im subjektiven Tatbestand und daher ein nachgelagertes Problem.42 Damit entfällt der von Frisch postulierte dogmatische Vorteil seiner Lehre. Eine Gefahr einer Vermengung von Tatbestands- und Zurechnungsfragen ist im Übrigen nicht erkennbar. Frisch hebt auch die der Beurteilung zugrunde liegenden unterschiedlichen Perspektiven hervor. Zur Bildung des Begriffs des unerlaubten Risikos stellt er auf die Perspektive ex ante ab, bei der Risikorealisierung geht er von der Perspektive ex post aus.43 Wie Schünemann richtig betont, müssen die ex ante zu konstituierende Verbotsnorm und die ex post zu konstituierende Sanktionsnorm zwar nicht identisch, aber in der Form aufeinander bezogen sein, dass das ex ante formulierte Verbot auch aus der ex post Perspektive noch eine zweckmäßige Maßnahme zur Verhinderung des eingetretenen Erfolges darstellt.44 Insoweit erweise sich die Kontroverse als ein „Scheinproblem“, da erst beides zusammen die Tatbestandserfüllung eines Er36

Roxin, AT I4, § 11 Rn. 51. Frisch, in: FS-Roxin, S. 234. 38 Roxin, AT I4, § 11 Rn. 51. 39 Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 92. 40 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 45. So auch Freund, AT, § 2 Rn. 14. 41 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 46 f.; ders., Vorsatz und Risiko, S. 68. 42 Block, Atypische Kausalverläufe, S. 143, 238 f., wo er mit überzeugenden Argumenten für die Notwendigkeit des tatbestandlichen Erfolgs als Vorsatzgegenstand plädiert. 43 Frisch, GA 2003, S. 734 Fn. 73. 44 Schünemann, GA 1999, S. 216. 37

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folgsdelikts ergebe, und es sei ein müßiger Streit, ob der Schwerpunkt beim tatbestandsmäßigen Verhalten oder bei der Erfolgszurechnung liegen solle.45 Die von Frisch selbst eingeräumte, grundlegende Schwäche seiner Konzeption liegt darin, dass die Ermittlung des missbilligten Verhaltens als Grundlage der Erfolgszurechnung nur dann sinnvoll erscheint, wenn man vorher die Kausalitätsfrage gestellt und beantwortet hat.46 Er selbst will aber diese Frage erst nach der Bejahung des tatbestandsmäßigen Verhaltens stellen.47 Der Autor denkt darüber nach, ob es nicht sinnvoll sei, die Frage der Verbotenheit eines Verhaltens um des bestimmten Kausalverlaufs willen als Zurechnungsproblem zu diskutieren.48 Schließlich lehnt er jedoch diese Möglichkeit ab, da „solche prüfungsökonomische[n] Aspekte nichts an den Sachzusammenhängen zu ändern vermögen“.49 Hierauf ist aber zu erwidern, dass es sich bei der Kausalitätsfrage nicht um prüfungsökonomische Aspekte handelt, sondern vielmehr um systematisch und logisch vorgelagerte Gesichtspunkte.50 Es ist bereits denklogisch unmöglich, hinsichtlich eines konkreten Erfolgs auf einen bestimmten Tatbestand abzustellen, ohne vorher die Frage der Kausalität des Verhaltens geklärt zu haben. Die Notwendigkeit einer Lösung im objektiven Tatbestand wird jedenfalls klar gefordert, so dass man die Bedeutung dieser Meinungsdifferenz nicht überschätzen sollte.51 Bei genauerem Hinsehen besteht kein inhaltlicher Unterschied zur Lehre von der objektiven Zurechnung. Die Frage nach dem tatbestandlichen Verhalten korrespondiert mit der ersten Komponente der Grundformel, der Schaffung eines unerlaubten Risikos. Letztendlich handelt es sich bei der Kritik von Frisch lediglich um eine terminologische Differenzierung, die für die konkrete Problemlösung ohne wesentliche Bedeutung ist und nicht gegen die systematische Verortung des unerlaubten Risikos innerhalb der Lehre der objektiven Zurechnung spricht52. bb) Fehlen einer rechtlich missbilligten Gefahrschaffung kraft Eigenverantwortlichkeit des Opfers Materieller Ausgangspunkt für die strafrechtliche Bewertung des ermöglichenden oder fördernden Verhaltens des Außenstehenden ist die Eigenverantwortlichkeit des Opfers, die es im Folgenden in strafrechtsdogmatische Kategorien umzudeuten gilt. 45

Schünemann, GA 1999, S. 216. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 64. Auch nach NK3-Puppe, Vor § 13 Rn. 80 ff., ist die Kausalitätsfrage der Bestimmung der Sorgfaltspflicht und damit der Zurechnung vorgelagert. 47 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 50 ff. 48 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 64. 49 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 65. 50 Block, Atypische Kausalverläufe, S. 140. 51 Roxin, AT I4, § 11 Rn. 51. 52 Vgl. Roxin, in: FS-Maiwald, S. 729. 46

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Es stellt sich also die Frage, ob und inwieweit die normative Qualität des Verhaltens des Außenstehenden durch die qualifizierte Teilhabe des Opfers am Tötungsgeschehen beeinflusst wird. Gewährt die Rechtsordnung dem Individuum eine umfassende Freiheit, über seine individuellen Rechtsgüter beliebig zu verfügen, so trägt die Ermöglichung bzw. Förderung seiner eigenverantwortlichen Rechtsgutspreisgabe zur Umsetzung dieser Freiheit, zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts bei.53 Das Verhalten des Außenstehenden erweitert die Verhaltensoptionen für das Opfer lediglich um die Möglichkeit einer Selbstschädigung.54 Infolge der selbstbestimmten Entscheidung des Opfers, seine Lebenssphäre so zu organisieren, dass ein Risiko für seine Rechtgüter entsteht, ist die Unterstützungshandlung des Außenstehenden als ein rechtlich erlaubtes Risiko zu qualifizieren.55 Die Schaffung oder Erhöhung der Gefahr einer Selbstschädigung, zu deren Risikorealisierung es erst durch freiverantwortliche Aktivierung des Opfers kommen kann, ist demnach rechtlich erlaubt.56 Die Verantwortungsbereiche des Rechtsgutsträgers und des Außenstehenden sind derart abzustecken, dass eine Zurechnung strafrechtlicher Verantwortung zu Lasten des Außenstehenden ausgeschlossen ist, soweit das vom Rechtsgutsträger verübte selbstschädigende Verhalten Ausfluss seiner unantastbaren Autonomie ist.57 Ein etwaiges Verbot der Ermöglichung bzw. Förderung eigenverantwortlicher Selbstverletzungen liefe auf einen den Rechtsgutsträger bevormundenden und ihren Achtungsanspruch als selbstbestimmungsfähige Person zuwiderlaufenden staatlichen Paternalismus hinaus.58 Eine Verpflichtung des Einzelnen, einem anderen keine Möglichkeit zu einer Selbstschädigung zu eröffnen, erweist sich als unzulässige Bevormundung, solange der Rechtsgutsinhaber verantwortungsvoll über seine Rechtsgüter verfügt.59 Es ist vielmehr Bestandteil eines jeden Soziallebens, dass man anderen Personen durch eigenes Verhalten auf vielfältige Weise Gelegenheit verschafft, sich zu schädigen.60 Da im Grunde jedes Verhalten ein mehr oder weniger 53

Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 382; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 334. 54 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 330; Neumann, GA 1996, S. 39. 55 Berkl, Sportunfall, S. 90; Frister, AT4, S. 112; Hardtung, NStZ 2001, S. 207; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 335. 56 Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 373; Dannecker/Stoffers, StV 1993, S. 645; Freund, Erfolgsdelikt, S. 200; Hardtung, NStZ 2001, S. 207; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 335. 57 Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 373 f.; MK-Duttge, § 15 Rn. 149, 151; MK-Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 34. 58 Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 373 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 157; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 383; Puppe, in: FS-Androulakis, S. 558; MKSchneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 34. 59 Freund, Erfolgsdelikt, S. 200; ders., AT2, § 1 Rn. 15; Frister, AT4, S. 112; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 131, 330; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 267. 60 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rdn. 106.

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großes Risikopotential enthält, das ein selbstgefährdendes oder -schädigendes Verhalten Dritter ermöglichen bzw. veranlassen kann, würde ein Verbot aller vorhergehenden Verhaltensweisen zu einer unerträglichen Einschränkung sowohl der Handlungsfreiheit des Außenstehenden als auch der Freiheits- und Entfaltungsinteressen derer, die sich willentlich schädigen könnten, führen.61 Zur dogmatischen Untermauerung dieses Ergebnisses kann die kriminalpolitische und viktimodogmatische Erkenntnis herangezogen werden, dass ein Schutz der Rechtsgüter gegenüber ihrem Träger durch das Strafrecht dort nicht erforderlich ist, wo der Rechtsgutsträger sich ohne weiteres durch bloßen Verzicht auf das wissentlich riskante Verhalten hinreichend selbst schützen und Verletzungen seiner Rechtsgüter mühelos vermeiden könnte.62 Denn jeder kann seine eigenen Rechtsgüter im Hinblick auf sein eigenes Handeln unproblematisch sicherstellen, weil eine von ihm selbst drohende Gütereinbuße in kompetentem Zustand nie ohne oder gegen seinen Willen stattfinden könnte.63 Das Opfer setzt sich mit seinem selbstschädigendem Verhalten bewusst in Widerspruch zu dem Rechtsgutsstreben des Strafrechts, weshalb es unangemessen wäre, zur Vermeidung von Rechtsgutsbeeinträchtigungen die Handlungsfreiheit Dritter einzuschränken.64 Das Verbot der Ermöglichung bzw. Förderung eigenverantwortlicher Selbstverletzungen wäre außerdem ein ungeeignetes Mittel zum Schutz des Opfers, weil demjenigen, der sich bewusst selbst verletzen will, immerhin erhebliche Möglichkeiten verbleiben, diesen Wunsch zu realisieren.65 Schließlich fehlt es an dem Erfordernis der Appellwidrigkeit der täterschaftlichen Entscheidung, wenn dem Rechtsgut nicht entgegen den Willen des Rechtsgutsinhabers Beeinträchtigungen zugefügt werden, sondern dem freiverantwortlich handelnden Rechtsgutsinhaber die Ausübung seiner freien Verfügung über das Rechtsgut ermöglicht bzw. veranlasst wird.66 Die Selbstverantwortung des Opfers besteht in der vorrangigen Zuständigkeit für den Erhalt seiner Rechtsgüter, was letztlich dazu führt, dem an der Selbstschädigung

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Eschweiler, Beteiligung, S. 18; Freund, Erfolgsdelikt, S. 200; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 152; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 344; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 275; Rönnau, Willensmängel, S. 79, spricht zutreffend von einer „nicht hinnehmbaren gesellschaftlichen Lähmung“. 62 Mit Recht fragt sich Schünemann, NStZ 1982, S. 62: „… wo wären die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers größer als bei der aus freien Stücken erfolgenden Selbstgefährdung?“; ders., GA 1999, S. 222; ders., in: FS-Bockelmann, S. 130 f.; ders., in: FS-Faller, S. 361 ff.; ders., in: Schünemann (Hrsg.), Strafrechtssystem und Betrug, S.61 ff.; ders., in: v. Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 30 ff.; Sacher, Sonderwissen, S. 92, 150, stellt einseitig auf die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers ab und vernachlässigt den Gesichtspunkt des Schutzes seiner Selbstbestimmungsfreiheit. 63 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 133. 64 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 156; Freund, Erfolgsdelikt, S. 200; Eschweiler, Beteiligung, S. 126. 65 Freund, Erfolgsdelikt, S. 200. 66 Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 188.

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des Opfers Mitwirkenden die strafrechtliche Verantwortung hierfür abzusprechen.67 Die Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr im Sinne der Grundformel der objektiven Zurechnung ist bei der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung zu verneinen, da schon der opfereigene Verantwortungsbereich einschlägig ist.68 Denn die bloße Eröffnung der Möglichkeit zur Selbstschädigung stellt im Hinblick auf die eigenverantwortliche Opferentscheidung ein rechtlich erlaubtes Verhalten dar.69 Als weitere Folge ist auch konsequent die Fahrlässigkeitshaftung des Mitwirkenden auszuschließen, weil es infolge der selbstbestimmten Entscheidung des Opfers bereits an der deliktischen Relevanz des die Selbstschädigung ermöglichenden bzw. fördernden Verhaltens fehlt.70

II. Die Fälle der einverständlichen Fremdschädigung Vor diesem materiellen Hintergrund erweist sich § 216 StGB als eine Ausnahmeregelung im Bereich der einverständlichen Fremdtötung, die einerseits die allgemein entwickelte Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsinhabers einschränkt und zum anderen eine Wertentscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck bringt, die die Grenzen der Verfügbarkeit eigener Rechtsgüter aufzeigt und eine Trennung von Selbst- und Fremdschädigung vorgibt. Die Abgrenzung zwischen strafloser Teilnahme am Suizid und strafbarer Fremdtötung kann im Einzelfall schwierig sein. Die heftige Auseinandersetzung über die Abgrenzungskriterien erklärt sich dadurch, dass das dogmatische Instrumentarium je nach Ausgangspunkt zu weitgehender Strafbarkeit oder Straflosigkeit führt. Die Aufgabe der Dogmatik besteht darin, auf der Grundlage der als richtig angesehenen Wertungen systematische Entscheidungshilfen zu entwickeln. 1. Die Position der Rechtsprechung Die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH hat sich im sog. „Gisela-Fall“ ausdrücklich für die Tatherrschaft als maßgebliches Abgrenzungskriterium täterschaftlicher Verantwortlichkeit ausgesprochen.71 Dort hatten der Angeklagte und das Opfer den Entschluss gefasst, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Plangemäß leitete der Angeklagte die Abgase in den Kraftwagen, indem er den Motor einschaltete und das Gaspedal durchtrat, während das Opfer, das auf der Beifahrerseite 67 Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 374; Eschweiler, Beteiligung, S. 60; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 382; MK-Duttge, § 15 Rn. 149. 68 Eschweiler, Beteiligung, S. 18. 69 Frister, AT4, S. 112; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 335. 70 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 334 f.; Kindhäuser, AT4, § 11 Rn. 23; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 335 f.; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 48. 71 BGHSt 19, 135.

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Platz genommen hatte, die rechte Tür von innen verriegelte. Beide verloren durch das Einatmen des einströmenden Kohlenmonoxids das Bewusstsein. Nur der Angeklagte konnte gerettet werden. Bei der Beurteilung des Falles hat der BGH die ursprünglich nach der subjektiven Theorie am Täterwillen orientierte Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme mit Recht abgelehnt und darauf abgestellt, „wer das zum Tod führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat“.72 Im Einzellfall sei entscheidend, in welcher Art und Weise der Lebensmüde über sein Schicksal verfügt habe. Die Abgrenzung hänge davon ab, ob sich der Lebensmüde in die Hand des anderen begeben habe, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte oder ob er bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal behielte. Dieser „Vorbehalt der Entscheidung“ sei nicht davon abhängig, ob das Opfer nach dem Tatbeitrag des anderen tatsächlich noch die freie Entscheidung über Leben und Tod gehabt habe. Es komme vielmehr auf den Gesamtplan an. Der BGH bejahte die Strafbarkeit des Überlebenden nach § 216 StGB mit der Begründung, dass dieser nach dem gemeinsamen Plan das gesamte Geschehen bis zuletzt in der Hand halten und die Ausführungshandlung bis zum Eintritt der eigenen Bewusstlosigkeit fortsetzen sollte. Dass die Verstorbene bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit die Wahl hatte, sich durch Verlassen des Wagens der Wirkung des Gases zu entziehen, ändere nichts daran, dass sie „die fortdauernde auf den Tod zielende Handlung des Angeklagten duldend“ hingenommen hatte, ohne den letztmöglichen Zeitpunkt ihrer Rettung zu kennen. Es muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Rezeption der Tatherrschaftslehre durch das subjektivierende Kriterium des „Gesamtplans“ erheblich relativiert wird. Eine solche Subjektivierung des Tatherrschaftsgedankens vermag nicht zu überzeugen. Denn danach würde die Tatherrschaft auch dann beim Angeklagten verblieben sein, wenn man den Fall dahin abwandelt, dass dieser längst bewusstlos gewesen wäre, während Gisela den Wagen jederzeit hätte verlassen können.73 Auf das Tatherrschaftskriterium stellt der BGH auch im „Scophedal-Fall“ ab.74 Der Onkel des Angeklagten hatte bei voller geistiger Verantwortlichkeit den Entschluss gefasst, sich durch die Injektion von Scophedal – ein unter das Betäubungsmittelgesetz fallendes Narkoanalgetikum – zu töten. Er setzte den Plan in die Tat um und versetzte sich in einen tiefen Schlaf. Der Angeklagte, der zu einem früheren Zeitpunkt vom Opfer um Suizidhilfe gebeten worden war, befürchtete der Selbstmordversuch werde misslingen und injizierte eine weitere Dosis Scophedal, 72 Die subjektive Theorie muss insoweit versagen, weil § 216 StGB die Unterordnung des Täters unter den Willen des Opfers voraussetzt. Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 38; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 38; Christmann, Jura 2002, S. 679; Eisele, BT/1, Rn. 167; SK-Horn, § 216 Rn. 9; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 338 Fn. 109; Otto, in: FS-Tröndle, S. 160; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 47; Roxin, NStZ 1987, S. 346; ders., TuT8, S. 567. 73 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 339; Schroeder, ZStW 1994, S. 577; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 167. 74 BGH, NJW 1987, S. 1092= MDR 1987, S. 334= JR 1988, S. 336.

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die wenig später zum Tod des Opfers führte. Es ließ sich mit Sicherheit feststellen, dass der Onkel ohne das Eingreifen des Angeklagten mindestens eine Stunde länger gelebt hätte. Da der Onkel zum Zeitpunkt der Injektion „in tiefer Bewusstlosigkeit“ gelegen und deshalb jede Möglichkeit der Beeinflussung des Geschehens verloren habe, habe die Tatherrschaft ausschließlich beim Angeklagten gelegen. Der weitere Verlauf habe allein von seinen Entscheidungen abgehangen. Unter Bezugnahme auf die im „Gisela-Fall“ aufgestellten Tatherrschaftskriterien hat das OLG München mit seinem Beschluss die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den beschuldigten Arzt Hackenthal, der einer schwer krebskranken Patientin ein Gift zur Verfügung gestellt hatte, rechtskräftig abgelehnt.75 Da die Frau den Giftbecher „ohne Hilfe Dritter selbst zum Mund geführt und das Gift getrunken“ und so „den lebensvernichtenden Akt eigenhändig ausgeführt“ habe, habe sie allein die Herrschaft über das zum Tod führende Geschehen gehabt. Auch eine Tötung in mittelbarer Täterschaft scheide aus, weil das Opfer nicht als Werkzeug gegen sich selbst benutzt wurde.76 Es liege daher nur straflose Beihilfe zur Selbsttötung vor. Auf den Tatherrschaftsgedanken greift die Rechtsprechung auch in Fällen, in denen der Sterbewillige den Außenstehenden täuschungsbedingt zu der Tötungshandlung bestimmt. Dem OLG Nürnberg lag der Fall vor, dass ein Mann seine Ehefrau bei einer Aussprache über die beabsichtigte Scheidung aufforderte, eine Pistole zu nehmen und auf ihn zu schießen. Er hatte ihr versichert, die Pistole sei ungeladen und ihr dies durch Vorzeigen des leeren Magazins vorgetäuscht. Die waffenunkundige Frau war davon überzeugt und drückte schließlich ab. Da sich tatsächlich eine Patrone im Lauf befand, führte sie dadurch den Tod ihres Ehemannes herbei. Während das LG Nürnberg-Fürth eine strafbare Tötungstat wegen der Eigenverantwortlichkeit des Opfers verneint hatte, ging das OLG Nürnberg davon aus, dass es sich bei dem Schuss nicht um eine fahrlässige Ermöglichung einer Selbsttötung handele. Das OLG Nürnberg führte aus, dass sich der vorliegende Fall von allen anderen Sachverhalten unterscheide, in denen der BGH die fahrlässige Mitwirkung an einem vorsätzlichen und freiverantwortlichen Suizid für straflos erklärt habe. Die bisher vom BGH entschiedenen Fällen zeichnen sich dadurch aus, dass der letzte Schritt von dem getan werde, der zu sterben wünscht, oder das Risiko für sich oder sein Leben eingehe; in keinem der (…) Fälle überlasse diese Person den letzten der für den tödlichen Ausgang maßgeblichen Handlungsschritte dem anderen.77 Das Gericht nimmt explizit Bezug auf die im „Gisela-Fall“ entwickelte Differenzierung und stellt den Gesichtspunkt der Tatherrschaft als den entscheidenden heraus. Die intellektuelle Beherrschung durch den Ehemann verstärke zwar das Gewicht seiner Rolle in hohem Maße gegenüber einem vorsätzlichen Handeln der Ehefrau, jedoch fehle eine bewusste Beherrschung des Tötungsgeschehens. „Es bleibt dabei, dass ihr Ehemann die irreversible Handlung ihr überließ, da saß und darauf wartete, dass sie 75 76 77

OLG München, NJW 1987, S. 2940. OLG München, NJW 1987, S. 2941 f. OLG Nürnberg, NJW 2003, S. 454.

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auch wirklich seinem Wunsch entsprechend abdrückte.“78 Damit übersieht der Senat, dass das Tatherrschaftskriterium die Einbeziehung der Opferseite erlaubt und verlangt, so dass nicht lediglich die äußere Steuerung durch die Angeschuldigte, sondern auch die kraft überlegenen Wissens bestehende Irrtumsherrschaft des sterbewilligen Ehemannes zu berücksichtigen ist.79 Zu Recht kritisiert Roxin, dass das alleinige Abstellen auf das Körperverhalten des vorsatzlosen Werkzeugs zu naturalistisch sei und dessen Bedeutung als vorsätzliche Selbsttötungshandlung des geschehenslenkenden Hintermannes vernachlässige.80 Das OLG Nürnberg hat die Strafbarkeit der Angeklagten nach § 222 StGB bejaht und dies mit einem Umkehrschluss begründet. Es liege auf der Hand, dass es sich, wenn die Angeschuldigte von der Patrone im Lauf gewusst hätte, um eine Tötung auf Verlangen und nicht um eine bloße Beihilfe zum Selbstmord gehandelt hätte81. Auch der BGH hatte inzwischen einen Fall zu bewerten, in dem ein Zivildienstleistender einen bewegungsunfähigen Schwerstbehinderten auf dessen Wunsch hin unbekleidet in Müllsäcke verpackt und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in einen Container gelegt hatte. Dabei versicherte der Sterbewillige dem Angeklagten wahrheitswidrig, er habe dies schon häufiger gemacht und seine Bergung aus dem Container sei gewährleistet. Er starb durch Ersticken, möglicherweise in Kombination mit Unterkühlung. Für die Abgrenzung der straflosen Selbstgefährdung von der einverständlichen Fremdgefährdung greift der BGH auf die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme zurück. Maßgebend sei, ob der Angeklagte bei wertender Betrachtung im Vollzug des Gesamtplans des zum Tode führenden Geschehens über die Gefährdungsherrschaft verfügte oder als Werkzeug des Suizidenten handelte. „Letzteres wäre angesichts der eigenhändigen Ausführung der Gefährdungshandlung durch den Angeklagten nur anzunehmen, falls der Lebensmüde den Angeklagten über das zum Tode führende Geschehen getäuscht und ihn mit Hilfe des hervorgerufenen Irrtums zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht hätte“82. Der BGH lehnt die Werkzeugqualität des Angeklagten ab, weil er „über die konkreten Umstände der von ihm allein verursachten extremen Gefährdung nicht getäuscht wurde“83. Damit schließt der BGH eine Selbsttötung in „mittelbarer Täterschaft“ nicht prinzipiell aus, sondern lässt die Frage offen, weil er die Voraussetzungen für eine Tatherrschaft des Sterbewilligen als nicht erfüllt ansieht.

78 79 80 81 82 83

OLG Nürnberg, NJW 2003, S. 455. Duttge, in: FS-Otto, S. 246; Murmann, Selbstverantwortung des Opfers, S. 342. Roxin, in: FS-Otto, S. 443 f. OLG Nürnberg, NJW 2003, S. 455. BGH, NJW 2003, S. 2327. BGH, NJW 2003, S. 2327.

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2. Normative Kriterien zur Abgrenzung zwischen strafloser Mitwirkung an eigenverantwortlicher Selbstschädigung und Fremdtötungstäterschaft in der Literatur a) Das Kriterium der Tatherrschaft Die Frage nach der sachgerechten Abgrenzung der Fälle der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung von denen der einverständlichen Fremdschädigung orientiert sich nach der herrschenden Meinung an Kriterien der Beteiligungslehre. Das von Roxin zugrunde gelegte Kriterium stellt auf die Herrschaft über den aus der Sicht des Suizidenten unmittelbar lebensbeendenden Akt ab.84 An der begrenzten Leistungsfähigkeit der Tatherrschaftslehre bei der Bestimmung ihres normativen Gegenstandes setzt dagegen die Kritik derjenigen Stimmen in der Literatur an, die einen Rekurs auf die Kriterien der strafrechtlichen Beteiligungslehre ablehnen und auf die Lehre des tatbestandsmäßigen Verhaltens und das Kriterium des rechtlich unerlaubten Risikos abstellen wollen. Zunächst wird zu untersuchen sein, ob die gegen die Tatherrschaftslehre angeführten Einwände zu überzeugen vermögen. Danach werden die gegen Roxins Kriterium vorgetragenen Argumente erörtert und anhand der umstrittenen Fälle auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft werden, um darzulegen, dass Roxins Vorschlag konsequent angewandt tatsächlich zu fruchtbaren Ergebnissen führen kann. Vor diesem Hintergrund sind schließlich die Lösungsvorschläge des Kriteriums des rechtlich unerlaubten Risikos kritisch zu würdigen. Es ist zwar richtig, dass die Leistungsfähigkeit der Tatherrschaftslehre vor allem in der strafrechtlichen Verantwortungszuschreibung zwischen Tätern und sonstigen Beteiligten bei der Begehung einer Straftat gegen einen Dritten liegt.85 Aber auch in den Fällen eines einverständlichen Zusammenwirkens mit dem Opfer kann das Kennzeichen der Arbeitsteiligkeit phänomenologisch festgestellt werden. Der Gedanke einer arbeitsteiligen Unrechtsverwirklichung lässt sich aber auf das Verhältnis „Täter-Opfer“ schwer übertragen, weil kein von mehreren getragener Verletzungszusammenhang vorliegt.86 Denn das Verhalten des Opfers lässt sich nicht als Angriff auf sein individuelles Rechtsgut verstehen. Wie Neumann zutreffend festgestellt hat: „Es geht nicht um die Aufteilung strafrechtlicher Verantwortlichkeit zwischen mehreren Tätern (i.w.S.), sondern um die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche 84 Roxin, TuT8, S. 569 f.; ders., GA-FS, S. 185 f.; ders., NStZ 1987, S. 347; ders., in: Roxin/ Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, S. 106. So auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 39, 272 ff.; Gössel/Dölling, BT/1, § 2 Rn. 85; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 230 f.; Kargl, JZ 2002, S. 393; Kindhäuser, BT/1, § 4 Rn. 9; Lackner/Kühl, § 216 Rn. 3; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 48; ders., JA 1987, S. 249; Otto, in: FS-Tröndle, S. 162 f.; ders., Grundkurs Strafrecht, § 6 Rn. 49; Rengier, BT/II, § 8 Rn. 8; SK-Horn, § 216 Rn. 10; Schönke/Schröder-Eser, § 216 Rn. 11; Schroth, GA 2006, S. 567; Schünemann, in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von AIDS, S. 477. 85 Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 369 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 331. 86 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 331 f.

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von Täter und Opfer.“87 Zur Diskussion steht insoweit, ob der Außenstehende überhaupt einen Unrechtstatbestand verwirklicht hat. Dagegen bezieht sich die Tatherrschaftslehre grundsätzlich auf einen in seiner Gesamtheit bereits als tatbestandsmäßigen Verhaltensnormverstoß ausgewiesenen Vorgang.88 Dies bedeutet jedoch nicht, dass man die Tatbestandsverwirklichung durch den Einzeltäter mit der dogmatischen Figur der Tatherrschaft nicht feststellen kann.89 Da die Straftatbestände dem Rechtsgüterschutz dienen, und da die Beeinträchtigung dieser Güter durch menschliche Handlungen erfolgt, schildern die Tatbestände rechtsgutsverletzende Handlungsabläufe.90 Weil jeder Mensch sein eigenes Verhalten beherrscht, solange er nicht Steuerungsdefekte aufweist, ist es also die Herrschaft über die eigene Körperbewegung als Grund des Erfolges, die die Täterstellung bei der simpelsten Deliktsstruktur begründet.91 Denn die Tatherrschaftslehre trägt der wegen ihrer Evidenz unbestreitbaren Erkenntnis Rechnung, dass der Täter nichts anderes ist als das Subjekt der Deliktsbeschreibungen des Besonderen Teils, dass seine Feststellung mithin eine Frage des tatbestandlich vertypten Unrechts und nicht etwa der Schuld, der „inneren Einstellung“ oder der „Gesinnung“ ist.92 Der täterschaftsbegründende Aspekt der Tatherrschaft erschließt sich entgegen Murmann nicht einseitig aus der faktischen Steuerung eines äußeren Geschehensablaufes, die „an die Stelle der Herrschaft über das konkrete Verhältnis in seiner Rechtlichkeit“ eintrete.93 Die Tatherrschaft stellt einen über die bloße instrumentale Steuerung kausaler Verläufe hinausgehenden normativ-wertenden Begriff dar, der als Resultat einer Synthese von faktisch-ontischen und teleologischen Herrschaftsmomenten zu deuten ist.94 Murmann selbst führt aus, dass die Betonung der instrumentalen Seite der Tatherrschaft nur durch eine normative Tatherrschaftslehre ausgeglichen werden könne. Dieses Bemühen sollte sich jedoch auf die Fälle der Beteiligung mehrerer beschränken, da für die Alleintäterschaft lediglich die Tatbestandsverwirklichung maßgeblich bleibe.95 Dies leuchtet jedoch nicht ein. Seine Auffassung verkennt die sachlogische Struktur und die funktional-teleologische Herleitung der Tatherrschaftslehre. Aus der Aufgabe des Strafrechts durch Generalprävention einen optimalen Rechtsgüterschutz zu bewirken ergibt sich, dass die 87

Neumann, JA 1987, S. 247. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 331. 89 Vgl. Gallas, Beiträge, S. 141 f. 90 Roxin, TuT8, S. 336. 91 LK12-Schünemann, § 25 Rn. 39 (Hervorhebung im Original). 92 LK12-Schünemann, § 25 Rn. 36. 93 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 332; ähnlich Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 58 f.; Hohmann/König, NStZ 1989, S. 307. 94 Gallas, Beiträge, S. 141 f.; Kühl, AT6, § 20 Rn. 29; Roxin, TuT8, S. 320 f.; Schönke/ Schröder-Heine, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 64; Schünemann, in: FS-Roxin, S. 3; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 156 f. 95 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 354 Fn. 168. 88

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Strafrechtsnorm an diejenigen Personen adressiert werden muss, die die wesentlichen Entscheidungen über den Eintritt der Rechtsgutsverletzung zu treffen vermögen und dadurch deren Einritt beherrschen, während gegenüber Randpersonen ein Unterstützungsverbot ausgesprochen werden muss.96 Tatbestandsmäßiges Verhalten kann demnach von demjenigen verwirklicht werden, der sich in einer Schlüsselposition für die Unversehrtheit des Rechtsguts befindet und deswegen die Herrschaft über den Grund des Erfolges hat.97 Die Feststellung der Tatherrschaft erfordert daher immer eine normative Entscheidung hinsichtlich der materiellen Verantwortlichkeit des Handelnden für das zum Erfolg führende Geschehen. Auf diese Weise erlaubt sie das Geschehen wertend als täterschaftliche Erfolgsverwirklichung einer bestimmten Person zu erfassen. Der Außenstehende, der die Herrschaft über den todbringenden Moment ausübt, wird deshalb mit Recht als Täter verantwortlich gemacht, da er die Entscheidung über den Eintritt des Todeserfolges trifft und damit eine Rechtsgutsverletzung bewirken kann. Geht man von der dargestellten zweck- und wertorientierten Basis aus, ist die Alleintäterschaft durch den normativen Begriff der Tatherrschaft zu begründen, ohne sich zu einer bloßen „Geschehensherrschaft“ zu entpuppen. Die weitere Kritik setzt an der von Roxin postulierten tatbestandsspezifischen Anpassung des Tatherrschaftsgedankes an.98 Danach kommt es nicht mehr auf die Tatherrschaft über das Gesamtgeschehen, sondern auf das spezifische Beherrschen des todbringenden Moments an: „Selbstmord begeht, wer im kritischen Augenblick, jenseits dessen ein Zurück nicht mehr möglich ist, die Entscheidung über sein Leben in eigener Hand hält; wer die Grenzlinie, die beim Eintritt der Handlungsunfähigkeit liegt, selbst überschreitet. Um einen Fall des § 216 StGB handelt es sich dagegen, wenn das Opfer einem anderen den Vollzug des letzten, irreversiblen Geschehensaktes anvertraut, wenn er sich über die zum Tode führende Schwelle von fremder Hand hinüberstoßen lässt.“99 Die Vorverlagerung des todbringenden Moments auf den Eintritt der Bewusstlosigkeit des Opfers begründet Roxin mit teleologischen Erwägungen. Nur wenn der Lebensmüde den entscheidenden Selbsttötungsakt höchstpersönlich vornehme, habe er eine autonome Entscheidung getroffen und

96 LK12-Schünemann, § 25 Rn. 38; ders., in: FS-Herzberg, S. 42. Diese funktional-teleologische Herleitung bildet die axiomatische Fundierung der Tatherrschaftslehre. Damit entfällt auch der von Haas, Die Theorie der Tatherrschaft, S. 23 ff.; ders., ZStW 2007, S. 523 f., erhobene Vorwurf der fehlenden normativen Begründung des Tatherrschaftsbegriffs. Für die Beteiligungsformen als komparative Wertbegriffe vgl. ausführlich Morozinis, Organisationsdelikte, S. 255 ff. 97 Schünemann, Unterlassungsdelikte, S. 229 f.; ders., in: FS-Schroeder, S. 411. 98 Nach Roxin, TuT8, S. 571; ders., NStZ 1987, S. 347, stelle sich das Herrschaftskriterium lediglich wegen der singulären Tatbestandsstruktur des § 216 in einer von den übrigen Tötungsdelikten abweichenden Form dar. Dies sei nur ein Beweis für die legitime Tatbestandbezogenheit des Täterbegriffs. A.A. MK-Schneider, § 216 Rn. 42, 45; Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 333. 99 Roxin, TuT8, S. 569.

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durchgestanden, für die außenstehende Helfer nicht verantwortlich gemacht werden könnten.100 Eindeutig einordnen lassen sich die Fälle, in denen entweder der Sterbewillige oder der Außenstehende die Ausführungshandlung allein vollzieht und der jeweils andere einen Beitrag ausschließlich im Vorbereitungsstadium leistet (z. B. Tatanstöße, Ratschläge, Lieferung der zur Selbstschädigung geeigneten Mittel). Im „Hackenthal-Fall“ ist dementsprechend die Mitwirkung des Arztes als straflose Beihilfe zu bewerten, da die schwer krebskranke Patientin bis zuletzt die freie Entscheidung darüber behielt, ob sie aus dem vom Beschuldigten beschafften Giftbecher trinken wollte. Damit sind sehr wohl Fälle denkbar, in denen der Arzt dem Patienten in der Phase der Vorbereitung des Suizids helfen darf, ohne gegen das Strafrecht und ärztliche Pflichten zu verstoßen.101 Nach Kutzer habe der Angeschuldigte neben der Patientin ebenfalls die Tatherrschaft innegehabt, denn die Durchführung des Suizids habe „wesentlich auch in seinen Händen“ gelegen.102 Das Defizit einer solchen Sichtweise ergibt sich schon daraus, dass im Fall ärztlichen Handelns der Beihilfebereich im Ergebnis ausgehebelt wäre, wenn die „organisatorische Leistung“ zur Tatherrschaft des Arztes ausreichen würde.103 Kutzer verkennt dabei, dass die gesamte organisatorische Leistung und die vorangegangene Gesprächsführung mit dem Beschuldigten allein der Verwirklichung der Selbstverfügungsfreiheit der Patientin dienen sollten und auf keinen Fall tatherrschaftsbegründend wirken.104 Das Verhalten des Arztes erweitert die Verhaltensoptionen für die Patientin lediglich um die Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Verfügung über ihr Leben. Problematisch ist hingegen die Abgrenzung, wenn das Opfer aktiv an der Ausführungshandlung mitwirkt (sog. Fälle der Quasi-Mittäterschaft) oder wenn beide beteiligten Personen aus dem Leben scheiden wollen (sog. Fälle des einseitig 100 Roxin, TuT8, S. 569 f.; ders., in: GA-FS, S.184; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, S. 107; ders., NStZ 1987, S. 347 f. Zustimmend Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 271 f. Noch weitergehend das psychologische Kriterium der Überwindung der Hemmschwelle des Sterbewilligen, vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 40; ähnlich SK-Horn, § 216 Rn. 10. Insbesondere greift der von Horn gezogene Schluss von dem Maß der Mitwirkung des Lebensmüden auf seine psychische Situation für eine tragfähige Abgrenzung zu kurz. Er setzt nämlich voraus, dass der Lebensmüde sein Leben ohne fremde Hilfe beenden könnte, was aber nicht zwingend ist. Denn § 216 StGB erfasst auch die Fälle, in denen der Lebensmüde physisch nicht in der Lage ist, sich selbst zu töten z. B. wegen einer vollständigen Lähmung. Die weitreichende Delegation der Tötungshandlung dürfte daher nicht notwendig Ausdruck der Unfähigkeit des Lebensmüden sein, deren Selbstvornahme psychisch zu verkraften. Kritisch hierzu auch v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 679; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 226 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 349. 101 Putz, in: FS-Widmaier, S. 707. 102 Kutzer, NStZ 1994, S. 112. 103 Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 194. 104 Kritisch auch Murmann, Selbstverantwortung des Opfers, S. 343 Fn. 128.

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fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes). Im „Gisela-Fall“ gelangt Roxin durch Anwendung seines Kriteriums zur Straflosigkeit des Angeklagten, weil sich das Opfer bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit der Einwirkung des Gases jederzeit durch Verlassen des Fahrzeuges habe entziehen können.105 Indem Gisela den kritischen Moment des Bewusstseinverlustes beherrscht habe, habe sie den letzten Entschluss durchgestanden und müsse ihren Tod selbst verantworten. Dagegen spricht jedoch, dass die Erfolgsherbeiführung nicht mit dem Eintritt der Bewusstlosigkeit des Opfers zusammenfällt, sondern von dem weiteren Durchtreten des Gaspedals von Seiten des Angeklagten abhängig bleibt. Dies bedeutet, dass das Opfer mit dem Verlust des Bewusstseins nicht mehr in der Lage ist, sich den tödlichen Auswirkungen des einverständlich vorgenommenen Tatbeitrags des Angeklagten zu entziehen.106 Die Tatsache, dass Gisela bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit das Auto nicht verlassen hat, beweist zwar die Ernsthaftigkeit ihres Selbsttötungsentschlusses, bleibt aber für die Frage des Vorliegens einer Fremdtötungstäterschaft irrelevant.107 Der Todeseintritt hängt schließlich davon ab, ob der Angeklagte das Gaspedal noch weiter durchgetreten und damit die Tötungshandlung zu einem Zeitpunkt vollzogen hat, als Gisela sich nicht mehr selbst retten konnte, weil sie bereits bewusstlos war und folglich die Herrschaft über den todbringenden Moment verloren hat.108 Es muss schließlich berücksichtigt werden, dass der Lebensmüde gerade in Selbstmordsituationen häufig in einem späteren Stadium der Ausführung der Tötungshandlung doch noch Skrupel bekommt und seine ursprüngliche Entscheidung revidiert.109 Der Beweis der Selbstschädigungsfähigkeit des Opfers kann demnach nicht das entscheidende Kriterium für das Vorliegen des Fremdtötungsunrechts sein. Die tatbestandliche Fassung von § 216 StGB lässt zwar Raum für eine Interpretation, die 105

Roxin, TuT8, S. 570. So auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 274 f.; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 231; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 24; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 52; Rengier, BT/2, § 8 Rn. 10; Schönke/Schröder-Eser, § 216 Rn. 11; Wessels/Hettinger, BT/1, Rn. 163 f. 106 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 350; Thier, Retterschäden, S. 157; Otto, in: FS-Tröndle, S. 164. Trotz dieser richtigen Bemerkung will Otto wegen der QuasiMittäterschaft zur Verwirklichung eines gemeinsam gefassten Suizidplanes im Endergebnis keine Strafbarkeit des Angeklagten annehmen. 107 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 351; Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 333 f. 108 LK12-Walter, Vor § 13 Rn. 130 Fn. 179, Rn. 132; Jakobs, AT2, 21/58a Fn. 124, der das Unbehagen an der Entscheidung darin sieht, dass die Tötungshandlung des Überlebenden nach der eingetretenen Handlungsunfähigkeit des Opfers ein Grenzfall eines Organisationsverhaltens war (weiteres Durchtreten des Gaspedals eines Autos). Bei eindeutiger Handlung (etwa Erschlagen, Erschießen) dürfte die Haftung nach § 216 StGB evident sein. Verdeutlicht sei dies am folgenden, von mir gebildeten Beispiel: Die vollverantwortlich handelnden A und B fassen gemeinsam den Entschluss, sich das Leben zu nehmen. Zu diesem Zweck sollen A und B gleichzeitig aufeinander schießen. Soll der Schuss von A fehlgehen und B überleben, wäre die Strafbarkeit von B nach § 216 StGB nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. 109 Thier, Retterschäden, S. 157.

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den Zweck der Vorschrift auf solche Fälle beschränkt sieht, in denen das Opfer seine Suizidfähigkeit nicht bereits bewiesen hat. Dem lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass das Vorliegen einer Fremdschädigung ausgeschlossen wird.110 Aus der systematischen Stellung des § 216 StGB ergibt sich zudem, dass es sich um einen Fall von „Tötung“ im Sinne der §§ 212, 211 StGB handelt. Der Unterschied besteht also nicht in der geforderten Tathandlung, sondern lediglich in der „besonderen Art und Weise des Zustandekommens des Tötungsvorsatzes“.111 Der Täter wird durch das Verlangen des Opfers zur Tatbegehung motiviert. In einem anderen tatbestandlichen Kontext würde ferner die unter Beweis gestellte Selbstschädigungsfähigkeit für die Annahme einer Fremdschädigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.112 Wer mit Einwilligung des Eigentümers dessen Fahrrad ins Wasser wirft, um es dort verrotten zu lassen, begeht auch dann die tatherrschaftliche Zerstörung einer fremden Sache, wenn der anwesende Eigentümer für eine geraume Zeit die Möglichkeit hat, das Fahrrad vor der Beschädigung zu bewahren.113 Es ist deshalb nicht einzusehen, wieso die bloße Möglichkeit des Sterbewilligen zum erfolgsvermeidenden Einschreiten für sich betrachtet seine Tatherrschaft begründen kann.114 Dass das Opfer die zum Tod führende Kausalreihe abbrechen konnte, ist Voraussetzung für die Annahme einer Selbsttötung überhaupt.115 Das Sich-Bereithalten des Opfers im Tatzeitraum wird ohnehin immer von § 216 StGB vorausgesetzt.116 In dem schlichten Unterlassen des Lebensmüden, erfolgsvermeidende Maßnahmen zu ergreifen, äußert sich nichts anderes als der Fortbestand von ernstlichem Verlangen oder Einwilligung, d. h. von tatbestandsformenden Momenten.117 Es liegt auf der Hand, dass dieses Sich-Bereithalten die Tötung auf Verlangen nicht ausschließen kann, da anderenfalls der Vorschrift nur überraschend durchgeführte Fremdtötungen unterfallen würden.118 Gegen eine Lösung, die im vorliegenden Fall des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmords eine Strafbarkeit des Überlebenden annehmen würde, hat Roxin geltend gemacht, dass es unter teleologischen Gesichtspunkten nicht verständlich sei, warum das fortdauernde Betätigen des Gaspedals durch den Angeklagten entscheidend sein soll. Denn eine Tatherrschatfsanalyse, die darauf abhöbe, ob ein Stein 110

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 356. SK-Horn, § 216 Rn. 3. 112 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 356. 113 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 333 Fn. 818. 114 LK11-Jähnke, § 216 Rn. 13; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT/I Tb. 1 Rn. 22; MKSchneider, § 216 Rn. 43 f., 46; Schroeder, ZStW 1994, S. 578. 115 LK11-Jähnke, § 216 Rn. 13; MK-Schneider, § 216 Rn. 43, bemerkt richtig, dass „viele Gehilfen in geradezu inflationärer Weise wertungswidrig zu Tätern von Straftaten avancieren würden“. 116 Schroeder, ZStW 1994, S. 578. 117 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 333 f. 118 Herzberg, JuS 1988, S. 772; MK-Schneider, § 216 Rn. 44; Schroeder, ZStW 1994, S. 578. 111

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auf das Gaspedal gelegt oder ob es stets aufs neue durchgetreten werde, würde die Strafbarkeit des überlebenden Beteiligten ausschließlich von bloßen Zufälligkeiten im zeitlichen Ablauf des Suizids abhängig machen.119 Die normative Vergleichbarkeit beider Fallkonstellationen und damit die Überzeugungskraft des Zufallsarguments dürfen jedoch nicht überschätzt werden. Der Unterschied zwischen Tun (Betätigen des Gaspedals) und Unterlassen (Nichtwegnehmen des Steins) ist schon normativ bedeutsam. Zwar ermöglicht das vorangegangene Beschweren des Gaspedals mit dem Stein nur eine eigenverantwortliche Selbstschädigung, so dass sich eine Pflicht zum Wegnehmen des Steins nicht begründen lässt. Dies gilt aber nicht für die Verpflichtung, ein positives Tun zu unterlassen, das das Leben eines Bewusstlosen gefährdet.120 Legt man außerdem den teleologischen Gedanken Roxins zugrunde, ist es nicht ausgemacht, dass die Aufgabenverteilung zwischen den Tatbeteiligten, wenn der eine auf Verlangen des anderen die Todesbedingungen gleichzeitig für beide setzt, wirklich zufällig erfolgt oder vielleicht doch Ausdruck von Hemmungen vor dem eigenhändigen Vollzug der Tötungshandlung ist.121 Bei Annahme des Zufallsarguments würde ferner § 216 StGB bei Konstellationen des Doppelselbstmordes ausgehöhlt, da stets Straflosigkeit ohne dogmatische Begründung anzunehmen wäre.122 Auch im „Scophedal-Fall“ geht Roxin davon aus, dass der Onkel mit der Selbstvornahme der Tötungshandlung die Hemmschwelle zum Tod allein überschritten und damit die Ernsthaftigkeit seines Entschlusses bewiesen hat. Roxins Auffassung beruht auf einer Gesamtbetrachtung des Geschehensablaufs, nach der die den Todeseintritt beschleunigende oder sonst nachhelfende, einverständlich vorgenommene Aktivität des Mitwirkenden nur als straflose Beihilfe erscheine.123 Die Konstruktion eines Gesamtgeschehens verstellt aber den Blick auf die konkrete Handlungsweise des Angeklagten und stellt diesen deshalb zu Unrecht mit einem Gehilfen an einer Selbsttötung gleich, der seine fördernden Beiträge vor dem Suizidversuch des Lebensmüden leistet.124 Der Tatsache des fehlgeschlagenen ur119

Roxin, TuT8, S. 570 f. Zustimmend Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 40; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 275 f.; Christmann, Jura 2002, S. 680; Eisele, BT/I Rn. 172; Herzberg, NStZ 2004, S. 6; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 56; Otto, in: FS-Tröndle, S. 165; Schroeder, ZStW 1994, S. 579; Wessels/Hettinger, BT/1 Rn. 164. 120 So Murmann, Selbstverantwortung des Opfers, S. 362 Fn. 182. 121 MK-Schneider, § 216 Rn. 49. 122 Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 136. 123 Roxin, NStZ 1987, S. 347 f.; ders., TuT8, S. 571 Fn. 88; ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, S. 107. Zustimmend Hohmann/König, NStZ 1989, S. 305 ff.; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 92; Schroth, GA 2006, S. 567 Fn. 87. Roxins Behauptung, dass es keinen Sinn hätte, eine suizidsichernde geringfügige Lebensverkürzung als Tötungsdelikt zu bestrafen, die ohnehin auch durch aktives Handeln hätte vorgenommen werden können, wenn man den Suizidenten gegen dessen ausdrücklichen Willen ins Krankenhaus gebracht hätte und dieser noch einmal zum Bewusstsein gekommen wäre, stellt auf Reserveursachen ohne jeglichen Einfluss ab. 124 Kühl, JR 1988, S. 340; Jakobs, AT2, 21/58a Fn. 126.

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sprünglichen Suizidversuchs wird keinerlei Bedeutung beigemessen, obwohl das Scheitern möglicherweise auf einen mangelnden Sterbewillen hinweist.125 Es muss zudem die Tatsache berücksichtigt werden, dass dem Onkel jederzeit die Möglichkeit eines erneuten Suizidversuchs offen bleibt.126 Würde der straffreie Bereich auch auf Personen ausgedehnt, die sich aktiv in einer der Selbsttötungshandlung des Lebensmüden nachfolgenden Bewusstlosigkeitsphase einschalten, dann würde derjenige, der einen Suizidversuch unternommen hat, rechtlos gestellt.127 Der vorangegangene Suizidversuch des Onkels kann demnach nichts an der Tatsache ändern, dass er im Endeffekt nicht die Handlung vorgenommen hat, die tatsächlich den Tod herbeigeführt hat.128 Da der Onkel zum Zeitpunkt der Injektion bewusstlos war, hat er den todbringenden Moment bezogen auf den wirklich eingetretenen Tod nicht beherrscht. Das eigenhändige Einspritzen eines tödlichen Gifts in den Körper eines Bewusstlosen ist ohne weiteres eine täterschaftliche Tötung, da der Außenstehende die Schlüsselposition über die Beeinträchtigung des Rechtsguts Leben hat und dadurch den Todeseinritt beherrschen kann. Roxins Ansicht opfert letztlich das geltende Recht dem der Norm zugeschriebenen Telos.129 Die gefühlsmäßig bevorzugte Lösung bestimmt hier das Ergebnis. Der Grund der Aushöhlung von § 216 StGB liegt darin, dass die Einwilligung bzw. das ernstliche Verlangen des Opfers – anders als bei den anderen Verletzungsdelikten – dem Verhalten des Außenstehenden auch dann nicht seinen fremdschädigenden Charakter nehmen kann, wenn kein Zweifel daran besteht, dass das Opfer aufgrund der Ernsthaftigkeit seines Entschlusses auch zur Selbstvornahme der Tötungshandlung in der Lage gewesen wäre.130 Roxin akzeptiert eine straflose Suizidteilnahme selbst in dem von Merkel konstruierten Grenzfall, in dem der Arzt dem Patienten eine tödliche Giftdosis injiziert, ihm aber gleichzeitig die Möglichkeit einräumt, rettende Gegenmaßnahmen vorzunehmen.131 Da der Kranke auch nach der Injektion die Entscheidung über Leben und Tod in der Hand gehabt habe, habe er erst durch seine Behandlungsablehnung, als die das Schweigen zu deuten sei, den point of no return überschritten.132 Lasse der Patient den Zeitpunkt der letzten effektiven Möglichkeit zur Erfolgsabwendung verstreichen, habe er selbst sein Leben aus der Hand gegeben, so dass der Arzt bloßer Gehilfe sei. 125

Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 273 Fn. 213. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 273 Fn. 213. 127 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 363; Schroeder, ZStW 1994, S. 571. 128 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 352; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 238; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 42 Fn. 146. 129 Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 234. 130 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 356 f.; Herzberg, NStZ 1989, S. 560 Fn. 14. 131 Vgl. Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie, S. 80 f. 132 Roxin, GA-FS, S. 185. 126

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Die Verschiebung der Grenze zugunsten der Suizidteilnahme bedarf einer sachlichen Begründung, anderenfalls droht die Gefahr von Wertungsinkonsistenzen, insbesondere im Hinblick auf die Versuchsstrafbarkeit.133 Denn bei unmittelbar und irreversibel tödlicher Injektion liegt unstreitig eine strafbare Tötung auf Verlangen vor. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum eine straflose Suizidteilnahme anzunehmen wäre, wenn der ursprünglich Sterbewillige nach dem Ablauf der Frist für erfolgsversprechende Rettungsmaßnahmen seinen Sterbewunsch revidiert.134 Eine solche Differenzierung hätte zusätzlich zur Folge, dass die Injektion eines Teils der in der Gesamtdosis irreversibel tödlichen Substanz als Suizidhandlung des Patienten und nicht als versuchte Tötung auf Verlangen zu bewerten wäre, weil die Möglichkeit des rechtzeitigen Abbruchs des Vollzugs der Tötungshandlung immer noch offen bliebe.135 Durch die Einbeziehung des Aspekts der Rettungsmöglichkeiten wird im Ergebnis die Dogmatik des Versuchs auf den Kopf gestellt. Denn es wird nicht auf den ansonsten maßgeblichen Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens des Täters zur Verwirklichung des Tatbestands, sondern auf den anschließenden Moment abgestellt, so dass bei möglicher Erfolgsabwendung auf Straflosigkeit geschlossen wird, während im Normalfall lediglich die Möglichkeit des Rücktritts verbleibt.136 Schließlich ist der von Roxin propagierte teleologische Gedanke eines Erfordernisses demonstrierter Ernsthaftigkeit des Selbsttötungsentschlusses hier besonders problematisch, da die aktive Selbstvornahme der Tötungshandlung ausbleibt und die natürliche Hemmschwelle zur Selbsttötung gerade dadurch umgegangen wird, dass der Patient die todbringende Entscheidung trifft, ohne jedoch die todbringende Handlung vornehmen zu müssen.137 Bei dem Kriterium der Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt müsste daher die Möglichkeit, rettende Maßnahmen gegen die vom Dritten gesetzte Bedingung zu ergreifen, unberücksichtigt bleiben.138 Roxins Ergebnissen, die er aus der Anwendung des modifizierten Tatherrschaftskriteriums zieht, ist deshalb mit Schwierigkeit zu folgen. Der Schwachpunkt seiner Auffassung liegt in der deutlichen Akzentuierung des Aspekts der „autonomen und bis zuletzt in manifester Überwindung innerer Hemmschwellen durchgehaltenen

133

NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 54. NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 54. Es erscheint außerdem unbillig, den vorliegenden Fall mit demjenigen gleichzustellen, in dem der Arzt dem Patienten die Giftspritze und das Gegenmittel lediglich gibt, und der Patient über den Vollzug der Tötungshandlung mit Letztverantwortung entscheidet. 135 NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 54. 136 Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 133. 137 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 366 Fn. 194; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 54. 138 Ablehnend auch Herzberg, NStZ 2004, S. 7; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor §§ 211 – 222 Rn. 23; ders., AT4, § 4 Rn. 10; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 175 f.; LK12-Walter, Vor § 13 Rn. 132. 134

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Entscheidung zum Sterben“.139 Roxin gibt seine eigene Theorie einer zwar modifizierten, aber dennoch tatherrschaftsorientierten Grenzziehung zugunsten der normativen Wertung des Gesamtgeschehens vollständig auf. Es ist Herzberg zuzustimmen, dass eine rigoros-liberalistische Selbstverantwortungsethik jedoch nicht die gesetzliche Regelung ersetzen darf.140 Es drängt sich letztlich die Vermutung auf, das Tatherrschaftskriterium werde von Roxin eher dazu eingesetzt, „einzelfallgerechte“ Ergebnisse zu erzeugen. Sein Kriterium vermag trotzdem dogmatisch zu überzeugen und führt konsequent angewandt auch bei den Grenzfällen zu befriedigenden Lösungen. b) Abgrenzung nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit Mit seiner Orientierung an einer wertenden Betrachtung der Tatsituation der Tötung auf Verlangen wendet sich Roxin von seinem Tatherrschaftsgedanken ab und verlagert damit den Schwerpunkt auf allgemeine Zurechnungsregeln nach Maßgabe des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit.141 Insbesondere in den Fällen der gleichwertigen Beherrschung des unmittelbar todbringenden Aktes wird das Abgrenzungsproblem durch die Bildung von Verantwortungsbereichen anhand normativer Zuständigkeitserwägungen jenseits der Tatherrschaftsbetrachtung gelöst. Den Inhalt des Prinzips hat Neumann folgendermaßen umschrieben: „Die eigenverantwortliche Selbstverletzung oder -gefährdung schließt die Strafbarkeit eines anderen wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Mitwirkung aus, sofern nicht der andere das Geschehen in höherem Maße beherrscht als das Opfer“142. Danach ergibt sich, dass derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig an dem vom Suizidenten gleichermaßen mitbeherrschten Tötungsgeschehen mitwirkt, aufgrund des zurechnungsbegrenzenden Prinzips der Eigenverantwortlichkeit nicht für den Tod des Sterbewilligen haftet.143

139

So MK-Schneider, § 216 Rn. 47. Herzberg, NStZ 2004, S. 7. 141 So MK-Schneider, § 216 Rn. 39 f. 142 Neumann, JA 1987, S. 248 f. Zustimmend Hohmann/König, NStZ 1989, S. 308 ff.; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 223 f. 143 So Engländer, Jura 2004, S. 236; Hecker/Witteck, JuS 2005, S. 401; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 223 f.; Mayer, Strafrechtliche Produkthaftung, S. 413 f.; Neumann, JA 1987, S. 247 ff.; NK3-ders., Vor § 211 Rn. 45, 50 ff.; Roxin, NStZ 1987, S. 347, verweist ausdrücklich auf den von Neumann entwickelten Gedanken der Eigenverantwortlichkeit als zusätzliche Bestätigung seines Ergebnisses im „ScophedalFall“. Auch Herzberg, NStZ 2004, S. 6 f., hat neuerdings das Tatherrschaftskriterium zugunsten der objektiven Zurechnung in den Hintergrund treten lassen und gelangt nunmehr im „GiselaFall“ zur Straffreiheit des Angeklagten. 140

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Das Defizit einer solchen Sichtweise ergibt sich schon daraus, das Kriterium der Eigenverantwortlichkeit aus der Täterschaftslehre ableiten zu wollen.144 Die Anwendung des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit in dieser Formulierung kann nicht wesentlich zur Klärung der Abgrenzungsproblematik beitragen. Denn es besagt lediglich, dass der Tötungserfolg dem Außenstehenden in denjenigen Fällen zugerechnet werden kann, die der dogmatischen Konstruktion der mittelbaren Täterschaft entsprechen, weil ein Autonomiedefizit des Rechtsgutsträgers vorliegt. Damit werden die Begriffe von Freiverantwortlichkeit und Eigenverantwortlichkeit de facto gleichgesetzt, weil die Fälle, in denen der Außenstehende nicht die Tatherrschaft ausübt, die also freiverantwortlich sind, als eigenverantwortlich im Sinne einer normativen Zuständigkeit angesehen werden.145 Die Theorie läuft darauf hinaus, letztendlich eine Abgrenzung nach reinen Freiverantwortlichkeitskriterien vorzunehmen.146 Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses für das Vorliegen der Eigenverantwortlichkeit eine zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung darstellt.147 In die normativ-wertende Zuschreibung einer Alleinzuständigkeit für die Folgen des freiverantwortlich ausgeübten eigenen Verhaltens fließen neben dem Aspekt der Autonomie weitere, dem Sinn und Zweck des Strafrechts Rechnung tragende Gesichtspunkte ein, die Aufschluss darüber geben, ob der Tötungserfolg allein dem Verantwortungsbereich des Suizidenten zugeordnet werden kann.148 Nach Hohmann/König bedarf das Kriterium der Freiverantwortlichkeit des affirmativen Elements der konkreten suizidalen Handlungsweise. Die Monopolisierung der Zuständigkeit für das Rechtsgut erreiche der Suizident durch richtungsweisende Aktivitäten.149 Danach soll eine freiverantwortliche Entscheidung ihre Entsprechung in suizidalen Handlungen nur unter der Voraussetzung finden, dass der Sterbewillige selbst in der Weise Hand an sich lege, dass er von einem Gelingen des Suizids ausgehen müsse. Eine Einbeziehung Außenstehender dürfe nur noch der Absicherung einer zumindest aus subjektiver Sicht bereits zum Todeseintritt führenden Handlung dienen.150 Dementsprechend gelangt diese Ansicht im „ScophedalFall“ zur Straflosigkeit des Außenstehenden, sofern dieser die selbstständig vorgenommene Suizidhandlung des Lebensmüden nur zu Ende führt. In den Fällen des 144

Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 59 Fn. 143; Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, S. 350, bemerkt richtig, dass trotz des Verweises auf normative Zuständigkeiten der Gedanke der Tatherrschaft ausschlaggebend zu sein scheint. 145 Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 173. 146 Im Ergebnis auch Mayer, Strafrechtliche Produkthaftung, S. 414. 147 Hohmann/König, NStZ 1989, S. 308; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 223; Neumann, JA 1987, S. 249; NK3-ders., Vor § 211 Rn. 45: „Die Abgrenzung bestimmt sich dabei einerseits nach ,inneren‘ (Freiverantwortlichkeit des Suizids), andererseits nach ,äußeren‘ Kriterien (Tatanteil am Geschehensablauf).“ 148 Mayer, Strafrechtliche Produkthaftung, S. 345. 149 Hohmann/König, NStZ 1989, S. 308. 150 Hohmann/König, NStZ 1989, S. 309.

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einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes und in den mittäterschaftsähnlichen Konstellationen sei dagegen eine Strafbarkeit nach § 216 StGB zu bejahen, da weder das Durchtreten des Gaspedals im „Gisela-Fall“ noch das einverständliche Überfahren des Opfers in Herzbergs Beispiel151 als bloße Absicherung des Selbsttötungsentschlusses angesehen werden könne. Diese Konzeption entspricht im Ergebnis der von Jähnke verfochtenen Auffassung, derzufolge die Abgrenzung von Selbst- und Fremdtötung auf der Grundlage einer nach dem Gewicht der Tatbeiträge wertenden Gesamtbetrachtung der entscheidungsrelevanten objektiven und subjektiven Faktoren vorzunehmen sei.152 Die aus der normativen Konzeption der Eigenverantwortlichkeit gewonnenen Kriterien erweisen sich aber als zu konturenlos, um eine Grenzziehung zu ermöglichen.153 Die mangelnde Aussagekraft des Eigenverantwortlichkeitsprinzips im Hinblick auf die Abgrenzung von strafloser Suizidbeteiligung und Fremdtötungstäterschaft wird deutlich, wenn man sich die Sanktionierung der Tötung auf Verlangen vor Augen hält. Denn sie stellt einen beträchtlichen Bruch in dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit dar und sollte als Beschränkung des Prinzips verstanden werden. Wer die Eigenverantwortlichkeit derart ausdehnt, dass § 216 StGB de facto umgangen wird, kann nicht aufgrund dieses Kriteriums argumentieren, die Grenze sei nicht tangiert.154 Es ist daher unmöglich, die Einschränkungsgrenzen dieses Prinzips im Bereich der Tötungsdelikte allein durch die Anwendung desselben Prinzips zu bestimmen.155 Die Lösung des Problems kann ohne Rückgriff auf die dargestellten Tatherrschafterwägungen nicht auskommen. Es muss hier darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit im Rahmen der Fahrlässigkeitsdogmatik entwickelt wurde. Eine Übertragung des Prinzips auf den Vorsatzbereich erscheint aber zweifelhaft. Denn das Opfer vertraut in der Gefährdungssituation gerade auf das Ausbleiben des Er151 Herzberg, JA 1985, S. 137: Der Sterbewillige wirft sich nach Absprache mit seinem Arbeitskollegen unter die Räder des von ihm gesteuerten Lkw. Roxin, GA-FS, S. 185 löst den Fall durch eine Differenzierung dahingehend, dass § 216 StGB nur dann einschlägig sei, wenn der Fahrer den auf der Straße liegenden Lebensmüden überfahre, obwohl er im kritischen Moment hätte ausweichen können. Sei dagegen ein Vermeiden der Kollision durch Ausweichen oder Abbremsen nicht möglich, müsse der Zusammenstoß als straflose Mitwirkung am Suizid angesehen werden. Ebenfalls differenzierend auf der Grundlage des Kriteriums des unerlaubten Risikos und im Ergebnis Roxin zustimmend Murmann, Selbstverantwortung des Opfers, S. 365 f. Nach Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 136 handelt es sich überhaupt nicht um einen Fall einer quasi-mittäterschaftlichen Geschehensgestaltung. Das Sich-vor-den-LkwWerfen des Suizidenten sei bei dieser Suizidart keine „Arbeitsteilung“, sondern ein Akt der notwendigen Teilnahme (Hervorhebung im Original). 152 LK11-Jähnke, Vor § 216 Rn. 11. 153 Ablehnend Berkl, Sportunfall, S. 97; Herzberg, NStZ 1989, S. 559; Lackner/Kühl, § 216 Rn. 3; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 178. 154 Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 174, spricht zu Recht von einem „Zirkelschluss“. 155 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 34; Herzberg, Jura 2004, S. 671; MK-Schneider, § 216 Rn. 47.

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folges und beabsichtigt nicht, durch den Akt des Dritten getötet zu werden. Es ist für den Mitwirkenden gerade unklar, welcher Akt zur Überschreitung der Todesschwelle führt. Aus diesem Grunde kann von Zufälligkeiten im Geschehensablauf gesprochen werden, die durch das Kriterium der Eigenverantwortlichkeit zur Begrenzung der Strafbarkeit des Mitwirkenden führen können. In der Verletzungssituation dagegen plant das Opfer den Verlauf, damit der von ihm gewünschte Tötungserfolg eintreten kann. Deswegen bleibt hier für Zufälligkeiten deutlich weniger Raum. Der unmittelbar todbringende Akt hat hier als Ausdruck des ernstlichen Verlangens des Opfers Verfügungscharakter über das Rechtsgut.156 Die Vorschrift des § 216 StGB gibt den Rahmen vor, so dass keine Notwendigkeit der Entwicklung zusätzlicher zurechnungseinschränkender Kriterien im Vorsatzbereich besteht.157 Damit ist noch nicht geklärt, ob die Eigenverantwortlichkeit für den Zurechnungsausschluss bei Verletzungsfällen herangezogen werden kann, wenn die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 222 StGB in Betracht kommt. Im Rahmen der Diskussion um die Abgrenzung der fahrlässigen Tötung von der straflosen fahrlässigen Mitwirkung an einer freiverantwortlichen Selbsttötung wird in der Literatur tatsächlich auf den Aspekt der Eigenverantwortlichkeit als Kriterium der objektiven Zurechnung zurückgegriffen.158 Es handelt sich um die oben dargestellten Fallkonstellationen des opferseitig überlegenen Wissens hinsichtlich des Tötungssinns des Handelns des Mitwirkenden. Nach dem OLG Nürnberg komme eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung nicht in Betracht, wenn die Handlung des Mitwirkenden als vorsätzlich gedacht eine straflose Suizidteilnahme wäre. Es hätte sich aber, „wenn die Angeschuldigte von der Patrone im Lauf gewusst hätte, um eine Tötung auf Verlangen und nicht um eine bloße Beihilfe zum Selbstmord gehandelt (…) Damit hat das Argument, wenn schon das bewusste Mitwirken straflos wäre, müsse auch eine fahrlässige Mitwirkung straflos sein, hier keine unmittelbare Geltung.“159 Die Begründung der Fahrlässigkeitshaftung anhand eines Vergleichs mit der vorsätzlichen Tötung auf Verlangen kann jedoch nicht überzeugen. Auch wenn man davon absieht, dass bei vorsätzlichem Handeln wegen des fehlenden ausdrücklichen Verlangens des Opfers nicht § 216 StGB, sondern § 212 StGB in Betracht gekommen wäre, ist die Vergleichskonstellation fehl am Platz.160 Denn das Argument des Gerichts, wonach die fahrlässige Selbstmordbeteiligung erst recht straflos sein müsse, wenn schon die vorsätzliche Mitwirkung daran nicht strafbar sei, bezieht sich auf das Verhältnis von vorsätzlicher und fahrlässiger Selbstmordförderung, aber nicht auf vorsätzliche Erschießungen. Es besagt auch nicht, dass eine straflos fahrlässige 156

Christmann, Jura 2002, S. 679 ff.; Otto, in: FS-Tröndle, S. 169. Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 172 f. 158 Vgl. Engländer, Jura 2004, S. 236 ff.; ders., JZ 2003, S. 747 ff.; Hecker/Witteck, JuS 2005, S. 400 f.; Herzberg, NStZ 2004, S. 3 ff. 159 OLG Nürnberg, NJW 2003, S. 455. 160 Eisele, BT I, Rn. 190 Fn. 431; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor §§ 211 – 222 Rn. 41; NK3Neumann, § 222 Rn. 4; NK3-Puppe, Vor § 13 Rn. 185. Unzutreffend LK12-Walter, Vor § 13 Rn. 135. 157

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Selbstmordbeteiligung im Falle vorsätzlichen Handelns stets eine Beihilfe zum Selbstmord sein muss.161 Auch Herzberg macht darauf aufmerksam, dass das Plus-Minus-Argument zum Schutz des Mitverursachers eines vom Opfer gewollten Todes nur im Fall des unvorsichtigen Greifbarmachens der geladenen Pistole schlagend sei, während es sich im Fall des unvorsichtigen Totschießens als unzutreffend erweise.162 Die Annahme einer fahrlässigen Tötung sei im zweiten Fall unumgänglich, weil in einem Mord oder Totschlag das Unrecht einer objektiv zurechenbaren Todesverursachung, also das Unrecht des § 222 StGB enthalten sei.163 Denn die Täterin habe den kompletten objektiven Tatbestand des § 212 StGB rechtswidrig verwirklicht und es fehle lediglich an dem Vorsatz.164 Herzberg meint, es komme darauf an, ob das Opfer dem Begriff des ,Getöteten‘ und die Beteiligung daran unter den der ,Tötung‘ zu subsumieren ist.165 „Wer totschießt, ,tötet‘, das kann keine ,Lehre von der objektiven Zurechnung‘ hinweginterpretieren“.166 Dabei wird jedoch der Unterschied außer Acht gelassen, der zwischen einer vorsätzlichen Tötung auf Verlangen und einer unvorsätzlichen Todesverursachung besteht. Die Frau hat nicht nur nicht töten, sondern nicht einmal schießen wollen, weil sie den Revolver für ungeladen hielt.167 Die Person, um deren Strafbarkeit es geht, hat die Gefahr eines todesursächlichen Verhaltens gar nicht erkannt. Zu prüfen ist daher, ob die Frau im Hinblick auf den tödlichen Ausgang ihres Verhaltens ihre Sorgfaltspflicht verletzt hat. Zwar hat die waffenunkundige Angeschuldigte durch den sorgfaltspflichtwidrig abgegebenen Schuss die Gefahr geschaffen, dass ein unbeteiligter Dritter verletzt wird. Im Tod ihres Ehemannes hat sich aber diese Gefahr gerade nicht realisiert. Denn das von ihr übertretene Waffenverwendungsverbot dient nicht dem Schutz Dritter vor sich selbst.168 Die von Herzberg aufgestellte Kernfrage, ob § 222 StGB nach seinem Schutzzweck die konkrete Todesverursachung verhindern soll, ist also im vorliegenden Fall zu verneinen. Die Frau hat aufgrund der Irrtumsherrschaft ihres Ehemannes lediglich als Werkzeug an seiner Selbsttötung mitgewirkt. Daher schließt die mittelbare Täterschaft des Sterbewilligen eine Fahrlässigkeitshaftung der Mitwirkenden aus. Dem vom BGH entschiedenen „Zivildienst-Fall“ liegt die Annahme zugrunde, das Gefährdungsbewusstsein des Angeklagten schließe die Steuerungsherrschaft des 161

Roxin, in: FS-Otto, S. 444. Herzberg, in: FS-Puppe, S. 506 (Hervorhebung im Original). 163 Herzberg, in: FS-Puppe, S. 507. 164 Herzberg, in: FS-Puppe, S. 507. 165 Herzberg, NStZ 2004, S. 6. 166 Herzberg, FS-Puppe, S. 512. 167 Roxin, in: FS-Otto, S. 448. 168 Hecker/Witteck, JuS 2005, S. 400. Dies übersieht freilich Murmann, in: FS-Puppe, S. 772, wenn er davon ausgeht, dass die Wissensherrschaft des Opfers den Handelnden von seinen Sorgfaltspflichten im Umgang mit fremdem Leben nicht zu entlasten vermag. 162

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Sterbewilligen aus. Denn weder die vorgetäuschte mehrfache Erprobung des Vorgehens noch die Vorspiegelung des Lebensmüden, von einem Dritten später am Nachmittag gerettet zu werden, können einen die Tatherrschaft des Zivildienstleistenden in Frage stellenden Irrtum begründen, weil ihm die Umstände, aus denen sich die extreme Gefährdung des Opfers ergab, bekannt gewesen seien. Die Gefährdungsherrschaft des Vordermanns hebt aber die Irrtumsherrschaft des eigenverantwortlich handelnden Hintermanns nicht auf.169 Dafür spricht auch ein Blick auf die für die mittelbare Täterschaft kraft Irrtums entwickelten Prinzipien.170 Eine mittelbare Täterschaft des einen vorsatzausschließenden Irrtum Hervorrufenden ist auch dann anzunehmen, wenn der Ausführende bewusst fahrlässig handelt. In solchen Fällen überblickt der Hintermann das Risiko besser, weil er die Sicherheit des tatbestandlichen Erfolgseintritts kennt, den der Ausführende nur gerade für möglich hält.171 Dieses Mehrwissen gestattet ihm das Beherrschen des Erfolges und macht ihn damit zum mittelbaren Täter.172 Bei entsprechender täuschungsbedingter vorsatzloser Tötung eines Dritten müsste nach der Auffassung des BGH konsequenterweise eine Irrtumsherrschaft und damit die mittelbare Täterschaft des Hintermannes wegen des Gefährdungsbewusstseins des Ausführenden verneint werden. Dies würde jedoch zu mit der Dogmatik der mittelbaren Täterschaft unvereinbaren Konsequenzen führen.173 Auch der Hinweis auf eine vermeintliche Vergleichbarkeit dieser Konstellation mit dem Fall der Drittschädigung durch einen vorsatzlosen Tatmittler vermag nicht zu überzeugen.174 Es trifft nämlich zu, dass die mittelbare Täterschaft des Täuschenden die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit seines Werkzeugs unberührt lässt. Die fahrlässige Mitwirkung an einer Fremdschädigung und an einer vorsätzlichen und verantwortlichen Selbstschädigung unterliegen jedoch ganz unterschiedlicher rechtlicher Beurteilung.175 Daraus lässt sich also nicht die Strafbarkeit derer entnehmen, die als vorsatzlose Tatmittler am Tode eines Selbstmörders mitwirken. Man 169

Duttge, in: FS-Otto, S. 245; Engländer, Jura 2004, S. 237 f.; NK3-Neumann, § 222 Rn. 5; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 11; Otto, Grundkurs, Die einzelnen Delikte, § 6 Rn. 49; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 127; Wessels/Beulke, AT, Rn. 684a; a.A. Fischer, § 222 Rn. 28; Herzberg, NStZ 2004, S. 3 ff.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 343. 170 So Engländer, Jura 2004, S. 237. 171 Roxin, AT II, § 25 Rn. 65. 172 Es ist daher unzutreffend, wenn Hecker/Witteck, JuS 2005, S. 401 meinen, dass allein der Zivildienstleistende die Tatherrschaft über das zum Tode des Sterbewilligen führende Geschehen ausübte und der Sterbewillige sich lediglich den Wirkungen der Tathandlung aussetzte. Roxin, in: FS-Otto, S. 446, weist mit Recht auf den verfehlten Sprachgebrauch des Begriffs „Tatherrschaft“ im vorliegenden Fall. Denn die Tatherrschaft kann allein ein vorsätzlich handelnder Täter ausüben. Die Kenntnis von Gefahrindikatoren kann aber, solange der Täter sich des möglichen Erfolges nicht bewusst ist, nur Fahrlässigkeit begründen. 173 Engländer, Jura 2004, S. 238. 174 Vgl. Eisele, BT/1, Rn. 192; Kindhäuser, LPK-StGB, § 211 Rn. 42; Küpper, JuS 2004, S. 760; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 166a. 175 Roxin, in: FS-Otto, S. 452.

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könnte einwenden, dass der Freispruch vom Vorwurf fahrlässiger Tötung im Ergebnis eine Umgehung des § 216 StGB wäre, wenn das Opfer, das den Außenstehenden nicht zu einer vorsätzlichen Handlung auffordern kann, diesen stattdessen mittels Täuschung zu seiner eigenen Tötung veranlasst. Dagegen ist jedoch ins Feld zu führen, dass das Verbot des § 216 StGB sich nicht an das Opfer richtet, sondern an den Außenstehenden, der weder aktive Sterbehilfe leisten noch den Tod des Schwerbehinderten in irgendeiner Weise verursachen wollte.176 Der Tod des Schwerbehinderten kann dem Zivildienstleistenden nur dann objektiv zugerechnet werden, wenn die Schaffung der Todesgefahr im Hinblick auf den später eingetretenen Erfolg strafrechtlich missbilligt ist.177 Den Angeklagten trifft jedoch keine Sorgfaltspflicht des Inhalts, vom Sterbewilligen nicht als Werkzeug zu dessen Selbsttötung missbraucht zu werden. Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit schließt es aus, den Tötungserfolg dem Mitwirkenden objektiv zuzurechnen, wenn die getötete Person das todbringende Geschehen mit Selbsttötungswillen selbst initiiert und gesteuert hat. Es ist daher gerechtfertigt, dem Sterbewilligen den Erfolg, den der von ihm gelenkte Mitwirkende herbeiführt, als Ergebnis eigenen Handelns kraft seiner überlegenen Wissensstellung zuzurechnen.178 Es ist im Ergebnis festzuhalten, dass das ursprünglich bei (fahrlässigen) Selbstgefährdungen anerkannte Kriterium der Eigenverantwortlichkeit aufgrund der strukturellen Parallele in den Fällen der fahrlässigen Verletzung kraft Irrtumsherrschaft des Sterbewilligen herangezogen werden kann. Das Prinzip findet aber keine Anwendung für eine Grenzziehung in den Schädigungsfällen. Maßgebend ist hier allein das Abstellen auf die normativ fundierte Herrschaft über das todbringende Moment. c) Das Kriterium des tatbestandsmäßigen Verhaltens nach Murmann Nach Murmann sei das Kriterium der rechtlich missbilligten Gefahrschaffung im Sinne eines bestimmten Tatbestandes der Maßstab, an dem sich entscheidet, ob eine tatbestandliche Fremdschädigung vorliege.179 Dabei ist insbesondere zu beachten, dass der Unterschied nicht in einer differenzierenden Beantwortung der Frage gesucht werden kann, ob der Außenstehende durch sein Verhalten das konkrete Rechtsverhältnis zum Opfer in Richtung auf ein Individualrechtsgut beeinträchtigt. Denn die Selbstverfügungsfreiheit des Opfers schließt es unabhängig von den Modalitäten des Vollzugs aus, das Verhalten des Außenstehenden als Verletzung des rechtlichen Verhältnisses zu begreifen, soweit es um die Verfügung über ein Individualrechtsgut geht.180 Die Abgrenzung der Mitwirkung an einer Selbstschädigung 176 177 178 179 180

Roxin, in: FS-Otto, S. 450; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 177 f. Schlehofer, in: FS-Herzberg, S. 358. Engländer, Jura 2004, S. 236; ders., JZ 2003, S. 748. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 353 ff. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 354.

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von einer einverständlichen Fremdschädigung erfolge vielmehr danach, ob das Verhalten des Außenstehenden unabhängig von der konkreten Opferentscheidung oder gerade erst infolge dieser Entscheidung das Rechtsverhältnis zum Opfer unbeeinträchtigt lasse.181 Während bei der Beteiligung an einer Selbstschädigung das Verhalten des Außenstehenden mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht des Opfers stets erlaubt sei, handele es sich bei der einverständlichen Fremdschädigung um prinzipiell verbotenes, aber mit Blick auf die konkrete Ausübung des Selbstbestimmungsrechts ausnahmsweise erlaubtes Verhalten.182 Diese Grenzziehung beruht auf der von Murmann geltend gemachten Funktion der Einwilligung als Umgestaltung des konkreten Rechtverhältnisses. Wenn die Bewilligung der Fremdschädigung nicht die Erlaubtheit des Verhaltens des Außenstehenden begründet, so verweist der Wortlaut von § 216 StGB auf die Notwendigkeit einer ratio. Seine sachliche Berechtigung bezieht dieses Abgrenzungskriterium laut Murmann daraus, dass es auf strafrechtsdogmatischer Ebene die differenzierte Weise reflektiert, in der die Selbstverantwortung des Opfers im Recht (also bereits in der Primärordnung) geltend gemacht wird.183 Der von Murmann verfochtene Ansatz scheint die gegen die Tatherrschaftslehre erhobenen Einwände auffangen zu können. Die Abgrenzung von Suizid und Fremdtötung nach dem Kriterium der „Herrschaft über den todbringenden Moment“ sei insbesondere bei mehraktigen Vorgängen oder bei fortbestehender Abwendungsmöglichkeit des Todeserfolges für unterschiedliche normative Bestimmungen offen und folglich bedürfe es der Interpretation.184 Es wurde aber bereits dargestellt, dass das Kriterium Roxins auch bei derartigen Fallkonstellationen durch eine normative Entscheidung hinsichtlich der materiellen Verantwortlichkeit des Handelnden für das zum Erfolg führende Geschehen tragfähige Ergebnisse liefern kann. Die anhand des Tatherrschaftskriteriums dargestellten Lösungen weichen jedenfalls nicht von denjenigen Murmanns ab. Es ist außerdem anzumerken, dass Murmann den Herrschaftsgedanken nicht aufgibt, sondern als ein Kriterium betrachtet, das bei der Bestimmung rechtlich missbilligten Verhaltens eine Rolle spielt. Die Tatherrschaft sei für ihn von begrenzter und durchaus ambivalenter Relevanz, da sie nur eingeordnet in einen normativen Zusammenhang Aufschluss darüber geben könne, ob der Außenstehende einen Tatbestand erfüllt.185 Murmann überbetont letztlich die Schwäche einer instrumental verstandenen Tatherrschaftslehre, die für die maßgeblichen normativen Gesichtspunkte keinen Begriff hat. Seine Auffassung greift jedenfalls nicht durch, weil Murmanns Kriterium ebenfalls interpretationsbedürftig ist. Es führt konsequenterweise dazu, die Abgrenzung als Problem der Auslegung des jeweiligen Tatbestandes in den Besonderen 181 182 183 184 185

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 359. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 360. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 360 f. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 348. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 354.

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Teil zu verlagern.186 Die vermeintliche Schärfe seines Kriteriums wird damit erheblich relativiert. Murmann räumt selbst ein, dass sich Zweifel ergeben, „wo man über die tatbestandlich erfasste rechtliche Missbilligung eines Verhaltens des Außenstehenden streiten kann“.187 Insbesondere überzeugt die von Murmann propagierte überlegene Leistungsfähigkeit seines Kriteriums nicht, solange nicht näher bestimmt wird, wann eine rechtlich unerlaubte Gefahr vorliegt. Wie diese näher zu konkretisieren ist, ist in der Tat eine schwierige, von verschiedenen Faktoren abhängige Frage.188 Er bleibt demnach eine Konturierung des Begriffs des unerlaubten Risikos schuldig. Das Kriterium Murmanns führt auf diese Weise zu erheblichen Unsicherheiten bei der Beurteilung des Einzelfalls und erweist sich als wenig geeignet für die gebotene Grenzziehung. Murmann ist aber insofern zuzustimmen, als er das Verhalten des Außenstehenden ab dem Zeitpunkt als rechtlich unerlaubt qualifiziert, in dem das Risiko für das Leben des Opfers nicht mehr kontrollierbar ist.189 Im Ergebnis ist daher seine Grenzziehung stark von Herrschaftsgedanken geprägt, da die Kontrolle über das Risiko einer Tötung letztlich durch die Herrschaft über den Moment des Setzens der irreversiblen Todesursache bestimmt wird. In diesem Sinne stellt auch Kargl auf den Moment ab, in dem „endgültig über das betroffene Tatobjekt verfügt bzw. eine irrversible Kausalkette in Gang gesetzt wird“.190 Die tatbestandsspezifische Modifikation des Kriteriums der Tatherrschaft ist damit auf die Spitze getrieben: Die Prüfung beschränkt sich auf die Herrschaft über einen einzelnen Zeitpunkt.191 Es ist allerdings zweifelhaft, ob alle Tötungshandlungen einer solchen „Punktualisierung“ zugänglich sind.192 Das Tötungsgeschehen erstreckt sich häufig auf mehrere zeitliche Phasen (z. B. Vorbereitung der Tatausführung, Einsetzen der Initialursache, Fortlaufen der Kausalkette bis zum Eintritt des Todes), so dass es in tatsächlicher Hinsicht schwer feststellbar sein wird, wann genau die Kausalkette die irreversible Wendung genommen hat. Dem oben genannten Kriterium soll deshalb eher ein normativer Sinn beigemessen werden.193 Dabei kommt im Rahmen des § 216 StGB dem Verlangen des Sterbewilligen eine konstitutive normative Funktion zu. Der Außenstehende muss sich nicht nur beim Fassen des Tatentschlusses, sondern während der gesamten Tatausführung vom Verlangen des Sterbewilligen leiten lassen. Maßgeblich für die 186

Vgl. die Kritik bei Roxin, AT II, § 25 Rn. 259 ff.; ders., TuT8, S. 665 ff.; LK12-Schünemann, § 25 Rn. 13. 187 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 361. 188 Vgl. für eine Ermittlung der Grenze des erlaubten Risikos durch eine umfassende Interessenabwägung Schünemann, JA 1975, S. 575 ff.; Sacher, Sonderwissen, S. 139 ff., 162 ff., 244 ff.; Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S.65 ff., 89 ff. 189 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 362. 190 So Kargl, JZ 2002, S. 393. 191 Ziethen, ZIS 2007, S. 371. 192 Ziethen, ZIS 2007, S. 371. 193 Ziethen, ZIS 2007, S. 372.

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Abgrenzung von täterschaftlicher Tötung auf Verlangen und strafloser Selbstmordbeihilfe ist demnach, ob dem Sterbewilligen noch eine Einwirkungsmöglichkeit auf den Geschehensablauf verbleibt.194 In diesem Fall hängt der Übergang zum Sterben vom Willen des die Tatausführung Hinnehmenden ab, so dass eine straflose Beteiligung an einer Selbstverletzung vorliegt.195 Vermag der Sterbwillige hingegen den Tatbeitrag des Außenstehenden nicht mehr aus eigener Kraft zu revidieren, liegt eine Tötung auf Verlangen vor.196 Die skizzierte Grenzziehung beleuchtet auf diese Weise den inneren Zusammenhang zwischen dem autonomen Willen des Opfers und dem Kriterium der Tatherrschaft. Es ist jedoch darauf aufmerksam zu machen, dass sie im Ergebnis nicht wesentlich von den oben dargestellten Befunden anhand des von Roxin vertretenen Kriteriums der Herrschaft über den todbringenden Moment abweicht.

III. Die Fälle der eigenverantwortlichen Selbstund der einverständlichen Fremdgefährdung 1. Die Abgrenzung zwischen Schädigungs- und Gefährdungssituation Der Vergleich zwischen Verletzungs- und Gefährdungssituationen führt zu einer eigentümlichen „Grauzone der Argumentation“.197 Die Frage nach der Abgrenzung wird tatsächlich im Schrifttum nur selten gestellt. Mit Recht bemerkt Degener, dass die Gegenüberstellung „Selbstverletzung – Selbstgefährdung“ nichts Brauchbares leistet.198 Denn einerseits ist die Schädigung im Handlungszeitpunkt nur eine Gefährdung und andererseits liegt auch im Begriff der Gefährdung schon die Potentialität zur Schadensrealisierung.199 Teilweise wird die Abgrenzung anhand der subjektiven Einstellung des Täters vorgenommen; handelt der Täter mit Verletzungswillen, wobei ausreichen soll, dass ihm das Bewusstsein der Gefahr bereits als Verletzungsbewusstsein i.S. der Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte zugerechnet wird, so liegt eine Verletzungshandlung vor.200 Ein Teil der Literatur stellt dagegen auf die subjektive Sicht des Rechtsgutsträgers ab.201 Danach setzt die Schädigungssituation die bewusste Preisgabe des Individualrechtsguts voraus, während bei der Gefährdungssituation das Rechtsgut zwar bewusst einem Verletzungsrisiko ausgesetzt, das Interesse am Erhalt 194

Vgl. Kargl, JZ 2002, S. 393. Ziethen, ZIS 2007, S. 372. 196 Kargl, JZ 2002, S. 393. 197 Otto, in: FS-Tröndle, S. 169. 198 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 339 mit Fn. 839; Horn, JR 1984, S. 514, bezeichnet den Begriff der Selbstgefährdung als „rechtlich funktionslos“. 199 So Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 379. 200 Otto, in: FS-Tröndle, S. 166. 201 Berkl, Sportunfall, S. 80; Christmann, Jura 2002, S. 680; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 6; Renzikowski, JR 2001, S. 248; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 49, 53. 195

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des Rechtsgutes vom Opfer aber gerade nicht aufgegeben wird. Daneben erscheint es erforderlich, anhand objektiver Gesichtspunkte auf die Vorstellung des Betroffenen zu schließen. Die h.M. sieht den Grad der Gefährdung und damit die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts als ein gewichtiges Indiz für die innere Haltung des Opfers an.202 Ziel und Beweggrund der Aktivität (z. B. Vornahme sportlicher Aktivitäten oder Herbeiführung von Nervenkitzel) seien außerdem zu würdigen. Erst eine Gesamtbetrachtung der subjektiven Perspektive des Opfers und der objektiven Indizien des sozialen Sinngehalts des Verhaltens ermögliche eine Wertung des gefahrtragenden Geschehens.203 Eine exakte Grenzziehung zwischen den Schädigungs- und den Gefährdungsfällen wird schließlich obsolet, wenn man sich die materialen Kriterien zur Behandlung beider Konstellationen klar vor Augen führt. Unter dem Gesichtspunkt der Selbstbestimmung des Rechtsgutsinhabers besteht kein strafrechtliches Interesse daran, die Schaffung oder die Erhöhung der Gefahr einer Selbstschädigung oder -gefährdung zu unterbinden. Es ist ein Verdienst Murmanns, darauf hingewiesen zu haben, dass die Eingehung von Risiken ohne Rücksicht auf die innere Einstellung des selbstverfügend Handelnden zur Möglichkeit der Risikorealisierung der Selbstbestimmungsfreiheit unterliegt.204 Einschränkungen der Handlungsfreiheit der Beteiligten lassen sich nicht aus der Willenshaltung des Opfers legitimieren. Es ist daher ohne Bedeutung für die Erlaubtheit des Verhaltens des Beteiligten, ob das Opfer den Erfolgseintritt vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt, solange es die Gefahr genauso gut überblickt wie der Außenstehende. Wer das Prinzip der Selbstverantwortung in den Mittelpunkt stellt, gelangt zu dem Ergebnis, dass die Abgrenzung bzw. die Zuordnung zu den herkömmlichen Kategorien nicht erforderlich ist, da die Strafbarkeit – wie noch zu zeigen ist – davon letztlich nicht abhängt. 2. Die dogmatische Differenzierung zwischen der Beteiligung an einer Selbstgefährdung und der einverständlichen Fremdgefährdung anhand des Kriteriums der Tatherrschaft Über Jahrzehnte hinweg differenzierte der BGH nicht zwischen der Beteiligung an einer Selbstgefährdung und der einverständlichen Fremdgefährdung. Die ältere Rechtsprechung ging von der Frage aus, ob bei Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Erfolgsverursachung eine wirksame Einwilligung des späteren Opfers vorlag. So hat sich der BGH z. B. im sog. Wettfahrt-Fall mit der Frage der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Außenstehenden beschäftigt. Der BGH hat es damals als „von den 202 Mit Recht bemerkt Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 380, dass der soziale Sinngehalt des Verhaltens nicht zwingend mit der subjektiven Einstellung der Beteiligten übereinstimmt. Denn eine Verhaltensweise, die eine geringe Wahrscheinlichkeit der Erfolgsherbeiführung begründet, kann von den Beteiligten oder zumindest von einem der Beteiligten mit dem Ziel der Schädigung vorgenommen werden. 203 Berkl, Sportunfall, S. 81. 204 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 400.

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Umständen des Falles abhängig“ bezeichnet, wann bei gemeinsamer gefährlicher Tätigkeit die Mitwirkung an fremder fahrlässiger Selbstverletzung als pflichtwidrig zu qualifizieren sei, wobei besonders Folgendes beachtet werden müsse: „das etwaige Einverständnis voll verantwortlicher Personen mit der klar erkannten Gefahr; Anlass und Zweck des Unternehmens; die etwaigen Vorsichtsmaßnahmen sowie das Maß der Sorglosigkeit und die Größe der Gefahr“.205 Der BGH hat mit Blick auf die Gefährlichkeit und Sinnlosigkeit der Wettfahrt, „zumal da um eine Runde Bier zwei Menschenleben auf Spiel gesetzt wurden“, ein pflichtwidriges Verhalten des Angeklagten bejaht. Dabei verweist der BGH vor allem darauf, dass die Wettfahrt „keinen vernünftigen Sinn“ hatte und der Verunglückte sich schon bei einer früheren Wettfahrt „denkbar unvernünftig und leichtsinnig verhalten“ hatte.206 Bei der Bestimmung der Pflichtwidrigkeit des gefährdenden Verhaltens wird demnach die Entscheidung des Opfers einer inhaltlichen Beurteilung anhand wertethischer Kriterien der Rechtsordnung zugänglich gemacht.207 Die eigenen Maßstäbe der Person, die sich sehenden Auges und ohne Zwang in eine Gefahr begibt, finden jedoch keine Berücksichtigung.208 Auch im Pockenarzt-Fall hat der BGH den Umstand, dass sich der Klinikseelsorger freiwillig zu Patienten begab, lediglich im Zusammenhang mit der Erörterung einer wirksamen Einwilligung angesprochen und dies letztlich verneint, weil sich eine Einwilligung „auf ein bevorstehendes, in der Zukunft liegendes Verhalten eines anderen beziehen“ müsse.209 Darauf kommt es aber nicht an, weil der Seelsorger sich vorsätzlich und freiwillig selbstgefährdet hatte und die Verursachung durch den Arzt schon aus diesem Grunde straflos sein muss.210 Erst in der neueren Rechtsprechung wird die Abgrenzungsfrage explizit gestellt und schließlich für das Kriterium der Tatherrschaft entschieden.211 Die mittlerweile auch im Schrifttum vorwiegende Auffassung stellt konkret darauf ab, ob das Opfer die gefährdende Handlung, die ohne weitere Zwischenschritte zum Erfolg führen kann, selbst beherrscht hat. Von einer einverständlichen Fremdgefährdung ist hingegen dann auszugehen, wenn der Täter die Herrschaft über die Gefahrquelle allein ausübt und das Opfer sich lediglich den Wirkungen der vom Täter ausgeführten gefährlichen Handlungen aussetzt.212 Der argumentative Hintergrund für diese 205

BGHSt 7, 112, 115. BGHSt 7, 112, 115. 207 Vgl. auch Schünemann, JA 1975, S. 723: „willkürliches Moralisieren“. 208 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 386. 209 BGHSt 17, 359. 210 Roxin, NStZ 1984, S. 412. 211 Vgl. BGHSt 32, 262 (265); 49, 34 (39); 49, 166 (169); 53, 55 (60); BGH, NJW 2004, S. 1055; BayObLG JR 1990, S. 473. 212 Beulke/Mayer, JuS 1987, S. 127; Brüning, ZJS 2009, S. 194; Dölling, GA 1984, S. 77 f.; ders., JR 1994, S. 520; ders., in: FS-Gössel, S. 212; Hammer, JuS 1998, S. 787 f.; Helgerth, NStZ 1988, S. 262; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 272; Jahn, ZIS 2006, S. 59 f.; Kindhäuser, AT4, § 12 Rn. 70 f.; Kühl, AT6, § 4 Rn. 89; Luzón Peña, GA 2011, S. 304 ff.; Roxin, in: FS-Gallas, S. 250; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 81a; Wessels/Beulke, AT, Rn. 190. 206

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Differenzierung resultiert aus der dogmatischen Bewertung, dass „es jederzeit der eigenen Herrschaft untersteht, wie weit man sich der Gefährdung durch eigene Handlungen aussetzen will, dass aber die bloße Tolerierung der von einem anderen ausgehenden Gefährdung das Opfer einer unübersehbaren Entwicklung ausliefert, in die steuernd einzugreifen oder die abzubrechen oft auch dort keine Möglichkeit mehr besteht, wo der sich selbst Gefährdende dies noch könnte; auch kann wer sich einer Fremdgefährdung aussetzt, die Fähigkeit des anderen zur Meisterung riskanter Situationen nicht in demselben Grade überblicken wie Ausmaß und Grenzen der eigenen Geschicklichkeit“.213 Zwar könne der Grundgedanke des § 216 StGB nicht unmittelbar auf den Fahrlässigkeitsbereich übertragen werden, aber eine generelle Straflosigkeit der Fremdgefährdung verbiete sich auch aufgrund kriminalpolitischer Erwägungen. Man müsse den Bedenken Rechnung tragen, dass Skrupel und Angst des anderen, sich selbst zu gefährden, überwunden werden, indem der Gefährdende den unmittelbaren Gefährdungsakt vornimmt.214 Obwohl auf den ersten Blick eine solche Begründung eine gewisse Plausibilität für sich in Anspruch nimmt, macht indes das die Motivation des Opfers beherrschende Vertrauen auf einen folgenlosen Ausgang die Wesensverschiedenheit von lebensgefährdendem Verhalten und vorsätzlicher Tötung sichtbar. Die Abgrenzung durch das Kriterium der Tatherrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt setzt voraus, dass sich das Geschehen als Verfügung über das Rechtsgut betrachten lässt. Dem Betroffenen muss bewusst sein, dass in der konkreten Situation ein bestimmtes Rechtsgut beeinträchtigt wird. Dagegen vertraut der Betroffene in den Gefährdungskonstellationen auf ein Ausbleiben des Erfolgseintritts. Da den einzelnen Akten in der Gefährdungssituation kein Verfügungscharakter zukommt, ist das Abgrenzungskriterium der Tatherrschaft hierauf nicht anwendbar.215 Der Unterschied zu den Verletzungssachverhalten liegt gerade darin, dass nur dort dem unmittelbar rechtsgutsverletzenden Akt „Verfügungscharakter über das Rechtsgut“ zukommt, nicht jedoch dem in Gefährdungsfällen ohne Signalwirkung versehenen letzten Akt vor der Realisierung der Gefahr.216 Ohne die verschiedenen Ansätze zur Rechtfertigung der Legitimität des § 216 StGB hier im Einzelnen zu diskutieren, kann festgestellt werden, dass das propagierte Tötungstabu durch die bloße Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit nicht in gleicher Weise in Frage gestellt wird.217 In diesem Zusammenhang stellt Duttge außerdem fest: „Während die Übertragung der letztgültigen Entscheidung über die Herbeiführung des Todes auf einen anderen jedenfalls bei handlungsfähigen ,Opfern‘ mehr als nur theoretische 213 Roxin, in: FS-Gallas, S. 250; ders., AT I4, § 11 Rn. 123; ders., JZ 2009, S. 399; ähnlich Horn, JR 1984, S. 513; Dölling, GA 1984, S. 77; ders., in: FS-Geppert, S. 55; Mayer, Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, S. 361 Fn. 108; Stree, JuS 1985, S. 183. 214 Roxin, NStZ 1984, S. 412. 215 Christmann, Jura 2002, S. 680. 216 So Otto, in: FS-Tröndle, S. 169 f.; ders., Jura 1984, S. 540. 217 Niedermair, Die Körperverletzung mit Einwilligung, S. 123; Otto, in: FS-Tröndle, S. 169 f.; Puppe, GA 2009, S. 489; Radtke, in: FS-Puppe, S. 840.

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Zweifel an der Endgültigkeit und ,Ernstlichkeit‘ des Sterbewillens weckt (…), wird sich das nötige Mindestmaß an Einsichtsfähigkeit bei lediglich riskanten Verhaltensweisen wohl nur selten ernstlich in Frage stellen lassen.“218 Auch Murmann geht davon aus, dass die Delegation der Entscheidung einen Mangel vor allem dann indiziert, wenn bei deren Selbstvornahme besondere psychische Hürden zu überwinden wären, wie dies beim Suizid besonders plausibel ist.219 Für die Gefährdungsfälle hingegen sei die Einsicht zentral, dass die Kehrseite der Berücksichtigung eines Defizits beim Opfer eine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Außenstehenden darstelle, so dass eine Abwägung vorzunehmen sei. Während das Interesse des Opfers am Schutz vor defizitären Entscheidungen bei den Fällen der Fremdgefährdung im Vordergrund stehe, dürfte es bei Selbstgefährdungen nicht in gleichem Maße bestehen, weil das Opferverhalten hier häufig dem Verhalten des Außenstehenden nachfolge und das Opfer die Gelegenheit habe, seine Entscheidung zu überprüfen.220 Zwingend ist eine solche Abwägung der gegenseitigen Interessen vom Opfer und Außenstehenden jedenfalls nicht, da der Einwilligende seine Erklärung jederzeit widerrufen kann und der Täter diesen Widerruf akzeptieren würde.221 Mit Recht fragt sich Otto: „Warum soll es z. B. irrelevant sein, dass der Soziusfahrer nach Beginn der Fahrt (…) diese jeden Augenblick durch eine entsprechende Äußerung beenden könnte?“222 Sowohl die Austauschbarkeit der jeweiligen Funktion als Fahrer bzw. Beifahrer als auch die beiderseitige Möglichkeit, jederzeit von der gefährlichen Fahrt abzulassen, sprechen also gegen eine einseitige Betrachtung des unmittelbar zum Erfolg führenden risikoträchtigen Verhaltens und für eine übergreifende Gesamtbewertung des Geschehens.223 Die Eingrenzung der Täterschaft durch den Tatherrschaftsgedanken bei den Fahrlässigkeitsdelikten ist schon deshalb problematisch, weil sich die Herrschaft über die Tatbestandsverwirklichung im normativen Sinne zur Herrschaft über die konkrete gefährliche Handlung umwandelt. Maßgeblich dafür ist das „unmittelbar zum Erfolg führende Geschehen“.224 Die Tatherrschaft erhält damit eine geänderte Bedeutung und wird rein faktisch als „Gefährdungsherrschaft“ verstanden.225 Die Herrschaft über einen in seiner äußerlichen Gestalt beschriebenen Handlungsvorgang begründet in diesem Zusammenhang das Vorliegen einer rechtlich missbilligten Gefahr. Liegt die faktische Herrschaft über das erfolgskausale Geschehen beim Opfer vor, so fehlt es an einem rechtlich missbilligten Verhalten und daher scheidet 218

Duttge, in: FS-Otto, S. 231 f. Murmann, in: FS-Puppe, S. 785. 220 Murmann, in: FS-Puppe, S. 786. 221 Dies wendet selbst Murmann, in: FS-Puppe, S. 786 Fn. 89 gegen die Wertung Roxins ein. 222 Otto, in: FS-Tröndle, S. 170. 223 Hähle, Die strafrechtliche Relevanz von Sportverletzungen, S. 147. 224 Neuerdings BGH, NJW 2009, S. 1156; ebenso bereits BGH, NJW 2003, S. 2327. 225 Mayer, Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, S. 315 f.; Puppe, GA 2009, S. 491 f. 219

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eine Strafbarkeit des Außenstehenden aus. Beherrscht dagegen der Außenstehende die Umstände, die die Gefahr begründen, so ist ihm der Erfolgseintritt zurechenbar.226 Der Zurechnungsgrund kann aber nicht in der Beherrschung des Geschehens bestehen, sondern hängt wesentlich von der vorgängigen Bestimmung der gefährlichen Situation ab.227 Gerade an dieser mangelnden normativen Tragfähigkeit einer Abgrenzung anhand des Tatherrschaftskriteriums setzt die Kritik derjenigen Stimmen im Schrifttum an, die einen Rekurs auf die Beteiligungslehre ablehnen und wertend auf die Autonomie des Opfers abstellen wollen.228 Gegen die Übertragung des Tatherrschaftskriteriums von der Beteiligungslehre auf die Gefährdungssachverhalte wird weiterhin eingewandt, dass sie normativ verfehlt und theoretisch nicht durchführbar sei.229 Bei den Fahrlässigkeitsdelikten herrscht der Einheitstäterbegriff, da der Fahrlässigkeitstäter per definitionem nicht den Kausalverlauf zum Erfolg beherrscht.230 Entgegen dem Einheitstäterbegriff, wonach jeder, der einen ursächlichen Beitrag zur Erfolgsherbeiführung leistet, als Täter anzusehen ist, ohne Rücksicht darauf, welche Bedeutung seine Mitwirkung im Rahmen des Geschehens zukommt, findet durch die Anwendung der Trennungslinie zwischen Selbst- und Fremdgefährdung eine Hinwendung zum restriktiven Täterbegriff statt.231 Die Unterscheidung zwischen einer Mitwirkung an einer Selbstgefährdung und einer einverständlichen Fremdgefährdung läuft in der Praxis darauf hinaus, danach zu unterscheiden, ob der Täter oder das Opfer als Letzter gehandelt hat.232 Für die rechtliche Bewertung können solche Zufälligkeiten keine Rolle spielen, so dass das Kriterium der Tatherrschaft letztlich „vollständig funktionslos“ bleibt.233 Die Einsicht, dass die Herrschaft über die Gefahr als Abgrenzungskriterium untauglich ist, zeigt sich gerade auch dann, wenn die Tatbeteiligten gleichwertige oder sogar gleichartige Beiträge erbringen, wie dies bei dem ungeschützten Geschlechtsverkehr des Aids-Infizierten mit seinem gesunden Sexualpartner der Fall ist.234 Während der Geschlechtsverkehr mit dem Risiko der HIV-Ansteckung von der 226

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 409 f. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 409 f.; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40; a.A. Renzikowski, HRRS 2009, S. 350. 228 Mayer, Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, S. 316. 229 Puppe, ZJS 2008, S. 605 f.; dies., ZIS 2007, S. 249 f.; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 47 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 212. 230 Dach, NStZ 1985, S. 25; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 47; Hähle, Die strafrechtliche Relevanz von Sportverletzungen, S. 146; Puppe, ZJS 2008, S. 605; dies., AT I § 6 Rn. 3; Schlehofer, in: FS-Herzberg, S. 364; Stratenwerth, in: FS-Puppe, S. 1019. 231 So Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 196; a.A. Dölling, in: FS-Geppert, S. 55. 232 Kritisch Puppe, ZJS 2008, S. 606; dies., GA 2009, S. 492; Otto, in: FS-Tröndle, S. 170; Thier, Retterschäden, S. 158; Timpe, ZJS 2009, S. 174. 233 So Schünemann, JA 1975, S. 722. 234 Beulke, in: FS-Otto, S. 211; Christmann, Jura 2002, S. 679; Niedermair, Die Körperverletzung mit Einwilligung, S. 126 Fn. 484; LK12-Vogel, § 15 Rn. 240; auch Derksen, Handeln 227

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wohl überwiegenden Auffassung als Mitwirkung an einer Selbstgefährdung eingestuft wird, wenn die beteiligten Personen mit dem gleichen Gefahrwissen handeln235, gehen andere Autoren von einer einverständlichen Fremdgefährdung aus, da die Ansteckungsgefahr vom bereits Infizierten ausgehe und der Partner sich dieser lediglich aussetze.236 Die Zufälligkeit der Ergebnisse des Tatherrschaftskriteriums wird auch deutlich, wenn man in den Heroinfällen allein danach unterscheiden muss, wer letztlich auf die Spritze drückt. Ob der Dritte dem Opfer auf dessen Wunsch hin Heroin spritzt oder nur die Spritze besorgt, sollte für die Selbstverwirklichung des Opfers belanglos sein. Eine Fremdgefährdung läge selbst dann vor, wenn der Außenstehende dem späteren Opfer, das wegen seines schlechten körperlichen Zustands nur zum Abbinden des Arms, nicht aber selbst zur Injektion in der Lage war, auf dessen Bitte hin Heroin spritzte.237 Selbst in dem berühmten Memel-Fall fällt die Unterscheidung nicht leicht.238 Da die Strafbarkeit nur über die libera causa des Fahrantritts begründet werden kann, fragt sich Schünemann zu Recht, ob die Haftung davon abhängig gemacht werden sollte, ob die Fahrgäste das noch stehende Fahrzeug besteigen („einverständliche Fremdgefährdung“) oder auf das schon fahrende Fahrzeug springen („Selbstgefährdung“).239 Diese Abgrenzungsschwierigkeiten stellen ein weiteres Indiz dafür dar, dass die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung als Ausgangspunkt einer dogmatischen Behandlung des Opferverhaltens einer tragfähigen Grundlage entbehrt.240 Es liegt also die Frage nahe, ob und inwieweit die Differenzierung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung überhaupt als sinnvoll und geboten erscheint. Es kann mithin gar nicht darum gehen, Beteiligungsformen isoliert für den jeweiligen Akteur deliktisch zu definieren, sondern anhand von normativen Gesichtspunkten die Frage zu beantworten, ob und unter welchen Voraussetzungen die Mitwirkung des Verletzten an seiner eigenen Gefährdung die anderen Beteiligten von der Verantwortung auf eigene Gefahr, S. 37 macht zutreffend darauf aufmerksam, dass beide Beteiligungsformen bei genauerer Betrachtung weniger voneinander differenzierende Fallgruppen als einen Perspektivenwechsel vom Täter zum Opfer umschreiben. 235 BayObLG, NJW 1990, S. 131 mit Anm. Dölling, JR 1990, S. 474; LG Kempten NJW 1989, S. 2068; Bruns, MDR 1987, S. 356; Herzog/Nestler-Tremel, StV 1987, S. 366; Hugger, JuS 1990, S. 974; Jakobs, AT2, 21/78a; NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 108; Prittwitz, JA 1988, S. 432; Rengier, BT/2, § 20 Rn. 6; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 107; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 12 a; Kühl, AT6, § 17 Rn. 82; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 58 f. 236 Berkl, Sportunfall, S. 99; Frisch, NStZ 1992, S. 66 f.; Helgerth, NStZ 1988, S. 262; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 273; Lasson, ZJS 2009, S. 368; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 133; Schünemann, JR 1989, S. 90. 237 BGHSt 49, 34 (36); vgl. auch Beulke, in: FS-Otto, S. 212. 238 Für eine Selbstgefährdung plädieren LK11-Schroeder, § 16 Rn. 181; Otto, in: FS-Tröndle, S. 170; für die Einordnung als Fall einer einverständlichen Fremdgefährdung Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 3; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 121; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 405. 239 Schünemann, JA 1975, S. 723. 240 Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 368 f.

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für den Erfolgseintritt entlasten soll. Im Folgenden ist deshalb das Augenmerk wertend auf die Prinzipien zu richten, die eine solche Entlastung begründen können. Es wird sich zeigen, dass eine Grenzziehung gar nicht erforderlich ist, weil die Strafbarkeit letztlich nicht davon abhängt. 3. Dogmatische Behandlung der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung Die Straflosigkeit der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist heute weitgehend anerkannt. Insbesondere hat sich unter dem Einfluss der Kritik Schünemanns241 seit BGHSt 32, 262 die Auffassung durchgesetzt, dass die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung nicht den Tatbeständen eines Jörperverletzungs- oder Tötungsdelikts unterfällt, wenn sich das vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert, welches sich aus der Gefährdung ergibt. Wer eine solche Selbstgefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar.242 Obwohl der Entscheidung im Ergebnis zuzustimmen ist, trifft die vom BGH geltend gemachte argumentative Grundlage nicht den Kern des Problems. Die Rechtsprechung verlässt die Rubrizierung unter dem Gesichtspunkt der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens und bekennt sich zu einer formal-strafrechtsdogmatischen Erklärung, die ihren Ausgangspunkt an den für die Teilnahme am Vorsatzdelikt geltenden Akzessorietätsregeln nimmt.243 Es lässt sich deshalb gemeinsam mit Frisch feststellen, dass „die tieferen materialen Gründe der Straflosigkeit Dritter in Fällen selbstgefährdenden Opferverhaltens weithin im Dunkeln bleiben und an ihrer Stelle Plausibilitätsappelle, das Vertrauen auf das gemeinsame ergebnisfundierende Rechtsgefühl oder nichtssagende Schutzzweckbehauptungen stehen“.244 Es empfiehlt sich daher, die von der Strafrechtsdogmatik bisher entwickelten Ansätze einer kritischen Würdigung zu unterziehen und den Blick auf den dahinter stehenden materialen Grund der Begrenzung des strafrechtlichen Schutzes des Opfers zu wenden. a) Der Erst-Recht-Schluss Die Rechtsprechung sowie die überwiegende Auffassung im Schrifttum stützen die Straflosigkeit der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung

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Schünemann, NStZ 1982, S. 60. BGHSt 32, 262=JR 1984, S. 511 mit Anm. Horn=NStZ 1984, S. 410 mit Anm. Roxin=NStZ 1985, S. 24 mit Anm. Dach=JZ 1984, S. 750 mit Anm. Kienapfel=JuS 1984, S. 724 mit Anm. Hassemer=JA 1984, S. 533 mit Anm. Seier; BGHSt 37, 179; BGH, NStZ 1992, S. 489. 243 Vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 390. 244 Frisch, NStZ 1992, S. 4. 242

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auf einen doppelten Erst-Recht-Schluss.245 Aus der Straflosigkeit der vorsätzlichen Teilnahme an einer Selbstverletzung soll sich in einem ersten Schritt per argumentum a maiore ad minus die Straflosigkeit der fahrlässigen Teilnahme an einer Selbstverletzung ergeben und in einem zweiten Schritt, wiederum a maiore ad minus, die Straflosigkeit der Teilnahme an einer Selbstgefährdung. Zum einen ist ein solcher Erst-Recht-Schluss nur dann gültig, wenn sich die verglichenen Fälle durch nichts anderes unterscheiden als dadurch, dass das steigerungsfähige Merkmal im zu entscheidenden Fall in schwächerem Maße ausgeprägt ist als im Ausgangssatz.246 Anderenfalls besteht die Gefahr, die verglichenen Fälle durch willkürliche Verengung des Vergleichsmodus zu verkürzen.247 Ungeachtet der vordergründigen Plausibilität des doppelten Erst-Recht-Schlusses des Bundesgerichtshofes relativiert sich die methodische Schlüssigkeit dieses Arguments bei näherem Hinsehen, weil die Selbstgefährdung keine im Verhältnis zur Selbstverletzung schwächere logische Bedingung für den Ausschluss der Erfolgszurechnung ist.248 Denn bei der Teilnahme an einer freiverantwortlichen Selbstverletzung geht es um eine rechtsgültige Disposition des Opfers über das eigene Rechtsgutsobjekt, während bei der Gefährdungssituation das Interesse am Erhalt des Rechtsgutes vom Opfer gerade nicht preisgegeben wird, da es auf ein Ausbleiben des Verletzungsrisikos vertraut.249 Die Erfolgszurechnung kann aber nur dann ausgeschlossen werden, wenn das Opfer freiverantwortlich nicht nur die Gefährdung, sondern auch den Erfolgseintritt will.250 Aus diesem Grund ist der Schluss von der fahrlässigen Beteiligung an der Selbstverletzung auf die fahrlässige Beteiligung an einer Selbstgefährdung logisch verfehlt. Zum anderen setzt das Teilnahmeargument voraus, dass die restriktive Ausformung von Täterschaft und Teilnahme beim Vorsatzdelikt auf Gefährdungskonstel245 BGHSt 24, 342 ff.; 32, 262, 264 f.; BGH, NStZ 1985, S. 25; BayOBLG, JZ 1997, S. 522; ebenso bereits BGH, NJW 1972, S. 1208; Beulke/Mayer, JuS 1987, S. 126 f.; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 79; ders., Gleichstellungsproblematik, S. 151; Schönke/Schröder-Eser, Vor §§ 211 ff. Rn. 35; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 165; SK-Hoyer, Anhang zu § 16 Rn. 50; SK-Horn, § 212 Rn. 21; ders., JR 1984, S. 513; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 107; ders., FS-Gallas, S. 246; ders., NStZ 1984, S. 411; Dannecker/Stoffers, StV 1993, S. 645; Dölling, GA 1984, S. 77; ders., FS-Gössel, S. 213; Geppert, Jura 2001, S. 491; Kühl, AT6, § 4 Rn. 87; Kindhäuser, AT4, § 12 Rn. 66; Krey, AT/1, Rn. 318; Krey/Heinrich, BT/1, Rn. 128 ff.; Stree, JuS 1985, S. 181; Schünemann, NStZ 1982, S. 62; ders., JA 1975, S. 720; ders., in: Strafrechtssystem und Betrug (Hrsg.), S. 75. 246 Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 107; dies., GA 2009, S. 490. 247 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck, S. 342. 248 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39. 249 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck, S. 342; Mayer, Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, S. 377; NK3-Puppe, Vor § 13 Rn. 184; dies., FS-Androulakis, S. 560 f.; dies., ZIS 2007, S. 249; dies., ZJS 2008, S. 605; dies., GA 2009, S. 490; Renzikowski, JR 2001, S. 248; Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 151; Weber, in: FS-Spendel, S. 376; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 51. 250 So Jäger, Zurechnung und Rechtfertigung, S. 10; zustimmend Sutschet, Die Erfolgszurechnung im Falle mittelbarer Rechtsgutsverletzung, S. 281.

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lationen übertragbar ist.251 Geht die überwiegende Lehre im Fahrlässigkeitsbereich von einem extensiven Täterbegriff aus, dann ist jeder, der ein unerlaubtes Risiko für das Leben eines anderen geschaffen hat, welches sich im Tod des Opfers realisiert, Täter einer fahrlässigen Tötung. Solange man die Anwendung der §§ 25 ff. StGB auf die vorsätzlichen Delikte beschränkt, kann die Akzessorietät der Haupttat im Bereich fahrlässigen Verhaltens keine Rolle spielen.252 Es liegt außerdem der Einwand nahe, dass die rechtliche Behandlung der Selbstgefährdung mit der speziellen und bisher umstrittenen Problematik der Differenzierung zwischen der strafbaren Tötung auf Verlangen und der straflosen Beihilfe zum Selbstmord belastet wird, ohne dass die Gründe, die diese gesetzgeberische Wertung veranlasst haben, wie oben aufgezeigt wurde, auch für die Gefährdungskonstellationen einschlägig sind.253 Die bereits dargestellten, begründungsbedürftigen Prämissen dieser formalstrafrechtsdogmatischen Argumentation können jedenfalls nicht den wahren materiellen Grund für die Straflosigkeit der Beteiligung an einer Selbstgefährdung wiedergeben.254 Indem es lediglich auf die für das Vorsatzdelikt geltenden Akzessorietätsregeln abstellt, lässt das doppelte a forteriori Argument die maßgeblichen Wertungsgesichtspunkte vermissen. Die Schwäche des Arguments liegt gerade darin, dass die Prüfung der Tatbestandsverwirklichung durch den Außenstehenden durch die Prüfung einer Quasi-Täterschaft des Opfers ersetzt wird, so dass es unklar bleibt, an welcher Voraussetzung einer Strafbarkeit es eigentlich fehlt.255 Solange nicht das Prinzip benannt wird, das hinter der gesetzgeberischen Entscheidung steht, kann sich die Argumentation zwar auf die Systematik des geltenden Rechts berufen, vermag aber nicht zu begründen, warum nicht auch anderes Recht gelten könnte.256 b) Die Lehre vom Schutzzweck der Norm Ähnlichen Einwänden setzt sich die in der Literatur vertretene Auffassung aus, nach der im Falle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung der Schutzbereich des übertretenen Sorgfaltsgebots über die Haftung des Beteiligten entscheiden soll. Dabei wird ergebnisorientiert auf das bereits kritisierte, doppelte a fortiori Argument 251 SK-Hoyer, § 25 Rn. 151; ders., GA 2006, S. 299 f.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 72 ff.; ders., GA 2007, S. 577; ders., HRRS 2009, S. 347 ff.; Diel, Regreßverbot, S. 316 ff.; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 69 ff.; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 115 ff. 252 Hardtung, NStZ 2001, S. 206; Renzikowski, JR 2001, S. 248; ders., HRRS 2009, S. 348. 253 Puppe, in: FS-Androulakis, S. 560; dies., ZIS 2007, S. 249; dies., GA 2009, S. 489; Cancio Meliá, ZStW 1999, S. 369; Frisch, NStZ 1992, S. 5. 254 Dach, NStZ 1985, S. 24; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40; Duttge, in: FSOtto, S. 241; MK-Freund, Vor § 13 ff. Rn. 383; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 3 ff.; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 281 f.; Frisch, NStZ 1992, S.5; Mayer, Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, S. 376; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 391; Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 150 f. 255 Murmann, in: FS-Puppe, S. 770 f. 256 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 113.

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abgestellt und hervorgehoben, dass die §§ 211, 223 ff. StGB die Individualrechtsgüter des Lebens bzw. der Gesundheit gegen Angriffe durch andere schützen. Ihr Schutzzweck sei nicht auf die Vermeidung vorsätzlicher und verantwortlicher Gefährdungen durch den Rechtsgutsträger selbst gerichtet, weshalb derjenige, der einen Beitrag zu einer solchen Handlung leiste, sich nicht strafbar mache.257 Die Zurechnung des eingetretenen Erfolgs scheitert also daran, dass die Selbstgefährdung nicht vom Schutzzweck des jeweiligen Verletzungsverbots erfasst werde.258 Da der Schutzbereich einer Norm zugunsten des Einzelnen dort ende, wo dessen eigener Verantwortungsbereich beginne, könne in diesen Fällen keinem Dritten das eigene Werk des Opfers zur Last gelegt werden.259 Da die Schutzzwecklehre unmittelbar auf der formellen Teilnahmeargumentation beruht, liefert sie genauso wenig wie die Letztere eine materiellrechtliche Begründung für die Reichweite des Schutzbereichs der in Frage stehenden Strafnormen. Sie erweist sich demnach als inhaltsleere, auf einem Zirkelschluss beruhende Behauptung.260 Es gilt nämlich erst zu beweisen, dass die fahrlässige Ermöglichung bzw. Förderung selbstgefährdenden Opferverhaltens trotz an sich möglicher Subsumtion unter die §§ 222, 229 StGB von diesen nicht erfasst ist.261 Murmann macht zutreffend darauf aufmerksam, dass ein Verhalten nicht mit Rücksicht auf die Reichweite des Tatbestandes erlaubt ist, sondern umgekehrt die Reichweite des Tatbestandes solches erlaubte Verhalten deshalb nicht erfassen kann, weil es eben bereits nach der Primärordnung erlaubt ist.262 Hinter dem durchaus überzeugenden Ergebnis einer Unterbrechung des Schutzzweckzusammenhangs steht daher nicht die spezifische Schutzrichtung der einschlägigen Verhaltensnorm, sondern die normative Wertentscheidung, dass kein Grund besteht, die Handlungsfreiheit der Beteiligten einzuschränken, solange niemand gegen seinen Willen gefährdet wird.263 Der Umstand, 257

Beulke/Schröder, NStZ 1991, S. 393. Beulke/Mayer, JuS 1987, S. 127; Beulke/Schröder, NStZ 1991, S. 393; Fünfsinn, StV 1985, S. 57 ff.; Kutzer, NStZ 1994, S. 112; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 43; Lasson, ZJS 2009, S. 361; Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 124; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 107; ders., NStZ 1984, S. 412; ders., in: FS-Gallas, S. 245; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 79; ders., JuS 1969, S. 557; Schünemann, NStZ 1982, S. 60 ff.; ders., JA 1975, S. 715 ff.; Stree, JuS 1985, S. 179 ff., 181. 259 Stree, JuS 1985, S. 181; Fünfsinn, StV 1985, S. 57 f.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 186; Wessels/Hettinger, BT/1, Rn. 191. 260 Vgl. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40; Frisch, NStZ 1992, S.5; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 282; Mayer, Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, S. 378; Schönke/ Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 92a. 261 Renzikowski, JR 2001, S. 249. 262 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 392. 263 Dies räumt selbst Roxin, AT I4, § 11 Rn. 107 Fn. 230 ein, obwohl er davon ausgeht, dass es in den Fällen tödlich verlaufenden Rauschgiftkonsums nicht an der Verwirklichung einer unerlaubten Gefahr fehlt. Es stellt sich aber nicht erst die Frage der Verwirklichung einer rechtlich missbilligten Gefahr im Erfolg, sondern bereits die Frage, ob die mit der Ermöglichung bzw. Förderung einer Selbstgefährdung geschaffene Gefahr überhaupt rechtlich missbilligt ist. 258

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dass die §§ 211, 223 ff. nicht den Schutz des Einzelnen vor sich selbst umfassen, ist demnach bloßer Reflex der Selbstverfügungsfreiheit des Einzelnen im Umgang mit seinen Rechtsgütern.264 c) Dogmatische Grenzen des viktimodogmatischen Ansatzes Die bisher kritisierten Begründungsansätze bleiben auf der Ebene einer schlichten dogmatischen Verortung des Problems, ohne eine materiale Begründung für die Straffreiheit des Außenstehenden anzuführen. Die Anhänger einer viktimodogmatischen Strafrechtskonzeption wollen dagegen die Entscheidung über die Strafbarkeit des an einer Selbstgefährdung beteiligten Fahrlässigkeitstäters davon abhängig machen, ob derjenige, der sich wissentlich einer Gefahr aussetzt, des Schutzes der Rechtsordnung bedürftig und würdig ist.265 Ausgehend von der prinzipiellen Eigenverantwortlichkeit des Opfers, welches für das Wohl seiner Güter zuständig ist, und in Anbetracht der obliegenheitswidrigen Vernachlässigung von Selbstschutzmaßnahmen plädieren die Befürworter des viktimodogmatischen Ansatzes für die Straffreiheit des Täters. Denn Kehrseite der Freiheit zu riskanten Unternehmungen sei die Verpflichtung, entsprechende Schäden auch im Verhältnis zum Risikopartner auf sich zu nehmen.266 Es erscheint tatsächlich nahe liegend, dass demjenigen Rechtsgutsträger, der den ihm ohne weiteres möglichen Selbstschutz unterlässt und seine Rechtsgüter ohne triftigen Grund preisgibt, ein schwererer Vorwurf gemacht werden kann, als dem nur fahrlässig handelnden Täter.267 Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass es ungerecht wäre, unter mehreren, die gleichermaßen leichtfertig handelnd, eine Gefahr verursacht haben, diese ausschließlich dem zuzurechnen, den der Erfolg, möglicherweise zufällig, getroffen hat.268 Mit Recht fragt sich Puppe, warum der Geschädigte von der Rechtsordnung von vornherein schlechter gestellt werden sollte, als der andere Beteiligte, der ohne Schaden geblieben ist.269 Darüber hinaus hängt die Aussagekraft des viktimodogmatischen Ansatzes im Hinblick auf die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer von der Leistungsfähigkeit des Kriteriums der Selbstschutzobliegenheiten ab.270 Es ist doch gerade die Frage des Strafrechts, vor welchen 264

Vgl. auch Sutschet, Die Erfolgszurechnung im Falle mittelbarer Rechtsgutsverletzung, S. 288. 265 Zu den methodischen Grundfragen dieses Konzepts vgl. Schünemann, in: FS-Bockelmann, S. 130 f.; ders., NStZ 1982, S. 62; ders., in: FS-Faller, S. 361 ff.; ders., NStZ 1986, S. 193 ff., 439 ff.; ders., in: Schünemann (Hrsg.), Strafrechtssystem und Betrug, S. 61 ff.; Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers, S. 25, 85. 266 Hörnle, GA 2009, S. 634. 267 Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 136. 268 NK3-Puppe, Vor § 13 Rn. 195; dies., GA 2009, S. 493 f. 269 Puppe, ZIS 2007, S. 248, 250. 270 Hörnle, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 43 f.; Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, S. 357.

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Gefahren das Recht den Bürger schützt und gegen welche er sich allein schützen muss.271 Ist für die Obliegenheit des Opfers ein normativer Maßstab anzulegen, bedarf es zu ihrer Ausfüllung substantieller Kriterien, anhand derer die Frage zu beantworten ist, welche Selbstschutzmöglichkeiten den Verantwortungsbereich des Täters begrenzen. Näher zu diskutieren sind hier insbesondere zwei viktimodogmatische Modelle, die durch eine Gesamtschau von Täter- und Opferverhalten eine sachgerechte Risikoverteilung auf der Tatbestandsebene vertreten. Für die Ausarbeitung seines Lösungsansatzes stützt sich P. Frisch auf zwei Erwägungen. Zum einen soll das vom Strafrecht zu schützende Rechtsgut keinen Achtungsanspruch mehr entfalten, wenn der Rechtsgutsinhaber kein Interesse an dessen Integrität habe. In dem Maße, in dem der Verletzte sich selbst einer Gefahr aussetze, seien auch die für die anderen geltenden Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich seiner Güter herabgesetzt. Zum anderen führe nicht jede vermeidbare Selbstgefährdung dazu, sondern nur soweit der Rechtsgutsinhaber seiner Selbstschutzobliegenheit zuwiderhandelt. Die Unterlassung zumutbarer Schutzmaßnahmen soll zu einem Überwiegen des Interesses an der Handlungsfreiheit des Gefährders gegenüber dem Interesse am Schutz des gefährdeten Rechtsguts führen.272 Den dogmatischen Schlüssel für die Grenzziehung soll wiederum die Einwilligungsregelung beim Vorsatzdelikt bereitstellen. Soweit vorsätzliche Verletzungen deshalb straflos bleiben, weil Täter und Gutsträger parallele subjektive Einstellungen zum Erfolg hätten, soll das gleiche für das Fahrlässigkeitsdelikt gelten. Frisch geht bei fehlendem überlegenen Wissen und unbewusster Fahrlässigkeit des Täters sogar so weit, die Sorgfaltswidrigkeit eines gefährlichen Verhaltens schon dann zu verneinen, wenn der Rechtsgutsinhaber die eingegangene Gefahr nur hätte erkennen können.273 Die Lehre Frischs stößt aber auf erhebliche Einwände. Im Zusammenhang mit der bereits zurückgewiesenen a maiore ad minus Argumentation der Lehre vom Schutzzweck der Norm wurde dargestellt, dass die Selbstgefährdung sich nicht als weniger gravierende Form der Gutsdisposition begreifen lässt, so dass die Straffreistellung des Außenstehenden keine zwingende Folge ist. Es ist deshalb unersichtlich, weshalb die Reziprozität der Kognition der Gefährdungsfaktoren bei Täter und Opfer etwas über die Verteilung von Verantwortung aussagen soll.274 Von seiner Prämisse aus gelangt Frisch zu der These, dass bereits eine unbewusste Selbstgefährdung des Opfers eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt des Verletzers auszuschließen vermag.275 Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass ein für sich gefährliches Verhalten auch dann verboten bleibt, wenn der Rechtsgutsträger 271

So Puppe, ZIS 2007, S. 248. Frisch, Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 119 ff. 273 Frisch, Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 122 ff. Kritisch insofern Schünemann, JA 1975, S. 723, der die Auffassung von Frisch als zu weitgehend bezeichnet. 274 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 99. 275 Frisch, Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 122 ff. 272

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die Gefährlichkeit infolge einfacher Fahrlässigkeit nicht erkannt hat.276 Soweit das Täterverhalten unabhängig von der Gefahrbegründung durch das Opfer normverletzend ist, besteht kein schutzwürdiges Interesse des Täters, das gegen die Integrität der Güter des Opfers in die Waagschale geworfen werden könnte, auch wenn deren Wertigkeit durch dessen Interessenpreisgabe herabgesetzt wäre.277 Sein Konzept läuft letztlich auf die Einführung eines strafausschließenden, überwiegenden Mitverschuldens des Opfers hinaus, was sich durch die starken Einflüsse der zivilrechtlichen Vorarbeit Hans Stolls278, erklären lässt. Ein für das Zivilrecht entworfenes Konzept, das das Ziel verfolgt, Schadensersatzansprüche nach Grund und Höhe einzelfallbezogen nach der Bewertung der Tatanteile von Täter und Opfer zu bestimmen, ist jedoch mit der Aufgabe des Strafrechts nicht zu vereinbaren.279 Auch Fiedler will durch eine umfassende Abwägung von Täter- und Opferbeiträgen unter normativen Gesichtspunkten auf der Tatbestandsebene ermitteln, wem der eingetretene Rechtsgutsverlust objektiv zuzurechnen sei.280 Neben dem konkreten Gefährdungsverhalten des Täters (Risikoerhöhungsprinzip) sei insbesondere der Gedanke der Eigenverantwortlichkeit des Opfers zu berücksichtigen.281 Darüber hinaus bezieht er verschiedene Ansätze anderer Autoren mit in die Abwägung ein, ohne aber Maßstäbe für deren Gewichtung zu benennen, so dass deren Verhältnis zueinander letztlich unklar bleibt.282 Fiedler macht selbst darauf aufmerksam, dass im Rahmen der Abwägung „dem wertenden Ermessen durch relativ feste Kriterien möglichst enge Schranken“ zu setzen sind.283 Der Schwachpunkt seines Abwägungsmodells liegt gerade darin, dass er hinreichend konkrete Kriterien vermissen lässt, anhand derer das viktimologische Prinzip mit dem Begriff der Selbstverantwortung in Verbindung gebracht werden kann, so dass die von ihm propagierten Lösungen als eine „Summe aus juristischer Übung und gesundem Menschenverstand“ erscheinen.284 Im Ergebnis ist also festzuhalten: Die Viktimodogmatik besitzt zwar einen richtigen Kern, wenn sie dem Rechtsgutsträger eine vorrangige Zuständigkeit für den Erhalt seiner Rechtsgüter zuspricht. Allerdings benennt der viktimodogmatische Ansatz mit dem Kriterium der obliegenheitswidrigen Nichtwahrnehmung der Selbstschutzmöglichkeiten auf Opferseite ein konkretisierungsbedürftiges Element, 276

Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 113. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 100. 278 Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, 1959. 279 Hähle, Die strafrechtliche Relevanz von Sportverletzungen, S. 119. 280 Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, S. 175 ff.. 281 Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, S. 178 f. 282 Vgl. Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, S. 181, 190 f. Zu Recht spricht Hähle, Die strafrechtliche Relevanz von Sportverletzungen, S. 152, von einem „Kriteriencocktail“. 283 Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, S. 183. 284 Zaczyk, GA 1991, S. 573; ders., Strafrechtliches Unrecht, S. 10 f. 277

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das nichts Griffiges zur Abgrenzung der Verantwortungsbereiche leistet. Aufgrund der Unbestimmtheit der mit in die Abwägung einzubeziehenden normativen Aspekte erreicht das viktimologische Konzept in diesem Bereich seine dogmatischen Grenzen285 und vermag nicht die notwendige Rechtssicherheit zu gewährleisten. Es bedarf vielmehr eines übergeordneten Grundprinzips, aus dem sich die einzelnen bei der normativen Zurechnung zum Verantwortungsbereich maßgeblichen Gesichtspunkten ableiten lassen. d) Eigenverantwortlichkeit des Opfers als maßgebliches Zurechnungskriterium und ihre Einschränkung im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts Bei aller Kritik an der unzulänglichen dogmatischen Begründung steht im Zentrum aller vorstehenden Erwägungen der Sache nach das materielle Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Opfers, das die strafrechtliche Verantwortlichkeit der fahrlässigen Beteiligung Dritter ausschließt.286 Indem die Rechtsordnung dem Einzelnen die Preisgabe seiner Rechtsgüter und das Eingehen von Risiken gestattet, darf der aufgrund des selbstgefährdenden Verhaltens eingetretene Erfolg nicht dem Verantwortungsbereich des Beteiligten zugeordnet werden, trägt doch dieser gerade zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts bei.287 Würde man den Außenstehenden für den eingetretenen Erfolg verantwortlich machen, so würde man ihm die Pflicht auferlegen, den Verunglückten zu seinem Wohl vor einer Gefahr zu bewahren, die dieser unbedingt eingehen wollte.288 Ein generelles Verbot der Förderung bzw. Ermöglichung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung würde daher zu einer unzulässigen Bevormundung des Einzelnen führen.289 Der Respekt vor der Autonomie des Gefährdeten gebietet es also, die bloße Ermöglichung bzw. Veranlassung einer auf einer zurechenbaren Willensentscheidung beruhenden Selbstgefährdung nicht als unerlaubtes Risiko der Tatbestandsverwirklichung zu bewerten.290 Es gibt nun Situationen, in denen der Gesetzgeber die Entscheidung des Einzelnen zur freiwilligen Selbstgefährdung nicht respektiert und jedem anderen bei Strafe verbietet, den Gefährdeten in einer bestimmten Art und Weise zu unterstützen. Hierher gehören Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz: Der Gesetzgeber hat 285

Die Grenzen viktimodogmatischer Überlegungen, wenn es um die Ausnutzung individueller menschlicher Schwäche geht, erkennt auch Schünemann, in: von Hirsch/Seelmann/ Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 34 f. 286 Vgl. Roxin, JZ 2009, S. 401; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 282 ff. 287 Radtke, in: FS-Puppe, S. 837. 288 Puppe, ZJS 2008, S. 606. 289 Puppe, ZJS 2008, S. 605; dies., GA 2009, S. 494; dies., AT I, § 6 Rn. 6. 290 Frister, AT4, S. 115 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 156 ff.; MK-Duttge, § 15 Rn. 151; Jescheck/Weigend, AT, S. 574; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 397; Seelmann, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 142; Thier, Retterschäden, S. 154.

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eine Verhaltensnorm aufgestellt, die es dem Täter verwehrt, einem anderen Rauschgift beizubringen. Seit 1990 hat der BGH den Standpunkt eingenommen, dass für den Bereich der Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes eine Einschränkung des allgemeinen Grundsatzes der Straflosigkeit der Beteiligung an einer Selbstgefährdung geboten ist und zwar unabhängig davon, ob sich der Konsument voll verantwortlich dafür entschieden hat oder nicht. Es sei danach zulässig, Gesundheitsschädigungen oder Todeserfolge ebenso wie konkrete Gefährdungen der Gesundheit oder des Lebens bei der Bestrafung des Drogenlieferanten auch dann strafschärfend zu berücksichtigen, wenn sich diese Rechtsgutsverletzungen oder -gefährdungen als Realisierung einer vollverantwortlichen Selbstgefährdung erweisen. Der Regelungsinhalt der §§ 30 Abs. 1 Nr. 3, 29 Abs. 3 Nr. 2 BtMG sei gerade die positivrechtliche Entscheidung des Gesetzgebers immanent, dass „der Gesichtspunkt der Selbstgefährdung … die objektive Zurechnung der sich aus dem Konsum von Betäubungsmitteln ergebenden schweren Folgen nicht hindern soll“.291 Zur Begründung dieser Thesen führt der BGH weiterhin aus, dass nicht allein und nicht in erster Linie die Individualrechtsgüter des Lebens und der Gesundheit Schutzgut der Strafnormen des BtMG seien, sondern primär der Schutz der Bevölkerung vor Gefahren der Rauschgiftverbreitung.292 Es lässt sich zwar nicht bestreiten, dass der Gesetzgeber bei der Verantwortungszuweisung nicht absolut an das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit gebunden ist, sondern darüber hinausgehende Regelungen vorsehen kann.293 Etwas anderes könnte aber nur dann gelten, wenn der Gesetzgeber durch das Einbeziehen der Selbstgefährdungsfälle in den Bereich der Strafbarkeit seine verfassungsrechtliche Kompetenz zur Pönalisierung menschlichen Verhaltens überschritten hatte.294 Soweit die Ermöglichung der Wahrnehmung von Freiheit anderer kein strafrechtliches Unrecht begründen kann, sind alle Tatbestände des Betäubungsmittelstrafrechts, also auch die Tatbestände der Angebotsseite wie das Handeltreiben problematisch, wenn sie mit dem Verweis auf die schädlichen Folgen für die Gesundheit oder das Leben der vollverantwortlichen Konsumenten legitimiert werden.295 Wenn § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG eine Strafschärfung für den Fall vorsieht, dass der Täter durch sein Handeltreiben leichtfertig den Tod eines anderen verursacht hat, so lässt sich nicht bestreiten, dass es hierbei um den Schutz des einzelnen Menschenlebens geht und 291

Vgl. BGH, JZ 1991, S. 572 mit zust. Anm. Rudolphi; BGHSt 37, 179 (183); 46, 279 (289); zust. MK-Rahlf, Nebenstrafrecht Bd. 5, § 30 BtMG Rn. 141. 292 BGHSt 37, 179 (182) mit zust. Anm. Beulke/Schröder, NStZ 1991, S. 394 und Rudolphi, JZ 1991, S. 573; vgl. auch BGHSt 39, 322 (325); Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 165 ff.; ders., in: FS-Puppe, S. 1293; MK-Duttge, § 15 Rn. 152. 293 Otto, in: FS-Wolff, S. 406. 294 Dies verneint Hardtung, NStZ 2001, S. 208, mit dem schlichten Verweis auf die Verfassungsmäßigkeit des § 216 StGB. Ähnlich Duttge, NStZ 2001, S. 548. Aufgrund der noch näher zu diskutierenden Legitimationsprobleme dieser Strafnorm trägt diese Begründung nicht weit. 295 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 94, 100 f.; Wohlers, Deliktstypen, S. 193.

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

nicht um die Volksgesundheit.296 Unter dem Etikett des diffusen Rechtsguts der Volksgesundheit wird gerade diese Legitimationshürde überwunden und die normative Entscheidung für die Straflosigkeit sowohl der Selbstgefährdung als auch der Beteiligung an einer eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung letztlich ausgehöhlt.297 Man muss aber eine eindeutige Entscheidung im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts treffen: entweder Respekt vor der Selbstverantwortung des Individuums oder verkappter staatlicher Paternalismus. Eine paternalistische Interpretation des Verbots hat Puppe vertreten. Sie bejaht die Verantwortlichkeit des Dealers für den Tod des Konsumenten nicht nur nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, sondern auch nach § 222 StGB, da der Schutzzweck in beiden Konstellationen darin bestehe, Selbstgefährdungen durch Betäubungsmittelkonsum zu verhindern.298 Der bloße Hinweis auf die positivrechtliche Entscheidung des Gesetzgebers vermag indes das dem positiven Recht als Maßstab übergeordnete Prinzip der Selbstverantwortung nicht zu verdrängen, sofern darin keine Erklärung enthalten ist, warum das positive Recht ohne weiteres eine staatliche Bevormundung als Recht begründen können soll.299 Auch nach Zaczyk liege der Sinn der im BtMG enthaltenen Verbote darin, „den Einzelnen den Gefahren des Rauschgifts nicht auszusetzen“.300 Bei einer konkreten Gefahr, in Suchtabhängigkeit zu geraten, müsse der potentielle Konsument in rechtlicher Hinsicht – unabhängig von seiner aktuellen Zustimmung – darauf vertrauen können, dass ihm diese Möglichkeit zur Selbstgefährdung nicht eröffnet werde. Geschehe dies dennoch, dann widerspreche es „dem Sinn des BtMG, einen Außenstehenden aus der Verantwortung für Gesundheit und Leben des Opfers zu entlassen mit der Behauptung, dieses habe das Risiko in seine eigene Verantwortungssphäre übernommen.“301 Neumann weist zutreffend auf die Widersprüchlichkeit dieser Argumentation hin. Wer sich selbst verantwortlich für den Konsum von Betäubungsmitteln entscheidet, würde sich mit dem Vorwurf, der andere hätte ihm diese vorenthalten müssen, geradezu lächerlich machen.302 Der Grundsatz, dass die eigenverantwortlich eingegangene Selbstgefährdung kein strafrechtlich relevantes Unrecht darstellen kann, hat demnach nicht nur Be296

Puppe, AT I, § 6 Rn. 24; Renzikowski, JR 2001, S. 250. Nestler-Tremel, StV 1992, S. 278. 298 Vgl. NK3-Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 189; dies., AT I, § 6 Rn. 27; dies., ZIS 2007, S. 252; dies., ZJS 2008, S. 606; dies., GA 2009, S. 494 f.; zust. Kindhäuser, AT I4, § 11 Rn. 34; Sternberg-Lieben, in: FS-Puppe, S. 1300; Weber, in: FS-Spendel, S. 378 f.; ders., in: FSBaumann, S. 53. 299 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 401; LK12-Vogel, § 15 Rn. 241. Dies verkennt wohl Weber, Handeltreiben, S. 371. 300 Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 60. 301 Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 60. 302 Neumann, Besprechung von Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, GA 1996, S. 38. Kritisch auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 400; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 118. 297

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deutung für das Verhalten des Drogenkonsumenten selbst, sondern wirkt auch für Personen, die anderen den Konsum ermöglichen.303 Soweit die Abgabe an kompetente Individuen erfolgt, die sich bei voller Kenntnis des Gesundheitsrisikos für den Konsum von Betäubungsmitteln entscheiden, kann allein die Eröffnung der Möglichkeit zur Selbstgefährdung noch keine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Außenstehenden für den resultierenden Erfolg begründen, weil es nur bei einer entsprechenden Mitwirkungshandlung des Konsumenten zu der Risikorealisierung kommen kann.304 Wenn man also die Strafbarkeit des Drogenlieferanten nach § 222 StGB bei freiwilliger Selbstgefährdung des Konsumenten ablehnt, so muss man dies auch bei § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG tun, so dass als Anwendungsbereich für beide Tatbestände nur das gewaltsame „Anfixen“ oder der Konsum durch einen Verantwortungsunfähigen übrigbleibt.305 Die Unrechtsqualität der Abgabe beginnt also erst dort, wo von einer eigenverantwortlichen Entscheidung wegen Wissens- oder sonstigen Kompetenzdefiziten keine Rede sein kann.306 Die entscheidende Kernfrage ist daher, wie die Kriterien eines eigenverantwortlichen, eine Fremdhaftung ausschließenden Handelns zu bestimmen sind und wo die Grenzen für das Eigenverantwortlichkeitsprinzip liegen. 4. Die Behandlung der Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung Die deliktssystematische Einordnung der Figur der einverständlichen Fremdgefährdung, die erstmals 1973 von Claus Roxin als selbstständige dogmatische Kategorie behandelt wurde, ist bisher weitgehend ungeklärt und umstritten.307 Als typische Fälle werden die Mitfahrt im Auto eines Angetrunkenen in Kenntnis seiner Fahruntüchtigkeit308, das Surfen auf dem Dach eines von einem anderen gesteuerten

303

Wohlers, Deliktstypen, S. 193 f. Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 267; Dannecker/Stoffers, StV 1993, S. 645; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 225; Wohlers, Deliktstypen, S. 203. 305 Für eine solche Einschränkung der Straftatbestände des Betäubungsmittelstrafrechts vgl. Hohmann, MDR 1991, S. 1118; Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, S. 140; Frister, AT4, S. 112; Kienapfel, JZ 1984, S. 752; Körner, BtMG, § 30 Rn. 88; Loos, JR 1982, S. 342; Renzikowski, JR 2001, S. 250; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 112; ders., NStZ 1985, S. 320. 306 Für die weitreichenden Konsequenzen eines umfassenden Verbots umsatz- und abgabeorientierter Verhaltensweisen bei Rauschmitteln mit besonders hohem Suchtpotential sei auf die Analyse im dritten Teil der vorliegenden Untersuchung verwiesen. Vgl. auch Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 206 ff.; Wohlers, Deliktstypen, S. 194 f. 307 Roxin, NStZ 1984, S. 412, bezeichnet sie als eine der „ungeklärtesten Fragen der Fahrlässigkeitsdogmatik“; vgl. auch Hammer, JuS 1998, S. 788. 308 BGHSt 6, 232; BayObLG, JR 1963, S. 27; OLG Karlsruhe, NJW 1967, S. 2321; OLG Celle, NJW 1964, S. 736; OLG Köln, NJW 1966, S. 895. 304

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Pkws309 sowie Verletzungen im Zusammenhang mit sportlichen Betätigungen310 angeführt. Zur Bewältigung dieser Konstellationen sind in Rechtsprechung und Lehre recht unterschiedliche Lösungsansätze entwickelt worden, um das zustimmende Opferverhalten hinsichtlich der Gefährdungshandlung des Außenstehenden bei der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche zu berücksichtigen. a) Die Sorgfaltswidrigkeitslösung Ursprünglich richtete die Rechtsprechung den Blick ausschließlich auf die Fahrlässigkeitsprüfung des Verhaltens des Außenstehenden anhand der allgemeinen Kriterien der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit. Das Reichsgericht verneinte in dem berühmten Memel-Fall, in dem die Opfer das Risiko der Überquerung der Lemel bei stürmischem Wetter und Hochwasser in gleichem Maße überblickten wie der Gefährdende, eine Strafbarkeit des Fährmanns wegen mangelnden Sorgfaltspflichtverstoßes.311 Grund für den Wegfall der Fahrlässigkeit sei erstens, dass das Opfer sein Einverständnis freiverantwortlich erklärt habe und dass zweitens der Täter bei seinem gefährdenden Verhalten nicht „in anderer Beziehung Sorgfaltspflichten verletzt habe“. Auch in der Literatur wurde vereinzelt die Meinung vertreten, dass das mit der normalen Ordnung des Gemeinschaftslebens an sich nicht in Einklang stehende risikoträchtige, gefährliche Vorhaben wegen der freiwilligen und selbstverantwortlichen Eigengefährdung des sich in diese Gefahr Begebenden keine Verletzung der objektiv erforderlichen Sorgfalt des Täters enthalte.312 Gegen die Sorgfaltswidrigkeitslösung sprechen zwei entscheidende Gründe: Erstens wird man die Sorgfaltswidrigkeit als Merkmal der Handlung selbst ansehen müssen und nicht vom Verhalten Außenstehender abhängig machen können. Roxin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass durch die jedes allgemein erlaubte Risiko überschreitende Gefährlichkeit des Täterverhaltens die Sorgfaltspflicht allemal verletzt ist.313 Während die zivilrechtliche Haftung ein Mitverschulden des Geschädigten gem. § 254 BGB berücksichtigt, ist für die strafrechtliche Bewertung nur relevant, ob der Täter selbst sorgfaltswidrig gehandelt hat.314 Der Anknüpfungspunkt 309 OLG Zweibrücken, JR 1994, S. 518 mit Anm. Dölling; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, S. 325. 310 BGHSt 4, 88, 93. 311 RGSt 57, 172, 173 f.; vgl. auch BGHSt 4, 88, 93; 6, 232, 234 f.; 7, 112, 115; OLG Karlsruhe, NJW 1967, S. 2322; BayObLG, NJW 1957, S. 1246. 312 Vgl. Dach, NStZ 1985, S. 25; ders., Zur Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 53 ff.; Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 118 ff.; Geppert, ZStW 1971, S. 994 f., anders jetzt ders., Jura 2001, S. 491 f.: „Unterbrechung des strafrechtlichen Zurechnungszusammenhangs“; Hirsch, ZStW 1962, S. 95 f.; Krey, AT/1, Rn. 634; Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 43 Rn. 69. 313 Roxin, AT I4, § 11 Rn. 123. 314 Beulke, in: FS-Otto, S. 213; Roxin, JZ 2009, S. 400; LK11-Hirsch,Vor § 32 Rn. 94; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 274.

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der Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung wird auf die Frage verlagert, ob die zur Bewältigung der geschaffenen Gefahr erforderliche Sorgfalt eingehalten wurde. Damit wird die vorausgehende Frage ausgeblendet, ob der Täter dieses Risiko für das Opfer überhaupt schaffen durfte. Der Fährmann hat im Memel-Fall seine Sorgfaltspflicht, die in der Verletzung des Gebots besteht, eine „billige Rücksicht auf Gesundheit und Leben anderer zu nehmen“, bereits verletzt, indem er die Überfahrt unter erschwerten Bedingungen überhaupt vorgenommen hat. Daran ändert sich auch nichts, wenn er im weiteren Verlauf des Geschehens seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist.315 Es ist zweitens der Kritik beizupflichten, dass es den Erfordernissen der Gesetzesbestimmtheit und der Rechtssicherheit widerspricht, die Strafbarkeit vom Ermessen des Tatrichters und von einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles abhängig zu machen.316 Denn da weder die relevanten Umstände noch die Abwägungsmaßstäbe in verbindlicher Weise festgelegt werden, können die Handelnden in solchen Fällen nicht erkennen, ob sie sich strafbar machen.317 Die Vermengung allgemeiner Sorgfaltspflichtkriterien mit besonderen, der Beteiligung mehrerer eigenverantwortlich handelnder Personen Rechnung tragenden Aspekten würde die Rechtsklarheit beeinträchtigen und die Gefahr begründen, dass nicht mehr zwischen per se pflichtwidrigem und erst aufgrund der Eigenverantwortlichkeit anderer pflichtwidrigem Verhalten unterschieden würde.318 Schließlich liefe die Ineinssetzung auch dem Wesen des Strafrechts als Individualstrafrecht zuwider, dessen Verhaltensanforderungen die Vorstellung des isoliert handelnden Einzelnen zugrunde liegt und für das Zusammenwirken mehrerer einen gesondert zu behandelnden Ausnahmefall darstellt. Vor diesem Hintergrund würde es seltsam anmuten, demjenigen, der das allgemein erlaubte Risiko überschreitet, ein von vornherein pflichtgemäßes Handeln zu attestieren, nur weil im konkreten Einzelfall die besondere Situation der Risikoübernahme seitens des späteren Opfers gegeben ist.319 b) Die Rechtsfigur der Risikoeinwilligung Die heutige Rechtsprechung und eine verbreitete Literaturmeinung greifen in den Fällen der einverständlichen Fremdgefährdung auf die Regeln der rechtfertigenden Einwilligung zurück.320 Die Anhänger dieser Lösung gehen davon aus, dass für die 315 BGHSt 7, 112, 115; auch Hellmann, in: FS-Roxin, S. 274; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 404; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 123. 316 Roxin, AT I4, § 11 Rn. 123; Beulke, in: FS-Otto, S. 213; Dölling, GA 1984, S. 82; ders., in: FS-Geppert, S. 55; Lasson, ZJS 2009, S. 366. 317 Roxin, JZ 2009, S. 400. 318 Dölling, GA 1984, S. 82; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, S. 346. 319 Vgl. Hammer, JuS 1998, S. 787. 320 BGHSt 40, 341, 347; 49, 34, 39; 49, 166, 175; 53, 55, 62; BGH NJW 1995, S. 796; BGH, NJW 2004, S. 1055; OLG Zweibrücken, JR 1994, S. 519 mit Anm. Dölling; Arzt/Weber/

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Rechtfertigung im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte allein die Einwilligung in das Risiko, nicht aber in den Verletzungserfolg maßgeblich sei.321 Bei Fahrlässigkeitsdelikten stehe der Handlungsunwert im Vordergrund. Erforderlich sei allein, dass der Rechtsgutsträger in Kenntnis der besonderen Gefahr in die Vornahme der sorgfaltswidrigen Handlung einwillige. Zwangsläufig nehme er auch den daraus resultierenden Erfolg in Kauf. Der Deutung der einverständlichen Fremdgefährdung als Sonderform einer rechtfertigenden Einwilligung begegnen Einwände aus zwei Richtungen: zum einen von denjenigen, die die billigende Inkaufnahme der Verletzung und nicht lediglich der Gefährdung des preisgegebenen Rechtsguts für Wesensmerkmal der Einwilligung halten, zum anderen von denjenigen, die § 216, 228 StGB über ihren auf finale Verletzungshandlungen ausgerichteten Wortlaut hinaus auch bei bloßen Gefährdungssituationen als anwendbar erachten. aa) Einwilligung in die Gefährdung Es stellt sich also zunächst die Frage, ob zur Annahme einer Einwilligung im strafrechtlichen Sinn bereits die bloße Zustimmung in eine riskante Handlung genügt. Ein Teil des Schrifttums hält tatsächlich eine derartige Risikoeinwilligung entweder grundsätzlich322 oder zumindest im Fahrlässigkeitsbereich323 für ausreichend. Begründet wird dies zum einen mit dem Charakter des Strafrechts als Verhaltensordnung, angesichts dessen die Einwilligung von der Befolgung eines Verhaltensverbots bzw. -gebots dispensiere und sich dementsprechend auf die Handlung als solche beziehe.324 Zum anderen sei bereits der Einwilligung in ein rechtsgutsgefährdendes Verhalten ein Rechtsschutzverzicht bzw. eine Interessenpreisgabe immanent. Letzteres lässt sich nicht bestreiten, belegt allerdings noch nicht, dass es sich hierbei um eine Einwilligung im strafrechtlichen Sinn handelt. Nach der hier vertretenen Auffassung besteht das Wesen der Einwilligung in einer Freiheitsbetätigung durch bewusste Rechtsgutspreisgabe, die zwingend eine Billigung der als Heinrich/Hilgendorf, BT, § 6 Rn. 34 ff.; Beulke, in: FS-Otto, S. 207; Dölling, JR 1994, S. 520 f.; ders., GA 1984, S. 80 ff.; Duttge, in: FS-Otto, S. 227; Heinrich, AT I, Rn. 473; LK11Hirsch, Vor § 32 Rn. 95, 107; Klee, GA 1902, S. 248; Kühl, AT6, § 17 Rn. 82 f. ders., NJW 2009, S. 1158; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 102; Rengier, Iurratio 2/2008, S. 9; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 81a; MK-Schlehofer, Vor § 32 Rn. 125; LK11-Schroeder, § 16 Rn. 179 f.; Schroth, BT, S. 77; Wessels/Beulke, AT, Rn. 191. 321 Vgl. Dölling, GA 1984, S. 84; Schaffstein, in: FS-Welzel, S. 570 ff. 322 Dölling, JR 1994, S. 521; ders., GA 1984, S. 83 f.; ders., in: FS-Gössel, S. 214; LK11Hirsch, Vor § 32 Rn. 95, 107; ders., in: FS-Lampe, S. 533; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 24 f.; SK-Horn/Wolters, § 228 Rn. 5; NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 12. 323 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 14 Rn. 74; Kindhäuser, AT4, § 12 Rn. 71; Kühl, AT6, § 17 Rn. 83; Lackner/Kühl, § 228 Rn. 2 f.; Fischer, Vor § 13 Rn. 37, § 228 Rn. 4; Frister, AT4, S. 179; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 428; Renzikowski, HRRS 2009, S. 353; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 81a; Stegmüller, Die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung trotz Einwilligung des Verletzten, S. 162. 324 Vgl. KG, JR 1954, S. 429; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 428 f.; ders., in: FS-Puppe, S. 776; Renzikowski, HRRS 2009, S. 353.

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möglich erkannten Rechtsgutsverletzung voraussetzt und damit die Einwilligung als erfolgsbezogenes Rechtsinstitut ausweist.325 An diesem Verfügungscharakter fehlt es jedoch, wenn lediglich in Kenntnis einer bestimmten Gefahrensituation gehandelt wird.326 Zwar lässt sich mit Dölling nicht bestreiten, dass dem Rechtsgutsträger, wenn er „zwecks Verwirklichung seines Selbstbestimmungsrechts das Objekt mit Vernichtungswillen durch einen anderen zerstören lassen“ dürfe, auch gestattet sei, dieses „ohne Vernichtungswillen der gefährlichen Handlung des anderen auszusetzen“.327 Es wird weiterhin argumentiert, dass es ungereimt wäre, wenn sich der Rechtsgutsinhaber, der sich bewusst auf ein Risiko eingelassen und dabei verspekuliert hat, darauf berufen könnte, er habe mit dem Eintritt des Schadens nicht gerechnet.328 Ein solches Ergebnis mag dem Rechtsgefühl entsprechen; zu Recht wird hier aber kritisiert, dass eine solche Annahme an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht, weil die bewusste Eingehung eines Risikos nicht als konkludente Billigung aller hierdurch in adäquater Weise herbeigeführten Verletzungen interpretiert werden kann.329 Es würde dem allgemein anerkannten Grundsatz im Rahmen der Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit widersprechen, dass die Kenntnis der Gefährlichkeit eines Verhaltens nicht per se die Billigung der möglichen Verletzungsfolgen impliziert.330 Die Gestattung einer mittelbaren Selbstverletzung verlangt außerdem die Überwindung einer höheren Hemmschwelle als die Zustimmung zu einer bloßen Gefährdung, so dass von einer Einwilligung in das Risiko nicht auf eine tatsächliche Einwilligung in den Erfolg geschlossen werden kann.331

325

Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 130; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 168; ders., Willensmängel, S. 194; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 214. 326 Duttge, in: FS-Otto, S. 232. 327 Dölling, GA 1984, S. 84; auf diesen Erst-Recht-Schluss stellt auch Stratenwerth, in: FSPuppe, S. 1022 ab. 328 Beulke, in: FS-Otto, S. 215; Brüning, ZJS 2009, S. 197; Dölling, GA 1984, S. 84 Fn. 103; ders., in: FS-Geppert, S. 59; Jescheck/Weigend, AT, § 56 II 3; Renzikowski, HRRS 2009, S. 353. 329 Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 27; Göbel, Einwilligung im Strafrecht, S. 25 f.; Hammer, JuS 1998, S. 786 f.; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 275 ff.; Müssig, Mord und Totschlag, S. 359; Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 130; Otto, in: FS-Tröndle, S. 169; Puppe, AT I, § 6 Rn. 4; LK12-Rönnau, Vor §§ 32 Rn. 168; ders., Willensmängel, S. 193 ff.; Roxin, AT I4, § 24 Rn. 108; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 102; Schünemann, JA 1975, S. 724; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 214; Sternberg-Lieben, I., JuS 1998, S. 430; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 37 f.; Weber, in: FS-Baumann, S. 45; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 51 f.; AK-Zielinski, §§ 15, 16 Rn. 127. 330 Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 103; SternbergLieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 214; ders., in: FS-Geppert, S. 740; Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 125; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 75. 331 Sternberg -Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 216 f.

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Zu Recht bemerkt Schaffstein, dass eine Einwilligung allein in die riskante Handlung nur deren Unwert, also den Aktunwert aufhebt, nicht jedoch den Erfolgsunwert.332 „Nur wenn man dem Handlungsunwert, der das sorgfaltswidrige Verhalten als Gefährdungsdelikt erscheinen lässt, einen überragenden, das Unrecht bereits für sich allein begründenden Rang zuerkennt“333, ließe sich die Rechtsfigur der Risikoeinwilligung dogmatisch konstruieren. Die vermeintliche Besonderheit in der Unrechtsstruktur des Fahrlässigkeitsdelikts verkennt aber, dass der Sorgfaltsmangelunwert keineswegs isoliert, sondern in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Erfolgsunwert steht. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch daraus, dass der Gesetzgeber keine strafrechtliche Inanspruchnahme allein wegen des Pflichtverstoßes angeordnet hat, so dass ein fahrlässiger Versuch zwar konstruktiv möglich, aber de lege lata nicht strafbar ist.334 Außerdem ist Duttge zuzustimmen, dass dem Handlungsunwert des Fahrlässigkeitsdelikts nicht irgendeine Sorgfaltspflichtverletzung genügt, sondern nur eine solche, bei der die missachtete Sorgfaltsnorm gerade der Vermeidung der tatbestandlich näher gekennzeichneten Rechtsgutsbeeinträchtigung dient.335 Die Ausblendung des Erfolges aus dem Unrecht des Fahrlässigkeitsdelikts, indem er zu einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit eingestuft wird336, ist daher dogmatisch verfehlt und geht an der Gesetzesrealität vorbei.337 Der Erfolg ist mithin notwendiges Kernstück des Unrechts, weil in ihm das zurechenbare Handlungsunrecht manifestiert wird.338 Die Problematik der einverständlichen Fremdgefährdung kann folglich nicht mit Hilfe der Rechtsfigur der Risikoeinwilligung gelöst werden, sofern der Rechtsgutsträger auf das Ausbleiben des Verletzungserfolgs vertraut. Dieser Befund lässt sich schließlich durch einen Vergleich mit den Konsequenzen bestätigen, die sich ergeben, wenn der Rechtsgutsinhaber bei einer Vorsatztat die Einwilligung in den Erfolg nicht erteilt hat. Willigt das Opfer nur in die Gefährdung seines Rechtsguts ein und erkennt der Täter dies, obwohl er die Gefährlichkeit seines Verhaltens höher einschätzt und die Verletzung des Opfers für möglich hält, so ist er wegen vollendeter Deliktsbegehung strafbar. Nimmt der Täter irrig eine Einwilligung des Opfers in die Verletzung an, so entfällt entweder der Vorsatz oder wegen des Erlaubnistatbestandsirrtums die Vorsatzstrafbarkeit, nicht aber ohne weiteres die Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit. Es wäre weiterhin zu prüfen, ob der Irrtum des Täters über das Vorliegen der Einwilligung sorgfaltswidrig war. Selbst ein solcher Sorgfaltsverstoß würde jedoch unter Anwendung der Einwilligungslösung dem Täter nicht schaden, weil die „Einwilligung“ in die Gefährdung die Strafbarkeit schon 332

Schaffstein, in: FS-Welzel, S. 567. Schaffstein, in: FS-Welzel, S. 572; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 93 ff. 334 Duttge, in: FS-Otto, S. 232. 335 Duttge, in: FS-Otto, S. 232. Vgl. auch Sternberg-Lieben, I., JuS 1998, S. 429 f. 336 Vgl. Armin Kaufmann, in: FS-Welzel, S. 410 f.; Lüderssen, in: FS-Bockelmann, S. 186 ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 128 ff. 337 Duttge, in: FS-Otto, S. 233 f.; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 276. 338 Vgl. ausführlich Roxin, AT I4, § 10 Rn. 88 ff. 333

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ausschließen müsste. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb das Einverständnis des Rechtsgutsinhabers mit der Gefährdung für die Vorsatzstrafbarkeit des Täters, der die Reichweite der Zustimmung zutreffend erkannt hat, unbeachtlich sein soll, so dass er wegen vollendeter Deliktsbegehung strafbar wäre, während im Falle des sorgfaltswidrigen Irrtums des Täters die Fahrlässigkeit entfallen soll.339 bb) Disponibilität des Rechtsguts Gegen die Rechtsfigur der Risikoeinwilligung werden vielfach dogmatische Einwände aus den §§ 216, 228 StGB geltend gemacht. Die Problematik spitzt sich damit auf die Frage zu, ob die Regelung des § 216 StGB auch für die Bewertung der Zustimmung zur Lebensgefährdung herangezogen werden muss, sofern diese im Ergebnis zum Tode führt. Nach einer Meinung sei wegen mangelnder Dispositionsbefugnis auch die Zustimmung zu einer Lebensgefährdung unzulässig, da dieser Norm die allgemeine Wertung zu entnehmen sei, dass die Tötung eines anderen auf dessen Wunsch hin niemals straflos bleiben soll, auch wenn der Dritte die Schädigung nicht ernsthaft für möglich hält.340 Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen. Schon der Wortlaut des § 216 StGB spricht gegen eine Anwendung auf die Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung mit tödlichem Ausgang.341 Danach sind lediglich die Fälle erfasst, in denen das Opfer die Tötung, was unbedingt den Tötungserfolg miteinschließt, ausdrücklich und ernsthaft verlangt hat. Der Gefährdungshandlung kommt gerade nicht der Charakter einer bewussten Entscheidung über die Vernichtung eines wertvollen Rechtsguts zu, sondern die Beteiligten vertrauen auf einen folgenlosen Ausgang.342 Nicht zuletzt deshalb kommt auch der kriminalpolitische Zweck des § 216 StGB, der in der Tabuisierung jeglicher vorsätzlicher Tötungshandlungen bestehen soll, im Fahrlässigkeitsbereich nicht zur Geltung.343 Die Befürchtung Döllings, die Zulassung lebensgefährlicher Handlungen würde ein Einfallstor schaffen, von dem aus die um das Leben der anderen errichtete Tabuzone ausgehöhlt werden könnte, muss als unbegründet zurückgewiesen werden.344 Wegen des ent339

Hellmann, in: FS-Roxin, S. 277. So BGHSt 4, 88, 93; 7, 112, 114; BayObLG, NJW 1957, S. 1245; Jescheck/Weigend, AT, § 56 II 3; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 121; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 73. 341 Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 121; Roxin, in: FS-Gallas, S. 253 Fn. 37. 342 Duttge, in: FS-Otto, S. 231; Sternberg-Lieben, in: FS-Geppert, S. 741. 343 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 101; Dach, Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 75; ders., NStZ 1985, S. 25; Duttge, in: FS-Otto, S. 231; Kühl, AT6, § 17 Rn. 87; Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 123; Radtke, in: FS-Puppe, S. 840 f.; Schünemann, JA 1975, S. 723; Stegmüller, Die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung, S. 164 f.; Stratenwerth/Kuhlen, AT I5, § 15 Rn. 38; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 231; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 229 f. 344 Dölling, GA 1984, S. 87; ders., in: FS-Geppert, S. 59 f. 340

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scheidenden qualitativen Unterschieds zwischen Gefährdung und vorsätzlicher Tötung besteht nämlich kein Bedürfnis einer Tabuwirkung im Fahrlässigkeitsbereich, da „der Gefährdete ja sehr wohl an seinem Leben hängt“.345 Auch unter dem Gesichtspunkt der Zweifel an der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung des Gefährdeten bleiben die bereits angeführten Einwände bestehen. Denn die Delegation der Entscheidung indiziert einen Mangel vor allem dann, wenn bei deren Selbstvornahme besondere psychische Hürden zu überwinden wären, wie dies bei Schädigungsfällen besonders plausibel ist. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass „das Eingehen von Risiken für Leib und Leben … in unserer hochtechnisierten Gesellschaft ein nahezu ubiquitäres Verhalten [ist], welches der einzelne zur Erreichung seiner Ziele im Wirtschafts- und Sozialleben mehr oder minder bewusst ausübt.“346 Viele gefährliche Verhaltensweisen gelten als sozial geachtet und werden sogar mit öffentlichen Mitteln gefördert.347 Es wäre inkonsequent, äußerst risikoträchtige Sportarten, wie etwa den Motorsport oder das Boxen, rechtlich zu dulden, um das Risiko der Strafbarkeitsfolge den Beteiligten aufzuerlegen.348 Zudem müsste man anderenfalls auch einer den Arzt entlastenden Einwilligung in eine lebensgefährliche Operation die Wirkung absprechen.349 Anders als die finale Herbeiführung des Todes kann das Eingehen einer Lebensgefahr durchaus im Lebensinteresse des Rechtsgutsinhabers liegen, so etwa auch bei der Applikation eines hochwirksamen, erhebliche Leiden lindernden Arzneimittels, welches in seltenen Ausnahmefällen zum Tode führen kann.350 Es gibt eben Fälle, in denen es sinnvoll ist, sich das Leben gefährden zu lassen, weil die Alternative, es nicht zu tun, eine noch größere Lebensgefahr mit sich brächte.351 Es ist schließlich auf den Ausnahmecharakter des § 216 StGB hinzuweisen, der innerhalb eines liberalen Strafrechts eine Systemwidrigkeit darstellt. § 216 StGB greift nämlich einschneidend in die Autonomie des Einzelnen ein und muss daher äußerst restriktiv ausgelegt werden.352 Nicht zuletzt müsste bei einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 216 StGB das Verbot täterbelastender Analogie im Strafrecht näher überprüft werden. Es wird nämlich argumentiert, dass die Anwendung des § 216 StGB auf die Fälle der handlungsbezogenen Zustimmung de 345

Dach, Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 75; zustimmend Fiedler, Fremdgefährdung, S. 168. 346 So Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 127; ähnlich Sternberg-Lieben, in: FS-Geppert, S. 741. 347 Otto, Jura 1984, S. 540. 348 Berkl, Sportunfall, S. 104. 349 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 6 Rn. 36; Kühl, AT6, § 17 Rn. 87; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 168; Hähle, Die strafrechtliche Relevanz von Sportverletzungen, S. 81; Weber, in: FS-Baumann, S. 48. 350 Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, S. 358 f. 351 LK12-Walter, Vor § 13 Rn. 125. 352 Kindhäuser, AT4, § 12 Rn. 69; ders., LPK, Vor § 13 Rn. 222; Niedermair, Die Körperverletzung mit Einwilligung, S. 141; Schaffstein, in: FS-Welzel, S. 571.

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facto das die Strafbarkeit begrenzende Rechtsinstitut der Einwilligung einschränkt.353 Ohne im Einzelnen auf dieses dogmatische Umfeld einzugehen, lässt sich im Ergebnis feststellen, dass angesichts der dargestellten Gründe eine Wertungserstreckung des Verbots der Tötung auf Verlangen auf die bloße Lebensgefährdung abzulehnen ist. Teilweise wird vertreten, dass der Zustimmung zu einer Lebensgefährdung mit Hilfe des § 228 StGB Schranken gesetzt werden müssten. Die Vorschrift des § 228 StGB habe über den Bereich der Körperverletzungsdelikte hinaus Bedeutung, sofern das Gebiet der persönlichen Integrität betroffen sei. Dem Wortlaut und seiner systematischen Stellung im Gesetz nach ist aber die Grenze des § 228 StGB nur auf vorsätzliche und nicht auf fahrlässige Körperverletzungsdelikte anwendbar.354 Denn eine Körperverletzung mit Einwilligung des Betroffenen nimmt vor, wer den Verletzungserfolg bewusst an jemandem ausführt, der im Voraus hierin zugestimmt hat. Eine Ausweitung des Regelungsgehalts des § 228 StGB über dessen vom Wortlaut gedeckten Anwendungsbereich hinaus verstärkt die mit Blick auf das Bestimmtheitsprinzip erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken wegen eines Verstoßes gegen das Analogieverbot zu Ungunsten des Täters.355 Die Rechtsordnung gibt dem Einzelnen nicht die Freiheit, sich vorsätzlich von einem anderen töten zu lassen, aber sie gibt ihm die Freiheit, sich in Gefahr, ja sogar in Lebensgefahr zu begeben.356 Inzwischen hat sich der BGH in einem jüngst erschienen Urteil zu diesem Thema geäußert. Es handelt dabei sich um ein von vier jungen Männern mit zwei Autos auf einer zweispurigen Autobahn unternommenes Rennen, bei dem die beiden Fahrer ein unbeteiligtes drittes Auto gleichzeitig zu überholen versuchten; dabei führte die Lenkbewegung eines der Fahrer zu einem Schleuderunfall und zum Tod seines Beifahrers.357 Die Frage der Sperrwirkung des § 216 StGB wird nur soweit erörtert, als das Gericht diese Norm als Argumentationshilfe verwendet, um die Eingrenzung der Einwilligung nach § 228 StGB zu rechtfertigen. „Für diese Eingrenzung sprechen sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die rechtferti353

Vgl. Beulke, in: FS-Otto, S. 216; Dach, Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 68 f.; Duttge, in: FS-Otto, S. 230 f.; Hähle, Die strafrechtliche Relevanz von Sportverletzungen, S. 82 mit Fn. 343; Quillmann, Einwilligung in riskantes Verhalten, S. 34; Schaffstein, in: FS-Welzel, S. 571; Thier, Retterschäden, S. 156; a.A. Kudlich, JA 2009, S. 391, der einen Rückgriff auf §§ 216, 228 StGB nicht als eine verbotene Analogie in malam partem hält, weil die rechtfertigende Einwilligung keinen expliziten Niederschlag im Gesetzestext gefunden hat, so dass bei der Ausarbeitung ungeschriebener Strafbarkeitsgrenzen „nur“ bestimmte gesetzliche Wertungen fruchtbar gemacht werden; ähnlich Dölling, in: FS-Geppert, S. 59; Murmann, in: FS-Puppe, S. 781. 354 MK-Hardtung, § 228 Rn. 4; Niedermair, Die Körperverletzung mit Einwilligung, S. 121 f.; NK3-Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 194; dies., AT I, § 6 Rn. 13; Radkte, in: FS-Puppe, S. 841; Stratenwerth, in: FS-Puppe, S. 1023; a.A. LK12-Walter, Vor § 13 Rn. 128. 355 Berkl, Sportunfall, S. 107; Duttge, NStZ 2009, S. 691. 356 NK3-Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 194. 357 BGHSt 53, 55.

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gende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge.“358 Danach sei die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten, wenn das Opfer nach objektiver ex ante Betrachtung durch die Handlung in eine konkrete Todesgefahr gebracht werde. Der BGH hat eine solche Todesgefahr bejaht, weil die Beteiligten das Rennen fortsetzten, obgleich sie dabei ein drittes Fahrzeug überholen mussten.359 Dieser Vorgang sei „mit nicht mehr kontrollierbaren höchsten Risiken für sämtliche betroffenen Verkehrsteilnehmer verbunden“ gewesen.360 Der BGH erklärt die Fremdgefährdung des Beifahrers für rechtswidrig, ohne die problematische Frage zu beantworten, ob dessen Einwilligung in den unerlaubten „Beschleunigungstest“ jegliche rennbedingte Gefahr deckt, insbesondere das riskante Überholmanöver, das schließlich zu dem tödlichen Unfall geführt hat. Nach der Ansicht des BGH wäre diese Einwilligung wegen Sittenwidrigkeit der Gefährdung ohnehin unwirksam. Allein das Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“, sich einer Gefahr auszusetzen, entscheidet dann über die rechtfertigende Wirkung der ansonsten wirksam erteilten Zustimmung des Gefährdeten. Indem der BGH die unmittelbare, ohne vernünftigen Grund eingegangene Lebensgefahr als hinreichenden Grund dafür ansieht, die Einwilligung des Verletzten wegen Sittenwidrigkeit für unwirksam zu erklären, praktiziert er nichts anderes als Paternalismus.361 Damit wird freilich die Autonomie des Einzelnen überspielt, denn nicht er, sondern die Gerichte entscheiden darüber, welcher Grund für eine Lebensgefährdung vernünftig ist.362 Solange der Gesetzgeber von der Schaffung eines allgemeinen Lebensgefährdungsdelikts absieht, sollte die Rechtsprechung ein solches Delikt nicht auf dem Umweg einer Einwilligungssperre schaffen.363 Mit Recht bemerkt Kühl: „So wird man zwar zum obersten Lebensschützer, aber ohne Legitimation und gegen den Willen der Betroffenen (Täter und Opfer).“364 Sofern der später Verletzte die Gefährlichkeit seines Handelns voll überblickt, lässt sich in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht überzeugend begründen, warum der Außenstehende für die Verwirklichung der Gefahr strafrechtlich verantwortlich gemacht werden soll. Die bewusste Unvernunft des sich selbst Gefährdenden ist gerade kein 358

BGHSt 53, 55, 62 f. unter Bezugnahme auf BGHSt 49, 34, 42; BGHSt 49, 166, 173 f. Zustimmend Rengier, Iurratio 2/2008, S. 9. 360 BGHSt 53, 55, 64. 361 Puppe, GA 2009, S. 495 macht zutreffend darauf aufmerksam, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung letztlich eine Differenzierung zwischen Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung anhand der Vernünftigkeit der Entscheidung des Gefährdeten unternimmt. Eine Notwendigkeit oder Berechtigung im Fahrlässigkeitsbereich zwischen Selbst- und Fremdgefährdung zu differenzieren, resultiert daraus jedoch nicht. Zust. Radtke, in: FS-Puppe, S. 841 ff. 362 Renzikowski, HRRS 2009, S. 354. 363 Kühl, NJW 2009, S. 1159; Sternberg-Lieben, in: FS-Geppert, S. 741. 364 Kühl, NJW 2009, S. 1159. 359

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Grund, ihm die Verantwortung für die Gefahr abzunehmen und sie dem anderen Beteiligten als paternalistische Sorgfaltspflicht aufzuerlegen.365 Begibt sich der Beifahrer bei dem illegalen Straßenrennen in Kenntnis des Risikos in eine solche gefährliche Situation, um des bloßen Nervenkitzels willen, ist er allein für den daraus resultierenden Erfolg verantwortlich. Die Annahme einer „Ausstrahlungswirkung“ des § 216 StGB auf den Fahrlässigkeitsbereich trägt also unverkennbar hochpaternalistische Züge und ist mit dem allgemeinen Autonomiegedanken nicht zu vereinbaren.366 Kein Beifall verdient auch die Auffassung Döllings, wonach der Einwilligung in die lebensgefährliche Handlung nur dann rechtfertigende Wirkung zukommt, „wenn der Wert der durch die Einwilligung betätigten Opferautonomie und der Wert der mit der Tat verfolgten Zwecke den in der Lebensgefährdung liegenden Unwert überwiegen“.367 So sei etwa im bekannten Memel-Fall der Fährmann, der die drängenden Passagiere trotz des Unwetters überzusetzen versuchte, mangels wirksamer Einwilligung wegen deren Tod nach § 222 StGB strafbar. Er wäre hingegen gerechtfertigt gewesen, wenn die Passagiere ein existentielles Interesse an der Fahrt gehabt hätten, weil sie beispielsweise den kranken Vater ein letztes Lal am Sterbebett hätten besuchen wollen.368 Zu Recht wird diesem Abwägungsmodell entgegengehalten, dass das Abstellen auf Anlass und Zweck des risikoträchtigen Verhaltens zu einer übermäßigen Bevormundung des Einwilligenden anhand moralisierender Gesichtspunkte führt, die zwangsläufig auf beliebige Wertungen hinausläuft.369 Denn die Forderung nach einer ethisch hochwertigen Motivation schon für die Eingehung von alltäglichen Gefahren schränkt die Freiheit zur Lebensgestaltung ein, indem sie dem Individuum kollektivistisch ausgerichtete Wertvorstellungen aufdrängt und seine Güter unter fremdnützigen Vorbehalt stellt.370 Der Einzelne müsste praktisch bei jeder risikoträchtigen Betätigung danach fragen, ob sie nicht nur ihm, sondern auch der Gesellschaft das Risiko wert sei. Es kommt dabei jedoch lediglich auf den autonomen Willen des sich selbst Gefährdenden und nicht auf den „Wert“ seiner Zielsetzungen an.

365

Puppe, AT I, § 6 Rn. 15. Duttge, in: FS-Otto, S. 231; Hähle, Die strafrechtliche Relevanz von Sportverletzungen, S. 143; LK12-Vogel, § 15 Rn. 241; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 167, deutet unter Bezugnahme auf Hirschs Metapher darauf hin, dass der Staat als Gouvernante auftrete und den freien Entschluss einer selbstbestimmten Person durch Strafbewehrung quasi negiere. 367 Dölling, GA 1984, S. 90; ders., JR 1994, S. 521; ders., in: FS-Gössel, S. 214; ders., in: FS-Geppert, S. 60; ähnlich auch Jakobs, AT2, 14/12; Göbel, Einwilligung, S. 45; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 95. 368 Dölling, GA 1984, S. 93. 369 Roxin, AT I4, § 11 Rn. 135; Beulke, in: FS-Otto, S. 216 f.; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 94; Hellmann, in: FS-Roxin, S. 284, bezeichnet die Bewertung der Motive des Gefährdeten als irrelevant; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 166; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 58 Fn. 195; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 231 ff. 370 Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 129. 366

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c) Die tatbestandliche Zurechnungslösung Es bleibt noch der von Roxin vorgeschlagene Weg, die dogmatische Kategorie der einverständlichen Fremdgefährdung unter dem Dach der Lehre der objektiven Zurechnung zu problematisieren. Roxins These, die Zurechnung des Erfolgs beim Außenstehenden sei bei einer einverständlichen Fremdgefährdung dann zu verneinen, wenn sie „unter allen Aspekten einer Selbstgefährdung gleichsteht“, erscheint grundsätzlich plausibel. Dies soll nämlich der Fall sein, wenn der Schaden die Folge des eingetretenen Risikos ist und nicht andere Fehler des Täters hinzukommen und wenn der Gefährdete für das gemeinsame Tun dieselbe Verantwortung trägt wie der Gefährdende. Dies erfordert wiederum, dass der Gefährdete das Risiko im selben Maße überblickt wie der Gefährdende.371 Die einverständliche Fremdgefährdung sei Ausdruck einer gleichrangigen Eigenverantwortlichkeit, wenn die treibende Kraft des riskoträchtigen Geschehens die Gefährdeten gewesen seien, während die Gefährder Bedenken gehabt und sich dem Drängen der später Geschädigten nur ungern gefügt hätten.372 Die von Roxin aufgestellten Voraussetzungen erweisen sich aber bei näherer Betrachtung als unzulänglich.373 Zu Recht wird eingewandt, dass sich die genannten Kriterien in der Beschreibung der Situation der einverständlichen Fremdgefährdung erschöpfen, ohne das maßgebliche Zurechnungskriterium für die Gleichstellung anzuführen.374 Für die Annahme einer einverständlichen Fremdgefährdung ist es selbstverständlich, dass der Außenstehende nur solche Risiken schafft, mit denen das Opfer einverstanden ist. Realisiert sich ein anderes Risiko, liegt mangels Einverständnisses kein Fall einverständlicher Fremdgefährdung vor.375 Dass der Schaden die Folge des eingetretenen Risikos sein soll, ist wiederum nichts anderes als die allgemeine Frage des Risikozusammenhangs im Rahmen der Lehre der objektiven Zurechnung. Die weitere Voraussetzung, wonach das Opfer dieselbe Verantwortung tragen müsse wie der Außenstehende, wird durch das Erfordernis einer tätergleichen Risikokenntnis seitens des Opfers erläutert. Die defizitäre Risikokenntnis soll aber eben auch bei der Selbstgefährdung eine Zurechnung des Erfolgs zum Verhalten des Außenstehenden begründen, so dass bei relevanten Defiziten Selbst- und Fremdgefährdung ohnedies nicht zu unterscheiden sind. Eine die Zurechnung ausschließende Gleichstellung scheidet schon aus diesem Grund aus.376 Es ist außerdem nicht 371

Vgl. Roxin, AT I4, § 11 Rn. 124; ders., in: FS-Gallas, S. 249 ff.; ders., JZ 2009, S. 401; zust. Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung, S. 121; Lasson, ZJS 2009, S. 366. Vgl. ebenfalls BGHSt 53, 55, 61 f., wenn auch dogmatisch weiterhin in den Bahnen der Einwilligungslösung verharrend. 372 Roxin, JZ 2009, S. 401, 403. Auf die gleichrangige Verantwortlichkeit von Täter und Opfer für das Gefährdungsgeschehen stellt auch Sternberg-Lieben, in: FS-Geppert, S. 743 ab. 373 Nach Otto, in: FS-Tröndle, S. 171 Fn. 49, handelt es sich beim Vorliegen dieser Kriterien um eine Selbstgefährdung. 374 Hellmann, in: FS-Roxin, S. 281. 375 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 424. 376 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 425.

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einzusehen, weshalb das Drängen seitens des späteren Opfers für die Verantwortungszuweisung berücksichtigt werden soll. Es geht letztlich um das Verhalten urteilsfähiger, erwachsener Menschen zueinander, die sich aus freien Stücken einer gefährlichen Situation aussetzen.377 Hellmann präzisiert Roxins Ansatz dahingehend, dass eine rechtliche Gleichstellung von Selbst- und Fremdgefährdung nur unter dem Aspekt der Eigenverantwortlichkeit anzunehmen sei.378 Das Opfer handle dann „eigenverantwortlich, wenn es das Geschehen mindestens in dem gleichen Maße beherrscht wie der Täter“.379 Dies erfordert neben einer korrekten Einschätzung des Risikos auch die Abwesenheit von Zwang und erheblichen psychischen Defekten, welche die Willensfreiheit beeinträchtigten.380 Es bleibt aber unklar, wie sich die Eigenverantwortlichkeit zum Kriterium der gleichrangigen Herrschaft über das Geschehen verhalten soll. Entgegen dem ersten Anschein ist nicht gemeint, dass die Eigenverantwortlichkeit im Sinne der Abwesenheit von Defiziten mit der Herrschaft identifiziert werden kann.381 Schon mit Blick auf den Aids-Fall führe das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit zum Ausschluss der objektiven Zurechnung, da „beide das Geschehen in gleicher Weise beherrschen, zumal die ‘Tatbeiträge’ sogar völlig gleichwertig sind“.382 Auch die Herrschaft des Autosurfers wird mit dessen Fähigkeit begründet, sich am Autodach festzuhalten und im Memel-Fall fehle es an einem „Übergewicht in der Beherrschung des Geschehens“ auf Seiten des Fährmanns, weil dieser trotz Aufbietung aller Sorgfalt nicht in der Lage gewesen sei, die von den Naturgewalten ausgehenden Gefahren zu bewältigen.383 Es wird also ein äußerst naturalistisches Verständnis einer Herrschaft über äußere Geschehensabläufe zugrundegelegt. Hellmanns Ansicht führt schließlich zu einer undurchsichtigen Vermengung der Abwesenheit von Entscheidungsdefiziten mit dem Vermögen zur instrumentalen Beherrschung einer Situation, weil offenbar auch eine Person, die das Risiko voll überblickt, an dessen Bewältigung scheitern kann.384 377

Stratenwerth, in: FS-Puppe, S. 1021. Hellmann, in: FS-Roxin, S. 283. 379 Hellmann, in: FS-Roxin, S. 283 f. 380 Hellmann, in: FS-Roxin, S. 284. 381 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 425. 382 Hellmann, in: FS-Roxin, S. 284. Vgl. auch Duttge, in: FS-Otto, S. 244 f., wonach bei Quasi-Mittäterschaft von Gefährdetem und Gefährdenden das Autonomieprinzip den anderen Mitbeteiligten die strafrechtliche Verantwortung für das weitere Geschehen abnehme. Ähnlich Müssig, Mord und Totschlag, S. 362 ff. Nur soweit die Organisationszuständigkeit des Täters innerhalb des Geschehens ein Gewicht erlangt hat, das mit Blick auf das Opfer über einen (quasi-)mittäterschaftlichen Rang hinausreicht, sei das Geschehen seiner Meinung nach als Fremdgefährdung zu behandeln. Eine (quasi-)mittäterschaftliche Gestaltung der Handlungssituation im Sinne einer gleichwertigen Zuständigkeit für das Geschehen könne nur dann angenommen werden, wenn das sozialinadäquate Risiko von Täter und Opfer gleichrangig gestaltet werde. In diesem Sinne etwa Luzón Peña, GA 2001, S. 308 f. 383 Hellmann, in: FS-Roxin, S. 284. 384 So Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 426. 378

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Auch Otto hält im Lichte des Verantwortungsprinzips die Differenzierung zwischen einverständlicher Fremdgefährdung und Selbstgefährdung nach der äußeren phänomenologischen Geschehensgestaltung für sinnlos.385 Nach seiner Auffassung wird der durch die Steuerbarkeit des Geschehens durch den Täter begründete Zurechnungszusammenhang unterbrochen, „wenn der Verletzte sich freiverantwortlich und in voller Kenntnis des Risikos und der Tragweite seiner Entscheidung in die Gefahrensituation begibt“.386 „Wer ein ihm bewusstes Risiko freiverantwortlich eingeht, schließt andere von der strafrechtlichen Haftung für jene Erfolge in seiner Person aus, in denen sich dieses Risiko realisiert, soweit die anderen dem Handelnden gegenüber nicht die besondere Obhutspflicht innehaben, ihn – auch gegen seinen Willen – an der Risikobegründung oder -erhöhung zu hindern“.387 Eine Fremdgefährdung liege hingegen vor, wenn andere an der Gefahrensituation Beteiligten über ein besseres Sachwissen hinsichtlich des Risikos verfügten.388 Damit setzt Otto irreführend die Unterscheidung von Selbst- und Fremdgefährdung mit der Frage nach der strafrechtlichen Haftung gleich, obwohl er zuvor eine Trennung im Kontext der Gefährdungssachverhalte (anhand von Tatherrschaftskriterien) zurückgewiesen hat. Das von ihm aufgestellte Verantwortungsprinzip soll es prinzipiell ausschließen, für die Realisierung solcher Gefahren zu haften, die von einer freiverantwortlich handelnden Person geschaffen werden. Murmann bemerkt zutreffend, dass die so gezogene Haftungsgrenze erst dann ihre Trivialität verlöre, wenn sie auch bei solchen Gefahren eingreife, die durch anknüpfendes Dritt- bzw. Opferverhalten zum Erfolgseintritt führen.389 In diesem Sinne versteht Otto sein Verantwortungsprinzip aber gerade nicht; dieses führe nicht automatisch zur Gaftung des Letztverursachers. Denn dem Erstverursacher seien trotz des Dazwischentretens Dritter auch solche Erfolge zuzurechnen, die sich noch als Realisierung der von ihm geschaffenen Ausgangsgefahr darstellten.390 Damit erhält das so verstandene Verantwortungsprinzip eher den Charakter einer Auslegungshilfe, die sich bei der Konturierung der maßgeblichen Verantwortungsbereiche noch als zu schwach und zu unscharf erweist.391

385

Otto, AT, § 6 Rn. 62; ders., Jura 1984, S. 538 ff.; ders., in: FS-Tröndle, S. 170 f. Otto, in: FS-Tröndle, S. 175; ders., AT, § 6 Rn. 61; ders., JZ 1997, S. 523. 387 Otto, Jura 1984, S. 538 ; ders., in: FS-Tröndle, S. 172; ders., AT, § 6 Rn. 62. 388 Otto, AT, § 6 Rn. 62; ders., in: FS-Tröndle, S. 175. Zustimmend Duttge, in: FS-Otto, S. 246 f. mit deutlichem instrumentalem Verständnis der Steuerbarkeit. 389 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 395. 390 Otto, AT, § 6 Rn. 50. 391 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 396. 386

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d) Plädoyer zugunsten einer Streichung der dogmatischen Kategorie der einverständlichen Fremdgefährdung Alle Gleichstellungsversuche deuten auf das Eingeständnis der normativen Belanglosigkeit der Abgrenzung von Selbst- und Fremdgefährdung hin.392 Deshalb fragt man sich, weshalb zuerst die einverständliche Fremdgefährdung mühevoll von der Selbstgefährdung abzugrenzen ist, nur um danach beide Konstellationen im Ergebnis wieder gleich zu behandeln.393 Dieser umständlichen Gleichsetzung der zunächst voneinander abzugrenzenden Gefährdungssituationen bedarf es in der Tat nicht, wenn im Bereich der Fahrlässigkeit ein einheitlicher Maßstab einer normativen Verantwortungszuweisung zugrundegelegt wird. Maßgeblich für die Strafbarkeit des fahrlässig an der Herbeiführung einer Rechtsgutsbeeinträchtigung Beteiligten ist ausschließlich die eigenverantwortliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers, sich bei Kenntnis des Risikos in die gefährliche, zur Verletzung führende Situation zu begeben.394 Solange jemand auf diese Weise eine Gefahr eingeht, darf der aufgrund des selbstgefährdenden Verhaltens eingetretene Erfolg nicht dem mitverursachenden Dritten normativ in seinem Verantwortungsbereich zugeordnet werden. Geht man davon aus, dass eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers mangels einer rechtlich missbilligten Gefahr die objektive Zurechnung des Erfolgseintritts für den Außenstehenden entfallen lässt und lehnt man zugleich angesichts der erhobenen Einwände eine dogmatische Trennung im Kontext der Gefährdungskonstellationen ab, so folgt daraus Folgendes: Ob sich die Situation phänomenologisch als Selbst- oder Fremdgefährdung darstellt, ist für die normative Verantwortungszuweisung nicht relevant395, weil die rechtliche Beurteilung einheitlich anhand des Kriteriums der Eigenverantwortlichkeit vorzunehmen ist.396 Die Eigenverantwortlichkeit des Opfers muss auch im Falle einer einverständlichen 392

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 427. Kindhäuser, AT4, § 12 Rn. 70, spricht mit Recht von einer „Quadratur des Kreises“, wenn man auf die Abgrenzung anhand des Tatherrschaftskriteriums besteht. 394 Berkl, Sportunfall, S. 107 f.; NK3-Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 192; dies., GA 2009, S. 494; dies., ZJS 2008, S. 606; Radkte, in: FS-Puppe, S. 842. 395 Auch Timpe, ZJS 2009, S. 174; ders., ZJS 2009, S. 557, macht darauf aufmerksam, dass die einverständliche Fremdgefährdung nur die arbeitsteilige Variante einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist. In diesem Sinne ebenfalls Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 175 Fn. 220, der angesichts der von ihm propagierten Gleichsetzung der Kriterien für die Zurechnung von Einwilligung und Selbstverletzung als alternativen Modalitäten autonomer Ausübung von Dispositionsfreiheit für eine Gleichstellung der Kriterien der sog. Risikoeinwilligung (bzw. einverständlicher Fremdgefährdung) mit den Kriterien der sog. eigenverantwortlichen Selbstgefährdung plädiert. 396 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 116 f.; Radtke, in: FS-Puppe, S. 847; auch Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 101/101a, stellen zutreffend fest, dass diese Unterscheidung unter dem materiellen Gesichtspunkt des Verantwortungsprinzips keinen Sinn macht. In diesem Sinne Hörnle, GA 2009, S. 634 Fn. 42: „Es spricht jedoch einiges dafür, dass die autonome Organisation wichtiger ist als die Frage der eigenen Vornahme der letztlich gefährdenden Handlung.“ 393

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Fremdgefährdung zu einer zurechnungsausschließenden Risikoübernahme durch den Verletzten führen. Die dogmatische Kategorie der einverständlichen Fremdgefährdung erscheint daher völlig überflüssig, so dass im Ergebnis ihre Streichung zu fordern ist.397 Hinsichtlich des erhobenen Einwands, durch die hier vorgeschlagene Streichung der Fremdgefährdung werden die gesetzlichen Dispositionsschranken der §§ 216, 228 StGB umgangen, ist auf das im Rahmen der vorausgegangenen Ausführungen erzielte Ergebnis zu rekurrieren. Die Wertung der §§ 216, 228 StGB würde nur dann unterlaufen, wenn sie auch bei fahrlässig herbeigeführten Tötungen Anwendung finden müsste. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs solcher Strafnormen auf den Fahrlässigkeitsbereich wurde jedoch mit seinem eine restriktive Auslegung fordernden Ausnahmecharakter, mit der unterschiedlichen Unrechtsdimension von finaler Tötung und Lebensgefährdung sowie mit dem Umstand begründet, dass die bloße Gefährdung den Achtungsanspruch des Lebens nicht in gleicher Weise erschüttert. Die §§ 216, 228 StGB sind also auf Gefährdungsfälle nicht anwendbar, gleichgültig, ob sich das Täterverhalten äußerlich als Beteiligung zu einer Selbstgefährdung oder als einverständliche Fremdgefährdung darstellt.398

IV. Dogmatische Einordnung der Einwilligung: ein Problem „sinnvoller Begriffsbildung“ Es verbleibt nun, den Blick auf die deliktssystematische Einordnung der Einwilligung zu wenden und hierfür eine dogmatische Lösung vorzuschlagen, die konsequent die vorangegangenen Ausführungen in sich aufnimmt. Diese Problematik wurde aus zwei Gründen bewusst zurückgestellt: Zum einen droht die klassische Diskussion um die „richtige“ deliktssystematische Verortung der Einwilligung den Blick auf die eigentliche Sachfrage zu verstellen.399 Die entscheidende Frage, ob das bewusste Eingehen eines Risikos durch den Rechtsgutsträger die Strafbarkeit des Beteiligten ausschließen soll, ist unabhängig davon zu beantworten, auf welcher Ebene des Deliktsaufbaus sie gestellt wird. Zum anderen ist die Lösung der Einordnungsfrage durch die bereits gewonnenen Ergebnisse weitgehend vorgezeichnet und teilweise auch schon angedeutet worden. Ausgangspunkt der Kontroverse über den Standort der Einwilligung im Deliktsaufbau ist herkömmlicherweise die Entscheidung der Vorfrage, wie der Wille des Einwilligenden zum sachlichen Substrat des Individualrechtsgutes steht. Wer Individualrechtsgüter unabhängig vom Willen des Rechtsgutsträgers schützt, sieht in 397

Vgl. Stratenwerth, in: FS-Puppe, S. 1024. NK3-Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 194. 399 Zum Vorrang von Sachfragen vor straftatsystematischen Fragen vgl. Schönke/SchröderLenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 19; Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, § 6 III 2; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 59. 398

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der Einwilligung einen Akt, der die tatbestandlich umschriebene Rechtsgutsverletzung ausnahmsweise rechtfertigt (sog. Kollisionsmodell). Das Selbstbestimmungsrecht und damit die Dispositionsfreiheit über die eigenen Rechtsgüter findet erst auf der Rechtswidrigkeitsebene Beachtung. Die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung wird von den Anhängern des Kollisionsmodells wiederum sehr unterschiedlich begründet.400 Wer hingegen die Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut integriert (sog. Integrationsmodell), tendiert dahin, beim Vorliegen einer Einwilligung bereits den Tatbestand auszuschließen, weil ein mit dem Willen des Berechtigten vorgenommener Eingriff keine Rechtsgutsbeeinträchtigung darstellen kann, sondern vielmehr seinen Interessen entspricht.401 Mit Blick auf unser Forschungsanliegen erübrigt es sich, die vertretenen Theorien noch einmal durchzuleuchten, da es für die hier untersuchte Problemlage auf eine völlig andere Perspektive ankommt.402 Eine verbreitete Auffassung sieht eine Verankerung der liberalen Rechtsgutslehre in der Verfassung und zieht daraus Konsequenzen für deren Verortung innerhalb der Stufen des Deliktsaufbaus. Der Zusammenhang zwischen einem verfassungsrechtlich fundierten Rechtsgutsbegriff und der liberalen Einwilligungslehre kann exemplarisch an dem Integrationsmodell Roxins demonstriert werden.403 Dagegen hält Murmann den Einfluss der Verfassung auf die Rechtsgutslehre für überschätzt. Er vertritt die Meinung, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Dispositionsfreiheit im Umgang mit eigenen Gütern nicht die leiseste Auskunft darüber gebe, ob dieses Freiheitsrecht es verbiete, ein bestimmtes Verhalten tatbestandlich zu erfassen und seine Erlaubtheit erst durch einen Rechtsfertigungsgrund sicherzustellen.404 Dies folge daraus, dass das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung noch nicht abschließend über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens entscheide, die Verfassung aber nur Aussagen über die rechtliche Erlaubtheit bewilligter Eingriffe in Individualrechtsgüter und damit über den möglichen Umfang (strafrechtlich sanktionierten) Unrechts mache.405 Dieser Auffassung Murmanns ist jedoch nur halbherzig zuzustimmen. Es wäre zwar unsinnig, die Einordnung der Einwilligung auf der Rechtfertigungsebene als verfassungswidrig zu bezeichnen, dies schließt aber nicht aus, bei der Bestim400 Vgl. die Begründungsansätze im Überblick bei LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 104. Kritisch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 198 ff.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 152 ff. 401 Vgl. Kientzy, Einwilligung, S. 65 ff., 82 f.; Kühne, JZ 1979, S. 242; SK-Horn/Wolters, § 228 Rn. 2; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 12 ff.; SK-Samson, Vor § 32 Rn. 56 ff.; Schmidhäuser, Lehrbuch, 8/130 f.; Weigend, ZStW 1986, S. 61; Zipf, Einwilligung, S. 28 ff. 402 Für eine kritische Darstellung der verschiedenen Modelle vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 32 ff.; LK12-ders., Vor § 32 Rn. 150 ff. 403 Vgl. Roxin, AT I4, § 13 Rn. 12 ff. 404 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 370; auch nach Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 63, stütze sich die Zuordnung der Einwilligung nicht unmittelbar auf das Gesetz, sondern auf ein personalistisches Vorverständnis des Gesetzes und drohe das gesetzte Recht, das diesem Vorverständnis nicht entspricht, zu verfehlen. 405 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 370.

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mung des Rechtsgutsbegriffs im Wege „sinnvoller Begriffsbildung“ auch verfassungsrechtliche Erwägungen zu berücksichtigen.406 Es muss trotzdem anerkannt werden, dass die bisherige Diskussion zu einseitig verläuft, weil sie sich allein an dem Zusammenhang zwischen dem Willen des Rechtsgutsträgers und dem Rechtsgutssubstrat orientiert. Aber genau dadurch wird die Problematik unzulässig verkürzt, weil es nach dem heutigen Stand der Lehre nicht genügt, dass ein Rechtsgut verletzt wird, sondern vielmehr erforderlich ist, dass diese Rechtsgutsverletzung dem Täter objektiv zurechenbar ist.407 Die systematische Einordnung der Einwilligung ist daher nicht mehr nur an die Rechtsgutsdiskussion zu binden, sondern als Zurechnungsfrage zu begreifen. In der vorangegangenen Analyse hat sich als materieller Ausgangspunkt für die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens des Außenstehenden die Autonomie des Individuums erwiesen. Die Einwilligung dient der freien Entfaltung der Persönlichkeit und ist nach einhelliger Auffassung ein Instrument der Interessenwahrnehmung des Verfügenden.408 Der Streit beginnt erst dort, wo es gilt, der Autonomie des Einwilligenden dogmatisch Rechnung zu tragen. Die Merkmale des Verbrechensaufbaus in ihrer Stufenfolge tragen dem Gedanken der Selbstbestimmung des Opfers in unterschiedlicher Weise Rechnung. Welches Deliktsmerkmal durch das Selbstbestimmungsrecht des Opfers ausgeschlossen ist und ob das Selbstbestimmungsrecht den Tatbestand oder die Rechtswidrigkeit ausschließt, hängt von diesen Kategorien ab, und nicht von der prinzipiellen Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts für das rechtliche Verhältnis zwischen Täter und Opfer und dessen Verletzung.409 Im Folgenden gilt es zunächst einmal, das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit näher zu untersuchen, um sich die Konsequenzen für die dogmatische Einordnung der Einwilligung vor Augen zu führen. 1. Tatbestand und Rechtswidrigkeit als Grundkategorien des Deliktstypus Die Erhebung der Tatbestandsmäßigkeit zur Primärkategorie des Verbrechens geht auf Beling410 zurück. Während er aufgrund seiner kausalen Betrachtungsweise die Straftatbestände in ihrer objektiven Funktion begriff, besteht zu Recht heute Einigkeit darüber, dass es sich nicht um eine neutrale Kategorie handelt, sondern dass

406

So zutreffend Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 90. Vgl. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 120 f. 408 Amelung, ZStW 1992, S. 544; ders., Irrtum und Täuschung, S. 41; Baumann/Weber/ Mitsch, AT, § 17 Rn. 97; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 78 f.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 146 f.; ders., Willensmängel, S. 9; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 12; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 57 f. 409 So eindrucksvoll Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 369; auch nach Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung, S. 107, handelt es sich in erster Linie um ein Definitionsproblem. 410 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 112, 147. 407

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die Tatbestandsmäßigkeit den Kern des Unrechts ausmacht.411 Die Tatbestandsmäßigkeit ist nicht nur ein Anzeichen, ratio cognoscendi der Rechtswidrigkeit, sie ist derjenige Sachverhalt der rechtswidrig ist, ratio essendi der Rechtwidrigkeit.412 Die sich aus den jeweiligen Deliktsumschreibungen ergebenden Ver- und Gebote beschreiben Verhaltensweisen, die als sozialschädliche aus der unüberschaubaren Vielzahl menschlicher Handlungen herausragen.413 Dem Tatbestand in seiner systematischen Funktion, all diejenigen unrechtsbestimmenden Merkmale zu umfassen, die den speziellen Verhaltenstypus kennzeichnen, kommt also im hier interessierenden Kontext große Bedeutung zu.414 Es ist unbestreitbar, dass der Gesetzgeber das strafbare Verhalten negativ bewerten muss, weil sonst dessen Bestrafung unsinnig wäre, so dass also der im Gesetz formulierten Sanktionsnorm eine das Verhalten des Täters betreffende, negativ auszeichnende Bestimmungsnorm logisch vorrangig ist.415 Weil die Aufgabe des Strafrechts, Rechtsgüter zu schützen, nur über die Hervorrufung einer rechtstreuen Motivation der Bürger verwirklicht werden kann, liegt es auch nahe, die Existenz einer an die Bürger adressierten, ungeschriebenen Bestimmungsnorm zu erschließen, die den Bürgern die Begehung strafbarer Handlungen untersagt.416 Neben diesem durch den Widerspruch zur Norm gekennzeichneten formellen Charakter des Verbrechens weist die Normwidrigkeit gleichzeitig eine materiell-inhaltliche Dimension auf. Normverstöße gehen immer einher mit einem Angriff auf straftatbestandlich geschützte Rechtsgüter, da sich jede Strafnorm vom Rechtsgüterschutz her legitimieren muss. Das Wesen des Tatbestandes lässt sich damit als die strafgesetzliche Beschreibung (formeller Aspekt) einer durch menschliches Verhalten vermeidbar herbeigeführten Rechtsgutsbeeinträchtigung (materialer Aspekt) erfassen.417 Ein vorzugswürdiges materielles Verständnis des Unrechtstatbestandes zwingt dementsprechend zu einer einschränkenden Interpretation. Hierfür besitzt die Beeinträchtigung des Rechtsguts entscheidende Bedeutung. Schützt das Strafrecht 411 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16 Rn. 27 ff.; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 6; Jescheck/Weigend, AT, § 25 I 2; Schünemann, GA 1985, S. 347; Roxin, AT I4, § 10 Rn. 7 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 121 ff.; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 159 f.; anders Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 17, 45. 412 Roxin, AT I4, § 10 Rn. 12; NK3-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 8; NK3-Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 9. 413 Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung, S. 68. 414 Vgl. Donatsch, Sorgfaltsbemessung, S. 62; Jescheck/Weigend, AT, § 25 I 2; Schönke/ Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 44; Roxin, AT I4, § 10 Rn. 1. 415 Donatsch, Sorgfaltsbemessung, S. 37; Freund, AT2, § 1 Rn. 11 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 132; Maurach/Zipf, AT Tb. 1, § 19 II 2 a; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 61; Wolter, Zurechnung, S. 25 f. 416 Vgl. Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 49 m.w.N.; LK12-Walter, Vor § 13 Rn. 17. 417 So Rönnau, Willensmängel, S. 123 m.w.N.

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Rechtsgüter, dann liegt das Verhindern einer bloß formalen Tatbestandsverwirklichung außerhalb seines Zwecks. Geschieht die Handlung mit Willen des Berechtigten, fehlt es sowohl am Erfolgs- als auch am Handlungsunwert418, so dass nur eine scheinbare Rechtsgutsverletzung vorliegt. Eine sinnvolle Konturierung des Unrechtstypus setzt also voraus, dass die Verhaltensweisen, die gerade Ausdruck der geschützten Dispositionsfreiheit sind, schon auf Tatbestandsebene ausgeschieden werden. Dagegen wendet Murmann ein, dass die Einbeziehung der Einwilligung bei der Konturierung des Rechtsguts zu dem Verlust der Existenz eben dieses Guts führt.419 Davon kann aber keine Rede sein, wenn man auf die Notwendigkeit der Verletzung des tatbestandlichen Realobjekts beharrt.420 Unter den Anhängern des Integrationsmodells ist unbestritten, dass die Einbeziehung der Dispositionsfreiheit des Berechtigten in den Rechtsgutsbegriff nicht bedeutet, dass „die gegenständlich objektive Komponente aus dem Rechtsgut vollständig zu verbannen ist“.421 Keiner fordert pauschal und ausschließlich, die Dispositionsfreiheit des Berechtigten zum Rechtsgutsinhalt zu erheben und damit ein Rechtsgut zu konstruieren, das dem des § 240 StGB vergleichbar ist. Eine solche Rechtsgutsgestaltung würde dazu führen, dass bei allen Delikten gegen die Individualrechtsgüter letztlich nur ein und dasselbe Rechtsgut der ungestörten Willensherrschaft betroffen wäre, so dass z. B. auch Körperverletzungen und Sachbeschädigungen als Delikte gegen die persönliche Freiheit aufzufassen wären. Alle Vertreter des Integrationsmodells stimmen hingegen darin überein, dass die individuelle Dispositionsmacht nicht allein, sondern gerade in ihrer Bezogenheit auf einen bestimmten Gegenstand, sei dieser eher materieller oder ideeller Natur, einen konstitutiven Bestandteil des Rechtsguts darstellt.422 Schließlich muss auch Murmann im Hinblick auf die Fälle des tatbestandsausschließenden Einverständnisses anerkennen, dass dort gute Gründe dafür sprechen, „die Willensbildung des Opfers bereits bei der Konturierung des Rechtsguts zu berücksichtigen, wo die Freiheitsrelevanz eines Gutes gerade auch in der Möglichkeit willkürlicher Preisgabe der Gutsobjekte liegt“.423 Für die Einordnung der Einwilligung als Rechtsfertigungsgrund spricht nach Murmann vor allem die Tatsache, dass die Tatbestandsmäßigkeit eine grundsätzlich bestehende Rechtsposition markieren soll, die nur bei Vorliegen besonderer Umstände umgestaltet werden könne.424 Es mache Sinn, die freiheitsrelevanten Dimensionen des Daseins in ihrer prinzipiellen Schutzwürdigkeit erst einmal als Rechtsgüter festzuhalten, um so den Fall der im Einklang mit dem Anerkennungs-

418 419 420 421 422 423 424

Roxin, AT I4, § 13 Rn. 19; Rönnau, Willensmängel, S. 125. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 373. So zutreffend Roxin, in: FS-Amelung, S. 284. So zutreffend Rönnau, Willensmängel, S. 57. Vgl. exemplarisch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 204 f. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 377 (Hervorhebung von mir). Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 375.

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verhältnis stehenden Schädigung umso deutlicher abzuheben.425 Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen, denn sie wird dem materiellen Verständnis des Unrechtstatbestandes nicht gerecht. Die Ansicht von Murmann lässt sich nur unter der abzulehnenden Prämisse halten, dass man die Tatbestandsmäßigkeit als formale Kategorie und deren Feststellung als neutralen Arbeitsschritt versteht. Hier liegt die Annahme zugrunde, bei der Körperverletzung wie auch bei der Sachbeschädigung geschehe bereits etwas „an sich“, also rein objektiv betrachtet Wertwidriges, indem Substanz angegriffen und verletzt werde, während es beim Betreten eines fremden Hauses oder bei der Benutzung eines fremden Fahrzeuges um objektiv neutrale Handlungen gehe, die erst bei entgegenstehendem Willen des Rechtsgutsinhabers etwas Verwerfliches gewännen. Betrachtet man nun das Gut im abstrakten Sinne, also den Gegenstand der Tat, so lässt sich zwar nicht übersehen, dass die körperliche Sphäre oder die Substanz einer Sache berührt wird, aber es lässt sich genauso wenig leugnen, dass im Falle des § 123 StGB der einer Person zugewiesene Bereich bzw. bei § 248 b StGB ein ausschließlich ihr zur Benutzung zugewiesenen Gegenstand in gleicher Weise tangiert wird. Die abstrakt betrachtete Verletzungshandlung ist stets ambivalent: Der Chirurg kann den Bauch zur Vornahme einer medizinisch indizierten Operation ebenso aufschlitzen wie der mafiose Messerstecher, und ein Kraftfahrzeug kann in gleicher Weise von einem Freund benutzt werden wie von einem Abenteuerlustigen, der zufällig den Schlüssel stecken sieht.426 Die materielle Bewertung wird in allen Fällen erst unter Einbeziehung des Willens des Verfügungsberechtigten möglich.427 Schließlich wird von Murmann geltend gemacht, dass die Einordnung der Einwilligung auf Rechtfertigungsebene den Ausnahmecharakter der Eingriffsrechtfertigung bestätige. Dieser Ausnahmecharakter lässt sich allerdings empirisch nicht feststellen. Vielmehr handelt es sich bei den auf Wunsch oder im Auftrag des Rechtsgutsinhabers vorgenommenen Tätigkeiten wie dem Schneiden der Haare, das Geben der vom Patienten dringend erbetenen schmerzlindernden Spritze oder dem Fällen eines Baumes um völlig sozialübliches menschliches Verhalten, das von der Bevölkerung auch in diesem Sinne verstanden wird.428 Das Verhalten entspricht zwar äußerlich, nicht aber in materieller Hinsicht dem in Frage stehenden Deliktstyp und kann deshalb nicht tatbestandsmäßig sein.429 Wenn die wirksame Einwilligung den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung verhindert, liegt es nahe, gemäß einer materiellen Betrachtung schon den Tatbestand des in Frage kommenden Delikts zu verneinen. So bestechend nun aber ihre Argumente 425

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 376. Vgl. auch MK-Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rn. 106. 427 Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, S. 32. 428 Arzt, in: FS-Geppert, S. 2; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 89 f.; Freund, AT2, § 3 Rn. 6; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 19; ders., in: FS-Amelung, S. 272; Rönnau, Willensmängel, S. 125. 429 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 209; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 19; Rönnau, Willensmängel, S. 125. 426

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in der Sache auch sind, so wenig reibungsfrei lässt sich die sog. Einheitslösung, die jeder wirksamen Einwilligung bereits tatbestandsausschließende Wirkung zuschreibt, in konstruktiver Hinsicht in die gängige Lehre von Täterschaft und Tatbestand einbetten. Gesetzestechnisch lässt sich die Berücksichtigung der Einwilligung bereits im Tatbestand als negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal in Form eines Erfordernisses fehlender Zustimmung des Rechtsgutsinhabers umsetzen.430 Es handelt sich dabei trotz der negativen Fassung der betreffenden Merkmale um die positive Beschreibung des Inhalts der Verbotsnorm. Denn nur wenn der Täter „ohne den Willen des Rechtsgutsinhabers“ auf dessen Rechtsgüter einwirkt, lässt sich von einem sozial auffälligen Verhalten und damit von einer Verwirklichung des Unrechtstypus sprechen. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bestehen gegen eine solche Korrektur des formellen Tatbestands keine Bedenken, denn diese Einschränkung führt zu einer Erweiterung des Handlungsspielraums aller beteiligten Personen.431 Dieser Weg mag konstruktiv durchaus gangbar sein; ihn tatsächlich zu beschreiten bedeutet letzten Endes eine mehr oder weniger starke Desavouierung des im StGB niedergelegten Regelungsgefüges.432 Es muss daher eine Lösung gesucht werden, um die vorzugswürdige Tatbestandslösung nahtlos in die Lehre von Täterschaft und Tatbestand einzubinden. Dass dies sehr wohl möglich ist, wird im Folgenden zu zeigen sein. Ausschlaggebend ist, dass die Einwilligung das rechtliche Verhältnis dahingehend verändert, dass ein Verhalten seinen ihm sonst anhaftenden Verletzungscharakter bezüglich der Freiheit des Opfers verliert. Entgegen Murmann fehlt eine dogmatische Figur, die diesen Befund fixieren könnte, wenn man die Einwilligung als Ausschluss der rechtlich missbilligten Gefahrschaffung (und nicht als negatives Tatbestandsmerkmal) auffassen wollte433, nicht. Die Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit wurde bisher durch die Differenz zwischen fehlender Erfolgsverwirklichung und erlaubter Erfolgsverwirklichung gekennzeichnet. Gegen eine Berücksichtigung der Einwilligung bereits bei der Konturierung des Rechtsguts – also auf Tatbestandsebene – werden nach Murmann die Argumente geltend gemacht, die sonst gegen die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen erhoben werden. Er beruft sich sogar auf Welzels vielzitierte Beispiele der Tötung einer Mücke einerseits und der durch Notwehr gerechtfertigten Tötung eines 430 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 91; Göbel, Einwilligung, S. 71; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 209; Jakobs, AT2, 6/56; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 116; Roxin, in: FS-Amelung, S. 274; Rönnau, Willensmängel, S. 131 f.; SK-Samson, Vor § 32 Rn. 18; Zipf, Einwilligung, S. 31. 431 Rönnau, Willensmängel, S. 133; auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 74, der die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund einstuft, sieht durch die Implementierung eines negativ gefassten Tatbestandsmerkmal in die einschlägigen Tatbestände keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG. 432 Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 41. Nach Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 102, müsste die Einführung der Klausel „ohne bzw. gegen den Willen des Betroffenen“ als reductio ad absurdum der Unterscheidung zwischen Einwilligung und Einverständnis gelten. 433 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 359 f.

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Menschen andererseits. Dabei wird jedoch völlig vernachlässigt, dass der Tatbestand durch die Lehre von der objektiven Zurechnung Wertungsgesichtspunkte in sich aufgenommen hat, die weit über das von Welzel behauptete Herausschneiden strafrechtlich relevanter Deliktsbeschreibungen hinausgreifen. Die bisherige Diskussion leidet daher insofern an einer Blickverengung, als sie die dogmatische Kategorie der objektiven Zurechnung außer Acht lässt. Die Lehre von der objektiven Zurechnung stellt der finalen Handlungslehre ein normativ begründetes funktionales Strafrechtssystem entgegen und ist der Schlüssel, um eine Vielzahl moderner Problemfälle zu bewältigen.434 2. Die Einwilligung als Sonderfall des Ausschlusses der objektiven Zurechnung Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen also dort, wo die Lehre der objektiven Zurechnung als Kriterium eines möglichen Tatbestandsausschlusses ins Spiel kommt und die Differenz zwischen Tatbestands- und Rechtsfertigungsstufe scheinbar einzuebnen scheint. Kindhäuser macht darauf aufmerksam, dass die Behandlung der Einwilligung aus einer Zeit stammt, als die Lehre von der objektiven Zurechnung in ihrer heutigen Gestalt noch nicht entwickelt war und insbesondere Tatbestandseinschränkungen noch nicht unter dem Aspekt der fehlenden Risikozuständigkeit des Täters vorgenommen wurden.435 Indem unmittelbar im Anschluss an die Kausalitätsprüfung die Frage gestellt wird, ob die betreffende Handlung eine unerlaubte Gefahr für das geschützte Rechtsgut geschaffen hat, entsteht der irreführende Eindruck, die Erfolgszurechnung baue auf einem Rechtswidrigkeitsurteil auf. Es verwundert daher, dass die Frage nach der materiellen Differenzierung zwischen Zurechnungsausschluss und Rechtfertigungsgründen nicht gestellt wird, obwohl sich das Problem geradezu aufdrängt, wie die Schaffung einer Gefahr unerlaubt sein kann, wenn das Verhalten durch einen Rechtsfertigungsgrund ausdrücklich erlaubt wird. Es gilt also die Frage zu beantworten, worin die Differenz zwischen dem Tatbestandsausschluss aufgrund fehlender Zurechnung einerseits und einem Rechtfertigungsgrund andererseits besteht, wenn beide auf dem Prinzip der Erlaubnis beruhen. Denn erlaubt ist sowohl das Verhalten, das den Deliktstypus nicht verwirklicht als auch dasjenige, das der Rechtfertigung unterliegt. Eine sinnvolle Abschichtung muss daher die Frage nach dem Ursprung der Erlaubnis stellen.436 Eine Handlung kann zwar bereits wegen der mit ihr verbundenen Gefahr einer tatbestandsmäßigen Rechtsgutsbeeinträchtigung als unerlaubt zu bewerten sein; eine Rechtsgutsbeeinträchtigung stellt diese Handlung jedoch erst dann dar, wenn diese 434

Umfassend zur Lehre der objektiven Zurechnung Schünemann, GA 1999, S. 207 ff. Kindhäuser, AT4, § 12 Rn. 4. 436 Auch nach Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 86, besteht der Kern des Problems darin, dass sowohl bei der Einwilligung als auch bei den Rechtfertigungsgründen eine Bezugnahme auf weitere Regeln erforderlich zu sein scheint, um die fehlende Normwidrigkeit des fraglichen Verhaltens zu begründen. 435

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Gefahr sich anschließend im konkreten Erfolg verwirklicht hat.437 Die Lehre von der objektiven Zurechnung will nun keineswegs die Unterscheidung zwischen Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit preisgeben. Sie differenziert zwischen Risiken, die bereits der Annahme einer Tatbestandsverwirklichung entgegenstehen; wer solche Risiken setzt, handelt überhaupt nicht strafrechtlich relevant. Zum anderen gibt es Erfolgsverursachungen, die zwar tatbestandsmäßig sind, die aber aufgrund einer spezifischen Rechtfertigungslage ausnahmsweise erlaubt sind.438 Das Erfordernis einer rechtlich missbilligten Erfolgsverursachung bedeutet nicht, dass im Rahmen der objektiven Zurechnung bereits die gesamte Rechtswidrigkeitsprüfung vorzunehmen wäre.439 Das erfolgsverursachende Verhalten muss also generell unerlaubt sein, um als Tatbestandsverwirklichung angesehen werden zu können. Dass ein tatbestandsverwirklichendes Geschehen (nur) generell unerlaubt sein muss, besagt, dass es durchaus im konkreten Fall aufgrund einer Rechtfertigungslage erlaubt sein kann. Die objektive Zurechnung hat also die Feststellung objektiven tatbestandlichen Unrechts ungeachtet spezieller Rechtfertigungslagen zum Gegenstand.440 Tatbestand und Rechtswidrigkeit werden also keineswegs vermengt, wenn man die objektive Zurechnung und damit die Erfüllung des objektiven Tatbestandes auf die Schaffung und Verwirklichung eines rechtlich missbilligten Risikos stützt. Die Rechtfertigungsgründe setzen immer voraus, dass die gerechtfertigte Handlung zur Wahrung eines überwiegenden Interesses erforderlich ist.441 Bei der Einwilligung geht es jedoch weder um einen Interessenkonflikt zwischen Handelndem und Einwilligendem noch um die Erforderlichkeit der Tat. Entgegen einer verbreiteten, von Noll begründeten Meinung442 findet eine Interessenabwägung im Hinblick auf den Eingriff als solchem nicht mehr statt, sofern nicht die Grenzen der §§ 216, 228 StGB betroffen sind. Hier hat der Gesetzgeber bereits bei der Aufstellung der Norm die kollidierenden Interessen gegeneinander abgewogen und sich für eine Einschränkung der Dispositionsbefugnis des Einzelnen entschieden.443 Liegt eine wirksame Einwilligung vor, wird eine Abwägung nach Maßgabe der individuellen Situation nicht mehr vorgenommen. Vielmehr behauptet sich der freie Wille des Rechtsgutsträgers, ohne dass die Erforderlichkeit oder die Vernünftigkeit der Einwilligung 437

Vgl. statt vieler Roxin, AT I4, § 11 Rn. 49. Kindhäuser, in: FS-Maiwald, S. 399 f. 439 Frister, AT4, § 10 Rn. 2. 440 Kindhäuser, AT4, § 11 Rn. 4. 441 Vgl. Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 6 ff. m.w.N.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 79 m.w.N.; Roxin, AT I4, § 14 Rn. 38 ff. 442 Noll, Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 74 ff.; ders., ZStW 1965, S. 14 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 34 II 3; Geppert, ZStW 1971, S. 952 ff.; Dölling, GA 1984, S. 83 f.; Otto, AT, § 8 Rn. 127; mit Modifizierungen Jakobs, AT2, 14/4. Vgl. auch vermittelnd Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 159 ff., 426 f.; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16 Rn. 53, § 17 Rn. 96 f. 443 Roxin, AT I4, § 13 Rn. 23; Rönnau, Willensmängel, S. 151. 438

A. Die freiverantwortliche, selbstverfügende Opferentscheidung

269

geprüft und gegen den Wert des konkreten Tatobjekts abgewogen werden darf.444 Die Tatsache, dass dem Eingriff eine Interessenabwägung des Betroffenen im Rahmen der Entscheidungsfindung zugrunde liegt, kann entgegen Mitsch keine Rolle spielen.445 Es handelt sich dabei um den typischen Prozess der Willensbildung, der zumeist Abwägungsvorgänge enthält.446 Ausschlaggebend ist allein die Tatsache, dass die Erlaubnis ihren Grund in der eigenverantwortlichen Entscheidung des Rechtsgutsträgers hat. Was generell und nicht nur ausnahmsweise im Rahmen des Erforderlichen erlaubt ist, ist daher immer eine Sache des Tatbestandes.447 Jäger kommt zum folgenden, von der bisherigen Literatur vernachlässigten Ergebnis: „Immer dann ist der Tatbestand negativ betroffen, wenn dem Täter die Verantwortung für den Erfolg nicht zugeschrieben werden kann, weil der Grund des Erlaubnissatzes allein in der Fremdverantwortung oder gar in einem gänzlichen Fehlen von Verantwortung liegt. Besteht der Grund der Erlaubnis dagegen in Verhältnismäßigkeitserwägungen, so genießt das Rechtsgut weiter seinen rechtlichen Schutz, so dass die Erlaubnis die zweite Stufe der Rechtfertigungsebene betreffen kann“.448 Die Zuordnung der Einwilligung in den Bereich der objektiven Zurechnung und damit die Annahme eines Tatbestandsausschlusses erscheint nach alledem unumgänglich.449 Der Tatbestandsausschluss beruht darauf, dass sich das Opfer selbst frei in den Wirkungskreis der Rechtsgutsbeeinträchtigung begibt und ihm daher die Verantwortung für den eingetretenen Erfolg zuzuschreiben ist. Es ist schließlich darauf aufmerksam zu machen, dass das Verhalten des Außenstehenden dem Einwilligenden nicht als eigenes zugeschrieben wird. Vielmehr sperrt die eigenverantwortliche Risikoübernahme des Opfers die Verantwortlichkeit des Außenstehenden, weil der Letztere in diesem Fall nicht unerlaubt in eine fremde Rechtsgutssphäre eingreift.450 Eine der Dispositionsbefugnis des Betroffenen entsprechende Aktivierung des Freiheitspotentials des Rechtsguts ist dem Täter nicht als tatbestandsmäßiger Erfolg objektiv zurechenbar. Bei § 216 StGB (wie auch in den Fällen des § 228 StGB) ergibt sich insofern eine Abweichung, als die Bejahung einer Fremdschädigung die Möglichkeit einer Strafbarkeit auch dann eröffnet, wenn eine Einwilligung des Opfers vorliegt. Da die Verbotenheit des Verhaltens des Außenstehenden paternalistisch nur dort zu legitimieren ist, wo der Betroffene nicht in der Lage ist, eine freiverantwortliche Entscheidung zu treffen, stellt sich freilich die 444

Roxin, AT I4, § 13 Rn. 23. Vgl. dazu Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 607 ff.; ders., in: Baumann/ Weber/Mitsch, AT, § 16 Rn. 52. 446 Kritisch Rönnau, Willensmängel, S. 148 f. 447 Roxin, in: FS-Maiwald, S. 723. 448 So Jäger, Zurechnung und Rechtfertigung, S. 18 f. 449 Auch Roxin, in: FS-Amelung, S. 273, räumt neuerdings ein, dass wenn die einverständliche Fremdgefährdung als eine die Zurechnung zum objektiven Tatbestand ausschließende Risikoübernahme zu deuten ist, dies dann bei der Einwilligung nicht anders sein kann. 450 Kindhäuser, AT4, § 11 Rn. 23; ders., in: FS-Rudolphi, S. 140. 445

270

4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Frage, ob die Verfügungsfreiheit in diesen Fällen aus eben diesem Grund eingeschränkt werden darf.451 Kindhäuser hat neuerdings seine bisherigen Erwägungen zum Thema weiter entwickelt und die Auffassung vertreten, dass die Einwilligung als Normaufhebungsgrund zu deuten ist.452 Danach bliebe die mit Einwilligung des Verletzten vorgenommene Handlung tatbestandsmäßig. Es entfiele nur der Grund, das schädigende Handeln um der Normbefolgung willen zu unterlassen. Auf normtheoretischer Ebene ist Kindhäuser uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er ausführt, dass die Einwilligung als negative Bedingung der Normwidrigkeit eines Verhaltens gilt, weil dadurch die das Verhalten untersagende Norm situativ aufgehoben wird. Die eigenverantwortliche Entscheidung des Dispositionsbefugten führt tatsächlich dazu, dass der Schutzzweck der strafbewehrten Verbotsnorm entfällt. Unter dem Gesichtspunkt des Individualschutzes besteht für die Rechtsordnung kein Anlass, eine Handlung zu verbieten, für die sich der Rechtsgutsträger frei und wohl überlegt entschieden hat.453 Es leuchtet deshalb dogmatisch nicht ein, warum das in Frage stehende Verhalten tatbestandsmäßig bleiben soll. Die Erlaubtheit eines Verhaltens wegen Eingriffs einer Erlaubnisnorm setzt die Existenz von zumindest zwei konfligierenden Handlungsgründen voraus, so dass ein sonst geltendes Verbot durch eine vorrangige Erlaubnis ausgeschlossen wird. Bei Rechtfertigungsgründen lässt sich die fehlende Normwidrigkeit des fraglichen Verhaltens anhand des sog. Kollisionsmodells verdeutlichen. Hiergegen impliziert die Erlaubtheit eines Verhaltens wegen Erfüllung einer Aufhebungsbedingung des entsprechenden Verbots keinen entgegenstehenden Handlungsgrund. Ist die Verbotsnorm nichts anderes als die kontradiktorische Formulierung des entsprechenden Deliktstatbestands, so lässt sich daraus schließen, dass der Aufhebung einer Verbotsnorm auf dogmatischer Ebene der Begriff eines Tatbestandsausschlusses entspricht.454 Die hier vorgeschlagene systematische Kategorisierung erklärt auch problemlos die klassische Differenzierung zwischen Einverständnis und Einwilligung. Beim Einverständnis ist ebenso wie bei der Einwilligung die Tatbestandsverwirklichung zu verneinen. Dafür sprechen jedoch ganz andere Gründe. Beim Einverständnis handelt es sich um eine unmittelbar negative Antwort auf die Frage nach der Subsumtion des jeweiligen Verhaltens unter den fraglichen Tatbestand, also um eine fehlende Rechtsgutsverletzung. Das Einverständnis stellt damit eine Kategorie dar, die den Umfang des Rechtsgutsschutzes in einem bestimmten Bereich unmittelbar betrifft.455 Dagegen geht es bei der Einwilligung um eine reflexive Begründung der situativen fehlenden Geltung einer Verhaltensnorm. Wenn der Rechtsgutsinhaber über das geschützte Rechtsgut wirksam verfügt, entfällt der für die Geltung der Norm spre451 452 453 454 455

Vgl. ausführlich Teil 4. B. Vgl. Kindhäuser, in: FS-Maiwald, S. 412 ff.; ders., GA 2010, S. 502 ff. So zutreffend Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 213. Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 82 ff. Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 102.

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

271

chende Grund, so dass sich die Frage nach der Subsumtion des eingewilligten Verhaltens unter die aufgehobene Norm nicht mehr stellt; es liegt also eine tatbestandslose Rechtsgutsverletzung vor. Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass gute Gründe dafür sprechen, die Lehre von der objektiven Zurechnung im Lichte des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit anzuwenden und dieses Prinzip für die dogmatische Verortung der Einwilligung fruchtbar zu machen.

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen Im bisherigen Verlauf der Untersuchung ist deutlich geworden, dass Einschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit nur mit Rücksicht auf defizitäre Entscheidungen oder die Rechte anderer zulässig sind. Da nur selbstbestimmte Entscheidungen des Einzelnen bei Eingriffen Dritter legitimierend wirken, ist es notwendig, die Autonomie des Rechtsgutsträgers abzusichern. Die Frage, welche Anforderungen an eine rechtlich wirksame selbstverfügende Entscheidung zu stellen sind, mündet somit in das Paternalismusproblem. Der Maßstab, ab wann der zum Schutz des nicht oder nicht voll Entscheidungsfähigen verpflichtete Staat auf den Plan gerufen wird, muss deshalb näher konkretisiert werden, um die Grenzen des zulässigen weichen Paternalismus abzustecken.456 Sowohl bei der eingewilligten Fremdverletzung als auch bei der eigenhändigen Selbstverletzung stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit des Rechtsgutsinhabers für die Verfügung über eigene Rechtsgüter. Da im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erschöpfend auf die Grenzen der Wirksamkeit von selbstverfügenden Entscheidungen eingegangen werden kann, beschränken sich folgenden Ausführungen allein darauf, einige grundsätzliche Leitlinien zu Entscheidungsdefiziten und ihrer rechtlichen Relevanz aufzustellen. Die bisherigen Versuche zur Klärung der normativen Relevanz von Defiziten sind zum einen an der Dogmatik der Willensmängel bei der Einwilligung entwickelt worden (unter I.). In den Fällen der Selbstschädigung bzw. -gefährdung wird zum anderen vielfach auf die Maßstäbe der mittelbaren Täterschaft abgestellt (unter II.). Über diese dogmatischen Verortungen hinweg wird für die Bestimmung eines die Haftung des Außenstehenden auslösenden Defizits beim Opfer einerseits für die Übertragung der für die Einwilligung entwickelten Maßstäbe und andererseits für die analoge Anwendung der allgemeinen strafrechtlichen Zurechnungsregeln plädiert. Damit werden zwei Gebiete herkömmlicher Strafrechtsdogmatik zum Gegenstand von Erwägungen, bei denen es für eine täterschaftliche Haftung des Außenstehenden auf ein Defizit der Opferentscheidung ankommt. Eine Darstellung der Diskussion über die normative Relevanz von Entscheidungsdefiziten in beiden Gebieten ist in dem hier abgesteckten Rahmen nur skizzenhaft möglich. Es soll vielmehr anhand einer am Autonomiegedanken 456

Vgl. NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 22.

272

4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

orientierten normativen Theorie geprüft werden, ob eine einheitliche Beurteilung der Verantwortlichkeit im Ergebnis vorzugswürdig erscheint (unter III.).

I. Normativ relevante Defizite bei der Einwilligung Nach einhelliger Auffassung setzt eine rechtswirksame Einwilligung voraus, dass sie unter Wahrung der Wertvorstellungen des Verfügenden über den Gutseinsatz als Ausdruck seiner Selbstbestimmung erscheint. Der Einwilligende muss also die ihm von der Rechtsordnung gewährte Verfügungsfreiheit realisiert haben. Der autonome Umgang des Einwilligenden mit seinen Rechtsgütern kann durch Defizite bei der Willensbildung beeinträchtigt werden. Herkömmlich wird zwischen drei Typen von Willensmängeln, die an unterschiedliche Ursachen anknüpfen, differenziert. Die Einwilligung kann zunächst auf einem Irrtum beruhen, der seine Ursache allein in der Person des Einwilligenden hat. Die Zustimmung kann aber auch durch eine täuschungsbedingte Fehlvorstellung oder durch Drohung bzw. Gewalt herbeigeführt worden sein. Dies ist im Grundsatz unzweifelhaft, bezüglich der Bestimmung dessen, was ein für die Einwilligung normativ erheblicher Willensmangel ist, aber höchst umstritten. Die Differenzen in der rechtlichen Behandlung der Willensmängel beruhen vornehmlich auf dem politisch-philosophischen Vorverständnis des Beurteilers über Staat, Mensch und Freiheit.457 Ein als Wirksamkeitsmaßstab formulierter Autonomiebegriff hat insbesondere zu berücksichtigen, dass die Kehrseite der dem Einzelnen grundrechtlich garantierten Selbstbestimmung in seiner Selbstverantwortung besteht. Diese bezieht sich nicht nur auf die Folgen der Entscheidung, sondern auch auf die Entscheidungsgrundlagen.458 Die Möglichkeit, die Relevanz von Entscheidungsdefiziten normativ einzuschränken, weist also auf die angemessene Abschichtung der Verantwortungsbereiche von Einwilligendem und Eingreifendem hin. Die Diskussion über die normative Relevanz von Defiziten bei der Einwilligung lässt sich grob in vier Phasen unterteilen, die sich aber in Grenzbereichen durchaus überschneiden. Nachdem die zivilistische Betrachtung der Einwilligung als Willenserklärung überwunden war459, setzte sich die wohl noch h.M. durch, nach der jeder Willensmangel die Unwirksamkeit der Einwilligung bewirkt, wobei Ausnahmen lediglich für Motivirrtümer diskutiert werden, deren Abgrenzung von den beachtlichen Irrtümern aber stets unklar geblieben ist.460 Zu Recht wird gerügt, dass diese opferfreundliche Lösung allzu einseitig auf den defizitären Charakter der 457

NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 23. Rönnau, Willensmängel, S. 223. 459 Zur Kritik vgl. Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 14 f.; Kühne, JZ 1979, S. 243; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 71; Rönnau, Willensmängel, S. 176 ff.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 105 f. 460 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 109; Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 495 ff.; Fischer, § 228 Rn. 7; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 119; Köhler, AT, S. 254; Krey, AT/1, Rn. 620; Maurach/Zipf, AT/1, § 17 Rn. 59. 458

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

273

Entscheidung des Einwilligenden abstellt und die Zweiseitigkeit des Verhältnisses vermissen lässt, innerhalb dessen die Einwilligung zur Erweiterung der Handlungsspielräume sowohl des Rechtsgutsträgers als auch des Eingreifenden führt.461 Ein Teil in der jüngeren Literatur schränkt deshalb den strafrechtlichen Schutz der Entscheidungsfreiheit des Rechtsgutsträgers unter verschiedenen normativen Gesichtspunkten erheblich ein. Im Folgenden soll ein kritischer Überblick über die zur dogmatischen Behandlung der Willensmängel vertretenen Lösungsansätze gegeben werden. 1. Täuschungen Die interpersonale Dimension der Einwilligung wird erst durch die wegweisende Untersuchung von Arzt in den Mittelpunkt gerückt. Unter dem Einfluss seiner Ausführungen breitete sich ab 1970 die Meinung aus, eine Einwilligung sei nur dann unbeachtlich, wenn sie auf einem rechtsgutsbezogenen Willensmangel beruhe.462 Danach führen nur die Irrtümer, die sich auf Art und Umfang der bevorstehenden Rechtsgutsverletzung beziehen, zur Unwirksamkeit der Einwilligung. Dagegen sollen Fehlvorstellungen über das Motiv der Gutspreisgabe die Gültigkeit der Einwilligung nicht berühren. Begründet wird diese Ansicht durch die von Arzt vorgenommene Differenzierung zwischen dem Bestandsschutz und der Tauschfreiheit von Gütern. Strafnormen dienen generell nur dem Schutz des Bestandes der Rechtsgüter einer Person. Ihr Tauschwert werde hingegen durch den Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB) und eventuell durch den der Nötigung (§ 240 StGB) geschützt.463 Es ist zweifellos ein Verdienst Arzts, die strafrechtliche Haftung des Eingreifenden unter Berücksichtigung der Eigenverantwortung des Gutsinhabers in den Fällen des Erklärungsirrtums sowie beim Zwang beschränkt zu haben. Seine These vernachlässigt aber, dass der Rechtsgutsinhaber nicht nur hinsichtlich des Bestandes des ihm zustehenden Rechtsguts geschützt sein muss, sondern auch hinsichtlich seiner Verfügungsfreiheit über das Rechtsgut, so dass eine selbstverfügende Entscheidung nicht immer schon dann als nicht defizitär angesehen werden kann, wenn der Einwilligende sich über Umfang, Art und Weise der Rechtsgutspreisgabe im klaren ist, sondern erst dann, wenn seine Entscheidung sich tatsächlich als Ausdruck seiner Verfügungsfreiheit über das Rechtsgut darstellt.464 Die für den Gutsinhaber nicht hinnehmbare Konsequenz der Arztschen Konzeption besteht darin, dass auch Rechtsgutseingriffe durch seine Einwilligung gedeckt sind, die sich für ihn als

461

Vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 449 f. mit Fn. 517. Arzt, Willensmängel, S. 15 ff.; ders., in: FS-Geppert, S. 4. Zust. Schönke/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 46; Gropp, AT, § 6 Rn. 43; Küper, JZ 1986, S. 226; Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 166 ff.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 532 ff. 463 Vgl. Arzt, Willensmängel, S. 19 ff. 464 Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 333 f. 462

274

4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

sinnlos darstellen.465 Einem rational denkenden Menschen ist es jedoch nicht gleichgültig, ob das von ihm mit der Rechtsgutspreisgabe angestrebte Ziel erreichbar ist, selbst wenn er weiß, in welchem Umfang er sein Rechtsgut aufgibt.466 Damit wird ein wichtiger Teil gutsbezogener Autonomie – jedenfalls aus der Sicht einer konsequent vertretenen personalen Rechtsgutslehre – ohne hinreichenden Grund schutzlos gestellt.467 Daher ist Roxin dahingehend zuzustimmen, dass die Unwirksamkeit einer Einwilligung auch bei fehlender Rechtsgutsbezogenheit der Täuschung jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn „der Irrtum nicht das Rechtsgut, sondern einen altruistischen Zweck betrifft, der dem Rechtsgutsträger das ausschlaggebende Motiv bei Erteilung der Einwilligung geliefert hat“468 oder wenn „der Täter dem Opfer eine notstandsähnliche Lage vorspiegelt, auf Grund deren dieser eine Rechtsgutspreisgabe irrtümlich als zur Schadensabwendung erforderlich ansehen muss“.469 Ob darüber hinaus die Täuschung über die Gegenleistung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führt oder ob das enttäuschte Vertrauen auf die Gegenleistung allein nach Maßgabe des § 263 StGB geschützt wird470, ist eine Frage, die sich nicht allgemein, sondern vielmehr anhand einer Auslegung der Reichweite des Schutzbereichs des jeweiligen Tatbestandes beantworten lässt.471 Abgesehen davon, dass das Arztsche Kriterium der Rechtsgutsbezogenheit eine erhebliche Verwässerung im medizinischen Bereich erfahren hat472, erscheint die Aufspaltung der Autonomie in einen rechtsgutsbezogenen und einen rechtsgutsun-

465 Rönnau, Willensmängel, S. 287; LK12-ders., Vor § 32 Rn. 199; Roxin, in: GS-Noll, S. 280; Schroth, in: FS-Volk, S. 733. 466 Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 21 f.; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 53. 467 Rönnau, Willensmängel, S. 306. 468 Roxin, AT I4, § 13 Rn. 104; ders., in: GS-Noll, S. 285 f.; zustimmend Schroth, in: FSVolk, S. 733 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 383; Tag, Der Körperverletzungstatbestand, S. 374; jetzt auch Arzt, in: FS-Geppert, S. 6; a.A. Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 47. 469 Roxin, AT I4, § 13 Rn. 105. 470 Vgl. hierzu Arzt, Willensmängel, S. 17 f. und Roxin, AT I4, § 13 Rn. 99, die den Schutz der Tauschfreiheit bei höchstpersönlichen Rechtsgütern zurückweisen, weil das Strafrecht dem Einwilligenden nicht ermöglichen soll, seine höchstpersönlichen Güter gegen andere (insbesondere finanzielle) Interessen auszutauschen und damit zu kommerzialisieren. Damit wird das Opfer in jenen Einwilligungsfällen, bei denen der Getäuschte in Erwartung einer bestimmten Gegenleistung keine vermögenswerte Leistung im Sinne einer Vermögensverfügung des § 263 StGB erbringt, schutzlos gestellt. Im mehrfach erwähnten Beispiel der „verkauften Ohrfeige“ wird man also die Strafbarkeit wegen Betrugs ablehnen müssen und eine Anwendung des § 223 Abs. 1 StGB nicht prüfen. Für ausführliche Kritik am Kommerzialisierungsargument vgl. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 51 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 296 ff. 471 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 460 f. 472 Siehe Arzt, in: FS-Baumann, S. 206 f. Der Sache nach aufgegeben hat Arzt die These von der ausschließlichen Beachtlichkeit rechtsgutsbezogener Willensmängel auch in Fällen, in denen die Einwilligung auf einer Drohung i.S.v. § 240 Abs. 1 StGB beruht und deshalb generell unwirksam sein soll.

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

275

abhängigen Teil der Lebenswirklichkeit fremd.473 Denn der Einwilligungsentscheidung geht ein komplexer Willensbildungsprozess voraus, in dem die Gewichtung der einzelnen Aspekte je nach betroffenem Rechtsgut und Präferenzordnung des Rechtsgutsinhabers sehr unterschiedlich ausfallen kann, so dass Art, Ausmaß und Gefährlichkeit des bevorstehenden Eingriffs nur drei Kriterien neben anderen darstellen, die in der Abwägung zu berücksichtigen sind.474 Das Wissen um die Rechtsgutspreisgabe als solches ist also eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für die Wirksamkeit der Einwilligung. Eine wirksame Einwilligung liegt vielmehr erst und nur dann vor, wenn die Rechtsgutspreisgabe trotz der Täuschung Ausdruck der dem Gutsinhaber von der Rechtsordnung zuerkannten Verfügungsfreiheit ist, was aber nicht einfach aus der Kenntnis der Rechtsgutspreisgabe geschlossen werden darf.475 Gerade hierin erkennt auch Roxin die entscheidende Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung. Vor dem Hintergrund eines Verständnisses, dem die dynamische Dimension der Rechtsgüter zugrunde liegt, geht er davon aus, dass eine wirksame Einwilligung Ausdruck der freien Verfügung des Gestattenden sein muss. Da das Kriterium der Autonomie eher dazu Anlass böte, jeden Willensmangel vor dem Hintergrund des Wertsystems des Einwilligenden als beachtlich einzustufen, setzt Roxins Verständnis von Selbstbestimmung eine „normative Durchformung des psychischen Befundes voraus“.476 So wird als Begründung für die bereits angesprochene Auffassung, wonach der Irrtum bezüglich eines altruistischen Zwecks beachtlich sein soll, angeführt, das Geschehen bringe nicht „die Handlungsfreiheit des Zustimmenden zum Ausdruck“; es zeige vielmehr „einen durch Täuschung raffiniert manipulierten Willen“. Die Zweckerreichung sei hier endgültig ausgeschlossen und die altruistische Tat sei nur noch eine „sinnlose Schädigung“.477 Und im Fall einer Täuschung über motivationsrelevante Begleitumstände stuft er den Irrtum über die Arzteigenschaft des Eingreifenden aus der Perspektive „irgendeines vernünftigen Patienten“ als unbeachtlich ein.478 Hingegen ist es Roxin im Blutspende-Fall möglich, trotz der Täuschung über die Gegenleistung und damit über den Sinn und Zweck der Rechtsgutspreisgabe das Geschehen noch als „Ausdruck der Selbstbestimmung“479 des Einwilligenden zu begreifen, obwohl die Einwilligung ja durch die Täuschung bedingt ist, diese ohne jene nicht erteilt worden wäre und somit nicht von einer autonomen Entscheidung des Rechtsgutsinhabers gesprochen werden kann.480 Seine Argumentation trägt also einen viel weitergehenden Schutz der Au473

Vgl. Roxin, in: GS-Noll, S. 281. Rönnau, Willensmängel, S. 295. 475 Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 62. 476 Roxin, in: GS-Noll, S. 281. 477 Roxin, in: GS-Noll, S. 286. 478 Roxin, in: GS-Noll, S. 289; ders., AT I4, § 13 Rn. 101. 479 Roxin, in: GS-Noll, S. 284. 480 Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 66; auch nach Schroth, in: FS-Volk, S. 736, ist die Einwilligung als unwirksam zu qualifizieren, weil der Einwilligende zur Beeinträchtigung 474

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

tonomie, als er durch seine Ausnahmen zur Formel der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel suggeriert.481 Dies ist offensichtlich darauf zurückzuführen, dass der Maßstab einer in der konkreten Entscheidung zum Ausdruck kommenden Selbstbestimmung aufgrund seiner inhaltlichen Offenheit mit der Aufgabe einer Abgrenzung zwischen relevanten und irrelevanten Irrtümern letztlich überfrachtet wird.482 Aber auch intrasystematisch ist kaum abgrenzbar, wann ein bloß unbeachtlicher „motivationsrelevanter Begleitumstand“ vorliegt und wann umgekehrt eine solche Intensität des Irrtums erreicht ist, dass man von einer wirklichen „Zweckverfehlung“ ausgehen muss.483 Das ausschlaggebende Kriterium für die Fallgruppenbildung bei Roxin bleibt damit undeutlich und die Frage der Beachtlichkeit täuschungsbedingter Einwilligungen wird eher intuitiv entschieden.484 Daher ist Amelung darin zuzustimmen, dass Autonomie und Selbstbestimmung „für Roxin nicht mehr als undefinierte Rahmenbedingungen für kasuistische Billigkeitserwägungen“ seien.485 Amelung versucht in einer zweistufigen Prüfungskonzeption die Schwächen der bisherigen Ansätze zu überwinden und die Interessen von Einwilligendem und Eingreifendem zu einem befriedigendem Ausgleich zu bringen. In einer ersten Prüfungsebene zur Feststellung der Unwirksamkeit der Einwilligung fragt er danach, ob der Einwilligende in Übereinstimmung mit seinem Wertsystem entschieden hat. Wegen der Betonung des Autonomiegedankens werden keine normativen Einschränkungen der Relevanz von Defiziten vorgenommen und jedem Willensmangel Bedeutsamkeit zugesprochen.486 Erst im Anschluss daran geht es auf einer zweiten Ebene darum, nach einer umfassenden Interessenabwägung den Willensmangel einer der am Rechtsgutseingriff beteiligten Personen zuzurechnen.487 Für die Beantwortung der Zurechnungsfrage wendet er die allgemeinen Zurechnungsregeln an, die für die besondere Situation der Rechtsgutsverletzung aufgrund mangelbehafteter Einwilligungen konkretisiert werden müssten.488 So sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es der Erklärungsempfänger in aller Regel schwerer habe, sich über die Motive des Einwilligenden Klarheit zu verschaffen, als dieser selbst. Im Gegenzug verdiene derjenige Eingreifende keinen Schutz, der bessere Kenntnis vom Irrtum des Einwilligenden habe oder aufgrund einer Sonderpflicht haben müsse. Es seines Körpers nur bereit ist, wenn er dadurch seine kurzfristigen finanziellen Präferenzen befriedigen kann. 481 Rengier, AT, § 23 Rn. 31. 482 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 451 Fn. 527. 483 NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 29; Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 523. 484 LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 199 in fine; ders., Willensmängel, S. 314; Heinrich, AT I2, Rn. 471; Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 512. 485 Amelung, ZStW 1997, S. 506 f.; ders., Irrtum und Täuschung, S. 30. 486 Amelung, ZStW 1997, S. 515; ders., Irrtum und Täuschung, S. 41 ff. 487 Amelung, ZStW 1997, S. 490 ff.; ders., Irrtum und Täuschung, S. 37 ff.; Amelung/Eymann, JuS 2001, S. 937 ff. 488 Zust. NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 32.

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

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ist sicher angemessen, mit Amelung den Blick auf die Person des Eingreifenden zu lenken, um die Einseitigkeit der herkömmlichen Lehren zu vermeiden, die fast ausschließlich auf den Einwilligenden für die Ermittlung der Defektfreiheit abstellen. Damit wird einerseits die Bedeutung des individuellen Wertsystems betont. Der Umstand, dass der Einwilligende eine bestimmte Erklärung geäußert hat, bildet für Amelung keinen Grund mehr, unbedingt an ihr festzuhalten, wenn die Einwilligung seinen Interessen widerspricht. Andererseits wird für sich genommen gewichtet, ob der Eingreifende normativ für den Defekt zuständig ist, so dass eine ausreichend differenzierte Bewertung der Interessen von Einwilligendem und Eingreifendem stattfinden kann. Obwohl dieses Konzept auf den ersten Blick besticht, erweist es sich bei näherer Betrachtung als unvereinbar mit zentralen Begriffen der Strafrechtsdogmatik. Amelungs Vorschlag, die Frage, wem die Rechtsgutsbeeinträchtigung objektiv und subjektiv zuzurechnen ist, erneut zu stellen, nachdem der Rechtsgutseingriff schon als rechtswidrig bewertet wurde, führt zu dogmatisch kaum überwindbaren Schwierigkeiten. Hier ist der Kritik Rönnaus zuzustimmen, der die Wiedereröffnung der Zurechnungsfrage auf einer zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld anzusiedelnden Prüfungsstufe als systemwidrig und damit „undogmatisch“ beanstandet. Die von Amelung vorgeschlagene Trennung von Wirksamkeitsfrage und Zurechnungsprüfung bricht mit dem bisher anerkannten Grundsatz, dass durch die Feststellung, dem Täter stehe kein Rechtsfertigungsgrund zur Seite, zugleich ein abschließendes Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens mit Auswirkungen insbesondere auf die Notwehr- und Teilnahmelehre gefällt wird.489 Rönnau lehnt das Kriterium der Rechtsgutsbezogenheit ab und plädiert mit der h.M. für einen erheblich erweiterten tatbestandlichen Schutz der Entscheidungsfreiheit. Irrtümer, die den vom Einwilligenden verfolgten Zweck vereiteln, also allein die Tauschfreiheit und nicht nur den Bestand des Gutes betreffen, werden als rechtlich relevant anerkannt.490 Dem Einwand einer unzulässigen Ausweitung des tatbestandlichen Schutzbereiches begegnet er mit dem Argument, dass ein sachangemessener Autonomieschutz unter Umständen die Bestrafung aus mehreren Tatbeständen (z. B. im Blutspende-Fall sowohl nach § 263 als auch nach § 223 StGB) nahe lege.491 Die Tauschfreiheit werde in den Schutzbereich einbezogen, um auf diese Weise auch den selbstbestimmten Einsatz der Güter vor unlauteren Störungen abzuschirmen.492 Die Schutzlosstellung des Einwilligenden in den Täuschungsfällen 489

Für ausführliche Kritik vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 455 ff.; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 109; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 201; ders., Willensmängel, S. 333 ff.; ders., Jura 2002, S. 671 f.; Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 19 Rn. 88 f. 490 LK12- Rönnau, Vor § 32 Rn. 206; ders., Willensmängel, S. 430 ff.; zust. Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 108 ff. 491 Rönnau, Willensmängel, S. 292 ff. 492 Rönnau, Willensmängel, S. 433 (Hervorhebung im Original); auch Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 52, bemerkt, dass ein Rückzug allein auf den Betrugstatbestand eine „nicht unerhebliche Verkürzung des strafrechtlich verbürgten Rechtsgüterschutzes“ bedeutet.

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

sei restriktiv zu behandeln, um dadurch dem Rechtsgutsinhaber eine möglichst freie Disposition über sein Rechtsgut zu gewährleisten. Einer unangemessen weiten Strafhaftung des Täuschenden wird erst auf der Ebene der objektiven Zurechnung Rechnung getragen.493 Die Orientierung am vom Einwilligenden verfolgten Zweck ist grundsätzlich überzeugend, als alleiniges Kriterium für die Wirksamkeit der Einwilligung aber zu weitgehend. Für eine zusätzliche normative Einschränkung der relevanten Autonomiedefizite spricht der Gedanke der Rechtssicherheit, denn aufgrund der Komplexität und Intransparenz der Motivlage des Rechtsgutsträgers erscheinen Motivirrtümer beliebig konstruierbar.494 Die Gewichtung der einzelnen Aspekte im Vorfeld der Entscheidung soll primär die Präferenzordnung des Rechtsgutsinhabers berücksichtigen. Der Schutz vor unlauterer Beeinflussung der Entscheidungsgrundlage stellt nur ein Angebot an die einzelne Person dar. Es steht dem einwilligungsfähigen Gutsinhaber also grundsätzlich frei, das ihm zur Verfügung stehende Wissen entweder seiner Entscheidung zugrunde zu legen oder es schlicht zu ignorieren. Entscheidend ist, dass der Rechtsgutsinhaber den Zweck, den er mit der Gutspreisgabe zu erfüllen versucht, nach seinen eigenen Wertvorstellungen bestimmen darf. Auch der Entschluss, eine unvernünftige Wahl zu treffen, ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Individuums.495 Denn Quintessenz der Autonomie ist, dass sich der Rechtsgutsinhaber im Umgang mit seinen Gütern auch unklug verhalten kann, ohne dass die Rechtsordnung zu seinem vermeintlich Besten interveniert. Die Heranziehung eines Vernünftigkeitskriteriums zur Abgrenzung zwischen beachtlichen und unbeachtlichen Motiven wirkt als bevormundender Eingriff in die Autonomie des Rechtsgutsinhabers und ist deshalb abzulehnen.496 Um die Gefahr eines Vernunftpaternalismus über das Indiz „fehlender Sinnhaftigkeit“ zu vermeiden, muss vielmehr darauf abgestellt werden, dass der verlangte Eingriff auch subjektiv irrational ist.497 Dies ist der Fall, wenn der Verfügende zur Verfolgung seines subjektiven Ziels ein objektiv ungeeignetes Mittel wählt.498 Der Motivirrtum ist also nur dann als beachtlich einzustufen, wenn er sich auf den mit der 493

Rönnau, Willensmängel, S. 434. So zutreffend Schroth, in: FS-Volk, S. 735. 495 Rönnau, Willensmängel, S. 215; Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 531. 496 Vgl. aber Hruschka, JR 1978, S. 519 f., der auf die Rationalität der Einwilligung aus der Perspektive eines externen Beobachters abstellt. Jakobs, AT2, 7/117 ff.; 21/88 ff., greift ebenfalls auf das Kriterium einer „objektiven Vernunft“ zurück. Siehe die treffende Kritik von Roxin, in: GS-Noll, S. 293. 497 Vgl. Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 525 ff.: „Die Diskrepanz von Wille und ,objektivem Wohl‘, wie man die ,Unvernunft‘ auch umschreiben kann, ist grundsätzlich kein Rechtfertigungshindernis. Die Abweichung des Willens vom ,subjektiven‘ Wohl des Rechtsgutsinhabers stellt dagegen die materiale Begründetheit der Rechtfertigung in Frage.“ 498 Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 37; dagegen beschränkt Rönnau, Willensmängel, S. 216, weich paternalistische Regelungen nur auf den Fall der Einwilligungsunfähigkeit wegen konstitutionellen Schwächen. 494

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

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Rechtsgutspreisgabe verfolgten Zweck bezieht, dieser jedoch objektiv aufgrund des gewählten Mittels nicht erreicht werden kann. Wer sich also Illusionen darüber macht, dass eine kosmetische Operation seine Anziehungskraft auf das andere Geschlecht steigert, handelt entgegen Amelung nicht irrational, wenn er in einen solchen Eingriff einwilligt.499 Im Gegensatz zu der Zahnextraktionsentscheidung des BGH, wo wissenschaftlich keine Aussicht darauf besteht, dass die Aufopferung sämtlicher Zähne die Kopfschmerzen beseitigt, lässt sich nicht unbedingt ausschließen, dass die kosmetische Operation die erwünschte Wirkung haben wird. Außerdem ist Roxin dahingehend zuzustimmen, dass der Irrtum über die Arzteigenschaft die Autonomie der Entscheidung des Patienten nicht beeinträchtigt, da der verfolgte Zweck „seinem objektiven Sinn nach“ auch mit der Behandlung durch die Famuli realisiert werden kann.500 Betrifft dagegen der Irrtum einen altruistischen Zweck, wird man die Einwilligung als unwirksam ansehen müssen, da die Zweckerreichung des Getäuschten endgültig ausgeschlossen ist.501 Wenn z. B. jemand eine Mutter zur Einwilligung in eine Hornhautentnahme bewegt, indem er ihr vorspiegelt, zur Erhaltung der Sehkraft ihres Kindes bedürfe es einer Hornhauttransplantation, während der Täter tatsächlich das Transplantat später in Schädigungsabsicht wegwirft, so ist davon auszugehen, dass im Zeitpunkt der Organentnahme der altruistische Zweck objektiv verfehlt wird. Damit zeichnet sich eine Lösung ab, die einen normativen Beurteilungsmaßstab zugrunde legt, der nicht einseitig auf die Interessen des Einwilligenden abstellt, sondern auch dem Umstand Rechnung zu tragen vermag, dass es letztlich um ein Problem objektiver Geschehenszuordnung geht. 2. Irrtümer Die überwiegende Auffassung geht beim Vorliegen rechtgutsbezogener Willensmängel von der Unwirksamkeit der Einwilligung aus. Dabei wird der Entstehungsgrund des Defizits (einfacher Irrtum) sowie die Kenntnis des Eingreifenden über den Wissensdefekt als unerheblich angesehen.502 Im Bereich der eigenerzeugten Irrtümer, die ihren Ursprung allein in Fehlvorstellungen des Einwilligenden haben, führen jedoch manche Autoren ein weiteres normatives Korrektiv ein, um die rechtlich relevanten Autonomiemängel einzugrenzen. So soll das vom Einwilligungsempfänger auf das Bestehen einer wirksamen Einwilligung gesetzte Vertrauen dazu führen, dass die Einwilligung auch dann als autonom eingestuft wird, wenn sie auf rechtsgutsbezogenen Willensmängeln beruht. Dieses Ergebnis wird in den Fällen relativiert, in denen der Eingreifende Kenntnis vom Willensdefekt des Opfers hat und diesen bewusst für sich ausnutzt. Hier soll die Berufung auf eine autonom erteilte 499

Amelung, ZStW 1992, S. 548. Roxin, in: GS-Noll, S. 289; ders., AT I4, § 13 Rn. 102. 501 Roxin, in: GS-Noll, S. 286; ders., AT I4, § 13 Rn. 104. 502 Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 36 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner/SternbergLieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 46; Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 168 ff. 500

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Einwilligung rechtsmissbräuchlich sein.503 Das überlegene Wissen muss für den Täter vielmehr Anlass sein, den Einwilligenden auf den Irrtum hinzuweisen oder zumindest vom Eingriff Abstand zu nehmen. Eine Einschränkung der täterentlastenden Wirkung der Einwilligung wird auch dann angenommen, wenn der Erklärungsempfänger die rechtliche Pflicht hat, gewisse Fehlvorstellungen des Rechtsgutsinhabers durch Aufklärung zu beseitigen. Praktisch bedeutsam ist hier vor allem die Aufklärungspflicht bei ärztlichen Eingriffen.504 Unterlässt der Arzt die gebotene Aufklärung vorsätzlich oder fahrlässig, so ist er für den beim Patienten dadurch entstehenden Irrtum verantwortlich und wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen. Nach Rönnau fehle es bei rechtsgutsbezogenen Irrtümern schon an einer Einwilligung.505 Es sei nämlich wenig überzeugend, dem Einwilligenden, der nicht wisse, welches Gut bzw. in welchem Umfang er sein Gut aufopfere, zu unterstellen, er mache gerade von der Freiheit im Umgang mit seinem Gut Gebrauch. Eine solche „Fiktion“ der Einwilligung sei auch zum Schutz des Erklärungsempfängers vor einer unangemessenen Strafhaftung nicht erforderlich. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes für den Eingreifenden sollen im Rahmen der objektiven und subjektiven Zurechnung Berücksichtigung finden. Der Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsprinzip sei daher überflüssig. Bei eigenerzeugten nicht rechtsgutsbezogenen (Motiv-)Irrtümern sei die Einwilligung auch bei Kenntnis des Eingreifenden als wirksam einzustufen. Seine Beurteilung richtet sich am Grundsatz der Eigenverantwortung des Einwilligenden, wonach Risiken, die bei der Entscheidungsbildung immer vorhanden sind, nicht vorschnell auf andere Personen abgewälzt werden dürfen. Rechtlich relevante Autonomiedefizite ergeben sich im Bereich des nicht rechtsgutsbezogenen Irrtums daher nur, wenn diese durch Täuschung hervorgerufen oder garantenpflichtwidrig nicht beseitigt werden.506 3. Drohung und Zwang Schließlich kann die selbstbestimmte Disposition über eigene Güter in rechtlich relevanter Weise durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch Zwang beeinträchtigt werden. Dabei kann es allerdings nicht darum gehen, dem Einzelnen die allgemeinen Lebensrisiken und die sich daraus ergebenden Zwänge abzunehmen,

503

Arzt, Willensmängel, S. 48 ff.; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 122; Kindhäuser, AT4, § 12 Rn. 31; Kühne, JZ 1979, S. 244 f.; Otto, in: FS-Geerds, S. 618; ders., Grundkurs Strafrecht, § 8 Rn. 114; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 111; Zipf, Einwilligung, S. 46, 49. 504 Siehe dazu Schönke/Schröder-Eser, § 223 Rn. 40 ff.; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 332 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, S. 63 ff. Eingehend zur ärztlichen Aufklärung des Lebendspenders Schroth, in: FS-Hassemer, S. 790 ff.; ders., in: FS-Volk, S. 737 ff.; ders., in: Schroth/Schneewind/Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 95 ff. 505 LK12- Rönnau, Vor § 32 Rn. 204; ders., Willensmängel, S. 410 ff. 506 Rönnau, Willensmängel, S. 415.

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

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auch wenn diese von erheblichem Gewicht sind.507 Denn jede Entscheidung wird mehr oder weniger durch naturbedingte oder von Menschen erzeugte Zwangslagen beeinflusst. Selbst ein besonderer Status der Unfreiheit (Gefangene, Untergebrachte) macht die Einwilligung nicht ohne weiteres unfreiwillig.508 Die derart durch Zwänge geprägte Freiheitssituation des Menschen muss daher bei der Bewertung der Freiwilligkeit seiner Entscheidung berücksichtigt werden. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, den Einzelnen vor jeglicher Art von kompulsiven Zwängen zu befreien. Objektive Zwangslagen, die nicht vom Täter durch Gewalt oder Drohung herbeigeführt worden sind, berühren die Wirksamkeit der Einwilligung daher grundsätzlich nicht (z. B. der Patient, der in die einzig mögliche lebensrettende Behandlung einwilligt, um den durch eine Krebserkrankung drohenden Tod abzuwenden, entscheidet freiwillig, obwohl er einem starken Entscheidungsdruck ausgesetzt ist).509 Der Einzelne hat in solchen Fällen immerhin die Freiheit, sich auch anders zu entscheiden, allein der Preis für diese Entscheidung erscheint ihm zu hoch. Der Schutz vor sozialschädlichem Verhalten gebietet es hingegen, kompulsive Zwänge, sofern sie von Menschen verursacht oder trotz rechtlicher Handlungspflicht nicht beseitigt wurden, als rechtlich erheblich zu qualifizieren.510 Problematisch und überaus umstritten ist aber die Frage, ab welcher Intensität ein ausgeübter Druck die Wirksamkeit der Einwilligung ausschließt. Das Unwirksamkeitsurteil stellt einerseits einen Eingriff in die Handlungsfreiheit des Eingreifenden dar, weil dieser mit Strafe für den Fall bedroht wird, dass er den Eingriff dennoch vornimmt. Andererseits greift es auch in die Handlungsfreiheit des Einwilligenden ein, der vor unlauter zugefügtem Zwang geschützt werden soll (Paternalismusproblem). Die überwiegende Auffassung in der Literatur zieht als Wirksamkeitsmaßstab die Grenze des § 240 StGB heran, weil damit stets der Bereich erreicht ist, in dem die Selbst- zur rechtlich nicht mehr tolerierbaren Fremdbestimmung wird.511 507 Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 48; OLG Hamm, NJW 1987, S. 1035. 508 Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 48; kritisch gegenüber das Argument der strukturellen Unfreiwilligkeit bzw. strukturellen Gewalt im Leistungssport Greco, GA 2010, S. 627; vgl. auch Oswald, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 94 ff., die das paternalistische strafbewehrte Teilnahmeverbot untergebrachter Personen an klinischen Arzneimittelprüfungen gem. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 i.V.m. § 96 Nr. 10 AMG kritisch untersucht. 509 Amelung, ZStW 1992, S. 821 f.; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 48; Rönnau, Willensmängel, S. 230; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 112. 510 So Rönnau, Willensmängel, S. 230 f. 511 Amelung/Eymann, JuS 2001, S. 944; Jescheck/Weigend, AT, S. 383; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 343; Kindhäuser, AT4, § 12 Rn. 21; ders., LPK, Vor § 13 Rn. 179; Kühl, AT6, § 9 Rn. 36; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 453 f.; Otto, in: FS-Geerds, S. 614 f.; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 113 ff.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 207 f.; ders., Willensmängel, S. 438 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 Rn 48; Schroth, in: FS-Volk, S. 729 ff.; ders., in: FS-Hassemer, S. 795 ff.; ders., in: Schroth/König/ Gutmann/Oduncu, TPG, § 19 Rn. 116 ff.

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Kontrovers diskutiert wird allerdings der Umfang der Strafbarkeit, je nachdem ob man als Schutzgut des § 240 StGB die rechtlich garantierte oder die faktische Freiheit ansieht. Nach der h.M. soll durch den Nötigungstatbestand ganz allgemein die Freiheit zur Willensbildung und Willensbetätigung geschützt werden.512 Damit werden zahlreiche Verhaltensweisen, die im täglichen Leben üblich sind, wie z. B. Scheidungen, Kündigungen oder die Verweigerung eines Arbeitsplatzes, zunächst einmal vom Tatbestand des § 240 StGB erfasst. Demnach liegt auch bei der Androhung eines rechtlich erlaubten Verhaltens eine relevante Drohung vor. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit des Nötigungstatbestandes sind Einschränkungen unumgänglich, will man nicht zu einer uferlosen Strafbarkeit gelangen. Zur Bestimmung der Empfindlichkeit der Drohung wird deshalb das Selbstverantwortungsprinzip herangezogen und darauf abgestellt, ob von dem konkreten Genötigten in seiner Lage erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.513 Liegt eine tatbestandsmäßige Drohung in diesem Sinne vor, entscheidet deren Verwerflichkeit gem. § 240 Abs. 2 StGB über die Wirksamkeit der Einwilligung.514 Die Nötigung ist nach überwiegender Auffassung dann rechtlich verwerflich, wenn die Verknüpfung von Nötigungsmittel und Nötigungszweck sozialwidrig bzw. sozial unerträglich ist.515 Eine abschließende Beurteilung der Verwerflichkeit erfordert jedoch eine umfassende Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles sowie eine Gesamtwürdigung des Wertverhältnisses und des sachlichen Zusammenhangs von Zweck und Mittel.516 Nach einer Mindermeinung erfüllt eine Nötigung mit einem rechtlich erlaubten Verhalten die Voraussetzungen einer Strafbarkeit gem. § 240 StGB nicht, selbst wenn das Verhalten mit einem inkonnexen Zweck verknüpft wird.517 Eine auf diese Weise erteilte Einwilligung sei wirksam. Gestützt wird diese These auf das Argument, die Verteilung der Freiheitsrechte durch die Rechtsnormen müsse bei einer sinnvollen Bestimmung des Schutzgutes des § 240 StGB berücksichtigt werden. Was rechtlich erlaubt sei, könne man nicht in einem Delikt, das die menschliche Freiheit schützt, verbieten, da ansonsten die Rechtsordnung widersprüchlich mit Freiheit umginge. Es wird zudem geltend gemacht, dass der Handlungsspielraum des Opfers auch dann erweitert werde, wenn an das Angebot zur freiwilligen Beseitigung eines den anderen 512

Rn. 1. 513

Vgl. statt vieler Schönke/Schröder-Eser, § 240 Rn. 1 m.w.N.; Lackner/Kühl, § 240

So BGH 31, 195, 201; Schönke/Schröder-Eser, § 240 Rn. 9. Zur Verwerflichkeit der Nötigung vgl. Roxin, JuS 1964, S. 373 ff. 515 Lackner/Kühl, § 240 Rn. 18; Wessels/Hettinger, BT/1, S. 123 ff. 516 Schönke/Schröder-Eser, § 240 Rn. 17. 517 Grundlegend Jakobs, in: FS-Peters, S. 69 ff.; SK-Horn/Wolters, § 240 Rn. 39 f.; Amelung, GA 1999, S. 191 ff.; Gutmann, Freiwilligkeit, S. 272 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 444 f.; Timpe, Nötigung, S. 21. Nach Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 452 f., findet die normative Irrelevanz solcher Drohungen, die zur rechtlich geschützten Freiheit des Außenstehenden gehören, ihren Grund nicht erst darin, dass das Verhalten nicht nach § 240 StGB fassbar ist, sondern schon darin, dass es nach der Primärordnung zur Handlungsfreiheit gehört. 514

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

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belastenden Übels Bedingungen geknüpft werden.518 Diese Argumentation geht aber von der unzutreffenden Prämisse aus, dass der Unfreiheit des Opfers eine rechtlich garantierte Freiheit des Täters entspricht. Die Rechtsordnung kennt aber nicht nur die Einräumung von Rechten, sondern auch den Missbrauch eingeräumter Rechte. Die Drohung mit einer berechtigten Anzeige, um einen anderen zu einer Lebendspende oder zur Duldung eines Eingriffs in seine Güter zu veranlassen, ist rechtsmissbräuchlich.519 Auch das Argument, der Täter erweitere die Freiheit des Genötigten durch Hinzufügung einer Handlungsalternative, ist nicht überzeugend. Denn das Opfer wird dazu motiviert, eine Entscheidung zu treffen, die nicht in seiner Person gründet, sondern in der ausweglosen Situation, in die es gebracht wird, nachdem ihm der Täter eine Möglichkeit aufgezeigt hat, die Zwangslage zu beseitigen oder zumindest abzuschwächen.520 Das vom Täter für die Hilfeleistung Verlangte wird vom Opfer sicherlich als (weiteres) Übel empfunden. Die Autonomie des Entscheidenden ist daher angetastet, weil er überhaupt vor die Wahl zwischen zwei Übeln gestellt wird.521 Vereinzelt wird schließlich als Maßstab für die Unwirksamkeit einer infolge Drohung oder Zwang abgegebenen Einwilligung die Schwelle des § 35 Abs. 1 StGB herangezogen. Rudolphi hält die Einwilligung erst dann für unwirksam, wenn die Drohung die Intensität einer „Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“ erreicht.522 Bis zu dieser Grenze werde der Bedrohte für eine rechtswidrige Tat noch verantwortlich gemacht, so dass man auch eine Einwilligung noch als eigenverantwortlich ansehen müsse. Gegen diese Auffassung spricht die Unterschiedlichkeit der zu bewertenden Konstellationen. Die Grenzen täterschaftlicher Verantwortlichkeit werden in § 35 StGB mit Rücksicht auf den Eingriff in Rechtsgüter unbeteiligter Dritter gezogen. In den Einwilligungsfällen geht es hingegen um die autonome Verfügung über eigene Rechtsgüter, die von sozial inadäquatem Druck unbeeinflusst sein sollen.523 Auch die Ansicht von M.-K. Meyer, die eine Erweiterung der Wirksamkeit drohungsbedingter Entscheidungen vorschlägt, wenn eine „unausweichliche Zwangssituation (…) entsprechend § 34 StGB“ vorliegt524, verdient keinen Beifall. Sie zielt nämlich darauf ab, solche Entscheidungen in den Verantwortungsbereich des Opfers zu stellen, bei denen das vom Täter angedrohte Verhalten keinen höheren 518

Jakobs, in: FS-Peters, S. 82; SK-Horn/Wolters, § 240 Rn. 16. Schroth, in: FS-Volk, S. 731; ders., in: FS-Hassemer, S. 796; ders., in: Schroth/ Schneewind/Gutmann/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Patientenautonomie, S. 111. 520 Schroth, in: FS-Volk, S. 731; ders., in: FS-Hassemer, S. 796. 521 Anders Rönnau, Willensmängel, S. 445 ff., der eine Einwilligung, die durch Drohung mit einem Unterlassen erzwungen wird, nur dann als unwirksam einstuft, wenn der Drohende zur Vornahme der unterlassenen Handlung rechtlich verpflichtet war. 522 Rudolphi, ZStW 1974, S. 85. 523 Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 Rn 48; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 115; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 454; Rönnau, Willensmängel, S. 437. 524 Meyer, Ausschluß der Autonomie, S. 161 f. 519

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Schaden zur Folge hat als das bewilligte. Wenn also mit der Drohung, eine dem Opfer gehörende Sache zu zerstören, die Freigabe einer anderen, gleichwertigen Sache erzwungen werden soll, werde die Autonomie des Rechtsgutsträgers nicht berührt. Die Drohung gehe „gewissermaßen ins Leere. Ein Ausweichen lässt sich leicht vorstellen; ein Nachgeben muss als unsinnig bezeichnet werden; aber das Opfer kann letztlich das tun, was es tun möchte.“525 Hiergegen hat Küper zutreffend eingewandt, dass der vom Täter erzeugte Zwang zur Wahl zwischen zwei Übeln die Autonomie des Entscheidenden selbstverständlich verletzt.526 Denn der bewilligte Schaden mag „unsinnig“ sein, die Entscheidung des Rechtsgutsinhabers bleibt doch abgenötigt und ist kein Ausdruck seiner Autonomie. Darüber hinaus ist die Heranziehung des § 34 StGB als Maßstab für die Bestimmung der Unwirksamkeit der Einwilligung auch deshalb zurückzuweisen, weil der Gesetzgeber hier auf eine objektive Interessenabwägung abstellt, während der Schutz der Dispositionsfreiheit – wie mehrmals betont wurde – willkürliche und sogar unvernünftige Entscheidungen umfasst.527

II. Zum Begriff der Verantwortlichkeit in Fällen der Selbstschädigung bzw. -gefährdung Die normative Relevanz von Defiziten bei Selbstschädigungen bzw. -gefährdungen wird herkömmlich in Zusammenhang mit den Fällen der mittelbaren Täterschaft diskutiert, in denen der Außenstehende die Willensherrschaft kraft Nötigung, Irrtums, Schuldunfähigkeit oder Minderjährigkeit des Vordermannes innehat.528 Für die Zurechenbarkeit des Verhaltens als Fremdverletzung in mittelbarer Täterschaft ist daher entscheidend, dass die Zuständigkeit des Hintermanns für ein Defizit des Vordermanns bejaht werden kann, so dass die Tat nicht mehr als autonome Ausübung von Dispositionsfreiheit anzusehen ist. Das Problem, das die Fälle von mittelbarer Täterschaft wegen Selbstverletzung des Werkzeugs mit sich bringen, betrifft die Bestimmung von sachgemäßen Kriterien, von denen die fehlende Verantwortlichkeit des Vordermanns für seine Rechtsgutsverletzung abhängig gemacht werden soll, so dass die eventuelle Verantwortlichkeit des Hintermanns als mittelbarer Täter geprüft werden kann. Hier stehen sich bekanntlich zwei Lösungen gegenüber, die den Maßstab der Entscheidungsfreiheit in den Fällen opfervermittelter Rechtsgutsbeeinträchtigungen recht unterschiedlich bestimmen. Sowohl aus dogmatischer als auch aus kriminalpolitischer Sicht lässt sich durchaus darüber streiten, welcher Standpunkt einzunehmen ist.

525

Meyer, Ausschluß der Autonomie, S. 162. Küper, JZ 1986, S. 225; zust. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 454; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 Rn 48; Rönnau, Willensmängel, S. 438. 527 Küper, JZ 1986, S. 225; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 98 m.w.N. 528 Grundlegend Roxin, TuT8, S. 142 ff., 170 ff., 233 ff. 526

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Eine verbreitete Auffassung will auf die gleichen Kriterien zurückgreifen, die bei der Bestimmung der mittelbaren Täterschaft in Dreieckskonstellationen Anwendung finden. Dementsprechend sei das Verantwortungsdefizit des Vordermanns nach den allgemeinen strafrechtlichen Zurechnungsregeln gem. §§ 16, 17, 19, 20, 35 StGB analog zu bestimmen.529 Diese Vorschriften enthalten eine gesetzliche Vorabentscheidung sowohl für die Fremd- als auch für die Selbstschädigung, da es in beiden Fällen um die Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten gehe.530 Zieht man zur Bestimmung des Verantwortungsmaßstabs die Exkulpationsregeln heran, so folgt daraus, dass eine Zwangslage unterhalb der Schwelle des Nötigungsnotstandes oder auch der bloße Motivirrtum als irrelevant eingestuft werden. Die Anlehnung an diese positivrechtlichen Vorgaben garantiere im Gegensatz zu den umstrittenen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung klar umrissene Lösungen.531 Gegen die Anwendung der für die Fremdschädigung konzipierten Exkulpationsregeln wird allerdings eingewendet, dass sie an dem Vermögen zur Befolgung von Rechtsnormen und der Zumutbarkeit rechtstreuen Verhaltens festhalten.532 Solche hochgesteckten normativen Anforderungen an die Vermeidung defizitärer Entscheidungen muss eine Rechtsordnung aber nicht formulieren, wenn das Entscheidungsdefizit nicht zu Lasten Dritter, sondern allein zu Lasten des Entscheidenden selbst geht. Handelt es sich nicht um die Verantwortlichkeit für ein deliktisches Geschehen, sondern um die Beantwortung der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer defizitären Entscheidung überhaupt deliktischen Charakter erhält, so wird bestritten, dass die allgemeinen strafrechtlichen Zurechnungsregeln zur Lösung des Problems beitragen, da die Selbstschädigung des Rechtsgutsinhabers keinen Unrechtsgehalt hat und damit die Appellwirkung des rechtlichen Verbotes entfällt.533 529

Vgl. Roxin, AT II, § 25 Rn. 54 ff., 70 ff., 144 ff.; ders., in: FS-Dreher, S. 343 ff.; ders., TuT8, S. 161 ff., 225 ff., 240 ff., 688 ff.; LK12-Schünemann, § 25 Rn. 72, 106, 113 f.; MKSchneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 54 ff.; Schönke/Schröder-Heine, § 25 Rn. 10 ff.; Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung, S. 144 ff.; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 248 ff.; Charalambakis, GA 1986, S. 489 ff.; Dölling, GA 1984, S. 78 ff.; ders., in: FS-Maiwald, S. 124 ff.; Gallas, JZ 1960, S. 692; Jakobs, AT2, 21/98; Muñoz Conde, ZStW 1994, S. 563; eher vermittelnd Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 36 ff., der darauf abstellt, ob es beim Opfer wegen des Willensmangels zu einer Reduzierung von Handlungsalternativen gekommen ist, so dass sich seine Entscheidungssituation verengt hat. 530 Roxin, in: FS-Dreher, S. 344 ff.; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 251 f. 531 Vgl. Roxin, in: FS-Dreher, S. 346, der ausdrücklich auf den Bestimmtheitsgrundsatz verweist. Ähnlich MK-Schneider, Vor §§ 211 Rn. 55, 62: „hochgradige Abgrenzungssicherheit“; LK12-Schünemann, § 25 Rn. 73 in fine. 532 NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 61; ders., JA 1987, S. 252; ders., JuS 1985, S. 680; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 167; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 465; Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 169 f.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 96; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 105 ff.; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 36 ff., 44 ff. 533 Amelung, in: Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium, S. 251; ders., NJW 1996, S. 2395; Herzberg, Täterschaft und

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Hiergegen wird von den Verfechtern der Exkulpationslösung wiederum vorgebracht, der Selbsterhaltungstrieb bzw. die natürliche Abneigung, sich selbst zu schaden, besitze eine mindestens ebenso große hemmende Wirkung wie ein sanktionsbewehrtes gesetzliches Verbot.534 Dieses Argument ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen führt es zu einem Fehlschluss, mag die Überwindung einer Selbstschädigungshemmung psychisch so schwerwiegend wie die hemmende Wirkung der Strafdrohung sein. Denn daraus lässt sich kein Gleichmaß an strafrechtlicher Rücksichtnahme auf Motivationsdruck ableiten, insbesondere wenn man überdies bedenkt, dass bei Selbstverletzung der Einsatz von Strafe in Frage steht, während beim Fremdverletzung der Strafverzicht.535 Diese auf psychologisierende Überlegungen abstellende Argumentation verfehlt zum anderen den entscheidenden Punkt. Murmann weist mit Recht auf die normative Belanglosigkeit des Arguments hin, weil nicht die hemmende Wirkung der Strafdrohung, sondern die Qualität eines Verhaltens als Unrecht dazu führt, dass die Person im Rahmen des Zumutbaren alle ihre Fähigkeiten aufbieten muss, um sich rechtlich zu verhalten.536 Die Überwindung der Selbstschädigungshemmung an sich sagt daher nichts darüber aus, ob der sich selbst Schädigende auch die Verantwortung für diese Schädigung trägt. Die herrschende Auffassung plädiert für die Anwendung der Maßstäbe der Wirksamkeit der Einwilligung bzw. der Ernstlichkeit des Verlangens i.S.v. § 216 StGB.537 Entscheidend sei danach, dass der Rechtsgutsinhaber zum Zeitpunkt der Handlungsvornahme die Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitze, um Wesen, Bedeutung und Tragweite seines Verhaltens zu erkennen. Die Parallele zur EinwilliTeilnahme, S. 36; ders., JuS 1974, S. 378; ders., JA 1985, S. 339; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 89 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 474 f.; Otto, AT, § 6 Rn. 60; dies räumt auch LK12-Schünemann, § 25 Rn. 72 ein. 534 Siehe Roxin, TuT8, S. 689; ders., AT II, § 25 Rn. 54; Dölling, GA 1984, S. 79. 535 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 324. 536 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 474 f. So auch Amelung, in: Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium, S. 256 f. 537 Amelung, in: Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium, S. 251 ff.; ders., NJW 1996, S. 2395; Brandts/Schlehofer, JZ 1987, S. 443 f.; Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 308 ff.; Eisele, BT I, Rn. 176; Schönke/Schröder-Eser, Vor §§ 211 ff. Rn. 36; Freund, AT2, § 5 Rn. 75, § 10 Rn. 97; ders., Erfolgsdelikt, S. 204 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 166 ff.; ders., NStZ 1992, S. 64; Gropp, AT, § 10 Rn. 74 mit Fn. 74; Herzberg, JuS 1974, S. 378 f.; ders., JA 1985, S. 336 ff.; ders., Täterschaft und Teilnahme, S. 39 f.; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 228 ff.; LK11-Jähnke, Vor § 211 Rn. 26; Kindhäuser, AT4, § 39 Rn. 44 f.; ders., BT I, § 4 Rn. 14 f.; Krack, KJ 1995, S. 65 ff.; Kühl, AT6, § 4 Rn. 88; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 13a/13b; Meyer, Ausschluß der Autonomie, S. 182 ff.; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 61; ders., JuS 1985, S. 679 ff.; ders., JA 1987, S. 251 f.; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 21 Rn. 103; Rengier, BT II, § 8 Rn. 4; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 52a; LK12-Walter, Vor § 13 Rn. 113; Wessels/Beulke, AT, Rn. 539; Wessels/Hettinger, BT/1, Rn. 48. Auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 473 ff., geht von der Einwilligungslösung aus, fasst aber den Verantwortungsbereich des Opfers bei der Beteiligung an einer Selbstschädigung weiter als bei der Einwilligung.

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

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gung ergebe sich daraus, dass hier wie dort die Strafbarkeit des Außenstehenden davon abhänge, ob das Opfer autonom über das Rechtsgut verfügt hat.538 Diese Auffassung führt zu einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs der mittelbaren Täterschaft bei Selbstverletzung des Werkzeugs, nämlich in Fällen von fehlender Einsichtsfähigkeit des Vordermanns, wo der Maßstab dafür auch unterhalb der Schwelle der §§ 19, 20 StGB liegen kann (z. B. im Zusammenhang mit Depressionen oder seelischen Anomalien von geringerem Schweregrad), in Fällen von fehlender Verantwortlichkeit wegen Irrtums, wo auch ein Motivirrtum als relevant einzustufen sei539, oder wegen Nötigung, wo § 240 StGB und nicht § 35 StGB als Maßstab heranzuziehen sei.540 Für die hier untersuchte Problemlage ist einerseits darauf aufmerksam zu machen, dass das Ausmaß an schützender, strafbewehrter Rücksichtnahme auf den labilen, irrenden oder bedrängten Menschen und auf seine Anfälligkeit gegenüber güterbedrohendem Veranlassungs- und Förderungsverhalten des Außenstehenden zur Diskussion steht.541 Dass die Anforderungen an die Opferautonomie damit höher als die an die strafrechtliche Verantwortlichkeit Dritter gestellten Bedingungen sind, erscheint aus fürsorgerischen Gründen als gerechtfertigt. Andererseits verbietet der Fürsorgegedanke bei der Bestimmung des Maßstabs der Verantwortlichkeit die Orientierung an starren Grenzziehungen. Abgesehen davon, dass Konkretisierungsschwierigkeiten ebenfalls mit den von der Gegenmeinung analog herangezogenen §§ 20, 35 StGB verbunden sind542, könnte sich die „unerträgliche Abgrenzungsunsicherheit“ der Einwilligungsregeln als höchst wünschenswerte Flexibilität erweisen. Die Selbsttötung eines schwer leidenden, moribunden Minderjährigen könnte unter Umständen als freiverantwortlich bezeichnet werden.543 Eine schwarz/ weiß-Perspektive bei Jugendlichen oder schuldunfähigen Erwachsenen wird zudem der Lebensvielfalt der Werteeinsicht und normativen Erfordernisse schwerlich gerecht, so dass zwar von einer Regelvermutung der Fähigkeit, die Bedeutung des 538 Amelung, in: Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium, S. 252; Freund, AT, § 5 Rn. 75. 539 Nach LK12-Schünemann, § 25 Rn. 107, sprechen „die besseren Gründe auf der Basis der allgemeinen Täterschaftsstruktur der Herrschaft über den Grund des Erfolges und der Theorie der Tatherrschaftsstufen in den Fällen der Auslösung oder Ausnutzung eines Motivirrtums des Vordermannes für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft“ (Hervorhebung im Original). A.A. Roxin, AT II, § 25 Rn. 71. 540 Grundlegend hierzu Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 172 f.; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 64; ders., JuS 1985, S. 679 ff.; ders., JA 1987, S. 251 f. 541 So zutreffend Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 310. 542 Kritisch gegenüber der Klarheit der sog. Exkulpationslösung Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 167; auch Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 320, bemerkt richtig, dass eine endogene Psychose von einer schweren Depression aus der ex ante Sicht des Veranlassers bzw. Förderers von Selbstverletzungen kaum abgrenzbar ist. 543 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 300; Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 317; NK3-Neumann, Vor § 211 Rn. 63; a.A. Roxin, AT II, § 25 Rn. 143; LK12-Schünemann, § 25 Rn. 113 f.; Schönke/Schröder-Heine, § 25 Rn. 12/13.

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Lebens richtig zu beurteilen und nach dieser Einsicht zu handeln, auszugehen ist, eine Einzelfallprüfung aber geboten ist.544 Die Gefahr einer unangemessenen Ausdehnung der Strafbarkeit besteht nicht, solange konkrete Anhaltspunkte für eine seelische Anomalie des Opfers im Umkreis der schweren biologisch-psychologischen Ausgangsbefunde des § 20 StGB gefordert werden und solange das Umschlagen dieser Defekte in die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit durch Veranschaulichung der Motivationshemmnisse konkret zu belegen ist.545 Dass die Einwilligungslösung zu größeren Randunschärfen führt, bedeutet damit keine prinzipielle Schwäche, sondern ist vielmehr notwendige Konsequenz eines sachgerechten Maßstabs.546 Auch die oft verworfene „Ausdehnung der Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft“ auf die Fälle der „Benutzung eines im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB handelnden Werkzeugs“547 ist kleiner als vielfach behauptet wird. Denn mit Rücksicht auf Drogenkonsumenten wird in Rechtsprechung und Literatur davon ausgegangen, dass die Betäubungsmittelabhängigkeit als solche zur Begründung verminderter Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB nicht ausreicht. Diese wird nur ausnahmsweise bejaht, wenn ein langjähriger Konsum zu schweren Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter unter schweren Entzugserscheinungen leidet und dadurch zur Tat getrieben wird.548 Auch bei Selbstmordteilnahme wird es meistens an konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Zustands i.S. des § 21 StGB fehlen. In diesem Zusammenhang ist auf die Erkenntnisse der modernen Suizidforschung zu verweisen, über die jedoch keine Einigkeit besteht.549 Die de lege ferenda Debatte der Verfechter der Exkulpationslösung über die Einführung eines Sondertatbestandes für die Pönalisierung entsprechender Verleitungshandlungen nach dem Vorbild verschiedener ausländischer Rechtsordnungen550 deutet darauf hin, dass in diesen Fällen an einer zu missbilligenden Gefahrschaffung in Richtung auf das Leben nicht zu zweifeln ist.551

544 Schönke/Schröder-Heine, § 25 Rn. 12/13; a.A. Roxin, AT II, § 25 Rn. 144 ff.; LK12Schünemann, § 25 Rn. 121. 545 So zutreffend Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 320. 546 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 167, 177; daran anschließend Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 473; Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 310, 320. 547 So Schünemann, NStZ 1982, S. 62, der darin eine Umgehung der gesetzlichen Wertentscheidung für die Straflosigkeit der Selbstmordteilnahme sieht. 548 Siehe Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 174 m.w.N. 549 Für eine ausführliche Darstellung siehe LK11-Jähnke, Vor § 211 Rn. 27 ff.; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 156 ff.; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 295 ff.; Meyer, Ausschluß der Autonomie, S. 230 ff. 550 Vgl. Art. 115 schweiz. StGB, § 78 öster. StGB; Art. 301 griech. StGB. 551 Siehe hierzu Schöch/Verrel, GA 2005, S. 585; Schroth, GA 2006, S. 566 ff.; Heine u. a., GA 2008, S. 202.

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

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Die von den Anhängern der Einwilligungslösung vorgebrachte Argumentation, die Exkulpationsregeln seien auf die Fremdverletzung zugeschnitten, weshalb der Bezugspunkt für eine Orientierung am Maßstab der Schuldfähigkeit fehle, kann trotzdem nicht weiterhelfen, da auch die Regeln über die Einwilligungsfähigkeit für Fremdverletzungen konzipiert sind.552 Insoweit vermag weder die Exkulpationsnoch die Einwilligungslösung vollends zu befriedigen, da beide auf einer hypothetischen Betrachtung in Form einer gedanklichen Fiktion beruhen. Wir müssen uns aber darauf besinnen, dass die Einwilligungsregeln eine allgemeine Wertung über die Erforderlichkeit und Angemessenheit strafrechtlichen Schutzes von Personen enthalten, die in der konkreten Situation nicht in der Lage sind, die volle Bedeutung und Tragweite ihres güterbeeinträchtigenden Verhaltens zu erfassen oder sich von der entsprechenden Einsicht leiten zu lassen.553 Geht es bei der defizitären Selbstschädigung bzw. -gefährdung wie bei der Einwilligung um die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der Beteiligten, so ist schließlich vorzugswürdig, die normative Relevanz defizitärer Entscheidungen eher in Anlehnung an die Einwilligungslehre als unter Rückgriff auf die allgemeinen strafrechtlichen Zurechnungsregeln zu entwickeln. Bei Selbstgefährdungen ist das Problem der Verantwortlichkeit des Opfers bisher vor allem bei der Förderung bzw. Ermöglichung fremden Drogenkonsums diskutiert worden. Der BGH lässt in solchen Fällen die Strafbarkeit erst dort beginnen, „wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende“.554 Handeln beide hingegen hinsichtlich eines möglichen Todeserfolges mit demselben Risikowissen, so liegt nur eine straflose Mitwirkung an einer Selbstgefährdung vor. Auch in dem umstrittenen AIDS-Fall hat der BGH die Strafbarkeit des Infizierten wegen gefährlicher Körperverletzung bejaht, weil dieser seine eigene Infektion kannte, während der Partner damit lediglich rechnen musste, hierüber aber nicht aufgeklärt worden war.555 Nach der Rechtsprechung des BGH soll dies selbst dann gelten, wenn der Infizierte erkennbar einer sog. Risikogruppe angehört, denn es gehe nicht an, „die Verantwortung für das Vermeiden einer so schwerwiegenden Gefahr von demjenigen, von dem die Gefährdung ausgeht und der dies weiß, zu verlagern auf den Gefährdeten, mag dieser sich auch unvorsichtig verhalten“.556 Auch in der Literatur wird die Frage der Verantwortlichkeit vorwie-

552 Jakobs, AT2, 21/98 Fn. 177; Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 184 f. 553 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 169 f. 554 BGHSt 32, 262, 265; BGH, NStZ 1984, S. 452; BGH, NStZ 1985, S. 25 f.; BGH, NStZ 1986, S. 266; BGH, NStZ 1987, S. 406; BGH, NJW 2000, S. 2286; BayObLG, JZ 1997, S. 521 mit Anm. Otto; BayObLG, NStZ 1997, S. 342; BayObLG, NJW 2003, S. 372 f. 555 BGHSt 36, 1 mit z. T. krit. Rezension Schünemann, JR 1989, S. 89 ff. 556 BGHSt 39, 1, 18; im Ergebnis zust. Puppe, AT/1, § 6 Rn. 21. Differenzierend Bottke, AIFO 1989, S. 470.

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

gend anhand eines Vergleiches zwischen dem Wissen des Opfers und des anderen Beteiligten beantwortet.557 Dass allein ein Wissensvorsprung, d. h. ein unterschiedliches psychisches Faktum, die strafrechtliche Verantwortung dessen, der die Selbstgefährdung ermöglicht oder fördert, begründet, ist aber nicht überzeugend.558 Wie Murmann zutreffend formuliert: „Nicht das überlegene Wissen als solches kann die Verbotenheit der Handlung begründen, sondern allein der Umstand, dass die beabsichtigte Handlung, die in ihrer Gefährlichkeit durch das Sonderwissen lediglich zur Kenntnis des Handelnden gebracht wird, wegen dieser objektiven Gefährlichkeit unerlaubt ist“.559 Es kommt folglich nicht darauf an, ob das Opfer mehr weiß als der Außenstehende, sondern ob es genug weiß, um sich kompetent der Gefahr auszusetzen. Wer sich z. B. wissentlich von einem wegen Trunkenheit vollkommen fahruntüchtigen Autofahrer mitnehmen lässt, ist für seinen dadurch verursachten Unfallschaden auch dann allein verantwortlich, wenn der Fahrer besser als der Fahrgast abschätzen kann, wie gut er im angetrunkenen Zustand noch Auto fährt.560 Unter den Bedingungen des illegalen Betäubungsmittelmarktes darf sich der Drogenkonsument nicht darauf verlassen, dass die ihm überlassene Substanz keinerlei gesundheitsgefährliche Beimischungen enthält oder dass sie keinen erhöhten Wirkungsgrad aufweist als erwartet. Es handelt sich dabei um typische Gefahren der Drogenszene, die vom Gefährdungswissen der Konsumenten umfasst werden.561 Entscheidend ist nicht, wie konkret dem Opfer die Risiken bekannt sind, sondern ob die Wissensdefizite für ihn entscheidungsrelevant sind. Wer sich für eine Selbstgefährdung in dem Bewusstsein entscheidet, dass sie möglicherweise hochriskant ist, ohne dass er die Risiken auch nur näher benennen kann, erklärt implizit, dass für ihn ein besseres Wissen nicht entscheidungsrelevant ist, und trägt für den Eintritt des Erfolges selbst die Verantwortung. Es ist geboten, den Einzelnen vor seiner Unwissenheit zu schützen, aber wenn er sich bewusst für schwer beherrschbare Risiken entscheidet, verdient er keinen Schutz.562

557 Roxin, AT I4, § 11 Rn. 113; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 79; Rengier, BT II, § 8 Rn. 26; LK12-Schünemann, § 25 Rn. 111; Otto, in: FS-Tröndle, S. 174. 558 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 124. 559 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 470. 560 NK3-Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 198; dies., AT/1, § 6 Rn. 10. 561 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 125; so auch Walther, HRRS 2009, S. 563, die lediglich die Verwechslungsgefahr (z. B. reines Heroin statt Kokain) dem Verantwortungsbereich des Überlassenden zuordnet. 562 Nestler, in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 126.

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III. Zur normativen Gleichwertigkeit von Selbstverletzung und einverständlicher Fremdverletzung – eine einheitliche Beurteilung der Verantwortlichkeit für defizitäre Entscheidungen? Die Plausibilität der Gleichstellung der Kriterien der Unwirksamkeit der Einwilligung mit denjenigen des Zurechnungsausschlusses einer Selbstverletzung als eigenverantwortliche Handlung hängt von der Annahme einer normativen Gleichwertigkeit beider Fälle ab. Der autonome Umgang des Individuums mit seinen Rechtsgütern kann einmal im Wege einer eigenhändigen Beeinträchtigung geschehen. Will oder kann der Gutsinhaber diese Art der Freiheitsausübung nicht allein oder selbst durchführen, besteht die Möglichkeit, andere Personen einzuschalten, die ihn dabei unterstützen oder deren Eingriff er zustimmt. Sowohl durch die Selbstschädigung als auch durch die einverständliche Fremdschädigung macht der Rechtsgutsträger von der ihm rechtlich garantierten Handlungsfreiheit Gebrauch.563 In der Variante der einverständlichen Fremdschädigung soll die eingeschaltete Person als der „verlängerte Arm“564 des Gutsinhabers in Funktion treten. In beiden Erscheinungsformen drückt sich daher materiell die Autonomie der Person aus.565 Erblickt man in der Einwilligung lediglich eine delegierte Selbstschädigung bzw. -gefährdung, so liegt eine einheitliche Beurteilung der Verantwortlichkeit für defizitäre Entscheidungen nahe.566 Über das Wie einer solchen Harmonisierung beschreitet man ganz verschiedene Wege: Einerseits werden die im Kontext der Einwilligung für die Behandlung der Willensmängel entwickelten Grundsätze auf die Fälle täterschaftlicher Beteiligung an einer Selbstschädigung angewendet.567 Umgekehrt wollen Jakobs und Göbel die für die mittelbare Täterschaft bei Selbstverletzung des Werkzeugs entwickelten Maßstäbe auf die Einwilligungsdogmatik übertragen.568 Jakobs stuft Einwilligungen, 563 Auf die Strukturgleichheit beider Fallkonstellationen und den sich hieraus ergebenden Wertungswiderspruch zwischen der Straflosigkeit der Selbstverletzung und dem Verbot der Fremdschädigung mit Einwilligung des Betroffenen (§§ 216, 228 StGB) verweisen: Göbel, Einwilligung, S. 99 ff.; Klee, GA 1901, S. 179; Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 174 ff.; ders., in: FS-Puppe, S. 725; Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 148 ff.; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 119 ff.; Krack, KJ 1995, S. 64 ff.; Schmitt, in: FS-Maurach, S. 118 f.; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 52a; Weigend, ZStW 1986, S. 67; a.A. Dölling, GA 1984, S. 79; Engisch, in: FSMayer, S. 412 f.; Hirsch, in: FS-Welzel, S. 780; Roxin, in: FS-Gallas, S. 250. 564 Hirsch, ZStW 1962, S. 104 Fn. 101. 565 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 229, 232. 566 Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 73 ff., 327 ff.; S. Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 174 f.; ders., in: FS-Puppe, S. 725; Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 182 ff. 567 Siehe grundsätzlich Amelung, in: Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium, S. 247 ff.; Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 182 ff., 220; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 35 ff. 568 Jakobs, AT2, 7/118; Göbel, Einwilligung, S. 101 ff. Vgl. auch Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 90 ff.

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die durch nicht rechtsgutsbezogene Täuschungen oder Drohungen zustande kommen, zwar als wirksam ein, zugleich will er aber die Haftung des für den Irrtum oder die Nötigung Zuständigen als mittelbarer Täter bejahen. Dogmatisch sieht Jakobs den Einwilligenden als Werkzeug an, während als mittelbarer Täter auftrete, wer für den Grund des Willensmangels der wirksamen Einwilligung zuständig sei.569 Der Unterschied zwischen der Konzeption von Jakobs und der herkömmlichen Auffassung besteht darin, dass Jakobs das haftungsbegründende Verhalten vorverlagert. Nicht mehr der unmittelbare Gutseingriff, der aufgrund einer unwirksamen Einwilligung vorgenommen wird, löst die Haftung des Täters aus, sondern die im Vorfeld begründete Zuständigkeit für die Defektlage. Diese Aufspaltung in einen haftungsbegründenden Akt der unlauteren Willensbeeinflussung und einen dem Opfer zugeschriebenen Eingriffsakt wirkt lebensfremd.570 Den Eingreifenden auf die Funktion eines verlängerten Arms zu reduzieren, der sich dem Willen des Gutsinhabers unterordnet, welchen er selbst vorher manipuliert hat, erscheint widersprüchlich. Der Haupteinwand gegen Jakobs’ Konstruktion liegt also darin, dass sie die Handlungsstruktur des Täters verfälscht. Denn es hat keinen Sinn, den Einwilligenden als Werkzeug anzusehen, weil dann das dem mittelbaren Täter zuzurechnende Verhalten des Werkzeugs das Einwilligen selbst sein müsste. Der Täter haftet jedoch nicht für ein (sogar wirksames) Einwilligen des Opfers, sondern vielmehr für ein Verhalten, wodurch er seine Pflichten verletzt.571 In Fällen von unwirksamer Einwilligung kann somit der Täter allein unmittelbarer Täter sein. Gegen eine Harmonisierung der Haftungsmaßstäbe von Täterschafts- und Einwilligungslehre wird aber geltend gemacht, dass das Gesetz in den §§ 216, 228 StGB einen generellen Wertungsunterschied zwischen Selbstverletzung und einverständlicher Fremdverletzung zum Ausdruck gebracht habe.572 Ob sich daraus allerdings ein generelles Verbot der Gleichbehandlung beider Verletzungsmodalitäten ableiten lässt, ist äußerst zweifelhaft. Bei §§ 216, 228 StGB handelt es sich um Ausnahmevorschriften, die am Grundsatz der ansonsten umfassenden Verfügungsbefugnis über Individualrechtsgüter nichts ändern.573 Nach Roxin sei der Einwilligende deshalb stärker schutzbedürftig, weil er „meist keinen Einfluss auf das weitere Geschehen“ habe, während der sich selbst Schädigende „bis zuletzt Herr der Situation“ sei.574 Das ist schon faktisch nicht besonders überzeugend, da der Einwil-

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Jakobs, AT2, 7/118. Rönnau, Willensmängel, S. 396. 571 So zutreffend Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 173. 572 Geppert, ZStW 1971, S. 963; Noll, Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 66 f.; Roxin, in: FS-Gallas, S. 250. 573 Vgl. Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 101; Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 141 f. 574 Roxin, TuT8, S. 668; ders., FS-Gallas, S. 249 f.; auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 95; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 37. 570

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ligende seine Zustimmung jederzeit widerrufen kann.575 Wenn dies den Täter nicht von der Vornahme der verletzenden Handlung abhalten muss, so führt ein solcher Widerruf dazu, dass eine Rechtfertigung nicht erst wegen mangelnder Wirksamkeit der Einwilligung, sondern wegen deren Fehlens ausgeschlossen ist. Es ist demnach eine Fremdverletzung, deren Qualität durch die vorübergehende Bewilligung nicht berührt wird.576 Es ist schließlich nicht einzusehen, warum der instrumentalen Steuerungsmacht des Außenstehenden für die normative Relevanz von Entscheidungsdefiziten Gewicht zukommen soll. Mit Recht macht Murmann darauf aufmerksam, dass es zu einem Zirkelschluss führen würde, aus dem Kriterium der Tatherrschaft ableiten zu wollen, welches Defizit zur Begründung von Tatherrschaft ausreicht. Denn ob der Außenstehende die Tatherrschaft hat, hängt maßgeblich davon ab, ob ein Entscheidungsdefizit des Vordermannes die Herrschaft des Hintermannes begründet. Trotzdem fordert auch Murmann die Entwicklung differenzierter Lösungen, um zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen, wobei er mit Blick auf die sachliche Nähe der selbstschädigenden bzw. -gefährdenden Entscheidung zur Einwilligung den dort anzulegenden Maßstäbe eine Führungsfunktion zuweist.577 Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die folgende Betrachtung: Während bei der Einwilligung das Entscheidungsdefizit nur mittelbar für die Haftung des Außenstehenden bedeutsam sei, nämlich soweit es einer Einwilligung die Wirksamkeit nehme und damit die im nicht modifizierten Rechtsverhältnis geltenden Verhaltensnormen ihre Wirksamkeit behielten, komme das Defizit in den Fällen der bewussten Selbstschädigung und -gefährdung gleichsam unmittelbar als Grund dafür in Betracht, dass das Verhalten des Außenstehenden das Rechtsverhältnis verletze.578 Für Murmann liegt die normative Relevanz eines Defizits im Fall der Einwilligung darin, dass eine Erweiterung des rechtlichen Handlungsspielraums des Außenstehenden misslingt, während die mit Blick auf ein mögliches Entscheidungsdefizit missbilligte Schaffung des Risikos einer Selbstchädigung bzw. -gefährdung gerade umgekehrt die Einschränkung einer sonst dem Außenstehenden zustehenden Freiheit bedeutet.579 Wenn die Handlungsfreiheit des Außenstehenden in diesen Fallkonstellationen in prinzipiell unterschiedlichem Maße betroffen sei, dann wäre es eine inkonsistente Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte, möglichen Schutzbedürfnissen des Opfers mit Blick auf defizitäre selbstverfügende Entscheidungen in den beiden Fallgruppen in gleichem Umfang zu verschaffen. Es sei folglich sachgerecht, die Verantwortungsbereiche des Opfers für Defizite bei selbstschädigenden bzw. -ge575 Siehe dazu Amelung, in: Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium, S. 252 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 170 Fn. 63; Göbel, Einwilligung, S. 101; Krack, KJ 1995, S. 66; Kußmann, Einwilligung, S. 133; Rönnau, Willensmängel, S. 393. 576 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 476. 577 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 478 ff. 578 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 446. 579 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 479 (Hervorhebung im Original).

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fährdenden Entscheidungen im Verhältnis zum Außenstehenden weiter zu schneiden als bei der Einwilligung.580 Als Differenzierungskriterien für die Konturierung der Verantwortungsbereiche im Falle von defizitären Entscheidungen bei der Einwilligung einerseits und bei der Selbstschädigung bzw. -gefährdung andererseits nennt er die Größe der Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Risikos sowie die Größe des Risikos.581 Während sich mit der Vornahme der bewilligten Handlung das Entscheidungsdefizit immer schon in der Verletzung realisiere, schaffen solche Handlungen, die Selbstschädigungen bzw. -gefährdungen ermöglichen oder erleichtern, lediglich ein mehr oder weniger großes Risiko, dass es tatsächlich zu einer solchen Selbstverfügung komme.582 Wenn Murmann auf den äußeren Modus der selbstschädigenden Ausführungshandlung abstellen will, dann ist dies darauf zurückzuführen, dass er in seinem System keinen Begriff für ein „an und für sich normativ relevantes Defizit“ hat und statt dessen, wenn er ein Entscheidungsdefizit qualitativ einordnet, stets bereits die endgültige Konturierung von Verantwortungsbereichen betreibt.583 Die Weichenstellung in der Argumentation von Murmann liegt also darin, dass er bei fehlender Verantwortlichkeit des Rechtsgutsinhabers im Fall der Selbstschädigung bzw. -gefährdung unmittelbar über die Missbilligung des bereits als solches zugerechneten Täterverhaltens entscheidet, während die herrschende Leinung die als defizitär etikettierte Opferentscheidung in einem weiteren Schritt daraufhin untersucht, ob sie dem Täter auch zugerechnet werden kann.584 Diese normative Frage bestimmt sich aber nach der Risikoverteilung zwischen den interagierenden Parteien. Damit ergibt sich entgegen Murmann kein Unterschied zwischen der die Anwendung eines einheitlichen Maßstabs der Verantwortlichkeit befürwortenden Auffassung und seiner Konzeption. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen fällt die Antwort auf die eingangs gestellte Frage leicht: Der Maßstab der Verantwortlichkeit bei selbstverfügenden Entscheidungen ist unabhängig davon zu bestimmen, ob der zur Beurteilung stehende Entschluss eigen- oder fremdhändig in die Tat umgesetzt wird. Indizien für das Vorliegen einer defizitären Entscheidung sollten sich im Ergebnis an den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung orientieren.

IV. §§ 216, 228 StGB als abstrakter Schutz vor der Gefahr von Entscheidungsdefiziten Eine Ausnahme von dem Prinzip, dass bei freiverantwortlichen, selbstverfügenden Verhaltensweisen die sich daraus ergebenden Folgen in den Verantwor580 581 582 583 584

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 482. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 487. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 487. Vgl. Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 144. In diesem Sinne auch Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 172 f.

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tungsbereich des Rechtsgutsinhabers fallen, stellen die §§ 216, 228 StGB dar. Diese schränken nämlich das Recht, in freier Selbstbestimmung über eigene Rechtsgüter verfügen zu können, ein. Die bisherigen Bemühungen, einen Maßstab für objektive Schranken der Einwilligung von autonom handelnden Personen zu bestimmen, geraten in eine Sackgasse. Objektive Schranken der Einwilligung, die moralistisch, utilitaristisch oder nicht autonomieorientiert paternalistisch begründet werden, sind mit der individualschützenden Konzeption des Grundgesetzes und der liberalen Rechtsgutstheorie unvereinbar. Will man nicht auf eine hart paternalistische Position zurückfallen und die Einschränkung der Dispositionsbefugnis über das Leben und die körperliche Integrität in den Dienst von Interessen Dritter stellen, liegt es nahe, eine autonomieorientierte Erklärung der §§ 216, 228 StGB zugrunde zu legen. Im neueren Schrifttum finden sich daher Ansätze, die §§ 216, 228 StGB nicht als objektive Schranken der Einwilligung interpretieren, sondern als subjektive Schranken, die sich aus dem Selbstbestimmungsrecht ergeben und der Sicherung der Freiwilligkeit der Einwilligung dienen. Es soll im Folgenden aufgezeigt werden, dass die staatliche Fürsorge für menschliches Leben und körperliche Integrität mit der Selbstverfügungsfreiheit des Rechtsgutsinhabers unter weich paternalistischen Gesichtspunkten kompatibel ist. Es handelt sich dabei um die Funktion des weichen Paternalismus als Erweiterungsprinzip der Kriminalisierung: Da eine Absicherung der Entscheidungsautonomie des Rechtsgutsinhabers in diesen Fällen auf andere Weise nicht mit Sicherheit gewährleistet werden kann, wird es bewusst in Kauf genommen, dass auch jener Täter bestraft wird, obwohl im Einzelfall tatsächlich kein Entscheidungsdefizit vorlag. 1. Die abstrakte Gefahr fehlender Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens Eine auf weich paternalistische Grundlage gestützte Legitimation der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen setzt voraus, dass das Opfer sich nicht freiverantwortlich für die Vernichtung seines Lebens entscheidet. Wer § 216 StGB paternalistisch zu begründen versucht und den seine Tötung Verlangenden der Sache nach als Einwilligungsunfähigen behandelt, kann jedoch schwerlich den vorausgesetzten Sterbewunsch als „ernstlich“ qualifizieren.585 Denn § 216 StGB weist die Besonderheit auf, dass bei Vorliegen gewisser Entscheidungsdefizite bereits eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift ausgeschlossen ist. Fehlt es an einem ernstlichen Tötungsverlangen, so kommen §§ 212, 211 StGB zum Zuge. Eine teleologisch schlüssige Interpretation des § 216 StGB soll daher zweierlei in sich aufnehmen und widerspruchslos erklären: Zum einen den Schutz des Individualrechtsguts „Leben“ und zum anderen 585 Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 124 f., stößt sich an dem Befund, dass im Rahmen des § 216 StGB eine fehlende Verantwortlichkeit des Tötungsverlangens praktisch ausgeschlossen ist und kommt zu dem unzutreffenden Ergebnis, die Norm diene nicht dem Schutz des Lebens des Opfers, sondern den Interessen der Allgemeinheit oder Dritter.

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den Aspekt der abstrakten Gefahr des Fehlens der Voraussetzungen einer wirksamen Disposition des Rechtsgutsinhabers.586 Eine weich paternalistische Interpretation des Strafgrundes des § 216 StGB anhand des Kriteriums einer abstrakten Gefährdung des Lebensinteresses hat als erster Jakobs aufgestellt.587 Der durch die Strafandrohung der Norm bewirkte Schutz des Sterbewilligen gelte, so Jakobs, nicht unmittelbar dessen Leben, denn die konkrete Tat vernichte wegen der im Verlangen gegebenen Organisation des Lebensmüden kein geschütztes Leben.588 Es gehe nicht um die Erfassung von Tötungsunrecht, sondern nur um einen abstrakteren Zusammenhang: § 216 StGB garantiere, dass der Selbsttötungswille des Lebensmüden nur dann verwirklicht werde, wenn er subjektiv vollzugsreif, d. h. vollständig aus einer Zwecksetzung des Lebensmüden begründet sei. Damit werden Zweifel an der subjektiven Vollzugsreife a limine ausgeschlossen.589 Eigenhändige Selbsttötung und arbeitsteilige in Gestalt der Tötung auf Verlangen unterscheiden sich gerade darin, dass allein bei ersterer nie Zweifel an der subjektiven Vollzugsreife aufkommen können, während bei letzterer die Vollzugsreife immerhin bezweifelt werden möge.590 In Jakobs’ Terminologie liegt eine abstrakte Gefährdung in der potenziell fehlenden Korrespondenz zwischen subjektivem „Verstand“ des Einwilligenden und objektiver „Vernunft“.591 Denn die abstrakte Gefahr für das Vorliegen eines Mangels resultiere daraus, dass der Sterbewillige wisse, dass sich der Adressat nach seinem Verlangen zum Vollzug der Tötung entschließen muss, und deshalb jenem die Prüfung oder gar Findung der Gründe für die Tötung zugeschieben mag.592 Der Lebensmüde geriere sich damit als Verlangender, ohne den Todeswunsch für sich aus einer eigenen Zwecksetzung heraus begründet zu haben. Gegen das von Jakobs entwickelte Konzept lassen sich gewichtige Einwände geltend machen. Die Postulierung der „eigenen Zweckverfolgung“ als zusätzliche Voraussetzung der Wirksamkeit der Verfügung über das Leben widerspricht der Gesetzesregelung, wonach der Nachweis der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens ausreicht.593 Nach herrschender Auffassung hat die Verfügung über Individualgüter bereits rechtlichen Bestand, wenn der Disponierende Art und Ausmaß der Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter übersieht und die seinem Entschluss zugrunde liegenden Tatsachen der Wirklichkeit entsprechen. Es geht also nur um das Fehlen 586

Vgl. Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 121. Inzwischen hat Jakobs, in: FS-Kaufmann, S. 467 f., seine frühere Auffassung, derzufolge § 216 StGB eine Vorschrift sei, die „in paternalistischer Haltung eine Norm gegen eventuelle Voreiligkeiten beim Umgang mit dem eigenen Leben“ statuiere, modifiziert. 588 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19. 589 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 23. 590 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 22. 591 Jakobs, in: FS-Schroeder, S. 519. 592 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 21. 593 Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 68; Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 105 f. 587

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bestimmter Willensmängel, nicht jedoch positiv darum, bestimmte inhaltliche Anforderungen an diese Begründungszusammenhänge zu stellen. Die Sicherung der Qualität bzw. Plausibilität der Motive des Sterbewilligen deutet auf den Versuch hin, den Anwendungsbereich des § 216 StGB auf Fälle objektiv vernünftiger Sterbewünsche zu beschränken. Denn selbstverständlich korrespondieren objektive Vernünftigkeit und subjektive Zwecksetzung nicht notwendig miteinander, so dass durch eine solche Interpretation die Möglichkeit eröffnet wird, subjektiv nicht vollzugsreife Sterbewünsche nach fremdgesetzten Zwecken zu beurteilen.594 Es ist außerdem praktisch unmöglich für den Außenstehenden, diesen geforderten Zweckzusammenhang nachzuweisen. Denn ihm wird eine Nachprüfung zugetraut, mit der eine Sicherheit für die Richtigkeit einer Entscheidung erreicht werden soll, die der die Tötung Verlangende für sich nicht herstellen kann oder will.595 Ein Dritter kann aber schwer in Worte fassen, wie sich der Entschluss des Verlangenden im Einzelnen begründen lässt. Der Entscheidende wird also weniger über die Richtigkeit seiner Entscheidung, sondern vielmehr etwas über die Einstellung des Außenstehenden erfahren.596 Es ist zudem empirisch fraglich, ob der von Jakobs geltend gemachte Konnex von Eigenhändigkeit des Vollzugs und Vollständigkeit des Begründungszusammenhangs einer Selbsttötung zutrifft. Der dahinter stehende Gedanke, der Sterbewillige solle sich die Konsequenzen seines Handelns vor Augen führen und seine Zwecksetzung nochmals kritisch prüfen, ist zwar stichhaltig. Das alleinige Abstellen auf den äußeren Modus der Ausführung der Tat erweist sich jedoch als unbegründeter Naturalismus. Denn die Gefahr nicht wohl überlegter Suizidvorhaben ist gerade dann besonders hoch, wenn der Sterbewillige die Ausführung selbst unternimmt.597 Schließlich kann der Wunsch nach Überprüfung durch den Außenstehenden bei eigenhändiger Ausführung durch die einkalkulierte Möglichkeit einer Rettung ersetzt werden, wie es in Appellsuiziden der Fall sein kann.598 Damit ist aber noch nicht ausgemacht, dass der Gedanke, § 216 StGB sei als abstraktes Gefährdungsdelikt zu interpretieren, für sich genommen in eine Sackgasse führt. Bei einer Tötung auf Verlangen liegt nämlich eine spezifische Gefährdungslage für Irrtümer des Handelnden über das Vorliegen eines ernsthaften Verlangens vor. Denn die vom Täter zu ermittelnden Umstände wurzeln im Inneren der Person des Verlangenden und entziehen sich damit seiner unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung.599 Ob der Verlangende sich in einer seelischen Verfassung befindet, die es ihm konstitutionell erlaubt, wirksam über sein Leben zu verfügen, ob er die für seine 594 Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 118 f.; Roxin, in: FS-Jakobs, S. 575 f., weist zu Recht auf die mangelnde Standardisierbarkeit existentieller Entscheidungen hin. 595 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 526 f. 596 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 527. 597 Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 112. 598 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 527. 599 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 489.

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Entscheidung relevanten Tatsachen hinreichend überschaut und schließlich, ob er an seinem Verlangen tatsächlich festhalten will, lässt sich für den Handelnden nicht mit Sicherheit einschätzen.600 Die Unsicherheit über das Vorliegen einer defizitären Entscheidung des die Tötung Verlangenden stellt also die Besonderheit der vorliegenden Situation dar. Diese Argumentation ist von jenen Ansätzen abzugrenzen, wonach die Ratio des § 216 StGB darin zu sehen ist, dass der Sterbewillige „vor einer leichtsinnig oder übereilt getroffenen Entscheidung zur Lebensbeendigung geschützt werden“ müsse.601 Das Argument erreicht dort seine Grenzen, wo der Lebensmüde wohl überlegte und plausible Gründe für seinen Todeswunsch anführen könnte.602 Denn § 216 StGB erfasst seinem Wortlaut nach nicht nur die Fälle eines übereilten Tötungsverlangens, sondern auch diejenigen Konstellationen, in denen jeder normal empfindende Mensch den Tod einem qualvollen Weiterleben vorziehen würde.603 Das würde zu Ausweitungen der noch heute überwiegend für unzulässig gehaltenen aktiven direkten Sterbehilfe führen. Angesichts der eindeutigen Fassung dieser Vorschrift, welche uneingeschränkt ein Fremdtötungsverbot statuiert, würde de lege lata die Straffreistellung einer aktiven Sterbehilfe bei plausiblem Verlangen des Sterbewilligen die Grenze zulässiger Gesetzesauslegung überschreiten.604 Eine Erklärung der Strafvorschrift des § 216 StGB allein aus dem Gedanken eines Schutzes des Rechtsgutsinhabers vor Voreiligkeiten heraus ist mithin keineswegs schlüssig. Die von Jakobs eingeführte abstrakte Gefährdungsstruktur des § 216 StGB wird insbesondere von Murmann aufgegriffen und für eine schlüssige Interpretation des Strafgrundes der Norm fruchtbar gemacht. Im Mittelpunkt steht das Bemühen Murmanns, das Merkmal der „Ernstlichkeit“ des Tötungsverlangens seinem Konzept der teleologischen Struktur der Norm anzupassen. Er meint, dies komme „nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass die Wirksamkeit der Einwilligung in eine Fremdtötung das Vorliegen einer von Defiziten freien Entscheidung in einem Umfang voraussetzen würde, der noch über die Voraussetzungen eines ernstlichen Tötungsverlangens hinausgeht“.605 Für eine Verschiebung der Verantwortungsbereiche zulasten des Außenstehenden spricht nach Murmann zunächst der besondere Wert des Rechtsguts „Leben“. Das Leben stelle nämlich die Basis für alle weiteren Entfaltungsmöglichkeiten dar und sein Verlust sei irreparabel für den Rechtsgutsinhaber. Vor diesem Hintergrund erscheint es angemessen, das defizitäre Tötungsverlangen anders zu behandeln als Defizite bei dem Verlangen der Beeinträchtigung

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Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 122. Hoerster, NJW 1986, S. 1789; ders., ZRP 1988, S. 3. 602 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 179. 603 Neumann, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 254. 604 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 113. 605 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 493. 601

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anderer Rechtsgüter.606 Damit ist auch für Murmann die Möglichkeit eröffnet, das bloße Risiko einer defizitären Entscheidung des Sterbewilligen für die Einschränkung der Handlungsfreiheit des Dritten geltend zu machen.607 Es stellt sich weiterhin die Frage, ob es mit Blick auf die bloße Möglichkeit eines Entscheidungsdefizits berechtigt sein kann, auch solchen Entscheidungen die Wirksamkeit zu versagen, die in Wahrheit nicht defizitär getroffen wurden. Es ist Murmann zuzustimmen, dass angesichts des Wertes des Rechtsgutes, der Höhe des Risikos und der irreversiblen Folgen die Möglichkeit hinzunehmen ist, dass einer selbstbestimmten Entscheidung die Wirksamkeit versagt wird.608 Fragwürdig erscheint allerdings die Annahme Murmanns, den Umstand, dass der Lebensmüde die Ausführungshandlung delegiert, als Indiz für das Vorliegen eines Entscheidungsdefizits zu bewerten.609 Es wird vielfach im Schrifttum argumentiert, dass die Delegation der Ausführung der Tötungshandlung Ausdruck der Unfähigkeit der Überwindung der natürlichen Selbsttötungshemmung durch den Sterbewilligen ist, die ihrerseits auf eine Schwäche des Selbsttötungsentschlusses hindeutet.610 Damit wird in den Fällen eigenhändiger Selbsttötung die Ernstlichkeit des Sterbewunsches als dogmatisches Erfordernis durch die Eigenhändigkeit der Tatausführung ersetzt. Dies wird jedoch problematisch in den Fällen der sog. Appellsuizide, in denen der Suizident nicht wirklich zu sterben beabsichtigt, sondern aus einer augenblicklichen emotionalen Erschütterung heraus den Selbstmordversuch als Mittel zum Appell an andere einsetzt, in der Hoffnung, sein Hilferuf werde gehört.611 Die Delegation der Ausführung als Indiz für ein Entscheidungsdefizit erreicht jedenfalls dort ihre Grenzen, wo die gewählte äußere Form der Selbstverfügung ihren Grund nicht in psychischen Hemmnissen hat, sondern die unvermeidliche Folge eines physischen Defizits darstellt oder aus besonderen Gründen erklärt werden kann.612 Ein struktureller Unterschied zwischen der Autonomie des Sterbewunsches im Fall der Selbsttötung und im Fall der Tötung auf Verlangen kann deshalb nicht anerkannt werden.

606 Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 125; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 494. 607 Vgl. auch von der Pfordten, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 199 f. 608 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 495 f. 609 Vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 496. 610 Engisch, in: FS-Dreher, S. 318; Roxin, in: GA-FS, S. 184; ders., NStZ 1987, S. 347; ders., TuT8, S. 569; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 265 ff.; Dölling, NJW 1986, S. 1012; Verrel, JZ 1996, S. 226. 611 Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 137. 612 Hierzu eingehend Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 499 f.; Neumann, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 255 f.; von Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 679 f.; dies., in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, S. 80 f.; Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 148.

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Murmann stellt zutreffend fest, dass die Vorverlagerung der Strafbarkeit bei § 216 StGB im Vergleich zu den herkömmlichen abstrakten Gefährdungsdelikten eine Besonderheit aufweist. Die Unsicherheit bezieht sich nicht auf die künftige Entwicklung eines typischerweise gefährlichen Verhaltens, sondern auf einen zum Tatzeitpunkt gegebenen Umstand, nämlich auf das Risiko des Vorliegens eines Entscheidungsdefizits.613 Trotzdem bleibt als wesentliche Parallele zu den klassischen abstrakten Gefährdungsdelikten das Erfordernis einer Handlungssituation, bei deren Vorliegen von einem die Pönalisierung legitimierenden Risiko ausgegangen wird, dass das Rechtsgut ohne wirksame Einwilligung verletzt wird. Die dargestellte Interpretation des § 216 StGB liefert zugleich eine befriedigende Erklärung für die Asymmetrie zwischen der strafbaren Tötung auf Verlangen und der straflosen Suizidbeihilfe. Es würde zu weit gehen, allein wegen der abstrakt bestehenden Möglichkeit des Vorliegens von Autonomiedefiziten jegliche Handlung mit kausalem Bezug zur Herbeiführung eines vom Rechtsgutsinhaber gewollten Todes zu unterbinden. Die dem Unrechtstypus zuzuordnenden Verhaltensweisen sollen nämlich nicht nur eine besondere Riskantheit im Bezug auf die Gefahr des Vollzugs defizitärer Entscheidungen aufweisen, sondern deren Gefährdungspotential muss darüber hinaus mit einer Evidenz ausgestattet sein, die dem Normadressaten einen Zugang zur Erkenntnis der Verbotswidrigkeit seines Verhaltens vermittelt.614 Dies dürfte bei bloßen Unterstützungshandlungen nicht der Fall sein. Mit Recht bemerkt Müller, dass der zur Selbsttötung noch nicht Entschlossene zum Zeitpunkt der Vornahme einer Anstiftungshandlung nicht generell Anlass dazu gibt, die Potenz seines Willens, freiverantwortlich über seine Rechtsgüter zu verfügen, in Frage zu stellen.615 Die differenzierte Behandlung zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und straffreier Teilnahme am Suizid knüpft schließlich an eine vom Gesetzgeber vorgenommene Abwägung zwischen der Gefahr einer Vernachlässigung des Schutzes des Lebensinteresses durch das Zulassen des Vollzugs defizitärer Verfügungen und dem Eingriff in die Selbstbestimmungsfreiheit über das „Wie“ eines tatsächlich autonom getroffenen Selbsttötungsentschlusses an. Ein zu weit gehendes Bemühen nach Risikominimierung würde also unverhältnismäßig in die Freiheit des Einzelnen bei der Umsetzung seines suizidalen Vorhabens eingreifen.616 2. Der Verstoß gegen die guten Sitten als (mögliche) Verfehlung der Autonomie des Einwilligenden Frisch hat in die Diskussion um die Legitimation des § 228 StGB den Gedanken eingeführt, dass die Sittenwidrigkeit der Tat eine Chiffre für das Vorliegen einer 613 Auf diesen Unterschied weist selbst Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 497 hin. 614 Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 175 f. 615 Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 177. 616 Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 177 f.

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defizitären Entscheidung des Einwilligenden sei.617 § 228 StGB soll nämlich effizienten Schutz vor Güterbeeinträchtigungen in solchen Fällen gewähren, in denen die Einwilligungsfähigkeit oder das Vorliegen von Willensmängeln nicht bekannt oder nicht ohne weiteres erkennbar seien.618 Nach Frisch kommt die Unwirksamkeit der Einwilligung nur dann in Betracht, „wenn der Inhalt der Einwilligung so ist, dass diese sich nicht als Ausdruck der Entscheidung einer autonomen Person begreifen lässt – weil eine vernünftige Person eine solche Einwilligung nicht erteilen würde“.619 Er gibt zu, dass die Grenzen zwischen Vernünftigkeit und Unvernünftigkeit bestimmter Entscheidungen äußerst fließend sind. Diesem Umstand will er Rechnung tragen, indem er die Unwirksamkeit der Einwilligung auf Sachverhalte beschränkt, in denen die Unvernünftigkeit evident ist.620 Dabei soll das Interesse der vernünftigen Person, die Folgen einer unvernünftigen (Einwilligungs-)Entscheidung zu vermeiden, eindeutig größer sein als ihr Interesse, dass man ihrer Entscheidung ohne Rücksicht auf deren mögliche oder nachträglich erkennbare Unvernünftigkeit Rechnung tragen möge.621 Dies lässt sich allgemein nur für einen kleinen Kreis von Sachverhalten sagen. In der praktischen Umsetzung seines Konzepts kommt Frisch nämlich zu einem beschränkten Anwendungsbereich der Sittenwidrigkeitsklausel: Nicht als Ausdruck der Entscheidung eines Vernünftigen begreifbar seien hauptsächlich „gravierende körperliche Eingriffe, insbesondere solche mit irreversiblen Folgen, die ohne ersichtlichen oder nachvollziehbaren Grund verlangt oder bewilligt werden“.622 Hierzu zählten die Preisgabe wichtiger Organe, die Einwilligung in eine Verstümmelung oder in eine Amputation wichtiger Körperteile, da eine vernünftige Person Entscheidungen dieser Art allein auf der Basis eines ganz begrenzten Kanons hinreichender Gründe träfe.623 Das Vorhandensein einer autonomen Entscheidung könne auch dann in Frage gestellt werden, „wenn zwischen den für die Handlung sprechenden Gründen und den mit ihr verbundenen Gefahren auch unter Berücksichtigung der Bandbreite subjektiver Präferenzen ein so offensichtliches Missverhältnis besteht, dass es zu ihr bei der Entscheidung eines Vernünftigen nur im Irrtumsfall käme“.624 Hier nennt er als Beispiele die Einwilligung in offenbar sinnlose, aber hochgefährliche Humanexperimente oder in Züchtigungen und Bestrafungsaktionen mit naheliegenden schweren Folgen oder das Einverständnis mit kurpfuscherischen Eingriffen, die mit erheblichen Gefahren für Leib oder Leben behaftet sind.

617 618 619 620 621 622 623 624

Frisch, in: FS-Hirsch, S. 491 ff. Frisch, in: FS-Hirsch, S. 494. Frisch, in: FS-Hirsch, S. 496. Frisch, in: FS-Hirsch, S. 497. Frisch, in: FS-Hirsch, S. 497. Frisch, in: FS-Hirsch, S. 499. Frisch, in: FS-Hirsch, S. 499. Frisch, in: FS-Hirsch, S. 500.

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Die von Frisch vertretene Beschränkung der Einwilligungsfreiheit bei vermuteten defizitären Entscheidungen stellt auf den ersten Blick eine autonomieorientierte, weich paternalistische Bevormundung des Einzelnen dar.625 Denn die Einschränkung der Dispositionsbefugnis des Einzelnen über seine körperliche Integrität ergibt sich nur aus den immanenten Schranken des Selbstbestimmungsrechts selbst.626 Diese Einsicht wird jedoch durch die Bezugnahme auf den Maßstab der vernünftigen Person in Frage gestellt. Indem Frisch von der objektiven Unvernünftigkeit der Entscheidung ausgeht627 und die Wirksamkeit der Einwilligung verneint, sieht er sich dem Vorwurf einer Bevormundung durch Vernunftpaternalismus ausgesetzt.628 Die Freiheit, auch in extremen Situationen unvernünftig nach objektiven Maßstäben zu entscheiden, ist für eine liberale Rechtsordnung Teil der Autonomie einer einwilligungsfähigen und freiverantwortlich handelnden Person.629 Murmann versucht der Gefahr des Vernunftpaternalismus dadurch zu entgehen, dass er die Sittenwidrigkeit der Einwilligung bereits dann für gegeben hält, wenn das Risiko einer defizitären Entscheidung des Einwilligenden besteht. Im Anschluss an Frisch geht er von der naheliegenden Möglichkeit aus, dass eine unvernünftige Entscheidung nicht nur die objektiv anerkannten Maßstäbe selbstbestimmter Entscheidungen verfehle, sondern auch die Maßstäbe der entscheidenden Person selbst.630 Er führt aus: „Es wird also nicht behauptet, dass eine objektiv vernunftwidrige Entscheidung auch die Vernunft des Entscheidenden verfehlt, aber es wird darauf hingewiesen, dass dies bei besonders krassen Abweichungen von der Norm immerhin nahe liegt“.631 Er gibt zu, dass immer auch die Möglichkeit bleibt, dass die aus einer objektiven Perspektive unvernünftige Entscheidung frei von Defiziten getroffen wurde. Bei der rechtlichen Beurteilung von Entscheidungen zweifelhafter Qualität seien aber allgemeine Prinzipien maßgeblich: „Das Risiko, dass einer frei von Defiziten getroffenen Entscheidung die Wirksamkeit versagt wird, muss gegen das Risiko abgewogen werden, dass eine defizitäre Entscheidung vorliegt, bei deren Vollzug die betreffenden Rechtsgüter verletzt oder zumindest gefährdet werden“.632 Bei § 228 StGB geht es nicht mehr um die Aufklärung eines konkreten Defizits, 625 Den paternalistischen Charakter seines Ansatzes bestreitet aber Frisch, in: FS-Hirsch, S. 495. 626 Duttge, in: GS-Schlüchter, S. 776; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 125. 627 Frisch, in: FS-Hirsch, S. 498, spricht von einer „aus der Sicht Dritter gegebenen oder naheliegenden“ Unvernünftigkeit. 628 Duttge, in: GS-Schlüchter, S. 777: „jener diffuse Maßstab“; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 125; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 502 f.; Rönnau, Willensmängel, S. 168 f.; Roxin, AT I4, § 13 Rn. 52; SternbergLieben, in: FS-Keller, S. 309: „Gouvernantenkonzept“; ders., in: FS-Amelung, S. 337; abgeschwächt MK-Hardtung, § 228 Rn. 22. 629 Hirsch, in: FS-Amelung, S. 191. 630 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 503 (Hervorhebung im Original). 631 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 503. 632 Murmann, in: FS-Puppe, S. 787.

B. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit wegen defizitärer Entscheidungen

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sondern um das Vorliegen von Umständen, die ein relevantes Defizit indizieren.633 Indizien für den defizitären Charakter der Entscheidung ergeben sich nach Murmann aus der Delegation der Ausführungshandlung in Zusammenhang mit dem besonderen Gewicht des Eingriffs und dessen fehlender Sinnhaftigkeit.634 Murmann gelingt es auf diese Weise § 228 StGB als individualschützende Norm zu interpretieren, ohne den Autonomiebegriff mit der Vernünftigkeit zu vermengen und paternalistisch aufzuladen. Denn die Unbeachtlichkeit der Entscheidung folgt nicht daraus, dass die Allgemeinheit ihr eigenes Urteil an die Stelle der Wertung des Rechtsgutsträgers setzt und damit eine bessere Einsicht in Anspruch nimmt. Dennoch ist die Orientierung Murmanns an der Intensität und der fehlenden Sinnhaftigkeit des Eingriffs zu indifferenziert und nicht eng genug auf das maßgebliche Kriterium des möglichen Autonomiedefizits bezogen.635 Die Indizien für das Vorliegen einer defizitären Entscheidung sollten sich vielmehr an den strafrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung orientieren. Sicherlich ist eine sinnlose Einwilligungsentscheidung mit gravierenden Folgen immer ein Anlass, die Einwilligungsfähigkeit der Person bzw. das Vorliegen von Willensmängeln gründlich zu prüfen. Es müssen aber konkrete Anhaltspunkte dafür benannt werden können, dass dem Einwilligenden die Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt, dass er genötigt wird oder sonst einem beachtlichen Willensmangel unterliegt.636 Sein Lösungsansatz vermeidet zwar die Rechtsgutsvertauschung der §§ 223 ff. StGB637, da er an der Art des Rechtsgutsangriffs ansetzt. Da schon das Risiko des Vorliegens einer defizitären Entscheidung strafbarkeitsbegründend wirkt, erstreckt sich aber die Strafbarkeit nach §§ 223 ff. StGB auch auf solche Fälle, in denen in Wahrheit eine autonome Entscheidung der Person vorliegt, es also objektiv an einer Rechtsgutsverletzung fehlt. Damit nehmen die Verletzungsdelikte der §§ 223 ff. im Anwendungsbereich von § 228 StGB den Charakter von abstrakten Gefährdungsdelikten an.638 Daraus ergibt sich die Besonderheit eines Doppelcharakters des Deliktstypus solcher Tatbestände. Das von ihnen erfasste Unrecht liegt nämlich einerseits darin, dass der Täter durch einen willenswidrigen Eingriff die körperliche 633

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 505. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 503. 635 Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 37. 636 Fateh-Moghadam, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 37; ders., Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 129. 637 Vgl. zur Rechtsgutsvertauschung Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 512 ff.; ders.,in: FS-Puppe, S. 1293 ff. 638 Murmann, in: FS-Puppe, S. 789; Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 127; anders Jakobs, in: FS-Schroeder, S. 518 f., der zwar von abstrakt freiheitsbedrohenden Handlungen spricht, damit aber das Interesse der Allgemeinheit am Schutz der Verfügungsfreiheit vor extremen Entscheidungen meint. Es gehe um die abstrakte Gefahr, „dass der nur-subjektive Verstand die an objektive Verständigkeit gebundene Freiheit in Misskredit bringt.“ Kritisch hierzu Hirsch, in: FS-Amelung, S. 188 ff. 634

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Integrität des Opfers verletzt und andererseits darin, dass er in die körperliche Integrität durch eine Verletzungshandlung eingreift, der das rechtlich unerlaubte Risiko anhaftet, von einer defizitären Entscheidung des Opfers getragen zu werden.639 Die sich daraus ergebenden Bedenken werden allerdings dadurch entschärft, dass nur solche Fälle erfasst werden, bei denen die betroffenen Rechtsgüter gravierenden Gefahren ausgesetzt sind und bei denen die Wahrscheinlichkeit einer defizitären Entscheidung so hoch ist, dass die Gefährdung bis an die Verletzung heranreicht.640 Freilich räumt Murmann selbst ein, dass bei dieser Konzeption die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung nicht Anknüpfungspunkt der Auslegung ist, sondern lediglich ein Reflex, der bei Vorliegen der maßgeblichen Kriterien sichtbar wird.641 In der praktischen Umsetzung dürfte sich der Ansatz von Murmann wiederum kaum von den bisher im Schrifttum vertretenen Ansätzen zur Legitimation der Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB unterscheiden.642 Trotzdem stellt die Konzeption Murmanns die bisher konsequenteste Begründung des § 228 StGB auf weich paternalistischer Grundlage dar. Indem er § 228 StGB als subjektive Einwilligungsschranke interpretiert, die ausschließlich dem Schutz vor (möglicherweise) defizitären selbstschädigenden Entscheidungen dient, kann seinem Ansatz nicht vorgeworfen werden, er schütze über die Sittenwidrigkeitsklausel Drittinteressen und vertausche damit das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte.

V. Zwischenergebnis Das Recht ist grundsätzlich am Respekt vor der autonomen Entscheidung der Person orientiert, stößt aber in Fällen der Unsicherheit über das Vorliegen von Freiheit an immanente Grenzen. §§ 216, 228 StGB sind also als subjektive Schranken der Selbstverfügungsfreiheit zu interpretieren, die der Gefahr entgegenwirken, dass jemand nicht freiverantwortlich über Leben oder Leib verfügt. Hier greift der Aspekt des weichen Paternalismus voll durch. Es ist jedoch zu beachten, dass lediglich die Gefahr einer defizitären Entscheidung des Opfers ausreicht. Dieses Gefahrenpotential muss sich aus konkreten Indizien ergeben. Bei §§ 216, 228 StGB handelt es sich also um abstrakte Gefährdungsdelikte.

639

Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 505. Murmann, in: FS-Puppe, S. 789. 641 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 505 f.; ebenfalls Frisch, in: FSHirsch, S. 505; vgl. dazu die Kritik von NK3-Paeffgen, § 228 Rn. 42a. 642 Kritisch dazu Fateh-Moghadam, Die Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 127. Enger ders., a.a.O., S. 129 f. und in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 37. 640

C. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit aus Rechten anderer

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C. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit aus Rechten anderer Fragt man nach den Gründen für das Bestehen von Einwilligungsschranken bei Individualrechtsgütern, kommen zwei grundsätzliche Legitimationskonzeptionen in Betracht, nämlich eine individualistische und eine überindividuelle. Der individualistischen Konzeption zufolge dienen die Einwilligungsschranken dem Schutz des Rechtsgutsinhabers. Dieser Ansatz muss in der Lage sein zu erklären, warum Individualrechtsgüter geschützt werden, selbst wenn ihr Träger dies gar nicht wünscht. Es handelt sich also um eine paternalistische Erklärung, die – wie bereits ausgeführt wurde – sich nur in ihrer weich paternalistischen Variante als Schutz vor dem Risiko des Vorliegens einer defizitären Entscheidung überzeugend begründen lässt. Nach der überindividuellen Ansicht bezwecken die Einwilligungsschranken den Schutz von Interessen der Allgemeinheit. Diese Auffassung muss eine schlüssige Erklärung dafür liefern, weshalb den Belangen der Allgemeinheit Vorrang vor der Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsinhabers zukommt. Damit stellt sich nun die Frage, ob die drittvermittelte Realisierung der Opferentscheidung Begründungsansätze in Richtung auf Beeinträchtigungen von Rechtsgütern Dritter bietet. Tatsächlich sind in der Literatur eine ganze Reihe solcher Begründungsansätze entwickelt und bereits auf ihre verfassungsrechtliche Tragfähigkeit hin überprüft worden.643 Diesem Problem soll hier für die in Frage stehenden §§ 216, 228 StGB nachgegangen werden. Die Argumente, die zur Legitimation des § 228 StGB vorgetragen werden, entsprechen im Wesentlichen denen, die für die Existenzberechtigung des § 216 StGB angeführt werden. Das gilt zwar nicht für das Missbrauchsargument, da das nur körperlich verletzte Opfer dem Vorliegen einer Einwilligung widersprechen kann. Einschlägig wird aber das Tabuargument, denn man könnte argumentieren, dass im Interesse der Achtung vor der physischen Integrität des Menschen bestimmte eingewilligte Körperverletzungen als unzulässig zu bewerten sein sollen.

I. Schutz vor Missbrauchsgefahren Es wird im Schrifttum teilweise vertreten, § 216 StGB solle verhindern, dass der Täter sich darauf berufen könne, das Opfer habe die Tötung verlangt.644 Das Opfer kann nicht mehr widersprechen, so dass die Einlassung des Angeklagten schwer zu widerlegen sei.645 Eine solche Begründung des Zwecks des § 216 StGB soll einerseits 643

Siehe unter Teil 2. C. III. So bereits von Humboldt, Ideen, S. 154. 645 Arzt, ZStW 1971, S. 36; Engisch, in: FS-Mayer, S. 412, obwohl er eine selbstständige Berufung auf Beweisschwierigkeiten als fadenscheinige Begründung betrachtet ; Kutzer, ZRP 2003, S. 211; Otto, in: FS-Tröndle, S. 159; Tröndle, ZStW 1987, S. 38. 644

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

insofern repressiv wirken, als der durch eine nicht verlangte Fremdtötung verwirkte staatliche Strafanspruch gesichert werde; die nicht beweisbare Tat nach §§ 211, 212 StGB werde nämlich durch § 216 StGB aufgefangen. Andererseits ziele das Verbot generalpräventiv auf den Adressaten der §§ 211, 212 StGB ab: Der die Tötung eines Menschen ins Auge Fassende soll nicht damit rechnen können, durch die Behauptung, der Getötete habe die Tat verlangt, Straffreiheit zu erlangen. Es wird weiterhin das sozialpräventive Argument ins Feld geführt, dass gerade im persönlichen Lebensbereich Anreize geschaffen werden können, den Todeswunsch bei Schwerstkranken oder Sensiblen zu erwecken. Es sei nämlich denkbar, dass diese besonders Schutzbedürftigen sich verpflichtet fühlen könnten, ihr für ihre Angehörigen oder ihr soziales Umfeld als Last empfundenes Leben zu beenden.646 Es lässt sich zwar nicht ernsthaft bestreiten, dass solche Fälle vorkommen können. Die Gefahr eines solchen Missbrauchs besteht aber praktisch bei jeder Norm. Es handelt sich um ein der Gewährung von Freiheit immanentes Problem, dass Freiheit immer auch zum Schlechten gebraucht werden kann und gebraucht wird.647 Im Übrigen ist eine solche Missbrauchsgefahr bei der straflosen Suizidteilnahme niemals völlig auszuschließen. Bei lebensnaher Betrachtung ist der bei Beteiligung eines Dritten auftretende psychologische Druck auf den Sterbewilligen, es sei Zeit, sich umzubringen, derselbe.648 Dass es trotzdem keine Hinweise darauf gibt, die Straflosigkeit der Suizidteilnahme habe zu einer Welle erzwungener oder auch dringend geforderter Selbsttötungen geführt, lässt ernsthafte Zweifel an der empirischen Richtigkeit der Behauptung einer gesteigerten Missbrauchsgefahr aufkommen.649 Dieser Einwand spricht schließlich gegen die Eignung des Missbrauchsarguments, das dargestellte Spannungsverhältnis zwischen der Tötung auf Verlangen und der Straffreiheit der Beteiligung am Suizid konsequent zu erklären.650 In diesem Zusammenhang wird häufig auf die der Regelung des § 32 StGB immanenten Beweisprobleme verwiesen, die mit denen der Tötung auf Verlangen absolut vergleichbar seien.651 Jeder, der eine andere Person getötet hat, könnte nämlich behaupten, er habe in Notwehr gehandelt. Gleichwohl kann dieser normative Vergleich zur Notwehrregelung als argumentum e contrario nicht überzeugen. Geht man von der Prämisse aus, der Gesetzgeber dürfe Strafnormen per se mit Beweisschwierigkeiten begründen, muss man sich eventuell andere sachliche Ge646

Lindner, JZ 2006, S. 378; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, S. 116 f.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 107 Fn. 234; Tröndle, ZStW 1987, S. 38. 647 So Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20. 648 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 190; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 153 f. 649 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20 f.; Neumann, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/ Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 258; Schroeder, ZStW 1994, S. 570. 650 Müller, Tötung auf Verlangen, S. 64 f. 651 Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 237 f.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 162; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 151.

C. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit aus Rechten anderer

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sichtspunkte vor Augen führen, die eine Differenzierung beider Konstellationen rechtfertigen könnten.652 Es ist nämlich auf das Rechtsbewährungsprinzip als Leitgedanke des Notwehrrechts zurückzuführen, dass der Individualschutz ohne Rücksicht auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewährt wird.653 Ein anderer gegen das Missbrauchsargument erhobener Einwand wiegt weniger schwer. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass Verurteilungen aus § 216 StGB in der gerichtlichen Praxis eine untergeordnete Rolle spielen und daraus wird auf eine geringe Missbrauchsneigung geschlossen.654 Ohne die empirische Richtigkeit dieser Annahme in Zweifel ziehen zu müssen, lässt sich jedoch folgendes einwenden. Es ist nicht zwingend, dass sich dieser Befund im Falle der Straffreiheit der Tötung auf Verlangen fortsetzen ließe. Denn eine auf einen Freispruch zielende Schutzbehauptung wäre möglicherweise attraktiver und auch im allgemeinen Bewusstsein präsenter als die Möglichkeit durch das gleiche Argument eine Strafmilderung zu erzielen.655 Zu Recht wird gegen den hier kritisierten Schutzzweck des § 216 StGB eingewandt, der Täter werde aufgrund des bloßen Verdachts bestraft, dass ein ernstliches Verlangen des Opfers nicht vorgelegen habe. Eine solche Verdachtsstrafe ist rechtsstaatlich bedenklich.656 Die Legitimität einer solchen Verdachtsstrafe ist unter dem Gesichtspunkt zu bewerten, dass es sich bei § 216 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. Auch wenn der Verweis auf Beweisschwierigkeiten kriminalpolitisch plausibel sein mag, es wäre ungerecht, denjenigen, der einen anderen aufgrund dessen mangelfreien Verlangens getötet hat, zu bestrafen, weil andere unter dem Deckmantel der Sterbehilfe Mord oder Totschlag begehen könnten.657 Das wegen seiner generellen Gefährlichkeit pönalisierte Verhalten wird nicht erst durch die deliktische Handlung eines Dritten gefährlich, sondern weil ihm bereits ein Risikopotential innewohnt.658 § 216 StGB soll vielmehr die Gefahr verhindern, dass eine Strafbarkeit angenommen wird, weil sich ein Geschehen nicht beweisen lassen kann. Die Zulässigkeit der Strafnorm hängt also entscheidend davon ab, ob ein 652

Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 63 Fn. 176. Dies verkennt offensichtlich Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 263. 654 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 263, fragt sich sogar, weshalb die Angeklagten so zurückhaltend an ein fiktives Verlangen des Opfers appellieren, wenn es so einfach ist, mit der Behauptung, das Opfer habe seiner Tötung zugestimmt, Gehör vor Gericht zu finden. Ähnlich Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 148; Schroeder, ZStW 1994, S. 570. 655 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 525. 656 Dölling, GA 1984, S. 85 f.; Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 30; Marx, Rechtsgut, S. 66; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 149; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 190; Rönnau, Willensmängel, S. 164; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 161; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 152. 657 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 149; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 152. 658 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 152 Fn. 728. 653

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

strafwürdiges und strafbedürftiges Verhalten auch in Fällen vorliegt, in denen ein solcher Verdacht (eine Tötung gegen den Willen des Betroffenen) gar nicht besteht.659 Das Missbrauchsargument ist daher nur dann tragfähig, wenn es nicht erst zur Legitimation der Strafdrohung herangezogen wird, sondern wenn schon das Verhalten des Täters mit Blick auf seine Eignung, die Haftung für eine nicht bewilligte Tötung zu umgehen, verboten ist.660 Wie noch zu zeigen ist, ist kein Unrecht verwirklicht, wenn eine mangelfreie Einwilligung tatsächlich vorliegt, so dass unter dem Gesichtspunkt des Schuldprinzips jegliche Bestrafung zu unterbleiben hat. Jakobs weist außerdem darauf hin, dass § 216 StGB wegen seines niedrigen Strafrahmens nicht geeignet ist, den Unrechts- bzw. Schuldgehalt eines Mordes oder Totschlags zu erfassen.661 Es lässt sich deshalb gemeinsam mit Müller das Paradoxon feststellen, dass § 216 StGB niemals einen dem konkreten Fall gerecht werdenden Strafrahmen zur Verfügung zu stellen in der Lage ist.662

II. Schutz des Lebens anderer durch Aufrechterhaltung des Tötungstabus Nach einer verbreiteten Meinung soll das Verbot der Tötung auf Verlangen der Aufrechterhaltung des in der Gesellschaft tief verwurzelten Tabus der Fremdtötung und damit der Sicherung des Lebens aller Bürger dienen.663 Was genau unter diesem Tabu zu verstehen ist, bleibt jedoch unklar.664 Das Argument baut auf eine intuitive Plausibilität und die Frage nach dem Grund eben dieses Tabus wird meistens gar nicht gestellt. Die meisten Vertreter der Tabuthese begnügen sich einfach mit dem existentiellen, hochrangigen Wert des Rechtsguts Leben665 oder identifizieren den 659

Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 107. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 524. 661 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 21. 662 Müller, § 216 als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 63. 663 Vgl. Engisch, in: FS-Mayer, S. 415; Hirsch, in: FS-Lackner, S. 612; ders., in: FSWelzel, S. 790; v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 221 f.; Dölling, GA 1984, S. 86 f.; Geilen, Euthanasie, S. 27 ff.; Herzberg, NJW 1996, S. 3046 f.; Hufen, NJW 2001, S. 855; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 216 ff.; NK3-Neumann, § 216 Rn. 3; Otto, in: FS-Tröndle, S. 159; auf die Tabuisierung fremden Lebens beruft sich ergänzend auch Roxin, AT I4, § 2 Rn. 33 und § 13 Rn. 37; Schönke/Schröder-Eser, § 216 Rn. 1, 13; Weigend, ZStW 1986, S. 67 f.; im Ergebnis zustimmend Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 117 ff.; auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 517 ff., stellt auf das Tabuargument als Teilerklärung für § 216 StGB ab; ähnlich betont Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 58, dass es selbst für das Rechtsgut des Lebens am Ende keine andere Rechtfertigung als den Rekurs auf konsentierte Wertüberzeugungen gibt. Vgl. auch BGHSt 32, 367, 379. 664 Merkel. Früheuthanasie, S. 417. 665 Dölling, GA 1984, S. 86, spricht von einer wohl überlegten Regelung zur „Abstützung der unverbrüchlichen Geltung des Tötungsverbots“. Der Grund dieser unverbrüchlichen Gel660

C. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit aus Rechten anderer

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Begriff des Tabubruchs unvermittelt mit dem Begriff des Rechtsbruchs, so dass sie letztlich in einem Zirkelschluss münden.666 Hinter dieser Argumentation steht die zweifelhafte empirische Annahme, dass die prinzipielle Tabuisierung jeder Art von Fremdtötungen notwendig sei, um Übergriffe auf das Lebensrecht solcher Menschen zu vermeiden, deren Schutz durch die Lockerung des Fremdtötungsverbots nicht in Frage gestellt werden sollte.667 Das Tabuargument stellt damit ein Prinzip auf, das erst näher zu begründen wäre: Denn genauso gut könnte man behaupten, es gebe ein Prinzip der Unantastbarkeit gegen den Willen des Betroffenen und nur dieses stelle auch das zu schützende Tabu dar.668 Selbst wenn man die empirische Komponente des Arguments nicht in Frage stellt, lässt sich normativ schwer erklären, weshalb das Tötungstabu im Bereich der indirekten Sterbehilfe relativiert wird.669 Auch weitere Durchbrechungen des Fremdtötungstabus ließen sich im Hinblick auf die mit ihnen verbundenen Gefahren eines Achtungsverlustes des Rechtsguts Leben nicht so einfach erklären.670 Die von Murmann geltend gemachte Möglichkeit einer nach rationalen Gesichtspunkten differenzierenden gesetzgeberischen Behandlung tabuverletzender Verhaltensweisen kann schließlich nicht überzeugen. Denn die Anerkennung auch nur einer einzigen Ausnahme zugunsten anderer Interessen bewirkt bereits eine Desavouierung des Tabus, so dass seine Aufrechterhaltung auch dann nicht mehr sinnvoll erscheint, wenn ihm in der konkreten Konfliktsituation der Vorzug vor der Selbstbestimmungsfreiheit des Sterbewilligen zugebilligt werden sollte.671 Es erscheint zudem heuchlerisch, die absolute Unantastbarkeit des Rechtsguts Leben auf strafrechtlicher Ebene zu behaupten, wenn die Relativität seines gesellschaftlichen Schutzes angesichts der Risiken des hohen technologischen Fortschritts eine Tatsache ist.672 Ganz unabhängig von der empirischen Plausibilität des Arguments muss also begründet werden, warum der auf Verlangen Tötende das Rechtsgut Leben derart abwertet, dass die Gefahr einer negativen Wirkung auf die allgemeine Achtung dieses Rechtswertes entsteht. Dazu genügt die bloße Berufung auf den äußerlich tung wird jedoch verschwiegen. Ähnlich Hirsch, in: FS-Lackner, S. 612 („prinzipielle Unantastbarkeit fremden Lebens“). 666 Vgl. insbesondere die Ausführungen von Duttge, GA 2001, S. 173. 667 Schroeder, ZStW 1994, S. 567, hält es für wenig schlüssig anzunehmen, durch die Befolgung eines „ernstlichen Verlangens“ eines Lebensmüden werde die Achtung vor dem Leben der Mitmenschen schlechthin beeinträchtigt. 668 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 120. 669 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 246; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 520; Rönnau, Willensmängel, S. 165; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 119; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 146. 670 Vgl. ausführlich Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 241 ff. für die Fälle von Notwehr und Krieg. 671 Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 66 Fn. 190. 672 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 244.

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

eintretenden Todeserfolg nicht, sonst müsste konsequenterweise die „einverständliche fahrlässige Tötung“ ebenso verboten sein wie die einverständliche vorsätzliche Tötung.673 Dass eine weitergehende Tabuisierung des menschlichen Lebens, die das Rechtsgut entpersonalisieren würde, von einem individualistischen Standpunkt aus nicht akzeptiert werden kann, liegt auf der Hand. Ob die Vertreter des Tabuarguments daher an der Behauptung, § 216 StGB schütze das individuelle Leben, festhalten können, erscheint zumindest zweifelhaft.674 Interpretiert man die einschlägigen Stellungnahmen dahingehend, dass es sich um Bestandsschutz gegen den Willen des Rechtsgutsinhabers im überindividuellen Interesse handelt, hätte die Vorschrift zudem eine eigenartige Struktur. Der Tod des Opfers wäre gleichsam ein rechtsgutsneutraler Zwischenerfolg und der Täter würde für die Schaffung der Gefahr bestraft, dass die Achtung vor dem Rechtswert Leben sinken könnte. Ein solches abstraktes Gefährdungsdelikt wäre schwer zu legitimieren, weil die Tötungen, die aufgrund einer Schädigung des Tabus der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens hervorgerufen werden könnten, sich nur über das Verhalten freiverantwortlicher Dritter realisieren könnten.675 Unsere Rechtsordnung geht aber von einem mündigen Bürger aus, der nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist, nicht für ein Unrecht, das vielleicht andere begehen.676 Eine solche Konzeption von abstrakten Gefährdungsdelikten ist ferner unserem Strafrecht fremd, da die potentielle Gefahr unmittelbar von der Tathandlung herrührt und nicht erst durch das Verhalten anderer vermittelt wird. Eine Notwendigkeit der Tabuisierung des Kernbereichs der Körperintegrität zum Schutz vor Eingriffen anderer wird ebenfalls diskutiert. Nach Hirsch müsse die Gesellschaft aus Verantwortung für die Wahrung des Respekts vor der physischen Integrität des Mitmenschen die eingewilligte Körperverletzung in bestimmten schwerwiegenden Fällen bestrafen.677 Die Anknüpfung an die Schwere der Körperverletzung wird wiederum durch den Tatzweck ergänzt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Tabuisierungsgedanke sich nicht konsequent durchhalten lässt, weil es im medizinischen Bereich tägliche Praxis ist, schwere und irreparable 673

Göbel, Einwilligung, S. 38. Rönnau, Willensmängel, S. 164. 675 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 188; Kargl, in: Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, S. 392; ähnlich Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 166, der auf ein Vorbereitungsdelikt im Sinne Wohlers abstellt. Es handelt sich insbesondere um Fälle, in denen das Verhalten des Ersthandelnden anderen Personen ein schlechtes Beispiel geben könnte. In einer auf Selbstbestimmung aufgebauten Gesellschaft muss jedoch erwartet werden, dass der mündige Bürger sich nicht ohne weiteres durch schlechte Vorbilder korrumpieren lässt. Vgl. hierzu eingehend von Hirsch/Wohlers, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 206; von Hirsch, Fairness, Verbrechen und Strafe, S. 98. 676 Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 169. 677 Hirsch, in: FS-Welzel, S. 798 f. 674

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Körperverletzungen zur Rettung des Lebens des Patienten vorzunehmen (z. B. die Amputation wichtiger Glieder des Körpers).678 Zwar führt der Ansatz von Hirsch zu einer sinnvollen Begrenzung der Strafbarkeit, es stellt sich jedoch die entscheidende Frage nach der Beurteilung des Tatzwecks. Hirsch weist die Definitionskompetenz über die Vernünftigkeit des angestrebten Zwecks der Rechtsgemeinschaft zu. Ein objektiver Maßstab dafür, welche Zwecke die notwendige Qualität besitzen, um einer gravierenden Körperverletzung die Vermutung der Sittenwidrigkeit zu nehmen, lässt sich aber mit der Autonomie des Einzelnen nicht vereinbaren.679 Denn die Beurteilung des verfolgten Zwecks kann nicht losgelöst von dem Lebenskonzept des Einwilligenden erfolgen.

III. Schutz vor einem Dammbruch Mit dem Gedanken der Tabuisierung der fremdhändigen Tötung eng verbunden ist auch das in der Sterbehilfediskussion vielfach angeführte Argument, jede Lockerung des Lebensschutzes Sterbewilliger könne auf eine „schiefe Ebene“ führen oder einen „Dammbruch“ bewirken.680 Es wird nämlich behauptet, dass die Zulassung der aktiven Sterbehilfe in eng begrenzten Ausnahmefällen zu einer Praxis des Tötens von Patienten auch außerhalb jener anfänglichen Grenzen führen wird, die moralisch wie rechtlich unakzeptabel ist. Bereits eine Modifizierung des § 216 StGB wäre „der erste Schritt in Richtung auf eine moralische Wildnis“.681 Gerade die alten, schwerkranken und verzweifelten Menschen könnten sich durch Ärzte und emotional oder finanziell überforderte Angehörige stark beeinflussen lassen. In diesem Zusammenhang wird auch oft auf das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten mahnend hingewiesen.682 Im Rahmen der Euthanasie- Debatte werden verschiedene Varianten des SchiefeEbene-Arguments gebraucht. Die logische Version des Arguments lautet: Wer aktive Sterbehilfe in bestimmten Fällen erlaubt, hat schon logisch kein Argument mehr gegen die Forderung ihrer Ausdehnung auf andere weitere Fälle außerhalb des ursprünglich erwogenen Anwendungsbereichs. Die am häufigsten verwandte Variante des logischen Dammbruch-Arguments behauptet, die normativen Gründe, die zur Erlaubtheit der aktiven Sterbehilfe in Fällen des Typus X führten, finden sich in Fällen des Typus Y ganz genauso. Diese Variante erweist sich als unhaltbar: Wenn die normativen Gründe, die eine Zulassung der aktiven Sterbehilfe in bestimmten 678

Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 184. Niedermair, Die Körperverletzung mit Einwilligung, S. 106. 680 Engisch, in: FS-Schaffstein, S. 1 ff.; Giesen, JZ 1990, S. 935; Hirsch, in: FS-Lackner, S. 613; Tröndle, ZStW 1987, S. 39. 681 Giesen, JZ 1990, S. 943. 682 Siehe Giesen, JZ 1990, S. 933; Gössel/Dölling, BT/1, § 2 Rn. 36; Tröndle, ZStW 1987, S. 40. Kritisch Hoerster, ZRP 1988, S. 3; Kämpfer, Die Selbstbestimmung Sterbewilliger, S. 278 f. 679

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

Fällen begründen, in anderen Fällen tatsächlich genauso auftreten, dann ist eine Ausdehnung der aktiven Sterbehilfe auf diese weiteren Fälle nicht zu beklagen, sondern zu fordern.683 Die zweite Variante besagt, dass man der schleichenden Ausdehnung auf ähnliche, aber normativ eben keineswegs identische Fälle schon logisch nichts mehr entgegensetzen könne. Es fehle an einer rationale Unterscheidungen ermöglichenden Grenze, was die stetige Ausweitung der Unterscheidungskriterien befördere. Diese Variante des Dammbruch-Arguments beruht auf einem Fehlschluss, der in der Philosophie als „Paradox des Sandhaufens“ diskutiert wird. Seine traditionelle Fassung ist Folgende: Ein einzelnes Sandkorn werde nicht durch Hinzufügen eines Sandkorns zu einem Sandhaufen und dies gelte wiederum für jedes weitere hinzugefügte Sandkorn. Daraus den Schluss zu ziehen, es kann keine Sandhaufen geben, wäre offenbar absurd. Dieses Paradox illustriert das Problem, dass wir zwar zwischen einem Sandkorn und einem Sandhaufen unterscheiden können, dass es uns aber an einem rationalen, nicht willkürlichen Abgrenzungskriterium mangelt.684 Oft können wir keine exakte Grenze ziehen, und trotzdem ändert das nichts an unserer Berechtigung, relevante Unterscheidungen zu treffen und vernünftige Grenzen festzulegen. Die Vagheit von Begriffen ist ein Grundproblem jeglicher Rechtsauslegung und -anwendung, die noch nicht ihre Beliebigkeit oder ihre Tendenz zur Ausweitung ihrer Anwendung belegt.685 Wenn die logische Form des Dammbruch-Arguments mit der Überlegung ergänzt wird, dass die Zulassung der aktiven Sterbehilfe in bestimmten Fällen de facto zu einer Ausdehnung auf weitere Fälle führt, handelt es sich um ein empirisches Argument. Dieses bezieht sich auf komplexe sozialpsychologische Prozesse, so dass dessen Plausibilität von einer hinreichend sicheren empirischen Basis abhängt. Das Szenario des Umschlagens einer schleichenden Korrumpierung des kollektiven Normgeltungsbewusstseins ist grundsätzlich auf zwei Arten denkbar: Es kann einerseits durch den einem gesellschaftlichen Druck nachgebenden Gesetzgeber und andererseits durch die Etablierung einer gesellschaftlichen Praxis erfolgen. Es wird nämlich argumentiert, dass die gesetzliche Lockerung des § 216 StGB letztlich nach und nach zu einer verfassungswidrigen Gesetzeslage führen könnte. Solange jedoch ein völlig ausreichendes verfassungsrechtliches Instrumentarium zur Verfügung steht, erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass eine verfestigte grundgesetzwidrige Rechtslage entstehen könnte.686 Wie Merkel zutreffend bemerkt, würde § 216 StGB nach dieser Interpretation eine Norm verkörpern, mit welcher der Gesetzgeber dem Normadressaten ein materiell erlaubtes Verhalten verbietet, um sich selbst davor zu

683 Merkel, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 288. 684 Walton, Slippery Slope Arguments, S. 38 f. 685 Kämpfer, Die Selbstbestimmung Sterbewilliger, S. 268; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 147. 686 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 193 f.; Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 78.

C. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit aus Rechten anderer

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bewahren, materiell verfassungswidrige Gesetze zu erlassen.687 Das grundsätzliche Defizit dieses Arguments besteht nicht nur darin, dass man dem Gesetzgeber unterstellen würde, er traue sich selbst nicht zu, seiner Aufgabe gerecht zu werden, sondern dass man darüber hinaus dem absolut unzuständigen Normadressaten diese Aufgabe auferlegen würde.688 Der Hinweis auf den Gesetzgeber als den entscheidenden Dammbrecher ist daher ein schwaches Argument. Plausibler erscheint hingegen die Annahme, dass eine Zulassung der aktiven Sterbehilfe die Neigung der Normadressaten fördern würde, immer mehr Fälle einzubeziehen, als dies von der Legislative ursprünglich gewollt war. Die eigentlichen Dammbrecher wären dann die einzelnen Bürger, insbesondere die klinische Praxis und die Judikatur der zuständigen Gerichte.689 Wer dies behauptet, müsste aber die empirische Wirksamkeit des „ersten Schrittes“ zumindest plausibel erscheinen lassen. Denn durch die bloße Behauptung einer Dammbruchgefahr wird, wie Hegselmann zutreffend bemerkt, ihr tatsächliches Bestehen noch nicht belegt.690 Die Anforderungen an ein gelungenes Schiefe-Ebene-Argument sind in der Tat hoch. Es muss zum einen begründet werden, dass § 216 StGB überhaupt ein Damm des Lebensschutzes ist. Das setzt den Nachweis voraus, dass in dieser Vorschrift ein tragendes Grundprinzip zum Ausdruck kommt, das im Bereich der Sterbehilfe durchgängig gilt. Denn nur dann lässt sich beurteilen, welche neue Einschränkung des Lebensschutzes legitim ist und welche nicht.691 Es wird zwar mit Schiefe-EbeneGefahren argumentiert, ohne sich aber vorher die Frage zu stellen, ob der gleiche Einwand nicht auch gegen die existierenden und allgemein akzeptierten Formen der Sterbehilfe vorgebracht werden kann. Denn die meisten Bedenken gegen die Zulassung aktiver Sterbehilfe lassen sich auch gegen die passive und indirekte Sterbehilfe geltend machen, über deren Erlaubtheit jedoch weitgehende Einigkeit herrscht.692 Ein Schiefe-Ebene-Argument muss daher genau begründen, warum gerade bestimmten Formen der Sterbehilfe so große Gefahren eines Bruchs der Dämme bewirken, dass insoweit eine Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts notwendig ist. Zum anderen muss nachgewiesen werden, dass die durch eine Lo687

Merkel, Früheuthanasie, S. 424 f. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 280; Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 78. 689 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 194; Merkel, in: FatehMoghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 290 f., nennt diese psychologische Variante des Dammbrucharguments „slippery slope of the altered attitude“. 690 Hegselmann, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie, S. 207 (Hervorhebung im Original). So auch Merkel, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 297; Hoerster, NJW 1986, S. 1791: „unausgewiesene Ad hoc-Annahmen“. 691 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 194. 692 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsguts Leben, S. 249 f.; Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, S. 137; Kämpfer, Die Selbstbestimmung Sterbewilliger, S. 284; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 119; Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 150. 688

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4. Teil: Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht

ckerung des § 216 StGB entstehende neue Grenzziehung nicht die gleiche normative Festigkeit besitzt wie die bisherige Trennlinie.693 Nur dann könnte man die Gefahr eines Dammbruchs ernsthaft behaupten.

IV. Schutz des sozialen Friedens Göbel sieht als Schutzgut des § 216 StGB den sozialen Frieden an: Die Erwartung der Unzulässigkeit der Tötung auf Verlangen sei geistiger Besitz der Allgemeinheit und entspreche den geltenden gesellschaftlichen Wertüberzeugungen.694 Bestraft werde mit § 216 StGB aber nicht der Verstoß gegen die gesellschaftlichen Moralvorstellungen, sondern die sich daraus ergebende Gefahr einer Desorientierung, die so weit gehen könne, dass die Bevölkerung dieser Norm im Wege unkontrollierter Selbsthilfe Geltung zu verschaffen suche.695 Dass die öffentliche Beunruhigung durch die Verhaltensweisen möglicherweise auf einem Mangel an Aufklärung beruhe, ändere an der friedenserhaltenden Funktion der Norm nichts; eine nicht aufgeklärte Gesellschaft und ein aufgeklärtes Strafrecht können nicht zusammenkommen.696 Ähnlich argumentiert Göbel für die Begründung der Strafbarkeit von § 228 StGB: In der pluralistischen Gesellschaft sei konsensfähig, dass schwere und irreparable Körperverletzungen als allgemein unzulässig angesehen werden; diese allgemeine Erwartung der Unzulässigkeit schwerer Körperverletzungen trotz Einwilligung reiche unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des sozialen Friedens als Strafgrund aus.697 Es fehlt aber an jeglicher Begründung für die empirische Plausibilität dieser Behauptung.698 Denn die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Rechtsguts hat grundsätzlich zur Folge, dass eine Rechtsgutsverletzung keine Störung des Rechtsfriedens darstellt.699 Die Hauptbegründungslinie von Göbel besteht lediglich in einer Parallele zu anderen Straftatbeständen, wie das Verbot der Tierquälerei (§ 17 TierSchG), des Verwandtenbeischlafs (§ 173 StGB), des Exhibitionismus (§ 183 StGB), der Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB), deren Legitimation seiner Meinung nach nur mit einem Verstoß gegen gesellschaftliche Moralvorstellungen zu begründen ist. Die Tötung auf Verlangen wurde am Ende des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts tatsächlich als eine Art Störung der öffentlichen Ordnung betrachtet. Grundlage dieser Auffassung war die damals herrschende 693 694 695 696

beruft. 697

Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 195. Göbel, Einwilligung, S. 42 f. Göbel, Einwilligung, S. 42. So die Formulierung von Jakobs, AT2, 2/20, auf die Göbel, Einwilligung, S. 43, sich

Göbel, Einwilligung, S. 54. Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 179; Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 74. 699 Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 153. 698

C. Grenzen der Selbstverfügungsfreiheit aus Rechten anderer

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Rechtsverletzungsdoktrin. Erst mit der Einführung der auf aufklärerischen Gedanken aufbauenden Rechtsgutslehre erfolgte eine rationale Einschränkung der Strafbarkeit, weil die Schädlichkeit des zu pönalisierenden Verhaltens für den Einzelnen nachgewiesen werden müsste. Mit dem diffusen Hinweis auf eine Störung des öffentlichen Friedens lässt sich kein Kriminalunrecht mehr begründen. Wenn vielfach der „öffentliche Frieden“ eingesetzt wird, obwohl seine Bedeutung nicht näher präzisiert wird, spricht vieles dafür, dass es sich um ein Scheinrechtsgut handelt.700 Die Konstruktion derartiger Rechtsgüter bedeutet letztlich, dass bestimmte moralische Gefühle zum strafrechtlichen Schutzobjekt erklärt werden. Der naheliegende Einwand, es werde eine bloße Moralwidrigkeit bestraft, lässt sich mit dem schlichten Verweis auf die Störung des sozialen Friedens also nicht ausräumen.701

700 701

Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 90 ff.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 153. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 186.

5. Teil

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse 1. Das Strafrecht hat die Aufgabe, den Einzelnen vor Eingriffen anderer zu schützen. Ausnahmsweise erhebt es den Anspruch, ihn auch vor sich selbst zu schützen, vor seinen eigenen Handlungen und vor den Folgen seiner eigenen Entscheidungen. Die vorliegende Arbeit hat unterschiedliche Straftatbestände, deren Besonderheit darin besteht, dass das tatbestandsmäßige Verhalten entweder unmittelbar lediglich auf die Rechtsgüter des Handelnden einwirkt oder von der Einwilligung des Betroffenen getragen wird, daraufhin untersucht, ob sie innerhalb eines liberalen Strafrechtssystems legitimiert werden können. Ausgangspunkt der Überlegungen war das Konzept des autonomieorientierten weichen Paternalismus, das Freiheitsbeeinträchtigungen nur dann erlaubt, um den Einzelnen vor den Folgen defizitärer Entscheidungen zu schützen. Die Konkretisierung dieses Prinzips erfolgt schrittweise, um konkrete Ergebnisse hinsichtlich der Legitimation der in Frage stehenden Tatbestände zu erzielen. 2. Um Inhalt und Grenzen eines legitimen Rechtspaternalismus bestimmen zu können, ist vorrangig die Frage nach der adäquaten philosophischen Basis der Paternalismuskritik zu stellen. Hierbei hat sich aufgezeigt, dass rechtlicher Paternalismus auf der Grundlage konsequentialistischer Moraltheorie nicht erfolgreich in Frage gestellt werden kann. Eine konsistente Kritik des Rechtspaternalismus muss auf einem deontologischen Prinzip beruhen. Denn Kern jeder Paternalismuskritik ist der Autonomiegedanke, d. h. die Idee, nach eigenen Maximen über sein Leben zu bestimmen und beliebig mit seinen Rechtsgütern zu verfahren. Die Verfolgung perfektionistischer Ziele mit paternalistischen Interventionen ist auch dann kein legitimer Eingriffszweck, wenn es sich um das Ziel der Autonomiemaximierung handelt. Nach der deontologischen Basis der Paternalismuskritik kann die je aktuelle Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen zugunsten der Förderung seiner möglichen künftigen Interessen nicht geopfert werden. Die Freiheit von fremder Einmischung ist an sich, unabhängig von den langfristigen Folgen unserer Entscheidungen zu respektieren. Dem weich paternalistischen Ansatz liegt der Respekt vor der Autonomie des Einzelnen zugrunde. Eine paternalistische Freiheitseinschränkung ist nur dort unbedenklich, wo der Einzelne aufgrund einer entwicklungsbedingten oder geistigen Schwäche oder aufgrund eines normativ relevanten Willensmangels zu einer freiverantwortlichen Disposition nicht in der Lage ist. Jegliche darüber hinausgehende Bevormundung greift in unzulässiger Weise in seine Autonomie ein. Ein wesentli-

5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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ches Ergebnis der kritischen Betrachtung der wichtigsten weich paternalistischen Ansätze besteht darin, dass auch autonomieorientierte Konzepte zu erheblichen Beschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit führen können. Die Bestimmung der Grenzen des weichen Paternalismus hängt von dem zugrunde gelegten Verständnis von Autonomie ab. Die Autonomie muss als Schwellen-, nicht als Idealkonzept verstanden werden. Es reicht aus, dass das jeweilige Subjekt als rationales Wesen die erforderliche Befähigung aufweisen kann, um dem durchschnittlichen Niveau entsprechen zu können. Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Autonomie von Entscheidungen beziehen sich auf ihren Charakter als Dispositionsbegriff. Das Vorliegen von Defiziten bei der Entscheidungsbildung ist deshalb immer anhand konkreter Indizien zu ermitteln. 3. Der Streit um Inhalt und Grenzen eines staatlichen Paternalismus erlangt erst mit einer Entscheidung für den normativen Individualismus Bedeutung. Selbstschädigendes bzw. -gefährdendes Verhalten genießt als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit umfassenden Schutz. Als Ertrag des verfassungsrechtlichen Teils ist die Einsicht festzuhalten, dass es nicht legitimierbar ist, die Handlungsfreiheit der Person um ihres Schutzes vor sich selbst willen zu beschränken. Ein aufgedrängter staatlicher Schutz gegen den freiverantwortlichen Willen des Betroffenen muss als verfassungsrechtlich illegitim qualifiziert werden, weil er mit dem Neutralitätsgebot des Grundgesetzes unvereinbar ist. Einschränkungen der Handlungsfreiheit mit Blick auf selbstverfügendes Verhalten können nur dort zulässig sein, wo die Person defizitär entscheidet oder die Rechte anderer zugleich verletzt. Der auf die Sicherung individueller Entscheidungsfreiheit zielende Schutzauftrag beruht auf dem Selbstbestimmungsrecht selbst, dessen Ausübung von einer entsprechenden Fähigkeit hierzu abhängt. Stellt der Schutz des Einzelnen vor defizitären Entscheidungen ein legitimes Ziel dar, das auch mit den Mitteln des Strafrechts verfolgt werden darf, so unterliegen auch autonomieorientierte, weich paternalistische dem Gebot verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Entscheidende Bedeutung kommt hier dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie dem allgemeinen Willkürverbot zu. In jedem Einzelfall ist also zu fragen, ob das weich paternalistische strafrechtliche Verbot auch geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Das mit einer Selbstschädigung bzw. -gefährdung verbundene Risiko der Entstehung mittelbarer Folgekosten für die Allgemeinheit vermag eine Freiheitseinschränkung des Einzelnen nicht zu rechtfertigen. Anderenfalls würde das die Freiheit des Bürgers sichernde Sozialstaatsprinzip zu einem Eingriffsinstrument des Staates gemacht. Das Interesse der Allgemeinheit an der Selbsterhaltung des Einzelnen als Gesellschaftsmitglied kollidiert mit dem dem Grundgesetz zugrundeliegende Menschenbild. Freiheit kommt dem Menschen bereits aufgrund seines Menschseins und nicht erst in Zusammenhang mit der Nützlichkeit seines Freiheitsgebrauchs für die Allgemeinheit zu. Die durch die Konfrontation mit einer selbstschädigenden Verhaltensweise entstehenden psychisch-moralischen Kosten Dritter können unter bestimmten Voraussetzungen Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit rechtfertigen. Ob darüber hinaus der Schutz vor negativen Emotionen mit den

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5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Mitteln des Strafrechts verfolgt werden darf, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern muss für die jeweilige Strafnorm gesondert geprüft werden. 4. Direkter strafrechtlicher Paternalismus wendet die schärfste Folge gegen den Rechtsgutsinhaber selbst an. Der fundamentale Einwand gegen direkt paternalistische Strafnormen besteht darin, dass der Schutz von Individualrechtsgütern gegen den Willen des Rechtsgutsträgers nicht mit der personalen Rechtsgutslehre legitimiert werden kann (strafrechtsfundamentaler Einwand). Direkt paternalistische Strafnormen erweisen sich zudem als weitgehend ineffektiv (präventionsstrafrechtlicher Einwand). Schließlich ist die Sanktionierung selbstschädigenden Verhaltens mit dem moralischen Tadel als Bestandteil der Strafe unvereinbar (strafrechtsethischer Einwand). Die Rechtsgutslehre vermag ihren Anspruch, das Strafrecht zu liberalisieren und paternalistische Vorschriften auszuscheiden, nur eingeschränkt zu erfüllen. Denn jedes selbstschädigende Verhalten kann mittelbar die Rechte Dritter tangieren oder Folgen für die Allgemeinheit haben. Ob dies der Fall ist, hängt von empirischen Bedingungen ab, die sich immer ändern können und deren Beurteilung letztlich der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers unterliegen. Insbesondere wird der Bereich des paternalistischen Strafrechts durch diffuse, konturenlose Kollektivrechtsgüter kaschiert, wie z. B. die Volksgesundheit, die Integrität der Transplantationsmedizin oder das Pietätsgefühl der Allgemeinheit. Damit wird das kritische Potential des Rechtsgutsbegriffs für die Konturierung der Straftatbestände nicht in Zweifel gezogen. Der Zweck des Rechtsgüterschutzes darf aber nur innerhalb der Schranken des Respekts vor der Autonomie des Einzelnen verfogt werden. Mit Rückgriff auf dem Prinzip eines autonomieorientierten (weichen) strafrechtlichen Paternalismus sollen die in Frage stehenden Tatbestände hinsichtlich ihrer Deliktsstruktur kritisch untersucht werden. 5. Die Strafbarkeit des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BtMG kann mit dem Ziel des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens kompetenter Konsumenten nicht legitimiert werden (harter Paternalismus). Aber auch beim Umgang mit einer geringen Drogenmenge kann der Konsument nicht wegen des bloßen Verdachts der Weitergabe der Droge an nicht eigenverantwortlich handelnde Dritte bestraft werden (weicher Paternalismus). Für das fremdgefährdende Verhalten anderer durch die Abgabe oder den Verkauf von Betäubungsmitteln an Jugendliche oder Schwerstabhängige kann nicht jeder besitzende oder erwerbende Konsument allein aufgrund dieses Faktums verantwortlich gemacht werden. Umso mehr erscheint die Bestrafung Jugendlicher oder inkompetenter Erwachsener für ihren Konsum widersprüchlich. Die Hypostasierung des scheinbaren Kollektivrechtsguts der Volksgesundheit führt zur Umgehung des Prinzips der Straflosigkeit der Selbstgefährdung. Die Anerkennung eines Zwischenrechtsguts der „Drogenverkehrshoheit“ würde die Legitimationsprobleme im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts lediglich

5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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ignorieren. Im Ergebnis ist eine Streichung der konsumbezogenen Straftatbestände des Betäubungsmittelstrafrechts zu fordern. 6. Das in §§ 17, 18 TPG aufgestellte Organhandelsverbot ist eine hart paternalistische Strafnorm, die mit dem körperbezogenen Selbstbestimmungsrecht des Organspenders in Widerspruch steht. Der Schutz vor Ausbeutung von existentiellen Notlagen der Spender oder der Empfänger hätte eine andere Struktur des Tatbestandes gefordert (weicher Paternalismus). Will man das Organhandelsverbot weich paternalistisch begründen, indem man argumentiert, dass die Rahmenbedingungen autonomer Entscheidungen abgesichert werden sollen, ist im Ergebnis eine Modifizierung des § 18 TPG im Sinne einer Straflosstellung von Organspender und Organempfänger zu fordern. 7. Die Ordnungswidrigkeiten des Straßenverkehrsrechts schützen zum großen Teil, wenn auch in Gestalt abstrakter Gefährdungsdelikte, Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer. Die Ordnungswidrigkeit gleicht in ihrer formalen Struktur der Straftat (§ 1 Abs. 1 OWiG). Wenn die Vorwerfbarkeit der Tat definitionsgemäß zu den Voraussetzungen einer Ordnungswidrigkeit gehört, dann ist in jeder Sanktionierung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit begriffsnotwendig Tadel enthalten. Die Differenz zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ist daher überwiegend quantitativer, nicht qualitativer Art. Es gilt also, die Unzulässigkeit des direkten strafrechtlichen Paternalismus nicht durch eine bloße Umetikettierung auf Kosten des Ordnungswidrigkeitenrechts leerlaufen zu lassen. Eine Schutzhelm- und Gurtpflicht ist aus weich paternalistischen Motiven nicht zu rechtfertigen. Selbst die Sorglosen, die zugeben, sich unvernünftig zu verhalten, aber einfach nicht die Initiative aufbringen können, Helm oder Gurt zu tragen, handeln freiwillig. Die in der bußgeldbewehrten Helm- und Gurtpflicht zum Ausdruck kommende Grundrechtseinschränkung könnte jedoch durch das Allgemeininteresse an der Wahrung der zur Schadensabwehr gebotenen mitmenschlichen Solidarität gerechtfertigt werden. 8. Die Szenarien des indirekten Paternalismus im Strafrecht erfassen zum einen die täterschaftlich begangene Fremdschädigung bzw. -gefährdung des Opfers und zum anderen die Teilnahme an einer Selbstschädigung bzw. -gefährdung. Zur Behandlung der Fälle der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung setzt die h.M. an der Sanktionenordnung an und begründet die Straflosigkeit des Außenstehenden formal mit dem Fehlen einer teilnahmefähigen Haupttat, ohne den dahinter stehenden materiellen Gedanken des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen zu thematisieren. Normativer Ausgangspunkt für die Konturierung der Freiheitssphären zwischen Täter und Opfer soll nach der hier vertretenen Auffassung das Prinzip der Selbstverantwortung sein, das in strafrechtlichen Zurechnungskategorien konkretisiert wird. Die Selbstverfügungsfreiheit schließt es aus, zur Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen des Opfers die Verhaltensweisen Dritter einzuschränken, die das Risiko eigenverantwortlicher Selbstverfügungen schaffen oder erhöhen. Denn wie jemand auf das Verhalten eines Dritten reagiert, der lediglich die Möglichkeit eines eigen-

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5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

verantwortlichen selbstschädigenden oder selbstgefährdenden Verhaltens eröffnet, unterliegt grundsätzlich allein seiner Verantwortung. Da der Außenstehende nicht unerlaubt in eine fremde Rechtssphäre eingreift, fehlt es bereits an einer zurechnungsrelevanten missbilligten Gefahrschaffung. Ein etwaiges Verbot der Ermöglichung bzw. Förderung eigenverantwortlicher Selbstverletzungen liefe auf einen den Rechtsgutsträger bevormundenden staatlichen Paternalismus hinaus. Die Frage nach der sachgerechten Abgrenzung der Fälle der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung von denen der einverständlichen Fremdschädigung orientiert sich nach der herrschenden Meinung an Kriterien der Beteiligungslehre. Die Feststellung der Tatherrschaft erfordert immer eine normative Entscheidung hinsichtlich der materiellen Verantwortlichkeit des Handelnden für das zum Erfolg führende Geschehen. Auf diese Weise erlaubt sie das Geschehen wertend als täterschaftliche Erfolgsverwirklichung einer bestimmten Person zu erfassen. Der Außenstehende, der die Herrschaft über den todbringenden Moment ausübt, wird deshalb mit Recht als Täter verantwortlich gemacht, da er die Entscheidung über den Eintritt des Todeserfolges trifft und damit eine Rechtsgutsverletzung bewirken kann. Maßgeblich für die Abgrenzung von täterschaftlicher Tötung auf Verlangen und strafloser Selbstmordbeihilfe ist demnach, ob dem Sterbewilligen noch eine Einwirkungsmöglichkeit auf den Geschehensablauf verbleibt. In diesem Fall hängt der Übergang zum Sterben vom Willen des die Tatausführung Hinnehmenden ab, so dass eine straflose Beteiligung an einer Selbstverletzung vorliegt. Vermag der Sterbwillige hingegen den Tatbeitrag des Außenstehenden nicht mehr aus eigener Kraft zu revidieren, liegt eine Tötung auf Verlangen vor. 9. Die Abgrenzung zwischen der Beteiligung an einer Selbstgefährdung und der einverständlichen Fremdgefährdung erfolgt nach der herrschenden Meinung ebenfalls anhand des Kriteriums der Tatherrschaft. Die Übertragung dieses Kriteriums auf die Gefährdungssachverhalte stößt jedoch auf erhebliche Bedenken. Die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung als Ausgangspunkt einer dogmatischen Behandlung des Opferverhaltens entbehrt einer tragfähigen Grundlage. Es empfiehlt sich vielmehr den Blick auf den dahinter stehenden materialen Grund für die Begrenzung des strafrechtlichen Schutzes des Opfers zu wenden. Der Respekt vor der Autonomie des Gefährdeten gebietet es, die bloße Ermöglichung bzw. Veranlassung einer auf einer eigenverantwortlichen Willensentscheidung beruhenden Selbstgefährdung nicht als unerlaubtes Risiko der Tatbestandsverwirklichung zu bewerten. Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Opfers schließt die Zuordnung des eingetretenen Erfolgs dem Verantwortungsbereich des Außenstehenden aus, trägt dieser gerade zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts bei. Die Eigenverantwortlichkeit des Opfers muss auch im Falle einer einverständlichen Fremdgefährdung zu einer zurechnungsausschließenden Risikoübernahme durch den Verletzten führen. Ob sich die Situation phänomenologisch als Selbst- oder Fremdgefährdung darstellt, ist für die normative Verantwortungszuweisung also nicht relevant, weil die rechtliche Beurteilung einheitlich anhand des Kriteriums der Eigenverantwortlichkeit vorzunehmen ist. Im Ergebnis erscheint die dogmatische

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Kategorie der einverständlichen Fremdgefährdung überflüssig, so dass ihre Streichung zu fordern ist. 10. Die bisherige Diskussion über die deliktssystematische Verortung der Einwilligung verläuft zu einseitig, weil sie sich allein an dem Zusammenhang zwischen dem Willen des Rechtsgutsträgers und dem Rechtsgutssubstrat orientiert. Dadurch wird die Problematik unzulässig verkürzt, weil es nach dem heutigen Stand der Lehre nicht genügt, dass ein Rechtsgut verletzt wird, sondern vielmehr erforderlich ist, dass diese Rechtsgutsverletzung dem Täter objektiv zurechenbar ist. Die systematische Einordnung der Einwilligung ist daher nicht mehr nur an die Rechtsgutsdiskussion zu binden, sondern als Zurechnungsfrage zu begreifen. Die Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit wurde bisher durch die Differenz zwischen fehlender Erfolgsverwirklichung und erlaubter Erfolgsverwirklichung gekennzeichnet. Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen also dort, wo die Lehre der objektiven Zurechnung als Kriterium eines möglichen Tatbestandsausschlusses ins Spiel kommt und die Differenz zwischen Tatbestands- und Rechtsfertigungsstufe scheinbar einzuebnen scheint. Entscheidend ist allein die Tatsache, dass die Erlaubnis ihren Grund in der eigenverantwortlichen Entscheidung des Rechtsgutsträgers hat. Was generell und nicht nur ausnahmsweise im Rahmen des Erforderlichen erlaubt ist, ist daher immer eine Sache des Tatbestandes. Die Zuordnung der Einwilligung in den Bereich der objektiven Zurechnung und damit die Annahme eines Tatbestandsausschlusses erscheint nach alledem unumgänglich. Der Tatbestandsausschluss beruht darauf, dass sich das Opfer selbst frei in den Wirkungskreis der Rechtsgutsbeeinträchtigung begibt und ihm daher die Verantwortung für den eingetretenen Erfolg zuzuschreiben ist. 11. Die Frage, welche Anforderungen an eine rechtlich wirksame selbstverfügende Entscheidung zu stellen sind, mündet in das Paternalismusproblem. Der Maßstab, ab wann der zum Schutz des nicht oder nicht voll Entscheidungsfähigen verpflichtete Staat auf den Plan gerufen wird, muss deshalb näher konkretisiert werden, um die Grenzen des zulässigen weichen Paternalismus abzustecken. Ein als Wirksamkeitsmaßstab formulierter Autonomiebegriff hat insbesondere zu berücksichtigen, dass die Kehrseite der dem Einzelnen grundrechtlich garantierten Selbstbestimmung in seiner Selbstverantwortung besteht. Die bisherigen Versuche zur Klärung der normativen Relevanz von Defiziten sind zum einen an der Dogmatik der Willensmängel bei der Einwilligung entwickelt worden. In den Fällen der Selbstschädigung bzw. -gefährdung wird zum anderen vielfach auf die Maßstäbe der mittelbaren Täterschaft abgestellt. Damit werden zwei Gebiete herkömmlicher Strafrechtsdogmatik zum Gegenstand von Erwägungen, bei denen es für eine täterschaftliche Haftung des Außenstehenden auf ein Defizit der Opferentscheidung ankommt. Geht es bei der defizitären Selbstschädigung bzw. -gefährdung wie bei der Einwilligung um die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der Beteiligten, so ist schließlich vorzugswürdig, die normative Relevanz defizitärer Entscheidungen eher in Anlehnung an die Einwilligungslehre als unter Rückgriff auf die allgemeinen strafrechtlichen Zurechnungsregeln zu entwickeln.

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5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Sowohl durch die Selbstschädigung als auch durch die einverständliche Fremdschädigung macht der Rechtsgutsträger von der ihm rechtlich garantierten Handlungsfreiheit Gebrauch. Erblickt man in der Einwilligung lediglich eine delegierte Selbstschädigung bzw. -gefährdung, so liegt eine einheitliche Beurteilung der Verantwortlichkeit für defizitäre Entscheidungen nahe. Aus den §§ 216, 228 StGB lässt sich ein generelles Verbot der Gleichbehandlung beider Verletzungsmodalitäten nicht ableiten. Es handelt sich um Ausnahmevorschriften, die am Grundsatz der ansonsten umfassenden Verfügungsbefugnis über Individualrechtsgüter nichts ändern. Der Maßstab der Verantwortlichkeit bei selbstverfügenden Entscheidungen ist also unabhängig davon zu bestimmen, ob der zur Beurteilung stehende Entschluss eigen- oder fremdhändig in die Tat umgesetzt wird. Indizien für das Vorliegen einer defizitären Entscheidung sollten sich im Ergebnis an den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung orientieren. 12. Unter dem Aspekt der Verfügungsfreiheit über eigene Rechtsgüter lassen sich die Einwilligungsschranken der §§ 216, 228 StGB nicht begründen. Es kommt entscheidend darauf an, ob die drittvermittelte Realisierung der Opferentscheidung Begründungsansätze in Richtung auf Beeinträchtigungen von Rechtsgütern Dritter oder im Hinblick auf die Eigenverantwortlichkeit der Opferentscheidung bietet. Für die Frage zulässiger Freiheitseinschränkungen zum Schutz des defizitär selbstverfügenden Opfers ist aufgezeigt worden, dass das Verhalten des Außenstehenden mit Rücksicht auf das Risiko einer defizitären Entscheidung verboten werden kann. Man kann §§ 216, 228 StGB als gesetzliche Entscheidung für die Relevanz solcher Defizite interpretieren und dahinter eine allgemeine Wertentscheidung für deren Berücksichtigung bei gravierenden Gefahren für Leib oder Leben erblicken. Alle weiteren Begründungsversuche mit Blick auf den Schutz der Rechte anderer haben sich als unhaltbar erwiesen. Aus der Zusammenschau der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung ist zunächst hervorzuheben, dass der mündige Bürger in einer aufgeklärten Strafrechtsordnung keines paternalistischen Schutzes vor sich selbst bedarf. Es muss nämlich zur Autonomie des Individuums gehören, dass es sich nicht nur für das Gute, sondern auch für das Schlechte entscheiden darf. Soll Autonomie ein Bollwerk gegen einen eudämonistischen Polizeistaat anbieten, der seine Bürger zu einem glücklichen Leben zwingen will, dann muss die Autonomie auch das Recht umfassen, sich gegen das Vernünftige oder Vorteilhafte zu entscheiden. Es ist auch deutlich geworden, dass Eingriffe in die Selbstverfügungsfreiheit auf weich paternalistischer Grundlage in sehr weitem Umfang legitimiert werden können. Die Voraussetzungen und Grenzen der normativ relevanten Autonomiedefizite müssen deshalb genau konkretisiert werden, um weitreichende Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu vermeiden. Neben der strikten Anlehnung der Indizien für ein Entscheidungsdefizit an die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung, kommt hierfür dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip entscheidende Bedeutung zu. Es ist schließlich auf die Gefahr der Umgehung der personalen Autonomie durch den bloßen Hinweis auf mittelbare Folgen für Rechte Dritter oder der Allgemeinheit

5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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hinzuweisen. Noch vor der Beantwortung der Frage, ob ein Verbot der Gesellschaft gegenüber zu rechtfertigen ist, muss sich ein liberales Strafrechtssystem, also ein System, das dem Individuum einen Eigenwert zuerkennt, die Frage stellen, ob das Verbot unabhängig vom Nutzen für andere dem Individuum gegenüber gerechtfertigt werden kann.

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Sachwortverzeichnis Absolutismus 47 Abstrakte Gefährdungsdelikte 134, 138 ff., 295 ff., 302 ff. Allgemeine Handlungsfreiheit 53 ff. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 56 ff. Appellsuizid 299 Autonomie – als Dispositionsbegriff 42 f. – als Schwellenkonzept 42 Betäubungsmittel 106 ff., 123, 127, 132 ff, 242 ff., 288, 290 Defizitäre Entscheidung 43 f., 271 ff., 291 ff. Doppelselbstmord 215 f. Drogenbesitz 106 ff., 132 ff., 138 ff. Drohung 272, 280 ff. Eigenverantwortlichkeit 135 ff., 198 ff., 203, 219 ff., 241, 242 ff., 257, 259 f., 271 Einwilligung 21, 25, 33, 82, 122 ff., 166, 226, 260 ff., 267 ff., 272 ff., 295 ff., 305 Entscheidungsdefizite 78, 82 ff., 271 ff., 294 ff. Erziehungsrecht 74 Freiheitsmaximierung 29 ff. Folgekosten 93 ff., 113, 150, 317 Freiwilligkeit 34, 63, 171 ff., 178, 281, 295 Fremdgefährdung 209, 228 ff., 232, 245 ff., 256 ff., 259 Geisteskranke 73 ff., 90, 104, 113 Gemeinschaftsbindung 49, 98 Geschlechtsumwandlung 104 Gurtpflicht 101 ff., 190 ff. Grundrechte – Abwehrfunktion 60 – objektiv-rechtlicher Gehalt 60 Hochbegabte 42

Individualität 19 Inkommensurabilität 80, 124 Irreversibilität 30, 44, 84 Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit 22, 85 ff., 134, 145 ff., 149 ff., 191, 305 ff. Jugendschutz 73 ff., 109, 138, 140 Kommunitarismus 48 Konsequentialismus 28 ff. Körperverletzung mit Einwilligung 253, 300 ff. Kumulationsdelikte 147 Lebendorganspende 111 ff. Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten 59 ff. Liberalismus 47 ff. Menschenbild des Grundgesetzes 78, 84, 121 Menschenwürde 54, 61 ff., 67, 97, 100, 160 ff. Mutmaßlicher Wille 76 Neutralitätsgebot 72 f., 149 Organhandel 157 ff. Paternalismus – direkter 26 – harter 26 – indirekter 25 – moralischer 25 – prozeduraler 83 – weicher 26, 32 ff. Peepshow 62 Persönlichkeitskerntheorie 53 Presumption of nonvoluntariness 34 Psychisch-moralische Kosten 86 ff.

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Sachwortverzeichnis

Rationalität 38 ff., 79, 278 Rauchverbot 56, 124 Rechtsgutstheorie 21, 108, 118 ff., 130 ff., 295 Rechtsmoralismus 25, 33 Regelutilitarismus 124 Risikoeinwilligung 247 ff. Schiefe-Ebene 311 ff. Schutzhelm 92, 101 ff., 188 ff. Selbstbestimmungsrecht 32, 47, 61, 74 ff., 79, 82 ff., 109, 165 ff., 181, 195, 204, 242, 261 f., 278, 295 Selbstgefährdung 50, 107, 133, 134, 145, 147, 209, 228 ff., 235 ff., 242 ff., 256 ff., 289 Selbstmord 90, 171, 196, 207, 214 ff., 228, 288, 299 Selbstverantwortung 147, 151,198 ff., 219 ff., 229, 241, 244, 272, 282 Selbstverletzung 57, 108, 115 ff., 118, 127, 196, 204, 228, 236, 284 ff., 291 ff. Sittengesetz 98 ff. Sklavenbeispiel 29 Sozialstaatsprinzip 66 f., 96, 162

Tatherrschaft 198, 206 ff., 210 ff., 219, 224, 226 f., 229 ff., 293 Täuschung 35, 273 ff. Teilnahmeargument 195 f. Tötung auf Verlangen 194, 212 ff., 219 ff., 227 ff., 252, 295 ff., 305 ff., 308 ff., 314 ff. Tugendpflicht 36 Typisierung 45 Utilitarismus 123 f. Verfassungsmäßige Ordnung 68 f., 84 ff., Verhaltensökonomie 38 f. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 57, 82 f., 106, 139, 178 Vernünftigkeit 34, 39, 78, 254, 278, 297, 301 ff. Willensmängel 32, 79, 271 ff., 279 ff. Wohlfahrtsstaat 47 Zurechnungslösung 256 f. Zwang 24, 36, 136, 171 ff., 280 ff.