Grabgesang der Demokratie: Die Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie von 1965 bis 1985. Dissertationsschrift 9783525300794, 9783647300795, 3525300794

Diese Studie zeigt eindrucksvoll, dass Angst vor dem Scheitern der Demokratie ein ständiger Begleiter aller politischen

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Grabgesang der Demokratie: Die Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie von 1965 bis 1985. Dissertationsschrift
 9783525300794, 9783647300795, 3525300794

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Christian Schletter

Grabgesang der Demokratie Die Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie von 1965 bis 1985

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-30079-4 ISBN 978-3-647-30079-5 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung. Ó 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Quantitative Analyse: Thematisierung des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines möglichen Krieges von 1965 bis 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Durchführungskriterien für die Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . 2.2 Relevanz der Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Thematisierungen der Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einem möglichen Krieg . . . . 2.4 Thematisierungen einzelner Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur« von 1965 bis 1985 . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Thematisierung verschiedener Szenarien im gesamten Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Angst vor einer neuen Massenbewegung . . . . . . . . . 2.4.3 Die Angst vor einem neuen Führer . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Die Angst vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden . . . 2.4.5 Die Angst vor einer latenten militärischen Bedrohung . . . . 2.4.6 Die Angst vor einem anonymen Machtapparat . . . . . . . . 2.4.7 Sonstige Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder Demokratiekonzeptionen . . . . . . . . . . 2.4.8 Gegendiskurs: Stärke der bundesdeutschen Demokratie bzw. Erhaltung des Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung der quantitativen Analyse . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3. Das künftige Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder einen unmittelbar drohenden Krieg sichtbar machen . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Sieg einer neuen totalitären Massenbewegung . . . . . . . . . 3.1.1 Die Angst vor der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) als Massenbewegung . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Angst vor der Studentenbewegung . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Konservative Ängste vor einer neuen Massenbewegung nach 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Zwischenfazit zum Szenario der Massenbewegung . . . . . . 3.2 Der Sieg eines neuen Führers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die Angst vor Franz Josef Strauß . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Die Angst vor Willy Brandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Angst vor dem »starken Mann« . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Zwischenfazit zum Szenario eines neuen Führers . . . . . . 3.3 Die absolute Kontrolle der Gesellschaft durch einen anonymen Machtapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Ängste vor einem anonymen Machtapparat in den 1960er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor den Konsequenzen einer SPD-Regierung . . . . . . . . . . . 3.3.2.1 Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einer totalitären Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2 Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem »Marsch durch die Institutionen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Die Angst vor einem Überwachungsstaat . . . . . . . . . . . 3.3.4 Zwischenfazit zum Szenario des anonymen Machtapparats . 3.4 Der Ausbruch eines neuen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Willy Brandts Ostpolitik als Auftakt zu einem neuen Krieg .

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4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei denjenigen zu bedanken, die mich bei meiner Dissertation immer hilfreich und wohlwollend unterstützt haben und somit einen großen Anteil daran tragen, dass dieses Buch überhaupt entstehen konnte. Einen besonderen Dank geht an meinen Doktorvater Prof. Dr. Patrick Wagner, der mich vom Beginn bis zum Abschluss meines Dissertationsvorhabens begleitet hat und mir immer beratend und helfend zur Seite stand. In zahlreichen Kolloquien, Tagungen, Treffen des Historikerstammtisches und unzähligen Gesprächen fand er immer die Zeit, mir motivierend und konzeptionell Hilfestellungen zu geben und half mir, den roten Faden nicht aus den Augen zu verlieren. Ebenso gab mir Prof. Dr. Manfred Hettling bei diversen Kolloquien wohlwollende hilfreiche Denkanstöße und eröffnete mir so neue Horizonte. Auch Florian Hannig möchte ich an dieser Stelle danken, der mir besonders in der Frühphase meines Dissertationsvorhabens viele konzeptionelle Hilfestellungen gab und somit großen Anteil am Gelingen des Dissertationsprojekts trägt. Ebenfalls besonderen Dank möchte ich an die Hans Böckler Stiftung richten. Diese hat nicht nur durch einen Druckkostenzuschuss die Publikation der Doktorarbeit ermöglicht, sondern mich auch über den gesamten Promotionszeitraum finanziell durch ein Promotionsstipendium unterstützt, ohne das die Arbeit an der Dissertation nicht möglich gewesen wäre. Als Vertrauensdozent der Hans Böckler Stiftung und auch darüber hinaus stand mir Prof. Dr. Josef Mooser beratend zur Seite, dem ich an dieser Stelle dafür herzlich danken möchte. Für die ideelle und motivierende Unterstützung möchte ich ganz herzlich meiner Familie danken, besonders meiner Mama, Dr. Katrin Schletter, die in aufwändiger Lektoratsarbeit zahlreiche Tippfehler beseitigen konnte. Für das große Verständnis für die leider oft zu geringe Freizeit möchte ich meiner Frau Louise und meinen Töchtern Nora und Sophie danken.

1.

Einleitung

Stand der Forschung Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 gilt den Historikern als Erfolgsgeschichte. Das »Aufregende an der Geschichte der Bundesrepublik« sei, so formuliert es Edgar Wolfrum, »daß die Katastrophe ausblieb und daß dieser Staat zu einer der stabilsten und angesehensten westlichen Demokratien geworden ist.«1 »Selbst schwerste historische Konflikte«, so beobachtet Andreas Wirsching, »an denen es der Geschichte der alten Bundesrepublik keineswegs mangelte, verwandeln sich im Rückblick in eine harmonische Gesamtschau.«2 Die zeitgenössischen Akteure der von Wirsching angesprochenen Konflikte allerdings sahen die demokratische Ordnung der Bundesrepublik immer wieder unmittelbar vom Untergang bedroht. Diese augenfällige Diskrepanz zwischen den Deutungen vieler Zeitgenossen und der rückblickend »harmonische[n] Gesamtschau« der neuesten Geschichtsschreibung bildet den Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Hans-Peter Schwarz hat bereits 1990 in einer »Problemskizze« darauf hingewiesen, dass die Geschichte der »alten« Bundesrepublik von der Angst vor einer erneuten Katastrophe förmlich durchzogen war. Diese Geschichte, so argumentiert Schwarz, werde »nur dann voll verständlich […], wenn man auch sie in der Katastrophenperspektive zu verstehen sucht.«3 Schwarz erkannte schon früh, dass die Bundesrepublik von der Angst vor einer erneuten Katastrophe geprägt war. Im Gegensatz zu vielen anderen Historikern der 1980er Jahre interpretierte er diese Katastrophenangst aber nicht einfach als Fehleinschätzung 1 Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006, S. 11. 2 Andreas Wirsching: Für eine pragmatische Zeitgeschichtsforschung; in: APuZ 3/2007, S. 13 – 18; hier : 13. 3 Hans-Peter Schwarz: Die ausgebliebene Katastrophe. Eine Problemskizze zur Geschichte der Bundesrepublik; in: Hermann Rudolph (Hg.): Den Staat denken. Theodor Eschenburg zum Fünfundachtzigsten, Berlin 1990, S. 151 – 174; hier: S. 152.

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Einleitung

der damaligen Lage, sondern misst der »Angst vor erneutem Wegrutschen des innenpolitischen Bodens großes historisches Gewicht« bei und identifiziert in ihr ein »etwas leisere[s], dissonante[s] Leitmotiv der postkatastrophalen Epoche deutscher Geschichte«.4 Dabei erkannte Schwarz, dass es »durchaus nicht immer nur die unter verschiedenen Feldzeichen antretenden Fähnlein im linken politischen Lager [sind], die von tiefer Katastrophenangst erfaßt werden« und bilanziert deshalb, dass »Katastrophenangsterinnerung, Katastrophenangst und objektive Bedingungen möglicher Katastrophen […] durchaus ein Leitmotiv in dem so kräftig klingenden Concerto grosso bundesdeutscher Geschichte [waren], nicht das einzige gewiß, aber doch ein immer wieder vernehmbares.«5 Zwei Jahre nach Schwarz’ Anregung hat Jeffrey Herf diese in einem Aufsatz weiter entwickelt und festgestellt, dass »sowohl auf der Linken wie auf der Rechten, bei Neo-Marxisten wie Neo-Konservativen, eine deterministische Vorstellung vom Niedergang der Demokratie oder des Kapitalismus sehr ausgeprägt [war], wenn Ende der siebziger Jahre über die ›Krise der Demokratie‹ geschrieben wurde.«6 Diese Befürchtungen artikulierten sich beispielsweise in den zeitgenössischen Thesen von den »Legitimationsproblemen des Spätkapitalismus«7 oder der »Unregierbarkeit«8 und hätten Herf zufolge 1983 ihren Höhepunkt »in düsteren Warnungen vor dem Untergang der Demokratie« gefunden.9 In den Auseinandersetzungen um den NATO-Doppelbeschluss ab 1979 sei zudem deutlich geworden, dass sich sowohl Linke als auch Konservative in ihrer Argumentation auf die NS-Vergangenheit beriefen.10 Herf belässt es wie Schwarz bei solchen skizzenhaften Überlegungen, ohne hieraus eine systematische Untersuchungsstrategie abzuleiten. Generell sind Schwarz’ Thesen zwar als anregend rezipiert worden, haben aber bislang keine systematische Untersuchung zu »provozieren« vermocht. Daher soll die vorliegende Untersuchung die von Schwarz und Herf ausgelegten Fäden aufnehmen und somit Holger Nehrings Forderung gerecht werden, dass »die Ideengeschichte der Bundesrepublik gut daran [täte], zu einer mittlerweile zwar wieder oft zitierten, aber nur selten zu Ende gedachten Beobachtung von

4 Schwarz: Katastrophe, S. 155 und 157. 5 Schwarz: Katastrophe, S. 157 und 160. 6 Jeffrey Herf: Demokratie auf dem Prüfstand. Politische Kultur, Machtpolitik und die Nachrüstungskrise in Westdeutschland; in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 1 – 28; hier: S. 1. 7 Vgl. Jürgen Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt a. M. 1973. 8 Vgl. Wilhelm Hennis; Peter Graf Kielmansegg; Ulrich Matz (Hg.): Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung, 2 Bde., Stuttgart 1977/79. 9 Herf: Demokratie, S. 2. 10 Vgl. Herf: Demokratie, S. 24 f.

Stand der Forschung

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Hans-Peter Schwarz zurückzukehren: nämlich die Geschichte der Bundesrepublik als die einer ausgebliebenen Katastrophe zu schreiben.«11 Immerhin bieten einige Publikationen der letzten Jahre weitere Anknüpfungspunkte für eine solche Untersuchung. Eckart Conze beispielsweise hat, indem er die Geschichte der Bundesrepublik mit Hilfe der Analysekategorie »Sicherheit« zu schreiben versucht, zugleich deutlich gemacht, wie prekär das Sicherheitsempfinden der Bundesbürger über Jahrzehnte blieb.12 Damit bildeten die latenten Ängste vor einem Untergang der neuen Demokratie, der wirtschaftlichen Stabilität und des Friedens eine zentrale, jederzeit aktivierbare Ressource der innenpolitischen Auseinandersetzung. Die jeweiligen politischen Gegner waren, so stellt Conze fest, »schon dadurch zu denunzieren, daß man ihnen vorwarf, sie setzten leichtfertig die ›Sicherheit‹ auf das Spiel, und sei es nur, indem sie für eine Veränderung des außen- und innenpolitischen Status quo eintraten.«13 Eine wirkliche Untersuchung solcher Debatten leistet Conze jedoch nicht, da er die Schwerpunkte seines Erkenntnisinteresses anders setzt. Eine wichtige Vorarbeit für die Untersuchung stellt Sebastian Ullrichs 2009 erschienene Dissertationsschrift »Der Weimar-Komplex« dar.14 Ullrich untersuchte, inwiefern der Diskurs über das Scheitern der Weimarer Republik die politische Kultur der frühen Bundesrepublik bis 1959 beeinflusste. Dabei kommt er zu der Erkenntnis, dass immer wieder »in den Krisensituationen der bundesrepublikanischen Innenpolitik das Schreckgespenst der ›Weimarer Verhältnisse‹ beschworen [wurde], um gegen die angebliche oder tatsächliche Gefährdung der Demokratie zu mobilisieren.«15 Ullrich stellte heraus, dass bis in die Mitte der 1950er Jahre Vergleiche zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland hauptsächlich zur Kritisierung der Bundesrepublik verwendet wurden, indem man die Ähnlichkeiten zwischen beiden deutschen Demokratien hervorhob. Dieses Argumentationsmuster änderte sich Mitte der 1950er Jahre, als die Unterschiede zwischen beiden deutschen Demokratien stärker wahrgenommen wurden, sodass »der Weimarbezug die Funktion [erhielt], die er bis heute in der politischen Kultur der Bundesrepublik 11 Holger Nehring: Die nachgeholte Stunde Null. Intellektuelle Debatten um die Atombewaffnung der Bundeswehr 1958 – 1960; in: Dominik Geppert; Jens Hacke (Hg.): Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960 – 1980, Göttingen 2008, S. 229 – 250; hier : S. 242. 12 Vgl. Eckart Conze: Sicherheit als Kultur. Überlegungen zu einer »modernen Politikgeschichte; in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 53 (2005), S. 357 – 380 und ders.: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009. 13 Conze: Sicherheit als Kultur, S. 370. 14 Vgl. Sebastian Ullrich: Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945 – 1959, Göttingen 2009. 15 Ullrich: Weimar-Komplex, S. 18.

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Einleitung

einnimmt. Die problematische Naherwartung eines Scheiterns ließ zunehmend nach zugunsten der Warnung vor kommenden Gefahren.«16 Weimarvergleiche dienten nun nicht mehr dazu, grundsätzliches Misstrauen gegenüber der neuen demokratischen Ordnung zu schüren, sondern »sensibilisierten vielmehr für die Gefährdungen der jungen Demokratie und riefen zu ihrer Verteidigung auf«.17 Diese These wird von Ullrich nicht systematisch überprüft, da dies seinen Untersuchungszeitraum gesprengt hätte. Hier knüpft die vorliegende Untersuchung an, indem sie einen längeren Zeitraum einbezieht. Ullrich hat den Weimar-Diskurs für das Gründungsjahrzehnt sehr exakt aufgezeichnet. Im Gegensatz zu Ullrichs Dissertationsschrift will sich die vorliegende Untersuchung aber erstens nicht auf den Weimardiskurs beschränken, sondern das gesamte Spektrum von Debatten über das potenzielle Scheitern der bundesdeutschen Demokratie in den Blick nehmen. Zweitens wählt die Untersuchung einen anderen Untersuchungszeitraum als Ullrich. Sie geht mit Schwarz und Herf von der Hypothese aus, dass ein mögliches Scheitern der bundesdeutschen Demokratie auch nach 1960 immer wieder in politisch relevantem Ausmaß thematisiert wurde, obwohl sich die Bundesrepublik innen- und außenpolitisch sowie wirtschaftlich gefestigt hatte und sich damit deutlich von der gescheiterten Weimarer Republik unterschied. Für die Jahrzehnte nach 1960 ist dieses Thema in dem 2008 von Dominik Geppert und Jens Hacke herausgegebenen Sammelband »Streit um den Staat« angerissen, aber nicht systematisch untersucht worden.18 So thematisiert der Beitrag von Joachim Scholtyseck Karl Jaspers 1966 erschienenes Buch »Wohin treibt die Bundesrepublik«19 und bilanziert, dass »das hier vertretene Zerrbild […] stellvertretend für zahlreiche Werke [steht], in denen ein apokalyptisches Denken vorherrschte und in denen die Bundesrepublik auf dem Weg in einen Krieg gesehen wurde.«20 Wolfgang Kraushaar zeigt auf, wie die Gegner der Notstandsgesetze Erinnerungen an die nationalsozialistische Machtergreifung artikulierten, kommt aber zu dem Schluss, dass es dem harten Kern der Notstandsgegner vermutlich nicht um die Vermeidung von Gefährdungen der Demokratie gegangen sei, sondern darum, den Verfassungsstaat anzugreifen.21 Riccardo Bavaj zeigt beispielhaft, wie Kurt Sontheimer seine anfängliche Sym16 Ullrich: Weimar-Komplex, S. 418. 17 Ullrich: Weimar-Komplex, S. 420. 18 Vgl. Dominik Geppert; Jens Hacke (Hg.): Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960 – 1980, Göttingen 2008. 19 Karl Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, München 1966. 20 Joachim Scholtyseck: Mauerbau und Deutsche Frage. Westdeutsche Intellektuelle und der Kalte Krieg; in: Geppert; Hacke (Hg.): Streit, S. 67 – 90; hier : S. 83. 21 Vgl. Wolfgang Kraushaar : Die Furcht vor einem »neuen 33«. Protest gegen die Notstandsgesetzgebung; in: Geppert; Hacke (Hg.): Streit, S. 135 – 150; hier : S. 139 und 146.

Stand der Forschung

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pathie für die Studentenbewegung hinterfragte und begann, »nach und nach die neulinke Ideologie als ernsthafte Gefahr für die Existenz der Bundesrepublik wahrzunehmen.«22 Daniela Münkel kommt zu dem Resultat, dass im Streit um die Demokratisierung der Universitäten in den 1960er und 1970er Jahren »ein Szenario entworfen [wurde], dass die Universität und den Staat kurz vor ihrem Zusammenbruch sah. Dabei wurde streckenweise ein Bild gezeichnet, als stünde die kommunistische Revolution unmittelbar bevor. Die Gefährdungs- und Untergangsszenarien für die zweite deutsche Demokratie erinnerten viele der engagierten Professoren an die Endphase der Weimarer Republik«.23 Jens Hacke untersucht, warum das Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren »bei einer Vielzahl von Intellektuellen das Empfinden auslös[te], unmittelbar vor dem Abgrund zu stehen«.24 Hacke verweist auf die Auffälligkeit, dass nach 1968 politische Konflikte dazu verwendet worden seien, »intellektuelle Lager neu zu markieren« und bilanziert, dass die Dramatik der Lage aus historischer Perspektive nur schwer nachvollziehbar sei.25 Jörg Requate sieht das »Aufbauschen oder die Verharmlosung der Bedrohung des Staates« durch den Terrorismus der Roten Armee Fraktion als »Teil der politischen Argumentationsstrategie«.26 Der Sammelband von Geppert und Hacke verdeutlicht insgesamt das Potenzial des Untersuchungsthemas, schöpft es aber bei weitem nicht aus. Von großem Erkenntnisinteresse ist, warum in der alten Bundesrepublik von den Zeitgenossen immer wieder zu bestimmten Anlässen das vermeintlich unmittelbar bevorstehende Scheitern der gesellschaftlichen und politischen Ordnung diskutiert wurde. Hierbei spielen die zeitgenössischen Ängste eine große Rolle, wodurch diese Untersuchung einen kleinen Beitrag zur aufstrebenden Gefühlsgeschichte leisten soll, obwohl sie lediglich das Gefühl »Angst« untersucht.27 Axel Schildts skizzenhafte Überlegungen zur »German Angst« von 2004 beziehen sich auf die Angstpotenziale der Bevölkerung.28 Zur Historisierung der 22 Riccardo Bavaj: Verunsicherte Demokratisierer. »Liberal-kritische« Hochschullehrer und die Studentenrevolte von 1967/68; in: Geppert; Hacke (Hg.): Streit, S. 151 – 168; hier S. 163 f. 23 Daniela Münkel: Der »Bund Freiheit der Wissenschaft«. Die Auseinandersetzungen um Demokratisierung der Hochschule; in: Geppert; Hacke: Streit, S. 169 – 187; hier: S. 177. 24 Jens Hacke: Der Staat in Gefahr. Die Bundesrepublik der 1970er Jahre zwischen Legitimationskrise und Unregierbarkeit; in: Geppert; Hacke (Hg.): Streit, 188 – 206; hier : S. 188. 25 Hacke: Staat, S. 202. 26 Jörg Requate: Gefährliche Intellektuelle? Staat und Gewalt in der Debatte über die RAF; in: Geppert; Hacke (Hg.): Streit, S. 251 – 268; hier: S. 253. 27 Vgl. zur Erforschungen von Gefühlen in der Geschichtswissenschaft beispielhaft Birgit Aschmann: Vom Nutzen und Nachteil der Emotionen in der Geschichte. Eine Einführung; in: dies. (Hg.): Gefühl und Kalkül. Der Einfluss von Emotionen auf die Politik des 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005, S. 9 – 32; bes.: S. 30 f. 28 Vgl. Axel Schildt: »German Angst«: Überlegungen zur Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik; in: Daniela Münkel; Jutta Schwarzkopf (Hg.): Geschichte als Experiment. Studien

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Einleitung

»German Angst« skizziert Schildt »vier zentrale und miteinander verbundene Angstkomplexe […], die öffentlich immer wieder thematisiert und sehr wirksam politisch funktionalisiert wurden: die Angst vor Krieg und äußeren Feinden, die Angst vor der Zerstörung der inneren Ordnung, die Angst vor einem ökonomischen Kollaps und die Angst vor apokalyptischen Gefahren in der ›Risikogesellschaft‹ (Ulrich Beck)«.29 Diese Untersuchung folgt Schildts Einteilung der Angst, konzentriert sich aber auf die Ängste vor einem Krieg und der Zerstörung der inneren Ordnung. Die anderen beiden Angstkomplexe werden nur untersucht, falls thematisiert werden sollte, dass deren Folgen ebenfalls zu einem Scheitern der gesellschaftlichen und politischen Ordnung der Bundesrepublik führen könnten. Bei der Untersuchung wird auf die Unterscheidung zwischen der eher konkreten »Furcht« und der etwas gegenstandsärmeren »Angst« verzichtet, da diese Unterscheidung im zeitgenössischen Sprachgebrauch nur selten konsequent eingehalten wurde.30 Vielmehr werden die Verbalisierungen von Ängsten untersucht, »die einen Hinweis auf das definitorische Kernmerkmal beider Gefühle geben, und das ist die Erwartung eines Unheils oder einer negativen Situation in der Zukunft«, also das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. ein drohender Krieg.31 Schildt bemerkte außerdem, dass Ängste der Bevölkerung im Unterschied zur Geschichte der Antike, des Mittelalters oder der frühen Neuzeit in der Zeitgeschichtsforschung wenig Beachtung gefunden hätten.32 Dieser Befund ist heute erfreulicherweise nicht mehr zutreffend, da in letzter Zeit vermehrt Arbeiten zur »Angst« erschienen sind. So arbeitet Frank Biess heraus, wie sich »im Übergang zu den 1970er Jahren […] die Optik von außen nach innen« verschob und Angst »in diesem Gefühlsregime eine privilegierte Position ein[nahm], weil diese Emotion das Subjekt erst sensibilisierte für bisher möglicherweise nicht wahrgenommene neue Gefahrenmomente«.33 Gleichzeitig wurde die Angst zum Ausgangspunkt für politische Aktivität. In Frank Biess’ Überlegungen zur »German Angst« skizzierte er unterschiedliche Angstzyklen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. In den 1960er Jahren verschoben sich die Objekte der Angst, sodass nicht mehr die Angst im Mittelpunkt stand, »ein schwacher Staat könne seine Bürgerinnen und Bürger womöglich nur unzu-

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zu Politik, Kultur und Alltag im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Adelheid von Saldern, Frankfurt a.M. 2004, S. 87 – 97. Schildt: »German Angst«, S. 89. Vgl. Bormann, Patrick; Freiberger, Thomas; Michel, Judith: Theoretische Überlegungen zum Thema Angst in den Internationalen Beziehungen; in: dies. (Hg.): Angst in den Internationalen Beziehungen, Göttingen 2010, S. 13 – 43; hier : S. 27 und S. 29. Bormann; Freiberger ; Michel: Theoretische Überlegungen, S. 31. Vgl. Schildt: »German Angst«, S. 88. Frank Biess: Die Sensibilisierung des Subjekt: Angst und »Neue Subjektivität« in den 1970er Jahren; in: Werkstatt Geschichte 49 (2008); S. 51 – 72; hier : S. 54.

Untersuchungszeitraum

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länglich gegen äußere Gefahren schützen, sondern eher die Angst vor einem zu starken und möglicherweise repressiven Staat, wie er sich in der Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze zu offenbaren schien.«34 Des Weiteren traten mit der Angst vor einer »latent faschistischen Bedrohung innerhalb der westdeutschen Gesellschaft wie auch im Individuum selbst« andere Formen der inneren Bedrohung auf.35 In den 1980er Jahren konzentrierten sich die Ängste der vorherigen Dekade in zwei »Großängsten«, die Angst vor Umweltzerstörung und die Angst vor einem Atomkrieg.36 Biess interpretiert diese Ängste nach Inhalt und Form nicht als spezifisch deutsch, sieht aber in der »im Vergleich zu anderen Ländern größere[n] emotionale[n] Intensität der Angstkonjunkturen« eine deutsche Besonderheit, die »vom Nachhall extremer Gewalt- und Zusammenbruchserfahrungen im 20. Jahrhundert« zeuge.37 In den Jahren 2009 und 2010 erschienen außerdem zwei Sammelbände, in denen die Angst historisch untersucht wurde und die wichtige Ansatzpunkte für Untersuchungen zur Kriegsangst in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 bieten.38

Untersuchungszeitraum Der Untersuchungszeitraum wurde auf die Jahre von 1965 bis 1985 beschränkt. 1965, im 20. Jahr nach Kriegsende, herrschte außenpolitisch »nach der Doppelkrise um Berlin und Kuba Ruhe; der Ost-West-Konflikt war in eine Phase der Entspannung eingetreten, die scharfe Konfrontativität in eine kooperative Konfliktaustragung im Zeichen der nuklearen Abschreckung übergegangen.«39 Außerdem prosperierte die deutsche Wirtschaft, soziale Sicherheit und Massenkonsum stabilisierten ein demokratisches System, dessen Wertorientierungen von immer mehr Menschen bewusst akzeptiert und verinnerlicht wurden. Ludwig Erhard trat 1963 die Nachfolge als Bundeskanzler an und wurde in der Bundestagswahl 1965 auch nachträglich vom Volk legitimiert. Während es auch aus historischer Sicht nicht überraschen kann, dass in den 1950er Jahren – in der unmittelbaren Nachkriegszeit – Ängste vor einem bevorstehenden Scheitern der 34 35 36 37 38

Biess, Frank: German Angst; in: Psychologie heute (2) 2009, S. 29 – 34; hier : S. 30. Biess: German Angst, S. 30. Vgl. Biess: German Angst, S. 33. Biess: German Angst, S. 34. Vgl. Vgl. Bernd Greiner ; Christian Th. Müller; Dierk Walter (Hg.). Unter Mitarbeit von Claudia Wagner : Angst im Kalten Krieg. Studien zum Kalten Krieg, Hamburg 2009 und Patrick Bormann; Thomas Freiberger ; Judith Michel (Hg.): Angst in den Internationalen Beziehungen, Göttingen 2010. 39 Conze: Suche nach Sicherheit, S. 331.

16

Einleitung

bundesdeutschen Demokratie omnipräsent waren, so ist es doch verwunderlich, dass diese auch nach 1965 weiterhin bestanden. Als Endpunkt der Untersuchung wurde 1985 gewählt, da die Ernennung Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU am 10. März 1985 »nicht nur in der Sowjetunion und im Ostblock, sondern auch im Westen als Neuanfang gesehen« wurde.40 Auch innenpolitisch lassen sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Veränderungen erkennen. Der Protest gegen die Volkszählung 1983 war die letzte Debatte über ein mögliches Scheitern der bundesdeutschen Demokratie unter den alten »Rahmenbedingungen«. Der Volkszählungsprotest 1983 – so die hier vertretene These – konnte nur dadurch so erfolgreich werden, weil er als Stellvertreterkonflikt für negative Entwicklungen der vorherigen Dekade fungierte.41 Ab Mitte der 1980er Jahre wurden die Bedrohungsszenarien universeller und unabhängig von der politischen Couleur, wofür stellvertretend der Begriff der »Risikogesellschaft« steht.42 Wirtschaftliches Wachstum war eng verbunden mit dem Wachstum gesellschaftlicher Risiken (wie beispielsweise Umweltkatastrophen oder Arbeitslosigkeit), die alle Menschen in gleichem Maße betrafen und nicht vor sozialen, politischen oder finanziellen Grenzen halt machten. Erst mit der geplanten Wiedervereinigung ab 1989 und dem Erstarken rechtsextremer Gruppierungen kamen die Debatten über ein bevorstehendes Scheitern der politischen Ordnung wieder auf, betrafen aber vorrangig die Sorge der Nachbarn Deutschlands vor einem wiederhergestellten deutschen Nationalstaat, der einen neuen deutschen Nationalismus hervorrufen könnte, weshalb diese Debatten unter neuen Rahmenbedingungen stattfanden.43

Ausgangshypothesen Auch wenn man den Forschungsstand als rudimentär bezeichnen kann, so wird doch schon darauf hingewiesen, dass der alarmistische Grundton vieler politischer Debatten in der Bundesrepublik Deutschland ein besonderes Merkmal der bundesdeutschen politischen Kultur darstellt.44 Es ist außerdem auffällig, dass 40 Bernd Stöver: Der Kalte Krieg 1947 – 1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007, S. 438. 41 Zur Volkszählungsdebatte vgl. Andreas Wirsching: Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 – 1990, München 2006, S. 393 – 398. 42 Vgl. Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M. 1986. 43 Vgl. Dirk Moses: German Intellectuals and the Nazi Past, Cambridge 2007, S. 220. 44 Politische Kultur zeigt sich hierbei nach Karl Rohes Definition »einerseits als ›Weltbild‹ […], das das politische Denken, andererseits als ›ungeschriebene Verfassung‹, die das öffentliche Reden und Handeln der Gruppenmitglieder konditioniert.« Damit »stellt sie so etwas wie

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auch innenpolitische Auseinandersetzungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland thematisiert wurden und dort die Sorge vor einem Verlust bürgerlicher und beruflicher Rechte in der Bundesrepublik geäußert wurde.45 Die bundesdeutschen zeitgenössischen Akteure instrumentalisierten die Ängste des Auslandes für ihre Argumentation und sahen in der Gefährdung der Demokratie ein deutsches Spezifikum. Norbert Frei sieht beispielsweise die bundesdeutsche Spezifik der Revolte von 1968 vor allem »in der vergangenheitspolitischen Aufladung« innenpolitischer Kontroversen.46 Daraus ergibt sich die Hypothese, dass die Debatten über ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. den Untergang des Landes in einer kriegerischen Apokalypse von den Deutungen des Scheiterns der Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Machtübernahme, der Struktur der NS-Herrschaft und der Endphase des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden geprägt waren.47 Folgt man der Ansicht Conzes, dass »keine der großen Debatten um die Zukunft der Republik […] frei von Bezügen zur nationalsozialistischen Vergangenheit« sei, so lässt sich fragen, inwiefern die Debatten über ein mögliches Scheitern der bundesdeutschen Demokratie von diesen Bezügen geprägt sind.48 Mit Reinhart Koselleck kann man hier nach den Zusammenhängen von »Erfahrungsräumen« und »Erwartungshorizonten« der Akteure sowie nach deren Folgen für die innenpolitischen Debatten der Bundesrepublik fragen – und zwar in einer die Wandlungen dieser Elemente in den Blick nehmenden Perspektive. In jenem Maße, in dem sich die

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einen mit Sinnbezügen gefüllten politischen Denk-, Handlungs- und Diskursrahmen dar, innerhalb dessen sich das Denken, Handeln und öffentliche Reden politischer Akteure vollzieht.«: Karl Rohe: Politische Kultur : Zum Verständnis eines theoretischen Konzepts; in: Oskar Niedermayer; Klaus von Beyme (Hg.): Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1994, S. 1 – 21; hier S. 1. Außerdem sei die politische Kultur »so etwas wie eine kollektive Theorie des Politischen […] mit einer spezifischen Sicht politischer Grundprobleme und entsprechenden ›Antworten‹ und ›Lösungen‹, die nicht zuletzt die historischen Krisenerfahrungen des jeweiligen Kollektivs spiegeln.«: Karl Rohe: Politische Kultur und der kulturelle Aspekt von politischer Wirklichkeit. Konzeptionelle und typologische Überlegungen zu Gegenstand und Fragestellung Politischer Kultur-Forschung; in: Dirk BergSchlosser ; Jakob Schissler (Hg.): Politische Kultur in Deutschland. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Opladen 1987, S. 39 – 48; hier: S. 40. Vgl. beispielhaft die Kampagne im Ausland gegen die deutschen »Berufsverbote«: Peter Graf Kielmansegg: Nach der Katastrophe. Eine Geschichte des geteilten Deutschlands, Berlin 2000, S. 335. Vgl. Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest, München 2008, S. 78. Diese Hypothese belegen in Ansätzen auch die Arbeiten zur Kriegsangst von Frank Biess und Holger Nehring in dem bereits erwähnten Sammelband »Angst im Kalten Krieg«: Vgl. Frank Biess: »Jeder hat eine Chance«. Die Zivilschutzkampagnen der 1960er Jahre und die Angstgeschichte der Bundesrepublik; in: Greiner ; Müller; Walter (Hg): Angst, S. 61 – 93; hier : S. 64 und S. 91 und Holger Nehring: Angst, Gewalterfahrungen und das Ende des Pazifismus. Die britischen und westdeutschen Proteste gegen Atomwaffen, 1957 – 1964; in: Greiner ; Müller; Walter (Hg): Angst, S. 436 – 464; hier : S. 446. Conze: Suche nach Sicherheit, S. 14.

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die Erwartungshorizonte bestimmenden Erfahrungsräume durch verschiedene Faktoren (nicht zuletzt durch generationellen Wandel49) im Untersuchungszeitraum veränderten (»Erfahrungen überlagern sich, imprägnieren sich gegenseitig […,] neue Hoffnungen oder Enttäuschungen, neue Erwartungen schießen rückwirkend in sie ein«, so Koselleck50), dürften sich auch die im Rahmen dieser Arbeit speziell interessierenden Erwartungshorizonte – die Untergangsszenarien bundesdeutscher Demokratie – gewandelt haben. Der Umgang der Geschichtswissenschaft mit dem Scheitern der Weimarer Republik spielt für die Untersuchung nur insofern eine Rolle, als sie Einfluss auf die Interpretationen der Akteure besaß. Zwar knüpft die vorliegende Untersuchung an die Beobachtung Jan Eckels an, dass »bis in die Gegenwart der neunziger Jahre hinein […] sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Weimarer Republik in einem wesentlichen Strang als ein Nachdenken über die Möglichkeiten des Scheiterns der Demokratie und damit als stabilisierende Begleitreflexion für das eigene politisch-gesellschaftliche System dar[stellte]«.51 Auf eine detaillierte Untersuchung der entsprechenden geschichts- und politikwissenschaftlichen Debatten wird aber verzichtet. Als Arbeitshypothese wurden vier Szenarien identifiziert, die in den Debatten über ein befürchtetes Scheitern der Demokratie bzw. die mögliche Zerstörung Deutschlands in einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen 1965 und 1985 mehrfach aktiviert wurden und sich zum Teil auch gegenseitig beeinflussten: Im ersten Szenario wurde ein Krieg heraufbeschworen, der unabhängig vom Gesamtverlauf (d. h. auch dann, wenn die Erde nicht als ganze zerstört werden sollte), zur völligen Zerstörung des »Frontstaates« Bundesrepublik führen würde. Im zweiten Szenario erwartete man den Sieg einer totalitären Massenbewegung. Im dritten Szenario wurde der Aufstieg eines neuen charismatischen Führers thematisiert. Im vierten Szenario schließlich wurde ein Ende 49 Ausgehend von Hans Günter Hockerts Einteilung wird bei den Akteuren, die das mögliche Scheitern der bundesdeutschen Demokratie thematisierten, zwischen denjenigen unterschieden, die »Primärerfahrung« besaßen, das heißt, die das Ende der Weimarer Republik und den Nationalsozialismus aktiv miterlebten, und denjenigen, die ohne solche eigenen Erfahrungen an der »Erinnerungskultur« teilhatten und in der Öffentlichkeit nicht spezifisch wissenschaftlich mit dem Ende der Weimarer Republik umgingen: Vgl. Hans Günter Hockerts: Zugänge zur Zeitgeschichte: Primärerfahrung, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft; in: Konrad H. Jarausch; Martin Sabrow (Hg.): Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt a.M. 2002, S. 39 – 73; hier : S. 41. 50 Reinhart Koselleck: »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« – zwei historische Kategorien; in: ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1979, S. 349 – 375; hier S. 358. 51 Jan Eckel: Der Sinn der Erzählung. Die narratologische Diskussion in der Geschichtswissenschaft und das Beispiel der Weimargeschichtsschreibung; in: ders.; Thomas Etzemüller (Hg.): Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, S. 201 – 229; hier : S. 227.

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der Demokratie infolge der absoluten Kontrolle der Gesellschaft durch einen anonymen bürokratischen Machtapparat befürchtet. Eine weitere Arbeitshypothese geht davon aus, dass jedes der vier Szenarien sowohl im politisch linken Spektrum als auch im politisch konservativen Spektrum in jeweils eigenen Konstruktionen thematisiert und gepflegt wurde. Zur Einordnung der verschiedenen Aussagen helfen einerseits der Begriff des politischen Lagers nach Karl Rohe52 und andererseits der des Denkstils bzw. des Denkkollektivs von Ludwik Fleck53, auch wenn beide Begriffe nicht vorbehaltslos auf die hier vorgestellte Untersuchung übertragbar sind. So bezieht sich Rohes Begriff des politischen Lagers auf die Zeit vor dem Untersuchungszeitraum, weshalb Rohe in seinem Kapitel »Jenseits des Lagersystems« feststellt, »daß sich die drei Gruppierungen [Union, FDP und SPD, C.S.] wegen der Drei-LagerVergangenheit des deutschen Parteiensystems nicht in einem einfachen LinksRechts-Schema anordnen lassen.«54 Auch die vorbehaltlose Übernahme der Fleckschen Begriffe des Denkstils und Denkkollektivs erweist sich als Problem, da sich Flecks Methodik auf die Untersuchung wissenschaftlicher Auseinandersetzungen bezieht. Dennoch können sowohl von Rohe als auch von Fleck wesentliche Anregungen übernommen werden, die der Systematisierung verschiedener Aussagen dienen können. So lebt ein Lager nach Rohe »in seinem Zusammenhalt im Unterschied zu einem Milieu stärker von der Abgrenzung gegen andere als von eigenen positiven Gemeinsamkeiten und kann deshalb im Prinzip sogar sehr heterogene Milieus enthalten«. Außerdem benötigt es »des Gegenübers« und »kann nicht nur verschiedene Parteien, sondern auch unterschiedliche sozialmoralische Milieus umschließen«.55 Fleck definiert den »Denkstil als gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen«.56 Bei der Auseinandersetzung verschiedener Denkstile wirke der fremde Denkstil »als Mystik an, die von ihm verworfenen Fragen werden oft als eben die wichtigsten betrachtet, die Erklärungen als nicht beweisend oder danebengreifend, die Probleme oft als unwichtige oder sinnlose Spielerei« angesehen.57 Als Arbeitshypothese, die dem Sortieren dient und die es ergebnisoffen zu prüfen gilt, wurden deshalb zwei sich gegenüberstehende Wahrnehmungsmuster – ein linkes Wahrnehmungsmuster 52 Vgl. Karl Rohe: Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteiensysteme im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1992. 53 Fleck, Ludwik: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Mit einer Einleitung herausgegeben von Lothar Schäfer und Thomas Schnelle, Frankfurt a.M. 1980. 54 Rohe: Wahlen, S. 165. 55 Rohe: Wahlen, S. 21. 56 Fleck: wissenschaftliche Tatsache, S. 130. 57 Fleck: wissenschaftliche Tatsache, S. 143.

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und ein konservatives Wahrnehmungsmuster – identifiziert, die sich im Wesentlichen in den beiden großen Volksparteien SPD und CDU institutionalisierten. In Anlehnung an Jens Hacke ist das konservative Wahrnehmungsmuster wandelbar, wobei »eine konservative Wesensart als anthropologische Konstante herausgearbeitet wird: Autorität, Hierarchie, Ordnungsdenken, Traditionsbewußtsein, Religion, Familie, Heimat etc. gehören meist zu den konservativen Orientierungsgrößen, die im Wandel der Zeit neu justiert werden müssen«, sodass das konservative Wahrnehmungsmuster hier als »wert- oder institutionenerhaltend« bezeichnet werden kann.58 Das linke Wahrnehmungsmuster wird dadurch bestimmt, dass diese konservativen Werte in Frage gestellt werden können und bisher stabile Strukturen als veränderbar verstanden werden. Die Einteilung in zwei sich gegenüberstehende Wahrnehmungsmuster ermöglicht eine größere Flexibilität, da sich so beispielsweise die Möglichkeit ergibt, in einer konkreten Debatte die Aussagen eines Politikers einem Wahrnehmungsmuster zuzuordnen, das mehrheitlich nicht dem seiner Partei entspricht.59 Als weitere Arbeitshypothese wird davon ausgegangen, dass jedes der vier Szenarien in seiner jeweiligen linken bzw. konservativen Ausprägung auf jeweils spezifische Interpretationen der Machteroberung des Nationalsozialismus, dessen Herrschaftssystems und des Zweiten Weltkrieges in seiner Endphase auf deutschem Boden 1945 zurückzuführen ist. Die Möglichkeit eines Krieges auf deutschem Boden wurde in der konservativen Wahrnehmung vorrangig als die Angst vor einem Überfall durch die UdSSR beschrieben. Höhepunkte im Untersuchungszeitraum waren die frühen 1970er Jahre, in denen die Angst herrschte, dass die Bundesrepublik durch die Ostverträge der sozialliberalen Koalition das westliche Lager verlassen und deshalb einem Angriff der UdSSR hilflos ausgesetzt sein würde60 und die Jahre um 1980, als die Gefahr darin gesehen wurde, dass der Pazifismus die Widerstandskraft der Demokratien gefährde.61 Die Kriegsangst im linken Wahrneh58 Jens Hacke: Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, 2. Aufl., Göttingen 2011, S. 19. 59 Fleck bemerkt, dass Denkkollektive auch momentan und zufällig zustande kommen können und ebenfalls wieder vergehen können. Vgl. Fleck: wissenschaftliche Tatsache, S. 135. 60 Vgl. Axel Schildt: »Die Kräfte der Gegenreform sind auf breiter Front angetreten«. Zur konservativen Tendenzwende in den Siebziger Jahren; in: Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 449 – 478; hier: S. 456 – 458. 61 Vgl. Helga Haftendorn: Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung. 1945 – 2000, Stuttgart 2001, S. 148 – 155 und S. 192; Herf: Demokratie, S. 24 ff.; Philipp Gassert: Viel Lärm um Nichts? Der NATO-Doppelbeschluss als Katalysator gesellschaftlicher Selbstverständigung in der Bundesrepublik; in: ders.; Tim Geiger ; Hermann Wentker (Hg.): Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Der NATO-Doppelbeschluss in deutsch-deutscher und internationaler Perspektive, München 2011, S. 175 – 202; hier : S. 196 f.; Judith Michel: »Richtige« und »falsche« Angst in der westdeutschen Debatte um den Nato-Doppelbeschluss; in: Bormann; Freiberger ; dies. (Hg.): Angst in Internationalen

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mungsmuster basierte auf der Angst, in einer kriegerischen Auseinandersetzung als »Schlachtfeld« im Ost-West-Konflikt fungieren zu müssen. Höhepunkt hierbei war der Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss ab 1979.62 Die Befürchtungen vor einer totalitären Massenbewegung artikulierten sich im linken Wahrnehmungsmuster vor allem anlässlich des unerwarteten und plötzlichen Erstarkens der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) von 1964 bis 1969.63 Die Befürchtungen der Konservativen vor einer totalitären Massenbewegung von links hatten ihren Höhepunkt in den Jahren der Studentenbewegung von 1967 bis 196964 und mit dem Auftreten der Friedensbewegung gegen die geplante Raketenstationierung der NATO Anfang der 1980er Jahre.65 Axel Schildt bilanziert in seinem Essay über die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, dass in der Geschichte der Bundesrepublik »schlicht die offenkundigen Bösewichte in der Politik – ebenso wie die Lichtgestalten« fehlten.66 Hier zeigt sich auch wieder die von Wirsching angesprochene Diskrepanz zwischen Historikern und Zeitgenossen. Für die Untersuchung des Szenarios des

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Beziehungen, S. 251 – 272; hier : S. 255 ff. und S. 262; Susanne Schregel: Konjunktur der Angst. »Politik der Subjektivität« und »neue Friedensbewegung«,1979 – 1983; in: Greiner ; Müller ; Walter (Hg): Angst, S. 495 – 520; hier: S. 509 f. und S. 518. Ein Überblick über die zeitgenössischen Bruchlinien der Auseinandersetzung und die sich daraus ergebenden Deutungsansätze der Forschung findet sich in Philipp Gassert; Tim Geiger ; Hermann Wentker : Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung: Einleitende Überlegungen zum historischen Ort des NATO-Doppelbeschlusses von 1979; in: dies. (Hg.): Zweiter Kalter Krieg, S. 7 – 29; hier: S. 10 ff. Vgl. Gassert; Geiger ; Wentker : Einleitende Überlegungen, S. 8 f; Gassert: Lärm, S. 196 f und S. 200; Herf: Demokratie, S. 23 ff.; Kielmansegg: Katastrophe, S. 345; Schregel: Konjunktur, S. 507. Vgl. Biess: Sensibilisierung, S. 58; Biess: German Angst, S. 30; Wolfgang Kraushaar: Achtundsechzig. Eine Bilanz, Berlin 2008, S. 175; Moses: Nazi-Past, S. 183; Bernd Stöver: Die Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 2002, S. 79; Wolfrum: Demokratie, S. 235. Vgl. Bavaj: Verunsicherte Demokratisierer, S. 163 f.; Tilman P. Fichter ; Siegward Lönnendonker: Kleine Geschichte des SDS. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von Helmut Schmidt bis Rudi Dutschke. Mit einem Vorwort von Wolfgang Kraushaar und einem Bildteil von Klaus Mehner, Essen 2008, S. 160; Frei: 1968, S. 115; Moses: Nazi-Past, S. 187 und S. 195; Münkel: Bund, S. 177 ff.; Schildt: Kräfte, S. 453 sowie Nikolai Wehrs: Protest der Professoren: Der Bund Freiheit der Wissenschaft und die Tendenzwende der 1970er Jahre; in: Massimiliano Livi; Daniel Schmidt; Michael Sturm (Hg.): Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mobilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechte, Frankfurt a.M. 2010, S. 91 – 112; hier : S. 97 f. Götz Aly verglich in seinem 2008 erschienenen Buch die »68er« mit den »33ern«, weshalb er allerdings viel Kritik bekam: Vgl. das Kapitel »Dreiunddreißiger und Achtundsechziger« in: Götz Aly. Unser Kampf. 1986- ein irritierter Blick zurück, Frankfurt a.M. 2008, S. 169 – 184. Vgl. Gassert: Lärm, S. 196 f. und 199; Gassert; Geiger ; Wentker : Einleitende Überlegungen, S. 8 sowie Michel: »richtige« Angst, S. 256 f. Axel Schildt: Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 1999, S. 22.

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charismatischen Führers werden deshalb die Stilisierungen von Franz Josef Strauß und Willy Brandt durch ihre jeweiligen Gegner untersucht. Frank Bösch bemerkt, dass es seit 1957 Skandalisierungen »von links« gegen Strauß und seit 1961 vermehrt Enthüllungen »von rechts« gegen Brandt gegeben habe und auch Daniela Münkel bemerkt, dass Brandt und Strauß die Gesellschaft so polarisiert hätten wie keine anderen Politiker.67 Dabei wird davon ausgegangen, dass Strauß im linken Wahrnehmungsmuster als möglicher Führer der Rechten angesehen wurde. Der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung im Untersuchungszeitraum ist der Bundestagswahlkampf 1980.68 Die Höhepunkte für Willy Brandts Darstellung als möglicher Führer einer linken Bewegung sind die Wahlkämpfe 1965 und 1969.69 Die Angst vor einem anonymen bürokratischen Machtapparat zeigte sich im linken Wahrnehmungsmuster bei den Protesten gegen die Notstandsgesetzgebung seit Mitte der 1960er Jahre70 und anhand der Befürchtungen, die die Große Koalition (1966 – 1969) auslöste71 sowie in Anbetracht der Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ab den 1970er Jahren, von denen befürchtet wurde, dass sie einen »Überwachungsstaat« ermöglichen würden.72 Die Ängste vor 67 Vgl. Frank Bösch: Politische Skandale in Deutschland und Großbritannien; in: APuZ 7/2006, S. 25 – 32; hier : S. 32. und Daniela Münkel: Zwischen Diffamierung und Verehrung. Das Bild Willy Brandts in der bundesdeutschen Öffentlichkeit (bis 1974); in: Carsten Tessmer (Hg.): Das Willy-Brandt-Bild in Deutschland und Polen, Berlin 2000, S. 23 – 40; hier : S. 23. 68 Vgl. zu Strauß’ persönlicher Meinung über die Diffamierungen des »Spiegels« gegen seine Person: Franz Josef Strauß: Die Erinnerungen, Berlin 1989, S. 422 – 424; zum Protest gegen Strauß’ Kanzlerschaft: Manfred Behrend: Franz Josef Strauß: Eine politische Biographie, Köln 1995, S. 214 – 220. 69 Zur Diffamierungskampagne gegen Brandt in den Wahlkämpfen 1961 und 1965: vgl. Münkel: Diffamierung, S. 28 – 32. Daniela Münkel bemerkt außerdem, dass sich während Brandts Kanzlerschaft die charismatische Wirkung entfaltete, die Brandt als Parteivorsitzenden fast unangreifbar werden ließ: vgl. Daniela Münkel: »Auf der Zinne der Partei…«: Willy Brandt als Parteivorsitzender ; in: dies; Schwarzkopf (Hg.) Geschichte als Experiment, S. 75 – 85; hier : S. 80. Im Bundestagwahlkampf 1972 gab es zwar auch Verleumdungskampagnen gegen Brandt, »diesmal war die Resonanz solcher Angriffe jedoch relativ gering, das Gegenimage [Hervorhebung im Original] hatte an Wirkungsmacht verloren.«: Daniela Münkel: Politiker-Image und Wahlkampf. Das Beispiel Willy Brandt: Vom deutschen Kennedy zum deutschen Helden; in: Bernd Weisbrod (Hg.): Die Politik der Öffentlichkeit – Die Öffentlichkeit der Politik. Politische Medialisierung in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2003, S. 55 – 76; hier : S. 75. 70 Vgl. Kielmansegg: Katastrophe, S. 324; Kraushaar: Achtundsechzig, S. 166, 171 und 174 f.; Kraushaar : Furcht: S., 139 und 146; Moses: Nazi-Past, S. 183; Jörg Requate: »Weimar« als Argument in der Debatte um die Notstandsgesetze; in: Christoph Gusy (Hg.): Weimars lange Schatten – »Weimar« als Argument nach 1945, Baden-Baden 2003, S. 311 – 334; bes. S. 323 – 326 und S. 329 – 333; Stöver: Bundesrepublik, S. 83. 71 Vgl. Kielmansegg: Katastrophe, S. 326; Hans Günter Hockerts: Rahmenbedingungen: Das Profil der Reformära; in: derselbe (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik seit 1945. Band 5: 1966 – 1974, Baden-Baden 2006, S. 1 – 155, hier : S. 22. 72 Vgl. Kielmansegg: Katastrophe, S. 336 f. und S. 342 f.; Stöver: Bundesrepublik, S. 86. Stell-

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einem drohenden Überwachungsstaat waren Anfang der 1980er Jahre bereits so ausgeprägt, dass selbst bis dahin problemlose Verfahren, wie die Durchführung einer Volkszählung, innerhalb kürzester Zeit massive Proteste hervorrufen konnten. Die Angst vor einem baldigen Scheitern der Bundesrepublik durch einen anonymen Machtapparat nährte sich im konservativen Wahrnehmungsmuster hauptsächlich aus der Reformpolitik der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt, die eine Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft anstrebte. Es wurde von konservativer Seite einerseits befürchtet, dass die allumfassende Demokratisierung politische Entscheidungsprozesse in einen außerparlamentarischen Raum verlagere und damit die Demokratie funktionsunfähig gemacht und deren Gegner gestärkt würden, weshalb beispielsweise eine »Unregierbarkeit« des bundesdeutschen Staates zu erwarten wäre.73 Andererseits sah man die Gefahr, dass die Demokratisierung sämtliche Teilbereiche der bundesdeutschen Gesellschaft erfasse, was wiederum zu einer totalitären Gesellschaft führe.74 Den Höhepunkt der Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem anonymen Machtapparat bildeten die Befürchtungen vor einer Unterwanderung der Institutionen im »langen Marsch durch die Institutionen« von sogenannten Verfassungsfeinden.75

vertretend für zeitgenössische Ängste vor einem Überwachungsstaat: vgl. Jochen Bölsche: Der Weg in den Überwachungsstaat. Mit neuen Dokumenten und Stellungnahmen von Gerhart Baum, Hans Peter Bull, Ulrich Klug, Spiros Simitis, Wilhelm Steinmüller u. a., Hamburg 1979. 73 Vgl. Hacke: Staat, S. 188; Herf: Demokratie, S. 1; Thomas Kleinknecht: Demokratisierung als Staats- oder als Lebensform: Konservative Einreden in den Cappenberger Gesprächen der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft in den 1970er Jahren; in: Livi; Schmidt; Sturm (Hg.): Schwarzes Jahrzehnt, S. 113 – 129; hier: S. 124; Schildt: Kräfte, S. 453 und 469 f.; Münkel: Bund, S. 178 f. Gabriele Metzler erkennt in der Debatte um die Bedrohung des Staates innerhalb der bundesdeutschen »Unregierbarkeits«-Debatte ein »nationales Spezifikum«: Gabriele Metzler : Staatsversagen und Unregierbarkeit in den siebziger Jahren?; in: Konrad H. Jarausch (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008, S. 243 – 260; hier : S. 246. 74 Vgl. Moritz Scheibe: Auf der Suche nach der demokratischen Gesellschaft; in: Ulrich Herbert (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945 – 1980, 2. Aufl., Göttingen 2003, S. 245 – 277; hier: S. 263 f. und 268 f. Scheibe zeigt außerdem auf, wie bei den Debatten über die Gefahr der Demokratisierung der WeimarBezug eine Rolle spielte und eine Verbindung zur Gefahr der studentischen Massenbewegung gezogen wurde (S. 271 f.) Außerdem zeigt er auf, wie die Gefahr der drohenden Demokratisierung der Gesellschaft zur Neuformierung der politischen Lager beitrug (S. 273). 75 Vgl. Schildt: Kräfte, S. 467 f.; Achim Saupe: Von »Ruhe und Ordnung« zur »inneren Sicherheit«. Eine Historisierung gesellschaftlicher Dispositive; in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 7 (2010), H. 2, S. 7 und Wehrs: Protest, S. 98.

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Fragestellungen Die Untersuchung soll klären, ob im Untersuchungszeitraum von 1965 bis 1985 in relevantem Ausmaß durchgängig Debatten über ein bevorstehendes Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. über einen möglichen unmittelbar bevorstehenden Krieg geführt wurden. Hierbei zeigt sich die Relevanz einerseits quantitativ durch die Auftretenshäufigkeit der Debatten, die empirisch gemessen wird. Andererseits zeigt sich die Relevanz qualitativ dadurch, dass die Debatten ein zentrales Thema in der Bundesrepublik Deutschland darstellten und Diskussionen verschiedener Akteure hervorriefen, die sich öffentlich aufeinander bezogen bzw. dass die Debatten dazu dienten, politische Standpunkte zu vertreten und Abgrenzungen zu markieren. In einem ersten Fragekomplex soll deshalb empirisch beantwortet werden, ob die Debatten durchgängig im Untersuchungszeitraum sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster geführt wurden, ob sich die Debatten hauptsächlich in den genannten vier Szenarien (in jeweils eigener politischer Ausprägung) kategorisieren lassen, welche zeitlichen Entwicklungen und Höhepunkte hierbei erkennbar werden und ob sich die zeitgenössischen Akteure in ihrer Argumentation auf historische Erfahrungen berufen und falls ja, ob sich diese im Untersuchungszeitraum wandeln. Letztendlich wird so die Hypothese geprüft, ob die Debatten von den Deutungen des Scheiterns der Weimarer Republik und den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges beeinflusst waren und sich durch die Veränderungen dieser Deutungen auch die Debatten über das vermeintlich bevorstehende Scheitern der bundesdeutschen Demokratie im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik wandelten.76 In einem zweiten Fragekomplex soll deutlich werden, welche Ereignisse bzw. Anlässe die Debatten im Untersuchungszeitraum auslösten, welche konkreten Befürchtungen artikuliert wurden und wie dabei das befürchtete Scheitern »plausibel« gemacht wurde. Dafür sollen ausgewählte Szenarienhöhepunkte in ihrer jeweiligen politischen Ausrichtung genauer untersucht werden. Hierbei 76 Hierbei wird auf den von Edgar Wolfrum geprägten Begriff der »Geschichtspolitik« Bezug genommen. Wolfrum geht davon aus, dass die Beschäftigung mit Geschichte nicht nur Historikern vorbehalten ist, sondern dass Geschichte in der Öffentlichkeit von verschiedenen Deutungseliten verwendet wird, »um mobilisierende, politisierende oder legitimierende Wirkungen in der politischen Auseinandersetzung zu erzielen.«: Edgar Wolfrum: Geschichte als Politikum – Geschichtspolitik. Internationale Forschungen zum 19. und 20. Jahrhundert; in: Neue Politische Literatur (NPL). Berichte über das internationale Schrifttum, Frankfurt a.M. 1996, S. 376 – 401; hier : S. 377. Wolfram Pyta stellt fest, dass sich Weimar »als geschichtliches Lehrstück […] in den ausgehenden 1970er Jahren allmählich verbraucht« hatte. Dieser These soll hier nachgegangen werden: Wolfram Pyta: »Weimar« in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft; in: Gusy (Hg.): Schatten, S. 21 – 62; hier: S. 61.

Durchführung der Untersuchung

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liegt ein Hauptaugenmerk auf der Argumentation der Debattenteilnehmer. Es soll untersucht werden, wie die zeitgenössischen Akteure eine Verbindung zwischen einem kommenden Ereignis und dem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie »sichtbar« und plausibel machen konnten. Hierbei werden die Äußerungen, Begriffe, Beschreibungen etc. identifiziert und analysiert, mit denen die Angst vor einem potenziellen Scheitern der Demokratie bzw. vor dem Untergang in einem Krieg zum Ausdruck kamen. Dabei wird auch analysiert, ob und wenn ja, wie historische Bezugs- und Vergleichspunkte (»Erfahrungsräume«) benutzt und der Argumentation dienlich gemacht werden. Weiterhin werden die zeitgenössischen Beschreibungen der bundesdeutschen Demokratie untersucht und aufgezeigt, welche normativen Vorstellungen von Demokratie in den jeweiligen Wahrnehmungsmustern existierten. Außerdem wird im zweiten Fragekomplex untersucht, welche konkreten Forderungen die Debattenteilnehmer äußerten. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Debatten nicht zufällig zustande kamen. Sie erfüllten jeweils eine bestimmte Funktion und wurden deshalb bewusst von den jeweiligen Akteuren artikuliert. Deshalb soll aufgezeigt werden, welche Lösungsvorschläge thematisiert wurden, um das unmittelbar bevorstehende Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. den drohenden Krieg zu verhindern. Dabei wird auch die Interaktion der Akteure in der politischen Auseinandersetzung untersucht und dabei hinterfragt, ob die Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines möglichen Krieges auch zur Neupositionierung einzelner Akteure zu einem der beiden Wahrnehmungsmuster beigetragen haben.

Durchführung der Untersuchung Axel Schildt hatte bereits in seinen Überlegungen darauf hingewiesen, dass es bei der Untersuchung der »German Angst« Probleme der Quellenwahl gebe.77 Er hat deshalb empfohlen, nicht Briefe, Tagebücher oder Ähnliches, sondern Printmedien zu untersuchen. Dadurch falle der Blick nicht auf individualpsychologische Ängste, sondern auf Zeugnisse der öffentlichen Diskurse. Außerdem sei dadurch eine größere Quellenauswahl berücksichtigt, da dort auch Meinungsumfragen, Parlamentsreden, Interviews usw. thematisiert werden. Schildts konzeptioneller Überlegung wird bei der Durchführung dieser Untersuchung gefolgt. Um für den Untersuchungszeitraum von 1965 bis 1985 eine systematische Untersuchung bewerkstelligen zu können, wird für jedes Wahrnehmungsmuster jeweils eine Wochenzeitung bzw. ein Nachrichtenmagazin 77 Vgl. Schildt: »German Angst«, S. 88 f.

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Einleitung

inhaltsanalytisch untersucht.78 Stellvertretend für das linke Wahrnehmungsmuster wurde das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«, für das konservative Wahrnehmungsmuster die Wochenzeitung »Rheinischer Merkur« durchgängig im Untersuchungszeitraum untersucht.79 Beide Printmedien sind als repräsentativ für das linke bzw. für das konservative Wahrnehmungsmuster anzusehen und vertreten jeweils einen eigenen politischen Standpunkt. Außerdem erschienen beide Printmedien lückenlos von 1965 bis 1985 und können deshalb Veränderungen in der Berichterstattung bzw. der Debattenhäufigkeit aufzeigen. »Der Spiegel« ist im Untersuchungszeitraum das wichtigste Nachrichtenmagazin und wurde »zu einer publizistischen Institution, das die bundesdeutsche (Nachkriegs-)Geschichte aufs tiefste geprägt hat.«80 Von 1949 bis Mitte der 1980er Jahre stieg die Auflage kontinuierlich an und der »Spiegel« erreichte einen sehr großen Leserkreis, der sich besonders aus formal höher gebildeten Lesern und Menschen mit hohem sozialen Status zusammensetzt.81 Der »Rheinische Merkur« erschien seit 1947 ebenfalls wöchentlich und zeigte Elemente einer »konservativen Spielart christlicher Überzeugung«.82 Obwohl diese Wochenzeitung zur konfessionellen Presse gehörte und im Vergleich zum »Spiegel« keine sehr großen Auflagenzahlen besaß, fand er stets besondere Beachtung und vertrat seinen politischen Standpunkt mitunter auch sehr energisch.83 »Der Spiegel« und der »Rheinische Merkur« werden im Untersuchungszeitraum mithilfe der »Inhaltsanalyse« nach Werner Früh analysiert.84 Diese ist eine empirische Methode.85 Hierbei werden Informationen verdichtet und Textmengen bezüglich interessierender Merkmale klassifiziert. Somit geht die Inhaltsanalyse zwar quantifizierend vor, »die quantitative Analyse [folgt] dabei aber immer der qualitativen Analyse«.86 Deshalb muss hinlänglich geklärt sein, 78 Christina von Hodenberg belegte in ihren Untersuchungen, dass sich im Untersuchungszeitraum der »Prozeß der massenmedialen Durchdringung der Gesellschaft« weiter fortsetzte und dass die »Gesellschaft […] immer lückenloser von den Medien durchdrungen, der Tagesablauf von ihnen begleitet« wurde. Christina von Hodenberg: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945 bis 1973, Göttingen 2006, S. 96 und S. 97. 79 Christina von Hodenberg zeigte auf, wie sich die Auflagen des »Spiegels« kontinuierlich steigerten und dessen Berichte ein Massenpublikum erreichten. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 90 und S. 95. 80 Jürgen Wilke: Leitmedien und Zielgruppenorgane; in: ders. (Hg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 302 – 329; hier : S. 318. 81 Vgl. Wilke: Leitmedien, S. 319 f. 82 Michael Schmolke: Die kirchlich-konfessionelle Presse; in: Wilke (Hg.): Mediengeschichte, S. 350 – 374; hier: S. 355 f. 83 Vgl. Schmolke: konfessionelle Presse, S. 355 f. 84 Vgl. Werner Früh: Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis, 4., überarb. Aufl., Konstanz 1998. 85 Vgl. Früh: Inhaltsanalyse, S. 19. 86 Früh: Inhaltsanalyse, S. 35.

Durchführung der Untersuchung

27

»welche Textmerkmale letztlich als Indikatoren für welche Kategorien identifiziert und verschlüsselt« werden, sodass »die vorgegebene Instruktion und Definition ausreicht, damit möglichst viele Interpreten dieselben Textmerkmale mit denselben Bedeutungen verknüpfen und sie dann denselben Kategorien zuordnen« würden.87 Ausgehend von der Forderung Frühs, den jeweils einfachsten Kategorientypus zu wählen, um Fehlerquellen zu vermeiden, wird als Kategorientypus zunächst der »Thematisierungstyp« verwendet, der lediglich misst, ob eine Kategorie vorkommt oder nicht.88 Die Hauptkategorie misst die Thematisierung bzw. Nichtthematisierung einer Bedrohung der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines drohenden Krieges. Jedoch wird diese Kategorie in einem »erschöpfenden Kategoriensystem« solange in Unterkategorien unterteilt, bis alle Indikatoren klassifiziert sind.89 In dieser ersten Dimension gibt es für die Thematisierung einer Bedrohung sieben Unterkategorien: die Angst vor einem Krieg, eine latente militärische Bedrohung90, die Angst vor dem Sieg einer totalitären Massenbewegung, die Angst vor einem charismatischen Führer und die Angst vor der absoluten Kontrolle der Gesellschaft durch einen anonymen bürokratischen Machtapparat. Als sechste Unterkategorie gibt es die Kategorie »Sonstiges«, für die Artikel, deren Thematisierung der Bedrohung nicht zu den ersten fünf Kategorien zugeordnet werden kann. Als siebente Unterkategorie werden die Artikel gezählt, die ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie ausdrücklich bestreiten, da diese Erkenntnisse über die Interaktion der Debattenteilnehmer geben können. In einer zweiten Dimension werden die ersten sechs Unterkategorien jeweils nach dem politischen Wahrnehmungsmuster (linkes und konservatives Wahrnehmungsmuster) unterteilt, sodass hier zwölf Unterkategorien entstehen. Eine weitere Unterkategorie misst in einer dritten Dimension, ob historische Bezugs- und Vergleichspunkte thematisiert werden und wenn ja in einer vierten Dimension, welche historischen Vergleiche gezogen werden (Geschichtsbezug von 1918 bis 1945; Geschichtsbezug vor 1918; Geschichtsbezug nach 1945, undefinierter Geschichtsbezug). Durch die Inhaltsanalyse soll die Frage beantwortet werden, ob die Debatten über ein bevorstehendes Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. über einen möglichen unmittelbar bevorstehenden Krieg durchgängig im Untersuchungszeitraum von 1965 bis 1985 sowohl im linken als auch im konservativen 87 88 89 90

Früh: Inhaltsanalyse, S. 100 und S. 101. Vgl. Früh: Inhaltsanalyse, S. 79. Früh: Inhaltsanalyse, S. 80. Die Kategorie der »latenten militärischen Bedrohung« ist allerdings nicht gleichbedeutend mit den anderen vier Szenarien als ein eigenständiges fünftes Szenario anzusehen, sondern eher als abgeschwächte Form des Szenarios eines möglichen Krieges, womit es auch als eine Art Vorbedingung für die Thematisierung einer akuten Kriegsgefahr anzusehen ist.

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Einleitung

Wahrnehmungsmuster geführt wurden, ob sich die Debatten hauptsächlich in den genannten vier Szenarien kategorisieren lassen (und zwar in jeweils eigenen politischen Ausprägungen) und welche zeitlichen Entwicklungen und Debattenhöhepunkte erkennbar werden. Außerdem wird die Frage geklärt, ob sich die zeitgenössischen Akteure in ihrer Argumentation auf historische Erfahrungen berufen und wenn ja, ob sich hauptsächlich auf die Erfahrungen der deutschen Geschichte von 1918 bis 1945 bezogen wird und ob sich diese historischen Bezugspunkte im Untersuchungszeitraum wandeln. Nach der quantitativen Untersuchung mit Hilfe der Inhaltsanalyse wird eine qualitative Untersuchung der identifizierten Artikel durchgeführt, um den Diskurs über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie in den Jahren von 1965 bis 1985 deuten, analysieren und interpretieren zu können. Als Untersuchungsmethode wird hierbei die historische Diskursanalyse Anwendung finden, so wie Achim Landwehr sie für die Historiographie entwickelt hat.91 Landwehr unterscheidet zwischen dem imaginären Korpus, das die Gesamtheit an Äußerungen zum Diskurs darstellt, dem virtuellen Korpus, das den Restbestand an allen enthaltenen Texten darstellt, und dem konkreten Korpus, welches die gezielte Sichtung, Sammlung und Auswahl aus dem virtuellen Korpus bildet.92 Als konkretes Korpus dienen sämtliche identifizierte Artikel aus »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«. Durch die historische Diskursanalyse soll aufgezeigt werden, welche Ereignisse oder Anlässe im Untersuchungszeitraum welche konkreten Befürchtungen auslösten, welche Forderungen die Akteure artikulierten, ob sich anhand der Debatten die Positionierung einzelner Akteure zu einem der beiden Wahrnehmungsmuster veränderte und mit welchen Beschreibungen verdeutlicht wurde, dass die bundesdeutsche Demokratie anfällig für Gefahren sei und ob sich diese Beschreibungen innerhalb des Untersuchungszeitraums veränderten. Nach der Definition von Landwehr wird ein Diskurs formiert durch »Aussagen, die sich hinsichtlich eines bestimmten Themas systematisch organisieren und durch eine gleichförmige (nicht identische) Wiederholung auszeichnen«93. Die historische Diskursanalyse untersucht deshalb, »welche Aussagen zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort auftauchten«, ohne zu versuchen, hinter die Diskurse zu gelangen, »um deren ›eigentlichen‹ Kern freizulegen«.94 Es geht ihr darum aufzuzeigen, wie »Diskursen diese Erschaffung von Wirklichkeit« gelingt.95 Ein grundlegendes Untersuchungs91 Vgl. Achim Landwehr : Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, 2., unveränderte Auflage, Tübingen 2004 und Achim Landwehr : Historische Diskursanalyse, Frankfurt 2008. 92 Vgl. Landwehr : Diskursanalyse, S. 102 f. 93 Landwehr : Diskursanalyse, S. 92 f. 94 Landwehr : Diskursanalyse, S. 92. 95 Landwehr : Diskursanalyse, S. 91.

Durchführung der Untersuchung

29

merkmal ist die Sprache des Diskurses. Es wird der Frage nachgegangen, warum gerade bestimmte Begriffe immer wieder verwendet werden und andere keine Beachtung finden und weshalb eine »Wiederholung und die Gleichförmigkeit von immer wieder ähnlich Gesagtem oder Geschriebenem« stattfindet.96 Jedoch soll sich die Untersuchung in ihrer Durchführung und ihrem Erkenntnisinteresse von der klassischen Ausrichtung historischer Diskursanalysen unterscheiden.97 Die Kategorisierung der im Diskurs vertretenen Positionen und das Herausarbeiten von Regelmäßigkeiten sind zwar unverzichtbare Schritte der Untersuchung, jedoch sollen beispielsweise nicht die unbewussten Strukturen der Weltdeutung herausgearbeitet werden, um aufzuzeigen, wie Menschen von Diskursen determiniert und durch sie entfremdet sind bzw. aufgezeigt werden, wie jede Aussage die existierende Struktur des Diskurses verändert.98 Im Gegensatz zu strukturalistisch ausgerichteten diskursanalytischen Studien wird hier konkret untersucht, wie politische Sprache zur Lösung von politischen Problemen eingesetzt wurde. Führt man die historische Diskursanalyse für diese Untersuchung durch, so ist es eine Voraussetzung, sich zuerst zu wundern, warum die Aussagen über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie überhaupt auftauchten und welche Aussagen immer wiederkehren und für normal gehalten wurden, während andere undenkbar waren.99 Anschließend werden bei der Textanalyse die Aussagen untersucht, die ein künftiges Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen drohenden Krieg zum Ausdruck bringen wollten. An diesen wird dann untersucht, mit welchen Mitteln weiten Teilen der Bevölkerung das befürchtete Scheitern der Demokratie verständlich gemacht werden sollte.100 Durch die Untersuchung »zahlreiche[r], diachronisch angelegte[r] Aussageanalysen« soll die Frage beantwortet werden, ob und wenn ja, wie sich Argumentationsmerkmale im Untersuchungszeitraum änderten, wieso sich der Diskurs über das mögliche Scheitern der bundesdeutschen Demokratie so dauerhaft halten konnte und bei vielen Debatten wieder aktualisiert wurde, um durch diese Fragestellung letztendlich die Struktur des Diskurses identifizieren zu können.101 Die Unterteilung in die beschriebenen Szenarien ist auch hier bedeutend,

96 97 98 99

Landwehr: Diskursanalyse, S. 102. Vgl. Ullrich: Weimar-Komplex, S. 25. Vgl. Landwehr: Diskursanalyse, S. 94. Vgl. Landwehr : Diskursanalyse, S. 101. Landwehr versteht unter Aussagen nicht nur Sprechakte, sondern alles, was zur Konstituierung des Diskurses beitragen kann, also beispielsweise auch Gegenstände und Handlungen (Vgl. S. 110 f.). 100 Zur Makro- und Mikroanalyse von Texten: vgl. Landwehr: Diskursanalyse, S. 113 – 126; von besonderem Interesse ist die Mikroanalyse auf der Textebene (S. 118 – 120). 101 Landwehr: Diskursanalyse, S. 127.

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Einleitung

da Landwehr darauf verweist, dass es nötig sei, die vorherrschenden Themen innerhalb des identifizierten Diskurses zu isolieren.102 In einem Resümee werden die Gründe dafür untersucht, weshalb die Debatten über ein möglicherweise unmittelbar bevorstehendes Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. deren Untergang in einem Krieg trotz des mehrmaligen Nichteintretens dennoch für einen Teil der Zeitgenossen plausibel erschienen und sich der Diskurs so dauerhaft halten konnte. Dieser Untersuchungsschritt muss an letzte Stelle gesetzt werden, da er von den Ergebnissen der anderen Untersuchungen abhängig ist und nur nach einer intensiven Auswertung dieser Ergebnisse bearbeitet werden kann. Nur wenn zuvor herausgearbeitet werden konnte, wie das Scheitern »sichtbar« gemacht wurde, können die Bezugs- und Vergleichspunkte der Argumentation herausgestellt werden. Ähneln sich diese Vergleichs- und Bezugspunkte beispielsweise erheblich in allen Szenarien, könnten diese für die Plausibilität verantwortlich sein. Dasselbe gilt für die zuvor herausgearbeitete Interaktion zwischen den verschiedenen Akteuren. Erst nachdem diese analysiert worden ist, kann erkannt werden, bei welchen Ängsten sich Akteure des jeweils anderen Wahrnehmungsmusters veranlasst sahen, auf die Argumente zu reagieren oder bei welchen artikulierten Ängsten dafür keine Veranlassung bestand. So kann herausgestellt werden, welche Argumentationslinien besonders wirkungsvoll waren, wodurch wiederum die Plausibilität erkannt werden kann. Ein weiterer Grund für die Plausibilität könnte sein, dass gewisse Bedrohungsszenarien über einen langen Zeitraum als latente Gefahr dargestellt wurden, die dann zu bestimmten Höhepunkten als akute Bedrohungen dargestellt wurden. Die hier vorgestellte Untersuchung kann nicht den Anspruch erheben, sämtliche Debatten über ein unmittelbar bevorstehendes Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen Krieg aufzuzeigen. Stattdessen soll für einen längeren Zeitraum erstmalig eine systematische Untersuchung durchgeführt werden, um die vorherrschenden Debatten aufzuzeigen. Durch diese systematische Untersuchung des gesamten Untersuchungszeitraums soll auch das »Links-rechts«-Gefälle innerhalb des Forschungsstandes aufgehoben werden. In den meisten Untersuchungen liegt der Forschungsschwerpunkt nämlich auf dem Protest linker Akteure gegen die von ihnen vermuteten Gefährdungen von Frieden und Demokratie. Debatten konservativer Akteure über ein bevorstehendes Scheitern der Bundesrepublik sind bislang lediglich marginal untersucht worden. Daher wird diese Untersuchung einen innovativen Weg beschreiten, indem sie gleichermaßen konservative wie linke Szenarien einer existenziellen Bedrohung der bundesdeutschen Demokratie untersucht und diese systematisch miteinander vergleicht und in Beziehung setzt. 102 Vgl. Landwehr: Diskursanalyse, S. 128.

2.

Quantitative Analyse: Thematisierung des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines möglichen Krieges von 1965 bis 1985

2.1

Durchführungskriterien für die Inhaltsanalyse

Untersuchte Rubriken und Untersuchungskriterien Für die Durchführung der Inhaltsanalyse von »Spiegel« und »Rheinischem Merkur« wurde versucht, ein Untersuchungsverfahren zu entwickeln, durch das beide Printmedien trotz gewisser Unterschiede im Aufbau und Inhalt nach gleichen Untersuchungskriterien analysiert werden konnten. Die Artikel wurden unabhängig von ihrer Größe und Länge als einzelne Artikel gewertet, allerdings wurde auch die Größe der Artikel vermerkt. Bildunterschriften und Karikaturen wurden nicht als einzelne Artikel gemessen, wenn sie als bildliche Veranschaulichung zu einem größeren Artikel gehörten. Für beide Printmedien wurden nur Artikel untersucht, die innerhalb des Bereiches »Deutschland« behandelt wurden. Da sich auch der Bereich »Deutschland« inhaltlich bei beiden Printmedien unterschied, wurde versucht, jeweils ähnliche Rubriken zu untersuchen, damit sich die beiden Inhaltsanalysen effektiv vergleichen lassen konnten. So waren beim »Spiegel« sämtliche Unterrubriken im Bereich »Deutschland« sowie die Rubrik »Panorama« Gegenstand der Untersuchung. Dabei wurden beispielsweise auch wirtschaftliche Themen erfasst, da im Untersuchungszeitraum diese Rubrik nicht durchgängig separat vertreten war. Die Rubriken »Liebe Spiegelleser«, »Sonst« (»Berufliches«, »Hohlspiegel«, »Rückspiegel«, »Gestorben«), »Sport«, »Kultur«, »Personalien«, »Kommentar Personalien«, »Bücher«, »Register«, »Hohlspiegel«, »Rückspiegel«, »Wissenschaft«, »Film« und »Nachruf« wurden nicht untersucht. Außerdem wurde die Titelstory des »Spiegels« nur dann untersucht, wenn sie im Themenbereich »Deutschland« vertreten war. Serien wurden andererseits auch dann durchgängig untersucht, wenn sie lediglich in der Rubrik »Deutschland« begonnen haben und ihre Fortsetzung in einer Rubrik hatten, die eigentlich nicht Teil der Untersuchung war. Sowohl beim »Spiegel« als auch beim »Rheinischen Merkur« wurden keine Leserbriefe untersucht. Sonderausgaben wurden nach

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Quantitative Analyse

Ermessen untersucht, wenn sie sich auf relevante Rubriken bezogen, Artikel der Rubrik »Zeitgeschichte« wurden dann genauer untersucht, wenn sie sich auf die zeitgenössische Gegenwart bezogen. Der »Rheinische Merkur« unterschied sich inhaltlich zwar vom »Spiegel«, wurde aber mit Hilfe einer ähnlichen Untersuchungsstrategie untersucht, sodass Vergleiche der beiden Inhaltsanalysen möglich waren. So wurden immer die Rubriken »Innenpolitik«, »Kulturpolitik« (spätere Bezeichnung »Rheinischer Merkur«), »Thema der Woche«, »Aus den deutschen Ländern« und »Diskussion« untersucht. Die Rubrik »Von Woche zu Woche« ähnelte der Rubrik »Panorama« des »Spiegels« und wurde deshalb ebenfalls untersucht. Die Rubriken »Rheinischer Merkur«, »Reportage« und »Serie« wurden auch immer untersucht, da oberflächlich nicht ersichtlich war, ob sich diese auf das Innen- oder das Außenressort bezogen. Die Rubrik »Zeitgeschichte« wurde dahingehend untersucht, ob sie für die zeitgenössische Deutung relevant war. Sonderausgaben wurden wie beim »Spiegel« auch nach Ermessen untersucht. Vorstellungen und Besprechungen von politischen Sendungen im Fernsehen oder in der Literatur waren im innenpolitischen Bereich des »Rheinischen Merkurs« angesiedelt und wurden deshalb auch untersucht (z. B. »Politik im Fernsehen« und »Politische Literatur«). Rubriken, die regelmäßig aus mehreren kleineren Artikeln bestanden, wurden als ein Artikel gezählt (z. B. »Für Kenner«, »Politik im Fernsehen« oder »Politisches Journal«; Ausnahme »genau genommen«, diese Rubrik wurde als mehrere Artikel gezählt). Redaktionsnotizen und die Rubriken »Außenpolitik«, »Wirtschaft«, »Aus dem Leben des »Geistes«, »Aus der katholischen Welt«, »Dialog der Christen«, »Natur und Technik« »Reise und Erholung«, »in Europa«, »Forum«, »Literatur«, »Kultur«, »Sport« und »Leserbriefe« wurden nicht untersucht. Mit dem Zusammenschluss des »Rheinischen Merkur« und der Zeitschrift »Christ und Welt« 1980 änderte sich auch die Gliederung, sodass die Seiten eins bis sechs Themen der Innenpolitik beinhalteten und so stets in die Analyse einbezogen wurden. Außerdem wurden die Rubriken »Gesellschafts-Reise«, »Gesellschaft«, »Report«, »Echo der Zeit«, »das Vorletzte«, »Gesellschafts-Report«, »Kulturreport«, »Politisches Buch«, »Politische Literatur«, »moderne Zeiten« und »Forum« untersucht. Da die Rubrik »Liebe Leser« nun anders platziert war, wurde diese ebenfalls untersucht. In der folgenden Untersuchung wird auch nach dem Zusammenschluss zur Wochenzeitschrift »Rheinischer Merkur. Christ und Welt« weiterhin von dem »Rheinischen Merkur« gesprochen. Indikatoren für die Kategorisierung Werner Früh weist darauf hin, dass vor der Durchführung der Inhaltsanalyse die Indikatoren für das Codieren zu bestimmten Kategorien möglichst präzise

Durchführungskriterien für die Inhaltsanalyse

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festgelegt werden.1 Deshalb wurde in der Untersuchung zu Anfang möglichst exakt beschrieben, welche Textmerkmale als Indikatoren für welche Kategorie galten. Da bei dieser Untersuchung der Forscher und der Codierer aber identisch sind, konnten die Indikatoren gegebenenfalls im Verlauf der Untersuchung je nach Bedarf modifiziert werden, damit diese sowohl für den »Spiegel« als auch für den »Rheinischen Merkur« im jeweiligen Untersuchungsjahr identisch waren.2 Als relevante Artikel wurden die Artikel identifiziert und kategorisiert, die die Möglichkeit eines unmittelbar bevorstehenden Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. die unmittelbare Möglichkeit eines Krieges thematisierten bzw. diese Möglichkeiten bestritten. Dafür war es allerdings nicht zwingend erforderlich, dass die Wörter »Krieg« und »Demokratie« wortwörtlich artikuliert wurden. Auch Begrifflichkeiten, die das Ende der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen Krieg andeuteten, wie zum Beispiel »Schlachtfeld Deutschland« oder »Orwell-Staat«, konnten je nach Kontext als Indikatoren gelten. Wichtig für die Kategorisierung war aber bei allen Kategorien, dass als mögliche drohende Folge Gefahren für die Demokratie bzw. ein Krieg als durchaus unmittelbare Möglichkeit thematisiert wurden. Davon abzugrenzen waren deshalb Artikel, die zwar mögliche Gefahren thematisierten, diese Gefahr aber vielseitig sein konnte, ohne dabei Gefahren für die Demokratie bzw. einen Krieg als Möglichkeit zu erwägen. Deshalb wurden keine Artikel als relevant erachtet, die beispielsweise Gefahren für das wirtschaftliche System der Bundesrepublik durch den Einfluss der Jusos in der SPD oder das Ende des deutschen Universitätswesens als Möglichkeit betrachteten. Wenn das Ende des deutschen Universitätswesens oder das Ende der Marktwirtschaft aber als Vorbedingung für ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie angesehen wurde, wurde dieser Artikel als relevant gemessen und entsprechend kategorisiert. Dasselbe galt beispielsweise auch für negative Darstellungen von Franz Josef Strauß. Eine reine Ablehnung seiner Person für ein Ministeramt war noch kein Indikator dafür, dass Strauß als möglicher »Führer« der Rechten angesehen wurde, sondern konnte auch Zweifel an seiner Kompetenz zum Ausdruck bringen. Nur wenn seine Charaktereigenschaften als schädlich für eine Demokratie beschrieben wurden oder ein politischer Machtgewinn von Strauß als Gefahr für die Demokratie angesehen wurde, wurde dieser Artikel als relevant identifiziert. Eine Besonderheit stellte die Unterteilung in die Kategorien »latente militä1 Vgl. Früh: Inhaltsanalyse, S. 100. 2 Früh erachtet die Identität von Forscher und Codierer nicht als zwingend notwendig. Es ist durchaus gängig, dass der Forscher eine Suchstrategie definiert; »ob es sich bei einer konkreten Textstelle um das Gesuchte handelt, entscheidet der Codierer.« Früh: Inhaltsanalyse, S. 100.

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Quantitative Analyse

rische Bedrohung« und »Kriegsangst« dar. Artikel, die eine generelle Verteidigung vor einem eventuell möglichen Feind beinhalteten und für diesen Fall eine besondere Art der Verteidigung befürworteten, wurden als nicht relevant gemessen. Artikel, die einen möglichen Feind explizit benannten und zum Beispiel darauf hinwiesen, dass die Rüstung der Bundesrepublik oder des Westens diesem Feind unterlegen sei, wurden in die Kategorie »latente militärische Bedrohung« eingeordnet. Wenn ein Artikel die Möglichkeit eines unmittelbaren Krieges thematisierte, der eintreffen werde, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt oder eben gerade nicht eintritt, wurde dieser Artikel der Kategorie »Kriegsangst« zugeordnet. Die beispielhaft aufgezeigten Indikatoren haben gezeigt, dass die Codierung stark vom Codierer abhängig sein kann, denn dem »Codierer bleibt ein gewisser Interpretationsspielraum schon bei seinem Bemühen, die Mitteilung zu verstehen.«3 Dennoch wurde versucht, eine möglichst große Reliabilität dadurch zu erreichen, dass die Kriterien vorformuliert wurden und sowohl für den »Spiegel« als auch für den »Rheinischen Merkur« durchgängig im kompletten Untersuchungszeitraum streng Anwendung fanden. Durchführung und Probleme der statistischen Zählung Zur Bearbeitung der Vielzahl der Artikel wurde sowohl eine Excel-Datenbank als auch eine Access-Datenbank angelegt. In die Excel-Datenbank wurde für jede Ausgabe aus dem »Spiegel« bzw. dem »Rheinischen Merkur« eingetragen, wie viele Artikel relevant und wie viele Artikel nicht relevant waren und der Prozentsatz relevanter Artikel aus der Gesamtartikelanzahl errechnet. In die Access-Datenbank wurde die Nummer der Ausgabe, das Erscheinungsdatum des Artikels, die Rubrik, wenn bekannt der Autor, die Art des Artikels, die Seitenzahl und der Seitenumfang des Artikels und der Titel des Artikels eingetragen. Anschließend wurde vermerkt, welche Szenarien in dem Artikel thematisiert wurden (jeweils linkes und konservatives Wahrnehmungsmuster von Kriegsgefahr, latenter militärischer Bedrohung, Führer, Massenbewegung, Machtapparat, Gegendiskurs und Sonstiges) und ob ein Geschichtsbezug thematisiert wurde. Falls ein Geschichtsbezug vorhanden war, konnte in vier Unterkategorien unterschieden werden (Geschichtsbezug vor 1918, Geschichtsbezug von 1918 bis 1945, Geschichtsbezug nach 1945 oder undefinierter Geschichtsbezug, falls keiner der ersten drei Kategorien explizit benannt wurde). Weiterhin wurde in der Access-Datenbank vermerkt, wenn normative Beschreibungen der Demokratie thematisiert wurden. Durch diese Art der Dateneingabe ergab sich die Möglichkeit, dass auch 3 Früh: Inhaltsanalyse, S. 101.

Relevanz der Debatten

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Mehrfachnennungen ausgewertet werden konnten, wenn in einem Artikel mehrere Szenarien thematisiert wurden. Deshalb ist die Summe aller Szenarien höher als die der 3098 als relevant identifizierten Artikel. Auch kann es durchaus vorkommen, dass die Summe eines Szenarios aus konservativem und linkem Wahrnehmungsmuster größer ist als die des Szenarios allgemein, da in einem Artikel ein Szenario auch aus linker und aus konservativer Wahrnehmung thematisiert werden konnte, womit statistisch zwei Szenarien gemessen wurden. Umgekehrt kann es auch möglich sein, dass die Summe eines Szenarios aus linker und konservativer Wahrnehmung geringer ist, falls sich die Thematisierung eines Szenarios nicht eindeutig eines der beiden Wahrnehmungsmuster zuordnen lassen konnte. Weiterhin wurde vermerkt, ob in einem Artikel ein Geschichtsbezug vorhanden war, der in Beziehung zu einem zukünftigen Scheitern gesetzt wurde. Geschichtsbezüge, die lediglich als reines stilistisches Mittel verwendet wurden, wurden nicht gezählt.

2.2

Relevanz der Debatten

Leider war es oft nicht möglich, die jeweiligen Autoren der Artikel zu identifizieren (insgesamt 742 von 3098 Artikeln). Am häufigsten kam es im »Spiegel« vor, dass die Autoren anonym blieben.4 Im »Rheinischen Merkur« gab es im Untersuchungszeitraum nur 68 identifizierte Artikel, bei denen der Autor unbekannt blieb, im »Spiegel« dagegen 674 Artikel. Insgesamt beteiligten sich an den Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg 729 verschiedene Autoren, Parteien, Verbände, Interessenvertretungen, Pressestimmen usw. Davon sind aber 66 Autoren nur mit Initialen abgekürzt, sodass eine genaue Identifizierung nicht möglich war. Betrachtet man die Autoren mit den meisten Beiträgen, so fällt auf, dass diese meist auch gehobene journalistische Positionen innehatten: Paul Wilhelm Wenger (147 Artikel; Herausgeber des »Rheinischen Merkurs«), Anton Böhm (113 Artikel; Chefredakteur des »Rheinischen Merkurs« von 1963 – 1973), Rudolf Augstein (101 Artikel; Herausgeber des »Spiegels«) und Otto B. Roegele (66 Artikel; Herausgeber des »Rheinischen Merkurs«). Aber auch bedeutende Politiker (z. B. Heiner Geißler (CDU) mit 19 Artikeln, Edmund Stoiber (CSU) mit 14 Artikeln, Franz Josef Strauß (CSU) mit 13 Artikeln, Willy Brandt (SPD) mit 11 Artikeln) und Professoren (z. B. Kurt Sontheimer mit acht Artikeln) beteiligten 4 Christina von Hodenberg verweist darauf, dass im »Spiegel« von den Journalisten gefordert wurde, »nicht die meinungsbildende Persönlichkeit, sondern die anonyme Arbeit im Team« voranzustellen. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 220 f.

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Quantitative Analyse

sich an den Debatten über das Scheitern der Demokratie bzw. über einen möglichen Krieg. Betrachtet man die Anzahl der verschiedenen Autoren und deren berufliche oder politische Stellung, so wird deutlich, dass die Debatten von einem großen Diskutantenkreis geführt wurden, die auch eine gehobene gesellschaftliche Position innehatten. Dasselbe gilt für die Rubriken, in denen die identifizierten Artikel thematisiert wurden. Im »Spiegel« wurden die Debatten in 215 Titelstorys bzw. deren dazugehörigen Artikeln geführt, im »Rheinischen Merkur« in 220 Artikeln.5 Addiert man beide Blätter, so ergibt sich, dass die Debatten in insgesamt 435 Titelstorys bzw. Themen der Woche thematisiert wurden (14 % aller identifizierten Artikel). Neben der Titelstory bzw. dem Thema der Woche wurden die Debatten häufig in Hauptartikeln oder deren dazugehörigen Artikeln thematisiert.6 Insgesamt fanden sich 576 Hauptartikel (18,6 % aller identifizierten Artikel), die ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg thematisierten (103 aus »Spiegel«, 473 aus »Rheinischem Merkur«). Neben Titelstorys bzw. Themen der Woche oder Hauptartikeln wurden die Debatten aber in nahezu sämtlichen Rubriken thematisiert. So fanden sich beispielsweise auch Debatten in den Rubriken Panorama (86 Artikel), Woche zu Woche (19 Artikel), Politik im Fernsehen (21 Artikel), Echo der Zeit (11 Artikel), das politische Buch (31 Artikel), Politisches Journal (sechs Artikel) und Politisches Magazin (11 Artikel). Ebenfalls wurden die Debatten in nahezu allen möglichen Genres thematisiert, beispielsweise in Interviews (196 Artikel), in Kommentaren (193 Artikel), in Buchvorstellungen (52 Artikel), in Textauszügen (74 Artikel), in Kolumnen (39 Artikel), in Essays (28 Artikel), Pressestimmen (21 Artikel) und Meinungsumfragen (17 Artikel). Der Seitenumfang aller identifizierten Artikel beträgt addiert 6627 Seiten, womit deutlich wird, dass ein relativ großer Quellenkorpus analysiert werden konnte.7 Als Zwischenfazit lässt sich konstatieren, dass die Debatten über ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg kein Thema waren, das nur am Rande thematisiert wurde und keinerlei gesellschaftliche Bedeutung besaß. Sowohl die Anzahl der Autoren als auch deren berufliche, 5 Analog zur Titelstory im »Spiegel« wurde das »Thema der Woche« im »Rheinischen Merkur« gemessen. 6 Als Hauptartikel wurde im »Rheinischen Merkur« die erste Seite, im »Spiegel« der erste Artikel gewertet. Da der »Rheinische Merkur« auf der ersten Seite mehrere Artikel abgedruckt hat, ist die höhere Anzahl nicht verwunderlich. 7 Sehr kleine Artikel wurden mit 0,5 berechnet. Größere Artikel waren vor allem im »Spiegel« vorhanden, im »Rheinischen Merkur« gab es kaum Artikel, die größer als zwei Seiten waren, dafür erschien der »Rheinische Merkur« aber im Nordischen Format (373 mal 520 mm), womit eine Seite umfangreicher als die des »Spiegels« war.

Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie

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politische und gesellschaftliche Stellung, die Anzahl und Wertigkeit der Rubriken und Genres, in denen die Debatten artikuliert wurden und der Umfang der Artikel bestätigen die Ausgangshypothese, dass die Debatten in relevantem Ausmaß geführt wurden und wichtiger Teil der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1965 bis 1985 waren.

2.3

Thematisierungen der Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einem möglichen Krieg

Im folgenden Kapitel wird ein Überblick über die Thematisierungen der Debatten der einzelnen Jahrgänge des Untersuchungszeitraumes jeweils im »Spiegel«, im »Rheinischen Merkur« sowie in der Addition aus beiden Wochenblättern gegeben. Hierbei wurden sämtliche Artikel gewertet, die ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder einen möglichen Krieg befürchteten bzw. explizit bestritten, ohne zu unterscheiden, in welchen Szenarien diese Befürchtungen thematisiert wurden oder ob in einem Artikel mehrere verschiedene Bedrohungsszenarien zum Ausdruck kamen. Die ersten beiden Tabellen zeigen die Anzahl der relevanten Artikel, die Anzahl der nicht relevanten Artikel, die Anzahl der Gesamtartikel, den Durchschnitt relevanter Artikel aus der Gesamtartikelanzahl und die Anzahl der untersuchten Ausgaben des »Spiegels« bzw. des »Rheinischen Merkurs« im jeweiligen Jahrgang und in der Addition aus sämtlichen Jahrgängen. In der dritten Tabelle werden die Werte aus »Spiegel« und »Rheinischem Merkur« zum Vergleich nebeneinander dargestellt. In der vierten Tabelle wurden die Daten aus dem »Spiegel« und »Rheinischen Merkur« jahrgangsweise addiert, um Höhepunkte der Thematisierung deutlich zu machen. Die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges im »Rheinischen Merkur« Im Untersuchungszeitraum wurden 1050 Ausgaben des »Rheinischen Merkurs« untersucht. In diesen Ausgaben wurden insgesamt 40167 Artikel untersucht, von denen 1920 Artikel (4,8 %) als diejenigen identifiziert wurden, die ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg thematisierten. Wenn man die Verteilung der Thematisierung auf die einzelnen Jahre betrachtet, so fällt auf, dass im Jahr 1972 die Debatten am häufigsten thematisiert wurden (152 Artikel (7,7 %)). Aber auch die Jahre 1983 (149 Artikel (7,7 %)), 1981 (128 Artikel (7,3 %)) und 1973 (123 Artikel (6,3 %)) bildeten weitere

38

Quantitative Analyse

Höhepunkte der Thematisierung. Am seltensten wurden die Debatten im »Rheinischen Merkur« in den Jahren 1984 (43 Artikel (2,5 %)), 1969 (66 Artikel (3,2 %)), 1965 (64 Artikel (3,6 %)) und 1976 (75 Artikel (3,6 %)) geführt. Das Jahr 1985 ist als nicht repräsentativ anzusehen, da dieses nicht vollständig untersucht wurde und stattdessen nur 390 Artikel in 11 Ausgaben untersucht wurden, weshalb es nicht als das Jahr mit den wenigsten Thematisierungen gewertet wird. Es ist ersichtlich, dass die Thematisierung der Debatten im »Rheinischen Merkur« ab 1984 wieder rückläufig war (nur 43 Artikel 1984 (2,5 %) und vier Artikel (1,0 %) im Jahr 1985). Somit lässt sich konstatieren, dass die Debatten im gesamten Untersuchungszeitraum von 1965 bis 1985 im »Rheinischen Merkur« durchgängig ohne Ausnahmen geführt wurden (im Durchschnitt 4,8 %). Insgesamt fanden sich sogar nur acht Jahrgänge, die unter 4 % relevante Artikel aufwiesen (1965, 1966, 1969, 1976, 1978, 1979, 1984 und 1985), darunter sogar nur zwei Jahrgänge, die unter 3 % blieben (1984 und 1985). Dagegen gab es 13 Jahrgänge, die über 4 % lagen (1967, 1968, 1970 bis 1975, 1977 und 1980 bis 1983). Weiterhin gab es acht Jahrgänge, die sogar über dem Durchschnitt von 4,8 % lagen (1968, 1971, 1972, 1973, 1974, 1981, 1982 und 1983). Tab. 1: Überblick über die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges im »Rheinischen Merkur« Jahr 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983

relevante Artikel 64 82 94 109 66 82 106 152 123 102 85 75 107 84 88 78 128 99 149

nicht relevante Artikel 1720 2050 1895 1857 1969 1867 1851 1828 1836 1932 1892 2000 2137 2311 2145 1675 1627 1767 1790

Gesamtartikel Durchschnitt Anzahl der Ausgaben 1784 3,6 % 53 2132 3,8 % 52 1989 4,7 % 52 1966 5,5 % 52 2035 3,2 % 52 1949 4,2 % 52 1957 5,4 % 53 1980 7,7 % 52 1959 6,3 % 51 2034 5,0 % 52 1977 4,3 % 51 2075 3,6 % 53 2244 4,8 % 52 2395 3,5 % 51 2233 3,9 % 51 1753 4,4 % 51 1755 7,3 % 52 1866 5,3 % 53 1939 7,7 % 52

39

Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie

((Fortsetzung)) Jahr 1984 1985

relevante Artikel 43 4

Gesamt 1920

nicht relevante Artikel 1712 386

Gesamtartikel Durchschnitt Anzahl der Ausgaben 1755 2,5 % 52 390 1,0 % 11

38247

40167

4,8 %

1050

Die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges im »Spiegel« Im Untersuchungszeitraum wurden 1052 Ausgaben des »Spiegels« untersucht. In diesen Ausgaben wurden insgesamt 31687 Artikel untersucht, von denen 1178 Artikel (3,7 %) als diejenigen identifiziert wurden, die ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg thematisieren. Wenn man die Verteilung der Thematisierung auf die einzelnen Jahre betrachtet, so fällt auf, dass die Debatten im Jahr 1983 am häufigsten thematisiert wurden (119 Artikel (7,7 %)) Aber auch die Jahre 1981 (91 Artikel (5,8 %)), 1982 (85 Artikel (5,7 %)) und 1969 (87 Artikel (5,1 %)) bildeten weitere Höhepunkte der Thematisierung. Am seltensten wurden die Debatten im »Spiegel« im Jahr 1973 (13 Artikel (0,9 %)) geführt. Das Jahr 1985 ist, wie auch im »Rheinischen Merkur«, als nicht repräsentativ anzusehen, da dort nur 361 Artikel in 12 Ausgaben untersucht wurden, diese aber ebenfalls prozentual ausgewertet wurden. Somit lässt sich konstatieren, dass die Debatten im gesamten Untersuchungszeitraum von 1965 bis 1985 im »Spiegel« ebenfalls durchgängig ohne Ausnahmen geführt wurden (im Durchschnitt 3,7 %). Allerdings fanden sich im »Spiegel« zwölf Jahrgänge, die unter 4 % relevante Artikel aufwiesen (1966, 1970 bis 1979 und 1985). Dagegen gab es nur neun Jahrgänge, die über dem Durchschnitt von 3,7 % relevante Artikel aufwiesen (1965, 1967 bis 1969, 1980 bis 1984). Tab. 2: Überblick über die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges im »Spiegel« Jahr 1965 1966 1967 1968 1969

relevante Artikel 69 46 68 78 87

nicht relevante Artikel 1550 1474 1416 1666 1615

Gesamtartikel Durchschnitt Anzahl der Ausgaben 1619 4,3 % 52 1520 3,0 % 52 1484 4,6 % 52 1744 4,5 % 52 1702 5,1 % 52

40

Quantitative Analyse

((Fortsetzung)) Jahr 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985

relevante Artikel 58 37 46 13 27 26 40 56 31 43 78 91 85 119 70 10

Gesamt 1178

nicht relevante Artikel 1808 1757 1644 1515 1219 1282 1369 1463 1528 1539 1462 1480 1419 1419 1533 351

Gesamtartikel Durchschnitt Anzahl der Ausgaben 1866 3,1 % 52 1794 2,1 % 52 1690 2,7 % 52 1528 0,9 % 53 1246 2,2 % 52 1308 2,0 % 52 1409 2,8 % 51 1519 3,7 % 52 1559 2,0 % 51 1582 2,7 % 53 1540 5,1 % 52 1571 5,8 % 52 1504 5,7 % 52 1538 7,7 % 52 1603 4,4 % 52 361 2,8 % 12

30509

31687

3,7 %

1052

Gegenüberstellung der Thematisierungen im »Rheinischen Merkur« und »Spiegel« In der Gegenüberstellung der Thematisierungen in beiden Wochenblättern wird deutlich, dass die Debatten über ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. über einen möglichen Krieg in beiden Blättern durchgängig geführt wurden. Dennoch werden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede ersichtlich. Im »Rheinischen Merkur« wurden die Debatten häufiger artikuliert (1920 Artikel (4,8 %)) als im »Spiegel« (1178 Artikel (3,7 %)). Weiterhin zeigt sich die größte Diskrepanz zwischen beiden Blättern in den Jahren 1972 (Diskrepanz von 5 %) und 1973 (Diskrepanz von 5,4 %). Diese Diskrepanz blieb auch in abgeschwächter Form in den Regierungsjahren Brandts vorhanden (1969 bis 1974) und nahm erst mit dem Regierungsantritt von Helmut Schmidt im Jahr 1974 langsam ab. Eventuell könnte man das Jahr 1969 als ersten Wendepunkt im Untersuchungszeitraum bezeichnen, da in den Jahren 1970 bis 1974 die Thematisierung im »Rheinischen Merkur« verhältnismäßig hoch, die im »Spiegel« hingegen eher gering war. Ein zweiter Wendepunkt wird in den Jahren um 1980 ersichtlich, da die Thematisierung in beiden Wochenzeitungen von da an rapide

41

Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie

zunahm, sodass die Jahre 1981 und 1983 als gemeinsame Höhepunkte beider Blätter ausgemacht werden konnten. Bei beiden Blättern nahm die Thematisierung ab 1984 wieder ab. Die Gegenüberstellung der Thematisierungen der Debatten im »Rheinischen Merkur« und im »Spiegel« allein lässt aber kaum weitere Erkenntnisse zu, da bei dieser Art der statistischen Zählung nicht unterschieden wird, welche Szenarien in welchem Wahrnehmungsmuster artikuliert wurden. So konnte es durchaus möglich sein, dass im »Spiegel« konservative Ängste geäußert wurden oder andersherum. Weitere Erkenntnisse konnte deshalb die Untersuchung der Thematisierung der Szenarien beider Wochenzeitschriften ermöglichen. Tab. 3: Gegenüberstellung der Thematisierungen im »Rheinischen Merkur« und »Spiegel« Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985

Rheinischer Merkur

Rheinischer Merkur

identifizierte Artikel 64 82 94 109 66 82 106 152 123 102 85 75 107 84 88 78 128 99 149 43 4

Gesamtartikel Ø

Gesamt 1920

Rheinischer Spiegel Merkur

1784 2132 1989 1966 2035 1949 1957 1980 1959 2034 1977 2075 2244 2395 2233 1753 1755 1866 1939 1755 390

3,6 % 3,8 % 4,7 % 5,5 % 3,2 % 4,2 % 5,4 % 7,7 % 6,3 % 5,0 % 4,3 % 3,6 % 4,8 % 3,5 % 3,9 % 4,4 % 7,3 % 5,3 % 7,7 % 2,5 % 1,0 %

identifizierte Artikel 69 46 68 78 87 58 37 46 13 27 26 40 56 31 43 78 91 85 119 70 10

40167

4,8 %

1178

Spiegel

Spiegel

Gesamtartikel 1619 1520 1484 1744 1702 1866 1794 1690 1528 1246 1308 1409 1519 1559 1582 1540 1571 1504 1538 1603 361

Ø 4,3 % 3,0 % 4,6 % 4,5 % 5,1 % 3,1 % 2,1 % 2,7 % 0,9 % 2,2 % 2,0 % 2,8 % 3,7 % 2,0 % 2,7 % 5,1 % 5,8 % 5,7 % 7,7 % 4,4 % 2,8 %

31687

3,7 %

42

Quantitative Analyse

Die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges von 1965 bis 1985 im »Rheinischen Merkur« und »Spiegel« zusammen Addiert man die Artikel aus dem »Spiegel« und dem »Rheinischen Merkur« jahrgangsweise zusammen, so wurden insgesamt 71854 Artikel in 2102 Ausgaben untersucht und dabei 3098 Artikel (4,3 %) identifiziert, die ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder die Möglichkeit eines Krieges thematisierten. Als Höhepunkt konnte das Jahr 1983 identifiziert werden (268 Artikel (7,7 %)). Weitere Höhepunkte bildeten die Jahre 1968 (187 Artikel (5,0 %)), 1972 (198 Artikel (5,4 %)), 1981 (219 Artikel (6,6 %)) und 1982 (184 Artikel (5,5 %)). Sieben Jahrgänge lagen über dem Durchschnitt von 4,3 % (1967, 1968, 1972, 1980 – 1983). Das Jahr 1985 ist in dieser Betrachtung ebenfalls als nicht repräsentativ anzusehen, da dort nur 751 Artikel in 23 Ausgaben untersucht wurden, weshalb es nicht als das Jahr mit den wenigsten Thematisierungen gewertet werden kann. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der untersuchten Gesamtartikel wurden die Debatten demnach im Jahr 1978 am wenigsten thematisiert (115 Artikel (2,9 %)). Weiterhin lagen zwölf Jahrgänge unter 4 % (1965, 1966, 1970, 1971, 1973 bis 1976, 1978, 1979, 1984 und 1985). Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse aus dem »Spiegel« und dem »Rheinischen Merkur« haben verdeutlicht, dass es Teil der bundesdeutschen politischen Kultur von 1965 bis 1985 war, Ängste vor einem möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einem möglichen Krieg zu thematisieren. Hierfür dienten verschiedene Anlässe, die bei den Zeitgenossen diese Ängste hervorriefen. Die Inhaltsanalyse zeigte außerdem, dass die Debatten über ein mögliches Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. über eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung in relevantem Ausmaß sowohl im »Spiegel« als auch im »Rheinischen Merkur« durchgängig im Untersuchungszeitraum von 1965 bis 1985 geführt wurden. Will man ein sprachliches Bild dafür benutzen, so könnte man sagen, dass es ein durchgängiges Konzert mit einzelnen ruhigeren Phasen, aber auch mit lauteren »Soloparts« gab.

43

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

Tab. 4: Überblick über die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges von 1965 bis 1985 im »Rheinischen Merkur« und »Spiegel« zusammen Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985

Rheinischer Mer- Rheinischer Mer- Rheinischer Mer- Rheinischer Merkur und Spiegel kur und Spiegel kur und Spiegel kur und Spiegel identifizierte Artikel 133 128 162 187 153 140 143 198 136 129 111 115 163 115 131 156 219 184 268 113 14

Gesamt 3098

2.4

Gesamtartikel

Ø

3403 3652 3473 3710 3737 3815 3751 3670 3487 3280 3285 3484 3763 3954 3815 3293 3326 3370 3477 3358 751

3,9 % 3,5 % 4,7 % 5,0 % 4,1 % 3,7 % 3,8 % 5,4 % 3,9 % 3,9 % 3,4 % 3,3 % 4,3 % 2,9 % 3,4 % 4,7 % 6,6 % 5,5 % 7,7 % 3,4 % 1,9 %

Anzahl der Ausgaben 105 104 104 104 104 104 105 104 104 104 103 104 104 102 104 103 104 105 104 104 23

71854

4,3 %

2102

Thematisierungen einzelner Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur« von 1965 bis 1985

Im folgenden Abschnitt wurden alle 3098 als relevant identifizierten Artikel aus dem »Rheinischen Merkur« und dem »Spiegel« dahingehend untersucht, inwiefern das befürchtete Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung artikuliert wurden. Hierbei wurde untersucht, ob sich die Ausgangshypothese bestätigt, dass sich die Debatten im Wesentlichen in vier Szenarien wiederholten (neuer Führer, anonymer Macht-

44

Quantitative Analyse

apparat, Kriegsangst und Massenbewegung) und diese sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster in jeweils eigenen Interpretationen thematisiert und gepflegt wurden. Außerdem war Gegenstand der Untersuchung, ob sich bei der Argumentation auf geschichtliche Erfahrungen bezogen wurde und wenn ja, ob der Geschichtsbezug von 1918 bis 1945 dabei eine bedeutende Rolle spielte. Frühs Kategoriensystem wurde deshalb für die 3098 relevanten Artikel in einer zweiten Dimension dahingehend erweitert, dass Unterkategorien gebildet wurden, die die Art der Thematisierung einer Bedrohung in den untersuchten Artikeln messen (Massenbewegung, Führer, Machtapparat, Kriegsangst, latente militärische Bedrohung). Da Frühs Inhaltsanalyse darauf basiert, dass ein sich erschöpfendes Kategoriensystem gebildet wird und sämtliche Artikel kategorisiert werden können, wurden als zwei weitere Kategorien die Kategorien »Gegendiskurs« und »Sonstiges« empirisch erfasst. Als »Gegendiskurs« wurden die Thematisierungen gewertet, die explizit einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einem möglichen Krieg widersprachen. Als »Sonstiges« wurden sämtliche Artikel gezählt, die nicht in die anderen Kategorien eingeordnet werden konnten, da sie zum Beispiel keines der Szenarien artikulierten oder aber normative Beschreibungen der Demokratie beinhalteten, die für ein Funktionieren der Demokratie als existenziell empfunden wurden. In einer zweiten Dimension wurde gemessen, ob sich die thematisierten Szenarien dem linken oder dem konservativen Wahrnehmungsmuster zuordnen lassen. In einer dritten Dimension wurde festgehalten, ob ein Geschichtsbezug Verwendung fand und wenn ja, wurde in einer vierten Dimension die Art des Geschichtsbezuges bestimmt (Geschichtsbezug vor 1918, Geschichtsbezug von 1918 bis 1945, Geschichtsbezug nach 1945, undefinierter Geschichtsbezug). Da untersucht wurde, welche Szenarien und welche Geschichtsbezüge in den Artikeln aus dem »Spiegel« und »Rheinischen Merkur« thematisiert wurden, konnten auch Mehrfachthematisierungen oder Mehrfachbezüge gemessen werden, sodass die Summe aller Szenarien größer als die der 3098 untersuchten Artikel ist. Wenn nicht eindeutig festzustellen war, ob sich ein Szenario eines der beiden Wahrnehmungsmuster zuordnen ließ, wurde dieses nicht weiter kategorisiert, sondern im Szenario allgemein festgehalten. Diese Art der Zuordnung erlaubte eine größere Flexibilität, da nicht jedes Szenario immer eindeutig einem der beiden Wahrnehmungsmuster zugeordnet werden konnte.

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

45

2.4.1 Die Thematisierung verschiedener Szenarien im gesamten Untersuchungszeitraum Die abgebildete Tabelle soll einen Gesamtüberblick über die Artikulation der Debatten über ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg geben und aufzeigen, welche Rolle dabei historische Bezüge spielten. Die Tabelle zeigt, wie häufig in den untersuchten Artikeln verschiedene Bedrohungsszenarien (Spalte 1) thematisiert wurden (Spalte 2). Diese Szenarien wurden weiter kategorisiert, falls sich diese eindeutig entweder dem linken oder dem konservativen Wahrnehmungsmuster zuordnen ließen. Weiterhin wurde erhoben, ob sich bei der Thematisierung eines Bedrohungsszenarios auf historische Bezüge berufen wurde (Spalte 3) und wenn ja, auf welchen historischen Zeitraum sich dabei bezogen wurde (Spalte 4 bis 7). Die Prozentangaben in den Spalten 4 bis 7 beziehen sich auf den Gesamtgeschichtsbezug (Spalte 3). Es ist auffällig, dass die Ängste vor einem Scheitern der Demokratie bzw. vor einem Krieg am häufigsten im Szenario des anonymen Machtapparats artikuliert wurden (1187 Artikel). Die Angst vor einem neuen Krieg (686 Artikel) und eine latente militärische Bedrohung (421 Artikel) waren weiterhin beherrschende Themen der Diskussion. Am wenigsten artikulierten sich die Debatten im Szenario eines neuen Führers (205 Artikel) gefolgt vom Szenario einer neuen Massenbewegung (356 Artikel). Außerdem wurden 367 Artikel gezählt, die entweder normative Beschreibungen der Demokratie beinhalteten oder Ängste artikulierten, die keinem der anderen Szenarien zugeordnet werden konnten. Insgesamt wurden weiterhin 297 Artikel gezählt, in denen ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder die Möglichkeit eines neuen Krieges explizit bestritten wurden. Untersucht man genauer, in welchen Wahrnehmungsmustern die verschiedenen Szenarien thematisiert wurden, so fällt auf, dass mehr konservative Bedrohungsszenarien (2090) als linke Bedrohungsszenarien (1177) artikuliert wurden. Besonders deutlich wird diese Diskrepanz beim Szenario Machtapparat. Dieses wurde 827-mal als konservative Angst und nur 431-mal als linke Angst thematisiert. Eine ähnliche Diskrepanz findet sich beim Szenario der latenten militärischen Bedrohung (41 versus 326 Thematisierungen) und beim Szenario der Massenbewegung (131 versus 259 Thematisierungen). Fast identisch ist die Thematisierung linker und konservativer Ängste beim Szenario der Kriegsangst (324 versus 383). Eine umgekehrte Diskrepanz findet sich beim Szenario des neuen Führers. Dieses Szenario wurde bedeutend häufiger im linken als im konservativen Wahrnehmungsmuster artikuliert (150 versus 65 Thematisierungen).

79 140 113

131 259

205

150 65 1187

431 827 686

324 383 421 41 326 367

100 230 297

linkes WM konservatives WM. Führer

linkes WM kons. WM Machtapparat

linkes WM kons. WM Kriegsangst

linkes WM kons. WM. latente militärische Bedrohung linkes WM kons. WM Sonstiges

linkes WM kons. WM Gegendiskurs

26 59 103

129 133 62 7 43 99

137 239 260

80 37 350

201

356

Massenbewegung

(26,0) (25,7) (34,7)

(39,8) (34,7) (14,7) (17,1) (13,2) (27,0)

(31,8) (28,9) (37,9)

(53,3) (56,9) (29,5)

(55,1)

(60,3) (54,1)

(56,5)

Ge-bezug %

Gesamt

Szenario

23 50 77

82 85 37 4 21 86

126 200 166

70 32 302

97

73 129

187

(88,5) (84,7) (74,8)

(63,6) (63,9) (59,7) (57,1) (48,8) (86,9)

(92,0) (83,7) (63,8)

(87,5) (86,5) (86,3)

(85,8)

(92,4) (92,1)

(93,0)

1918 bis 1945 %

1 9 13

39 29 12 4 8 15

15 19 68

3 3 33

8

4 9

12

(3,8) (15,3) (12,6)

(30,2) (21,8) (19,4) (57,1) (18,6) (15,2)

(10,9) (7,9) (26,2)

(3,8) (8,1) (9,4)

(7,1)

(5,1) (6,4)

(6,0)

Vor 1918 %

Tab. 5: Überblick über die Thematisierung verschiedener Szenarien im gesamten Untersuchungszeitraum

1 3 17

22 37 19 3 15 4

5 24 60

9 1 32

10

3 7

9

(3,8) (5,1) (16,5)

(17,1) (27,8) (30,6) (42,9) (34,9) (4,0)

(3,6) (10,0) (23,1)

(11,3) (2,7) (9,1)

(8,8)

(3,8) (5,0)

(4,5)

Nach 1945 %

1 2 3

6 2 2 2 3

2 6 8

1 8

1

1

(3,8) (3,4) (2,9)

(4,7) (1,5) (3,2) (4,7) (3,0)

(1,5) (2,5) (3,1)

(2,7) (2,3)

(0,9)

(0,7)

Undef. % Ge-bezug 1 (0,5)

46 Quantitative Analyse

3519

Gesamt

1188

(33,8)

Ge-bezug % 952

(80,1)

1918 bis 1945 % 161

(13,6)

Vor 1918 % 151

(12,7)

Nach 1945 %

Undef. % Ge-bezug 25 (2,1)

links WMa) 1177 458 (38,9) 378 (82,5) 66 (14,4) 43 (9,4) 9,0 (2,0) kons. WM 2090 651 (31,1) 517 (79,4) 77 (11,8) 87 (13,4) 14 (2,2) a) Die Unterteilung in ein linkes und konservatives Wahrnehmungsmuster wurde nicht für die Kategorie »Gegendiskurs« durchgeführt, weshalb diese Werte bei der Gesamtanzahl nicht berücksichtigt wurden.

Gesamt

Szenario

((Fortsetzung))

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

47

48

Quantitative Analyse

Verwendung von geschichtlichen Bezügen Insgesamt wurden von den 3098 Artikeln aus dem »Spiegel« und dem »Rheinischen Merkur« 1024 Artikel identifiziert, die einen Geschichtsbezug aufwiesen (33 %). Dagegen hatten 2074 Artikel keinen Geschichtsbezug. In den 1024 Artikeln mit Geschichtsbezug wurde in 822 Artikeln (80,3 %) Bezug auf die Zeit von 1918 bis 1945 genommen. Die Zeit vor 1918 (141 Artikel (13,8 %)) wurde fast gleich oft mit der Zeit nach 1945 (125 Artikel (12,2 %)) thematisiert. Ein undefinierter Geschichtsbezug konnte in 25 Artikeln (2,4 %) festgestellt werden. Am häufigsten konnte ein geschichtlicher Bezug bei den Szenarien Massenbewegung (56,5 %) und Führer (55,1 %) festgestellt werden. Der seltenste Geschichtsbezug konnte bei dem Szenario der latenten militärischen Bedrohung (14,7 %), der Kategorie Sonstiges (27 %) und dem Szenario des anonymen Machtapparats (29,5 %) festgestellt werden. Beim Szenario eines neuen Krieges wurde in 37,9 % der Thematisierungen ein geschichtlicher Bezug verwendet, bei der Kategorie Gegendiskurs in 34,7 % der Thematisierungen. Es konnte lediglich eine geringe Diskrepanz bei der Verwendung historischer Bezüge von Szenarien aus dem linken und konservativen Wahrnehmungsmuster festgestellt werden. So wurden geschichtliche Vergleiche etwas mehr in Szenarien des linken Wahrnehmungsmusters (38,9 %) als in denen des konservativen Wahrnehmungsmusters (31,1 %) verwendet. Der größte Unterschied trat hierbei im Szenario der Massenbewegung auf (60,3 % versus 54,1 %), der geringste Unterschied bei der Kategorie Sonstiges (26 % versus 25,7 %). In allen Szenarien mit Geschichtsbezug dominierten deutlich die historischen Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945 (80,1 %). Am häufigsten fanden sich diese Bezüge beim Szenario Massenbewegung (93 %). Aber auch in den Szenarien Machtapparat (86,3 %), Führer (85,8 %) und in der Kategorie Sonstiges (86,9 %) fanden sich sehr häufig diese historischen Bezüge. Einen deutlich geringeren Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 fand sich in den Szenarien latente militärische Bedrohung (59,7 %) und Kriegsangst (63,8 %), auch wenn diese doch noch sehr häufig Verwendung fanden. Weiterhin konnte bei der Verwendung historischer Bezüge der Zeit von 1918 bis 1945 insgesamt nur ein geringer Unterschied zwischen Szenarien des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters erkannt werden (82,5 % versus 79,4 %). Die größte Diskrepanz zeigte sich hier bei den Szenarien Machtapparat und latente militärische Bedrohung. In linken Ängsten vor einem anonymen Machtapparat wurde in 92 % aller historischen Bezüge auf die Zeit von 1918 bis 1945 Bezug genommen, in konservativen Ängsten nur in 83,7 % aller historischen Bezüge. Beim Szenario latente militärische Bedrohung zeigte sich dieselbe Diskrepanz (57,1 % versus 48,8 %), auch wenn hierbei die absoluten Zahlen deutlich geringer waren als beim Szenario Machtapparat. Fast identisch war der Bezug zur Zeit von 1918 bis

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

49

1945 im linken und konservativen Wahrnehmungsmuster in den Szenarien Massenbewegung (92,4 % versus 92,1 %) und Kriegsangst (63,6 % versus 63,9 %). Historische Bezüge zur Zeit vor 1918 konnten insgesamt nur marginal festgestellt werden (13,6 %). Am häufigsten fand sich ein solcher Geschichtsbezug in den Szenarien Kriegsangst (26,2 %) und latente militärische Bedrohung (19,4 %). Am seltensten wurde ein solcher Geschichtsbezug in den Szenarien Massenbewegung (6 %), Führer (7,1 %) und Machtapparat (9,4 %) thematisiert. Aufgrund der geringen Gesamtthematisierung von historischen Bezügen zur Zeit vor 1918 fällt es schwer, repräsentative Aussagen zum Unterschied zwischen Szenarien des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters zu machen. Lediglich bei den Szenarien Machtapparat und Kriegsangst lassen sich aufgrund der Anzahl der Thematisierungen repräsentative Aussagen treffen. Bei beiden Szenarien wird deutlich, dass historische Bezüge zur Zeit vor 1918 am häufigsten im linken Wahrnehmungsmuster Verwendung fanden. So ist eine geringe Diskrepanz beim Szenario Machtapparat erkennbar (10,9 % versus 7,9 %), eine deutliche Diskrepanz zeigt sich aber beim Szenario Kriegsangst (30,2 % versus 21,8 %). Historische Bezüge zur Zeit nach 1945 zeigen ähnliche Tendenzen wie historische Bezüge zur Zeit vor 1918. Am seltensten wurde ein solcher Geschichtsbezug ebenfalls in den Szenarien Massenbewegung (4,5 %), Führer (8,8 %) und Machtapparat (9,1 %) thematisiert. Am häufigsten fand sich ein solcher Geschichtsbezug in den Szenarien latente militärische Bedrohung (30,6 %) und Kriegsangst (23,1 %). Aufgrund der geringen Gesamtthematisierung von historischen Bezügen zur Zeit nach 1945 fällt es auch hier schwer, repräsentative Aussagen zum Unterschied zwischen Szenarien des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters zu treffen, weshalb hier nur Tendenzen der Szenarien Machtapparat, Kriegsangst und latente militärische Bedrohung aufgezeigt werden. Bei allen drei Szenarien wird eine große Diskrepanz zwischen dem linken und konservativen Wahrnehmungsmuster deutlich. Bei den Szenarien Machtapparat (3,6 % versus 10 %) und Kriegsangst (17,1 % versus 27,8 %) überwog der Bezug zur Zeit nach 1945 im konservativen Wahrnehmungsmuster, bei dem Szenario latente militärische Bedrohung überwog der Geschichtsbezug im linken Wahrnehmungsmuster (42,9 % versus 34,9 %). Ein undefinierter Geschichtsbezug wurde bei der Thematisierung eines Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines möglichen Krieges insgesamt sehr selten verwendet (2,1 %), weshalb hier kaum repräsentative Aussagen gemacht werden können.

50

Quantitative Analyse

Fazit zur Thematisierung der verschiedenen Szenarien Es konnte festgestellt werden, dass sich die Ausgangshypothesen bestätigt haben und die verschiedenen Debatten hauptsächlich in den vier Szenarien Massenbewegung, anonymer Machtapparat, neuer Führer und kriegerische Auseinandersetzung thematisiert wurden. Darüber hinaus konnte eine fünfte Kategorie bestätigt werden, die eine latente militärische Bedrohung thematisierte. Diese fünfte Kategorie ist allerdings nicht gleichbedeutend mit den anderen vier Szenarien als ein eigenständiges fünftes Szenario anzusehen, sondern eher als abgeschwächte Form des Szenarios eines möglichen Krieges, womit es auch als eine Art Vorbedingung für die Thematisierung einer akuten Kriegsgefahr anzusehen ist. Weiterhin verdeutlichte die Inhaltsanalyse, dass die Debatten gleichermaßen sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster thematisiert wurden. Es wurde darüber hinaus ersichtlich, dass entgegen des »Links-RechtsGefälles« in der Forschungslandschaft konservative Ängste sogar überwogen und keinesfalls neben linken Ängsten eine untergeordnete Rolle spielten. Die Inhaltsanalyse belegte außerdem, dass historische Bezüge bei den Debatten über ein Scheitern der Demokratie bzw. einen möglichen Krieg eine bedeutende Rolle spielten. Dabei spielten historische Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945 in sämtlichen Szenarien sogar eine herausragende Rolle. Diskrepanzen zwischen Szenarien des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters bei der Verwendung historischer Bezüge allgemein bzw. der Verwendung geschichtlicher Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945 konnten nur marginal erkannt werden. Auffällig ist auch, dass historische Bezüge zur Zeit vor 1918 und nach 1945 ähnliche Merkmale aufweisen und nur bei bestimmten Szenarien in relevantem Ausmaß thematisiert wurden. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass sich beide historischen Bezüge nur für wenige Szenarien als Vergleichsperspektive anboten, während die Zeit von 1918 bis 1945 für sämtliche Szenarien als Vergleichs- und Bezugsebene dienen konnte. Inwiefern diese Vergleichs- und Bezugspunkte für die zeitgenössische Argumentation dienlich gemacht wurden, wird im 3. Kapitel behandelt.

2.4.2 Die Angst vor einer neuen Massenbewegung Die abgebildete Tabelle zeigt den zeitlichen Verlauf der Thematisierung des Szenarios einer neuen Massenbewegung über den gesamten Untersuchungszeitraum. Sie stellt die Thematisierung im »Spiegel« und im »Rheinischen Merkur« (Spalte 2) in den jeweiligen Jahrgängen sowie die Gesamtthematisierung aus beiden Wochenblättern (Spalte 3) und die Verwendung von histori-

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

51

schen Bezügen (Spalte 4) dar. Weiterhin zeigt die Tabelle, welche historischen Bezüge Verwendung fanden (Spalte 5 bis Spalte 8). Die Prozentangaben in den Spalten 5 bis 8 beziehen sich auf den Gesamtgeschichtsbezug (Spalte 4).8 Das Szenario einer neuen Massenbewegung wurde durchgängig im Untersuchungszeitraum artikuliert. Es ist ebenfalls deutlich, dass sowohl der »Spiegel« (138 Artikel) als auch der »Rheinische Merkur« (218 Artikel) Ängste vor einer Massenbewegung thematisierten, der »Rheinische Merkur« aber deutlich mehr Artikel zu diesem Thema veröffentlichte. Für das Szenario der Massenbewegung lassen sich zwei zeitliche Phasen als Höhepunkte erkennen, in denen die Angst vor einer neuen Massenbewegung auffällig häufig thematisiert wurde. In der ersten Phase bildeten die Jahre 1966 bis 1969, die zweite Phase bildeten die Jahre 1981 bis 1983. In der ersten Phase zeigte sich eine deutliche stärkere Thematisierung als in der zweiten Phase. Der Höhepunkt der ersten Phase war das Jahr 1968 (64 Artikel), der Höhepunkt der zweiten Phase war das Jahr 1982 (28 Artikel). Zwischen beiden Phasen ist die Thematisierung der Angst vor einer neuen Massenbewegung bis auf wenige Ausnahmen (1972 mit 17 Artikeln, 1974 mit zehn Artikeln und 1977 mit 16 Artikeln) unbedeutend. Am wenigsten wurde die Angst vor einer Massenbewegung im Jahr 1970 (drei Artikel) und 1973 (zwei Artikel) artikuliert. Sowohl in der ersten Phase von 1966 bis 1969 als auch in der zweiten Phase von 1981 bis 1983 ließ sich ein durchgehend starker Geschichtsbezug mit mehr als 50 % aller identifizierten Artikel feststellen. In beiden Phasen spielte der geschichtliche Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 dabei eine herausragende Rolle. In den Jahren 1966 und 1967 bezogen sich sogar 100 % aller historischen Vergleiche auf die Zeit von 1918 bis 1945. In den Jahren 1968 und 1969 nahm dieser Bezug nur minimal ab, sodass sich immerhin noch 91,7 % aller historischen Bezüge auf die Zeit von 1918 bis 1945 bezogen. In der zweiten Phase von 1981 bis 1983 waren historische Vergleiche zur Zeit von 1918 bis 1945 ebenfalls noch auffallend häufig (91,7 %, 94,7 % und 78,6 %). Auch über den gesamten Untersuchungszeitraum lässt sich konstatieren, dass bis auf das Jahr 1970 durchgehend ein Geschichtsbezug artikuliert wurde. Lediglich in den Jahren 1976 (25 %) und 1978 (12,5 %) war dieser unter 33 %, 1970 wurde kein Geschichtsbezug thematisiert. Bei den historischen Bezügen spielte der Geschichtsbezug zur Zeit von 1918 bis 1945 in allen Jahrgängen eine herausragende Rolle. So fanden sich elf Jahrgänge, in denen 100 % aller historischen Bezüge auf diese Zeitperiode verwiesen, auch wenn die absoluten Zahlen aufgrund der geringen Thematisierung nicht immer repräsentativ waren. Weiterhin gab es nur fünf Jahrgänge, die weniger als 90 % der historischen Bezüge auf die Zeit von 1918 bis 1945 bezogen. 8 Dieselbe Einteilung gilt für die jeweils ersten Tabellen der Kapitel 2.4.3 bis 2.4.8.

52

Quantitative Analyse

In dem Szenario einer neuen Massenbewegung spielte der historische Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 eine herausragende Rolle, historische Bezüge zu anderen historischen Perioden wurden dagegen kaum thematisiert. So fand sich in lediglich sechs Jahrgängen ein historischer Bezug zur Zeit vor 1918, wobei in den Jahren 1969 bis 1981 ein solcher Bezug überhaupt nicht thematisiert wurde. In lediglich sieben Jahrgängen fand sich ein Bezug zur Zeit nach 1945, dieser trat in den Jahren 1969 bis 1983 vereinzelt auf. Ein undefinierter Geschichtsbezug wurde lediglich im Jahr 1983 einmalig thematisiert.

SP

1 11 22 24 20 2 3 6 2 3 1 5 1 1 3 6 14 7 4 2 138

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

4 22 29 40 16 1 6 11 2 8 2 3 11 7 3 3 15 14 14 6 1 218

RM

5 33 51 64 36 3 9 17 2 10 5 4 16 8 4 6 21 28 21 10 3 356

Gesamt

4 23 26 36 24 6 7 1 3 3 1 6 1 2 4 12 19 14 8 1 201

(80,0) (69,7) (51,0) (56,3) (66,7) (66,7) (41,2) (50,0) (30,0) (60,0) (25,0) (37,5) (12,5) (50,0) (66,7) (57,1) (67,9) (66,7) (80,0) (33,3) (56,5)

Ge- bezug % 4 23 26 33 22 5 6 1 3 2 1 5 1 2 4 11 18 11 8 1 187

(100) (100) (100) (91,7) (91,7) (83,3) (85,7) (100) (100) (66,7) (100) (83,3) (100) (100) (100) (91,7) (94,7) (78,6) (100) (100) (93,0)

1918 bis 1945 %

Tab. 6: Die Angst vor einer neuen Massenbewegung allgemein

1 2 1 4 3 1 12

(25,0) (8,7) (3,8) (11,1) (15,8) (7,1) (6,0)

Vor 1918 % 2 1 1 1 1 1 2 9 (14,3) (4,5)

(16,7) (8,3)

(8,3) (16,7) (14,3) (33,3)

Nach 1945 % Undef. Ge-bezug 1 1

(7,1) (0,5)

%

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

53

54

Quantitative Analyse

Linke Ängste vor einer neuen Massenbewegung Die abgebildete Tabelle gibt einen Überblick über die Thematisierung der Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einer neuen Massenbewegung. Es wird die jährliche Gesamtthematisierung aus beiden Wochenblättern (Spalte 2) und die Verwendung von historischen Bezügen (Spalte 3) dargestellt. Weiterhin zeigt die Tabelle, welche historischen Bezüge Verwendung fanden (Spalte 4 bis 7). Die Prozentangaben in den Spalten 4 bis 7 beziehen sich auf den Gesamtgeschichtsbezug (Spalte 3).9 Die höchste Konzentration der Thematisierung fand sich in den Jahren 1966 bis 1969, wobei das Jahr 1967 den Höhepunkt bildete (26 Artikel). Davor und in den Jahren 1970 bis 1981 scheint die Angst des linken Wahrnehmungsmusters vor einer neuen Massenbewegung bis auf die minimalen Ausnahmen 1977 (sechs Artikel) und 1978 (fünf Artikel) fast gar keine Rolle zu spielen. Im Jahr 1973 wurde diese Angst sogar überhaupt nicht thematisiert. 1982 steigerte sich die Thematisierung etwas (neun Artikel), erreicht aber bei weitem nicht das Niveau von 1966 bis 1969 und nahm in den folgenden Jahren wieder stark ab. Bis auf die Jahre 1970, 1973 und 1978 fand sich in jedem Jahr ein historischer Bezug. Betrachtet man die Hochphase der Thematisierung (1966 bis 1969) so wird deutlich, dass historische Bezüge bei der Argumentation eine bedeutende Rolle spielten. Im Jahr 1969 beinhalteten 71,4 % aller Artikel historische Bezüge, aber auch in den Jahren 1966 bis 1968 waren es mindestens 50 % aller Artikel. Der am häufigsten verwendete historische Bezugsrahmen war in allen Jahrgängen die Zeit von 1918 bis 1945. In 14 Jahrgängen wurde dieser Geschichtsbezug in allen historischen Vergleichen verwendet. Auch in den Jahren 1966 bis 1969 fand sich eine sehr hohe Thematisierung dieser historischen Periode. So thematisierten 100 % aller historischen Bezüge in den Jahren 1966 und 1967 diesen Zeitraum, im Jahr 1968 waren es 72,7 % und im Jahr 1969 waren es 93,3 % aller historischen Vergleiche. Andere historische Perioden wurden dagegen fast gar nicht thematisiert. So fand sich lediglich 1967 und 1968 ein historischer Bezug zu der Zeit vor 1918. Die Zeit nach 1945 wurde nur 1969, 1971 und 1977 überhaupt thematisiert, ein undefinierter Geschichtsbezug konnte nicht festgestellt werden.

9 Dieselbe Einteilung gilt für die Tabellen der Thematisierungen des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters der Kapitel 2.4.2 bis 2.4.7.

55

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

Tab. 7: Linke Ängste vor einer neuen Massenbewegung Jahr

Gesamt Ge- % bezug

1918 % bis 1945

Vor % 1918

Nach % 1945

%

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

3 16 26 19 21 2 3 1 3 1 1 6 5 2 3 3 9 3 3 1 131

3 11 13 8 14 1 1 2 1 1 2 1 2 2 7 2 1 1 73

1 3 4

1 1 1 3

(0)

3 11 13 11 15 2 1 2 1 1 3 1 2 2 7 2 1 1 79

(100) (68,8) (50,0) (57,9) (71,4) (66,7) (100) (66,7) (100) (100) (50,0) (50,0) (66,7) (66,7) (77,8) (66,7) (33,3) (100) (60,3)

(100) (100) (100) (72,7) (93,3) (50,0) (100) (100) (100) (100) (66,7) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (92,4)

(7,7) (27,3) (5,1)

Undef. Gebezug (6,7) (50,0) (33,3) (3,8) 0

Konservative Ängste vor einer neuen Massenbewegung Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einer neuen Massenbewegung wurden im Untersuchungszeitraum durchgängig thematisiert, wobei sich zwei Phasen erkennen lassen, in denen die Thematisierung besonders stark war. Die erste Phase waren die Jahre 1966 bis 1969, die zweite Phase waren die Jahre 1981 bis 1983. Den Höhepunkt bildete das Jahr 1968, da dort in 55 Artikeln konservative Ängste vor einer neuen Massenbewegung thematisiert wurden. Zwischen beiden Phasen gab es lediglich in den Jahren 1972 (17 Artikel), 1974 (zehn Artikel) und 1977 (12 Artikel) eine verstärkte Thematisierung, während die anderen Jahrgänge konservative Ängste vor einer neuen Massenbewegung nur geringfügig thematisierten. Bei der Argumentation des konservativen Wahrnehmungsmusters wurden auch sehr häufig historische Bezüge verwendet. Weiterhin ist auffällig, dass der

56

Quantitative Analyse

Geschichtsbezug zu Beginn der beiden Phasen sehr stark war (1966 bei 76,5 % und 1980 bei 75 %) und im Verlauf der beiden Phasen zwar etwas seltener wurde, jedoch immer stark blieb. In den Jahren 1970, 1978 und 1985 wurden keine historischen Vergleiche bei der Argumentation benutzt. Bei den historischen Bezügen spielte der Geschichtsbezug zur Zeit von 1918 bis 1945 eine herausragende Rolle. In zehn Jahrgängen wurden in allen historischen Vergleichen auf die Zeit von 1918 bis 1945 Bezug genommen. Sowohl in der Phase von 1966 bis 1969 als auch in der Phase von 1981 bis 1983 wurden sehr häufig historische Vergleiche zu dieser Zeit gezogen. Insgesamt fanden sich sogar nur vier Jahrgänge mit historischem Bezug, in denen der Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 unter 90 % betrug (1972, 1975, 1977 und 1983). Dagegen spielten Bezüge zur Zeit vor 1918 und nach 1945 eine unbedeutende Rolle. Die Zeit vor 1918 wurde in nur fünf Jahrgängen als historischer Bezugsrahmen verwendet, die Zeit nach 1945 nur in sechs Jahrgängen. Ein undefinierter Geschichtsbezug wurde sogar nur einmal im Jahr 1983 thematisiert.

Gesamt

3 17 26 55 21 1 7 17 2 10 4 3 12 4 3 4 18 22 20 8 2 259

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

2 13 10 31 13 4 7 1 3 2 1 4 2 3 10 13 13 8 140

Ge-bezug

(66,7) (76,5) (38,5) (56,4) (61,9) (57,1) (41,2) (50,0) (30,0) (50,0) (33,3) (33,3) (66,7) (75,0) (55,6) (59,1) (65,0) (100) (54,1)

% 2 13 10 29 12 4 6 1 3 1 1 3 2 3 9 12 10 8 129

1918 bis 1945

Tab. 8: Konservative Ängste vor einer neuen Massenbewegung

(100) (100) (100) (93,5) (92,3) (100) (85,7) (100) (100) (50,0) (100) (75,0) (100) (100) (90,0) (92,3) (76,9) (100) (92,1)

%

3 1 9

1 1 3 -

Vor 1918 (50,0) (7,7) (9,7) (23,1) (7,7) (6,4)

% 1 1 1 1 1 2 7

Nach 1945 (7,7) (14,3) (50,0) (25,0) (10,0) (15,4) (5,0)

%

Undef. Ge-bezug 1 1

(7,7) (0,7)

%

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

57

58

Quantitative Analyse

Fazit zum Szenario einer neuen Massenbewegung Die Auswertung der Inhaltsanalyse bestätigte, dass es zwei Höhepunkte der Thematisierung der Angst vor einer neuen Massenbewegung gab. In der ersten Phase von 1966 bis 1969 spielten dabei konservative Ängste vor der Studentenbewegung und linke Ängste vor dem Erstarken der NPD eine große Rolle. In der zweiten Phase von 1981 bis 1983 dominierten konservative Ängste vor der Friedensbewegung, vermehrt artikuliert wurden aber auch konservative Ängste vor einem Erstarken der »Grünen«. Insgesamt ließen sich über den gesamten Untersuchungszeitraum mehr konservative Ängste vor einer neuen Massenbewegung als linke Ängste feststellen. Linke Ängste wurden nur in der ersten Phase in relevantem Ausmaß artikuliert. Das Anwachsen eines neuen Rechtsextremismus Anfang der 1980er Jahre führte dagegen nicht zu einem neuen Höhepunkt der Thematisierung im linken Wahrnehmungsmuster. Weiterhin bestätigte sich, dass historische Vergleiche bei der Argumentation sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster eine bedeutende Rolle spielten und dass die Deutungen des Scheiterns der Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Machtübernahme und der Struktur der NS-Herrschaft dabei den wichtigsten historischen Bezugsrahmen bildeten. Interessant ist hierbei, dass die Anzahl der Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945 keinen Unterschied zwischen beiden Thematisierungsphasen erkennen ließ. Quantitativ konnte demzufolge kein Unterschied zwischen Akteuren mit Primär- und Sekundärerfahrung herausgestellt werden. Ob sich dennoch Argumentationsmerkmale veränderten, soll anhand der historischen Diskursanalyse im 3. Kapitel herausgearbeitet werden.

2.4.3 Die Angst vor einem neuen Führer Die Angst vor einem neuen Führer wurde durchgängig im Untersuchungszeitraum thematisiert, allerdings zeigten sich Unterschiede in der Thematisierung des »Spiegels« und des »Rheinischen Merkurs«. Die Ängste wurden häufiger im »Spiegel« (133 Artikel) als im »Rheinischen Merkur« (72 Artikel) thematisiert. Trotzdem wurden die Ängste im »Spiegel« nicht durchgängig thematisiert. Nach 1980 ließ die Thematisierung stark nach und in den Jahren 1982 und 1984 wurden Ängste vor einem neuen Führer im »Spiegel« sogar überhaupt nicht thematisiert. Die Höhepunkte der Gesamtthematisierung waren die Jahre 1965 (24 Artikel), 1975 (20 Artikel) und 1980 (28 Artikel). Im Untersuchungszeitraum gab es bis 1984 durchgängig einen Geschichtsbezug. Auch in den Höhepunktjahren 1965, 1975 und 1980 konnte bei mindestens 50 % aller Artikel ein Geschichtsbezug festgestellt werden. Zum abso-

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

59

luten Höhepunkt der Thematisierung im Jahr 1980 stellten sogar 78,6 % aller identifizierten Artikel einen historischen Vergleich her. Weiterhin ist auffällig, dass historische Vergleiche in den Höhepunktjahren besonders häufig auf die Zeit von 1918 bis 1945 verwiesen. So bezogen sich im Jahr 1965 71,4 %, 1975 sogar 100 % und 1980 95,5 % aller historischen Vergleiche auf diese Zeitperiode. Insgesamt gab es neun Jahrgänge, die in allen historischen Vergleichen auf die Periode von 1918 bis 1945 verwiesen. Vergleiche zu anderen historischen Perioden waren dagegen marginal. So konnten in nur acht Jahrgängen überhaupt Bezüge zur Zeit vor 1918, in nur sieben Jahrgängen Bezüge zur Zeit nach 1945 und nur im Jahr 1973 ein undefinierter Geschichtsbezug festgestellt werden.

SP

21 4 6 7 15 8 5 9 1 6 6 5 3 1 8 23 1 3 1 133

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Ge-samt

3 3 3 1 2 2 1 8 6 2 14 3 3 3 6 5 1 2 3 1 0 72

RM

24 7 9 8 17 10 6 17 7 8 20 8 6 4 14 28 2 2 6 1 1 205

Gesamt

14 3 5 3 10 6 3 7 5 5 10 3 3 1 7 22 2 2 2 113

(58,3) (42,9) (55,6) (37,5) (58,8) (60,0) (50,0) (41,2) (71,4) (62,5) (50,0) (37,5) (50,0) (25,0) (50,0) (78,6) (100) (100) (33,3) (55,1)

Ge-bezug %

Tab. 9: Die Angst vor einem neuen Führer

10 1 5 3 10 6 2 7 3 3 10 2 3 1 6 21 1 2 1 97

(71,4) (33,3) (100) (100) (100) (100) (66,7) (100) (60,0) (60,0) (100) (66,7) (100) (100) (85,7) (95,5) (50,0) (100) (50,0) (85,8)

1918 bis 1945 % 1 1 1 1 1 1 1 1 8

(7,1) (33,3) (33,3) (20,0) (20,0) (4,5) (50,0) (50,0) (7,1)

Vor 1918 % 4 1 1 1 1 1 1 10 (8,8)

(28,6) (33,3) (20,0) (33,3) (14,3) (4,5) -

Nach 1945 %

Undef. % Ge-bezug 1 (20) 1 (0,9)

60 Quantitative Analyse

61

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

Linke Ängste vor einem neuen Führer Die Höhepunkte der Thematisierung der Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem neuen Führer waren die Jahre 1965 (18 Artikel) und 1980 (27 Artikel). Eine verstärkte Thematisierung fand sich aber auch in den Jahren 1969 (13 Artikel), 1972 (13 Artikel), 1975 (14 Artikel) und 1979 (13 Artikel). Die verstärkte Thematisierung in den Jahren 1979 und 1980 lässt sich aus dem Bekanntwerden der Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß und dem darauffolgenden Wahlkampf für die Bundestagswahl 1980 erklären. Nachdem Franz Josef Strauß bei der Bundestagswahl 1980 doch recht eindeutig die absolute Mehrheit verfehlt hatte, nahm die Thematisierung ab und spielte fortan nur eine unbedeutende Rolle. Der historische Bezug war in den Höhepunktjahren 1965, 1969, 1972, 1975, 1979 und 1980 unterschiedlich stark ausgeprägt, aber dennoch in relevantem Ausmaß vorhanden. So fand sich in den Jahren 1965, 1972 und 1975 bei mehr als 40 % aller identifizierten Artikel ein Geschichtsbezug, in den Jahren 1969, 1979 und 1980 war der Geschichtsbezug bei über 50 % aller identifizierten Artikel zu finden. Im Bundestagswahljahr 1980 fand sich sogar bei 77,8 % aller identifizierten Artikel ein historischer Bezug. Auffällig ist dagegen in allen Höhepunktjahrgängen, dass sich der historische Vergleich vor allem auf die Jahre von 1918 bis 1945 bezog. So bezogen sich sogar 100 % aller historischen Vergleiche in den Jahren 1969, 1972 und 1975 auf diese Zeitperiode, 1979 waren es 85,7 % und 1980 immerhin 95,2 % aller historischen Bezüge. Das Jahr 1965 zeigte zwar den geringsten Bezug zu dieser Zeitperiode, thematisierte mit 62,5 % aller historischen Vergleiche aber noch immer deutlich diese Zeitperiode. Vergleiche zur Zeit vor 1918 (in drei Jahrgängen) und nach 1945 (in sieben Jahrgängen) waren dagegen unbedeutend. Tab. 10: Linke Ängste vor einem neuen Führer Jahr

Gesamt Ge- % bezug

1918 bis 1945

%

Vor % 1918

Nach % 1945

%

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974

18 6 5 4 13 6 5 13 1 3

5 1 3 1 9 3 2 6 1

(62,5) (33,3) (100) (100) (100) (100) (66,7) (100) (50,0)

1 1 -

3 1 1

-

8 3 3 1 9 3 3 6 2

(44,4) (50,0) (60,0) (25,0) (69,2) (50,0) (60,0) (46,2) (66,7)

(33,3) (33,3) -

Undef. Gebezug (37,5) (33,3) (50,0) -

62

Quantitative Analyse

((Fortsetzung)) Jahr

Gesamt Ge- % bezug

1918 bis 1945

%

Vor % 1918

Nach % 1945

%

1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

14 5 5 4 13 27 1 2 4 1 150

6 1 2 1 6 20 1 2 70

(100) (50,0) (100) (100) (85,7) (95,2) (100) (100) (87,5)

1 3

1 1 1 1 9

-

6 2 2 1 7 21 1 2 80

(42,9) (40,0) (40,0) (25,0) (53,8) (77,8) (100) (100) (53,3)

(4,8) (3,8)

Undef. Gebezug (50,0) (14,3) (4,8) (11,3) 0

Konservative Ängste vor einem neuen Führer Konservative Ängste vor einem neuen Führer der Linken waren wenig ausgeprägt, weshalb es schwer fällt, Auffälligkeiten zu erkennen. Es lässt sich aber feststellen, dass konservative Ängste vor einem neuen Führer nicht durchgängig im Untersuchungszeitraum thematisiert wurden (1978 und 1985). Weiterhin lassen sich keine eindeutigen Höhepunkte der Thematisierung feststellen, eine kleine Phase leicht vermehrter Thematisierung lässt sich lediglich in den Jahren 1972 bis 1975 erkennen. Insgesamt war die Thematisierung über den Untersuchungszeitraum aber eher zerstreut. Ein ähnliches Bild wird bei der Verwendung historischer Bezüge deutlich. Diese wurden nicht durchgängig im Untersuchungszeitraum verwendet (1966, 1971, 1978, 1984 und 1985) und waren unterschiedlich stark ausgeprägt. Den mit Abstand bedeutendsten historischen Bezugsrahmen bildete die Zeit von 1918 bis 1945. In zwölf Jahrgängen bezogen sich 100 % aller historischen Bezüge auf diese Zeitperiode, auch wenn dieses Ergebnis aufgrund der geringen Anzahl absoluter Werte nicht uneingeschränkt repräsentativ ist. Vergleiche zur Zeit vor 1918 (in drei Jahrgängen), nach 1945 (nur im Jahr 1974) oder undefinierte Geschichtsbezüge (nur 1973) waren dagegen unbedeutend.

Gesamt

2 1 2 4 6 4 1 6 6 6 8 3 1 5 4 1 1 3 1 65

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

2 1 2 2 3 2 5 4 5 1 1 2 3 1 1 2 37

Ge-bezug

(100) (50,0) (50,0) (33,3) (75,0) (33,3) (83,3) (66,7) (62,5) (33,3) (100) (40,0) (75,0) (100) (100) (66,7) (56,9)

% 2 1 2 2 3 2 3 3 5 1 1 2 3 1 1 32

1918 bis 1945

Tab. 11: Konservative Ängste vor einem neuen Führer

(100) (100) (100) (100) (100) (100) (60,0) (75,0) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (50,0) (86,5)

% 1 1 1 3

Vor 1918 (20,0) (100) (50,0) (8,1)

% 1 1

Nach 1945 (25,0) (2,7)

%

Undef. Ge-bezug 1 1

(20,0) (2,7)

%

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

63

64

Quantitative Analyse

Fazit zum Szenario eines neuen Führers Die quantitative Analyse bestätigte die Ausgangsannahmen zum Szenario eines neuen Führers nur bedingt. Es stellte sich heraus, dass diese Ängste quantitativ eine geringere Rolle spielten als ursprünglich angenommen wurde. Besonders auffällig ist diese Diskrepanz bei der Thematisierung konservativer Ängste vor einem neuen Führer. Diese waren quantitativ verhältnismäßig unbedeutend und hatten ihren Höhepunkt der Thematisierung auch nicht wie ursprünglich angenommen zu den Bundestagswahlkämpfen 1965 und 1969, in denen Willy Brandt als Kanzlerkandidat antrat. So kann man konstatieren, dass die Ängste vor Willy Brandt als neuem Führer der Linken nicht in relevantem Ausmaß vorhanden waren. Eher lässt sich festhalten, dass im konservativen Wahrnehmungsmuster die Angst vorherrschte, dass Unruhen und Autoritätsverluste die Rufe nach einem neuen »starken Mann« laut werden ließen, diese Ängste aber nicht an einer Person festgemacht wurden. Dagegen hat sich die Ausgangsannahme bestätigt, dass die Angst vorherrschte, Franz Josef Strauß stelle als neuer Führer der Rechten eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie dar. Der Höhepunkt dieser Thematisierung begann mit Bekanntwerden der Kanzlerkandidatur Strauß’ im Jahr 1979 und endet mit der Wahlniederlage zur Bundestagswahl. Eine vermehrte Thematisierung ließ sich auch 1965 feststellen, als Franz Josef Strauß nach dem Ende der Spiegel-Affäre 1962 erstmalig wieder ein Ministeramt anstrebte. Die Thematisierung nahm dagegen in der Zeit der Großen Koalition von 1966 bis 1969 ab, obwohl Strauß Finanzminister wurde. Im Wahlkampf 1972 und mit der Veröffentlichung der Sonthofen-Rede im »Spiegel« im März 1975 nahm die Thematisierung wieder zu. Bei der Thematisierung der Angst vor einem neuen Führer spielten historische Bezüge sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster eine bedeutende Rolle, wobei der Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 eine herausragende Stellung einnahm, während Bezüge zu anderen historischen Perioden unbedeutend blieben.

2.4.4 Die Angst vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden Das Szenario eines neuen Krieges wurde insgesamt durchgängig im Untersuchungszeitraum thematisiert, lediglich der »Spiegel« thematisierte im Jahr 1973 diese Ängste nicht. Auffällig ist, dass die Thematisierung im »Spiegel« und im »Rheinischen Merkur« fast gleich stark war (340 Artikel versus 346 Artikel). Bei der Anzahl der Thematisierungen lassen sich drei Phasen erkennen, in denen Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden besonders stark artikuliert wurden. Die erste Phase bildeten die Jahre 1965 bis 1968, die zweite Phase die Jahre

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

65

1970 bis 1972 und die dritte Phase bildeten die Jahre 1979 bis 1984. In der dritten Phase wurden Ängste vor einem neuen Krieg deutlich häufiger thematisiert als in den beiden ersten Phasen. Die Höhepunkte der Thematisierung bildeten die Jahre 1983 (129 Artikel) und 1981 (106 Artikel). Die seltenste Thematisierung war im Jahr 1973 (vier Artikel). Eine längere Periode, in der Ängste vor einem neuen Krieg nur in geringem Ausmaß thematisiert wurden, waren die Jahre 1973 bis 1978. Ein historischer Bezug wurde durchgängig im Untersuchungszeitraum verwendet. Auch in der ersten Phase fanden historische Vergleiche Verwendung, wenn auch in etwas geringerem Ausmaß als in den beiden folgenden Phasen. So wurden in der ersten Phase im Jahr 1965 bei nur 25,7 % aller identifizierten Artikel historische Vergleiche verwendet, im Jahr 1966 aber bei 44,8 % aller Artikel. In der zweiten Phase von 1970 bis 1972 nahm der historische Bezug zu, sodass er zwischen 46,7 % und 52,6 % lag. In der dritten Phase von 1979 bis 1984 wurde ein historischer Vergleich außer im Jahr 1980 (51,6 %) in knapp weniger als 40 % aller identifizierten Artikel gefunden. Der Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 war im Untersuchungszeitraum durchgängig vorhanden. In der ersten Phase von 1965 bis 1968 war der Bezug auf diese zeitliche Periode sehr stark ausgeprägt. So bezogen sich 1966 92,3 % aller historischen Vergleiche auf diese Zeitperiode, 1968 waren es noch 70 % aller geschichtlichen Vergleiche. In der zweiten Phase von 1970 bis 1972 war der Bezug zu dieser Periode im Jahr 1970 ebenfalls noch sehr stark (71,4 %), nahm aber im Verlauf etwas ab, sodass er 1971 nur noch 41,7 % und 1972 noch 50 % betrug. In der dritten Phase der verstärkten Thematisierung von 1979 bis 1984 nahm der Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 wieder zu, sodass er stets über 50 % blieb und im Jahr 1982 sogar wieder auf 77,4 % anstieg. Eine Auffälligkeit bei der Verwendung historischer Bezüge zeigt sich bei Verweisen auf die Zeit vor 1918. Diese Zeitperiode wurde nicht durchgängig thematisiert, sondern nur in den drei Phasen der verstärkten Thematisierung. Am häufigsten wurde diese Zeitperiode in der dritten Phase als Vergleichsebene herangezogen. Der Höhepunkt war hierbei das Jahr 1980, in dem 56,3 % aller Artikel mit Geschichtsbezug auf diese Zeit verwiesen und damit sogar etwas häufiger als auf die Zeit von 1918 bis 1945 (53,1 %). Aber auch in den anderen beiden Phasen war der Bezug auf die Zeit vor 1918 bei mindestens 20 % aller identifizierten Artikel mit geschichtlichem Bezug zu finden und erfüllte deshalb als Bezugs- und Vergleichsrahmen eine wichtige Funktion. Auch der Bezug zur Zeit nach 1945 wurde im Vergleich zu den anderen Szenarien verhältnismäßig häufig verwendet und bis auf drei Jahrgänge ständig thematisiert. So verwiesen beispielsweise im Jahr 1969 83,3 % aller historischen Bezüge auf die Zeit nach 1945, während nur 33,3 % der Artikel mit Geschichtsbezug auf die Zeit von 1918 bis 1945 verwiesen. Ein undefinierter Geschichtsbezug fand sich lediglich in vier Jahrgängen.

SP

20 16 6 10 10 17 5 6 2 3 2 3 1 8 34 60 48 62 24 3 340

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

15 13 16 17 2 13 19 13 4 7 9 6 7 5 16 28 46 31 67 10 2 346

RM

35 29 22 27 12 30 24 19 4 9 12 8 10 6 24 62 106 79 129 34 5 686

Gesamt

9 13 8 10 6 14 12 10 2 5 4 5 1 1 5 32 38 31 39 13 2 260

(25,7) (44,8) (36,4) (37,0) (50,0) (46,7) (50,0) (52,6) (50,0) (55,6) (33,3) (62,5) (10,0) (16,7) (20,8) (51,6) (35,8) (39,2) (30,2) (38,2) (40,0) (37,9)

Ge-bezug % 7 12 6 7 2 10 5 5 1 3 1 5 1 1 3 17 19 24 27 8 2 166

(77,8) (92,3) (75,0) (70,0) (33,3) (71,4) (41,7) (50,0) (50,0) (60,0) (25,0) (100) (100) (100) (60,0) (53,1) (50,0) (77,4) (69,2) (61,5) (100) (63,8)

1918 bis 1945 %

Tab. 12: Die Angst vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden

3 5 2 2 4 2 18 10 9 8 5 68

(33,3) (38,5) (25,0) (20,0) (33,3) (20,0) (56,3) (26,3) (29,0) (20,5) (38,5) (26,2)

Vor 1918 % 1 3 1 3 5 3 3 4 1 3 3 1 2 6 14 2 4 1 60

(11,1) (23,1) (12,5) (30,0) (83,3) (21,4) (25,0) (40,0) (50,0) (60,0) (75,0) (20,0) (40,0) (18,8) (36,8) (6,5) (10,3) (7,7) (23,1)

Nach 1945 %

Undef. % Ge-bezug 1 (8,3) 2 (5,3) 4 (10,3) 1 (7,7) 8 (3,1)

66 Quantitative Analyse

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

67

Linke Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden

Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden wurden bis 1979 nur sehr wenig thematisiert. Zwar fanden sich 1965 noch neun Artikel, die diese Angst beinhalteten, bis zum Jahr 1979 sank die Anzahl der Artikel aber ab. Im Jahr 1973 wurden keine Kriegsängste dieser Art artikuliert. Von 1979 bis 1984 wurden Kriegsängste des linken Wahrnehmungsmusters verstärkt geäußert. Den Höhepunkt bildete das Jahr 1983 mit 87 identifizierten Artikeln. Ab 1983 nahm die Thematisierung wieder ab. Ein geschichtlicher Bezug wurde nicht durchgängig im Untersuchungszeitraum verwendet (1969, 1973 und 1978). In der Höhepunktphase von 1979 bis 1984 erfüllten geschichtliche Bezüge mit durchschnittlich 40 % aller identifizierten Artikel aber eine wichtige Funktion. Am häufigsten wurden geschichtliche Bezüge in dieser Phase im Jahr 1980 benutzt (53,3 %), am geringsten im Jahr 1983 (31 %). Die Zeitperiode, auf die am häufigsten verwiesen wurde, war die Zeit von 1918 bis 1945. Höhepunkt war das Jahr 1982 (73,9 %). Am seltensten wurde sich im Jahr 1980 auf diese Zeitperiode bezogen, auch wenn der Bezug dennoch hoch ist (50 %). Aber auch die Zeit vor 1918 wurde im Vergleich zu anderen Szenarien häufig thematisiert. 1980 überwog der Bezug zu dieser Zeit sogar gegenüber dem Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 (54,2 %). Von 1981 bis 1984 nahm die Häufigkeit wieder ab, es finden sich aber weiterhin Artikel, die sich auf diese Zeitperiode beriefen (Ø 26,1 %). Im Jahr 1981 (34,8 %) wurde auch verhältnismäßig häufig ein Bezug zur Zeit nach 1945 artikuliert. In anderen Jahrgängen spielten diese Bezüge aber keine Rolle. Undefinierte Geschichtsbezüge wurden lediglich in drei Jahrgängen thematisiert (1981, 1983 und 1984).

Gesamt

9 5 3 2 1 2 2 4 2 1 1 2 1 8 45 64 56 87 26 3 324

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

6 5 1 1 1 1 1 1 1 1 1 24 23 23 27 10 2 129

Ge-bezug

(66,7 (100) (33,3) (50,0) (50,0) (50,0) (25,0) (50,0) (100) (50,0) (12,5) (53,3) (35,9) (41,1) (31,0) (38,5) (66,7) (39,8)

% 4 5 1 1 1 1 1 1 12 12 17 18 6 2 82

1918 bis 1945 (66,7) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (50,0) (52,2) (73,9) (66,7) (60,0) (100) (63,6)

%

Tab. 13: Linke Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden

3 1 1 13 5 7 6 3 39

Vor 1918 (50,0) (20,0) (100) (54,2) (21,7) (30,4) (22,2) (30,0) (30,2)

% 1 1 1 1 5 8 1 3 1 22

Nach 1945 (20,0) (100) (100) (100) (20,8) (34,8) (4,3) (11,1) (10,0) (17,1)

%

Undef. Ge-bezug 2 3 1 6

(8,7) (11,1) (10,0) 4,7

%

68 Quantitative Analyse

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

69

Konservative Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden Kriegsängste wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster durchgängig im Untersuchungszeitraum thematisiert. Hierbei lassen sich drei Phasen verstärkter Thematisierung feststellen. Die erste Phase waren die Jahre von 1965 bis 1968, die zweite Phase die Jahre von 1970 bis 1972 und die dritte Phase waren die Jahre von 1979 bis 1984. Die dritte Phase hob sich in Bezug auf die Anzahl der Thematisierungen deutlich von den beiden vorherigen Phasen ab. Den Höhepunkt der Thematisierung bildete, wie auch schon im linken Wahrnehmungsmuster, das Jahr 1983 (56 Artikel). Ab 1983 war die Thematisierung rückläufig. Von 1973 bis 1978 lässt sich eine Ruhephase erkennen, die lediglich im Jahr 1975 geringfügig unterbrochen wurde (12 Artikel). Historische Bezüge wurden im Untersuchungszeitraum nicht durchgängig verwendet (1977 und 1985). Auffällig ist, dass in allen drei Phasen zwar ein Geschichtsbezug vorhanden war, dieser aber nur in der zweiten Phase von 1970 bis 1972 über 40 % lag. Den Höhepunkt bildete in dieser Phase das Jahr 1972 (53,3 %). In der ersten Phase (Ø 33,2 %) und der dritten Phase (Ø 28,8 %) war der historische Bezug im Durchschnitt deutlich geringer als in der zweiten Phase (Ø 49,1 %). Ein historischer Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 wurde nicht durchgängig thematisiert (1977 und 1985). In allen drei Phasen war er allerdings stark vertreten. So verwiesen 1965 alle historischen Bezüge auf diese Zeitperiode, am seltensten war der Bezug im Jahr 1967 mit immerhin 60 %. In der zweiten Phase fiel der historische Bezug auf die Zeit von 1918 bis 1945 nur im Jahr 1971 ab (40 %), während er in den anderen beiden Jahren bei über 60 % war. In der dritten Phase blieb der Bezug zu dieser Zeitperiode stetig über 45 % und erreichte im Jahr 1982 sogar 85,7 % aller historischen Vergleiche. In allen drei Phasen, und nur dort, wurden auch Bezüge zur Zeit vor 1918 gezogen. Am stärksten wurden diese Bezüge in der dritten Phase artikuliert, allerdings erst ab 1980. So bezogen sich im Jahr 1980 sogar 54,5 % aller historischen Bezüge auf die Zeit vor 1918 und damit häufiger als auf die Zeit von 1918 bis 1945 (45,5 %). Nach 1980 sank der Bezug allerdings wieder ab. Historische Bezüge zur Zeit nach 1945 wurden nur in vier Jahrgängen nicht gezogen (1977, 1978, 1984 und 1985), allerdings war die Anzahl der Thematisierungen bis auf das Jahr 1981 (sechs Artikel) relativ unbedeutend. Ein undefinierter Geschichtsbezug wurde lediglich jeweils einmal in den Jahren 1971 und 1983 artikuliert.

Gesamt

17 14 14 21 9 28 21 15 4 7 12 7 7 6 20 31 50 30 56 13 1 383

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

4 5 5 8 4 13 10 8 2 4 4 5 1 5 11 15 7 17 5 133

Ge-bezug

(23,5) (35,7) (35,7) (38,1) (44,4) (46,4) (47,6) (53,3) (50,0) (57,1) (33,3) (71,4) (16,7) (25,0) (35,5) (30,0) (23,3) (30,4) (38,5) (34,7)

% 4 4 3 6 2 9 4 5 1 2 1 5 1 3 5 7 6 13 4 85

1918 bis 1945 (100) (80,0) (60,0) (75,0) (50,0) (69,2) (40,0) (62,5) (50,0) (50,0) (25,0) (100) (100) (60,0) (45,5) (46,7) (85,7) (76,5) (80,0) (63,9)

%

Tab. 14: Konservative Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden

2 1 2 1 4 2 6 4 2 3 2 29

Vor 1918 (40,0) 20,0) (25,0) (7,7) (40,0) (25,0) (54,5) (26,7) (28,6) (17,6) (40,0) (21,8)

% 1 1 1 2 3 3 2 2 1 3 3 1 2 3 6 1 2 37

Nach 1945 (25,0) (20,0) (20,0) (25,0) (75,0) (23,1) (20,0) (25,0) (50,0) (75,0) (75,0) (20,0) (40,0) (27,3) (40,0) (14,3) (11,8) (27,8)

%

Undef. Ge-bezug 1 1 2

(10,0) (5,9) (1,5)

%

70 Quantitative Analyse

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

71

Fazit zum Szenario eines neuen Krieges auf deutschem Boden Die Inhaltsanalyse hat belegt, dass Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschen Boden durchgängig im Untersuchungszeitraum präsent waren, allerdings in drei Phasen verstärkt artikuliert wurden. Die erste Phase waren die Jahre 1965 bis 1968, die zweite Phase waren die Jahre 1970 bis 1972 und die dritte Phase waren die Jahre 1979 bis 1984. Interessant ist, dass diese Ängste in den beiden ersten Phasen fast ausschließlich im konservativen Wahrnehmungsmuster artikuliert wurden. In der ersten Phase wurden konservative Ängste hauptsächlich durch den geplanten Abschluss des Atomsperrvertrages und durch den Prager Frühling ausgelöst. In der zweiten Phase resultierten diese Ängste aus der Ostpolitik Brandts. In der dritten Phase von 1979 bis 1984 zeigte sich insgesamt die häufigste Thematisierung, da sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster die geplante Stationierung bzw. Nichtstationierung amerikanischer Raketen auf deutschem Gebiet Kriegsängste provozierte. Konservative Ängste wurden im Untersuchungszeitraum stärker verteilt thematisiert und stiegen ab 1979 enorm an, sie scheinen dafür auch einen längeren »Vorlauf« gehabt zu haben. Ängste des linken Wahrnehmungsmusters wurden im Untersuchungszeitraum erst ab 1979/1980 ernsthaft thematisiert und scheinen dafür wie aus dem Nichts zu eruptieren. Insgesamt konnte in der Gesamtthematisierung nur eine geringe Differenz zwischen linken und konservativen Ängsten festgestellt werden und das, obwohl konservative Kriegsängste in allen drei Phasen und geringfügig auch zwischen diesen Phasen thematisiert wurden. Linke Kriegsängste wurden in relevantem Ausmaß nur in der dritten Phase artikuliert, dafür aber in so starkem Ausmaß, dass die Gesamtthematisierungen sich nur geringfügig unterscheiden. In der dritten Phase stieg die Kriegsangst im linken und im konservativen Wahrnehmungsmustern auf ein bis dahin beispielloses Ausmaß an und fand in beiden Wahrnehmungsmustern ihren Höhepunkt im Jahr 1983. Eine weitere Gemeinsamkeit im linken und konservativen Wahrnehmungsmuster ist, dass Kriegsängste im Jahr 1973, also unmittelbar nach der Bundestagswahl 1972, gar nicht bzw. nur sehr selten artikuliert wurden (vier Artikel im konservativen Wahrnehmungsmuster). Ein Grund hierfür könnte die Zustimmung der Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung zu Brandts Ostpolitik gewesen sein. Der stärkste Geschichtsbezug fand sich in der zweiten Phase, aber auch im Jahr 1980 lag er bei 51,6 %. In allen drei Phasen spielte der Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 eine herausragende Rolle und stieg in der dritten Phase sogar sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster wieder an. Somit lässt sich hierbei auch im Szenario der Kriegsangst kein Unterschied in der Thematisierungshäufigkeit zwischen Akteuren mit Primär- und Sekundär-

72

Quantitative Analyse

erfahrung feststellen. Nur in den drei Phasen fand sich ein Bezug zur Zeit vor 1918. Dieser Bezug war insgesamt bei 26,2 % aller identifizierten Artikel mit geschichtlichem Bezug zu finden und spielte deshalb keine so nebensächliche Rolle wie in den Szenarien des neuen Führers und der neuen Massenbewegung. Im Jahr 1980 übernahm der Bezug zur Zeit vor 1918 sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster eine herausragende Stellung ein und wurde sogar häufiger thematisiert als der Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945. Ein erhöhter Geschichtsbezug auf die Zeit nach 1945 fand sich in beiden Wahrnehmungsmustern im Jahr 1981.

2.4.5 Die Angst vor einer latenten militärischen Bedrohung Die Angst vor einer latenten militärischen Bedrohung stellt zwar eine eigene Untersuchungskategorie dar, ist allerdings eng mit dem Szenario eines neuen Krieges auf deutschem Boden verbunden. Somit stehen beide in gewisser Interaktion zueinander und die Thematisierung einer militärischen Bedrohung stellt eine Art Vorbedingung für das Szenario eines neuen Krieges auf deutschem Boden dar. Das Szenario einer latenten militärischen Bedrohung wurde im Untersuchungszeitraum insgesamt durchgängig thematisiert. Die Höhepunkte der Thematisierung waren die Jahre 1965 bis 1967, 1979 und 1980 und das Jahr 1983. Allerdings fällt es schwer, diese Jahre eindeutig als Höhepunktjahre zu identifizieren, da die Angst vor einer latenten militärischen Bedrohung fast ohne längere Ruhephasen thematisiert wurde (Ausnahme 1972 mit neun Artikeln). Bei der Thematisierung zeigt sich aber eine deutliche Diskrepanz zwischen dem »Spiegel« und dem »Rheinischen Merkur«. Im »Rheinischen Merkur« (317 Artikel) wurde eine latente Bedrohung mehr als dreimal so häufig thematisiert wie im »Spiegel« (104 Artikel). Außerdem fand sich im »Spiegel« eine längere Ruhephase der Thematisierung (1969 bis 1979), im Jahr 1978 wurde eine latente Bedrohung gar nicht artikuliert. Im »Rheinischen Merkur« sank die Thematisierung lediglich in den Jahren 1968 und 1972 auf einstellige Artikelzahlen. Der historische Bezug war deutlich geringer als in allen anderen Szenarien (14,7 %) und wurde nicht durchgängig thematisiert (1981 und 1985). Am häufigsten wurden historische Bezüge in den Jahren 1967 (29,2 %) und 1980 (26,1 %) verwendet, in allen Jahrgängen blieb der historische Bezug aber unter 30 %. In 14 Jahrgängen blieb der Geschichtsbezug unter 20 %, in vier Jahrgängen davon sogar unter 10 % aller identifizierten Artikel. Entsprechend schwierig ist es, repräsentative Aussagen zur Art des Geschichtsbezuges aufzustellen. Auf die Zeit von 1918 bis 1945 wurde nicht durchgängig verwiesen, sie wird aber in einigen Jahrgängen in allen Artikeln mit historischem Bezug thematisiert (1966,

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

73

1969, 1974 bis 1976). Dennoch nahm der Bezug zur Zeitperiode von 1918 bis 1945 im Untersuchungszeitraum ab. Der historische Bezug zur Zeit vor 1918 wurde vereinzelt thematisiert, spielte aber in keinem Jahrgang eine bedeutende Rolle. Häufiger wurde dagegen der geschichtliche Bezug zur Zeit nach 1945 thematisiert (19 Artikel), wenn auch nur in einzelnen Jahrgängen. Diese Thematisierung konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Jahre 1967, 1970 bis 1974 und 1977 bis 1980. Ein undefinierter Geschichtsbezug wurde nur jeweils einmalig in den Jahren 1978 und 1983 artikuliert.

SP

12 6 7 11 6 4 6 2 1 2 5 4 5 1 7 6 4 7 7 1 104

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

19 21 17 7 11 12 12 7 15 13 11 18 16 19 31 16 16 19 26 10 1 317

RM

31 27 24 18 17 16 18 9 16 15 16 22 21 19 32 23 22 23 33 17 2 421

Gesamt

5 6 7 4 4 2 3 2 2 4 2 1 3 3 2 6 2 2 2 62

(16,1) (22,2) (29,2) (22,2) (23,5) (12,5) (16,7) (22,2) (12,5) (26,7) (12,5) (4,5) (14,3) (15,8) (6,3) (26,1) (8,7) (6,1) (11,8) (14,7)

Ge-bezug % 4 6 5 3 4 1 1 4 2 1 1 1 1 1 1 1 37

(80,0) (100) (71,4 (75,0 (100) (50,0) (33,3) (100) (100) (100) (33,3) (50,0) (16,7) (50,0) (50,0) (50,0) (59,7)

1918 bis 1945 %

Tab. 15: Die Angst vor einer latenten militärischen Bedrohung

1 1 1 1 2 1 1 3 1 12

(20,0) (16,7) (14,3) (25,0) (50,0) (33,3) (33,3) (50,0) (50,0) (19,4)

Vor 1918 % 4 1 2 2 2 1 1 1 1 2 1 1 19

(57,1) (50,0) (66,7 (100) (100) (25,0) (33,3) (33,3) (50,0) (33,3) (50,0) (50,0) (30,6)

Nach 1945 %

Undef. % Ge-bezug 1 (33,3) 1 (50,0) 2 (3,2)

74 Quantitative Analyse

75

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

Linke Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung Im linken Wahrnehmungsmuster wurden Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung nicht durchgängig im Untersuchungszeitraum und in nicht relevantem Ausmaß thematisiert (41 Artikel). In sechs Jahrgängen wurde diese Angst überhaupt nicht thematisiert, der Höhepunkt der Thematisierung ist das Jahr 1984 mit nur fünf identifizierten Artikeln. Ein historischer Bezug fand dabei nur in fünf Jahrgängen statt, wobei die Zeit von 1918 bis 1945 in lediglich drei Jahrgängen (1965, 1967, 1980) und die Zeit vor 1918 in lediglich vier Jahrgängen (1967, 1968, 1980, 1984) als historische Vergleichsebene Verwendung fanden (jeweils insgesamt vier Artikel). Ein Bezug zur Zeit nach 1945 wurde nur 1967 und 1984, ein undefinierter Geschichtsbezug überhaupt nicht verwendet. Tab. 16: Linke Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung Jahr

Gesamt Ge- % bezug

1918 bis 1945

%

Vor % 1918

Nach % 1945

%

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

1 2 2 2 2 2 3 3 2 4 4 3 2 4 5 41

1 2 1 4

(100) (100) (50,0) (57,1)

1 1 1 1 4

2 1 3

-

1 2 1 2 1 7

(100) (100) (50,0) (50,0) (20,0) (17,1)

(50,0) (100) (50,0) (100) (57,1)

Undef. Gebezug (100) (100) (42,9) -

76

Quantitative Analyse

Konservative Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung

Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster durchgängig im Untersuchungszeitraum artikuliert. Dabei gab es kaum längere Phasen, in denen die Thematisierung auffällig gering war. Eine Phase erhöhter Thematisierung bildeten die Jahre 1979 bis 1983. Als Höhepunkte zeichneten sich die Jahre 1979 und 1983 ab (jeweils 31 Artikel). Ein historischer Bezug wurde bei der Thematisierung einer latenten Bedrohung in sehr geringem Maße verwendet. Es ist auffällig, dass der historische Bezug in den Jahren 1976, 1979 und 1981 bis 1983 trotz erhöhter Thematisierung unter 10 % aller identifizierten Artikel lag. Die Verwendung historischer Vergleiche war zum Ende des Untersuchungszeitraums geringer als zum Beginn. Am häufigsten wurde auf die Zeit von 1918 bis 1945 verwiesen, auch wenn der Bezug zu dieser Zeitperiode ab ca. 1975 etwas abnahm. Im Jahr 1980 fanden sich mehr Verweise auf die Zeitperiode vor 1918, auch wenn die Thematisierung dieses Bezuges insgesamt doch selten war. Von 1970 bis 1974 fand sich eine kurze Phase, in der vermehrt auf die Zeit nach 1945 verwiesen wurde. Eine weitere marginale Phase fand sich von 1977 bis 1980. Ein undefinierter Geschichtsbezug wurde lediglich in den Jahren 1978 und 1983 thematisiert.

Gesamt

7 6 15 10 11 9 15 8 14 15 16 20 18 18 31 21 22 23 31 14 2 326

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

1 2 3 1 3 1 3 2 2 4 2 1 3 3 2 5 2 2 1 43

Ge-bezug

(14,3) (33,3) (20,0) (10,0) (27,3) (11,1) (20,0) (25,0) (14,3) (26,7) (12,5) (5,0) (16,7) (16,7) (6,5) (23,8) (8,7) (6,5) (7,1) (13,2)

% 2 2 1 3 1 4 2 1 1 1 1 1 1 21

1918 bis 1945 (100) (66,7) (100) (100) (33,3) (100) (100) (100) (33,3) (50,0) (50,0) (50,0) (100) (48,8)

%

Tab. 17: Konservative Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung

1 2 1 1 3 8

Vor 1918 (100) (50,0) (33,3) (33,3) (60,0) (18,6)

% 1 1 2 2 2 1 1 1 1 2 1 15

Nach 1945 (33,3) (100) (66,7) (100) (100) (25,0) (33,3) (33,3) (50,0) (40,0) (50,0) (34,9)

%

Undef. Ge-bezug 1 1 2

(33,3) (50,0) (4,7)

%

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

77

78

Quantitative Analyse

Fazit zum Szenario einer latenten militärischen Bedrohung

Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung fanden sich fast achtmal häufiger im konservativen als im linken Wahrnehmungsmuster. Im linken Wahrnehmungsmuster spielten diese Ängste eine zu vernachlässigende Rolle. Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurden diese Ängste durchgängig in einem fast gleichen »Grundton« geführt. Dennoch fand sich am Ende des Untersuchungszeitraums eine verstärkte Thematisierung. Überraschenderweise sank die Thematisierung im konservativen Wahrnehmungsmuster in den Jahren 1968 und 1972, was eventuell daran lag, dass in diesen Jahren in diesem Wahrnehmungsmuster verstärkt Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschen Boden artikuliert wurden und diese akuten Ängste die Ängste vor einer latenten Bedrohung ablösten. Dagegen scheinen sich beispielweise in den Jahren 1979 und 1983 latente und akute Ängste nicht abzulösen, sondern gegenseitig zu ergänzen und zu verstärken. Interessant ist, dass sich im Jahr 1965 eine verstärkte Thematisierung allgemeiner latenter Bedrohungen fand (31 Artikel), diese sich aber nicht eindeutig dem linken (ein Artikel) oder dem konservativen Wahrnehmungsmuster (sieben Artikel) zuordnen ließen. Ähnliches galt für das Jahr 1966. Im Laufe des Untersuchungszeitraums wurde diese Zuordnung eindeutiger, was damit zusammenhängen könnte, dass sich die politischen Fronten im Verlauf des Untersuchungszeitraums und explizit durch Brandts Ostpolitik formierten und stärker voneinander abgrenzten, weshalb politische Grenzen eindeutiger gezogen werden konnten. Die Verwendung historischer Bezüge war im Szenario der latenten militärischen Bedrohung insgesamt selten und nahm im Verlauf des Untersuchungszeitraums ab. In den Jahren 1976, 1979 und 1981 bis 1983 lag der Geschichtsbezug trotz häufiger Thematisierung bei unter 10 % aller identifizierten Artikel. Ob der Grund hierfür einzig und allein der Wechsel von Akteuren mit Primärerfahrung zu Akteuren mit Sekundärerfahrung war, fällt schwer zu glauben, da im konservativen Wahrnehmungsmuster auch schon 1968 auffallend selten historische Bezüge verwendet wurden. Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945 wurden außerdem auch zum Ende des Untersuchungszeitraums noch gezogen. Allerdings wurde sich ab 1970 verstärkt auf die Jahre nach 1945 bezogen, was wiederum dafür spricht, dass sich die Akteure auf ihre Primärerfahrung beriefen. Ein anderer Grund für den erhöhten Bezug zur Zeit nach 1945 könnte aber darin liegen, dass die geschichtlichen Erfahrungen eines nur kurz vorher abgewendeten militärischen Konfliktes mit dem Verweis auf die Kuba-Krise 1962 und dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag 1968 einen bis dahin beispiellosen Bezugsrahmen bildeten.

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

79

2.4.6 Die Angst vor einem anonymen Machtapparat Die meisten Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie wurden als Angst vor einem anonymen Machtapparat artikuliert (1187 Artikel). Hierbei zeigte sich aber eine deutliche Diskrepanz in der Thematisierung in »Spiegel« (430 Artikel) und »Rheinischem Merkur« (757 Artikel). 1965 und 1966 und wieder ab 1983 wurden diese Ängste noch geringfügig häufiger im »Spiegel« thematisiert. Von 1967 bis 1982 wurden diese Ängste, mit Ausnahme von 1979, häufiger im »Rheinischen Merkur« geäußert. Die größte Diskrepanz zwischen dem »Spiegel« (24 Artikel) und dem »Rheinischen Merkur« (102 Artikel) zeigte sich im Jahr 1972, aber auch 1973 war diese Diskrepanz noch sehr ausgeprägt (8 versus 79 Artikel). Insgesamt wurde das Szenario des anonymen Machtapparats durchgängig im Untersuchungszeitraum in hohem Maß thematisiert. Die seltenste Thematisierung (außer 1985) fand sich im Jahr 1980 mit immerhin noch 25 Artikeln. Die Höhepunkte waren die Jahre 1972 (126 Artikel), 1977 (93 Artikel) und 1973 (87 Artikel). Im Jahr 1972 spielte das Szenario des anonymen Machtapparats in 63,6 % aller geäußerten Ängste (198 identifizierte Gesamtartikel 1972, siehe Tab. 4) die herausragende Rolle. Ein geschichtlicher Bezug wurde in den Höhepunktjahren bei knapp unter 30 % aller identifizierten Artikel verwendet. Im Jahr 1966 (69,7 %) fand sich ein besonders häufiger Geschichtsbezug. Außer im Jahr 1974 (14,8 %) blieb der historische Bezug durchgängig zwischen 20 und 40 %. Die Zeit, auf die am meisten Bezug genommen wurde, waren die Jahre von 1918 bis 1945 (86,3 %). Diese Zeit wurde durchgängig im Untersuchungszeitraum in hohem Maß thematisiert. Es fanden sich fünf Jahrgänge, in denen 100 % aller historischen Bezüge Vergleiche zu dieser Zeitperiode artikulierten (1966 bis 1968, 1979 und 1984). Nur im Jahr 1975 blieb dieser Bezug unter 70 %. In 14 Jahrgängen belief sich dieser Bezug zwischen 80 und 100 %. In den Höhepunktjahren der Thematisierung lag der Bezug zur Zeitperiode von 1918 bis 1945 zwischen 78,3 % und 85,2 %. Eine kurze Periode, in der dieser Bezug durchweg unter 80 % war, waren die Jahre 1972 bis 1976. Die Zeitperioden vor 1918 und nach 1945 wurden beide nicht durchgängig und nur in geringem Ausmaß thematisiert. Ein undefinierter Geschichtsbezug fand sich in nur sieben Jahrgängen, davon am zentriertesten in den Jahren 1972 bis 1976.

SP

17 18 22 26 22 23 18 24 8 12 7 23 37 24 24 12 14 19 39 39 2 430

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

12 15 25 39 28 47 57 102 79 49 45 34 56 38 20 13 35 23 26 14 757

RM

29 33 47 65 50 70 75 126 87 61 52 57 93 62 44 25 49 42 65 53 2 1187

Gesamt

10 23 15 26 18 22 15 33 23 9 14 19 27 23 12 6 18 9 17 11 350

(34,5) (69,7) (31,9) (40,0) (36,0) (31,4) (20,0) (26,2) (26,4) (14,8) (26,9) (33,3) (29,0) (37,1) (27,3) (24,0) (36,7) (21,4) (26,2) (20,8) (29,5)

Ge-bezug %

Tab. 18: Die Angst vor einem anonymen Machtapparat

8 23 15 26 16 19 14 26 18 7 9 15 23 17 12 5 15 8 15 11 302

(80,0) (100) (100) (100) (88,9) (86,4) (93,3) (78,8) (78,3) (77,8) (64,3) (78,9) (85,2) (73,9) (100) (83,3) (83,3) (88,9) (88,2) (100) (86,3)

1918 bis 1945 % 1 3 2 1 1 1 1 3 3 1 1 4 2 1 3 2 2 1 33

(10,0) (13,0) (13,3) (3,8) (5,6) (4,5) (6,7) (9,1) (13,0) (11,1) (7,1) (14,8) (8,7) (8,3) (16,7) (22,2) (11,8) (9,1) (9,4)

Vor 1918 % 1 2 2 1 2 5 2 1 3 2 3 4 1 2 1 32

(10,0) (8,7) (13,3) (5,6) (9,1) (15,2) (8,79 (11,1) (21,4) (10,5) (11,1) (17,4) (16,7) (11,1) (5,9) (9,1)

Nach 1945 % Undef. Ge-bezug 1 1 1 1 2 1 1 8

(3,0) (4,3) (11,1) (7,1) (10,5) (4,3) (5,9) (2,3)

%

80 Quantitative Analyse

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

81

Linke Ängste vor einem anonymen Machtapparat Die Angst vor einem anonymen Machtapparat wurde im linken Wahrnehmungsmuster durchgängig in relevantem Ausmaß artikuliert. Hierbei lassen sich drei Phasen erkennen, in denen die Thematisierung besonders häufig war. Die erste Phase waren die Jahre 1967 und 1968, die zweite Phase waren die Jahre 1977 bis 1979 und die dritte Phase waren die Jahre 1983 und 1984. Die Jahre mit der häufigsten Thematisierung waren die Jahre 1977 (56 Artikel) und 1983 (45 Artikel). Am seltensten wurden Ängste vor einem anonymen Machtapparat im linken Wahrnehmungsmuster im Jahr 1970 artikuliert (sechs Artikel). Außer im Jahr 1985 gab es in allen identifizierten Artikeln einen historischen Vergleich, allerdings lag dieser im Durchschnitt bei nur 31,8 % und nahm im Untersuchungszeitraum ab. So war ein historischer Bezug in der ersten Phase im Durchschnitt bei 37,7 %, in der zweiten Phase im Durchschnitt bei 31,9 % und in der dritten Phase im Durchschnitt bei nur noch 20,3 % aller identifizierten Artikel zu finden. Dafür zeigt sich über den gesamten Untersuchungszeitraum ein sehr häufiger historischer Bezug auf die Zeitperiode von 1918 bis 1945. Bei 14 Jahrgängen verwiesen 100 % aller historischen Vergleiche auf diese Zeitperiode, wenn auch zu beachten ist, dass aufgrund der geringen Anzahl der Artikel einiger Jahrgänge die Aussagekraft der prozentualen Verteilung eventuell beeinträchtigt ist. Insgesamt fanden sich nur fünf Jahrgänge, in denen sich unter 90 % aller historischen Vergleiche auf diese Zeitspanne beriefen. Der seltenste Bezug zu dieser Zeit konnte im Jahr 1972 festgestellt werden, betrug aber immerhin noch 62,5 %. In allen drei Höhepunktphasen dominierten eindeutig die Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945, wobei dieser Bezug nur geringfügig abnahm. Bezogen sich in der ersten Phase im Durchschnitt 100 % aller historischen Bezüge auf diese Zeitperiode, so waren es in der zweiten Phase noch durchschnittlich 90,3 % und in der dritten Phase noch 90 %. Dagegen wurden historische Vergleiche zur Zeit vor 1918 nur geringfügig in zehn Jahrgängen verwendet. Davon wurden die meisten Vergleiche in der zweiten Phase gezogen, aber auch in der ersten und dritten Phase fanden sich Bezüge zur Zeit vor 1918. Von insgesamt 15 Artikeln waren nur vier nicht innerhalb der drei Phasen zu finden. Historische Bezüge zur Zeit nach 1945 oder undefinierte Geschichtsbezüge konnten nur in irrelevantem Ausmaß festgestellt werden.

Gesamt

12 17 31 25 16 6 10 21 12 13 13 15 56 29 29 14 12 15 45 38 2 431

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

4 12 11 10 10 4 2 8 2 1 4 4 15 11 9 4 4 5 10 7 137

Ge-bezug

(33,3) (70,6) (35,5) (40,0) (62,5) (66,7) (20,0) (38,1) (16,7) (7,7) (30,8) (26,7) (26,8) (37,9) (31,0) (28,6) (33,3) (33,3) (22,2) (18,4) (31,8)

% 4 12 11 10 10 4 2 5 2 1 4 3 12 10 9 4 4 4 8 7 126

1918 bis 1945

Tab. 19: Linke Ängste vor einem anonymen Machtapparat

(100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (62,5) (100) (100) (100) (75,0) (80,0) (90,9) (100) (100) (100) (80,0) (80,0) (100) (92,0)

% 1 2 1 1 4 2 1 1 1 1 15

Vor 1918 (8,3) (18,2) (10,0) (12,5) (26,7) (18,2) (25,0) (20,0) (10,0) (14,3) (10,9)

% 1 2 1 1 5

Nach 1945 (8,3) (18,2) (12,5) (6,7) (3,6)

%

Undef. Ge-bezug 1 1 2

(12,5) (25,0) (1,5)

%

82 Quantitative Analyse

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

83

Konservative Ängste vor einem anonymen Machtapparat Das Szenario des anonymen Machtapparats wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster (827 Artikel) fast doppelt so häufig wie im linken Wahrnehmungsmuster (431 Artikel) thematisiert und fand sich (außer 1985) durchgängig im Untersuchungszeitraum. Lediglich in den Jahren 1965 bis 1967, 1979, 1980 und ab 1984 konnte eine etwas seltenere Thematisierung festgestellt werden. Von 1968 bis 1978 wurden Ängste vor einem anonymen Machtapparat durchgehend stark thematisiert, nach einer kurzen Phase seltenerer Thematisierung wurden diese Ängste von 1981 bis 1983 wieder stärker artikuliert. Die Hauptphase der Thematisierung fand sich in den Jahren 1970 bis 1973. Die absoluten Höhepunkte der Thematisierung waren dabei die Jahre 1972 (118 Artikel) und 1973 (85 Artikel). Ein historischer Bezug wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster (außer 1985) zwar durchgehend im Untersuchungszeitraum verwendet (28,9 %), allerdings etwas seltener als im linken Wahrnehmungsmuster (31,8 %). Auch in den Höhepunktjahren 1972 und 1973 war ein Geschichtsbezug bei nur 25,4 % bis 27,1 % aller identifizierten Artikel zu finden. Nach 1967 (60 %) stieg dieser nicht wieder über 50 % an. Im Jahr 1982 wurde der seltenste historische Bezug mit 12,9 % ausgemacht. Dafür stieg er ab 1983 wieder an (36,7 %). Ein historischer Bezug bei mindestens 30 % aller identifizierten Artikel fand sich außer 1983 nur in den Jahren 1966 bis 1968, 1967 bis 1978, 1981 und 1984. Zwar berief man sich im konservativen Wahrnehmungsmuster (83,7 %) etwas weniger als im linken Wahrnehmungsmuster (92 %) auf die Zeitperiode von 1918 bis 1945, dennoch wurde sich (außer 1985) durchgängig im Untersuchungszeitraum und in keinem Jahr bei weniger als 50 % der historischen Vergleiche auf diese Zeit bezogen. Der seltenste Bezug auf diese Zeit fand sich im Jahr 1975 mit 54,5 % aller historischen Vergleiche. Von 1966 bis 1969, aber auch wieder 1982 und 1984 verwiesen 100 % aller historischen Vergleiche auf diese Zeitspanne. Von 1974 bis 1980 konnten große Unterschiede im Bezug festgestellt werden, zwischen 54,5 % und 100 %. In den Höhepunktjahren 1972 (78,3 %) und 1973 (83,3 %) war die Zeit von 1918 bis 1945 ebenfalls der überwiegende Bezugs- und Vergleichsrahmen. Auch Anfang der 1980er Jahre fanden sich bei mindestens 80 % aller historischen Vergleiche Bezüge zu dieser Zeit. Auf die Zeit vor 1918 wurde in 13 Jahrgängen, auf die Zeit nach 1945 in elf Jahrgängen in nicht relevantem Ausmaß Bezug genommen. Ein undefinierter Geschichtsbezug fand sich jeweils einmalig sogar in nur sechs Jahrgängen.

Gesamt

16 10 10 39 38 66 68 118 85 52 42 46 46 36 22 13 39 31 30 20 827

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

4 6 5 17 11 19 14 30 23 9 11 16 14 15 6 3 15 4 11 6 239

Ge-bezug

(25,0) (60,0) (50,0) (43,6) (28,9) (28,8) (20,6) (25,4) (27,1) (17,3) (26,2) (34,8) (30,4) (41,7) (27,3) (23,1) (38,5) (12,9) (36,7) (30,0) (28,9)

% 3 6 5 17 9 16 13 25 18 7 6 13 13 9 6 2 12 4 10 6 200

1918 bis 1945

Tab. 20: Konservative Ängste vor einem anonymen Machtapparat

(75,0) (100) (100) (100) (81,8) (84,2) (92,9) (83,3) (78,3) (77,8) (54,5) (81,3) (92,9) (60,0) (100) (66,7) (80,0) (100) (90,9) (100) (83,7)

% 1 1 1 1 3 3 1 1 2 1 2 1 1 19

Vor 1918 (25,0) (9,1) (5,3) (7,1) (10,0) (13,0) (11,1) (9,1) (13,3) (16,7) (13,3) (25,0) (9,1) (7,9)

% 1 2 4 2 1 3 2 2 4 1 2 24

Nach 1945 (9,1) (10,5) (13,3) (8,7) (11,1) (27,3) (12,5) (14,3) (26,7) (33,3) (13,3) (10,0)

%

Undef. Ge-bezug 1 1 1 1 1 1 6

(4,3) (11,1) (9,1) (6,3) (6,7) (9,1) (2,5)

%

84 Quantitative Analyse

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

85

Fazit zum Szenario des anonymen Machtapparats Die meisten Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie wurden als die Angst vor einem anonymen Machtapparat artikuliert. Das könnte daran liegen, dass dieses Szenario an sich weiter gefasst ist als die anderen Szenarien und eine nicht so exakt definierte Gefahr beschreibt, weshalb es für viele Bedrohungsmomente als passend empfunden werden konnte. Beim Szenario des anonymen Machtapparats ist jedoch auffällig, dass bedeutend mehr Ängste im konservativen Wahrnehmungsmuster als im linken artikuliert wurden. Obwohl im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste durchgehend stark thematisiert wurden, waren die Höhepunktphase der Thematisierung die Jahre, in denen die CDU/CSU erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland die Rolle der politischen Opposition annehmen musste (1970 bis 1973). Brandts Ziel der »Demokratisierung« weckte im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einer durchweg demokratisierten Gesellschaft, in der Minderheiten dem Mehrheitswillen hilflos ausgeliefert seien und eine komplett neue Gesellschaftsordnung angestrebt werde. Diese gesellschaftliche Umwandlung wurde beispielsweise an Universitäten, innerhalb der SPD durch die Jusos und durch gewerkschaftliche Mitbestimmung vermutet. Eine weitere Angst vor einem anonymen Machtapparat wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster darin gesehen, dass durch die Regierungsbeteiligung der SPD und eben auch durch die Demokratisierung linke Systemfeinde ihren »Marsch durch die Institutionen« fortsetzen und in politische und gesellschaftliche Positionen gelangen könnten, in denen es ihnen möglich würde, die bundesdeutsche Demokratie zu zerstören. Ab 1972 erlebten diese Ängste einen neuen Höhepunkt, da viele angebliche, erklärte Feinde der bundesdeutschen Demokratie in politisch und gesellschaftlich höhere Ämter aufgestiegen seien. Im linken Wahrnehmungsmuster wurden Ängste vor einem anonymen Machtapparat am häufigsten in drei Phasen thematisiert. In der ersten Phase (1967 bis 1968) dominierten die Ängste vor der Notstandsgesetzgebung und der Großen Koalition, in der zweiten Phase (1977 bis 1979) und in der dritten Phase (1983 bis 1984) dominierten die Ängste vor einem Überwachungsstaat. Die Ängste vor einem Überwachungsstaat begannen mit dem Ministerpräsidentenerlass 1972, steigerten sich aber 1977 mit Bekanntwerden der »LauschaffäreTraube«, als ersichtlich wurde, dass auch einfache Bürger im Rahmen der Terrorismusbekämpfung ohne Wissen darüber einer massiven Überwachung ausgesetzt sein konnten und deshalb persönliche Nachteile erlitten. Nach einer kurzen Ruhephase, in denen Kriegsängste dominierten, kamen diese Ängste ab 1983 als Ängste vor einem »Orwell-Staat« wieder auf. Paradox ist, dass die erste Phase von der Anzahl der Thematisierungen die schwächste Phase darstellt, der Forschungsstand zu dieser aber am umfangreichsten ist. Dieselbe Diskrepanz

86

Quantitative Analyse

gilt für den Forschungsstand der Szenarien des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters. Diese Arbeit soll deshalb den Blickwinkel hierauf verändern und einen Beitrag zur Beseitigung dieses Paradoxon leisten. Sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster dominierten die Vergleiche zur Zeit von 1918 bis 1945 deutlich. Zwar waren historische Bezüge insgesamt seltener als bei den Szenarien »Massenbewegung«, »Führer« und »Kriegsangst«, aber sowohl von der Anzahl historischer Bezüge als auch von der Art des Geschichtsbezuges lassen sich keine gravierenden Unterschiede bei Akteuren mit Primär- und Akteuren mit Sekundärerfahrung feststellen. Sowohl zu Beginn als auch am Ende des Untersuchungszeitraums dienten die Erfahrungen aus der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Herrschaft als Bezugs- und Vergleichsrahmen.

2.4.7 Sonstige Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder Demokratiekonzeptionen Die abgebildete Tabelle zeigt das Auftreten von Artikeln, die entweder Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie beinhalteten, die zu keinem der fünf vorherigen Szenarien zugeordnet werden konnten oder aber normative Beschreibungen der Demokratie thematisierten, die für ein Funktionieren der Demokratie als existenziell angesehen wurden. Sonstige Ängste oder normative Demokratiebeschreibungen wurden durchgängig im Untersuchungszeitraum thematisiert. Im »Rheinischen Merkur« (271 Artikel) war die Thematisierung fast dreimal so hoch wie im »Spiegel« (96 Artikel). Insgesamt verlief die Thematisierung ohne größere Auffälligkeiten. Höhepunkt war das Jahr 1974 (29 Artikel), ab 1984 kam es zu einer deutlich selteneren Thematisierung. Es fanden sich im Untersuchungszeitraum acht Jahrgänge zwischen zehn und zwanzig Artikeln, elf Jahrgänge mit mindestens zwanzig Artikeln und kein Jahrgang mit über 30 Artikeln. Der historische Bezug lag dabei insgesamt bei nur 27 %. In neun Jahrgängen lag er zwischen 30 und 40 %, in acht Jahrgängen zwischen 20 und 30 % aller identifizierten Artikel mit Geschichtsbezug. Der häufigste geschichtliche Bezug fand sich im Jahr 1979 (39,1 %), der seltenste im Jahr 1971 (9,1 %). Erneut war der Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 dominierend. In zwölf Jahrgängen bezogen sich 100 % aller historischen Vergleiche auf diese Zeitspanne, der seltenste Bezug (außer 1971 und 1985) lag bei 50 % (1975), in nur zwei Jahrgängen belief sich dieser unter 70 % (1974 und 1975). Bezüge zur Zeit vor 1918 wurden marginal in zehn Jahrgängen, Bezüge zur Zeit nach 1945 und undefinierte Geschichtsbezüge in drei Jahrgängen gezogen.

2 8 7 16 6 1 3 3 4 3 6 4 4 5 6 5 4 7 1 1 96

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

14 12 12 8 7 13 10 18 19 25 9 15 16 13 18 14 16 12 16 4 271

SP RM

Jahr

16 12 20 15 23 19 11 21 22 29 12 21 20 17 23 20 21 16 23 5 1 367

Gesamt

5 4 7 3 4 4 1 5 7 10 4 7 5 4 9 4 5 3 7 1 99

Ge-bezug (31,3) (33,3) (35,0) (20,0) (17,4) (21,1) (9,1) (23,8) (31,8) (34,5) (33,3) (33,3) (25,0) (23,5) (39,1) (20,0) (23,8) (18,8) (30,4) (20,0) (27,0)

% 5 4 7 3 3 4 5 6 6 2 6 5 3 9 4 5 3 5 1 86

(100) (100) (100) (100) (75,0) (100) (100) (85,7) (60,0) (50,0) (85,7) (100) (75,0) (100) (100) (100) (100) (71,4) (100) (86,9)

1918 bis 1945 % 2 1 1 2 1 2 1 1 1 3 15

(40,0) (25,0) (20,0) (28,6) (10,0) (50,0) (14,3) (25,0) (11,1) (42,9) (15,2)

Vor 1918 % 1 2 1 4

(25,0) (20,0) (14,3) (4,0)

Nach 1945 %

Tab. 21: Sonstige Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder Demokratiekonzeptionen Undef. Ge-bezug 1 1 1 3

(100) (10,0) (14,3) (3,0)

%

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

87

88

Quantitative Analyse

Sonstige Ängste des linken Wahrnehmungsmusters oder linke Demokratiekonzeptionen Im linken Wahrnehmungsmuster wurden Demokratiekonzeptionen oder Ängste um den Bestand der Demokratie, die zu keinen der bisherigen Szenarien zugeordnet werden konnten, nicht durchgängig im Untersuchungszeitraum thematisiert. Erst 1974 erfolgte ein kleiner Anstieg, ein dauerhafter Anstieg begann ab 1977. Die höchste Konzentration fand sich in den Jahren 1979 bis 1982. Ab 1983 nahm die Thematisierung dieser Debatten massiv ab. Ein historischer Bezug wurde nur in geringem Ausmaß verwendet (26 %). Auch in den Jahren der erhöhten Thematisierung (1977 bis 1982) war der historische Bezug in keinem Jahr über 50 % und nur im Jahr 1977 bei 40 %. Bis 1981 nahm er stark ab, stieg 1982 noch einmal geringfügig an und spielte ab 1983 fast keine Rolle mehr. Dafür wurde sich außer im Jahr 1974 in allen historischen Bezügen auf die Zeit von 1918 bis 1945 berufen (88,5 %). Es fand sich jeweils nur ein Artikel, der die Zeit vor 1918, nach 1945 oder einen undefinierten Geschichtsbezug thematisierte.

Sonstige Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters oder konservative Demokratiekonzeptionen Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurden Demokratiekonzeptionen oder Ängste um den Bestand der Demokratie, die zu keinen der bisherigen Szenarien zugeordnet werden konnten, bis 1985 durchgängig im Untersuchungszeitraum thematisiert. Hierbei zeigte sich, dass diese Debatten im konservativen Wahrnehmungsmuster (230 Artikel) häufiger als im linken Wahrnehmungsmuster (100 Artikel) geführt wurden. Allerdings wurden die Debatten bis 1969 nur in geringem Ausmaß geführt. Das änderte sich ab 1970 und blieb so bis 1983. In dieser Zeit kam es immer wieder zu einer verstärkten Thematisierung dieser Debatten. Zwar lässt sich von 1970 bis 1983 keine wirkliche Phase identifizieren, in denen die Debatten im Vergleich zu anderen Jahrgängen deutlich dominierten, aber eine leicht höhere Thematisierung war in den Jahren 1972 bis 1974, 1976 und 1977, 1979, 1981 und wieder 1983 ersichtlich. Ein geschichtlicher Bezug wurde nur selten verwendet (25,7 %). Von 1970 bis 1983 lag dieser bei maximal 40 % aller Artikel, dafür aber auch nicht unter 20 %. Als Bezugsrahmen dominierte in allen Jahrgängen deutlich die Zeit von 1918 bis 1945 (84,7 %). Von 1970 bis 1983 fanden sich sieben Jahrgänge, in denen alle historischen Bezüge auf diese Zeit verwiesen, davon auch die späteren Jahre 1981 und 1982. Auf die Jahre vor 1918 wurde erstmalig ab 1972 und in nur sechs Jahrgängen Bezug genommen. Ein Bezug zur Zeit nach 1945 oder ein undefinierter Geschichtsbezug fand sich jeweils in nur zwei Jahrgängen.

Gesamt

1 1 2 3 4 2 9 2 5 10 7 14 12 12 8 6 1 1 100

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

1 1 1 1 3 2 4 2 4 2 1 3 1 26

Ge-bezug

(100) (33,3) (25,0) (50,0) (33,3) (40,0) (40,0) (28,6) (28,6) (16,7) (8,3) (37,5) (16,7) (26,0)

% 1 1 1 1 2 4 2 4 2 1 3 1 23

1918 bis 1945 (100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (100) (88,5)

% 1 1

Vor 1918 (33,3) (3,8)

%

Tab. 22: Sonstige Ängste des linken Wahrnehmungsmusters oder linke Demokratiekonzeptionen

1 1

Nach 1945 (33,3) (3,8)

%

Undef. Ge-bezug 1 1

(33,3) (3,8)

%

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

89

Gesamt

1 1 2 4 5 11 9 15 20 20 11 16 16 13 20 13 18 14 17 4 230

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

1 1 2 1 3 6 8 3 5 4 2 8 1 5 2 6 1 59

Ge-bezug

(50,0) (25,0) (18,2) (11,1) (20,0) (30,0) (40,0) (27,3) (31,3) (25,0) (15,4) (40,0) (7,7) (27,8) (14,3) (35,3) (25,0) (25,7)

% 1 1 2 3 5 6 2 4 4 1 8 1 5 2 4 1 50

1918 bis 1945 (100) (100) (100) (100) (83,3) (75,0) (66,7) (80,0) (100) (50,0) (100) (100) (100) (100) (66,7) (100) (84,7)

% 1 2 1 1 1 3 9

Vor 1918 (33,3) (33,3) (33,3) (50,0) (12,5) (50,0) (15,3)

% 2 1 3

Nach 1945

Tab. 23: Sonstige Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters oder konservative Demokratiekonzeptionen

(25,0) (20,0) (5,1)

%

Undef. Ge-bezug 1 1 2

(100) (16,7) (3,4)

%

90 Quantitative Analyse

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

91

Fazit zu den sonstigen Ängsten und Demokratiekonzeptionen Es ist auffällig, dass bis 1969 neben den vier untersuchten Hauptszenarien viele sonstige Ängste oder Demokratiekonzeptionen artikuliert wurden, die sich nicht eindeutig zu einem der beiden Wahrnehmungsmuster zuordnen lassen konnten. Wie schon beim Szenario der latenten militärischen Bedrohung lässt sich hier vermuten, dass die Zuordnung zu den beiden Wahrnehmungsmustern ab 1969 eindeutiger vollzogen werden konnte. So fanden sich auch im konservativen Wahrnehmungsmuster ab 1970 verstärkt Debatten, wofür der Wechsel in die Opposition verantwortlich sein könnte. Nach Brandts Bundestagswahlsieg 1972, der die Oppositionsrolle für weitere Jahre festigte, stieg die Thematisierung deutlich an. Ein Grund hierfür könnte der Selbstfindungsprozess der Union gewesen sein, der auch ein Nachdenken über die Demokratie nötig werden ließ. Weitere Höhepunkte im konservativen Wahrnehmungsmuster fanden sich Ende der 1970er Jahre, als neue politische Formen (Bürgerinitiativen, »Die Grünen«) und neuartige Formen des politischen Protests (Hausbesetzer, Protestbewegungen) als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie wahrgenommen wurden und deshalb vermehrt über die »richtige« Demokratie diskutiert wurde. Im linken Wahrnehmungsmuster kamen sonstige Ängste oder Demokratiekonzeptionen verstärkt von 1979 bis 1981 auf. So wurde beispielsweise die von der Union fokussierte Einführung des Privatfernsehens als Gefahr für die Demokratie angesehen. Ängste vor einem Überwachungsstaat führten auch im linken Wahrnehmungsmuster dazu, Diskussionen über die »richtige« Demokratie oder den »richtigen« Rechtsstaat zu führen. Zwar wurden sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster verhältnismäßig wenig historische Bezüge verwendet, wenn diese aber Verwendung fanden, dominierten Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945. Auch hierbei ließen sich quantitativ keine Auffälligkeiten zwischen Akteuren mit Primär- und Sekundärerfahrung feststellen.

2.4.8 Gegendiskurs: Stärke der bundesdeutschen Demokratie bzw. Erhaltung des Friedens Die abgebildete Tabelle zeigt Artikel, die ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg explizit bestreiten. Ein Gegendiskurs wurde in fast gleichem Ausmaß im »Spiegel« (141 Artikel) und im »Rheinischen Merkur« (156 Artikel) thematisiert. Insgesamt zeigten sich zwei größere Phasen, in denen die Thematisierung stärker war. Die erste Phase waren die Jahre 1967 bis 1969, die zweite Phase, die bedeutend länger war, waren die Jahre 1976 bis

92

Quantitative Analyse

1984. Eine verhältnismäßig häufigere Thematisierung eines Gegendiskurses fand sich in den Jahren 1982 (23 Artikel) und 1983 (38 Artikel). Die Jahre 1970 bis 1975 bildeten eine Phase seltener Thematisierung eines Gegendiskurses. Ein historischer Bezug wurde in 34,7 % aller identifizierten Artikel und nicht durchgängig im Untersuchungszeitraum verwendet (1973 und 1974). Dabei lassen sich kaum Auffälligkeiten ausmachen. In der ersten Phase (1967 bis 1969) stieg der historische Bezug an (von 15,4 % auf 53,3 %), in der langen zweiten Phase (1976 bis 1984) war er schwankend. So lag er im Jahr 1976 noch bei 62,5 %, im folgenden Jahr bei nur 22,2 %. Anschließend folgte von 1978 bis 1980 eine Zunahme des historischen Bezugs. Nach einer seltenen Verwendung im Jahr 1981 und einem Ansteigen im Jahr 1982 nahm er von 1982 bis 1984 wieder leicht ab. In allen historischen Bezügen, außer im Jahr 1965, dominierten Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945 vor anderen historischen Bezügen. In der ersten Phase gab es marginal aber auch Bezüge zur Zeit vor 1918 (drei Artikel im Jahr 1968) und nach 1945 (vier Artikel im Jahr 1969). Auch in der zweiten Phase dominierte der Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 deutlich, ab 1980 fanden sich aber auch wenige Verweise auf die Zeit vor 1918 und in sieben Jahrgängen Verweise auf die Zeit nach 1945.

SP

6 2 4 12 14 6 5 5 2 1 7 5 6 8 8 6 11 21 8 4 141

Jahr

1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Gesamt

3 5 9 11 1 3 7 1 5 1 9 13 10 12 13 11 12 17 11 2 156

RM

9 7 13 23 15 6 8 12 1 7 2 16 18 16 20 21 17 23 38 19 6 297

Gesamt

3 3 2 10 8 1 3 5 2 10 4 7 8 10 2 7 11 5 2 103

(33,3) (42,9) (15,4) (43,5) (53,3) (16,7) (37,5) (41,7) (100) (62,5) (22,2) (43,8) (40,0) (47,6) (11,8) (30,4) (28,9) (26,3) (33,3) (34,7)

Ge-bezug % 2 3 2 8 5 1 2 3 1 8 3 6 7 6 2 6 7 3 2 77

(66,7) (100) (100) (80,0) (62,5) (100) (66,7) (60,0) (50,0) (80,0) (75,0) (85,7) (87,5) (60,0) (100) (85,7) (63,6) (60,0) (100) (74,8)

1918 bis 1945 % 2 1 3 3 1 2 1 13

(66,7) (33,3) (30,0) (30,0) (50,0) (18,2) (20,0) (12,6)

Vor 1918 %

Tab. 24: Gegendiskurs: Stärke der bundesdeutschen Demokratie bzw. Erhaltung des Friedens

1 4 1 2 1 1 1 2 1 1 1 1 17

(10,0) (50,0) (33,3) (40,0) (50,0) (10,0) (25,0) (28,6) (12,5) (10,0) (14,3) (20,0) (16,5)

Nach 1945 % Undef. Ge-bezug 1 2 3

(10,0) (18,2) (2,9)

%

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

93

94

Quantitative Analyse

Gegendiskurse zu den einzelnen Bedrohungsszenarien Die abgebildete Tabelle zeigt die Verwendung von Gegendiskursen in den einzelnen Szenarien. Es wird die Gesamtthematisierung des Gegendiskurses und der prozentuale Anteil dessen an der Gesamtthematisierung des Szenarios (Spalte 2), die Verwendung historischer Bezüge (Spalte 3) und die Art des historischen Bezuges (Spalte 4 bis 7) angegeben. Die Prozentangaben in den Spalten 4 bis 7 beziehen sich auf den Gesamtgeschichtsbezug (Spalte 4). Artikel, die das Ende der Demokratie durch das Aufkommen einer neuen Massenbewegung bestritten, waren im Verhältnis zur Gesamtthematisierung der Gefahr durch eine Massenbewegung (14,9 %) am stärksten vertreten (53 von 356 Gesamtartikeln). Danach folgte der Gegendiskurs zur Kriegsangst mit 13,7 % (94 von 686 Gesamtartikeln). 120 Artikel fanden sich, die eine Ende der Demokratie durch einen anonymen Machtapparat bestritten (10,1 %; 120 von 1187 Gesamtartikeln). 17 Artikel konnten identifiziert werden, die Gefahren durch einen neuen Führer bestritten (8,3 %; 17 von 205 Gesamtartikeln), 12 Artikel bestritten eine latente militärische Bedrohung (2,9 %; 12 von 421 Gesamtartikeln). Auffällig ist, dass kaum Gegendiskurse zu sonstigen Gefahren oder Demokratiekonzeptionen artikuliert wurden. Die Verwendung von historischen Bezügen bei der Thematisierung eines Gegendiskurses zeigten ähnliche Auffälligkeiten wie bei der Thematisierung der Szenarien als Gefahr. Historische Bezüge wurden beim Gegendiskurs zum Szenario der Massenbewegung bei 49,1 % (bei 56,5 % der Artikel, die eine Massenbewegung als Gefahr thematisieren), beim Gegendiskurs zum Szenario eines Führers bei 47 % (bei 55,1 % der Artikel, die einen Führer als Gefahr thematisieren), beim Gegendiskurs zum Szenario der Kriegsgefahr bei 36,2 % (bei 37,9 % der Artikel, die einen möglichen Krieg thematisieren), beim Gegendiskurs zum Szenario der latenten Bedrohung bei 25 % (bei 14,7 % der Artikel, die eine latente Bedrohung als Gefahr thematisieren) und beim Gegendiskurs zum Szenario eines anonymen Machtapparats bei 30,8 % (bei 29,5 % der Artikel, die einen Machtapparat als Gefahr thematisieren) aller identifizierten Artikel verwendet. Hierbei dominierten erneut historische Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945.10 Besonders stark wurde auf diese Zeitperiode bei den Gegendiskursen zum Szenario Führer (100 %) und Massenbewegung (84,6 %) verwiesen. Beim Gegendiskurs zum Szenario der Kriegsangst zeigte sich aber auch ein relativ hoher Anteil historischer Bezüge zur Zeit vor 1918 und nach 1945.

10 Die Gegendiskurse zur latenten militärischen Bedrohung und zu sonstigen Ängsten und Demokratiekonzeptionen wurden aufgrund des geringen historischen Bezuges nicht berücksichtigt.

53 (14,9 %) 17 (8,3 %) 94 (13,7 %) 12 (2,9 %) 120 (10,1 %) 1 (0,3 %)

Massenbewegung

Sonstiges und Demokratie-konzeptionen

Machtapparat

latente Bedrohung

Kriegsangst

Führer

Gesamt

Gegendiskurs

1

37

3

34

8

26

Gebezug

Tab. 25: Gegendiskurse der einzelnen Bedrohungsszenarien 1918 bis 1945

8

1

(100)

1

(30,8) 31

(25)

(36,2) 18

(47)

(49,1) 22

%

9

-

2

Vor 1918

(100)

(83,8) -

1

(33 %) 2

(52,9)

(100)

(84,6)

%

1

3

Nach 1945

-

(2,7)

-

5

(66,7) -

(26,5) 9

-

(7,7)

%

-

-

-

(13,5) -

-

(26,5) 2

(12,5) -

Undef. Gebezug (11,5) -

%

-

-

-

(5,9)

-

-

%

Einzelne Szenarien in »Spiegel« und »Rheinischem Merkur«

95

96

Quantitative Analyse

Fazit zum Gegendiskurs Die häufige Thematisierung zum Ende des Untersuchungszeitraums lässt verschiedene Erklärungsmöglichkeiten zu: Entweder wurde ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. ein möglicher Krieg vermehrt bestritten, weil sich im Laufe der Jahre die Stabilität der bundesdeutschen Demokratie bzw. die geringe Gefahr eines Angriffs herausgestellt hat, oder aber Ängste vor einem Scheitern wurden zum Ende des Untersuchungszeitraums ernster genommen, weshalb verstärkt versucht wurde, diese zu widerlegen. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Kriegsängste vermehrt ab Anfang der 1980er Jahre aufkamen und auf dieses Szenario besonders eingegangen wurde, indem die Möglichkeit eines drohendes Krieges bestritten wurde. Alle Erklärungsansätze schließen sich allerdings nicht per se gegenseitig aus. Ob diese Erklärungsansätze zutreffen, soll die historische Diskursanalyse klären. Ein weiteres Szenario, dessen Wahrscheinlichkeit verhältnismäßig häufig bestritten wurde, ist das Szenario einer neuen Massenbewegung. Bei allen Gegendiskursen zeigte sich, dass der historische Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 in der Argumentation eine wichtige Rolle spielte. Hierbei wird deutlich, dass diese Zeitperiode als Vergleichs- und Bezugsrahmen sowohl für Gefahren sensibilisieren konnte als auch durch das Herausarbeiten von Unterschieden die Stabilität der bundesdeutschen Demokratie aufzuzeigen vermochte.

2.5

Zusammenfassung der quantitativen Analyse

Die quantitative Inhaltsanalyse des »Spiegels« und »Rheinischen Merkurs« hat belegt, dass die Debatten über ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg auf deutschem Boden keine Themen waren, die nur am Rande thematisiert wurden und keinerlei gesellschaftliche Bedeutung besaßen. Sowohl die Häufigkeit der Artikel, die Anzahl der Autoren als auch deren berufliche, politische und gesellschaftliche Stellung, die Anzahl und Wertigkeit der Rubriken und Genres, in denen die Debatten artikuliert wurden, bestätigen die Ausgangshypothese, dass die Debatten in relevantem Ausmaß geführt wurden und Teil der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1965 bis 1985 waren. Somit lässt sich auch bestätigen, was Christina von Hodenberg herausgestellt hat, nämlich dass im Untersuchungszeitraum durch den zunehmenden Einfluss der »45er« in der westdeutschen Medienlandschaft der »Konsensjournalismus« vom zeitkritischen Journalismus abgelöst wurde.11 11 Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 445. Christina von Hodenberg stellte aber auch heraus, dass der »Spiegel« schon bedeutend früher vom »Konsensjournalismus« abwich. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 227.

Zusammenfassung der quantitativen Analyse

97

Hierbei wollten die »45er« als »Garanten des neuen Staates« fungieren und »der Verführbarkeit durch ein verbrecherisches System entgegenarbeiten«.12 Die Debatten wurden im »Rheinischen Merkur« (1920 Artikel; 4,8 %) und im »Spiegel« (1178 Artikel; 3,7 %) durchgängig im Untersuchungszeitraum thematisiert. Höhepunkte der Thematisierung waren im »Rheinischen Merkur« die Jahre 1972, 1973, 1981 und 1983, im »Spiegel« die Jahre 1969 und 1981 bis 1983. Die größte Diskrepanz bei der Häufigkeit der Thematisierung in beiden Wochenblättern zeigte sich in den Jahren 1972 und 1973. Diese Diskrepanz begann mit dem Regierungsantritt Brandts und verringerte sich erst mit Helmut Schmidts Regierungsantritt 1974 allmählich wieder. Ab 1980 stieg die Häufigkeit der Thematisierungen sowohl im »Spiegel« als auch im »Rheinischen Merkur« massiv an, und ab 1984 wurde sie wieder seltener. Nach Durchsicht der Jahrgänge 1965 bis 1985 konnten in insgesamt 2102 Ausgaben des »Spiegels« und »Rheinischen Merkurs« von 71854 Artikeln 3098 Artikel (4,3 %) als diejenigen identifiziert werden, die ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. einen möglichen Krieg auf deutschem Boden thematisierten. Den Höhepunkt bildete das Jahr 1983 (268 Artikel; 7,7 %), womit sich Jeffrey Herfs Aussage bestätigen ließ, dass im Jahr 1983 viele Ängste »in düsteren Warnungen vor dem Untergang der Demokratien« kulminierten.13 Weitere Höhepunkte waren die Jahre 1968 (187 Artikel), 1972 (198 Artikel), 1981 (219 Artikel) und 1982 (184 Artikel). Im Verhältnis zur Gesamtzahl der untersuchten Gesamtartikel wurden die Debatten im Jahr 1978 am seltensten thematisiert (115 Artikel; 2,9 %). Durch die inhaltsanalytische Untersuchung der 3098 identifizierten Artikel konnte die Ausgangshypothese belegt werden, dass Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. vor einem Krieg auf deutschem Boden hauptsächlich in vier Szenarien artikuliert wurden, die im Untersuchungszeitraum mehrfach diskutiert wurden und sich zum Teil gegenseitig beeinflussten. Zusätzlich wurde als fünftes Szenario die Angst vor einer latenten militärischen Bedrohung erkannt. Dieses Szenario ist allerdings nicht gleichbedeutend mit den anderen vier Szenarien als ein eigenständiges fünftes Szenario anzusehen, sondern eher als abgeschwächte Form des Szenarios eines möglichen Krieges, womit es auch als eine Art Vorbedingung für die Thematisierung einer akuten Kriegsgefahr anzusehen ist. Am häufigsten wurden Ängste vor einem anonymen Machtapparat artikuliert, der die demokratische Struktur der Bundesrepublik Deutschland zerstören werde (1187 Artikel). Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden (686 Artikel) und vor einer latenten militärischen Bedrohung 12 Hodenberg: Konsens und Krise, S. 448. Diese Absicht wurde später von den Journalisten der Generation der »68er« geteilt. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 449. 13 Herf: Demokratie, S. 2.

98

Quantitative Analyse

(421 Artikel) fanden sich ebenfalls in hoher Anzahl. Am wenigsten wurden Ängste vor einem neuen Führer (205 Artikel) und einer neuen Massenbewegung (356 Artikel) artikuliert. Eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie bzw. die Möglichkeit eines Krieges wurden in 297 Artikeln bestritten. Immerhin konnten 367 Artikel festgestellt werden, die entweder Ängste beinhalteten, die keinem der bisherigen Szenarien zugeordnet werden konnten oder normative Beschreibungen einer funktionsfähigen Demokratie thematisierten. Bei diesen Artikeln überwogen deutlich die normativen Beschreibungen, sodass sich über den gesamten Zeitraum kein weiteres Szenario erkennen ließ. Es bestätigte sich ebenfalls die Ausgangshypothese, dass jedes der vier Szenarien sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster in jeweils eigenen Konstruktionen thematisiert und gepflegt wurde. Es zeigten sich entgegen des »Links-Rechts-Gefälles« in der Forschungslandschaft weniger Szenarien im linken (1177) als im konservativen (2090) Wahrnehmungsmuster. Die größten Diskrepanzen zwischen Ängsten des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters zeigten sich beim Szenario des anonymen Machtapparats (431 versus 827), der latenten militärischen Bedrohung (41 versus 326) und der Massenbewegung (131 versus 259). Eine Dominanz von Ängsten des linken Wahrnehmungsmusters zeigte sich dagegen beim Szenario eines neuen Führers (150 versus 65). Eine fast gleich häufige Thematisierung konnte beim Szenario eines Krieges auf deutschem Boden festgestellt werden (324 versus 383). Das Szenario einer neuen Massenbewegung wurde in zwei Phasen vermehrt thematisiert. Die erste Phase von 1966 bis 1969 war geprägt von Ängsten des linken Wahrnehmungsmusters vor einem Erstarken der NPD und Ängsten des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem Erstarken der Studentenbewegung. Die zweite Phase von 1981 bis 1983 war von Ängsten des konservativen Wahrnehmungsmusters vor der Friedensbewegung und einem Erstarken der »Grünen« geprägt. Die Ausgangshypothesen zum Szenario eines neuen Führers bestätigten sich nur für die Ängste im linken Wahrnehmungsmuster. Diese nährten sich tatsächlich aus der Person von Franz Josef Strauß und bildeten den Thematisierungshöhepunkt mit dessen Kanzlerkandidatur und der Bundestagswahl 1980. Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem neuen Führer wurden dagegen kaum artikuliert und hatten ihren Höhepunkt nicht zu den Bundestagswahlkämpfen 1965 und 1969 anhand der Stilisierung von Willy Brandt als neuen Führer der Linken. Ängste vor Willy Brandt als neuen Führer waren nur marginal vorhanden. Vielmehr zeigten sich Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters in der Angst, dass Unruhen und Autoritätsverluste die Rufe nach einem neuen »starken Mann« laut werden ließen. Diese Ängste wurden aber selten an einer Person festgemacht.

Zusammenfassung der quantitativen Analyse

99

Das Szenario eines neuen Krieges auf deutschem Boden wurde vermehrt in drei Phasen thematisiert. Die ersten beiden Phasen von 1965 bis 1968 und 1970 bis 1972 wurden fast ausschließlich im konservativen Wahrnehmungsmuster artikuliert und resultierten aus dem geplanten Abschluss eines Atomsperrvertrages und des Einmarsches sowjetischer Truppen in Prag 1968 sowie aus der Ostpolitik Brandts. Kriegsängste des konservativen Wahrnehmungsmusters wurden in allen drei Phasen und in geringerem Ausmaß auch im gesamten Untersuchungszeitraum thematisiert. Kriegsängste des linken Wahrnehmungsmusters wurden nur in der dritten Phase von 1979 bis 1984 in relevantem Ausmaß artikuliert, dafür aber in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß. In dieser Phase zeigte sich insgesamt die häufigste Thematisierung, da sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster die geplante Stationierung bzw. Nichtstationierung amerikanischer Raketen auf deutschem Gebiet Kriegsängste provozierte. Das Szenario der latenten militärischen Bedrohung wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster in einem fast durchgängigen Grundton artikuliert. Eine verstärkte Thematisierung zeigte sich in den Jahren 1979 bis 1983, in denen Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung die akuten Kriegsängste noch verstärkten. In den Jahren 1968 und 1972 lösten akute Kriegsängste im konservativen Wahrnehmungsmuster dagegen Ängste vor einer latenten Bedrohung ab. Im linken Wahrnehmungsmuster wurden Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung zu keinem Zeitpunkt in relevantem Ausmaß artikuliert. Ängste vor einem anonymen Machtapparat wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster von 1968 bis 1978 und von 1981 bis 1983 durchgehend stark thematisiert, wobei sich aber die ersten Jahre, in denen die Unionsparteien erstmalig seit Bestehen der Bundesrepublik die Rolle der politischen Opposition innehatten (1970 bis 1973), als eine Phase besonders häufiger Thematisierung erkennen ließen. Brandts Reformidee der Demokratisierung weckte im konservativen Wahrnehmungsmuster einerseits Ängste vor einer totalitären Gesellschaft, in der Minderheiten nicht mehr geschützt werden, da das Majoritätsprinzip überall Anwendung finde, andererseits weckte die Demokratisierung Ängste vor einem »langen Marsch durch die Institutionen« der Demokratiefeinde, die die Demokratie der Bundesrepublik zerstören würden. Im linken Wahrnehmungsmuster wurden Ängste vor einem anonymen Machtapparat am häufigsten in drei Phasen thematisiert. In der ersten Phase (1967 bis 1968) dominierten die Ängste vor der Notstandsgesetzgebung und der Großen Koalition, in der zweiten Phase (1977 bis 1979) und in der dritten Phase (1983 bis 1984) dominierten die Ängste vor einem Überwachungsstaat. Artikel, die Ängste thematisierten, die zu keinem der anderen Szenarien zugeordnet werden konnten oder die normative Demokratiekonzeptionen be-

100

Quantitative Analyse

inhalteten, wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster verstärkt in den frühen Jahren der Opposition der Unionsparteien Anfang der 1970er und wieder ab Ende der 1970er Jahre artikuliert, als neue politische Formen (Bürgerinitiativen, »Die Grünen«) und neuartige Formen des politischen Protests (Hausbesetzer, Protestbewegungen) als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie wahrgenommen wurden und deshalb vermehrt über die »richtige« Demokratie diskutiert wurde. Im linken Wahrnehmungsmuster kamen sonstige Ängste oder Demokratiekonzeptionen verstärkt von 1979 bis 1981 auf. Ängste vor einem Überwachungsstaat führten auch im linken Wahrnehmungsmuster dazu, Diskussionen über die »richtige« Demokratie oder den »richtigen« Rechtsstaat zu führen. Ab 1984 ließ sich in beiden Wahrnehmungsmustern eine Abnahme der Thematisierung feststellen. Ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. die Möglichkeit eines Krieges auf deutschem Boden wurden fast gleich stark im »Spiegel« (141 Artikel) und im »Rheinischem Merkur« (156 Artikel) bestritten. Die Jahre der häufigsten Thematisierung waren die Phase von 1967 bis 1969 und eine längere Phase von 1976 bis 1984. Am Ende des Untersuchungszeitraums zeigte sich eine vermehrte Thematisierung, was darauf hindeuten könnte, dass sich die Ansicht, dass die bundesdeutsche Demokratie stabil und ein Krieg unwahrscheinlich sei, stärker durchgesetzt hat, oder aber diese Ängste wurden ernster genommen, weshalb stärker versucht wurde, diese zu widerlegen. Im Verhältnis zur Thematisierung eines Szenarios als Gefahr finden sich die meisten Gegendiskurse beim Szenario der Massenbewegung (14,9 %), danach folgten die Gegendiskurse zur Kriegsgefahr (13,7 %), zum anonymen Machtapparat (10,1 %), zum Führer (8,3 %), zur latenten militärischen Bedrohung (2,9 %) und zur Kategorie »Sonstiges und Demokratiekonzeptionen« (0,3 %). Verwendung historischer Vergleiche Durch die quantitative Inhaltsanalyse bestätigte sich die Ausgangshypothese, dass die Debatten über ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. über die Möglichkeit eines Krieges auf deutschem Boden von historischen Vergleichen geprägt waren. Von 3098 identifizierten Artikeln wurden in 1024 Artikeln historische Vergleiche gezogen (33 %). In allen Szenarien wurden historische Vergleiche herangezogen, allerdings in unterschiedlicher Intensität. Am häufigsten konnte ein geschichtlicher Bezug bei den Szenarien Massenbewegung (56,5 %) und Führer (55,1 %) festgestellt werden. Der seltenste Geschichtsbezug konnte bei dem Szenario der latenten militärischen Bedrohung (14,7 %), der Kategorie Sonstiges (27 %) und dem Szenario des anonymen Machtapparats (29,5 %) festgestellt werden. Beim Szenario eines neuen Krieges wurde in 37,9 % der Thematisierungen ein geschichtlicher Bezug verwendet, bei

Zusammenfassung der quantitativen Analyse

101

der Kategorie Gegendiskurs in 34,7 % der Thematisierungen. Hierbei konnte lediglich eine geringe Diskrepanz bei der Verwendung historischer Bezüge im linken und konservativen Wahrnehmungsmuster festgestellt werden. So wurden geschichtliche Vergleiche etwas mehr in linken Szenarien (38,9 %) als in konservativen Szenarien (31,1 %) verwendet. Durch die Inhaltsanalyse sämtlicher identifizierter Artikel bestätigte sich auch die Ausgangshypothese, dass die Debatten über ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. den Untergang des Landes in einer kriegerischen Apokalypse von den Deutungen des Scheiterns der Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Machtübernahme, der Struktur der NS-Herrschaft und der Endphase des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden geprägt waren. In den 1024 Artikeln mit Geschichtsbezug wurde in 822 Artikeln (80,3 %) Bezug auf die Zeit von 1918 bis 1945 genommen. Die Zeit vor 1918 (141 Artikel (13,8 %)) wurde fast genauso oft wie die Zeit nach 1945 (125 Artikel (12,2 %)) thematisiert. Ein undefinierter Geschichtsbezug konnte in 25 Artikeln (2,4 %) festgestellt werden. Weiterhin belegte die Inhaltsanalyse die Ausgangshypothese, dass sich in den Szenarien in der jeweiligen linken und konservativen Ausprägung auf die Zeit der Weimarer Republik bzw. die Zeit des Nationalsozialismus bezogen wurde. In allen Szenarien mit Geschichtsbezug dominierten deutlich die historischen Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945 (80,1 %). Am meisten fanden sich diese Bezüge beim Szenario Massenbewegung (93 %). Aber auch in den Szenarien Machtapparat (86,3 %), Führer (85,8 %) und in der Kategorie Sonstiges (86,9 %) fanden sich sehr häufig diese historischen Bezüge. Ein deutlich seltenerer Bezug zur Zeit von 1918 bis 1945 fand sich in den Szenarien latente militärische Bedrohung (59,7 %) und Kriegsangst (63,8 %), auch wenn dieser doch noch sehr häufig Verwendung fand. Weiterhin konnte bei der Verwendung historischer Bezüge zur Zeit von 1918 bis 1945 insgesamt nur ein geringer Unterschied zwischen Szenarien des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters erkannt werden (82,5 % versus 79,4 %). Die Inhaltsanalyse konnte die Ausgangshypothese quantitativ nicht bestätigen, dass sich durch die Veränderung der Erfahrungsräume durch generationellen Wechsel auch die Erwartungshorizonte – die Untergangsszenarien bundesdeutscher Demokratie – gewandelt haben. Quantitativ ließ sich lediglich im Szenario des anonymen Machtapparats eine relevante Abnahme historischer Vergleiche zum Ende des Untersuchungszeitraums feststellen. Diese könnte aber auch damit erklärt werden, dass neuartige Ängste, wie Ängste vor einer Computerüberwachung oder einer Rasterfahndung kaum historische Vergleichsebenen besaßen. In allen Szenarien dominierten zu Beginn und zum Ende des Untersuchungszeitraums historische Vergleiche zur Zeit von 1918 bis 1945. Eine kleine

102

Quantitative Analyse

Abweichung davon konnte in den Szenarien der Kriegsangst und der latenten militärischen Bedrohung festgestellt werden. Bei beiden Szenarien wurde zum Ende des Untersuchungszeitraums verhältnismäßig häufig auf die Zeit vor 1918 und nach 1945 verwiesen. Zwar konnten beim Szenario der latenten militärischen Bedrohung nur geringfügig historische Vergleiche festgestellt werden, diese bezogen sich aber ab 1970 vermehrt auf Vergleiche zur Zeit nach 1945, was dafür spricht, dass sich die Akteure auf ihre Primärerfahrung beriefen. Ein anderer Grund für den verstärkten Bezug zur Zeit nach 1945 beim Szenario der latenten Bedrohung könnte aber darin liegen, dass die geschichtlichen Erfahrungen eines gerade abgewendeten militärischen Konfliktes mit dem Verweis auf die Kuba-Krise 1962 und dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag 1968 einen bis dahin beispiellosen Bezugsrahmen bildeten. Beim Szenario eines neuen Krieges auf deutschem Boden wurde sich sowohl zu Beginn als auch zum Ende des Untersuchungszeitraums sehr häufig auf die Zeit von 1918 bis 1945 berufen, ein quantitativer Wandel zeigte sich aber im Jahr 1980, als Vergleiche zur Zeit vor 1918 gegenüber anderen Zeitbezügen sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster dominierten. Die Dominanz von Vergleichen zur Zeit der Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus, so die hier vertretene These, lässt sich nicht vollständig aus dem »Erfahrungsraum« der Zeitgenossen erklären. Vielmehr bildete diese Zeitperiode als Negativfolie verschiedenartige Beispiele, die auch verschiedenartig in der Argumentation als »Geschichte als Waffe« (Edgar Wolfrum) Verwendung finden konnten. Diese These erklärt auch, dass historische Bezüge zur Zeit vor 1918 und nach 1945 ähnliche Merkmale aufwiesen und nur bei bestimmten Szenarien in relevantem Ausmaß thematisiert wurden. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass sich beide historischen Bezüge nur für wenige Szenarien als Vergleichsperspektive anboten, während die Zeit von 1918 bis 1945 für sämtliche Szenarien als Vergleichs- und Bezugsebene dienen konnte. Ähnliches gilt für die Verwendung historischer Vergleiche bei Gegendiskursen. Hierbei wurde deutlich, dass die Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus als Vergleichs- und Bezugsrahmen sowohl für Gefahren sensibilisieren konnten als auch durch das Herausarbeiten von Unterschieden die Stabilität der bundesdeutschen Demokratie aufzeigen konnten.

3.

Das künftige Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder einen unmittelbar drohenden Krieg sichtbar machen

Im folgenden Kapitel wird mit Hilfe der »Historischen Diskursanalyse« von Achim Landwehr aufgezeigt, wie den Zeitgenossen im Untersuchungszeitraum das befürchtete Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. ein unmittelbar drohender Krieg auf deutschem Boden »sichtbar« und plausibel gemacht werden sollte.1 Als konkretes Korpus dienten hierfür die durch die »Inhaltsanalyse« identifizierten Artikel aus dem »Spiegel« und dem »Rheinischen Merkur«. Hauptaugenmerk lag hierbei auf der Sprache des Diskurses. Es werden die Höhepunkte der vier Szenarien (Massenbewegung, Führer, neuer Krieg und Machtapparat) in ihren jeweiligen linken und konservativen Ausprägungen untersucht und beispielhaft aufgezeigt, wie die Argumentation der Debattenteilnehmer aufgebaut ist. Hier gilt es aufzuzeigen, welche Anlässe und Ereignisse die jeweiligen Ängste auslösten, welche konkreten Befürchtungen artikuliert wurden und welche Äußerungen immer wieder Verwendung fanden. Außerdem wird untersucht, inwiefern sich die einzelnen Untergangsszenarien gegenseitig beeinflussten, welche Lösungsvorschläge die Debattenteilnehmer zur Abwendung des jeweiligen Untergangsszenarios aufstellten und wie die Interaktion der Debattenteilnehmer untereinander verlief. Die quantitative Inhaltsanalyse der Artikel aus dem »Spiegel« und dem »Rheinischen Merkur« hatte ergeben, dass historische Vergleiche bei der Argumentation sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster in allen Szenarien eine hohe Verwendung fanden und dass die Zeit von 1918 bis 1945 dabei den wichtigsten Bezugsrahmen bildete (siehe Kapitel 2). Wie diese historischen Vergleiche für die Argumentation dienlich gemacht wurden und ob dabei Unterschiede zwischen den einzelnen Szenarien oder zwischen beiden Wahrnehmungsmustern ersichtlich wurden, wird in diesem Kapitel aufgezeigt. Weiterhin ergab die quantitative Analyse, dass bezüglich der Anzahl historischer Vergleiche kaum Unterschiede zwischen Akteuren mit Primärerfahrung und Akteuren mit Sekundärerfahrung festgestellt werden konnten. Ob 1 Vgl. Landwehr: Diskursanalyse.

104

Das künftige Scheitern der bundesdeutschen Demokratie

sich aber in der Art des historischen Bezuges dennoch Unterschiede erkennen lassen, wird ebenfalls in diesem Kapitel hinterfragt. Durch die Untersuchung »zahlreiche[r], diachronisch angelegte[r] Aussageanalysen« anhand der Untersuchung der einzelnen Untergangszenarien sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster soll die Frage beantwortet werden, ob und wenn ja, wie sich Argumentationsmerkmale im Untersuchungszeitraum änderten.2 So soll auch geprüft werden, ob eine Veränderung der »Erfahrungsräume« (z. B. das Nichteintreten eines Untergangsszenarios) eine Veränderung der »Erwartungshorizonte« (die jeweiligen Untergangsszenarien) bedingte.3

3.1

Der Sieg einer neuen totalitären Massenbewegung

Die Inhaltsanalyse von »Spiegel« und »Rheinischem Merkur« ergab, dass Ängste vor einer Massenbewegung, die die bundesdeutsche Demokratie bedrohe, vorrangig in zwei Phasen artikuliert wurden (siehe Kapitel 2.4.2). Die erste Phase von 1966 bis 1969 beinhaltete Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem Erstarken der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor der Studentenbewegung. Die zweite Phase von 1981 bis 1983 war im konservativen Wahrnehmungsmuster geprägt von Ängsten vor der Friedensbewegung und vor einem Erstarken der Grünen. Neben den beiden Phasen existierten in diesem Wahrnehmungsmuster vereinzelt konservative Ängste vor einer Massenbewegung durch den Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF) und aufgrund neuer Formen des politischen Protestes, wie Happenings, Hausbesetzungen, Bürgerbewegungen und die Protestbewegungen. Im linken Wahrnehmungsmuster kamen vereinzelt Ängste vor einer Massenbewegung durch die Zunahme des Rechtsradikalismus ab Mitte der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre auf.

2 Landwehr : Diskursanalyse, S. 127. 3 Vgl. Koselleck: »Erfahrungsraum«, S. 358.

Der Sieg einer neuen totalitären Massenbewegung

105

3.1.1 Die Angst vor der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) als Massenbewegung Gefahren »sichtbar« machen: Beschreibungen der NPD und deren Anhängerschaft Die NPD wurde am 28. November 1964 in Hannover gegründet und sollte »als Sammlung Dutzender rechtsradikaler Organisationen« fungieren.4 Doch neben der Sammlung der verschiedenen Gruppen ehemaliger Nazis und neuer Rechtsradikaler war es ein Hauptanliegen der NPD, eine gewisse programmatische Offenheit darzustellen, um »sowohl dem bürgerlich-nationalkonservativen Spektrum als auch den fundamentaloppositionellen Strömungen, bis hin zum neo-nationalsozialistischen Spektrum« wählbar zu erscheinen.5 Deshalb war es eine Strategie der NPD, sich als nationalkonservative, demokratische und vor allem nicht extremistische oder nazistische Partei darzustellen.6 Doch genau das weckte bei vielen Bürgern der Bundesrepublik Ängste, dass die NPD verharmlost werde und durch die Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten die Macht erlange, um die Demokratie der Bundesrepublik zu zerstören. Deshalb war es eine Strategie der NPD-Gegner, die Gefährlichkeit dieser Partei aufzuzeigen und Ähnlichkeiten mit Hitlers NSDAP sowie Ähnlichkeiten mit der Verharmlosung der NSDAP in den Jahren der Weimarer Republik deutlich zu machen. So versuchte der »Spiegel« in einer Titelstory optische Ähnlichkeiten zwischen den Emblemen der NSDAP und NPD sichtbar zu machen: »Im weißen Feld auf rotem Grund, wo sich einst die schwarzen Haken kreuzten, leuchtet blau ein neuer Namenszug: NPD«.7 In einer anderen Titelstory wiederholten sich diese Aussagen, wobei die Unterschiede zwischen beiden Emblemen herausgestellt wurden: »Diese Partei hat mit der NSDAP das Dekor, weißes Rund auf rotem Grund, gemein – bis aufs Hakenkreuz, und auch die Initialen – bis auf zwei Buchstaben: SA«.8 Jedoch sind mit letzterem nicht nur die zwei Buchstaben gemeint, sondern indirekt auch die Gewaltbereitschaft und der Extremismus, den Hitlers SA symbolisierte. Hermann Schreiber fasste das Anliegen der NPD zusammen, die extremistischen Anhänger der Bewegung klein zu halten und als demokratische Partei zu erscheinen, denn »wenn es nun jenen Parteigenossen, die zwar braun sind, aber keine Narren, nicht gelingt, diesen ›unkontrollierbaren 4 Wolfrum: Demokratie, S. 235. 5 Gideon Botsch: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland. 1949 bis heute, Darmstadt 2012, S. 47. 6 Vgl. Wer Adolf will; in: Der Spiegel Nr. 49/1966 vom 28. 11. 1966, S. 33 – 41; hier: S. 37. 7 Wotans Wähler ; in: Der Spiegel Nr. 15/1966 vom 04. 04. 1966, S. 30 – 40; hier: S. 30. 8 Wer Adolf will, S. 33.

106

Das künftige Scheitern der bundesdeutschen Demokratie

Heftigen‹, wie sie im offiziellen Parteideutsch heißen, wenigstens demokratische Umgangsformen beizubringen, dann kann die NPD alle Hoffnung fahren lassen, jemals als ›nationale Opposition‹ zu Sitz und Stimme in der Bundespolitik zu kommen. Wohlverhalten ist darum das oberste Gebot. Der deutsche Mann rauft nicht!«.9 Deshalb sollten die NPD-Mitglieder ihre Worte wohl überlegen und nicht öffentlich Aussprechen, was sie denken, denn »was Deutschlands Demokraten von dieser Partei befürchten, das droht ihr in Wahrheit selber : die Gefahr von rechts; die Gefahr, ins Unkraut des Extremismus zu schießen.«10 Jedoch versuchte Hermann Schreiber diese Tarnung der NPD zu entlarven, indem er auf ein NPD-Mitglied verwies, an dessen NPD-Abzeichen versteckt noch das Abzeichen der NSDAP angebracht sei. Die Strategie der NPD schien aufzugehen, da auch im »Spiegel« konstatiert wurde, dass die »NPD-Mitläufer […] gemeinhin keine Radikalinskis [sind], die sich nach dem Marschtritt brauner Kolonnen zurücksehnen. Manche kommen aus gutem Haus, die meisten nur aus guten Stuben«.11 Dennoch wollte die NPD eine Massenbasis aufbauen und auch diese »Radikalinskis« nicht als Anhänger verlieren. Deshalb musste die NPD »sich so stramm geben, daß sie für alte Marschierer noch attraktiv ist – und zugleich so veredelt national, daß sie junge, nüchterne Wähler anzieht, bei denen braunes Pathos nicht verfängt.«12 Obwohl die NPD bei der Bundestagswahl 1965 nur 2 % der Wählerstimmen erlangen konnte und weit entfernt davon war, große Mehrheiten in Landtagen zu bekommen, wurde diese Tatsache nicht als Argument für die Ungefährlichkeit der NPD angesehen. Vielmehr wurde auf den abrupten Stimmenzuwachs der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 verwiesen, denn »1928 hatte Adolf Hitlers NSDAP auch nicht viel mehr bekommen.«13 So, konstatierte der »Spiegel«, frage sich die Weltöffentlichkeit entsetzt, ob in Deutschland jetzt die Nazis wiederkommen werden, der »Spiegel« aber kommt zu dem Schluss: »Noch kommen sie nicht.«14 Durch die unerwarteten Wahlerfolge der NPD bei den Landtagswahlen 1966 in Hessen und Bayern schien diese Aussage zweifelhaft. So stellte der »Spiegel« fest, dass sich alle Welt frage, ob die NPD der Demokratie an den Hals wolle und dass auch Bundesrepublikaner rätseln, »ob es der häßliche Deutsche ist, der aus

9 Hermann Schreiber : Hinter dem Revers das Hakenkreuz. Spiegel-Reporter Hermann Schreiber auf dem Karlsruher Parteitag der NPD; in: Der Spiegel Nr. 27/1966 vom 27. 06. 1966, S. 31. 10 Schreiber : Hinter dem Revers das Hakenkreuz. 11 Wotans Wähler, S. 34. 12 Wotans Wähler, S. 31. 13 Wotans Wähler, S. 30 und S. 40. 14 Wotans Wähler, S. 40.

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der Flasche will«.15 Als besonders gefährlich galt, dass die NPD ohne eine ernsthafte Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Bundesrepublik Deutschland durch Appelle an den deutschen Nationalstolz beachtliche Wählerstimmen gewinnen konnte. So stellte der »Spiegel« fest, dass die NPD zwar keinen Nazismus vertrete, »aber de[n] Nährboden, auf dem er schon einmal gediehen ist« und dass die NPD dadurch wie aus dem Nichts gewachsen sei »ohne charismatischen Führer ; ohne Millionendotationen, […] ohne nationale Not, die der Situation vor 1933 auch nur annähernd vergleichbar wäre. Es gibt keine Armee von Arbeitslosen, denen sie sich als Hoffnung offerieren könnte.«16 Diese Ängste wurden auch später wiederholt und mit der Befürchtung verbunden, »wie verwundbar die freiheitliche Ordnung ist, wenn Wolken einer Krise heraufziehen«.17 Damit ein Krisengefühl gar nicht erst aufkommen könne, widersprach der DGB-Vorsitzende Alfred Rosenberg düsteren Zukunftsvisionen und »wandte sich energisch gegen ›falsche Propheten, die auf Enttäuschungen und Gefühle des Unmuts spekulieren, um die Demokratie zu untergraben.‹«18 Am 17. April 1967 begann im »Spiegel« die Serie »Rechts ab zum Vaterland«, in der die Gefahr des neuen Nationalismus beschrieben wurde. So wurde auch hier die Gefahr hauptsächlich in der Verharmlosung der NPD gesehen, da die »Wölfe der NPD […] Kreide gefressen« haben und sich die Partei »heute wie eine Liga der Rechtlichkeit [darstelle], der man im Sonntagsanzug dient«.19 Den Parteitaktikern der NPD gehe es »nicht mehr darum, die Partei als neue Kraft herauszuputzen, sondern darum, glaubhaft zu machen, daß sie nicht anders sei als die übrigen Parteien«.20 Immer wieder betonte der NPD-Vorsitzende Adolf von Thadden deshalb, dass die Gefahr nicht bestehe, dass die NPD zu einer NSDAP werden könnte. Derartigen Ängsten versuchte von Thadden damit entgegenzuwirken, dass es einen Mann wie Adolf Hitler nicht mehr gebe.21 Der englische Journalist und Enkel von Sir Winston Churchill, Winston S. Churchill, konnte sich nach einem Gespräch mit Adolf von Thadden auch durch solche Aussagen »des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser Mann kein haßgetriebener österreichischer Anstreicher ist, der die Welt in Flammen setzen könnte, und

15 Wer Adolf will, S. 33. 16 Wer Adolf will, S. 34. 17 Jürgen Wahl: Leistungstest der Demokratie. Positive Bilanzen der Wahlen in Niedersachsen; in: Rheinischer Merkur Nr. 40/1968 vom 4. 10. 1968, S. 1. 18 Zit. nach: C. T. Kommer : Ein Hauch von Optimismus. Offizielle deutsche Wünsche und Prognosen zum Jahreswechsel; in: Rheinischer Merkur Nr. 1/1967 vom 6. 1. 1967, S. 2. 19 Rechts ab zum Vaterland. Spiegel-Serie von Peter Brügge über den neuen Nationalismus in Deutschland; in: Der Spiegel Nr. 17/1967 vom 17. 04. 1967, S. 72 – 93; hier : S. 80 und S. 93. 20 Rechts ab zum Vaterland vom 17. 04. 1967, S. 77. 21 Vgl. Rechts ab zum Vaterland vom 17. 04. 1967, S. 84.

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auch kein ›Nazi-Untier‹«.22 Doch vor eben solchen Verharmlosungen wurde immer wieder gewarnt. Peter Brügge warnte davor, dass auch Adolf Hitler in »Mein Kampf« versicherte, dass er die »wahre Demokratie« wolle.23 Außerdem bilanziert Peter Brügge, »obwohl der Anteil von ehemaligen Repräsentanten der NSDAP im Fußvolk nur etwa 35 Prozent« ausmache, herrsche »ein Klima vor, das weniger auf eine Partei als auf eine Bewegung schließen ließe.«24 Schon 1965 wurde im »Spiegel« herausgestellt, dass in den Führungsgremien der NPD fast ausschließlich ehemalige Nationalsozialisten seien.25 In der dritten Fortsetzung der »Spiegel«-Serie »Rechts ab zum Vaterland« versuchte Peter Brügge die Unvereinbarkeit von Nationalismus und Demokratie aufzuzeigen. Als geschichtlichen Vergleich bezog er sich hierbei auf die Reichsgründung 1871, in der der Nationalismus über die Demokratie siegte, und auf die Weimarer Republik, die »mit Hilfe des nationalen Bürgertums aller politischen Schattierungen in dem monströs-kleinbürgerlichen Nationalismus Adolf Hitlers« endete und bemerkt anschließend, dass offenbar »in der Bundesrepublik zum drittenmal die in Deutschland feindlichen Begriffe national und demokratisch aufeinander [treffen], deren vermeintliche Synthese anfangs zu den stärksten Attraktionen des Firmenzeichens der Nationaldemokratischen Partei zählte.«26 Weiterhin verwies Brügge auf den Wiener Publizisten Friedrich Torberg, der 1967 die Bundesbürger vor einer Wiederholung der Ereignisse von 1933 mit den Worten warnte: »Es gehört geradezu zu den Lieblingsbeschäftigungen der Geschichte, sich zu wiederholen«.27 Die Gefahr, dass sich die Geschichte wiederholte, wurde immer wieder mit der berühmten Aussage des Schweizer Journalisten Fritz Ren¦ Allemann »Bonn ist nicht Weimar« verneint und es wurden Unterschiede zwischen Bonn und Weimar herausgearbeitet.28 Allerdings wurde diese Aussage auch immer wieder hinterfragt. Nach den verheerenden Wahlverlusten der SPD und den Wahlerfolgen der NPD bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 1968 schrieb die »Zeit«, dass »die Uhren der deutschen Demokratie zurückgestellt worden [sind]. 22 »Mein Großvater ist für Sie ein Kriegsverbrecher.« Winston S. Churchill beim NPD-Führer Adolf von Thadden; in: Der Spiegel Nr. 3/1967 vom 9. 1. 1967, S. 37. 23 Vgl. Rechts ab zum Vaterland. Spiegel-Serie von Peter Brügge über den neuen Nationalismus in Deutschland; in: Der Spiegel Nr. 19/1967 vom 1. 5. 1967, S. 105 – 119; hier : S. 106. 24 Rechts ab zum Vaterland vom 17. 04. 1967, S. 91. 25 Vgl. Wahre Liebe; in: Der Spiegel Nr. 37/1965 vom 8. 9. 1965, S. 46 – 51; hier: S. 51. 26 Rechts ab zum Vaterland. Spiegel-Serie von Peter Brügge über den neuen Nationalismus in Deutschland; in: Der Spiegel Nr. 20/1967 vom 8. 5. 1967, S. 105 – 122; hier: S. 116. 27 Zit. nach: Rechts ab zum Vaterland vom 8. 5. 1967, S. 116. 28 Vgl. Fritz Ren¦ Allemann: Bonn ist nicht Weimar, Köln 1956. Auch Peter Brügge stellte heraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik, anders als die der Weimarer Republik, die Demokratie aufrichtig wünsche: Vgl. Rechts ab zum Vaterland. Spiegel-Serie von Peter Brügge über den neuen Nationalismus in Deutschland; in: Der Spiegel Nr. 21/1967 vom 15. 5. 1967, S. 86 – 97; hier : S. 90.

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Das so tröstlich empfundene Wort, Bonn sei nicht Weimar, gilt nicht mehr unbestritten.«29 Auch nach den brutalen Auseinandersetzungen im Bundestagswahlkampf 1969, bei denen Gegendemonstranten von NPD-Anhängern angeschossen wurden, wurde Allemanns Aussage bezweifelt, indem die Münchener »Abendzeitung« fragte, »ob ›Bonn das Los von Weimar erleiden‹ werde«.30 Eine Ähnlichkeit zwischen der NPD und der NSDAP wurde auch bei der Wählerschaft hergestellt, denn »der Boden, auf dem Adolf Hitler seine ersten großen Erfolge erzielte, scheint noch fruchtbar.«31 Der »Spiegel« stellte in einer Analyse des Wählerspektrums der NPD fest, »daß Deutschlands Rechte durchweg dort wieder emporstrebt, wo sie seit je stark gewesen ist«, nämlich dort, »[w] o einst Völkische, Deutschnationale oder Nazis triumphierten, kommt heute auch die NPD an.«32 Um die Diskrepanz zwischen Nationalismus und Demokratie zu verdeutlichen und die Aussage Adolf von Thaddens (»Wir Nationaldemokraten sind vor allem Demokraten«) als falsche Behauptung zu enttarnen, wurde im »Spiegel« auf eine Emid-Umfrage verwiesen, die ergab, dass »die Vorliebe der meisten NPD-Anhänger Anti-Demokraten gilt: Männern wie Adolf Hitler.«33 Der Bundesinnenminister Ernst Benda schätzte in einem Interview im »Spiegel« im September 1968 die Wählerschaft etwas optimistischer ein. So waren für ihn ein Drittel der NPD-Wähler alte oder neue Nazis, ein Drittel waren Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen der NPD anhingen und ein Drittel der NPD-Anhänger waren Menschen, die einem »antiquierten, romantischen Nationalismus anhängen«, womit »abgesehen von dem harten Kern der Nazis, sehr viele andere übrig [blieben], die vielleicht Wähler der CDU oder SPD oder sicher der FDP wären.«34 Die Strategie der NPD-Gegner, Ähnlichkeiten zwischen der NPD und der NSDAP aufzuzeigen, stellte für die NPD ein großes Risiko dar, Wählerstimmen zu verlieren bzw. diese gar nicht erst zu erlangen. Aus diesem Grund versuchten die Funktionäre der NPD stets diese Ähnlichkeiten zu bestreiten und gingen sogar gerichtlich gegen diese Art der Vergleiche vor. Allerdings konnte die NPD vor Gericht keine Erfolge verbuchen und musste sogar hinnehmen, dass das Landgericht Konstanz die Bezeichnung der NPD als »Sammelbecken früherer Nationalsozialisten« als rechtens erachtete und das Landgericht Hamburg er29 Zit. nach: Gedeih und Verderb; in: Der Spiegel Nr. 19/1968 vom 6. 5. 1968, S. 27 – 34; hier : S. 34. 30 Zit. nach: Weg frei; in: Der Spiegel Nr. 39/1969 vom 22. 9. 1969, S. 111 f.; hier: S. 111. 31 Wotans Wähler, S. 30. 32 Wer Adolf will, S. 39. 33 Stumme Freunde; in: Der Spiegel Nr. 27/1967 vom 26. 6. 1967, S. 34. 34 »Nach einem Verbot fängt die Arbeit erst an.« Spiegel-Gespräch mit Bundesinnenminister Ernst Benda über die NPD; in: Der Spiegel Nr. 40/1968 vom 30. 9. 1968, S. 30 – 34; hier S. 33.

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laubte, dass »zumindest die Gefahr einer Diktatur von rechts« verdeutlicht werden durfte.35 So durfte die NPD weiterhin beispielweise als »Nachgeburt der NSDAP«36 oder als misslungener Versuch einer »Harzburger Front«37 bezeichnet werden. Somit war es legitim, die NPD als Nachfolgepartei der NSDAP zu bezeichnen. Die Strategie der Gegner der NPD, Ähnlichkeiten zwischen beiden Parteien aufzuzeigen, war anscheinend erfolgreich. Neben der Strategie, die Gefährlichkeit der NPD durch Ähnlichkeiten mit der NSDAP »sichtbar« zu machen, war es eine weitere Strategie der Gegner der NPD, diese Partei als einen sich schnell ausbreitenden Virus darzustellen. So fragte die französische Tageszeitung »Le monde« nach den ersten Wahlerfolgen der NPD bei den Kommunalwahlen in Bayern am 13. März 1966, ob in Deutschland »die ersten Beulen einer neuen braunen Pest« aufgebrochen seien.38 Georg Heimbüchner empfand die Wahlkampfparolen der NPD als »die alten Methoden der Rattenfänger.«39 Ende 1967 bezeichnete Herbert Wehner ein NPD-Verbot als »legitimes Mittel, um mit der ›Seuchengefahr‹ fertig zu werden.«40 Der Kölner Professor und Publizist Ferdinand A. Hermens, der für die Einführung eines Mehrheitswahlrechts plädierte, warnte in Erinnerung an die KPD und NSDAP in der Weimarer Republik vor einem Einzug der NPD in den deutschen Bundestag, da die NPD dann »Infektionszentren« darstelle.41 Interessant ist hierbei, dass zum Aufzeigen der Gefährlichkeit der NPD biologische Metaphern verwendet wurden, die als solche auch zu den Merkmalen des Nationalsozialismus gehörten, um Gegner des Nationalsozialismus sprachlich zu diffamieren.

Strategien zur Bekämpfung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands Neben dem »Sichtbar«-Machen der Gefahren, die von der NPD für die deutsche Demokratie ausgingen, gab es weitere Lösungsvorschläge, wie man die NPD politisch bekämpfen könne. Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurden Ängste aus dem linken Wahrnehmungsmuster vor einem Erstarken der NPD auch dafür verwendet, um mit linken Ansichten ins Gericht zu gehen und 35 Zit. nach: Erste Beulen; in: Der Spiegel Nr. 53/1966 vom 26. 12. 1966, S. 25 f.; hier: S. 26. 36 Zit. nach: Nö, nö, nö; in: Der Spiegel Nr. 38/1969 vom 15. 9. 1969, S. 108 ff.; hier: S. 110. 37 Josef Nowak: Die kleine Harzburger Front. Die NPD-Krise von Niedersachsen aus gesehen; in: Rheinischer Merkur Nr. 11/1967 vom 17. 3. 1967, S. 2. 38 Zit. nach: Beule in Bayern; in: Der Spiegel 13/1966 vom 21. 3. 1966, S. 30 ff.; hier : S. 30. 39 Georg Heimbüchner : Hessische Rattenfänger-Rezepte. Knigge der Sozialdemokraten für den Umgang mit der NPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1966 vom 25. 11. 1966, S. 10. 40 Zit. nach: Aufstand in Algerien; in: Rheinischer Merkur Nr. 51/1967 von Weihnachten 1967, S. 8. 41 Ferdinand A. Hermens: Eine Schicksalsfrage der Großen Koalition. Die Vollendung der Demokratie durch die Wahlrechtsreform; in: Rheinischer Merkur Nr. 37/1968 vom 13. 9. 1968, S. 4 f.; hier: S. 4.

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gleichzeitig konservative Ansichten einzufordern. So appellierte Hans Schweizer an konservative Werte und sah die Gründe für den NPD-Erfolg darin, dass das NPD-Programm sich »in Taktik und Dialektik an das Gefühl, an das sogenannte ›gesunde Volksempfinden‹, nicht an den Verstand« richtete, weshalb er mahnte, dass sich schon in der Weimarer Republik gezeigt habe, »daß die Demokratie ihr Augenmerk nicht nur einseitig auf die materiellen Interessen ihrer Menschen richten darf.«42 Gerd Gastgens fragte nach den Wahlerfolgen der NPD in Hamburg, ob der »Spiegel« durch die Stimmungsmache gegen die Bundeswehr, gegen konservative Kräfte und gegen Vertriebene solche Bewegungen wie die NPD nicht geradezu begünstigen würde.43 Auch Heinrich Lübkes Staatssekretär Dr. Hans Berger sah das Erstarken der NPD als »die Folge der fortwährenden Abwertung unserer Tradition durch die Massenmedien und eine Schicht von Intellektuellen, die sich in der Zerstörung von Werten gefielen«.44 Eine Karikatur aus dem »Vorwärts« sah genau eine solche konservative Haltung als einen Grund für das Erstarken der NPD. Diese Karikatur zeigt viele Menschen, die an sechs verschiedenen Warteschlangen anstehen, die zusammen ein Hakenkreuz ergeben. Die Wartschlangen sind »Die Kriegsschuldlüge«, »Verantwortungslose Gewerkschaften«, »Aktion saubere Leinwand«, »Emigranten«, Intellektuelle Pfui« und eine Warteschlange, in der Bücher verbrannt werden.45 Die Bildunterschrift lautet: »Die Einzelfälle zusammen ergeben eine bekannte Figur«, wobei deutlich gemacht werden sollte, dass die NPD viele konservative Einzelthemen verbindet und deshalb solche Wahlerfolge verbuchen konnte. Hierbei lässt sich der Unterschied in der Gefahrenwahrnehmung des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters sehr gut verdeutlichen. Dieser Unterschied resultierte maßgeblich aus der jeweils spezifischen Interpretation des Nationalsozialismus. Im konservativen Wahrnehmungsmuster herrschte eine eher enge Definition des Nationalsozialismus vor, die im Wesentlichen vier Merkmale für gefährlich erachtete. Diese Merkmale waren eine Führerfigur, der Charakter einer Bewegung, die Ausübung von Gewalt und die Irrationalität des Nationalsozialismus. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde die Definition des Nationalsozialismus weiter gefasst, sodass neben den vier Merkmalen weitere konservative Eigenschaften wie beispielsweise der Nationalismus, die angebliche Spießigkeit und die Reformfeindlichkeit hinzukamen. Deshalb wurden im linken Wahrnehmungsmuster Gefahren erkannt, die vom konservativen 42 Hans Schweizer : Partei der leeren Formeln. Die NPD hält ihren ersten Bundesparteitag; in: Rheinischer Merkur Nr. 25/1966 vom 17. 6. 1966, S. 2. 43 Vgl. Gerd Gastgens: Hamburger Pantoffel-Demokratie. Wie konnte es zu dem Bodengewinn der Nationaldemokraten kommen?; in: Rheinischer Merkur Nr. 15/1966 von Ostern 1966, S. 10 f. 44 Zit. nach: Rechts ab zum Vaterland vom 8. 5. 1967, S. 122. 45 Abb. nach: Rechts ab zum Vaterland vom 15. 5. 1967, S. 97.

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Wahrnehmungsmuster nicht geteilt wurden, wodurch sich wiederum auch die Strategien zur Bekämpfung der NPD unterschieden. Der Mitherausgeber des »Rheinischen Merkurs« Otto B. Roegele sah Gründe für ein Erstarken der NPD auch durch die Forderung zum Abschluss des Atomsperrvertrages, da dieser keine deutschen Interessen vertrete und deshalb nationalen Kräften Argumente liefere, ähnlich Hitlers Propaganda nach dem Ersten Weltkrieg.46 Gegen die Übernahme nationaler Töne und die Bestrebung, dass die etablierten Parteien versuchten, die NPD rechts zu überholen, wandten sich verschiedene Professoren, da sie befürchteten, dass diese Strategie der NPD keine Wähler abspenstig machen, sondern nur deren Wählerpotenzial erhöhe würde.47 Neben der Forderung nach konservativen Werten wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster die Bildung einer Großen Koalition als Mittel zur Bekämpfung der NPD diskutiert. Anton Böhm, der Chefredakteur des »Rheinischen Merkurs«, forderte nach dem Wahlerfolg der NPD in Bayern, dass nur eine »wirklich regierende Regierung mit absolut strapazierfähiger Mehrheit und der Energie zu gründlichen Reformen« die Gründe für das Aufkommen der rechtsradikalen Bewegung, nämlich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, beheben könnte.48 Auch Franz Josef Strauß erkannte nach der Bayernwahl Parallelen zur Weimarer Republik und forderte die SPD auf, »ihre schicksalhafte Aufgabe« zu erkennen.49 »Spiegel«-Herausgeber Rudolf Augstein sah nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg im Jahr 1968 allerdings gerade die Große Koalition als einen Grund dafür, warum die NPD wachse, da es keine ernsthafte politische Opposition gäbe und die große Koalition den Eindruck vermittelt habe, dass »es kein Rezept gibt, die künstlich aus dem Ruder gestoßene Demokratie zu stabilisieren.«50 Der SPD-Vorsitzende von Schleswig-Holstein, Jochen Steffen, kritisierte, dass die »SPD nun immer die Stütze der deutschen Demokratie sein und das Vaterland retten [wollte]; jetzt hat sie bloß die CDU gerettet und die Stütze angesägt.«51 In der englischen »Times« erschien eine Karikatur, in der Brandt und Kiesinger abgebildet sind, wie sie vor einer Scheibe ihre Neugeborenen betrachten. Über einer Aufschrift »Mutterschaft« liegen viele Babys, die Ähnlichkeit mit Adolf Hitler haben und auf deren Wiege »NPD« 46 Vgl. Otto B. Roegele: Warum will Johnson kommen? Der Atomsperrvertrag soll uns schmackhaft gemacht werden; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1966 vom 25. 11. 1966, S. 1 f.; hier : S. 2. 47 Vgl. Rechts ab zum Vaterland vom 8. 5. 1967, S. 113. 48 Anton Böhm: Die Bayernwahl als Entscheidungshilfe. Neue Argumente für die große Koalition; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1966 vom 25. 11. 1966, S. 1. 49 Zit. nach: Rechts ab zum Vaterland vom 8. 5. 1967, S. 116. 50 Rudolf Augstein: Eine Wahl, und keine Wahl; in: Der Spiegel Nr. 19/1968 vom 6. 5. 1968, S. 22 f.; hier : S. 22. 51 Zit. nach: Gedeih und Verderb, S. 28.

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steht.52 Die Intention des Karikaturisten ist eindeutig: Die Große Koalition bedingte ganz entscheidend das Anwachsen der NPD, sei es aus der daraus folgenden Schwäche der parlamentarischen Opposition oder der mangelnden Unterscheidungsmöglichkeit zwischen beiden großen Volksparteien. Die sicherste Strategie zur Bekämpfung der NPD wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster durch die Einführung eines Mehrheitswahlrechts gesehen. So sah Siegmar Schelling durch den Einzug der NPD in die hessischen und bayerischen Landtage »zwar noch keinen Anlaß zu Weltuntergangsstimmung«, empfand die Landtagseinzüge aber als ein »ernst zu nehmendes Symptom für diese gefährliche, nahezu automatische Entwicklung.«53 Durch ein mehrheitsbildendes Wahlrecht seien die Wähler der NPD gezwungen, die Repräsentanten der gemäßigten Parteien zu wählen, wenn ihre Stimme Gewicht haben soll, weshalb radikale Parteien auf die Kandidatur eigener Kandidaten verzichten würden. Günther Willms erinnerte daran, dass mit einem Mehrheitswahlrecht »selbst noch im Jahre 1932, dem Jahr der Entscheidung«, eine mehrheitsfähige Regierung demokratischer Parteien zustande gekommen wäre, mit deren Hilfe das Unheil hätte verhindert werden können.54 Optimistisch bekannte er aber weiter, dass »in Wahrheit […] noch nichts verloren und noch alles zu gewinnen« sei, denn durch die Mehrheitsverhältnisse der Großen Koalition sei es eine »Sternstunde«, in der sich die Menschen der Bundesrepublik befänden.55 Kritikern der Wahlrechtsreform, die diese als Manipulation einschätzten, entgegnete Anton Böhm, dass jedes Gesetz letztlich eine Manipulation sei und es legitim sei, für »die Demokratie gefährliche Elemente von der Macht auszuschließen.«56 Eine weitere Möglichkeit der Bekämpfung der NPD, die nach dem Scheitern der Wahlrechtsreform 1968 verstärkt diskutiert wurde, war die Erwägung eines Verbotsantrags. Allerdings gab es auch für diesen Vorschlag sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster kritische Stimmen. In dem bereits erwähnten Interview mit dem »Spiegel« kritisierte Innenminister Ernst Benda ein Verbot und hinterfragte, ob »damit die Gefahren für die Demokratie, die man jetzt durch die NPD heraufbeschworen sieht, schon beseitigt« wären, wenn die nationalistischen Wähler mangels Alternative die etablierten Parteien 52 Abb. nach: Golo Mann: »Das Kaninchen baut die Schlange auf.« Historiker Golo Mann über die Nationaldemokratische Partei; in: Der Spiegel Nr. 21/1968 vom 20. 5. 1968, S. 38 f.; hier : S. 38. 53 Siegmar Schelling: Plaidoyer für ein neues Wahlrecht. Bessere Alternativen zum gegenwärtigen System; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1966 vom 25. 11. 1966, S. 4. 54 Günther Willms: Sternstunde der Demokratie. Das Mehrheitswahlrecht sichert den Bestand der freiheitlichen Ordnung; in: Rheinischer Merkur Nr. 49/1966 vom 2. 12. 1966, S. 3. 55 Willms: Sternstunde der Demokratie. 56 Anton Böhm: Wohin mit der NPD?; in: Rheinische Merkur Nr. 29/1968 vom 19. 7. 1968, S. 1 f.; hier : S. 1.

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wählen würden.57 Der »Spiegel« stellte fest, dass ein gescheiterter Verbotsantrag der NPD nutzen würde und dass Adolf von Thadden deshalb den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger »brieflich gebeten hat, die Legitimität der NPD gerichtlich feststellen zu lassen – sozusagen die letzte Entnazifizierung.«58 Paul Wilhelm Wenger, Mitbegründer des »Rheinischen Merkurs«, kritisierte, dass sich die SPD auf dem Parteitag im März 1968 gegen die Einführung eines Mehrheitswahlrechts entschieden habe und nun für ein Verbot der NPD eintrete. Da die Beweislage für einen Verbotsantrag nicht eindeutig sei, »wäre das Operieren mit einem fragwürdigen Verbotsantrag der Übergang in die Stickluft einer Quarantäne-Demokratie, die bei den für die NPD anfälligen Wählern nur den Verdacht erzeugen würde, man gehe den bequemen Verbotsweg nur deshalb, um ungestört weiterwursteln zu können.«59 Wenger äußert hier die Befürchtung, dass das Vertrauen in die Demokratie bei der Anhängerschaft der NPD weiter verloren werden könnte und dass sich dadurch die Wählerschaft der NPD stärker von der demokratischen Staatsform entferne. Als weitere Strategie zur Bekämpfung der NPD schlug der Historiker Golo Mann vor, die NPD in Baden-Württemberg an der Regierung zu beteiligen. Die NPD habe zwei Hände und Gesichter, eine mit Samthandschuhen und eine mit Krallen, wobei die NPD klug genug sei, »um meistens mit der Samthand zu grüßen.«60 Deshalb sei ein Verbot nach den Wahlerfolgen der NPD schwieriger als davor, eine Dämonisierung der NPD ohne Verbot nützte aber nur der NPD. Eine Regierungsbeteiligung der NPD in Baden-Württemberg habe den Vorteil, dass die NPD zeigen müsse, ob sie demokratisch oder undemokratisch sei oder andererseits offenbare, dass ihre Handlungsmöglichkeiten so beschränkt seien wie die der anderen Parteien, von denen sie sich abgrenzen wolle. Durch letzteres könnten sich ihre Wähler enttäuscht von der NPD abwenden. Anton Böhm widersprach dem Vorschlag Golo Manns, die NPD an den Landesregierungen zu beteiligen, denn dieser Vorschlag sei »nicht praktikabel, denn es würde überall als erster Schritt zur Machteroberung gedeutet werden.«61 Stattdessen forderte Böhm, dass die politische Auseinandersetzung von allen Bundestagsparteien ernstgenommen werde und dass die Scheinargumente und Parolen der NPD zu entlarven seien. Eine weitere Strategie zur Bekämpfung der NPD wurde darin gesehen, den Artikel 18 des Grundgesetzes strikt anzuwenden. Dieser Artikel besagt, dass jeder die Grundrechte verwirkt, der sie zum Kampfe gegen die freiheitliche 57 »Nach einem Verbot fängt die Arbeit erst an«, S. 32. 58 »Nach einem Verbot fängt die Arbeit erst an«, S. 34. 59 Paul Wilhelm Wenger: Verbot der NPD?; in: Rheinischer Merkur Nr. 39/1968 vom 27. 9. 1968, S. 1 f.; hier : S. 2. 60 Vgl. Mann: Kaninchen, S. 38. 61 Böhm: Wohin mit der NPD, S. 2.

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demokratische Grundordnung missbraucht. Jürgen Wahl forderte deshalb, da »diese scharfe Waffe […] praktisch noch nie eingesetzt« wurde, die konsequente Anwendung des Artikel 18 des Grundgesetzes für »einzelne Brunnenvergifter«.62 Somit sollte kein zweifelhaftes Parteiverbotsverfahren angewandt werden, sondern einzelne Funktionäre oder Anhänger der NPD sollten bestraft werden, die gegen die freiheitliche Grundordnung kämpfen würden. Oft wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster die Anwendung des Artikels 18 des Grundgesetzes später auch für sogenannte Verfassungsfeinde gefordert, die die Demokratie durch Unterwanderung der Institutionen zerstören wollten, oder für Teilnehmer gewaltsamer Demonstrationen.

Drohungen mit der Angst vor der NPD Die Angst vor einem Erstarken der NPD zu einer Massenbewegung war in den Jahren 1966 bis 1969 so präsent, dass es auch vorkam, dass Sympathiebekundungen für die NPD bzw. die Möglichkeit des Erstarkens der NPD sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster als eine Art Drohung dafür benutzt wurden, um eigene Interessen durchzusetzen. So sah der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau und Industrie, Walter Arendt, im Juni 1966 die »augenblickliche Situation im Kohlebergbau [als] eine Gefahr für die demokratische Entwicklung«, da sich extremistische Elemente die Situation zunutze machen könnten und deshalb mit einem Erstarken von Kommunisten oder von der NPD zu rechnen sei.63 Auch Anfang 1968 drohten viele Bergmänner noch damit, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl die NPD wählen würden und dass sie sich außerdem mit radikaleren Formen Gehör verschaffen würden, denn »was der Teufel in Berlin kann, das können wir schon lange.«64 Edmund Rehwinkel, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, zeigte sich angesichts von möglichen Subventionsstreichungen für die Landwirtschaft enttäuscht und fragte, was schon dabei sei, »wenn ein paar hunderttausend Bauern mal NPD wählen?«65 Sein Sohn, Hans-Jürgen Rehwinkel, erhoffte sich »von der NPD eine ›diktatorische Demokratie‹ oder ›demokratische Diktatur‹, in der beispielsweise Taximörder enthauptet und Sittenstrolche entmannt wer62 Jürgen Wahl: Politisch kämpfen statt klagen. Kann die NPD in Karlsruhe besiegt werden?; in: Rheinischer Merkur Nr. 51/1968 vom 20. 12. 1968, S. 1. 63 An der Ruhr genügt ein Funke. Spiegel-Interview mit dem Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, Walter Arendt, über die Kohlekrise; in: Der Spiegel Nr. 26/ 1966 vom 20. 6. 1966, S. 32 f.; hier: S. 32. 64 Zit. nach: Abends duster ; in: Der Spiegel Nr. 3/1968 vom 15. 1. 1968, S. 28 – 31; hier : S. 30. 65 »Ein paar hunderttausend Bauern wählen NPD.« Spiegel-Gespräch mit dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, Edmund Rehwinkel; in: Der Spiegel Nr. 8/1967 vom 13. 2. 1967, S. 27 – 35; hier : S. 28.

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den.«66 Diese Art der Drohung stieß sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster auf Unverständnis. Theo M. Loch kritisierte die Überlegungen der Bauern, NPD zu wählen, um den etablierten Parteien einen Denkzettel zu verpassen, obwohl diese wüssten, dass die NPD deren Stimmen nicht verdient habe, als »die Überlegung eines trotzigen Kindes, das meint, es geschehe seiner Mutter recht, wenn ihm selbst die Hände erfrieren.«67 Aber auch in anderen Bereichen wurde mit der Angst vor der NPD gedroht. Der Generalvikar der Erzdiözese Freiburg, Ernst Föhr, wies »nach dem Vorbild des Bauernführers Rehwinkel halb besorgt, halb drohend darauf hin, daß die Gläubigen – nach Abschaffung der Konfessionsschule – als ›einzige Möglichkeit des Protestes‹ für die rechtsradikale NPD stimmen könnten.«68 Der Bundestagsabgeordnete Ernst Majonica (CDU) warnte im Jahr 1967 davor, dass eine vorbehaltslose Anerkennung der »Zone« nach dem Vertragsentwurf von Willi Stoph »sicherlich die Geburtsstunde eines starken deutschen Rechtsradikalismus« wäre.69 Auch hierbei zeigte sich die spezifische Interpretation des Nationalsozialismus. Die weitere Definition des Nationalsozialismus wurde dafür eingesetzt, eigene Forderungen durchzusetzen. So wurde impliziert, dass der Nationalsozialismus die Unzufriedenen aufgenommen hätte, weshalb mit der aktuellen Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsteile gedroht wurde. Auffällig ist außerdem, dass die Drohungen mehrheitlich von Akteuren kamen, die eher dem konservativen Wahrnehmungsmuster zuzuordnen waren, die sich für ihr spezielles Anliegen aber die weitere Nationalsozialismus-Definition aneigneten, um die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters zu provozieren. Zusammenhänge mit anderen Bedrohungsszenarien Die Angst vor einer neuen Massenbewegung der Rechten war im linken Wahrnehmungsmuster in den Jahren von 1966 bis 1969 stark ausgeprägt und wurde oft artikuliert. Allerdings stand diese Angst nicht immer isoliert für sich, sondern wurde auch mit anderen Ängsten in Zusammenhang gebracht. Oft wurde die Angst vor der NPD im linken Wahrnehmungsmuster mit der Angst vor einem neuen Führer verbunden, besonders mit der Angst vor Franz Josef Strauß. So wollte Peter Brügge aufzeigen, wie schon weit vor den ersten Wahlerfolgen der NPD der »Machtmensch Franz-Josef Strauß bereits dabei [war], ganz andere 66 67 68 69

Zit. nach: Im Getto; in: Der Spiegel Nr. 8/1967 vom 13. 2. 1967, S. 22 – 26; hier : S. 22. Theo M. Loch: Denkzettel; in: Rheinischer Merkur Nr. 13/1967 vom 31. 3. 1967, S. 3. Des Bischofs General; in: Der Spiegel Nr. 22/1967 vom 22. 5. 1967, S. 60 ff.; hier : S. 60. Ernst Majonica: Geduldsprobe in Moskau. Die Sowjets weichen nicht von der harten Linie ab – Kreml stellt sich hinter den Stoph-Brief; in: Rheinischer Merkur Nr. 39/1967 vom 29. 9. 1967, S. 3.

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nationalistische Emotionen in der bayerischen Masse aufzustacheln.«70 Das Erstarken der NPD in den Jahren 1966 bis 1967 wurde auch aus dem Wunsch vieler Bürger nach Autorität und einem starken Mann begründet, der ohne Nebensächlichkeiten regiere.71 Professor Peter Brückner sah die NPD-Erfolge und den zunehmenden Rechtsradikalismus unter Jugendlichen auch dadurch begründet, dass »viele Angehörige der sozialen Unterschicht hoffen […], an der Macht eines Diktators zu partizipieren«.72 Weiterhin wurde das Erstarken der NPD auch durch die Ängste begründet, die die Studentenbewegung durch deren »linken Faschismus« wecke.73 Einerseits biete die NPD sich dem durch studentische Ausschreitungen verängstigten Bürger nämlich als »Hüterin der Ordnung« an, andererseits würden Anarchisten und Marxisten vor einem Erstarken der NPD warnen.74 Somit sei die Situation mit der der 1930er Jahre vergleichbar, »als sich die Außenseiter brauner und roter Couleur ebenfalls in der Absage an die bestehende staatliche und gesellschaftliche Ordnung zusammenrotteten«, allerdings brauche die Parallele noch nicht zu dem gleichen Ergebnis zu führen.75 Auch Siegmar Schelling sah 1969 die »alte antidemokratische Koalition der Weimarer Republik« wieder aufstehen, in der man sich »einander in perfekter Regie das Geschäft« besorge.76 Beiden Seiten unterstellte er letztendlich die gleichen Intentionen, auch wenn sie »pro forma noch heftig aufeinander schimpfen«.77 Jürgen Wahl wollte ebenfalls daran erinnern, dass »KPD und NSDAP vor 1933 die Republik – mit je verschiedenen Methoden, de facto aber verbündet – zu Tode brachten.«78 Bei dieser Argumentation zeigt sich die Interpretation, dass die Weimarer Republik durch den Flügelkampf zwischen linken und rechten Extremen zerrieben worden sei. Rudolf Augstein wollte zwar nicht die Linken und die NPD als gemeinsame Feinde der bundesdeutschen Demokratie ansehen, sah aber auch einen Zusammenhang zwischen Ausschreitungen der Studentenbewegung und dem Erstarken der NPD. Durch die Angst aller Parteien vor Axel Springer hielten die Studenten den Bundestag für »einen Schein-Souverän«, da die »studentische Unzufriedenheit wächst, wird die NPD stärker, und so fort in einem endlosen 70 71 72 73 74 75 76 77 78

Rechts ab zum Vaterland vom 8. 5. 1967, S. 106. Vgl. Rechts ab zum Vaterland vom 15. 5. 1967, S. 89. Zit. nach: So wie Vati; in: Der Spiegel Nr. 50/1969 vom 8. 12. 1969, S. 73 – 78; hier : S. 76. Wenger : Verbot der NPD?, S. 2. Franz-Josef Neuß: Eine unheilige Allianz. Rechts und links fordern die Demokratie heraus; in: Rheinischer Merkur Nr. 5/1968 vom 2. 2. 1968, S. 2. Neuß: Eine unheilige Allianz. Siegmar Schelling: NPD-Scheingefecht in Demokratie. Markige Worte regierten beim Parteitag; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1969 vom 28. 2. 1969, S. 3. Schelling: NPD-Scheingefecht in Demokratie. Jürgen Wahl: Aufwindmaschine stoppen. Linksextreme sind keine Verbündeten gegen die NPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 33/1969 vom 15. 8. 1969, S. 2.

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Zirkelschluß.«79 Rudolf Augstein zeigte eine andere Interpretation des Scheiterns der Weimarer Republik. Nicht die Flügelkämpfe der Extremen hätten die Weimarer Republik zerstört, sondern der Wunsch vieler Bürger nach Ruhe und Ordnung, den sie durch die NSDAP erfüllt geglaubt und deshalb dieser Partei ihre Stimme gegeben hätten. Des Weiteren spielte die Angst vor einer neuen Massenbewegung im konservativen Wahrnehmungsmuster auch mit der Kriegsangst zusammen. Paul Wilhelm Wenger befürchtete, dass ein Erstarken der NPD von der sowjetischen Führung dafür benutzt werde, eine für den Bestand der westdeutschen Demokratie gefährliche Situation zu erkennen. In dieser Situation werde die Sowjetunion die »Anti-Hitler-Koalition« beschwören und die Westmächte dazu auffordern, »zur gemeinsamen Kontrolle Deutschlands mit Hilfe des Potsdamer Abkommens zurückzukehren«.80 Außerdem werde die Sowjetunion auch »nicht vor der direkten Intervention zurückschrecken«.81 Wandel des Diskurses: Eine Gefahr für die Demokratie durch die NPD wird vermehrt verneint Die Angst vor einem Erstarken der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands zu einer Massenbewegung, die die bundesdeutsche Demokratie zerstören könnte, wurde vorrangig im linken Wahrnehmungsmuster artikuliert und bis zu den Wahlerfolgen der NPD in Bayern im November 1966 im konservativen Wahrnehmungsmuster nur selten ernst genommen. So kritisierte Josef Postbauer im Januar 1965 noch, dass die SPD die Gefahr von rechts so darstelle, als sei die Bundesrepublik akut von rechts bedroht, während die Gefahr von links bagatellisiert werde.82 Zwar waren auch im linken Wahrnehmungsmuster Ängste vor der NPD vorhanden, die Gefahr wurde aber nicht immer als akut erachtet. Rudolf Augstein hielt im Mai 1966 die Existenz der NPD für ungefährlich, wenn diese drei bis vier Prozent Wählerschaft erhielte.83 Er zeigte sich sogar verwundert, dass eine solche Partei nicht schon eher existierte und konnte der Existenz der NPD sogar etwas Gutes abgewinnen, da dadurch »dieses Gedankengut« keinen Eingang in die anderen Parteien finde. 79 Augstein: Eine Wahl, S. 23. 80 Paul Wilhelm Wenger: Drohnote aus Moskau. Es geht dem Kreml um die moralische Isolierung der Bundesrepublik; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1967 vom 15. 12. 1967, S. 1. 81 Wenger : Drohnote aus Moskau. 82 Vgl. Josef Postbauer : Der Teufel an der Wand. Gefahr des Rechtsradikalismus darf nicht übertrieben werden; in: Rheinischer Merkur Nr. 2/1965 vom 8. 1. 1965, S. 2. 83 Vgl. Rudolf Augstein: Deutschland – zum Bösen geneigt von Jugend auf ? Vortrag von Rudolf Augstein mit anschließender Podiumsdiskussion auf Einladung der »Studentischen Arbeitsgemeinschaften beider Hochschulen Zürich« zum 4. Mai 1966 in der Eidgenössischen Technischen Hochschule; in: Der Spiegel Nr. 25/1966 vom 13. 6. 1966, S. 62 – 80; hier : S. 75.

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Nach dem überraschenden Einzug der NPD in den bayerischen Landtag kamen die Ängste vor der NPD im linken Wahrnehmungsmuster sehr häufig auf und wurden auch im konservativen Wahrnehmungsmuster in geringerem Maße geteilt, wenn auch eine akute Gefahr weiterhin oft bezweifelt wurde. So wollte Otto Berdrow die Wahlerfolge der NPD in Hessen und Bayern zwar nicht herunterspielen, sah darin aber »noch kein Anzeichen für die Zustimmung der Deutschen zum Nazismus.«84 Für Siegmar Schelling fehlten der NPD vier wesentliche Merkmale, damit »die NPD in kurzer Frist eine neue Nationalsozialistische Deutsche Partei werde.«85 So habe sie keinen Hitler, ihr fehle sowohl der »jüdische Sündenbock« als auch eine klare Aussage und glücklicherweise existiere keine wirtschaftliche Krise ähnlich die der 1930er Jahre. Hans Schweizer sah in Struktur und Programm der NPD »zwar kein[en] Grund zur Panik, aber zur Wachsamkeit.«86 Den »Spiegel« erinnerte diese Art der Argumentation »an die Argumentation eines Kapitäns […], der seine Passagiere in Ruhe in die Boote bringen will, weil das Schiff untergeht.«87 Dennoch war man sich auch im konservativen Wahrnehmungsmuster der Tatsache bewusst, dass die NPD durch ihre Strategie der Abgrenzung von der NSDAP nationalkonservative Wähler gewinnen konnte. Aus diesem Grund wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster Lösungsmöglichkeiten diskutiert, mit denen man Stimmengewinne der NPD verhindern bzw. einschränken könnte. Während der Zeit der Großen Koalition wandelte sich im konservativen Wahrnehmungsmuster allmählich die Auseinandersetzung mit der NPD, sodass eine akute Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie auch immer mehr bezweifelt wurde und die Auffassungen zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster immer mehr auseinander gingen. Ein Grund für das Auseinandergehen der Gefahrenwahrnehmung beider Wahrnehmungsmuster liegt auch in den unterschiedlichen Definitionen des Nationalsozialismus. Da das Bild des Nationalsozialismus im konservativen Wahrnehmungsmuster enger begrenzt war, schien eine Gefährdung geringer, sobald eines der vier Definitionsmerkmale des Nationalsozialismus nicht mehr zutraf. Vor allem durch den innerparteilichen Machtkampf in der NPD zwischen Adolf von Thadden und Fritz Thielen im März 1967 habe sich, so Theo M. Loch, die NPD »schneller demaskiert, als wir alle hoffen konnten. Ihre treudeutsche Fassade brach zusammen.«88 Somit schien im konservativen Wahrnehmungsmuster die 84 Otto Berdrow : Politisches Journal; in: Rheinischer Merkur Nr. 1/1967 vom 6. 1. 1967, S. 8. 85 Siegmar Schelling: Das Schlagwort hoch…Die Reihen fest geschlossen? – Versuch einer Analyse der NPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 49/1966 vom 2. 12. 1966, S. 10 f.; hier : S. 11. 86 Hans Schweizer : Die NPD formiert sich. Der Partei-Apparat ist leistungsfähig – Spendenfreudige Mitglieder ; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/1967 vom 27. 1. 1967, S. 2. 87 Wer Adolf will, S. 33. 88 Loch: Denkzettel.

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Anziehungskraft von Adolf von Thadden als neuen Führer bedeutend abgenommen zu haben. Dasselbe galt für die Anziehungskraft der NPD. Theo M. Loch fragte deshalb weiterhin, »welcher politisch erwachsene Wähler« noch die NPD wählen werde.89 Fortan wandelte sich im konservativen Wahrnehmungsmuster sukzessive die Wahrnehmung der NPD, von der nun weniger Gefahren für den Bestand der bundesdeutschen Demokratie befürchtet wurden. Eine Karikatur aus den »Stuttgarter Nachrichten« verdeutlicht die Diskrepanz zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster, da zwei Spaziergänger, jeweils von CDU und FDP, wachsende Hakenkreuzpflanzen lediglich als »kleines Blümelein« wahrnehmen.90 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde aber mit anderweitigen Nachteilen gerechnet, wenn es nicht gelinge, die Stimmengewinne der NPD gering zu halten. So befürchtete Anton Böhm, dass ein Einzug der NPD in den deutschen Bundestag dem Kreml einen Vorwand liefere, in der Bundesrepublik die Machtergreifung eines neuen Hitlers an die Wand zu malen.91 Auch der Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger bemerkte in einem »Spiegel«-Interview, dass es keine Wiedergeburt des Nationalsozialismus gäbe, sondern dass die Gefahr der NPD in dem Ansehensverlust der Bundesrepublik im Ausland liege.92 Diese Befürchtung war nicht unbegründet, da das Ausland zum Teil sehr entsetzt auf die Stimmengewinne der NPD reagierte. Der »Spiegel« fasste die Ängste des Auslandes bereits nach der Bayernwahl 1966 wie folgt zusammen: »›Grausige Assoziationen‹ überfielen ›Dagens Nyheter‹ in Stockholm. Ein ›alarmierendes Symptom‹ entdeckte die ›Prawda‹ in Moskau […]. Und der Pariser ›Monde‹ fragte, ob die ›ersten Beulen einer neuen braunen Pest‹ aufgebrochen seien.«93 Auch in den USA wurde »in sehr ernsten Worten vor der offensichtlichen ›Wiedergeburt des Hitler-Geistes‹« gewarnt und gefragt, »ob es nicht an der Zeit sei, zum Boykott deutscher Waren in den Vereinigten Staaten aufzurufen.«94 Auch die blutigen Auseinandersetzungen im Bundestagswahlkampf 1969 riefen im Ausland ungute Erinnerungen hervor, sodass die Schweizer »Weltwoche« von »SA-Methoden klassischen Stils« sprach.95 Allerdings gab es auch im Aus89 Loch: Denkzettel. 90 Abb. nach: »Nach einem Verbot fängt die Arbeit erst an«, S. 32 f. 91 Vgl. Böhm: Wohin mit der NPD, S. 1. Ähnliche Aussagen dieser Art wurden auch schon vorher artikuliert: Vgl. Paul Wilhelm Wenger : Manescu als mutiger Vorreiter. Die Ostpolitik ist in Bewegung gekommen; in: Rheinischer Merkur Nr. 5/1967 vom 3. 2. 1967, S. 1. 92 Vgl. »Statt dass man mir ein Kränzchen flicht…« Spiegel-Gespräch mit dem Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU); in: Der Spiegel Nr. 37/1969 vom 8. 9. 1969, S. 28 – 32; hier : S. 32. 93 Wotans Wähler, S. 30. 94 Hans Steinitz: So sehen uns die anderen (7. Teil). Washington: Extreme Urteile; in: Rheinischer Merkur Nr. 10/1967 vom 10. 3. 1967, S. 4. 95 Zit. nach: »Wir sind keine Wach- und Schießgesellschaft.« Spiegel-Interview mit dem

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land Stimmen, die eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch Stimmengewinne der NPD bestritten. Walter Draheim berichtete im Jahr 1971 von einem Artikel von Bernhard Levin aus der Londoner »Times«, in dem konstatiert wurde, dass »die nationalistische NPD zu keiner Zeit eine Gefahr für die deutsche Demokratie darstellte, ungeachtet des Geschreis, das die versammelte Linke seinerzeit erhob.«96 Das Fazit des »Times«-Artikels lautete, dass sich »die westdeutsche Demokratie […] als eine der stabilsten und sichersten in den größeren Staaten Europas erwiesen« habe.97 Der Vergleich zu sich schnell ausbreitenden Viren wurde auch dazu benutzt, um Gefahren für die bundesdeutsche Demokratie durch die NPD zu verneinen. Erich Pflug verwies im April 1969 darauf, dass rechtsextremistische und antisemitische Ausschreitungen zurückgegangen seien und kam zu dem Resultat, dass »der NS-Ungeist in der Bundesrepublik keine chronische Massenerkrankung darstellt im Sinne einer ›Bewegung‹ und daß auch die Terraingewinne der Rechtsextremen nicht auf eine breite Resonanz dieser Partei im Volk hindeuten«.98 Dennoch würden »Walter Ulbricht und alle Nachschreier« wohl weiterhin versuchen, in der Bundesrepublik eine nationalsozialistische Machtergreifung zu propagieren. Auch der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl, schätzte die Gefahr von rechts im Jahr 1969 als nicht besonders groß ein. Der SPD-Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Jakob Fuchs, sah in den Stimmenverlusten der NPD bei den Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz 1969 allerdings keinen Grund zur Beruhigung, da die Stimmenverluste der NPD gegenüber der Landtagswahl 1967 nur gering seien und der Wahlerfolg 1967 mit der Rezession erklärbar gewesen sei. Deshalb sei das »Abschneiden [der NPD] heute, in einer krisenlosen Zeit, um so erschreckender.«99 Im Bundestagswahlkampf 1969 wurde von der Union vereinzelt sogar bestritten, dass die NPD eine neonazistische Partei sei. So äußerten sich sowohl Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel als auch Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger diesbezüglich, weshalb der »Spiegel« feststellte, dass die Unionsparteien nichts dabei finden würden, »Thaddens NPD noch vor der Bundestagswahl

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Frankfurter Polizeipräsidenten Dr. Gerhard Littmann; in: Der Spiegel Nr. 33/1969 vom 11. 8. 1969, S. 32 f.; hier : S. 32. Zit. nach: Walter Draheim: Keine Angst vor der NPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 15/1971 von Ostern 1971, S. 8. Zit. nach: Draheim: Keine Angst vor der NPD. Auch 1967 gab es schon ausländische Stimmen, die sich gegen eine Pauschalisierung des deutschen Volkes wegen einer kleinen rechtsradikalen Minderheit aussprachen: Vgl. Berdrow : Politisches Journal vom 6. 1. 1967. Erich Pflug: »Die Fahne hoch« – 1968. Rechtsextreme Ausschreitungen im Abflauen; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1969 vom 18. 4. 1969, S. 12. Rheinland-Pfalz. Großer Tag; in: Der Spiegel Nr. 25/1969 vom 16. 6. 1969, S. 65.

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das demokratische Gütesiegel zu verleihen.«100 Der »Spiegel« bewertete dieses Vorgehen als eine Art des Wahlkampfs, um durch die Verwischung der Grenzen zwischen Union und NPD deren Wähler zu gewinnen. Die Union habe »genügend Gründe, sich bei jenem rechten Wählerreservoir anzubiedern, das sich schon 1933 nicht an Hitlers prügelnder SA störte und das bei einem größeren wirtschaftlichen Einbruch jederzeit wieder mobil werden könnte.«101 Gemeint sind hierbei vor allem nationalkonservative Kreise, die sich zu Zeiten der Weimarer Republik wirtschaftliche Gewinne von einer Regierungsbeteiligung der NSDAP versprachen. In dieser Argumentation zeigte sich die Interpretation des Scheiterns der Weimarer Republik, dass nationalkonservative Kreise die Gefahr der NSDAP zugunsten wirtschaftlicher Absichten ignorierten und maßgeblichen Einfluss an der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hatten. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde eine nazistische Einstellung der NPD zu keinem Zeitpunkt bestritten, obwohl Adolf von Thadden im Wahlkampf immer wieder versicherte, dass er für den Bestand der bundesdeutschen Demokratie kämpfe.102 Doch von Thadden demaskiere sich gelegentlich und wenn der Alkohol bei einigen NPD-Anhängern die Hemmungen gelöst habe, werde nach Versammlungsschluss der »Volksmund-Faschismus« offensichtlich: »Da zeigt man sich dann auch schon einmal verstohlen Hakenkreuzembleme und Hitlerbilder, knöpft das Hemd auf, hebt den Arm, um SS-Zugehörigkeit zu beweisen.«103

Die Angst vor einer rechten Massenbewegung nach 1969 Nachdem die NPD bei der Bundestagswahl 1969 den Einzug in den deutschen Bundestag aufgrund der 5 %-Hürde verfehlte, nahmen die Ängste vor einer neuen rechten Massenbewegung auch im linken Wahrnehmungsmuster massiv ab. Trotzdem warnte der hannoversche PH-Psychologe Professor Dr. Walter Jaide nach einer Meinungsumfrage unter Jugendlichen davor, dass in der Jugend verstärkt rechtsradikale Gedanken vorhanden seien und dass Deutschlands Rechte Potenzial habe, weshalb »mit der Niederlage der NPD, […] die Sache nicht ausgestanden« sei.104 Dennoch waren Ängste vor einer neuen rechten Massenbewegung im Untersuchungszeitraum nie wieder so präsent wie in der Zeit von 1966 bis 1969. Im 100 Auf der Schaukel; in: Der Spiegel Nr. 32/1969 vom 4. 8. 1969, S. 21 ff.; hier : S. 21. 101 Auf der Schaukel, S. 22. 102 Vgl. Kai Hermann: »Ach, die Dame ist ein Herr.« Spiegel-Reporter Kai Hermann mit Adolf von Thadden auf Wahlreise; in: Der Spiegel Nr. 38/1969 vom 15. 9. 1969, S. 111 f.; hier : S. 111. 103 Hermann: »Ach, die Dame ist ein Herr.«, S. 111 und S. 112 104 Zit. nach: So wie Vati, S. 76.

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Jahr 1972 stellte Elimar Schubbe fest, dass es keine Gefahr von rechts mehr gäbe, ließ die Frage aber offen, ob rechtsradikale Gruppen jemals eine ernste Gefahr darstellten, Schubbe konstatiert stattdessen: »die relativen Wahlerfolge der NPD […] ließen es zumindest als möglich erscheinen, daß eine kleine rechtsradikale Partei auf längere Sicht in unseren Parlamenten ihre rhetorischen Propagandaübungen veranstalten könnte.«105 Dennoch fanden sich im linken Wahrnehmungsmuster auch nach 1969 vereinzelt Ängste vor einer rechten Massenbewegung. So warnte der schleswigholsteinische SPD-Vorsitzende Jochen Steffen im Jahr 1971 vor der rechtsradikalen Organisation »Aktion Widerstand« und ließ sich auch nicht von deren geringer Größe beruhigen, weshalb er erinnerte, dass »die NSDAP auch mal mit sieben Leuten angefangen hat.«106 Im Jahr 1975 stellte der »Spiegel« fest, dass sich eine »Neue Rechte« (NR) als Bewegung formiert habe, weshalb sogar die christdemokratische Regierung in Mainz vor einem Aufkommen des Rechtsradikalismus unter Jugendlichen warne.107 Besonders auffällig sei die »Neue Rechte«, weil sie sich optisch sehr von bisherigen rechtsradikalen Gruppierungen unterscheide und ihr Erscheinungsbild »nur selten Ähnlichkeit mit dem der Nazis von vorgestern oder der Nationaldemokraten von gestern auf[weise]«. Stattdessen kleideten sich ihre Anhänger wie Linksradikale und bevorzugten lange Haare und Jeans. Außerdem würde faschistoide Ideologie vermieden und versucht, an die Sprache der Linken anzuknüpfen. Als Grund hierfür sah der Journalist und Zeithistoriker Günter Bartsch, dass die Ideologen der »Neuen Rechten« verstanden haben, dass der historische Nationalsozialismus ein »morscher Ast« sei, auf den sich »niemand mehr ohne Lebensgefahr setzen« könne.108 Der neue Rechtsradikalismus ab Mitte der 1970er Jahre war davon geprägt, dass er zunehmend gewalttätiger wurde, weshalb ihm in der Bevölkerung der Rückhalt fehlte, um zu einer Massenbewegung anzuwachsen. Von daher wurde der Rechtsradikalismus zwar als gefährlich erachtet, da er ein hohes Gewaltpotenzial bereitstellte, man war aber der Überzeugung, es bestehe nur sehr geringe Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie.109 Auch durch die »Wehr105 Elimar Schubbe: Die Verfassungsfeinde auf dem Vormarsch. Anmerkungen zum Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz; in: Rheinischer Merkur Nr. 24/1972 vom 16. 6. 1972, S. 10. 106 »Dann haben alle Eigentum, Hosianna.« Spiegel-Gespräch mit dem schleswig-holsteinischen SPD-Chef Jochen Steffen; in: Der Spiegel Nr. 17/1971 vom 19. 4. 1971, S. 36 – 44; hier: S. 44. 107 Vgl. »Wir handeln nur über Kimme und Korn.« Im politischen Untergrund formiert sich eine Neue Rechte; in: Der Spiegel Nr. 35/1975 vom 25. 8. 1975, S. 28 ff.; hier: S. 28. 108 Zit. nach: »Wir handeln nur über Kimme und Korn«, S. 29. 109 Vgl. Rechtsradikale: »Bereit bis zum Letzten«; in: Der Spiegel Nr. 33/1976 vom 9. 8. 1976, S. 26 ff.; hier : S. 26.

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sportgruppe Hoffmann« sah der Bundesverfassungsschutz nicht das demokratische Bewusstsein der Bundesbürger berührt und schloss zugleich aus, dass sich eine Sympathisantenszene ähnlich die der Roten Armee Fraktion entwickeln würde.110 Willy Brandt dagegen befürchtete »eine Renaissance der Neonazis, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohe.«111 Diese Ängste wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster nicht geteilt. Stattdessen wurde darauf verwiesen, dass die wirklichen Gefahren vom Linksterrorismus und von Verfassungsfeinden im Staatsdienst herrühren. Hermann A. Griesser sah hinter der Warnung der Linken vor einem neuen Rechtsradikalismus eine politische Taktik, um vom Linksradikalismus in den eigenen Reihen abzulenken. Außerdem könne sich »so die Furcht der Bevölkerung vor dem Linksradikalismus abschwächen, so daß es auch einmal wieder möglich werden könnte, ohne Schmidt zu regieren.«112 Anfang der 1980er Jahre wandelte sich der neue Rechtsradikalismus allmählich in Ausländerfeindlichkeit, weshalb vermehrt Angriffe auf Ausländer in der Bundesrepublik verübt wurden. In einer Titelstory warnte der »Spiegel« vor ausländerfeindlichen Parolen, mit denen die NPD auf Wählerfang gehen wolle, und erkannte eine Verbindung zwischen Angriffen auf Ausländer und nationalsozialistischen Ausschreitungen, denn »den Exzessen […] ist als Triebkraft Deutschtümelei gemeinsam, Volkstums- und Rassenphantasien, direkt von den Nazis übernommen.«113 Auch hier zeigte sich der Unterschied zwischen der weiten Nationalsozialismus-Definition des linken und der engen Nationalsozialismus-Definition des konservativen Wahrnehmungsmusters. Erneut wurden die Ängste vor einem neuen Rechtsradikalismus im konservativen Wahrnehmungsmuster kaum geteilt. So hinterfragte Lothar M. Marscheid, ob die SPD ein »Täusch- und Tarnmanöver zum Zwecke der Vernebelung extremistischer Aspirationen am linken Rand des eigenen Lagers« inszeniere und urteilte, dass es »blanke Demagogie« sei, der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1981 »eine akute Gefährdung von rechts nachzusagen« und bemerkte außerdem, dass Bonn nicht Weimar sei.114 Allerdings müsse man auch erkennen, dass der »politisch ernstzunehmende Extremismus nicht nur im roten Gewand auftritt«, diese Einsicht werde aber nicht durch »Horrorkampagnen und gesetzgeberische

110 Vgl. nach: Erbe lebt; in: Der Spiegel Nr. 36/1977 vom 29. 8. 1977, S. 49 – 52; hier : S. 52. 111 Zit. nach: Bildunterschrift; in: Rheinischer Merkur Nr. 34/1977 vom 26. 8. 1977, S. 4. 112 Hermann A. Griesser : Rechter Popanz; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1977 vom 2. 9. 1977, S. 1 f.; hier: S. 2. 113 »Raus mit dem Volk.« Bomben und Hetzparolen – in der Bundesrepublik wächst der Haß gegen die Ausländer ; in: Der Spiegel Nr. 38/1980 vom 15. 9. 1980, S. 19 – 26; hier : S. 26. 114 Lothar M. Marscheid: Messen mit zweierlei Maß. Warnung vor braunem Popanz soll die SPD einigen; in: Rheinischer Merkur Nr. 18/1981 vom 1. 5. 1981, S. 5.

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Kommandoaktionen« gefördert.115 In einem Artikel vom August 1981 verwies Marscheid auf den Links- und Rechtsextremismus und bemerkte, dass »die Zeiten, da der organisierte Rechtsextremismus der Bundesrepublik ausschließlich in biedermännischem Gewand auftrat«, vorbei seien, womit er auch auf die ehemaligen Erfolge der NPD anspielte.116 Für den »Spiegel«-Reporter Paul Lersch waren die Vergleiche zwischen dem Links- und Rechtsextremismus eine altbekannte konservative Strategie der vergangenen Jahrzehnte, um Gefahren von rechts zu verharmlosen, denn »sobald der politische Gegner sich über rechtsextreme Tendenzen besorgt zeigt, weisen die Unionschristen aufgeregt nach links.«117 Die Angst vor einem neuen Rechtsradikalismus auch durch zunehmende Gewalttätigkeiten und rechtsradikale Ausschreitungen wurden bei weitem nicht so stark thematisiert wie die Angst vor einem Erstarken der NPD in den Jahren 1966 bis 1969. Der »Spiegel«-Redakteur Christian Schultz-Gerstein kritisierte in einem Essay zwar das vermehrte Aufkommen von Hakenkreuzschmierereien und Rechtsradikalismus unter Jugendlichen, hielt es aber für übertrieben, deshalb »eine ›Gefahr für den Rechtsstaat‹ abzuleiten und den Faschismus wiederkehren zu sehen«, da das genauso irrational begründet sei, »wie etwa die Behauptung, eine Vermehrung von Lippenbärten nach dem Vorbild des Führers werde unweigerlich zur Neuauflage des Nationalsozialismus führen.«118 Trotzdem fanden sich im linken Wahrnehmungsmuster auch vermehrt Stimmen, die massiv gegen eine Verharmlosung des Rechtsradikalismus im konservativen Wahrnehmungsmusters eintraten. So wurde im »Spiegel« kritisiert, dass rechtsradikale Morde als Einzeltaten abgetan werden, während bei linken Terrorakten »in Bayern stets sogleich weltrevolutionäre Ziele, internationale Kooperation und stramme Organisation unterstellt werden.«119 In Anspielung an die Nürnberger Parteitage wurde deshalb gefragt, ob es im »Mittelfränkischen, wo einst Hitlers Gauleiter Julius Streicher in seinem ›Stürmer‹ ordinärsten Antisemitismus verbreitete, noch immer einen ›besonderen Humus‹ für Nazi-Thesen [gibt], wie Nürnbergs sozialdemokratischer Kulturreferent Hermann Glaser meint?«120 Auch wenn im konservativen Wahrnehmungsmuster bezweifelt wurde, dass 115 Marscheid: Messen mit zweierlei Maß. 116 Lothar M. Marscheid: Bericht vom Krankenlager. Die Pflichtübung eines desolaten Amtes; in: Rheinischer Merkur Nr. 33/1981 vom 14. 8. 1981, S. 4. 117 Paul Lersch: »Ich habe gedacht, das wächst raus.« Spiegel-Redakteur Paul Lersch über die Bonner Ratlosigkeit vor dem neuen Rechtsradikalismus; in: Der Spiegel Nr. 27/1981 vom 29. 6. 1981, S. 34 – 42; hier : S. 38. 118 Christian Schultz-Gerstein: Wer hat Angst vor Neo-Nazis?; in: Der Spiegel Nr. 20/1982 vom 17. 5. 1982, S. 70 f.; hier : S. 70. 119 Lebende Zeitbomben; in: Der Spiegel Nr. 27/1982 vom 5. 7. 1982, S. 32 – 35; hier : S. 35. 120 Lebende Zeitbomben, S. 32.

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eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie bestehe, so bezweifelte man doch die Demokratiefeindlichkeit rechtsradikaler Gruppen und deren Gewaltpotenzial nicht, weshalb man deren Verbot explizit begrüßte.121 Allerdings ist auffällig, dass immer wieder die Gemeinsamkeiten zwischen linkem und rechtem Terrorismus betont wurden, deren gemeinsame Ziele beispielsweise in der Zerschlagung der bundesdeutschen Demokratie gesehen wurden. So verglich Peter Meier-Bergfeld eine links- und rechtsextremistische Terroranleitung, bemerkte aber, dass dem Rechtsextremismus die Unterstützung einer Weltmacht fehle.122 Der Publizist Werner Ross warnte vor Ausländerfeindlichkeit oder einem »neuen, Rechts und Links vereinenden Antisemitismus«, mit dem sich »Massen mobilisieren« lassen könnten, denn auch »Hitler war einmal ein Desperado.«123 Günter Buchstab resümierte im Jahr 1984, dass rechte Parteien in dem 35-jährigen Bestehen der Bundesrepublik »nie eine Gefahr für die zweite deutsche Republik bildeten.«124 Für Buchstab bestehe die Gefahr in der »Fixierung auf überholte Erscheinungsformen des Extremismus«, weshalb er auf die Aussage des Kabarettisten Werner Finck verwies: »Das nächste Mal kommt er ohne Schnurrbart.«125 Zwar wurden Ängste vor einer neuen Massenbewegung in den 1980er Jahren bei weitem nicht so häufig artikuliert wie in den 1960er Jahren, es lassen sich aber Gemeinsamkeiten im, »Sichtbar«-Machen feststellen. Beispielhaft soll deshalb auf eine Karikatur aus dem »Vorwärts« von 1982 verwiesen werden, die starke Gemeinsamkeiten mit der bereits besprochenen Karikatur aus dem »Vorwärts« von 1967 aufweist.126 Bei beiden Karikaturen formieren sich verschiedene Menschen zu einem Hakenkreuz, wobei auffällig ist, dass diese Personen bürgerlich gekleidet sind und jeder für sich keine Gefahr darstellt. Zusammen gebracht werden sie aber durch ein politisches Anliegen im Jahr 1982, durch die Forderung »Ausländer raus«, und stellen deshalb als Massenbewegung eine akute Gefahr dar.

121 Vgl. Thomas Wolgast: Brauner Sumpf treibt Blüten. Das Verbot der Kühnen-Gruppe war überfällig; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1983 vom 16. 12. 1983, S. 4. 122 Vgl. Peter Meier-Bergfeld: Ein Sumpf voller Blüten. Die rechten Radikalen sind mehr als nur Spinner ; in: Rheinischer Merkur Nr. 30/1981 vom 24. 7. 1981, S. 4. 123 Werner Ross: Fehlfarben im Parteienspektrum. Der nützliche Idiot von rechts; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1982 vom 14. 5. 1982, S. 2. 124 Günter Buchstab: Brauner Sprung ins Rampenlicht. Neonazis sind gefährlich, aber neue Hitlers sind die deutschen Rechtsextremisten nicht; in: Rheinischer Merkur Nr. 38/1984 vom 21. 9. 1984, S. 5. 125 Zit. nach: Buchstab: Brauner Sprung. 126 Vgl. Abb. nach: Rechts ab zum Vaterland vom 15. 5. 1967, S. 97 und Abb. nach: Wie einst Rom; in: Der Spiegel Nr. 21/1982 vom 24. 5. 1982, S. 23 – 26; hier : S. 26.

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3.1.2 Die Angst vor der Studentenbewegung Gefahren »sichtbar« machen: Beschreibungen der Studentenbewegung Bei den Beschreibungen der Gefahren, die für die bundesdeutsche Demokratie bestanden, lassen sich trotz gemeinsamer Merkmale Unterschiede bei den Ängsten vor der NPD und vor der Studentenbewegung feststellen. Die Akteure der Studentenbewegung wurden als jugendliche Akteure, die der NPD als ältere Akteure beschrieben. Sowohl die NPD als auch die Studentenbewegung wurden zwar als Minderheit eingeschätzt, aber während von der NPD befürchtet wurde, dass sie innerhalb kurzer Zeit bedeutende Wählermehrheiten erringen könnte, sah man die Studentenbewegung als radikale Minderheit an, die die Mehrheit terrorisiere, und deshalb auch ohne die Unterstützung der Mehrheit die Demokratie zerstören könne. Eine Strategie der Gegner der Studentenunruhen war es deshalb, die Legitimation der Studentenbewegung zu hinterfragen und die Studentenbewegung als kleine Minderheit zu entlarven, die nicht die zum Teil legitimen Interessen der Studentenschaft vertrete, sondern deren Ziele eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie darstellten. Für Anton Böhm bedurfte es im Juni 1967 nach dem Tod von Benno Ohnesorg »keiner Prophetengabe, um vorauszusehen, daß sich die Bewegung […] auch in der Bundesrepublik verbreiten« werde.127 Diese Bewegung reiche »vom äußersten linken Flügel des demokratischen Parteiensozialismus bis hin zu einer Geisteshaltung, die der (gewiß nicht rechtsstehende) [Anm. im Original] Professor Jürgen Habermas treffend als ›roten Faschismus‹ kennzeichnet.«128 Böhm hoffte deshalb auf ein Eingreifen der gemäßigten Studentenschaft, damit das zu bejahende »erwachende politische Interesse der Studenten« in demokratische Formen gelenkt werde, um eine Entfremdung zwischen der Studentenschaft und der Bevölkerung zu verhindern, »aus deren Steuergroschen schließlich die Universitäten und zum großen Teil auch das Studium finanziert werden.«129 Auch Herwig Gückelhorn, der spätere Chefredakteur des »Rheinischen Merkurs« (1973 bis 1979) sah in Berlin eine kleine linksradikale Minderheit, die zwar für sich Toleranz einfordere, anderen gegenüber aber keine Toleranz kenne und deren Praxis »extrem antidemokratisch ist und mit dem Terror kokettiert«.130 Er wehrte sich dagegen, von den Studenten als geschlossene Gruppe zu sprechen, sondern sah »einige Hetzer, die in erbärmlicher Weise von der geschmähten 127 Anton Böhm: Studenten auf der Straße. Warum Linksparolen soviel Anklang finden; in: Rheinischer Merkur Nr. 24/1967 vom 16. 6. 1967, S. 1 f.; hier: S. 1. 128 Böhm: Studenten, S. 1. 129 Böhm: Studenten, S. 2. 130 Herwig Gückelhorn: Klassenkampfprobe in Berlin. »Radikaldemokraten« suchen Aktionseinheit; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1967 vom 1. 9. 1967, S. 1.

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Gesellschaft Geld nehmen und dafür aus der Freiheit zuerst Narrenfreiheit und dann Unfreiheit machen wollen.«131 Gückelhorn verwies auf die Aussagen des SPD-Vorsitzenden Mattick, dass die Demokratie diese Entwicklung nicht akzeptieren könne, wenn sie sich nicht selber aufgeben wolle. Auch Theo M. Loch befürchtete anlässlich eines »Happenings« bald bürgerkriegsähnliche Zustände in Berlin, da die Akteure der Studentenbewegung nicht bereit seien, die Spielregeln der Demokratie zu akzeptieren, die Demokratie aber Ordnung brauche.132 Der Schweizer Klaus Römer gestand zwar ein, dass in der Bundesrepublik angesichts der Großen Koalition eine politische Opposition nötig sei, er wehrte sich aber entschieden dagegen, die Studentenbewegung als politische Opposition anzusehen, vielmehr betreibe diese »Russisch-Roulette mit dem Negativen«.133 In einem Interview mit dem »Spiegel« im Mai 1968 sah der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rainer Barzel unter den Demonstranten »einige Leute […], die, selbst wenn die Reformen vollzogen würden, ihre anderen Ziele behielten, nämlich den Umsturz der freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung« und betonte, dass er das nicht zulassen könne und werde.134 Dass es einem Teil der Demonstrierenden nicht nur um politische Reformen ginge, bestätigte auch der Bundeswirtschaftsminister Gerhard Stoltenberg (CDU). Stoltenberg kritisierte das Verhalten linksextremer Studentengruppen und der diese unterstützenden Professoren als »antidemokratisch und für diesen Staat gefährlich«.135 Eine Minderheit wolle das verständliche Unbehagen der Studentenschaft über deren Studienbedingungen für ihre eigenen extremen Ziele zu nutzen. Da die Legitimation der Studentenbewegung als Vertretung der Studentenschaft bezweifelt wurde, wurde deren zunehmende Gewaltaktion oft mit denen von Terroristen verglichen und das Versagen der Autorität kritisiert. Interessant ist, dass die Bezeichnung als Terroristen weit vor dem Aufkommen des Terrorismus der Roten Armee Fraktion verwendet wurde. Paul Wilhelm Wenger kritisierte, dass die West-Berliner Autoritäten vor dem »Mob« weggetreten seien, »um dem Jakobinerklub der Dutschkisten kampflos das Feld zu überlassen.«136 Wenger kritisierte weiterhin, dass bei der »Terrorübung im Audito131 Gückelhorn: Klassenkampfprobe. 132 Vgl. Theo M. Loch: Hyde-Park-Corner für Berlin? Beobachtungen auf dem Kurfürstendamm; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1967 vom 13. 10. 1967, S. 2. 133 Klaus Römer: Die Deutschen und ihre Opposition. Bloße Protestlerei ist politisch steril; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1967 vom 1. 9. 1967, S. 2. 134 »Es gibt mehr Freiheit als je.« Spiegel-Gespräch mit Dr. Rainer Barzel, Vorsitzender der CDU CSU-Bundestagsfraktion; in: Der Spiegel Nr. 19/1968 vom 6. 5. 1968, S. 60 – 65; hier : S. 62. 135 Stoltenberg warnt: in: Rheinischer Merkur Nr. 4/1968 vom 26. 1. 1968, S. 2. 136 Paul Wilhelm Wenger: Vor den Terroristen die Segel streichen? Bewährungsprobe für die Berliner Autoritäten; in: Rheinischer Merkur Nr. 6/1968 vom 9. 2. 1968, S. 1.

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rium maximum der Technischen Universität« ein Film über die Herstellung von Molotow-Cocktails vorgeführt wurde und dass die »Fernsteuerung [der Studentenbewegung, C.S.] längst aufgedeckt wäre, gälte in diesem Lande nicht bereits das sinnlose Tabu, daß bei Terroristen, wenn sie sich als Studenten tarnen«, deren finanzielle Mittel und taktische Anweisungen nicht durch die Sicherheitsorgane geprüft werden dürften.137 Die »Tarnung« der Studentenbewegung war eine häufig geäußerte Befürchtung. Deshalb wurden auch Anliegen der Studentenbewegung, die nicht nur die Studentenschaft, sondern weite Teile der Bevölkerung betrafen, als Tarnmanöver angesehen. Proteste wie die gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Personennahverkehr weckten die Befürchtung, dass es dabei nicht um das konkrete Anliegen gehe, sondern darum, die Autoritäten zu untergraben und die »Ziele irgendwie demokratisch zu tarnen, um so auch die Gläubigkeit und Unterstützung Gutmeinender zu gewinnen«.138 Deshalb müsse schon früh den Anfängen gewehrt werden, damit die »Saat der Gewalt« nicht weiter wachse.139 Die Legitimation einer »Außerparlamentarischen Opposition«, die für politische Anliegen eintritt, wurde oft vehement bestritten und stattdessen von einer »antiparlamentarischen« Opposition gesprochen, die die Demokratie zerstören wolle. Otto B. Roegele sprach in diesem Zusammenhang davon, dass »eine grundsätzlich antiparlamentarische und antidemokratische Opposition auferstanden [ist], die zwar vorgibt, für die Demokratie zu streiten, die aber in Wirklichkeit deren Untergang betreibt.«140 Zwar sei diese antidemokratische Opposition noch eine kleine Minderheit, das mindere aber nicht deren Gefährlichkeit, da sie schnell das Gesetz des Handelns übernehmen könne, wenn die überraschten politischen Instanzen weiterhin so schwach reagierten. Roegele sah die gewaltsamen Ausschreitungen auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg 1968 als Beleg dafür an, dass linker und rechter Terror gleichermaßen gewaltsam seien und hielt deshalb eine Differenzierung zwischen beiden Arten des Terrors für unpassend. Um zu verdeutlichen, dass die Selbstzuschreibung der Außerparlamentarischen Opposition als APO lediglich eine Tarnung sei, wurde häufig die Bezeichnung »Außerparlamentarische Opposition« in Anführungszeichen gesetzt, während die Anführungszeichen bei der Bezeichnung »antiparlamentarische Opposition« fehlten.141 Anton Böhm empfand dennoch die außerparla137 Wenger: Vor den Terroristen die Segel streichen? 138 H.-J. Baumeister : Die »direkte Aktion« rollt. Zur Demonstrationswelle in deutschen Städten; in: Rheinischer Merkur Nr. 6/1968 vom 9. 2. 1968, S. 2. 139 Baumeister : Die »direkte Aktion« rollt. 140 Otto B. Roegele: Bonn auf dem Weg nach Weimar? Die Wendung zur Gewalt hat begonnen; in: Rheinischer Merkur Nr. 12/1968 vom 22. 3. 1968, S. 1. 141 Vgl. beispielsweise Paul Wilhelm Wenger: Organisierter Landfriedensbruch. Der SDS rächt Dutschke durch Gewaltaktionen; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1968 vom 19. 4. 1968, S. 1.

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mentarische Opposition der Gewerkschaften, Verbände, politischen Vereine und außerparlamentarischen Parteien als verfassungslegitim und angesichts der Großen Koalition als durchaus notwendig.142 Mit der Bildung der großen Koalition würden auch die Studenten und verschiedene Presseorgane als außerparlamentarische Opposition fungieren, sodass die außerparlamentarische Opposition insgesamt eine »respektable Macht« bilde, die die schwache Opposition im Parlament ergänze.143 Böhm ängstigte aber besonders die Forderung einer »Radikaldemokratie – auch in Gestalt eines Rätesystems an Stelle des Parlamentarismus«, die immer häufiger von der linken außerparlamentarischen Opposition aufgestellt wurde.144 Um die bestehende Gesellschaft zu verändern, müsse dieser Staat totalitär sein, also das Gegenteil einer Radikaldemokratie. Somit lebe die außerparlamentarische Opposition in der Utopie, dass sich »dieser Reformstaat […] nach getaner Arbeit wieder enttotalisieren und sich in eine herrschaftslose Gesellschaft auflösen werde.«145 Anton Böhm formuliert hier auch schon viele Ängste, die nach dem Regierungsantritt Willy Brandts in Form der Angst vor einer Demokratisierung der gesamten Gesellschaft verstärkt artikuliert wurden, worauf an späterer Stelle der Arbeit eingegangen wird. Die Außerparlamentarische Opposition hielt Böhm auch deshalb für gefährlich, da ihr bewusst sei, dass ihre totalitären und utopischen Ziele keine Unterstützung in der Bevölkerung finden würden, weshalb sie als organisierte Partei nach dem Mehrheitsprinzip scheitern würde. Stattdessen sähen sie sich als »die Auserwählten, hoch über dem in der Bewußtseinsentwicklung zurückgebliebenen kleinen Mann, die das Recht haben, den wahren Allgemeinwillen auch gegen die Mehrheit diktatorisch zu vertreten.«146 Dieser Allgemeinwille sei in Wirklichkeit aber nichts anderes als die eigene Ideologie. Walter Draheim hielt es für besonders gefährlich, dass die radikalen und anarchistischen Elemente aufgrund der geringen Wahlbeteiligung Mehrheiten bei den Konventswahlen der Berliner FU und Münchener Universität bekamen. Zwar würden extremistische Gruppen innerhalb der Studenten nur eine kleine Minderheit bilden, aber »diese radikale Minorität ist jederzeit einsatzbereit und einsatzwillig«, weshalb sie wie keine andere Partei, Gewerkschaft oder Organisation ihre Mitglieder so schnell auf die Straße bringen könne.147 Wie bei den Ängsten vor der NPD wurden auch bei den Ängsten vor der 142 Vgl. Anton Böhm: Uniform-Demokratie in Bonn? Recht und Versuchung der außerparlamentarischen Opposition; in: Rheinischer Merkur Nr. 34/1967 vom 25. 8. 1967, S. 1 f. 143 Böhm: Uniform-Demokratie, S. 1. 144 Böhm: Uniform-Demokratie, S. 2. 145 Böhm: Uniform-Demokratie, S. 2. 146 Böhm: Uniform-Demokratie, S. 2. 147 Walter Draheim: Denunzianten nicht erwünscht; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1968 vom 13. 12. 1968, S. 8.

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Studentenbewegung Vergleiche zu Krankheitsbildern gezogen. Klaus Römer kommentierte Sympathiebekundungen für die Studentenbewegung in der Schweizerischen »Weltwoche« mit der Befürchtung, der »Polyp ha[be] leider bereits standhafte Schweizer erfaßt.«148 Klaus Ritter fragte nach dem VietnamKongress in West-Berlin wie weit »die Krankheit der deutschen Demokratie schon fortgeschritten [ist] und kennen die Verantwortlichen einen Weg zur Heilung.«149 Der Sozialistische Studentenbund als Avantgarde der Studentenbewegung Eine besondere Rolle bei der Angst vor der Studentenbewegung spielte der Sozialistische Studentenbund (SDS), von dem befürchtet wurde, dass er »die bestehende Ordnung aus den Angeln heben [und] ein sozialistisches Wunderland schaffen« wolle.150 Der SDS wurde als Avantgarde der Studentenbewegung empfunden, die die Aktivitäten der Studentenbewegung plane. Rudi Dutschke selbst war aber davon überrascht, dass der SDS innerhalb der Studentenbewegung so schnell eine Führungsrolle einnehmen sollte. In einem Protokollauszug, den der »Spiegel« einen Monat vor dem Attentat auf ihn abdruckte, gestand er : »Wir haben es nicht erwartet, daß wir jemals zur Avantgarde einer relativen Massenbewegung werden könnten. Und das ist sehr schnell geschehen nach dem 2. Juni, und wir haben noch nicht die organisatorischen Antworten, und auch nicht die persönlichen Antworten, die theoretischen Antworten auf diese Massenbewegung gefunden«.151 In einer Titelstory vom Juni 1968 konstatierte der »Spiegel«, dass der SDS »zum Kerntrupp der Außerparlamentarischen Opposition« wurde.152 Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke und den darauffolgenden Osterunruhen war Paul Wilhelm Wenger schockiert, wie die zahlenmäßig kleine Gruppe des SDS die erkannten Autoritätslücken für sich ausnutzen konnte und sich »schließlich in den akademischen Räumen wie ein Jakobinerclub festsetzen« konnte.153 Eine Woche später konkretisierte Wenger seine Befürchtungen vor dem SDS. Dieser wolle keine durch Mehrheitswahl gefestigte parlamentarische 148 Römer : Deutschen und Opposition. 149 Klaus Ritter : Die Stunde der Demokraten. Folgerungen aus dem Vietnam-Kongreß in WestBerlin; in: Rheinischer Merkur Nr. 8/1968 vom 23. 2. 1968, S. 3. 150 Siegmar Schelling: Verdutscht! Beim SDS-Kongreß in Frankfurt regierte das KollektivGaudium; in: Rheinischer Merkur Nr. 37/1967 vom 15. 9. 1967, S. 14. 151 Heiterkeit in die Revolution bringen. Aus dem Protokoll einer Diskussion mit Ernst Bloch und Rudi Dutschke in Bad Boll; in: Der Spiegel Nr. 10/1968 vom 4. 3. 1968, S. 38 – 57; hier: S. 54. 152 Zur Sonne; in: Der Spiegel Nr. 26/1968 vom 24. 6. 1968, S. 38 – 55; hier : S. 39. 153 Paul Wilhelm Wenger : Steht der SDS über dem Gesetz? Auch Vorbereitungshandlungen sind rechtswidrig; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1968 vom 26. 4. 1968, S. 1 f.; hier: S. 1.

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Demokratie, sondern einen radikalen Umsturz der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.154 Dafür würden sie die Toleranz der Demokraten ausnutzen und stattdessen die Majorität durch Aggressivität terrorisieren. Denke man die Forderungen des SDS weiter, so strebe der SDS an, dass zu den Ministerien und Parlamenten nur noch Politologen und Soziologen Zugang haben, womit »die konsequente demokratische ›Endlösung‹ des vom SDS angekündigten neuen Rätesystems« vollzogen wäre.155 Nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze am 30. Mai 1968 begann die Studentenbewegung an Einfluss zu verlieren, im Wintersemester 1968/69 fiel der SDS faktisch auseinander und löste sich im März 1970 auch formell auf.156

Vergleiche zur Geschichte von 1918 bis 1933 Sowohl bei den Ängsten vor der Studentenbewegung als auch vor der NPD spielten zwar Vergleiche zur Nationalsozialistischen Vergangenheit eine herausragende Rolle, die Referenz- und Bezugsrahmen unterschieden sich aber bei beiden Untergangsszenarien. So war der Hauptbezugsrahmen bei den Ängsten vor der NPD die NSDAP, bei der Studentenbewegung die Sturmabteilung (SA), die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP. Otto B. Roegele konstatierte, dass es in der Politik als unfein gelte, wenn man daran erinnert, dass die Weimarer Republik dem Andrang von linken und rechten außerparlamentarischen Kräften erlegen war.157 Deshalb wandte er sich entschieden gegen die These, dass die Weimarer Republik von rechts zerstört wurde und deshalb der Bundesrepublik keine Gefahr drohe, da die aktuelle Gefahr von links nicht so stark sei, weil die Linke die Demokratie bejahe. Diese These unterscheide sich deutlich von der historischen Erfahrung, denn »[w]äre es die geschichtliche Wiederholung der gleichen historischen Konstellation, auf die man achten muß, dann genügte eine nur geringe Anstrengung, um die Zeichen des Untergangs zu deuten.«158 Tatsächlich sei aber in der Geschichte nichts so sicher wie der Wechsel der Situationen.159 Durch diese Art des Geschichtsverständnisses war es für viele Zeitgenossen nur umso logischer, dass die linken Studenten sich so benahmen wie die ehemals rechte SA. Einige Gewerkschaftler erinnerte der Boykott deutscher Kaufhäuser 154 Vgl. Paul Wilhelm Wenger : Das Gepolter der Gesellschaftskommissare. Turbulentes Nürnberger Gespräch 1968; in: Rheinischer Merkur Nr. 18/1968 vom 3. 5. 1968, S. 3. 155 Wenger: Das Gepolter der Gesellschaftskommissare. 156 Vgl. Wolfgang Kraushaar: Vorwort; in: Fichter ; Lönnendonker : SDS, S. 10 f. 157 Vgl. Otto B. Roegele: Bedrohliche Zeichen der Auflösung. Kirche, Politik und die Kraft zur Unterscheidung; in: Rheinischer Merkur Nr. 52/1967 vom 29. 12. 1967, S. 1 f.; hier : S. 1. 158 Roegele: Bedrohliche Zeichen der Auflösung, S. 1. 159 Vgl. Roegele: Bedrohliche Zeichen der Auflösung, S. 1.

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als Protest gegen verlängerte Samstags-Öffnungszeiten an die alten Boykottbilder der SA.160 Den SPD-Abgeordneten Adolf Arndt erinnerten die zerstörten Fensterscheiben in Berlin an Hitlers SA, die jüdische Warenhäuser zerstörte »und das DGB-Organ ›Welt der Arbeit‹ erkannte ›SA-Methoden‹ in den Jugenddemonstrationen.«161 Paul Wilhelm Wenger kritisierte die Untätigkeit der Westberliner Polizei bei Studentenunruhen, die sich so verhielte, »wie 1933 und später, wenn SA und SS ihre Terrorakte exerzierten.«162 Wenger zog weitere Parallelen zur Nazizeit, da er den Antiamerikanismus der Dutschkisten als Ersatz für den Antisemitismus der Nazis bezeichnete. Otto B. Roegele fragte nach den Ausschreitungen auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg im März 1968, ob Fritz Ren¦ Allemanns These von 1956 »Bonn ist nicht Weimar« noch heute stimme und kritisierte den Autoritätsverlust der Staatsgewalt, ähnlich dem der Weimarer Republik.163 Er warnte vor einem Zusammenwirken von Rechten und Linken, denn in den Ausschreitungen, »die sich die Horst Wessels beider Seiten lieferten, ist die demokratische Auseinandersetzung schon einmal untergegangen.«164 Deshalb sollten die Politiker nicht erneut zu lange die Augen vor der aufkommenden Gefahr verschließen. Gerhard Aichinger untersuchte die Sprache der Studentenbewegung und konstatierte, dass viele Termini unbewusst auf faschistische Sprach- und Denkformen zurückgriffen, was sich aus der totalitären Zielsetzung der Studentenbewegung erklären lasse. Termini wie ›unvernünftige Demokratie‹ riefen bei Aichinger »geradezu zwangsläufig die Erinnerung an jene zahllosen ›schmückenden Beiwörter‹ wach, mit denen der Nationalsozialismus einst versuchte, Demokratie und Toleranz verächtlich zu machen.«165 Auch die Ansicht der Studentenbewegung, dass staatliche Institutionen, wie beispielweise die Universitäten, zugunsten übergeordneter Ziele verletzt werden dürften, erinnerte ihn an die NS-Parole, dass ›[d]as gesunde Volksempfinden‹ diese Ziele festlege.166 Eine besonders große Parallele zeige sich bei dem Terminus »Establishment«, denn dem »Wort ›Establishment‹ im Munde der Dutschkes haftet die gleiche Verachtung an wie einst dem Wort ›System‹ im Munde der Natio-

160 Vgl. nach: Gückelhorn: Klassenkampfprobe. 161 Zit. nach: Gebrochenes Rückgrat; in: Der Spiegel Nr. 7/1968 vom 12. 2. 1968, S. 31 – 34; hier: S. 33. 162 Wenger: Terroristen. 163 Vgl. Roegele: Bonn auf dem Weg nach Weimar? 164 Roegele: Bonn auf dem Weg nach Weimar? 165 Gerhard Aichinger : »Faschistoide« Denkmodelle. Der Kampf gegen das Establishment ähnelt dem Kampf gegen das Weimarer System; in: Rheinischer Merkur Nr. 8/1968 vom 23. 2. 1968, S. 4 f.; hier: S. 4. 166 Aichinger : »Faschistoide« Denkmodelle, S. 4.

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nalsozialisten.«167 Mit diesen Termini verbinde sich wie einst auch in Hitlers Reden die Vorstellung eines unterlegenen Gegners. Rudolf Augstein hielt Vergleiche zur Endphase der Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus für eine »groteske Verzerrung der Proportionen«, da bei den Straßenschlachten von 1930 bis 1933 circa 600 Menschen starben, während bei den »doch ein wenig spielerischen Unternehmungen der Studenten, Schüler und sonstigen jungen Leute« bisher bis auf den erschossenen Benno Ohnesorg niemand nennenswert verletzt wurde.168 Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 und den darauffolgenden Straßenkämpfen mit über 400 Verletzten und zwei Toten gestand auch der »Spiegel« ein, dass die Heftigkeit der Straßenschlachten an Zeiten der Weimarer Republik erinnerten und dass die Brutalität, sowohl auf Seiten der Studenten als auch auf Seiten der Ordnungshüter, belege, dass die Bundesrepublik kein funktionierender demokratischer Staat sei.169 Im konservativen Wahrnehmungsmuster schien sich durch die Osterunruhen die Angst vor der Studentenbewegung zu bestätigen, weshalb vermehrt vor Parallelen zur Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus gewarnt wurde. Für Paul Wilhelm Wenger endete mit den Schüssen auf Dutschke die »Ära einer toleranten Demokratie« und zeigte sich in den Osterunruhen »die geglückte Generalprobe zum Umsturz«.170 In dieser habe sich gezeigt, dass der SDS seine Ankündigungen ernst meine »- genauso wie ehedem Hitler«.171 Hans Maier, der Vizepräsident des Deutschen Bildungsrates und späterer bayerischer Kultusminister (1970 – 1986), betonte das Novum, dass die Studentenbewegung im Unterschied zur »letzten großen Politisierung der Studentenschaft 1930 – 1933, wenngleich manche radikalen Manifestationen extremer Gruppen heute den studentischen Kampfbünden des Faschismus in Form und Mitteln ähnlich sind« eine Bewegung der Linken sei und warnte außerdem vor der Erfahrung, »die auch Weimar gemacht hat: daß Dauerregierung der Mitte die Ränder stärkt.«172 Die Verhinderung von Vorlesungen durch Studentenunruhen weckte ebenfalls Erinnerungen an die Weimarer Republik. Claus Weyer verwies darauf, dass die Universität Heidelberg traurige Berühmtheit dafür erlangte, dass die SA bereits vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 in Vorlesungen einbrach und Lehrveranstaltungen unliebsamer Professoren 167 Aichinger : »Faschistoide« Denkmodelle, S. 5. 168 Rudolf Augstein: Zahltag; in: Der Spiegel Nr. 7/1968 vom 12. 2. 1968, S. 1. 169 Vgl. Verlorenes Wochenende; in: Der Spiegel Nr. 17/1968 vom 22. 4. 1968, S. 25 ff.; hier : S. 25. 170 Wenger: Organisierter Landfriedensbruch. 171 Wenger: Organisierter Landfriedensbruch. 172 Hans Maier : Reform, nicht Zerstörung. Prinzipien und Vorschläge zur Neugestaltung des Hochschulwesens; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1968 vom 30. 8. 1968, S. 4.

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verhinderte, dem sogenannten ›Fall Gumbel‹.173 Nachdem der Anatom Prof. Dr. H. Ferner brutal zusammengeschlagen worden war, weil er sich geweigert hatte, seinen anatomischen Pflichtkurs politischen Diskussionen zu opfern, konstatierte Claus Weyer ironisch, dass die Heidelberger SA in den rebellierenden Studenten würdige Nachfolger gefunden habe. Interessanterweise zeigt sich hier eine falsche Erinnerung an die eigene Primärerfahrung, denn nicht die SA störte Vorlesungen und erzwang den Rücktritt Emil Julius Gumbels, sondern Studenten des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB). Die Bundesgeschäftsstelle der CDU, Referat Öffentlichkeitsarbeit und Werbung, gab eine 46-seitige Broschüre heraus, in der Hilfestellungen zum Umgang mit Störungen von Wahlveranstaltungen gegeben wurden. Unter dem Titel »Gestörte Wahlversammlungen« wurde aufgezeigt, in welcher Heftigkeit in der Vergangenheit verschiedene Versammlungen der Union gestört wurden und wie sich die Störer dabei »wie in den 30er Jahren [die] SA, SS und Rotfront« benahmen.174 In der Tel Aviver Zeitung »Jedioth Achronoth« wurden die Studententumulte gegen den israelischen Botschafter als Zeichen eines Neo-Faschismus in der Bundesrepublik gewertet, die im Geiste von Julius Schleicher ständen.175 Auch im Jahr 1971, als das Szenario der Studentenbewegung längst nicht mehr so häufig artikuliert wurde, wie in den Jahren 1966 – 1969, wurden noch Vergleiche zur Geschichte von 1918 bis 1945 gezogen. So verwies Otto Narek auf einen Studenten, der überzeugt davon war, dass die Studenten, die Bundesjustizminister Gerhard Jahn am Reden hinderten, im Jahr 1933 überzeugte Nazis gewesen wären.176

Strategien zur Bekämpfung der Studentenbewegung Wie auch beim Szenario der NPD als Massenbewegung, wurden nicht nur die Gefahren durch die Studentenbewegung sichtbar gemacht, sondern ebenfalls Strategien zur Minderung dieser Gefahren artikuliert. Eine Strategie, die auch beim Szenario der NPD als rechte Massenbewegung diskutiert wurde, war die Einführung eines Mehrheitswahlrechts. Klaus Römer hoffte beispielsweise, dass dadurch die Schwäche des Parlaments beseitigt werde und eine starke parla173 Claus Weyer: Alt-Heidelberg du feine…Studentische »Heldentaten« im Dritten Reich und heute; in: Rheinischer Merkur Nr. 37/1969 vom 12. 9. 1969, S. 11. 174 Zit. nach: Erich Wingerter : Die Rollkommandos und die Hausherren. Vom neuen »Stil« der Wahlversammlungen – Wie man dem Terror begegnen soll; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/ 1969 vom 24. 4. 1969, S. 11. 175 Vgl. nach: Kein Sinn: in: Der Spiegel Nr. 28/1969 vom 7. 7. 1969, S. 20. 176 Vgl. nach: Otto Narek: Marburg. Sozialistische Toleranz; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/ 1971 vom 26. 11. 1971, S. 2.

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mentarische Opposition die Existenz einer außerparlamentarischen Opposition überflüssig mache.177 Als weitere Möglichkeit, um ein Anwachsen der Studentenbewegung zu verhindern, wurde die Forderung nach Staatsautorität betrachtet. Immer wieder wurde die vermeintliche Schwäche der Autoritäten kritisiert und gefordert, dass den Studentenausschreitungen mit voller Härte begegnet werden solle.178 Zwar handele es sich noch »um wenige aktive Gegner unserer Gesellschaftsordnung«, durch die Untätigkeit der »wirklichen Demokraten« neigten aber immer mehr Bürger zur Resignation.179 Deshalb müssten die Demokraten »einen entschiedenen Mehrfrontenkampf führen«, zu dem auch Aufklärungsarbeit in Parteien, Schulen, Kirchen und Familien zähle.180 Nach den Osterunruhen verstärkten sich die Stimmen, die eine härteres Eingreifen von Seiten des Staates forderten, denn eine »zweite Generalprobe [nach der ersten Generalprobe zu den Osterunruhen, C.S.] muß von Beginn an im Keim erstickt werden, wenn dieser Staat sich nicht selbst aufgeben will.«181 Klaus Ritter begrüße deshalb ausdrücklich, dass sich in Berlin als Reaktion auf den »Republikanischen Club« der »Demokratische Club« gegründet hat, der sich nicht nur entsetzt über die Studentenunruhen zeige, sondern sich durch Aufklärungskampagnen aktiv für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat einsetze, denn »Empörung über rote Fahnen schwingende Feinde unserer Demokratie und eigenes Auftreten zur Abwehr sind zweierlei.«182 Dass sich die Regierung nach den Osterunruhen gesprächsbereit zeigte, stieß auch auf Kritik. Da man mit erklärten Feinden der rechtsstaatlichen Ordnung nicht reden könne, müssten »mutige Richter« die vorhandenen Gesetze strikt anwenden, um »jene Aufwiegler dorthin [zu] schicken, wo sie nicht mehr in der Lage sind, den Versuch zu unternehmen, unser Volk noch einmal in den Abgrund zu stürzen.«183 Eine weitere Möglichkeit zur Bekämpfung der Studentenbewegung wurde darin gesehen, dass der Bundesnachrichtendienst Studenten als Informanten anwarb. Diese Strategie, die massive Proteste einiger Professoren hervorrief,

Vgl. Römer : Deutschen und Opposition. Vgl. Wenger: Terroristen. Ritter : Stunde. Ritter : Stunde. Wenger: Organisierter Landfriedensbruch. Kaus Ritter : Verbindungsbüro zum Bürger. Der Demokratische Club in Berlin – Aktivität für den freiheitlichen Rechtsstaat; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1968 vom 19. 4. 1968, S. 16. 183 Lothar P. Mende: Organisierter Landfriedensbruch; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1968 vom 17. 5. 1968, S. 20.

177 178 179 180 181 182

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wurde von Walter Draheim explizit begrüßt, da sich in gewissen Studentengruppen die Feinde der freiheitlichen Gesellschaftsordnung konzentrierten.184 Das Verhältnis zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster Bei den Ängsten vor der Studentenbewegung als Massenbewegung wurde ersichtlich, dass sich die Ängste nicht so eindeutig wie bei anderen Untergangsszenarien dem linken oder konservativen Wahrnehmungsmuster zuordnen lassen. Immer wieder wurde von konservativer Seite darauf verwiesen, dass auch Akteure, die gemeinhin als links oder linksliberal galten, die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters teilten. So kam es, dass Akteure unterschiedlicher Couleur ähnliche Ängste formulierten. An dieser Stelle soll deshalb der Versuch unternommen werden, das Verhältnis zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster zu beleuchten und den Wandel bei der Gefahrenwahrnehmung zu beschreiben. Anfänglich gab es im linken Wahrnehmungsmuster viele Akteure, die zwar jede Art von Gewaltanwendung kritisierten, die aber die Gründe für die Unzufriedenheit der Studentenschaft nachvollzogen und sich dagegen wehrten, die Studentenschaft pauschal zu verurteilen. So konstatierte Professor Theodor W. Adorno nach dem Tod Benno Ohnesorgs, »daß die Studenten in dieser Gesellschaft ›so ein wenig die Rolle der Juden übernommen haben‹«.185 Der »Spiegel« versuchte im Februar 1968 zu widerlegen, dass es sich bei den demonstrierenden Studenten nur um eine kleine Minderheit innerhalb der Studentenschaft handle, da laut einer »Spiegel«-Umfrage zwei Drittel der deutschen Jugend mit den Protesten sympathisiere.186 Außerdem stünde hinter den Revolten der Jugend mehr der Wunsch nach Reformen als nach einer Revolution, weshalb sie auch stärkere Sympathien für besonnene Kommilitonen und Politiker hätten. Allerdings erkannte auch der »Spiegel«, dass sich die Studenten zunehmend selbst autoritär aufführten und dass die Demonstrationen Gefahr liefen, außer Kontrolle zu geraten, weshalb »sie bewirken, daß die betagten Deutschen, die wählen dürfen, dorthin rücken, wo sie schon immer gern Zuflucht suchten: nach rechts.«187 Rudolf Augstein kritisierte das Verhalten des Staates gegenüber den Studentendemonstrationen. Augstein hielt Vergleiche zur Weimarer Republik für übertrieben und ihn ängstigte eher »die Reaktion dieses Staates und seiner etablierten Mächte auf diese erste und einzige wirkliche Herausforderung seit 184 Vgl. Walter Draheim: SPD im Dilemma; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1968 vom 12. 12. 1968, S. 8. 185 Zit. nach: Haß in der Mitte; in: Der Spiegel Nr. 26/1967 vom 19. 6. 1967, S. 24 ff.; hier : S. 26. 186 Vgl. Gebrochenes Rückgrat, S. 33. 187 Gebrochenes Rückgrat, S. 34.

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1949«.188 Augstein gestand zwar ein, dass die Akteure des SDS die Staatsautorität zersetzen wollten, um eine neue Gesellschaft zu errichten, er hielt das aber für legitim, da jede Opposition davon lebe, die Regierungsautorität zu zersetzen.189 Durch die Anwendung von Gewalt und die übertriebene Reaktion auf die Studentendemonstrationen aber zeigten die Autoritäten ihre Unsicherheit und Brüchigkeit. Dadurch schadeten sie sich selbst stärker als ein Gegner der Demokratie dies auch nur ersinnen könnte. Augstein kritisierte aber auch Studenten, die Gewalt anwenden, und schloss aus, dass man mit diesen diskutieren müsse. In einem anderen Kommentar kritisierte Augstein ironisch, dass demonstrierende Studenten in Warschau und Prag im Gegensatz zu deutschen Studenten in der Bundesrepublik große Sympathien bekamen, da diese für solche Dinge kämpften »was unsere, die bösen Studenten, abschaffen wollen, für die Demokratie, für den Pluralismus«.190 Die Studenten in Berlin und Warschau hätten leider kein effektives Konzept anzubieten, zeigten aber dennoch auf, dass das derzeitige System kaputt sei, weshalb es nicht helfe, »die jungen Leute niederzuknüppeln, und nicht viel besser ist es, sie zum Friseur zu schicken.«191 Die Brutalität, die den demonstrierenden Studenten entgegengebracht wurde, sorgte im linken Wahrnehmungsmuster immer wieder für Entsetzen. So kritisierte der »Spiegel«, dass bei der Demonstration am 21. Februar 1968 in West-Berlin, die als Gegendemonstration zu der am 18. Februar stattgefundenen Demonstration gegen den Vietnam-Krieg geplant war, massive Gewalt verübt wurde gegen Studenten oder Menschen, die für Studenten gehalten wurden.192 Die Demonstration am 21. Februar wurde von einer breiten Basis aus Gewerkschaften, Parteien, Handelskammern und Verbänden organisiert, weshalb der Philosoph Karl Jaspers entsetzt feststellte: »Wenn gar der Bürgermeister einer deutschen Stadt, scheinbar aus echter demokratischer Sorge, die Bevölkerung zu einer Kundgebung gegen die Studenten aufruft, dann ist das […] nicht nur das böse Zeichen, sondern schon die böse Tat eines politischen Verfalls.«193 Um einer pauschalen Verurteilung aller Studenten entgegenzuwirken, versuchte der »Spiegel« im Juni 1968 durch die Veröffentlichung einer Infas-Meinungsumfrage aufzuzeigen, dass die Mehrheit der Studenten weder links- noch rechtsextrem ist und das demokratische System nicht abschaffen, sondern funktionsfähig machen wolle.194 Es gab aber auch im linken Wahrnehmungsmuster schon früh Stimmen, die 188 189 190 191 192 193 194

Augstein: Zahltag. Vgl. Augstein: Zahltag. Rudolf Augstein: Warschau, Prag, Berlin; in: Der Spiegel Nr. 12/1968 vom 18. 3. 1968, S. 26. Augstein: Warschau, Prag, Berlin. Vgl. Sei es mit Gewalt; in: Der Spiegel Nr. 9/1968 vom 26. 2. 1968, S. 23 – 26; hier : S. 23. Zit. nach: Sei es mit Gewalt, S. 26. Vgl. Fritz wie Franz; in: Der Spiegel Nr. 24/1968 vom 10. 6. 1968, S. 54 f.; hier : S. 54.

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Kritik an der Studentenbewegung artikulierten. Den SPD-Abgeordneten Adolf Arndt und das DGB-Organ »Welt der Arbeit« erinnerten die zerstörten Fensterscheiben in Berlin an Hitlers SA, die jüdische Warenhäuser zerstörte.195 Rudolf Augstein kritisierte, dass der SDS mit Hilfe von Steuergeldern der parlamentarischen Demokratie innerhalb der Bevölkerung für die Abschaffung des Parteienstaates werben kann und fragte, warum Rudi Dutschke die »bestehenden parlamentarischen Institutionen nicht zumindest insoweit akzeptieren [kann], als er sie erobert« und deshalb eine neue Partei gründe?196 Jürgen Habermas glaubte nach der Gedenkfeier für Benno Ohnesorg »in Hannover ›Gründe zu haben‹ Dutschkes Ansichten ›linken Faschismus‹ nennen zu müssen.«197 Der zeitgenössische Journalist Kai Hermann bezweifelte das, gestand aber ein, dass der Aktivismus von Linksextremisten durchaus an faschistische Praxis erinnere.198 Die Heterogenität der Studentenbewegung und deren zunehmend radikales Verhalten bedingte, dass immer mehr Zeitgenossen die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters übernahmen, sodass es schwer fällt, bei dem Untergangsszenario der »Studentenbewegung« eine klare Trennung zwischen beiden Wahrnehmungsmustern vorzunehmen. Ausschlaggebend für die ungenaue Trennung könnte auch sein, dass sich viele Akteure der Studentenbewegung auch gegen liberale und linksliberale Zeitgenossen wandten, weshalb sie schnell deren Sympathien verloren und diese sich wiederum den Ängsten des konservativen Wahrnehmungsmusters anschlossen. Ob das Feindbild der Studenten tatsächlich deshalb »liberal« war, weil die liberalen Zeitgenossen der angeblich autoritären Gesellschaft als »Alibi« galten, wie Kai Hermann vermutete, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden.199 Auf jeden Fall bewirkte auch das liberale Feindbild und dass sich Teile der Studentenbewegung im Verlauf ihres Bestehens immer mehr radikalisierten, dass sich auch ehemalige Fürsprecher der Studentenbewegung von ihnen abwendeten. So bildete sich, wie bereits erwähnt, im Februar 1968 eine breite Allianz aus verschiedenen Verbänden, Parteien und Gewerkschaften, die gegen die Studentenbewegung demonstrierten. In der Berliner SPD wurden Unterschriften für eine Urabstimmung gesammelt, die die Unvereinbarkeit von Parteimitgliedschaft und der Teilnahme an Demonstrationen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung abwerten oder zerstören wollen, beschließen sollte, was allerdings keine 195 Vgl. nach: Gebrochenes Rückgrat, S. 33. 196 Rudolf Augstein: Herrn Rudi Dutschkes Umwälzung der Wissenschaft; in: Der Spiegel Nr. 51/1967 vom 11. 12. 1967, S. 68 – 73; hier: S. 73. 197 Zit. nach: Rebellion der Gläubigen; in: Der Spiegel Nr. 3/1968 vom 15. 1. 1968, S. 41 f.; hier: S. 41. 198 Vgl. nach: Rebellion der Gläubigen, S. 41. 199 Vgl. nach: Rebellion der Gläubigen, S. 41.

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Mehrheit fand.200 In Berlin wurde als Gegenentwurf zum »Republikanischen Club« der »Demokratische Club« gegründet, in dem auch Mitglieder aus Union, FDP und SPD, vor allem vom »Godesberger Flügel«, auf die Gefährdung der demokratischen Ordnung aufmerksam machen wollten.201 Werner Maihofer fragte Dutschke in einer Diskussionsrunde, ob es ihm »um die Festhaltung der demokratischen Errungenschaften der Französischen Revolution: Grundrechtsgarantien, Minderheitenschutz und so weiter, und zwar mit Klauen und Zähnen – oder um ihre Aufhebung« gehe.202 Der Schriftsteller Helmut Heissenbüttel kritisierte zwar die bundespolitische Realität, wollte aber noch weniger in dem Staat leben, der den bundesdeutschen Revolutionären vorschwebe, da er Angst hätte, dass verschiedene Meinungen nicht mehr toleriert würden.203 Der Schriftsteller Hermann Kesten sah den Krieg gegen die parlamentarische Demokratie von allen Seiten geführt.204 Durch die Forderung nach Revolution, aber auch durch die Planung von Notstandsgesetzen werde die Bundesrepublik entdemokratisiert, weshalb nach dieser Entdemokratisierung sowohl eine linke als auch eine rechte Revolution möglich sei. Kesten erinnerte daran, dass die einzige siegreiche Revolution in Deutschland im Jahr 1933 begann. Einer linken Revolution könne er nur für den unwahrscheinlichen Fall zustimmen, dass »es unblutige Revolutionen gäbe, ohne rollende Köpfe, ohne KZ, […] ohne Verletzung der Menschenrechte und Menschenwürde, ohne Sklaverei im Namen der Freiheit, ohne Unrecht im Namen des Rechts, ohne Glaubenskriege!«205 Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 verstärkte sich der Wandel in der Gefahrenwahrnehmung im linken Wahrnehmungsmuster. Nach den gewaltsamen Ausschreitungen bei den Osterunruhen und durch die zunehmende Konzeptlosigkeit der Studentenbewegung nahm man die linken Extremisten der Studentenbewegung durch ihr Nichtbeachten demokratischer Spielregeln auch im linken Wahrnehmungsmuster verstärkt als Gefahr wahr. Außerdem sah man im konservativen Wahrnehmungsmuster verstärkt die Akteure des SDS als Gefährdung, während man die Studentenbewegung mehr als heterogene Gruppe betrachtete, deren Zielstellungen teilweise nachvollziehbar seien. So gestand der Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ein, dass die staatlichen Autoritäten bisher zu wenig auf die Studenten gehört und sich zu 200 Vgl. Klaus Ritter : Immer Ärger mit den Linken. Die Berliner SPD muß jetzt schwierige Entscheidungen treffen; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1968 vom 1. 3. 1968, S. 2. 201 Vgl. Ritter : Verbindungsbüro zum Bürger. 202 Heiterkeit in die Revolution bringen, S. 46. 203 Vgl. Ist Revolution unvermeidlich? Schriftsteller antworten auf eine Spiegel-Umfrage; in: Der Spiegel Nr. 15/1968 vom 8. 4. 1968, S. 60 – 73; hier: S. 65. 204 Vgl. Ist Revolution unvermeidlich?, S. 68. 205 Ist Revolution unvermeidlich?, S. 68.

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autoritär gezeigt hätten.206 Dennoch müsse der Staat Autorität zeigen, weshalb Herman Schreiber Kiesingers Handlungsspielraum im Umgang mit der Studentenbewegung »auf die konfliktschwangere Alternative: Pädagogik oder Polizei« begrenzt sah.207 Der »Spiegel« konfrontierte Kiesinger später im September 1969 mit der Behauptung, dass es sich inzwischen gut verkaufen lasse, die Unruhe der Jugend zu begrüßen, wenn es aber ernst werde, rede man schnell von bürgerkriegsähnlichen Zuständen.208 Darauf erwiderte Kiesinger, dass er sehr stark zwischen denjenigen unterscheide, die die Gesellschaft zerstören und denjenigen, die sie reformieren wollten.209 Im Juni 1968 erschien eine Titelstory im »Spiegel« über den SDS, in der massive Kritik auch aus dem linken Wahrnehmungsmuster artikuliert wurde. Rückblickend konstatierte der »Spiegel«, dass die Enttäuschung darüber, dass es dem SDS nach der erfolgreichen Mobilisierung von tausenden Demonstranten gegen den Vietnamkrieg und gegen die Notstandsgesetze nicht gelang, die Arbeiterschaft für ihre Ziele zu gewinnen, dazu führte, dass »ihr Tatendrang […] in blinden Aktionismus [umschlug], der die gesellschaftliche Isolierung der rebellischen Studenten deutlich machte und ihnen harsche Kritik selbst von Linksintellektuellen eintrug.«210 Jürgen Habermas mahnte an, dass sie eine virtuelle Unibesetzung mit einer faktischen Machtergreifung verwechselten und deshalb unter Wahnvorstellungen leiden würden.211 Auch andere linke Akteure der APO kritisierten den SDS und Theodor Adorno distanzierte sich von der Gewalt durch seine berühmt gewordene Kritik: »Ich habe ein theoretisches Denkmodell aufgestellt, wie konnte ich ahnen, daß Leute es mit MolotowCocktails verwirklichen wollen.«212 Günter Grass warnte ebenfalls davor, dass der SDS die Demokratie missverstehe, in dem er warnte: »Der Faschismus läuft auch im Marxpelz herum«.213 Der »Spiegel« sah im Februar 1969 in der Abwendung vieler linker und linksliberaler Akteure von der Studentenbewegung »keine Parallelverschiebung im politisch-ideologischen Spektrum, sondern eine optische Täuschung: Die Adornos und Augsteins, die Halblinken und die Liberalen, die Gewerkschaften und schon gar die etablierten Parteien haben ihre Position und die Distanzen 206 Vgl. nach: Hermann Schreiber : »Da sind Dämonen am Werk.« Spiegel-Redakteur Hermann Schreiber über Kanzler Kiesinger und die Studenten; in: Der Spiegel Nr. 18/1968 vom 29. 4. 1968, S. 29 f.; hier: S. 29. 207 Schreiber : »Da sind Dämonen am Werk«, S. 29 208 Vgl. »Statt dass man mir ein Kränzchen flicht«, S. 31. 209 Vgl. »Statt dass man mir ein Kränzchen flicht«, S. 31. 210 Zur Sonne, S. 39. 211 Vgl. nach: Zur Sonne, S. 39. 212 Zit. nach: Wann und wie; in: Der Spiegel Nr. 7/1969 vom 10. 2. 1969, S. 23 – 34; hier : S. 34. 213 Zit. nach: Dieter Weirich: Der Blechtrommler. Günter Grass im »roten Hessen«; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1969 vom 16. 5. 1969, S. 11.

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zueinander bewahrt«, stattdessen sei lediglich »der revolutionäre Kern der Apo […] ans Ende der Farbskala abgewandert -dorthin, wo Anarchistenschwarz beginnt.«214 Auf jeden Fall bewirkte die Zuwendung zur Gewalt, dass sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster Teile der Studentenbewegung als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie wahrgenommen wurden und dass mit der Abnahme der Sympathien für die Studentenbewegung und deren dadurch bedingter Zerfall aber auch die Thematisierung einer Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch das Erstarken einer Massenbewegung abnahm. Stattdessen transformierten sich viele Ängste vor einer linken Massenbewegung zu konservativen Ängsten vor einem anonymen Machtapparat, der durch die Unterwanderung linker Verfassungsfeinde gesteuert werde, worauf an späterer Stelle eingegangen wird. Zusammenhänge mit anderen Bedrohungsszenarien Wie in Kapitel 3.1.1 bereits herausgearbeitet, wurde oft ein Zusammenhang zwischen der Studentenbewegung und einem Erstarken der NPD hergestellt. Hans Maier befürchtete darüber hinaus, dass sich links- und rechtsradikaler Extremismus gegenseitig indirekt verstärke, »während die Mittelparteien in Immobilismus und Ratlosigkeit ihre Position zusammenschrumpfen sehen.«215 Rudolf Augstein kritisierte die gewaltsamen Ausschreitungen bei Veranstaltungen der Studentenbewegung, da sich bei der nächsten Bundestagswahl zeige, dass »CDU, CSU und NPD ernten, wo eine politisch undisziplinierte Studentenschaft gesät [hat].«216 Jürgen Wahl befürchtete sogar, dass die Sowjetunion wolle, dass die Auseinandersetzungen zwischen der NPD und der Studentenbewegung weiter anwachsen, denn erneut »hofft Moskau, daß die Extreme sich ›hochschaukeln‹ und der Gegner in Selbstzerfleischung endet.«217 Später wurde eine Verbindung zwischen dem Szenario einer linken Massenbewegung und dem Abschluss der Ostverträge gesehen. Im Jahr 1972 befürchtete die Union, dass eine Ratifizierung der Moskauer- und Warschauer Verträge den sich in der Bundesrepublik ausbreitenden »Roten Faschismus« begünstige.218 Weiterhin wurde, wie bei der Angst vor der NPD auch, ein Zusammenhang zwischen dem Bedrohungsszenario der Massenbewegung und dem eines neuen Führers hergestellt. Kurt Georg Kiesinger wollte im Umgang mit der Studen214 215 216 217

Wann und wie, S. 34 Maier : Reform. Augstein: Zahltag. Jürgen Wahl: In der Sackgasse Zeit verloren. Die NPD ist zu schlagen – ohne Lärm, Hysterie und Manipulation; in: Rheinischer Merkur Nr. 18/1969 vom 2. 5. 1969, S. 3. 218 »Diese Rede war für uns gefährlich«; in: Der Spiegel Nr. 10/1972 vom 28. 2. 1972, S. 19 f.; hier : S. 20.

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tenbewegung staatliche Autorität demonstrieren, »damit die Mehrheit […] davon abgehalten werde, nach dem starken Mann von ganz rechts zu verlangen.«219 Auch Günter Grass befürchtete, dass durch Gewaltausschreitungen der Ultralinken rechte Demagogen Zulauf bekommen könnten.220 Ab 1969 wurden Ängste vor der Studentenbewegung als Massenbewegung der Linken immer seltener artikuliert. Gründe hierfür waren einerseits, dass sich die Studentenbewegung verlaufen hatte und außerdem immer mehr Sympathien verlor, da ihr Vorgehen zunehmend gewalttätiger wurde. Andererseits transformierten sich aber auch die Ängste vor einer linken Massenbewegung in Ängste vor einer linken Unterwanderung des bestehenden Macht- und Regierungsapparats (siehe Kapitel 3.3.2). Der Schriftsteller Rolf Hochhuth rief im April 1968 ins Gedächtnis, dass viele Schriftsteller in der Weimarer Republik zwar die nahende Katastrophe durch Hitler vorausgesehen hätten, ihre Stimme aber wirkungslos gewesen sei, da sie weder ein Reichstagsmandat noch ein Amt innehatten, mit dem sie die Straße gegen die Feinde der Weimarer Republik mobilisieren konnten.221 Hochhuth forderte deshalb bereits im April 1968 eine »systematische Unterwanderung [der SPD, C.S.] durch anständige Menschen«, sodass sie durch die Eroberung eines Wahlkreises, »die Führungsriege der SPD zwingen, ihre Mitarbeit zu dulden.«222 Die Ängste vor einem anonymen Machtapparat verstärkten sich auch deshalb, da Rudi Dutschke als Strategie ausgab, dass die Studentenbewegung am »schwächsten Glied innerhalb der Gesellschaft«, nämlich den Universitäten, begonnen habe und dass »weitere schwache Glieder wie Berufsschulen, Schulen und auch Betriebe […] weitere Etappen des langen Marsches durch die schwachen Glieder« seien, um eine größere Politisierung zu erreichen.223

3.1.3 Konservative Ängste vor einer neuen Massenbewegung nach 1969 Die Höhepunkte der Thematisierung der Angst vor einer neuen Massenbewegung waren die Jahre von 1966 bis 1969. Im Gegensatz zum linken Wahrnehmungsmuster wurden diese Ängste im konservativen Wahrnehmungsmuster aber auch nach 1969 immer wieder häufig thematisiert und hatten von 1981 bis 1983 eine zweite Höhepunktphase der Thematisierung. Ab 1969 nahmen die Ängste vor der Studentenbewegung als Massenbewegung der Linken rapide ab. Gründe hierfür waren einerseits die Auflösungser219 220 221 222 223

Vgl. nach: Schreiber : »Da sind Dämonen am Werk«, S. 29. Vgl. Wann und wie, S. 24 f. Vgl. Ist Revolution unvermeidlich?, S. 66. Ist Revolution unvermeidlich?, S. 65 und S. 66. Heiterkeit in die Revolution bringen, S. 44.

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scheinungen der Studentenbewegung, die die Gefahr einer neuen Massenbewegung bannten, andererseits transformierten sich viele Ängste vor der Studentenbewegung als Massenbewegung in andere Untergangsszenarien. Es wurde befürchtet, dass viele Akteure der Studentenbewegung wichtige Ämter übernehmen können und dadurch die SPD und FDP, die Universitäten und andere Institutionen des Staates unterwandern können, um die Demokratie zu zerstören (siehe Kapitel 3.3.2). Aber auch Ängste vor einer neuen Massenbewegung wurden weiterhin artikuliert.

Ängste vor linken Gruppierungen und Linkstrends, vor Terrorismus und neuen politischen Ausdrucks- und Protestformen Im Juni 1971 warnte der neugewählte Universitätsrektor Hatto H. Schmitt (Bonn) vor der weiterhin akuten Bedrohung der Universitäten durch geschulte Linkskader, die in Verbindung zu kommunistischen Staaten stehen. Die Gefährlichkeit mindere sich nicht dadurch, dass diese Linksgruppen kein einheitliches Konzept haben, denn »wir hatten schon einmal eine Bewegung mit einer verwaschenen Weltanschauung, was sie nicht daran gehindert hat, die Macht zu übernehmen.«224 Schmitt betonte aber auch, dass man noch nicht aufzugeben brauche, wenn man sich jetzt argumentativ mit den Andersdenkenden auseinandersetzen werde. Gut ein Jahr danach warnte der Historiker Konrad Repgen anlässlich von Rathausstürmungen vor der »mangelnden Vorstellungskraft der Bürger, die sich kaum denken können, daß etwas Absurdes wie der Umsturz der Demokratie passiert.«225 Eine ähnliche Argumentation zeigte sich im gesamten Untersuchungszeitraum bei der Warnung vor anderen kleineren linken Gruppierungen und Parteien. Dass die Gefahr von linken Bewegungen deshalb gering sei, weil ihnen der Rückhalt in der Bevölkerung fehle und sich die Gefährlichkeit einer radikalen Bewegung nicht nach deren Zielen, sondern nach deren Potenzialen bestimme226, wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster immer wieder bestritten. Walter Bajohr warnte davor, 2000 KPD/ML – Demonstranten für ungefährlich zu halten, da die irische IRA weniger

224 Die Mitte wacht auf. Siegmar Schelling sprach mit den neugewählten Universitätsrektoren Klaus Stern (Köln) und Hatto H. Schmitt; in: Rheinischer Merkur Nr. 26/1971 vom 25. 6. 1971, S. 4 f.; hier : S. 5. 225 Zit. nach: Karl Th. Stark: Rache geschworen. Rathausstürmer drohen der Polizei; in: Rheinischer Merkur Nr. 19/1973 vom 11. 5. 1973, S. 12 f.; hier: S. 12. 226 Vgl. »Anarchisten kann man riechen.« Der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Günther Nollau, über Radikalismus; in: Der Spiegel Nr. 19/1972 vom 1. 5. 1972, S. 36 – 46; hier : S. 41. Nollau sieht keine Gefahr in der DKP, sondern in der Unterwanderung des öffentlichen Dienstes durch Anhänger radikaler politischer Haltungen.

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aktive Kämpfer habe.227 Solche Ängste wurden auch durch Aussagen von Spitzenfunktionären der KPD und KSV bekräftigt, dass Mehrheiten für die Zerschlagung des bürgerlichen Staates nicht relevant seien, da man die Zerschlagung nicht auf parlamentarischem Wege durchführen möchte.228 Otto B. Roegele sah die Gefährlichkeit der DKP auch darin, dass sie relativ offen vom Weltkommunismus unterstützt würde, während hinter der NPD niemand stehe.229 Vergleiche zur nationalsozialistischen Vergangenheit wurden weiterhin gezogen. Franz Josef Strauß sah beispielsweise im September 1979 in DKP-Protestbekundungen gegen seine mögliche Kanzlerschaft den gleichen Geist wie bei SA und SS.230 Eine Gefahr durch linke Gruppierungen und Parteien wurde auch deshalb für möglich gehalten, da Teile der sozialliberalen Koalition, hauptsächlich personifiziert durch die Jugendorganisationen der SPD (Jusos) und FDP (Judos), mit diesen linken Gruppen sympathisierten. Zwar äußerten sich diese Ängste vorrangig in der Angst vor einer Unterwanderung des Machtapparates, es wurden aber auch Ängste vor einer Herrschaft auf der Straße artikuliert, ähnlich wie zu Zeiten der SA.231 Für Elimar Schubbe erlebte die zweite deutsche Republik in den Massendemonstrationen vor der Bundestags-Abstimmung über das konstruktive Misstrauensvotum am 27. April 1972 ihre bittersten Stunden, denn »[w]ie zur Zeit Weimars wurde die Straße gegen das frei gewählte Parlament mobilisiert«.232 Für Schubbe war gerade skandalös, dass eben nicht nur linksextreme Gruppierungen an den Demonstrationen teilnahmen, sondern dass an den »Demonstrationen der Intoleranz« auch Gruppen der SPD und des DGB beteiligt waren, wodurch sich eine »Volksfront an der Basis« konstituiert habe.233 Diese Mobilisierung auf der Straße gegen das frei gewählte Parlament gehe deshalb an das »Mark der Demokratie und gefährdet ihre Einrichtungen«, weshalb Schubbe forderte, dass sich die »Demokraten aller Couleur« zur gemeinsamen Verteidigung dieses Staates zusammenschließen sollten, da eine »Entrüstung im Lehn-

227 Vgl. Walter Bajohr : Rote Rache. Aufruf zu Haß und Gewalt; in: Rheinischer Merkur Nr. 26/ 1974 vom 28. 6. 1974, S. 4. 228 Vgl. »Die kapitalistische Universität zerschlagen.« Spitzenfunktionäre von KPD und KSV über kommunistische Gewaltstrategie in der Bundesrepublik; in: Der Spiegel Nr. 6/1974 vom 4. 2. 1974, S. 36 – 45; hier : S. 45. 229 Vgl. Otto B. Roegele: Hand in Hand; in: Rheinischer Merkur Nr. 19/1978 vom 12. 5. 1978, S. 2. 230 Vgl. nach: Peter Cornelson: Strauß im Westen: Variationen über »Chaoten und die Folgen«, in: Rheinischer Merkur Nr. 38/1979 vom 21. 9. 1979, S. 9. 231 Vgl. Elimar Schubbe: Exklusive Rote; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1971 vom 26. 2. 1971, S. 4. 232 Elimar Schubbe: Volksfront marschiert. Radikale Sozialisten mobilisieren die Straße gegen das Parlament; in: Rheinischer Merkur Nr. 18/1972 vom 5. 5. 1972, S. 2. 233 Schubbe: Volksfront marschiert.

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stuhl vor dem Fernsehgerät« nicht ausreiche.234 Reginald Steed, der Chefkommentator der britischen »Daily Telegraph« entdeckte sogar Parallelen zwischen der nationalsozialistischen Bewegung und der Anhängerschaft der sozialliberalen Regierung, obwohl die eine Bewegung rechts und militaristisch, die andere links und pazifistisch war. Dennoch entdeckte Steed in der Bundesrepublik die »Anzeichen eines nationalistischen Emotionalismus und Mystizismus […], die seinerzeit den Rausch der Hitler-Zeit so entscheidend bestimmten«.235 Damals seien die »emotionellen Phrasen ›Mythos des 20. Jahrhunderts‹, ›Blut und Boden‹, ›Volk ohne Raum‹, ›Tausendjähriges Reich‹ usw. Heute lauten sie ›Wandel durch Annäherung‹, ›Vom Gegeneinander zum Miteinander‹, ›Zwei Staaten der deutschen Nation‹, ›Man muß die Teilung Deutschlands akzeptieren, um sie zu überwinden‹ usw.«236 Es wurde in der bisherigen Untersuchung deutlich, dass das Szenario der Massenbewegung nicht immer dahingehend artikuliert wurde, dass sich eine tatsächliche »Mehrheits-Massenbewegung« bildet, die aufgrund der neuen Mehrheitsverhältnisse die Macht übernehmen kann. Vielmehr existierten die Ängste auch dahingehend, dass eine mobilisierte Bewegung die Macht über die Masse erlange, da die Bewegung aktiv ist und Gewalt anwendet, während die »träge Masse« passiv ist und sich nicht zur Wehr setzt. Letzteres zeigte sich auch in den Ängsten, die der Terrorismus der 1970er Jahre auslöste, vorrangig durch den Terrorismus der »Roten Armee Fraktion« (RAF). Der Terrorismus wurde nicht nur aus strafrechtlicher Sicht als Bedrohung angesehen, sondern auch als Gefahr für den Bestand der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik. Für das Bundeskriminalamt (BKA) war die RAF deshalb so gefährlich, weil sich die Terroristen den Erfahrungsschatz der südamerikanischen Stadt-Guerilla angeeignet und einen radikalen Umsturz der Gesellschaftsordnung zum Ziel hätten.237 Anton Böhm warnte vor einer Jugend mit radikalen Ideen, die sich dem Umsturz widmen werde.238 Dabei sei es nur eine Frage des Temperaments und der Taktik, ob das durch den scheinlegalen langen Marsch oder durch Terrorismus vollzogen werden soll. Böhm warnte vor der Unterstützung des Terrorismus durch Teile der linken Intellektuellen und mahnte an, dass die Gerichte und die Polizei »die Rettung der bereits schwer gefährdeten Demokratie nicht allein schaffen [können]; auf lange Sicht wird vielmehr entscheidend sein, wie Wissenschaft, Lehre, Massenmedien, Parteien

234 235 236 237 238

Schubbe: Volksfront marschiert. Zit. nach: Für Kenner ; in: Rheinischer Merkur Nr. 26/1972 vom 30. 6. 1972, S. 8. Zit. nach: Für Kenner vom 30. 6. 1972. Vgl. Deckname Rosi; in: Der Spiegel Nr. 20/1971 vom 10. 5. 1971, S. 93 ff.; hier : S. 94. Vgl. Anton Böhm: Pseudo-Elite; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/72 vom 28. 1. 1972, S. 1 f.

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und demokratische Organisationen der intellektuellen Herausforderung durch die Revolution begegnen.«239 Im linken Wahrnehmungsmuster wurde der Terrorismus zwar ebenfalls abgelehnt, eine akute Gefährdung für die bundesdeutsche Demokratie wurde aber nicht gesehen. Vielmehr wurde kritisiert, dass von konservativer Seite der Terrorismus benutzt wurde, um Akteure des linken Wahrnehmungsmusters, wie Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit, als mitverantwortlich hinzustellen und dass auch Personen unter Terrorismusverdacht kamen, bei denen auch nur loser Kontakt zu Terroristen vermutet wurde.240 Heinrich Böll errechnete angesichts der geringen Größe der Roten Armee Fraktion ein Zahlenverhältnis von Terroristen zur Gesamtbevölkerung von 1 zu 10 Millionen, weshalb er ironisch feststellte: »Das ist tatsächlich eine äußerst bedrohliche Situation für die Bundesrepublik Deutschland. Es ist Zeit, den nationalen Notstand auszurufen.«241 Die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« äußerte sich in ähnlicher Weise: »Die Gefahr, die durch die Aktivitäten der Bande hervorgerufen wurde, ist vielfach überschätzt worden. Weder der Bestand des Staates noch die demokratische Grundordnung konnten durch ihr Treiben ernsthaft gefährdet werden.«242 Nach der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann am 10. November 1974 durch die »Bewegung 2. Juni« war sich der Bundespräsident Walter Scheel auf dem Kongress des Deutschen SchriftstellerVerbandes sicher, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Bundesrepublik anders als die Weimarer Republik nicht im Stich lassen werde, forderte aber, dass für die Erhaltung der Freiheit eingestanden werden müsse, »oder diese freiheitliche Zivilisation wird einer neuen Gewaltherrschaft Platz machen«.243 Der Hamburger Verfassungsschützer Hans Josef Horchem schloss für die Zukunft der Bundesrepublik weitere Terrorakte nicht aus, denn »sie erscheinen ihm ›wie Unfälle, mit denen eine technisch organisierte Welt leben muß‹.«244 Paul Wilhelm Wenger sah in der Entführung von Peter Lorenz Anfang 1975 eine »Kapitulation des Rechtsstaates« und Gründe für den Terrorismus in der Reformpolitik der sozialliberalen Koalition und der mangelnden Abwehrkraft gegen Terroristen und Linksradikale und forderte deshalb das Antreten der 239 Böhm: Pseudo-Elite, S. 2. 240 Vgl. Otto Köhler : Bleilos aus Itzehoe; in Der Spiegel Nr. 10/1971 vom 1. 3. 1971, S. 92 und Deckname Rosi, S. 93. 241 Heinrich Böll: »Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?« Schriftsteller Heinrich Böll über die Baader-Meinhof-Gruppe und »Bild«; in: Der Spiegel Nr. 3/1972 vom 10. 1. 1972, S. 54 – 57; hier : S. 55. 242 Zit. nach: Fetzen fliegen; in: Der Spiegel Nr. 25/1972 vom 12. 6. 1972, S. 73 ff.; hier: S. 74. 243 Zit. nach: Um die Freiheit; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1974 vom 22. 11. 1974, S. 2. 244 Zit. nach: Anarchisten: »Mit dem Terror leben« Können die Staatsschützer den Kampf gegen den Untergrund gewinnen; in: Der Spiegel Nr. 11/1975 vom 10. 3. 1975, S. 24 – 28; hier : S. 28.

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»streitbare[n] Demokratie […], wenn die Freiheit dieses Staates nicht das Opfer einer Handvoll Anarchisten werden will.«245 Mit dem Höhepunkt des Terrorismus im Jahr 1977 wurden auch neue Ängste vor einer Massenbewegung artikuliert. Nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer äußerte der CSULandesgruppenchef Friedrich Zimmermann die Angst, dass durch die Verhöhnung des demokratischen Rechtsstaates eine neue rechtsradikale Partei leicht bis zu 25 % der Wählerstimmen erreichen könnte.246 Bereits nach der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback am 7. April 1977 sah Paul Wilhelm Wenger die Hauptgefahr für Demokratie und Staat nicht in den Mördern von Buback, sondern in den Sympathisanten der Terroristen.247 Wenger kritisierte nach der Schleyer-Entführung den Versuch linker Akteure, eine Urheberschaft für den Terrorismus zu leugnen und entgegnete auf Herbert Wehners Aussage, dass der Terrorismus unpolitisch sei, da er Politik unmöglich machen wolle, dass gerade das »ein politisch linksextremes, wenn auch perverses Unternehmen zur totalen Zerstörung dieser als faschistisch verleumdeten Bundesrepublik« sei.248 Im linken Wahrnehmungsmuster entwickelte sich aus den Abwehrmaßnahmen gegen den Terrorismus seit Mitte der 1970er Jahre die Angst vor dem Überwachungsstaat (siehe Kapitel 3.3.3). Auf Kritik an diesen Abwehrmaßnahmen wurde vom konservativen Wahrnehmungsmuster entgegnet, dass man 1933 in Berlin gesehen hätte, »wie wenig die Ohnmacht der Demokratie gegen den Terror von links oder rechts ausrichtet.«249 Stattdessen würde diese Ohnmacht die Feinde der Demokratie nur ermutigen. In einem anonymen Strategiepapier mit dem Titel »Das tapfere Schneiderlein« bedauerten Linksextremisten, dass sich die Terroristenbewegung nach dem Deutschen Herbst 1977 in einer Sackgasse befände. Als Nährboden für eine neue Massenbewegung betrachteten die anonymen Verfasser deshalb die AntiAtomkraftbewegung, die Universitätslinken und die Gruppen der Gegenkultur, wie beispielsweise die »Spontis«.250 Die Angst, dass politisch legitime Anliegen von Linksextremisten zur Zerstörung der Demokratie missbraucht werden, zeigte sich auch schon vorher in der Auseinandersetzung mit neuen Formen des politischen Protests bzw. der 245 Paul Wilhelm Wenger : Kapitulation des Rechtsstaats. Jahrelange Fahrlässigkeit führte zum Lorenz-Debakel; in: Rheinischer Merkur Nr. 10/1975 vom 7. 3. 1975, S. 1. 246 Vgl. nach: Stark genug, den Krieg zu erklären?; in: Der Spiegel Nr. 38/1977 vom 12. 9. 1977, S. 17 – 21; hier : S. 20 f. 247 Vgl. Paul Wilhelm Wenger : Bressers Reinfall; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1977 vom 22. 4. 1977, S. 3. 248 Paul Wilhelm Wenger: Suche nach dem Alibi; in: Rheinischer Merkur Nr. 38/1977 vom 23. 9. 1977, S. 1 f.; hier: S. 2. 249 R. R.: Curd in Bonn; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1979 vom 14. 12. 1979, S. 27. 250 Vgl. nach: Birgit Laprell: Vom »tapferen Schneiderlein«. Linksextremisten entwickeln neue Kampf-Strategien; in: Rheinischer Merkur Nr. 8/1978 vom 24. 2. 1978, S. 2.

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politischen Mitbestimmung. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Hausbesetzern und der Polizei im Frankfurter Westend-Bezirk am 22. Februar 1974 riefen auch bei dem Frankfurter Oberbürgermeister Rudi Arndt (SPD) Erinnerungen an die NS-Zeit hervor, da diese Chaoten schlimmer als die SS und die SA seien.251 Der »Spiegel« hielt derartige Vergleiche wohl für übertrieben und kommentierte ironisch weiter, der »CSU-Führer Franz Josef Strauß sah im Bierdunst von Vilshofen seine ›apokalyptischen Prophezeiungen‹ von ›Bürgerkrieg‹ und ›Anarchie‹ erfüllt.«252 Im konservativen Wahrnehmungsmuster sah man die Ursachen für die »Revolutionsprobe, die von Frankfurter Chaoten und Brutalisten am 22. Februar geliefert wurde« in der Reformpolitik der sozialliberalen Regierung, vorranging in der Reform des Demonstrationsrechts und des Landfriedensbruchparagraphen. Deshalb forderte Paul Wilhelm Wenger vom »Bundesgesetzgeber unverzüglich die Reform seines Reform-Leichtsinns«, wenn »dieser Staat nicht von einigen hundert linken Chaoten unter deren diabolischem Gelächter zu Fall gebracht werden will«.253 Zu den Maßnahmen zählte Wenger die Anwendung von Artikel 18 des Grundgesetzes (Verwirkung missbrauchter Grundrechte), die Wiederherstellung des Landfriedensbruchparagraphen, beschleunigte Gerichtsverfahren, die Einführung einer Verwahrungshaft und die Sperrung von Stipendien. Für Herwig Gückelhorn ging es bei Demonstrationen in Frankfurt am Main nicht tatsächlich um die geplante Fahrpreiserhöhung, sondern »Kommunisten und Anarchisten sind von weither zusammengeströmt, um die Demokratie an einem Exempel aus den Angeln zu heben.«254 Elimar Schubbe sah in den gewaltsamen Demonstrationen in Brokdorf im Jahr 1976 eine »von Feinden unserer verfassten Demokratie systematisch inszenierte und bundesweit organisierte Machtprobe auf die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates.«255 Zwar hätten sich die Bürgerinitiativen bisher zu einem »belebenden Element für unsere Demokratie gemausert« und seien ein »Frischluftfenster unserer Demokratie«, wenn sich das Beispiel von Whyl und Brokdorf aber durchsetze, wofür vieles spreche, »stehen die Bürgerinitiativen in Gefahr, zu rätedemokratischen Instrumenten in Händen von Gegnern unserer

251 Vgl. nach: »Spontis und Chinesen lenkten die Schlacht.« Bei den Frankfurter Straßenkämpfen erprobten kommunistische Kader ihre Konflikt-Strategie; in: Der Spiegel Nr. 10/ 1974 vom 4. 3. 1974, S. 26 – 29; hier: S. 26. 252 »Spontis und Chinesen lenkten die Schlacht«, S. 26. 253 Paul Wilhelm Wenger: Revolutionsmodell Frankfurt. Die Quittung für den sozialliberalen Leichtsinn; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1974 vom 1. 3. 1974, S. 1. 254 Herwig Gückelhorn: Revolutions-Exempel in Frankfurt. Der Staat darf vor dem Chaos nicht kapitulieren; in: Rheinischer Merkur Nr. 23/1974 vom 7. 6. 1974, S. 1. 255 Elimar Schubbe: Bürgerinitiativen vor dem Scheideweg. Brokdorf enthüllt die linke Unterwanderungsstrategie; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1976 vom 19. 11. 1976, S. 1.

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freiheitlichen Verfassung zu entarten.«256 Schubbe forderte daher die Solidarität aller Demokraten, da die letzten gewaltsamen Demonstrationen »die auch in den Massenmedien geflissentlich verbreitete Legende von der Bedeutungslosigkeit der deutschen Extremisten gründlich zerstört« habe.257 Die Entscheidung des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen, den Demonstrationsort von Brokdorf nach Itzehoe zu verlegen, wurde im »Rheinischen Merkur« ausdrücklich begrüßt, da sich nun das Zahlenverhältnis offenbare, »zwischen denen, die ihr legitimes Unbehagen über Kernenergie und ihre Risiken zum Ausdruck bringen und denen, die mit Hilfe der Gewalt die Grundfesten dieses Staates erschüttern wollen«.258 Die »Bürgeraktion gegen Chaos« konnte im September 1981 nicht glauben, dass es dem »Tuwat« in West-Berlin nur darum gehe, auf einen Missstand in der Wohnungspolitik hinzuweisen, sondern vermutete, dass die Krawalle dazu dienen, den Umsturz herbeizuführen.259 Zwar wurden die Forderungen der Hausbesetzer oft als legitim anerkannt und es wurde dahingehend differenziert, dass nicht alle Hausbesetzer Gegner des demokratischen Rechtsstaates seien260, aber vor allem die Methoden wurden massiv kritisiert. Paul Wilhelm Wenger erinnerten Flugblätter mit den Adressen von Wohnungsspekulanten an »Terrorakte der SA gegen mißliebige Bürger im ›deutschen Herbst‹ des Jahres 1933.«261

Konservative Ängste vor der demokratiezerstörenden Unregierbarkeit Ab circa Mitte der 1970er Jahre wurden auch vermehrt Ängste vor einer Unregierbarkeit der Bundesrepublik Deutschland artikuliert. Neben den Befürchtungen des konservativen Wahrnehmungsmusters, dass sich die derzeitige Regierung als schwach erweise und ihren Regierungsauftrag deshalb nicht erfüllen könne, existierte auch im linken Wahrnehmungsmuster die Ansicht, dass der Kapitalismus in eine existenzielle Krise geraten sei.262 Wie auch Gabriele Metzler 256 Schubbe: Bürgerinitiativen vor dem Scheideweg. 257 Schubbe: Bürgerinitiativen vor dem Scheideweg. 258 Walter Bajohr : Radikale abgenabelt; in: Rheinischer Merkur Nr. 6/1977 vom 11. 2. 1977, S. 4. 259 Vgl. »Hier stinkt’s, und brodeln tut’s auch.« »Tuwat« und Vertreter der »Bürgeraktion gegen Chaos« über Gewalt in West-Berlin; in: Der Spiegel Nr. 37/1981 vom 7. 9. 1981, S. 114 f.; hier : S. 115. 260 Vgl. Alois Rummel: Hausbesetzer und Chaoten. Ein Signal der Kurskorrektur ; in: Rheinischer Merkur Nr. 6/1981 vom 6. 2. 1981, S. 1. 261 Paul Wilhelm Wenger : SA in Berlin?; in: Rheinischer Merkur Nr. 29/1981 vom 17. 7. 1981, S. 1. 262 Vgl. beispielhaft: Martin und Sylvia Greiffenhagen: Das schwierige Vaterland. 30 Jahre Bundesrepublik (VI); in: Der Spiegel Nr. 9/1979 vom 26. 2. 1979, S. 54 – 69; hier: S. 65.

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bereits erkannte, war es ein deutsches Spezifikum der Unregierbarkeitsdebatte, dass nicht nur die Autorität der Regierung, sondern auch die des Staates insgesamt beklagt wurde.263 An dieser Stelle soll deshalb genauer auf die Ängste vor dem Untergang der bundesdeutschen Demokratie durch eine Unregierbarkeit eingegangen werden. Vor allem die neuen Protestformen gegen Kernenergie oder gegen die Stationierung von Raketen in der Bundesrepublik sowie das vermehrte Aufkommen von Bürgerinitiativen nährten diese Ängste. Allerdings wurden im linken und im konservativen Wahrnehmungsmuster die Gefahren unterschiedlich beurteilt und demzufolge auch andere Lösungsvorschläge erörtert. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde die Krise der Regierbarkeit dahingehend interpretiert, dass die bundesdeutschen Bürger ein größeres Mitspracherecht bekommen sollten, weshalb auch plebiszitäre Elemente verstärkt werden sollten. Der Konstanzer Politikwissenschaftler Gerhard Lehmbruch äußerte die Befürchtung, dass das derzeitige parlamentarische System zu unflexibel sei, um mit den neuen Protestformen zurechtzukommen, und deshalb die Gefahr bestehe, dass die Demokratie der Bundesrepublik durch diese Inflexibilität selbst zu ihrer eigenen Zerstörung beitrage.264 Erhard Eppler (SPD) warnte in seinem Buch »Weg aus der Gefahr« vor unpassenden Vergleichen zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland und fragte, ob es nicht aktuell so sein könne, dass Volksentscheide und Volksbegehren nicht wie damals zur Gefährdung, sondern zur Stabilisierung der Demokratie führen könnten.265 Eppler forderte, dass der Staat auf die Protestbewegungen reagieren müsse und basisdemokratische Elemente, wie beispielsweise Volksbegehren schaffen solle, da sonst »eine Erosion des Staates [drohe], die bei der SPD beginnt«.266 Im linken Wahrnehmungsmuster wurden die Protestbewegungen zwar auch als Ausdruck eines Krisenempfindens angesehen, allerdings sollte auf dieses nicht durch vermehrte Autorität, sondern durch ein stärkeres Entgegenkommen reagiert werden. Erich Böhme kritisierte die aggressive Haltung der Polizei gegenüber Demonstranten und sah darin übertriebene Ängste vor dem Schicksal der Weimarer Republik: »Schlagstöcke, Wasserwerfer und CS-Gas ersetzen die Politikervernunft, das Weimar-Syndrom vom Terror der starken Minderheit vernebelt das Selbstwertgefühl der Mehrheit.«267 Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem zu schwachen Staat wies Böhme entschieden zurück und empfand die Fähigkeit 263 Vgl. Metzler : Staatsversagen, S. 246. 264 Vgl. nach: »Die Polizei hat die Schnauze voll«; in: Der Spiegel Nr. 48/1981 vom 23. 11. 1981, S. 26 – 32; hier : S. 27. 265 Vgl. nach: »Die Polizei hat die Schnauze voll«, S. 27. 266 Zit. nach: »Die Polizei hat die Schnauze voll«, S. 27. 267 Erich Böhme: Recht haben und Rechthaben; in: Der Spiegel Nr. 48/1981 vom 23. 11. 1981, S. 28.

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eines Staates, seine Entscheidungen auch zu korrigieren und nicht bedingungslos durch staatliche Autorität durchsetzen zu wollen gerade als die Stärke eines Staates: »Schwach ist der Staat, dessen Politiker sich für unfehlbar halten und hinter den Schilden ihrer Polizei verstecken. Unruhe wird dann zur Bürgerpflicht.«268 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde dagegen kein Einlenken vor den Demonstranten, sondern verstärkte Autorität gefordert. Andererseits, so befürchtete die »Welt«, könne »unser Staat aus den Fugen« geraten.269 Auch Bundeskanzler Helmut Schmidt zeigte sich skeptisch gegenüber dem Ausbau von plebiszitären Elementen wie Volksbegehren, da er eine Klageflut für wahrscheinlich hielt und die Bundesrepublik dadurch zum »Gerichtsstaat« werde.270 Alois Rummel ängstigte, dass rechtkräftige Gerichtsurteile nicht anerkannt würden und dass einzelne Anführer »wie einst die Nazis, ganze Berufsgruppen« demütigten.271 Der Anspruch des Staates auf Autorität werde denunziert, sodass Rummel konstatierte: »[D]ie Anspruchsdemokratie ist auf dem besten Weg, zwischen Ordnung und Anarchie zerrieben zu werden.«272 Immer wieder wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster kritisiert, dass durch Blockaden oder Demonstrationen die Ausübung von gesetzlichen Bestimmungen behindert würde, wie beispielweise der Bau von Atomkraftwerken oder Startbahnen, oder sich gegen allgemein gültige Normen hinweggesetzt würde und dabei übergeordnete Ziele als Legitimation dienen sollten. Die Kolumnistin Christa Meves hinterfragte die Argumentationsstrategie einiger Demonstranten, die den Rechtsbruch als notwendig für das vermeintlich Gute ansahen. Meves erinnerte diese Argumentationsstrategie an die Adolf Hitlers, weshalb sie an die deutsche Vergangenheit erinnerte: »Das Gute, was ist das? Was mir paßt? Was für dieses Volk am besten wäre? Unter dieser Devise setzte Adolf Hitler zum gigantischen Rechtsbruch an, kaum daß er zur Macht gekommen war. […] Eine Mehrheit junger Deutscher, die nach der Gewalt schreit? Wie allergisch muß man im Ausland auf eine solche Meldung hin die Ohren spitzen!«273 Im letzten Teil der Aussage von Meves wird deutlich, dass die Ängste um die bundesdeutsche Demokratie zum Teil auch in den 1980er Jahren noch – wie auch schon zu Zeiten der Studentenbewegung in den 1960er Jahren - durch einen Generationskonflikt bedingt waren, da die jüngere Generation Protestformen anwendete, die bei der Böhme: Recht haben und Rechthaben. Zit. nach: »Die Polizei hat die Schnauze voll«, S. 27. Zit. nach: »Die Polizei hat die Schnauze voll«, S. 27. Alois Rummel: Aschermittwoch im Sommer. Reformen ohne Augenmaß gefährden den Wohlstand; in: Rheinischer Merkur Nr. 32/1981 vom 7. 8. 1981, S. 1. 272 Rummel: Aschermittwoch im Sommer. 273 Christa Meves: Faustrecht durch die Hintertür. Wenn der Appell der Gewalt »normal« wird…; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1981 vom 28. 8. 1981, S. 2.

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älteren Generation diverse Ängste hervorriefen und diese an die nationalsozialistische Vergangenheit erinnerten, in der auch neue Formen Anwendung fanden. Als exemplarisch ist die Aussage von Gerd Schmückle anzusehen, der die Methoden linker Akteure erstmalig im Nationalsozialismus erkannte und deshalb zu Lehren aus der Vergangenheit aufforderte: »Diese Abwertung des ›Systems‹ haben wir in Deutschland schon einmal erlebt. Damals, 1932 und 1933, war die Taktik, das Parlament lächerlich zu machen, noch ein Novum. Heute sollten uns diese Erinnerungen warnen. Dieses Mal können wir uns nicht damit herausreden, nicht gewußt zu haben, wohin solche Spektakel, wie wir sie im Bundestag erleben, führen können.«274 Schmückle sah außerdem eine personelle Kontinuität von den 1960er zu den 1980er Jahren und begriff die Akteure als Angehörige einer Generation, die durch verschiedene Strategien systemverändernd agieren wollten: »Westdeutschland verfügt heute über die Minderheit einer Generation, die sich in ihrer Jugend als revolutionär verstand und als Außerparlamentarische Opposition (Apo) scheiterte. Daraufhin trat diese Minderheit den ›Marsch durch die Institutionen‹ an. Die politisch noch aktiven Teile dieser Minderheit sind heute am Ziel. Sie arbeiten im mittleren Management von Parteien, Kirchen und Schulen.«275 Einen wesentlichen Anteil an den Ängsten des konservativen Wahrnehmungsmusters hatte die starke Verbreitung von Bürgerinitiativen. Edmund Stoiber konstatierte, dass die rechtsstaatliche, demokratische Ordnung der Bundesrepublik stärker als jemals zuvor gefährdet sei, da die Grundbedingung der Demokratie nicht mehr erfüllt sei, dass Minderheiten demokratische Entscheidungen der Mehrheit akzeptierten.276 In den Auseinandersetzungen um das Atommüllendlager in Gorleben, den Bau des Atomkraftwerks in Brokdorf oder den Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens habe sich gezeigt, dass Teile der Bevölkerung demokratische Beschlüsse nicht akzeptierten und sogar gewaltsam gegen den Vollzug dieser Beschlüsse vorgingen. Falls die Regierungen diese Maßnahmen akzeptieren würden und gegenüber den Bürgerinitiativen nachgäben, würde, so Anton Böhm, eine »Erosion der Prinzipien« stattfinden.277 Diese demokratischen Prinzipien seien zum einen das Mehrheitsprinzip, da die Stimme der gewählten Volksrepräsentanten mehr zählen müsse als die der 274 Gerd Schmückle: Die dünnen Nerven der Deutschen. Auch nach dem Beginn der Nachrüstung wird der politische Alltag weltweit sein Recht fordern; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1983 vom 25. 11. 1983, S. 3. 275 Schmückle: Die dünnen Nerven der Deutschen. 276 Edmund Stoiber : Die Polizei braucht Hilfe; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1981 vom 20. 11. 1981, S. 4. 277 Anton Böhm: Holzwege für die Demokratie. Der fragwürdige Versuch, den »Volkswillen« gegen das repräsentative Verfassungs-System auszuspielen; in: Rheinischer Merkur Nr. 3/ 1982 vom 15. 1. 1982, S. 8.

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Bürgerbewegungen, zum anderen aber auch das Solidaritätsprinzip, das besage, dass ein kleiner Teil des Volkes gewisse Belastungen zum Nutzen des gesamten Volkes, wie beispielsweise Fluglärm, akzeptieren müsse.278 Böhm wandte sich zwar nicht generell gegen Bürgerinitiativen und betonte sogar deren Notwendigkeit, appellierte aber zugleich an die Grenzen ihrer Zuständigkeit, die dort aufhöre, wo die Verfassungsorgane zuständig seien. Wolfgang Baumert befürchtete, dass die Bürgerinitiativen von Linksradikalen unterwandert und benutzt würden und dass »das plebiszitär jakobinische Element der Weimarer Unglückszeit« und »das ›gesunde Volksempfinden‹ jenes großen Volksverführers aus dem Dritten Reich« wiederkehren würden.279 Baumert gab der sozialliberalen Koalition eine Schuld an der Gefährdung der bundesdeutschen Demokratie, da diese so viel Demokratie gewagt habe, bis diese in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt war, beispielsweise durch die Änderung des Landfriedensbruch-Paragraphen.280

Die Angst vor den Grünen

Ängste vor den Grünen wurden Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahren noch sowohl vom konservativen als auch vom linken Wahrnehmungsmuster artikuliert. Friedrich Graf von Westphalen entdeckte im Juli 1978 in Herbert Gruhls Programm der »Grünen Aktion Zukunft« (GAZ) totalitäre Tendenzen. Der Anspruch des grünen Programms, allen Menschen ein sinnerfülltes Leben zu ermöglichen, bewirke zwangsläufig eine Einschränkung der individuellen Freiheit der Bürger, da der Staat »notwendigerweise zur totalen Zwangsanstalt werden« müsse.281 In seiner Argumentation wiederholte Westphalen hier bekannte Elemente, die auch schon bei den Ängsten vor einer allumfassenden Demokratisierung durch die sozialliberale Regierung aufkamen (siehe Kapitel 3.3.2). Westphalen betonte außerdem, dass die Gleichsetzung von politischer Notwendigkeit und von Freiheit ein Merkmal totalitärer Herrschaften sei, dass die GAZ einen starken Staat fordere und dass zwar das Demonstrationsrecht ausdrücklich gefordert werde, jedoch nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und Freiheit und Würde der Person.282 Auch das SPD-Vorstandsmitglied Peter von Oertzen wiederholte im Oktober 1977 in 278 Vgl. Böhm: Holzwege für die Demokratie. 279 Wolfgang Baumert: Die Thermopylen an der Startbahn West. Für Holger Börner gibt es keinen Kompromiß mehr ; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1981 vom 20. 11. 1981, S. 3. 280 Vgl. Baumert: Die Thermopylen an der Startbahn West. 281 Friedrich Graf von Westphalen: Auf Kriegsfuß mit der Freiheit. Gruhls GAZ-Programm verlangt den totalen Obrigkeitsstaat; in: Rheinischer Merkur Nr. 30/1978 vom 28. 7. 1978, S. 2. 282 Vgl. Westphalen: Auf Kriegsfuß mit der Freiheit.

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einem »Spiegel«-Interview die Angst von Helmut Schmidt, Herbert Wehner und Willy Brandt, dass eine Veränderung der Parteienlandschaft durch Grüne Listen »die Bundesrepublik in einen ähnlichen Zustand der politischen Agonie versetzen [könnte], an dem die Weimarer Republik zerbrochen ist.«283 Der SPDPolitiker Peter Glotz erkannte im Jahr 1980 hinter den Motiven der Grünen eine Sehnsucht nach einer engen Beziehung zwischen der Natur und den Menschen und erinnerte daran, dass Adolf Hitler »diese Ängste und Sehnsüchte wirksam ausgebeutet [hat]; bis zur bedingungslosen Zerstörung Deutschlands.«284 Deshalb müsse die Demokratie diese Gefahr diesmal rechtzeitig wahrnehmen und lenken, da die Grünen zwar falsche Antworten geben, aber dennoch auch richtige Fragen stellen. Zwar sei die Situation der Bundesrepublik unvergleichbar mit der Spätphase der Weimarer Republik, aber erneut wüssten die Politiker zu wenig über die Wünsche der Jugend.285 Interessant ist, dass Ende der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre aber auch Akteure des linken und des konservativen Wahrnehmungsmusters eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch die Grünen bestritten. Anton Böhm empfand die Reaktionen auf die Gründung der »Grünen Aktion Zukunft« übertrieben und kritisierte die Bundestagsparteien: »Als hätten diese für ewige Zeiten das Monopol der Machtverteilung inne und als sei die Gründung einer neuen Partei schon an sich ein Attentat auf die Demokratie!«286 Böhm bekannte, dass die etablierten Parteien in der Vergangenheit viele Fragen unbeantwortet ließen und dass deshalb die Konkurrenz durch die GAZ belebend wirken könne, wenn er auch der GAZ langfristig kaum Erfolg bescheinigte.287 Auch Erhard Eppler (SPD) hielt 1978 einen eventuellen Bundestagseinzug der Grünen für ungefährlich für die Verfassungsordnung, da sich die Abgeordneten der Grünen im Bundestag seriöser geben und politisch formieren müssten.288 Heiner Geißler (CDU) kritisierte im Jahr 1981, dass eine Demokratie unglaubwürdig werde, in der die Regierung allein den Machterhalt beabsichtige und sah deshalb Vorteile für die bundesdeutsche Demokratie durch die Grünen und Alternativen, da fortan auf FDP-Parteitagen nicht mehr über die zukünftige Regierung bestimmt

283 »Grüne Listen zu unseren Lasten.« Spiegel-Interview mit dem SPD-Vorstandsmitglied Peter von Oertzen; in: Der Spiegel Nr. 48/1977 vom 21. 11. 1977, S. 19 f.; hier : S. 19. 284 Peter Glotz: In tiefem Kontakt mit allerneuester Sehnsucht; in: Rheinischer Merkur Nr. 13/ 1980 vom 28. 3. 1980, S. 4. 285 Vgl. Glotz: In tiefem Kontakt mit allerneuester Sehnsucht. 286 Anton Böhm: Grüne Signale; in: Rheinischer Merkur Nr. 29/1978 vom 21. 7. 1978, S. 1 f.; hier : S. 1. 287 Böhm: Grüne Signale, S. 2. 288 Vgl. Warum denn nicht mit den Grünen? SPD-Präside Erhard Eppler über Steuersenkungen, Protestparteien und die Zukunft der Bonner Koalition; in: Der Spiegel Nr. 32/1978 vom 7. 8. 1978, S. 21 ff.; hier : S. 22 f.

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werden könne.289 In einem »Spiegel«-Interview im Juli 1982 stellte der hessische Landesvorsitzende der CDU Alfred Dregger klar, dass die Grünen weder Extremisten noch Nazis seien und dass er es deshalb auch ablehne, diese zu bekämpfen.290 Allerdings bekannte er, dass die Grünen noch nicht reif für die Demokratie seien und deshalb indirekt eine Gefahr für das derzeitige System bestehe, da sich die Grünen nicht integrieren wollten. Dadurch, dass die Grünen eine Regierungsbeteiligung ablehnen würden, sei, so Dregger weiter, »ein Fremdkörper in das parlamentarische System eingetreten, an dem die Demokratie doch nicht kaputtgehen muß.«291 Dregger betonte aber auch, dass die Anhänger der Grünen einer konservativen Utopie folgen würden, nämlich dem wichtigen Anliegen, die Landschaft und die Natur zu schützen.292 Außerdem habe die SPD ihn absichtlich missverstanden und seine Kritik an den Grünen als Angriff gegen neue Gruppen kritisiert, weil die SPD mit den Grünen koalieren wolle. Nach dem Einzug von neun Abgeordneten der »Grün-Alternativen Liste« (GAL) in die Hamburger Bürgerschaft im Juni 1982 (7,7 %) warnte Anton Böhm jedoch vor dem Irrglauben, dass sich die Grünen nun zum vorher verhassten Parlamentarismus bekehren ließen. Vielmehr bedeute der Einzug »den Entschluß zur Doppelstrategie: zugleich in den Parlamenten und auf der Straße für eine ganz andere Republik zu wirken«.293 Alexander Schwan erinnerte eine nun mögliche Hamburger Koalition aus SPD und Grünen an den Beginn des Untergangs der Weimarer Republik, als deren Feinde erstmalig hoffähig gemacht wurden.294 Wolfgang Baumert interpretierte den Vorschlag der hessischen Grünen, bei öffentlichen Koalitionsverhandlungen auch die Bürger zu Wort kommen zu lassen als »gezielte[n] Dolchstoß zur Veränderung der repräsentativen Demokratie in Richtung der plebiszitären Manipulation — la Petersburg 1917« und fragte deshalb, ob »die SPD an einer neuen Oktoberrevolution mitwirken« möchte.295 Edmund Stoiber kritisierte im August 1982 die Forderung der Grünen nach einem imperativen Mandat und die angebliche Zielsetzung der 289 Vgl. Heiner Geißler : Eine Demokratie wird unglaubwürdig; in: Rheinischer Merkur Nr. 45/ 1981 vom 6. 11. 1981, S. 4. 290 Vgl. »Ausstieg aus der Wirklichkeit.« Spiegel-Interview mit dem hessischen CDU-Landesvorsitzenden Alfred Dregger über die Grünen; in: Der Spiegel Nr. 29/1982 vom 19. 7. 1982, S. 32 f.; hier: S. 33. 291 »Ausstieg aus der Wirklichkeit«, S. 33. 292 Vgl. »Ausstieg aus der Wirklichkeit«, S. 33. 293 Anton Böhm: Getümmel um die Grünen. Es mangelt an Grundsatztreue; in: Rheinischer Merkur Nr. 29/1982 vom 16. 7. 1982, S. 1. 294 Vgl. Alexander Schwan: Droht eine Hamburger Front? Die Aufwertung der Alternativen durch die SPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 29/1982 vom 16. 7. 1982, S. 4. 295 Wolfgang Baumert: Schwebezustand mit Absturzgefahr. Nur neue Landtagswahlen können ein Debakel der hessischen Politik verhindern; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1982 vom 8. 10. 1982, S. 4.

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Grünen, die Bundesrepublik unregierbar machen zu wollen: »Wer sich zum Ziele setzt, den Staat unregierbar zu machen, wie viele Alternative […] und Teile der Grünen, der will die Staatsform der parlamentarischen Demokratie mißbrauchen, um mit diesem Mißbrauch diese parlamentarische Demokratie zu gefährden oder zu zerstören.«296 Stoiber erinnerte an das Schicksal der Weimarer Republik, die von ihren Gegnern ebenfalls als zerstörungswürdig und morsch dargestellt wurde und stellte klar, dass die Grünen zwar durchaus auch berechtigte Fragen stellten, dass das aber noch nicht dazu berechtige, die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen zu wollen, weil die Probleme noch nicht gelöst sind.297 Wie bereits deutlich wurde, spielten Vergleiche zur nationalsozialistischen Vergangenheit bei den Ängsten vor einer Massenbewegung der grünen Anhängerschaft eine nicht unbeachtliche Rolle. Der »Spiegel« fragte das Gründungsmitglied der Grünen Petra Kelly, ob ihr bei dem bisherigen Erfolgsrezept der Grünen, dass sie weder links noch rechts, sondern vorn seien, nicht auch Erinnerungen an »eine frühere Bewegung der Deutschen« komme, die einen solchen dritten Weg gehen wollte, der im Nationalsozialismus endete.298 Kelly entgegnete daraufhin, dass die ökologische Lebensweise zwar auch missbraucht werden könne, »[a]ber bei solchen Leuten fällt das grüne Etikett von ganz allein ab.«299 Deshalb bildeten sie derzeit keine Gefahr. Der hessische Ministerpräsident Holger Börner (SPD) sah in einem »Spiegel«-Interview die Grünen in der Nähe des Faschismus, da sie dem Parlamentarismus den Kampf angesagt hätten und erkannte in den Grünen eine Bedrohung des Staates.300 Zuspruch erhielt Börner dafür vor allem im konservativen Wahrnehmungsmuster. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« unterstützte Börners Faschismus-Vergleich und entdeckte weitere Parallelen zum klassischen Faschismus, denn die bestehende Ordnung werde verneint, wie beim klassischen Faschismus richte sich ein großer Teil der Abneigung gegen die Überindustrialisierung und »wie beim klassischen Faschismus sind dabei rechts und links nicht genau zu unterscheiden.«301 Im linken Wahrnehmungsmuster stieß Börner mit dem Faschismus296 Edmund Stoiber : Die Grünen und ihr Untergrund; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1982 vom 27. 8. 1982, S. 4. 297 Vgl. Stoiber : Die Grünen und ihr Untergrund. 298 »Wir sind die Antipartei-Partei.« Petra Kelly über die politische Strategie der Grünen; in: Der Spiegel Nr. 24/1982 vom 14. 6. 1982, S. 47 ff.; hier : S. 56. 299 »Wir sind die Antipartei-Partei«, S. 56. 300 Vgl. »Dregger ist Reagan auf hessisch.« Der hessische Ministerpräsident Holger Börner (SPD) über Wahlchancen und Regierungsfähigkeit seiner Partei; in: Der Spiegel Nr. 33/ 1982 vom 16. 8. 1982, S. 36 – 44; hier: S. 36 und 39. 301 Zit. nach: »Staatsfixierter deutscher Facharbeiter.« Echo zum Spiegel-Gespräch mit dem hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner (SPD); in: Der Spiegel Nr. 34/1982 vom 23. 8. 1982, S. 46 f.

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Vergleich auf Unverständnis. Die Süddeutsche Zeitung erkannte bei Holger Börner schon seit längerer Zeit Aussagen, die man eher von Alfred Dregger oder Franz Josef Strauß erwarten würde, wobei das politische Kalkül darin bestehe, den Wählern an den rechten Rand nachzueilen.302 Die »Tageszeitung« fragte, wie weit Börner das Wasser bis zum Hals stehe, wenn er eine Partei in die Nähe des Faschismus rücke, die gerade dabei sei, sich zu parlamentarisieren.303 Spätestens nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982 manifestierte sich das Verhältnis zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster zu den Grünen, was sich schon seit der Hamburger Bürgschaftswahl angedeutet hatte, sodass die Ängste vor den Grünen fast nur noch im konservativen Wahrnehmungsmuster artikuliert wurden. Dieser Wandel wurde auch schon nach der Landtagswahl in Hessen am 26. September 1982 erkennbar, bei der die FDP den Einzug in den Landtag verpasste und die Grünen in den Landtag einzogen, sodass es zu einer Minderheitsregierung der SPD kam. Willy Brandt erkannte im hessischen Wahlergebnis, dass es eine »Mehrheit diesseits der Union« gibt, worauf Helmut Kohl erwiderte, dass Brandt eine »andere Republik« wolle.304 Nach der Hessen-Wahl setzte sich in der SPD allmählich gegen den Willen Helmut Schmidts die Haltung durch, dass die SPD zukünftig auf die Grünen zugehen müsse und eventuell mit diesen koalieren solle.305 Im linken Wahrnehmungsmuster wurde nun nahezu vollständig eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch die Grünen bestritten. Peter Glotz, der 1980 noch Vergleiche zur Hitlerbewegung anstellte, fragte, wie es komme, »daß diese zweite deutsche Republik hysterisch nach dem Riechfläschchen ruft, wenn ein paar hundert junge Leute einen neuen Weg gehen wollen?«306 Im Bundestagswahlkampf 1983 wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster auch vor einer Unregierbarkeit gewarnt, falls die Grünen in den Bundestag einziehen würden. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde diese Unregierbarkeit bezweifelt, und diese Befürchtung als Wahltaktik angesehen. Rudolf Augstein kritisierte, dass »wie eh und je Pappkameraden aufgestellt« würden 302 Vgl. nach: »Staatsfixierter deutscher Facharbeiter«, S. 46. Alfred Dregger äußerte sich in einem Spiegel-Interview hingegen positiver über die Grünen, da er feststellte, dass diese keine Extremisten und keine Nazis seien, was eventuell auch wahltaktischen Überlegungen geschuldet war : Vgl. »Ausstieg aus der Wirklichkeit«, S. 32. 303 Vgl. nach: »Staatsfixierter deutscher Facharbeiter«, S. 47. 304 Vgl. nach: Unter Quarantäne; in: Der Spiegel Nr. 40/1982 vom 4. 10. 1982, S. 24 f.; hier : S. 24. 305 Edmund Stoiber bemerkte im August 1982, dass Helmut Schmidt keinen Zweifel an den antidemokratischen Ansätzen bei den Grünen habe: Vgl. Stoiber : Die Grünen und ihr Untergrund. 306 Peter Glotz: Das unregierbare Land; in: Rheinischer Merkur Nr. 42/1982 vom 15. 10. 1982, S. 4.

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und dass die etablierten Parteien durch ihr bisheriges Verhalten – beispielsweise durch die Flick-Affäre, den Bundestagseinzug einer Protestpartei zu verantworten hätten.307 Der Grünen-Vorsitzende Rainer Tampert kritisierte die »Panikmache« vor einem Bundestagseinzug der Grünen und die Vergleiche der Union zur Weimarer Republik: »Mit dieser Panikmache will sie sich an der Macht halten, neuerdings mit massiver Hilfe der Industriellen. Das ist nix als ein ständiger Appell an tief sitzende Ängste bei den Deutschen. Den von der Union hergeholten Vergleich zu Weimar finde ich widerlich, weil er historische Verhältnisse verkehrt. Damals war die Kritik an der bürgerlichen Demokratie doch eine Kritik von rechts, die gerade demokratische Elemente ausschalten wollte. Heute kommt die Kritik von Basis-Demokraten, von gesellschaftskritischen Bewegungen, die mehr Demokratie wollen, also genau das Gegenteil.«308 Richard Löwenthal verwahrte sich auch gegen Vergleiche zur Weimarer Republik und bestritt eine Legitimationskrise der Demokratie, weshalb er die Artikulation einer Unregierbarkeit als »demagogische Phrase« bezeichnete.309 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurden Vergleiche zum Nationalsozialismus auch weiterhin bis zum Ende des Untersuchungszeitraums dazu verwendet, um die Gefahren für die Demokratie aufzuzeigen, die durch die Grünen erwachse. Otto B. Roegele fragte vor der Bundestagswahl im März 1983, ob denn schon vergessen sei, »was die Deutschen schon einmal mit einer ›Bewegung‹, die partout keine Partei wie die anderen sein wollte, erlebt haben?«310 Als der hessische Grünen-Abgeordnete, Frank Schwalba-Hoth, den amerikanischen Generalleutnant Paul Williams mit seinem eigenen Blut bespritzte, weckte dieses ekelerregende Vorgehen Erinnerungen an menschenunwürdige Praktiken der Nazis zu Beginn der Nazi-Herrschaft.311 Alois Rummel ängstigte im Juni 1984 die Vorstellung einer Großen Koalition, bei der die Grünen die einzige Opposition wären, da diese agierten »wie die Rabauken in den Jahren 1931 bis 1932, ohne Rücksicht auf Demokratie.«312 Der Parlamentarische Staatssekretär Ottfried Henning lieferte eine Dokumentation grüner Aussagen, damit jedem die Ziele der Grünen bewusst würden und warnte vor Unkenntnis, denn Hitlers 307 Rudolf Augstein: Die Jahrhundert-Wahl; in: Der Spiegel Nr. 8/1983 vom 21. 2. 1983, S. 18. 308 »Was heißt schon unregierbar?« Der Grünen-Vorsitzende Rainer Tampert über Nachrüstung, Atomkraft und das Verhältnis zur SPD; in: Der Spiegel Nr. 8/1983 vom 21. 2. 1983, S. 37 – 48; hier : S. 40. 309 Vgl. Der Mythos von der Selbstbestimmung. Der Berliner Politik-Professor zur innenpolitischen Situation der Bundesrepublik Deutschland; in: Rheinischer Merkur Nr. 11/1983 vom 18. 3. 1983, S. 10. 310 Otto B. Roegele: Der Souverän hat das Wort. Die Entscheidung vom 6. März; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1983 vom 4. 3. 1983, S. 1. 311 Vgl. A. R: Ekelhaft; in: Rheinischer Merkur Nr. 32/1983 vom 12. 8. 1983, S. 1. 312 Alois Rummel: Polit-Jongleure unerwünscht. Das Gespenst der Großen Koalition; in: Rheinischer Merkur Nr. 23/1984 vom 8. 6. 1984, S. 1.

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»Mein Kampf« habe auch niemand gelesen.313 Das Dilemma der Grünen, dass sie einerseits im Parteiensystem etabliert seien, andererseits aber eine Bewegung bleiben wollten, wurde von einem Stuttgarter Altparlamentarier als »RöhmSyndrom« bezeichnet.314 Peter Meier-Bergfeld erkannte strukturelle Parallelen im Aufstieg der NSDAP und dem der Realos bei den Grünen, wobei »Rudolf Bahro dann eine Art Otto Strasser der Grünen [wäre] oder ihr Ernst Niekisch.«315 Heiner Geißler sah die Inhalte der Grünen nicht als faschistisch, sondern antiparlamentarisch an, erkannte aber bei den Grünen in Chören und Massenaufmärschen »faschistoid-mystische Rituale«.316 Außerdem zeigten sich sowohl im Faschismus als auch bei den Grünen Verschwörungstheorien, diesmal allerdings nicht gegen die Juden, sondern gegen das Großkapital. Joschka Fischer entgegnete Geißler, dass viele Rituale eben nicht faschistisch, sondern christlich geprägt seien.317 Dem Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger waren Verunglimpfungen von Abgeordneten als Nazis ein Dorn im Auge, sodass er sogar solche Vergleiche im Plenum verbot, was erstmalig passierte, als die Grünen mit der Hitler-Zeit verglichen wurden.318 Im konservativen Wahrnehmungsmuster erweckten die Demokratievorstellungen der Grünen auch nach dessen Bundestagseinzug Ängste um den Bestand der bundesdeutschen Demokratie. Die Forderung eines imperativen Mandats wurde als Widerspruch zur repräsentativen Demokratie aufgefasst, auch deshalb weil auch Teile der Grünen es selbst als einen solchen begriffen und für eine Abschaffung der parlamentarischen Demokratie plädierten.319 Die Forderung der Grünen nach Basisdemokratie konnte einerseits als Demokratisierung der parlamentarischen Demokratie, andererseits als deren Zerstörung zugunsten einer anderen demokratischen Variante verstanden werden, wie es der Hamburger Politikwissenschaftler Winfried Steffani formulierte.320 Im konservativen 313 Vgl. Pit: Grüne Gegner im Visier. Union will sachlich streiten; in: Rheinischer Merkur Nr. 37/1984 vom 14. 9. 1984, S. 5. 314 Vgl. nach: Jürgen Wahl: Mal Cocktailkleid, mal Kampfklamotten. Kalt kassiert das grüne Establishment SPD-Konzessionen; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1984 vom 12. 10. 1984, S. 2. 315 Peter Meier-Bergfeld: Grüne Kultur sinkt, grüne Taktik steigt. Spaltung ist möglich, doch noch fasziniert der Aufbruchsmythos; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1984 vom 14. 12. 1984, S. 5. 316 »Die Grünen sind die eigentliche Opposition.« CDU-Generalsekretär Heiner Geißler und Grünen-Abgeordneter Joschka Fischer im Streitgespräch; in: Der Spiegel Nr. 49/1984 vom 3. 12. 1984, S. 66 – 80; hier : S. 66. 317 Vgl. »Die Grünen sind die eigentliche Opposition«, S. 66. 318 Vgl. Jenninger hilft den Grünen; in: Der Spiegel Nr. 5/1985 vom 28. 1. 1985, S. 16. 319 Vgl. nach: Die Angst der Grünen vor Amt und Macht. Sind imperatives Mandat und Rotation verfassungswidrig; in: Der Spiegel Nr. 14/1983 vom 4. 4. 1983, S. 22 – 25; hier : S. 22. 320 Vgl. nach: Die Angst der Grünen vor Amt und Macht, S. 24.

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Wahrnehmungsmuster dominierte die letztere Interpretation. Anton Böhm kritisierte die Forderung nach Basisdemokratie stark, »[d]enn die einzige Form, Demokratie praktisch zu realisieren, ist das System der Repräsentation. […] Jede ängstliche Konzession an eine Basisdemokratie ist gefährlich; man muß den Anfängen wehren, sonst geraten wir unweigerlich auf eine Rutschbahn mitten in den plebiszitären Sumpf, aus dem uns letzten und schlechten Endes eine Diktatur rausholen wird. […] Niemand sollte die Augen davor verschließen, daß die repräsentative Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland ernsthaft bedroht ist.«321 Außerdem wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster die Gefahren einer rot-grünen Regierung heraufbeschworen. Der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler fürchtete im September 1984 die totalitären Ziele der Grünen und warnte vor einem rot-grünem Chaos.322 Allerdings wurde im linken Wahrnehmungsmuster auf die Erfolgslosigkeit dieser angeblichen Kampagne verwiesen. Joschka Fischer wies die Ängste Heiner Geißlers zurück und bescheinigte dieser Kampagne Erfolglosigkeit: »Das rot-grüne Gespenst zieht bei unseren Wählern nicht, das ist für uns nur Werbung.«323 Auch dem Freidemokraten Burkhard Hirsch kamen Zweifel am Erfolg dieser Kampagne, da in gewisser Hinsicht die Kinder der Union- und FDP-Wähler als Zerstörer der Republik dargestellt würden.324 Hiermit wird wieder einmal deutlich, dass die Ängste um die bundesdeutsche Demokratie auch ein Generationsproblem waren und die neuen Methoden der Grünen als Gefahr für die bestehende Form der Demokratie aufgenommen wurden. Joschka Fischer entgegnete beispielsweise Ängsten vor einem Widerstand gegen Mehrheitsentscheidungen, »daß eine Demokratie offen genug sein muß, um diese Anstöße, die auch auf Regelverletzungen beruhen, auszuhalten und als innovatives, nach vorn gewandtes Element aufzunehmen.«325

Die Angst vor der Friedensbewegung

Ähnlich wie bei den Grünen rief die Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre verschiedene Untergangsszenarien hervor. Einerseits wurde befürchtet, dass der Pazifismus einen Krieg auslösen könnte, andererseits sah man in der Friedensbewegung eine totalitäre Bewegung, die den Bestand der Demokratie ge321 Anton Böhm: Das Ringen um das Ja des Bürgers. Demoskopische und parlamentarische Majorität; in: Rheinischer Merkur Nr. 52/1983 vom 30. 12. 1983, S. 1. 322 Vgl. nach: Geißler : »Es geht um die Glaubwürdigkeit«; in: Der Spiegel Nr. 36/1984 vom 3. 9. 1984, S. 19 ff.; hier: S. 19. 323 Zit. nach: Geißler : »Es geht um die Glaubwürdigkeit«, S. 21. 324 Vgl. nach: Frommer Wunsch; in: Der Spiegel Nr. 39/1984 vom 24. 9. 1984, S. 28 f.; hier : S. 29. 325 »Die Grünen sind die eigentliche Opposition«, S. 71.

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fährde. Der Soziologie-Professor Erwin K. Scheuch sah in den Dauerdemonstrationen ähnliche Methoden wie in den dreißiger Jahren, da durch die Herrschaft auf der Straße eine Volksmenge vorgezeigt werden solle, es in Wirklichkeit aber um »Minderheiten-Herrschaft« gehe.326 Edmund Stoiber unterschied streng zwischen Pazifisten, die aus religiösen, moralischen oder ethischen Gründen den bewaffneten Friedensdienst ablehnen und »Zweck-Pazifisten […], die versuchen, mit dieser Bewegung unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung zerstören zu können.«327 In München wurde im Juni 1981 eine »Konservative Aktion« gegründet, die sich »gegen die ›sogenannte Friedensbewegung‹ und deren Hintermänner, die ›rotlackierten Nazis‹« richtete.328 Den Unterstützern der »Konservativen Aktion«, zu deren Erstunterzeichnern durchaus bedeutende Persönlichkeiten zu zählen sind, ging es darum aufzuzeigen, wie einige ProfiRevolutionäre von Demonstration zu Demonstration reisen, um den Staat zu untergraben.329 Hans Dieter Bastian stellte fest, dass der »Gefühlshaushalt der Friedensbewegung […] sichtbar und hörbar auf Angst abgestimmt« sei.330 Bastian erinnerte daran, dass Hitler in »Mein Kampf« darauf verwies, dass zwar falsche Begriffe und Unwissen durch Aufklärung beseitigt werden könnten, jedoch nütze Aufklärung bei Widerständen des Gefühls wenig. Bastian konstatierte, dass die Friedensbewegung als »Spielart der außerparlamentarischen Opposition […] mit Hilfe eines moralischen Rigorismus politische Macht im Staat erkämpfen will – allerdings nicht in Konkurrenz mit anderen Parteien und nicht im kontrollierbaren Mandat, sondern oberhalb oder unterhalb aller Institutionen als ›Bewegung‹ und immun gegen Kontrolle.«331 Erwin K. Scheuch beschwerte sich, dass auch im Ausland die Selbstbezeichnung »Friedensbewegung« übernommen wurde, da es keinen in der Bundesrepublik gäbe, der nicht auch für den Frieden wäre. Für Scheuch stehe die Bezeichnung »Friedensbewegung« für das militärpolitische Programm der »Vorleistung in der Abrüstung mit dem Ziel der Neutralisierung Europas«, weshalb für ihn deshalb »die Bezeichnung ›Vorleistungsbewegung‹ sachlich richtiger« wäre.332 Scheuch verwies außerdem darauf, dass die Massendemon326 Erwin Scheuch: Die Herrschaft der Minderheiten. Dauerdemonstrationen entwerten das Wahlrecht; in: Rheinischer Merkur Nr. 22/1981 vom 29. 5. 1981, S. 2. 327 Edmund Stoiber : Zweck-Pazifisten lehnen wir ab; in: Rheinischer Merkur Nr. 31/1981 vom 31. 7. 1981, S. 4. 328 Heiße Erfahrungen; in: Der Spiegel Nr. 48/1981 vom 23. 11. 1981, S. 70 ff.; hier: S. 70. 329 Vgl. nach: Heiße Erfahrungen, S. 72. 330 Hans Dieter Bastian: Die verlorene Unschuld der Moralisten. Über den Irrtum, im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit zu sein; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1981 vom 9. 10. 1981, S. 11. 331 Bastian: Die verlorene Unschuld der Moralisten. 332 Erwin K. Scheuch: Echo mit Doppelhall. Ausländisches Mißtrauen vor deutscher Inbrunst; in: Rheinischer Merkur Nr. 44/1981 vom 30. 10. 1981, S. 5.

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stration gegen Nachrüstung im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981 auch im Ausland Erinnerungen an den Nationalsozialismus weckte. Die Schweizer »Weltwoche« titelte in Anspielung auf Goebbels Sportpalastrede von 1944 »Wollt ihr den totalen Frieden?«333 Doch es gab auch im Ausland Stimmen, die aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen in Deutschland Sympathien mit der Friedensbewegung in Deutschland entwickelten. So äußerte sich der französische Deutschland-Experte Alfred Grosser im französischen »Le Monde« kritisch über die Aussage Charles de Gaulles: »Frankreich verwechselt nicht Pazifismus als Postulat mit Frieden als Resultat«, da sich dabei die französische und deutsche Erfahrung unterscheide.334 In Frankreich beziehe man sich dabei auf das Jahr 1938, als man durch pazifistische Schwäche einen Krieg ermöglichte, in Deutschland seien die Vergleichsjahre der Kriegsbeginn 1939 und die Katastrophe 1945. Die Friedensidee fände laut Grosser auch deshalb so großen Zulauf, »weil so viele Deutsche einst dazu gebracht worden waren, den Krieg zu bejubeln.«335 Grosser zeigte sich auch optimistisch, da die Bundesrepublik auch schon andere moralische Krisen durchlebt habe, auch wenn die derzeitige ohne Zweifel die schwerste sei.336 Nach der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981, an der circa 300000 Demonstranten teilnahmen, wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster weniger Ängste artikuliert, dass die Friedensbewegung von linken Systemfeinden unterminiert werde, denen es nur um die Zerstörung der Demokratie gehe, wenngleich diese Ängste weiterhin existierten.337 Stattdessen nahmen die Ängste zu, dass der Pazifismus der Friedensbewegung nicht den Frieden garantiere, sondern einen neuen Krieg ermögliche. Dennoch wurden auch weiterhin Ängste vor einer Massenbewegung artikuliert, was natürlich auch mit dem großen Ausmaß der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten zusammenhing. Anton Böhm zeigte sich empört, dass ein neuer Nationalismus entstehe und dass »in den Ohren dieser jungen Generation […] ›Volksfront‹ kein abwertendes Wort mehr [ist], sondern eher eine begeisternde Vorstellung«.338 333 Vgl. nach Scheuch: Echo. 334 Zit. nach: Alfred Grosser : »Diese Krise ist die schwerste.« Alfred Grosser über Tendenzen zur Destabilisierung der Bundesrepublik; in: Der Spiegel Nr. 43/1981 vom 19. 10. 1981, S. 32 – 35; hier : S. 32. 335 Grosser : »Diese Krise ist die schwerste«, S. 32. 336 Vgl. Grosser : »Diese Krise ist die schwerste«, S. 35. 337 Peter Meier-Bergfeld befürchtete beispielsweise, dass viele liebenswerte, wenn auch naive Menschen der Friedensbewegung für andere Zwecke benutzt werden sollen: Vgl. Peter Meier-Bergfeld: Der Zug der Aussteiger aus der Geschichte. Die Bonner Friedensdemonstration zwischen Inbrunst und gezielt eingesetzter Demagogie; in: Rheinischer Merkur Nr. 42/1981 vom 16. 10. 1981, S. 8. 338 Anton Böhm: Volksfront – die große Täuschung. Vom Pazifismus zum Nationalismus; in: Rheinischer Merkur Nr. 45/1981 vom 6. 11. 1981, S. 1.

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Böhm hielt die Vorstellung der Neutralität für naiv, da ein Land in der Mitte Europas nicht einfach aus der Weltpolitik aussteigen könne. Er erkannte in der »Absage an den Westen, seine[r] Lebensformen, vor allem seine[r] ›Formaldemokratie‹, und d[er] Suche nach einer ureigenen, allein aus unverfälschtem deutschen Wesen geschaffenen Staats-, Gesellschafts- und Lebensform […] ein, sei es untergründig, sei es offen wirkendes Motiv deutschen politischen Denkens. Das Dritte Reich des Nationalsozialismus hat es bis zum Wahnwitz und zur Selbstzerstörung getrieben.«339 Vor der Abstimmung über die Raketenstationierung im Bundestag im November 1983 wurden vermehrt Ängste artikuliert, dass Protestbewegungen die repräsentative Demokratie gefährden würden. Angesichts von geplanten Blockaden der Raketenaufstellung warnte das SPD-Mitglied Kurt Sontheimer davor, dass die rechtsstaatliche Demokratie verfalle, wenn Mehrheitsentscheidungen durch massive Proteste unterlaufen werden, da es keine allgemein gültigen und verbindlichen Kriterien mehr gäbe.340 Sontheimer forderte die Politiker und die Bürger auf, sich »gegen diese neu aufkeimenden totalitären Tendenzen in unserer Politik zur Wehr zu setzen«, denn die »Mißachtung der politischen Entscheidungen einer durch demokratische Wahlen legitimierten Mehrheit in der Demokratie bedroht die Funktionsfähigkeit und die Stabilität jeder demokratischen Ordnung.«341 Auch der »Spiegel« bekannte in einer Titelstory im Oktober 1983, dass die Auseinandersetzung zwischen Protestbewegung und Regierung die größte Herausforderung für die Bundesrepublik seit ihrer Gründung sei, denn »[n]och nie haben die Regierten sich so massenhaft gegen die Regierenden gestellt.«342 Für den »Spiegel« war noch nicht sicher, »ob sich da ein demokratischer Läuterungsprozeß vollzieht oder ob am Ende die Demokratie einen Knacks wegbekommt.«343 Entscheidend wäre dafür, ob die »militante Minderheit« oder die »sanftmütige Mehrheit« das Bild der Friedensbewegung nachhaltiger bestimme.344 Alois Rummel zeigte sich dann nach der Abstimmung im Bundestag auch entsetzt über den »Psychoterror — la Drittes Reich, — la SA und SS, — la GPU« (sowjetische Geheimpolizei), wodurch der Bundestag nur unter Polizeischutz habe beraten können.345 Er erinnerte daran, dass 10 Jahre, 339 Böhm: Volksfront – die große Täuschung. 340 Vgl. Kurt Sontheimer : Ein Hauch von Totalitarismus. Der alternative Feldzug gegen das Mehrheitsprinzip gefährdet die Demokratie; in: Rheinischer Merkur Nr. 25/1983 vom 24. 6. 1983, S. 3. 341 Sontheimer: Ein Hauch von Totalitarismus. 342 Vgl. »Kinder des Lichts, Kinder der Finsternis«; in: Der Spiegel Nr. 42/1983 vom 17. 10. 1983, S. 30 ff.; hier: S. 31. 343 »Kinder des Lichts, Kinder der Finsternis«, S. 31. 344 »Kinder des Lichts, Kinder der Finsternis«, S. 32. 345 Alois Rummel: Das Gebot heißt: Verhandeln. Konsequenz einer Debatte, in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1983 vom 25. 11. 1983, S. 1.

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nachdem in der Endphase der Weimarer Republik Randalierereien in deutschen Parlamenten stattgefunden hatten, Deutschland in Schutt und Asche lag. Auch bei der Angst vor der Friedensbewegung zeigten sich die bekannten Merkmale zum Untergangsszenario der Massenbewegung, dass ein scheinbares Nachlassen der Massenbewegung nicht als Argument für deren Ungefährlichkeit akzeptiert wurde. Nachdem im Herbst 1983 die Massenproteste gegen die Stationierung im Vergleich zum erwarteten Ausmaß doch geringer ausgefallen waren, warnte die Mitherausgeberin des Rheinischen Merkurs Christa Meves vor einer Radikalisierung der verkleinerten Bewegung: »Jede Austrocknung des Bodens kann ganz rasch bewirken, daß die immer zahlreicher werdenden schwachen Hälmchen zu dem hochgeeigneten Material werden, um denjenigen Flächenbrand hervorzurufen, der den diabolischen Traum von der Selbstzerstörung der Bundesrepublik Deutschland Wirklichkeit werden ließe.«346 Die Ängste vor der Friedensbewegung wurden hauptsächlich im konservativen Wahrnehmungsmuster artikuliert. Allerdings gab es – wie auch bei anderen Ängsten – Akteure, die auch diese Ängste artikulierten, die aber formal eher dem linken Wahrnehmungsmuster zuzuordnen wären, da sie beispielsweise Mitglied der SPD waren. Wie bereits erläutert, äußerte Kurt Sontheimer als SPD-Mitglied Ängste um den Bestand der bundesdeutschen Demokratie und artikulierte damit Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters, worauf der Politologe Robert Lederer im »Spiegel« reagierte. Für Lederer setzte sich Sontheimer erwartungsgemäß nicht mit kritischen Expertenmeinungen auseinander und er bezeichnete Sontheimers Buch »Zeitenwende« als »ein[en] Beitrag zur Benebelung der Geister.«347 Kurt Sontheimer soll an dieser Stelle aber nur als ein Beispiel genannt werden. Auch Akteure, die eigentlich dem konservativen Wahrnehmungsmuster zuzuordnen wären, unterstützten die Friedensbewegung. So hätten die Akteure der Friedensbewegung »bis weit hinein ›ins bürgerliche Lager‹« große Zustimmung und »[s]elbst CDU-Anhänger in der Provinz, bestätigt eine Infas-Umfrage, unterstützten Forderungen der Friedensbewegung.«348 Im linken Wahrnehmungsmuster wurde eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch die Friedensbewegung bestritten, wenngleich auch die Meinung geteilt wurde, dass es auch innerhalb der Friedensbewegung radikale Minderheiten gebe. Der »Spiegel«-Reporter Jürgen Leinemann erkannte gerade in der Diffamierung der Friedensbewegung und anderer linker Gruppierungen 346 Christa Meves: Strohfeuer und Flächenbrand. Warum die Ziele der Jugendrevolten wechselhaft sind; in: Rheinischer Merkur Nr. 44/1983 vom 4. 11. 1983, S. 8. 347 Robert Lederer : »Propheten der Angst haben Konjunktur.« Politologe Robert Lederer über Kurt Sontheimers »Zeitenwende«; in: Der Spiegel Nr. 42/1983 vom 17. 10. 1983, S. 135 – 138; hier : S. 138. 348 »Kinder des Lichts, Kinder der Finsternis«, S. 30.

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einen Grund für das, »was jetzt vor allem von den Parteien als Gefahr für die repräsentative Demokratie bejammert und verketzert wird: den Zusammenschluß vieler einzelner und zersplitterter Gruppen mit unterschiedlichen Zielen und diffusen Motiven zu sozialen Bewegungen.«349 Die »Spiegel«-Redakteure Axel Jeschke und Wolfgang Malanowski verneinten, dass der Großteil der Friedensbewegung »die freiheitlich demokratische Grundordnung umstürzen [will], wie konservative Staatsmänner leichthin unterstellen«.350 Der Präsident des Oberlandesgerichts, Rudolf Wassermann, hielt nichts für verfehlter, als die Friedensbewegung als Verfassungsgegner zu diffamieren.351 Dennoch, so konstatierte der »Spiegel«, benutzten »Innenminister Zimmermann (CSU) und sein Parlamentarischer Staatssekretär Carl-Dieter Zimmermann […] die kleine radikale Minderheit [die Autonomen, C.S.] im breiten Spektrum der Raketengegner, um die ganze Friedensbewegung in Verruf zu bringen.«352 Der »Spiegel« kritisierte weiterhin, dass Teile der SPD die Aktionseinheit zwischen Pazifisten und Kommunisten beim »Krefelder Appell« anprangerten und zog dabei Vergleiche zur Friedensbewegung der Weimarer Republik.353 Wie bereits erwähnt, wehrte sich Joschka Fischer gegen Heiner Geißlers Behauptung, die Friedensbewegung verwende nationalsozialistische Rituale und verwies darauf, dass die Rituale der Friedensbewegung nicht faschistisch, sondern stark christlich geprägt seien.354 Auch im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde die Gefährdung der Demokratie durch die Friedensbewegung bezweifelt, auch deshalb, um den Zerfall der Friedensbewegung einzuleiten bzw. zu beschleunigen. Der Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität München, Nikolaus Lobkowicz, versuchte im Juni 1983 Ängste vor der Friedensbewegung gering zu halten, denn »[w]ie die bisherige Erfahrung lehrt, brechen objektiv dienende Protestbewegungen schlagartig ab, sobald sie ihr Ziel verfehlt haben«.355 Lobkowicz’ These sollte sich diesbezüglich als richtig herausstellen, denn nach dem Stationierungsbeschluss

349 Jürgen Leinemann: Die deutsche Depression. Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann berichtet über die Stimmungslage der Nation (6. Teil); in: Der Spiegel Nr. 8/1982 vom 22. 2. 1982, S. 77 – 101; hier: S. 94. 350 Axel Jeschke und Wolfgang Malanowski: »Gewalt ist so ein gewaltiges Wort.« SpiegelRedakteure Axel Jeschke und Wolfgang Malanowski über die Friedensbewegung und Widerstand; in: Der Spiegel Nr. 35/1983 vom 29. 8. 1983, S. 34 – 43; hier : S. 37. 351 Vgl. nach: Jeschke; Malanowski: Gewalt, S. 40. 352 »Alles oder nichts – egal, aber storno.« Die Autonomen – der militante Ableger der Friedensbewegung; in: Der Spiegel Nr. 39/1983 vom 26. 9. 1983, S. 35 – 43; hier : S. 35. 353 Vgl. »Eine gewisse nationale Würdelosigkeit.« Friedensbewegung in der Weimarer Republik; in: Der Spiegel Nr. 23/1982 vom 7. 6. 1982, S. 72 – 77; hier : S. 77. 354 Vgl. »Die Grünen sind die eigentliche Opposition«, S. 66. 355 Nikolaus Lobkowicz: Der Zeitgeist von übermorgen. Abwendung von Rationalität und Politik; in: Rheinischer Merkur Nr. 26/1983 vom 1. 7. 1983, S. 8.

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verlor die Friedensbewegung an Ausmaß, womit auch die Ängste vor der Friedensbewegung geringer wurden.

3.1.4 Zwischenfazit zum Szenario der Massenbewegung Im Gegensatz zu anderen rechtsradikalen Parteien löste die NPD massive Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie aus. Gerade die Absicht der NPD, nicht gewaltbereit und extremistisch, sondern nationalkonservativ und gemäßigt zu erscheinen und somit als nationale Opposition Wählerstimmen zu gewinnen, verstärkte diese Ängste. Deshalb versuchten die Gegner der NPD die Verharmlosung der NPD anzuprangern und die Gefährlichkeit dieser Partei aufdecken. Hierzu wurden vor allem Ähnlichkeiten zwischen der NPD und der NSDAP dargestellt. So wurden optische Ähnlichkeiten der Embleme, personelle Verflechtungen und vor allem Gemeinsamkeiten in der Verharmlosung der Gefahr beschrieben und vor einer Wiederholung der Geschichte gewarnt. Wie stark die NPD aber als Gefahr für die bundedeutsche Demokratie wahrgenommen wurde und was als gefährlich galt, war maßgeblich abhängig von den jeweils spezifischen Interpretationen der Entstehung des Nationalsozialismus. Im konservativen Wahrnehmungsmuster herrschte – wie bereits erwähnt – eine eher enge Definition des Nationalsozialismus vor, die im Wesentlichen vier Merkmale des Nationalsozialismus für gefährlich erachtete. Diese Merkmale waren eine Führerfigur, der Charakter einer Bewegung, die Ausübung von Gewalt und die Irrationalität des Nationalsozialismus. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde die Definition des Nationalsozialismus weiter gefasst, sodass neben den vier Merkmalen weitere konservative Eigenschaften wie beispielsweise der Nationalismus, die angebliche Spießigkeit und die Reformfeindlichkeit als Gefahr für die Demokratie begriffen wurden. Diese spezifischen Interpretationen des Nationalsozialismus sensibilisierten für eventuelle Gefahren oder ließen Gefahren geringer erscheinen, sodass sich während der Großen Koalition (1966 – 1969) allmählich die Gefahrenwahrnehmung und die Strategien zur Bekämpfung der NPD deutlich zwischen dem linken und konservativen Wahrnehmungsmuster unterschieden. Beim Szenario der NPD als Massenbewegung ist besonders interessant, dass die Anhängerschaft und die Führungsgremien der NPD fast ausschließlich als die alten Kämpfer der NSDAP beschrieben wurden, die zwar auch jüngere Wähler gewinnen wollten, aber der Schwerpunkt bei Menschen ab ca. 40 Jahren lag. Damit unterscheidet sich dieses Szenario deutlich von dem der Studentenbewegung, bei dem die Akteure meistens als Jugendliche und die Massenbewegung als junge Bewegung beschrieben wurden. Ab 1969 wandelte sich die Angst vor einer rechten Massenbewegung im linken Wahrnehmungsmuster

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dahingehend, dass Gefahren nicht mehr von Älteren, sondern von Jugendlichen ausgehend gesehen wurden. Somit wurden der neue Rechtsradikalismus und die Ausländerfeindlichkeit im linken Wahrnehmungsmuster als Jugendproblem beschrieben und zugleich vor neueren Formen des Nationalsozialismus gewarnt. Gründe hierfür könnte das gestiegene Alter derjenigen sein, die vor einer rechten Massenbewegung warnten. Ein anderer Grund für diesen Wandel könnte in der Wiederspiegelung konservativer Ängste vor der Studentenbewegung liegen. Jedenfalls wurde die Mobilisierung der »Straße« durch jüngere Menschen fast ausnahmslos zum Bestandteil der Gefahrenbeschreibung des Szenarios einer Massenbewegung nach 1969. Beim Szenario der Studentenbewegung wurde die Gefährlichkeit für die Demokratie durch die Gewalttätigkeit der Studenten erklärt. Diese Gewalttätigkeit wurde mit Terror gleichgesetzt, dem sich schwache politische Instanzen hilflos ausgesetzt sahen. Der friedlichen Mehrheit stehe ein wütender Mob gegenüber, der sich undiszipliniert, dafür aber jederzeit einsatzwillig und einsatzbereit aufführe. Dieser Mob versuche mit Scheinargumenten für die Belange der Studentenschaft einzutreten, in Wirklichkeit verberge er aber seine wahren Motive, da er als »antiparlamentarische Opposition« die bundesdeutsche Demokratie zerstören wolle. Interessant ist, dass die Gewaltbereitschaft der Studentenbewegung schon vor der Entstehung der Roten Armee Fraktion als Terrorismus bezeichnet wurde. Hierbei bezog man sich im konservativen Wahrnehmungsmuster im Wesentlichen auf zwei verschiedene historische Vergleiche. Zum einen dienten die Boykottaufrufe und Straßenschlachten der SA als Bezugsrahmen, zum anderen bezog man sich auf die Terror-Herrschaft der Jakobiner in Frankreich von 1793 – 1794. Ein weiterer historischer Bezugsrahmen war die Gründungsphase der Weimarer Republik 1918/19. Die Gefährlichkeit der Studentenbewegung wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster auch dadurch beschrieben, dass die Studentenbewegung das parlamentarische System ablehnen würde und stattdessen ein Rätesystem einführen wolle. Hier zeigt sich die spezifische Interpretation der Geschichte der Weimarer Republik, dass die konservativen und liberalen Parteien gemeinsam mit der SPD in den Jahren 1918/19 die parlamentarische Demokratie eingeführt und damit ein Rätesystem verhindert haben, das automatisch zu einem Sowjetsystem geführt hätte. Nur unter Berücksichtigung dieses Geschichtsverständnisses wird ersichtlich, warum der Wunsch der Studentenbewegung nach der Einführung eines Rätesystems im konservativen Wahrnehmungsmuster automatisch als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie angesehen wurde. Nach 1969 nahmen die Ängste vor einer Massenbewegung im konservativen Wahrnehmungsmuster zwar ab, es lassen sich aber gemeinsame Merkmale hinsichtlich dieser Angst erkennen. Sowohl bei den Ängsten vor den Grünen als

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auch vor der Friedensbewegung wird die Gefährlichkeit durch die Gewaltanwendung begründet. Eine kleine, gewaltbereite Masse könnte sich in die Lage bringen, über die größere, aber passive Mehrheit zu herrschen. Diese kleine Masse sei deshalb so gefährlich, da sie legitime Anliegen, wie Umweltschutz, Recht auf Wohnraum und Friedenssehnsucht, für ihre eigenen Interessen, die Zerstörung der bundesdeutschen Demokratie, ausnutze. Deshalb warnte man im konservativen Wahrnehmungsmuster immer wieder vor der »Volksfront« zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten, wobei hier die französische Geschichte der 1930er Jahre als Bezugsrahmen diente. Eine weitere Gemeinsamkeit in der Gefahrenwahrnehmung des konservativen Wahrnehmungsmusters nach 1969 war die Angst vor der Einführung eines Rätesystems. Sowohl die Zielsetzung der Bürgerinitiativen und der Grünen, weite Bevölkerungsteile an der Politik partizipieren zu lassen, als auch die geplanten Proteste der Friedensbewegung gegen die Stationierung neuer Waffensysteme durch die Entscheidung des Bundestages weckten im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einer Untergrabung des parlamentarischen Mehrheitssystem und vor totalitären Tendenzen. Noch ein weiteres Grundmuster wurde in allen Szenarien einer Massenbewegung ersichtlich, außer in dem Szenario der Angst vor der NPD. Die Angst vor einer Massenbewegung zeigte sich in beiden Wahrnehmungsmustern auch als Generationskonflikt zwischen der älteren Generation, die vor der jüngeren Generation warnt. Speziell die Jugend mobilisiere die »Straße« und verübe dort Gewalt, weshalb sie sich über demokratische Normen hinwegsetze und damit die Demokratie gefährde. Diese Gefahrenwahrnehmung lässt sich auch durch den Altersunterschied zwischen den Akteuren der Jugendbewegungen und den Zeitgenossen, die vor der Jugendbewegung warnten, erklären. Viele Akteure des linken und konservativen Wahrnehmungsmuster gehörten zur Generation der »45er« (Dirk Moses) und waren zu Kriegsende meist desillusionierte Jugendliche, die das Jahr 1945 als »Wendepunkt ihres Lebens« ansahen und sich fortan für den liberalen und demokratischen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland einsetzten.356 In den Jahren ab Mitte der 1960er Jahre waren die »45er« im politischen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik Deutschland etabliert und einige von ihnen sahen ihre Errungenschaften (wie wirtschaftlichen und demokratischen Aufbau, Reformen und Freiheiten) durch den Aktionismus der Jugend bedroht. Für die Jugendlichen der 1960er Jahre aber, so der Rektor der Universität München Prof. Ludwig Kotter im Jahr 1968, »sind jene Schreckensjahre [1933 – 1945, C.S.] Geschichte. Sie messen deshalb unseren 356 Vgl. Dirk Moses: Die 45er. Eine Generation zwischen Faschismus und Demokratie; in: Neue Sammlung. Vierteljahres-Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft, 40 (2000), S. 233 – 263; bes. S. 235 und S. 246.

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Staat und unsere Gesellschaft nicht mehr am Gegensatz zur Vergangenheit, sondern an neu entwickelten ›absoluten‹ Ideen.«357 Deshalb konnten auch die Errungenschaften der »45er« kritisch hinterfragt werden und neueren Idealen geopfert werden, was zu Generationskonflikten führte. Der »Spiegel« konstatierte, warum dieser Generationskonflikt aber eine derartige Heftigkeit annehmen konnte und eine Bedrohung der bundesdeutschen Demokratie befürchtet wurde: »Und dennoch sind es Väter und Söhne vom gleichen Stamm der Deutschen: beide selbstgerecht und intolerant, beide wähnen sich im Besitz der Wahrheit; jeder sieht im anderen das Unheil. Was für die einen ›Aufrechterhaltung des Rechtsstaates‹ ist, gilt den anderen als ›Faschismus‹; was für die einen ›Befreiung des Menschen durch Bewußtwerdung‹ ist, gilt den anderen als ›Kommunismus‹.«358 Vergleicht man die Gefahrenbeschreibung des Szenarios einer Massenbewegung einerseits in den 1960er Jahren und andererseits in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, wird auch ein Wandel im Geschichtsbezug deutlich. Der Vergleich zur nationalsozialistischen Vergangenheit wurde vorrangig von Akteuren gezogen, die die Zeit des Nationalsozialismus selber miterlebt hatten, die also Primärerfahrung besaßen. Akteure, die lediglich Sekundärerfahrung besaßen, wehrten sich meist gegen diese Vergleiche und bestritten Ähnlichkeiten zum Nationalsozialismus. Insofern bestätigt sich die Ausgangshypothese doch (im Gegensatz zu den Ergebnissen der quantitativen Analyse, die nicht zwischen Akteuren mit Primär- und Sekundärerfahrung und nicht die Art der Verwendung unterscheiden kann, sondern nur die Thematisierung eines historischen Bezuges misst), dass sich durch die Veränderung des »Erfahrungsraums« auch der »Erwartungshorizont« – das Szenario einer Massenbewegung – änderte.

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Die quantitative Inhaltsanalyse aus dem »Spiegel« und dem »Rheinischen Merkur« bestätigte die Ausgangshypothese, dass die Person Franz Josef Strauß im linken Wahrnehmungsmuster diverse Ängste vor dem Untergang der Demokratie durch die Herrschaft eines neuen Führers auslöste. Dagegen bestätigte sich die Ausgangshypothese nur bedingt, dass die Person Willy Brandt im konservativen Wahrnehmungsmuster ebenfalls Ängste vor einem neuen Führer auslöste, wobei die Höhepunkte dabei ebenfalls nicht – wie ursprünglich angenommen – die Bundestagswahlkämpfe 1965 und 1969 bildeten. Es lässt sich 357 Zit. nach: Gebrochenes Rückgrat, S. 34. 358 Verlorenes Wochenende, S. 26.

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konstatieren, dass die Ängste vor dem Untergang der bundesdeutschen Demokratie als Szenario eines neuen Führers solche Ängste waren, die hauptsächlich im linken Wahrnehmungsmuster virulent waren und sich dort fast ausschließlich anhand der Person Franz Josef Strauß artikulierten. Im konservativen Wahrnehmungsmuster war die Thematisierung dieser Ängste vergleichsweise unbedeutend, wenn dann wurden sie aber fast ausschließlich als Angst vor Willy Brandt als neuem Führer oder als nicht personifizierte Angst vor einem neuen »starken Mann« artikuliert.

3.2.1 Die Angst vor Franz Josef Strauß Chronologischer Überblick über die Thematisierung der Ängste vor Franz Josef Strauß Die Angst vor Franz Josef Strauß als demokratiezerstörendem »Führer« ist die im Untersuchungszeitraum wahrscheinlich konstanteste Angst vor dem Untergang der bundesdeutschen Demokratie. Diese Ängste wurden über 15 Jahre, von 1965 bis 1980, in unterschiedlich starker Ausprägung thematisiert und kamen erst nach der Bundestagswahlniederlage von Strauß am 5. Oktober 1980 allmählich zum Erliegen. Deshalb soll in diesem Kapitel untersucht werden, wie die Gefahren über diesen langen Zeitraum artikuliert wurden und ob sich Argumentationsmerkmale veränderten. Hierbei wurden verschiedene Höhepunkte der Thematisierung erkannt. Nach der »Spiegel«-Affäre 1962 verlor Franz Josef Strauß seinen Posten als Bundesverteidigungsminister, weshalb sich seine Gegner vorerst beruhigt sahen, aber immer wieder davor warnten, dass Strauß ein politisches Comeback auf Bundesebene anstrebe. So gab es massiven Protest, als Franz Josef Strauß Anfang 1965 als Kolumnen-Schreiber für den »Stern« arbeitete, als er bei der Bundestagswahl 1965 als Ministeranwärter gehandelt wurde oder als er sich kritisch über den Atomsperrvertrag äußerte. Als Strauß 1966 Finanzminister der Großen Koalition wurde, führte das allerdings nicht zu vermehrten Ängsten, sondern es wurde über Strauß selbst im »Spiegel« neutraler berichtet. Die Ängste kamen allerdings spätestens wieder auf, als Strauß als möglicher Kanzlerkandidat für 1969 gehandelt wurde. Das wiederholte sich auch in den nachfolgenden Bundestagswahlen, wobei nicht nur eine mögliche Kanzlerkandidatur, sondern auch ein mögliches Ministeramt als Gefahr angesehen wurden. Die Ängste vor Franz Josef Strauß kamen wieder vermehrt auf, als Strauß 1969 Teile der APO mit Tieren verglich, für die die Anwendung von menschlichen Gesetzen nicht gelten solle. Fortan wurde im linken Wahrnehmungsmuster vermehrt vor Franz Josef Strauß gewarnt, wobei Strauß’ Geheimrede in Sonthofen, die 1975 im

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»Spiegel« veröffentlicht wurde, oder der Kreuther-Trennungsbeschluss 1976 als weitere Belege für die von Strauß ausgehende Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie galten. Als Franz Josef Strauß 1979 Kanzlerkandidat der Union wurde, erreichten die Ängste vor Strauß einen neuen Höhepunkt. Mit der Wahlniederlage bei der Bundestagswahl 1980 verstummten aber allmählich die Ängste vor dem Untergang der bundesdeutschen Demokratie durch Franz Josef Strauß.

Charakterisierungen von Franz Josef Strauß und dessen Anhängerschaft Um aufzuzeigen, wie die Gefährlichkeit von Franz Josef Strauß sichtbar gemacht wurde, ist es unabdingbar, die Beschreibungen seiner Person durch seine Gegner zu analysieren. Hierbei spielten sowohl optische als auch charakterliche Beschreibungen eine wesentliche Rolle. Die »Stern«-Kolumnistin Sibylle, alias Anneliese Friedmann, äußerte 1965 massive Bedenken gegen die Anstellung von Franz Josef Strauß als Kolumnist für den »Stern« und begründete ihre Ängste auch durch die optische Erscheinung von Strauß: »Ich fühle Skepsis gegenüber einem Gesicht, das selbst auf freundlichen Familienphotos genau das ausdrückt, was die Franzosen meinen, wenn sie uns ›Boches‹ nennen. Ich glaube dem Wort, daß der Mensch ab einem gewissen Alter für sein Gesicht verantwortlich sei – also Strauß für das geballte Maß von Brutalität, das aus seinem Schädel, seinem Nacken, seinen Zügen spricht.«359 Als Strauß Finanzminister (1966 – 1969) war und die Möglichkeit bestand, dass er auch als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl 1969 gehen könnte, beschrieb der Londoner »Daily Mirror« Strauß als einen »Mann mit bulligen Schultern und starkem bayrischen Akzent […]. Das Ziel dieses erfolgreichen Schlachtersohns, dieses ungestümen Politikers mit der lauernden Haltung eines Preisboxers, der einen an Bier denken läßt, ist wenig getarnt: ganz offensichtlich die deutsche Kanzlerschaft«, weshalb der »Daily Mirror« fragte, ob Strauß eine »Bedrohung für den Weltfrieden« sei.360 In einer Titelstory über Strauß’ Wahlkampfauftritte im Jahr 1972 verwies der »Spiegel« auf »den massigen Schädel zwischen hochgezogenen Schultern« und bezeichnete ihn als einen »in Schweiß geratene[n] Oberbayer[n]«.361 Häufig diente diese Art der optischen Beschreibungen dazu, um die Zielstrebigkeit von Franz Josef Strauß zu untermauern und darauf hinzuweisen, dass Strauß seine avisierten Ziele konsequent verfolge. Interessanterweise wurden derartige optische Beschreibungen nicht nur im linken Wahrnehmungsmuster eingesetzt, um Franz 359 Zit. nach: Fehler und Fouls; in: Der Spiegel Nr. 4/1965 vom 20. 1. 1965, S. 33. 360 Zit. nach: Der Ananasfarmer ; in: Der Spiegel Nr. 52/1968 vom 23. 12. 1968, S. 22. 361 »Die wollen Franz Josef, und die haben ihn«; in: Der Spiegel Nr. 46/1972 vom 6. 11. 1972, S. 34 – 52; hier : S. 34.

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Josef Strauß zu diskreditieren, sondern sie wurden auch im konservativen Wahrnehmungsmuster dafür verwendet, um Franz Josef Strauß positiv darzustellen. In dem von Franz Josef Strauß herausgegebenen »Bayernkurier« wurde Strauß in den Karikaturen in sämtlichen Rollen breitschultrig und stiernackig dargestellt. Der Strauß-Referent Marcel Hepp begründete das damit, dass ein deftig gezeichneter Strauß in Bayern beliebt sei.362 Neben den optischen Beschreibungen dienten auch Beschreibungen von Strauß’ Vortragsweise auf Wahlkampfveranstaltungen dazu, um die Gefährlichkeit von Franz Josef Strauß zu verdeutlichen. Ernst Günter Vetter beschrieb 1971 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wie Strauß’ Reden von Emotionalität geprägt sind: »Das Stakkato seiner Worte scheint noch heftiger zu werden. Er spricht zuweilen nicht mehr, sondern explodiert; die Attitüde des Volkstribunen ergreift ihn immer mehr«.363 Vetter konstatiert, dass selbst »vielen, die ihm so lebhaft applaudierten« der Gedanke eines Superministers Strauß unwohl sei.364 Der »Spiegel«-Reporter Hermann Schreiber berichtete im April 1975 über Wahlkampfveranstaltungen von Franz Josef Strauß. Auch Schreibers Ausführungen suggerieren eine große Emotionalität von Strauß und eine Stimmung, die jederzeit in Aggression umschlagen kann: »Wenn im Auditorium die massierten Störer fehlen, dann bringt schon der leiseste Lacher an der falschen Stelle, der albernste Ansatz zu einem Zwischenruf den Redner in Explosionsgefahr. Dann zucken Blitze aus den Wolken der Mäßigung, die er immer wieder vor sich hin schiebt […], dann donnert er den ›Andersgläubigen‹ ihre ›Dummheit‹ um die Ohren und bezichtigt sie, ›gewisse Massenmedien‹, mit denen er übers Kreuz ist, als ›Gehirnprothese‹ zu verwenden«.365 Weiterhin wurde die Atmosphäre bei Wahlkampfveranstaltungen häufig als nebulös und durch Alkoholkonsum bestimmt beschrieben. Die Zuhörer nahmen hierbei passive Rollen an, die neben dem massiven Alkohol- und Nahrungskonsum wie berauscht Franz Josef Strauß zuhörten und bejubelten. Für den »Spiegel«-Reporter Peter Brügge wurde Franz Josef Strauß von einem »wohlig rechts-temperierte[n] Auditorium [empfangen], als er sich in seinem eigens übergestreiften Trachtengewand zum Podium durchwand. Auch das noch unverdaute neue Stichwort dieses traditionellen Katermittwochs von Vilshofen war bereits von einem untergeordneten Vorredner in den Dunst von Bier, He-

362 Vgl. nach: »Kein Papiertiger«; in: Der Spiegel Nr. 29/1969 vom 14. 7. 1969, S. 18. 363 Zit. nach: Nicht ganz wohl. Ernst Günter Vetter in der »FAZ« über »CDU-Prominenz zur Marktwirtschaft« auf dem CDU/CSU »Wirtschaftstag 71«; in: Der Spiegel Nr. 28/1971 vom 5. 7. 1971, S. 19. 364 Zit. nach: Nicht ganz wohl. 365 Hermann Schreiber : »Ich verlier’ net die Kontrolle.« Spiegel-Reporter Hermann Schreiber über den Wahlkämpfer Franz Josef Strauß; in: Der Spiegel Nr. 16/1975 vom 14. 4. 1975, S. 34.

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ringssalat und Emmentaler hinausgeworfen worden«.366 Typisch für die Beschreibungen der Wahlkampfveranstaltungen von Strauß ist die absolute Fixierung des Publikums auf dessen Person, während andere politische Redner weder Begeisterungs- noch Sympathieströme bewirken könnten und blass und langweilig wirken würden. Nachdem das von Alkohol und Nahrung wie berauschte Publikum anscheinend stundenlag auf Strauß gewartet habe, löse dessen Ankunft oft Begeisterungsströme aus: »Erregt harren die Massen seiner, geduldig und über Stunden. Hunderte und Tausende warten in diesen Vorwahlwochen in Tattersalls, Bierzelten und Festhallen bei Maßkrug, Schweinswurst und Blasmusik auf ihn. Endlich: Langweilende Vorredner raffen ihr Manuskript, der bayrische Defiliermarsch schmettert los, die Menge springt auf. Er ist da.«367 Was folge seien begeisterte Sympathiebekundungen, eifriges Händeschütteln und Autogramme, keiner protestiere, sondern »die Getreuen jubeln.«368 Ein ähnliches Publikum beobachtete auch Hermann Schreiber im Jahr 1975. Das Publikum bestehe zum größten Teil aus »Menschen gesetzten Alters – darunter Damen, deren Unterkiefer sanft erzittern, und Herren, die unwillkürlich eine Faust machen, wenn der Kraftmensch am Rednerpult sie erst einmal in seinen Bann geschlagen hat.«369 Das Publikum wolle, dass jemand für sie die eigenen Aggressionen artikuliere, sodass Strauß eine Attraktion sei, die ohne größere Probleme beachtliche Hallen und Säle füllen könne. Hermann Schreiber nahm deshalb an, »daß zumindest das potentielle Sportpalast-Publikum auf seine Kosten kommt, obwohl ihm qua Substanz eigentlich nichts anderes geboten wird als die seit eh und je Strauß-spezifische Mischung aus Kassandra und Kabarett plus der Standardnummer aller Demagogen: mit dem herumgedrehten Spieß nach dem politischen Gegner zu stochern.«370 In den Beschreibungen von Peter Brügge und Hermann Schreiber wird ersichtlich, dass auch die Anhängerschaft von Strauß als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie angesehen wurde. Die Gefahr schien dadurch gegeben, dass Strauß eine Anhängerschaft anziehe und mobilisiere, die emotional sehr aufgeheizt sei und sich insgeheim an verbalen Aggressionen erfreue, diese aber im zivilen Leben kaum ausleben könnten und dafür beispielsweise die Wahlkampfveranstaltungen von Strauß nutzten. Wenn diese Aggressionen aber erst einmal hervorgerufen worden seien, könnten sie auch jederzeit in tatsächliche Aggressionen umschlagen. In dieser Gefahrenwahrnehmung geht die Hauptgefahr nicht so sehr von Strauß selber

366 Peter Brügge: »Mir von der Obbosizion.« Peter Brügge über Franz Josef Strauß in Vilshofen; in: Der Spiegel Nr. 8/1970 vom 16. 2. 1970, S. 26 f.; hier: S. 26. 367 »Die wollen Franz Josef, und die haben ihn«, S. 34. 368 »Die wollen Franz Josef, und die haben ihn«, S. 34. 369 Schreiber : »Ich verlier’ net die Kontrolle.« 370 Schreiber : »Ich verlier’ net die Kontrolle.«

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aus, sondern er fungiert – bewusst oder unbewusst – als eine Art Ventil für die angestauten Aggressionen der dumpfen Masse. Neben den Beschreibungen von Franz Josef Strauß’ Äußerlichkeiten, dessen Wahlkampfauftritten und dessen Anhängerschaft spielten die Beschreibungen seiner Charaktereigenschaften eine weitaus größere Rolle, um auf die Gefährlichkeit von Franz Josef Strauß aufmerksam zu machen. Als 1965 die Möglichkeit bestand, dass Strauß nach der Bundestagswahl in ein Ministeramt zurückkehren könne, führte der »Spiegel«, eine repräsentative Meinungsumfrage über die Person Franz Josef Strauß durch. Danach befragt, welche Charaktereigenschaften auf Strauß passen, äußerten 64 % der Befragten »intelligent«, 61 % »machtgierig«, 56 % »rücksichtlos«, ebenfalls 56 % »unbeherrscht« und nur 14 % »demokratisch«.371 Die Mehrheit der Befragten, besonders innerhalb der SPD-Wählerschaft, empfand »einen schwerwiegenden Mangel an menschlichem und demokratischem Verhalten.«372 Hierbei wurde angeführt, dass Strauß an niedere Instinkte appelliere, er dämonisch und Hitler ähnlich sei, seine Einflüsse denen Hitlers gleichen würden, er demokratische Schwächen nutze und demokratische Prinzipien aushöhle, einen Verfall politischer Sitten einleite und er aufgrund seines Großmachtstrebens und militärischen Denkens selbst nicht vor Krieg zurückschrecke.373 Interessant ist, dass die Eigenschaften »Intelligenz« und »Tatkraft«, die eigentlich bei Politikern begrüßt und verlangt werden, bei Strauß aufgrund des als zu stark empfundenen Durchsetzungsvermögens und aufgrund seines als negativ beurteilten demokratischen und menschlichen Verhaltens gegenteilig wirkten, sodass Strauß’ hohe Intelligenz als gefährlich empfunden wurde.374 Deshalb befürchteten laut »Spiegel« 2,6 Millionen Bundesbürger, dass im Falle einer Alleinregierung der CSU eine Gefahr durch eine Diktatur durch Strauß ausgehe.375 Auffällig ist, dass der »Spiegel« versuchte, die große Beliebtheit Strauß’ in Bayern dadurch zu erklären und auch zu disqualifizieren, dass ein Großteil der CSU-Wähler eine geringere Schulbildung als die durchschnittlichen Bundesbürger hätten, sich weniger für Politik interessierten und auch aus Opposition gegen Bonn, ähnlich der früheren Opposition gegen Preußen, handelten.376 In einer erst Ende 1972 bekannt gewordenen Studie von 1969 des Bremer Getas Instituts im Auftrag der Union wurden der Person Franz Josef Strauß unpolitische Begriffe wie Flaschenbier, Haubitze und Bollwerk und

371 Vgl. Franz-Josef Strauß – Minister in Bonn? Umfragen unter Bundesbürgern; in: Der Spiegel Nr. 29/1965 vom 14. 7. 1965, S. 24 – 30; hier : S. 28. 372 Franz-Josef Strauß – Minister in Bonn?, S. 28. 373 Vgl. Franz-Josef Strauß – Minister in Bonn?, S. 28 f. 374 Vgl. Franz-Josef Strauß – Minister in Bonn?, S. 29. 375 Vgl. Franz-Josef Strauß – Minister in Bonn?, S. 29. 376 Vgl. Franz-Josef Strauß – Minister in Bonn?, S. 30.

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Berufe wie Gastwirt, Viehzüchter und Walzwerkbesitzer zugeordnet.377 Als bekannte Persönlichkeiten wurden ihm u. a. Adolf Hitler, Hermann Göring, Otto von Bismarck und Nikita Chruschtschow zugeordnet. Als für Strauß typische Charaktereigenschaften galten List, Machtstreben, Härte, Robustheit und Kampfgeist, als untypische Charaktereigenschaften identifizierte die Studie Würde, Güte, Besonnenheit, Ruhe und Redlichkeit. Als positive Eigenschaften bescheinigte man Strauß eine überragende Intelligenz, Robustheit und Zielstrebigkeit, als negative Eigenschaften Skrupellosigkeit, Machtgier und eine korrupte Gesinnung. Außerdem attestierte die Studie eine negative Erwartungshaltung gegenüber einer Regierung, in der Strauß ohne Zwänge regieren könne.378 Eine weitere Charaktereigenschaft, die Franz Josef Strauß im linken Wahrnehmungsmuster zugeschrieben wurde, war die der Illoyalität und Hinterlistigkeit. Der »Spiegel« zitierte in der Titelstory »Herzog Doppelzunge« ein New Yorker Blatt, dass Strauß nicht mehr derselbe von 1962 sei, denn »[z]war steht der Elefant noch im Porzellanladen, aber er achtet auf das Geschirr«.379 Für den »Spiegel« trat Strauß zwar nicht offensichtlich gegen Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler an, »[a]ber unterm Gewand trägt Strauß ständig einen Gegenstand, der einem Dolch gleichsieht, manchmal läßt er ihn blitzen, zeigt ihn wohl auch herum.«380 Deshalb könne kein CDU-Kanzler von Strauß Loyalität erwarten, stattdessen wetze er jeden Bundeskanzler ab.381 Strauß’ Aussage, dass er kein Interesse an einer Kanzlerschaft habe und noch lieber »eine Ananasfarm in Alaska errichten als Kanzler in Deutschland werden«382 wolle, wurde im linken Wahrnehmungsmuster nicht ernstgenommen, denn die »Kunst der doppelten Zunge, gefährlich und gefährdend für alle Adepten, beherrscht der deutsche Finanzminister wie kein zweiter ; aber sie beherrscht auch ihn.«383 Deshalb versicherte Willy Brandt, dass FDP und SPD jeden anderen als Kanzler akzeptieren könnten, »den Stammesherzog mit der doppelten Zunge hingegen nicht, denn ›die Kombination von Regierungsverantwortung und Demagogie kann die Demokratie sich nicht leisten‹ (Willy Brandt in Godesberg 1969).«384 Neben den bereits genannten Betitelungen von Franz Josef Strauß dienten weitere Bezeichnungen dazu, die Gefährlichkeit Strauß’ auszudrücken. So wurde 377 Vgl. nach: Hitler, Chruschtschow…Strauß; in: Der Spiegel Nr. 51/1972 vom 11. 12. 1972, S. 18. 378 Vgl. nach: Hitler, Chruschtschow…Strauß. 379 Zit. nach: Herzog Doppelzunge; in: Der Spiegel Nr. 21/1969 vom 19. 5. 1969, S. 30 – 50; hier: S. 31. 380 Herzog Doppelzunge, S. 31. 381 Vgl. Herzog Doppelzunge, S. 34. 382 Zit. nach: Der Ananasfarmer. 383 Herzog Doppelzunge, 34. 384 Herzog Doppelzunge, S. 50.

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Strauß beispielsweise als »bayrische[r] Unruhestifter« und »unheimlicher Führer«385, als »bayrische[r] Triumphator« und »Meister [und] seine Jünger«386, als »brillanter Demagoge«, »Heavy-Duty-Rhetoriker« und »Polemiker«387 oder als »Putschgeneral-Strauß« und »militante[r] Christsoziale[r]«388 betitelt. Franz Josef Strauß als Gefahr sichtbar machen Die Charakterisierungen von Franz Josef Strauß implizierten häufig schon eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie. Dennoch wurde neben der negativen Charakterisierung Strauß’ auch direkt auf Gefahren für die bundesdeutsche Demokratie aufmerksam gemacht. Im Wahlkampf 1965 appellierte die FDP an Ängste vor Strauß und erstellte ein Wahl-Faltblatt, das »Franz-Josef Strauß in Diktator-Pose zeigt, zwischen den Balkenzeilen ›Wollen Sie die Alleinherrschaft einer Partei? Wollen Sie wieder Herrn Strauß?‹«389 Im Jahr 1966, kurz vor der Rückkehr Strauß’ als Bundesminister, fand die SPD-nahe »Neue Ruhr Zeitung« Strauß ohne Macht erträglich und als interessanten Farbtupfer in der politischen Landschaft, mit Macht ausgestattet werde Strauß »heute nicht anders handeln als vor fünf Jahren [in der »Spiegel«-Affäre, C.S.], und damals handelte er wider den Geist und die Gesetze der Demokratie.«390 Da sich der Staat damals vor Strauß retten konnte, mahnte die »Neue Ruhr Zeitung« »[w]er nach dem ›starken Mann‹ und damit nach Strauß ruft, beschwört die Geister der Vergangenheit.«391 Rudolf Augstein beantwortete die Sehnsucht nach einem starken Mann ironisch, dass Deutschland mit starken Männern gute Erfahrung gemacht hätte, denn »[s] tarke Männer haben Wilhelms Kaiserreich so lange den Ersten Weltkrieg auskämpfen lassen, daß Deutschlands Heldenrolle auch von den Siegern anerkannt werden mußte. Ein schwächlicher Kompromißfrieden blieb dem Reich solcherart erspart.«392 Zwar bestehe keine Gefahr mehr, dass Strauß die Bundesrepublik in einen Atomkrieg verwickeln werde, dennoch bliebe Strauß gefährlich, da er den Staat zerstören würde, um seine politischen Ziele durchzusetzen. Umso unverständlicher sei es, dass die Bundesbürger nun ausgerechnet diesem

385 Warum soll er nicht?; in: Der Spiegel Nr. 33/1971 vom 9. 8. 1971, S. 22 f.; hier : S. 23. 386 »Die wollen Franz Josef, und die haben ihn«, S. 34 und S. 36. 387 »Wenn man mir geglaubt hätte.« Hermann Schreiber über den Wahlkämpfer Strauß nach der Niederlage im Polen-Streit; in: Der Spiegel Nr. 13/1976 vom 22. 3. 1976, S. 31. 388 Unions-Spaltung: »Bewegung hält jung«; in: Der Spiegel Nr. 48/1976 vom 22. 11. 1976, S. 25 ff.; hier : S. 25. 389 Frauen mit Waffen; in: Der Spiegel Nr. 32/1965 vom 4. 8. 1965, S. 16 f.; hier : S. 16. 390 Zit. nach: Was bietet Strauß?; in: Der Spiegel Nr. 40/1966 vom 26. 9. 1966, S. 20. 391 Zit. nach: Was bietet Strauß? 392 Rudolf Augstein: Der Überminister ; in: Der Spiegel Nr. 40/1966 vom 26. 9. 1966, S. 24.

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Mann aufgrund seiner Tätigkeit als Finanzminister ihr Geld anvertrauen sollten.393 Als Franz Josef Strauß 1966 Finanzminister (1966 – 1969) wurde, kam es aber nicht zu einer erwartungsgemäßen Steigerung der Ängste oder einer Thematisierung, inwiefern Strauß seine Kompetenzen als Finanzminister dafür verwenden könnte, die Demokratie zu bekämpfen. Stattdessen wurden Strauß und der Wirtschaftsminister Karl Schiller (1966 – 1972) in der Öffentlichkeit als kompetent angesehen und erhielten schnell nach Wilhelm Buschs Hundepaar den Beinamen »Plisch und Plum«. Dennoch provozierten Strauß’ Äußerungen zum geplanten Abschluss eines Atomwaffensperrvertrages (von Strauß »Atomsperrvertrag« genannt), der für die Bundesrepublik das Verbot von atomaren Waffen regeln sollte, Ängste vor der Person Franz Josef Strauß. Besonders der Vergleich des Atomwaffensperrvertrages als »neues Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen« weckte im linken Wahrnehmungsmuster erneut Ängste.394 Im »Spiegel« befürchtete man, dass Strauß mit nationalen Parolen die Rolle eines neuen Führers einnehmen könne. So wurde berichtet, dass »die weiß-blaue Junge Union vorletzte Woche den Plan aus[heckte], mit einer Demonstrations-Truppe dem Feldzug ihres Führers Strauß gegen den […] Atomsperrvertrag Flankenschutz zu geben« und dass Strauß »seine Gefolgschaft mit neuen nationalen Parolen weiter auf[wiegelte]«.395 Strauß’ Ankündigungen, im Bundestagswahlkampf Stimmen der NPD gewinnen zu wollen, indem er selbst nationale Töne anspreche, weckten ähnliche Befürchtungen, sogar im Ausland.396 Ein Höhepunkt der Ängste vor Franz Josef Strauß im Untersuchungszeitraum zeigte sich im Juli 1969, als Strauß Teile der Außerparlamentarischen Opposition – wie bereits erwähnt – mit Tieren verglich, für die die Anwendung menschlicher Gesetze nicht gelten könne. Nachdem 40 Akteure der APO aus nichtigem Grund das Bamberger Landratsamt gestürmt und Gerichtsakten aus dem Fenster geworfen hatten, schrieb Strauß ein Telegramm an den bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel, in dem er warnte: »Diese Personen nützen nicht nur alle Lücken der Paragraphen eines Rechtsstaates aus, sondern benehmen sich wie Tiere, auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht 393 Vgl. Augstein: Der Überminister. 394 Zit. nach: Schlag der Trommeln; in: Der Spiegel Nr. 10/1967 vom 27. 2. 1967, S. 17 – 30; hier : S. 18. Zur Entstehung des Atomwaffensperrvertrags, den damit verbundenen Ängsten und Strauß’ Intentionen: Vgl. Oliver Bange: »A German finger on the trigger«. Die Furcht vor den bundesdeutschen Nuklearaspirationen, der Nichtverbreitungsvertrag und der Aufbruch in die Ära der Entspannung; in: Greiner ; Müller ; Walter (Hg): Angst, S. 278 – 307; bes: S. 283 f. 395 Kopf nach unten; in: Der Spiegel Nr. 12/1968 vom 18. 3. 1968, S. 32 f.; hier: S. 32. 396 Vgl. Die Fahne hoch; in: Der Spiegel Nr. 15/1968 vom 8. 4. 1968, S. 28 und vgl. nach: Der Ananasfarmer.

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möglich ist, weil diese Gesetze auch bei Rechtsbrechern noch mit Reaktionen rechnen, die der menschlichen Kreatur eigentümlich sind.«397 Da solche Ausschreitungen den Rechtsradikalen Zulauf verschaffen würden, forderte Strauß Goppel auf, »mit allen Mitteln der staatlichen Exekutive die verbürgte Ordnung des Staates zu garantieren und die Strafverfolgungsbehörden zu raschem Einschreiten zu veranlassen«, um den Terror zu brechen und das Vertrauen der Bürger zum demokratischen Staat nicht zu verlieren.398 Dieser Tier-Vergleich weckte massive Ängste vor Strauß und nahm im weiteren Diskurs auch bis zur Bundestagswahl 1980 eine wichtige Rolle ein, um auf dessen Gefährlichkeit aufmerksam zu machen. In einer Presseerklärung kritisierte der Deutsche Richterbund diesen Vergleich und fühlte sich durch das Vokabular Strauß’ an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert, weshalb er erklärte, dass auch Rechtsbrecher Menschen seien.399 In der darauffolgenden Antwort von Strauß an den Deutschen Richterbund versuchte Strauß seine Positionen näher zu erläutern und benannte Beispiele für menschenunwürdiges Verhalten einiger Akteure der APO, wie beispielsweise das Urinieren auf Amtsfußböden und Kotbeschmutzungen von Diensträumen.400 Weiterhin wollte Strauß klarstellen, dass er nicht gefordert habe, dass diese Personen wie Tiere behandelt werden sollten, sondern dass eine Anwendung der für Menschen geschaffenen Gesetze nicht möglich wäre und kritisierte außerdem, dass ausgerechnet der Deutsche Richterbund das menschenunwürdige Verhalten einiger APO-Akteure rechtfertige. In einem Antwortschreiben an Strauß wiederholte der Deutsche Richterbund seine Kritik an Strauß, indem er feststellte, dass Strauß’ Aussage »die Aufforderung zu einer außergesetzlichen Verfolgung [impliziert]. Gegen die Auffassung, daß bestimmte Gruppen unseres Volkes – und mögen sie sich auch gesetzwidrig verhalten – rechtlos gestellt werden sollten, müssen wir uns jedoch im Interesse der Rechtsstaatlichkeit wehren, dies zumal nach den bitteren Erfahrungen, die im ›Dritten Reich‹ mit dem Ausschluß bestimmter Gruppen der Bevölkerung vom Schutz der Gesetze gemacht worden sind.«401 Im linken Wahrnehmungsmuster schien sich durch den Tier-Vergleich von Franz Josef Strauß und dessen Uneinsichtigkeit die Gefährlichkeit seiner Person zu bestätigen. Der APO-Tier-Vergleich wurde als Beweis dafür angesehen, dass sich Strauß seit der »Spiegel«-Affäre nicht geändert habe. Als Argument für die Gefährlichkeit von Strauß, so die These, nahm er im späteren Diskurs deshalb eine größere Rolle als die »Spiegel«-Affäre von 1962 ein. Für Rudolf Augstein habe Strauß durch diese Äußerung sein wahres Gesicht wieder offenbart: »Da ist 397 398 399 400 401

Zit. nach: »Die benehmen sich wie Tiere«; in: Der Spiegel Nr. 31/1969 vom 28. 7. 1969, S. 20. Zit. nach: »Die benehmen sich wie Tiere«. Vgl. nach: »Die benehmen sich wie Tiere«. Vgl. nach: »Die benehmen sich wie Tiere«. Zit. nach: »Die benehmen sich wie Tiere«.

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er wieder, er hatte nur Kreide gefressen.«402 Darüber zeigte sich Augstein erfreut, da ihm immer wieder vorgeworfen wurde, »diesen Matador nicht nur durch unmäßige Angriffe großgemacht, sondern nahezu erfunden, gezeugt und geboren zu haben«.403 Nachdem Strauß erfolgreich die Rolle des Finanzministers absolviert habe, zeige sich nun wieder dessen »berechenbare […] Unberechenbarkeit«.404 Augstein äußerte außerdem den Gedanken, dass man sich fast wünsche, dass die Union doch Strauß als Kandidaten präsentiere, denn »Strauß als der erklärte Kandidat der Rechten bis hin zu Adolf von Thadden: Das wäre endlich mal eine Gelegenheit, die Dinge in Deutschland klarzustellen. Es gäbe dann […] eine Alternative.«405 Auch im Bundestagswahlkampf 1980 wiederholte sich diese Argumentation, weshalb Strauß auch als der Wunschgegner Helmut Schmidts galt. Doch auch im Wahlkampf 1969, in dem Strauß eigentlich als fähiger Wirtschaftsexperte gegen Karl Schiller präsentiert werden sollte, wurde die APO-Äußerung gegen Strauß verwendet. Diese liefere »den jungen Linken die Anleitung zur bisher wirkungsvollsten Guerilla-Taktik im Kampf gegen die wahlkämpfende Christenunion.«406 Durch tierische Zwischenrufe, Sieg-HeilRufe und durch Sprechchöre wie beispielweise »Nur die allerdümmsten Kälber wählen sich den Metzger selber« wurde Strauß in Wahlveranstaltungen am Reden gehindert, sodass selbst führende Unions-Politiker Strauß’ APO-Äußerung als einen »Bärendienst« beklagten.407 Vor allem mit Beginn der sozialliberalen Koalition verwies man im linken Wahrnehmungsmuster immer wieder auf die Gefährlichkeit von Strauß. So beschrieb der »Spiegel« eine rechte außerparlamentarische Opposition verschiedener Industrieller um Strauß und zitierte dessen angebliche Aussprüche einem Tischnachbarn gegenüber im Oktober 1970 in New York: »Wer mich daran hindern würde, an die Macht zu kommen, den würde ich umbringen« und »Ich will Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlgefühl für das deutsche Volk, wenn es sein muß, mit der Maschinenpistole erreichen«.408 Vor der Bundestagswahl 1972 warnte Walter Dirks in den »Frankfurter Heften« vor einem Wahlsieg von Franz Josef Strauß und Rainer Barzel, da dadurch ein autoritäres Regime von zwei oder

402 Rudolf Augstein: Wahlen (XI): Von Strauß, Tieren und anderen Menschen; in: Der Spiegel Nr. 34/1969 vom 18. 8. 1969, S. 16 f.; hier: S. 16. 403 Augstein: Wahlen (XI), S. 16. 404 Augstein: Wahlen (XI), S. 17. 405 Augstein: Wahlen (XI), S. 17. 406 Miau; in: Der Spiegel Nr. 36/1969 vom 1. 9. 1969, S. 25. 407 Vgl. Miau. 408 Zit. nach: »Man muß die FDP zerstören.« Industrielle paktieren mit Franz Josef Strauß; in: Der Spiegel Nr. 45/1970 vom 2. 11. 1970, S. 31.

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drei Männern entstehen könne, es käme zu einer Eskalation, deren Ende ein Bürgerkrieg sein könne.409 Nachdem der »Spiegel« im März 1975 Auszüge aus einer Rede von Franz Josef Strauß auf einer CSU-Klausurtagung in Sonthofen vom November 1974 veröffentlicht hatte, schienen sich im linken Wahrnehmungsmuster die Gefährlichkeit und das Machtstreben Strauß’ zu bestätigen. In dieser Sonthofen-Rede gab Strauß als Strategie für die Union aus, dass die Bundesregierung nur anklagen, aber keine konkreten Lösungsmöglichkeiten nennen solle, sodass sich die Krise so verstärke, dass in der Bevölkerung ein heilsamer Schock entstehe, der einen Regierungswechsel herbeiführe.410 Erschreckend wirkte im linken Wahrnehmungsmuster auch Strauß’ Aussage, dass die Union im Kampf gegen den Terrorismus nicht an die Gemeinsamkeit aller Demokraten appellieren solle, um den Rechtsstaat zu retten, sondern dass sie behaupten solle, »die SPD und FDP überlassen diesen Staat kriminellen und politischen Gangstern«, damit die Union verkünden könne, in einer Regierung der Union werde »bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen keiner es mehr wag[en] in Deutschland das Maul aufzumachen.«411 Der SPD-Abgeordnete Kurt Mattick bezeichnete Strauß’ Aussagen als »einen Generalangriff von Strauß und Springer, der in der Methode sehr ähnlich ist dem Angriff, den Hugenberg zusammen mit Goebbels gegen die Weimarer Republik geführt hat.«412 Für den FDP-Generalsekretär Martin Bangemann war die Idee vom starken Mann Franz Josef Strauß »ein Alptraum, der nicht Sicherheit verschaffen, sondern zum Angsttraum, zum Alptraum« werde.413 Jedoch verwies der »Spiegel« darauf, dass es noch nicht soweit sei, denn Strauß brauche Zeit bis dessen Krise endlich eintrete.414 Strauß’ Äußerungen bewirkten, dass die Sozialdemokratische Wählerinitiative (SWI) neuen Zulauf bekam und dass der rote »Stoppt-Strauß«-Aufkleber zum Verkaufshit wurde.415 Dieser wurde auch im Bundestagswahlkampf 1980 massenhaft verwendet. Auch im Bundestagswahlkampf 1976 wurde Franz Josef Strauß als Gefahr dargestellt. In einer Titelstory versuchte der »Spiegel« zu verdeutlichen, dass im Falle eines Wahlsieges der Union in Wirklichkeit Strauß die Richtlinienkompetenz für sich beanspruchen würde und nicht der Kanzlerkandidat Helmut 409 Vgl. nach: Friedrich Graf von Westphalen: Klerikalismus von links. Was die katholischen SPD-Wahlhelfer voranbringen; in: Rheinischer Merkur Nr. 45/1972 vom 10. 11. 1972, S. 3. 410 Vgl. Aufräumen bis zum Rest dieses Jahrhundert. Franz Josef Strauß über die Strategie der Union; in: Der Spiegel Nr. 11/1975 vom 10. 3. 1975, S. 34 – 41; hier : S. 36 und S. 41. 411 Aufräumen bis zum Rest dieses Jahrhundert, S. 36. 412 Zit. nach: »Den Rechtsstaat retten – blödes Zeug«; in: Der Spiegel Nr. 11/1975 vom 10. 3. 1975, S. 19 – 24; hier: S. 21. 413 Zit. nach: »Den Rechtsstaat retten – blödes Zeug«, S. 21. 414 Vgl. »Den Rechtsstaat retten – blödes Zeug«, S. 21. 415 Vgl. Wieder ein Motiv ; in: Der Spiegel Nr. 15/1975 vom 7. 4. 1975, S. 31 f.

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Kohl.416 Erneut wurde auf die Unberechenbarkeit von Strauß Bezug genommen und diese durch dessen vergangene Taten und Äußerungen belegt: »Daß einem Strauß alles zugetraut wird, kann nicht nur an der Böswilligkeit seiner Kritiker liegen. Daß er durch Macht korrumpierbar ist und keine Skrupel kennt, wenn es um seinen Vorteil geht, hat er in Wort und Tat schon zu oft offenbart.«417 Nach dem Wahlsieg der sozialliberalen Koalition beschloss die CSU am 19. November 1976 in Wildbad Kreuth, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU nicht weiter fortzuführen. Zwar wurde dieser Beschluss bereits am 12. Dezember 1976 wieder zurückgenommen, doch in Strauß’ Idee einer vierten Partei und Strauß’ Angriff auf Helmut Kohl, den er als unfähig betitelte und damit ausschloss, dass Kohl jemals Kanzler werde, schien sich im linken Wahrnehmungsmuster die Machtbesessenheit von Strauß zu beweisen. Zwar ginge Strauß mit der Gründung einer vierten Partei das Risiko ein, dass die CSU in Bayern nicht mehr den Ministerpräsidenten stellen könne, aber ihm sei es »wichtiger, als bajuwarischer Kreuzritter an der Spitze einer neuen, großen nationalen Volkspartei in den Kampf gegen die rote Flut zu ziehen, die, wie er alpträumt, Europa zu verschlingen droht.«418 Der SPD-Bundestagsabgeordnete Alfons Bayerl zeigte sich im SPD-Pressedienst erleichtert über die Wahlniederlage der Union 1976, denn den Bundesbürgern sei dadurch »ein wirkliches Unglück erspart geblieben: eine Bundesregierung unter angeblicher Leitung der Politmarionette Helmut Kohl unter Führung eines machtberauschten und skrupellosen Franz Josef Strauß.«419 Für Bayerl bewiese der »Diktator« Strauß am Beispiel des Kreuther-Trennungsbeschlusses, »welch gestörtes Verhältnis er zur Demokratie hat«.420 Auch die holländische Tageszeitung »De Volkskrant« zeigte sich angesichts Strauß’ Skrupellosigkeit entsetzt: »Wenn man in diesen Tagen sieht, wie Franz Josef Strauß mit seinen politischen Freunden umspringt, kann man Angst bekommen bei dem Gedanken, wie er wohl seine politischen Gegner behandeln würde, wenn er Gelegenheit dazu bekäme.«421

416 Vgl. Strauß: Der Mann, der Kohl regiert; in: Der Spiegel Nr. 39/1976 vom 20. 9. 1976, S. 30 – 34; hier : S. 30. 417 Strauß: Der Mann, der Kohl regiert, S. 33. 418 Unions-Spaltung: »Kampf auf Leben oder Tod«; in: Der Spiegel Nr. 49/1976 vom 29. 11. 1976, S. 23 – 30; hier: S. 30. 419 Zit. nach: Walter Bajohr: Voller Charme; in: Rheinischer Merkur Nr. 1/1977 vom 7. 1. 1977, S. 4. 420 Zit. nach: Bajohr: Voller Charme. 421 Zit. nach: Rudolf Augstein: Amok unter Freunden; in: Der Spiegel Nr. 49/1976 vom 29. 11. 1976, S. 24 f.; hier: S. 25.

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Vergleiche zur deutschen Geschichte von 1918 bis 1945 Die Gefährlichkeit von Franz Josef Strauß wurde auch durch historische Vergleiche ausgedrückt. Die Zeitperiode von 1918 bis 1945 spielte dabei im gesamten Untersuchungszeitraum eine herausragende Rolle, wohingegen andere historische Perioden als Bezugsrahmen fast keine Rolle spielten. Deshalb soll an dieser Stelle gesondert auf diese Vergleiche eingegangen werden und auch untersucht werden, wie Franz Josef Strauß darauf reagierte. Wie bereits deutlich wurde, stellte man Strauß häufig durch direkte oder indirekte Vergleiche zur Person Adolf Hitlers als Gefahr dar. Man suggerierte Ähnlichkeiten, die automatisch die Gefährlichkeit von Franz Josef Strauß implizierten. Eine weitere Person, mit der Strauß verglichen wurde, war der DNVPPolitiker und Medienunternehmer Alfred Hugenberg, der zu Zeiten der Weimarer Republik ein Medienmonopol besaß, mit dem es ihm möglich war, nationalistische und antisemitische Propaganda zu betreiben und die demokratischen Parteien zu diffamieren. Hugenberg bereitete damit Hitlers Machtergreifung mit vor und war Minister in Hitlers erster Regierung (30. Januar bis 26. Juni 1933). Gerade Strauß’ Rolle als Herausgeber des »Bayernkuriers« ließ im linken Wahrnehmungsmuster Parallelen erkennen und weckte Ängste vor Strauß.422 Besondere Aufmerksamkeit erreichte die Karikatur »Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes« von Rainer Hachfeld, die 1970 im »Berliner ExtraDienst« erschien, aufgrund des historischen Vergleichs zur Zeit des Nationalsozialismus. In dieser Karikatur, in der sich Strauß als schwarz gezeichnete Person in einem weißen Kreis auf rotem Grund befand, dessen Arme und Beine ein Hakenkreuz in Bewegung darstellten, bezog sich Hachfeld auf die Aussage von Franz Josef Strauß auf dem Nürnberger Parteitag im Juli 1970, mit ihm und der CSU eine »Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes« zu bilden.423 Strauß klagte gegen diese Karikatur, denn »Strauß-Anwalt Ossmann sah darin sowohl die ›Verbreitung verfassungswidriger und daher verbotener Kennzeichen‹ als auch insbesondere einen ›politischen Rufmord‹, der ›in seiner Ungeheuerlichkeit seinesgleichen sucht‹.«424 Daraufhin erreichte Strauß eine einstweilige Verfügung und eine Hausdurchsuchung beim »Berliner Extra-Dienst«. Besonders interessant ist das Gutachten, das Ernst Maria Lang als Sachverständiger ausstellte, ein Zeichner der »Süddeutschen Zeitung«: »Die Tendenz des Zeichners ist so auszulegen, daß F. J. Strauß in einer physischen Situation dar422 Vgl. Den rasier’ ich; in: Der Spiegel Nr. 45/1969 vom 3. 11. 1969, S. 27 – 31; hier : S. 27 und »Den Rechtsstaat retten – blödes Zeug«, S. 21. 423 Abb. nach: Otto Köhler : Unkarikierbarer Strauß; in: Der Spiegel Nr. 44/1970 vom 26. 10. 1970, S. 127. 424 Köhler : Unkarikierbarer Strauß.

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gestellt wird, die eine Zwangssituation ist. Seine Aktivität geht in eine dynamische Bewegung, ein Drehmoment über, das ein Hakenkreuz ergibt. Es ist nicht so, daß F. J. Strauß ein Hakenkreuz nachahmt, sondern der Politiker gerät durch seine Aktionen zwangsläufig in die Figur eines Hakenkreuzes. Der Karikaturist will mithin eine Gefahr aufzeigen, in die F. J. Strauß gerät, wenn er als ›Retter des Vaterlandes‹ Emotionen aufrührt, die in vergangenen Zeiten zur Katastrophe führten.«425 Lang attestierte Hachfeld, dass er nicht die Gefahr vor Strauß aufzeigen wolle, sondern eine Gefahr, in die sich Franz Josef Strauß unmittelbar begebe. Somit interpretierte Lang die Karikatur von Hachfeld dahingehend, dass eine unmittelbare Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie von Strauß’ Anhängerschaft zu erwarten sei, die durch ihn zu unkontrollierbaren Handlungen und Emotionen getrieben werde. Dennoch bestätigte das Münchener Landgericht die einstweilige Verfügung mit der Begründung, dass Strauß »das Hakenkreuz selbst mit seinen Gliedmaßen darstellt, somit eine besonders intensive Verbindung mit diesem nationalsozialistischen Symbol eingeht.«426 Otto Köhler kommentierte den untersagten Vergleich von Strauß und Hitler ironisch: »Tatsächlich unterscheidet sich Strauß insofern vom Nationalsozialismus, als er lediglich solche Personen aus unserem Rechtsverband ausgeschieden wissen will, bei denen es sich nachweislich nicht um Menschen, sondern um Tiere handelt«, wobei sich Köhler auf Strauß’ APO-Vergleich bezog.427 Der Historiker Imanuel Geiss unterstützte Rainer Hachfeld und fertigte ein Gutachten über das politische Denken von Franz Josef Strauß an. In diesem Gutachten wollte Geiss nachweisen, »daß nicht nur theoretisch, sondern auch aufgrund der bisherigen Praxis von Strauß eine so weitgehende Affinität zu faschistischen oder zumindest deutschnationalen Denk- und Handlungsmustern zu konstatieren ist, daß ihre komprimierte Darstellung in einem Hakenkreuz berechtigt erscheint.«428 Strauß’ Argumentation gleiche der der NSDAP und DNVP zu Zeiten der Weimarer Republik, um die Republik und Demokratie zu diffamieren. Als Beispiele hierfür nannte Geiss den »Antikommunismus und Anti-Marxismus, Anti-Intellektualismus, die fixe Idee von der ausländischen Verschwörung gegen Deutschland mit ihren Handlangern im Inland, die Kriegsschuldfrage 1914, abgewandelt dazu die von 1939, Versailles als diffamierendes Argument«.429 Sowohl Strauß als auch die NSDAP nähmen formale Phänomene zum Anlass, um vom eigentlichen Kern der politischen AuseinanZit. nach: Köhler : Unkarikierbarer Strauß. Zit. nach: Köhler : Unkarikierbarer Strauß. Köhler : Unkarikierbarer Strauß. Imanuel Geiss: »Ich bin ein Deutschnationaler.« Gutachten des Historikers Imanuel Geiss über das politische Denken des Franz Josef Strauß; in: Der Spiegel Nr. 19/1971 vom 3. 5. 1971, S. 70 – 77; hier: S. 70. 429 Geiss: Deutschnationaler, S. 70. 425 426 427 428

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dersetzung abzulenken und würden politische Gegner beleidigen. Des Weiteren benutze Strauß Argumente, die die rechtsradikale NPD auch benutze, wie die Diffamierung der APO als Tiere. Geiss kommt deshalb zu der Ansicht: »Die Verwilderung der Sprache und Verrohung der politischen Sitten, zu denen Strauß […] in großem Maße beigetragen hat, findet auf deutschem Boden nur einen historischen Präzedenzfall – die ›Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes‹, die ins Dritte Reich führte.«430 Historische Parallelen hätten sich in der Vergangenheit auch in der Diffamierung von Literaten und Intellektuellen und dem Emigrationsvorwurf an Willy Brandt gezeigt.431 Weitere Parallelen erkannte Geiss im Einkreisungskomplex und der Kriegsschuldfrage 1914, in der Strauß auf dem Wissensstand der 1920er und 1930er Jahre stehengeblieben scheine.432 Des Weiteren zeige sich Strauß’ Ressentiment gegen die VersaillerVerträge, wenn er Versailles zur Deklassierung politischer Verträge verwende, wie beim Atomwaffensperrvertrag.433 Mitunter versuche Strauß ebenfalls die Ergebnisse der Kriegsniederlage zugunsten Deutschlands zu revidieren. Auch die hohe Intelligenz von Strauß zeige für Geiss Parallelen zur nationalsozialistischen Vergangenheit: »Auch die Art, wie Strauß seine unbezweifelbar hohe Intelligenz zu demagogischen Zwecken mißbraucht, erweckt zwangsläufig Erinnerungen an begabte Demagogen unter dem Zeichen des Hakenkreuzes«.434 Jede Warnung vor Strauß oder dessen Politik versuche Strauß als »kommunistisch inspirierte Propaganda abzutun und damit jede ernsthafte Auseinandersetzung zu beenden.«435 Oder aber Strauß diffamiere seine politischen Gegner dadurch, dass er sie als Faschisten beschimpfe. Geiss verweist in seinem Gutachten auf die Unvollständigkeit des analysierten Materials, kommt aber dennoch zu dem Ergebnis, »daß Strauß in seinen Äußerungen so viele Affinitäten zum historischen deutschen Faschismus wie zu seinen zeitgenössischen Nachfahren sowie zu quasi-faschistischen Regimen von Franco-Spanien über die extreme Rechte bis nach Griechenland und Südafrika aufzuweisen hat – daß die Assoziierung seiner Person mit dem Hakenkreuz in einem rein politischen Sinn durchaus plausibel erscheint.«436 Im Bundestagswahlkampf 1972 bezeichnete Geiss Strauß als den »Prototyp des Führers eines zivilfaschistischen Systems«.437 Vergleiche zur nationalsozialistischen Vergangenheit wurden immer wieder 430 431 432 433 434 435 436 437

Geiss: Deutschnationaler, S. 70. Vgl. Geiss: Deutschnationaler, S. 72. Vgl. Geiss: Deutschnationaler, S. 73 ff. Vgl. Geiss: Deutschnationaler, S. 75. Geiss: Deutschnationaler, S. 77. Geiss: Deutschnationaler, S. 77. Geiss: Deutschnationaler, S. 77. Zit. nach: »Die Union propagiert die Finsternis«; in: Der Spiegel Nr. 45/1972 vom 30. 10. 1972, S. 30 – 46; hier: S. 32.

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mehr oder weniger direkt gezogen. Vor der Abstimmung über das konstruktive Misstrauensvotum am 27. April 1972 verkündeten Demonstrationen die Parole »Strauß und Barzel üben fleißig für ein neues Dreiunddreißig«.438 Vor der Bundestagswahl 1972 sprach der »Spiegel« von »Strauß und seine[r] Sturmtruppe CSU«.439 Rudolf Augstein fühlte sich in der Zustimmung des »Welt«Chefredakteurs Herbert Kremp zum Kreuther-Beschluss an Zeiten der Weimarer Republik erinnert: »Strauß, der Stratege, wolle von der ›Ordnungszelle des Reiches‹ aus operieren, wolle das Land nördlich Bayerns erobern, so Herbert Kremp. Der Begriff ›Ordnungszelle des Reiches‹ steht nicht zufällig. Unter diesem Signum trat schon der Führer Adolf Hitler 1923 vor der Münchner Feldherrnhalle an (und beiseite), um den ›Saustall‹ im Norden auszukehren.«440 Jürgen Habermas wehrte sich im Oktober 1977 gegen Alfred Dreggers Anschuldigungen, dass die »Frankfurter Schule« den Terrorismus der RAF begünstigt habe. Habermas erinnerte daran, dass der Humanismus in Deutschland schon einmal durch die Art der Emotionen zerstört worden sei, wie Strauß sie anheize.441 Habermas wolle Strauß zwar nicht als Faschisten bezeichnen, aber er werde »seine Reden studieren, sein Verhalten beobachten und der Vermutung nachgehen, daß Strauß, nachdem Spanien endlich eines Franco ledig ist, die Bundesrepublik francoisieren will.«442

Diesen Matador gezeugt und geboren: Die Gefahr für die deutsche Demokratie durch Franz Josef Strauß wird bestritten Es wurde bereits deutlich, dass Rudolf Augstein sich den Vorwurf gefallen lassen musste, dass er selbst »diesen Matador [Franz Josef Strauß, C.S.] nicht nur durch unmäßige Angriffe großgemacht, sondern nahezu erfunden, gezeugt und geboren« hätte.443 Vor allem im konservativen Wahrnehmungsmuster kritisierte man die Darstellungen von Strauß im linken Wahrnehmungsmuster oft massiv und bestritt vehement eine von ihm ausgehende Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie. Mit Beginn der Großen Koalition zeigte sich Walter Draheim beeindruckt von der zukünftigen Zusammenarbeit von Franz Josef Strauß als Bundesminister 438 Zit. nach: Die Ernennungsurkunde für 15 Uhr bestellt; in: Der Spiegel Nr. 19/1972 vom 1. 5. 1972, S. 21 – 32; hier: S. 24. 439 »Die wollen Franz Josef, und die haben ihn«, S. 34. 440 Rudolf Augstein: Es wird nicht mehr gestorben; in: Der Spiegel Nr. 5/1977 vom 24. 1. 1977, S. 18. 441 Vgl. Jürgen Habermas: Probe für Volksjustiz. Zu den Anklagen gegen die Intellektuellen; in: Der Spiegel Nr. 42/1977 vom 10. 10. 1977, S. 32. 442 Habermas: Probe. 443 Augstein: Wahlen (XI), S. 16.

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und Conrad Ahlers als Regierungssprecher, da Ahlers während der »SpiegelAffäre« auf Veranlassung von Strauß verhaftet wurde. Für Draheim zeige die Zusammenarbeit, dass Ahlers keine Ablehnung mehr gegen Strauß empfinde und Ahlers nicht die Meinung Rudolf Augsteins vertrete. Draheim war über diese Entwicklung amüsiert, denn »[d]as in groben Klischees denkende Publikum, vom Spiegel beinahe allwöchentlich darüber belehrt, daß Strauß der Buhmann der Nation sei, wird umdenken müssen.«444 Die Abneigung von Augstein gegen Strauß erklärte sich Draheim dadurch, dass sich »der Haß auf Strauß zu einem Komplex verdichtet hat, der je länger, je mehr ans Lächerliche grenzt.«445 Auch in Wahlkämpfen identifizierte man im konservativen Wahrnehmungsmuster die Diffamierung von Strauß als reine Wahltaktik und versuchte, diese Absicht offenzulegen. Der »Rheinische Merkur« erkannte auf dem Godesberger Parteitag der SPD die Absicht, dass sich der Kanzlerkandidat Willy Brandt auf Franz Josef Strauß als »negative Symbolfigur ›einschießen‹ will.«446 Nach dem Regierungsantritt von Willy Brandt 1969 betrachtete man im konservativen Wahrnehmungsmuster die Diffamierung von Strauß als Strategie, um Ängste vor einem möglichen Regierungswechsel zu schüren. Anton Böhm erkannte in der Aussage des Bremer Juso-Rats, dass Personen wie Alfred Dregger, Franz Josef Strauß, Richard Löwenthal, Karl Carstens und Gerhard Stoltenberg für die Demokratie gefährlicher seien als die Baader-Meinhof-Bande, eine »Hetzcampagne […], deren Preis die Demokratie zahlen« müsse.447 Paul Wilhelm Wenger kritisierte, dass Willy Brandt in der Bundestagsdebatte über Innere Sicherheit nach der Entführung von Peter Lorenz versuchte, Franz Josef Strauß als die eigentliche Hauptgefahr für die bundesdeutsche Demokratie darzustellen, damit die Reihen der Linken geschlossen würden und keine Debatte über das zwiespältige Verhältnis der Linken zum Rechtsstaat und zur Gewalt geführt werden könne.448 Für Wenger war der sozialliberalen Koalition der »totale Wahlkampf« wichtiger als gemeinsame Aktionen gegen den Terrorismus.449 Strauß’ Rede in Sonthofen wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster nicht als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie angesehen, da Strauß mit dieser Rede keinem außer höchstens sich selber geschadet habe.450 Auch eine Gefahr für den Frieden, die von Franz Josef Strauß ausgehe, wurde im konser444 Walter Draheim: Politisches Journal; in: Rheinischer Merkur Nr. 51/1966 vom 16. 12. 1966, S. 8. 445 Draheim: Politisches Journal vom 16. 12. 1966. 446 Bildunterschrift; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1969 vom 24. 4. 1969, S. 1. 447 Anton Böhm: Juso-Skandal; in: Rheinischer Merkur Nr. 3/1975 vom 17. 1. 1975, S. 4. 448 Vgl. Paul Wilhelm Wenger : Entgleiste Sicherheitsdebatte. Brandt stellte die Weichen zur Konfrontation; in: Rheinischer Merkur Nr. 12/1975 vom 21. 3. 1975, S. 1. 449 Wenger: Entgleiste Sicherheitsdebatte. 450 Vgl. D. O: Nichts dazugelernt; in: Rheinischer Merkur Nr. 11/1975 vom 14. 3. 1975, S. 3.

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vativen Wahrnehmungsmuster nicht gesehen und als Wahlkampftaktik entlarvt. Nachdem Strauß im Mai 1978 ein Gespräch mit Leonid Breschnew geführt hatte, konstatierte Herwig Gückelhorn, dass »das Gedächtnis der Bevölkerung nicht [so kurz sei], daß sich in den kommenden Wahlkämpfen nun noch an die Wand malen ließe, Strauß sei das nationale Unglück, weil er für die Sowjets niemals Gesprächspartner sein könne.«451 Gleichfalls wurde sich im konservativen Wahrnehmungsmuster gegen Vergleiche zum Nationalsozialismus gewehrt. Karl Krammig (CDU), der Mitbegründer und Vorsitzende des Bremer »Freundeskreis Franz Josef Strauß« antwortete auf die Frage des »Spiegels«, wann werde »Bremen zur zweiten Stadt der Bewegung – mit Strauß«: »Es ist nicht schön, wenn Sie so im Zusammenhang von Strauß sprechen, dessen Vater schließlich in jener Zeit politisch Verfolgter war.«452 Als Strauß auf einer Rede in Duisburg von jungen Zuhörern auf Flugblättern mit Adolf Hitler verglichen wurde, zog Jürgen Wahl Parallelen zu Ulrike Meinhof, die im Juli 1961 in der Zeitschrift »Konkret« schrieb: »Wie wir unsere Eltern nach Hitler fragen, werden wir eines Tages nach Herrn Strauß gefragt werden.«453 Da die Flugblattschreiber so alt seien wie Meinhof im Jahr 1961 und außerdem gewissen Lehrmeistern ergeben seien, die im DGB oder in der SPD seien, implizierte Wahl, dass die Flugblattschreiber einen ähnlichen Weg wie die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof gehen könnten.454 Im »Spiegel« wurden die Intentionen, die Gefährlichkeit von Franz Josef Strauß zu verneinen, zum Teil kritisch kommentiert und taktische Überlegungen unterstellt: »In keinem anderen Land tönte das Lied vom braven Europäer Strauß so breit wie in Großbritannien. Aber die lobenden Worte fielen allesamt erst, als Strauß sich, anders als Kiesinger, oratorisch für Englands EWG-Beitritt eingesetzt hatte.«455 Allerdings wurden die Ängste vor Franz Josef Strauß nicht nur im linken Wahrnehmungsmuster artikuliert, sondern auch von solchen Personen, die formal eher dem konservativen Wahrnehmungsmuster zugeordnet werden müssten. So erschien 1965 in dem CDU-nahen Monatsmagazin »Civis. Magazin für Kultur und Politik« ein Artikel mit der Überschrift »Franz Josef Strauß – ein zweiter Hitler?«. In diesem Artikel wurde berichtet, dass Strauß der mit Abstand 451 Herwig Gückelhorn: Strauß aufgewertet; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1978 vom 19. 5. 1978, S. 4. 452 »An der CSU reizt mich die Kameradschaft.« Spiegel-Interview mit Karl Krammig (CDU) über seinen »Freundeskreis Franz Josef Strauß«; in: Der Spiegel Nr. 42/1975 vom 13. 10. 1975, S. 30. 453 Zit. nach: Jürgen Wahl: Rückblende auf das Jahr 1961. Warum Gustav Heinemann damals Ulrike Meinhof verteidigte; in: Rheinischer Merkur Nr. 3/1975 vom 17. 1. 1975, S. 4. 454 Vgl. Wahl: Rückblende. 455 Herzog Doppelzunge, S. 30.

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unbeliebteste Politiker sei und zur negativen Symbolfigur der bundesdeutschen Demokratie geworden sei und dass die Bevölkerung ihn mit Hitler vergleiche.456 Nach Protesten von Strauß distanzierten sich der Unions-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel und der CDU-Pressechef Arthur Rathke von diesem Artikel, die »Civis«-Redaktion erhielt aber keine weiteren Sanktionen. In der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« berichtete Ernst Günter Vetter über Franz Josef Strauß, der durch die Attitüde des Volkstribunen ergriffen werde, und konstatierte, dass selbst manchen, die ihm zujubelten, der Gedanke eines Superministers Strauß’ nicht wohl sei.457 Die CDU-Linke verwendete in der Auseinandersetzung zwischen CSU und CDU nach der Wahlniederlage 1972 drei Jahre alte Meinungsumfragen, die Ängste vor Strauß widerspiegelten, um den eigenen Einfluss sicherzustellen.458 In dem konservativen Wochenblatt »Deutsche Zeitung – Christ und Welt«, das sich ab 1980 mit dem »Rheinischen Merkur« zusammenschloss, griff Martin Bernstorf die ironische Forderung von Rudolf Augstein auf, dass Strauß als Kanzlerkandidat der Union nominiert werden solle, und wandte sich entschieden gegen diese Absicht. Für Bernstorf sei Augstein listig, denn »weil er nämlich für sich und für sein Blatt und für seine alte Wunschkoalition nix Besseres zu wünschen weiß – zerstreut der ›Spiegel‹-Mann den kardinalen Anti-StraußKomplex der Nicht-Weißblauen«.459 Bernstorf erinnerte an vergangene Affären von Strauß und warnte: »Erst als Bundeskanzler … würde ihm erneut jene Machtfülle zuwachsen, die ihn befähigt, das Bonner Parlament abermals sprachlos zu machen.«460

Zusammenhänge mit anderen Bedrohungsszenarien Die Ängste vor Franz Josef Strauß wurden nicht allein im Bedrohungsszenario eines neuen Führers artikuliert. Ängste vor Franz Josef Strauß wurden auch im Bedrohungsszenario des anonymen Machtapparats artikuliert. Otto Berdrow berichtete über einen der FDP nahestehenden Pressedienst, der 1967 die fiktive Überlegung anstellte, was passiert wäre, wenn es 1966 die Notstandsgesetze schon gegeben hätte. Der Pressedienst kommt zu den Überlegungen, dass Rainer Barzel und Franz Josef Strauß den Notstand ausgelöst hätten, um Ludwig Erhard als Bundeskanzler abzusetzen und Strauß als Bundeskanzler einer

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Vgl. nach: Klotz am Bein; in: Der Spiegel Nr. 22/1965 vom 26. 5. 1965, S. 26. Vgl. nach: Nicht ganz wohl. Vgl. Hitler, Chruschtschow…Strauß. Zit. nach: Alles über Strauß vergessen?; in: Der Spiegel Nr. 47/1974 vom 18. 11. 1974, S. 52. Zit. nach: Alles über Strauß vergessen?

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Großen Koalition zu ernennen.461 Anschließend hätten Herbert Wehner, Rainer Barzel und Franz Josef Strauß den Bundestag manipuliert »und auf ewige Zeiten regiert fortan im Eifelbunker das ›Notstandsparlament‹ mit seinem BunkerDiktator Strauß.«462 Des Weiteren wurden Ängste vor Strauß mit den Ängsten vor der NPD verbunden. Die »Frankfurter Rundschau« schloss nicht aus, dass Strauß in Bayern eine Koalition mit der NPD eingehen könnte463, weshalb der »Spiegel« konstatierte, dass Strauß nur zusammen mit der NPD Kanzler werden könne.464 Herbert Wehner warnte angesichts des Umgangs mit dem Terrorismus der RAF vor einer »Volksfront von rechts, die unter F.J. Strauß die Bundesrepublik umfunktionieren werde gegen die Interessen breiter arbeitender Schichten zu einer Wach- und Schließgesellschaft des großen Kapitals.«465 Ängste vor einem neuen Führer wurden aber auch von Franz Josef Strauß selbst artikuliert. Im »Rheinischen Merkur« äußerte Strauß im August 1965 die Bedenken, dass die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags die Möglichkeit eines neuen Führers in Deutschland erhöhe. Da die wirtschaftlich starke Bundesrepublik dadurch diskriminiert werde, könne man sich »[a]llein nach den geschichtlichen Erfahrungen […] ausrechnen, wann ein neuer Führer-Typ einem derartig behandelten Deutschland Atomwaffen oder Schlimmeres versprechen und wohl auch verschaffen würde.«466 In Teilen des Auslandes wurde diese Aussage von Strauß als Erpressung gewertet, um der Bundesrepublik Deutschland die Teilhabe an Atomwaffen zu ermöglichen.467 Wie weit verbreitet die Ängste vor Franz Josef Strauß waren, belegen auch zwei etwas merkwürdig anmutende Beispiele. Im ZDF wurde der Film »Gebrauchsanweisung für einen Reichsverweser« über einen Staatsstreich von rechts nicht gesendet, da befürchtet wurde, dass Parallelen zu Strauß gezogen werden könnten.468 Das zweite Beispiel stellt einen Übungstest als Lehrstoff in englischer Sprache dar. Ein Lehrer suchte eine Person und gab als Hilfestellung bekannt, dass Adolf Hitler 1945 starb, nun ein neuer Führer erwartet werde, 461 Vgl. nach: Otto Berdrow : Politisches Journal; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1967 vom 28. 4. 1967, S. 8. 462 Berdrow : Politisches Journal vom 28. 4. 1967. 463 Vgl. nach: Herzog Doppelzunge, S. 50. 464 Vgl. Herzog Doppelzunge, S. 50. 465 Zit. nach: Paul Wilhelm Wenger: Der Terror regiert. Nicht erst die Bomben machen den Rechtsstaat zur Farce; in: Rheinischer Merkur Nr. 22/1972 vom 2. 6. 1972, S. 1. 466 Franz Josef Strauß: Das Genfer Schelmen-Spiel. Die deutschen Sicherheitsinteressen müssen unter allen Umständen gewahrt werden; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1965 vom 27. 8. 1965, S. 4. 467 Vgl. »Adolf II.« Ausländische Pressestimmen zu Straußens Kritik an den Genfer Abrüstungsgesprächen; in: Der Spiegel Nr. 38/1965 vom 15. 9. 1965, S. 64. 468 Vgl. Knöpfe auf den Augen; in: Der Spiegel Nr. 19/1975 vom 5. 5. 1975, S. 85 – 89.

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dessen Name mit einem Vogel und einem österreichischen Musiker identisch ist.469 Allerdings konnten die Schüler dieser Aussage zustimmen oder sie ablehnen. Der Kandidat: Ängste vor Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf 1980 Mit der Nominierung von Franz Josef Strauß zum Kanzlerkandidaten der Union am 2. Juli 1979 begann allmählich auch der Bundestagswahlkampf 1980, wobei sich dieser auf ein Duell zwischen Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß fokussierte. Im linken Wahrnehmungsmuster schien eine Gefahr für die Demokratie akuter als je zuvor, weshalb man versuchte, die Kanzlerschaft von Strauß zu verhindern, indem man dessen Gefährlichkeit aufzeigte. Die Jahre 1979 und 1980 bildeten im Untersuchungszeitraum den quantitativen Höhepunkt der Thematisierung einer Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch Franz Josef Strauß. Hierbei zeigten sich die bekannten Argumentationsmuster, die auch schon vor der Nominierung zum Kanzlerkandidaten und meistens nur in gering veränderter Form Anwendung fanden. So wurde es weiterhin als gefährlich angesehen, dass Strauß nicht ehrlich sei, sondern für seinen persönlichen Vorteil lüge. Für Rudolf Augstein lüge Strauß nicht »wenn, sondern bevor er den Mund aufmacht.«470 Auch die optischen Beschreibungen Strauß’ ähnelten den vorherigen Beschreibungen, wenn auch in etwas modifizierter Form. Der »Spiegel«-Reporter Jürgen Leinemann beschrieb bekannte Elemente von Strauß’ Optik, die allerdings durch die Jahre eine Veränderung erfahren hätten und deshalb etwas älter wirkten: »Er schwitzt wie eh und je, aber unter dem Schweiß wirkt er ausgetrocknet, hölzern.«471 Die Veränderung der optischen Beschreibungen wird besonders anhand der Gesichtsbeschreibungen deutlich. Strauß’ Gesicht habe zwar noch die alten Merkmale, die als Angst einflößend wahrgenommen würden, aber die Jahre hätten Spuren hinterlassen, die man deutlich sehen könne: »Der bullige Schädel, früher oft rammbockartig, wie zum Stoß zwischen die Schultern genommen, scheint dort zum Schutz eingezogen, als erwarte er Schläge. Das breite Gesicht bleibt ausdruckslos, selbst wenn er die Stimme hebt. Gemütsbewegungen zeigt nur ein abrupter Wechsel der Farbe an – von kalkweiß und fettig-grau bis purpur und violett. […] Nicht mehr alterslos feist ist sein flächiges Konterfei, wie viele Jahre lang. Sein Gesicht ist weggesackt. Schwere Augenlider, schwere Tränensäcke, 469 Vgl. R. H.: Schul-Skandale; in: Rheinischer Merkur Nr. 13/1975 von Ostern 1975, S. 4. 470 Rudolf Augstein: Ein Fossil will Kanzler werden; in: Der Spiegel Nr. 24/1979 vom 11. 6. 1979, S. 29. 471 Jürgen Leinemann: Überlebensgroß Herr Strauß. Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann über den Kanzlerkandidaten der Union; in: Der Spiegel Nr. 14/1980 vom 31. 3. 1980, S. 32 – 73; hier : S. 33.

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schwere Wangen ziehen es herunter. Dazwischen haben sich Gräben eingefressen, die Mangel und Müdigkeit markieren.«472 Diese optischen Veränderungen lassen Strauß zwar unsympathisch und mysteriös erscheinen, könnten aber auch eine gewisse Ungefährlichkeit aufgrund des gestiegen Alters implizieren. Dieser Eindruck wird zerstört, wenn Leinemann beschreibt, wie Strauß auf einer Wahlkampfveranstaltung eine Rede hält: »Bis er dann plötzlich wieder Passagen gezielter Wut und Aufgeregtheit einschaltet. Dann springen seine wäßrigen Augen um, von verschwimmendem Fernblick auf wache Naheinstellung.«473 Leinemann konstatierte, dass Strauß selbst fördere, dass die Bürger der Bundesrepublik ihn für eine Führernatur halten, indem er sich nur halbherzig von öffentlichen Legenden distanziere.474 Als besonders gefährlich an einer Kanzlerschaft Strauß’ galt der Umgang mit seinen politischen Gegnern. Leinemann erinnerte an die Warnung des Liberalen Reinhold Maier vor Strauß von 1958, dass jemand, der so spreche, auch schießen werde und hinterfragte, was Maier wohl gedacht hätte, wenn er Strauß über den Umgang mit Terroristen gehört hätte, denn »[m]it Gegnern kann Strauß nur umgehen, indem er sie degradiert, entmenschlicht. Er macht sie zu Ratten, Schmeißfliegen und ›jubeljaulenden Hofhunden‹, zu Tieren, ›auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist‹. Oder er erklärt sie zu geistig Behinderten, zu ›Trägern von Gehirnprothesen‹, zu Rauschgiftsüchtigen.«475 Wie Franz Josef Strauß seine politischen Gegner behandelt, wurde im linken Wahrnehmungsmuster immer wieder warnend beschrieben, um die Gefährlichkeit Strauß’ aufzuzeigen. Als der Generalsekretär der CSU, Edmund Stoiber, Strauß’ Diffamierung linker Intellektueller als »Ratten und Schmeißfliegen« verteidigte und sie damit wieder ins Gedächtnis rief, erregte das nicht nur im linken Wahrnehmungsmuster Widerstand.476 Auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Spät (CDU), beanstandete diesen Stil Stoibers und kritisierte, dass man so nicht in einer Demokratie miteinander umgehe.477 Stoiber war schon 1979 negativ aufgefallen, indem er demokratische Sozialisten und Nazis gleichsetzte.478 Der »Spiegel« wollte Stoibers Aussagen als Folge einer Kontinuität von Strauß’ abwertenden Äußerungen darstellen und bezog sich auf dessen elf Jahre alten APO-Tier-Vergleich von 1969 Leinemann: Überlebensgroß Herr Strauß, S. 33. Leinemann: Überlebensgroß Herr Strauß, S. 34. Vgl. Leinemann: Überlebensgroß Herr Strauß, S. 47. Leinemann: Überlebensgroß Herr Strauß, S. 62 ff. Zit. nach: Das deutsche Wort; in: Der Spiegel Nr. 9/1980 vom 25. 2. 1980, S. 29 – 33; hier : S. 29. 477 Vgl. nach: Das deutsche Wort, S. 29. 478 Vgl. »Die letzten wurden 1934 ermordet«; in: Der Spiegel Nr. 44/1979 vom 29. 10. 1979, S. 24 – 34.

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und andere Tier-Vergleiche der letzten Jahre.479 In einer Klarstellung differenzierte der Strauß-Sprecher Godel Rosenberg Strauß’ Aussage und schloss einzelne linke Schriftsteller aus, jedoch nicht den Schriftsteller Bernt Engelmann. Dadurch bewirkte die CSU ungewollt, dass sich die Aufmerksamkeit auf den Strauß-Kritiker Bernt Engelmann richtete, der »in kunstlos, aber kenntnisreich kompilierten Büchern […] sich stets um eins bemüht: um Belege für die These, daß Strauß sich ›nicht gewandelt‹ habe seit seinen Jugendjahren als ›weltanschaulicher Referent‹ im ›Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps‹ (NSKK) und als ›Offizier für wehrgeistige Führung‹ bei der Heeres-Flakartillerie-Schule IV.«480 Der »Spiegel« mutmaßte weiterhin, dass Engelmann Strauß zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung provozieren wolle, was dieser nicht tat, sich stattdessen »aber zu dem Wort von den Ratten provozieren [ließ] – und gab damit unfreiwillig mehr über seinen politischen Zuschnitt preis, als seine Gegner aus alten NS-Akten je hätten herauslesen können.«481 Dass Strauß nicht fähig sei, mit politischen Gegnern sachlich zu diskutieren und stattdessen diese beleidige und ihnen mangelnde Intelligenz bescheinige, ist eine Angst, die im linken Wahrnehmungsmuster im gesamten Untersuchungszeitraum ersichtlich war.482 Eine Befürchtung, die ebenfalls im gesamten Untersuchungszeitraum virulent war und auch im Bundestagswahlkampf 1980 eine Rolle spielte, war die Angst, dass die Gefährlichkeit von Strauß verkannt werde. Herbert Wehner warnte vor einer taktischen Täuschung von Franz Josef Strauß und dessen Wahlkampfteam, denn »der Kandidat wird wissen, daß es vielen Bürgerinnen und Bürgern kalt den Rücken herunterläuft, wenn sie an seinen Durchmarsch zur Macht denken.«483 Deshalb sei es nicht erstaunlich, wenn sich Strauß »salben und parfümieren« werde.484 Zwar könne niemand »auf die Dauer aus seiner Haut oder unter eine Tarnkappe«, dennoch hinterfragte Wehner, ob genau das versucht werde, »um Verwirrung zu stiften und die lange Zeit der kommenden 15 Monate zu überstehen?«485 Deshalb waren viele Akteure des linken Wahrnehmungsmusters erleichtert, aber auch gleichzeitig alarmiert, als Strauß im Wahlkampf 1979 offenbar sein 479 480 481 482

Vgl. Das deutsche Wort, S. 29 ff. Das deutsche Wort, S. 33. Das deutsche Wort, S. 33. Vgl. z. B. Peter Brügge: Das alles auf ehr, das kann er…Peter Brügge auf Wahlreise mit Franz-Josef Strauß (CSU); in: Der Spiegel Nr. 36/1965 vom 1. 9. 1965, S. 26 – 30; hier: S. 30 und ders.: »Mir von der Obbosizion«, S. 27. 483 Herbert Wehner: »Es kann so viel zerstört werden.« Der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner zur Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß; in: Der Spiegel Nr. 28/1979 vom 9. 7. 1979, S. 20 f.; hier: S. 20. 484 Wehner : »Es kann so viel zerstört werden«, S. 20. 485 Wehner : »Es kann so viel zerstört werden«, S. 20.

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wahres Gesicht zeigte, als er auf einer Wahlkampfveranstaltung für die nordrhein-westfälische Kommunalwahl in Essen seine Gegner attackierte. Nachdem Strauß eine Viertelstunde durch massive Störungen, Sprechchöre und Pfeifkonzerte am Reden gehindert wurde, ließ er sich provozieren und beleidigte die Störer der Wahlkampfveranstaltung. Für den »Spiegel«-Redakteur Wolfgang Becker offenbarte sich damit der wahre Charakter von Strauß: »Dann, als er endlich anfängt, nein: loslegt, ist er plötzlich der Strauß, den jeder kennt. Der Saustall- und Sonthofen-Strauß, der es, wie Parlamentsstenographen gestoppt haben, in zwanzig Sekunden auf 311 Silben bringt, und auf was für welche.«486 Strauß sprach von der »erbärmlichen Dummheit« der Störenden und verglich diese mit Nationalsozialisten: »Ihr seid die besten Nazis, die es je gegeben hat.«487 Für Strauß ging es nun darum, »in Essen die Freiheit wiederherzustellen« und diesem Treiben Einhalt zu gewähren.488 Wolfgang Becker erinnerten derartige Aussagen an den ehemaligen NPD-Vorsitzenden Adolf von Thadden.489 Applaus bekäme Strauß für diese Äußerungen nicht nur von CDU-Veteranen, sondern auch anderweitig, »denn da war er endlich, der Gegenkandidat, auf den Helmut Schmidt schon nicht mehr zu hoffen gewagt hat.«490 Rudolf Augstein fühlte sich durch den Wahlkampfauftritt in Essen an den Strauß der Jahre 1961 und 1962 erinnert und konstatierte: »Offenbar genügt es nicht, daß der Wolf Kreide frißt, wenn die Geißlein sich als Störer-Gewerkschaft organisieren.«491 Dennoch kritisierte Augstein, dass Strauß am Reden gehindert wurde, da auch er das Recht habe, sich frei auszusprechen und kritisierte, dass Strauß in eine Wut getrieben worden sei, »die ihn zwangsläufig zur Kenntlichkeit [sic] entstellt.«492 Für Augstein war mit der Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß erstmalig seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland eine Person Kanzlerkandidat, der den Unterlegenen im Falle seines Wahlsieges nicht einmal zähneknirschend zumutbar wäre.493 Selbst wenn man vergessen würde, was Strauß vor seinem Amtsantritt als Bundesfinanzminister 1966 gemacht habe, würden ihn als möglichen Bundeskanzler seine Äußerungen und Absichten nach 1966 disqualifizieren, beispielsweise die Sonthofen-Rede von 1974 und die Beleidigungen Helmut Kohls in der Wienerwald-Rede 1976. Die Reaktion von Strauß auf die massiven Störungen, so Augstein, »ließ einen Kanzlerkandidaten 486 Wolfgang Becker: »Brüllhorden, Pöbelhaufen, Terrorbanden.« Spiegel-Redakteur Wolfgang Becker über Franz Josef Strauß im Ruhrgebiet; in: Der Spiegel Nr. 38/1979 vom 17. 9. 1979, S. 30 f.; hier : S. 31. 487 Zit. nach: Becker : »Brüllhorden, Pöbelhaufen, Terrorbanden«, S. 31. 488 Zit. nach: Becker : »Brüllhorden, Pöbelhaufen, Terrorbanden«, S. 31. 489 Vgl. Becker : »Brüllhorden, Pöbelhaufen, Terrorbanden«, S. 31. 490 Becker: »Brüllhorden, Pöbelhaufen, Terrorbanden«, S. 31. 491 Rudolf Augstein: Ende der Kreidezeit; in: Der Spiegel Nr. 39/1979 vom 24. 9. 1979, S. 34. 492 Augstein: Ende der Kreidezeit. 493 Vgl. Augstein: Ende der Kreidezeit.

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sehen, der nur noch Finsteres befürchten läßt. […] Seit Essen wird nicht mehr Kreide gefressen.«494 Der »Stern«-Journalist Peter Koch berichtete in seinem Buch »Das Duell« über Strauß’ Absichten im Umgang mit RAF-Terroristen während der SchleyerEntführung 1977. Angeblich habe Strauß Standgerichte gefordert und wollte für jede erschossene Geisel einen RAF-Terroristen erschießen lassen.495 Für den »Spiegel« war besonders erwähnenswert, dass der »CSU-Vorsitzende entgegen aller Gewohnheit bisher nicht [klagte] – weder auf Widerruf noch auf Schmerzensgeld.«496 Demzufolge würde Strauß eine öffentliche Diskussion über sein damaliges Verhalten scheuen. Der »Spiegel« berichtete sogar, dass Koch nicht einmal die ganze Wahrheit aufdecken würde, und dass die Kanzleramtsprotokolle Strauß noch eindeutiger belasten würden.497 Hans-Jürgen Wischnewski (SPD), der maßgeblich zur Befreiung der Geiseln in Mogadischu beigetragen hat, wurde im »Spiegel« zitiert: »Wenn ich mal ganz, ganz böse sein will, dann erzähl’ ich, was der Strauß im Krisenstab so alles von sich gegeben hat.«498 Der Bundestagswahlkampf war sehr auf die Person von Franz Josef Strauß zugespitzt. Aus dessen vergangenem Verhalten und seinen ehemaligen Äußerungen leitete man im linken Wahrnehmungsmuster eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie im Falle seiner Kanzlerschaft ab. Das Bielefelder Emnid-Institut ließ 1000 Probanden einen Satz für Helmut Schmidt und einen für Franz Josef Strauß schreiben. Ein 35-jähriger Beamter äußerte sich dabei über Strauß: »Auf Grund Ihrer Affären und Ihrer Verhaltensweisen (Besuch in Diktaturen, Äußerungen zu aktuellen politischen Sachverhalten) habe ich Angst vor Veränderungen zuungunsten unserer persönlichen Freiheiten im Falle Ihrer Wahl zum Bundeskanzler.«499 Gefährlich wirkte hierbei, dass Strauß enge Kontakte zu Faschisten und Ultrarechten überall in der Welt unterhielte und diese finanziell unterstützen würde.500 Neben Beziehungen zu den nicht demokratischen Regimen in Spanien, Portugal, Griechenland und Südafrika in den frühen 1970er Jahren weckten Strauß’ engere Beziehungen zu Augusto Pinochet in Chile Ängste des linken Wahrnehmungsmusters. Auch schon vor dem Bundestagswahlkampf 1980 kritisierte der »Spiegel«, dass Strauß dessen Militärjunta verteidige und Pinochet auffordere, die Freiheit in Chile gegen jede Bedrohung zu 494 495 496 497 498 499

Augstein: Ende der Kreidezeit. Vgl. nach: Exotische Lösung; in: Der Spiegel Nr. 7/1980 vom 11. 2. 1980, S. 27 f.; hier : S. 27. Exotische Lösung, S. 27. Vgl. Exotische Lösung, S. 27. Zit. nach: Exotische Lösung, S. 28. Zit. nach: »Wo nimmst Du das Geld her?« Briefe unbekannter Bürger an Strauß und Schmidt; in: Der Spiegel Nr. 20/1980 vom 12. 5. 1980, S. 98 – 101; hier : S. 98. 500 Vgl. Dann kommt alles in Rollen; in: Der Spiegel Nr. 9/1980 vom 25. 2. 1980, S. 22 – 29; hier: S. 22.

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verteidigen.501 In Anspielung auf den Wahlkampfslogan der CDU 1976 sowie auf den Militärputsch Pinochets gegen den demokratisch gewählten Sozialisten Salvador Allende und die Verletzung der Menschenrechte in Chile ironisierte der »Spiegel« weiter, dass die Anhänger Pinochets derzeit glücklich seien, dass Freiheit statt Sozialismus in Chile herrsche. Im »Spiegel« wurde somit impliziert vermutet, dass Strauß sich nicht an der Verletzung der Menschenrechte in Chile störe bzw. sogar in Pinochet ein Vorbild sehe und eine ähnliche Diktatur anstrebe. Außerdem ist im Bundestagswahlkampf 1980 auffällig, dass sich Strauß’ politische Gegner häufig zusammenschlossen und gemeinsame Erklärungen abgaben. Beispielsweise forderten 140 evangelische Geistliche und Theologiestudenten in einem Flugblatt mit dem Titel »Stoppt Strauß« Widerstand gegen Franz Josef Strauß, weil dieser für eine politische Kraft stehen würde, die »Demokratie höchstens als notwendiges Übel ansieht«, »unliebsame Minderheiten in erbärmlicher Weise diffamiert« und »politische Gegner ähnlich bezeichnet, wie dies bei den Nazis üblich war«.502 Vergleiche zum Nationalsozialismus im Bundestagswahlkampf 1980 Beim »Sichtbar«-Machen der Gefährlichkeit von Franz Josef Strauß dienten die lange Zeit vorher schon verwendeten Argumentationsstrategien. Eine Argumentationsstrategie, die ebenfalls auch im Bundestagswahlkampf 1980 Anwendung fand, war der Vergleich zur deutschen Geschichte von 1918 bis 1945, während andere Zeitepochen als Bezugs- und Vergleichsebene nur marginale Verwendung fanden. Herbert Wehner erinnerte an Strauß’ Sonthofen-Rede und konstatierte: »Wenn es jemals ein Dokument von Gewicht in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, das den Namen vordemokratisch verdient, dann ist es diese Rede.«503 Alarmierend war dabei für Wehner, dass die Gewerkschaften geschwächt und das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeitgeberverbände verschoben werden sollte, denn die Zersplitterung der Gewerkschaften der Weimarer Republik sei eine Grundbedingung dafür gewesen, dass die Weimarer Republik überhaupt zerstört werden konnte.504 Auch Edmund Stoibers Bezeichnung linker Schriftsteller als »Ratten und Schmeißfliegen«, die auf eine Aussage von Franz Josef Strauß zurückzuführen war, erweckte ungute Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus. So verglich die »Frankfurter Rundschau« den Strauß-Freund Edmund Stoiber mit Hitlers Propagandami501 Vgl. Arbeiten lernen; in: Der Spiegel Nr. 49/1977 vom 28. 11. 1977, S. 23 f; hier: S. 23. 502 Zit. nach: Alarm geschlagen; in: Der Spiegel Nr. 36/1980 vom 1. 9. 1980, S. 52 – 55; hier : S. 52. 503 Wehner : »Es kann so viel zerstört werden«, S. 20. 504 Vgl. Wehner: »Es kann so viel zerstört werden«, S. 21.

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nister Josef Goebbels und stellte entrüstet fest: »Früher hinkten bei uns die Vertreter dieser Spezies.«505 Die »Süddeutsche Zeitung« griff Stoiber scharf an, denn »Ratten und Schmeißfliegen stammen aus dem Wörterbuch des Unmenschen, faschistische Vokabeln, für die es keine Entschuldigung, keine Rechtfertigung, keine Absolution geben kann.«506 Die »Stuttgarter Zeitung« schrieb, dass diese Pest jetzt also wieder durch das Land gehe.507 Neben Vergleichen zur Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus spielten Vergleiche zwischen Franz Josef Strauß und Adolf Hitler auch im Bundestagswahlkampf 1980 eine bedeutende Rolle, um die Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie zu verdeutlichen, die von Strauß ausgehe. So grassierte bei der erwähnten Wahlkampfveranstaltung in Essen ein »böser Witz vom Mütterchen […]: Den Kohl, den Biedenkopf und sogar den Köppler habe sie ja wiedererkannt, aber der Führer, nein, sei der aber alt geworden.«508 Dennoch waren solche direkten Vergleiche zwischen Hitler und Strauß im Bundestagswahlkampf 1980 etwas seltener geworden als in den Jahren zuvor. Diese Veränderung könnte einerseits dadurch erklärt werden, dass die direkten Vergleiche im Laufe der Jahre zunehmend unhaltbarer wurden, da sich Strauß in die politische Landschaft der Bundesrepublik integriert hatte und Unterschiede zu Hitler immer auffälliger wurden, andererseits könnte es auch durch Gerichtsurteile erklärt werden, in denen sich Strauß erfolgreich gegen nationalsozialistische Vergleiche gewehrt hat. Wie auch immer die Veränderung zu erklären ist, die Vergleiche von Franz Josef Strauß zu Adolf Hitler wurden vorsichtiger formuliert. Meist äußerten die Akteure des linken Wahrnehmungsmusters selbst Verwunderung, dass ihnen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Personen in den Sinn kommen, die sie aber kaum rational erklären könnten. In der erwähnten Emnid-Umfrage über Strauß und Schmidt schrieb ein Proband in einem fiktiven Brief an Strauß: »Ich habe vor einigen Wochen Ausschnitte aus einer Ihrer Reden gehört (Radio). Anschließend hörte ich im Schulfunk einen Ausschnitt einer alten Hitler-Rede. Eine Ähnlichkeit war in meinen Ohren so deutlich, daß ich ganz betroffen war. Merke ich das allein, oder hören andere auch so etwas?«509 Der »Spiegel« führte ein Interview mit 13 Männern und Frauen, die bei dieser Emnid-Umfrage angaben, dass sie zwar für die CDU/CSU als Partei seien, bei einer Direktwahl aber Helmut Schmidt und nicht Franz Josef Strauß wählen würden. Ein Befragter äußerte sich in diesem Interview zu Strauß: »Wenn ich die Verhandlungsweise und das gesamte Erscheinungsbild des Herrn Strauß be-

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Zit. nach: Das deutsche Wort, S. 29. Zit. nach: Das deutsche Wort, S. 29. Vgl. nach: Das deutsche Wort, S. 29. Becker: »Brüllhorden, Pöbelhaufen, Terrorbanden«, S. 30. Wo nimmst Du das Geld her?, S. 98.

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trachte, kommt mir immer irgendwie Adolf Hitler in den Sinn.«510 Nachdem ein anderer Befragter diesen Vergleich für übertrieben gehalten hatte, stellte der Befragte fest: »Ich habe Strauß nicht direkt mit Hitler verglichen. Ich habe nur gesagt, daß Strauß mich in seiner ganzen Art irgendwie an Hitler erinnert.«511 Weshalb ihn Strauß an Hitler erinnere, konkretisierte er aber nicht. Es sei aber nicht nur sein bayerisches Temperament: »Das ist nicht nur eine Sache des Temperaments. Ginge es nur darum, dann würde ich nicht auf solche Gedanken kommen. Es ist vorhin ein Wort gefallen, das am besten trifft, was ich meine: Angst. Ich hätte Angst vor der Zukunft, wenn Strauß sie bestimmen würde. Das läßt sich nicht präzise begründen. Das ist ein Gefühl, das ich habe.«512 Diese Äußerungen sind beispielhaft für eine gewandelte Argumentation im Bundestagswahlkampf 1980, vielleicht sogar für eine gewandelte Gefühlskultur der späten 1970er und frühen 1980er Jahre.513 Das Gefühl Angst wirkte so bestimmend, dass man es kaum weiter rational habe begründen müssen, um als Argument zu gelten. Dennoch versuchte Rudolf Augstein in seinem Kommentar »Strauß ist kein Hitler« zu hinterfragen, warum dennoch immer wieder Assoziationen zu Hitler gezogen würden, denn angesichts der unvergleichbaren Verbrechen Hitlers gäbe es »keine Berechtigung, dem Franz Josef Strauß auch nur einen Teil des Rufes und Ruches anzudichten, der den Hitler umwölkt.«514 Augstein erkannte auch, dass der Vergleich dennoch immer wieder gezogen würde und dass »die Verbreiter meist selbst nicht zu sagen wissen, was konkret sie berechtigt, so zu denken.«515 Deshalb versuchte Augstein Parallelen zwischen Hitler und Strauß deutlich zu machen und damit aufzuzeigen, weshalb man diese Vergleiche so häufig ziehe.516 Zum einen sei das Gefühl, dass Strauß die politische Macht um jeden Preis wolle, bei keinem anderen deutschen Politiker so ausgeprägt wie bei Strauß und beleidige den Konsensus aller Demokraten. Weiterhin habe die Beschimpfung des politischen Gegners durch Strauß neue Dimensionen angenommen. Augstein, der bei den Beschimpfungen gegen 510 »Viele sind erstaunt, ja entsetzt.« Dreizehn CDU/CSU-Wähler und Schmidt-Anhänger zur Bundestagswahl am 5. Oktober ; in: Der Spiegel Nr. 39/1980 vom 22. 9. 1980, S. 36 – 55; hier: S. 36. 511 »Viele sind erstaunt, ja entsetzt«, S. 49. 512 »Viele sind erstaunt, ja entsetzt«, S. 49. 513 Frank Biess erkannte, dass die eigene Angsterfahrung nicht zwangsläufig zur Lähmung führen musste, sondern gerade mobilisierend und aktivierend wirkte und Angst »den Charakter einer höheren Form von Rationalität an[nahm]«: Vgl. Biess: Sensibilisierung, S. 54 und S. 70. 514 Rudolf Augstein: »Strauß ist kein Hitler«; in: Der Spiegel Nr. 40/1980 vom 29. 9. 1980, S. 18. 515 Augstein: »Strauß ist kein Hitler«. 516 Vgl. Augstein: »Strauß ist kein Hitler«. Kurz vor der Wahl Strauß’ zum Kanzlerkandidaten der Union äußerte sich Augstein ironisch, dass Strauß mit Hitler sonst nichts gemein hätte, außer »seine gloriose Person für den Mittelpunkt allen Geschehens nicht nur auszugeben, sondern selbst auch noch an diese irreale Ichwelt zu glauben.«: Augstein: Ein Fossil.

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Strauß eine durchaus aktive Rolle spielte, sah sich selber aber schuldlos, denn Strauß habe zu Beginn seiner politischen Karriere mit den Verunglimpfungen begonnen und sei nun der »Prototyp des Menschen, der beschimpft wird, weil er beschimpft.«517 Eine weitere Parallele zwischen Strauß und Hitler sah Augstein darin, dass Strauß sich als denjenigen betrachtet, der allein die Fähigkeit besitze, eine drohende Katastrophe zu verhindern. Diese »Stammtisch-Selbstüberhebung, die an Wahn grenzt« erhöhe bei einer Kanzlerschaft Strauß’ die Möglichkeit eines Krieges.518 Des Weiteren leide Strauß, wie Hitler auch, an Verfolgungswahn, glaube an die Weltrevolution, höre nicht auf seinen Verstand, sondern sei ein Bauchredner und hielte sich selbst für »einen Erwählten, für den Messias.«519

Die Angst vor Franz Josef Strauß als Wahlkampftaktik für die Bundestagswahl 1980 Natürlich wurden die Ängste vor Franz Josef Strauß auch im Bundestagswahlkampf als Argumente eingesetzt. Ob diese Ängste im linken Wahrnehmungsmuster nur aus wahltaktischen Gründen formuliert wurden, damit die Union die Wahl nicht gewinnt, oder ob diese Ängste tatsächlich existierten und aus dieser tatsächlichen Angst eine Kanzlerschaft von Franz Josef Strauß verhindert werden sollte, kann und soll an dieser Stelle nicht beantwortet werden und spielt hier auch keine Rolle, da sämtliche formulierten Ängste als tatsächlich existent angesehen werden. Wie Rudolf Augstein bereits im Bundestagswahlkampf 1969 andeutete, hatte die Nominierung von Franz Josef Strauß aufgrund der starken Polarisierung, die seine Person bewirkte, auch Vorteile für die SPD.520 Nach der verheerenden Wahlniederlage der Union in der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 11. Mai 1980, in der die SPD erstmals die absolute Mehrheit erreichen konnte und die als letzter Test vor der Bundestagswahl angesehen wurde, wurde nicht nur im linken Wahrnehmungsmuster Strauß die Schuld an dieser Niederlage gegeben und ein Wahlsieg der Union bei der Bundestagswahl als unrealistisch eingeschätzt. Deshalb konstatierte der »Spiegel«: »Auch die Sozialdemokraten hoffen auf den Durchhaltewillen ihres Wunschkandidaten. So leicht hat ihnen das Siegen lange keiner mehr gemacht. Bei der Generalprobe für den Herbst reichte den Sozialdemokraten die Einfachparole gegen den Buhmann ›Wählen 517 518 519 520

Augstein: »Strauß ist kein Hitler«. Augstein: »Strauß ist kein Hitler«. Augstein: »Strauß ist kein Hitler«. Vgl. Augstein: Wahlen (XI), S. 17.

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gehen – statt Strauß‹, um ihre Anhänger zu mobilisieren.«521 Allerdings bestehe für den »Spiegel« keine Gefahr, dass die Kanzlerkandidatur von Strauß zurückgenommen werde, da selbst die CDU die drohende Bundestagswahlniederlage nutzen wolle, um Strauß endgültig loszuwerden.522 Allerdings wurde im linken Wahrnehmungsmuster auch vor einer zu großen Konzentration auf die Person Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf gewarnt. Herbert Wehner erkannte bereits kurz nach Strauß’ Nominierung zum Kanzlerkandidaten die Sonthofen-Rede als das bestimmende Dokument für das Programm der Union.523 Dieses Dokument belege brutale Alleinvertretungsund Machtansprüche und innenpolitische Feindschaftserklärungen. Allerdings solle sich die SPD im Bundestagswahlkampf nicht nur auf die Person Strauß konzentrieren, sondern »verdeutlichen, daß diese Person nur das personelle Symptom eines Zustandes ist, der sich seit etwa zehn Jahren Schritt für Schritt entwickelt« habe.524 Als im Bundestagswahlkampf 1980 zahlreiche Bücher erschienen, die Franz Josef Strauß negativ darstellten, gab es in der SPD auch die Befürchtung, dass diese Bücher negative Auswirkungen auf die SPD haben könnten. Einerseits befürchtete man, dass eine Verkürzung des Wahlkampfes auf die Personen Strauß und Schmidt Strauß auf die gleiche Ebene wie den amtierenden Bundeskanzler heben könne.525 Andererseits wurde befürchtet, »die monotone Aufzählung Straußscher Affären und Anekdoten lasse den Bayern weniger als Buhmann denn als hochbegabten Überlebensspezialisten erscheinen, was die CSU genau wisse.«526 Deshalb erzeuge die Kampagne gegen Strauß jene Emotionalisierung, die Strauß zum Siegen benötige. Im Jahr 1981 wurde ein Strauß-Verehrer wegen Urkundenfälschung vor Gericht angeklagt, da er im Bundestagswahlkampf 1980 SPD-Wahlplakate mit angeblichen Juso-Parolen beklebt hatte, auf denen »Lieber die Russen in Heilbronn als Strauß in Bonn« mit der Unterschrift »Jungsozialisten in der SPD« stand.527 Bei dieser unerlaubten Wahlkampftaktik, die allerdings nicht stellvertretend für die Unionsparteien anzusehen ist, zeigt sich die Absicht, die Angst vor Franz Josef Strauß als so irrational und grotesk darzustellen, dass die Feinde von Strauß lieber eine Herrschaft der Sowjetunion, womöglich sogar eine 521 »Nur so werden wir ihn endgültig los«; in: Der Spiegel Nr. 21/1980 vom 19. 5. 1980, S. 22 – 27; hier : S. 23. 522 Vgl. nach: »Nur so werden wir ihn endgültig los«, S. 23. 523 Vgl. Wehner: »Es kann so viel zerstört werden«, S. 20. 524 Wehner : »Es kann so viel zerstört werden«, S. 21. 525 Vgl. Gleich und gleich; in: Der Spiegel Nr. 18/1980 vom 28. 4. 1980, S. 31 ff.; hier: S. 32 f. 526 Gleich und Gleich, S. 33. 527 Vgl. nach: Mit der Feuerzange; in: Der Spiegel Nr. 36/1981 vom 31. 8. 1981, S. 59 ff.; hier : S. 59.

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Kriegshandlung auf deutschem Boden, als eine Kanzlerschaft Strauß‹ akzeptieren würden. Heiner Geißler unterstellte der SPD in den Ausschreitungen bei Wahlkampfkundgebungen von Franz Josef Strauß im Jahr 1979 eine Wahlkampftaktik. Die SPD hätte ein Interesse an Ausschreitungen und psychischem Terror einzelner Linksradikaler, da sich die Union und Strauß mit den Störern herumschlagen müssten, was wiederum zu einer Auseinandersetzung mit Egon Bahr oder Willy Brandt führen würde, »und über der ganzen Szenerie«, so Geißler, »thront wie Gottvater über den Wolken der Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sich die Finger nicht schmutzig macht.«528 Geißler war mit seiner Meinung nicht allein. Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde in der Diffamierung von Strauß eine Wahlkampftaktik gesehen, weshalb man versuchte, dieser entgegenzuwirken, indem man die Gefährlichkeit von Strauß bestritt. Johannes Mohn erkannte im »Rheinischen Merkur« in den Krawallen gegen Strauß sogar den »Auftakt einer Art ›Volksfront‹-Offensive, die nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes international, sprich kommunistisch gesteuert« sei.529 Mohn sah ein Bündnis zwischen Christen, Gewerkschaften und Sozialdemokraten, das für die Bündnispartner mehr Erfolg verspräche als die Kampagne gegen die Berufsverbote. Mohn warnte zugleich vor einer »auf gewisser Seite bewußt geschürten Bürgerkriegsstimmung« und mahnte vor einer Ausartung zu schlimmen Wahlschlachten.530 Auch Anton Böhm sah in der Denunzierung von Strauß als faschistische Gefahr und der dadurch erreichten Bürgerkriegsstimmung »jene Gefahr für die Demokratie, mit der wir es tatsächlich zu tun haben, und nicht in einer eingebildeten oder wider besseres Wissen denunzierten FaschismusNeigung einer demokratischen Partei und ihres Kanzlerkandidaten.«531 Der Psychologie-Professor Peter R. Hofstätter sah in dem großen Bündnis gegen Strauß eine Gefahr, da viele demonstrierende Organisatoren nur deshalb Schmidt gegenüber Strauß bevorzugen würden, »weil sie ihn für ein geringeres, leichter zu überwindendes Hindernis halten auf dem von ihnen geplanten Weg zur Diktatur des Proletariats – genannt ›Sozialismus‹.«532 Walter Bajohr wollte den Einfluss von Rudolf Augstein bei der Kampagne gegen Strauß aufdecken. So 528 »Die CSU ist ja eine moderne Partei.« CDU-Generalsekretär Geißler über den Kanzlerkandidaten Strauß und die Zukunft der Union; in: Der Spiegel Nr. 41/1979 vom 8. 10. 1979, S. 31 – 38; hier : S. 36. 529 Johannes Mohn: Krawall-Revier?; in: Rheinischer Merkur Nr. 38/1979 vom 21. 9. 1979, S. 1. 530 Mohn: Krawall-Revier? 531 Anton Böhm: Jedes Mittel recht. Die Union muß sich auf einen doppelbödigen Wahlkampf gegen ihren Kanzlerkandidaten gefaßt machen; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1979 vom 23. 11. 1979, S. 2. 532 Peter R. Hofstätter : Demonstrationen als Pression. Lehrern aus der österreichischen Geschichte; in: Rheinischer Merkur Nr. 37/1980 vom 12. 9. 1980, S. 2.

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sei der Film »Der Kandidat« von Volker Schlöndorff, Stefan Aust und Alexander Kluge vom »Filmverlag der Autoren« finanziert, dessen Hauptfinanzier Rudolf Augstein sei.533 Die Kampagnen gegen Strauß erinnerten auch viele Akteure des konservativen Wahrnehmungsmusters an die Zeiten des Nationalsozialismus. Edmund Stoiber sah Faschisten, politische Chaoten, Kommunisten des KBW, des KB, der DKP und Mitglieder von SPD, Jusos, FDP und Judos vereint im Kampf gegen Franz Josef Strauß. Einen Vergleich zu dieser »argumentationslosen Hetze« sah Stoiber »nur in der Nazi-Propaganda unter Führung von Joseph Goebbels.«534 Viele Menschen hätten Angst, sich offen zu Strauß zu bekennen. Für Stoiber bewirkten die Anti-Strauß-Kampagnen aber genau das Gegenteil, denn immer mehr Menschen würden diese Kampagnen als unvereinbar mit den demokratischen Regeln erachten. Deshalb kündigte Stoiber in einem Rundfunkinterview an, Aufklärungsarbeit leisten zu wollen, um zu zeigen, wie sich die Plakate gegen Strauß und die der Nazis gegen die Juden von 1938/1939 glichen.535 Im September 1980 eröffnete die CDU in Bonn eine Ausstellung mit Plakaten über Strauß, deren Vorbilder aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen würden.536 Hervorzuheben sind generell die Plakate und andere Graphiken des Heidelberger Polit-Graphikers Klaus Staeck. Der Mitbegründer der Initiative »Freiheit statt Strauß« trat im Bundestagswahlkampf 1980 massiv gegen eine mögliche Kanzlerschaft Franz Josef Strauß’ ein, gründete mehr als 100 Anlaufstellen und vereinigte 10000 Strauß-Gegner.537 Eine Postkarte von Staeck, die der »Spiegel« im Januar 1980 abbildete, zeigte Strauß auf einer Briefmarke mit einem Messer in der Hand, wie er eine große Wurst zerschneidet, auf der »Freiheit« steht.538 Unter der Briefmarke stand »Es geht um die Wurst«, die Bildunterschrift der Postkarte lautete »Freiheit statt Strauß«. Die Beschreibungen der Gefahren, die der bundesdeutschen Demokratie durch die Person von Franz Josef Strauß drohen würden, führten auch im Bundestagswahlkampf 1980 dazu, dass sich verschiedene Akteure dem eigentlich anderen Wahrnehmungsmuster anschlossen. Golo Mann zeigte sich beispielsweise in einem Interview entsetzt von der Hetze gegen Strauß und setzte 533 Vgl. Walter Bajohr : Strauß beflügelt die Phantasie. Initiativen, Aktionen und Komitees versuchen, den Kandidaten zu verhindern; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1980 vom 18. 4. 1980, S. 4. 534 Edmund Stoiber : Sozialisierung von oben; in: Rheinischer Merkur Nr. 26/1980 vom 27. 6. 1980, S. 4. 535 Vgl. nach: Stoiber – »der Mann fürs Grobe.« Die Entrüstungs-Kampagne des CSU-Managers für den Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß; in: Der Spiegel Nr. 38/1980 vom 15. 9. 1980, S. 52 – 69; hier: S. 53. 536 Vgl. nach: Stoiber – »der Mann fürs Grobe«, S. 53. 537 Vgl. Leidvolle Erfahrung; in: Der Spiegel Nr. 26/1980 vom 23. 6. 1980, S. 26 – 28; hier: S. 28. 538 Abb. nach: Neuer Odem; in: Der Spiegel Nr. 7/1980 vom 11. 2. 1980, S. 212 ff.; hier: S. 212.

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sich auch deshalb im Bundestagswahlkampf für Franz Josef Strauß ein. Für Mann nahmen die Kampagnen gegen Strauß eine Intensität ein, wie er sie seit der Hetze gegen den Reichspräsidenten der Weimarer Republik Friedrich Ebert nicht mehr erlebt habe.539 Der »Spiegel« verwies daraufhin auf die Kampagnen gegen Brandt und Wehner und antwortete auf Golo Manns Aussage, dass Hetzkampagnen gegen Brandt und Wehner nicht über einen so langen Zeitraum gegangen seien, dass sich keine Kampagne so lange halten könne, wenn nicht Strauß immer wieder Anlässe dazu gegeben hätte.540 Mann schrieb Strauß einen gewissen Anteil daran zu, dass es diese Kampagnen geben würde, auch wenn diese ungerechtfertigt seien, denn Strauß sei »wie ein Baum, der Blitze anzieht. Das heißt aber noch lange nicht, daß es Wahrheitsblitze wären.«541 Es gab aber auch Akteure, die eigentlich dem konservativen Wahrnehmungsmuster zuzuordnen sind, aber dennoch die Ängste vor Franz Josef Strauß teilten. In dem bereits erwähnten Interview im »Spiegel« äußerten sich einige Unionswähler, die aus mangelnder Sympathie für Strauß bei der Bundestagswahl beabsichtigten, ihre Stimme der SPD zu geben. Ein Befragter, Paul Strickmann, äußerte sich dahingehend, dass er zwar immer CDU gewählt habe und im Grunde noch immer mit dieser Partei sympathisiere, aber diesmal aufgrund des Kanzlerkandidaten nicht CDU wählen werde: »Ich sehe in ihm [Strauß, C.S] einen gefährlichen Demagogen, der nicht in das wichtigste Regierungsamt gehört. Von eben diesem Demagogischen her gerät Strauß für mich in die gefährliche Nähe jenes Mannes, der uns das Tausendjährige Reich brachte.«542 Des Weiteren befürchtete der Befragte aufgrund von Strauß’ Verhalten als Verteidigungsminister, dass Strauß in der Lage sei, die Gesetze der Demokratie außer Kraft zu setzen.543 Ein anderer Befragter, Heinz Mischorr, befürchtete, dass es aufgrund der Polarisierung durch die Person Strauß Unruhen geben könne, falls Strauß Bundeskanzler werden sollte, dass Strauß zwar Kreide gefressen habe, dass er durch seine Reden aber auch gezeigt habe, dass er die jungen Menschen nicht ernst genug nehme, weshalb es beispiellose Massendemonstrationen gegen ihn gebe, die es bei vorherigen Wahlen nicht gegeben habe.544 Mischorr kam nach dem Studium der Reden von Strauß zum dem Ergebnis, dass er als Kanzler die Grundlagen der bundesdeutschen Demokratie gefährden würde, weshalb Mischorr auch keine Partei wählen könne, die Strauß als Kanzlerkan539 »Er ist wie ein Baum, der Blitze anzieht.« Der Historiker Golo Mann über sein Engagement für den Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß; in: Der Spiegel Nr. 36/1980 vom 1. 9. 1980, S. 36 – 49; hier : S. 49. 540 Vgl. »Er ist wie ein Baum, der Blitze anzieht«, S. 49. 541 »Er ist wie ein Baum, der Blitze anzieht«, S. 49. 542 »Viele sind erstaunt, ja entsetzt«, S. 42. 543 Vgl. »Viele sind erstaunt, ja entsetzt«, S. 52. 544 Vgl. »Viele sind erstaunt, ja entsetzt«, S. 42 und S. 47.

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didaten nominiert hat.545 Mischorr bezog sich hierbei u. a. wieder auf den APOTier-Vergleich. Der »Spiegel«-Redakteur Wolfgang Becker berichtete außerdem von »Stoppt-Strauß«-Plaketten, die die Junge Union angefordert habe.546

Zusammenhänge mit anderen Untergangsszenarien im Bundestagswahlkampf 1980 Auch im Bundestagswahlkampf 1980 beschrieb man eine Gefahr durch die Person Franz Josef Strauß nicht nur anhand des Szenarios eines neuen Führers, sondern es wurden auch andere Untergangsszenarien artikuliert. Willy Brandt sah durch die starke Polarisierung, die Strauß bewirkte, eine Gefahr, da die Bevölkerung der Bundesrepublik im Falle eines Wahlsieges Strauß’ massiv zerstritten wäre: »Jener Kandidat, das wäre die Rückkehr nach Weimar, das wäre die Radikalisierung der Republik, die unselige Konfrontation, die Zerrissenheit.«547 Ein weiteres Untergangsszenario, das häufig im Zusammenhang mit Franz Josef Strauß artikuliert wurde und das natürlich auch stark mit der allgemeinen Stimmungslage Anfang der 1980er Jahre zusammenhing, war das eines Krieges auf deutschem Boden. Der »Spiegel« befürchtete, dass Strauß’ »blinde Angst, von Kommunisten umzingelt zu werden, […] Strauß zum Sicherheitsrisiko, für die Deutschen und für die anderen« mache.548 Bei einer Kanzlerschaft von Strauß wäre nicht nur die Phase der europäischen Entspannung vorbei, sondern Europa würde auch wieder zum Krisenherd gemacht werden, weshalb sich die Deutschen innerhalb der westlichen Allianz selbst isolierten.549 Rudolf Augstein hielt Strauß für unfähig, ›Realpolitik‹ im Sinne von Bismarck zu betreiben, weshalb Augstein Helmut Schmidts Aussagen unterstützte, dass Strauß nicht fähig zum Frieden sei.550 Augstein sah eine Gefahr weniger direkt durch Strauß gegeben, da dieser nicht selbst einen Krieg anzetteln wolle und könne, sondern Augstein sah eine Gefahr darin, dass Strauß durch dessen ideologischen Antikommunismus den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan beeinflussen könnte, von dem man noch gar nicht wisse, was dessen Absichten seien. Paul Wilhelm Wenger kritisierte Sebastian Haffner, da dieser Strauß mit Winston Churchill und Otto von Bismarck verglichen habe und allen eine 545 546 547 548 549 550

Vgl. »Viele sind erstaunt, ja entsetzt«, S. 49. Vgl. Becker : »Brüllhorden, Pöbelhaufen, Terrorbanden«, S. 30. Zit. nach: Für Kenner ; in: Rheinischer Merkur Nr. 49/1979 vom 7. 12. 1979, S. 12. Dann kommt alles in Rollen, S. 26. Vgl. Dann kommt alles in Rollen, S. 26. Vgl. Rudolf Augstein: Zum Frieden nicht fähig; in: Der Spiegel Nr. 35/1980 vom 25. 8. 1980, S. 23.

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»faszinierende Unberechenbarkeit« bescheinigte.551 Für Wenger könne »[a]uch der dümmste Wechselwähler […] daraus nur den einen Schluß ziehen, auf jeden Fall Strauß zu verhindern […]. Ein Kanzler Strauß bedeute Kriegsgefahr, auf diese Unterstellung hin ist Haffners scheinobjektive Analyse geschrieben.«552 Haffner habe, so Wenger, ausdrücken wollen, dass die Bundesrepublik Deutschland Situationen wie die 1866 und 1940 im Atomzeitalter nicht mehr überleben könne.553 Die vielseitigen Ängste, die die Person Franz Josef Strauß in Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung, aber auch im Ausland554 hervorrief, waren auch vielen Politikern der Union bewusst. Der Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, erklärte in einem intimen Kreis die Bundestagswahl 1980 für verloren, »wenn in der Bevölkerung die Vorbehalte nicht abzubauen seien, daß eine Strauß-Kanzlerschaft ein Risiko für den Frieden im Innern und nach außen bedeutet.«555 Wie schwer es war, diese Vorbehalte abzubauen, zeigt exemplarisch ein Gerichtsurteil, in dem auch scharfe Polemik gegen Franz Josef Strauß als juristisch erlaubt beurteilt wurde. Strauß wehrte sich gegen die Diffamierung, dass eine Wahlstimme für Strauß auch eine Stimme für Faschismus, Krieg und Reaktion bedeutete.556 Der Amtsrichter Hubertus Pauli empfand die Beziehung zwischen Strauß und den Reizworten Faschismus, Krieg und Reaktion als nicht unangemessen und bezog sich dabei auf Strauß’ APO-Tiervergleich. Für den Richter rechtfertigten Strauß’ vergangene Äußerungen auch scharfe Attacken auf Strauß selber : »Wer so stark polemisiert wie Herr Strauß […], muß damit rechnen, daß die Gegenattacken ebenso polemisch und überzogen ausfallen, und muß derartige Angriffe dulden, ohne den Schutz des Strafrechts in Anspruch nehmen zu können.«557 Die zu erwartende Niederlage in der Bundestagswahl 1980 Angesichts der enormen und vielseitigen Ängste, die Franz Josef Strauß hervorrief, ist es nicht überraschend, dass Franz Josef Strauß bei der Bundestagswahl keine absolute Mehrheit erreicht hat. Die Gegner von Strauß konnten im Bundestagswahlkampf 1980 ihre alten Argumentationsmuster wieder einsetzen, 551 Zit. nach: Paul Wilhelm Wenger : Der Sonderbare Haffner-Appell. Eine Wahlkampfhilfe für die SPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 25/1980 vom 20. 6. 1980, S. 29. 552 Wenger: Der Sonderbare Haffner-Appell. 553 Vgl. nach: Wenger : Der Sonderbare Haffner-Appell. 554 Golo Mann berichtete, dass in den Niederlanden die Ansicht vorherrschte, Strauß sei ein Nazi. Vgl. »Er ist wie ein Baum, der Blitze anzieht«, S. 49. 555 Zit. nach: Schieres Entsetzen; in: Der Spiegel Nr. 45/1979 vom 5. 11. 1979, S. 25 ff.; hier : S. 25. 556 Vgl. Geholzt und gehackt; in: Der Spiegel Nr. 22/1980 vom 26. 5. 1980, S. 34. 557 Zit. nach: Geholzt und gehackt.

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sodass es problemlos möglich war, innerhalb kürzester Zeit die Ängste vor Strauß zu »reaktivieren«. Im Bundestagswahlkampf 1980 wurden die vorher fiktiven Ängste – was wäre, wenn Strauß erst Kanzlerkandidat und dann Kanzler wäre – zu realen Ängsten, wodurch auch eine enorme Mobilisierung der StraußGegner erreicht werden konnte. Nach der Wahlniederlage von Strauß nahm die Thematisierung der Ängste vor Strauß rapide ab und spielte fortan eine unbedeutende Rolle. Gründe dafür waren, dass Strauß’ politischer Führungsanspruch auf Bundesebene gebrochen schien, sodass im linken Wahrnehmungsmuster keine Ängste mehr bestanden. Als Helmut Kohl Bundeskanzler wurde, wurde lediglich für eine geringe Zeit die Angst formuliert, Strauß könne Bundesaußenminister werden. Mit einem Außenminister Franz Josef Strauß würden die Ost-West-Spannungen wieder zunehmen und Diktatoren in aller Welt würden von Strauß unterstützt werden.558 Außerdem wurde im linken Wahrnehmungsmuster auch befürchtet, dass sich Strauß’ Einfluss nicht nur auf die Außenpolitik begrenzen, sondern auch auf innenpolitische Bereiche ausbreiten würde, denn seine scherzhaft gemeinte Aussage, »es sei ihm egal, wer unter ihm als Kanzler regiere, ist ernst zu nehmen«.559 Schließich würde Strauß glauben, dass er als Retter unentbehrlich sei560, eine Befürchtung, die im linken Wahrnehmungsmuster durchgängig im Untersuchungszeitraum artikuliert wurde. Nachdem Strauß nicht Bundesaußenminister wurde, artikulierte man im linken Wahrnehmungsmuster auch so gut wie keine Ängste mehr vor Strauß. Jedoch kritisierte der »Spiegel«, dass der designierte FDP-Vorsitzende Martin Bangemann Franz Josef Strauß 1985 als seinen Freund bezeichnete, denn die FDP hat jahrzehntelang diesen »Mann bekämpft, hat seinetwegen eine Koalition gesprengt; mit seiner Dämonisierung ist sie bei Wahlkämpfen erfolgreich auf Stimmenfang gegangen, und der bisherige Vorsitzende Genscher hat alles darangesetzt, ihn aus Bonn fernzuhalten.«561 Bangemann, der im Jahr 1975 die Idee vom starken Mann Franz Josef Strauß als Alptraum beschrieb562, entgegnete, dass man niemanden auf Dauer dämonisieren solle, weil man diese Person zum einen damit unmenschlich behandle, zum anderen aber auch unnötig überhö-

558 Vgl. »Der Mann nutzt seine letzte Chance«; in: Der Spiegel Nr. 9/1983 vom 28. 2. 1983, S. 19 – 26; hier : S. 22 und S. 23. 559 »Der Mann nutzt seine letzte Chance«, S. 23. 560 Vgl. »Der Mann nutzt seine letzte Chance«, S. 23. 561 »Mit Partei und Öffentlichkeit anders umgehen.« Der designierte FDP-Chef Wirtschaftsminister Martin Bangemann über Zukunftschancen seiner Partei; in: Der Spiegel Nr. 8/ 1985 vom 18. 2. 1985, S. 43 – 55; hier: S. 43. 562 Vgl. »Den Rechtsstaat retten – blödes Zeug«, S. 21.

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he.563 Deshalb wolle Bangemann das Verhältnis zu Strauß normalisieren, auch um ein Funktionieren der Koalition zu gewährleisten. Andere personifizierte Ängste des linken Wahrnehmungsmuster vor einem neuen Führer

Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem neuen Führer wurden fast ausschließlich anhand der Person Franz Josef Strauß’ beschrieben. Jedoch gab es marginal auch Gefahrenbeschreibungen eines neuen Führers bzw. eines neuen Diktators, die unabhängig von Strauß artikuliert wurden. Peter Brügge erkannte im November 1967 Parallelen zwischen Adolf Hitler und dem NPD-Vorsitzenden Adolf von Thadden. Für Brügge verberge Thadden »kaum noch, daß er sich berufen fühlt, Führer zu sein. Aus einem nationalistischen Cicero, der die Register vaterländischer Aufwallung selbst in Wahlkämpfen nur selten überzogen hat, wurde […] ein Besessener, der sich und die Seinen mit übermäßigem Geschrei trunken machte.«564 Thadden bemächtige sich »nun der Tonart des schrecklichen Namensvetters« [Adolf Hitler, C.S] und weiche dem Kult nicht aus, sodass er sowohl von Jüngeren als auch von Älteren verehrt werde und diese seinen Anforderungen gehorsam folgeleistete.565 Brügge bezeichnete Thadden deshalb auch als »Führer«.566 Trotz dieses Beispiels lassen sich die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem neuen Führer, die nicht anhand der Person von Franz Josef Strauß, sondern anhand einer anderen, benannten Person artikuliert wurden, als marginal bezeichnen. Jedoch herrschte auch im linken Wahrnehmungsmuster die Angst vor einem »starken Mann« vor, der nicht weiter benannt oder beschrieben wurde (siehe Kapitel 3.2.3).

3.2.2 Die Angst vor Willy Brandt Entgegen den Ausgangshypothesen wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem neuen Führer, der die bundesdeutsche Demokratie zerstören werde, bedeutend geringer als im linken Wahrnehmungsmuster artikuliert (65 Artikel versus 150 Artikel). Auch wurden die Ängste vor diesem neuen Führer im konservativen Wahrnehmungsmuster nur in geringem Maße der Person Willy Brandts festgemacht (28 von 65 Artikeln). Ebenfalls überra563 Vgl. »Mit Partei und Öffentlichkeit anders umgehen«, S. 43. 564 Wiedergeburt in Es-Dur. Peter Brügge über den neuen NPD-Vorsitzenden Adolf von Thadden; in: Der Spiegel Nr. 48/1967 vom 20. 11. 1967, S. 42. 565 Vgl. Wiedergeburt in Es-Dur. 566 Wiedergeburt in Es-Dur.

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schend war die Erkenntnis, dass die Höhepunkte der Thematisierung von Willy Brandt als neuem Führer der Linken nicht in den Jahren vor 1969 lagen. Golo Mann äußerte sich in einem Interview im September 1980 dahingehend, dass tückische Anspielungen auf Brandts Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus endeten, als Brandt Außenminister wurde (1966) und während seiner Kanzlerschaft (1969 – 1974) gar keine Rolle mehr spielten.567 Die Aussage soll hier nicht überprüft werden. Die Untersuchung ergab jedoch, dass Ängste vor Willy Brandt als neuem Führer im Wesentlichen erst mit seiner Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 1969 begannen und auch nach seiner Kanzlerschaft weiterhin artikuliert wurden. Rudolf Augstein äußerte sich im Jahr 1965 entsetzt über die Möglichkeit, dass Richard Jaeger (CSU) Bundesjustizminister werden könnte. Augstein kritisierte u. a., dass Jaeger Willy Brandt wiederholt als Herbert Frahm (dessen Geburtsname) bezeichnet und »gegen Brandt einen gewissen Schicklgruber ins Treffen geführt [habe], der unter dem Namen Adolf Hitler umhergelaufen sei.«568 Im Juli 1969 stellte der »Bayernkurier« in einer Karikatur Bundesaußenminister Willy Brandt als nackte Eva dar, »die es auf eine Vertreibung aus dem Sperrvertragslosen Paradies anlegt«.569 Der »Spiegel« konstatierte hier einen gewissen Wandel, denn noch einen Monat zuvor wurde Brandt im »Bayernkurier« als biedere alte Frau karikiert, die erfolglos ihre »Sperrvertrags-›Bowle‹« anbot.570 Im Bundestagswahlkampf 1969 waren dennoch derartige Charakterisierungen Brandts eher selten, auch weil die Unionsparteien den Bundesaußenminister der Großen Koalition eher politisch und nicht persönlich angreifen wollten und es kaum noch »sagbar« war, Willy Brandt beispielsweise aufgrund seiner Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus als »Feind der Heimat« zu bezeichnen.571 Vor allem aber der »Bayernkurier«, dessen Herausgeber Franz Josef Strauß war, sah eine Gefahr in einer Kanzlerschaft Brandts und artikulierte diese auch im Bundestagswahlkampf 1969. So sei bei einer Kanzlerschaft Brandts der Frieden gefährdet und die »graue Kamarilla um die Galionsfigur Brandt« werde den Atomsperrvertrag unterschreiben.572 Nachdem Willy Brandt 1969 Bundeskanzler einer sozialliberalen Koalition geworden war, bilanzierte Peter Boenisch in der »Bild am Sonntag«, dass Brandt 567 Vgl. »Er ist wie ein Baum, der Blitze anzieht«, S. 49. 568 Rudolf Augstein: Bildnis eines Justizministers; in: Der Spiegel Nr. 40/1965 vom 29. 9. 1969, S. 24. 569 Abb. nach: »Kein Papiertiger«. 570 Abb. nach: »Kein Papiertiger«. 571 Vgl. Peter Brügge: »Lieben Sie den Bundeskanzler?« Peter Brügge über die CDU-Wahlkampfpropaganda für Niedersachsen; in: Der Spiegel Nr. 35/1969 vom 25. 8. 1969, S. 46. 572 Zit. nach: »Kanzler des Ausverkaufs.« Zitate aus dem Strauß-Organ »Bayernkurier«; in: Der Spiegel Nr. 45/1969 vom 3. 11. 1969, S. 31.

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nicht der Kanzler des ganzen deutschen Volkes sei und mahnte an: »Es fallen die für eine Demokratie … bösen und gefährlichen Worte: … ›Das haben wir nicht gewollt‹!«573 Allerdings wurden in den ersten Jahren von Brandts Kanzlerschaft (von 1969 bis 1972) weniger derartige Ängste artikuliert, dass Brandt als neuer Führer die Demokratie beseitigen werde. Stattdessen wurden vermehrt Ängste vor einem Krieg durch Brandts Ostpolitik (siehe Kapitel 3.4.1) oder vor einem anonymen Machtapparat durch die angestrebte Demokratisierung (siehe Kapitel 3.3.2) geäußert. Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen Brandt, im Bundestagswahlkampf 1972 und dann, nachdem Willy Brandt 1972 mit überwältigender Mehrheit als Bundeskanzler bestätigt worden war – und damit auch seine Ostpolitik – konzentrierten sich die Ängste vor Willy Brandt auf seine Person und es wurden auch vermehrt Ängste vor einem neuen Führer artikuliert. Der Chefredakteur des Zentralorgans der »Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände«, Jürgen Heinrichsbauer, sah auch schon ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt Brandts erschreckende Parallelen zu Adolf Hitler. Zwar sei Brandt nicht Hitler, aber »[d]ennoch haben ihm sechs Macht-Monate genügt, über die Bundesrepublik eine ›Grundwelle‹ (Herbert Wehner) hinweggehen zu lassen, deren Wirkung es erlaubt, die politisch-psychologische Situation des Frühjahrs 1970 mit der des Frühjahrs 1933 zu vergleichen. Nur die Seiten haben gewechselt.«574 Außerdem gebe es seit dem Regierungsantritt Brandts eine »schlagartig einsetzende Geschichtsverfälschung«, wie 1933. Heinrichsbauer ängstigte die Zukunftsprognose, dass »Stoph und Brandt unter dem Brandenburger Tor die Wiedervereinigung unter weitgehend sozialistischen Vorzeichen besiegeln« könnten.575 Der Spiegel-Redakteur Otto Köhler reagierte sarkastisch auf die Aussagen Heinrichsbauers und überspitzte den Vergleich zu Adolf Hitler ins Lächerliche. So erhebe sich Heinrichsbauer »aus dem Chor der von Ehmke gleichgeschalteten Meinungsmacher [als] eine einsame Stimme der Wahrheit.«576 Köhler äußerte sarkastische Bedenken, ob sich Heinrichsbauer derzeit noch in Freiheit befinde: »[W]enn wir nur wagen, unsere Augen aufzumachen, dann sehen wir, daß Heinrichsbauer recht hat. Ja, Brandt ist nicht Hitler, und heute sind es nicht Sozialdemokraten und Kommunisten, die in den SA-Kellern zusammengeschlagen und getötet werden, nein, die Seiten haben gewechselt, heute werden deutsche Arbeitgeber in den Juso-Kellern zu Tode gequält. Aber die gleichge573 Zit. nach: Otto Köhler : Sag’s mit Prawda; in: Der Spiegel Nr. 44/1969 vom 27. 10. 1969, S. 122. 574 Zit. nach: Otto Köhler: Brandt und Hitler ; in: Der Spiegel Nr. 18/1970 vom 27. 4. 1970, S. 125. 575 Zit. nach: Otto Köhler : Brandt und Hitler. 576 Köhler : Brandt und Hitler.

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schaltete Presse schweigt.«577 Außerdem verschweige die Presse, so Köhler sarkastisch, dass Bundespräsident Heinemann »genau wie damals Hindenburg! – eine ›Verordnung zum Schutz von Volk und Staat‹ erlassen hat« und dass es keine Zeitung wage, darüber zu berichten, dass der Präsident der »Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände«, Otto A. Friedrich, nach dessen letztem Artikel »von Herbert Wehner einfach ins KZ gesteckt wurde – wie damals der Kommunistenführer Thälmann.«578 Es liegt auf der Hand, dass Otto Köhler den Vergleich zur nationalsozialistischen Vergangenheit von Jürgen Heinrichsbauer für so absurd hielt, dass er diesen durch eine enorme Überspitzung entkräften wollte und deshalb auch Vergleiche zog, die Heinrichsbauer selbst gar nicht geäußert hatte. Allerdings waren Ängste vor Brandt als Führer in der Zeit von 1969 bis 1972 nicht gerade häufig. Das änderte sich mit dem Bundestagswahlkampf 1972 (bzw. mit dem Misstrauensvotum gegen Brandt), in dessen Folge verstärkt Ängste vor Brandt als Führer aufkamen, wobei Vergleiche zur nationalsozialistischen Vergangenheit allerdings nicht immer eine so heftige Reaktion auslösten, wie die von Otto Köhler. Vor allem die Fixierung der Anhängerschaft der sozialliberalen Koalition im Bundestagswahlkampf auf die Person Willy Brandt ließ im konservativen Wahrnehmungsmuster derartige Ängste wachsen, dass Willy Brandt die Rolle eines Führers der Linken einnehmen könne und deshalb die bundesdeutsche Demokratie erheblich gefährdet sei. Anton Böhm sah im Wahlkampf 1972 die Spielregeln der Demokratie verletzt, einerseits indem Brandt sich vor der Abstimmung über das konstruktive Misstrauensvotum direkt an das Volk gewendet habe und andererseits indem Brandt im Bundestagswahlkampf 1972 außerparlamentarische Kräfte ohne Verfassungsauftrag, wie beispielsweise die Gewerkschaften, zur Unterstützung der bisherigen Koalition aufrief.579 Des Weiteren werde das Grundgesetz dahingehend manipuliert, dass die Bundestagswahl – viel mehr als bei vorherigen Wahlen – zur Kanzlerwahl umfunktioniert werde, wodurch »ein Personenkult […] entfaltet [werde], der östlichen Modellen nahekommt. Ein Willy Brandt wird der Öffentlichkeit präsentiert, der mit dem Original nicht mehr viel zu tun hat. Man deckt den wahren Brandt […] mit unglaublichen Lobhudeleien zu – bis eine Figur erscheint, die Parsifals Reinheit mit Einsteins Intellektualität, Bismarcks politisches Genie mit Gandhis Friedensliebe vereinigt.«580 Für Böhm spekuliere die SPD außerdem »kräftig auf die Neigung des Deutschen, sich um die schnöde Politik möglichst nicht zu kümmern und sie lieber einem durch gütige Fügung geschickten Regenten an577 Köhler : Brandt und Hitler. 578 Köhler : Brandt und Hitler. 579 Vgl. Anton Böhm: Abseits der Verfassung; in: Rheinischer Merkur Nr. 39/1972 vom 29. 9. 1972, S. 1 f.; hier : S. 1. 580 Böhm: Abseits der Verfassung, S. 2.

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heimzugeben.«581 Böhm ermahnte deshalb die Opposition, klarzustellen, dass nicht die Kanzlerwahl an erster Stelle dieses Wahlkampfes stehe, sondern dass »Schicksalsfragen [entschieden werden], die durch ›Personalisierung‹ nur vernebelt würden.«582 Zu diesen Schicksalsfragen zählten beispielsweise, ob die Bundesrepublik ins sowjetische Kraftfeld gerate, ob eine linke Systemveränderung durchgeführt werde, ob die repräsentative Demokratie durch ein Rätesystem abgeschafft werden solle, ob die Marktwirtschaft abgeschafft und die Inflation eintreffen werde.583 Wie bei der Angst vor Franz Josef Strauß wurde die Befürchtung artikuliert, dass sich Brandt tarnen werde. Allerdings spielte Brandt in dem Untergangsszenario – im Gegensatz zu Strauß – eine eher passive Rolle. Während bei Strauß die CSU bzw. die CDU und deren Wahlprogramm eher eine geringe Rolle spielte und das Machtstreben von Strauß beängstigend wirkte584, herrschte bei der Angst vor Brandt als neuem Führer eher die Befürchtung vor, Brandt erreiche durch seine Anziehungskraft und sein Charisma weite Teile der bundesdeutschen Bevölkerung und verdecke – bewusst oder unbewusst – die wirklichen Ziele und Pläne zur Zerstörung der Demokratie, die vorrangig Teile seiner Partei durchsetzen wollten. Der Vergleich zwischen Adolf Hitler und Willy Brandt war deshalb im konservativen Wahrnehmungsmuster auch ein anderer als der Vergleich zwischen Adolf Hitler und Franz Josef Strauß im linken Wahrnehmungsmuster. Während bei Strauß hauptsächlich Gemeinsamkeiten zwischen der Weltanschauung und dem Machtstreben Hitlers herausgestellt wurden, wurden bei Brandt vorrangig Gemeinsamkeiten in Bezug auf Hitlers charismatische Ausstrahlung artikuliert.585 Für Anton Böhm zeigte sich nach dem eindeutigen Bundestagswahlsieg von Brandt im Jahr 1972 eine Zweiteilung der Deutschen zwischen denjenigen, die »glauben, daß mit Willy Brandt das Reich des ewigen Friedens angebrochen sei« und denjenigen, bei denen »düstere Voraussicht« herrsche.586 Für die erste Gruppe erfülle sich »endlich wieder, wonach so viele deutsche Seelen sich sehBöhm: Abseits der Verfassung, S. 2. Böhm: Abseits der Verfassung, S. 2. Vgl. Böhm: Abseits der Verfassung, S. 2. Für den »Spiegel« war die CSU eine Partei ohne Diskussionen, ohne Programm und ohne Flügel, die allein auf Strauß ausgerichtet war : Vgl. »Die wollen Franz Josef, und die haben ihn«, S. 36. 585 Eine geringfügige Ausnahme bildete hierbei der »Bayernkurier«, der Brandt und Hitler dahingehend verglich, dass beide eine Rolle einnahmen, »die in der unseligsten Periode deutscher Geschichte ihren Ausdruck darin fand, daß das Volk deshalb zugrunde zu gehen habe, weil es seinem bedeutendsten Führer nicht würdig sei.« Zit. nach: »Die Karten dicht an der Brust«; in: Der Spiegel Nr. 41/1972 vom 2. 10. 1972, S. 21 – 25; hier : S. 25. 586 Anton Böhm: Ohne Widerruf ?; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1972 vom 1. 12. 1972, S. 1 f.; hier : S. 1.

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nen: den Führer-Vater. Keinen harschen Diktator, sondern den milden Regenten, der aus purer Güte die Politik zum Instrument seiner überfließenden Menschenliebe […] erhebt.«587 Brandt werde von dessen Bewunderern nicht an dessen Innenpolitik gemessen, sondern sein besonderes Charisma und seine Außenpolitik verliehen ihm die nötige Kompetenz: »Willy Brandt, Friedensfürst, Augustus, Ruhm des Erdkreises, ist ein lebendiges Denkmal, hocherhaben über Kleinigkeiten wie Inflation, Steuerlastquote, Wechselkurse und dergleichen. […] Kurz, dem ›Kanzler des Vertrauens‹ kann man sich blind anvertrauen, er wird’s schon alleine schaffen, der treusorgende Vater des Vaterlandes.«588 Für die andere Gruppe der Brandt-Gegner drohe der Bundesrepublik durch den Wahlsieg Brandts nun die permanente Inflation, die Schrumpfung der CDU zu einer Art Zentrum, die radikale Gleichmacherei, das Ende der sozialen Marktwirtschaft, die rote Machtergreifung an Schulen, Universitäten und in der Lehrerbildung, die Zerstörung der Bundeswehr, das Ende der Pressefreiheit, die kalte Revolution und eine sozialistische Bundesrepublik, die sich mit der DDR in Unfreiheit vereinigen werde, wobei die letzten freien Wahlen die von 1972 gewesen seien.589 Böhm gestand zwar, dass diese Prognosen sehr düster, aber dafür nicht grundlos seien, denn »[s]ie bezeichnen Tendenzen, die zumindest große Chancen haben, sich durchzusetzen.«590 Ob diese Tendenzen tatsächlich erfolgreich durchgesetzt werden können, so Böhm, »wird in der Tat davon abhängen, ob die SPD eine demokratische Partei bleibt, oder ob jene obsiegen, die einmal errungene Macht nicht wieder loslassen wollen und auch einem Staatsstreich gegen ein unbequemes Wahlergebnis nicht ausweichen würden.«591 Brandt nimmt in diesem Untergangsszenario mehr die Rolle des charismatischen Führers ein, dem die Massen begeistert zujubeln und dadurch von den wahren Absichten einiger Teile in der SPD geblendet werden. In gewissen Ansätzen bildete dieses Brandt-Bild auch die Grundbedingung für viele artikulierte Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor der Demokratisierung durch Brandt (siehe Kapitel 3.3.2). Paul Wilhelm Wenger fühlte sich nach der Bundestagswahl 1972 an den von ihm selbst erlebten ›deutschen Frühling‹ erinnert, als nationalsozialistische Studenten Hitler als Welterlöser und arischen Messias verehrten.592 Für Wenger schien es bis zur Studentenrevolte 1968 ausgeschlossen, dass ein derartiger Personenkult noch einmal wiederkehren könne. Ausgelöst durch die Verleihung 587 588 589 590 591 592

Böhm: Ohne Widerruf ?, S. 1 Böhm: Ohne Widerruf ?, S. 1. Vgl. Böhm: Ohne Widerruf ?, S. 1 f. Böhm: Ohne Widerruf ?, S. 2. Böhm: Ohne Widerruf ?, S. 2. Vgl. Paul Wilhelm Wenger : Böll und Brandt; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1973 vom 2. 3. 1973, S. 3.

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des Friedensnobelpreises sei Brandt aber inzwischen »in den Sog eines linken Kanonisierungsprozesses mit Kennedy-Look geraten«.593 Für Wenger hatte die Verteufelung von Franz Josef Strauß als Gegenspieler von Brandt durch Günter Grass und Heinrich Böll maßgebenden Anteil an der erfolgreichen »Seligsprechung« von Brandt.594 Auch während der Zeit des Zweiten Kabinetts Brandts (1972 – 1974) artikulierte man im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor Willy Brandt und dessen Regierungsstil. Häufig wurden die Ängste mit einer angeblich fehlenden Meinungsfreiheit und einer mit der Regierung gleichgeschalteten Presse in Verbindung gebracht. Franz Kauffherr kritisierte, dass die SPD in Wirklichkeit die Pressefreiheit einschränken wolle und dass Brandt seine Kritiker als Staatsfeinde ansähe. Darin zeige sich aber, dass Brandt nicht auseinanderhalte, »was er ist und was der Staat ist. ›Der Staat bin ich‹ ist eine These, die nur aus dem Gottesgnadentum heraus verstanden werden kann«.595 Kauffherr wies deshalb darauf hin, dass diese These selbst zu Zeiten von Ludwig XIV. falsch gewesen sei, dass die Zeit des Gottesgnadentums lange vorbei sei und dass auch Brandt als Regierungschef jederzeit vom Parlament abberufen werden könne.596 Auch Klaus Hoff erkannte in Willy Brandts Ausdrucksweisen und dessen Umgang mit politischen Gegnern totalitäre Tendenzen, als Willy Brandt nach der Bundestagswahl 1972 u. a. äußerte, man habe »gegen ›Treulosigkeit‹ und das ›große Geld‹ gekämpft und glorreich gesiegt.«597 Für Hoff senkte Brandt mit der Vokabel »Treulosigkeit« die Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung auf eine Ebene, in der es keine sachliche oder persönliche Argumentation auf der Grundlage des Grundgesetzes mehr gebe, sondern in der nur noch Emotionen vorherrschten.598 Hoff fragte, ob diese Aussage nicht deutlich gezeigt habe, »daß Brandt von einem Totalitätsanspruch für eine bestimmte Politik – seine eigene – ausgeht? Daß er einen politischen und moralischen Alleinvertretungsanspruch verficht für das, was er vertritt?«599 Für Hoff schließe aber die bundesdeutsche Demokratie einen Totalitätsanspruch für eine bestimmte Politik aus, weshalb sich Brandt durch diese und andere Äußerungen über den politischen Gegner die Frage gefallen lassen müsse, »ob er unsere Demokratie, in deren Mittelpunkt politischer Wettbewerb und gesellschaftlicher 593 Wenger: Böll und Brandt. 594 Vgl. Wenger: Böll und Brandt. 595 Franz Kauffherr : Kritiker als Staatsfeinde? Das gestörte Verhältnis der SPD zur Meinungsfreiheit; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1973 vom 18. 5. 1973, S. 1. 596 Vgl. Kauffherr : Kritiker als Staatsfeinde? 597 Zit. nach: Klaus Hoff: Das Totalitäre in Willy Brandt. Bemerkungen zur Sprache des SPDVorsitzenden; in: Rheinischer Merkur Nr. 25/1973 vom 22. 6. 1973, S. 4. 598 Vgl. Hoff: Das Totalitäre in Willy Brandt. 599 Hoff: Das Totalitäre in Willy Brandt.

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Pluralismus stehen, nicht nach und nach in plebiszitär-totalitäre ›Gesinnungsdemokratie‹ umwandeln möchte, die vom Freund-Feind-Denken unseliger Erinnerung beherrscht ist.«600 Für Klaus Hoff sei das Godesberger Programm ein Beleg für den Totalitätsanspruch der SPD, vor allem von Willy Brandt, da dieses Dokument jahrelang falsch als Abkehr vom Marxismus interpretiert worden sei. In Wahrheit, so Hoff, zeige das Denkschema, dass die Demokratie durch den Sozialismus erfüllt und der Sozialismus nur durch die Demokratie verwirklicht werde, die SPD-Ideologie, »daß jemand, der den Sozialismus für falsch hält und ihn bekämpft, im Grunde auch gegen die Demokratie Front macht.«601 Hoff erkannte im Totalitätsanspruch Brandts und der SPD die Quelle für die innenpolitische Polarisierung seit 1969 und warnte davor, dass man heute vor der Alternative stehe: »Fortbestand der liberalen Demokratie, die nicht Politik mit Moral verwechselt und keinen Totalitätsanspruch für die eine oder andere Politik kennt – oder Umwandlung dieser liberalen Demokratie in eine sozialistische ›Gesinnungsdemokratie‹, in der am Ende nur noch für Menschen ›guten Willens‹ Platz ist…[Punkte im Original, C.S.]«.602 Das Bekanntwerden der Wienand-Steiner-Affäre im Juni 1973, in der öffentlich wurde, dass der CDU-Abgeordnete Julius Steiner beim Misstrauensvotum gegen Brandt im April 1972 nicht für Rainer Barzel gestimmt habe, da er dafür Geld vom Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Karl Wienand, bekommen haben solle, verstärkte die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor Willy Brandt. Otto B. Roegele fragte, ob »wir wieder so weit in Deutschland [seien], daß zu allem entschlossene Machthaber über ›juristische Zwirnfäden‹ nicht stolpern wollen, wenn es darum geht, bestimmte Ziele zu erreichen?«603 Da die deutschen Fernseh- und Radiosender der sozialliberalen Regierung freundlich gesinnt seien und deshalb der Affäre nicht gründlich genug nachgehen würden, werde »dem deutschen Michel die Urlaubsschlafmütze« nicht vom Kopf gezogen und könne »sich das Friedenskanzler-Denkmal hoch über den Giftgasen, die dem Bonner Sumpf entsteigen, ungestört in Schweigen hüllen, während irritierte Staatsbürger sich wieder mit der rhetorischen Frage beruhigen dürfen: ›Weiß denn das der Führer?‹«604 Am Ende seiner Kanzlerschaft kamen neuartige Vergleiche zwischen Brandt und Hitler in Form von politischen Witzen auf, die die Klischees alter HitlerWitze wiederaufnahmen. Im Februar 1974 konstatierte der »Spiegel« empört: »Willy Brandt – vor einem Jahr noch als Friedens-Nobelpreisträger und weltweit Hoff: Das Totalitäre in Willy Brandt. Hoff: Das Totalitäre in Willy Brandt. Hoff: Das Totalitäre in Willy Brandt. Otto B. Roegele: Auf dem Weg zur »anderen Republik«. Die Mächtigen in Bonn und die mehrbödige Wahrheit; in: Rheinischer Merkur Nr. 25/1973 vom 22. 6. 1973, S. 1. 604 Roegele: Auf dem Weg zur »anderen Republik«.

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renommierter Entspannungspolitiker für Hohn und Spott nahezu tabu – ist zur Zielscheibe politischer Witzemacher geworden, die sich nicht scheuen, den Massenmörder Hitler und den Demokraten Brandt über einen Kamm zu scheren.«605 Die Witze über Brandt würden den Flüsterwitzen über Adolf Hitler und später Walter Ulbricht entstammen, weshalb Brandts Berater im Kanzleramt diese Witze sehr ernst nähmen und den Psychologen Manfred Koch beauftragt hätten, nach Herkunft und Ursachen der bösartigen Witze zu forschen.606 Dieser erkannte, dass die Witze den Zweck erfüllen sollten, »den anfänglich indifferenten Zuhörer in einen ›Mithasser‹ und ›Mitverächter‹ [zu] verwandeln«.607 Dabei verwischten die Brandt-Witze bewusst den Unterschied, dass Hitler- oder Ulbricht-Witze als Art des Widerstandes im Gegensatz zu den Brandt-Witzen nur heimlich erzählt werden konnten. Beispiele für diese makabren Witze finden sich in derselben Ausgabe des »Spiegels«: »Wann ist die Bundesrepublik wieder in Ordnung? – Wenn der Bundeskanzler Strauß am Grab von Willy Brandt die Witwe von Herbert Wehner fragt: ›Wer hat denn eigentlich Egon Bahr erschossen?‹«608 Sowohl bei den Ängsten vor Strauß als auch bei Ängsten vor Brandt wurden Witze zur Diffamierung eingesetzt (siehe Kapitel 3.2.1 und 3.2.2).

Ängste vor Willy Brandt nach dessen Kanzlerschaft und Zusammenhänge mit anderen Bedrohungsszenarien Auch nach dem Rücktritt als Bundeskanzler am 7. Mai 1974 artikulierte man im konservativen Wahrnehmungsmuster weiterhin Ängste vor Willy Brandt als demokratiezerstörenden Führer. So bezeichnete Elimar Schubbe den SPD-Parteivorsitzenden Brandt als »Schirmherr der Systemveränderer in den eigenen Reihen« und warnte davor, dass die Auftaktrede auf dem Mannheimer Parteitag der SPD im November 1975 »zugleich eine Kampfansage an die nichtsozialistischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland und eine Herausforderung an unsere Demokratie« sei.609 Paul Wilhelm Wenger kritisierte Brandts Diffamierung der Union als innen- und außenpolitisches Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik und warnte vor einer »Verkennung der wahren Absichten Brandts, die auf eine sozialistische Umgestaltung ganz Westeuropas unter dem Messer im Rücken; Der Spiegel Nr. 7/1974 vom 11. 2. 1974, S. 36 – 38; hier : S. 38. Vgl. Messer im Rücken, S. 38. Messer im Rücken, S. 38. »Wer hat wen erschossen?« Polit-Witze über Kanzler und Kabinett; in: Der Spiegel Nr. 7/ 1974 vom 11. 2. 1974, S. 38. 609 Elimar Schubbe: Willy Brandts Feindbild. SPD-Chef lenkt durch Diffamierung der Union vom Streit im eigenen Lager ab; in: Rheinischer Merkur Nr. 46/1975 vom 14. 11. 1975, S. 1.

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NATO-Schirm zielen« würden.610 Um den wahren Brandt zu erkennen, müsse man dessen Bücher lesen. Hiermit könnte Wenger indirekt einen Vergleich zu Hitler gezogen haben, dessen Buch »Mein Kampf« als Symbol dafür galt, dass man die zukünftigen Schrecken seiner Herrschaft schon hätte eher erkennen können. Für Wenger habe sich Brandt aber schon einmal demaskiert: »Als er 1969 im Machtrausch bemerkte, erst durch seinen Einzug ins Kanzleramt habe ›Hitler endgültig den Krieg verloren‹ (in der Gegenprobe heißt das: jetzt erst hat Stalin endgültig gewonnen), hat er ungehemmt die Maske fallen lassen.«611 Brandts Aussagen zur politischen Opposition lösten im konservativen Wahrnehmungsmuster starke Proteste gegen Brandt und auch Ängste vor Brandt aus. Franz Josef Strauß erkannte in Brandts Diffamierung der Opposition Ähnlichkeiten zum Nationalsozialismus. Für Strauß habe Brandt damit »den totalen Krieg gegen die Opposition ausgerufen. Das war schon Goebbels’ Methode, sein Publikum daran zu hindern, über die katastrophale Lage nachzudenken.«612 Nach dem Ende der Kanzlerschaft Brandts wandelten sich die Ängste vor Brandt auch dahingehend, dass Brandt die sozialistische Umgestaltung der Bundesrepublik als Ziel habe, da ihm selber dafür aber die Macht fehle, versuche er, dieses Ziel mit Hilfe einer europäischen »Volksfront« bzw. des linken Flügels der SPD durchzusetzen. Hierbei spielte Brandts Vergangenheit während der Weimarer Republik immer wieder eine nicht unbeachtliche Rolle, da beispielsweise darauf verwiesen wurde, dass Brandt schon als junger Erwachsener »die deutsche Sozialdemokratie nicht radikal genug« gewesen sei, weshalb er »1931 in Lübeck der linksradikalen ›Sozialistischen Arbeiterpartei‹ bei[trat].«613 Um politische Karriere zu machen, musste sich Brandt, so Wenger weiter, auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weiterhin »maskieren«, aber »[j]e älter dieser Willy Brandt wird, desto heftiger drängt er auf den Sieg des ›demokratischen Sozialismus‹ in Westeuropa. Der heute 63jährige Schutzpatron der radikalen Jusos möchte noch erleben, was er als Achtzehnjähriger bei seinem Übertritt zur Sozialistischen Arbeiterpartei erträumt hat: den ›sozialistischen Neubau Deutschlands‹, dem er über Volksfrontregierungen in Rom und Paris zum Durchbruch verhelfen will.«614 Die Hauptgefahr sah Wenger darin, dass mit diesen »Volksfrontregierungen« in Frankreich und Italien »ganze Divisionen trojanischer roter Pferde in die NATO einziehen« würden, wodurch die Verteidigungskraft enorm reduziert werde, da die NATO zum Verbündeten der So610 Paul Wilhelm Wenger : Sicherheitsrisiko Willy Brandt. Sein Ziel ist die sozialistische Umgestaltung Westeuropas; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1975 vom 21. 11. 1975, S. 1. 611 Wenger: Sicherheitsrisiko Willy Brandt. 612 Zit. nach: Für Kenner ; in: Rheinischer Merkur Nr. 49/1975 vom 5. 12. 1975, S. 8. 613 Paul Wilhelm Wenger : Willy Brandt demaskiert sich. Er will den großen Sprung zum Sozialismus; in: Rheinischer Merkur Nr. 5/1976 vom 30. 1. 1976, S. 1. 614 Wenger: Willy Brandt demaskiert sich.

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wjetunion umgebaut würde.615 Bei den Ängsten, die Wenger hier artikulierte, wird beispielhaft deutlich, wie sich verschiedene Bedrohungsszenarien gegenseitig bedingten. Ängste vor Willy Brandt waren sehr vielseitig, sodass neben der Angst vor einem Führer befürchtet wurde, Brandts Ostpolitik werde einen neuen Krieg bewirken (siehe Kapitel 3.4.1) oder seine Reformpolitik werde die bundesdeutsche Demokratie beseitigen (siehe Kapitel 3.3.2). In der »Welt der Arbeit« erschien bereits zu Zeiten der Kanzlerschaft Brandts eine Karikatur, die sich über die angebliche Taktik der Union lustig machte, Brandt als Schreckgespenst darzustellen.616 Rainer Barzel und Franz Josef Strauß halten verdeckt eine Puppe von Brandt mit Vampirzähnen in die Luft, um ein im Bett liegendes Ehepaar zu erschrecken. Allerdings bleibt die von Strauß und Barzel erhoffte Wirkung aus, da sich das Ehepaar eher amüsiert als verängstigt zeigt. In einem Interview von 1976 in der Düsseldorfer »Wirtschaftswoche« äußerte sich Franz Josef Strauß rückblickend über die Wahlkampftaktik von 1972 und kritisierte, dass die CDU anders als die CSU nicht bereit gewesen sei, den Wahlkampf um Grundsatzfragen zu führen.617 Strauß wollte damals den Wahlkampf auf die Gefahr durch Brandt und nicht auf Fragen der Inflation und wirtschaftlichen Stabilität konzentrieren. Allerdings sei das nicht im Interesse der CDU gewesen, weshalb die CSU in Bayern einen anderen Wahlkampf geführt habe. Strauß habe, anders als die CDU, die Gefahr durch Brandt zum Wahlkampfthema für 1972 gemacht: »Dieser Brandt führt Deutschland in den Sozialismus. Dieser Willy Brandt, mag er noch so bejubelt sein mit seinem Nobelpreis, all das spielt keine Rolle. Dieser Brandt führt Deutschland in die Neutralität. Er verändert die politische Landschaft Europas. Doch in der CDU herrschte damals die Meinung vor: An den Brandt geht man am besten überhaupt nicht mehr heran. Er ist sozusagen schon zur Ehre der irdischen Altäre erhoben worden.«618 Für den Wahlkampf 1976 hätte die CDU diesen Fehler eingesehen, sodass wirtschaftliche Fragen nicht alleinig Thema des Wahlkampfes sein werden. Stattdessen würde man drei große Themen herausstellen. Das erste Themengebiet sei die Frage, ob »Deutschland und damit ganz Europa sozialistisch werden [solle]? Also der Marsch in den Sozialismus mit der FDP als Hilfsorgan der SPD.«619 Strauß sah eine Verschiebung in der politischen Landschaft einiger europäischer Staaten maßgeblich »durch die Bonner Regierung herbeigeführt und begünstigt«.620 Als weitere Themenkomplexe, die von dem ersten bedingt seien, sollten Fragen der 615 Wenger: Willy Brandt demaskiert sich. 616 Abb. nach: »Die Union propagiert die Finsternis«, S. 46. 617 Vgl. nach: »Die CDU hat den Fehler eingesehen«; in: Der Spiegel Nr. 7/1976 vom 9. 2. 1976, S. 14. 618 Zit. nach: »Die CDU hat den Fehler eingesehen«. 619 Zit. nach: »Die CDU hat den Fehler eingesehen«. 620 Zit. nach: »Die CDU hat den Fehler eingesehen«.

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Außenpolitik und der Gesellschaftspolitik inklusive Finanz- und Wirtschaftspolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gestellt werden.621 Diese Aussagen Strauß’ begründen, warum die Union »Freiheit statt Sozialismus (CDU) bzw. »Freiheit oder Sozialismus« (CSU) als Wahlkampfslogans für 1976 auswählten, auch wenn diese für viele Zeitgenossen angesichts der Kanzlerschaft Helmut Schmidts für verfehlt gehalten wurden.622 Hans Erler, der Sohn des ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Fritz Erler, distanzierte sich 1976 von den angeblichen Absichten Willy Brandts und versuchte das geistige Erbe seines Vaters den Absichten von Brandt entgegenzustellen. Seit dem Tod von Fritz Erler im Jahr 1967 habe die SPD einen Wandlungsprozess erlebt, der maßgeblich durch Brandt bestimmt sei, denn Brandt »stand die erträumte Einigkeit aller irgendwie sich auf Marx beziehenden politischen Kräfte immer höher als die politische Demokratie als Lebensform.«623 Brandts »Traum vom Sozialismus als Lebensordnung, vom demokratischen Sozialismus […], täuscht ihn entweder selbst oder er täuscht bewußt darüber, da Demokratie, die zu ihrer Selbstverwirklichung die soziale Gleichheit aller Bürger verlangt, keine Demokratie mehr ist.«624 Hans Erler befürchtete, dass durch den »Orientierungsrahmen 1985«, der auf dem Mannheimer Parteitag 1975 beschlossen wurde, die Linken in der SPD die Oberhand in wirtschaftlichen Fragen gewonnen hätten und deshalb das Godesberger Programm indirekt außer Kraft gesetzt worden sei.625 Deshalb versuchte er die Unvereinbarkeit von wirtschaftlichem Sozialismus und Demokratie aufzuzeigen, um so vor Bedrohungen der bundesdeutschen Demokratie zu warnen. Für Hans Erler sei es eine Grundvoraussetzung, dass der demokratische Sozialismus die Gleichheit aller benötige und er diese deshalb immer wieder neu auf repressive Weise herstellen müsse und Abweichungen von der Gleichheit bestrafe, deshalb werde der demokratische Sozialismus »so notwendig zum System der permanenten Revolution und damit zur Permanenz und Allgegenwart des Terrors«.626 Erlers Ängste sind bezeichnend für den rechten Flügel der SPD, der ebenfalls Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters teilte. Im Dezember 1977 erschien im »Rheinischen Merkur« ein Artikel, in dem man sich darüber empörte, dass Brandt sich mit radikalen Studenten traf und dass geprüft werden solle, ob diese finanzielle Unterstützung durch Bundes621 Vgl. nach: »Die CDU hat den Fehler eingesehen«. 622 Vgl. Heinrich August Winkler : Der lange Weg nach Westen. Band 2. Deutsche Geschichte 1933 – 1990, München 2000, S. 339. 623 Hans Erler : Fritz Erler contra Willy Brandt; in: Rheinischer Merkur Nr. 32/1976 vom 6. 8. 1976, S. 2. 624 Erler : Fritz Erler contra Willy Brandt. 625 Vgl. Erler : Fritz Erler contra Willy Brandt. 626 Erler : Fritz Erler contra Willy Brandt.

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mittel erhielten.627 Für den »Rheinischen Merkur« war das ein Zeichen, dass sich Brandt »decouvriert«, also sein wahres Wesen erkennen lasse.628 Ab 1977 nahm die Angst vor Willy Brandt aber massiv ab. Eine Ausnahme bildete Alois Rummel im Juli 1981, der die außenpolitischen Alleingänge von Willy Brandt ohne Absprache mit dem Auswärtigen Amt oder dem Bundeskanzler Schmidt kritisierte, da Brandt dadurch »›zum Herz und Hirn‹ der Staatsapparatur« werde, so wie es schon Lenin gefordert habe, dass die Partei die politischen Ziele vorgebe.629 Brandt degradiere damit »den Regierungschef zum Handlanger seiner parteipolitischen Alleingänge«, womit er zum »Oberkanzler« werde.630 Die Angst, dass Willy Brandt Helmut Schmidt zu dessen Handlanger degradiere, war nicht sehr ausgeprägt und wurde auch durch die starke Persönlichkeit Schmidts nicht lange artikuliert. Nach dem Regierungswechsel 1982, als die SPD wieder in die Opposition ging, wurden keine Ängste mehr vor Willy Brandt als neuem Führer der Linken artikuliert. Allerdings erfuhr Brandt bis zum Ende des Untersuchungszeitraums 1985 kaum die überparteiliche Anerkennung seiner Persönlichkeit und politischen Leistungen, wie sie ihm heute entgegengebracht wird.

3.2.3 Die Angst vor dem »starken Mann« Sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster existierte die Angst, dass in der Bevölkerung Rufe nach einem »starken Mann« laut werden könnten, der nach der Übertragung der Macht die bundesdeutsche Demokratie beseitigen würde. Manchmal wurde diese Person als »neuer Hitler« beschrieben, ohne genauer auf diese Person einzugehen. Häufig wurde dieser »starke Mann« aber auch nicht näher personifiziert oder genauer beschrieben, sondern die Titulierung als »starker Mann« schien sich für die Zeitgenossen von selbst zu erklären und damit verbunden wurden eben auch die Gefahren für die bundesdeutsche Demokratie gesehen, da der Machtanspruch dieses »starken Mannes« demokratischen Verfahren entgegen stehen würde.

627 Vgl. R. C.: Wie zur NS-Zeit; in: Rheinischer Merkur Nr. 51/1977 von Weihnachten 1977, S. 4. 628 R. C.: Wie zur NS-Zeit. 629 Alois Rummel: Brandt – (k)ein deutsches Wunder. Vom Kanzler zum Oberkanzler ; in: Rheinischer Merkur Nr. 28/1981 vom 10. 7. 1981, S. 1. 630 Rummel: Brandt – (k)ein deutsches Wunder.

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Die Angst des linken Wahrnehmungsmusters vor einem »starken Mann« Es wurden auch im linken Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem neuen Führer artikuliert, die nicht spezifisch in Bezug auf eine bestimmte Person, sondern lediglich unspezifisch als »neuer Hitler« artikuliert wurden. Der »Spiegel« konstatierte im Mai 1965 anlässlich des Besuches der englischen Königin, dass den Deutschen aus zwei erlebten Katastrophen ein »Mißtrauen gegen eigene Autoritäten und ein sowohl politisches als auch moralisches Anlehnungsbedürfnis an fremde Führer erwachsen« sei, weshalb die englische Königin so begeistert empfangen worden sei.631 Allerdings bemerkte der »Spiegel«, dass die Bundesbürger nur » – einstweilen noch – vaterlandsloses Gejubel« bevorzugen würden.632 Die Angst, dass der Jubel der Deutschen für ausländische Führer auf nationale Führer umschlagen könne, war weit verbreitet. Der amerikanische Kolumnist Walter Lippmann sah die amerikanische Deutschlandpolitik von der Annahme geprägt, »daß die Deutschen einem anderen Hitler folgen würden, wenn ihnen nicht die Illusion gegeben wird, daß sie auch eine erstrangige, das heißt nukleare Macht seien.«633 Wie bereits erwähnt, nahm Strauß eben diese Befürchtung auf und artikulierte diese Ängste in Bezug auf den Abschluss eines Atomwaffensperrvertrages.634 Im linken Wahrnehmungsmuster stand die Vorstellung eines übermäßig »starken Mannes« in der Politik im Gegensatz zu den Demokratievorstellungen. Für Peter Brügge war das demokratische System gerade dafür gemacht, »ohne starke Männer auszukommen.«635 Diese Ansicht im linken Wahrnehmungsmuster könnte auch erklären, warum sich die SDS-Vorsitzenden im April 1968 nach dem Attentat auf Rudi Dutschke von dem vorangegangenen Personenkult um ihn distanzierten. Zukünftig solle Dutschke zwar weiterhin im SDS als einer der Aktivsten mitarbeiten, allerdings solle der Personenkult um Dutschke nicht fortgesetzt werden, denn »[d]er Personenkult um Rudi Dutschke – das war ein Bestandteil des Studentenverbandes, der nicht wußte, wie er sich nach außen artikulieren sollte.«636 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wiederum bewirkten die Person Rudi Dutschke und der Personenkult um ihn auch Ängste vor einem neuen Führer der Linken. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) konzentrierte sich in Dutschke »alles, was an den Berliner Vorfällen etwas von 631 Es queent; in: Der Spiegel Nr. 22/1965 vom 26. 5. 1965, S. 17. 632 Es queent. 633 Zit. nach: Die Deutschen aus Misstrauen zum Narren gehalten. Walter Lippmann über Erhards Reise nach Amerika; in: Der Spiegel Nr. 51/1965 vom 15. 12. 1965, S. 32. 634 Vgl. Strauß: Das Genfer Schelmen-Spiel. 635 Rechts ab zum Vaterland vom 15. 5. 1967, S. 89. 636 »Ohne uns wäre es viel schlimmer gekommen.« Spiegel-Gespräch mit den SDS-Vorsitzenden Karl Dietrich Wolff und Frank Wolff; in: Der Spiegel Nr. 17/1968 vom 22. 4. 1968, S. 36 – 43; hier : S. 43.

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einer antiparlamentarischen Bewegung hat: Demagogie, demokratische Urversammlung, Rätesystem.«637 Die »Berliner Zeitung« (BZ) merkte an, dass Dutschke seine eigenen Argumente in die Studenten hineinknete, wie ein Bäcker Rosinen in einen Teig.638 Der »Spiegel« konstatierte zwar, dass Dutschke ein ausgesprochen großes »Charisma« besitze und wie kein Anderer eine ausgesprochen große Wirkung auf die demonstrierenden Studenten habe, allerdings würden ihm Deutschlands Studenten nicht »auf dem Weg ins ferne Utopia folgen«.639 Stattdessen begrüßten sie, dass sich jemand für die Sache einsetze, zu der er stehe.640 Auch Dutschke selbst wehrte sich in der Zeitschrift »Konkret« gegen den Vorwurf, als charismatischer Führer die Massen bewegen zu wollen, da das entgegen seiner Weltanschauung wäre: »Die Übereinstimmung in der Reaktion der Presse auf das Attentat auf King, Kennedy und mich ist enthüllend. In der Vorstellung der Zuschauer und in den Denkkategorien der Illustratoren der Geschichte nimmt der charismatische Führer immer noch eine zentrale Stelle ein. Sie werden es aber lernen müssen, daß es uns im antiautoritären und sozialistischen Kampf nicht um einzelne ›begnadete‹ Gestalten geht.«641 Gerade durch die Osterunruhen 1968 nach dem Attentat auf Dutschke wurde im linken Wahrnehmungsmuster (wie auch im konservativen Wahrnehmungsmuster) die Angst artikuliert, dass sich die deutsche Bevölkerung von den Studenten verängstigen lasse und deshalb nach dem »starken Mann« rufen werde, der durch seine Autorität für Ruhe und Ordnung sorgen werde. Rudolf Augstein kritisierte die Brutalität zwischen Polizei und Studenten und sah die Gefahr eines neuen ›Faschismus‹ vor allem dann gegeben, »wenn zunehmende ›Unordnung‹ den Ruf nach dem starken Mann anschwellen läßt.«642 Für Augstein hatte die Große Koalition maßgeblichen Anteil an den Studentenunruhen, sodass er sich empört über eine mögliche zweite Legislaturperiode dieser Koalition äußerte.643 Auch nach den Osterunruhen 1968 wurden im linken Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem neuen Führer artikuliert, die nicht an eine bestimmte Person gebunden waren. Im Bundestagswahlkampf 1969 entwarfen Werbeexperten ein Wahlplakat für die SPD, das das Gesicht Adolf Hitlers in einem Nest zeigt und darauf hinweist, dass noch nichts ausgebrütet sei und noch einmal gewählt

637 Zit. nach: Der lange Marsch; in: Der Spiegel Nr. 51/1967 vom 11. 12. 1967, S. 52 – 66; hier : S. 53. 638 Vgl. nach: Der lange Marsch, S. 58. 639 Der lange Marsch, S. 53 und S. 66. 640 Vgl. Der lange Marsch, S. 66. 641 Zit. nach: Zitat; in: Der Spiegel Nr. 38/1968 vom 16. 9. 1968, S. 22. 642 Rudolf Augstein: Knüppel frei?; in: Der Spiegel Nr. 17/1968 vom 22. 4. 1968, S. 22. 643 Vgl. Augstein: Knüppel frei?

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werde.644 Allerdings wurde dieses Wahlplakat (wie insgesamt 417 Entwürfe) verworfen, auch weil die SPD keine unangenehme Vor- und Rückschau beim Wähler auslösen wollte.645 Die »Welt« beschwerte sich im Jahr 1972, dass der zu einem Gastvortrag in Israel eingeladene Prof. Erich Küchenhoff den Eindruck erweckt hätte, dass ein Medium wie die »Bild«-Zeitung in der Lage wäre, einen neuen Hitler in die Welt zu setzen.646 Nach dem Tod der inhaftierten RAFTerroristen forderte Günter Grass eine lückenlose Aufklärung der Selbstmorde. Sollte die Justizaffäre nicht lückenlos aufgeklärt werden und stattdessen in der Öffentlichkeit nur beiläufig behandelt werden, könne das desillusionierend auf die junge Generation wirken. Grass befürchtete, so Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann, dass sich dann »[d]iese schweigende Jugend […] als Zuläuferschaft für jeden Demagogen [anbiete], der geschickt genug ist, Marxismus und Umweltschutz, Antikernkraft-Wut und Haß auf ›die da oben‹ explosiv zusammenzufassen.«647 Anhand der Aussage von Günter Grass erkennt man, wie nah die Ängste des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters zusammenlagen. Häufig unterschieden sie sich lediglich anhand der Lösungsstrategien, die verlangt wurden, um die Gefahr eines »starken Mannes« zu bannen, wie beispielsweise das Ende der Großen Koalition oder die lückenlose Aufklärung der Justizaffäre von Stammheim. Eine Verwischung der Grenzen zwischen beiden Wahrnehmungsmustern zeigte sich auch noch 1983. Der Bundesverfassungsrichter Helmut Simon äußerte sich im September 1983 zwar negativ über die Stationierung von Massenvernichtungswaffen, er warnte aber davor, dass Demonstranten ein Widerstandsrecht für sich in Anspruch nehmen und gewaltsam die Ausführung der Stationierung behindern könnten, da das »auch verhängnisvolle Auswirkungen [hätte] bis hin zum Ruf nach dem starken Mann, der Ruhe und Ordnung schafft.«648 Auch im Ausland existierten Ängste vor den Wünschen der Deutschen nach einem »starken Mann«. Die Fernsehserie »Ein Herz und eine Seele« löste im Jahr 1974 eben diese Ängste aus. Der satirisch überzeichnete Protagonist Alfred Tetzlaff, gespielt von Heinz Schubert, äußerte nationale Vorurteile und symbolisierte die deutsche Spießigkeit. Interessant ist, dass diese Serie in abgewandelter Form auch im Ausland gedreht wurde, dass aber nur die deutsche 644 Abb. nach: Herbert Wehner zog an seiner Pfeife; in: Der Spiegel Nr. 6/1969 vom 3. 2. 1969, S. 18. 645 Vgl. Herbert Wehner zog an seiner Pfeife. 646 Vgl. nach: Unter Deutschen; in: Der Spiegel Nr. 43/1972 vom 16. 10. 1972, S. 18. 647 Jürgen Leinemann: »Dieser wabernde deutsche Idealismus.« Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann bei »Nestbeschmutzer« Günter Grass; in: Der Spiegel Nr. 51/1977 vom 12. 12. 1977, S. 105 – 108; hier : S. 108. 648 »Da ist ein Nerv getroffen worden.« Bundesverfassungsrichter Helmut Simon über Grundgesetz und Nachrüstung; in: Der Spiegel Nr. 38/1983 vom 19. 9. 1983, S. 34 – 49; hier : S. 45.

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Serie Ängste vor den Rufen nach einem »starken Mann« hervorrief. Der »Spiegel« konstatierte, dass die Äußerungen von Alfred Tetzlaff in Deutschland »an eine Vergangenheit [rühren], die zwar nun nicht mehr die jüngste ist, aber im In- und Ausland noch immer als latent deutsche Gefahr gilt.«649 In der Begeisterung für Alfred Tetzlaff sähen Teile des Auslandes deshalb eine Gefahr : »In diesem erfundenen Alfred witterte der britische ›Guardian‹ alsbald eine Art neuen Führer, die ›Herald Tribune‹ zitierte eine Nürnberger Stimme, die Alfreds vertraute, lang entbehrte Töne rühmte, die ›New York Times‹ sieht einen ›Heinz — la Hitler‹ aufkommen, und der ›Daily Mirror‹ befürchtete eine ›neue Welle von deutschem Antisemitismus‹.«650 Ob die als Parodie gedachte Fernseh-Serie nicht doch gegenteilig wirken könnte und Alfred Tetzlaff vielen Deutschen aus dem Herzen sprechen würde, war eine Angst, die sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster geteilt wurde. Der »Spiegel« machte sich über Tetzlaff lustig, da dieser als Vorbild lächerlich und ein »Pantoffel-Scheusal [sei], das nur zu Hause die große Klappe riskiert.«651 Deshalb wirke es auch skurril, wenn der englische Ur-Autor Johnny Speight die Absetzung der deutschen Serie verlange, da die Deutschen Alfred Tetzlaff zu ernst nehmen würden.652 Der »Spiegel« hoffte, dass der deutsche Drehbuchautor der Serie, Wolfgang Menge, mit seiner Aussage Recht behalten würde: »Die Leute könnten durchschauen, daß Boenisch [Peter Bönisch, der Chefredakteur der »Bild am Sonntag«, C.S.] in der ›BamS‹ so schreibt, wie Alfred spricht.«653 Die Angst des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem »starken Mann« Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem »starken Mann« zeigten große Ähnlichkeiten mit denen des linken Wahrnehmungsmusters. Bei einem vermuteten Nicht-Funktionieren der Demokratie kam die Angst auf, die bundesdeutsche Bevölkerung könne sich so sehr nach Ruhe und Ordnung sehnen, dass ihnen demokratische Strukturen weniger wichtig erschienen, weshalb sie auch die totalitäre Herrschaft eines »starken Mannes« akzeptieren würden. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Wahrnehmungsmustern lag in den Lösungsstrategien, die verfolgt werden sollten, um das Funktionieren der Demokratie wieder herzustellen. So weckten die Ausschreitungen während der Studentenunruhen auch im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste davor, dass die bundesdeutschen 649 650 651 652 653

Meckert für Deutschland; in: Der Spiegel Nr. 12/1974 vom 18. 3. 1974, S. 54 – 68; hier: S. 65. Meckert für Deutschland, S. 54. Meckert für Deutschland, S. 68. Vgl. Meckert für Deutschland, S. 68. Zit. nach: Meckert für Deutschland, S. 68.

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Bürger verschreckt nach einem »starken Mann« rufen werden, allerdings wurde als Lösungsstrategie – anders als im linken Wahrnehmungsmuster – mehr staatliche Autorität gefordert, damit die »Mehrheit […] davon abgehalten werde, nach dem starken Mann von ganz rechts zu verlangen.«654 Otto B. Roegele forderte ebenfalls mehr Autorität des Staates im Umgang mit der Studentenbewegung, denn »[d]ie Mehrheit unseres Volkes, die in Frieden leben will, nachdem sie für das ›große Abenteuer‹ ihr Lehrgeld bezahlt hat, ist tief erschrocken über den unerwarteten Ausbruch irrationaler Kräfte, noch mehr über die Ratund Führungslosigkeit, die sich in den Taten und Unterlassungen der staatlichen Autoritäten kundgibt.«655 Für Roegele profitierten vor allem die Rechtsradikalen von den Ausschreitungen während der Studentenproteste, da Millionen von Bürgern sich nach dem »starken Mann« sehnten, »der mit dem Spuk Schluß machen soll.«656 Für Roegele könne man dieser Entwicklung nur zuvorkommen, wenn »die demokratisch gewählten Verantwortlichen beweisen, wie sie auch ohne starken Mann die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen wissen.«657 Nachdem die Wienand-Steiner-Affäre 1973 publik wurde, befürchtete Elimar Schubbe, dass die versuchte Vertuschung der Korruption, »wie ein schleichendes Gift das Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie« zerstören könne, und man die Rufe nach einem Ordnung und Sauberkeit versprechenden »starken Mann« dadurch erst recht provoziere.658 Brandt müsse sich deshalb klar positionieren und für Aufklärung sorgen. Für Schubbe war die Situation auch deshalb besonders gefährlich, da es »inzwischen zu viele – junge – Stimmbürger in diesem Lande [gebe], denen die bitteren Erfahrungen der älteren Generation mit einem solchen starken Mann fremd sind«.659 Schubbe sah also den Haupt-Sympathisantenkreis dieses »starken Mannes« bei denen, denen die Primärerfahrungen des Nationalsozialismus fehlten, womit er auch suggerierte, dass die Generation mit Primärerfahrung aus ihren Fehlern gelernt habe und deshalb nicht mehr anfällig für Sehnsüchte nach einem »starken Mann« sei. Bereits im Februar 1973 hatte sich Willy Schickling ähnlich über den Unterschiede zwischen den Generationen geäußert. Den Vorwurf der jüngeren Generation, dass die ältere Generation in der Weimarer Republik den Verführungskünsten Hitlers nicht entschieden genug Widerstand entgegen gebracht 654 Schreiber : »Da sind Dämonen am Werk«, S. 29. 655 Otto B. Roegele: Der Ruf nach dem starken Mann. Gefährliche Folgen der Straßenkrawalle; in: Rheinischer Merkur Nr. 8/1968 vom 23. 2. 1968, S. 1. 656 Roegele: Der Ruf nach dem starken Mann. 657 Roegele: Der Ruf nach dem starken Mann. 658 Elimar Schubbe: Zu viele Zufälle in Bonn. Die Situation erfordert ein klares Wort des Bundeskanzlers; in: Rheinischer Merkur Nr. 36/1973 vom 7. 9. 1973, S. 1. 659 Schubbe: Zu viele Zufälle in Bonn.

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habe, hielt er angesichts der damaligen wirtschaftlichen Situation für »reichlich pharisäerhaft«.660 Schickling fragte deshalb provokant: »Wie würden sich die verwöhnten, bereits aus geringfügigen Anlässen aufbegehrenden jungen Leute der siebziger Jahre verhalten, wenn sie vor einer solchen Situation stünden? Würden sie nicht jedem Scharlatan und jedem redegewaltigen Abenteurer nachlaufen, der ihnen – unter Berufung auf Karl Marx, Lenin, Mao oder wen auch immer – schleunigst Arbeit und Brot verspräche?«661 Auch in den 1980er Jahren existierten Ängste vor einem »starken Mann«. Der Zeithistoriker Karl Dietrich Bracher wandte sich Anfang 1982 im »Rheinischen Merkur« gegen die Postulierung eines Widerstandsrechts verschiedener Interessengruppen wie der Friedensbewegung, der Hausbesetzerbewegung und anderer Protestbewegungen oder linker Gruppierungen, da durch die Abnutzung des Widerstandsbegriffs und der Gleichsetzung mit dem Widerstand gegen diktatorische Regime eine Begriffsverwirrung entstehe. Bracher erinnerte an die deutsche Vergangenheit, denn »[s]chon einmal konnte eine Demokratie in Deutschland mit falschen Parolen und fanatischen Ideologien ruiniert werden, weil politischer Wirklichkeitssinn allzu gering ausgebildet war.«662 Deshalb müsse besonders auf politische Begriffe geachtet und einer falscher Verwendung entgegengetreten werden. Politischer Widerstand sei nur dort legitimiert, wo es keine legale Opposition gebe und die Prinzipien des Rechtsstaates nicht gälten, »Widerstand aber (wo er am leichtesten ist) gegen die freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie ist letztlich nichts anderes als antidemokratische Wegbereitung für künftige Diktatoren. Darin besteht nicht zuletzt auch die Lektion von Weimar – und das Vermächtnis des Widerstands gegen Hitler«.663 Im Bundestagswahlkampf 1983 warnte die Junge Union Hildesheim auf einem Flugblatt vor einem Wahlerfolg einer rot-grünen Regierung, wodurch die Arbeitslosenzahlen steigen würden: »Wenn dann etwa nach einem rot-grünen Wahlerfolg, mit verheerenden planbürokratischen Eingriffen in die Wirtschaft Zahl und Elend der Arbeitslosen weiter steigen, wenn dann ein dämonisch wirksamer Demagoge aus der rot-grünen Glut heraussteigt, ist dann wirklich keine Wiederholung des 30. Januar 1933 zu befürchten? Wohl nicht umsonst ergeben rot und grün auf der Mischpalette braun.«664 Ende 1983 hielt es Gerhard Noller zwar für ein Wesensmerkmal einer funktionierenden Demokratie, dass Wort und Tat voneinander getrennt und dass 660 Willi Schickling: Weimars Schicksal für Bonn? Die Wirtschaftskrisen der ersten deutschen Republik; in: Rheinischer Merkur Nr. 7/1973 vom 16. 2. 1973, S. 10. 661 Schickling: Weimars Schicksal für Bonn? 662 Karl Dietrich Bracher : Verwirrung um Widerstand. Gefahren einer falschen Frontstellung; in: Rheinischer Merkur Nr. 2/1982 vom 8. 1. 1982, S. 2. 663 Bracher : Verwirrung um Widerstand. 664 Zit. nach: Zitate; in: Der Spiegel Nr. 4/1983 vom 24. 1. 1983, S. 13.

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politische Entscheidungen durch langfristige Diskussions- und Entscheidungsprozesse bestimmt seien, er warnte aber auch davor, dass Wort und Tat nicht zu weit auseinander liegen dürften, wodurch politische Entscheidungen deshalb nicht durchgeführt werden könnten, denn, »[e]ine zu große Kluft zwischen Wort und Tat könnte sonst zu einer neuen Sehnsucht nach der totalen Übereinstimmung von Wort und Tat führen, nach dem starken Mann, der wie Napoleon sagt: ›Ich befehle, oder ich schweige.‹«665 Ende 1984 kritisierte Jürgen Wahl zwar die hohen Parteispenden aus der Wirtschaft an Politiker in der sogenannten »Flick-Affäre«, warnte aber gleichzeitig vor zu großer Polemik, vor allem gegen Rainer Barzel: »In der Stimmung, die jetzt verantwortungslose Agitatoren aufheizen, gedeiht die Ablehnung der Demokratie, rufen die Kleinbürger nach dem starken Mann, der säubert und Köpfe rollen läßt.«666

3.2.4 Zwischenfazit zum Szenario eines neuen Führers

Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor Franz Josef Strauß waren die im Untersuchungszeitraum wahrscheinlich am längsten und konstantesten artikulierte Angst vor dem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie. Um auf die Gefährlichkeit von Strauß aufmerksam zu machen, verwendete man dabei im linken Wahrnehmungsmuster im Wesentlichen drei Beschreibungsebenen: erstens optische Eigenschaften von Strauß, zweitens seine Vortrags- und Redeweise, auch im Umgang mit seiner Anhängerschaft, und drittens charakterliche Beschreibungen. In allen drei Beschreibungsebenen spielten Vergleiche zur Zeit von 1918 bis 1945, besonders aber zu Adolf Hitler eine herausragende Rolle, die automatisch die Gefährlichkeit von Strauß suggerierten. Die optischen Beschreibungen charakterisierten Strauß stets als sehr stark und bullig. Interessant ist hierbei, dass dieselben optischen Beschreibungen im konservativen Wahrnehmungsmuster auch dafür verwendet wurden, um Sympathien für Strauß zu erzeugen. Bei den Beschreibungen seiner Ausdrucks- und Vortragsweise und des Umgangs mit seiner Anhängerschaft fällt auf, dass die große Emotionalität im linken Wahrnehmungsmuster große Ängste vor Strauß hervorrief. Diese hohe Emotionalität wurde auf der Schwelle zur Aggressivität empfunden, was als Widerspruch zu demokratischen Gepflogenheiten aufgefasst wurde. Auch die Zuhörerschaft von Strauß wurde im linken Wahrneh665 Gerhard Noller : Die Sintflut der leeren Worte. Wie eine Demokratie zu handeln unfähig werden kann; in: Rheinischer Merkur Nr. 43/1983 vom 28. 10. 1983, S. 8. 666 Jürgen Wahl: Schlechter Stil nährt immer neuen Argwohn; in: Rheinischer Merkur Nr. 43/ 1984 vom 26. 10. 1984, S. 3.

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mungsmuster so beschrieben, als ob sie von dieser großen Emotionalität ergriffen sei. Generell wurde die Anhängerschaft Strauß’ zwar als passiv, dafür aber als eine ekstatisch auf Strauß fixierte Gefolgschaft beschrieben, die durch starken Alkoholkonsum die aggressive Ausdrucksweise von Strauß befürwortete und sogar verlangte und dass deshalb die Gefahr bestehe, dass die passive Aggressivität in aktive Aggressivität umschlage. Beschriebene Charaktereigenschaften von Strauß, die beängstigend wirkten, da er diese zur Beseitigung der bundesdeutschen Demokratie einsetzen könne, waren Strauß’ hohe Intelligenz, seine Tatkraft, seine Illoyalität und Hinterlistigkeit politischen Freunden gegenüber, seine Machtbesessenheit und der Umgang mit seinen politischen Gegnern. Durch die vermutete Machtbesessenheit, wirkten Charaktereigenschaften wie Intelligenz und Tatkraft, die sonst bei Politikern geschätzt wurden, im linken Wahrnehmungsmuster beängstigend, da man annahm, dass Strauß seinen persönlichen Machtanspruch über demokratische Regeln stellen würde. Diese drei Beschreibungsebenen zusammen bewirkten, dass Strauß als Demagoge empfunden wurde, der für seine politischen Ziele die bundesdeutsche Demokratie opfern würde. Im Bundestagswahlkampf 1980 fanden die drei Beschreibungsebenen weiterhin Verwendung, um auf die Gefährlichkeit einer Kanzlerschaft von Franz Josef Strauß aufmerksam zu machen. Der große Mobilisierungsgrad von StraußGegnern und die häufige Thematisierung einer Gefahr durch Strauß ist nur dann begreiflich, wenn berücksichtigt wird, dass Strauß schon Jahre lang vorher als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie angesehen wurde und die Bundestagswahl 1980 deshalb im linken Wahrnehmungsmuster als eine Art Schicksalsfrage der bundesdeutschen Demokratie empfunden wurde. Auch im Bundestagswahlkampf 1980 galt Strauß’ hohe Intelligenz, seine angebliche Machtbesessenheit und vor allem sein Umgang mit und seine Bezeichnungen von politischen Gegnern als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie. Dabei bezog man sich immer wieder auf Strauß’ APO-Tiervergleich von 1969, der im Diskurs eine größere Rolle einnahm als beispielsweise Strauß’ Aktivitäten während der »Spiegel«-Affäre. Weiterhin befürchtete man im linken Wahrnehmungsmuster, dass die von Strauß ausgehende Gefahr verkannt werde und es Strauß gelingen würde, sich selbst zu »maskieren«. Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde weitgehend keine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch Strauß gesehen. Es gab aber auch Akteure, die eigentlich eher dem konservativen Wahrnehmungsmuster zuzuordnen waren, und dennoch die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor Strauß teilten. Eine leicht veränderte Gefahrenbeschreibung zeigte sich in Bezug auf die Verwendung von historischen Bezügen zur Zeit des Nationalsozialismus. Während man in den 1960er und frühen 1970er Jahren Strauß oft sehr direkt mit Hitler verglich und gleichsetzte, waren die Vergleiche zwischen Strauß und

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Hitler spätestens im Bundestagswahlkampf eher indirekter. So wurde im linken Wahrnehmungsmuster selbst hinterfragt, warum durch Strauß im linken Wahrnehmungsmuster sooft Assoziationen zu Hitler geweckt werden. Diese wurden dann vor allem mit seiner Weltanschauung, seinem Machtstreben und seinem Umgang mit politischen Gegnern begründet. Andererseits wurden diese Assoziationen aber auch häufig als ein nicht näher zu begründendes Gefühl beschrieben, was als beispielhaft für die gewandelte Gefühlskultur der 1980er Jahre anzusehen ist. Ein anderer Vergleichsrahmen zu Hitler fand bei der Angst vor Willy Brandt Verwendung. Während bei Strauß Vergleiche zu Hitlers Weltanschauung und dessen Machtbesessenheit gezogen wurden, wurden beim Bedrohungsszenario Willy Brandt Vergleiche zu Hitlers charismatischer Ausstrahlung gezogen. Diese charismatische Ausstrahlung verdecke Brandts wirklichen Ziele, die er mithilfe anderer Akteure, die im Hintergrund arbeiten, erreichen möchte, speziell mit Hilfe der Parteilinken bzw. der Jusos. Hierbei wurde Brandt im konservativen Wahrnehmungsmuster auch weniger als machtbesessener Demagoge, sondern als geschickter Regent beschrieben. Besondere Ängste löste dabei die als Personenkult empfundene Fixierung auf Willy Brandt seit dessen Kanzlerschaft aus, besonders während des Misstrauensvotums und des Bundestagswahlkampfes 1972. Brandt nahm aber dennoch – anders als bei den Ängsten vor Strauß – eine eher passive Rolle ein. Brandt verdecke durch seine Ausstrahlungskraft wichtige Sachfragen, die die Parteilinken bzw. die Jusos nach ihren Zielsetzungen für sich entscheiden würden – allerdings im gegenseitigen Einvernehmen mit und unterstützt durch Brandt. Dieses Bild von Brandt im konservativen Wahrnehmungsmuster war auch ausschlaggebend dafür, warum Ängste vor Brandts Politik nicht nur im Szenario eines Führers, sondern umso mehr im Szenario eines anonymen Machtapparats aufkamen. Ähnlichkeiten zu den Ängsten vor Strauß lassen sich aber in der durch Brandt ausgelösten Emotionalität der Politik erkennen, die entgegen demokratischen Gepflogenheiten zu existieren schien. Die Emotionalität wurde auch im konservativen Wahrnehmungsmuster als gefährlich eingeschätzt, da Brandt für sich einen politischen und moralischen Alleinvertretungsanspruch postuliere, der entgegen demokratischen Regeln zu einem Totalitätsanspruch anwachse. Dieser Totalitätsanspruch zeige sich auch im Umgang mit politischen Gegnern Brandts, da Brandt hierbei eher Emotionen anspreche, als Sachfragen zu diskutieren. Das wiederum führte im konservativen Wahrnehmungsmuster zu der Befürchtung, dass die Anhängerschaft Brandts jegliche Kritik an Brandts Politik nicht an ihn richte, sondern andere dafür verantwortlich mache, da Brandt aufgrund seiner Glorifizierung nicht zur Verantwortung gezogen werde, geschweige denn, dass davon ausgegangen werde, dass Brandt einen Anteil an negativen Entwicklungen habe.

Der Sieg eines neuen Führers

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Dass eine zu große Emotionalität sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster als gefährlich galt, lässt sich dadurch erklären, dass diese große Emotionalität in beiden Wahrnehmungsmustern als widersprüchlich zum demokratischen Ablauf angesehen wurde. Idealerweise sollten in einer Demokratie vorrangig rationale Gründe ausschlaggebend für Entscheidungen sein, sodass sich die besseren Argumente durchsetzen können. Der Möglichkeit, dass die Demokratie bzw. die Politik aber gerade deshalb als langweilig empfunden werden könne, war man sich aber in beiden Wahrnehmungsmustern bewusst. Deshalb galt es auch als gefährlich, wenn übertriebene Emotionalität Eingang in den demokratischen Ablauf bekomme, da diese dann für die große Masse der Bevölkerung anziehend wirken könne und rationale Argumente keine Beachtung mehr fänden. In beiden Wahrnehmungsmustern vertrat man also die Ansicht, dass die große Masse der Bevölkerung weniger nach rationalen Argumenten, sondern nach irrationalen Emotionen handeln würde. Mit dieser Grundannahme implizierte sich auch eine Kritik an der Demokratiefähigkeit der bundesdeutschen Bevölkerung. Da im konservativen Wahrnehmungsmuster eher die charismatische Ausstrahlung Brandts und nicht eine vermutete Machtbesessenheit Ängste vor einem neuen Führer weckte, wurden die Ängste auch noch nach Brandts Kanzlerschaft in geringerem Ausmaß artikuliert, obwohl sein politischer Einfluss als Parteivorsitzender der SPD geringer war als der als Bundeskanzler. Es wurde aber befürchtet, dass Brandt seine Jugendziele verwirklichen wolle und mit Hilfe der Jusos, der vereinigten Marxisten oder einer Volksfront eine sozialistische Umgestaltung Westeuropas durchführen wolle. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde diese Gefahr weitgehend bestritten. Es gab aber auch Akteure, die eigentlich eher dem linken Wahrnehmungsmuster zugehörig waren, aber dennoch diese Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters teilten. Ängste vor Brandt als charismatischem Führer wurden dagegen im linken Wahrnehmungsmuster nicht geteilt. Als drittes größeres Untergangsszenario eines neuen Führers konnten die Ängste vor einem neuen »starken Mann« herausgearbeitet werden. Auffällig ist, dass sich die Ängste im linken und konservativen Wahrnehmungsmuster meist lediglich in den Lösungsstrategien, kaum aber in der Gefahrenbeschreibung unterschieden. Die Ängste vor einem »starken Mann« kamen meist auf, wenn angenommen wurde, dass der demokratische Ablauf gefährdet sei, und deshalb in der Bevölkerung Rufe nach einem »starken Mann« aufkommen würden, der für Ruhe und Ordnung sorgen solle. Auch diese Ängste implizierten also, dass sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster die Angst herrschte, dass die bundesdeutsche Demokratie in der Bevölkerung nicht wirklich angesehen sei und nur solange akzeptiert werde, wie sie reibungslos funktioniere. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde deshalb beispielsweise als

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Lösungsstrategie vorgeschlagen, die Demokratie durch größere Partizipation der Bürger zu modifizieren, im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde vorgeschlagen, die staatliche Ordnung durch stärkere Autorität zu stabilisieren. Bei den Ängsten vor einem »starken Mann« lässt sich auch ein Unterschied zwischen Akteuren mit und ohne Primärerfahrung der nationalsozialistischen Vergangenheit erkennen. Manche Akteure, die Primärerfahrung besaßen, waren der Meinung, aus ihren Fehlern gelernt zu haben und befürchteten deshalb, dass nur die jüngere Generation anfällig für die Rufe nach einem »starken Mann« sei.

3.3

Die absolute Kontrolle der Gesellschaft durch einen anonymen Machtapparat

Die Angst, dass die bundesdeutsche Demokratie zerstört werden könnte, wurde am häufigsten anhand des Szenarios eines anonymen Machtapparats (1187 Thematisierungen) und dabei fast doppelt so häufig im konservativen Wahrnehmungsmuster wie im linken Wahrnehmungsmuster artikuliert (827 versus 431). Trotz der großen Anzahl der thematisierten Ängste vor einem anonymen Machtapparat soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, die verschiedenen Ängste zu ordnen und zu systematisieren. Hierbei werden die Ängste überwiegend in den Hauptthematisierungsphasen untersucht. Deshalb soll zuerst untersucht werden, welche Ängste vor dem Untergang der bundesdeutschen Demokratie in den letzten Regierungsjahren Erhards und während der Großen Koalition (1966 – 1969) sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster vorherrschten. Anschließend sollen die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters untersucht werden, die vereinzelt schon während der Großen Koalition existierten, dann aber durch Brandts Vorstellungen einer umfassenden Demokratisierung verstärkt wurden. Abschließend werden die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem Überwachungsstaat untersucht.

3.3.1 Ängste vor einem anonymen Machtapparat in den 1960er Jahren Die Ängste vor der Notstandsgesetzgebung als Ausdruck eines Krisengefühls der 1960er Jahre Die Ängste vor der Notstandsgesetzgebung fanden in der Forschungslandschaft bereits mehr Aufmerksamkeit. An dieser Stelle der Arbeit soll deshalb nicht gesondert auf diese Forschungsergebnisse eingegangen, sondern der Versuch unternommen werden, die Ängste vor der Notstandsgesetzgebung in einem

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weitläufigen Kontext zu betrachten, nämlich als Ausdruck eines Krisenempfindens im linken Wahrnehmungsmuster in den 1960er Jahren, dessen Pendant im konservativen Wahrnehmungsmuster anhand der Ängste vor der Außerparlamentarischen Opposition bzw. in der Notwendigkeit eines mehrheitsbildendenden Wahlrechts zu sehen ist. In den letzten Regierungsjahren von Ludwig Erhard machte sich sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster ein Krisengefühl breit, bei dem auch die Angst formuliert wurde, dass die bundesdeutsche Demokratie nach einer 20-jährigen »Schönwetter-Periode« nun an ihre Grenzen gestoßen sei. Gerade die Bildung einer Großen Koalition und die geplanten verfassungsändernden Reformen wurden im linken Wahrnehmungsmuster als Gefahr, im konservativen Wahrnehmungsmuster als Chance für die bundesdeutsche Demokratie begriffen. Hierbei wurde schon eine Dichotomie zwischen beiden Wahrnehmungsmustern erkennbar, die sich über den gesamten Untersuchungszeitraum auch bei einigen Debatten im Szenario eines anonymen Machtapparats beobachten lässt. Während in dem einen Wahrnehmungsmuster eine bestimmte Maßnahme als existenziell für die Stabilität der bundesdeutschen Demokratie angesehen wurde, wurde in dem anderen Wahrnehmungsmuster gerade diese Maßnahme als massive Gefahr für die Demokratie empfunden. Deshalb wird an dieser Stelle nicht nur untersucht, inwiefern beispielsweise die geplante Notstandsgesetzgebung Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie auslöste, sondern ebenfalls, inwiefern im konservativen Wahrnehmungsmuster ein mögliches Scheitern der bundesdeutschen Demokratie artikuliert wurde, wenn es nicht zur Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung käme und welche Bedeutung jeweils den spezifischen Interpretationen der deutschen Geschichte von 1918 – 1945 zukommt. Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor der Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung Die geplante Notstandsgesetzgebung weckte schon vor dem Beginn des Untersuchungszeitraums Ängste um die bundesdeutsche Demokratie667, der Höhepunkt der Debatten zeigte sich aber ab 1965, weshalb in dieser Untersuchung nicht auf frühere Ängste eingegangen werden soll. Anzumerken sei hier allerdings, da sich nicht zuletzt durch die Artikulation verschiedener Ängste der spätere Gesetzesentwurf deutlich von dem ersten unterschied, sodass ein möglicher gesetzlicher Notstand nicht wie ursprünglich formuliert zur »Stunde der Exekutive«, sondern zur »Stunde des Parlaments« werden würde. Im Mai 1965 berichtete der »Spiegel« über verschiedene Änderungsvor667 Vgl. als grober Überblick dazu: Kraushaar : Furcht, S. 135 – 138.

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Das künftige Scheitern der bundesdeutschen Demokratie

schläge der SPD für die geplante Notstandsgesetzgebung, bei denen vor allem die Rechte des Parlaments im Notfall gestärkt werden sollten.668 In diesem Artikel wurde aber auch von einem Appell von 215 Hochschullehrern um den Darmstädter Politologie-Professor Eugen Kogon an den Deutschen Gewerkschaftsbund berichtet, in dem der DGB aufgefordert wurde, gegen die geplante Notstandsgesetzgebung einzutreten, denn »[a]lle Ausnahmegesetze sind der Tod der Demokratie«.669 Im April 1966 erschien im »Spiegel« eine Titelstory von Rudolf Augstein zum Thema »Notstand«. Augstein wollte der derzeitigen Regierung nicht unterstellen, dass diese die Notstandsgesetze missbrauchen würde, er warnte aber vor dem Fall einer innen- und außenpolitischen Krise: »Nur eine Mehrheit von Bundestag und Bundesrat gegen die Bundesregierung, eine Mehrheit, die aus technischen und psychologischen Gründen wohl nie zustande kommen könnte, würde den vorweggenommenen Kriegsmaßnahmen, würde der totalen Mobilisierung — la Ludendorff in den Arm fallen können.«670 Andererseits lehnte Augstein eine Notstandsgesetzgebung nicht generell ab, stellte aber bestimmte Minimal-Anforderungen an diese, wobei er die Rechte des Bundestages und auch des Bundesrates im Falle eines Notfalls stärken wollte. So forderte Augstein, dass der Notstand nur mit 2/3-Mehrheit vom Bundestag bzw. vom Notparlament beschlossen werden könne, dass sämtliche Rechtsordnungen automatisch nach sechs Monaten wieder erlöschen sollten, wenn sie nicht erneut mit 2/3-Mehrheit vom Bundestag und einfacher Mehrheit vom Bundesrat bestätigt werden und dass sowohl Bundestag als auch Bundesrat jederzeit mit einfacher Mehrheit den Notstand beenden könnten.671 Die Angst, dass die Legislative im Falle eines Notstandes übergangen werden könnte und stattdessen eine Diktatur errichtet werden würde, war eine häufig artikulierte Angst. Karl Jaspers warnte in seinem berühmten zeitgenössischen Buch »Wohin treibt die Bundesrepublik« – das in Auszügen auch im »Spiegel« in einem Vorabdruck publiziert wurde – davor, dass die Notstandsgesetze zur Errichtung einer totalitären Diktatur missbraucht werden könnten und erinnerte dabei an den Nationalsozialismus: »Wie Hitler zur Erkenntnis kam, in Deutschland könne er nur auf dem Wege der Legalität zur Macht gelangen, mit der er, nachdem sie gewonnen war, alle Legalität aufhob, so würde die Diktatur mit Hilfe der Not-

668 So soll beispielsweise der Notstand vom Parlament nur mit 2/3-Mehrheit festgestellt werden können und das Notparlament, nicht die Bundesregierung, soll im Notstand Gesetze erlassen können: Vgl. Schlimmeres verhüten; in: Der Spiegel Nr. 19/1965 vom 5. 5. 1965, S. 28 ff.; hier : S. 28. 669 Zit. nach: Schlimmeres verhüten, S. 28. 670 Rudolf Augstein: Notstand – Das Ende aller Sicherheit? Gesetze zwischen Friedensordnung und Kriegsrecht; in: Der Spiegel Nr. 16/1966 vom 11. 4. 1966, S. 37 – 61; hier: S. 40. 671 Vgl. Augstein: Notstand – Das Ende aller Sicherheit?, S. 52.

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standsgesetze dasselbe tun.«672 Bedrückend fand Jaspers auch, dass durch die Notstandsgesetzgebung die Möglichkeit genommen werde, dass sich das Volk gegen das Militär richten könne, womit Volk und Politik wie im Jahr 1914 abhängig vom Militär sei.673 Jaspers erinnert auch daran, dass der Kapp-Putsch 1920 durch politischen Streik beendet wurde, während das Militär den Widerstand versagte.674 Für Jaspers könne ein Missbrauch der Notstandsgesetze für diktatorische Zwecke niemals ausgeschlossen werden, denn »in ihrem Prinzip liegt die Ausschließung der Kontrolle. Das Prinzip der totalen Gewalt kommt am Ende hinter allen Einschränkungen und Klauseln doch wieder zum Vorschein. Ohne dieses Prinzip sind diktatorische Vollmachten nicht möglich.«675 Aus den Erfahrungen mit Hitlers Ermächtigungsgesetz schloss Jaspers, dass sich das deutsche Volk den Machtmissbrauch von Regierungsseite her widerstandslos solange gefallen lassen werde, bis es merke, was bereits passiert sei.676 Jaspers erinnerte an die »Spiegel«-Affäre 1962 und fragte, ob die Verantwortlichen nicht etwa damals vorhandene Notstandsgesetze für ihre Zwecke eingesetzt hätten.677 Jaspers befürchtete außerdem, dass in der Bundesrepublik mit Hilfe der Notstandsgesetze eine Militärdiktatur errichtet werden könnte, die die »Parteienoligarchie« sichern würde, weshalb er die Notstandsgesetze nicht als »Ergänzung des Grundgesetzes«, sondern als »Legalisierung der Aufhebung der im Grundgesetz fixierten Grundrechte« bezeichnete.678 Jaspers ging sogar so weit, die Situation der Bundesrepublik mit der der 1920er Jahre vor Hitlers Machtergreifung zu vergleichen, wenn auch bedeutende Unterschiede vor allem im materiellen Wohlstand der Bevölkerung und in der Funktionsfähigkeit der Regierung erkennbar seien.679 Während damals der Umsturz zugunsten einer einzigen Partei bzw. eines Führers geschah, würde dieser nun zugunsten der Diktatur einer Parteienoligarchie erfolgen. Auch die Art des Umsturzes würde nicht wie damals zentral vom Nationalsozialismus gelenkt passieren, sondern als »kaum merklicher Wandel, nicht nach einem von einer Organisation oder auch nur von einem gemeinschaftlichen Bewußtsein vieler getragenen Plan. Übereinstimmend aber wäre die Verwandlung der Lebensverfassung aller zu einer militärischen. Man ist tätig in Befehl und Gehorsam. Das Ganze wird rational

672 Karl Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik?; in: Der Spiegel Nr. 18/1966 vom 25. 4. 1966, S. 101 – 110; hier: S. 110. 673 Vgl. Karl Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik?; in: Der Spiegel Nr. 19/1966 vom 2. 5. 1966, S. 85 – 100; hier : S. 88. 674 Vgl. Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 92. 675 Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 93. 676 Vgl. Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 93 f. 677 Vgl. Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 94. 678 Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 97. 679 Vgl. Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 99.

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geplant.«680 Jaspers zeigte sich entsetzt darüber, dass die Mehrzahl der Politiker wie 1933 nicht verstünde, welche tiefgreifende Veränderung mit der Notstandsgesetzgebung passiere und konstatierte, dass auch die Alliierten 1933 vergessen hätten, da diese bereit seien, ihre Eingriffsrechte im Falle eines Notstandes abzutreten.681 Die Befürchtung, dass die Notstandsgesetze eine Militärdiktatur errichten können, wurde auch von dem Physiker Max Born geteilt. In einem Brief an den IG-Metall-Vorsitzenden Otto Brenner bezeichnete er die Notstandsgesetze innenpolitisch gesehen als »ein Mittel, die noch schwache und unsichere deutsche Demokratie zu zerstören. Sie zielen auf Wiederaufrichtung eines Obrigkeitsstaates und richten sich gegen die Ansätze bürgerlicher Verantwortlichkeit, die sich gebildet haben.«682 Born konstatierte in diesem Brief an Brenner weiterhin, dass ihm die Erfahrung seines langen Lebens gezeigt habe, dass sein politisches Urteil nicht schlecht sei, was man aus seinen Briefwechseln mit Einstein erkennen könne, womit Born auf Hitlers Machtergreifung anspielte, weshalb er »in der Notstandsgesetzgebung die Vorstufe zur letzten Katastrophe Deutschlands – und vielleicht der Menschheit überhaupt [sah]; denn alle Völker sind ja Schicksalsgenossen, die einen schuldig, die anderen weniger.«683 Hans Magnus Enzensberger sah in der Nato-Übung »Fallex 66«, bei der erstmalig auch bundesdeutsche Politiker beteiligt waren, um gleichzeitig die Ausführung der Notstandsgesetze zu erproben, in Verbindung mit den geplanten Notstandsgesetzen die »Abschaffung der Demokratie« geprobt, kündigte aber an, dass sich die Demokratie rühren werde, da sie lang genug in der Defensive gewesen sei.684 Nach den gewaltsamen Ausschreitungen zum Besuch des Schahs in Berlin am 2. Juni 1967 verstärkte sich die Skepsis gegenüber der geplanten Notstandsgesetzgebung. Vor allem die Möglichkeit des Bundeswehreinsatzes im Inneren im Falle eines Notstandes weckte im linken Wahrnehmungsmuster die Befürchtung, dass diese Möglichkeit für einen Staatsstreich missbraucht werden könne.685 Im November 1967 erschien eine weitere Titelstory im »Spiegel« über die geplante Notstandsgesetzgebung, die mit einer Zitatzusammenstellung von Wilhelm II. beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges (»Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche«), von Adolf Hitler während der Sudetenkrise (»In 680 681 682 683 684

Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 99. Vgl. Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 100. Zit. nach: Die letzte Katastrophe; in: Der Spiegel Nr. 19/1966 vom 2. 5. 1966, S. 30. Zit. nach: Die letzte Katastrophe. Vgl. nach: Was da im Bunker sitzt, das schlottert ja. Hans Magnus Enzensberger auf dem Frankfurter Kongreß »Notstand der Demokratie«; in: Der Spiegel Nr. 46/1966 vom 7. 11. 1966, S. 78. 685 Vgl. Schuld des Schah; in: Der Spiegel Nr. 28/1967 vom 3. 7. 1967, S. 18 f.; hier : S. 19.

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dieser Stunde wird sich das ganze deutsche Volk mit mir verbinden«) und von Paul Lücke während der Notstands-Übung »Fallex 66« (»Die Stunde der Not ist die Stunde des ganzen Volkes«) begann und einen Zusammenhang zwischen allen drei Zitaten implizieren wollte.686 Der »Spiegel« zitierte die Notstandsgegner Joachim Fest und Helmut Ridder, dass die Notstandsgesetze eine existenzielle Entscheidung seien, da sie massiv die demokratische Ordnung gefährdeten und konstatierte, dass noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ein Gesetzesentwurf quer durch soziale und politische Gruppierungen einen solchen Widerstand erfahren habe, wenn auch vorwiegend außerhalb des Bundestags.687 Die Ängste, die die Notstandsgesetze hervorriefen, resultierten nicht aus der Angst, dass die gegenwärtige Regierung die Machtbefugnisse (wie Ausschaltung des Parlaments oder Einsatz der Bundeswehr gegen politische Streiks) missbrauche, sondern daher, dass diese zukünftig missbraucht werden könnten. Der SPD-Jurist Adolf Arndt erinnerte an die Eigenwirkung eines jeden Gesetzes unabhängig von dessen Urhebern, und der Fernsehkommentator Joachim Fest verwies »vor der historischen Kulisse des Weimarer Notverordnungs-Debakels […] auf den ›Mangel an demokratischer Tradition‹ in Deutschland, ›der dazu führt, daß bei uns das gesetzlich Statthafte gern bis zur äußersten Grenze ausgeschöpft wird‹.«688 Rudolf Augstein erinnerte daran, dass die SPD mit Ausnahme von Karl Liebknecht 1914 den Kriegskrediten und im Mai 1933 der Außenpolitik Hitlers zugestimmt habe, obwohl absehbar gewesen sei, dass diese zum Krieg führe.689 Eine große Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch die Notstandsgesetze sah Augstein darin, dass eine einfache Mehrheit und keine 2/3-Mehrheit des Bundestages für die Verabschiedung von Notstandsmaßnahmen ausreichend sei: »Das System, in Krisenzeiten eine Diktatur der Parlamentsmehrheit zu errichten, ist lückenlos und perfekt.«690 Deshalb forderte er die Abgeordneten der SPD und FDP auf, zu »verhindern, daß aus dem kaum glaublichen Vorhaben unwiderruflich Gesetz wird. Gewarnt, wieder einmal, sind sie, diesmal rechtzeitig.«691 In dem Artikel von Augstein ist auch eine Karikatur aus der »Frankfurter Rundschau« abgebildet, die verdeutlicht, inwiefern anonyme, nicht erkennbare Mächte mit Hilfe der Notstandsgesetzgebung die Demokratie beseitigen.692 In dieser Karikatur greift eine Hand aus einer Schreibtischschublade mit 686 687 688 689

Bachab schicken; in: Der Spiegel Nr. 46/1967 vom 6. 11. 1967, S. 33 – 52; hier: S. 33. Vgl. Bachab schicken, S. 36 ff. Bachab schicken, S. 47. Vgl. Rudolf Augstein: Notstand durch Gesetz?; in: Der Spiegel Nr. 46/1967 vom 6. 11. 1967, S. 54 – 65; hier : S. 58. 690 Augstein: Notstand durch Gesetz, S. 65. 691 Augstein: Notstand durch Gesetz, S. 65. 692 Abb. nach: Augstein: Notstand durch Gesetz, S. 58.

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der Beschriftung »Notstandsgesetze« nach einer Frau, auf deren Bauch »Demokratie« steht und erwürgt sie. Ersichtlich ist lediglich, dass der Schreibtisch dem Bundesinnenminister Paul Lücke gehört, nicht aber, wessen Hand die Ermordung ausübt. Am 9. November 1967 begann nach amerikanischem Vorbild erstmalig in der bundesdeutschen Geschichte eine öffentliche Anhörung von Experten, die nicht dem Bundestag angehörig waren. In diesem »Hearing« äußerten sich bekannte Professoren zum Notstandsgesetz-Entwurf. Der Politologie-Professor Wolfgang Abendroth lehnte jede Änderung des Grundgesetzes ab, bezog sein Misstrauen aber »nicht auf das Parlament, sondern auf die politisch-sozialen Entwicklungstendenzen, die sich aus den Problemen unserer Vergangenheit ergeben, die eine bestimmte Mentalität mobilisieren könnten.«693 Der Staatsrechtler Helmut Ridder empfand die Möglichkeit eines Polizeieinsatzes der Streitkräfte als »Vorbereitung zum Bürgerkrieg« und fragte, ob es nicht an der Zeit sei, »sämtliche Notstandsentwürfe unverzüglich dem Mülleimer der Geschichte anzuvertrauen?«694 Zwei Tage vor der Verabschiedung der Notstandsgesetze äußerten sich 22 Wissenschaftler im Sendesaal des Hessischen Rundfunks kritisch über die geplante Notstandsgesetzgebung. Nachdem linke Akteure die Versammlung störten, unterbrach der Hessische Rundfunk die Übertragung. Redeauszüge wurden aber später im »Spiegel« abgedruckt. Helmut Ridder erneuerte seine Kritik an den Notstandsgesetzen und sah in ihnen »die undemokratische Schöpfung einer neuen Verfassung. Es handelt sich um die Vergewaltigung der verfassunggebenden Gewalt des Volkes«.695 Heinrich Böll sah es »schlecht um eine Demokratie bestellt, in der CDU für Regierung, Regierung für Staat, eine Partei also für den Staat genommen wird. In keiner anderen Demokratie der Welt gibt es solche Fehlidentifikationen.«696 Den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger erinnerte die Veranstaltung der Wissenschaftler an die Versammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848, da in dieser auch nur Advokaten, Schriftsteller und Professoren, nicht aber Arbeiter und Studenten anwesend gewesen seien.697 Enzensberger zitierte den damaligen Bundeskanzler Friedrich Wilhelm IV., dass gegen Demokraten nur Soldaten helfen würden und konstatierte daraufhin, dass dieses Zitat den Inhalt der Notstandsverfassung auf den Kern brächte. Für den wissenschaftlichen Assistenten Oskar Negt bestand die einzige 693 Zit. nach: Am Mülleimer der Geschichte. Deutsche Professoren beim Notstands-Hearing im Bundestag; in: Der Spiegel Nr. 47/1967 vom 13. 11. 1967, S. 31. 694 Zit. nach: Am Mülleimer der Geschichte. 695 Zit. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu.« Analyse und Kritik der Notstandsgesetze; in: Der Spiegel Nr. 24/1968 vom 10. 6. 1968, S. 30 – 34; hier : S. 30. 696 Zit. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 30. 697 Vgl. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 33.

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Möglichkeit, Widerstand gegen die »drohende Notstandsdiktatur« zu organisieren, im politischen Streik bis hin zum Generalstreik.698 Der IG-Metall Vorsitzende Otto Brenner kündigte bereits in einem »Spiegel«-Interview 1966 an, nach dem Vorbild des Generalstreiks während des Kapp-Putsches 1920 auch zu gewerkschaftlichen Mitteln zu greifen, um die Demokratie zu retten.699 Der Schriftsteller Rolf Hochhuth appellierte im Juni 1968 an Brenners Aussage, dann tatsächlich einen Generalstreik »auszulösen, wenn die Stunde kommt, in der nicht mehr ein Heinemann als Justizminister verhindern kann, was vielleicht ein Strauß auslösen will«.700 Rudolf Augstein hielt es für undenkbar, dass sich ein Generalstreik organisieren lasse, da viele Akteure des linken Wahrnehmungsmusters durch ihren »Illusions-Revolutionarismus« die Arbeiterschaft nicht für ihre Ziele gewinnen könne, sondern verschrecke.701 Hierbei spielte Augstein auch auf die Unruhen der Studentenbewegung und die damit verbundenen Ängste an (siehe Kapitel 3.1.2). Nachdem die Notstandsgesetze am 30. Mai 1968 mit 2/3-Mehreit im Deutschen Bundestag verabschiedet wurden, versuchte Willy Brandt die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters zu verringern und versprach im Bundestag, sich vehement gegen einen Missbrauch der Notstandsgesetze einzusetzen: »Wer einmal mit dem Notstand spielen sollte, um die Freiheit einzuschränken, wird meine Freunde und mich auf den Barrikaden finden, um die Demokratie zu verteidigen – und das ist ganz wörtlich gemeint.«702 »Kein neues 1933«. Bezüge des linken Wahrnehmungsmusters zur nationalsozialistischen Vergangenheit bei den Ängsten vor der Notstandsgesetzgebung Wie bereits deutlich wurde, bezogen sich die Gegner der Notstandsgesetzgebung in ihrer Argumentation häufig auf historische Vergleiche. Ein Vergleich, der häufig Verwendung fand, war der zum »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« vom 24. März 1933, dem sogenannten »Ermächtigungsgesetz«. Mit diesem Gesetz verlor der Weimarer Reichstag seine parlamentarischen Machtbefugnisse und die Reichsregierung wurde zur gesetzgebenden Gewalt. So wurde beispielsweise in dem bereits erwähnten Artikel aus der Jugendzeitschrift »Junge Presse« kaum ein Unterschied zwischen den Notstandsgesetzen und Hitlers 698 Zit. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 34. 699 Vgl. Generalstreik gegen die Notstandsgesetze? Spiegel-Interview mit dem Vorsitzenden der IG Metall, Otto Brenner ; in: Der Spiegel Nr. 21/1966 vom 16. 5. 1966, S. 30. 700 Zit. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 33. 701 Zit. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 34. 702 Zit. nach: Russisch Brot; in: Der Spiegel Nr. 23/1968 vom 3. 6. 1968, S. 26 f.; hier : S. 27.

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Ermächtigungsgesetz gesehen.703 Jedoch waren Bezüge zum Ermächtigungsgesetz nicht die einzigen Vergleiche zur deutschen Geschichte von 1918 – 1945. In einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten erinnerten 68 evangelische Geistliche an Hitlers Machtergreifung 1933, die nur durch die Anwendungen von Notverordnungen in den letzten Jahren der Weimarer Republik ermöglicht worden sei, »weil zuvor die verfassungsmäßige Grundlage des Weimarer Staates durch kontinuierliche Notstandspraxis ausgehöhlt worden war.«704 Die Geistlichen sahen durch die Notstandsgesetze eine Möglichkeit gegeben, eine obrigkeitsstaatliche Ordnung einzuführen und warnten davor, dass die Demokratie »nur zu bewahren [sei] durch die uneingeschränkte Geltung und Verwirklichung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.«705 Ähnliche Befürchtungen artikulierte auch der Politikwissenschaftler und Historiker Karl Dietrich Bracher im »Spiegel«. Auch für Bracher war die Praxis der Notverordnungen während der Weimarer Republik maßgebend für deren Scheitern verantwortlich: »In Weimar hat ein einziger Notstandsartikel (48) in der Hand autoritärer Politiker genügt, um das Parlament auszuschalten, die Parteien der Verantwortung für Regierung und Kontrolle zu entwöhnen, die Öffentlichkeit an bürokratisch-autoritäres Regieren zu gewöhnen und über ein NotverordnungsRegime die pseudo-legale Machtergreifung einer terroristischen Minderheit, die Zerstörung der Demokratie mit pseudo-demokratischen Mitteln zu ermöglichen.«706 Aus diesen historischen Erfahrungen werde »der perfektionistische Elan einer allumfassenden Notstandsgesetzgebung zur Gefahr für die Demokratie selbst, die sie zu schützen verkündet.«707 Für Bracher sei es gerade Aufgabe des Grundgesetzes, die Grundrechte uneingeschränkt zu garantieren, außerdem würden die vorhandenen Bestimmungen im Grundgesetz gegen antiparlamentarische Bewegungen ausreichen.708 Im linken Wahrnehmungsmuster wurden aber auch weitere Vergleiche zur deutschen Geschichte von 1918 – 1945 gezogen, um auf die Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie aufmerksam zu machen. So wurden die Notstandsgesetze beispielsweise als »NS-Gesetze« bezeichnet und es wurde dazu aufgefordert, »Kein neues 1933« zuzulassen.709 In München protestierten Notstandsgegner mit drastischen Mitteln, indem sie in SS-Uniformen Hitlers Marsch auf 703 Vgl. nach: Ernst Lothar : Steuergelder und »Junge Presse«. Staatliche Subvention für destruktive Propaganda; in: Rheinischer Merkur Nr. 52/1965 von Weihnachten 1965, S. 9 f.; hier : S. 10. 704 Kriegsrecht in Friedenszeiten; in: Der Spiegel Nr. 21/1966 vom 16. 5. 1966, S. 26. 705 Kriegsrecht in Friedenszeiten. 706 Karl Dietrich Bracher : Wird Bonn doch Weimar?; in: Der Spiegel Nr. 12/1967 vom 13. 2. 1967, S. 60 – 68; hier: S. 68. 707 Bracher : Wird Bonn doch Weimar, S. 68. 708 Vgl. Bracher : Wird Bonn doch Weimar, S. 68. 709 Vgl. nach: De Zuch kütt; in: Der Spiegel Nr. 21/1968 vom 20. 5. 1968, S. 27 ff.; hier : S. 28.

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die Münchener Feldherrnhalle von 1923 parodierten.710 In der bereits erwähnten Versammlung von 22 Wissenschaftlern kurz vor der Verabschiedung der Notstandsgesetze zog Helmut Ridder ebenfalls einen Vergleich zum Nationalsozialismus: »Die Perversion des Widerstandsrechts läuft auf die legalisierte Reprise der als Hilfspolizei eingesetzten SA des Jahres 1933 hinaus.«711 Auch Professor Walter Jens mahnte zur Lehre aus der Vergangenheit, indem er sich auf den ehemaligen Reichswehrminister Gustav Noske bezog, der als Sozialdemokrat im Januar 1919 das Militär gegen die Aufständigen einsetzte: »Mißtrauen also ist geboten, Mißtrauen … aber auch vor allem jenen gegenüber, die sich noch nicht einmal gegen die Verwendung der Bundeswehr im Grenzfall des inneren Notstands gewandt haben und hatten doch einen Noske, die Noskes, und haben doch gesehen, wohin das Bündnis zwischen Ebert und Hindenburg führte, und haben doch so oft gespürt auf ihrem langen Weg von Bebel bis Schmidt, wer am Ende die Zeche zahlte.«712 Zusammenhänge mit anderen Bedrohungsszenarien Die geplante Notstandsgesetzgebung löste zwar hauptsächlich Ängste vor einem anonymen Machtapparat aus, der die bundesdeutsche Demokratie zerstören werde, aber es wurden auch andere Ängste artikuliert. Eine Angst, die neben der eines anonymen Machtapparats artikuliert wurde, war die Befürchtung, dass die Notstandsgesetze einen drohenden Krieg mindestens erleichterten, wenn nicht sogar beförderten. Rudolf Augstein sah in der Kriegsvorbereitung durch die Notstandsgesetze sogar die Gefahr eines Krieges: »Diese perfekte Vorsorge, zu der das Parlament die Regierung ermächtigt hat, kann den Atomkrieg auslösen, wenn nur irgendwo nervenschwache Verantwortliche, wie 1914 der jüngere Moltke, oder Schwachköpfe wie ich-wüßte-schon-wer [Franz Josef Strauß, C.S.] im Amt sind.«713 Augstein verwies in seiner Argumentation auf die Kuba- und Berlin-Krisen und wollte die Argumentation des Bundesverteidigungsministers Kai-Uwe von Hassel widerlegen, der sagte, dass die beiden Krisen gezeigt hätten, wie nah man am Rande eines Krieges gewesen sei und dass der Umgang der Regierung mit einer Spannungszeit entscheidend über Krieg oder Frieden sei.714 Für Augstein war die historische Erfahrung eine andere: »Die Kuba-Krise, man erinnert sich, verlief ohne Panik und Nervosität, weil eben nicht 180000 Zivilschutzkorps-Angehörige und weitere 180000 Helfer einberufen wurden; weil 710 Vgl. nach: Geschlossene Gesellschaft; in: Der Spiegel Nr. 23/1968 vom 3. 6. 1968, S. 21 – 24; hier : S. 23. 711 Zit. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 31. 712 Zit. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 32. 713 Augstein: Notstand – Das Ende aller Sicherheit?, S. 43. 714 Vgl. nach: Augstein: Notstand – Das Ende aller Sicherheit?, S. 43.

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eben nicht Leute wie Herr von Hassel die Vollmacht hatten, ›das gesamte Bündel der zwingend nötigen Maßnahmen auszulösen‹.«715 Die Kuba-Krise 1962 diente im linken Wahrnehmungsmuster auch im November 1967 als Beispiel für die Kriegsgefahr, die die Notstandsgesetze hervorrufen würden. So bezweifelte der »Spiegel« in seiner bereits erwähnten Titelstory, dass die Notstandsregelungen eine abschreckende Wirkung haben könnten und bezog sich dabei auf die KubaKrise: »Es erscheint zweifelhaft, ob beispielsweise in der Kuba-Krise die Einberufung von 45000 Zivilschutzkorps-Männern und die Evakuierung einiger zigtausend Bundesbürger aus dem Umkreis von Atom-Reaktoren wirklich zur Abschreckung und damit zur Dämpfung der Krise beigetragen hätten. Wahrscheinlicher mutet an, daß solche innerdeutschen Mobilmachungs-Maßnahmen einen etwaigen Spannungszustand eher noch verschärfen würden.«716 Rudolf Augstein verwies außerdem darauf, dass es auch 1914 als Vorbereitung einen Schlieffen-Plan gegeben habe und warnte davor, dass eine deutsche Kriegsvorbereitung den Russen als Hinweis erscheinen könne, dass ein Krieg nicht mehr zu verhindern sei.717 Auch Karl Jaspers bezog sich auf den Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 und kritisierte, dass durch die geplante Notstandsgesetzgebung wie 1914 »[d]as Volk und die Politik in den Händen des Militärs« seien.718 In dem bereits erwähnten offenen Brief evangelischer Geistlicher an die Bundestagsabgeordneten warnten die Geistlichen ebenfalls davor, dass das Notstandsrecht die Wahrscheinlichkeit eines Krieges voraussetze und mahnten, dass es aber gerade Aufgabe der Politik sei, den Ernstfall zu verhindern und nicht vorzubereiten.719 Im linken Wahrnehmungsmuster wurde außerdem befürchtet, dass die Notstandsgesetze dafür verwendet würden, um die Rechte der Arbeiterschaft einzuschränken und im Falle eines Streikes gewaltsam gegen Streikende vorzugehen. Günter Wallraff berichtete in der Zeitschrift »Pardon« darüber, dass in manchen Betrieben schon heimlich geübt werde, um nach der Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung im Falle von Streiks mit Waffengewalt gegen Streikende vorgehen zu können.720 Allerdings wehrte sich der Pressereferent dieses Betriebes später gegen Wallraffs Aussagen und erklärte diese für falsch.721

715 716 717 718 719 720

Augstein: Notstand – Das Ende aller Sicherheit?, S. 43 f. Bachab schicken, S. 49. Vgl. Augstein: Notstand – Das Ende aller Sicherheit?, S. 44. Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 2. 5. 1966, S. 88. Vgl. Kriegsrecht in Friedenszeiten. Vgl. nach: »Also nicht in den Kopf schiessen«; in: Der Spiegel Nr. 23/1967 vom 29. 5. 1967, S. 24. 721 Vgl. nach: R. Siegel: Waffen im Betrieb? Bastelarbeit einer Redaktion; in: Rheinischer Merkur Nr. 23/1967 vom 9. 6. 1967, S. 9.

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Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters bei einer Nicht-Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung So wie man im linken Wahrnehmungsmuster ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie anhand der Notstandsgesetzgebung befürchtete und sich dabei häufig auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus bezog, wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie darin gesehen, dass keine Notstandsgesetzgebung für einen eventuellen Notfall vorhanden sei. Dabei bezog man sich häufig ebenfalls auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus, wobei diese und die daraus abzuleitenden Lehren aber im konservativen Wahrnehmungsmuster anderes als im linken Wahrnehmungsmuster interpretiert wurden. Dadurch, dass beide Wahrnehmungsmuster die Ansicht vertraten, nur eine Nicht-Verabschiedung bzw. nur eine Verabschiedung der Notstandsgesetze könne die bundesdeutsche Demokratie dauerhaft vor einem Scheitern retten, wurde die Auseinandersetzung zwischen beiden Wahrnehmungsmuster mitunter auch sehr heftig geführt. Anton Böhm kritisierte im April 1965 den Appell der 215 Hochschullehrer an den DGB, gegen die Notstandsgesetzgebung einzutreten. Für Böhm verwechselten diese Hochschullehrer Anarchie mit Demokratie und eine wirkliche Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie resultiere nicht aus den Notstandsgesetzen, sondern aus dem Versuch, »außerparlamentarische Kräfte gegen die Bundestagsparteien und damit gegen die Volksvertretung selbst zu mobilisieren.«722 Diese Befürchtung artikulierte man später im konservativen Wahrnehmungsmuster häufig, als sich zu Zeiten der Großen Koalition 1966 – 1969 eine Außerparlamentarische Opposition gebildet hatte, worauf an späterer Stelle der Arbeit eingegangen wird. Der Bundesjustizminister Richard Jäger begründete in einem »Spiegel«-Interview im November 1965 seine Aussage von 1961, dass der Staat ohne Notstandsgesetze entweder zugrunde gehe oder aber die Regierung gezwungen wäre, außerhalb der Verfassung und womöglich sogar gegen diese zu agieren.723 Für Jäger sei das Vorhandensein eines Notstandsrechts ein demokratisches Merkmal und gerade der wesentliche Unterschied zu einer Diktatur : »Das Notstandsrecht ist typisch für einen demokratischen Staat. Die Diktatur braucht kein Notstandsrecht, weil sie ständig im Ausnahmezustand lebt. Folglich muß in einer demokratischen Verfassung ein Notstandsrecht ausgearbeitet werden.«724 Ohne ein vorhandenes Notstandsrecht habe die Regierung im Falle einer äu722 Anton Böhm: Der Trick mit den Professoren. Der DGB soll gegen die Notstandsgesetze aufgewiegelt werden; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1965 vom 23. 4. 1965, S. 1. 723 Vgl. »Ich bin für eine scharfe Klinge.« Spiegel-Gespräch mit dem Bundesminister der Justiz Richard Jaeger (CSU); in: Der Spiegel Nr. 47/1965 vom 17. 11. 1965, S. 47 – 59; hier : S. 48. 724 »Ich bin für eine scharfe Klinge«, S. 48.

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ßeren Bedrohung deshalb nur die Wahl zwischen Kapitulation oder aber Bruch der Verfassung, um der äußeren Bedrohung begegnen zu können.725 Deshalb sei eine Absicherung für Notzeiten in einer Demokratie unumgänglich, um einen Verfassungsbruch im Notfall zu vermeiden. In einem Interview im Mai 1966 äußerte der Bundesinnenminister Paul Lücke (CDU) Verständnis für die Sorgen der Gewerkschaften, dass die Demokratie durch die Notstandsgesetzgebung Schaden nehmen könne, da diese Sorge aus der deutschen Geschichte begründet sei.726 Lücke konstatierte, dass es entschieden an Aufklärung darüber mangeln würde, was mit diesen Gesetzen bezweckt werde und schlug vor, dass die Gesetze lieber den Namen »Gesetz zum Schutz des deutschen Volkes in Notzeiten« heißen sollte, da dieser Name den Inhalt besser wiedergebe. Auf die Kritik des »Spiegels«, dass der Notstand schon mit einfacher Mehrheit des Bundestages bzw. des Gemeinsamen Ausschusses festgestellt werden könne, entgegnete Lücke, dass er sich nicht vorstellen könne, dass das im Gesetzestext so gemeint sei, er sich aber freue, dass der »Spiegel« sich so intensiv damit befasse und man genug Zeit habe, die Unebenheiten zu korrigieren.727 Lücke verwies auf die Notwendigkeit genauer Durchführungsbestimmungen und bezog sich dabei auf die Weimarer Republik: »Ich habe die Entwicklung in der Weimarer Zeit nicht vergessen. Und in der Weimarer Zeit hat es von 1919 bis 1933 der Reichstag nicht geschafft, das Durchführungsgesetz zu Artikel 48 der Weimarer Verfassung zu erlassen. Sie mögen sagen, das ist eine innenpolitische Entwicklung gewesen. Sie hat aber die Wurzel unserer demokratischen Gesellschaftsordnung getroffen. Viele der Widerstände, die vor allem von den Gewerkschaften her geltend gemacht werden, rühren von der damaligen Situation her.«728 Anton Böhm kritisierte die ablehnende Haltung der Gewerkschaften gegen die Notstandsgesetzgebung und empfand den »politische[n] Einfluß kleiner Gruppen in der Zweiten deutschen Demokratie überraschend, ja beängstigend groß.«729 Für Böhm sei es besonders bedenklich, dass die Gewerkschaften eine geschlossene Haltung gegen die Notstandsgesetze verkörperten, obwohl die Angehörigen der Gewerkschaften zu keinem Zeitpunkt geschlossen gegen die Notstandsgesetzgebung eingetreten seien. Böhm vertrat weiterhin die Ansicht, dass die Notstandsverfassung schon längst verabschiedet worden wäre, wenn eine Volksabstimmung darüber entschieden hätte, was er allerdings nicht 725 Vgl. »Ich bin für eine scharfe Klinge«, S. 48. 726 Vgl. Wer entscheidet über den Notstand? Spiegel-Gespräch mit Bundesinnenminister Paul Lücke; in: Der Spiegel Nr. 20/1966 vom 9. 5. 1966, S. 68 – 88; hier : S. 70. 727 Vgl. Wer entscheidet über den Notstand, S. 83. 728 Wer entscheidet über den Notstand, S. 83. 729 Anton Böhm: Demokratie oder Klassenstaat? Lücke gewinnt die Opposition für die Notstandsverfassung; in: Rheinischer Merkur Nr. 23/1966 vom 3. 6. 1966, S. 2.

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empfehlen wolle: »Der erstaunliche Gedanke, man müsse die Demokratie dadurch retten, daß man dem demokratischen Staat die Mittel zu seiner Selbstverteidigung vorenthält, ist in den Köpfen einer winzigen Minderheit von Funktionären und Professoren entsprungen.«730 Diese Minderheit befinde sich aber in »apparat-beherrschenden Positionen und besitzt einen überdimensionalen Einfluß in wichtigen Funkhäusern«, weshalb sie einen nicht vorhandenen »Widerstand gegen die angeblich finsteren Pläne der bourgeoisen Regierung vortäuschen [konnte], den es in der Bevölkerung gar nicht gibt.«731 Böhm artikulierte hier verschiedene Ängste, die immer wieder aufkamen, wenn von einem drohenden »Gewerkschafsstaat« gesprochen wurde (siehe Kapitel 3.3.2). Nach der Nato-Übung »Fallex 66«, die im linken Wahrnehmungsmuster die Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie nicht beruhigte, sondern noch verstärkte, zeigte sich der Bundesinnenminister Paul Lücke dagegen zufrieden mit dem Ablauf der Nato-Übung und wertete die Stellungnahme der Bundestagsabgeordneten, dass der gemeinsame Ausschuss von Bundestag und Bundesrat und die Bundesregierung erfolgreich zusammengearbeitet haben, »als einen Sieg der parlamentarischen Demokratie.«732 Für Lücke gewährleiste der gemeinsame Ausschuss, der die Befugnisse und Aufgaben von Bundesrat- und Bundestag vereint, »daß unsere freiheitlich parlamentarische Demokratie auch die Zerreißprobe einer äußerlichen Drohung oder eines Angriffs von außen bestehen kann«, weshalb er hoffte, dass diese Nato-Übung, »endlich die zum Teil sensationell aufgemachte Diskussion über die sogenannten Schubladenentwürfe in das richtige Licht gerückt« habe.733 Dennoch empfand Lücke die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters und die daraus resultierenden Diskussionen über die Notstandsgesetze auch als produktiv. Er betonte, dass er Demokratie nie als Schwäche begriffen habe, obwohl »man in der Demokratie ihre Schwächen offen, bei uns vielfach zu offen [diskutiert], aber darin sehe ich die Stärke unserer demokratischen Grundordnung.«734 Der Redakteur des »Rheinischen Merkurs«, Siegmar Schelling, konnte weniger Verständnis für die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters aufbringen. Für ihn wandten sich die 16000 Teilnehmer des Kuratoriums »Notstand der Demokratie« in Frankfurt letztendlich gegen die Demokratie; »die ohne wirksames Notstandsrecht in Krisen schutzlos ist.«735 Für Schelling war die Kritik der 730 Böhm: Demokratie oder Klassenstaat? 731 Böhm: Demokratie oder Klassenstaat? 732 Paul Lücke: Demokratie im Notstandsbunker. Erfahrungen bei »Fallex 66«; in: Rheinischer Merkur Nr. 44/1966 vom 28. 10. 1966, S. 1 f.; hier : S. 1. 733 Lücke: Demokratie im Notstandsbunker, S. 2. 734 Lücke: Demokratie im Notstandsbunker, S. 2. 735 Siegmar Schelling: Pseudo-Aufstand der Nein-Sager ; in: Rheinischer Merkur Nr. 45/1966 vom 4. 11. 1966, S. 15.

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Notstandsgegner nicht konstruktiv, sondern ohne nachvollziehbare Argumente.736 Die Kuratoriums-Teilnehmer, die dieser Demokratie den Frieden und letztlich auch die Möglichkeit, überhaupt ein solches Kuratorium abhalten zu können, verdanken würden, hätten sich der Mitarbeit an der Gestaltung der bundesdeutschen Demokratie versagt. Schelling konnte die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters nicht nachvollziehen und ironisierte deren Befürchtungen: »Sie trauerten um den bevorstehenden Untergang unserer Demokratie – und trugen doch kein Schwarz. Denn will man ihnen glauben – so werden sie sie schon retten, unsere Demokratie.«737 Auf die Aussage Hans Magnus Enzensbergers, dass diese Demokratie noch benötigt werde und dass man aus diesem Land keine »Bananenrepublik« machen lasse, entgegnete Schelling: »Nein, Hans-Magnus Enzensberger, das lassen wir nicht! Auch nicht von Ihnen!«738 Der Redakteur des »Rheinischen Merkurs«, Franz-Josef Neuß, betonte, dass es unabdingbar sei, dass das Notstandsrecht die Demokratie mit Vollmachten und Autorität ausstatte, damit diese Naturkatastrophen und Anarchie wirkungsvoll entgegentreten könne, ohne dass die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zerstört werde.739 Diese Autorität könne aber behindert werden, wenn zu viele Individualrechte in der Notstandsgesetzgebung berücksichtigt würden und wenn die Exekutive zugunsten der Legislative auf Kompetenzen verzichten müsse, sodass deren Handlungsfreiheit eingeschränkt werde. Letztendlich bewirke man dadurch genau das Gegenteil: »Das Streben nach Perfektionismus, das sich um diese Realität herumdrücken und etwa den Notstand zur ›Stunde des Parlaments‹ erklären will, ist der sicherste Weg, um den Ausnahmezustand in einem ausschließlichen Sinne zur ›Stunde der Exekutive‹ werden« zu lassen.740 Da man im konservativen Wahrnehmungsmuster die Ansicht vertrat, dass die Notstandsgesetzgebung unabdingbar für den Erhalt der Demokratie sei, konnte man häufig nicht nachvollziehen, warum anhand der Notstandsgesetzgebung eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie gesehen wurde. Diese Ansicht verstärkte sich im konservativen Wahrnehmungsmuster auch dadurch, dass die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters fast unverändert fortbestanden, obwohl wesentliche Kritikpunkte an der Notstandsgesetzgebung berücksichtigt und in der Gesetzesvorlage geändert wurden. Franz-Josef Neuß betonte deshalb ausdrücklich, dass der DGB-Vorsitzende Alfred Rosenberg anders als der IGMetall-Vorsitzende Otto Brenner die Auseinandersetzung um die Notstands736 737 738 739

Vgl. Schelling: Pseudo-Aufstand der Nein-Sager. Schelling: Pseudo-Aufstand der Nein-Sager. Schelling: Pseudo-Aufstand der Nein-Sager. Vgl. Franz-Josef Neuß: Die Stunde des Parlaments? Das Bundeskabinett reduziert die Notstandsplanung; in: Rheinischer Merkur Nr. 43/1967 vom 27. 10. 1967, S. 2. 740 Neuß: Die Stunde des Parlaments?

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gesetzgebung »von ihrem ideologischen Ballast befreite«, da Rosenberg feststellte, dass sich »Verneiner und Befürworter der Notstandsverfassung nicht wie Hüter und Zerstörer der demokratischen Staatsform gegenüberstehen.«741 Obwohl Rosenberg die Notstandsverfassung ebenfalls ablehnte, betonte er, dass das Nein der Gewerkschaften das Bekenntnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht in Frage stelle und dass die Demokratie für eine Notsituation gerüstet werden müsse.742 Häufig wurde aber im konservativen Wahrnehmungsmuster auch vermutet, dass die Proteste gegen die Notstandsgesetzgebung als Vorwand verwendet werden, um die Bundesrepublik Deutschland zu schwächen und anzugreifen. Der »Spiegel« stellte fest, dass die Notstandsbefürworter häufig dazu neigen würden, »Notstands-Proteste jeder Art als ein Produkt des Links-Radikalismus zu verteufeln, als ›Kampagne mit staatsfeindlichen Tendenzen‹ (›Welt‹).«743 Diese Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters verstärkten sich durch die Massenkundgebung gegen die Notstandsgesetzgebung am 11. Mai 1968 in Bonn. Für Siegmar Schelling wurde dabei deutlich, »daß die Parole ›Kampf dem Notstand‹ den meisten Kundgebungsteilnehmern nur ein willkommener Vorwand für die Kollektivproteste gegen unsere Gesellschaft und gegen die Regierungsform der parlamentarischen Demokratie war.«744 Für Schelling bewiesen die roten Fahnen zahlreicher Demonstranten weiterhin die These einer kommunistischen Unterwanderung der Notstands-Kundgebung.745 Die Argumente der Notstandsgegner am Rednerpult hielt Schelling für schwach, sodass er die Atmosphäre vorrangig als Revolutionsstimmung einschätzte. Eine Diskussion zwischen einem »Rebell mit Fahne« und »einem Mädchen, das einem Modejournal entstiegen sein konnte« zeigte Schelling, wie gegenstandslos die Argumentation der Notstandsgegner sei, da diese Dame sämtliche Argumente zerlegte, allerdings stünde deshalb der Aufwand und Ertrag dieser Demonstration in keinem Verhältnis: »Was die Dame nicht wußte: Das Auftreten des Fahnenträgers und seiner Gesinnungsfreunde kostete die Stadt Bonn achtzigtausend Mark«.746 Im konservativen Wahrnehmungsmuster bezog man sich ebenfalls auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus, um einerseits der Argumentation des linken Wahrnehmungsmusters entgegenzutreten und andererseits, um die 741 Franz-Josef Neuß: Gewerkschaft bleibt beim Nein. Rosenberg und Brenner beim NotstandsHearing; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1967 vom 24. 11. 1967, S. 2. 742 Vgl. nach: Neuß: Gewerkschaft bleibt beim Nein. 743 Bachab schicken, S. 36 ff. 744 Siegmar Schelling: Proteste in leeren Straßen. Gegner der Notstandsgesetze wählen als Symbol die rote Fahne; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1968 vom 17. 5. 1968, S. 3. 745 Vgl. Schelling: Proteste in leeren Straßen. 746 Schelling: Proteste in leeren Straßen.

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Notwendigkeit einer Notstandsgesetzgebung zu untermauern. Franz-Josef Neuß hielt den Vergleich der Notstandsgesetzgebung zum Weimarer Notverordnungsrecht und zum Ermächtigungsgesetz für ignorant, da »die Notstandsverfassung dadurch gekennzeichnet ist, daß sie der Regierung solche Rechte vorenthält und das Parlament so umfassend wie möglich in der Verantwortung beläßt.«747 Dass sich einige ehemalige KZ-Häftlinge in Häftlingskleidung an den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetzgebung beteiligten, rief im konservativen Wahrnehmungsmuster ebenfalls Unverständnis hervor. Eine derartige Mahnung an die deutsche Geschichte hielt man für verkehrt, da die »Notstandsgesetze in der Form, wie sie jetzt vorgeschlagen wurden, sicher nicht zu neuen Konzentrationslagern führen werden, sondern mit zum Instrumentarium der Schutzvorkehrungen unserer Demokratie gehören, die eben gerade verhindern sollen, daß in diesem Teil Deutschlands je wieder Konzentrationslager entstehen.«748 Paul Wilhelm Wenger sah die Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze ebenfalls »von den Gespenstern der faschistischen Vergangenheit überladen.«749 Dabei gebe es aber unterschiedliche Arten des historischen Bezuges. Wenger unterschied zwischen einer eher allgemeinen Erinnerung derjenigen, die lediglich Sekundärerfahrung besäßen und der konkreten Erinnerung derjenigen, die noch Primärerfahrung haben: »Die aufbegehrende Generation der nach dem zweiten Weltkrieg Geborenen sieht in jeder Vorsorge gegen äußere und innere Notfälle den beginnenden, sicheren Abbau des Wohlstands und der Demokratie. Die ältere Generation aber erinnert sich mit Schaudern daran, daß sich die braune Diktatur am 14. November 1930 durch den demagogischen Kampf gegen die ›Notverordnungen‹ Brünings mit 107 Braunhemden im Reichstag etabliert und dann am 24. März 1933 mit dem ›Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich‹ die parlamentarische Demokratie außer Kraft gesetzt hatte«.750 Wenger hielt beide Arten der historischen Erinnerungen dafür verantwortlich, dass die Proteste gegen die Notstandsgesetze so massiv ausgefallen seien.751 Außerdem sei die Bezeichnung »Notstandsgesetze« unglücklich gewählt, da diese Wortverbindungen zu sehr alte Erinnerungen weckten. Wenger hielt sowohl den Widerstand des linken Flügels der SPD gegen die Notstandsgesetzgebung als auch die Verankerung eines Widerstandsrechts nach Artikel 20 des Grundge747 Franz-Josef Neuß: Gegen den Notstand? Der Parlamentarismus ist gefordert; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1968 vom 17. 5. 1968, S. 2. 748 Das Bild der Woche; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1968 vom 17. 5. 1968, S. 8. 749 Paul Wilhelm Wenger: Unter dem Diktat des Mißtrauens. Nach der Notstandsdebatte Warten auf die Alliierten; in: Rheinischer Merkur Nr. 21/1968 vom 24. 5. 1968, S. 1 f.; hier : S. 1. 750 Wenger: Unter dem Diktat des Mißtrauens, S. 1. 751 Vgl. Wenger: Unter dem Diktat des Mißtrauens, S. 1.

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setzes gegen diejenigen, die die verfassungsmäßige Ordnung beseitigen wollen, dadurch begründet, dass manche sich selber nicht vergeben könnten, nach der Machtergreifung Hitlers keinen Generalstreik ausgerufen zu haben. Allerdings würdige der Einbau des Widerstandsrechts den Widerstand gegen Hitler herab und »nützt dank der vagen Formulierung nur den Querulanten, die – das Grundgesetz unter dem Kopfkissen – täglich mit der Suche nach Verfassungsverstößen beschäftigt sind.«752 Die Auseinandersetzung zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster um die Notstandsgesetzgebung wurde streckenweise so verbittert geführt, weil beide Seiten von einer ernsten Sorge um die bundesdeutsche Demokratie getrieben wurden. Als Ergebnis wurde am 30. Mai 1968 ein Kompromiss verabschiedet, der den Befürchtungen beider Wahrnehmungsmuster gerecht werden wollte. Dass die Notstandsgesetzgebung zuvor von beiden Seiten fetischisiert worden war und dass »sie im Konfliktfall weder die Freiheit in dem Maße sichern wird, wie es Anhänger erwarten, noch daß sie sie in dem Maße gefährden wird, wie es Gegner befürchten«, wie es der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) kurz nach der Verabschiedung ausdrückte753, war angesichts der Erfahrungen des Nationalsozialismus und der daraus resultierenden spezifischen Interpretationen rückblickend kaum überraschend. Inwieweit die Auseinandersetzung um die Notstandsgesetzgebung von der nationalsozialistischen Vergangenheit geprägt war, zeigte sich auch daran, dass Vergleiche zu anderen Ländern wie der Schweiz, in der durchaus härtere Notstandsregelungen vorhanden waren, ohne dass daraus eine Gefahr für die Demokratie gesehen wurde, auch aufgrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen als nicht vergleichbar angesehen wurden.754 Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor der Großen Koalition Eine andere Angst vor dem Ende der bundesdeutschen Demokratie resultierte aus der Angst vor einer Großen Koalition, die aufgrund der Mehrheitsverhältnisse die parlamentarischen Spielregeln außer Kraft setzen würde. Man befürchtete einerseits, dass diese Große Koalition ihre Machtkompetenzen missbrauche, andererseits existierte die Angst, dass die Bevölkerung durch die Große Koalition der parlamentarischen Demokratie entsagen und rechtsradikale Bewegungen unterstützen könnte (siehe auch Kapitel 3.1.1). 752 Wenger: Unter dem Diktat des Mißtrauens, S. 1. 753 Wenn Wehner sich umbesinnt. Spiegel-Interview mit dem SPD-Präsiden und Düsseldorfer Ministerpräsidenten Heinz Kühn; in: Der Spiegel Nr. 24/1968 vom 10. 6. 1968, S. 26 f.; hier: S. 26 f. 754 Vgl. beispielhaft Klaus Römer : Vergleich unmöglich; in: Rheinischer Merkur Nr. 24/1968 vom 14. 6. 1968, S. 9.

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Im Mai 1965 wandte sich Anton Böhm gegen eine Große Koalition auf Bundesebene nach dem Vorbild von Niedersachen.755 Zwar schloss Böhm nicht aus, dass eine Große Koalition in Zukunft ein Modell für den Bund wäre, um beispielsweise eine Änderung des Wahlrechts durchführen zu können, er betonte aber auch schon die Nachteile einer solchen Koalition. So würde eine Große Koalition die parlamentarische Opposition zum Schaden des Staates bis zur Bedeutungslosigkeit schwächen.756 Ohne die ständige Kontrolle der Regierung würde ein Wesenselement der Demokratie fehlen oder aber diese Kontrolle werde von Massenmedien und Verbänden ausgeführt, deren Aufgabe das aber nicht sei. Böhm artikulierte hier viele Ängste, die später im linken Wahrnehmungsmuster geäußert wurden. Allerdings wandelte sich im konservativen Wahrnehmungsmuster die Ansicht über eine Große Koalition, sodass Ängste vor einer Großen Koalition fast ausnahmslos Ängste des linken Wahrnehmungsmusters waren. Mit Beginn der Regierungskrise Ludwig Erhards verstärkte sich im konservativen Wahrnehmungsmuster die Ansicht, dass eine Große Koalition mit verfassungsändernder Mehrheit notwendig sei, um die bundesdeutsche Demokratie stabilisieren zu können. Ängste um die bundesdeutsche Demokratie aufgrund einer Großen Koalition wurden fortan fast nur im linken Wahrnehmungsmuster geäußert. Die größte Aufmerksamkeit in dieser Zeit erlangte wahrscheinlich Karl Jaspers bereits erwähntes Buch »Wohin treibt die Bundesrepublik?«, das im »Spiegel« vor dem Erscheinen in Ausschnitten abgedruckt wurde. Jaspers äußerte die Befürchtung, dass zwar »soweit man sieht, kein Plan zur Errichtung einer Diktatur [bestehe]. Es gibt keine zielbewußte Lenkung dorthin, keine Organisation, keinen Hitler. Aber es koinzidieren Kräfte, Gesinnungen, Wege, die dorthin führen können.«757 Jaspers kritisierte, dass in der Bundesrepublik die demokratische Gesinnung der Bürger nicht genug ausgeprägt sei, weshalb er feststellte: »Staatsgesinnung ist bei uns vielfach noch Untertanengesinnung, nicht demokratische Gesinnung des freien Bürgers. Zwar schimpft der Untertan, wo es für ihn ohne Gefahr ist und folgenlos bleibt, aber er gehorcht und hat Respekt und handelt nicht.«758 Jaspers unterstellte den Parlamentariern auch, dass ihnen der Gehorsam der Bevölkerung wichtiger sei als deren politische Aktivität, wodurch der »Weg zuerst zur autoritären Herrschaft, dann zur Diktatur […] gebahnt« sei.759 Als Wege zu dieser Diktatur über den autoritären Staat sah Jaspers das Zustandekommen einer Allparteienregierung, aber auch schon 755 Vgl. Anton Böhm: Niedersachsen ein Modell? Die Große Koalition nur unter besonderen Bedingungen ratsam; in: Rheinischer Merkur Nr. 21/1965 vom 21. 5. 1965, S. 1 f.; hier : S. 1. 756 Vgl. Böhm: Niedersachsen ein Modell, S. 2. 757 Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 25. 4. 1966, S. 101. 758 Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 25. 4. 1966, S. 102. 759 Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 25. 4. 1966, S. 104.

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einer Großen Koalition.760 Durch eine Große Koalition gäbe es keine Opposition mehr und würden sich alle Kämpfe im Geheimen abspielen, sodass die Parteienoligarchie absolut wäre. Jaspers konstatierte, dass es in der Bundesrepublik kaum Staatsfeindschaft gebe und dass der Nationalsozialismus keine Rolle mehr spiele, weshalb die Gefahren im Staat selbst liegen würden: »[D]ieser Staat selber hat in sich die Tendenzen, die ihn zu einem autoritären Gebilde machen, in dem zwar kein Monarch herrscht und auch nicht mehr begehrt wird, aber derart, daß dieser Staat sich in sich wandelt zu einem Obrigkeitsstaat mit Untertanengesinnung, weitgehend ähnlich der wilhelminischen Zeit. Dieselbe Gefahr, die in der Weimarer Republik von den gegen diesen Staat gerichteten Mächten kam, um ihn durch Umsturz zu verwandeln, liegt jetzt im Staate selber. Er ist nicht durch Gegenbewegungen gegen ihn bedroht. Nicht gegen ihn, sondern mit ihm und durch ihn selbst wird er verwandelt, wird unklar dasselbe gesucht wie damals: Obrigkeit, autoritärer Staat, Diktatur.«761 Jaspers entwarf hier das Horrorszenario des passiven Staatsbürgers, der von einem Staat regiert werde, in dem unbekannte Mächte mit Hilfe der Parteienherrschaft unabhängig von der Beeinflussung durch die Bürger regierten, wodurch der Staatsapparat zunehmend autoritärer werde. Seine Ängste artikulierte Jaspers bereits vor dem Zustandekommen der Großen Koalition im Dezember 1966. Nachdem am 1. Dezember 1966 Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler der Großen Koalition vereidigt wurde, kamen im linken Wahrnehmungsmuster vermehrt Ängste vor einem Untergang der bundesdeutschen Demokratie auf. Günter Grass war entsetzt darüber, dass ein ehemaliger Nationalsozialist zum Bundeskanzler gewählt und ohne größere Bedenken in der Öffentlichkeit auch akzeptiert wurde, weshalb er warnte: »Nicht elf, zwölf oder 15 Prozent NPD-Wähler sind eine ernsthafte Gefahr für die Bundesrepublik, nein, die verfassungswidrige Abwertung der höchsten Staatsämter wird die junge und anfällige Demokratie schwächen und siechen lassen«.762 Für Grass habe die Bundesrepublik am 1. Dezember 1966 den Frieden verloren, da sie gleichzeitig vor der Zukunft und der Vergangenheit kapituliert habe.763 Durch die Ernennung Kiesingers zum Bundeskanzler würde der Opportunismus der 1930er Jahre legitimiert, weshalb nur noch Ungehorsam die bundesdeutsche Demokratie schützen könne. Günter Grass formulierte hier aber eher Bedenken, die durch die Ernennung Kiesingers zum Bundeskanzler bedingt waren, als durch das Zustandekommen einer Großen Koalition. Karl Dietrich Bracher bezweifelte die Notwendigkeit einer Großen Koalition, 760 Vgl. Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 25. 4. 1966, S. 109. 761 Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? vom 25. 4. 1966, S. 110. 762 »Außerdem hat der Mann Verdienste.« Günter Grass über Kiesinger, Lübke und die Deutschen; in: Der Spiegel Nr. 6/1967 vom 30. 1. 1967, S. 21. 763 Vgl. »Außerdem hat der Mann Verdienste«.

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da er eine Phase der wirtschaftlichen und innenpolitischen Instabilität eines Staates nicht für bedenklich hielt, sondern für »die Normalisierung einer fast zwanzigjährigen Sonderlage.«764 Dagegen ängstigte ihn, dass anhand dieser als wahrgenommenen Krise deutlich werde, wie wenig das demokratische System in der Bundesrepublik Deutschland gefestigt sei: »Erst jetzt tritt die Problematik der deutschen Demokratie wirklich hervor. Erst jetzt tritt die Bundesrepublik nach dem Ende eines patriarchalischen Erfolgsregimes und dem Scheitern eines unpolitischen Zwischenexperiments in die Probe als demokratischer Staat ein. Und sofort erscheinen die Schatten von Weimar am politischen Horizont«.765 Als beunruhigende Zwischenbilanz konstatierte Bracher, dass bei den ersten Anzeichen politischer und wirtschaftlicher Instabilität erneut Merkmale hervorträten, die in der Weimarer Republik das Verhältnis zur Demokratie zerstört hätten.766 Die Krise einer Partei, die 17 Jahre lang die Regierung gestellt habe, sei noch lange keine Staatskrise, die eine Große Koalition unabdingbar mache, werde aber als solche wahrgenommen. Die Konsequenzen dieser Großen Koalition, wie das Fehlen einer wirksamen Opposition und der Verzicht auf eine klare Regierungsverantwortung könne – wie in der Weimarer Republik – antiparlamentarische Stimmungen hervorrufen.767 Obwohl die wirtschaftliche und politische Lage bedeutend besser als 1929/30 sei, zeigten doch die Landtagswahlen in Bayern und Hessen das Potenzial rechtsradikaler, antidemokratischer Bewegungen, womit Bracher auf die Wahlerfolge der NPD anspielte. Bracher kritisierte auch, dass das Parlament leider nicht der Austragungsort politischer Konflikte sei und dass stattdessen viele politische Auseinandersetzungen in geheimen Gremien ausgetragen würden.768 Dieser Eindruck verstärke sich in der Bevölkerung durch die Große Koalition, weshalb ohne ernsthafte Not das Risiko eingegangen würde, dass sich außerparlamentarische Opposition, Antiparlamentarismus, Radikalismus und autoritäres und restauratives Denken weiter verschärfen könnten. Nicht eine überwältigende Regierungsmehrheit, wie sie die Große Koalition habe, sei wichtig für das dauerhafte Funktionieren der bundesdeutschen Demokratie, sondern die Akzeptanz parlamentarischer Gepflogenheiten in der Bevölkerung: »Aber wichtiger als übergroße Regierungsmehrheiten ist die Gewöhnung an eine nüchterne Anschauung von Politik, von den Funktionen nicht nur der Regierung, sondern auch der notwendigen Opposition, von einer normalen Demokratie, die entgegen deutschen Vorurteilen aus den Zeiten anti-westlicher Staatsideologie nicht ein Luxus nur für Schönwetterzeiten ist. Solange sich diese Einsicht nicht durchsetzt, am Stammtisch wie 764 765 766 767 768

Bracher : Wird Bonn doch Weimar, S. 63. Bracher : Wird Bonn doch Weimar, S. 63. Vgl. Bracher : Wird Bonn doch Weimar, S. 64. Vgl. Bracher : Wird Bonn doch Weimar, S. 66. Vgl. Bracher : Wird Bonn doch Weimar, S. 68.

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in den Köpfen der Notstands- und Staatsschutzplaner, sind die Schatten von Weimar nicht gebannt.«769 Die Ängste von Karl Dietrich Bracher können als stellvertretend für viele Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor der Großen Koalition angesehen werden. Auch Rudolf Augstein äußerte auf einer Tagung in London im Mai 1967 die Sorge, dass die bundesdeutsche Demokratie in der Bevölkerung nicht vollends angenommen sei und dass die SPD ihre Aufgabe als Opposition nur halbherzig betrieben habe770, weshalb er den drastischen Vergleich zog, dass sehr viele Wähler »ihre Stimmabgabe als einen Beitrag zum demokratischen Ritual ansehen. Die Versimpelung der Wahlkampfmethoden bei uns in der Bundesrepublik ist schon so, daß der Unterschied zu den Wahlen unter Analphabeten im innersten Afrika nicht mehr sonderlich ins Auge sticht«.771 Allerdings gestand auch Augstein ein, dass sich viele Gefahren glücklicherweise nicht erfüllt haben. Dennoch wisse er nicht, welche Folgen die Große Koalition bewirken werde, vor allem, wenn diese über das Jahr 1969 fortgesetzt werde, könnten irreparable Schäden für das demokratische Bewusstsein entstehen.772 Jedoch relativierte Augstein seine Ängste, indem er zugestand, dass er diese in der Vergangenheit oft übertrieben hätte und sie glücklicherweise nicht eintraten: »Mein Trost ist, daß ich mich früher schon geirrt, daß ich gelegentlich zu schwarz gesehen habe. Unrecht zu bekommen ist manchmal süßer, als recht zu behalten.«773 Als sich nach der Landtagswahl in Niedersachen 1967 abzeichnete, dass die CDU und nicht die SPD durch die Große Koalition ihre Wählerstimmen vermehren konnte, wurde im linken Wahrnehmungsmuster die Große Koalition noch mehr in Frage gestellt. Für Rudolf Augstein alias Moritz Pfeil zeigte sich durch dieses Wahlergebnis, dass Herbert Wehner ohne eigenen Nutzen »der Demokratie einen möglicherweise verhängnisvollen Stoß versetzt« habe.774 Die Stimmenverluste der SPD beunruhigte Augstein aber nicht aus Sorge um die SPD, sondern aus Sorge um die bundesdeutsche Demokratie, da diese ohne einen Wahlsieg der SPD weder konsolidiert noch etabliert werden könne.775 Auch im April 1968 konstatierte Augstein noch: »die Bundesrepublik ist irreparabel von jenen Leuten ruiniert worden, die eine Koalition der beiden großen 769 Bracher : Wird Bonn doch Weimar, S. 68. 770 Vgl. Rudolf Augstein: Deutschlands große Koalition – demokratisches Experiment oder Gefahr für die Demokratie?; in: Der Spiegel Nr. 24/1967 vom 5. 6. 1967, S. 21 – 29; hier : S. 28. 771 Augstein: Deutschlands große Koalition, S. 29. 772 Vgl. Augstein: Deutschlands große Koalition, S. 29. 773 Augstein: Deutschlands große Koalition, S. 29. 774 Moritz Pfeil: Spielt nicht mit den Schmuddelkindern; in: Der Spiegel Nr. 25/1967 vom 12. 6. 1967, S. 36 – 39; hier: S. 36. 775 Vgl. Pfeil: Spielt nicht mit den Schmuddelkindern, S. 39.

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Parteien begründet haben, ohne den Zwang zur Auflösung dieser falschen Allianz institutionell von den beiden Fraktionen billigen zu lassen.«776 Augstein bezog sich hierbei auf die deutsche Geschichte und konstatierte, dass die Weimarer Verfassung auch durch deren Nichtbeachtung zugrunde gegangen sei.777 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde die Große Koalition – trotz der damit verbundenen Nachteile – als notwendig erachtet, um die bundesdeutsche Demokratie zu stabilisieren und zu erhalten. Die Große Koalition wurde als Ausnahme begriffen, die dafür zu sorgen habe, dass zukünftig stabile Regierungsmehrheiten garantiert sind. Anton Böhm erkannte im November 1966 die Gefahr, dass der Dauerzustand einer Großen Koalition die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition stilllege und deshalb »die repräsentative Demokratie in eine tödliche Mangelkrankheit« verfallen könne.778 Deshalb solle die Große Koalition das Mehrheitswahlrecht einführen, um sicherzustellen, dass diese Koalition nach der Legislaturperiode nicht mehr fortgesetzt werden müsse, da eine der beiden Parteien mit absoluter Mehrheit regieren könne. Anton Böhm wehrte sich nach dem Regierungsantritt Kiesingers auch gegen Vergleiche zur Weimarer Republik und kommentierte die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters: »Daß jede Änderung in der Staatsführung bei uns eine Art Untergangsstimmung erzeugt, zeigt an, wie wenig weit wir mit der Einübung in die parlamentarische Demokratie bisher gekommen sind.«779 Böhm betonte die Notwendigkeit der Großen Koalition für umfassende Reformen, um eine noch nicht vorhandene Staatskrise zu verhindern und wehrte sich gegen Aussagen, die »so tun, als handle es sich um einen ›Systemwechsel‹ zur Ausschaltung des Parlaments.«780 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde auch der FDP-Vorwurf ironisiert, die Große Koalition beabsichtige, einen autoritär-bürokratischen Verwaltungsstaat zu errichten.781 Wie bereits erwähnt, wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster die Große Koalition auch als Möglichkeit gesehen, durch entschiedene Reformen die Unzufriedenheit einiger Bürger zu verringern und dadurch die Stimmengewinne der NPD einzuschränken.782 Außerdem befürchtete man im konservativen Wahrnehmungsmuster nicht, dass die Oppositionsarbeit im Bundestag aufgrund der geringen Abgeordnetenstärke der FDP 776 Rudolf Augstein: In memoriam Paul Lücke; in: Der Spiegel Nr. 14/1968 vom 1. 4. 1968, S. 28. 777 Vgl. Augstein: In memoriam Paul Lücke. 778 Anton Böhm: Wir brauchen die große Koalition. Eine der Geschäftsgrundlagen ist die Wahlrechtsreform; in: Rheinischer Merkur Nr. 46/1966 vom 11. 11. 1966, S. 1 f.; hier : S. 1. 779 Anton Böhm: Mit der Kanzlerwahl die Staatsreform. Das große Ziel darf nicht aus den Augen gelassen werden; in: Rheinischer Merkur Nr. 47/1966 vom 18. 11. 1966, S. 1. 780 Böhm: Mit der Kanzlerwahl die Staatsreform. 781 Vgl. Hans Nikenich: Reform. Chancen für die FDP?; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/1967 vom 27. 1. 1967, S. 2. 782 Vgl. Böhm: Die Bayernwahl als Entscheidungshilfe.

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ad absurdum geführt werde, sondern es wurde darin auch eine Chance für die parlamentarische Auseinandersetzung gesehen. Anton Böhm hielt die Behauptung für übertrieben, dass die Große Koalition den Parlamentarismus außer Kraft setze, wenn er auch eingestand, dass sich der parlamentarische Ablauf notwendigerweise verändert hatte.783 Die geringe parlamentarische Opposition begriff Böhm aber nicht zwangsläufig als Nachteil, da Oppositionsarbeit eine Frage der Argumente sei, weshalb auch wenige Abgeordnete die Macht von vielen ausüben könnten. Böhm hoffte deshalb auch, dass durch die Große Koalition die Argumente und die Persönlichkeit des einzelnen Abgeordneten stärker Beachtung fänden und es dadurch zu einer »Auflockerung der Fraktionsfronten« komme.784 Des Weiteren werde die Arbeit der Fraktionen wieder gestärkt, wenn die Gemeinsamkeiten in der Regierung aufgebraucht seien und im Bundestag neue Vereinbarungen ausgehandelt werden müssten.785 Kurt Georg Kiesinger betonte Ende 1967, dass die Große Koalition loyal und gut zusammenarbeite und sie deshalb ein großer Gewinn für die deutsche Demokratie sei.786 Auch Rainer Barzel empfand im Mai 1968 die Politik der Großen Koalition nicht als steril, auch wenn er eingestand, dass die Große Koalition eine »zeitlich begrenzte Ausnahme« bleiben müsse, denn »[e]s fehlt ein Stück parlamentarischer Spannung und damit ein Stück sichtbar ausgetragener Konflikte.«787 Die Notwendigkeit einer großen Koalition wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster ganz entschieden mit der Notwendigkeit verschiedener Reformvorhaben begründet. Im Gegensatz zum linken Wahrnehmungsmuster wurde eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie nicht in der Großen Koalition gesehen, sondern nur in einem Versagen der Großen Koalition, besonders bei den geplanten Reformvorhaben. Anton Böhm verwies im August 1967 darauf, dass man von der Großen Koalition »keine zauberische Verwandlung der Wirklichkeit erwarten [dürfe], aber versagen darf sie auch nicht.«788 Böhm erwartete im Falle des Versagens eine Existenzkrise der Demokratie, die zwar anders beschaffen wäre als die der Weimarer Republik, aber dennoch gleich gefährlich sei.789 Böhm befürchtete, dass eine nicht-demokratische, autoritäre

783 Vgl. Anton Böhm: Das Parlament ist kein Theater. Die Auswirkungen der Großen Koalition auf Struktur und Praxis des Bundestages; in: Rheinischer Merkur Nr. 12/1967 von Ostern 1967, S. 2. 784 Böhm: Das Parlament ist kein Theater. 785 Vgl. Böhm: Das Parlament ist kein Theater. 786 Vgl. nach: Hader, Streit und Krach; in: Der Spiegel Nr. 24/1969 vom 9. 6. 1969, S. 28. 787 »Es gibt mehr Freiheit als je«, S. 65. 788 Anton Böhm: Warnung vor Wunderglauben. Eine Reform-Regierung braucht ein ReformParlament; in: Rheinischer Merkur Nr. 31/1967 vom 4. 8. 1967, S. 1 f.; hier : S. 2. 789 Vgl. Böhm: Warnung vor Wunderglauben, S. 2.

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Herrschaft gefordert werde, wenn sich die Demokratie als zu schwach erweise, die notwendigen Vorhaben umzusetzen. Ängste vor einer Großen Koalition nach 1969 Nachdem 1969 die Große Koalition beendet worden war und Willy Brandt Bundeskanzler einer sozialliberalen Koalition geworden war, ließen die Ängste vor einer Großen Koalition schlagartig nach. Dennoch scheint es, als ob sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster nach 1969 die Ansicht vorherrschte, dass diese Große Koalition von 1966 bis 1969 eine Ausnahme bleiben sollte. Rudolf Augstein wandte sich im November 1974 gegen die Möglichkeit einer Großen Koalition, die Franz Josef Strauß und Herbert Wehner anstreben würden: »Sollte die Diktatur auf ganz lange Sicht unser Schicksal sein, so doch nicht schon jetzt, und auch nicht in Form einer All-Parteien-Regierung — la DDR.«790 Aber auch im konservativen Wahrnehmungsmuster weckte die Möglichkeit einer Großen Koalition Ängste um die bundesdeutsche Demokratie. Anton Böhm hielt die Aussicht für beklemmend, angesichts der guten Zusammenarbeit des Großen Krisenstabs während der Schleyer-Entführung 1977 eine Große Koalition zu fordern.791 Böhm warnte davor, dass eine Große Koalition gerade die wichtigen Probleme nicht lösen könnte, da dabei Parteien koalierten, die zu unterschiedlich seien, wodurch ein Kompromiss erzielt werde, der zu sehr verwaschen sei. Auf Dauer werde deshalb der »Blutkreislauf der Demokratie« gelähmt.792 An Böhms Aussagen lässt sich ein Wandel im konservativen Wahrnehmungsmuster erkennen, da Böhm in den 1960er Jahren gerade die Tatkräftigkeit einer Großen Koalition betonte. Ein Wandel lässt sich auch darin erkennen, dass Böhm eine starke parlamentarische Opposition in den 1970er Jahren für unabdingbar für das Funktionieren einer Demokratie empfand: »Die Parteien dürfen der Demokratie ihr bezeichnendstes Merkmal nicht nehmen: daß sie eine ›agonale Staatsform‹ ist, daß ihr Wesen nicht in einer künstlichen Harmonie, sondern im Streit, in der kämpferischen, aber friedlichgewaltlosen Auseinandersetzung um Ziele und Ideen der Politik besteht.«793 Alois Rummel lehnte im Februar 1981 ebenfalls die Möglichkeit einer Großen Koalition ab, denn die »Bildung einer Großen Koalition in Bonn bei bestehenden eindeutigen Mehrheiten für eine regierungsfähige andere Koalition, wäre das Musterbeispiel für eine demokratische Todsünde. Eine solche Koalition führt

790 Rudolf Augstein: Koalition, ganz groß; in: Der Spiegel Nr. 47/1974 vom 18. 11. 1974, S. 26. 791 Vgl. Anton Böhm: Vom Krisenstab zur Großen Koalition? Parteienharmonie hat politische Grenzen; in: Rheinischer Merkur Nr. 44/1977 vom 4. 11. 1977, S. 1. 792 Böhm: Vom Krisenstab zur Großen Koalition? 793 Böhm: Vom Krisenstab zur Großen Koalition?

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den demokratischen Rechtsstaat unweigerlich in die totale Agonie.«794 Für Rummel liefere eine solche Koalition den Beweis, dass es den beiden großen Parteien mehr um den persönlichen Machterhalt als um die Erledigung anstehender Aufgaben ginge.795 Interessant ist, dass Rummel seine Ängste auch durch die Große Koalition von 1966 bis 1969 begründete, in der eine außerparlamentarische Opposition entstand, die den Staat fast an den Ruin gebracht habe. Rummel bezog sich hierbei auch auf die Rede Augsteins in London vom Mai 1967, in der er sagte, dass eine solche Mammutkoalition den ›Staat ein Stück verfaulen‹ lasse.796 Rummels Übernahme der Argumentation von Rudolf Augstein aus dem Jahre 1967 belegt ebenfalls den Wandel in der Gefahrenwahrnehmung einer Großen Koalition im konservativen Wahrnehmungsmuster. Auch im Juni 1984 sprach sich Rummel gegen die Bildung einer Großen Koalition aus.797 Im Falle einer Großen Koalition würde die FDP an Stimmen und Bedeutung verlieren, die SPD ginge ohne Wählerlegitimation in die Regierungsverantwortung und könne wie schon 1969 gestärkt aus der Großen Koalition herausgehen, weshalb letztlich die Union der Verlierer der Großen Koalition wäre. Neben diesen wahltaktischen Überlegungen beängstigte Rummel auch, dass die Grünen nach einer Bundestagswahl eventuell »dann die einzigen Oppositionsdemokraten [wären], ein Status, der ihnen zwar zu Gesicht stünde, den aber niemand, der an der Stabilisierung unserer Demokratie interessiert ist, herbeisehnen kann.«798 Für Rummel sammelten die Grünen »das stets vorhandene Protestreservoir. Sie agieren wie die Rabauken in den Jahren 1931 bis 1932, ohne Rücksicht auf die Demokratie.« Angesichts der Möglichkeit, dass die Grünen im Falle einer Großen Koalition bald zwanzig Prozent der Wählerstimmen gewinnen könnten, die FDP aber den Einzug in den Bundestag verpassen könnte, warnte Rummel entschieden vor der Bildung einer Großen Koalition: »Die Demokratie würde weiter denaturiert werden; eine solche Koalition würde ihren Fäulnisprozeß beschleunigen.«799 Rummel bediente sich hier medizinischer Vergleiche, um die Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie zu beschreiben.

794 Alois Rummel: Bonns Geflüster : Große Koalition. Die Utopien der Unionseiferer; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1981 vom 27. 2. 1981, S. 1. 795 Vgl. Rummel: Bonns Geflüster. 796 Zit. nach: Rummel: Bonns Geflüster. 797 Vgl. Alois Rummel: Polit-Jongleure unerwünscht. Das Gespenst der Großen Koalition; in: Rheinischer Merkur Nr. 23/1984 vom 8. 6. 1984, S. 1. 798 Rummel: Polit-Jongleure unerwünscht. 799 Rummel: Polit-Jongleure unerwünscht.

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3.3.2 Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor den Konsequenzen einer SPD-Regierung Im konservativen Wahrnehmungsmuster erregten viele Forderungen der SPD auch schon vor deren Regierungsübernahme 1969 Ängste um die bundesdeutsche Demokratie, die sich nach 1969 massiv verstärkten. Unmittelbar nach dem Regierungsantritt Brandts wurden Ängste vor einem SPD-Staat artikuliert, die aber eher als Enttäuschung über den Regierungsverlust der Union zu werten sind. Bedeutend stärker ausgeprägt waren die Ängste, dass das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen auf sämtliche Bereiche der Politik und der Gesellschaft angewandt werde und dadurch auf Dauer eine totalitäre Gesellschaft entstehe, da dieses Prinzip erstens nicht ohne Nachteile übertragbar sei und zweitens keinen Minderheitenschutz garantiere, wodurch letztlich eine totalitäre Gesellschaft der angeblichen Mehrheit entstehen würde (siehe Kapitel 3.3.2.1). Auch diese Befürchtungen existierten schon vor dem Beginn der sozialliberalen Koalition und wurden da vor allem als Angst vor einem übermächtigen Gewerkschaftsstaat artikuliert. Nach dem Regierungsantritt Brandts nahmen diese Ängste im konservativen Wahrnehmungsmuster massiv zu und wurden als Ängste vor einer übermäßigen Demokratisierung der Gesellschaft in den verschiedensten Bereichen artikuliert. Neben den Ängsten vor einer totalitären Gesellschaft durch eine Demokratisierung der Bundesrepublik existierten die Ängste, dass durch die Regierungsbeteiligung der SPD und eben auch durch die Demokratisierung linke Systemfeinde ihren »Marsch durch die Institutionen« fortsetzen könnten und in politische und gesellschaftliche Positionen gelangen könnten, in denen es ihnen ermöglicht werde, die bundesdeutsche Demokratie zu zerstören (siehe Kapitel 3.3.2.2). So wurde befürchtet, dass Systemfeinde sich wichtige Positionen innerhalb der SPD, vor allem bei den Jusos, oder innerhalb der Universitäten und im öffentlichen Dienst aneignen könnten und dass nur ein entschieden zur Abwehr dieser Gefahren drängender Staat die bundesdeutsche Demokratie retten könne. 3.3.2.1 Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einer totalitären Gesellschaft Die Ängste vor einem SPD-Staat Nachdem bei der Bundestagswahl 1969 entgegen den Erwartungen eine Koalition aus SPD und FDP mit nur knapper Mehrheit gebildet worden war, gab es im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem SPD-Staat, der die bundesdeutsche Demokratie zerstören werde, da er abweichende Meinungen

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kaum dulde. Nach dem Beginn der Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und FDP bezog sich Paul Wilhelm Wenger auf den Artikel »Danaergeschenk der Wähler« von Fred Luchsinger in der »Neuen Züricher Zeitung«, in dem der Sprachgebrauch von Willy Brandt und Walter Scheel kritisiert wurde, da die knappe SPD-FDP-Mehrheit als »Mandat der Wähler für einen Machtwechsel« und die stärkste Fraktion hingegen als »Verlierer« bezeichnet wurden.800 Wenger kritisierte die Koalitionsbildung aus SPD und FDP als eine »Umfälschung des Wählerwillens« und gestand der »Neuen Züricher Zeitung« zu, dass diese »das an Papens Taktik von 1932 erinnernde Putschgeheimnis der geplanten MiniLinkskoalition aufgedeckt [habe]: die APO-gemäße Umfunktionierung des CDU-Sieges in eine angebliche Niederlage«.801 Im November 1969 kritisierte Paul Wilhelm Wenger die Entlassung von Beamten aus den Ministerien nach dem Regierungsantritt Willy Brandts und die Verwendung der Vokabel »Machtwechsel«, denn »die Tonart gleicht zum Teil jener Unart von 1933« und werde taktisch verwendet, »und zwar in Hoffnung auf feige Anpassung und Selbstgleichschaltung.«802 Die hier beispielhaft aufgezeigten Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem absichtlich errichteten und zuvor geplanten SPD-Staat können mehr als Reaktion auf den unerwarteten Regierungsverlust und weniger als tatsächliche Befürchtung gewertet werden. Helmut Kohl relativierte viele Äußerungen und Befürchtungen der Union direkt nach dem Regierungsverlust bereits im November 1969 in einem »Spiegel«-Interview, in dem er eine Überreaktion eingestand, aber darauf verwies, dass auch die politischen Gegner in der Situation der Union den »Grabgesang der Demokratie gesungen« hätten.803 Die Angst, dass die SPD als geschlossene Partei gezielt und planmäßig einen autoritären Staat errichten wollte, wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster, nachdem sich die Enttäuschung über den Regierungsverlust gelegt hatte, fast gar nicht mehr artikuliert. Stattdessen wurde die Angst artikuliert, dass entweder bestimmte Teile der SPD und FDP diesen totalitären Staat anstreben würden, oder aber, dass die Politik der SPD-FDP-Koalition unbewusst dahin führen würde. So antwortete Franz Josef Strauß beispielsweise auf die Aufforderung des »Spiegels«, seine These zu belegen, dass die sozialliberale Regierung eine sozialistische Gesellschaftsordnung schaffen möchte, dass 800 Vgl. nach: Paul Wilhelm Wenger : Manipulations-Exzesse. Einseitige Meinungsbeeinflussung färbt das Wahlergebnis um; in: Rheinscher Merkur Nr. 41/1969 vom 10. 10. 1969, S. 1 f.; hier: S. 1. 801 Wenger: Manipulations-Exzesse, S. 1. 802 Paul Wilhelm Wenger: Kahlschlag und Anpassung. Dokumente des Drucks nach dem »Machtwechsel«; in: Rheinischer Merkur Nr. 46/1969 vom 14. 11. 1969, S. 3. 803 »Ich bin gegen Reformhuberei.« Spiegel-Gespräch mit dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Dr. Helmut Kohl; in: Der Spiegel Nr. 45/1969 vom 3. 11. 1969, S. 36 – 41; hier : S. 36.

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diese gar nicht wisse, »ob sie die Absicht hat, sondern sie treibt zur Zeit in dem Strom. Das Problem ist doch sicherlich, daß einige in dieser Regierung einfach wurschteln.«804 Als weitere Gefahr formulierte man im konservativen Wahrnehmungsmuster die Angst, dass die SPD sich zu sehr mit dem Staat identifiziere und gleichsetze. Häufig wurde diese Angst vor einem allgegenwärtigen SPDStaat als Angst vor einer linksgeschalteten Presse formuliert, in der die Ansichten der Union nicht zu gleichen Teilen repräsentiert würden. So erinnerte Herwig Gückelhorn beispielsweise daran, dass die SPD in ihrer Geschichte mehrfach gegen totalitäre Ansprüche eingetreten sei und warnte vor einer Einschränkung der Pressefreiheit und dass es undemokratisch sei, aufgrund fehlender Argumente unliebsame Gegner zum Schweigen zu bringen und dass die Einheitsmeinung ein Kennzeichen totalitärer Staaten sei.805 Stattdessen müsse sich die Regierung darauf besinnen, dass sie eine Regierung für das gesamte Volk und nicht nur für ihre Parteigenossen sei, weshalb Gückelhorn verlangte, dass parteipolitische Interessen hinter den Grundlagen der Demokratie zurücktreten müssten.806 Auch in den Regierungsjahren Helmut Schmidts wurden vereinzelt noch ähnliche Ängste um die bundesdeutsche Demokratie artikuliert. Anton Böhm erschreckten die Aussagen von Willy Brandt und Herbert Wehner im Jahr 1978, dass die Union ein Sicherheitsrisiko bzw. eine Gefahr für den Staat sei, da anhand dieser Aussagen deutlich werde, dass die SPD totalitäre Ansichten vertreten würde: »[W]enn jene Partei […] sich selbst als die einzige sieht, die zur Macht zugelassen werden darf, dann vollzieht sich ihre totale Identifizierung mit dem Staat; sie versteht sich schlechthin als die Staatspartei. Das ist totalitäres Denken, das Einpartei-System als Idealprogramm.«807 Böhm betonte, dass die Möglichkeit eines Machtwechsels das Kernstück der Demokratie sei und dass der Umgang zwischen dem Lager der Union und dem der SPD und FDP sich bessern müsse, wenn nicht auf lange Sicht die Demokratie zerstört werden solle.808 Auch im Bundestagswahlkampf 1980 wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem drohenden SPD-Staat artikuliert. Interessant ist hierbei, dass Heiner Geißler in dem bereits erwähnten Interview mit dem »Spiegel« diese Ängste relativierte und den Vergleich zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten indirekt als von vorherein nicht ernst gemeint 804 »Ich brauche nur zwölf Stunden Zeit«. Spiegel-Gespräch mit dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß; in: Der Spiegel Nr. 44/1970 vom 26. 10. 1970, S. 49 – 52; hier : S. 52. 805 Vgl. Herwig Gückelhorn: Maulkorb für Kritik; in: Rheinischer Merkur Nr. 32/1970 vom 7. 8. 1970, S. 1 f. 806 Vgl. Gückelhorn: Maulkorb für Kritik, S. 2. 807 Anton Böhm: Wehners Geschoß; in: Rheinischer Merkur Nr. 14/1978 vom 7. 4. 1978, S. 1 f.; hier : S. 2. 808 Vgl. Böhm: Wehners Geschoß, S. 2.

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eingestand: »Nun wollen wir also keine Mücken sehen und Kamele verschlucken. Zunächst ist es eine politisch unerträgliche Entwicklung in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewesen, daß wir den Vorwurf schlucken sollten, die Union sei eine rechtsradikale Partei bis hin zu der peinlichen Kampagne gegen den jetzigen Bundespräsidenten. Daß jetzt der Versuch unternommen wird, hier mal etwas zurückzugeben, dafür muß man Verständnis haben.«809 Und Walter Bajohr konstatierte im September 1980, dass es die Wahlkampfstrategen der Union geschafft haben, »das angriffige Bild eines drohenden SPD-Staates mit handfesten Indizien der Gegenwart auszustatten.«810 Die Ängste vor einem SPD-Staat wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster nur selten so direkt wie eben aufgezeigt artikuliert. Vielmehr wurden sie als Ängste vor einer Demokratisierung bzw. vor einem drohenden Gewerkschaftsstaat artikuliert.

Die Ängste vor einer allumfassenden Demokratisierung Im konservativen Wahrnehmungsmuster wies man schon während der Großen Koalition die Forderung des linken Wahrnehmungsmusters nach einer totalen Demokratisierung in Form einer Radikaldemokratie mit der Befürchtung zurück, dass der Staat für diese allumfassende Reform totalitär sein müsste und es höchst unwahrscheinlich sei, dass sich »dieser Reformstaat […] nach getaner Arbeit wieder enttotalisieren und sich in eine herrschaftslose Gesellschaft auflösen werde.«811 Im Dezember wiederholte Anton Böhm im »Thema der Woche« seine Ablehnung einer »Radikaldemokratie« und hinterfragte, ob die Demokratisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens »die Vollendung des demokratischen Gedankens« wäre, »[o]der würde solche ›Radikaldemokratie‹ am Ende nicht vielmehr die freiheitliche Grundordnung zerstören?«812 Böhm wollte klarstellen, dass zwar dort keine Demokratie bestehe, wo Mehrheitsentscheidungen nicht gelten würden, dass der Umkehrschluss aber nicht immer passen würde und nicht automatisch dort Demokratie bestehe, wo die Mehrheit entscheide.813 Das reine Mehrheitsprinzip werde durch andere Grundsätze eingeschränkt. So dürfe kein Beschluss allgemeine menschliche Grundrechte zerstören, da dieser Versuch allein die Fundamente der Demokratie zerstören 809 »Die CSU ist ja eine moderne Partei«, S. 34. 810 Walter Bajohr : Rückzug auf das Unwichtige. Der erbitterte Parteien-Streit um Nebensachen – Zwischenbilanz eines fast normalen Wahlkampfes; in: Rheinischer Merkur Nr. 39/1980 vom 26. 9. 1980, S. 3. 811 Böhm: Uniform-Demokratie, S. 2. 812 Anton Böhm: Grenzen der Demokratie. Die Staatsform der Freiheit ist nur in Selbstbescheidung möglich; in: Rheinischer Merkur Nr. 52/1967 vom 29. 12. 1967, S. 4 f.; hier : S. 4. 813 Vgl. Böhm: Grenzen der Demokratie, S. 4.

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könnte. Allein durch diese Einschränkung des Mehrheitsprinzips könne es »keine ›Radikaldemokratie‹ geben, falls ›radikal‹ schrankenlos heißen soll.«814 Böhm warnte außerdem davor, dass im Nationalsozialismus das Vorhandensein einer demokratischen Ordnung durch die bloße Anwendung des Majoritätsprinzips vorgetäuscht wurde und dies noch heute in den »Volksdemokratien« praktiziert würde und dass auch durch Mehrheitsentscheidungen antiparlamentarische Beschlüsse verabschiedet werden könnten.815 Aus diesem Grund seien die Artikel 1 bis 20 des Grundgesetzes unveränderbar, sodass die Menschenrechte über dem reinen Majoritätsrecht ständen. Aber auch die persönliche Freiheit könne nicht dazu führen, dass die Freiheit Anderer eingeschränkt werde, wofür der Staat garantieren müsse. Böhm betonte außerdem, dass man die Motive des Wunsches nach mehr Demokratie würdigen müsse, da dahinter der Wunsch nach aktiver Mitbestimmung stehe, dass aber vor allem ökonomische Gesetzmäßigkeiten von Mehrheitswünschen unberührt blieben, weshalb er sich gegen eine Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung aussprach.816 Böhm widersprach einer Übertragung des Majoritätsprinzips auf sämtliche gesellschaftliche Bereiche, da beispielsweise an Universitäten und Schulen nicht nach dem Mehrheitsprinzip entschieden werden könne, welcher Lehrstoff behandelt oder welchen Forschungsfragen nachgegangen werden solle, sondern nach der Kompetenz des Einzelnen gewichtet werden müsse: »Solange Angelegenheiten zur Diskussion stehen, für deren Beurteilung alle Interessierten annähernd gleichen Sachverstand mitbringen, herrscht hier überall Demokratie unter Gleichen«.817 Böhm wandte sich somit gegen eine Gleichsetzung Aller ohne Beachtung des Kompetenzbereichs und sprach sich gegen die Übertragung des Majoritätsprinzips auf andere gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche aus: »Demokratie ist die Staatsform der Freiheit. […] Aber die demokratische Methode der Willensbildung kann nicht blind und schematisch auf alle gesellschaftlichen Verhältnisse ohne Unterschied angewendet werden. Der eigentliche Bereich des Majoritätsprinzips sind die öffentlichen Angelegenheiten in Staat und Gesellschaft. Werden die gezogenen Grenzen überschritten, so ist das Endergebnis nicht mehr, sondern weniger Demokratie.«818 Jürgen Wahl bemerkte im Januar 1969, dass seit den Osterunruhen der Ruf nach »Demokratisierung« in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen lauter wurde und dass tatsächlich »unsere Ordnung noch erheblichen Raum für die Mitwirkung der Bürger freiläßt«.819 Allerdings schränkte Wahl ein, dass demo814 815 816 817 818 819

Böhm: Grenzen der Demokratie, S. 4. Vgl. Böhm: Grenzen der Demokratie, S. 4. Vgl. Böhm: Grenzen der Demokratie, S. 4. Böhm: Grenzen der Demokratie, S. 5. Böhm: Grenzen der Demokratie, S. 5. Jürgen Wahl: Demokratisierung; in: Rheinischer Merkur Nr. 1/1969 vom 3. 1. 1969, S. 3.

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kratische Spielregeln nur dort anwendbar seien, »wo Mehrheitsentscheidungen der Sache nach möglich sind, also nicht in Fragen des Glaubens und der Sitten, der wissenschaftlichen Aussage, des unternehmerischen Risikos oder gar der innerfamiliären Pädagogik.«820 Wahl befürchtete außerdem, dass die Forderung nach einer allumfassenden Demokratisierung als Vorwand verwendet werde, um jegliche staatliche Ordnung zu zerstören, weshalb er zwischen der Forderung nach Demokratisierung und dem Ausbau der demokratischen Ordnung unterschied: »Bei mehr als einer Gelegenheit haben sich 1968 die lauten Vorkämpfer der ›Demokratisierung‹ entlarvt. Zu oft reden sie von Demokratie, wenn sie in Wahrheit nicht geordnete, ausbalancierte Volksherrschaft, sondern die Zertrümmerung aller Strukturen meinen, die ihrer scheinelitären Auffassung nach den Makel der ›autoritären‹ Ordnung tragen. Nicht ›Demokratisierung‹ als verschwommene Utopie auf dem Hintergrund der herrschaftslosen Gesellschaft, sondern Ausbau der demokratischen Ordnung ist das Gebot.«821 Im Wahlkampf für die Bundestagswahl 1969 zeigte sich schon in Ansätzen, welche Brisanz die »Demokratisierung« bei einem Wahlsieg der SPD haben könnte. Anton Böhm betonte, dass der Wähler schon politisch gebildet sein müsse, um zum einen große Unterschiede zwischen den Regierungsparteien der Großen Koalition feststellen zu können und um zum anderen die Bedeutung der These des CDU-Wahlkampfleiters Bruno Heck zu begreifen, »daß die von den Sozialdemokraten proklamierte ›Demokratisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens‹ sich notwendigerweise in eine Totalsozialisierung der Gesellschaft verwandeln müsse – weshalb das demokratische Prinzip dem Staat und den politikähnlichen Verhältnissen vorzubehalten sei.«822 Die hier skizzierten Ängste von Anton Böhm, Jürgen Wahl und Bruno Heck können als beispielhaft für die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einer allumfassenden Demokratisierung angesehen werden und sie existierten auch schon vor dem Regierungsantritt Willy Brandts. Nach dessen Regierungsantritt und seiner erklärten Absicht, nicht weniger, sondern mehr Demokratie wagen zu wollen, wurden diese Ängste vermehrt artikuliert, wenn beispielsweise die Gefahren einer gewerkschaftlichen Mitbestimmung oder der Demokratisierung der Universitäten beschrieben wurden. Der CDU-Politiker und Bundestagsabgeordnete Alphons Horten sah im September 1970 zwar auch die Ostpolitik Brandts als gefährlich an und forderte die Union dazu auf, sorg820 Wahl: Demokratisierung. 821 Wahl: Demokratisierung. Auch Moritz Scheibe stellte heraus, dass ohne die Wahrnehmung der Studentenbewegung die Gegenbewegung zur Demokratisierung nicht zu verstehen sei und dass dabei Erinnerungen an die völkischen Studentenbewegungen der 1920er Jahre artikuliert wurden; Vgl. Scheibe: Auf der Suche, S. 264 und S. 271 f. 822 Anton Böhm: Wahl-Kanonade; in: Rheinischer Merkur Nr. 37/1969 vom 12. 9. 1969, S. 1 f.; hier : S. 2.

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fältige Oppositionsarbeit zu garantieren, um die Grundlagen der freiheitlichen Existenz der Bundesrepublik nicht zu gefährden, für ihn sei aber die Bekämpfung der von der SPD anvisierten Demokratisierung das entscheidende Thema der kommenden Jahre in der geistigen Auseinandersetzung mit der SPD.823 Im November 1970 befürchtete Sebastian Neuhaus, dass es nicht gut um die Freiheit der bundesdeutschen Gesellschaft bestellt sei, da bestimmte politische Kräfte versuchen würden, »unter Berufung auf wirkliche und angebliche Sachzwänge den Einfluß des Staates auf immer weitere Bereiche dieser Gesellschaft auszudehnen.«824 Zwar spiele sich dieses Vorgehen auf ›Nebenschauplätzen‹ der Politik ab, dennoch verdiene es besondere Aufmerksamkeit. Neuhaus betonte, dass das Wechselspiel zwischen gesellschaftlichem und staatlichem Handeln nur dann gelingen könne, wenn gesellschaftliche Kräfte einen freien Gestaltungsraum besitzen, der es ermöglicht, selbstständig und mit einer Vielzahl an Meinungen und Auffassungen an öffentlichen Aufgaben mitzuwirken.825 Deshalb kritisierte Neuhaus auch massiv die Zielvorstellung des Bundesfinanzministers Alex Möller, dass die gesellschaftliche Situation jedes Menschen nach dem Leitbild der SPD gestaltet werden solle, denn »[d]iese Forderung weist unverkennbar ideologische Züge auf und kann in letzter Konsequenz nur zur Liquidierung der pluralistischen Gesellschaftsordnung führen.«826 Allerdings bekannte Neuhaus, dass Alex Möller sich mit dieser Aussage bestimmt unabsichtlich der Meinung der neuen Linken genähert habe. Da im konservativen Wahrnehmungsmuster eine Übertragung des demokratischen Prinzips auf gesellschaftliche Bereiche abgelehnt wurde, sprach sich der Weihbischof Heinrich Tenhumberg auch schon Anfang 1968 gegen eine Übertragung des demokratischen Prinzips auf die Kirche aus, da die Kirche »eine Stiftung Christi und nicht das Produkt eines demokratischen Mehrheitsbeschlusses« sei.827 Im Jahr 1971 erschienen neun Thesen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zum Demokratie-Missbrauch, die eine starke mediale Aufmerksamkeit erlangten.828 In diesen neun Thesen sollte die Gefahr aufgezeigt werden, die aus einer allumfassenden Demokratisierung nicht politischer Be823 Vgl. Alphons Horten: Kein Programm für die Opposition. Widersprüche und Lücken im Entwurf der Sonderkommission für den CDU-Parteitag; in: Rheinischer Merkur Nr. 36/ 1970 vom 4. 9. 1970, S. 10. 824 Sebastian Neuhaus: Bedrohte Freiheit der Gesellschaft. Die Linksregierung betreibt Verstaatlichung durch die Hintertür ; in: Rheinischer Merkur Nr. 45/1970 vom 6. 11. 1970, S. 10. 825 Vgl. Neuhaus: Bedrohte Freiheit der Gesellschaft. 826 Neuhaus: Bedrohte Freiheit der Gesellschaft. 827 Heinrich Tenhumberg: Kirche und moderne Demokratie. Was die Religion dem Staat an moralischer Kräftigung zu bieten hat; in: Rheinischer Merkur Nr. 1/1968 vom 5. 1. 1968, S. 4. 828 Vgl. Gegen Demokratie-Mißbrauch. Neun Thesen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken; in: Rheinischer Merkur Nr. 32/1971 vom 6. 8. 1971, S. 4.

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reiche resultieren könnte. In der ersten These wandten sich die Katholiken gegen eine Erwartungshaltung an die Demokratie, die diese nicht erfüllen könne, wie beispielsweise die Besserung des Menschen, und kritisierten, dass Demokratie als eine Art Religionsersatz angesehen würde: »Heute sehen wir die entsprechende Gefahr aufziehen, daß man im Namen eines pseudoreligiös übersteigerten Demokratismus den konkreten demokratischen Staat mitsamt seinen politischen Freiheiten zugrunde richtet.«829 In der zweiten These richtete sich das Zentralkomitee dagegen, dass eine bestimmte Gruppe in ihrer Politik einen »Wahrheitsanspruch« sehe, auch wenn sie in der Mehrheit sein sollte, denn »[j] edes elitäre Bewußtsein, das glaubt, die ›Massen‹ zu ihrem ›wahren Glück‹ führen zu müssen, ist im Ansatz totalitär und hat Unfreiheit zur Folge.«830 Außerdem wandte sich das Zentralkomitee in der zweiten These gegen DemokratieMissbrauch gegen die Vorstellung, dass nur die direkte Demokratie die wahre Demokratie sei und dass die repräsentative Demokratie den Volkswillen verfälschen würde.831 In der vierten These hob das Zentralkomitee hervor, dass Freiheit und Gleichheit Prinzipien der Demokratie seien und dass alle Menschen zwar gleich an Wertigkeit, aber ungleich in ihren Wünschen, Neigungen und individuellen Veranlagungen seien. Die Thesen des Zentralkomitees der Katholiken erlangten eine große Aufmerksamkeit und wurden im linken Wahrnehmungsmuster stark kritisiert. Anton Böhm überraschten die heftigen Reaktionen im linken Wahrnehmungsmuster auf die neun Thesen kaum, da diese so »ausfallen mußte[n], wenn man Demokratie tatsächlich als eine durch Tabus geschützte Heilslehre ansieht und daher jede kritische Annäherung an deren Probleme als Gesinnungsverbrechen zu verurteilen hat.«832 Böhm zeigte sich erfreut über das Zustandekommen der neun Thesen, da die politische Diskussion im linken Wahrnehmungsmuster zuvor von der Verwechslung von Anarchie und Demokratie beherrscht gewesen und von der Annahme ausgegangen worden sei, dass Demokratie von Herrschaftslosigkeit geprägt sei.833 Böhm warnte davor, dass eine Gesellschaft, in der niemand einem Anderen befehlen dürfe, eine Utopie sei und dass diese Utopie nur blutig enden könne, »weil man die reale Gleichheit nur mit Gewalt herstellen kann; und schon die Annäherung an das reine Ideal würde gerade das herbeiführen, was die Umgangssprache mit ›Anarchie‹ meint: also das gesellschaftliche Chaos.«834 Auch Friedrich Graf von Westphalen erkannte in Gegen Demokratie-Mißbrauch. Gegen Demokratie-Mißbrauch. Vgl. Gegen Demokratie-Mißbrauch. Anton Böhm: Alarm zur Zeit; in: Rheinischer Merkur Nr. 33/1971 vom 13. 8. 1971, S. 1 f.; hier : S. 1. 833 Vgl. Böhm: Alarm zur Zeit, S. 1. 834 Böhm: Alarm zur Zeit, S. 1 f.

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der geforderten Gleichheit Aller eine massive Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie, da diese Gleichheit die individuelle Freiheit zerstören würde.835 Von Natur aus seien eben nicht alle Menschen gleich und dürften deshalb auch nicht gleichgemacht werden. Anton Böhm warnte weiterhin vor der radikalen Linken, die zwar vorgebe, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen, in Wahrheit dieses aber mit dem Ziel umdeute, die Grundlagen der repräsentativen Demokratie und zum Schluss die Demokratie selber zu zerstören.836 Nach der Demokratie solle dem Bewusstsein der radikalen Linken nach eine Diktatur der Minderheit mit dem einzig wahrem Bewusstsein entstehen, wobei Böhm die Hauptgefahr darin sehe, dass auch ehrliche Demokraten sich von der linksradikalen Ideologie täuschen ließen und schließlich keine Umkehr mehr möglich sei. Böhm forderte deshalb die Kritiker der Thesen auf, sachlich eigene Gegenthesen aufzustellen und darüber zu diskutieren, was man unter Demokratie verstehe. Böhm nahm an, dass ein Hauptkonflikt in der Auseinandersetzung zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster dadurch begründet sei, dass man sich nicht einig sei, was man unter dem Begriff der Demokratie überhaupt verstehe: »Im Grunde gibt es nur ein einziges absolut sicheres Merkmal: die Entscheidung durch Mehrheit. Wo das Majoritätsprinzip nicht herrscht, ist keine Demokratie.«837 Im Laufe der Jahre habe sich die Vorstellung von Demokratie aber dahingehend gewandelt, dass weitere Elemente als Merkmale einer Demokratie angesehen würden, die nicht zwingend mit dem Majoritätsprinzip verbunden seien, wie beispielsweise Toleranz, Humanität, Rechtsstaatlichkeit, Liberalität, Äußerungsfreiheit, Minderheitenschutz, Daseinsvorsorge und soziale Gerechtigkeit.838 Diese Zunahme an demokratischen Errungenschaften führe dazu, so Böhm weiter, dass im linken Wahrnehmungsmuster die Angst bestehe, dass eben auch die anderen Errungenschaften abgebaut werden sollen, wenn im konservativen Wahrnehmungsmuster gefordert werde, dass das Mehrheitsprinzip auf den Bereich der Politik beschränkt bleiben solle. Da im konservativen Wahrnehmungsmuster aber lediglich die strikte Anwendung des Mehrheitsprinzips in nicht-politischen Bereichen, nicht aber die Mitverantwortung und Mitwirkung abgelehnt werde, schlug Böhm die Verwendung des Begriffes »Partizipation« vor, »ein wenig griffiges Wort – freilich immer noch besser als der Unbegriff ›gesellschaftliche Demokratie‹.«839 Böhm nahm hier die Forderung des Zentralkomitees auf, denn 835 Vgl. Friedrich Graf von Westphalen: Gleichheit gegen Freiheit. Die Aushöhlung der Grundrechte durch sozialistische Maximen; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1972 vom 1. 12. 1972, S. 10. 836 Vgl. Böhm: Alarm zur Zeit, S. 2. 837 Böhm: Alarm zur Zeit, S. 2. 838 Vgl. Böhm: Alarm zur Zeit, S. 2. 839 Böhm: Alarm zur Zeit, S. 2.

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die Bezeichnung »Partizipation« wurde auch in der sechsten These des Zentralkomitees vorgeschlagen. Im linken Wahrnehmungsmuster wurden die Thesen des Zentralkomitees empört aufgenommen. Walter Dirks kritisierte im »Spiegel«, dass die 26 Thesenseiten vorgeben würden, was man zu denken habe und sich gegen alle richten würden, die im gesellschaftlichen Bereich für eine Demokratisierung eintreten.840 Außerdem beanstandete Dirks, dass sich die Thesen lediglich gegen links richten würden und Gefahren von rechts außer Acht ließen, wie beispielsweise reaktionäre Elemente in der bundesdeutschen Gesellschaft und die Möglichkeit, dass 1973 ein autoritäres Regime etabliert werden könnte. Dirks empfand den Vorschlag des Zentralkomitees anmaßend, den Terminus »Partizipation« zu verwenden, da »hier ein offiziöser Beirat des Zentralkomitees es für eine Klärung hält, der Öffentlichkeit und der Wissenschaft einen neuen Terminus vorzuschreiben.«841 Der Professor für Christliche Gesellschaftslehre Anton Rauscher bezeichnete im »Thema der Woche« im »Rheinischen Merkur« Walter Dirks Behauptung mit Bezugnahme auf Josef Goebbels, dass die Thesen vorgeben würden, was man zu denken habe, als eine böswillige Unterstellung.842 Rauscher verwies darauf, dass die Thesen von Politikern beider großen Parteien erarbeitet wurden und kritisierte Walter Dirks Aussage zur Möglichkeit der Errichtung eines autoritären Regimes im Jahre 1973 als Verunglimpfung einer Partei, die ihn an die Zeiten der Weimarer Agonie erinnerten. Für Rauscher seien die Thesen nicht allein gegen links gerichtet, sondern ebenso gegen rechts, die einseitige Rezeption erklärte er sich aber aus der Gefahrenwahrnehmung der Bevölkerung: »Wenn die öffentliche Meinung die Thesen weithin als gegen ›links‹ gerichtet empfunden hat, dann dürfte dies mit der Tatsache zusammenhängen, daß gegenwärtig die größere Gefahr für die Demokratie in der Tat ›von links‹ droht, wofür ein eigener Nachweis nicht geliefert zu werden braucht.«843 Rauscher bezog sich auf die Erfahrungen der Weimarer Republik, dass schon einmal eine »Demokratie in Deutschland an der Unfähigkeit gescheitert [sei], die Umsturzversuche rechtzeitig unschädlich zu machen« und betonte, dass die Thesen nicht prinzipiell gegen Reformen gerichtet seien, »aber diese Veränderungen dürfen nicht um den Preis eines Abrutschens in antidemokratische und totalitäre Zustände erkauft werden.«844 840 Vgl. Walter Dirks: »Ein Papier, das sich seriös gibt.«; in: Der Spiegel Nr. 34/1971 vom 16. 8. 1971, S. 33. 841 Dirks: »Ein Papier, das sich seriös gibt.« 842 Vgl. Anton Rauscher : Streit um Demokratie. Neun Thesen wider ihren Mißbrauch – Kritik der Kritiker ; in: Rheinischer Merkur Nr. 37/1971 vom 10. 9. 1971, S. 10. 843 Rauscher : Streit um Demokratie. 844 Rauscher : Streit um Demokratie.

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Die Idee einer allumfassenden Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft weckte im konservativen Wahrnehmungsmuster für die einzelnen zu demokratisierenden Bereiche auch unterschiedlich begründete Ängste, worauf an späterer Stelle eingegangen wird. All diesen Ängsten war aber gemein, dass als »Endprodukt« der Demokratisierung ein Ende der bundesdeutschen Demokratie befürchtet wurde. Der Theologe und Publizist Heinrich Basilius Streithofen leitete aus dem Godesberger Programm der SPD von 1959 bereits das spätere Ziel einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft ab und warnte ausdrücklich vor einer Ausdehnung der Demokratie auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft: »Die Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche – Universität, Unternehmen und Betrieb, Kirche, Schule und Familie – führt zu einer spinnwebartigen Überziehung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche mit Räten, anzurufenden Kontrollinstanzen, neutralen Schiedsstellen. Die Konsequenzen: totale Politisierung des gesamtgesellschaftlichen Lebens; der freie Mensch wird durch die Demokratisierung auf dem Weg zu organisierter Freiheit gleichgeschaltet und damit letztlich unfrei.«845 Streithofen gab außerdem Wilhelm Hennis Recht, der die Demokratisierung als neue Art der gesellschaftlichen Gleichschaltung empfand und Ähnlichkeiten zur nationalsozialistischen Gleichschaltung sah, da im Nationalsozialismus das Führerprinzip auf sämtliche gesellschaftliche Bereiche angewendet wurde.846 Streithofen konstatierte, dass die Demokratisierung die Freiheit in allen Lebensbereichen wegdemokratisieren und am Ende die Unfreiheit stehen werde.847 In den ersten Jahren der Regierung Brandts wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster häufiger die Gefahren einer umfassenden Demokratisierung aufgezeigt, die zwangsläufig aus der Demokratisierung resultieren könnten, da der Grundgedanke der Demokratisierung falsch sei und man das Prinzip der Demokratie eben nicht auf alle gesellschaftlichen Bereiche übertragen könne. Ab ca. 1972 überwog dagegen allmählich die Befürchtung, dass der linke Flügel der SPD und der FDP, vor allem aber die Jusos, die Demokratisierung deshalb durchführen wolle, um die Demokratie gezielt zu zerstören und ein autoritäres, sozialistisches System zu etablieren. Elimar Schubbe kritisierte, dass »wundergläubige Bürger in Redaktionsstuben und Parteibüros […] erregt die magische Formel der Neuen Linken ins Mikrophon [nachplappern], die uns das Tor zum Paradies öffnen soll« und die Gefahr der Demokratisierung

845 Heinrich Basilius Streithofen: Adenauers Erben auf Standortsuche. Parteitag der ideologischen Konfrontation; in: Rheinischer Merkur Nr. 3/1971 vom 15. 1. 1971, S. 10. 846 Vgl. nach Streithofen: Adenauers Erben auf Standortsuche. Vgl. zu Hennis Rolle im Demokratisierungsdiskurs Scheibe: Auf der Suche, S. 270 – 273. 847 Vgl. Streithofen: Adenauers Erben auf Standortsuche.

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verkennen würden.848 Den Linken aber gehe es nicht um größere Entscheidungsmöglichkeiten des Einzelnen oder die persönliche Freiheit, sondern letztlich um die Zerstörung der parlamentarischen Demokratie westlicher Ausprägung zugunsten einer kommunistischen Volks-Demokratie östlicher Prägung.849 In der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik werde der freie Wille des mündigen Bürgers durch das Parlament als Souverän vertreten, weshalb es neben dem Parlament keine andere legitime Herrschaft geben könne. Sobald aber eine andere politische Herrschaft existiere, die nicht durch die Volksvertretung legitimiert ist, werde die Demokratie zerstört, da das Selbstbestimmungsrecht der Bürger demontiert sei. Schubbe befürchtete, dass aber genau das das Ziel der Neuen Linken sei, wenn einzelne Institutionen als »Gegengesellschaften eigener Souveränität« etabliert werden sollen, wobei die Universitäten nur als erstes Übungsfeld dienen würden: »Das Ziel ist klar – die Entmachtung des Parlaments und damit die Entmündigung der Bürger zugunsten einer Vielzahl von souveränen Gegengesellschaften, in denen unter dem Banner des ›Fortschritts‹ die Aktivisten der sozialistischen Revolution die Institutionen des Staates funktionsunfähig machen und seine Ordnungsstrukturen zertrümmern können.«850 Da zugleich ideologisch indoktriniert werde, stehe am Ende des ›Demokratisierungsprozesses‹ »die Volksdemokratie omnipotenter Ideologen als Perversion der Aristokratie.«851 Schubbes Aussagen verdeutlichen schon ansatzweise den Zusammenhang zwischen Ängsten vor einer Demokratisierung und vor einem schwachen Staat, der sich seiner Feinde nicht erwehren kann und von diesen unterwandert werde (siehe Kapitel 3.3.2.2). Aber auch Ängste vor dem Entstehen eines totalitären Staats durch die Demokratisierung wurden nach 1972 weiterhin artikuliert. Allerdings wurde nur zurückhaltend artikuliert, dass die sozialliberale Regierung diesen totalitären Staat bewusst anstrebe, sondern es wurde vielmehr die Meinung vertreten, dass sich dieser unabsichtlich, aber zwangsläufig aus der Politik der sozialliberalen Koalition entwickeln könnte, da linke Demokratiegegner diese ausnützen würden. Hermann Boventer mahnte die Bundesregierung im Februar 1973 zu bedenken, dass »es ideologische Grundströmungen gibt, die über die Reformen hinweggehen, aber auch durch sie hindurch« und sah eine solche Gefahr durch die Demokratisierung gegeben, wobei er bekannte Ängste artikulierte: »Eine dieser Grundströmungen bedroht heute das freiheitliche, rechtsstaatliche Gefüge der Bundesrepublik in seinem Kern. Es ist das Bestreben, die politischen Gewalten der Demokratie auf sämtliche Lebensbereiche des 848 Elimar Schubbe: Demokratisierung; in: Rheinischer Merkur Nr. 15/1972 vom 14. 4. 1972, S. 10. 849 Vgl. Schubbe: Demokratisierung. 850 Schubbe: Demokratisierung. 851 Schubbe: Demokratisierung.

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Bürgers auszudehnen. Auf solche Weise wird die Demokratie radikalisiert und ihr Weg in den egalitären Einheitsstaat vorgezeichnet. Die Freiheit der individuellen Lebensführung und der Pluralismus der sozialen Interessen und Bedürfnisse sehen sich auf lebensgefährliche Weise herausgefordert, wenn zukünftig die Normen der Lebensqualität staatlicherseits geliefert werden sollten.«852 Boventer kritisierte weiterhin die Fremdbestimmung des Individuums durch den Staat und dass der Freiheitswille des Einzelnen durch eine totale Politik so stark geschwächt werde, dass viele junge Menschen eine gewisse Anziehungskraft gegenüber totalitären Denkmustern empfänden.853 Boventer betonte, dass die Grundwerte der Bundesrepublik freiheitlicher Art seien und dass die Demokratie nur für freiheitliche Werte existiere und nicht umgekehrt. Der drohende Gewerkschaftsstaat: Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor erweiterten Mitbestimmungsrechten und vor einer zu starken Gewerkschaftsmacht Die Ängste vor einer allumfassenden Demokratisierung resultierten vereinzelt aus den Ängsten vor einer zu starken Gewerkschaft, vor allem vor zu starken Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer in Wirtschaftsangelegenheiten. Diese Ängste existierten im konservativen Wahrnehmungsmuster schon vor Beginn der Großen Koalition und bildeten teilweise das Fundament, auf dem die Ängste vor einer umfassenden Demokratisierung in so großem Ausmaß entstehen konnten. Bereits im Jahr 1965 warnte der Vorsitzende des »Arbeitskreis Mitbestimmung« und spätere Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer davor, »daß die Existenz sowohl unserer Wirtschafts- als auch unserer Gesellschaftsordnung gefährdet ist, wenn der Versuch unternommen wird, die in der Kohle- und Stahlindustrie geltende Mitbestimmung [nach paritätischem Prinzip von Anteilseignern und Arbeitnehmern- bzw. Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat, C.S.] auf die gesamte Industrie auszudehnen«.854 Mit der Regierungsbeteiligung der SPD in der Großen Koalition und vor allem mit dem Beginn der sozialliberalen Koalition verstärkten sich die Ängste vor einer zu starken Gewerkschaftsmacht, da die SPD nun erstmalig die Möglichkeit besaß, Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften durchzusetzen. Im Oktober 1968 berichtete der »Spiegel« von der »Aktionsgemeinschaft Sicherheit durch Fortschritt e.V.«, die aus Vertretern von Unternehmern, Christdemokraten und Ar852 Hermann Boventer : Reparatur für »depravierte Seelen«? Zur Diskussion über das Stichwort Lebensqualität; in: Rheinischer Merkur Nr. 6/1973 vom 9. 2. 1973, S. 10. 853 Vgl. Boventer : Reparatur für »depravierte Seelen«? 854 33000 Aufsichtsrats-Mandate für den DGB? Spiegel-Interview mit Dr. jur. Hanns Martin Schleyer, Vorsitzender des »Arbeitskreises Mitbestimmung«; in: Der Spiegel Nr. 46/1965 vom 10. 11. 1965, S. 56 ff.; hier : S. 56.

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beitgeberverbänden bestand, und die anhand der paritätischen Mitbestimmung ein Ende der Freiheit und des Wohlstandes und der Sozialen Marktwirtschaft befürchteten, da stattdessen eine »zentral gesteuerte Gewalt außerhalb des Parlaments« entstehen soll: der »Gewerkschaftsstaat«.855 Anlass für die Auseinandersetzung über die Mitbestimmung waren zwei Gesetzesentwürfe des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in denen eine paritätische Vertretung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Aufsichtsräten der 393 größten deutschen Unternehmen sowie eine gewerkschaftliche Vertretung in den Vorständen und eine Stärkung des Betriebsrates in kleineren Unternehmen gefordert wurde.856 Das Deutsche Industrieinstitut hielt eine Demokratisierung der Wirtschaft für sinnlos, da Demokratie ein Begriff aus dem politischen Leben sei und nicht auf die Wirtschaft anwendbar wäre, da dort allein der Sachverstand entscheiden würde.857 Im linken Wahrnehmungsmuster wurde diese Ansicht nicht geteilt, da in einer Demokratie Mitbestimmungsrechte in sämtlichen Bereichen existieren müssten und nicht nur auf die Politik beschränkt bleiben dürften, da, so Carlo Schmid, derjenige nach Feierabend kein guter Demokrat sein könne, der im Betrieb Untertan ist.858 Der »Spiegel« konstatierte daraufhin, dass die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einer Gefährdung der freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung übertrieben seien und aus einer alten Feindschaft gegenüber den Gewerkschaften resultiere: »Arbeitgeber-Verbände und rechte Christdemokraten mobilisierten die in Deutschland seit je latente Gewerkschaftsfeindlichkeit und die verbreitete Neigung, legitime Interessen-Vertretung – vor allem, wenn sie von links kommt – an den Rand der Verfassung zu bugsieren.«859 In einem »Spiegel«-Interview behauptete Hanns Martin Schleyer, dass die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen nur ein Motiv der Gewerkschaften sei und dass diese ebenso eine Machtzunahme beabsichtigen würden.860 Der »Spiegel« hinterfragte daraufhin, wie die Gewerkschaften den »Gewerkschaftsstaat« errichten sollten, wenn sie maximal einen Teil der Macht bekommen, der derzeit noch den Unternehmern gehört, worauf Schleyer erwiderte, dass die Unternehmer als heterogene Gruppe nicht existieren würden, anders als die Gewerkschaften. Schleyer begründete die vom »Spiegel« als »bösartigen Vorwurf« empfundenen Ängste vor einer Zerstörung der freiheitlichen Grundordnung damit, dass die Gewerkschaften einen Angriff auf das 855 856 857 858 859 860

Zit. nach: Tür zur Macht; in: Der Spiegel Nr. 44/1968 vom 28. 10. 1968, S. 46 – 65; hier : S. 46. Vgl. Tür zur Macht, S. 49. Vgl. nach: Tür zur Macht, S. 46. Vgl. Tür zur Macht, S. 57. Tür zur Macht, S. 57. Vgl. »Mitbestimmung – Angriff auf das Eigentum.« Spiegel-Gespräch mit Dr. Hanns Martin Schleyer, Vorstandsmitglied der Daimler-Benz AG; in: Der Spiegel Nr. 44/1968 vom 28. 10. 1968, S. 67 – 70; hier: S. 68.

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unternehmerische Eigentum durchsetzen wollten, welches das wesentliche Element der freiheitlichen Grundordnung sei: »Wenn man der Meinung ist, daß unsere derzeitige Ordnung im wesentlichen auf dem Eigentum basiert und das Eigentum eines der entscheidenden Ordnungselemente ist, dann ist die Mitbestimmung ein Angriff auf diese Ordnung, denn sie ist zweifellos ein Angriff auf die Funktion des Eigentums.«861 Anhand der Aussage Schleyers wird deutlich, warum eine Veränderung des wirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik im konservativen Wahrnehmungsmuster zugleich als Angriff auf das politische und gesellschaftliche System angesehen wurde. Doch nicht nur die Forderung einer paritätischen Mitbestimmung, sondern auch die Art und Weise, mit der die Gewerkschaften ihre Forderungen durchsetzen wollten, erregte im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor dem Untergang der bundesdeutschen Demokratie. Herwig Gückelhorn kritisierte, dass die Gewerkschaften als Alternative zur Mitbestimmung nur die Enteignung und Sozialisierung sahen und dass die Gewerkschaften anstatt durch Argumente zu überzeugen, wie es der demokratische Weg wäre, durch Drohungen ihre Forderungen durchsetzen wollten.862 Wenn die Drohung sich aber als demokratischer Stil etabliere, dann sei die Demokratie am Ende. Gückelhorn befürchtete, dass sich der Stil durchsetze, dass derjenige seine Forderungen erfüllen könne, der sich nur laut genug artikuliere und dass an der Feigheit, sich nicht gegen diesen Stil zu wehren, die Demokratie zugrunde gehen könnte. Auch nach dem Regierungsantritt Brandts erschreckte die gewerkschaftliche Forderung nach einer bundesgesetzlichen Regelung zur Mitbestimmung das konservative Wahrnehmungsmuster. Leo Schütze kritisierte das Unterlaufen der Gesetzgebungskompetenz des Bundestages durch die Gewerkschaften als »Verstoß gegen die Grundsätze unserer Demokratie«.863 Für Schütze höhle eine Demokratisierung aller Lebensbereiche die funktionsfähige Demokratie aus, da im Falle einer paritätischen Mitbestimmung die Angestellten im öffentlichen Dienst direkten Einfluss auf die öffentlichen Versorgungsbetriebe ausüben könnten, während andere Bürger, die nur ihr Wahlrecht besäßen und nur durch Vertreter Einfluss nehmen könnten, benachteiligt wären, wodurch die Bürger in zwei Klassen unterteilt würden.864 Da die »Mitbestimmungswelle konsequenterweise vor einer sachgerechten Gestaltung des Gemeinwohlsektors unserer Gesellschaft nicht halt macht«, forderte Schütze von »den Anhängern bürgerlicher Freiheit und parlamentarischer Demokratie […], gegen einen gesell861 »Mitbestimmung – Angriff auf das Eigentum«, S. 70. 862 Vgl. Herwig Gückelhorn: Gewerkschaftsfunktionäre drohen. Spekulation auf die Feigheit als politisches Instrument; in: Rheinischer Merkur Nr. 3/1969 vom 17. 1. 1969, S. 1. 863 Leo Schütze: Balkanisierung einer Idee. Das Paritätsmodell höhlt in Kommunalunternehmen die Demokratie aus; in: Rheinischer Merkur Nr. 27/1970 vom 3. 7. 1970, S. 2. 864 Vgl. Schütze: Balkanisierung einer Idee.

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schaftspolitischen Totalitarismus einzutreten.«865 Auch Alphons Horten forderte nach der Bundestagswahlniederlage der Union 1969 als Strategie der Opposition den Mut zu artikulieren, dass Demokratie ein politisches Prinzip sei, dass eben nur begrenzt als gesellschaftliches Prinzip wirken könne.866 Er befürchtete, dass ein Mitbestimmungsrecht im öffentlichen Bereich dazu führen könne, dass die Beschäftigten öffentlicher Betriebe Blockierungsrechte gegenüber den durch Wahlen legitimierten Vertretern der Kommunalparlamente ausübten. Dadurch könne zukünftig nur noch mit Zustimmung der zuständigen Behörde regiert werden, sodass Horten konstatierte: »Die ›Soziale Demokratie‹ würde zur Auflösung der ›Politischen Demokratie‹ führen.«867 Im Oktober 1970 warnte Leo Schütze davor, dass die CDU ihrem linken Partei-Flügel nachgeben werde und kritiklos den Biedenkopf-Vorschlag zur Mitbestimmung übernehme, der ein Zahlenverhältnis von fünf zu zwölf zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern statt bisher eins zu drei vorsah, da eine Ausweitung der Mitbestimmung letztlich nur dazu dienen werde, den Sozialismus in der Bundesrepublik zu etablieren.868 Im März 1971 wurde vom DGB ein Konzept zur »Mitbestimmung im gesamtgesellschaftlichen Bereich« vorgestellt, in dem vorgeschlagen wurde, dass ein Bundeswirtschaftsrat mit 120 bis 160 Mitgliedern zukünftig für die gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik zuständig sein sollte.869 Herwig Gückelhorn störte an diesem Vorschlag am meisten, dass damit ein Rätesystem entstehen würde, in dem nicht das Volk durch Wahlen bestimme, sondern bestimmte Organisationen, die nicht vom Volk gewählt, sondern lediglich von ihren Vorgesetzten bestimmt würden, »über die Wirtschaftspolitik und damit über die Grundlagen aller Politik entscheiden sollen«, weshalb er fragte, ob dem DGB nicht aufgefallen sei, »daß dies das Ende der parlamentarischen Demokratie wäre?«870 In Anspielung an die Entwicklungen in sozialistischen Ländern, in denen die Gewerkschaften entmachtet wurden, fragte Gückelhorn: »Weiß der DGB nicht, daß es den Gewerkschaftsstaat nur als kurze Übergangslösung zur Staatskontrolle über die Gewerkschaften gibt?«871 Ab 1971 nahmen im konservativen Wahrnehmungsmuster die Befürchtungen zu, dass die Gewerkschaften ihre Machtbefugnisse massiv ausbauen könnten und letztlich so viel Einfluss erlangen könnten, dass ein »Gewerkschaftsstaat« Schütze: Balkanisierung einer Idee. Vgl. Horten: Kein Programm für die Opposition. Horten: Kein Programm für die Opposition. Vgl. Leo Schütze: Schock durch CDU-Programmierer. Unruhe in der Wirtschaft nach dem Triumph der Sozialausschüsse; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1970 vom 9. 10. 1970, S. 4. 869 Vgl. nach: Herwig Gückelhorn: Der DGB fordert ein Rätesystem. »Mitbestimmung« soll ein nicht gewähltes Nebenparlament schaffen; in: Rheinischer Merkur Nr. 12/1971 vom 19. 3. 1971, S. 1. 870 Gückelhorn: Der DGB fordert ein Rätesystem. 871 Gückelhorn: Der DGB fordert ein Rätesystem.

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drohe, der die eigentlichen Machtkompetenzen in wesentlichen Bereichen besitze. Den wachsenden Machtanspruch der Gewerkschaften hielt Herwig Gückelhorn auch deshalb für gefährlich, da er zwei mögliche Entwicklungen zuließe, die beide für die bundesdeutsche Demokratie untauglich wären.872 Entweder die Gewerkschaften würden diesen Staat derart unter Besitz nehmen, dass ein Gewerkschaftsstaat entstehe, oder aber der Staat erwehre sich dem Machtanspruch der Gewerkschaften, da er verpflichtet sei, die Sicherheit und Freiheit seiner Bürger zu garantieren, und es würde zu einer staatlichen Aufsicht über die Gewerkschaften kommen. Auch Anton Böhm warnte im Bundestagswahlkampf 1972 vor einem »SPDGB-Gebilde«, da das Gleichgewicht beider Kräfte labil sei: »Entweder die Gewerkschaft wird zum untertänigen Werkzeug der Partei wie in den totalitären Systemen – oder die Partei wird zum Spielball der Gewerkschaft […]. Die eine wie die andere Art der Bereinigung des Kräfteverhältnisses ginge zu Lasten der Funktions- und Lebensfähigkeit unserer Demokratie.«873 Im Januar 1973 wiederholte Gückelhorn die Ängste vor dem Gewerkschaftsstaat, der entstehen würde, wenn die Gewerkschaften durch zu viele Mitbestimmungsrechte in Aufsichtsräten auch durch betriebsfremde Gewerkschaftsfunktionäre massive Kompetenzen bekommen würden und somit »nicht mehr Gruppe unter Gruppen in der pluralistischen Gesellschaft, sondern eine Supermacht, genau jener Gewerkschaftsstaat im Staate, vor dem auch einsichtige Sozialdemokraten wie Deist [Heinrich Deist, C.S.] und Carlo Schmid warnten.«874 Gückelhorn kritisierte außerdem den »Anspruch auf einen übergeordneten Verfassungsrang« des DGB-Vorsitzenden Heinz-Oskar Vetter, den die SPD anscheinend durch die Unterstützung der Gewerkschaften im Bundestagswahlkampf 1972 akzeptierte und mahnte, »[d]ie zu enge Umarmung von Staat, Regierung und Gewerkschaft kann die Demokratie ersticken und die notwendige Gewerkschaftsaktivität diskreditieren.«875 Nachdem die ÖTV im Februar 1974 eine Lohnerhöhung von 11 Prozent erstreikt hatte, sah Herwig Gückelhorn den Vorgeschmack eines drohenden Gewerkschaftsstaates: »›Mitbestimmung‹ bis zur Überparität, Einfluß auf Vermögensfonds, ein Imperium eigener Geschäftsunternehmen, enge Verfilzung im gesamten kommunalen und staatlichen Bereich, Einmischung in Politik, Wirtschaft und Kultur, dazu der starke

872 Vgl. Herwig Gückelhorn: Vetters Anspruch; in: Rheinischer Merkur Nr. 2/1972 vom 14. 1. 1972, S. 1 f.; hier : S. 2. 873 Anton Böhm: Wahlkampf am Gesetz vorbei. Wie Brandt und Minister »die Betriebe mobilisieren.«; in: Rheinischer Merkur Nr. 43/1972 vom 27. 10. 1972, S. 1. 874 Herwig Gückelhorn: Zwang zum DGB?; in: Rheinischer Merkur Nr. 3/1973 vom 19. 1. 1973, S. 1 f.; hier: S. 2. 875 Gückelhorn: Zwang zum DGB, S. 2.

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Arm des Streiks ohne Gegenmacht – da fehlt nur noch die äußere Firmierung.«876 Gückelhorn forderte deshalb ein Mitbestimmungsrecht anderer Gruppen bei den Gewerkschaften, um den Egoismus der Gewerkschaften einzudämmen.877 Der saarländische Ministerpräsident Franz Josef Röder (CDU) wollte zwischen den Begriffen »Mitbestimmung« und »Mitverantwortung« unterscheiden und sah den Begriff der »Mitbestimmung« eher als eine politische Frage an.878 Röder warnte davor, dass die demokratische Grundordnung zerstört werde, wenn der Bereich der Mitbestimmung einseitig geregelt werde, da weder ein Gewerkschaftsstaat noch ein Staat der Monopolunternehmen zulässig sei, da alle Bevölkerungsteile gleichermaßen zu ihrem Recht kommen sollten. Für Heinrich Basilius Streithofen bewirkte die geforderte Mitbestimmung kein Gleichgewicht der Kräfte, sondern das Gleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte werde zugunsten eines Gewerkschaftsstaates aufgehoben, weshalb er der CDU zwar die Ausarbeitung einer Mitbestimmungskonzeption zugestand, »[a]ber sie muß dem Arbeitnehmer und nicht einem anonymen Machtapparat wie dem DGB nützen.«879 Auch nach der Kanzlerschaft Brandts artikulierte man im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem drohenden Gewerkschaftsstaat, auch wenn man einräumte, dass mit dem Ende der Kanzlerschaft Brandts auch viele Emotionen und Illusionen verlorengingen und die Gewerkschaften beispielsweise einem möglichen Regierungswechsel 1976 nicht grundsätzlich im Wege ständen.880 So äußerte Friedrich Graf von Westphalen Ängste vor einem Gewerkschaftsstaat, da viele Abgeordnete zugleich Gewerkschaftsmitglieder des DGB seien, sodass die Gewerkschaften einen enormen politischen Einfluss besitzen würden.881 Aber auch der Einfluss der Gewerkschaften vor allem im Medienbereich weckte im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste. Im Dezember 1978 kritisierte Dieter Kraeter, dass gewerkschaftlich organisierte Angehörige des Druckerei-Personals den Druck einer Anzeige des Stahl-Arbeitgeberverbandes verhindert hätten und dass die Gewerkschaften auch im Rundfunkbereich massiven Einfluss ausüben würden, weshalb er konstatierte: 876 Herwig Gückelhorn: Probe für den Gewerkschaftsstaat. ÖTV setzt sich auf Kosten der Bevölkerung durch; in: Rheinischer Merkur Nr. 7/1974 vom 15. 2. 1974, S. 1. 877 Vgl. Gückelhorn: Probe für den Gewerkschaftsstaat. 878 Vgl. Franz Josef Röder: Erfahrungen mit Frankreich; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1974 vom 26. 4. 1974, S. 8. 879 Heinrich Basilius Streithofen: Die CDU und Mitbestimmung. Mit Anpassung kann man keine Wahlen gewinnen; in: Rheinischer Merkur Nr. 32/1974 vom 9. 8. 1974, S. 14. 880 Vgl. Herwig Gückelhorn: Der DGB ist loyal; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1976 vom 23. 4. 1976, S. 1 f.; hier : S. 2. 881 Vgl. Friedrich Graf von Westphalen: Die Funktionäre auf dem Vormarsch. Wird der freie Abgeordnete, der jederzeit »nein« sagen kann, zur Legende?; in: Rheinischer Merkur Nr. 51/1977 von Weihnachten 1977, S. 4.

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»Wer glaubt, die Formel vom Gewerkschaftsstaat sei eine Karikatur, der träumt mit offenen Augen. Der Gewerkschaftsstaat ist eine konkrete Zielvorstellung.«882 Während des Druckerstreiks in Jahr 1984 warf die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« der IG Druck und Papier in Zeitungsinseraten, Werbewänden und Plakaten vor, dass diese die verfassungsmäßige Ordnung zerstöre, indem sie das freie Wort gefährde.883 Zuvor verglich die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« den Druckerstreik sogar mit der nationalsozialistischen Pressezensur : »Wir haben die Zeit nicht vergessen, in der unabhängige Zeitungen unterdrückt wurden. Und wir haben die schrecklichen Folgen dieser Unterdrückung nicht vergessen.«884 Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem drohenden Gewerkschaftsstaat wurden fast ausschließlich als Ängste vor den Gewerkschaften des Dachverbandes des DGB artikuliert, da der DGB die größte Dachorganisation von Einzelgewerkschaften ist. Dagegen wurden beispielsweise die Forderungen des Christlichen Gewerkschaftsbundes (CGB) im konservativen Wahrnehmungsmuster meist geteilt.885 Ein weiterer Grund dafür, dass fast ausschließlich der DGB gemeint war, wenn Ängste vor einem Gewerkschaftsstaat artikuliert wurden, könnte darin gelegen haben, dass im konservativen Wahrnehmungsmuster die Ansicht vorherrschte, dass der DGB von Linksextremisten unterwandert werden könnte und somit als Spielball zur Zerstörung der Demokratie in Form eines Sozialismus eingesetzt werden könnte. Hierbei spielte natürlich auch eine Rolle, dass befürchtet wurde, dass Teile der APO, aber auch Infiltrierte der FDJ in den Gewerkschaften wichtige Positionen übernehmen und diese für ihre verfassungsfeindlichen Ziele einsetzen könnten. Auf der Bundesjugendkonferenz der DGB-Jugend in Braunschweig im Jahr 1968 wurden viele Forderungen aufgestellt, die im konservativen Wahrnehmungsmuster als Forderungen der SED und der APO empfunden wurden.886 Eberhard Grein forderte den DGB deshalb auf, sich gegen den »Ansturm von Braunschweig« zu wehren und kritisierte, dass der Widertand des DGB bisher zu schwach wäre. Für Grein hatte der Ort Braunschweig außerdem eine besondere Bedeutung, da hier 1918 »Deutschlands erste kommunistische Regierung ins Amt kam und 1931 Hitler mit der Einbürgerung seine für uns tödliche Laufbahn an die Spitze des

882 Dieter Kraeter: Die Komplizen schweigen. Gewerkschaftsattacken gegen die Demokratie – kein Thema für die Medien?; in: Rheinischer Merkur Nr. 52/1978 vom 29. 12. 1978, S. 13. 883 Vgl. nach: »Schreckliche Folgen«; in: Der Spiegel Nr. 28/1984 vom 9. 7. 1984, S. 14. 884 Zit. nach: »Schreckliche Folgen«. 885 Vgl. K. L. Dorscheid: CGB regeneriert sich. Kritik an den Sozialausschüssen der CDU; in: Rheinischer Merkur Nr. 22/1973 vom 1. 6. 1973, S. 2. 886 Vgl. Eberhard Grein: Klassenkrampf. Radikalismus in der DGB-Jugend; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1968 vom 29. 11. 1968, S. 2.

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Reiches« begann.887 Auch im Wahlkampf 1972 wurde die angebliche Linksunterwanderung des DGB kritisiert, denn »[f]ür den demokratischen Staat ist es alarmierend, daß sich seine Feinde fest in den Reihen des DGB eingenistet haben und daß sie offen für ihre antidemokratischen Ziele in den Wahlkampf ziehen können. Die Gewerkschaften, die (zu Recht) jeden NPD-Mann aus ihren Reihen verbannen, schweigen, wenn die roten Faschisten Position um Position erobern.«888 Herwig Gückelhorn betonte 1974, dass Demokratie und Gewerkschaftsstaat unvereinbar seien, da die Demokratie »keine Gewerkschaftsdiktatur, keine Monsterorganisation ohne Gegenmacht, mit Gewerkschaftlern als Arbeitnehmern und Arbeitgebern, ohne Kontrolle, aber mit dem Monopol ausgestattet, den persönlichen Aufstieg zu eröffnen oder zu versagen« vertrage.889 Zugleich betonte Gückelhorn aber, dass auch viele Gewerkschaftler keinen Gewerkschaftsstaat wollten, dass sie aber einem Irrtum unterlegen seien, wenn sie die Ansicht vertreten, dass zu pessimistisch gedacht werde, denn in Gang gesetzte Entwicklungen hätten eine Eigendynamik und »[a]us dem ›Hort der Demokratie‹ würde […] flugs das Ende der Demokratie.«890 Die Angst vor einer linken Unterwanderung der Gewerkschaften zur Zerstörung der Demokratie wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster vereinzelt immer wieder artikuliert. So bescheinigte Ludolf Herrmann den Gewerkschaften im Oktober 1983, dass sie ein »unverzichtbares Element in der Demokratie und des sie im Gleichgewicht haltenden Interessenpluralismus« seien, er erkannte aber auch die Entwicklung, dass die Gewerkschaften »durch heimliche und unheimliche Kräfte zu einer Gegenmacht gegen die Demokratie instrumentiert werden.«891 Obwohl die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder und der Gewerkschafts-Vorsitzenden diese Entwicklung nicht wollen würden, bestimmten jene den Kurs, vor deren »Marsch durch die Institutionen« schon vor längerer Zeit gewarnt worden sei und die nun in der Lage seien, Mehrheiten zu manipulieren.892

887 Grein: Klassenkrampf. 888 W. G.: Schweigen im DGB; in: Rheinischer Merkur Nr. 40/1972 vom 6. 10. 1972, S. 4. 889 Herwig Gückelhorn: Richtung DGB-Staat; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1974 vom 19. 4. 1974, S. 1 f.; hier : S. 2. 890 Gückelhorn: Richtung DGB-Staat. 891 Ludolf Herrmann: Trompeten zum Klassenkampf. DGB-Chefs werden radikal; in: Rheinischer Merkur Nr. 42/1983 vom 21. 10. 1983, S. 1. 892 Vgl. Herrmann: Trompeten zum Klassenkampf.

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Weitere Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einer umfassenden Demokratisierung in Justiz, Schule und Polizei Neben den bereits aufgezeigten gesellschaftlichen Bereichen wurde auch in anderen Bereichen die Demokratisierung als Gefahr angesehen. Vor allem das Eindringen des demokratischen Prinzips in Justiz, Schule und Polizei weckte im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie. Friedrich Graf von Westphalen hielt die Demokratisierung in Schule, Universitäten, Wirtschaft und Kirche für gefährlich, betonte aber, dass die Demokratisierung bzw. Politisierung der Justiz noch weitaus gefährlicher sei: »Wenn […] die verfassungsmäßig unabhängige Justiz ›politisiert‹ wird, wenn also – wiederum – Recht gleich Politik sein soll, dann ist unserer Demokratie die Grundlage, und der rechtsstaatlichen Ordnung die Garantie entzogen.«893 Westphalen bezog sich hierbei auf die Forderungen des »Aktionskomitees Justizreform« des Braunschweiger Oberlandesgerichtspräsidenten Rudolf Wassermann und unterstellte Rudolf Wassermann und den anderen ihn unterstützenden Richtern, dass sie politisches und rechtliches Recht gleichsetzen würden, da beide dem Ziel einer sozialistischen Heilslehre entsprechen würden.894 Da keiner der Reformer offen äußern würde, welche Gesellschaftsform er anhand der Politisierung des Rechts erreichen wolle, fragte Westphalen, ob »auf dem Umweg über einen ›Volksrichter in rosarot‹ die marxistisch-sozialistische Revolution erreicht werden« soll?895 Der Oberlandesgerichtsrat Adolf Klein erkannte in der Forderung einer politischen Justiz Parallelen zur nationalsozialistischen Ideologie, vor allem zum Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler, weshalb er vor einer Verharmlosung der Gefahr warnte: »Viele werden es nicht merken, daß der Rechtsstaat in Gefahr ist, und sie werden vollends beruhigt sein, wenn die Widersacher der zweiten (und wohl letzten) deutschen Demokratie von Brandstiftungen zu den subtileren Methoden der inneren Aushöhlung übergehen. Auch vor dreißig Jahren gab es ja Juristen, die das damalige Deutsche Reich immer noch für einen Rechtsstaat hielten.«896 Auch im schulischen Bereich wurde eine Demokratisierung aus Angst um die bundesdeutsche Demokratie abgelehnt. Der Vorschlag des nordrhein-westfälischen Kultusministers Jürgen Girgensohn zur Einführung eines neuen demo893 Friedrich Graf von Westphalen: Entmachtung des Rechts (3.) Der Richter als Revolutionär. Wenn das Gesetz zum Diener der Politik wird…; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/1971 vom 22. 1. 1971, S. 14 f.; hier : S. 14. 894 Vgl. Westphalen: Entmachtung des Rechts (3.). 895 Westphalen: Entmachtung des Rechts (3.). 896 Adolf Klein: Umsturz der Justiz? Linke Ideologien gefährden den Rechtsstaat; in: Rheinischer Merkur Nr. 8/1971 vom 19. 2. 1971, S. 15.

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kratischen Schulverfassungsmodells, das beispielsweise Entscheidungsbefugnisse des Schulparlaments bei der Auswahl des Schuldirektors vorsah, stieß im konservativen Wahrnehmungsmuster auf heftige Kritik. Anton Böhm erkannte darin eine wirksame »Methode, durch ›Demokratisierung‹, die natürlich zugleich Politisierung auf der Oberstufe bedeutet, die Schule funktionsunfähig zu machen«, weshalb er warnte, »[w]er die Grenzen des Majoritätsprinzips verkennt, landet in der Anarchie, die kein Wechselbegriff für Demokratie ist.«897 Hermann Boventer kritisierte ebenfalls den Entwurf von Girgensohn, da der demokratischen Idee eine zu große Last zugemutet werde, sodass die daraus resultierenden Enttäuschungen »eine Situation heranreifen lassen, in der unsere Schulen zu Schulen gegen die parlamentarische Demokratie umfunktioniert werden.«898 Des Weiteren kritisierte Boventer die Demokratievorstellungen der Linken, denen es lediglich um gleiches Stimmrecht gehen würde, nicht aber um andere Werte, die mit der Demokratie eng verbunden seien: »Wie ärmlich muß ein Demokratieverständnis sein, dem nichts anderes einfällt als Paritäten! Demokratie als geistiger Prozeß, als sittlicher Wert, als Idee vom Menschen, von der Freiheit und Brüderlichkeit, als eine Weise vernünftigen Lebens und politischen Handelns – sind das denn nur noch alte Klamotten?«899 Boventer hielt die Idee einer Demokratisierung für so spezifisch deutsch, dass andere Länder Probleme dabei hätten, eine adäquate Vokabel zu finden und warnte davor, dass es im schulischen Bereich noch einige Überraschungen geben werde, »wenn die wohlwollend interpretierte ›Demokratisierung‹ erst einmal ihre rätedemokratischen Pferdefüße zeigt.«900 Die Forderung der Polizeigewerkschaft (GdP) nach mehr Mitbestimmungsrechten wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster ebenfalls massiv abgelehnt und die Tendenz, demokratische Rechte der Verfassung gegen bestehende Gesetze auszuspielen, um so größere Kompetenzen wie Mitspracherechte zu erlangen, als »für den Bestand der rechtsstaatlichen Ordnung einfach lebensgefährlich [empfunden]. Denn der verfassungsmäßige, rechtsstaatliche Auftrag an die Polizei lautet immer noch: Vollzug der Gesetze – nicht aber selbstherrliche, eigenmächtige Auslegung der Gesetze, die scheindemokratisch an einem selbsterfundenem [sic] Recht gemessen werden.«901

897 Anton Böhm: Palaver durch 3; in: Rheinischer Merkur Nr. 6/1971 vom 5. 2. 1971, S. 4. 898 Hermann Boventer : Rätedemokratie an den Schulen? Die nordrhein-westfälischen Entwürfe sollten wieder in der politischen Versenkung verschwinden; in: Rheinischer Merkur Nr. 42/1972 vom 20. 10. 1972, S. 10. 899 Boventer : Rätedemokratie an den Schulen? 900 Boventer : Rätedemokratie an den Schulen? 901 F. W.: Instrument; in: Rheinischer Merkur Nr. 34/1972 vom 25. 8. 1972, S. 3.

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3.3.2.2 Die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem »Marsch durch die Institutionen« Die in diesem Kapitel aufgezeigten Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einer Unterwanderung wichtiger Institutionen der Bundesrepublik Deutschland existierten fast alle auch schon vor Beginn der sozialliberalen Koalition. Allerdings verstärkten sie sich massiv mit dem Regierungsantritt Brandts. Zum einen wurde befürchtet, dass das geplante Regierungsprogramm einer umfassenden Demokratisierung mehr Möglichkeiten für Verfassungsfeinde ermögliche, in wichtige Ämter aufzusteigen, zum anderen wurde befürchtet, dass die sozialliberale Regierung die Gefahren verkenne und durch eine zu schwache, nicht autoritäre Politik den linken Verfassungsfeinden unterlegen sein könne. Was dann folgen würde, wurde nicht immer klar beschrieben. Gemeinsam war aber allen Ängsten, dass die bundesdeutsche Demokratie sich als zu schwach erweisen könnte und anonyme, linksradikale Mächte die Herrschaft übernehmen könnten. Diese Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters zeigen sich als Angst vor einer Unterwanderung der Universitäten, der SPD und FDP und des öffentlichen Dienstes und bedingten sich mitunter auch gegenseitig. Warum aber gerade eine Unterwanderung dieser Bereiche als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie angesehen wurde und wie auf diese Gefahren aufmerksam gemacht wurde, soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Auf andere Ängste, wie beispielsweise die Sorgen um die Funktionsfähigkeit der Institutionen wegen einer linken Unterwanderung wird dagegen nicht eingegangen. Die Ängste vor einer Unterwanderung der Universitäten Auch die Ängste vor einer Unterwanderung der Universitäten durch linke Verfassungsfeinde existierten bereits zu Zeiten der Großen Koalition. Ausgelöst wurden sie durch die Studentenbewegung, die neben den Befürchtungen vor einer demokratiezerstörenden Massenbewegung auch die Ängste weckte, dass linke Systemfeinde nicht nur gewaltsame Demonstrationen auf den Straßen, sondern auch die Institution der Universität zur Zerstörung der bundesdeutschen Demokratie nutzen könnten. Bereits im Februar 1968 bekannte sich der Präsident der Rektorenkonferenz, Walter Rüegg, im »Spiegel« zur Notwendigkeit von Hochschulreformen und stellte fest, dass diese Reformbereitschaft der Universitäts-Rektoren durch die Studentenunruhen zumindest beschleunigt wurde.902 Zugleich warnte die Rektorenkonferenz aber in einem an die Öffent902 Vgl. »War Max Planck ein Fachidiot?« Spiegel-Gespräch mit Professor Dr. Walter Rüegg, Rektor der Universität Frankfurt und Präsident der Rektorenkonferenz; in: Der Spiegel Nr. 7/1968 vom 12. 2. 1968, S. 36 – 44; hier : S. 36.

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lichkeit gerichteten Begleitbrief vor den Gefahren einer Unterwanderung der Universitäten für die bundesdeutsche Demokratie, falls es gelingen sollte, die Universität einem politischen Rätesystem zu unterwerfen, weil dann »über kurz oder lang alle Institutionen der Gesellschaft in die gleiche Rolle geraten wie die Hochschulen«.903 In diesem Interview lassen sich bereits auch zwei weitere Merkmale der Gefahrenbeschreibung des konservativen Wahrnehmungsmusters erkennen. Zum einen erinnerte Rüegg an die Erfahrungen des Nationalsozialismus, indem er davor warnte, dass Professoren nach ihren politischen Ansichten berufen werden, denn »[d]as könnte zu Folgen führen, wie die Deutschen sie ja schon einmal zur Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben.«904 Zum anderen warnte Rüegg vor der Übernahme demokratischer Prinzipien an den Universitäten: »[D]ie parlamentarische Demokratie kann kein Schema abgeben für die Hochschulen. Die Mitglieder der Universitätskorporation sind kein ›Volk‹ im Sinne der demokratischen Staatslehre. Innerhalb der Hochschulen kann und muß es andere Mechanismen geben als den einer proportionalen Beteiligung. Und auf diese anderen Möglichkeiten kommt es sehr viel mehr an als auf die zum Teil utopischen, zum Teil revolutionären Denkschemata, die in einer vereinfachten Weise nun alles quantitativ regeln wollen.«905 Ein weiterer Grund, warum die Angst vor einer Unterwanderung der Universitäten im konservativen Wahrnehmungsmuster so massiv artikuliert wurde, lag auch darin, dass befürchtet wurde, dass nicht nur linke Studenten, sondern auch linke Professoren die Demokratie der Bundesrepublik ablehnen würden und stattdessen eine linke Diktatur befürworteten. Paul Wilhelm Wenger beschwerte sich im Mai 1968 über das Eintreten einiger Professoren gegen die geplante Notstandsgesetzgebung und dass diese Professoren »seit Jahr und Tag den Verfassungsorganen der Bundesrepublik in Reden, Resolutionen und Manifesten jene Diktaturgelüste andichten, die sie selbst – so scheinlegal wie Hitler nach seinem heuchlerischen Loyalitätseid vor dem Reichsgericht – als extreme Marxisten anstreben.«906 Der Bundeswissenschaftsminister Gerhard Stoltenberg verwies darauf, dass man die Radikalisierung der Studenten nur verstehen könne, wenn man das Wirken dieser wenigen, aber lautstarken Hochschullehrer berücksichtige, wobei er namentlich auf die Professoren Helmut Ridder, Wolfgang Abendroth, Ossip Flechtheim, Heinz Maus und Werner Hofmann verwies.907 Paul Wilhelm Wenger stellte fest, dass man kaum brutaler die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik angreifen könne, als Wolfgang 903 904 905 906

Zit. nach: »War Max Planck ein Fachidiot?«, S. 38. »War Max Planck ein Fachidiot?«, S. 42. »War Max Planck ein Fachidiot?«, S. 44. Paul Wilhelm Wenger: Notstands-Professoren; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1968 vom 17. 5. 1968, S. 1 f.; hier: S. 1. 907 Vgl. nach: Wenger : Notstands-Professoren, S. 1.

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Abendroth es mit seiner Kritik an der geplanten Notstandsgesetzgebung getan habe und konstatierte weiterhin, dass der Verfassungseid der extremen Linksprofessoren »ebenso formal wie der Hitlers bei seiner Vereidigung als Regierungsrat in Braunschweig« sei, weshalb er warnte: »Kurzum: sie bauen auf die vollkommene Aushöhlung der Verfassung und mobilisieren […] die Straße, um als Endziel ihrer antiparlamentarischen Opposition einen Umsturz einzuleiten, demgegenüber die Sowjetunion von heute noch zum ›Establishment‹ gehört.«908 Wenger forderte die Kultus- und Innenminister deshalb zum Handeln auf und verlangte, dass die Hochschulreform nicht vor den Professoren zurückweichen dürfe, die die Lernfreiheit des Grundgesetzes als Anstiftung zum Umsturz missbrauchen würden.909 Wenger befürchtete im Januar 1969 außerdem, dass die »im Sprachgebrauch noch immer als ›außerparlamentarische Opposition‹ gehätschelte antidemokratische Obstruktionsrotte des SDS […] zur Durchsetzung linksfaschistischer Umsturzpläne das Ziel gesteckt [hat], […] einen straffreien Raum auf dem Boden der Universität zu schaffen.«910 Die Befürchtung, dass legitime Forderungen einer Hochschulreform als Vorwand zum Umsturz der Bundesrepublik Deutschland missbraucht würden, war eine häufig artikulierte Angst des konservativen Wahrnehmungsmusters. Dass gerade die Universität als »Kampffeld« Linksextremer missbraucht werde, bedingte sich nach Ansicht des konservativen Wahrnehmungsmusters daraus, dass der Staat aufgrund diverser Freiheiten der Universität, aber auch aufgrund der »Aufmüpfigkeit« großer Teile der Studentenschaft nur geringe Zugriffsmöglichkeiten habe. Die Universität könne deshalb zur Vorbereitung von Umsturzplänen dienen, da sie beispielsweise vor dem Zugriff der Polizei geschützt sei.911 Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger warnte vor einer Verharmlosung der Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie und mahnte zur Aufmerksamkeit: »Meine Herren, lassen wir uns nicht täuschen! Was da vor sich geht, ist das Werk einer auf das entschiedenste zum Umsturz unserer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung drängenden Minderheit an unseren Universitäten.«912 Als am 01. August 1969 das »Gesetz über die Universitäten des Landes Berlin«, das sogenannte Berliner Hochschulgesetz, in Kraft trat, verstärkten sich im konservativen Wahrnehmungsmuster die Ängste vor einer Unterwanderung der Universitäten durch linksextremistische Verfassungsfeinde, sodass fortan weniger eine Gefahr durch eine studentische Massenbewegung als vielmehr durch eine von Verfassungsfeinden durchwanderte Universität artikuliert wurde. 908 Wenger: Notstands-Professoren, S. 2. 909 Vgl. Wenger: Notstands-Professoren, S. 2. 910 Paul Wilhelm Wenger: Richter und Rebellen; in: Rheinischer Merkur Nr. 3/1969 vom 17. 1. 1969, S. 1 f.; hier : S. 1. 911 Vgl. C. N.: Gegen Prüfungen; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/1969 vom 24. 1. 1969, S. 3. 912 Zit. nach: Lärm gemacht; in: Der Spiegel Nr. 6/1969 vom 3. 2. 1969, S. 21 ff.; hier : S. 23.

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Dieses Gesetz regelte eine studentische Mitbestimmung in allen UniversitätsGremien und schwächte dadurch die Stellung der Professoren. Die konservative Tageszeitung »Welt« fragte sich, ob aus der Freien Universität Berlin eine »marxistische Kaderschmiede« werde und die »Berliner Morgenpost« prophezeite den »Durchbruch der Radikalen«.913 Der »Spiegel« konnte diese Ängste kaum teilen und verwies darauf, dass das Wintersemester 69/70 trotz des neuen Hochschulgesetzes seit Jahren das ruhigste gewesen sei.914 Stattdessen sah der »Spiegel« eher die Sorge der Universitätsprofessoren vor Status-Einbußen. Einige Professoren der Freien Universität Berlin wollten der anonymen Linksunterwanderung dadurch entgehen, indem sie eine »Notgemeinschaft für eine Freie Universität« gründeten, die als Aufgabe hatte, »die Öffentlichkeit fortlaufend über die Lage der von ›Unterwanderung und Terror bedrohten Hochschule‹ zu informieren.«915 Bekannter und einflussreicher war der »Bund Freiheit der Wissenschaft«, der am 18. November 1970 in Bonn gegründet wurde und ebenfalls auf die Gefahren einer Unterwanderung der Universitäten durch linksradikale Kräfte aufmerksam machen wollte. Das Interessante an dem »Bund Freiheit der Wissenschaft« ist, dass sich nicht nur als konservativ angesehene Personen, sondern auch Personen, die beispielsweise der SPD angehörten, dem Bund anschlossen, da sie die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters teilten. Als exemplarisch gilt hierfür SPD-Mitglied und Politik-Professor Richard Löwenthal. Anhand der Person Richard Löwenthals lassen sich typische Auseinandersetzungen zwischen beiden Wahrnehmungsmustern erkennen, die auch in anderen Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie zu finden sind, wenn es um den Umgang mit einem solchen »Lagerwechsel« geht. Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde sich besonders auf Löwenthal berufen, um deutlich zu machen, dass auch andere Personen diese Gefahren wahrnehmen und die Ängste teilen, während sich Löwenthal im linken Wahrnehmungsmuster besonders rechtfertigen musste, warum er einer Organisation beitritt, die mehrheitlich sehr konservativ geprägt ist. Es hat den Anschein, dass die Grenzen zwischen beiden Wahrnehmungsmustern zumindest soweit definiert waren, dass ein »Übertritt« in beiden Wahrnehmungsmustern als solcher auch empfunden wurde. Die Gründe für Löwenthals Rücktritt aus dem »Bund Freiheit der Wissenschaft« im Jahr 1978 sollen an dieser Stelle aber nicht näher beleuchtet werden. Der »Spiegel« fragte Richard Löwenthal im Juli 1970, ob angesichts des gesellschaftlichen Demokratisierungsvorhabens der sozialliberalen Koalition sein »Engagement im Bund ›Freiheit der Wissenschaft‹ im Widerspruch zu den 913 Zit. nach: Rote Zellen; in: Der Spiegel Nr. 8/1970 vom 16. 2. 1970, S. 68 ff.; hier: S. 68. 914 Vgl. Rote Zellen, S. 68. 915 Rote Zellen, S. 69.

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Zielen steht, die von der SPD-geführten Bonner Regierung verfolgt werden?«916 Löwenthal verneinte die Frage und bekannte, dass er das demokratische Prinzip überall dort für sinnvoll halte, wo es um den Ausgleich verschiedener Interessen und um die Entscheidung zwischen verschiedenen Zielen gehe.917 Dagegen könne das demokratische Prinzip nicht in den gesellschaftlichen Organen angewendet werden, in denen die Ziele und Aufgaben von der Gesellschaft festgeschrieben werden. Eine Entscheidung über den Lehrplan durch willkürlich zusammengesetzte Institutionen der Universität sei, so Löwenthal, »nicht eine Demokratisierung, sondern eine Abdankung der Demokratie.«918 Löwenthals Argumentationsstrategie ist die des konservativen Wahrnehmungsmusters, die das demokratische Prinzip der Mehrheitsentscheidung eben nicht auf sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens für übertragbar gehalten wurde. Auch in den artikulierten Ängsten ist Löwenthal dem konservativen Wahrnehmungsmuster zuzuordnen. So befürchtet er, dass die Demokratisierung der Hochschule vorrangig zur »Existenz aktivistischer studentischer Gruppierungen [führe], die sich als Feinde unseres demokratischen Staates fühlen und die Hochschule bewußt benutzen wollen, um Positionen von Einfluß in der Gesellschaft zu erlangen und diese demokratische Ordnung zu untergraben.«919 Löwenthal war sich durchaus bewusst, dass seine Position nicht mehrheitlich die seiner Partei war, begründete seine Meinung aber mit der Angst um die bundesdeutsche Demokratie, die über parteipolitischen Interessen zu stehen habe: »Ich glaube, daß es hier ein gemeinsames Interesse von Sozialdemokraten und anderen Demokraten bei der Verteidigung bestimmter Grundsätze der Demokratie gegen Dinge gibt, die sich, auch wenn sie von Sozialdemokraten in gutem Glauben gemacht worden sind, jetzt als schädlich für die Demokratie herausstellen.«920 Aus diesem allem übergeordneten Motiv heraus verneinte Löwenthal auch die provokante Frage des »Spiegels«, ob es ihm nicht peinlich sei, dass er mit nachweislich Konservativen zusammen gegen die SPD-Hochschulgesetzgebung eintrete.921 Dennoch wandte sich Löwenthal dagegen, dass ihn der »Spiegel« als »konservativ« oder »liberal-konservativ« bezeichnete.922 Löwenthal stellte außerdem klar, dass er das Otto-Suhr-Institut in Berlin nicht aktuell als »revolutionäre Kaderschmiede« ansehe, sondern dass er auf die Gefahr 916 »Das ist die Abdankung der Demokratie.« Spiegel-Interview mit FU-Professor Richard Löwenthal; in: Der Spiegel Nr. 29/1970 vom 13. 7. 1970, S. 68 f.; hier : S. 68. 917 Vgl. »Das ist die Abdankung der Demokratie«, S. 68. 918 »Das ist die Abdankung der Demokratie«, S. 68. 919 »Das ist die Abdankung der Demokratie«, S. 68. 920 »Das ist die Abdankung der Demokratie«, S. 69. 921 Vgl. »Das ist die Abdankung der Demokratie«, S. 69. 922 Vgl. »Nutznießer sind die Kommunisten.« Politologie-Professor Richard Löwenthal über das West-Berliner Otto-Suhr-Institut; in: Der Spiegel Nr. 46/1970 vom 9. 11. 1970, S. 71 f.; hier : S. 71.

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aufmerksam machen wolle, dass kommunistische Feinde der freiheitlichen Demokratie diese als Nutznießer der Hochschulreform zu einer solchen umfunktionieren und als Mittel gegen die bundesdeutsche Demokratie einsetzen könnten.923 Im linken Wahrnehmungsmuster wurden die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters nicht geteilt, dass eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie durch eine Demokratisierung der Universitäten bestehe, wenn auch über die Reformen hinausgehende Veränderungen mitunter nicht unterstützt und die zunehmende Radikalität einzelner Studenten abgelehnt wurden.924 Viele Methoden des SDS wurden auch im linken Wahrnehmungsmuster stark kritisiert, es wurde aber anerkannt, dass ohne die radikalen Forderungen und Provokationen wohl manche nötigen Reformen nicht angestoßen worden wären.925 Schon vor der Gründung des »Bund Freiheit der Wissenschaft« reagierte der »Spiegel« ironisch auf die Befürchtungen einiger Professoren zum Hessischen Universitätsgesetz und setzte diese mit der Außerparlamentarischen Opposition gleich: »Die Herren von der außerparlamentarischen Opposition kamen im Reisebus und sprachen von ›Manipulation und Sabotage‹, von ›Zerstörung der Demokratie‹ und ›plebiszitären Märkten‹. Die Herren waren Professoren.«926 Der »Spiegel« forderte in einer Titelstory über die deutschen Universitäten im Juli 1970 die Akteure des konservativen Wahrnehmungsmusters dazu auf, dass »die Entwicklungen an den westdeutschen Hochschulen realistischer gewertet werden: als Symptome eines längst fälligen Wandels, der – oft ideologisch überbordend, abirrend in Träumereien, Dogmen und Agitation – im Anspruch mitunter revolutionär, im Erfolg eher reformistisch ist.«927 Um die Ängste des »Bund Freiheit der Wissenschaft« als Übertreibungen zu entlarven, zitierte der »Spiegel« ähnliche Ängste eines Hochschullehrers aus dem Jahr 1848.928 Außerdem wollte der »Spiegel« klarstellen, dass sich der »Bund Freiheit der Wissenschaft« vordergründig gegen die Politik der sozialliberalen Koalition richten würde, da diese die Hochschulreformen initiiert haben. Zwar befänden sich unter den Gründungsmitgliedern auch Sozialdemokraten, wie der ehemalige nordrhein-westfälische Staatssekretär Hermann Lübbe und der Bundestagsabgeordnete Hermann Schmitt-Vockenhausen, jedoch betonte der »Spiegel« deshalb, dass diese in der Vergangenheit bereits durch sehr konservative Ansichten 923 Vgl. »Nutznießer sind die Kommunisten«, S. 72. 924 Vgl. Magnum facere; in: Der Spiegel Nr. 4/1969 vom 20. 01. 1969, S. 60 – 63; hier : S. 62 f. und S. 63. 925 Vgl. »Mit dem Latein am Ende.« Spiegel-Serie über Krise und Zukunft der deutschen Hochschule; in: Der Spiegel Nr. 26/1969 vom 23. 6. 1969, S. 38 – 58; hier : S. 51 und S. 52. 926 Im Irrgarten; in: Der Spiegel Nr. 20/1970 vom 11. 5. 1970, S. 122 ff.; hier : S. 122. 927 Unsere Taten; in: Der Spiegel Nr. 29/1970 vom 13. 7. 1970, S. 59 f.; hier: S. 59. 928 Vgl. Alte Absicht; in: Der Spiegel Nr. 48/1970 vom 23. 11. 1970, S. 108 – 113; hier: S. 108.

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aufgefallen seien.929 In einem Interview mit dem Gründungsmitglied und Politologie-Professor Hans Maier kritisierte der »Spiegel«, dass der Gründungsaufruf nicht frei von Hysterie sei, indem beschrieben werde, dass zuerst die Universität als die schwächste Institution der bundesdeutschen Gesellschaft aus den Angeln gehoben werde und anschließend der Staat folge.930 Maier entgegnete daraufhin: »Rhetorische Übertreibungen sind erlaubt, um die Öffentlichkeit auf Gefahren aufmerksam zu machen.«931 In demselben Interview werden die Differenzen in der Gefahrenwahrnehmung des linken und konservativen Wahrnehmungsmusters deutlich. Maier hielt es für gefährlich, dass linksradikale Studenten im Marsch durch die Institutionen wichtige Ämter und Positionen in Parteien, Universitäten und Gewerkschaften erringen wollen.932 Dieser Gefahrenwahrnehmung konnte vom »Spiegel« nicht zugestimmt werden, da dieser Versuch innerhalb legaler Verbände stattfinde, wodurch sie sich theoretisch nicht vom »Bund Freiheit der Wissenschaft« unterscheiden würden. Für Maier war das jedoch nicht legal, da sich die Demokratievorstellung dieser linksradikalen Studenten nicht am Grundgesetz orientieren würde. Stattdessen hob Maier noch einmal hervor, dass er durch die Politik der sozialliberalen Koalition die Gefahr sehe, »daß nämlich der Begriff Demokratisierung sich verselbständigen kann und sich angebliche Demokratisierungsprozesse damit der Kontrolle durch demokratische Instanzen entziehen.«933 Durch die Hochschulreformen bildeten sich an den Universitäten verschiedene »Rote Zellen«, die auch einen großen Einfluss ausüben konnten. Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde deshalb befürchtet, dass kommunistische oder andere linksradikale Gruppierungen bedeutenden Einfluss an deutschen Universitäten erlangen könnten. Besonders interessant ist aber die Frage, warum eine mögliche linksradikale Vorherrschaft an den Universitäten im konservativen Wahrnehmungsmuster fast automatisch auch als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie angesehen wurde und wie diese Gefahr den Zeitgenossen sichtbar gemacht werden sollte. Eine sehr häufig geäußerte Befürchtung war, dass die Universitäten ein schwer greifbarer, fast rechtsfreier Raum seien, an denen Linksradikale fast unbedrängt agieren und den Umsturz der bundesdeutschen Demokratie vorbereiten könnten. Als Gefahr wurde auch angesehen, dass die Linksradikalen, wie auch immer man diese Gruppe definierte, an den Universitäten die ideologische Vorherrschaft bekommen könnten 929 Vgl. Alte Absicht, S. 113. 930 Vgl. »Professoren sind nicht mutiger als Andere.« Spiegel-Gespräch mit Politologie-Professor Hans Maier über den »Bund Freiheit der Wissenschaft«; in: Der Spiegel Nr. 48/1970 vom 23. 11. 1970, S. 115 f.; hier : S. 115. 931 »Professoren sind nicht mutiger als Andere«, S. 115. 932 Vgl. »Professoren sind nicht mutiger als Andere«, S. 115. 933 »Professoren sind nicht mutiger als Andere«, S. 116.

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und dadurch andere Studenten massiv beeinflussen würden. Elimar Schubbe bezweifelte den Reformwillen dieser Gruppe und versuchte deren wahre Ziele aufzudecken: »[D]enn den Kryptokommunisten geht es nicht um die Reform der alten Universität, sondern vielmehr um deren Umfunktionierung in eine Kaderschmiede des Marxismus, wo der Umsturz unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung vorbereitet werden soll.«934 Dass dafür auch noch das Geld der Gesellschaft genutzt werde, da diese die Universitäten finanzieren, wurde auch oft kritisiert.935 Eine Unterwanderung der Universitäten wurde auch deshalb als besonders gefährlich empfunden, da die mögliche Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie in der Öffentlichkeit weniger offensichtlich wurde. Im Vergleich zu den Massendemonstrationen und -ausschreitungen während der Studentenunruhen erfuhren die Veränderungen an den Universitäten weniger Aufmerksamkeit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Peter Gutjahr-Löser bemerkte, dass man bei offenkundigen Verstößen gegen die Demokratie, wie beispielsweise die Verhinderung von Rektorenwahlen, »auf die Wachsamkeit der Demokraten hoffen [könne]. Wo die Freiheit allerdings mit sublimeren Methoden bekämpft wird, herrscht immer noch gefährliche Gleichgültigkeit«, weshalb er warnte: »Der Umsturz hat Pantoffeln angezogen.«936 Im konservativen Wahrnehmungsmuster war man sich nahezu einig, dass die Abnahme von spektakulären Krawallen zugunsten einer Übernahme von Schlüsselpositionen in den Universitäten »eine weitaus gefährlichere Entwicklung« sei, denn der »lange Marsch durch die Institutionen hat sich als erfolgreiche Strategie der Marxisten zur Eroberung der Hochschulen erwiesen.«937 Diese Eroberung wurde auch deshalb als besonders gefährlich für die bundesdeutsche Demokratie angesehen, da sie im konservativen Wahrnehmungsmuster Erinnerungen an »Deutschlands braune Vergangenheit« weckte, »in der es auch die Universitäten waren, die Radikalen als ›Einfallstor‹ in die Gesellschaft dienten.«938 Eine Umfrage des Bundeswissenschaftsministers Klaus von Dohnanyi an sieben deutschen Universitäten, die ergab, dass weniger als ein Prozent der Lehrveranstaltungen tatsächlich gestört wurde, konnte die Ängste des konservativen Wahrneh-

934 Elimar Schubbe: Terror. Lehrfreiheit gefährdet; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1971 vom 14. 5. 1971, S. 4. 935 Vgl. »Wir sind die Prügelknaben der Nation«; in: Der Spiegel Nr. 26/1971 vom 21. 6. 1971, S. 34 – 38; hier : S. 38. 936 Peter Gutjahr-Löser : Die Konfrontation wird total. Universitäre »Rotphase II« am Beispiel Bremen/München/Regensburg; in: Rheinischer Merkur Nr. 29/1971 vom 16. 7. 1971, S. 3. 937 Der Eklat von Heidelberg. Dokumentation über die Zerstörung einer deutschen Universität; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1971 vom 10. 12. 1971, S. 4. 938 Otto Narek: Minister von Dohnanyis Zahlenmystik. Radikale sprengen nur Seminare, die sie nicht beherrschen; in: Rheinischer Merkur Nr. 14/1972 vom 7. 4. 1972, S. 3.

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mungsmusters nicht beruhigen.939 Dohnanyis Aussage, dass der »Bund Freiheit der Wissenschaft« durch die Übertreibung der Gefahren einen »Rufmord an den deutschen Universitäten« betreibe, wurde empört zurückgewiesen und darauf verwiesen, dass – im Gegensatz zu Anderen – die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen würden: »Diejenigen, die aus der makabren Vergangenheit unseres Volkes lernten und sich warnend verhalten, werden als gefährlich für das Objekt ihrer und des Ministers gemeinsamer Sorge und des Rufmordes bezichtigt.«940 Von der sozialliberalen Koalition wurde energisches Vorgehen gegen den »Marsch durch die Institutionen« gefordert und die passive Haltung kritisiert: »Rau wie Brandt und andere verantwortliche Sozialdemokraten scheinen Beschwichtigungspolitik zu treiben und die Augen vor der kommunistischen Unterwanderung der Universitäten zu verschließen.«941 Aber auch vor gewaltsamen Ausschreitungen an Universitäten wurde immer wieder gewarnt, die häufig Erinnerungen an Weimar wach werden ließen und als »linke[r] Faschismus« bezeichnet wurden, dem man mit einer »kämpferischen Demokratie« begegnen solle, so der »Ring Christlich-Demokratischer Studenten« (RCDS).942 Der Journalist Karl Willy Beer empfahl der SPD im Juli 1973, sich bei der Rettung der Berliner Hochschulen der Erfahrungen zu bedienen, »die ihre Vorkämpfer 1933 bei der Gleichschaltung der deutschen Hochschulen machen mussten« und betonte, dass es noch nicht zu spät zur Einsicht sei.943 Die Angst vor einer Unterwanderung der Universitäten wurde von der Angst vor einer Unterwanderung des öffentlichen Dienstes weitgehend abgelöst. Dennoch lassen sich auch noch später Ängste vor einer Unterwanderung der Universitäten finden. Hubertus Graf Plettenberg warnte im Februar 1981 vor dem wachsenden Einfluss marxistischer Gruppen an den meisten Universitäten und dessen Folgen für die bundesdeutsche Demokratie: »Die Hochschule ist nur ein kleiner Bereich. Doch es ist lebenswichtig für die freiheitliche Demokratie, daß man nirgendwo linken oder rechten Extremisten kampflos die Verantwortung überläßt, deren Interessen auf eine Abschaffung eben dieses freiheitlichen Systems gerichtet sind.«944

939 Vgl. nach: Narek: Minister von Dohnanyis Zahlenmystik. 940 Narek: Minister von Dohnanyis Zahlenmystik. 941 Walter Draheim: Vergeblicher Appell an den Kanzler?; in: Rheinischer Merkur Nr. 21/1972 vom 26. 5. 1972, S. 8. 942 Zit. nach: D. W.: Roter Terror ; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1972 vom 15. 12. 1972, S. 4. 943 Karl Willy Beer: Hochschuljammer. Spiel mit der Bundestreue oder Die Berliner Hochschulen, die SPD und Karlsruhe; in: Rheinischer Merkur Nr. 28/1973 vom 13. 7. 1973, S. 2. 944 Hubertus Graf Plettenberg: Die unaufhaltsame Renaissance der linken Gruppen. Warum demokratische Studentenvertreter ständig ins Hintertreffen geraten; in: Rheinischer Merkur Nr. 8/1981 vom 20. 2. 1981, S. 5.

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Die Ängste vor einer Unterwanderung der Sozialdemokratischen Partei Auch schon zu Zeiten der Großen Koalition warnte Anton Böhm im »Rheinischen Merkur« vor den SPD-Linken, die ein Ausscheiden aus der Koalition beabsichtigten, um in der Rolle der Oppositionspartei eine Gesamtradikalisierung der Partei zu vollziehen.945 Böhm appellierte deshalb an die SPD-Führung, diese Entwicklung zu verhindern und warnte zugleich davor, dass eine Wiederbelebung von Revolutions- und Klassenkampf-Ideologie sowohl die Demokratie ruinieren als auch letztlich zu einem diktatorischen Kommunismus führen könne. Mit Beginn der sozialliberalen Koalition 1969 nahmen diese Ängste im konservativen Wahrnehmungsmuster massiv zu. Es wurde befürchtet, dass die regierenden Parteien von Linksradikalen unterwandert werden und dass die Politiker dieser Parteien diese Gefahr verkennen, wodurch letztlich die bundesdeutsche Demokratie abgeschafft werde. Deshalb wurde oft vor einer Unterwanderung der Jugendorganisation der SPD (Jusos) gewarnt, vereinzelt wurden diese Ängste aber auch als Hinweis auf eine Unterwanderung der Jugendorganisation der FDP (der Jungdemokraten) artikuliert. Die Ängste vor einer Unterwanderung der Regierungsparteien resultierten maßgeblich aus den Ängsten vor der Studentenbewegung und der APO, da viele dieser Akteure spätestens ab 1969 Mitglied der SPD oder auch der FDP wurden. Die neue Mitglieder- und Wählerstruktur der SPD war es, die die Befürchtungen laut werden ließen, dass das Godesberger Programm aufgehoben werden könne und sich die SPD wieder von einer Volkspartei zu einer Klassenpartei entwickeln würde, denn »[l]inks zu stehen ist nicht mehr das Prädikat alter Genossen, sonders jenes der jungen Kader, die sich – entgegen der sozialdemokratischen Tradition – nicht aus Arbeitern, sondern vornehmlich aus Studenten und Akademikern zusammensetzen.«946 Nach dem Bundeskongress der Jungsozialisten am 7. Dezember 1969 in München und der Wahl von Karsten Voigt als Vorsitzenden schienen sich im konservativen Wahrnehmungsmuster die Ängste vor den Jusos zu bestätigen. Roger Schmitt verwies im »Rheinischen Merkur« darauf, dass ein Linksruck bei den Jusos zwar schon seit Mitte der 1960er Jahre festzustellen sei, dieser sei aber bisher in seiner äußeren und inneren Wirkung begrenzt gewesen, im Gegensatz zur Situation nach dem Münchener Bundeskongress der Jusos: »Heute verstehen sich die Jungsozialisten als eine festgefügte, von überragender Intelligenz und Dialektik getragene Organisation, deren erklärtes Ziel es ist, die Partei umzuwandeln. Basen dieser Auseinandersetzung sind Universitäten, Rundfunkanstalten, Fernsehstudios oder Volkshochschulen 945 Vgl. Anton Böhm: SPD will Motor sein. Entscheidung gegen links; in: Rheinischer Merkur Nr. 24/1968 vom 14. 6. 1968, S. 1 f.; hier: S. 2. 946 Roger Schmitt: Die echten Genossen hatten überwintert. Neomarxistische Vorübungen für den Saarbrücker SPD-Parteitag; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1970 vom 27. 2. 1970, S. 10.

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geworden, kurz jene Institutionen, die als Multiplikatoren die öffentlichen Meinungen zu beeinflussen geeignet sind.«947 Zwar gäbe es nicht nur innerhalb der SPD, sondern auch innerhalb der FDP und der Union Probleme mit der Jugend, so Roger Schmitt weiter, aber lediglich in der SPD stellten diese Schwierigkeiten auch eine immanente Gefahr für die Partei dar.948 Es habe sich außerdem gezeigt, dass die Jusos die parlamentarische Demokratie lediglich als Notlösung ansähen und in Wirklichkeit ein sozialistisches Modell nach dem Vorbild von Jugoslawien anstrebten. Die SPD sei deshalb massiv von links gefährdet, da die Jusos auf dem Marsch seien, die Gesamtpartei bedeutend zu prägen und zu verändern. Auch Paul Wilhelm Wenger erinnerte an Konrad Adenauers Warnung von 1966 vor dem linken Flügel der SPD und an die hohe Gefahr, dass dieser linke Flügel der SPD bei einem Machterhalt mit der SED bzw. der Sowjetunion zusammengehen könne.949 In der SPD selbst wurde auf die Ängste vor einer Linksunterwanderung der SPD reagiert und es gab auch Politiker, die die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters teilten. Der Münchener Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) verzichtete auf eine weitere Kandidatur als Oberbürgermeisterkandidat und warnte vor dem von den Jusos eingeschlagenen Weg.950 Der sozialdemokratische Parteirat stellte daraufhin klar, dass das Godesberger Programm für alle SPD-Mitglieder verbindlich sei, dass in der SPD für diejenigen kein Platz sei, die die SPD in eine Kaderpartei revolutionären Typs umfunktionieren wollen und die gemeinsame Aktionen mit kommunistischen Organisationen durchführen.951 Allerdings wollte die SPD einen größeren Konflikt mit den Jusos vermeiden, auch da die SPD bei der Bundestagswahl 1973 um fünf Millionen Jungwähler werben müsse, die ähnliche Ansichten wie die Jusos vertreten würden.952 Helmut Schmidt wehrte sich zudem gegen eine Pauschalisierung der Jusos, da man auch innerhalb dieser Gruppierung stark differenzieren müsse.953 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurden die Jusos kaum näher differenziert betrachtet und stattdessen wurden die Mitglieder dieser Gruppe fast einheitlich als linksradikale Sozialisten charakterisiert. Dafür wurde die SPD differenziert betrachtet, allerdings wurde immer wieder die Gefahr geäußert, dass sich die radikalen Linken in ihren Zielen durchsetzen könnten. Der hes947 Schmitt: Die echten Genossen hatten überwintert. 948 Vgl. Schmitt: Die echten Genossen hatten überwintert. 949 Vgl. nach: Paul Wilhelm Wenger : Einrötung der SPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1970 vom 27. 2. 1970, S. 1 f; hier: S. 1. 950 Vgl. Schön ausgepunktet; in: Der Spiegel Nr. 10/1971 vom 1. 3. 1971, S. 19 f.; hier : S. 19. 951 Vgl. nach: Schön ausgepunktet, S. 19. 952 Vgl. nach: Schön ausgepunktet, S. 20. 953 Vgl. nach: Schön ausgepunktet, S. 20.

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sische CDU-Vorsitzende Alfred Dregger stellte in einem »Spiegel«-Interview klar, dass er »sehr wohl innerhalb der SPD zwischen Sozialdemokraten und Sozialisten« unterscheide, bekundete aber die Sorge, »daß diese Abgrenzung immer mehr verwischt wird«.954 In dem Interview mit Dregger wurde auch erneut deutlich, wieso im konservativen Wahrnehmungsmuster jede Art von Sozialismus als widersprüchlich zur demokratischen Verfassung und damit als Gefahr für diese empfunden wurde. Dregger betonte, dass sich Sozialismus und Freiheit ausschließen würden und dass es zur freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie gehöre, dass sowohl eine gesicherte Individualsphäre als auch sozialgebundenes Privateigentum vorhanden seien.955 Diese Aussage ist sehr typisch für das konservative Wahrnehmungsmuster, da dort ein Angriff auf das Wirtschaftssystem aufgrund der historischen Erfahrungen automatisch als Angriff auf die Demokratie angesehen wurde, wofür auch folgende Aussage vom März 1973 als exemplarisch anzusehen ist: »Zwar können die Linken darauf hinweisen, daß das Grundgesetz die Sozialisierung nicht ausgeschlossen hat. Die geschichtliche Erfahrung, derer wir uns seit 1918 erfreuen, hat klipp und klar gezeigt, daß kein einziges Land, in dem die Produktionsmittel sozialisiert wurden, noch irgendwelche demokratischen Freiheitsrechte kennt.«956 Ein ähnliches Denken zeigte sich im konservativen Wahrnehmungsmuster auch in der Dichotomie zwischen Kapitalismus und Kommunismus, da angenommen wurde, dass zwischen beiden nichts existiere und jede Veränderung des Kapitalismus zwangsläufig zum Kommunismus führe.957 Auch Dregger verwendete in dem bereits erwähnten Interview historische Bezüge und schlussfolgerte, wie die aktuelle Gefahrenlage für die bundesdeutsche Demokratie sei: »Es ist so, daß die große Gefahr für die Demokratie in der Weimarer Zeit der Rechtsradikalismus war und die große Gefahr für die Demokratie dieser Zeit der Linksradikalismus ist. Was steht denn schon hinter der NPD? Nichts. Und was steht hinter den Sozialisten? Eine Weltmacht.«958 Auch der Herrschaftsanspruch der Sowjetunion über die Bundesrepublik leitete sich für Dregger aus der Beschaffenheit des Sozialismus und der bisherigen Erfahrung ab: »Das ist keine Fiktion, sondern der Anspruch des Sozialismus bezieht sich auf die ganze Welt. Ich stelle fest, daß die Sowjet-Union bisher alle Nichtangriffs- und Freundschaftsverträge gebrochen hat – mit Ausnahme des Ver954 »Seite an Seite mit Franz Josef Strauß.« Spiegel-Gespräch mit dem hessischen CDU-Vorsitzenden Alfred Dregger ; in: Der Spiegel Nr. 11/1971 vom 8. 3. 1971, S. 36 – 42; hier : S. 36. 955 Vgl. »Seite an Seite mit Franz Josef Strauß«, S. 36 und S. 38. 956 W. F.: Sozialisierungs-Vorspiel; in: Rheinischer Merkur Nr. 20/1973 vom 18. 5. 1973, S. 3. 957 Vgl. »Die SPD ist keine Volkspartei.« Privatbankier Johann Philipp von Bethmann über das Unbehagen der Unternehmer an der SPD/FDP-Koalition; in: Der Spiegel Nr. 15/1972 vom 3. 4. 1972, S. 67 – 73; hier : S. 68. 958 »Seite an Seite mit Franz Josef Strauß«, S. 38.

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trags, der zwischen Hitler und Stalin abgeschlossen wurde. Der wurde von Hitler gebrochen.«959 Immer wieder wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster vor einer Machtübernahme von Linksradikalen in der SPD gewarnt. Nach dem Parteitag der SPD in Bonn im November 1971 schienen sich diese Ängste zu bestätigen. Elimar Schubbe konstatierte deshalb verängstigt: »Unverkennbar ist, daß sich hinter der Abschirmung durch die Gestalt des Parteivorsitzenden [Brandt, C.S.] an der Basis Schritt für Schritt die Ablösung der gemäßigten Sozialdemokraten durch radikale Ideologien vollzieht.«960 Hans Filbinger, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, versuchte im März 1972 in einem im »Rheinischen Merkur« erschienenen Vorabdruck zu verdeutlichen, welche katastrophalen Folgen eine Unterwanderung der SPD eben nicht nur für die Partei selbst, sondern für die bundesdeutsche Demokratie habe. Filbinger betonte, dass der demokratische Staat sowohl in der Union als auch in der SPD seine wichtigsten Stützen findet und solange diese Stützen intakt blieben, könne die Freiheit nicht von innen bedroht werden.961 Der Wandlungsprozess der SPD könne aber nun für die Bundesrepublik eine »schicksalhafte Bedeutung« gewinnen, da die deutsche Demokratie nun nicht mehr wie in den 25 Jahren zuvor von der SPD nach links außen abgeschirmt werde. Filbinger verwies auf vergangene Parteitage in Saarbrücken, Bonn und Hannover, die gezeigt hätten, dass die Linken entscheidende Siege innerhalb der SPD errungen hätten, sodass die SPD von innen gelähmt und umgewandelt werde: »Jung- und Altmarxisten, die die Öffnung der SPD auf dem Godesberger Parteitag 1959 zur Mitte hin nur als wahltaktisches Manöver begriffen hatten, bemühen sich seit der Übernahme der Bundesregierung durch die SPD, ihre alten Träume zu realisieren und die Volkspartei zu einer Klassenpartei der Vergangenheit umzumodeln.«962 Auch Filbinger betonte, dass auch andere Parteien Probleme mit ihrem Nachwuchs hätten, dass aber nur in der SPD und vereinzelt immer mehr auch in der FDP eine innerparteiliche Opposition entstanden sei, die den Machterhalt anstrebe, um die bestehende Gesellschaftsordnung umzustoßen.963 Für Filbinger begünstige die sozialliberale Ostpolitik die Unterwanderung der SPD durch Kommunisten, weshalb sich kein wirksamer Widerstand innerhalb der SPD bilden könne. Er relativierte seine Ängste zwar dahingehend, dass eine sozialistische Umwälzung noch nicht unmittelbar bevorstehe, betonte aber, dass die 959 »Seite an Seite mit Franz Josef Strauß«, S. 41. 960 Elimar Schubbe: Die »Basis« greift an; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1971 vom 26. 11. 1971, S. 1 f.; hier: S. 2. 961 Vgl. Hans Filbinger: Sozialdemokratie in der Krise; in: Rheinischer Merkur Nr. 10/1972 vom 10. 3. 1972, S. 4. 962 Filbinger : Sozialdemokratie in der Krise. 963 Vgl. Filbinger : Sozialdemokratie in der Krise.

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Entwicklung dazu schon weiter als von vielen angenommen sei, weshalb er die Parteiführung zum Handeln aufforderte. Franz Kauffherr sah eine Gefährdung der Demokratie durch die Demokratisierung, denn »[j]e mehr Positionen durch Wahlen besetzt werden, desto eher können Minderheiten über Mehrheiten herrschen.«964 Diese Gefahr zeige sich vor allem in der SPD, deren starker Mitgliederzuwachs keine Bestätigung für die aktuelle Parteiführung, sondern eine Gefährdung für diese sei. Da die Jusos bei Abstimmungen als geschlossene Gruppe auftreten und die Diskussion bis weit in die Nacht ziehen würden, wenn viele andere Parteimitglieder bereits gegangen seien, würden sie viele Beschlüsse für sich gewinnen können.965 Kauffherr forderte deshalb ein allgemeines Wahlgesetz, dass dafür sorge, das repräsentative Wahlergebnisse bei allen Wahlen erzielt werden, da von der Lösung dieser Aufgabe auch die Zukunft der bundesdeutschen Demokratie abhängen könne. Um auf die Gefahren einer »Metamorphose […] zu einer radikaldemokratischen Klassenkampforganisation«966 und vor allem der Zielsetzung der »Zerschlagung unserer Demokratie«967 aufmerksam zu machen, wurde auch davor gewarnt, dass einzelne Gruppierungen in der SPD mit kommunistischen Gruppen zusammenarbeiteten und antikommunistische Abgrenzungs- und Unvereinbarkeitsbeschlüsse der SPD ignorierten.968 Die Bezeichnung für die Gruppierung, die innerhalb der SPD zur Macht strebe und die Demokratie gefährden würde, variierte dabei allerdings. So wurden sie beispielsweise als »Sozialisten«969, als »Radikalsozialisten«, die eine »andere Republik« anstrebten970, als »Jung- und Altmarxisten«971 bzw. »Jung- und Altsozialisten«972 oder als »neue Sorte Nazis«973 bezeichnet. Meistens wurde allerdings impliziert, dass diese Gruppe vorrangig aus jungen Menschen bestehe. Allerdings spielte in der 964 Franz Kauffherr : Wahlen manipuliert; in: Rheinischer Merkur Nr. 14/1972 vom 7. 4. 1972, S. 1 f.; hier: S. 1. 965 Vgl. Kauffherr : Wahlen manipuliert, S. 2. 966 Elimar Schubbe: Aufbruch zur Klassenkampfpartei. Die Jusos in den Vorzimmern der Macht; in: Rheinischer Merkur Nr. 11/1973 vom 18. 3. 1973, S. 1. 967 Schubbe: Aufbruch zur Klassenkampfpartei. 968 Vgl. Helmut Bärwald: KP-»Bündnis«-Politik. Aktionseinheit für die Bonner Ostverträge; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1972 vom 21. 4. 1972, S. 2. 969 Vgl. Elimar Schubbe: Entschlossen zur Offensive. Die Union mit neuem Selbstbewußtsein; in: Rheinischer Merkur Nr. 24/1973 vom 15. 6. 1973, S. 1. 970 P. T.: Modell Frankfurt; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/1973 vom 26. 1. 1973, S. 4. 971 Herwig Gückelhorn: Krise der SPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1973 vom 2. 3. 1973, S. 1 f., hier: S. 1. 972 Elimar Schubbe: Marx rückt vor; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1973 vom 20. 4. 1973, S. 1 f.; hier: S. 1. 973 Zit. nach: »Blätter, wie sie die Menschen brauchen.« Spiegel-Report über Journalismus und Wahlkampf des Bauer-Verlags; in: Der Spiegel Nr. 47/1972 vom 13. 11. 1972, S. 78 – 98; hier: S. 81.

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Gefahrenwahrnehmung auch die ältere Generation eine nicht unbedeutende Rolle. Zum einen wurde befürchtet, dass sie die Gefahren verkenne und durch ihre Passivität den Machterhalt radikaler Gruppen überhaupt erst ermögliche. Andererseits wurde sie zwar als die nicht aktive Gruppe charakterisiert, aber vereinzelt auch so dargestellt, als ob sie die Ziele der jüngeren, aktiveren Gruppe zumindest decke und heimlich unterstütze. Besonders Willy Brandt stand im Verdacht, insgeheim die Ziele des linken Flügels zu unterstützen. Anton Böhm warnte vor der Landtagswahl in Niedersachsen 1974 einerseits vor den Jusos, die »sich alle Mühe [geben], ihr grimmiges Gesicht hinter einer Maske zu verbergen«, andererseits aber auch vor Willy Brandt, der nicht etwa zu schwach und zu gutmütig sei, um gegen die Jusos vorzugehen, sondern der in Wirklichkeit dieselben Ziele unterstützen würde, weil »Willy Brandt nach Herkunft und Überzeugung selbst ein linker Sozialist ist. Was ihn von den Jusos unterscheidet, ist nicht die Zielorientierung, sondern die Methode. Er will nicht revolutionär, sondern evolutionär vorgehen und den Sozialismus auf legale Weise […] die Macht ergreifen lassen.«974 Böhm ging weiter davon aus, dass die SPD die demokratische Mehrheit benötige, um den undemokratischen Sozialismus einzuführen, und sich nur solange als harmlos darstelle, wie sie es nötig habe.975 Die einzige Möglichkeit, diese Gefahr abzuwenden sah Böhm in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die Sozialdemokraten sich gegen die Sozialisten durchsetzen würden. Neben der Bezeichnung »Sozialdemokraten« wurden die demokratischen Kräfte innerhalb der SPD, die sich gegen die Jusos durchsetzen sollten, auch als die »Godesberger« oder als die »Demokraten in der SPD« bezeichnet.976 Dagegen wurden Herbert Wehner und Willy Brandt als die »ExRadikalmarxisten« bezeichnet, die eher »Schutzpatronen der Jungsozialisten« als »Wahrern des Erbes von Ebert und Schumacher« gleichen würden.977 Die Möglichkeit, dass sich die Jusos problemlos in die SPD integrieren könnten, wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster aufgrund der historischen Erfahrung für kaum möglich gehalten: »Linke Schwarmgeister konnten nie festhalten; siehe Taboristen, Jakobiner, Trotzkisten, siehe sogar Röhms SA, die 1934 von einer notwendigen zweiten Revolution sprach. Aber sie konnten mit großer Wirksamkeit zerstören, Leid über andere bringen, den freien Willen vergewaltigen.«978 Ein weiterer Grund, warum ein Machterhalt der Jusos in der SPD auch als 974 Anton Böhm: Tarnanstrich für die SPD. Die Partei will die Wähler der Mitte irreführen; in: Rheinischer Merkur Nr. 15/1974 von Ostern 1974, S. 1. 975 Vgl. Böhm: Tarnanstrich für die SPD. 976 Vgl. Elimar Schubbe: Sozialdemokratie am Scheideweg. Der Machtkampf um den Kurs der SPD spitzt sich dramatisch zu; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1974 vom 26. 4. 1974, S. 1. 977 Schubbe: Sozialdemokratie am Scheideweg. 978 Gückelhorn: Krise der SPD, S. 2.

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Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie angesehen wurde, war deren Forderung nach einem imperativen Mandat. Dieses sollte bewirken, dass die Abgeordneten der SPD an die Weisungen der Ortsgruppen gebunden sind und diese den Abgeordneten gegebenenfalls das Mandat wieder entziehen können. Diese Forderung wurde von vielen Zeitgenossen als Gefährdung der bundesdeutschen Demokratie empfunden. Der »Spiegel« konstatierte im Juni 1973 die Folgen des imperativen Mandats: »Betroffen aber wäre […] vor allem die Struktur der westdeutschen Demokratie. Es wäre das Ende des überkommenen parlamentarischen Systems, in dem Parlamentarier – nach dem Verfassungsgebot – an Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind.«979 Der nordrheinwestfälische Arbeits- und Sozialminister Werner Figgen (SPD) fand, dass ein imperatives Mandat die Demokratie kaputt mache und der Mainzer Oberbürgermeister Jockel Fuchs (SPD) wandte sich dagegen, dass das Parlament von der Partei ersetzt werde.980 Die Forderung eines imperativen Mandats wurde als Verstoß gegen ein Prinzip der freiheitlichen Demokratie angesehen, da das vom Volk gewählte Parlament und nicht eine einzelne Partei die Regierung kontrollieren müsse.981 Letztlich könnte das zur Errichtung eines Rätesystems führen, wodurch die Räte die Aufgabe von Legislative, Exekutive und Judikative übernehmen würden. Auch im Dezember 1979 warnte Anton Böhm noch vor der Forderung der SPD-Parteilinken, dass die Abgeordneten an die Aufträge der Parteitage gebunden seien, denn »[d]ahinter steckt der Versuch, die repräsentative parlamentarische Demokratie des Grundgesetzes auf Umwegen in eine sogenannte Basisdemokratie umzuwandeln«, wodurch die Trennung zwischen Parlament und Regierung wie in totalitären Systemen aufgehoben werde.982 Wie bereits erläutert, wurde die Gefährdung der bundesdeutschen Demokratie durch die Jusos nicht nur von Anhängern der Unionsparteien artikuliert. Diese Ängste führten auch dazu, dass sich Personen den Ängsten des konservativen Wahrnehmungsmusters anschlossen, die diesem nicht klassisch zuzuordnen sind. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Schulz kritisierte, dass man die »Todfeinde der Demokratie wie des freiheitlichen Sozialismus längst in den eigenen Reihen« habe und empfand manche Linke »als unsere

979 »Der Abgeordnete hat sich zu unterwerfen.« Spiegel-Report über den Streit der Sozialdemokraten um das imperative Mandat; in: Der Spiegel Nr. 26/1973 vom 25. 6. 1973, S. 25 – 31; hier : S. 26 f. 980 Vgl. nach: »Der Abgeordnete hat sich zu unterwerfen«, S. 26. 981 Vgl. Klaus Hoff: Angriff auf das Individuum; in: Rheinischer Merkur Nr. 39/1973 vom 28. 9. 1973, S. 4. 982 Anton Böhm: Das Mandat der Partei. Regierung und Abgeordnete sind Delegiertenbeschlüssen nicht unterworfen; in: Rheinischer Merkur Nr. 49/1979 vom 7. 12. 1979, S. 1.

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Wächter in neuen Konzentrationslagern«.983 Der »Spiegel« konstatierte, dass »Sozialdemokraten und Unionschristen unversehens in die gleiche Mundart verfielen«, charakterisierte Klaus-Peter Schulz aber zugleich auch als »Rechtsaußen der rechtsgestimmten West-Berliner SPD«, wohl auch um deutlich zu machen, dass dieser schon länger mit konservativen Ansichten auffiel.984 Der »Spiegel« hielt diese Ängste für übertrieben und verwies auf den Wandel der Jusos und den Wandel in der Gefahrenwahrnehmung durch das Aufkommen der Studentenbewegung: »In den sechziger Jahren, als Junge Union und Jungdemokraten sich durch Attacken gegen CDU und FDP hervortaten, mokierten sich selbst bürgerliche Blätter über die betuliche SPD-Jugend.«985 Erst während der Studentendemonstrationen wurden die Jusos zunehmend rebellierend, was auf dem Juso-Kongress in München im Dezember 1969 durch den Vorsitzenden und die verabschiedeten Beschlüsse auch institutionalisiert wurde.986 Auch weitere SPD-Abgeordnete wie beispielsweise Hermann Schmitt-Vockenhausen, der auch die Thesen des Zentralkomitees der Katholiken gegen eine allumfassende Demokratisierung unterstützte, Günther Müller oder der bereits erwähnte Münchener Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel wandten sich entschieden gegen die Ziele der Jusos. Interessant ist, dass sich diese Personen gruppierten. Im Sommer 1970 schlossen sich besorgte Sozialdemokraten zum »Kreis der Freunde und Förderer des Godesberger Programms« zusammen.987 In Frankfurt a.M. gründete sich aus diesem eher lockeren Kreis im Jahr 1972 eine SPD»Arbeitsgemeinschaft«, die sich landes- und später bundesweit organisieren wollte, um für eine gemäßigte Politik innerhalb der SPD zu sorgen.988 Die Mitglieder dieses Arbeitskreises prangerten die Taktik der Verunsicherung durch die Jusos an, die dazu führe, dass die anderen SPD-Anhänger sich wie damals bei Hitler nicht getrauen würden, ihre Meinung zu äußern989 und verglichen die Ansichten der Jusos mit denen des Nationalsozialismus: »Der Antikapitalismus, der heute mit Haß und Neid gepredigt wird, ist der gleiche gefährliche Unsinn wie der Antisemitismus im Jahre 1933.«990 Am 7. Mai 1972 wurde unter der Leitung des bereits erwähnten Günter Müller in München die kommunale Wählergruppe »Soziale Demokraten 72« gegründet, die verhindern wollte, dass

983 Zit. nach: Sozusagen die Macht; in: Der Spiegel Nr. 10/1971 vom 1. 3. 1971, S. 21 – 29; hier : S. 22. 984 Sozusagen die Macht, S. 23. 985 Sozusagen die Macht, S. 24. 986 Vgl. Sozusagen die Macht, S. 24. 987 Vgl. Sozusagen die Macht, S. 28. 988 Vgl. Zwei links, einen rechts; in: Der Spiegel Nr. 18/1972 vom 24. 4. 1972, S. 66 ff.; hier : S. 66. 989 Vgl. nach: Zwei links, einen rechts, S. 66. 990 Zit. nach: Zwei links, einen rechts, S. 68.

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in München radikale Kräfte die Macht übernehmen würden.991 Doch auch in der SPD wurde sich von den Kräften innerhalb der Jusos distanziert, die zwar in der Minderheit seien, dafür aber demokratiefeindliche Ziele vertreten würden, die nicht mit denen der SPD vereinbar seien. Erhard Eppler, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, empfahl diesen Kräften, sich eine andere Partei zu suchen, worauf der »Rheinische Merkur« sich in seinen Ängsten bestätigt fühlte: »Angesichts solch eindeutiger Worte drängt sich die Frage auf, wie sehr es eigentlich in der SPD schon brennt, wenn einer löschen muß, der vorher fleißig Streichhölzer verkauft hat.«992 Nach dem Kanzlerwechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt wurden die Ängste vor einer Unterwanderung der SPD durch linksextremistische Kräfte insgesamt bedeutend seltener thematisiert, auch wenn darauf hingewiesen wurde, dass viele Gefahren »nicht dadurch weg [seien], daß die Jusos seit einigen Monaten ihre Thesen leiser vertreten, sie sind alle noch da.«993 Herwig Gückelhorn gestand Helmut Schmidt zu, dass er den Niedergang der SPD aufhalten könne, warnte aber auch davor, dass die Unterwanderung der Institutionen »erheblich stiller als zuvor, aber ebenso entschlossen« weitergehe.994 Der ehemalige Botschafter Hans Berger erkannte zwar, dass Helmut Schmidt die »in die SPD eingedrungene radikale Linke teilweise aus dem äußeren Erscheinungsbild zurückzudrängen vermocht[e]«, warnte aber vor deren weiterer Existenz und befürchtete, dass sich »ebenso wie heute in Frankreich und Portugal eine Volksfrontsituation zu entwickeln [drohe], die bei uns angesichts der direkten Berührung mit dem sowjetischen Imperium verhängnisvoll wäre.«995 Der Marsch durch den öffentlichen Dienst Die Ängste vor einem Marsch von linken Demokratiefeinden durch den öffentlichen Dienst, der zur Zerstörung der bundesdeutschen Demokratie führen würde, resultierte maßgeblich aus den Ängsten vor einer Unterwanderung der Universitäten und der SPD durch die Jusos. Im Grunde wurde eine personelle Kontinuität vermutet, da diejenigen, die auch versuchen würden, die Universi991 Vgl. Günther Müller : »Soziale Demokraten 72«; in: Rheinischer Merkur Nr. 22/1972 vom 2. 6. 1972, S. 4. 992 Walter Bajohr : Qualm im Haus der SPD. Löschversuche eines Streichholzverkäufers; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1973 vom 12. 10. 1973, S. 2. 993 »Stillstand ist besser als Rückschritt.« Der hessische CDU-Vorsitzende Alfred Dregger über Innen- und Ostpolitik; in: Der Spiegel Nr. 48/1974 vom 25. 11. 1974, S. 41 – 46; hier : S. 41. 994 Herwig Gückelhorn: Schmidt ist besser – ist er gut genug? Die Krise der SPD wird vorerst nur verdeckt; in: Rheinischer Merkur Nr. 31/1974 vom 2. 8. 1974, S. 1. 995 Hans Berger : Die neue Chance der Unionsparteien. Nicht halbherzige Anpassung, sondern eine klare Alternative muß ihre Politik bestimmen; in: Rheinischer Merkur Nr. 7/1975 vom 14. 2. 1975, S. 10.

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täten und die SPD zu unterwandern, meist auch gehobene Stellen im öffentlichen Dienst anstrebten, besonders als Lehrer oder Richter. Die »Notgemeinschaft für eine Freie Universität« wies in einem Flugblatt auf die Folgen der Universitätskrise hin, die dazu führe, dass Kommunisten Schüler unterrichten, Recht sprechen und in wichtigen wirtschaftlichen Positionen das liberale System angreifen werden.996 Dabei spielte der Schuldienst eine besondere Rolle, denn es wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster befürchtet, dass auch eine geringe Anzahl von verfassungsfeindlichen Lehrern im Schuldienst gefährlicher seien als eine größere Anzahl von Verfassungsfeinden in der Verwaltung oder in der Polizei, da diese wenigen Lehrer tausende Schüler in ihrem Verhältnis zur Demokratie dauerhaft verunsichern könnten.997 Ein weiterer Grund für die starke Angst vor der Unterwanderung des öffentlichen Dienstes mag im deutschen Beamtentum liegen, das es nahezu unmöglich macht, sogenannte Verfassungsfeinde wieder aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen. Auffällig ist, dass die Ängste vor einer Unterwanderung des öffentlichen Dienstes – im Gegensatz zu den Ängsten vor der Unterwanderung der Universitäten und der SPD – auch nach dem Regierungsantritts Helmut Schmidts nicht merklich abnahmen, sondern sogar weiterhin in starker Intensität geschürt wurden. Gründe hierfür könnten zum einen darin liegen, dass sich die Ängste von der Universitäts- und der SPD-Unterwanderung zur Unterwanderung des öffentlichen Dienstes verschoben. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass die Überprüfung von Anwärtern des öffentlichen Dienstes im linken Wahrnehmungsmuster auf massiven Widerstand stoß und zu Ängsten vor einem Überwachungsstaat führte (siehe Kapitel 3.3.3), sodass sich die Auseinandersetzung zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster verstärkte. Der Wandel von der Angst vor einer Studentenbewegung bzw. einer Unterwanderung der Universitäten hin zur Angst vor der Unterwanderung des öffentlichen Dienstes bewirkte auch eine Veränderung der optischen Beschreibungen der Feinde der Demokratie und der Art der Gefahrenbeschreibung. Es wurde vor allem vermutet, dass sich die Taktik zur Zerstörung der Demokratie geändert habe und die neue, unauffällige Taktik besonders gefährlich sei, da man diese kaum als Gefahr wahrnehmen würde. Exemplarisch für diese Ängste charakterisiert Klaus Römer diesen Wandel im August 1971: »Die Randalierer von einst kommen auf leisen Sohlen; sie sind sauber, aufgeschlossen, blitzgescheit, und sie bringen alles mit, was man zur Führung eines Planungsstabs 996 Vgl. nach: W. T.: FU. Sorge in der Bevölkerung wegen der Radikalisierung; in: Rheinischer Merkur Nr. 7/1972 vom 18. 2. 1972, S. 2. 997 Vgl. Anton Böhm: Kloses Freibrief; in: Rheinischer Merkur Nr. 40/1978 vom 6. 10. 1978, S. 2.

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braucht. Eines Tages aber werden sie das freiheitliche Gesellschaftssystem von innen aufschlitzen. Dessen Verteidiger aber erkennen den Feind nicht mehr, weil sie nur den bärtigen, unsauberen, brutalen Revoluzzer ins Auge fassen und jene geflissentlich übersehen, die mit ihrem Denken eine sehr gefährliche geistige Bewegung ausgelöst haben.«998 Auch Anton Böhm unterschied zwischen zwei verschiedenen Strategien der Linksradikalen und empfand die der Unterwanderung als die gefährlichere: »Die ›Aktionisten‹ sehen nur den militant-revolutionären Weg als den richtigen an. Die anderen, vor allem die wirklich Ernstzunehmenden, also für unsere Demokratie Gefährlichen, ziehen den ›langen Marsch durch die Institutionen‹ und somit die Methode der ›Reformen‹ vor.«999 Jedoch warnte Böhm davor, dass Reformen nur als Tarnwörter dienen würden, denn wenn »der lange Marsch durch die Institutionen, also deren Unterwanderung, weit genug gekommen ist, dann mag einst die utopischideologische Maske fallen und das letzte Stündlein der Realdemokratie schlagen, die nun durch ein wirkliches ›System‹, das rotfaschistische, ersetzt werden kann.«1000 Aufgrund dieser Art der Gefahrenwahrnehmung forderte beispielsweise der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Heinz Schwarz (CDU): »Um seiner Selbsterhaltung willen muß der demokratische Rechtsstaat den öffentlichen Dienst von den Kräften freihalten, die sich auf ›den langen Marsch durch die Institutionen‹ begeben möchten, um die demokratische Staatsordnung von innen her zu zerstören.«1001 Im Umkehrschluss kritisierte Rainer Barzel die sozialliberale Regierung, dass diese zu schwach sei und nicht effektiv gegen diese Unterwanderung vorgehe: »Wie schlapp muß eine Regierung sein, daß sie nicht gegen ihre Feinde angeht, die die Demokratie benutzen, um, wenn sie an der Macht sind, die demokratischen Freiheiten zu beseitigen?«1002 und Hans Filbinger warnte: »Der demokratische Staat, der seine Feinde fördert, gibt sich selbst auf.«1003 Das Interessante an der Auseinandersetzung um den »Marsch durch die Institutionen« ist, dass sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster die Meinung vorherrschte, dass Feinde der Demokratie keinen Zugang zum öffentlichen Dienst bekommen sollten. Wie diese Grenzen gezogen 998 Klaus Römer : Umsturz als Planungsaufgabe. Hans G. Schneiders neues Buch »Die Zukunft wartet nicht«; in: Rheinischer Merkur Nr. 32/1971 vom 6. 8. 1971, S. 3. 999 Anton Böhm: System; in: Rheinischer Merkur Nr. 5/1972 vom 4. 2. 1972, S. 10. 1000 Böhm: System. 1001 Heinz Schwarz: Freibrief versagt. Länder wehren sich gegen Unterwanderung; in: Rheinischer Merkur Nr. 46/1971 vom 12. 11. 1971, S. 4. 1002 Zit. nach: Reinhard Metz: Ums »Markenzeichen«. Richtungsstreit im CDU/CSU-Mittelstand; in: Rheinischer Merkur Nr. 38/1971 vom 17. 9. 1971, S. 2. 1003 Zit. nach: Für Kenner ; in: Rheinischer Merkur Nr. 12/1972 vom 24. 3. 1972, S. 8.

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wurden und wer als Feind zu gelten hatte, verschob sich aber im Laufe der Jahre, sodass sich bedeutende Unterschiede in der Gefahrenwahrnehmung zwischen beiden Wahrnehmungsmustern feststellen lassen. Im November 1971 beschloss der Hamburger Senat den sogenannten »Hamburger Erlass«, der denjenigen den Zugang zur Beamtenschaft auf Lebenszeit verwehrte, die sich aktiv um den Umsturz der freiheitlichen Gesellschaftsordnung bemühen. Der zurückgetretene sozialdemokratische Senatspräsident Herbert Weichmann hatte zuvor vor dem drohenden Schicksal der Weimarer Republik gewarnt, da diese »das Opfer des Totalitarismus geworden [sei], weil ihre Demokraten sie nicht entschieden genug verteidigt hätten.«1004 Elimar Schubbe begrüßte die Entscheidung des Hamburger Senats, der »[o]hne Rücksicht auf das Protestgeschrei sozialistischer und linksliberaler Gruppen« Mut bewiesen habe und die Strategie der Extremisten durchkreuzen wolle, weshalb Schubbe darauf verwies, dass das Prinzip der wehrhaften Demokratie zwar in Hamburg, aber noch nicht in der Bundesrepublik verstanden worden sei.1005 Auch aufgrund der Terrorakte der RAF und da sich die sozialliberale Koalition keine Schwäche gegenüber Verfassungsfeinden unterstellen lassen wollte, kam es am 28. Januar 1972 zu einer gemeinsamen Erklärung von Willy Brandt und den Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Deutschland.1006 Dieser Ministerpräsidentenbeschluss, der von dessen Gegnern auch »Radikalenerlass« oder als »Berufsverbote« bezeichnet wurde, besagte, dass nur derjenige Zugang zum öffentlichen Dienst erhalte, der jederzeit aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintrete. Zwar war man sich sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster darin einig, dass Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung keinen Zugang zum öffentlichen Dienst gewährt werden solle, allerdings wurde man sich zunehmend darüber uneinig, wen man als Gegner der demokratischen Grundordnung definiere bzw. inwiefern ein sogenannter Verfassungsfeind eine tatsächliche Bedrohung sei und mit welchen Überprüfungsverfahren man diese herausfiltere. Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde der Ministerpräsidentenbeschluss sehr exakt ausgelegt, sodass jeder als Verfassungsfeind galt, der sich nicht jederzeit für die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland einsetze. Es gab auch keinen Zweifel darüber, dass Mitglieder kommunistischer Organisationen diese Bedingung nicht erfüllen könnten und ihnen deshalb jeglicher Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrt werden müsse. Dieser Ansicht lag eine Gefahrenwahrnehmung zugrunde, die auch schon bei den Ängsten vor einer Massen1004 Zit. nach: Elimar Schubbe: Courage gezeigt; in: Rheinischer Merkur Nr. 49/1971 vom 3. 12. 1971, S. 4. 1005 Schubbe: Courage gezeigt. 1006 Vgl. zum Ministerpräsidentenbeschluss: Dominik Rigoll: Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013; hier : S. 335 – 371.

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bewegung deutlich wurde, nämlich die Befürchtung, dass der Kommunismus auch trotz der geringen Zahl seiner Anhänger eine massive Gefahr sei. So sei eine kommunistische Machtergreifung durchaus möglich, da viele seiner Anhänger in bedeutenden Schlüsselpositionen des öffentlichen Lebens vertreten seien.1007 Schickling kritisierte außerdem, dass es die zweite deutsche Republik nicht verstanden habe, eine Jugend zu erziehen, die sich bedingungslos für die Demokratie einsetze. Im linken Wahrnehmungsmuster wollte man ebenfalls eine Unterwanderung des öffentlichen Dienstes verhindern, beurteilte die Möglichkeit der Kommunisten, einen gewaltsamen Umsturz im Inneren durchzuführen aber eher skeptisch.1008 Deshalb sollte auch nicht jedem Bewerber, der Mitglied einer zwar extremistischen, aber nicht verbotenen Partei ist, automatisch der Zugang zum öffentlichen Dienst verweigert werden. Die Praxis, die ein solches Vorgehen vorsah, wurde deshalb oft mit der Anwendung von »Berufsverboten« gleichgesetzt. Auf dem Bundesparteitag der SPD in Hannover im April 1973 konnte sich der linke Flügel der SPD durchsetzen und erreichen, dass bei jedem Bewerber für den öffentlichen Dienst im Einzelfall geprüft wird, ob der Bewerber gegen das Grundgesetz sei, sodass die bloße Mitgliedschaft in einer extremistischen Partei oder radikalen Gruppierung, die nicht verboten ist, nicht für eine Ablehnung ausreichen kann.1009 Im konservativen Wahrnehmungsmuster stieß diese Änderung des Ministerpräsidentenbeschlusses auf starke Ablehnung. Friedrich Graf von Westphalen sah den Bestand der freiheitlichen Ordnung in Gefahr und erinnerte an die deutsche Vergangenheit: »Die Weimarer Republik aber ist – und daran sollte man immer wieder erinnern – nicht zuletzt deswegen zugrunde gerichtet worden, weil die den Staat tragende Beamtenschaft […] ihr größtenteils in ›parteipolitischer Neutralität‹ oder ablehnend gegenüberstand, sofern Teile der Beamtenschaft es nicht vorzogen, sie von innen – ›systemsprengend‹ – zu bekämpfen.«1010 Im konservativen Wahrnehmungsmuster herrschte die Ansicht vor, dass nur derjenige keine Gefahr für den öffentlichen Dienst darstelle, der sich nicht nur ausdrücklich nicht gegen die Verfassung stellte, sondern der eben auch aktiv für diese eintrat. In dem bereits erwähnten »Spiegel«-Interview mit Alfred Dregger kritisierte dieser die sozialliberale Koalition, die aufgrund des »Übergewichts ihrer linken Flügel« nicht die Kraft 1007 Vgl. Willi Schickling: Kann das freie Deutschland kommunistisch werden? Gefahren, die man sehen muß, um sie bekämpfen zu können; in: Rheinischer Merkur Nr. 26/1972 vom 30. 6. 1972, S. 10. 1008 Vgl. beispielhaft »Anarchisten kann man riechen«, S. 41. 1009 Vgl. nach: Friedrich Graf von Westphalen: Demokratie muß streitbar bleiben. Kein Platz für Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1973 vom 27. 4. 1973, S. 11. 1010 Westphalen: Demokratie muß streitbar bleiben.

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besitze, den demokratischen Staat entschieden »gegenüber jedermann zu verteidigen« und Dregger betonte, dass auch die bloße Mitgliedschaft in der DKP gegen eine Einstellung im öffentlichen Dienst spreche.1011 Diese unterschiedliche Gefahrenwahrnehmung der beiden Wahrnehmungsmuster führte dazu, dass im linken Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem Überwachungsstaat wuchsen (siehe Kapitel 3.3.3), während im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einer linksradikalen Unterwanderung entstanden, auch da man die Ansicht vertrat, dass die sozialliberale Koalition zu schwach gegen Staatsfeinde interveniere, wie der Fraktionsvorsitzende der Unionsparteien und spätere Bundespräsident (1979 – 1984) Karl Carstens es formulierte: »Heute sind die Unionsparteien die einzige politische Kraft in unserem Lande, die geschlossen und entschlossen Widerstand gegen die Unterwanderung unserer freiheitlich demokratischen Ordnung leistet.«1012 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde die SPD, die allmählich immer mehr die Gefahrenwahrnehmung des linken Wahrnehmungsmusters annahm, als linksunterwandert beschrieben und es wurde befürchtet, dass innerhalb der SPD kritische Stimmen zum Schweigen gebracht werden.1013 Nach dem Regierungswechsel von Brandt zu Schmidt betonte auch Schmidt, dass er die demokratische Rechtsstaatlichkeit gegen die Umstürzler verteidigen werde.1014 Allerdings waren damit die Konfliktlinien zwischen dem linken und dem konservativen Wahrnehmungsmuster nicht gebrochen, denn selbst Zeitgenossen erkannten schon, dass es nicht »so sehr um das Ob, sondern um das Wie [geht]. Hier geht es nicht um die Anerkennung der Notwendigkeit, daß sich die Demokratie gegen ihre Feinde zur Wehr setzen darf und muß, sondern um die Entschlossenheit zum Handeln – selbstverständlich auf rechtsstaatlicher Grundlage.«1015 In allen im Bundestag vertretenen Parteien bekannte man, dass die Toleranz gegenüber den Feinden der Demokratie aufhören müsse und dass die Weimarer Republik nicht an der Stärke ihrer Feinde, sondern an der Schwäche der Demokraten gescheitert sei.1016 Auch der Bremer Bürgermeister Hans Koschnik (SPD) bekannte: »Aus Weimar sollten wir gelernt haben, daß man zu Beginn ›nein‹ sagen muß, nicht erst 1933… Wir müssen den Staat mit

1011 »Stillstand ist besser als Rückschritt«, S. 41. 1012 Zit. nach: Paul Wilhelm Wenger : Die misshandelte Verfassung. CDU-Angriff trifft die zentrale Schwäche der SPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 2/1974 vom 11. 1. 1974, S. 1. 1013 Vgl. Otto B. Roegele: Was SPD-Leute nicht sagen dürfen. Die »Systemveränderer« rücken vor – aber es muß verschwiegen werden; in: Rheinischer Merkur Nr. 34/1973 vom 24. 8. 1973, S. 1. 1014 Vgl. nach: Anton Böhm: »Pragmatischer« Sozialismus. Union muß Helmut Schmidts Strategien durchkreuzen; in: Rheinischer Merkur Nr. 21/1974 vom 24. 5. 1974, S. 1. 1015 H. B.: Leere Debatte; in: Rheinischer Merkur Nr. 40/1974 vom 4. 10. 1974, S. 4. 1016 Vgl. H. B.: Leere Debatte.

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rechtsstaatlichen Mitteln konkret verteidigen.«1017 Die Frage war jedoch, was in den beiden Wahrnehmungsmustern als rechtsstaatliche Mittel angesehen wurden und wann befürchtet wurde, dass diese rechtsstaatlichen Mittel nicht beachtet würden. So erweckte die Mitgliedschaft in der DKP im linken Wahrnehmungsmuster nicht automatisch Zweifel an der Treuepflicht eines Anwärters für den öffentlichen Dienst, im konservativen Wahrnehmungsmuster allerdings schon. Der Konflikt zwischen beiden Wahrnehmungsmustern verlief deshalb weiter so, dass im konservativen Wahrnehmungsmuster eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie allein schon dadurch gesehen wurde, dass ein Bewerber für den öffentlichen Dienst einer Partei oder Gruppierung angehörte, von der man im konservativen Wahrnehmungsmuster vermutete, dass diese der bundesdeutschen Demokratie oder dem Grundgesetz feindlich gegenüberstehen würde. Um zu belegen, dass auch formal legale Aktivitäten eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie darstellen können, bezog man sich im konservativen Wahrnehmungsmuster auch immer wieder auf die Erfahrungen der Weimarer Republik. Paul Wilhelm Wenger kritisierte im November 1974 den Gesetzesentwurf des Bundesinnenministers Werner Maihofer, der den Nachweis einer Verfassungsfeindlichkeit eines Bewerbers einforderte, um diesem den Zugang zum öffentlichen Dienst zu verwehren, als eine Umkehrung der Beweislast und eine Verkehrung des Artikels 18 des Grundgesetzes.1018 Wenger beklagte, dass durch diesen Gesetzesentwurf das »so klar definierte Verfassungsgebot der kämpferischen Demokratie in ihr masochistisches Gegenteil« verkehrt werde und die »Tür zur scheinlegalen Vernichtung der Demokratie – nach dem Modell von Hitlers ›legalem‹ Verfassungseid vor dem Reichsgericht in Leipzig« geöffnet werde.1019 Wenger forderte deshalb, dass die Anwendung von Artikel 18 des Grundgesetzes, also die Verwirkung der Grundrechte, wenn man diese zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Ordnung verwendet, nicht weiterhin beim Bundesverfassungsgericht, sondern bei den Innen- und Justizministern der Länder und des Bundes liegen solle.1020 Helmut Kohl verteidigte im August 1976 den Ministerpräsidentenbeschluss und erinnerte an die Einbürgerung Adolf Hitlers: »Adolf Hitler konnte nur Deutscher werden, weil es damals keinen Radikalen-Erlaß gab.«1021 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde die regelhafte Überprüfung von Anwärtern als unerlässlich eingeschätzt, im linken Wahrnehmungsmuster 1017 Zit. nach: Für Kenner ; in: Rheinischer Merkur Nr. 34/1973 vom 24. 8. 1973, S. 8. 1018 Vgl. Paul Wilhelm Wenger : Wider die Verfassung. Warum der Maihofer-Entwurf gesetzwidrig ist; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1974 vom 29. 11. 1974, S. 2. 1019 Wenger: Wider die Verfassung. 1020 Vgl. Wenger : Wider die Verfassung. 1021 Zit. nach: Für Kenner ; in: Rheinischer Merkur Nr. 34/1976 vom 20. 8. 1976, S. 8.

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wurde diese zunehmend immer mehr hinterfragt und kritisiert. Diese Haltung führte im konservativen Wahrnehmungsmuster zu starker Kritik, und es wurde immer wieder vor den Gefahren für die bundesdeutsche Demokratie gewarnt. Anton Böhm kritisierte die lasche Haltung der SPD bei der Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst: »Ob der Sturz der freiheitlichen Ordnung, der repräsentativen parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes, durch die revolutionäre Waffengewalt eines ›Volkskrieges‹ erreicht werden soll, oder durch die Termiten-Strategie der Aushöhlung (›Marsch durch die Institutionen‹) – das mag strafrechtlich erheblich sein, aber ganz und gar nicht politisch.«1022 Im Jahr 1976 kündigte die sozialliberale Koalition den Ministerpräsidentenbeschluss einseitig auf, während er in Bundesländern, die von der Union regiert wurden, weiterhin Bestand hatte.1023 Im Dezember 1978 hob die sozialliberale Koalition die Regelanfrage beim Verfassungsschutz für die Bundesverwaltung auf, und es wurde festgelegt, dass ab 1. April 1979 bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst eine Anfrage beim Verfassungsschutz nur bei begründetem Verdacht stattfinden dürfe.1024 Im konservativen Wahrnehmungsmuster stieß diese Maßnahme auf massive Ablehnung. Einerseits wurde befürchtet, dass radikale Kräfte ungehindert Zugang zum öffentlichen Dienst bekommen würden, andererseits wurden die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters aufgenommen und befürchtet, dass gerade diese Praxis der Überprüfung den Überwachungsstaat überhaupt erst ermögliche, da die Einstellungsbehörde nur durch Bespitzelung und Sammlung von Material über den Bewerber Anhaltspunkte für eine Anfrage beim Verfassungsschutz bekomme.1025 Anton Böhm konstatierte deshalb: »Erst das alles zusammengenommen würde aus dem Wahngebilde des ›Schnüffelstaats‹ tatsächlich Wirklichkeit machen. Die Beibehaltung der Regelanfrage würde das auf einfachste Weise verhindern.«1026 Bereits bei einer Abstimmung in Hamburg über das Einstellungsverfahren im öffentlichen Dienst im Jahr 1978, bei dem sich Helmut Schmidt trotz eindringlicher Mahnungen an das Schicksal der Weimarer Republik nicht gegen den linken Flügel der SPD durchsetzten konnte und die Regelanfrage bis auf den Sicherheitsbereich abgeschafft wurde, hielt Paul Wilhelm Wenger diese Entscheidung aufgrund des Linksrutsches der SPD für folgenschwer : »[A]m Ende des langen 1022 Anton Böhm: Zum Beispiel Heidelberg. Linksextreme mißbrauchen den Bürgerzorn; in: Rheinischer Merkur Nr. 27/1975 vom 4. 7. 1975, S. 1. 1023 Vgl. Wolfrum: Demokratie, S. 323. 1024 Vgl. Rigoll: Staatsschutz, S. 454 f. 1025 Vgl. Böhm: Wenn der Schnüffelstaat jetzt amtlich installiert wird. Bonns neue Regelung der Extremistenfrage ist der Sieg einer gezielten Campagne; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/ 1979 vom 26. 1. 1979, S. 4. 1026 Böhm: Wenn der Schnüffelstaat jetzt amtlich installiert wird.

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Marsches der Linksradikalen durch die Ämter steht dann der freiwillige Anschluß der Bundesrepublik an das ›sozialistische Vaterland‹ der ›DDR‹ – also Bismarx-Deutschland mit Marxismus hüben wie drüben im Machtschatten Moskaus.«1027 Günter Willms kritisierte ebenfalls den Hamburger Entschluss von 1978 und verwendete dabei bekannte Elemente des Hygiene-Diskurses. Er erinnerte an die Tatsache, dass die DKP die deutsche Teilung befürwortete und fragte deshalb, ob man nicht erneut »auf dieselbe Mangelerscheinung der Deutschen an einem Gefühl für nationale Würde [stoße], die uns schon einmal Stacheldrähte gegen die Freiheit, nämlich die Stacheldrähte der Konzentrationslager Hitlers, nicht allgemein als eine unaufhörlich nagende Schande empfinden ließ, die man diesem Volk antat?«1028 Willms forderte deshalb »allein aus Gründen nationaler Hygiene«, dass niemand, der Minen und Stacheldraht quer durch Deutschland billigt, diesem Staat dienen kann, da die Missbilligung dieser Teilung charakterisierend für diesen Staat sei.1029 In einem »Spiegel«-Interview im März 1982 verteidigte der Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) die »Überwindung des Radikalenerlasses und der mit ihm verbundenen Verkrustungen« und forderte weiter : »Wir müssen uns freimachen von der Furcht, die Kommunisten könnten den Staat unterwandern. Die Angst beherrscht aber immer noch die Union.«1030

Die Stärke der Demokratiefeinde durch die Schwäche des Staates Wie bereits bei den Ängsten vor der Studentenbewegung und vor der Unterwanderung der SPD, der Universitäten und des öffentlichen Dienstes sichtbar wurde, wurde die Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie auch darin gesehen, dass aktive, entschiedene Gegner der Demokratie schwachen, passiven Verteidigern der Demokratie gegenüberständen. Die Befürchtungen, dass die bundesdeutsche Demokratie durch ihre eigene Schwäche einem anonymen Machtapparat ihrer Feinde weichen müsse, wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster jedoch im gesamten Untersuchungszeitraum immer wieder thematisiert, weshalb an dieser Stelle grob auf diese Befürchtungen eingegangen werden soll. 1027 Paul Wilhelm Wenger : Der Kanzler im Notstand. Schmidts »Image« kann die Linkstendenz der SPD nicht mehr verdecken; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1978 vom 1. 12. 1978, S. 1. 1028 Günther Willms: Ein Plaidoyer für nationale Hygiene. In der Diskussion über Radikale im öffentlichen Dienst wird die freiheitliche Grundordnung mißbraucht; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1978 vom 13. 10. 1978, S. 4. 1029 Willms: Ein Plaidoyer für nationale Hygiene. 1030 »Die FDP hat keine Alternative.« Bundesinnenminister Gerhart Baum über die Lage der sozialliberalen Koalition; in: Der Spiegel Nr. 9/1982 vom 1. 3. 1982, S. 29 – 32; hier: S. 31.

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Zu Zeiten der Großen Koalition dominierten die Befürchtungen, dass die staatlichen Autoritäten durch verschiedene Aktionen der Studentenbewegung und der Außerparlamentarischen Opposition aufgeweicht würden und durch das Fehlen dieser Autorität sich letztlich die Anarchie durchsetzen werde. Durch diese Art der Gefahrenwahrnehmung konnten selbst neue Demonstrationsarten, wie beispielsweise die Rot-Punkt-Aktion gegen Fahrpreiserhöhungen, bei denen Autofahrer durch einen roten Punkt signalisierten, dass sie kostenlos Personen befördern, als Angriff auf die Autorität der Demokratie und damit als Angriff auf die bundesdeutsche Demokratie empfunden werden.1031 Durch den Terrorismus der 1970er Jahre verstärkten sich die Ängste, dass der Staat durch die vergangene Liberalisierung und eine zu lasche Haltung gegenüber Terroristen und Linksradikalen stark bedroht und die Demokratie massiv gefährdet sei.1032 Nach der Entführung von Peter Lorenz im Jahr 1975 betrachtete Anton Böhm rückblickend die Entstehungsgründe des Terrorismus und konstatierte, dass die Vergöttlichung des Staates im Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland ins Gegenteil verkehrt würde, sodass diesem im linken Wahrnehmungsmuster die staatliche Autorität nicht zuerkannt, gleichzeitig aber die Gefahr des Terrorismus auch einer kleinen Gruppe unterschätzt würde.1033 Böhm verwies auf den Gegensatz zwischen Anarchie und Autorität und auf die falsche Annahme, »daß das Gegenstück zur Demokratie ein schwacher Staat sei. In Wirklichkeit verlangt gerade sie einen starken [Staat, C.S.], weil sie als die humanste zugleich auch die schwierigste aller Regierungsformen und damit dauernd von den verschiedensten Seiten her gefährdet ist; wegen der freiheitsschützenden Pluralität der Gewalten und Meinungen braucht sie eine schiedsrichterliche Gewalt von hoher Autorität.«1034 Auch Gerd Ressing verwies im Oktober 1977 auf die »Fehlperspektive von Demokratie, die allerdings wiederum typisch deutsch anmutet. Die Begriffe ›Stärke‹ und ›Liberalität‹ werden bei uns auf Grund besonderer historischer Voraussetzungen als Gegensätze betrachtet.«1035 Alfred Dregger betonte in einem Vortrag über Terrorismus: »Daß die erste deutsche Republik durch innere Schwäche der braunen Diktatur erlag, ist nicht dadurch wieder gutzumachen, daß wir die zweite deutsche Republik durch die gleiche Schwäche einer roten Diktatur ausliefern.«1036 1031 Vgl. nach: Mit Lustgewinn; in: Der Spiegel Nr. 29/1969 vom 14. 7. 1969, S. 41 f.; hier : S. 41. 1032 Vgl. Wenger : Der Terror regiert. 1033 Vgl. Anton Böhm: Wie es dazu kam; in: Rheinischer Merkur Nr. 10/1975 vom 7. 3. 1975, S. 1 f.; hier: S. 1. 1034 Böhm: Wie es dazu kam, S. 2. 1035 Gerd Ressing: EKD in der Krise; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1977 vom 11. 11. 1977, S. 1 f.; hier: S. 2. 1036 Zit. nach: Für Kenner ; in: Rheinischer Merkur Nr. 39/1977 vom 30. 9. 1977, S. 8.

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Doch nicht nur angesichts des Terrorismus wurden Ängste vor einem zu schwachen Staat artikuliert, sondern generell angesichts der sozialliberalen Koalition. Friedrich Graf von Westphalen kritisierte, dass auf Drängen des linken Flügels der SPD 1968 zur Notstandsgesetzgebung das Recht auf Widerstand im Grundgesetz verankert wurde, um die freiheitliche Grundordnung gegen sämtliche Angriffe zu verteidigen und dass dieses Recht heute von linken Verfassungsfeinden sämtlicher Couleur missbraucht werde, um die demokratische Ordnung zu zerstören, die sozialliberale Koalition aber nicht energisch dagegen vorgehe.1037 Im Bundestagswahlkampf 1972 wurde dieses Thema von der CSU aufgegriffen und prophezeit, dass im Falle einer Niederlage der Union die Bundestagswahl 1972 die letzte freie Wahl sein werde.1038

3.3.3 Die Angst vor einem Überwachungsstaat Die Ängste vor einem demokratiezerstörenden Überwachungsstaat hatten ihren Höhepunkt ab Mitte der 1970er Jahre und waren hauptsächlich Ängste des linken Wahrnehmungsmusters. Die Ängste kamen allerdings schon eher auf und waren maßgeblich bedingt durch den Ministerpräsidentenerlass von 1972, der eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz für Anwärter des öffentlichen Dienstes vorsah. Im Zuge der Terrorismusbekämpfung und des damit einhergehenden Ausbaus von computerbasierten Überwachungsmöglichkeiten und Fahndungsmethoden nahmen die Ängste auch Mitte der 1970er weiter zu. Der Regierungswechsel 1982 verstärkte die Befürchtungen des linken Wahrnehmungsmusters weiterhin und ließ diese insgesamt so stark anwachsen, dass es 1983 sogar zum Boykott der turnusmäßigen Volkszählung kam. Obwohl die Ängste vor einem Überwachungsstaat erst im späteren Untersuchungszeitraum ihren Höhepunkt fanden, lassen sich doch einige Merkmale dieser Ängste schon bedeutend früher erkennen. Vor allem ein zentraler, zu starker Geheimdienst galt als Hauptgefahr dafür. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hubert Schrübbers, betonte in einem »Spiegel«Interview von 1966 die Notwendigkeit der Überwachung einzelner Bürger, da auch Adolf Hitler einst nur ein einfacher Bürger gewesen sei, dessen Machtübernahme hätte verhindert werden können, wenn er zuvor sorgfältig überwacht worden wäre, er betonte aber auch, dass es ein demokratischer Grundsatz sei, dass die verschiedenen Nachrichtendienste wie Bundesnachrichtendienst, 1037 Vgl. Friedrich Graf von Westphalen: Die Bundesrepublik – ein schwacher Staat. Es fehlt am Willen zum Widerstand gegen Umsturz und Verbrechen; in: Rheinischer Merkur Nr. 46/ 1971 vom 12. 11. 1971, S. 10. 1038 Vgl. »Draufschlagen, die Wahrheit unterschlagen«; in: Der Spiegel Nr. 40/1972 vom 25. 9. 1972, S. 32 – 49; hier : S. 34.

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Militärischer Abschirmdienst oder der Verfassungsschutz dezentral gelenkt werden müssen, da diese Machtkonzentration für die Demokratie sonst schwer ertragbar sei.1039 Der Staatsrechtsprofessor Otto Kirchheimer bezeichnete den Staat, der einen enorm kleinen Teil seiner Bürger, nämlich diejenigen, die angeblich mit dem System der DDR sympathisierten, streng überwache als »Überwachungsstaat«1040 und der »Spiegel« konstatierte, dass »das Maß dafür fehlt, was einer intakten Demokratie schadlos zugemutet werden« könne.1041 Auch während der Auseinandersetzung um die Notstandsgesetzgebung 1968 ließen sich bereits wesentliche Merkmale der späteren Auseinandersetzung um einen drohenden Überwachungsstaat erkennen. Der Schriftsteller Rolf Hochhuth beschwerte sich im Juni 1968 auf der bereits erwähnten Versammlung von 22 Wissenschaftlern, die gegen die Notstandsgesetze eingetreten sind, über das geplante Abhörgesetz, nach dem der Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes im Falle einer nachrichtendienstlichen Überwachung nicht gelte, sodass einer Person, die durch öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt werde, der Rechtsweg in diesem Falle nicht mehr offen stehe.1042 Hochhuth kritisierte auch, dass eine überwachte Person, deren Überwachung die Unschuld der Person ergab, nicht einmal von seiner Überwachung erfahre und erinnerte an eine Feststellung von Eugen Kogon, dass bereits gegenwärtig mehrere tausend Pfarrer von den Bonner Sicherheitsbehörden überwacht würden.1043 Rudolf Augstein kritisierte, dass durch das neue Abhörgesetz nicht nur Verdächtige, sondern auch Bekannte von Verdächtigen überwacht werden dürften und appellierte deshalb daran, gegen die Verabschiedung des neuen Abhörgesetzes einzutreten.1044 Nach dem Regierungswechsel 1969 lösten Regierungsvorhaben der sozialliberalen Koalition auch im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem Überwachungsstaat aus. Anton Böhm ängstigte im April 1970 die geplante Einführung einer Personenkennziffer, die in verschiedenen Ämtern und Behörden die Zuordnung zu einer bestimmten Person erleichtern sollte. Interessant ist, dass er hierbei viele Argumente verwendete, die im linken Wahrnehmungsmuster in den späten 1970er Jahren ebenfalls verwendet wurden. Böhm erkannte zwar den praktischen Nutzen einer solchen Kennziffer, äußerte 1039 Staatssicherheitsdienst will man nicht heißen. Spiegel-Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hubert Schrübbers; in: Der Spiegel Nr. 25/1966 vom 13. 6. 1966, S. 37 – 55; hier: S. 48 und S. 54. 1040 Vgl. nach: Innere Bereitschaft; in: Der Spiegel Nr. 38/1966 vom 12. 9. 1966, S. 55 ff.; hier: S. 57. 1041 Innere Bereitschaft, S. 57. 1042 Vgl. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 32 f. 1043 Vgl. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 33. 1044 Vgl. nach: »Es geht so dunkel und trickreich zu«, S. 34.

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aber auch »ein unheimliches Gefühl«, dass Zahlen als Erkennungszeichen in der Vergangenheit immer dort Verwendung fanden, »wenn der Mensch nicht als Person, sondern als entpersönlichte Masse behandelt wird, oder als bloße Zahleneinheit mit reduzierten Rechten: Kriegsgefangene, Sträflinge, Zwangsarbeiter.«1045 Böhm erkannte außerdem einen »totalen Verwaltungsstaat, der sich hinter der Fassade der Demokratie in aller Stille entwickelt« habe und mahnte, dass die »Maschen des Netzes, das uns eine allmächtige Administration übergeworfen hat, immer enger geknüpft« würden1046. In Anspielung auf Willy Brandts Regierungserklärung von 1969, in der Brandt mehr Demokratie versprach, hinterfragte Böhm, ob Demokratie überhaupt möglich sei, wenn der Mensch zu einer Nummer werde.1047

Der Ministerpräsidentenbeschluss schafft einen Überwachungsstaat Der Ministerpräsidentenbeschluss von 1972 legte verbindlich fest, dass die bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation nicht ausreiche, um einem Bewerber den Zugang zum öffentlichen Dienst zu verwehren. Diese wohl eigentlich gut gemeinte Absicht, die im konservativen Wahrnehmungsmuster auf enormen Widerstand stieß, führte jedoch dazu, dass neben den allgemeinen Befürchtungen um eine Benachteiligung politisch Linker auch Ängste vor einem demokratiezerstörenden Überwachungsstaat entstanden, da für jeden Bewerber eine Regelanfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz gestellt wurde, um festzustellen, ob Gründe bekannt seien, die gegen eine Einstellung im öffentlichen Dienst sprechen. In einem Streitgespräch im »Spiegel« im Februar 1972 äußerte die Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin, Margherita von Brentano, verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem Ministerpräsidentenbeschluss, da bestimmte Personengruppen aufgrund eines bloßen Verdachtes de facto Berufsverbote erhielten und die Einstellung aufgrund einer bestimmten politischen Überzeugung verweigert werden könne.1048 Gegen Vergleiche zur Weimarer Republik, die an der Schwäche gegenüber ihren Feinden zugrunde gegangen sei, gab sie zu bedenken, dass diese nicht durch die Linken, sondern durch die Rechten zerstört worden sei. Von Brentano konstatierte zum Ministerpräsidentenbeschluss, dass sie »den Beschluß für eine tödliche Bedrohung der De1045 Anton Böhm: Der nummerierte Bürger ; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1970 vom 17. 4. 1970, S. 3. 1046 Böhm: Der nummerierte Bürger. 1047 Vgl. Böhm: Der nummerierte Bürger. 1048 Vgl. Müssen Professoren staatstreu sein? FU-Vizepräsidentin Margherita von Brentano und Senator Stein diskutieren über Marxisten auf Lehrstühlen; in: Der Spiegel Nr. 8/1972 vom 14. 2. 1972, S. 36 – 41; hier : S. 41.

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mokratie« halte.1049 In einem späteren »Spiegel«-Interview mit dem Hamburger Bürgermeister Peter Schulz konkretisierte der »Spiegel« seine Bedenken und stellte klar, dass nicht die Gesetze für die Einstellung im öffentlichen Dienst an sich verfassungswidrig seien, sondern dass ein verfassungswidriger Missbrauch aufgrund zu vager Kriterien zu befürchten sei.1050 In einer Titelstory im April 1973 wollte der »Spiegel« aufzeigen, welche Gefahren die Anwendung des Ministerpräsidentenbeschlusses mit sich bringe und dass eben nicht nur ein kleiner Teil linksextremer Anwärter für den öffentlichen Dienst überprüft werde, sondern dass sich für alle Bürger die Frage stelle, »wie frei die freiheitliche Demokratie denn nun wirklich ist.«1051 Der »Spiegel« konstatierte, dass sich bewahrheitet habe, was »der Kölner Ordinarius für Staatslehre und öffentliches Recht Martin Kriele beschreibt: ›daß die Verteidigung der Verfassung selbst zur Aushöhlung und schließlich zur Zerstörung der Verfassung führen kann‹.«1052 Zur Überprüfung der Bewerber für Lehrereinstellungen würde man in Rheinland-Pfalz »computergerechte Schnüffellisten für die perfekte Staatsschutzaktion« verwenden, um Auskunft über Lehramtsbewerber zu erlangen und in Schleswig-Holstein würden Leserbriefe und Zeitungskommentare von Lehrern gesammelt werden.1053 Der »Spiegel« bestritt nicht, dass die Schule nicht dazu dienen dürfe, Schüler politisch zu indoktrinieren, er stellte aber fest, dass der Ministerpräsidentenbeschluss »ein untaugliches Instrument« sei, um die richtigen Lehrer einzustellen.1054 Der Bremer Rechtsprofessor Peter Derleder kritisierte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975, das bestätigte, dass sich der freiheitliche Rechtsstaat nicht in die Hände seiner Zerstörer begeben dürfe, da das Bundesverfassungsgericht damit den Terminus des Verfassungsfeindes übernommen habe, den das Grundgesetz nicht vorsehe und den das Bundesverfassungsgericht auch nicht genauer definiere.1055 Damit habe das Bundesverfassungsgericht das Freund-Feind-Schema des Staatsrechtlehrers Carl Schmitts übernommen, der in der Vergangenheit damit den Nazis zugearbeitet habe. Derleder gab zu Bedenken, dass man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts »als Beginn einer 1049 Müssen Professoren staatstreu sein?, S. 41. 1050 Vgl. »DKP-Leute gucke ich mir näher an.« Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Schulz über Radikale im öffentlichen Dienst; in: Der Spiegel Nr. 20/1972 vom 8. 5. 1972, S. 36 – 43; hier: S. 42. 1051 Staatpension für Revolutionäre?; in: Der Spiegel Nr. 15/1973 vom 9. 4. 1973, S. 30 – 47; hier: S. 32. 1052 Staatpension für Revolutionäre?, S. 32. 1053 Vgl. Staatpension für Revolutionäre?, S. 34. 1054 Vgl. Staatpension für Revolutionäre?, S. 46 f. 1055 Vgl. »Jetzt kann das Schnüffeln richtig losgehen.« Professor Peter Derleder zum Radikalen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts; in: Der Spiegel Nr. 36/1975 vom 1. 9. 1975, S. 30 f.; hier: S. 30.

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umfassenden politischen Gleichschaltung bezeichnen müßte« und konstatierte: »Jetzt kann das Schnüffeln erst richtig losgehen.«1056 Der »Spiegel«-Reporter Gerhard Mauz kritisierte 1975 eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das einer DKP-Anhängerin den Zugang zum Vorbereitungsdienst verwehrte und mahnte angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit der Richter : »Eine Justiz, die gerade eben fähig war, ›Rassenschande‹ zu verfolgen und abzuurteilen, hat zurückzuschrecken, hat aufzuwachen, wenn ihr schon wieder eine Minorität vorgeführt und behauptet wird, diese Personengruppe gefährde die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ – so wie von 1933 bis 1945 behauptet wurde, die Juden bedrohten das ›deutsche Blut‹.«1057 Auch der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser erinnerte anlässlich der Überreichung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die nationalsozialistische Vergangenheit: »Vielleicht bin ich zu sehr Franzose oder denke zu sehr an 1933, aber es scheint mir doch, als ob in der Bundesrepublik immer mehr von der Verteidigung der Grundordnung durch den Staat die Rede ist, und immer weniger von der Verteidigung der Grundfreiheiten gegen den Staat.«1058 Wie bereits erwähnt, wurde der Ministerpräsidentenbeschluss im konservativen Wahrnehmungsmuster häufig durch die Erfahrungen der Weimarer Republik verteidigt. Im linken Wahrnehmungsmuster wurden allerdings andere Lehren aus der Weimarer Vergangenheit gezogen, sodass dort diese Geschichtsvergleiche als nicht ausreichende Begründung für den Ministerpräsidentenbeschluss gesehen wurden. So bezweifelte selbst der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Günther Nollau, dass die Unterwanderung des öffentlichen Dienstes in der Weimarer Republik eine bedeutende Rolle bei ihrer Zerstörung gespielt habe, sondern dass stattdessen »deutschnationale Honoratioren« die Demokratie verleumdet und Hitler zur Zerstörung dieser eingeladen hätten.1059 Nollau forderte deshalb mehr Toleranz im Umgang mit Kommunisten im Lehrerberuf ähnlich dem Vorbild anderer westeuropäischer Länder und eine Differenzierung bei der Überprüfung von Bewerbern, sodass Bewerber für sicherheitsrelevante Bereiche weiterhin überprüft werden, hingegen bei Lehramtsanwärtern auch Kommunisten Zugang erhalten sollten. Die Aussage Nollaus ist bezeichnend für den Wandel im linken Wahrnehmungsmuster. Der Aufwand und die negativen Folgen der Regelanfrage für Bewerber des öffentli1056 »Jetzt kann das Schnüffeln richtig losgehen«, S. 31. 1057 »Unaufgefordert vollkommen entkleidet.« Spiegel-Reporter Gerhard Mauz über die Juristen als Garanten jeglicher Ordnung; in: Der Spiegel Nr. 32/1975 vom 4. 8. 1975, S. 32 ff.; hier: S. 34. 1058 Zit. nach: Paul Wilhelm Wenger : Gute Ratschläge; in: Rheinischer Merkur Nr. 42/1975 vom 17. 10. 1975, S. 4. 1059 Vgl. Günther Nollau: Die elende Intoleranz; in: Der Spiegel Nr. 19/1976 vom 3. 5. 1976, S. 62 f.; hier: S. 63.

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chen Dienstes galten zunehmend als in keinem Verhältnis zu der Zweckmäßigkeit stehend. Der »Spiegel« konstatierte in einem Interview mit dem badenwürttembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger im Juni 1976, dass seit der Einführung der Regelanfrage eine halbe Millionen Bürger überprüft worden seien und dass dabei »nur 428 Radikale, angebliche oder tatsächliche, entlarvt [worden seien]. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zu den Folgen: Anpassungsdruck, Rechtsunsicherheit und Duckmäusertum.«1060 Im Jahr 1976 wurde die Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst von der sozialliberalen Koalition in Hamburg dahingehend geändert, dass in Hamburg künftig nur noch Beamten-Anwärter und nicht mehr Anwärter für den öffentlichen Dienst überprüft werden sollten, es sei denn, sie bewarben sich für eine Anstellung im sicherheitsrelevanten Bereich.1061 Auszubildende sollten generell nicht mehr überprüft und Jugendsünden nicht mehr berücksichtigt werden. Die Ängste, die die Einführung des Ministerpräsidentenbeschlusses von 1972 weckten, wurden von der Regierungskoalition anfänglich unterschätzt. Zwar gab es auch schon einige zeitgenössische Akteure des linken Wahrnehmungsmusters, die bereits unmittelbar nach der Verabschiedung des Beschlusses massive Bedenken dagegen einwandten, aber mehrheitlich wurden diese Ängste von anderen Akteuren des linken Wahrnehmungsmusters erst Jahre später übernommen, sodass sich in der bedingungslosen Befürwortung oder der modifizierten bzw. später auch bedingungslosen Ablehnung des Beschlusses die Akteure des konservativen und linken Wahrnehmungsmusters gegenüberstanden. Der Journalist Eckart Spoo trat massiv gegen die sogenannten »Berufsverbote« ein und resümierte 1977, »›wie sich das ausweitet, wie das auswuchert‹ was Liberalität, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hierzulande in Gefahr zu bringen droht.«1062 Im Mai 1978 berichtete der »Spiegel«, dass Spitzenpolitiker der SPD »den Radikalenerlaß von 1972 als ›Irrtum‹, ›Fehler‹ und ›politisches Mißurteil‹« bezeichnet hätten.1063 Willy Brandt kritisierte, dass die eigentliche Absicht des Beschlusses ins Gegenteil verkehrt worden sei und Gesinnungskontrollen nicht klar von Tatsachenerhebungen unterschieden würden.1064 Herbert Wehner gab zu bedenken, dass er schon 1972 gegen den Ministerpräsidentenbeschluss eingetreten sei und der »Spiegel« berichtete zurückblickend, dass Wehner »schon 1972, vor Brandts Initiative, die Partei wissen lassen [habe], daß 1060 »Wir werden uns keine Laxheit leisten.« Ministerpräsident Hans Filbinger über das Radikalen-Problem; in: Der Spiegel Nr. 27/1976 vom 28. 6. 1976, S. 33 – 43; hier : S. 33. 1061 Vgl. Mächtig muffig; in: Der Spiegel Nr. 33/1976 vom 9. 8. 1976, S. 28 f.; hier: S. 29. 1062 Zit. nach: »Genossen, Kollegen, Herren.« Spiegel-Redakteur Wolfgang Becker über »Berufsverbote«-Gegner ; in: Der Spiegel Nr. 48/1977 vom 21. 11. 1977, S. 95 ff.; hier : S. 97. 1063 »Das ist politischer Exorzismus.« Wie SPD-regierte Bundesländer den Radikalenerlaß handhaben; in: Der Spiegel Nr. 21/1978 vom 22. 5. 1978, S. 36 – 44; hier : S. 36. 1064 Vgl. nach: »Das ist politischer Exorzismus«, S. 38.

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er keinen Sinn darin sehe, ›die freiheitliche Grundordnung durch den ersten Schritt zu ihrer Beseitigung schützen zu wollen‹.«1065 In einem Interview mit dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Hans Koschnik warf der »Spiegel« der SPD vor, dass diese durch den »Radikalenerlaß […] in der Bundesrepublik ein Klima von Gesinnungsschnüffelei und Duckmäusertum« herbeigeführt habe.1066 Koschnik rechtfertige die Entscheidung der SPD zum Ministerpräsidentenbeschluss auch mit der »Sorge, durch demagogische Polemik von einer ganz bestimmten Seite […] in eine Volksfrontposition gedrängt zu werden« und konstatierte bedauernd, dass »allein der Umfang der Abfragungen ein Gefühl aufkommen lassen kann, als ob über jeden Bürger bei uns Materialien vorliegen und daß ein bißchen 1984 viel näher ist, als wir angenommen haben.«1067 Der Bezug auf George Orwells Roman »1984« spielte bei den Ängsten vor einem Überwachungsstaat eine sehr wichtige Rolle, weshalb an späterer Stelle genau darauf eingegangen wird. Als exemplarisch für die gewandelte Gefahrenwahrnehmung vieler Akteure des linken Wahrnehmungsmusters kann ein im »Spiegel« veröffentlichter Auszug eines Aufsatzes des Berliner Wissenschaftssenators Peter Glotz (SPD) gelten. Glotz gestand, dass er den Ministerpräsidentenbeschluss 1972 befürwortete und die Kritik an ihm lange Zeit überhaupt nicht nachvollziehen konnte, da man sich davor schützen müsse, unterwandert zu werden.1068 Glotz sah die Motive der SPD für den Beschluss zum einen darin, aus den Erfahrungen der Weimarer Republik zu lernen, die daran zugrunde gegangen sei, dass zu viele rechte Demokratiefeinde im öffentlichen Dienst beschäftigt waren und zum anderen darin, dass sich die SPD eindeutig vom Kommunismus distanzieren wollte. Interessant ist, dass Glotz beide Motive auch im Jahr 1978 noch unterstützte, allerdings bekannte, dass er den Ministerpräsidentenbeschluss dennoch für den größten Fehler der SPD in deren Regierungszeit halte. Glotz räumte zwar ein, dass einige Bewerber durchaus zu Recht für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst abgewiesen worden seien, hielt aber konstatierend fest, dass es »Medikamente [gebe], deren Nebenwirkungen gefährlicher sind als die Krankheit, die sie bekämpfen.«1069 Glotz stellte klar, dass der demokratische Staat das Recht habe, unter den verschiedenen Bewerbern eine Auswahl zu treffen, allerdings konkretisierte er seine Auffassung: »Dieser Staat hat jedoch, wenn er ein demo1065 »Das ist politischer Exorzismus«, S. 44. 1066 »Wir können nur bedauern.« Spiegel-Interview mit SPD-Vize Koschnik über den Radikalenerlaß; in: Der Spiegel Nr. 21/1978 vom 22. 5. 1978, S. 46 – 49; hier: S. 46. 1067 »Wir können nur bedauern«, S. 49. 1068 Vgl. »Radikalenbeschluß – unser größter Fehler.« Berlins Wissenschaftssenator Peter Glotz und die Folgen des Extremistenbeschlusses von 1972; in: Der Spiegel Nr. 43/1978 vom 23. 10. 1978, S. 49 – 62; hier : S. 49. 1069 »Radikalenbeschluß – unser größter Fehler«, S. 52.

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kratischer bleiben will, […] kein Recht, einem Menschen Brief und Siegel über seine Gesinnung zu geben und dessen zukünftiges Handeln sozusagen amtlich vorherzusagen. Ich teile also die Auffassung derer, die Gesinnungsprozesse für unvereinbar mit Demokratie halten.«1070 Allerdings relativierte Glotz viele Ängste des Auslandes, indem er klarstellte, dass der Ministerpräsidentenbeschluss »nicht das geistige Produkt der alten antiparlamentarischen, staatsvergottenden Rechten« sei, sondern »von den ängstlichen Musterschülern einer ungefestigten Demokratie« erfunden wurde, und somit »das Produkt der Angst vor einer Demokratie ohne Demokraten; und der mechanistische Versuch einer unsicheren Bürokratie, diese politische Angst zu Verfahrensregeln zu verdichten« sei.1071 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde nicht nur daran festgehalten, dass Verfassungsfeinde nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt sein dürften, sondern auch daran, dass die Praxis der Bewerberüberprüfung keine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie darstelle und deshalb kein Überwachungsstaat zu befürchten sei. Zwar lockerte sich durch zunehmende Zweifel des linken Wahrnehmungsmusters an der Praxis der Überprüfung auch die starke Dichotomie, dass man die »Kräfte, die das Überleben der parlamentarischen Demokratie und damit den Fortbestand der Freiheit in diesem Lande befördert oder bekämpft haben, später einmal nach ihrer Haltung gegenüber dieser Frage [Einstellung gegenüber dem Ministerpräsidentenbeschluss, C.S.] sortieren können« werde1072, aber jegliche Auflockerung des Ministerpräsidentenbeschlusses galt weiterhin als Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie, denn »eine Demokratie, die alles toleriert, die sich z. B. von dem gezielten Berufsverbots-Gerede leimen läßt, schaufelt ihr eigenes Grab.«1073 Hans Filbinger verteidigte den Ministerpräsidentenbeschluss auch mit der besonderen Lage der Bundesrepublik direkt am Eisernen Vorhang und relativierte die Befürchtungen des Auslandes damit, dass diese von jenen Kräften artikuliert würden, die Interesse an Volksfrontbündnissen hätten.1074 Filbinger konnte die Ängste vor einer Erfassung der Bürger nicht nachvollziehen und bekundete seinen Eindruck, »daß dieses Gerede von der Schnüffelei ein Propagandatrick der Linken ist, der systematisch angewendet« werde.1075 In der Auseinandersetzung zwischen beiden Wahrnehmungsmustern spiel1070 »Radikalenbeschluß – unser größter Fehler«, S. 57. 1071 »Radikalenbeschluß – unser größter Fehler«, S. 62. 1072 Otto B. Roegele: Wem gehört die Deutschland-Politik? Die Bundesregierung spielt mit verteilten Rollen; in: Rheinischer Merkur Nr. 29/1973 vom 20. 7. 1973, S. 1. 1073 Walter Bajohr : Wie Maden im Speck. Zu viele Sympathisanten des Terrors profitieren von einem schlaffen Staat; in: Rheinischer Merkur Nr. 32/1977 vom 12. 8. 1977, S. 3. 1074 Vgl. »Wir werden uns keine Laxheit leisten«, S. 38. 1075 »Wir werden uns keine Laxheit leisten«, S. 41.

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ten die Interpretationen des Scheiterns der Weimarer Republik eine sehr wichtige Rolle. Hierbei wurde auch eine Art Generationenkonflikt sichtbar. Da die Ängste vor einem Überwachungsstaat mehrheitlich von jüngeren Menschen artikuliert wurden, versuchte man die Bezüge der jüngeren Generation auf die Weimarer Geschichte zu diskreditieren. Der CDU-Politiker Heinz-Jürgen Prangenberg erinnerte daran, dass Adolf Hitler nur deshalb als Reichstagskandidat aufgestellt werden konnte, weil damals argumentiert worden sei, dass dieser als Staatsdiener in Braunschweig wohl kaum ein Verfassungsfeind sein könne und konstatierte: »Es ist bestürzend, wie die Uninformiertheit der Jugend, was geschichtliche Tatsachen betrifft, hier bewußt ausgenützt wird.«1076 Im linken Wahrnehmungsmuster versuchte man hingegen die Vergleiche zur Weimarer Republik als eine typische Strategie der älteren Generation zu brandmarken, wollte diese aber gleichzeitig argumentativ entkräften. Auch Rudolf Augstein bekannte: »Wer zurück nach Weimar schaut, wozu ältere Leute naturgemäß neigen, dem kann man nur sagen, daß damals nicht die kommunistischen, sondern die rechten Lehrer den Verderb der Republik betrieben haben.«1077 Einer derartigen Argumentation entgegnete der bayerische Kultusminister Hans Maier, dass der Teufel nicht zweimal durch dasselbe Schüsselloch kommen würde und dass das Gewalttabu nach 1945 von links gebrochen worden sei.1078 Auch weitere Argumente des linken Wahrnehmungsmusters konnten im konservativen Wahrnehmungsmuster nicht geteilt werden. Dass die Praxis der Überprüfung in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Erfolg stehe und die Zahl der Verfassungsgegner im Staatsdienst durchaus gering sei, wies Maier damit zurück, dass die geringe Zahl der Erfolg einer starken staatlichen Abwehr sei. Auch die Aussage des »Spiegels«, dass die Verfahrenspraxis der Überprüfung eine »Schnüffelpraxis« sei und für die Demokratie gefährlicher wäre als einige kommunistische Lehrer, wies Maier entschieden zurück, indem er sich gegen die Bezeichnung der »Schnüffelpraxis« wehrte und klarstellte, dass die Praxis der Überprüfung seit 1946 angewendet würde.1079 Wie bereits erwähnt, sah Anton Böhm in der Abschaffung der Regelanfrage gerade die Konturen eines »Schnüffelstaates« aufziehen, da die Einstellungsbehörde nur durch Kontrolle,

1076 Heinz-Jürgen Prangenberg: Juso-Defizite; in: Rheinischer Merkur Nr. 43/1978 vom 27. 10. 1978, S. 9. 1077 Rudolf Augstein: Um einen Pumperklacks; in: Der Spiegel Nr. 41/1978 vom 9. 10. 1978, S. 24. 1078 Vgl. »Die Angstfigur des deutschen Bürgers.« Berlins Wissenschaftssenator Glotz und Bayerns Kultusminister Maier über Extremisten im Schuldienst; in: Der Spiegel Nr. 41/ 1978 vom 9. 10. 1978, S. 29 – 34; hier : S. 29. 1079 Vgl. »Die Angstfigur des deutschen Bürgers«, S. 30.

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Beobachtung und Aushorchen Anhaltspunkte für eine Einzelfallüberprüfung bekommen könne.1080 Der Abwehrkampf gegen den Terrorismus schafft einen Überwachungsstaat Neben dem Ministerpräsidentenbeschluss lösten die Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung die Ängste vor einem demokratiezerstörenden Überwachungsstaat aus. Diese wurden vor 1977 eher als Ängste vor der Zerstörung des Rechtsstaates artikuliert und wandelten sich mit Zunahme der Terrorismusabwehrmaßnahmen ab 1977 zu den Ängsten vor einem Überwachungsstaat. Im Oktober 1974 warnte Otto Schily angesichts der Isolationshaft gefangener Terroristen vor der Fehlentwicklung zum Bürgerkriegsrecht und dass der Rechtstaat durch seine Beseitigung geschützt werden solle.1081 Der Strafprozess gegen die RAF-Terroristen und die Anti-Terrorismus-Gesetzgebung der sozialliberalen Koalition verstärkte derartige Ängste. Der »Spiegel« fragte im Mai 1975, ob dem Rechtsstaat schade, was ihm eigentlich nützen solle und konstatierte, dass die Terroristen ihrem Ziel näher gekommen seien, denn der Abbau des liberalen Rechtsstaats beginne, wenn die Gesetzesvorschläge tatsächlich zum geltenden Gesetz würden.1082 Die Berliner Freidemokraten kritisierten im November 1976, dass die sozialliberale Koalition solche Gesetze verabschiedet hätte, die die Bundesrepublik bei strenger Auslegung über Nacht in einen Polizeistaat verwandeln könnten.1083 Auch der »Spiegel« konstatierte in Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus: »Nahezu jedes Machtmittel, auf das Deutschlands Ordnungshüter nach der Abkehr vom Polizeistaat hatten verzichten müssen, wurde reaktiviert.«1084 Die deutsche Vergangenheit wurde von einigen Zeitgenossen auch als Grund dafür angesehen, dass auch im Ausland Ängste vor einem aufkommenden Polizeistaat in der Bundesrepublik existierten. Der Leiter der Auslandsabteilung im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Joseph J. Thomas konstatierte, dass diese Ängste am meisten in den Länder aufkamen, die am stärksten unter der nationalsozialistischen Besetzung gelitten hatten und dass sich diese Ressentiments auch auf die jüngere Generation vererbt hätten.1085 1080 Vgl. Böhm: Wenn der Schnüffelstaat jetzt amtlich installiert wird. 1081 Vgl. »Verwesung bei lebendigen Leibe.« BM-Verteidiger Otto Schily über die Isolationshaft; in: Der Spiegel Nr. 47/1974 vom 18. 11. 1974, S. 41 – 47; hier : S. 47. 1082 Vgl. A la Klettermaxe; in: Der Spiegel Nr. 24/1975 vom 9. 6. 1975, S. 30 ff.; hier : S. 30. 1083 Vgl. nach: Front gegen Schnüffler ; in: Der Spiegel Nr. 47/1976 vom 15. 11. 1976, S. 39 ff.; hier: S. 39. 1084 Front gegen Schnüffler, S. 41. 1085 Vgl. Joseph J. Thomas: Die häßlichen Deutschen. Wie Bonn dem Ausland die Bundesrepublik präsentiert; in: Rheinischer Merkur Nr. 51/1976 vom 17. 12. 1976, S. 3.

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Im konservativen Wahrnehmungsmuster sah man eine aktuelle Bedrohung des Rechtsstaates nicht durch die Abwehrmaßnahmen gegen den Terrorismus, sondern durch den Terrorismus selbst gegeben. Friedrich Graf von Westphalen warnte zu Beginn des Stammheim-Prozesses davor, dass dem Rechtsstaat die nötige Autorität fehle und forderte von der Justiz und der Regierung Entschlossenheit, Mut und Charakter, aber auch Augenmaß, damit diese die Herausforderung an den freiheitlichen Rechtsstaat bestehen könnten.1086 Nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer im Jahr 1977 bekannte der Bundespräsident Karl Carstens, dass der demokratische Rechtsstaat zerstört werde, wenn das Treiben der Extremisten nicht eingedämmt werden könne.1087 Alfred Dregger wehrte sich in einem Rückblick auf das Jahr 1977 gegen den Vorwurf, dass die Union durch deren Gesetzesinitiativen den Rechtsstaat gefährden würde und mahnte, dass dieser nicht durch Handeln, sondern durch Schwäche und Untätigkeit gefährdet werde.1088 Dregger appellierte außerdem an die Erfahrungen der Weimarer Republik, die durch ihre Schwäche gegenüber den Feinden der Freiheit zerstört worden sei und erinnerte daran, dass das Grundgesetz die Bundesrepublik deshalb zu einer wehrhaften Demokratie ermächtigen sollte. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde zwar immer wieder vor einer Zerstörung des Rechtsstaates gewarnt, allerdings bestritt man meist selbst da, dass diese Zerstörung bereits eingetreten sei. Deshalb kritisierte der »Spiegel« auch das zu Ostern 1978 tagende »Russel-Tribunal«, in dem 29 ausländische Juroren untersuchen wollten, ob der Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland bereits zerstört worden sei. Der »Spiegel« bekannte zwar, dass verschiedene Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung den Rechtsstaat belasten würden, gab aber auch zu bedenken, dass diese »Rechtsbeschneidung rechtsstaatlich abgewogen, verfügt und kontrolliert« würde und vergleichbar mit der anderer demokratischer Länder sei.1089 Die Ängste vor der möglichen Zerstörung des Rechtsstaates wandelten sich ab 1977 allmählich immer mehr zu Ängsten vor einem Überwachungsstaat. Maßgeblich dafür verantwortlich war das Bekanntwerden der »Lauschaffäre Traube« und der »Stammheimer-Lauschaffäre« kurz danach. Der »Spiegel« spielte hierbei eine aktive Rolle beim Bekanntwerden beider Skandale. Mit der »Lauschaffäre Traube« wurde im Februar 1977 bekannt, wie ein unschuldiger 1086 Vgl. Friedrich Graf von Westphalen: Langer Prozeß; in: Rheinischer Merkur Nr. 21/1975 vom 23. 5. 1975, S. 1 f.; hier: S. 2. 1087 Vgl. nach: Martin Wehr : Ende der Schonzeit. Unionsfraktion erwartet zielbewußte Führung; in: Rheinischer Merkur Nr. 36/1977 vom 9. 9. 1977, S. 2. 1088 Vgl. Alfred Dregger : Plaidoyer für den Rechtsstaat; in: Rheinischer Merkur Nr. 52/1977 vom 30. 12. 1977, S. 2. 1089 »Scheinverfahren gegen unser Land.« Das »Dritte Russel Tribunal« hält Gericht über die Bundesrepublik; in: Der Spiegel Nr. 12 und 13/1978 vom 27. 3. 1978, S. 68 – 78; hier : S. 72.

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Bürger, der als Atomwissenschaftler arbeitete, durch falsche Vermutungen ohne richterliche Genehmigung ab Dezember 1975 vom Bundesverfassungsschutz wegen Terrorismusgefahr überwacht wurde und dadurch auch berufliche Nachteile erfuhr. Klaus Traube geriet deshalb unter Terrorismusverdacht, weil er mit dem späteren Terroristen Hans-Joachim Klein bekannt war. Der »Spiegel« veröffentlichte innerhalb der Titelstory zum Abhörskandal auch Auszüge aus einem Aufsatz von Adolf Arndt aus dem Jahre 1961, der in der Zeitschrift »Neue Juristische Wochenschrift« erschien. Arndt verwies auf die Folgen für die Demokratie, wenn Bürger belauscht würden und fragte, ob Demokratie so überhaupt möglich sei.1090 In einer Demokratie sei es unabdingbar, dass der einzelne Bürger frei von Furcht sei, was nicht garantiert werden könne, wenn Bürger heimlich belauscht würden. Rudolf Augstein zitierte den Publizisten und Zukunftsforscher Robert Jungk, der auf einer Kundgebung in Itzehoe im Februar 1977 vor einem drohenden »Atomstaat« durch den Ausbau der Kernenergie und dessen Folgen für die Demokratie warnte, da die Gefahren der Atomenergie so groß seien, dass der Staat die Bürger tatsächlich überwachen müsse.1091 Augstein kritisierte das Eindringen des Verfassungsschutzes in private Wohnungen und sah darin die Verwischung der Kompetenzen zwischen observierenden und exekutiven Aufgaben, weshalb er die Aussage des Bundesinnenministers Werner Maihofer vom September 1975 in Erinnerung rief, dass das demokratische System der Bundesrepublik aus einer strengen Trennung zwischen exekutiver, polizeilicher und observierender Tätigkeit des Verfassungsschutzes bestehe.1092 Augstein appellierte daran, dass der parlamentarisch-demokratisch verfasste Atomstaat auch in Krisenzeiten ein Rechtsstaat bleiben müsse.1093 Klaus Traube selbst schilderte den Abhörskandal aus eigener Sicht und bekannte, dass zwar sein Vertrauen in die bundesdeutsche Demokratie fest verwurzelt sei, dass er aber das Eintreten für seine eigenen Belange mit einem »bescheidenen, aber entschlossenen Beitrag gegen die Gefährdung dieser Demokratie verbinden« möchte.1094 Außerdem wandte sich Traube direkt an die »Mitbürger« und fragte diese, ob es in deren Lebenslauf nicht auch Lebensumstände gäbe, die zu ähnlichen Verdächtigungen hätten führen können.1095 Der Bonner Rechtsprofessor Gerald Grünwald kritisierte, dass die Ver1090 Vgl. nach: Adolf Arndt: »Das Problem des belauschten Bürgers.« Adolf Arndt 1961 in »Neue Juristische Wochenschrift«; in: Der Spiegel Nr. 10/1977 vom 26. 2. 1977, S. 30. 1091 Vgl. nach: Rudolf Augstein: Atomstaat oder Rechtsstaat?; in: Der Spiegel Nr. 10/1977 vom 28. 2. 1977, S. 29 – 34; hier: S. 29. 1092 Vgl. Augstein: Atomstaat oder Rechtsstaat?, S. 30. 1093 Vgl. Augstein: Atomstaat oder Rechtsstaat?, S. 34. 1094 In eigener und in jedermanns Sache. Atomwissenschaftler Klaus Traube über den Fall Traube; in: Der Spiegel Nr. 11/1977 vom 7. 3. 1977, S. 36 – 42; hier: S. 38. 1095 Vgl. In eigener und in jedermanns Sache, S. 42.

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dachtsmomente gegen Traube anscheinend nicht einmal für staatsanwaltliche Ermittlungen ausgereicht hätten und »daß man in unserem Staate nicht mehr sicher sein kann, in seinem privatesten Lebensbereich, in seinen vier Wänden, frei sprechen und sich bewegen zu können.«1096 Grünwald verwies außerdem auf den Gesetzesbeschluss zur Telefonüberwachung von 1968 und bemerkte, dass von 1968 bis zur Überwachung von Traube acht Jahre vergangen seien es und von da an nur noch weitere acht Jahre bis zum Jahr 1984 seien.1097 Auch der Rechtsprofessor Erhard Denninger bilanzierte, dass die bundesdeutschen Bürger bestürzt bemerken würden, »daß ›1984‹ nicht mehr weit« sei.1098 Grunwald und Denninger bezogen sich hier auf George Orwells Roman »1984«, der im weiteren Diskurs eine herausragende Stellung einnahm und zum Inbegriff des allumfassenden Überwachungsstaates wurde, weshalb an dieser Stelle kurz auf den Wandel dieses Bezugspunktes eingegangen wird. Interessant ist nämlich, dass der Bezug zu Orwells Roman bis circa Mitte der 1970er Jahre sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster verwendet wurde, um auf verschiedene Gefahren aufmerksam zu machen. So wurde der Bezug zu Georg Orwells Roman »1984« beispielsweise im linken Wahrnehmungsmuster im Zusammenhang mit den geplanten Notstandsgesetzen artikuliert. Ernst Lothar beschwerte sich im Dezember 1965 im »Rheinischen Merkur« über einen Artikel aus der Jugendzeitschrift »Junge Presse« mit dem Titel »Ist morgen 1984?«, in dem behauptet wurde, dass das Gespenst des Neofaschismus umgehe, da die Bundesregierung mit Hilfe der Notstandsgesetze eine autoritäre Gesellschaft errichten wolle.1099 Im Januar warnte der Professor für Volkswirtschaft Helmut Arndt von der Freien Universität Berlin vor einer zu großen wirtschaftlichen Konzentration und warnte davor, dass letztendlich ein »großer Bruder« alle anderen anstellen und somit auch kontrollieren und beherrschen werde.1100 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde der Bezug zu Orwells Roman auch dafür verwendet, um Ängste vor der sozialliberalen Koalition und deren politischen Absichten zu begründen. Rudolf Horch warnte im Februar 1970 angesichts der Aussage des Kanzleramtschefs Horst Ehmke davor, dass dieser mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung jederzeit erfahren könne, was 1096 Gerald Grünwald: »Wanzen sollen zulässig sein?« Der Bonner Rechtsprofessor Gerald Grünwald über Grundrechte und Abhöre; in: Der Spiegel Nr. 11/1977 vom 7. 3. 1977, S. 22 f.; hier: S. 22. 1097 Vgl. Grünwald: »Wanzen sollen zulässig sein?«, S. 23. 1098 Erhard Denninger : »Wo lag das extreme Risiko?« Von Rechtsprofessor Erhard Denninger, Frankfurt; in: Der Spiegel Nr. 11/1977 vom 7. 3. 1977, S. 24. 1099 Vgl. nach: Lothar : Steuergelder und »Junge Presse«, S. 9. 1100 Vgl. nach: Konzerne: Die Konjunkturpolitik versagt; in: Der Spiegel Nr. 6/1972 vom 31. 1. 1972, S. 30 – 48; hier : S. 38.

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jeder Beamte gerade mache, dass Orwells 1984 doch recht nahe zu sein scheine.1101 Herwig Gückelhorn kritisierte im Oktober 1972 die Pläne der SPD, zukünftig keine Privatzimmer mehr in Krankenhäusern zuzulassen und die Idee der Gewerkschaften, dass gewerkschaftlich organisierte Angestellte gegenüber nicht organisierten Angestellten bevorzugt werden sollten und zeichnete ein düsteres Zukunftsbild, da Ungleiches gleich und Gleiches ungleich behandelt werden würden, weshalb er konstatierte, dass Orwells 1984 näher gerückt sei.1102 Werner S. Nicklis kritisierte die von der sozialliberalen Koalition angestrebte Demokratisierung und erkannte eine Umdeutung der Begriffe Demokratie und Freiheit »gemäß der Inschrift des Orwellschen Wahrheitsministeriums: ›Krieg bedeutet Friede, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke!‹ Mit dem Verschwinden gewisser Begriffe im Orwellschen ›Gedächtnisloch‹ verschwindet auch die Realität, die sie bezeichnen«.1103 Ludwig Zöller kritisierte im November 1974 die Zunahme von öffentlichen Zuständigkeiten jeglicher Art und verwies auf die Eingangsworte von Professor Gustav Stein bei der Versammlung der »Freiherr-von-Stein-Gesellschaft«, der auf die Gefahren verwiesen habe, »die heute das notdürftig gezimmerte Gefüge von Staat und Gesellschaft bedrohen und in letzter Konsequenz in die totalitaristische und kollektivistische Wüstenei von ›1984‹ führen müssen, in der der Staat mit seinen Auswucherungen immer mehr die Züge des ›fatale monstrum‹ annimmt«.1104 Ab Mitte der 1970er Jahre setzten sich aber hauptsächlich die Bezüge zur Orwells Roman durch, die im Wesentlichen noch heute Verwendung finden. Der Bezug zu Orwells »1984« oder zum allwissenden »big brother« diente vorrangig dazu, um auf die Gefahren eines allwissenden Überwachungsstaates aufmerksam zu machen, der mit ungeahnten technischen Möglichkeiten die Privatsphäre seiner Bürger erkunde und dabei bis in die intimsten Bereiche eindringe. Im April 1984 fragte Kurt Sontheimer deshalb: »Warum wird Orwells berühmter Roman ›1984‹, der eine drastische […] Warnung vor jeder Art von Totalitarismus sein wollte, heute vor allem als eine Warnung vor der Gefahr der totalen Überwachung des Menschen durch technische Einrichtungen gelesen?«1105 1101 Vgl. Rudolf Horch: Ein Tiefbunker für den Fall X. Die Ministerien der Verteidigung und des Inneren – Neubau und Dauer-Provisorium; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1970 vom 27. 2. 1970, S. 40. 1102 Vgl. Herwig Gückelhorn: Klassenkampf im Krankenhaus. Die Reform-Utopie erträgt keine Einzelzimmer; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1972 vom 13. 10. 1972, S. 1. 1103 Werner S. Nicklis: Auf dem Weg zum »Polit-Pädagogen«? Zweckwidrige Demokratisierung führt zu Intoleranz und Dogmatismus; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1973 vom 31. 8. 1973, S. 10. 1104 Ludwig Zöller: Den Kuchen nicht zweimal essen wollen! Öffentliche Aufgaben in der parlamentarischen Demokratie; in: Rheinischer Merkur Nr. 44/1974 vom 1. 11. 1974, S. 3. 1105 Kurt Sontheimer: Die Freiheit ist immer konkret. Bürger-Initiative im modernen Einheitsstaat; in: Rheinischer Merkur Nr. 15/1984 vom 13. 4. 1984, S. 8.

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Um eben solche Ängste zu verhindern, wurde in Hessen im Jahr 1970 das weltweit erste Datenschutzgesetz verabschiedet und 1971 Willi Birkelbach als erster Datenschutzbeauftragter der Bundesrepublik eingesetzt. Unter anderem durch diese Maßnahmen zeigte sich der hessische Ministerpräsident Albert Osswald (SPD) optimistisch: »Die Orwellsche Vision des allwissenden Staates, der die intimsten Winkel menschlicher Lebenssphäre ausforscht, wird in unserem Land nicht Wirklichkeit werden.«1106 Trotzdem kamen gerade diese Ängste ab Mitte der 1970er Jahre verstärkt auf. Im Juni 1976 lösten die Pläne für ein Bundesdatenschutzgesetz massive Proteste aus. Es wurde befürchtet, dass die Gesetzesvorlage den Bundesbürger ungewollt der Datensammlung hilflos aussetze, sowohl durch die Geheimdienste als auch durch kommerzielle Einrichtungen und dass deshalb 1984 nicht mehr fern sei.1107 Den Informatiker und Rechtswissenschaftler Wilhelm Steinmüller ängstigte am meisten der im Gesetzesentwurf vorgesehene Geheimbereich, da dieser uneinsichtig sei und weder vom betroffenen Bürger noch vom Parlament, dem Bundesdatenschutzbeauftragten oder von der Judikative kontrolliert werden könne.1108 Kritikpunkte löste außerdem die Vielzahl an unterschiedlichen Daten aus, die in staatlichen Computern jeder Art und vor allem im »Nachrichtlichen Informationssystem« (Nadis) des Bundeskriminalamts gespeichert würden, da, so der Hamburger Rechtsprofessor und spätere Bundesdatenschutzbeauftragte Hans Peter Bull (1978 – 1983), diese unmöglich effektiv kontrolliert werden könnten.1109 Außerdem kritisierte Wilhelm Steinmüller, dass ein Betroffener nichts von der Speicherung seiner Daten im »Geheimbereich« erfahre, selbst wenn die Speicherung unzulässig oder falsch sei.1110 Interessant ist, dass auch einige Christdemokraten die Gefahrenwahrnehmung des linken Wahrnehmungsmusters übernahmen und beispielsweise den Entwurf des neuen Meldegesetzes ablehnten, das die Einführung eines zwölfstelligen Personenkennzeichens zur computergerechten Erfassung der Bürger beabsichtigte.1111 Der Bezug zu Orwells Roman verstärkte sich auch deshalb Mitte der 1970er Jahre, da die technischen Möglichkeiten der visuellen und akustischen Überwachung der Bürger größer geworden waren, sodass die theoretische »Vision vom Großen Bruder« technisch überhaupt realisierbar wurde.1112 Auch mit Bekanntwerden der »Stammheimer Lauschaffäre« verstärkte sich 1106 EDV im Odenwald; in: Der Spiegel Nr. 20/1971 vom 10. 5. 1971, S. 88. 1107 Vgl. Datenschutz: »1984 liegt nicht mehr fern«; in: Der Spiegel Nr. 24/1976 vom 7. 6. 1976, S. 110 – 115; hier : S. 100. 1108 Vgl. nach: Datenschutz: »1984 liegt nicht mehr fern«, S. 112. 1109 Vgl. nach: Datenschutz: »1984 liegt nicht mehr fern«, S. 112. 1110 Vgl. nach: Datenschutz: »1984 liegt nicht mehr fern«, S. 112. 1111 Vgl. Datenschutz: »1984 liegt nicht mehr fern«, S. 115. 1112 Fernsehmäßig im Griff; in: Der Spiegel Nr. 1 und 2/1977 vom 3. 1. 1977, S. 52 f.; hier : S. 53.

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die Angst vor einem Überwachungsstaat. Im März 1977 veröffentlichte der »Spiegel« in einer Titelstory, dass beim Strafprozess gegen die RAF-Terroristen deren Gespräche mit ihren Anwälten entgegen geltendem Recht mitgehört worden seien, während der Deutsche Bundestag fast zeitgleich das Mithören durch einen Richter untersagt habe.1113 Der Münchener SPD-Abgeordnete Rudolf Schöfberger warnte davor, dass es ein Merkmal autoritärer Staaten sei, wenn Verteidiger überwacht werden und erinnerte an das Schicksal der Weimarer Republik: »Wer das Schicksal der Weimarer Reichsverfassung und ihre Aushöhlung durch ›leerlaufende Grundrechte‹, durch Notverordnungen und schließlich durch das Ermächtigungsgesetz vor Augen hat, muß einer ähnlich gefährlichen Entwicklung gegen das Grundgesetz rechtzeitig vorbeugen.«1114 In einem im »Spiegel« erschienenen Essay beklagte Richard Schmid den eintretenden Zerfallsprozess der Verfassung und konstatierte, dass dieser nicht so abrupt wie mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 eintrete, sondern allmählich, beispielsweise durch den Beschluss des baden-württembergischen Landtags vom 24. März 1977, der die Abhörung der Verteidigerzimmer in Stammheim gebilligt habe.1115 Schmid fragte angesichts der Methode, wie der Notstand vorgeschützt worden sei, »wie es mit dem Verfall unserer Grundrechte steht und wie weit wir noch vom totalen Überwachungsstaat entfernt« seien und konstatierte angesichts der Atmosphäre der Angst in der Bundesrepublik, die bewusst vom Staatsapparat geschürt sei und die die Massen manipulieren solle: »In der Dunkelheit, in der die Geheimdienste arbeiten, gedeiht die Angst. Es ist das alte Geschäft mit der Angst. Die Techniker der Macht bedienen sich auf ihre Weise der Macht der Technik.«1116 In einem »Spiegel«-Interview kritisierte der SPD-Politiker Henning Scherf die Regierungspläne zur Ausweitung der Telefonüberwachungsmöglichkeiten, da das »der Schritt zum Abhörstaat, zum unkontrollierten Abhören der privaten Sphäre in einem […] nicht akzeptablen Maße« sei.1117 Scherf hoffte, dass sich die SPD nicht an die Union anpasse, sodass letztlich eine »Allparteienkoalition gegen den Rechtsstaat« entstehe.1118 Die Verschärfung der Terrorismusabwehrmaßnahmen jeglicher Art steigerten im linken Wahrnehmungsmuster die Ängste vor einer allumfassenden Überwachung. Neben der Möglichkeit von Wohnungsdurchsuchungen, Stra1113 Vgl. Abhör-Affäre: Die Koalition schlingert; in: Der Spiegel Nr. 13/1977 vom 21. 3. 1977, S. 21 – 29; hier: S. 22. 1114 Zit. nach: Abhör-Affäre: Die Koalition schlingert, S. 25. 1115 Vgl. Richard Schmid: Im Quadrat der Heimlichkeit; in: Der Spiegel Nr. 15/1977 vom 4. 4. 1977, S. 70 f.; hier : S. 70. 1116 Schmid: Im Quadrat der Heimlichkeit, S. 71. 1117 »Wir sind kein Kanzler-Wahlverein.« Spiegel-Interview mit dem Bremer SPD-Vorsitzenden Henning Scherf; in: Der Spiegel Nr. 47/1977 vom 14. 11. 1977, S. 23 ff.; hier : S. 23. 1118 »Wir sind kein Kanzler-Wahlverein«, S. 24.

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ßensperrungen, Beschränkungen der Verteidigerrechte etc. war es vor allem die sogenannte »Rasterfahndung«, die Ängste vor einem Überwachungsstaat schürte. Der »Spiegel« machte im Mai 1977 öffentlich, dass die Lesegewohnheiten von Bibliotheksnutzern erfasst und in Computern gespeichert worden seien, weshalb er konstatiere: »Über Nacht schien ein Alptraum Wirklichkeit geworden, der Datenschutz-Experten seit Jahren bedrückt: Sammelwütige Geheimdienstler könnten die gewaltige Kapazität ihrer Computer mißbrauchen und Daten über das Lese- oder Demonstrationsverhalten auch solcher Bürger speichern, die – weit entfernt von verfassungswidrigen Aktivitäten – lediglich die Politik der gerade regierenden Parteien kritisieren.«1119 Die technischen Möglichkeiten der enormen Datenspeicherung und Datenverarbeitung schienen abrupt sichtbar zu werden. Häufig wurde auch davor gewarnt, dass dieser Datenpool zwar derzeit eine vielleicht nur geringe Gefahr bedeute, aber im Falle eines Systemwechsels weg von der Demokratie unabsehbare Folgen haben könnte. Wilhelm Steinmüller warnte davor, dass »alle datentechnischen Vorkehrungen für einen Faschismus oder eine sonstige Diktatur gegeben wären, die alles bisher Dagewesene an Perfektion in den Schatten stellen würde.«1120 Der Nachfolger von Bundesinnenminister Werner Maihofer, Gerhart Baum (1978 – 1982), fand den Vergleich des »Spiegels« zur Nazi-Zeit »ganz und gar unpassend«, dass der Verfassungsschutz sich »zu einer Superbehörde mit langen Greifarmen entwickelt« habe und dass die Angst umgehe, »es könnte wieder eine Art geheime Staatspolizei Angst und Schrecken verbreiten«.1121 Allerdings nahm Baum die Ängste der Bürger ernst, in einer Computergesellschaft vereinnahmt zu werden und bekannte, dass es ein unmöglicher Zustand sei, der mit seiner Vorstellung eines liberalen Staates nicht einhergehe, dass die Benutzung bestimmter Literatur registriert werde und Anlass zur Meldung sei.1122 Im Februar 1979 konstatierte der »Spiegel, dass auch bei liberalen Kritikern und weniger extremen Linken Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus wach würden. So warnte die Bürgerrechtsorganisation »Humanistische Union« vor den Kompetenzen der Staatsschützer, die größer seien als die des Reichssicherheitshauptamtes, und der Berliner Theologe Helmut Gollwitzer verwies darauf, dass die Gestapo von 1933 sich gern eines ähnlichen Sicherheitsapparates bedient hätte.1123 Wilhelm Steinmüller, der von der »Süddeutschen Zei-

1119 »Sind wir ein Verfassungsschutzstaat?« Minister Maihofer und die Schnüffel-Praktiken des Grenzschutzes; in: Der Spiegel Nr. 21/1978 vom 22. 5. 1978, S. 25 – 30; hier: S. 26. 1120 Zit. nach: »Sind wir ein Verfassungsschutzstaat?«, S. 26. 1121 »Nicht wie die Kaninchen auf Hessen starren.« Bundesinnenminister Baum über sein neues Amt und die FDP; in: Der Spiegel Nr. 30/1978 vom 24. 7. 1978, S. 23 – 26; hier : S. 25. 1122 Vgl. »Nicht wie die Kaninchen auf Hessen starren«, S. 23 und 25. 1123 Vgl. nach: Bissiger Hund; in: Der Spiegel Nr. 8/1979 vom 19. 2. 1979, S. 102 f.; hier: S. 103.

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tung« als »Wachhund der Demokratie«1124 bezeichnet wurde, warnte davor, dass in Bonns weltweit einzigem Sicherheitssystem auch ein Sicherheitsrisiko für die bundesdeutsche Demokratie zu sehen sei.1125 Zwar seien nicht alle Bürger in den Datenbanken der Geheimdienste erfasst, jedoch in anderen staatlichen Datenbanken. Aufgrund dunkler Amtshilfepraktiken und verschiedenartiger Verfassungsschutz- und Datenschutzgesetze könnten sich Behörden des »Geheimbereichs« indirekt oder direkt dieser Bürgerdaten bedienen. Im April 1979 begann im »Spiegel« eine Serie von Jochen Bölsche, die unter dem Titel »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« die geheimen Überwachungsund Fahndungsmethoden verschiedener bundesdeutscher Sicherheitsbehörden aufdecken wollte und später auch unter dem Titel »Der Weg in den Überwachungsstaat« in Buchform erschien.1126 Zum Symbol für die technischen Fahndungs- und Überwachungsmöglichkeiten wurde der Präsident des Bundeskriminalamts Horst Herold (1971 – 1981), der maßgeblichen Anteil am Ausbau der elektronischen Datenverarbeitung hatte und deshalb den Spitznamen »Mr. Computer« genoss.1127 Jochen Bölsche konstatierte, dass selbst SPD-Parteitagsdelegierte Angst vor einer »perfekten Überwachungsmaschinerie« hätten und dass es nicht verwunderlich sei, dass George Orwells Roman »1984« wieder auf den Bestsellerlisten erschien.1128 Zwar bekannten auch Datenschützer, dass diese Befürchtungen übertrieben seien, aber auch Bundesinnenminister Gerhart Baum befürchtete, dass die Bürger zu »gläsernen Menschen« mutierten, wenn alle über sie erfassten Daten in den Staatscomputern zusammengefügt würden.1129 Im linken Wahrnehmungsmuster wurde zwar immer wieder zugestanden, dass der allgegenwärtige Überwachungsstaat derzeit nicht existent sei, allerdings kritisierte man massiv die vorgekommenen Datenschutzverletzungen und warnte davor, dass der vorhandene Datenpool im Falle eines Systemwechsels weg von der demokratischen Staatsform missbraucht werden könne. Wilhelm Steinmüller warnte deshalb, wenn man »morgen einen faschistischen Schwenk [hätte], so wären heute alle wesentlichen rechtlichen und technischen Grundlagen angelegt, um das Ganze in relativ kurzer Zeit als ein einziges gigantisches, aber unsichtbares Kontrollnetz zu mißbrauchen.«1130 Diese Befürchtung war weit verbreitet. Ein hessischer SPD-Delegierter fragte auf einem 1124 Zit. nach: Bissiger Hund, S. 102. 1125 Vgl. nach: Bissiger Hund, S. 103. 1126 Vgl. Jochen Bölsche: Der Weg in den Überwachungsstaat. Mit neuen Dokumenten und Stellungnahmen von Gerhart Baum, Hans Peter Bull, Ulrich Klug, Spiros Simitis, Wilhelm Steinmüller u. a., Reinbek bei Hamburg 1979. 1127 Vgl. »Das Stahlnetz stülpt sich über uns.« Die westdeutschen Polizei- und GeheimdienstComputer (I); in: Der Spiegel Nr. 18/1979 vom 30. 4. 1979, S. 24 – 29; hier : S. 25. 1128 Vgl. »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 30. 4. 1979, S. 26. 1129 Vgl. nach: »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 30. 4. 1979, S. 26. 1130 Zit. nach: »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 30. 4. 1979, S. 29.

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SPD-Parteitag: »Wäre denn irgendein Linker oder irgendein Jude dem KZ oder irgendein Geisteskranker der Euthanasie entgangen, wenn Hitler das Ausländerregister und das Bundeszentralregister und Nadis [Nachrichtendienstliches Informationssystem, C.S.] und Inpol [polizeiliches Informationssystem, C.S.] gehabt hätte?«1131 Bölsche konstatierte an früherer Stelle in der Serie über das Nachrichtendienstliche Informationssystem (Nadis) des Bundesverfassungsschutzes: »Mit Nadis ist das Skelett einer Maschinerie perfekt, die technisch geeignet wäre zur politischen Vollkontrolle eines Volkes: Alles Abweichende ließe sich, einerseits, speichern; jeder Bürger könnte, andererseits, beliebig häufig daraufhin durchleuchtet werden, ob er abweicht von der jeweils politisch erwünschten Norm.«1132 Ebenfalls aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus resultierte die Angst, dass die technischen Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung die verfassungsmäßige Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz aufhebe, die als Lehre aus der nationalsozialistischen Herrschaft im Grundgesetz verankert wurde.1133 Es wurde befürchtet, dass diese Trennung zwar gesetzlich weiterhin bestehe und die Computer von Verfassungsschutz und Polizei nicht direkt verbunden seien, dass aber auf dem Weg der für den Bürger nicht einsehbaren Amtshilfe dieser Verbund de facto existiere, weshalb Bölsche fragte, ob »die Computerisierung sämtlicher Sicherheitsbehörden nicht längst die Informationsschranken zwischen beiden Bereichen aufgehoben [habe]? Fügt die Elektronik, wie Datenschützer befürchten, nicht unmerklich wieder zusammen, was die Väter des Grundgesetzes zerschnitten haben?«1134 Ein leitender BKABeamter äußerte deshalb gegenüber dem »Spiegel« seine Bedenken vor der Datenbeschaffung des Verfassungsschutzes mit Hilfe des Bundesgrenzschutzes: »Denen ist nach ’45 der exekutive Arm abgehackt worden. Jetzt kleben sie ihn sich kraft der Amtshilfe des Grenzschutzes wieder an und verhalten sich wie Polizei. Das ist rechtswidrig.«1135 Der DGB hob hervor, dass das Prinzip der vertikalen Gliederung der Behörden auch deshalb eingeführt worden sei, um »den Weg in den totalitären Staat [zu] verbauen«.1136 1131 Zit. nach: »Das Stahlnetz stülpt sich über uns.« Die westdeutschen Polizei- und Geheimdienst-Computer (VII): Fahndungsabgleich und Ermittlungsraster ; in: Der Spiegel Nr. 24/1979 vom 11. 6. 1979, S. 34 – 57; hier : S. 57. 1132 »Das Stahlnetz stülpt sich über uns.« Die westdeutschen Polizei- und GeheimdienstComputer (III): Wie Nadis funktioniert; in: Der Spiegel Nr. 20/1979 vom 14. 5. 1979, S. 36 – 57; hier : S. 41. 1133 Vgl. »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 14. 5. 1979, S. 54. 1134 »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 14. 5. 1979, S. 57. 1135 »Das Stahlnetz stülpt sich über uns.« Die westdeutschen Polizei- und GeheimdienstComputer (V): Elektronische Beschattung; in: Der Spiegel Nr. 22/1979 vom 28. 5. 1979, S. 72 – 94; hier: S. 76. 1136 Zit. nach: »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 11. 6. 1979, S. 55.

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Die nahezu unbegrenzten Speicher- und Verarbeitungsmöglichkeiten, die die elektronische Datenverarbeitung mit sich brachte, lösten auch Ängste vor einem Datenmissbrauch aus. Einerseits wurde befürchtet, dass persönliche Daten nicht ausreichend geschützt seien und manche Behörden diese beispielsweise durch vorgetäuschte Kompetenzen unberechtigterweise weitergeben könnten1137, andererseits wurde befürchtet, dass man zu Unrecht und unwissend in die Datenbank der Geheim- und Polizeidienste gerate und deshalb persönliche Nachteile erfahre.1138 Letzteres wurde auch dadurch verstärkt, dass eine unbekannte Personenzahl durch das Bundeskriminalamt bzw. die Landeskriminalämter in einer sogenannten »beobachtenden Fahndung« (Befa) oder durch den Verfassungsschutz in einer Grenzdatei des Bundesgrenzschutzes beobachtet würde und dabei verschiedenartige Daten jeweils in der Personenfahndungsdatei des Inpol-Systems gespeichert würden.1139 Im Laufe der Jahre kämen derartig viele Daten zusammen, dass es möglich sei, über die zu beobachtenden Personen individuelle Bewegungsbilder zu erstellen, weshalb Jochen Bölsche an die Mahnung des Datenschützers Hans Peter Bull erinnerte, dass es in der Bundesrepublik Tendenzen gebe, die in den Überwachungsstaat führen würden, falls man diese Tendenzen nicht stoppe.1140 Aber nicht nur zukünftige, sondern auch gegenwärtige Gefahren für den demokratischen Meinungsbildungsprozess wurden aufgrund einer derart strengen Überwachung der Bundesbürger artikuliert. Der Oldenburger Rechtswissenschaftler Klaus Lenk mahnte an, dass es für den freien politischen Prozess existenziell sei, dass man ohne Angst vor einer nachteiligen Registrierung seine Meinung kundtun könne.1141 In einer Stellungnahme zur »Spiegel«-Serie »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« konstatierte der Bundesinnenminister Gerhart Baum, dass die »Spiegel«Serie hilfreich gewesen sei, um mögliche Gefahren offen zu diskutieren, wenn auch nicht immer klar zwischen Wirklichkeit und Zukunftsprognose unterschieden worden sei.1142 Weiterhin gab Baum zu verstehen, dass bestimmte Maßnahmen, wie die Einführung eines fälschungssicheren Personalausweises unabdingbar seien, dass er sich aber für eine konsequente und schnelle Weiterentwicklung des Datenschutzes einsetzen werde. Baum ging auf die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters ein, indem er Verständnis dafür zeigte, dass 1137 Vgl. »Das Stahlnetz stülpt sich über uns.« Die westdeutschen Polizei- und GeheimdienstComputer (IV): Pannen und Mißbrauch; in: Der Spiegel Nr. 21/1979 vom 21. 5. 1979, S. 67 – 87: hier: S. 70. 1138 Vgl. »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 21. 5. 1979, S. 79. 1139 Vgl. »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 28. 5. 1979, S. 72. 1140 Vgl. »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 28. 5. 1979, S. 73. 1141 Vgl. nach: »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 11. 6. 1979, S. 57. 1142 Vgl. »Das Recht hinkt hinterher.« Bundesinnenminister Gerhart Baum zur Spiegel-Serie; in: Der Spiegel Nr. 26/1979 vom 25. 6. 1979, S. 39.

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das »Computer-Zeitalter« neue Gefahren hervorgebracht habe, gleichzeitig aber beruhigen wollte: »Der ›gläserne Mensch‹ ist möglich geworden. Aber wir werden verhindern, daß es ihn gibt.«1143 Dennoch wurden die in der »Spiegel«-Serie geäußerten Ängste vor einem Überwachungsstaat auch in den frühen 1980er Jahren verstärkt artikuliert. Hierbei lassen sich dieselben Merkmale der aufgezeigten Argumentation wiederfinden. So bewirkte das Bekanntwerden einer Rasterfahndung, bei der die Daten von tausenden Strom-, Wasser- und Gaskunden von Polizeibeamten zur Fahndung nach Terroristen verwendet wurden, dass diese Ängste im linken Wahrnehmungsmuster wieder vermehrt aufkamen. Die sozialdemokratische »Hamburger Morgenpost« erblickte in der Rasterfahndung einen »Alptraum für jeden Demokraten«1144 und der »Spiegel« konstatierte, dass die Rasterfahndung eine kafkaeske Situation erschaffe: »Wer in den Raster gerät, sieht sich – Umkehr des gängigen Beweislastprinzips – im Extremfall gezwungen, seine Schuldlosigkeit nachzuweisen und sich gegen Vorwürfe zu verteidigen, die ihm nie eröffnet werden können. An die Stelle der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung setzt die Rasterfahndung die elektronisch produzierte Schuldvermutung.«1145 Der »Spiegel« kritisierte außerdem die nur geringen Kompetenzen des Bundesdatenschutzbeauftragten Hans Peter Bull und rief dessen frühere Aussage ins Gedächtnis, dass die Rasterfahndung strengste Rechtsstaatlichkeit benötige, »um bei der Jugend den Eindruck des Überwachungsstaates zu vermeiden«.1146 Auch hier wird ersichtlich, dass diese Debatten auch einen Generationenkonflikt beinhalteten. Diese allein daraus erklären zu wollen, wäre aber zu kurzsichtig. Auch das mögliche Zusammengehen von Polizei und Geheimdiensten zu einer neuen Art »Gestapo« löste auch in den 1980er Jahren im linken Wahrnehmungsmuster vermehrt Ängste aus.1147 Hierbei schien ausschlaggebend zu sein, dass sich die technischen Entwicklungen nicht mehr rückgängig machen ließen und dass die derzeit noch vorhandenen Schutzmechanismen jederzeit von einem möglichen autoritären Regime aufgehoben werden könnten, wie es der Datenschutzbeauftrage Hans Peter Bull formulierte.1148 Der ehemalige Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) kritisierte in einem »Spiegel«-In1143 »Das Recht hinkt hinterher«. 1144 Zit. nach: »Ihr West’ is rein? Da is nix schmutzig?« Hunderttausend Westdeutsche im Computer-Raster der Terroristenfahndung; in: Der Spiegel Nr. 6/1980 vom 4. 2. 1980, S. 36 – 43; hier: S. 36. 1145 »Ihr West’ is rein? Da is nix schmutzig?«, S. 40. 1146 Zit. nach: »Ihr West’ is rein? Da is nix schmutzig?«, S. 43. 1147 Vgl. »Da waren die Vögel schon ausgeflogen.« Die Affäre Klar/Schulz – Konkurrenz zwischen Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt; in: Der Spiegel Nr. 42/1980 vom 13. 10. 1980, S. 51 – 74; hier : S. 67. 1148 Vgl. Hans Peter Bull: 1984: Einmal verdächtig, immer verdächtig; in: Der Spiegel Nr. 49/ 1980 vom 1. 12. 1980, S. 35 ff.; hier : S. 35.

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terview im August 1981 die gängigen Überwachungspraktiken in der Bundesrepublik und erkannte darin einen Mangel an Vertrauen in die demokratischen Strukturen, ohne diese Überwachungspraktiken auszukommen.1149 Ursächlich dafür sah Albertz auch an, dass die Demokratie in der Bundesrepublik nicht von den Deutschen selbst, sondern »von außen und von oben gekommen« sei.1150 Albertz wehrte sich gegen Vergleiche zwischen der Bundesrepublik und den Nazis, machte aber deutlich, dass er nicht mehr leben würde, wenn diese »damals die gleichen technischen Mittel gehabt hätten wie heute das Bundeskriminalamt«.1151 Typisch für die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem drohenden Überwachungsstaat war, dass man kaum annahm, dass dieser von heute auf morgen durch eine Gesetzesänderung kommen werde, sondern schleichend und kaum wahrnehmbar durch verschiedene kleinere Gesetze. Diese Gefahrenwahrnehmung bedingte aber auch, dass fast alle Gesetze zur Verstärkung der Terrorismusabwehr als ein Schritt zu einem solchen Überwachungsstaat angesehen wurden. Im Februar 1978 fand der »Spiegel« angesichts der Planung eines neuen Meldegesetzes, dass »die Bundesrepublik den Orwellschen Schreckensvisionen von 1984 ein Stückchen nähergerückt« scheine.1152 Wilhelm Steinmüller konstatierte nach der Lektüre des Gesetzesentwurfs, dass die totale Überwachung des einzelnen möglich wäre.1153 Die gleichen Reaktionen löste die Planung eines fälschungssicheren, maschinenlesbaren Personalausweises aus. Der FDP-Rechtsexperte Detlef Kleinert warnte davor, dass nicht ein Staatsstreich des großen Bruders die Visionen von George Orwell oder Aldous Huxley (dessen Roman »Schöne neue Welt« von 1932 ebenfalls ein derartiges düsteres Zukunftsbild zeichnete) verwirklichen werde, sondern unaufmerksame Abgeordnete, die durch viele kleine Gesetze allmählich ungewollt diese Situationen erschaffen würden.1154 Jochen Bölsche fasste die Ängste vor dem neuen Personalausweis folgendermaßen zusammen: »Eingeweihte sehen […] im Inpol-gerechten Personalausweis das entscheidende Teilstück eines umfassenden Dateien-Systems, das gesellschaftsverändernde Kräfte entfalten könnte: ein Instrument, das Bürgerrechte zu bedrohen und den Rechtsstaat in einen Polizeirechtsstaat zu verwandeln vermag – wenn nicht gar in eine ganz andere Repu-

1149 Vgl. »Der Herr Jesus würde in Kreuzberg wohnen.« Der Berliner Ex-Bürgermeister und Pfarrer Heinrich Albertz über Wettrüsten, Kirche, Parteien und Alternative; in: Der Spiegel Nr. 36/1981 vom 31. 8. 1981, S. 35 – 49; hier : S. 43. 1150 »Der Herr Jesus würde in Kreuzberg wohnen«, S. 43. 1151 »Der Herr Jesus würde in Kreuzberg wohnen«, S. 43. 1152 Gläserner Mensch; in: Der Spiegel Nr. 7/1978 vom 13. 2. 1978, S. 32 f. 1153 Vgl. nach: Gläserner Mensch, S. 33. 1154 Vgl. nach: Echt ’ne Lücke; in: Der Spiegel Nr. 13/1979 vom 26. 3. 1979, S. 29 f.; hier: S. 29.

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blik.«1155 Im Januar 1980 veröffentliche der »Spiegel« Auszüge aus einem Datenschutz-Szenario, das von EDV-Experten und Fachwissenschaftlern entworfen wurde. Besonders passend zusammengefasst waren hierbei die befürchteten Folgen für die bundesdeutsche Demokratie: »Wir beginnen mit dem maschinenlesbaren Ausweis einen Weg, der durch Gewöhnung geglättet wird und dessen Trend, entsprechend bisheriger Erfahrung mit solchen Entwicklungen, irreversibel ist. Die Folgen? Im günstigsten Fall ein verstärkter Trend zum Konformismus durch Verhaltensanpassung des Überwachten an die – von ihm oft nur vermuteten oder überängstlich befürchteten – Erwartungen des Systems; ein ungewollter, indirekter Totalitarismus des Systems. Im ungünstigsten Fall gezielte Benutzung der Überwachungsmöglichkeiten zur Manipulation der Bevölkerung durch ein totalitäres Regime.«1156

»Typisches Intellektuellengeschwätz«. Die Angst vor einem Überwachungsstaat wird im konservativen Wahrnehmungsmuster bestritten. Im konservativen Wahrnehmungsmuster vertrat man häufig die Ansicht, dass es eine Taktik der Terroristen sei, die Bundesrepublik als Überwachungsstaat zu diffamieren, weshalb man diese Taktik offenlegen wollte. Nachdem das Athener Oberlandesgericht im Jahr 1976 die Auslieferung eines Terroristen verweigerte, konstatierte Paul Wilhelm Wenger deshalb: »Die Terroristen haben damit ihr wichtigstes Etappenziel zur Zerstörung unserer Demokratie erreicht: Die von ihnen ausgelösten Sicherungsmaßnahmen sollten der Bundesrepublik den Stempel eines widerlichen nazistischen Polizeistaats aufprägen«.1157 Um der so empfundenen Strategie der Terroristen entgegenzutreten, bestritt man im konservativen Wahrnehmungsmuster einerseits, dass die Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung unnötig und zu hart seien, andererseits versuchte man der Ansicht des linken Wahrnehmungsmusters entgegenzutreten, dass sich die Bundesrepublik Deutschland zu einem Überwachungsstaat entwickeln könnte oder sogar schon zu einem solchen entartet sei. Im »Rheinischen Merkur« wurde im »Wochen-Echo« anerkennend festgestellt, dass eine WDR-Sendung im Jahr 1977 die Problematik und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung darstellte und dass sich der Autor der Sendung dabei »der Versuchung entzog, 1155 »Das Stahlnetz stülpt sich über uns.« Die westdeutschen Polizei- und GeheimdienstComputer (VI): Inpol-Ausweis und Personenkennzeichen; in: Der Spiegel Nr. 23/1979 vom 4. 6. 1979, S. 38 – 54; hier: S. 39. 1156 »Ab 1987 Kontrollen in Vergnügungsvierteln.« Ein Datenschutz-Szenario: Deutschland nach Einführung des EDV-Ausweises; in: Der Spiegel Nr. 5/1980 vom 28. 1. 1980, S. 74 – 76; hier: S. 76. 1157 Paul Wilhelm Wenger : Immunität für Terroristen? Der Europarat darf zum Pohle-Urteil nicht schweigen; in: Rheinischer Merkur Nr. 35/1976 vom 27. 8. 1976, S. 1.

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einem modisch-einschlägigen Trend zu folgen und wieder einmal Orwells ›1984‹ für Wirklichkeit auszugeben.«1158 Herwig Gückelhorn sprach von einer »hemmungslosen Anti-Geheimdienst-Campagne« und forderte die Öffentlichkeit auf, die Notwendigkeit der Geheimdienste und das Vorhandensein von Sicherungen gegen einen Missbrauch anzuerkennen, sodass die »pseudomoralische Verteufelung« aufhöre.1159 Außerdem verwies Gückelhorn auf die »leidvolle Erfahrung«, die gezeigt habe, »daß Geheimdienste erst dann übermächtig, unangreifbar und scheußlich werden, wenn irgendwo Ideologien ihr Spiel gewonnen haben.«1160 Der »Spiegel«-Redakteur Jürgen Leinemann berichtete im November 1978 über den BKA-Präsidenten Horst Herold und konstatierte, dass Herold nicht denke, dass 1984 nicht mehr weit sei und diese »Ängste vor dem totalen Staat […] für typisches Intellektuellengeschwätz, Literatenphantasien« hielte.1161 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wollte man die Kompetenzen der Geheimdienste und der Polizei nicht schwächen und vertrat die Ansicht, dass diese nur wirklich effektiv arbeiten und die Bundesrepublik gegen diverse Gefahren schützen könnten, wenn sie geheim und nicht transparent arbeiteten. Oft wurde deshalb auch vermutet, die Forderung nach Transparenz und »das alte Gestapo-Trauma« würden von vielen Linksradikalen nur deshalb am Leben erhalten, um die Geheimdienste zu schwächen.1162 Demzufolge wurde Bundesinnenminister Gerhart Baum, der einige Beschränkungen der Kompetenzen von Polizei und Geheimdiensten durchsetzte, als »Sicherheitsrisiko« bezeichnet und von der CSU zum Rücktritt aufgefordert.1163 Auch als bekannt wurde, dass die Sicherheitsbehörden im Rahmen der Rasterfahndung die Daten tausender Stromkunden verwendet haben, konnte man im konservativen Wahrnehmungsmuster den Protest des linken Wahrnehmungsmusters kaum nachvollziehen. Ein leitender Kriminaldirektor wehrte sich gegen die Bezeichnung »Überwachungsstaat«, da das doch nur Terroristen sagen würden.1164 Walter Bajohr verteidigte die Rasterfahndung als effektives Mittel, um Terroristen verhaften zu können und erkannte im Protest des linken Wahrnehmungsmusters »die wieder einmal zutage getretene Tendenz mancher 1158 B. C.: Ungeschminkte Wahrheit; in: Rheinischer Merkur Nr. 10/1977 vom 11. 3. 1977, S. 13. 1159 Herwig Gückelhorn: Notwendige Dienste; in: Rheinischer Merkur Nr. 41/1977 vom 14. 10. 1977, S. 1 f.; hier : S. 1 und S. 2. 1160 Gückelhorn: Notwendige Dienste, S. 2. 1161 Jürgen Leinemann: »Was für ein trostloses Leben.« Spiegel-Redakteur Jürgen Leinemann über den BKA-Präsidenten Horst Herold; in: Der Spiegel Nr. 48/1978 vom 27. 11. 1978, S. 68 – 84; hier: S. 84. 1162 Walter Bajohr.: Daten-Allergie. Wieder einmal »Enthüllungen« über geheime Listen; in: Rheinischer Merkur Nr. 5/1979 vom 2. 2. 1979, S. 2. 1163 Vgl. nach: »Das Stahlnetz stülpt sich über uns« vom 11. 6. 1979, S. 57. 1164 Vgl. nach: »Ihr West’ is rein? Da is nix schmutzig?«, S. 43.

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Vertreter der ›veröffentlichten‹ Meinung, die Sicherheitsbehörden und ihre Tätigkeit prompt in ein bestimmtes Raster einzuordnen, das zusammengenommen in ihrer Interpretation den ›Überwachungsstaat‹ ergibt.«1165 Obwohl im konservativen Wahrnehmungsmuster vor allem seit Mitte der 1970er Jahre die Gefahr eines Orwellschen Überwachungsstaates bestritten wurde, existierten vereinzelt auch Ängste vor einer nicht überschaubaren Datenspeicherung und Datenverarbeitung und vor einem zu geringen Datenschutz. Allerdings wurden die Gefahren hier weniger vom Staatsapparat befürchtet, sondern eher in der zivilen Nutzung. Nachdem im »Stern« im Jahr 1975 illegal aufgenommene Abhörprotokolle eines Gespräches zwischen Kurt Biedenkopf und Helmut Kohl veröffentlicht worden waren, forderte Friedrich Graf von Westphalen, »angesichts der weitreichenden technischen Möglichkeiten im Zeitalter der Computer, den einzelnen zur statistischen Nummer zu degradieren, ihn total zu verwalten und zu bürokratisieren, mit der Möglichkeit, auch alle privaten Daten jedes Bürgers sofort auf Knopfdruck verfügbar zu haben, ohne daß der Betroffene überhaupt davon erfährt« den Schutz der Privatsphäre zur zentralen Aufgabe der Politik zu machen.1166 Westphalen stellte aber klar, dass es nicht »der ›große Bruder‹« sei, der die Freiheit des einzelnen Bürgers bedrohe, sondern »[e]s handelt sich vielmehr um eine aus Technik und Wissenschaft, kurz: aus dem Zeitgeschehen resultierende Gefährdung des einzelnen«.1167 Diese Art der Gefahrenwahrnehmung setzte sich im konservativen Wahrnehmungsmuster weitgehend durch, wenn von den Gefahren eines Orwell-Staates gesprochen wurde, sodass der Bezug zu Orwell oft auch eine gewisse Technikkritik und Technikangst beinhaltete. Auch deshalb befürwortete man im konservativen Wahrnehmungsmuster Verbesserungen von Datenschutzmaßnahmen, die den Bürger vor Datenmissbrauch schützen sollten, »um zu verhindern, daß die makabren Zukunftsvisionen vom ›gläsernen Menschen‹ und vom ›großen Bruder‹ allzu rasch Wirklichkeit werden.«1168 Dieser »gläserne Mensch« oder der alles überwachende »große Bruder« wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster aber weniger als durch den Staat hervorgerufen angesehen, sondern hauptsächlich durch zivile Gefahren der technisierten Moderne. So weckten beispielsweise Datenpannen der Schufa1169, die Entwicklung von Mobil1165 Walter Bajohr : Falscher Alarm; in: Rheinischer Merkur Nr. 6/1980 vom 6. 2. 1980, S. 1. 1166 Friedrich Graf von Westphalen: Werden Orwells Visionen Wirklichkeit? Ohne Rechtsregelung sind Angriffe auf die Privatsphäre nicht mehr abzuwehren; in: Rheinischer Merkur Nr. 28/1975 vom 11. 7. 1975, S. 3. 1167 Westphalen: Werden Orwells Visionen Wirklichkeit? 1168 Friedrich Graf von Westphalen: Das Datenschutzgesetz muß novelliert werden. Nach eineinhalb Jahren zeigen sich die ersten Lücken; in: Rheinischer Merkur Nr. 33/1979 vom 17. 8. 1979, S. 2. 1169 Vgl. Walter Bajohr : Bürger W. in der Datenfalle; in: Rheinischer Merkur Nr. 48/1979 vom 30. 11. 1979, S. 3.

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und Bildtelefonen1170 und die geplante Einführung eines Bildschirmtextes1171 derartige Ängste. Gabriel Laub konstatierte angesichts des Vordringens von Bildtelefonen: »Nicht nur der große Bruder Staat, sondern auch jeder kleine Haustyrann und jede kleine Ehedespotin bekommen von der Technik Mittel in die Hand, andere Menschen zu kontrollieren.«1172 Der Publizist und Professor Werner Ross konstatierte im Oktober 1982, dass die Angst, dass man sich »auf dem Wege in dieses mystische Jahr 1984« befinde, nicht nur bei den Grünen existiere und warnte davor, »daß Großtechnik, Großindustrie, Großbürokratie über unser Maß hinauswachsen. 1984 kommt auf leisen Sohlen.«1173 Der Regierungswechsel von 1982 und der Volkszählungsboykott 1983 Der Regierungswechsel verstärkte die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem drohenden Überwachungsstaat. Besonders der Wechsel im Innenministerium von Gerhart Baum (FDP) zu Friedrich Zimmermann (CSU) wurde im linken Wahrnehmungsmuster als gefährlich erachtet. Während zuvor gehofft wurde, dass der »erzliberale Gerhart Baum« den negativen Entwicklungen entschieden entgegentreten würde, galten Friedrich Zimmermann und dessen Parlamentarischer Staatssekretär Carl-Dieter Spranger als Verfechter eines »starken Staats- und Sicherheitsapparat[s]«, sodass im Innenressort ein Wandel befürchtet wurde, »zur Intoleranz gegenüber Minderheiten, zu einer Stammtischpolitik gegenüber Ausländern.«1174 Baums Berater Klaus Thomsen kommentierte den Wechsel im Innenressort damit, dass man ein Schild an die Tür hängen könne, dass der Rechtsstaat für drei Monate geschlossen sei.1175 Der Wechsel im Innenressort bewirkte auch, dass Maßnahmen der Terrorismusfahndung, wie beispielsweise die Rasterfahndung, verstärkt als Schritte in den Überwachungsstaat angesehen wurden, auch da Carl-Dieter Spranger die öffentliche Sicherheit als höheres Gut erachtete und dem Datenschutz nur eine dienende Funktion zuerkannte.1176 1170 Vgl. Gabriel Laub: Tyrannei per Telefon. Moderne Technik und ihre Folgen; in: Rheinischer Merkur Nr. 38/1981 vom 18. 9. 1981, S. 35. 1171 Vgl. Werner Lauff: Wenn BIGFON zum Big brother wird… Die umstrittenen Pläne der Bundespost zur künftigen Glasfaser-Netzstruktur ; in: Rheinischer Merkur Nr. 52/1981 vom 25. 12. 1981, S. 14. 1172 Laub: Tyrannei per Telefon. 1173 Werner Ross: Zukunft – das große Abenteuer. Vor dem mystischen Jahr 1984; in: Rheinischer Merkur Nr. 43/1982 vom 22. 10. 1982, S. 2. 1174 »Auf dieser Regierung liegt kein Segen«; in: Der Spiegel Nr. 40/1982 vom 4. 10. 1982, S. 17 – 24; hier : S. 18. 1175 Vgl. nach: »Kohl biegt ein in die Via Crucis«; in: Der Spiegel Nr. 39/1982 vom 27. 9. 1982, S. 6 – 25; hier : S. 17. 1176 Vgl. nach: Hans-Wolfgang Sternsdorff: Auf dem Weg zum Überwachungsstaat. Spiegel-

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In einer Titelstory vom Januar 1983 konstatierte der »Spiegel«, dass die Visionen von Orwell der Wirklichkeit sehr nahe gekommen seien und dass amerikanische Magazine das Jahr 1983 und nicht das Jahr 1984 zum Jahr von Orwell ernannt hätten.1177 Bedrückend sei auch, dass die derzeitigen Techniken denen des Orwell-Staates weit überlegen seien, da der Überwachte oft nicht einmal von seiner Überwachung erfahre.1178 Die schwache Stellung des Datenschutzbeauftragten, die nach den Plänen der Bundesregierung noch weiter eingeschränkt werden sollte1179 und der Wechsel im Innenressort von Baum zu Zimmermann und Spranger, für den laut »Spiegel« die Kurzformel gelten würde, dass Datenschutz Tatenschutz sei1180, bildeten den Hintergrund dafür, dass die turnusmäßige Volkszählung 1983 einen derart massiven Protest auslösen konnte. Daraus ergibt sich die These, dass die Volkszählung 1983 die bekannten Ängste vor einem aufkommenden Überwachungsstaat weckte und zudem eine Gelegenheit bot, gegen die befürchteten Entwicklungen zum Überwachungsstaat seit Mitte der 1970er Jahre vorzugehen. Aus historischer Perspektive kam der Volkszählungsprotest deshalb weniger überraschend als für die damaligen Zeitgenossen. Tendenzen dazu wurden auch schon Ende der 1970er Jahre sichtbar. Bereits im November 1977 forderte der Rechtswissenschaftler Spiros Simitis: »Was wir brauchen, und zwar weit mehr als bisher, sind Bürger, die bereit sind, Antworten zu verweigern.«1181 Der Präsident des Oberlandesgerichts, Rudolf Wassermann, kritisierte 1979 die schwache Stellung des Bundesdatenschutzbeauftragten und verglich diesen mit einem Hund, der zwar belle, aber nicht beißen dürfe.1182 Der »Spiegel« berichtete im Januar 1980, dass die Zahl derer stetig steige, die sich weigern würden, persönliche Angaben zum Mikrozensus zu machen.1183 Dieser Mikrozensus betraf ca. ein Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung, deren Daten auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet wurden. Neben juristischen und rechtlichen Kritikpunkten an der Durchführung der

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Redakteur Hans-Wolfgang Sternsdorff über die »Aktion Paddy« und die Videofahndung der Polizei; in: Der Spiegel Nr. 2/1983 vom 10. 1. 1983, S. 46 – 67; hier : S. 57 und S. 67. Vgl. Die neue Welt von 1984; in: Der Spiegel Nr. 1/1983 vom 3. 1. 1983, S. 19 – 30; hier : S. 19 und S. 20. Vgl. Die neue Welt von 1984, S. 22. Vgl. Die neue Welt von 1984, S. 23. Vgl. nach: Die neue Welt von 1984, S. 30. »Computer müssen vergessen können.« Rechtswissenschaftler Professor Spiros Simitis über Datenschutz und Bürgerrechte; in: Der Spiegel Nr. 47/1977 vom 14. 11. 1977, S. 100 – 119; hier: S. 100. Vgl. nach: »Das Stahlnetz stülpt sich über uns.« Stellungnahmen zur Spiegel-Serie über Polizei- und Geheimdienst-Computer ; in: Der Spiegel Nr. 26/1979 vom 25. 6. 1979, S. 35 – 49; hier : S. 44. Vgl. Himmelschreiend nötig; in: Der Spiegel Nr. 3/1980 vom 14. 1. 1980, S. 48 – 54; hier : S. 51.

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Volkszählung, beispielsweise dass das Volkszählungsgesetz bestimmte Fragen im Fragebogen nicht vorsah, waren es vor allem die vorher artikulierten Ängste vor einem Überwachungsstaat, die auch beim Protest gegen die Volkszählung 1983 eine Rolle spielten, weshalb sich an dieser Stelle auf diese beschränkt wird. Eine Hamburger Volkszählungsboykott-Initiative warnte davor, dass die Bürger durch die Volkszählung »verdatet, verkabelt, verplant und verkauft« würden.1184 Die Grün-Alternativen begrüßten, dass die Volkszählung eine ideale Voraussetzung für eine politische Kampagne wäre und der »Spiegel« stimmte dieser Ansicht zu, da sämtliche Bundesbürger betroffen seien und es »buchstäblich, um die totale Erfassung der Bundesbürger« gehe.1185 Der Unterschied zu vorherigen Volkszählungen galt als gravierend. Besonders furchterregend war, dass sich die verschiedenen Antworten »dank technischem Fortschritt, auf mannigfache und bedenkliche Weise elektronisch verknüpfen« lassen könnten.1186 Aus diesen Gründen empfanden die Hamburger Grün-Alternativen die Volkszählung als »einen von vielen Schritten auf dem Weg zum gläsernen Bürger«.1187 Eine weitere bekannte Angst war, dass durch die Volkszählung de facto die Trennung zwischen Verwaltung, Privatwirtschaft, Polizei und Geheimdiensten aufgehoben werde, indem mit der Volkszählung gleichzeitig die Melderegister aktualisiert werden. Der »Spiegel« konstatierte deshalb: »Im Klartext: Polizei und Verfassungsschutz, Sozial- und Finanzämter, staatliche Forschungsstätten und private Meinungsforschungsinstitute können aus den vollen Datenbeständen schöpfen.«1188 Bei diesen Ängsten zeigten sich auch die Kritikpunkte an den technischen Verarbeitungsmöglichkeiten und deren Verständnis. Der Informatiker Klaus Brunnstein bemängelte, dass die De-Anonymisierung der Datenbestände technisch ohne großen Aufwand realisierbar sei und kritisierte, dass viele Datenschützer diesen Sachverhalt nicht überblicken könnten, da sie Juristen und nicht Informatiker seien.1189 Auch Wilhelm Steinmüller übte in einem »Spiegel«Interview Kritik am Bundesdatenschutzbeauftragten Hans Peter Bull, da dieser energisch bestritten habe, dass durch die Volkszählung indirekt ein verfassungswidriges Personenkennzeichen eingeführt werde und Steinmüller deshalb bezweifelte, ob Bull »sich über alle technischen Zusammenhänge im klaren ist.«1190 Steinmüller formulierte in diesem Interview auch die in den 1970ern 1184 Zit. nach: Der gläserne Bürger ; in: Der Spiegel Nr. 8/1983 vom 21. 2. 1983, S. 104 f.; hier : S. 104. 1185 Der gläserne Bürger, S. 104. 1186 Der gläserne Bürger, S. 104. 1187 Zit. nach: Der gläserne Bürger, S. 104. 1188 Der gläserne Bürger, S. 105. 1189 Vgl. nach: Der gläserne Bürger, S. 105. 1190 »Beten, daß die Sicherungen halten.« Rechtsinformatiker Wilhelm Steinmüller über die geplante Volkszählung; in: Der Spiegel Nr. 12/1983 vom 21. 3. 1983, S. 106 – 110; hier : S. 110.

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häufig geäußerte Befürchtung, dass die für lange Zeit gespeicherten Datensätze missbraucht werden könnten, wenn in der Bundesrepublik einmal nachdemokratische Strukturen existieren würden.1191 Auch heute etwas skurril anmutende Vergleiche zur Zeit des Nationalsozialismus sollten die Gefahren der Volkszählung verdeutlichen. Eine »Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule« befürchtete, dass wie zur Zeit des Nationalsozialismus eine Erfassung Homosexueller in »Rosa Listen« stattfinden könnte, und das Landeskrankenhaus Gütersloh wehrte sich gegen die Frage, ob man Anstaltsinsasse sei, da vor 43 Jahren schon einmal ähnliche Listen erstellt wurden, die für 950 Patienten mit dem Tod endeten.1192 In einem »Spiegel«-Interview wandte sich Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann gegen Vergleiche zur Zeit des Nationalsozialismus angesichts der Frage, ob er die Skepsis gegenüber der Volkszählung nicht verstehen könne, die 1983 stattfinden solle, »in einem Jahr, in dem überall aus 50jähriger Distanz die ja damals überaus legale Machtübernahme der Nazis bedacht wird, die sich trotz Datenschutzversprechungen ungeniert der Volkszählungsdaten von 1933 und vor allem von 1939 für ihre Holocaust-Vorbereitungen bedient haben?«1193 Auch der Bezug zu George Orwell fand – wie generell bei den Ängsten vor einem Überwachungsstaat – beim Volkszählungsprotest Anwendung. Der »Spiegel« konstatierte, dass Hundertausende Bürger mit der Volkszählung den »Orwell-Staat« aufziehen sehen würden und das der Terminus »Volkszählung« ebenfalls »[a]us dem Wortschatz von Orwells euphemistischer ›Neusprache‹, in der Kriegsministerien Friedensministerien heißen, […] stammen [könnte]: Das Volk soll nicht nur gezählt werden, sondern über sich erzählen.«1194 Im konservativen Wahrnehmungsmuster sah man keine Gefahr durch die Volkszählung, sondern vielmehr durch die Volkszählungsboykotteure. Eine besonders strenge Haltung diesbezüglich zeigte ausgerechnet der Bundesinnenminister Zimmermann. Zimmermann hielt Bedenken gegenüber der Volkszählung angesichts vorangegangener Volkszählungen für unbegründet und erkannte in den Volkszählungsgegnern eine kleine Minderheit, die die Volkszählung als Angriff gegen das gesamte System nutzen wolle, weshalb der Rechtsstaat herausgefordert sei, ein einstimmig verabschiedetes Gesetz auch tatsächlich zu vollziehen.1195 Zimmermann hielt Boykottaufrufe zur Volkszählung für »Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat« und rechtfertigte es, dass man die Namen der Boykotteure festhalte, da diese gegen geltende Gesetze 1191 Vgl. »Beten, daß die Sicherungen halten«, S. 110. 1192 Vgl. nach: Volkszählung: »Laßt 1000 Fragebogen glühen«; in: Der Spiegel Nr. 13/1983 vom 28. 3. 1983, S. 28 – 32; hier: S. 28. 1193 »Wo ist denn die Intimität?« Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann über die geplante Volkszählung; in: Der Spiegel Nr. 13/1983 vom 28. 3. 1983, S. 34 – 45; hier : S. 45. 1194 Volkszählung: »Laßt 1000 Fragebogen glühen«, S. 28 und S. 30. 1195 Vgl. »Wo ist denn die Intimität?«, S. 37.

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verstießen.1196 Jochen Bölsche fand gerade diese Tatsache beängstigend, denn durch den Boykott der Volkszählung könne die »Bundesrepublik als erster Staat in der Geschichte der Menschheit nahezu das gesamte Protestpotential in der Bevölkerung mit Namen und Angaben über den Grad der individuellen Widerstandsbereitschaft erfaßt haben«.1197 Auch andere Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem Datenmissbrauch konnte Zimmermann nicht ausreichend beseitigen. So glaube er nicht daran, dass der Präsident des Statistischen Bundesamtes nachts heimlich Listen ins Bundeskriminalamt liefere.1198 Martin Bernstorf fragte, was die Boykott-Initiativen alles zu verbergen hätten und unterschied drei Gruppen der Volkszählungsverweigerer.1199 Die erste Gruppe habe tatsächlich etwas zu verbergen, wie beispielsweise die Wehrdienstverweigerer in West-Berlin oder Mietschuldner und die dritte Gruppe handle aus Opportunismus und behaupte beispielsweise, die Gefahren bei der Abstimmung zum Volkszählungsgesetz verkannt zu haben. Der zweiten Gruppe gehe es nicht um die Volkszählung, »sondern um den verhaßten demokratischen Staat, dem – ganz gleich, welche Partei gerade regiert – ›zivilen Ungehorsam‹ zu leisten sie als traurige Lust und eiskalt erfüllte Pflicht ansehen.«1200 Bernstorf konstatierte, dass die Daten aus der Volkszählung benötigt würden und dass der demokratische Staat sich nicht von seinen erklärten Feinden ins Unrecht setzen lassen solle.1201 Walter Bajohr betonte, dass es nicht der Bürger sei, der zum Boykott aufrufe, sondern »eine kleine medienverstärkte Minderheit intellektuell-sensibler Zweifler, deren Mißtrauen in alles, was von Staats wegen geschieht, einen weiteren Schritt in den Orwellschen ›GroßerBruder‹-Staat annehmen läßt.«1202 Auch Rolf Pitsch konnte die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einer Orwellschen Datenerfassung nicht verstehen und verwies darauf, dass gerade die empfindlichen Fragen der Volkszählung 1970 nicht gestellt würden.1203 Doch diese Argumentation beruhigte die Akteure des linken Wahrnehmungsmusters in keiner Weise, denn die neuen Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung und Datenspeicherung und das 1196 Vgl. »Wo ist denn die Intimität?«, S. 45. 1197 Jochen Bölsche: Der Geßler-Hut des Orwell-Jahrzehnts. Spiegel-Redakteur Jochen Bölsche über Verfassungsschutz und Erfassungsschutz; in: Der Spiegel Nr. 13/1983 vom 28. 3. 1983, S. 47. 1198 Vgl. nach: Volkszählung: »Laßt 1000 Fragebogen glühen«, S. 32. 1199 Vgl. Martin Bernstorf: Recht, Zensus und viel Hysterie. Der Bundestag beschloß einstimmig, nun zuckt die SPD zurück; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1983 vom 4. 3. 1983, S. 4. 1200 Bernstorf: Recht, Zensus und viel Hysterie. 1201 Vgl. Bernstorf: Recht, Zensus und viel Hysterie. 1202 Walter Bajohr : Scherbenhaufen; in: Rheinischer Merkur Nr. 10/1983 vom 11. 3. 1983, S. 1. 1203 Vgl. Rolf Pitsch: Ein Fragebogen ohne Fallen. Um besser planen zu können, braucht der Staat jetzt genauere Zahlen; in: Rheinischer Merkur Nr. 11/1983 vom 18. 3. 1983, S. 9.

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gestiegene Bewusstsein für möglichen Datenmissbrauch ließen die Volkszählung 1983 als unvergleichbar zu vorherigen Volkszählungen erscheinen. Deshalb waren es auch nicht nur kleine Minderheiten, die die Argumentation und die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters übernahmen, sondern große Teile der Bevölkerung und vor allem auch jene, die in der Vergangenheit nicht klassisch dem linken Wahrnehmungsmuster zugeordnet werden konnten. Der hessische Datenschutzbeauftragte Spiros Simitis konstatierte ein »sich wandelnde[s] Bewußtsein gegenüber der Verarbeitung personenbezogener Daten«.1204 Das mag auch der Grund dafür gewesen sein, warum selbst die konservative »FAZ« von einer »merkwürdigen Koalition« der Volkszählungsgegner sprach und konstatierte, dass die Boykott-Kampagnen auch in jenen Teilen der Bürger Widerhall finde, »deren Mißtrauen gegen einen neugierigen Staat nicht über das Maß dessen hinausgeht, was einem freiheitsbewußten Bürger wohl ansteht.«1205 Eine ZDF-Umfrage ergab, dass 52 Prozent der Bundesbürger gegenüber der Volkszählung Misstrauen hegten.1206 Der »Spiegel«Reporter Hans-Joachim Noack stellte bei der Beobachtung einer Bremer Volkszählungsboykottgruppe fest, »daß die kleine Bremer Mobilmachung in der Tat nun auch jene Bevölkerungsschichten erreicht, die im kollektiven Ungehorsam noch ersichtlich ungeübt sind und sich deshalb etwas linkisch an den Protest heranwagen« und dass »in Scharen ›Bürgerliche‹ dazugekommen« seien.1207 Es scheint, als ob die Volkszählung 1983 als Katalysator für die Ängste vor einem Überwachungsstaat diente. Die Ängste, die vorher in einem kleineren Kreis im linken Wahrnehmungsmuster artikuliert wurden, trafen nun auch andere Bürgerschichten, die vorher kaum Ängste vor einem Überwachungsstaat hatten. Das mag auch daran gelegen haben, dass nun plötzlich alle Bürger betroffen waren und die Anonymität der Fragebögen – beispielsweise durch Methoden der Terrorismusbekämpfung wie die Rasterfahndung – nicht mehr gewährleistet werden konnte.1208 Somit betrafen die technischen Entwicklungen nicht nur einen kleinen Personenkreis, sondern sämtliche Bundesbürger. Dadurch wurden bei vielen die latenten Ängste vor einem Überwachungsstaat zu akuten Ängsten. Erich Böhme schrieb in einem Kommentar an den Bundesinnenminister über das »Geheimnis jener epidemischen Aversion gegen« den Volkszählungsfragebogen: »Solange es Ihrem Staatsapparat nicht gelingt, sich 1204 Zit. nach: »Wo ist denn die Intimität?«, S. 37. 1205 Zit. nach: Höchst unredlich; in: Der Spiegel Nr. 11/1983 vom 14. 3. 1983, S. 120 – 124; hier : S. 120. 1206 Vgl. nach: Volkszählung: »Laßt 1000 Fragebogen glühen«, S. 30. 1207 Hans-Joachim Noack: »Agitieren, gezielt chaotisieren.« Spiegel-Reporter Hans-Joachim Noack über Volkszählungs-Boykotteure in Bremen; in: Der Spiegel Nr. 13/1983 vom 28. 3. 1983, S. 50 – 53; hier : S. 50. 1208 Vgl. Volkszählung: »Laßt 1000 Fragebogen glühen«, S. 31.

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vom Odium der manischen Schnüffel- und Überwachungssucht zu befreien, so lange werden seine Untertanen mißtrauisch bleiben, auch gegenüber noch so albernen Volkszählungsfragen.«1209 Die Hamburger Juristin und Beschwerdeführerin der Klage vorm Bundesverfassungsgericht gegen die Volkszählung Gisela Wild fasste in Karlsruhe die Ängste und die Zusammensetzung der Volkszählungsgegner zusammen: »[E]s sind Bürger, die Angst haben, daß der Drang nach staatlicher Allwissenheit dem Menschen seine Privatsphäre nimmt; es sind Bürger, die Angst haben, eines Tages als Nummer von Automaten beherrscht und von anonymen Mächten verwaltet zu werden, weil ihre Daten in unergründlichen Kanälen vernetzt sind.«1210 Franz Josef Strauß und Ernst Albrecht (CDU) gingen im Bundestagswahlkampf 1983 sogar auf die Ängste der Bürger vor der Volkszählung ein und befürworteten eine Verschiebung, was der »Spiegel« aber als reine Wahlkampftaktik abtat.1211 Im April 1983 setzte das Bundesverfassungsgericht die Durchführung der Volkszählung per einstweilige Verfügung aus und beurteilte das Volkszählungsgesetz im Dezember 1983 als verfassungswidrig, da es gegen das Grundrecht auf »informationelle Selbstbestimmung« verstoße. Interessant ist, dass das sogenannte »Volkszählungsurteil« mehrheitlich im linken und im konservativen Wahrnehmungsmuster positiv aufgenommen wurde. Auch Friedrich Graf von Westphalen begrüßte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: »Es könnte vielleicht einmal dem Bundesverfassungsgericht als hohes Verdienst angerechnet werden, kurz vor Ablauf des Jahres 1983 durch seinen Spruch zum Volkszählungsgesetz verhindert zu haben, daß die Visionen von George Orwells ›1984‹ doch noch irgendwann Wirklichkeit werden. Das vom Gericht herausgearbeitete Grundrecht auf ›informationelle Selbstbestimmung‹ ist der Schutzwall gegen eine ›unbegrenzte Erhebung, Speicherung und Verwendung‹ der persönlichen Daten des einzelnen Bürgers.«1212 Dieser Wandel könnte auch dadurch begründet werden, dass sich die im konservativen Wahrnehmungsmuster schon länger vorhandene Technikskepsis mit der geplanten Volkszählung 1983 verstärkte.1213 Auch nach dem Volkszählungsboykott existierten die Ängste vor einem drohenden Überwachungsstaat weiter. Vor allem die bereits aufgezeigten Konflikte ließen sich weiterhin erkennen, wie die Ängste vor einer Verschmelzung

1209 Erich Böhme: Volkszählung, danke jein; in: Der Spiegel Nr. 14/1983 vom 4. 4. 1983, S. 26. 1210 Zit. nach: »Ohne Drohgebärden, ohne Angst«; in: Der Spiegel Nr. 16/1983 vom 18. 4. 1983, S. 17 – 23; hier: S. 19. 1211 Vgl. nach: Höchst unredlich, S. 120. 1212 Friedrich Graf von Westphalen: Grenzen für Datenhaie. Karlsruhe hat ein neues Grundrecht entwickelt; in: Rheinischer Merkur Nr. 51/1983 vom 23. 12. 1983, S. 4. 1213 Vgl. Ein Kinderspiel; in: Der Spiegel Nr. 43/1983 vom 24. 10. 1983, S. 48 – 52; hier : S. 48.

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von Polizei und Geheimdiensten1214 und die Angst vor einem »Atomstaat«, dessen Schutz demokratische Rechte einschränke.1215 Vor allem aber weckte noch immer die geplante Einführung des maschinenlesbaren Personalausweises dahingehend Ängste, dass dieser »den Rechtsstaat in einen Polizeirechtsstaat zu verwandeln vermag – wenn nicht gar in eine ganz andere Republik.«1216 Der »Spiegel« konstatierte, dass die Einführung des neuen Personalausweises »fünf Monate vor Anbruch des Orwell-Jahres 1984« sehr viele Bürger beunruhigte und auch dass der Wechsel im Bundesinnenministerium von Baum zu Zimmermann erkläre, »warum in der Ära Zimmermann die Ausweispläne ungleich mehr Widerstand provozieren als zu Zeiten Baums.«1217 Wie schon beim Widerstand gegen die Volkzählung übernahmen auch immer mehr Zeitgenossen die Gefahrenwahrnehmung des linken Wahrnehmungsmusters. So setzte sich auch der christdemokratische Präsident des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz Christian Lochte für die Nichteinführung des maschinenlesbaren Personalausweises ein, da der Verdacht der totalen Kontrolle entstehen könnte, auch wenn er die Ängste beruhigen wollte, dass im Jahr 1984 die totale Überwachung kommen werde.1218 Lochte begründete das Aussetzen des neuen Personalausweises auch damit, dass dieser vor allem junge Bürger gegen die Bundesrepublik aufbringe. Allerdings wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster eine Gefahr durch den maschinenlesbaren Personalausweis auch bestritten. Die CSU-Landesgruppe erklärte, dass es den Ausweisgegnern weniger um den Grundrechteschutz, sondern vielmehr um die Beseitigung des freiheitlichen Rechtsstaates gehe.1219 Im »Rheinischen Merkur« wurde kritisiert, dass George Orwell im »Sommerloch der Belanglosigkeiten und eitlen Drahtseilakte« Platz gefunden habe und dass »Angst-Experten und Staatsverächter« Überstunden machen würden.1220 Walter Bajohr bemerkte, dass der maschinenlesbare Personalausweis auch bei jenen Bürgern Skepsis und Misstrauen hervorrufe, die bisher eher uninteressiert und passiv gewesen seien und fand es traurig, dass Vokabeln wie 1214 Vgl. Mit Frau Mustermann in den Plutoniumstaat. Spiegel-Redakteur Jochen Bölsche über die erste Studie zur Sozialverträglichkeit der Kernkraft; in: Der Spiegel Nr. 36/1983 vom 5. 9. 1983, S. 99 – 112; hier: 99. 1215 Vgl. »Es ist besser, die Dienste wissen mal nichts.« Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Schnoor über MAD und BND; in: Der Spiegel Nr. 13/1984 vom 26. 3. 1984, S. 42 – 54; hier : S. 46. 1216 »Eintrittskarte für den Überwachungsstaat«; in: Der Spiegel Nr. 32/1983 vom 8. 8. 1983, S. 17 – 22; hier: S. 18. 1217 »Eintrittskarte für den Überwachungsstaat«, S. 18. 1218 Vgl. »Fürs Kabarett bestens geeignet.« Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte (CDU) über das neue Ausweisgesetz; in: Der Spiegel Nr. 32/1983 vom 8. 8. 1983, S. 22 – 25; hier: S. 25. 1219 Vgl. nach: »Fürs Kabarett bestens geeignet«, S. 22. 1220 J. W.: Hysterie; in: Rheinischer Merkur Nr. 31/1983 vom 5. 8. 1983, S. 1.

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»totale Überwachung« und »Schnüffelstaat« vor allem in der jungen Generation leichtfertig übernommen würden.1221 Friedrich Zimmermann versuchte einerseits, mit einer Werbekampagne die Ängste vor dem gläsernen Menschen zu nehmen, stellte aber zugleich klar, dass die Verweigerung des neuen Ausweises zur Förderung der Kriminalität beitrage.1222 Der »Spiegel«-Redakteur Paul Lersch konstatierte im April 1984, dass auch Anhänger der Union mehrheitlich Ängste vor einem Überwachungsstaat empfinden würden und dass sich diese Ängste in der Bevölkerung vermehrten.1223 Auch Günter Verheugen, der von 1978 bis 1982 Generalsekretär der FDP war und nach dem Regierungswechsel der SPD beitrat, bemerkte in einem Essay im Juni 1984, dass die »krakenhaften Ausdehnungstendenzen des Staates (und der Staatsparteien) in alle Lebensbereiche hinein« nicht mehr hingenommen würden und dass dafür das Volkszählungsgesetz und die Datenschutzdiskussionen wichtige Symptome seien.1224

3.3.4 Zwischenfazit zum Szenario des anonymen Machtapparats Die Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie wurden am meisten als Szenario des anonymen demokratiezerstörenden Machtapparats artikuliert. Hierbei lassen sich verschiedene Merkmale erkennen, die in diesem Szenario immer wieder auftraten. So ist beispielsweise auffällig, dass die Akteure des linken Wahrnehmungsmusters meist als die junge Generation dargestellt wurden, der auch die Primärerfahrungen des Nationalsozialismus fehle und die deshalb nicht immer die richtigen Lehren aus der deutschen Vergangenheit ziehen könne. Insofern spielten bei den Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie auch Generationskonflikte eine nicht unwesentliche Rolle, allein aus diesen Konflikten heraus lassen sich die häufigen Thematisierungen des möglichen Scheiterns aber nicht erklären. Vielmehr lässt sich in beiden Wahrnehmungsmustern eine ernsthafte Sorge um die bundesdeutsche Demokratie erkennen, dass diese – meist unbeabsichtigt durch Unachtsamkeit – zerstört werden könne, weshalb rechtzeitig vor dieser Gefahr gewarnt werden sollte. Bei den Methoden, die die Demokratie schützen sollten, standen sich die 1221 Walter Bajohr : Orwell findet nicht statt. Der Datenschutz funktioniert; in: Rheinischer Merkur Nr. 33/1983 vom 19. 8. 1983, S. 1. 1222 Vgl. nach: Wie im Parkhaus; in: Der Spiegel Nr. 31/1983 vom 1. 8. 1983, S. 57 f.; hier : S. 57 und S. 58. 1223 Vgl. Paul Lersch: »Ich stehe gern fest auf einer Seite.« Spiegel-Redakteur Paul Lersch über Innenminister Friedrich Zimmermann; in: Der Spiegel Nr. 15/1984 vom 9. 4. 1984, S. 40 – 49; hier : S. 49. 1224 Günter Verheugen: Krise der FDP – Krise des Liberalismus; in: Der Spiegel Nr. 26/1984 vom 25. 6. 1984, S. 26 f.; hier : S. 27.

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beiden Wahrnehmungsmuster meist als Dichotomien gegenüber. Die Methode des einen Wahrnehmungsmusters wurde im anderen Wahrnehmungsmuster nicht als Schutz, sondern gerade als Gefahr für die Demokratie angesehen, was auch die streckenweise heftig geführten Auseinandersetzungen zwischen beiden Wahrnehmungsmustern erklärt. Die Dichotomie und die Sorgen um den Bestand der Demokratie zeigten auch, dass in beiden Wahrnehmungsmustern die bundesdeutsche Demokratie als nicht gefestigt galt, sodass deren Ende jederzeit möglich schien. Diese Annahme war auch bedingt durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus, die in der Argumentation beider Wahrnehmungsmuster in den jeweils eigenen Interpretationen eine wesentliche Rolle spielten. Weiterhin ist auffällig, dass es Verschiebungen bei der Zuordnung der Zeitgenossen zu den Wahrnehmungsmustern gab. So gab es einige Akteure, die sich entgegen ihrer ursprünglichen Zuordnung den Ängsten des anderen Wahrnehmungsmusters anschlossen. Interessant ist, dass die Grenzen zwischen beiden Wahrnehmungsmustern zumindest soweit definiert waren, dass ein »Übertritt« in beiden Wahrnehmungsmustern als solcher auch empfunden wurde. Außerdem gab es dahingehend Verschiebungen, dass die Ängste des einen Wahrnehmungsmusters im Laufe der Debatten »mehrheitsfähig« wurden, d. h., dass sich immer mehr Zeitgenossen unterschiedlicher sozialer und politischer Gruppierungen diese Ängste entwickelten. Die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor der geplanten Notstandsgesetzgebung in den 1960er Jahren lassen sich als Ausdruck eines Krisenempfindens erklären, das sein Pendant im konservativen Wahrnehmungsmuster in den Ängsten vor der Außerparlamentarischen Opposition und in der Annahme der Notwendigkeit einer Großen Koalition und eines Mehrheitswahlrechts hatte. Zugrunde lag in beiden Wahrnehmungsmustern die Annahme, dass die bundesdeutsche Demokratie nach einer 20-jährigen »Schönwetter-Periode« an ihre Grenzen gestoßen sei und in der Bevölkerung zunehmend an Sympathien verliere. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde ein eventueller Missbrauch der Notstandsgesetze befürchtet, indem die Legislative ausgeschaltet und eine Diktatur errichtet werden könnte. Außerdem wurde befürchtet, dass ein Mangel der demokratischen Traditionen in der Bevölkerung zum einen antidemokratische Mentalitäten mobilisieren könnte und zum anderen dafür verantwortlich sei, dass Gesetze auch bis zum Äußersten ausgeschöpft würden. Im konservativen Wahrnehmungsmuster sah man gerade eine Gefahr darin, dass die Bundesrepublik kein Notstandsgesetz habe, da dadurch der Exekutive die nötige Autorität und Machtkompetenz fehlten, um in Krisenzeiten handlungsfähig zu sein. In beiden Wahrnehmungsmustern bezog man sich auf die Erfahrungen des Scheiterns der Weimarer Republik, besonders auf den Artikel 48 der Weimarer Verfassung. Im linken Wahrnehmungsmuster sah man in diesem Artikel einen Grund für das Scheitern der Weimarer Republik, im

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konservativen Wahrnehmungsmuster kritisierte man vor allem, dass es in der Weimarer Republik nicht gelungen sei, Durchführungsbestimmungen für diesen Artikel zu erlassen, weshalb die Notstandsgesetzgebung klare Durchführungsbestimmungen für den Krisen- und Notfall bereitstellen sollte. Die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Exekutive zur Stabilisierung der Demokratie war auch das Motiv, weshalb im konservativen Wahrnehmungsmuster die Große Koalition als Ausnahme und die Wahlrechtsreform als Grundgesetzesänderung gefordert wurde. Die Stärkung der Exekutive sollte die in der Bevölkerung vermutete Annahme verringern, dass die Demokratie eine schwache Regierungsform sei. Im linken Wahrnehmungsmuster hielt man diesen Weg aber für gefährlich, da dadurch die Demokratieskepsis nicht beseitigt werde und stattdessen demokratiefeindliche Tendenzen gefördert würden. Vielmehr solle man sich an eine nüchterne Betrachtung von Demokratie gewöhnen, um aufkommende Probleme nicht als Krisen, sondern als normalen demokratischen Prozess zu betrachten. Auch hier ist beiden Wahrnehmungsmustern gemeinsam, dass sie annahmen, dass die Demokratie in der Bevölkerung derzeit nur solange akzeptiert werde, wie sie krisenfrei funktioniere. Nach dem Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition befürchtete man im konservativen Wahrnehmungsmuster das Entstehen einer totalitären Gesellschaft. Allerdings unterstellte man der SPD als Regierungspartei keine derartige Absicht, sondern sah diese als zwangsläufige Konsequenz der anvisierten Demokratisierung. Die Grundannahme des konservativen Wahrnehmungsmusters war, dass Mehrheitsentscheidungen nicht auf nicht-politische Bereiche übertragbar seien, da in anderen Bereichen keine absolute Gleichheit der einzelnen Menschen bestehe, sondern beispielsweise durch unterschiedliche Kompetenzen auch Ungleichheiten normal seien. Eine Übertragung des Majoritätsprinzips führe aber dazu, dass alle Menschen gleich gemacht würden, weshalb letztlich persönliche Freiheiten eingeschränkt würden und Mehrheiten über Minderheiten herrschten, was die Merkmale von Diktaturen seien. Außerdem müsse ein Staat, der eine Politisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens anstrebe, selbst totalitär sein, um diese Politisierung überhaupt durchführen zu können. Somit bewirke die Demokratisierung nicht mehr, sondern weniger Demokratie, bis hin zu deren Zerstörung. Bei der Angst vor einer allumfassenden Demokratisierung – wie bei fast allen anderen Debatten auch – befürchtete man im konservativen Wahrnehmungsmuster, dass linksradikale Kräfte diese als Tarnung benutzen würden, um die Demokratie durch eine Anarchie oder ein sozialistisches System zu ersetzen. Interessant ist, dass die geplante Demokratisierung einen Diskussionsprozess darüber anstieß, was man unter Demokratie verstehe. Im konservativen Wahrnehmungsmuster befürchtete man, dass die Ablehnung einer Demokratisierung sämtlicher Bereiche im linken Wahrnehmungsmuster als gleichzeitiger Abbau weiterer demokratischer

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Errungenschaften wie Minderheitenschutz oder Liberalität aufgefasst wurde, was allerdings keineswegs beabsichtigt sei. Der Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer galt im linken Wahrnehmungsmuster als Notwendigkeit, damit die Demokratie in der Bevölkerung auch ganzheitlich Zugang finde. Dagegen galt diese im konservativen Wahrnehmungsmuster als Angriff auf das Eigentum, was ein wesentliches Prinzip der demokratischen Ordnung sei. Diese Wahrnehmung erklärt auch, warum jede Art der Veränderung des wirtschaftlichen Systems im konservativen Wahrnehmungsmuster als Angriff auf das demokratische System der Bundesrepublik gedeutet wurde. Ein weiteres wiederkehrendes Merkmal wurde auch schon in den Ängsten des konservativen Wahrnehmungsmusters vor einem Gewerkschaftsstaat deutlich. Im konservativen Wahrnehmungsmuster galt es fast automatisch als Angriff auf das parlamentarische System, wenn neben dem Parlament weitere, nicht gewählte Institutionen oder Gruppierungen nach Einfluss strebten. Deshalb wurde eine Machtzunahme des DGB, oder später die Forderung nach einem imperativen Mandat oder teilweise auch die Gründung von Bürgerinitiativen als Bedrohung der parlamentarischen Demokratie empfunden, da vermutet wurde, dass das Parlament beispielsweise durch ein Rätesystem ersetzt würde und die Trennung von Parlament und Regierung aufgehoben werde. Die Regierungsübernahme der sozialliberalen Koalition und die geplante Demokratisierung der Gesellschaft verstärkten ebenfalls die Ängste, dass sich die bundesdeutsche Demokratie als zu schwach erweise und nicht entschieden genug gegen linksradikale Kräfte vorgehen werde, weshalb befürchtet wurde, dass diese durch den »Marsch durch die Institutionen« wichtige Ämter und Positionen erlangen könnten, was letztlich zu einer Zerstörung der Demokratie führe. Auch hierbei bezog man sich häufig auf die Erfahrungen der Weimarer Republik. Es wurde im konservativen Wahrnehmungsmuster vor einer Unterwanderung der Universitäten gewarnt, die in eine »marxistische Kaderschmiede« umfunktioniert werden sollte. Ängste rief auch die vermutete Unterwanderung der Regierungsparteien hervor, besonders die der SPD durch die Jusos. Im konservativen Wahrnehmungsmuster wurde immer wieder davor gewarnt, dass die »Sozialisten« zwar eine Minderheit in der SPD seien, aber als Minderheit die Mehrheit der »Sozialdemokraten« beherrschen würden. Hierbei wurde die mehrheitlich ältere Generation der »Sozialdemokraten« als passiv, dagegen die Minderheit der jungen Generation der »Sozialisten« als aktiv beschrieben. Die meisten Ängste vor einer Unterwanderung des Staates wurden als Angst vor einer Unterwanderung des öffentlichen Dienstes thematisiert. Hierbei war man sich zwar sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster darüber einig, dass Feinde der Demokratie keinen Zugang zum öffentlichen Dienst haben dürften, jedoch war man sich darüber uneinig, wer als Feind der

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Demokratie zu gelten habe und mit welchen Methoden man die Bewerber auf eine Stelle im öffentlichen Dienst überprüfen dürfe. Im linken Wahrnehmungsmuster wandelte sich die Gefahrenwahrnehmung dahingehend, dass man in Kauf nahm, dass ein kleiner Teil potenzieller Verfassungsfeinde Zugang zum öffentlichen Dienst bekomme, wenn damit Tendenzen hin zu einem Überwachungsstaat und zur Verunsicherung der Jugend gestoppt werden können. Im konservativen Wahrnehmungsmuster hielt man dagegen an einer strengen Überprüfung der Bewerber fest und sah in dieser Methode keine Gefahr für einen Überwachungsstaat. Allen Ängsten vor einem »Marsch durch die Institutionen« war gemeinsam, dass in diesem Marsch eine neue Methode von ehemaligen Vertretern der Studentenbewegung gesehen wurde, die die Demokratie zerstören wolle. Allerdings sei die Methode effektiver und gefährlicher als die einer revolutionären Massenbewegung, da diese im Gegensatz zu einer Demonstration auf offener Straße nicht so offensichtlich sei und die Vorgänge an Universitäten, innerhalb der Regierungsparteien und im öffentlichen Dienst nur schwer überschaubar und einschätzbar seien. In den 1980er Jahren wiederholten sich die Ängste vor aktiven Gegnern der Demokratie und passiven Verteidigern in den Ängsten vor einer Unregierbarkeit, einer Unterwanderung der neuen sozialen Bewegungen und in den Ängsten vor den Grünen. Mit dem Ministerpräsidentenbeschluss von 1972 entwickelten sich im linken Wahrnehmungsmuster die Ängste vor einem Überwachungsstaat. Letztlich nahmen diese derart zu, dass diese Ängste selbst von denen artikuliert wurden, die vorher bedenkenlos dem Ministerpräsidentenbeschluss zugestimmt hatten. Somit verliefen die Grenzen zwischen dem konservativen und dem linken Wahrnehmungsmuster dahingehend, ob man in der bedingungslosen Überprüfung aller Bewerber für den öffentlichen Dienst einen Schutz oder eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie sah. Mit dem zunehmenden Terrorismus und den damit verbundenen Abwehrmaßnahmen, vor allem mit dem Bekanntwerden der »Traube-Affäre« und der »Stammheimer-Lauschaffäre«, verstärkten sich die Ängste vor einem Überwachungsstaat im linken Wahrnehmungsmuster. Die technischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung und Datenspeicherung sowie deren Verwendung bei der Verfolgung und Fahndung nach Terroristen schienen die Vision von George Orwell Wirklichkeit werden zu lassen bzw. übertrafen diese sogar. Im linken Wahrnehmungsmuster wurde zwar eingestanden, dass ein Überwachungsstaat derzeit nicht bestehe, allerdings wurden verschiedene Maßnahmen der elektronischen Datenverarbeitung und Terrorismusbekämpfung als kleine Schritte zu diesem empfunden. Als ein weiterer kleiner Schritt zum »gläsernen Bürger« in einem Überwachungsstaat nach der Vision Orwells wurde deshalb auch die geplante Volkszählung 1983 empfunden, die aufgrund der technischen Weiterentwicklung als nicht ver-

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gleichbar mit vorherigen Volkszählungen schien. Im Widerstand gegen die Volkszählung 1983 lassen sich sämtliche auch schon vorher artikulierten Ängste vor einem Überwachungsstaat erkennen, was ein Grund dafür sein könnte, dass innerhalb kürzester Zeit eine starke Volkszählungsboykottbewegung entstehen konnte. Außerdem wurden viele Ängste durch den Regierungswechsel von 1982 noch verstärkt, vor allem durch den Wechsel im Innenressort von Gerhart Baum zu Friedrich Zimmermann. So wurde befürchtet, dass die verfassungsmäßige Trennung von Polizei und Verfassungsschutz durch die elektronische Datenverarbeitung aufgehoben werde und im Falle von nachdemokratischen Strukturen eine neue Gestapo entstehen könne. Auch hier zeigte sich wieder, dass bei den Zeitgenossen das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der bundesdeutschen Demokratie nicht sehr ausgeprägt war und deshalb die Möglichkeit einer diktatorischen Herrschaft, die sich der zu Zeiten der Demokratie entstandenen Datenbestände bedienen könnte, durchaus plausibel erschien. Außerdem verwies man im linken Wahrnehmungsmuster immer wieder darauf, dass die Möglichkeiten der Verfolgung und Überwachung politischer Gegner denen zur Zeit des Nationalsozialismus weit überlegen seien und die Folgen deshalb katastrophaler wären. Im konservativen Wahrnehmungsmuster sah man keine Gefahr durch die Volkszählung, sondern durch eine kleine Minderheit, die die Volkszählung und den damit verbundenen Volkszählungsprotest zum Kampf gegen die demokratische Ordnung einsetzen würde. Allerdings übernahmen immer mehr Menschen die Gefahrenwahrnehmung des linken Wahrnehmungsmusters. Die Gründe dafür könnten gewesen sein, dass die Volkszählung sämtliche Bundesbürger betraf und nicht nur einen kleinen Teil derer, die beispielsweise eine Anstellung im öffentlichen Dienst anstrebten oder die als Sympathisanten des Terrorismus galten. Somit wurden auch erstmals alle Bundesbürger mit den vielseitigen Möglichkeiten und damit verbundenen Gefahren des technischen Fortschritts konfrontiert, indem klar wurde, dass beispielsweise eine De-Anonymisierung des Volkszählungsbogens ohne größere Schwierigkeiten möglich war, weshalb viele latente Ängste oder eine vorhandene Technikskepsis zu akuten Ängsten vor einem Überwachungsstaat wurden. Deshalb wurde das Volkszählungsurteil, das ein Grundrecht auf »informationelle Selbstbestimmung« festlegte, mehrheitlich sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster begrüßt. Verwunderlich ist, dass im Bedrohungsszenario des anonymen Machtapparats die Ängste vor den ehemaligen nationalsozialistischen Eliten, die nach 1945 in wichtige Staats- und Wirtschaftspositionen der Bundesrepublik integriert wurden, nahezu marginal waren. Diese Beobachtung lässt sich aus dem »historischen Kompromiss« und dem »antitotalitären Konsens« der Bundesrepublik erklären, die Dominik Rigoll in seiner Untersuchung belegte. Rigoll zeigte einerseits auf, dass viele Zeitgenossen der 1950er vermuteten, »dass die von den

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ehemaligen NS-Funktionseliten ausgehende Gefahr am besten dadurch zu bannen sei, dass man sie stillschweigend mit Bezügen und Pensionen ausstattete, anstatt sie mit lautstarken Fragen nach ihrem Karriereverlauf zurück in die Arme antidemokratischer Parteien zu treiben.«1225 Andererseits erklärt sich diese Beobachtung auch durch den von Rigoll konstatierten »antitotalitären Konsens«: »Ein wichtiges Mittel zur Stabilisierung des historischen Kompromisses und der aus ihm resultierenden Diskussionsverbote war der so genannte antitotalitäre Konsens, mithin also die seit dem Heraufziehen des Kalten Krieges über fast alle Parteigrenzen hinweg propagierte Ansicht, die Hauptgefahr für das Land gehe von kommunistischen und neonazistischen Gruppierungen aus, während das Mitläufertum und politische Versagen der reinkorporierten Beamten, Richter und Offiziere sicherheitspolitisch und disziplinarrechtlich gesprochen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen sollte.«1226 Rigoll stellte außerdem fest, dass der historische Kompromiss der frühen 1950er Jahre auch nur in Ausnahmefällen in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren durch die Nennung ehemaliger NS-Eliten in Frage gestellt wurde.1227

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Ängste vor einem Scheitern der Bundesrepublik durch einen Krieg wurden im Untersuchungszeitraum verstärkt in drei Phasen thematisiert. Die erste Phase bildeten die Jahre 1965 bis 1968, die zweite Phase die Jahre 1970 – 1972 und die dritte Phase die Jahre von 1979 bis 1984. In der dritten Phase wurden Kriegsängste aber deutlich häufiger thematisiert als in den anderen beiden Phasen, wobei die Höhepunkte die Jahre 1983 (129 Artikel) und 1981 (106 Artikel) bildeten. Somit begründet auch die quantitative Analyse, dass der bisherige Forschungsschwerpunkt anderer Historiker folgerichtig auf den Kriegsängsten der späten 1970er und frühen 1980er Jahre lag, die durch den NATO-Doppelbeschluss ausgelöst wurden. Da die Forschung zu den durch den NATO-Doppelbeschluss ausgelösten Kriegsängsten nicht defizitär, sondern bereits umfangreich ist, sollen hier nur marginal einige der für diese Arbeit relevanten Forschungsergebnisse wiedergeben werden. So bilanzieren Philipp Gassert, Tim Geiger und Hermann Wentker, dass die Gegner des Doppelbeschlusses in zum Teil hysterischen Untergangsszenarien das Ende der Demokratie kommen sahen.1228 Dabei zeigten sich in den Auseinandersetzungen um die Raketensta1225 1226 1227 1228

Rigoll: Staatsschutz, S. 460. Rigoll: Staatsschutz, S. 462. Vgl. Rigoll: Staatsschutz, S. 468. Vgl. Gassert; Geiger ; Wentker : Einleitende Überlegungen, S. 8 f.

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tionierung einerseits »die individuellen bzw. kollektiven Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, die nun das Handeln und politische Standpunkte beeinflussten«, aber andererseits auch »die Erinnerung, wie quälend langsam sich der Widerstand der Demokratien gegen Hitler und Mussolini in den 1930er Jahren formiert hatte.«1229 Die unterschiedlichen Erfahrungen aus der nationalsozialistischen Vergangenheit und die daraus zu ziehenden Schlüsse spielten in der Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss also ebenfalls eine beachtliche Rolle.1230 Vergleiche zur deutschen Geschichte von 1918 bis 1945 wurden dabei sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster gezogen.1231 Gassert, Geiger und Wentker werfen außerdem die Frage auf, ob sich die »Schärfe des deutschen Streits aus der Unsicherheit über die Verankerung der Demokratie in der Bundesrepublik« erklären lasse.1232 Diese Unsicherheit ließ sich auch bei den anderen untersuchten Untergangsszenarien der bundesdeutschen Demokratie konstatieren. In dem folgenden Kapitel wird sich angesichts der hier nur beispielhaft aufgezeigten guten Forschungslandschaft zum NATO-Doppelbeschluss auf die Phase von 1970 bis 1972 konzentriert, indem aufgezeigt wird, wie die Ostpolitik Brandts im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem Krieg provozierte, wodurch deutlich werden soll, dass sich die »sicherheitspolitische Diskussion« eben nur teilweise vom Ende der 1960er Jahre bis 1979 im »Dornröschenschlaf« befand.1233

3.4.1 Willy Brandts Ostpolitik als Auftakt zu einem neuen Krieg Auch schon vor dem Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition existierten die Ängste vor einem möglichen Krieg durch eine zu einseitige Entspannungspolitik in der Ostpolitik, weshalb exemplarisch auf diese Ängste eingegangen wird. Im Februar 1969 warnte der CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Kliesing davor, dass auch schon vor dem sowjetischen Einmarsch in Prag 1968 ersichtlich war, dass sich die sowjetische Politik nicht geändert habe und betonte deshalb, dass die Sowjetunion zwar einen weltweiten atomaren Krieg mit den USA vermeiden werde, dass es aber von der Glaubwürdigkeit des westlichen 1229 1230 1231 1232 1233

Gassert; Geiger ; Wentker : Einleitende Überlegungen, S. 10. Vgl. beispielhaft Gassert: Lärm, S. 197 und S. 200. Vgl. beispielhaft Michel: »richtige« Angst, S. 263 f. und S. 262. Gassert; Geiger ; Wentker : Einleitende Überlegungen, S. 28. Gassert: Lärm, S. 192. Gassert zieht ebenfalls Parallelen zwischen den Kriegsängsten der Frühgeschichte der Bundesrepublik, den Kontroversen um die Ostpolitik und den Kriegsängsten der 1970er und 1980er Jahre: Vgl. Gassert: Lärm, S 201.

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Bündnisses abhänge, ob Europa in den folgenden Jahren einen Krieg erlebe oder nicht.1234 Kliesing bezog sich auch auf den Beginn des Zweiten Weltkrieges, indem er daran erinnerte, dass Hitler diesen Krieg begann, weil er der irrtümlichen Überzeugung war, dass die westlichen Demokratien krank und dekadent seien, und appellierte deshalb daran, dass die aktuelle westliche Politik ähnliche Irrtümer bei den Verantwortlichen im Kreml verhindern solle. Kliesing warnte außerdem davor, »daß sich eine Politik der ›Wandelung durch Annäherung‹ als Illusion erwiesen hat und daß eine Entspannungspolitik mit einseitigen Vorleistungen lebensgefährlich werden könnte.«1235 Kiesling warnte vor der Möglichkeit, dass man einen Krieg auch dadurch verhindern könne, dass man eine derartige Politik betreibe, die so »miserabel und unglaubwürdig ist«, dass sie dem Gegner auch ohne militärische Aktionen die Verwirklichung seiner Ziele ermögliche.1236 Kliesings Aussagen enthalten viele Ängste, die im konservativen Wahrnehmungsmuster anhand von Willy Brandts Ostpolitik aufkamen. Im Bundestagswahlkampf 1969 kritisierte Rudolf Augstein, dass Teile der Union und andere Akteure des konservativen Wahrnehmungsmusters in alte Muster zurückfallen würden und wie zu Zeiten von Konrad Adenauer Kriegsängste im Falle eines Wahlsieges der SPD schürten.1237 Ein Wahlkampflied der CDU vermittelte den Eindruck, dass der Frieden in der Bundesrepublik nur bei einer erneuten Kanzlerschaft von Kurt Georg Kiesinger und nicht bei einer Kanzlerschaft Willy Brandts gesichert sei.1238 Für den »Spiegel« zeigte sich im Bundestagswahlkampf »jenes bewährte Rezept […], mit dem die CDU/CSU bisher noch jede Wahl gewann: Spiel mit der Russenangst des Wahlvolks und Verdächtigung der Sozialdemokraten als ostpolitische Träumer.«1239 Nach der Bundestagswahl 1969 vermutete der »Spiegel«, dass es der Union zunehmend schwerer falle, sich innenpolitisch zu artikulieren und dass deshalb die Gefahr bestehe, dass die »Union in einen scharfen Rechtsdrall« treibe, indem sie die Regierung Brandt als »die national Unzuverlässigen [hinstelle], die der Roten Armee den Weg an den Rhein ebnen.«1240 Brandts Ostpolitik löste erwartungsgemäß heftige Debatten zwischen dem 1234 Vgl. Georg Kliesing: Die Bundesrepublik und unsere Sicherheit (5). Moskau, wir und die NATO. Friedenspolitik durch Festigung unseres Bündnisses; in: Rheinischer Merkur Nr. 8/1969 vom 21. 2. 1969, S. 4 f.; hier: S. 4. 1235 Kliesing: Die Bundesrepublik und unsere Sicherheit, S. 5. 1236 Vgl. Kliesing: Die Bundesrepublik und unsere Sicherheit, S. 5. 1237 Vgl. Rudolf Augstein: Wahlen (XII): Die Russen kommen; in: Der Spiegel Nr. 35/1969 vom 25. 8. 1969, S. 16. 1238 Vgl. nach: »Wieder soll es Kiesi sein…«. Wahlkampfschlager für die CDU; in: Der Spiegel Nr. 35/1969 vom 25. 8. 1969, S. 47. 1239 Leute des Volkes; in: Der Spiegel Nr. 35/1969 vom 25. 8. 1969, S. 21 f.; hier : S. 21. 1240 »Das ist der moralische Ausverkauf.« Spiegel-Interview mit dem CDU-Reformer Dr. Manfred Wörner ; in: Der Spiegel Nr. 42/1969 vom 13. 10. 1969, S. 38 – 41; hier : S. 41.

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linken und dem konservativen Wahrnehmungsmuster aus. Neben den Befürchtungen, dass die Bundesrepublik beispielsweise durch die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze wichtige deutsche Positionen aufgebe, artikulierte man im konservativen Wahrnehmungsmuster auch die Befürchtung, dass sich die Bundesrepublik »der lebensgefährlichen ›Schutzherrschaft‹ Moskaus anvertrauen und das Prager Schicksal erleiden« könne.1241 Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel bestätigte in einem »Spiegel«-Interview ebenfalls die Äußerung, dass die sozialliberale Bundesregierung dabei sei, »die Schwelle zu überschreiten, die vom kalkulierbaren Risiko in die Ungewißheit des Abenteuers« führe, worauf der »Spiegel« entgegnete, dass die Gegenleistung für die Ostverträge »nach dem Westausgleich nun auch ein gesicherter Frieden zwischen der Bundesrepublik und Osteuropa« sei.1242 Barzel bezeichnete die Artikel 53 und 107 der UNO-Charta, die sogenannte »Feindstaatenklausel«, die besagte, dass Zwangsmaßnahmen auch ohne die Zustimmung des Sicherheitsrates der UNO für die Länder ergriffen werden können, die während des Zweiten Weltkrieges Feinde eines Unterzeichnerstaates der UNO-Charta gewesen sind, als »Gewaltvorbehalt«, weshalb er ein Gewaltverzichtsabkommen mit der Sowjetunion zwar nicht per se ablehnte, aber verlangte, dass dieses Abkommen auch den Gewaltvorbehalt der Sowjetunion beseitige.1243 Barzel konnten auch die Einwände des »Spiegels« nicht beruhigen, dass der zweite Artikel der UNOCharta die Mitglieder zum Gewaltverzicht auffordere, da sowohl die Tschechoslowakei als auch die Sowjetunion Mitgliedsstaaten der UNO seien und bekannt sei, »was der Tschechoslowakei passiert ist.«1244 In dem Interview mit Rainer Barzel wurden die zwei wichtigsten Bezugspunkte in der Auseinandersetzung um die Ostpolitik deutlich. Neben der damals noch unmittelbar zurückliegenden gewaltsamen Niederschlagung des »Prager Frühlings« 1968 durch die Sowjetunion bezog man sich im konservativen Wahrnehmungsmuster häufig auf den Beginn des Zweiten Weltkrieges oder auf die nationalsozialistische Machtergreifung, um die Gefahr der Ostverträge zu verdeutlichen. Der »Spiegel« berichtete im April 1970 davon, dass Franz Josef Strauß behauptete, die Sozialdemokraten biederten sich der Sowjetunion an und dass Strauß »den SPDBundeskanzler Brandt mit Briten-Premier Neville Chamberlain [verglichen hätte], dessen Appeasement-Politik gegenüber Hitler zum Ausbruch des Zwei-

1241 Paul Wilhelm Wenger : Die kalte sowjetische Realität. Der Kreml verlangt förmliche Grenzgarantien; in: Rheinischer Merkur Nr. 7/1970 vom 13. 2. 1970, S. 1. 1242 »Eine Grenze unter der Perspektive der Raumfahrt.« Spiegel-Gespräch mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Rainer Barzel; in: Der Spiegel Nr. 19/1970 vom 4. 5. 1970, S. 36 – 49; hier: S. 41. 1243 Vgl. »Eine Grenze unter der Perspektive der Raumfahrt«, S. 44. 1244 »Eine Grenze unter der Perspektive der Raumfahrt«, S. 44.

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ten Weltkriegs beigetragen hatte«.1245 Im Juni 1970 zitierte der »Spiegel« Strauß’ Vergleich zwischen dem geplanten Gewaltverzichtsabkommen der Bundesrepublik mit der Sowjetunion und dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939: »Es ist gespenstisch, daß auch im Hitler-Stalin-Pakt beide Seiten erklärt hatten, sie handeln so in Verantwortung für den Frieden.«1246 H. J. G. Schwefer beschrieb in einem zeitgeschichtlichen Rückblick, in dem er zuvor ironisch betonte, dass »[j] ede etwa bemerkte Ähnlichkeit mit gegenwärtigen Verhältnissen« zufällig sei, dass die Sowjetunion durch den Hitler-Stalin-Pakt etliche Verträge mit anderen Ländern gebrochen und nahezu ihre gesamte Westgrenze durch die Androhung von Gewalt dahingehend verändert habe, dass Litauen, Lettland und Estland als selbstständige Staaten aufhörten zu existieren und andere Länder Teile ihres Gebietes verloren.1247 Otto B. Roegele erinnerte die euphorische Stimmung nach den Verhandlungen mit der Sowjetunion »in erschreckenderweise an die Tage von München im Herbst 1938, als die westlichen Demokraten darüber jubelten, dass der Gewaltherr Hitler ihre Kapitulation gnädigst entgegenzunehmen geruht hatte. Auch Hitler erklärte ja, von nun an keine territorialen Forderungen mehr zu erheben. Auch er versprach Entspannung (nachdem er die Spannung erzeugt hatte).«1248 Roegele konstatierte aber dennoch Unterschiede zu 1938, indem er den Zeitgenossen wohlwollend zugestand, dass damals tatsächlich ein Krieg in Europa unmittelbar bevorstand und dass ihnen im Gegensatz zu den Zeitgenossen 1970 die Erfahrung fehlte, dass sich totalitäre Herrscher durch »ein ›München‹ weniger gebunden als ermutig zu fühlen pflegen.«1249 Axel Springer äußerte seine Ängste im »Daily Telegraph« und bezog sich dabei ebenfalls auf die Appeasement-Politik der 1930er Jahre: »In der ganzen westlichen Welt scheinen die Leute blind zu sein für die Gefahren, wie ihre Eltern vor mehr als dreißig Jahren blind gewesen sind. Überall sehe ich nur Appeaser.«1250 Springer fragte deshalb, wo denn heute ein Churchill sei, der in der Lage wäre, zu warnen und das Schicksal zu wenden.1251 Der von Franz Josef Strauß herausgegebene »Bayernkurier« kritisierte die Bemühungen einiger Teile der deutschen Presse, den Bürgern einzureden, dass man sich nicht vor der Sowjetunion zu fürchten brauche, und zog dabei ebenfalls Parallelen zu Adolf Hitler : »Diese Verharmlosung Hitlers durch einige westeu1245 Stil der fünfziger; in: Der Spiegel Nr. 16/1970 vom 13. 4. 1970, S. 31 f.; hier : S. 32. 1246 Zit. nach: Zitat; in: Der Spiegel Nr. 25/1970 vom 15. 6. 1970, S. 21. 1247 Vgl. H. J. G. Schwefer : Sowjetische Vertragstreue. Zeitgeschichtlicher Rückblick aus aktuellem Anlaß; in: Rheinischer Merkur Nr. 33/1970 vom 14. 8. 1970, S. 3. 1248 Otto B. Roegele: Provozierter »Geheimnisverrat.« Bonns Euphorie gründet auf NichtInformation; in: Rheinischer Merkur Nr. 34/1970 vom 21. 8. 1970, S. 2. 1249 Roegele: Provozierter »Geheimnisverrat«. 1250 Zit. nach: Rudolf Augstein: Der unnützliche Idiot; in: Der Spiegel Nr. 14/1972 vom 27. 3. 1972, S. 22. 1251 Vgl. nach: Augstein: Der unnützliche Idiot.

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ropäische Politiker und Journalisten vor und nach der nazistischen Machtergreifung 1933.«1252 Der ehemalige Bundesvorsitzende der FDP Erich Mende (1960 – 1968), der aufgrund der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition im Jahr 1970 zur CDU wechselte, zog ebenfalls Parallelen zwischen den Ostverträgen und Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933: »Es gibt Leute, die da sagen, die verhängnisvolle Entscheidung war die Ermächtigungsgesetzabstimmung vom März 33. Da ging es abwärts … und Auschwitz war nur der schreckliche Endpunkt unter eine im März 33 eingeleitete Entwicklung. Und es gibt auch heute Leute – und zu denen gehöre ich – ,die da sagen, der Moskauer Vertrag ist ein neues Ermächtigungsgesetz, das möglicherweise den Russen die Möglichkeit gibt, ganz Berlin und ganz Deutschland – unter welchen Vorwänden auch immer – eines Tages einzubeziehen in ihren Machtbereich.«1253 Im konservativen Wahrnehmungsmuster zog man auch Vergleiche zur Zeit vor 1933. Der frühere Kanzleramts-Staatssekretär Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CSU) warnte vor dem SPD-Vorschlag, durch Neuwahlen in der Bevölkerung über die Ostpolitik abstimmen zu lassen, da Streitigkeiten in der Bevölkerung über elementare Fragen des deutschen Volkes schon die Weimarer Demokratie zerstört hätten und eine Abstimmung über die Ostpolitik ein Weg zurück nach Weimar bedeuten könne.1254 In den meisten historischen Bezügen wurde deutlich, dass man im konservativen Wahrnehmungsmuster die Kriegsgefahr in der Aggression der Sowjetunion sah. Häufig wurde der sozialliberalen Koalition unterstellt, diese Gefahr falsch einzuschätzen und durch eine illusionäre Politik zu verkennen, dass der Vertrag mit Moskau »als Vorreiter der Büchsenöffner« sei, so Strauß, »mit dem die Pandorabüchse, die Büchse des Unheils, geöffnet werden soll«1255 oder dass »[h]inter den Ostverträgen […] der Dämon des Krieges« lauere.1256 Verantwortlich für die Kriegsängste des konservativen Wahrnehmungsmusters waren auch die enormen Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion und die dadurch vermutete militärische Überlegenheit der Sowjetunion gegenüber der NATO. Otto B. Roegele hielt die Wahrscheinlichkeit eines sowjetischen Angriffskrieges in Europa, beispielsweise zur Vorbeugung eines Zweifrontenkrieges während eines Militärkonfliktes zwischen China und der Sowjetunion, für nicht so un1252 Zit. nach: »Kapitulation in Raten.« Das CSU-Organ »Bayernkurier« über Brandts Ostpolitik; in: Der Spiegel Nr. 34/1970 vom 17. 8. 1970, S. 14. 1253 Zit. nach: Zitate; in: Der Spiegel Nr. 52/1971 vom 20. 12. 1971, S. 19. 1254 Vgl. »Kommunisten sind immer Reaktionäre.« Spiegel-Gespräch mit dem früheren Kanzleramts-Staatssekretär Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CSU); in: Der Spiegel Nr. 25/1970 vom 15. 6. 1970, S. 29 – 32; hier : S. 32. 1255 Zit. nach: »Kapitulation in Raten«. 1256 Zit. nach: »Dann wird aufgeblättert, es wird mörderisch«; in: Der Spiegel Nr. 18/1972 vom 24. 4. 1972, S. 21 – 34; hier: S. 21.

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wahrscheinlich, wie viele Akteure des linken Wahrnehmungsmusters es hinstellten.1257 Roegele verwies weiterhin darauf, dass Panzer keine Defensivwaffen seien und dass ein Durchmarsch bis zum Atlantik technisch zumindest möglich sei. Zwar bescheinigte Roegele der derzeitigen Kreml-Regierung, dass diese keine Kriegsabsichten hege, für die Politiker des Westens sei »es aber wichtiger, daß derartige Absichten sich verwirklichen ließen, falls man sich dazu entschlösse.«1258 Theo M. Loch kritisierte im Februar 1972, dass im linken Wahrnehmungsmuster die »Gefahr einer Aggression als Märchen aus den Zeiten des kalten Krieges dargestellt« werde und verurteilte diese Verharmlosung als primitiv, da die Aggression nur eine Variante der Machtpolitik sei und auch militärisches Übergewicht diese Machtpolitik verwirkliche.1259 Paul Wilhelm Wenger zeigte sich darüber entsetzt, dass der sowjetische Deutschlandexperte Valentin Bereschkow im Falle einer Nicht-Ratifizierung der Ostverträge mit der Möglichkeit eines »heißen Krieges« gedroht habe.1260 Doch auch ein Friedensvertrag mit der Sowjetunion galt im konservativen Wahrnehmungsmuster aufgrund der historischen Erfahrungen nicht als Garantie für den Frieden, da die Sowjetunion in der Vergangenheit etliche Freundschafts- und Nichtangriffsverträge gebrochen habe. Der Landtagsabgeordnete Bernd Petermann konstatierte angesichts seiner Berichterstattung über die verschiedenen Vertragsbrüche in der Vergangenheit der Sowjetunion, dass ein Vertrag für die Sowjetunion nur einer von verschiedenen Mitteln des ideologischen Kampfes sei und dass dieser automatisch als unverbindlich erachtet werde, sobald er der Zielsetzung des MarxismusLeninismus im Wege stehe.1261 Da die Sowjetunion im konservativen Wahrnehmungsmuster meist als vertragsbrüchig galt, wurde jede Art von Entspannungspolitik automatisch als gefährlich erachtet. Anton Böhm fragte in einem Rückblick auf das Jahr 1971, ob die Ziele der sozialliberalen Koalition wie Entspannung, europäische Friedensordnung, Ausgleich und Versöhnung mit dem Osten nicht dazu führten, dass von »Deutschland die Zerstörung einer Ordnung ausgehen [werde], die immerhin bisher den dritten Weltkrieg verhindert und Freiheit wie Wohlstand gesichert hat?«1262 Als maßgeblichen Grund, warum der dritte Weltkrieg bisher 1257 Vgl. Otto B. Roegele: Das Ungleichgewicht nimmt zu. Sowjetrüstung im Blick auf die Sicherheitskonferenz; in: Rheinischer Merkur Nr. 37/1971 vom 10. 9. 1971, S. 1. 1258 Roegele: Das Ungleichgewicht nimmt zu. 1259 Theo M. Loch: Zerreißprobe im gefährdeten Staat. Zur Bundestagsdebatte über die Ostverträge; in: Rheinischer Merkur Nr. 8/1972 vom 25. 2. 1972, S. 1. 1260 Vgl. Paul Wilhelm Wenger : Der Moskauvertrag – ein Drohpakt. Der Kreml verstärkt den Ratifizierungsdruck; in: Rheinischer Merkur Nr. 10/1972 vom 10. 3. 1972, S. 1. 1261 Vgl. Bernd Petermann: Wenn Moskau »Vertrag« sagt. Dialektik einer Diplomatie gegen die Freiheit; in: Rheinischer Merkur Nr. 39/1971 vom 24. 9. 1971, S. 24. 1262 Anton Böhm: Die Geister scheiden sich. Politische Zwischenbilanz zur Jahreswende; in: Rheinischer Merkur Nr. 53/1971 vom 31. 12. 1971, S. 1 f.; hier : S. 1.

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verhindert werden konnte, galt auch die Existenz von Atomwaffen.1263 Nachdem Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973, in dem Ägypten und Syrien Israel angriffen, konstatierte Herwig Gückelhorn, dass auch kleine Kriege ein Land verwüsten und zerstören könnten, bevor die Weltmächte diese Kriege eindämmten.1264 Für die Bundesrepublik Deutschland sei diese Situation angesichts ihrer geografischen Lage besonders gefährlich. Gückelhorn mahnte deshalb angesichts der Entspannungspolitik: »Eine angebliche Politik der Stärke ist zeitgemäß verketzert worden. Doch eine Politik der Schwäche bietet nicht Lösungen, sondern Einladungen. Vertrauen auf Vernunft und guten Willen reicht nicht aus. Der Westen und die Bundesrepublik müssen eines lernen: die Politik der Selbsterhaltung.«1265 Auch die im Rahmen der Entspannungspolitik durchgeführten Sicherheitskonferenzen und Abrüstungsverhandlungen weckten im konservativen Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem möglichen Krieg. Der Gründer der Paneuropa-Bewegung Richard von Coudenhove-Kalergi äußerte die Ängste, dass die Sowjetunion ein Paneuropa beherrschen wolle und dass ihr die geplante europäische Sicherheitskonferenz dazu verhelfen solle, den Warschauer Pakt bis zum Atlantischen Ozean zu erweitern.1266 Deshalb konstatierte er, dass die europäische Sicherheitskonferenz ohne die Teilnahme der USA »eine Bombe gegen die NATO und ein Auftakt zum dritten Weltkrieg« sei.1267 Die Journalistin Isolde Pietsch warnte im Juni 1972 angesichts möglicher Abrüstungsgespräche davor, dass die Sowjetunion schneller Soldaten aus der DDR heranziehen könne als die Vereinigten Staaten aus den USA und dass es Fachleute im NATO-Bündnis gebe, die die Ansicht vertreten, dass ein konventioneller Krieg durch die Festlegung der Offensivwaffen auf die aktuellen Zahlen und durch die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme wieder leichter möglich sei.1268 Eine weitere Kriegsgefahr durch die Ostpolitik sah man im konservativen Wahrnehmungsmuster dadurch, dass die Bindungen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland geschwächt würden und dass die Sowjetunion 1263 Vgl. beispielhaft Willi Schickling: Fördert die Friedensforschung den Frieden? Intellektueller Eiertanz auf dem Vulkan der Weltpolitik; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1972 vom 28. 4. 1972, S. 32. 1264 Vgl. Herwig Gückelhorn: Entspannung nur ein Tarnwort. Krisen werden zugedeckt, aber nicht beseitigt; in: Rheinischer Merkur Nr. 43/1973 vom 26. 10. 1973, S. 1. 1265 Gückelhorn: Entspannung nur ein Tarnwort. 1266 Vgl. Richard von Coudenhove-Kalergi: Europa in Gefahr. Die Sowjetunion will Paneuropa nicht mehr verhindern, sondern beherrschen; in: Rheinischer Merkur Nr. 22/1970 vom 29. 5. 1970, S. 16. 1267 Coudenhove-Kalergi: Europa in Gefahr. 1268 Vgl. Isolde Pietsch: Hat sich die Allianz zuviel zugetraut? Der schwierige Balanceakt der NATO zwischen Verteidigung und Entspannung; in: Rheinischer Merkur Nr. 23/1972 vom 9. 6. 1972, S. 10.

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durch die Bundesrepublik Zugang zu westlichen Technologien bekomme. Das amerikanische Kongress-Mitglied John G. Schmitz versuchte diese Folgen aufzuzeigen und fragte, ob die USA Deutschland verteidigen werden, wenn das Risiko bestehe, dass die USA einen allgemeinen Krieg verlieren könnten.1269 Schmitz appellierte deshalb: »Niemals war die Einheit des Westens notwendiger als jetzt. Nie war westliche Stärke notwendiger. Niemals gab es einen sichereren Weg, beides zu untergraben als ›Ostpolitik‹.«1270 Die Ostpolitik als Garant des Friedens Im linken Wahrnehmungsmuster sah man die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition nicht als eine Gefährdung, sondern als eine Garantie des Friedens an. In einem »Spiegel«-Interview vom Juni 1970 versuchte Willy Brandt die Ängste vor einer Kapitulation der Bundesrepublik vor dem Kommunismus zu beseitigen und äußerte die Hoffnung, dass die CDU mit dieser Propaganda erfolglos bleibe, da diese Ängste unbegründet seien.1271 Brandt versicherte außerdem, dass die sozialliberale Koalition weder das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes aufgeben noch die Spaltung Deutschlands völkerrechtlich anerkennen werde und bekannte, dass die Regierung »die Freiheit und Sicherheit der Bundesrepublik nicht gefährden, sondern verstärken« werde.1272 Der »Spiegel« kritisierte in einem Interview mit Rainer Barzel, dass Franz Josef Strauß angesichts der Ostpolitik zur Gründung der bereits erwähnten »Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes« aufgerufen habe und fragte, ob es der CDU nicht einen Teil der Geschäftsgrundlage entziehe, wenn die Ostpolitik den prinzipiellen Anti-Kommunismus in der bundesdeutschen Bevölkerung abbaue.1273 Der »Spiegel« führte seine Argumentation weiter aus und konstatierte, dass »die Furcht vor den Bolschewisten […] doch immer ein wichtiges Instrument der westdeutschen CDU-Nachkriegspolitik gegen die SPD« gewesen sei und »dieses Instrument könnte nun allmählich unbrauchbar werden«.1274 Der »Spiegel« wollte eine Kontinuität im Wahlkampfstil der Union belegen und verwies darauf, dass die Union 1957 mit dem Ungarn-Aufstand und 1953 mit dem Slogan »Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau« die Bundestags1269 Vgl. John G. Schmitz: Warnung an die Brückenbauer ; in: Rheinischer Merkur Nr. 9/1971 vom 26. 6. 1971, S. 10. 1270 Schmitz: Warnung an die Brückenbauer. 1271 Vgl. »Ich habe keine Angst vor Neuwahlen.« Spiegel-Interview mit Bundeskanzler Willy Brandt; in: Der Spiegel Nr. 26/1970 vom 22. 6. 1970, S. 26 f.; hier : S. 27. 1272 »Ich habe keine Angst vor Neuwahlen«, S. 27. 1273 Vgl. »Fundamental die Landschaft verändert.« Spiegel-Gespräch mit dem CDU/CSUFraktionsvorsitzenden Rainer Barzel; in: Der Spiegel Nr. 34/1970 vom 17. 8. 1970, S. 31 ff.; hier: S. 31 und S. 33. 1274 »Fundamental die Landschaft verändert«, S. 33.

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wahlen gewonnen habe, worauf Barzel den Wahlkampfslogan von 1953 als sehr guten Satz beurteilte.1275 Der »Spiegel« fragte weiterhin, ob die CDU nicht in Schwierigkeiten geraten werde, »wenn sie ihre Ohne-mich-Haltung in der Ostpolitik nicht aufgibt« und verwies darauf, dass der SPD die permanente Ablehnung von Adenauers Westintegration auch geschadet habe.1276 Vor der Bundestagswahl 1972 bezweifelte der Geschäftsführer des Bad Godesberger InfasInstituts Klaus Liepelt, dass die Angst vor dem Kommunismus in der Bevölkerung weitgehend geschwunden sei.1277 Der »Spiegel« entgegnete deshalb: »Die Ostpolitik der Koalitionsregierung, von der Strauß und der CDU-Ideologe Werner Marx stets behauptet hatten, sie werde die Bundesrepublik zum Spielball der Sowjet-Hegemonie machen, entpuppte sich mithin als untaugliche Angstfigur und bewirkte geradezu das Gegenteil von dem, was die Panikmacher erhofft hatten. Denn der Buhmann, der jahrzehntelang herumgezeigt wird, verliert an Strahlkraft, wenn das angedrohte Übel immer wieder ausbleibt.«1278 Da man im linken Wahrnehmungsmuster die Ostpolitik als Maßnahme zur Friedenssicherung ansah, vermutete man im konservativen Wahrnehmungsmuster, dass Gegner der Ostpolitik als Kriegstreiber dargestellt werden sollen. Paul Wilhelm Wenger kritisierte im Januar 1972, dass die Wahlkampfstrategie der SPD im Landtagswahlwahlkampf in Baden-Württemberg »auf die Spaltung des Volkes in ein Lager linker Friedensfreunde und rechter Friedensgefährder« abziele, weshalb er auf den Gewaltverzicht von Konrad Adenauer aus dem Jahr 1954 verwies.1279 Auch Elimar Schubbe kritisierte, dass im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg SPD und FDP »mit einem wahrhaft gigantischen Aufwand an finanziellen und organisatorischen Mitteln eine Campagne [inszenierten], die in bestürzender Radikalität das Argument durch Aufpeitschen von Emotionen ersetzte und in unverantwortlicher Weise die Angst vor einem neuen Krieg zum Wahlhelfer machte.«1280 Außerdem wurde im »Rheinischen Merkur« über eine »Panorama«-Sendung in der ARD berichtet, in der Peter Merseburger den Atomkrieg als sowjetische Reaktion bei Nicht-Ratifizierung der Verträge an die Wand gemalt habe.1281

Vgl. »Fundamental die Landschaft verändert«, S. 33. »Fundamental die Landschaft verändert«, S. 33. Vgl. nach: »Die Union propagiert die Finsternis«, S. 46. »Die Union propagiert die Finsternis«, S. 46. Paul Wilhelm Wenger: Die roten Friedens-Legenden. Zur ostpolitischen Wahlkampfstrategie der SPD; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/1972 vom 28. 1. 1972, S. 1. 1280 Elimar Schubbe: Kraftprobe in Bonn. Der CDU-Wahlsieg veränderte die politische Landschaft; in: Rheinischer Merkur Nr. 17/1972 vom 28. 4. 1972, S. 1. 1281 Vgl. nach: G. Z.: Deutsche Selbstdarstellung; in: Rheinischer Merkur Nr. 16/1972 vom 21. 4. 1972, S. 3. 1275 1276 1277 1278 1279

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Das Verhältnis zwischen linkem und konservativem Wahrnehmungsmuster Das Verhältnis zur Ostpolitik war im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass man im konservativen Wahrnehmungsmuster eine Kriegsgefahr, im linken Wahrnehmungsmuster eine Art der Friedenssicherung sah. Die Grenzen zwischen beiden Wahrnehmungsmustern verliefen meistens zwischen Regierung und Opposition. Allerdings gab es auch im Lager der Opposition Befürworter der Ostpolitik und innerhalb der SPD und FDP Gegner der Ostpolitik, die diese als Kriegsgefahr wahrnahmen. Das CDU-Vorstandsmitglied Norbert Blüm bestärkte in einem »Spiegel«Interview seine Äußerung, dass Brandts Ostpolitik ein Beitrag zur Entspannung und Versöhnung sei und warnte vor Begriffen wie dem der zweiten Kapitulation und des Ausverkaufs, da diese Bezeichnungen implizierten, dass man die erste Kapitulation bedauere.1282 Blüm verwies darauf, dass diese Meinung auch von anderen in der CDU geteilt werde, sodass Blüm sich »nicht als einsamer Rufer« sehe und dass er durch sein öffentliches Bekenntnis zur Ostpolitik zum einen auch andere in seiner Partei zur Unterstützung dieser Politik bewegen wolle, zum anderen »in der Öffentlichkeit das Bild korrigieren [wolle], das die SPD als Friedensengel und die CDU als Kalte Krieger zeigt.«1283 Auch innerhalb der SPD gab es Gegner der Ostpolitik, die die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters teilten. Rudolf Heinrich Brandt empfand die Ostpolitik als »illusionäre Politik«, die alle historischen Erfahrungen mit Diktaturen ignoriere.1284 Die aggressiven Ziele der Sowjetunion würden ignoriert oder als Pflichtaufgabe der Propaganda abgetan, die enden würden, wenn die Ostpolitik die territoriale Unverletzbarkeit der unterzeichnenden Staaten bestätige. Rudolf Heinrich Brandt warnte aber davor, dass die Sowjetregierung grundsätzlich keinen Gewaltverzicht kenne: »Die Anwendung ›revolutionärer‹ Gewalt wird prinzipiell als zulässig und unter gewissen Voraussetzungen als unerläßlich bezeichnet. Die Anwendung militärischer Gewalt gilt als ›fortschrittlich‹, wenn sie der Erhaltung und Ausdehnung der kommunistischen Herrschaft dient.«1285 Die Auseinandersetzungen um die Ostpolitik führten auch dazu, dass Abgeordnete, die die Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters teilten, von der FDP oder der SPD zur Union wechselten. Neben dem bereits erwähnten ehemaligen FDP-Vorsitzenden Erich Mende wechselte bei-

1282 Vgl. »Ich bin kein einsamer Rufer.« Spiegel-Interview mit dem CDU-Vorstandsmitglied Norbert Blüm; in: Der Spiegel Nr. 32/1970 vom 3. 8. 1970, S. 28. 1283 »Ich bin kein einsamer Rufer«. 1284 Vgl. Rudolf Heinrich Brandt: Griff nach Europa. Eine Dokumentation von Rudolf H. Brandt über die sowjetische Politik nach dem Moskauer Vertrag (Teil 1); in: Rheinischer Merkur Nr. 10/1971 vom 5. 3. 1971, S. 10. 1285 Brandt: Griff nach Europa (Teil 1).

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spielsweise auch der SPD-Abgeordnete Klaus-Peter Schulz zur CDU. Diesen Wechsel kommentierte der »Spiegel« ironisch damit, dass Schulz damit der SPD einen größeren Gefallen als der CDU getan habe, »[d]enn weit bessere Dienste hatte Schulz den Christdemokraten als sozialdemokratischer Rechtsausleger geleistet«, weshalb auch viele SPD-Abgeordnete den Wechsel begrüßten.1286 Anhand dieser Aussage lassen sich allgemeinere Merkmale konstatieren, die auch in anderen Szenarien häufig auftraten. Zum einen bezog man sich im konservativen Wahrnehmungsmuster gern auf diejenigen, die dieselben Ängste teilten, aber einer anderen Partei angehörten, da deren Ängste die eigenen Ängste besonders legitimierten. Zum anderen fielen diejenigen, die sich entgegen ihrer Parteizugehörigkeit zu dem anderen Wahrnehmungsmuster positionierten, in der Vergangenheit oft schon dadurch auf, dass sie oft mit der »Mehrheitsmeinung« ihrer Partei in Konflikt geraten waren oder einem Kurswechsel ihrer Partei nicht folgen konnten. Die Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie führten also auch dazu, dass sich – überspitzt formuliert – diese »Abweichler« entsprechend ihres Wahrnehmungsmusters parteilich »ordneten«.

Zusammenhänge mit anderen Bedrohungsszenarien Neben den Ängsten vor einem Krieg auf deutschem Boden löste die Ostpolitik auch solche Ängste aus, dass die Sowjetunion ihre Ziele auch ohne einen tatsächlich stattfindenden Krieg erreichen könne und diese Zielsetzungen letztendlich das Ende der bundesdeutschen Demokratie bedeuten würden. Elimar Schubbe befürchtete, dass die sozialliberale Koalition durch die Anerkennung der DDR als eigenständige staatliche Ordnung »die freiheitlich-rechtsstaatliche und demokratische Verfassung der Gesellschaft als allein menschenwürdige Daseinsordnung für die deutsche Nation zur Disposition gestellt und den Abgrund zugedeckt [habe], der sie vom Totalitarismus trennt«, weshalb Diktatur und Freiheit auf die gleiche Ebene gestellt seien.1287 Freiherr von und zu Guttenberg appellierte in einer Bundestagsrede an die Lehren aus der deutschen Vergangenheit: »Die deutsche Demokratie ist schon einmal zugrunde gegangen, weil unter den Deutschen eine geistig-moralische Verwirrung angestiftet und die Grenze zwischen einem demokratischen Rechtsstaat und einem totalitären Verbrecherregime verwischt wurde. Es gibt leider Grund, davor zu warnen, daß diese Grenze erneut vernebelt werden könnte, und diesmal durch Demokra1286 Später oder so; in: Der Spiegel Nr. 43/1971 vom 18. 10. 1971, S. 31. 1287 Elimar Schubbe: Dokumente eines Kurswechsels. Brandts »Materialien zum Bericht zur Lage der Nation« in der Diskussion; in: Rheinischer Merkur Nr. 4/1970 vom 23. 1. 1970, S. 4.

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ten.«1288 Selbst noch in der Bundestagsdebatte über die Ostverträge im Februar 1972 äußerte die Opposition die Sorge, dass die Verträge mit Moskau und Warschau den sich in der Bundesrepublik breit machenden »Roten Faschismus« begünstigten.1289 Die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition weckte im konservativen Wahrnehmungsmuster auch die Ängste, dass diese zu einer Wiedervereinigung unter sozialistischen Bedingungen der Sowjetunion führen werde. Eine Karikatur aus dem »Kölner-Stadt-Anzeiger« mit dem Titel »Ein Angebinde von drüben: Die Puppe in der Puppe« zeigte einen enttäuscht blickenden Willy Brandt, der verschiedene Matroschka-Puppen öffnete.1290 Unter der ersten Puppe »Anerkennung«, war die Puppe »Freie Stadt Westberlin« versteckt, unter dieser die Puppe »Austritt aus der NATO«, darunter die Puppe »Abschaffung der Bundeswehr«, darunter die Puppe »Neutralisierung der BRD«, darunter »Verbot von CDU, CSU und FDP«, darunter die Puppe »Verbot der SPD«, bis letztlich die letzte Puppe »Wiedervereinigung« mit dem sozialistischen Symbol Hammer und Sichel die ungewollten Folgen der Ostpolitik offenbarte. Im konservativen Wahrnehmungsmuster unterstellte man der sozialliberalen Koalition nicht, dass diese bewusst die sowjetische Hegemonie anstrebe, aber man befürchtete, dass diese leichtfertig Prinzipien aufs Spiel setzte, die zu dieser Hegemonie führen könnten. Jürgen Wahl kritisierte im April 1970: »Der Ruf nach Freiheit wird lästig wie vor dem Schicksalsjahr 1939.«1291 Anton Böhm bescheinigte Willy Brandt, dass dessen Vorstellungen von einem Gesamteuropa nicht mit denen des Kremls identisch seien, dass dessen Politik der Konvergenz aber zwangsläufig einen Schritt aus dem Schutzbereich der NATO herausführe.1292 In einem Europa ohne die USA falle die Vorherrschaft automatisch der Sowjetunion zu und sie könne sich als »harmloser Partner« in die europäischen Regierungen einschleichen, »[s]ie braucht – siehe Finnland – gar nicht ›einzumarschieren‹.«1293 Böhm betonte explizit, dass diese Ängste keine »Schreckgespenster«, sondern »wirklichkeitsnahe Möglichkeiten, wenn auch auf weitere Sicht« seien.1294 Der Verweis auf die mögliche Finnlandisierung sollte die Vision eines neutralen Deutsch1288 Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg: Eine mutige Rede. Aus Guttenbergs Appell an die Brandt-Regierung; in: Rheinischer Merkur Nr. 23/1970 vom 5. 6. 1970, S. 2. 1289 Vgl. »Diese Rede war für uns gefährlich«, S. 20. 1290 Abb. nach: Gustav Stein: Bruch der Kontinuität. Eine Zwischenbilanz der Deutschlandund Ostpolitik des Kabinettes Brandt; in: Rheinischer Merkur Nr. 12/1970 vom 20. 3. 1970, S. 62. 1291 Jürgen Wahl: Union im Dilemma; in: Rheinischer Merkur Nr. 14/1970 vom 3. 4. 1970, S. 1 f.; hier: S. 2. 1292 Vgl. Anton Böhm: Gefahr für Europa; in: Rheinischer Merkur Nr. 33/1979 vom 14. 8. 1970, S. 1 f.; hier: S. 2. 1293 Böhm: Gefahr für Europa, S. 2. 1294 Böhm: Gefahr für Europa, S. 2.

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lands untermauern, das aber de facto unter dem Einfluss der Sowjetunion stehe. Siegmar Schelling befürchtete ebenfalls als Ergebnis eine »endgültige Finnlandisierung Westeuropas«, wenn eine Europäische Sicherheitskonferenz unter den Bedingungen der Sowjetunion stattfinde, konkretisierte aber : »allerdings eine Finnlandisierung schlimmerer Art, denn Finnland ist immerhin noch durch das bloße Vorhandensein des europäischen Blocks gestützt.«1295 Axel Springer befürchtete, dass die Sowjetunion, so wie einst die Römer damals Karthago täuschten, »Deutschland und das übrige Europa täuschen; schwächen und zur Übernahme vorbereiten [würde] – natürlich, wenn irgend möglich, ohne Krieg.«1296 Paul Wilhelm Wenger deutete Brandts Ausspruch von 1969, dass Hitler jetzt erst den Zweiten Weltkrieg verloren habe, dahingehend, dass Stalin ihn nun endgültig gewonnen habe.1297 Für Wenger sei das Fernziel der Sowjetstrategie die Einführung des Sozialismus in der Bundesrepublik durch eine Linkskoalition, damit der Kreml dann wie in Prag bestimmen könne, was Sozialismus sein dürfe und was nicht. Die Sicherheitskonferenz diene laut Wenger »zur Einschläferung des westlichen Selbstbehauptungswillens« und werde letztlich »dann so etwas sein wie der Deutsche Bund von 1815 – aber nicht von einem westlichen Metternich, sondern von Breschnew geführt.«1298 Eine weitere Angst, die die Ostpolitik auslöste, war die Angst, dass diese zu innenpolitischen Veränderungen führen könnte, die die bundesdeutsche Demokratie zerstörten. Paul Wilhelm Wenger wollte darauf hinweisen, »daß sich der radikale Neomarxismus der Jungsozialisten und ihrer älteren Nachläufer durch die Ostverträge ermutigt fühlt, die sozialistische Umformung der Bundesrepublik zu fordern und dabei den langen Dutschke-Marsch durch die Institutionen an der kommunalen Basis zu beginnen, um von dort her die repräsentative Demokratie mit Hilfe des ›imperativen Mandats‹ durch den sozialistischen Befehlszwang zu ersetzen.«1299 Wenger äußerte außerdem die Angst, dass die sowjetische Weststrategie zwar nicht auf die kriegerische Eroberung des westlichen Europas abziele, aber dafür » – völlig ›entspannt‹ – auf die gesamteuropäische Führungsrolle durch Zersetzung des Westens und dessen innere

1295 Siegmar Schelling: Trojanisches Pferd 1970. Europäische Sicherheitskonferenz: Moskaus Stoßkeil gegen den Westen; in: Rheinischer Merkur Nr. 42/1970 vom 16. 10. 1970, S. 10. 1296 Zit. nach: Otto Berdrow : Bonn und Karthago; in: Rheinischer Merkur Nr. 11/1972 vom 17. 3. 1972, S. 8. 1297 Vgl. Paul Wilhelm Wenger : Moskaus Konzept. Täuschungsmanöver Grundvertrag; in: Rheinischer Merkur Nr. 45/1972 vom 10. 11. 1972, S. 1 f.; hier : S. 2. 1298 Wenger: Moskaus Konzept, S. 2. 1299 Paul Wilhelm Wenger : Auf Linkskurs; in: Rheinischer Merkur Nr. 11/1971 vom 12. 3. 1971, S. 1 f.; hier: S. 1.

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Revolutionierung, also über Volksfrontregierungen in Bonn, Rom und Paris, wofür in Helsinki das neutral firmierte Modell bereitgehalten wird.«1300 Der Konflikt zwischen »Russenangst« und »Schauplatz eines dritten Weltkriegs« im Ausblick Die Ängste vor einer sowjetischen Aggression oder einer sowjetischen Hegemonie in Europa wurden im konservativen Wahrnehmungsmuster auch nach der Verabschiedung der Ostverträge weiterhin artikuliert. Im linken Wahrnehmungsmuster galten diese Ängste als übertrieben und es wurde vermutet, dass »die alte Leier mit der Russenangst«, die man seit 30 Jahren kenne, lediglich Wahlkampfzwecken diene, da die »Union Wahlkampf für Wahlkampf mit dieser Thematik die angebliche Angriffslust der Nachbarn im Osten beschwört.«1301 Gegen diese Vermutung wehrte sich beispielsweise Kurt Biedenkopf schon eher, der versicherte, dass es »Wahnsinn« sei, dieses Thema nur deshalb zu behandeln, um den Menschen Angst zu machen oder Wahlen zu gewinnen.1302 Jedoch sei die Sicherung des Landes ein so zentrales Thema, dass sie auch Wahlkampfthema sein müsse. Neben der Angst vor einer militärischen Aggression der Sowjetunion existierten auch weiterhin die Ängste vor einer sowjetischen Hegemonie. Im Juli 1976 führte der »Rheinische Merkur« ein Interview mit dem russischen ExilSchriftsteller Hermann F. Achminow, der ein Buch mit dem Titel »Auf zum Dritten Weltkrieg« veröffentlicht hatte.1303 Achminow bekräftigte seine im Buch vertretenen Thesen, dass die Sowjetunion auch ohne den Einsatz eines einzigen Soldaten ihren Machtbereich bis an den Atlantik ausdehnen könne und dass das wiederum die Kriegsgefahr erhöhe, da die USA wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg auf den Vorstoß ihres Gegners zum Atlantik mit militärischen Gegenmaßnahmen antworten würden. Achminow wollte sich auf die Bundesrepublik konzentrieren, »zumal die Würfel wahrscheinlich hier fallen werden« und warf der Ostpolitik vor, »daß sich die Bahr-Brandtsche ›Entspannungspolitik‹ – ob ihrer handwerklichen, fachlichen Unzulänglichkeit, nicht ihrer Ziel-

1300 Paul Wilhelm Wenger: Im Sog der Sowjetstrategie. Drängen auf ein sozialistisches Gesamteuropa; in: Rheinischer Merkur Nr. 23/1972 vom 9. 6. 1972, S. 1. 1301 »Wir werden 1980 kein Führungshandikap haben.« Der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf über die Chancen der Union bei der nächsten Bundestagswahl; in: Der Spiegel Nr. 20/1979 vom 14. 5. 1979, S. 25 – 28; hier : S. 28. 1302 Vgl. »Die CDU muß ihre Kompetenz nachweisen.« CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf über die Wahlkampfstrategie der Union; in: Der Spiegel Nr. 40/1975 vom 29. 9. 1975, S. 41 – 50; hier: S. 49. 1303 Vgl. Rote Fahne am Atlantik. Gespräch mit dem russischen Exilschriftsteller Hermann F. Achminow ; in: Rheinischer Merkur Nr. 29/1976 vom 16. 7. 1976, S. 4.

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setzung – als eine Ermunterung des Aggressors, als deutscher Beitrag zur jetzigen Verschärfung der Weltlage erwiesen hat.«1304 Auch im Bundestagswahlkampf 1980 zeigte sich die Auseinandersetzung um die Folgen der Ostpolitik. Der »Spiegel« deutete die Aussage des Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß, dass der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan bei einer CDU/CSU-Regierung nicht stattgefunden hätte, dahingehend, dass die sozialliberale Politik der Verständigung die Sowjetunion zum Einmarsch ermuntert hätte und wollte deshalb diese Aussage widerlegen: »Jene Ostpolitik der Koalition, die Strauß für eine Hypothek seiner Gegner hält, ist in Wahrheit ein Kapital, von dem die Regierung gerade in der derzeitigen Vertrauenskrise zwischen Deutschen und Russen zehren kann.«1305 Der Konflikt zwischen Entspannung und Abschreckung zeigte sich in der Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss ab Ende der 1970er Jahre, worauf in dieser Arbeit aus genannten Gründen nicht näher eingegangen wird. Im März 1984 veröffentlichte der »Spiegel« Auszüge aus dem Buch des SPD-Bundesgeschäftsführers Peter Glotz über die Organisation einer regierungsfähigen Linken, in dem Glotz sehr passend das Verhältnis zwischen konservativen und linken Kriegsängsten in der Geschichte der Bundesrepublik konstatierte: »Das Bewußtsein der Deutschen in der Bundesrepublik war seit 1945 von zwei unterschiedlichen realen (also nicht neurotischen) Ängsten geprägt: von der Angst, von der Sowjet-Union überwältigt zu werden; man könnte das auch archaischer formulieren: von der Russenangst. Und andererseits von der Angst, Schauplatz eines dritten Weltkriegs zu werden: von der Zerstörungsangst. In vielen Deutschen hat es beide Ängste nebeneinander gegeben, in vielen aber auch nur die eine oder die andere.«1306

1304 Rote Fahne am Atlantik. 1305 Peking statt Moskau? Spiegel-Umfrage zur politischen Situation im Wahljahr 1980 (IV): Kriegsfurcht und Energiesorgen; in: Der Spiegel Nr. 22/1980 vom 26. 5. 1980, S. 69 – 76; hier: S. 69. 1306 »Keine Angst vor Wünschen.« SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz über die Organisation einer regierungsfähigen Linken (II.); in: Der Spiegel Nr. 13/1984 vom 26. 3. 1984, S. 101 – 120; hier : S. 101.

4.

Fazit

Diese Untersuchung wollte einen Beitrag dazu leisten, die Diskrepanz zwischen der rückblickenden »harmonischen Gesamtschau« (Andreas Wirsching) der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik und den verschiedensten Ängsten der Zeitgenossen vor einem Scheitern aufzuklären und dabei die Geschichte der Bundesrepublik nach der Forderung von Hans-Peter Schwarz als die einer ausgebliebenen Katastrophe zu betrachten. Schwarz hatte schon früh darauf hingewiesen, dass man die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nur dann verstehen könne, wenn man das Leitmotiv der ausgebliebenen Katastrophe berücksichtige. Letztlich ermöglicht die Berücksichtigung dieses Motivs aber nicht nur weitreichende Erkenntnisse über die Geschichte der Bundesrepublik, sondern hilft auch verstehen zu können, warum die Bundesrepublik zu einer derart stabilen Demokratie werden konnte. Auch durch die ernsthafte Sorge der Zeitgenossen und deren eindringliche Warnungen vor Gefahren wurde die Bundesrepublik Deutschland in ihrer demokratischen Struktur gefestigt. Die Debatten über ein mögliches Scheitern der Bundesrepublik durch das Ende der Demokratie oder durch einen unmittelbar drohenden Krieg belegen, dass die Zeitgenossen sämtlicher politischer Couleur die Staatsform der Demokratie anders als zu Zeiten der Weimarer Republik mehrheitlich annahmen und von einer ernsten Sorge um den Bestand der bundesdeutschen Demokratie erfasst waren, was auch die streckenweise heftigen Auseinandersetzungen und die große mediale Aufmerksamkeit erklären kann. Was als Gefahr für den Bestand der bundesdeutschen Demokratie empfunden wurde und mit welchen Lösungsvorschlägen man dieser Bedrohung entgegentreten wollte, war von der Art der Gefahrenwahrnehmung abhängig. Es hat sich gezeigt, dass sich hierbei im Wesentlichen zwei verschiedene Arten der Gefahrenwahrnehmung gegenüberstanden, sodass sich die Unterscheidung in ein konservatives und ein linkes Wahrnehmungsmuster bewährt hat. Beide Wahrnehmungsmuster standen sich zuweilen in Dichotomien gegenüber, die gegensätzliche Gefahren verspürten und gegensätzliche Lösungsvorschläge für richtig erachteten. Sowohl die Gefahrenwahrnehmung als auch die Lösungsstrategien zur Gefahrenabwehr waren

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Fazit

mitunter maßgeblich von den Erfahrungen des Scheiterns der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Herrschaft beeinflusst, nämlich dahingehend, dass in beiden Wahrnehmungsmustern unterschiedliche Interpretationen dieser geschichtlichen Periode zu unterschiedlichen Gefahrenwahrnehmungen und deren Lösungsmöglichkeiten führten. Als gemeinsame Erfahrung lässt sich aber erkennen, dass der Glaube in die Wehrhaftigkeit der Demokratie getrübt war und in beiden Wahrnehmungsmustern in nahezu allen Debatten über ein Scheitern der bundesdeutschen Demokratie davon ausgegangen wurde, dass die Demokratie von der Mehrheit der Bevölkerung nur solange akzeptiert werde, wie sie reibungslos funktioniere und wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand bereitstelle. Sobald diese Grundvoraussetzungen aber nicht mehr vorhanden seien, könne die Demokratie in kürzester Zeit – quasi über Nacht – zerstört werden, auch wenn nur eine kleine, aber dafür energische Minderheit von Demokratiefeinden diese aktiv bekämpften. Hier zeigte sich in beiden Wahrnehmungsmustern ein tiefes Misstrauen gegenüber der Demokratieaffinität des deutschen Volkes, von dem man annahm, dass selbst kleinere Probleme zu antidemokratischen Reflexen von ungeheurer Tragweite führen könnten. Für Historiker wird die starke Thematisierung der Ängste um die bundesdeutsche Demokratie nur vor diesem Hintergrund verständlich, auch wenn sie heute übertrieben wirkt bzw. selbst manche Zeitgenossen nach einigen Jahren ihre Argumente für überzogen hielten.1 Diesem gemeinsamen Misstrauen in die Demokratieaffinität des deutschen Volkes standen sich aber zwei gegensätzliche Konzepte gegenüber, wie die Eliten, zu denen sich sowohl linke als auch konservative Publizisten und Politiker zählten, mit dem deutschen Volk umzugehen habe.2 Im konservativen Wahrnehmungsmuster wollte man das Volk durch Autorität unter Kontrolle halten, im linken Wahrnehmungsmuster wollte man das Volk durch Demokratisierung umerziehen oder zumindest diejenigen entmachten, die das »unmündige« Volk instrumentalisieren könnten. Der Bezug auf die deutsche Geschichte von 1918 – 1945 blieb in sämtlichen Debatten über ein mögliches Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. über die Möglichkeit eines drohenden Krieges im gesamten Untersuchungszeitraum der Hauptgeschichtsbezug. Interessant ist einerseits die etwas allgemeinere Feststellung, dass historische Bezüge anscheinend mehrheitlich dafür Verwendung finden, um an Negatives anstatt an Positives zu erinnern. Andererseits lässt sich zum Ende des Untersuchungszeitraums ein kleiner Wandel 1 Jürgen Habermas hielt beispielsweise im Jahr 1977 seine Bezeichnung von Teilen der Studentenbewegung als »linken Faschismus« für eine Überreaktion: »Diese Haltung war und ist für Linke meines Alters typisch, und in welchen biographischen Erfahrungen sie wurzelt, kann ich sagen.«; Habermas: Probe für Volksjustiz. 2 Christina von Hodenberg zeigte auf, dass sich ein Großteil der deutschen Redakteure selbst als Intellektuelle begriff. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 232.

Fazit

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konstatieren, der sich zwar kaum quantitativ messen lässt, der aber dennoch qualitativ feststellbar ist. Während Akteure mit Primärerfahrungen der Weimarer Republik oder der nationalsozialistischen Herrschaft sich auch zum Ende des Untersuchungszeitraums fast genauso intensiv auf diese historische Periode bezogen wie zu Beginn des Untersuchungszeitraums, ließ der historische Bezug bei Akteuren nach bzw. wurden Ähnlichkeiten sogar teilweise bestritten, wenn diese Akteure lediglich Sekundärerfahrung mit der Zeit von 1918 bis 1945 besaßen. Auch Wolfgang Pytas Anmerkung, dass sich Weimar »als geschichtliches Lehrstück […] in den ausgehenden 1970er Jahren allmählich verbraucht« hatte, kann hier zugestimmt werden.3 Dennoch blieb die deutsche Geschichte von 1918 bis 1945 aber eine Negativfolie, die immer wieder dazu verwendet wurde, für Gefahren zu sensibilisieren und zur Verteidigung der Bundesrepublik bzw. der bundesdeutschen Demokratie aufzurufen, weshalb sich diese Anmerkung von Sebastian Ullrich bestätigen lässt.4 Insgesamt war es überraschend, wie oft Kriegsängste oder Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie aufkamen (3098 Artikel), sodass man konstatieren kann, dass diese Befürchtungen Teil der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland im Untersuchungszeitraum waren. Im Untersuchungszeitraum gab es eine durchgängige Thematisierung dieser Ängste, die durch einzelne »Soloparts« (wie die Jahre 1968, 1972, 1981, 1982 und 1983) noch verstärkt wurde. Hierbei ließen sich vier verschiedene demokratiebedrohende Szenarien feststellen, die in jeweils eigenen Thematisierungen sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster immer wieder Verwendung fanden: ein drohender Krieg (686 Artikel), eine Massenbewegung (356 Artikel), ein neuer Führer (205 Artikel) und ein anonymer Machtapparat (1187 Artikel). Interessant ist hierbei, dass es entgegen des Forschungsstandes insgesamt mehr Ängste im konservativen Wahrnehmungsmuster gab (2090 versus 1177 Bedrohungsängste), sodass diese Untersuchung durch die anschließende qualitative Analyse der Szenarienhöhepunkte dazu beitragen sollte, diese Forschungslücke zu schließen. Lediglich im Szenario eines neuen Führers dominierten quantitativ die Ängste im linken Wahrnehmungsmuster. Die Ängste vor einer demokratiezerstörenden Massenbewegung wurden hauptsächlich im linken Wahrnehmungsmuster durch die überraschenden Wahlerfolge der Nationaldemokratischen Partei (NPD), im konservativen Wahrnehmungsmuster durch die Studentenbewegung und später die Friedensbewegung ausgelöst. Beide Bedrohungsszenarien waren maßgeblich von den Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus geprägt. So dominierten die Ängste, dass die NPD plötzlich unerwartete Stimmenge3 Pyta: »Weimar« in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft, S. 61. 4 Vgl. Ullrich: Weimar-Komplex, S. 418.

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winne erreichen könne, falls sich innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung ein wie auch immer geartetes Krisengefühl einstellen könne. Außerdem sah man Parallelen zwischen der NDP und der NSDAP in der Zusammensetzung der Mitglied- und Wählerschaft, in der Verharmlosung und Verkennung der Gefahr, in der charismatischen Ausstrahlung von Adolf Hitler und Adolf von Thadden. Weiterhin befürchtete man, dass die bundesdeutsche Demokratie durch blutige Auseinandersetzungen zwischen der NPD und der Studentenbewegung Schaden nehmen könne. Dass die Ängste vor der NPD im linken Wahrnehmungsmuster bedeutend stärker ausgeprägt waren als im konservativen Wahrnehmungsmuster, hing ebenfalls mit dem spezifischen »Erfahrungsraum« des linken Wahrnehmungsmusters zusammen. Da man dort beispielsweise auch nationalistische Grundhaltungen und das Obrigkeitsdenken zu Zeiten der Weimarer Republik als Grund für das Erstarken der NSDAP ansah, weckten auch diese Merkmale Ängste vor einem demokratiezerstörenden Machtgewinn der NPD. Weil auch die Lehren aus der Vergangenheit bei beiden Wahrnehmungsmustern unterschiedlich waren, unterschieden sich auch die Lösungsstrategien im Kampf gegen die NPD. Waren die Ängste vor der NPD maßgeblich vom Wissen um den Aufstieg der NSDAP bestimmt, so waren die Ängste vor der Studentenbewegung eher von der Erinnerung an die Gewaltanwendungen der Sturmabteilung (SA) der NSDAP beeinflusst. Auch sah man die Akteure der Studentenbewegung als junge Gruppe an, während man den Wähler- und Führungskreis der NPD eher aus »alten Kämpfern« der NSDAP bestehend betrachtete. Das änderte sich aber im Laufe der Zeit, sodass auch die folgenden Ängste vor einer Massenbewegung als Ängste vor einer jungen Generation beschrieben wurden. Sowohl bei den Ängsten im konservativen Wahrnehmungsmuster vor der Studentenbewegung als auch bei den späteren Ängsten vor der Friedensbewegung und vor den Grünen lassen sich gemeinsame Gefahrenbeschreibungen festhalten. So terrorisiere eine kleine aber aktive Minderheit die passive Mehrheit vor allem durch die Anwendung von Gewalt, wodurch sich letztlich die Minderheit durchsetzen werde. Die Forderung nach direkter Demokratienanwendung rief Erinnerungen an die Einführung eines Rätesystems hervor, dass unweigerlich zu einem System nach sowjetischen Vorbild führe. Das Aufkommen der Friedensbewegung und der Grünen weckte außerdem Erinnerungen an die utopischen Ziele der Nazis und die Ablehnung der bestehenden Ordnung und an den Versuch, einen eigenen, deutschen Sonderweg zu gehen. Ängste vor einem neuen Führer kamen häufiger im linken als im konservativen Wahrnehmungsmuster auf und wurden dort fast ausschließlich anhand der Person von Franz Josef Strauß artikuliert. Sowohl dessen optische Beschreibungen als auch seine Charakterbeschreibungen und die Betrachtung der Wahlkampfveranstaltungen waren von der geschichtlichen Erfahrung durch

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Adolf Hitler geprägt und sollten die Gefahr verdeutlichen, dass die bundesdeutsche Demokratie durch einen neuen Führer zerstört werden könne. Hierbei wurde einerseits die Gefahr anhand der Person von Strauß selbst gesehen, da dieser machtbesessen, demagogisch, hoch intelligent, dafür aber skrupellos sei und sowohl sein menschliches als auch sein demokratisches Verhalten Mängel aufweise, andererseits wurde eine Gefahr in Strauß’ Anhängerschaft gesehen, da Strauß bei dieser aggressive Emotionen wecke, die denen des einstigen »Sportpalastpublikums« ähnlich seien und an die »Sammlungsbewegung« erinnere, die in den Nationalsozialismus führte. Im Bundestagswahlkampf 1980 verstärkten sich sämtliche bereits schon vorher artikulierten Ängste vor Strauß, allerdings wurde der Vergleich zu Adolf Hitler vorsichtiger formuliert, sodass sich die Akteure des linken Wahrnehmungsmusters meist selbst laut wunderten, warum ihnen Erinnerungen an Hitler in den Sinn gekommen seien. Im konservativen Wahrnehmungsmuster kamen bedeutend weniger Ängste vor einem neuen Führer auf, allerdings wurden die seltener formulierten Ängste vor Willy Brandt auch aufgrund der Erfahrungen mit Adolf Hitler geäußert. Allerdings zog man hier eher Vergleiche zu dessen charismatischer Ausstrahlung, weil man die vermutete Fixierung auf Brandt und den Personenkult um seine Person als widersprüchlich zum demokratischen Prozess wahrnahm und den angenommenen Totalitätsanspruch in seiner Politik kritisierte. In beiden Wahrnehmungsmustern zeigte sich außerdem die Angst, dass in der bundesdeutschen Bevölkerung Sehnsüchte nach einem starken Mann erwachsen würden, wenn die Demokratie Schwächen offenbare, jedoch unterschieden sich beide Wahrnehmungsmuster in den Lösungsstrategien, diese Sehnsüchte einzudämmen. Während man im konservativen Wahrnehmungsmuster die Demokratie durch staatliche Autorität stärken wollte, wollte man im linken Wahrnehmungsmuster die Bürger der Bundesrepublik durch erweiterte demokratische Möglichkeiten besser an den demokratischen Prozess gewöhnen und sie in diesen integrieren. Die meisten Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie artikulierte man anhand des Szenarios des anonymen Machtapparats, wobei wiederum die meisten Ängste davor im konservativen Wahrnehmungsmuster präsent waren. Zwischen beiden Wahrnehmungsmustern zeigte sich fast immer eine Dichotomie, die sich dahingehend artikulierte, dass eine bestimmte Maßnahme in dem einen Wahrnehmungsmuster als unabdingbar für die Stabilität der bundesdeutschen Demokratie angesehen wurde, im anderen Wahrnehmungsmuster aber gerade diese als Gefahr aufgefasst wurde, die – wenn auch ungewollt – zur Zerstörung der bundesdeutschen Demokratie führe, weshalb man rechtzeitig vor dieser Gefahr warnen wollte. Sowohl die Notwendigkeit der Notstandsgesetzgebung als auch die einer Großen Koalition, eines mehrheitsbildenden Wahlrechts oder die Notwendigkeit von verschärften Terrorabwehr-

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maßnahmen galten im konservativen Wahrnehmungsmuster als unumgänglich, um die bundesdeutsche Demokratie zu stärken und vor möglichen Gefahren schützen zu können. Im linken Wahrnehmungsmuster aber riefen gerade diese Schutzmaßnahmen Ängste hervor, dass die Demokratie unter diesen Maßnahmen irreparablen Schaden nehmen könne. Die unterschiedlichen Deutungen, was der Demokratie schade oder was ihr helfe, waren maßgeblich von den Interpretationen des Scheiterns der Weimarer Republik beeinflusst. Ob man beispielsweise den Artikel 48 der Weimarer Verfassung oder dessen unbestimmte Durchführungsbedingungen für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich machte, bedingte, ob man eine Notstandsgesetzgebung per se ablehnte und als Gefahr einschätzte, oder aber ob man ein Notstandsrecht genau regeln wollte, damit es in Krisenzeiten die Demokratie stärke. Der Regierungsbeginn der sozialliberalen Koalition und das Regierungsvorhaben der umfassenden Demokratisierung verschärfte die Ängste im konservativen Wahrnehmungsmuster vor einem Ende der bundesdeutschen Demokratie. Man war der Auffassung, dass eine allumfassende Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft zu einer gleichgeschalteten, totalitären Gesellschaft führen müsse, in der Minderheiten durch die Übertragung des Majoritätsprinzips nicht mehr geschützt und persönliche Freiheiten eingeschränkt seien, was letztlich nicht zu mehr, sondern zu weniger Demokratie führe. Das Majoritätsprinzip galt als elementares Merkmal der demokratischen Staatsform, was allerdings auf den Bereich der Politik beschränkt bleiben müsse, da es nicht ohne Nachteile auf gesellschaftliche Bereiche wie beispielsweise die Justiz, die Universitäten oder die betriebliche Mitbestimmung übertragen werde könne, da dort nicht Gleichheit, sondern Kompetenz ausschlaggebend sei. Außerdem bewirkte der Beginn der sozialliberalen Koalition, dass im konservativen Wahrnehmungsmuster die Ängste zunahmen, dass wichtige gesellschaftliche und politische Positionen im »Marsch durch die Institutionen« linksradikalen Feinden der Bundesrepublik zufallen könnten und diese Minderheiten aus diesen gesellschaftlichen Stellungen heraus die bundesdeutsche Demokratie zerstören könnten. Hierbei ist auffällig, dass die Angst vorherrschte, dass sich die bundesdeutsche Demokratie diesem »Marsch« nicht entschieden genug widersetze und deshalb die Feinde der Demokratie letztlich siegen würden. Der »Marsch durch die Institutionen« galt als andere Strategie der Akteure der Studentenbewegung, die allerdings weitaus gefährlicher sei, da diese nicht so offensichtlich als Methode zur Zerstörung der Demokratie wahrgenommen werde. Im konservativen Wahrnehmungsmuster warnte man deshalb sehr häufig davor, dass die Universitäten in eine marxistische Kaderschule umfunktioniert, die SPD durch die Jusos und der öffentliche Dienst von Verfassungsfeinden unterwandert werde. Die SPD galt deshalb als gefährdet, da man glaubte, dass sich eine Minderheit radikaler junger Sozialisten durch bestimmte

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Abstimmungsmodalitäten und vor allem durch die Passivität der gemäßigten Sozialdemokraten geeignete Mehrheitsverhältnisse innerhalb der SPD verschaffe, wodurch diese Sozialisten über die Sozialdemokraten siegten. Auch die Forderung der Jusos nach einem imperativen Mandat galt als Bedrohung für die parlamentarische Demokratie, da das Parlament durch die Partei ersetzt werde und dadurch ein Rätesystem entstehe. Sowohl im linken als auch im konservativen Wahrnehmungsmuster war man sich darüber einig, dass Feinden der demokratischen und freiheitlichen Ordnung der Bundesrepublik der Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrt werden solle. Allerdings divergierten zunehmend die Definitionen dieser Feinde und die Überprüfungsmethoden zur Ermittlung von Feinden der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung, sodass die Konfliktlinien zwischen beiden Wahrnehmungsmustern nicht danach verliefen, »ob« man Feinde der Demokratie im öffentlichen Verhältnis beschäftigen solle, sondern »wie« man diese erkenne und »wie« man gegen eine Unterwanderung des öffentlichen Dienstes vorgehen solle. Die Überprüfungspraxis der Bewerber führte zunehmend dazu, dass im linken Wahrnehmungsmuster Ängste vor einem demokratiezerstörenden Überwachungsstaat entstanden. Die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung weckten die Ängste, dass die aus der Erfahrung mit der Gestapo gezogene Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufgehoben werde. Die Terrorismusabwehrmaßnahmen ab Mitte der 1970er Jahre, vor allem aber die »Lauschaffäre-Traube« und die »Stammheimer-Lauschaffäre« verstärkten die Ängste vor einem undurchschaubaren Überwachungsstaat. Die neuen technischen Überwachungsmöglichkeiten schienen den Horrorvisionen von George Orwell weit überlegen zu sein, zumal anders als bei Orwells Überwachung durch den Televisor der Bürger oft von der Überwachung keine Kenntnis hatte. Besonders besorgniserregend galt die Vorstellung, dass ein perfektes Überwachungssystem entstehe, das im Fall von nachdemokratischen Strukturen als ein nicht entrinnbares Verfolgungssystem fungieren könnte, womit erneut die Sorge der Zeitgenossen deutlich wird, dass die bundesdeutsche Demokratie nicht als gefestigt empfunden wurde. Außerdem existierte die Sorge, dass der demokratische Prozess durch die Registrierung von »abweichendem« Verhalten gefährdet sei. Da der Weg in den Überwachungsstaat anhand vieler kleiner Schritte befürchtet wurde, konnten selbst vorher kaum Bedenken auslösende Vorhaben massiven Widerstand provozieren. Der Protest gegen die geplante Volkszählung 1983 zeigte, wie weit die Ängste vor einer Erfassung der Bürger in elektronischen Datenbanken, deren Verknüpfungsmöglichkeiten und der damit verbundenen Aufhebung der Trennung von Polizei, Geheimdiensten und Verwaltungsaufgaben verbreitet waren und dass immer mehr Bürger die Ängste des linken Wahrnehmungsmusters vor einem Überwachungsstaat übernahmen, sodass die

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geplante Volkszählung auch Ängste bei solchen Bürgern hervorrief, die nicht klassisch dem linken Wahrnehmungsmuster zuzuordnen waren. Obwohl sich die Angst vor einem Krieg auf deutschem Boden als Untergangsszenario doch deutlich von den anderen drei Szenarien unterschied, lassen sich dennoch bedeutende Ähnlichkeiten erkennen. Vereinfacht lässt sich der Konflikt zwischen konservativem und linkem Wahrnehmungsmuster auf einen Konflikt zwischen geforderter Autorität und geforderter Entspannung beschreiben. Im linken Wahrnehmungsmuster hoffte man, durch eine Entspannungspolitik Konflikte auflösen zu können und dadurch den Frieden zu sichern. Im konservativen Wahrnehmungsmuster galt diese Politik als illusionär, und man befürchtete einen Verlust an Autorität, der letztlich das Prinzip der Abschreckung gefährde und damit einen Krieg oder zumindest die sowjetische Hegemonie in der Bundesrepublik fördere. Historische Vorbilder sah man im »Prager Frühling« von 1968 oder in der Appeasement-Politik der 1930er Jahre und der Verharmlosung Adolf Hitlers, wobei stets betont wurde, dass man heute – anders als die damaligen Zeitgenossen – die historische Erfahrung besitze und man deshalb aus dieser gelernt haben müsse. Als eine der historischen Lehren galt auch die Erkenntnis, dass die Sowjetunion Verträge breche, wenn es zu derem Vorteil sei. Trotz der Unterschiedlichkeit der vier Untergangsszenarien lassen sich doch Gemeinsamkeiten in allen Szenarien erkennen. Das mag auch daran liegen, dass die Einteilung diverser Bedrohungen in die genannten vier Szenarien eine idealtypische Unterscheidung war, die analytischen Zwecken diente und die von den Zeitgenossen nicht derart streng vorgenommen wurde. Vielmehr lösten verschiedene Anlässe diverse Debatten über einen Untergang der bundesdeutschen Demokratie aus, wobei eine Bedrohung mitunter in verschiedenen Szenarien artikuliert werden konnte. Teilweise wurden verschiedene mögliche Untergangsszenarien als verschiedene mögliche Strategien zur Bekämpfung der Demokratie derselben Akteure betrachtet. Andererseits lösten die Ängste in einem Wahrnehmungsmuster und dessen Vorgehen gegen das drohende Untergangsszenario wiederum Ängste vor einem anderen Untergangsszenario aus, sodass die verschiedenen Untergangsszenarien mitunter sehr eng miteinander verknüpft waren und in enger Verflechtung zueinander standen. Interessant ist auch, dass trotz der scheinbar unbegrenzten Zahl an möglichen Bedrohungen die Zeitgenossen anscheinend dennoch optimistisch gestimmt waren und immer wieder Lösungsmöglichkeiten anboten, um der drohenden Gefahr zu entgehen. Für die Zeitgenossen waren die Untergangsszenarien und die totale Zerstörung der Bundesrepublik bzw. der demokratischen Staatsform meist völlig plausibel, was zum einen daran lag, dass das Vertrauen in die Wehrhaftig- und die Dauerhaftigkeit der bundesdeutschen Demokratie stark beschädigt war und

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zum anderen die Untergangsszenarien ihre »Vorbilder« meist in den Erfahrungen der Weimarer Republik und deren Zerstörung durch den Nationalsozialismus hatten. Rüdiger Graf zeigte auf, dass die Zukunftserwartungen der Zeitgenossen der Weimarer Republik trotz der Möglichkeit der nahenden Katastrophe dennoch von einer optimistischen Grundströmung begleitet waren und das »der Krisenbegriff nicht in einem pessimistischen Sinn zur Bezeichnung von Verlusterfahrungen und weiteren Abstiegserwartungen gebraucht wurde.«5 Hier lässt sich ein bedeutender Unterschied zu den Zeitgenossen der Bundesrepublik erkennen, da die Krise unweigerlich als mögliche Katastrophe empfunden wurde, die nichts Positives implizierte, was wiederum auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus zurückzuführen ist. Auch deshalb boten die zeitgenössischen Akteure der Bundesrepublik Lösungsvorschläge an, um der möglichen Zerstörung entgehen zu können und resignierten nicht angesichts der scheinbar unbegrenzten Untergangsszenarien. Neben dem Verweis auf die geschichtliche Epoche von 1918 bis 1945 ist in allen Untergangsszenarien auffällig, dass eine Gefährdung in zu großer Emotionalität gesehen wurde und die Sachlichkeit der Politik eingefordert wurde. Hier zeigt sich auch das Spannungsverhältnis zwischen der Aktivität der »Feinde« der Demokratie und der Passivität der »Beschützer« der Demokratie. Außerdem zeigte sich in nahezu allen Bedrohungsszenarien auch ein gewisser Generationenkonflikt, da Akteure des linken Wahrnehmungsmusters meist als die junge Generation angesehen wurden, denen die leidvolle Erfahrung des Nationalsozialismus fehlte und die deshalb nicht immer die richtigen Lehren aus der deutschen Vergangenheit ziehen könnten. Des Weiteren zeigte sich, dass sich aufgrund der unterschiedlichen Gefahrenwahrnehmung in nahezu allen Bedrohungsszenarien zwei Wahrnehmungsmuster gegenüberstanden, die unterschiedliche Gefahren wahrnahmen und unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten anboten. Interessant ist aber, dass sich beide Wahrnehmungsmuster nicht starr über den gesamten Untersuchungszeitraum gegenüberstanden, sondern dass die Zuordnung einzelner Akteure zu einem der Wahrnehmungsmuster mitunter wechseln konnte bzw. die Ängste des einen Wahrnehmungsmusters in der Bevölkerung »mehrheitsfähig« wurden. Insofern belegte diese Untersuchung auch Karl Rohes These, dass in der Bundesrepublik das alte »Lagersystem« ein Ende gefunden habe und sich das Parteiensystem der Bundesrepublik »nicht in einem einfachen Links-Rechts-Schema anordnen« lasse.6 Weiterhin belegte die Untersuchung an verschiedenen konkreten Beispielen, wie sich seit Ende der 1960er 5 Rüdiger Graf: Die »Krise« im intellektuellen Zukunftsdiskurs der Weimarer Republik; in: Moritz Föllmer ; Rüdiger Graf (Hg.): Die »Krise« der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt a.M. 2005, S. 77 – 106; hier : S. 105. 6 Rohe: Wahlen, S. 165.

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und Anfang der 1970er Jahre die politischen und intellektuellen Fronten auch neu positionierten.7 So kam es auch vor, dass die Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie bzw. vor einem drohenden Krieg Parteiwechsel einzelner Akteure bedingten, wobei diese oft schon vorher Konflikte mit der »Mehrheitsmeinung« ihrer Partei hatten und letztlich diese »Abweichler« sich entsprechend ihres Wahrnehmungsmusters parteilich »positionierten«. Die vorliegende Untersuchung wollte einen innovativen Weg einschlagen, indem sie gleichermaßen linke und konservative Szenarien untersuchte, diese verglich und in Beziehung zu einander setzte. Die variable Unterscheidung in Wahrnehmungsmuster hat sich dabei bewährt und könnte auch für andere Forschungsvorhaben hilfreich sein. Die Untersuchung einzelner Debatten sollte dazu dienen, erstmalig über einen längeren Zeitraum systematisch die am häufigsten artikulierten zeitgenössischen Ängste um den Bestand der bundesdeutschen Demokratie bzw. über einen möglichen Krieg zu untersuchen und in einen größeren Kontext einzubetten, da ohne diese Ängste die Stabilität der Bundesrepublik nur schwer erklärbar ist. Dabei konnte es nicht der Anspruch sein, sämtliche Debatten und Ängste zu untersuchen. Hier können zukünftige Arbeiten anknüpfen und beispielsweise durch die Erweiterung des Quellenkorpus weitere, reichlich vorhandene Debatten untersuchen und diese mit den Ergebnissen dieser Untersuchung vergleichen. Erkenntnisreich könnte auch eine Untersuchung sein, die die untersuchten Debatten querschnittartig auch mit individuellen Quellen und Nachlässen einzelner zeitgenössischen Akteure kontrastiert. Erkenntnisreich wäre auch die Frage, ob der alarmistische Grundton und die Angst vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie auch in verschiedenen Debatten der 1990er und 2000er Jahre oder in denen der Gegenwart zu finden sind. Hierbei wird von der Hypothese ausgegangen, dass sich das Vertrauen der Bundesbürger in die Stabilität der Demokratie dahingehend gewandelt hat, dass von einer Wehrhaftigkeit der bundesdeutschen Demokratie ausgegangen wird und deshalb politische Debatten kaum noch vor dem Hintergrund der Angst vor einem Scheitern geführt werden. Das mag auch durch den Generationswechsel bedingt sein. Zwei Beispiele aus der gegenwärtigen Tagespolitik könnten diese Hypothese belegen. In der Günther-Jauch-Sendung »Die 500000-Euro-Frage – Ist Christian Wulff noch der richtige Bundespräsident?« vom 18. Dezember 2011 erinnerte Hildegard Hamm-Brücher (geb. 1921) an ihre eigenen Erfahrungen mit der Weimarer Republik, die sie später reflek7 Moritz Scheibe bemerkte, dass es im Zuge der Demokratisierung zur Neuordnung der politischen Lager kam und Jens Hacke merkte an, dass ab 1968 Konflikte dazu benutzt wurden, intellektuelle Lager neu zu markieren. Vgl. Scheibe: Auf der Suche, S. 273 und Hacke: Staat, S. 202.

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tieren konnte und warnte davor, dass die bundesdeutsche Demokratie nicht so stark und so stabil sei, dass sie alles aushalten könne, worauf der stellvertretende »Bild«-Chefredakteur Nikolaus Blome (geb. 1963) entgegnete, dass er von den Auswüchsen einer nicht komplett ehrlichen Auskunft des Bundespräsidenten im niedersächsischen Landtag nicht den Untergang der deutschen Demokratie erwarte und dass man es nicht auf diese Flughöhe heben sollte, da das den Vorgang maßlos erhöhe. Auch nach Bekanntwerden der Überwachungspraxis durch den amerikanischen NSA im Jahr 2013 verwies der Historiker Hubertus Knabe auf den Unterschied zur Staatssicherheit der DDR, da heute niemand befürchten müsse, wegen der Überwachung seiner privaten Kommunikationsdaten ins Gefängnis zu kommen und konstatierte: »Dass man in Deutschland so relativ unaufgeregt auf die Affäre reagiert, hat auch damit zu tun, dass unsere Demokratie funktioniert, dass wir keine Angst zu haben brauchen und die Sache öffentlich diskutiert und hoffentlich aufgeklärt wird.«8

8 Drei Fragen an Hubertus Knabe, Direktor der Stasi-Gedenkstätte in Berlin; in: Leipziger Volkszeitung vom 10. 07. 2013, S. 2.

5.

Literatur- und Quellenverzeichnis

5.1

Literaturverzeichnis

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Literatur- und Quellenverzeichnis

Polizeipräsidenten Dr. Gerhard Littmann; in: Der Spiegel Nr. 33/1969 vom 11. 8. 1969, S. 32 f. »Wir werden 1980 kein Führungshandikap haben.« Der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf über die Chancen der Union bei der nächsten Bundestagswahl; in: Der Spiegel Nr. 20/ 1979 vom 14. 5. 1979, S. 25 – 28. »Wir werden uns keine Laxheit leisten.« Ministerpräsident Hans Filbinger über das Radikalen-Problem; in: Der Spiegel Nr. 27/1976 vom 28. 6. 1976, S. 33 – 43. »Wo ist denn die Intimität?« Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann über die geplante Volkszählung; in: Der Spiegel Nr. 13/1983 vom 28. 3. 1983, S. 34 – 45 Wolgast, Thomas: Brauner Sumpf treibt Blüten. Das Verbot der Kühnen-Gruppe war überfällig; in: Rheinischer Merkur Nr. 50/1983 vom 16. 12. 1983, S. 4. »Wo nimmst Du das Geld her?« Briefe unbekannter Bürger an Strauß und Schmidt; in: Der Spiegel Nr. 20/1980 vom 12. 5. 1980, S. 98 – 101. Wotans Wähler ; in: Der Spiegel Nr. 15/1966 vom 04. 04. 1966, S. 30 – 40. W. T.: FU. Sorge in der Bevölkerung wegen der Radikalisierung; in: Rheinischer Merkur Nr. 7/1972 vom 18. 2. 1972, S. 2. Zitat; in: Der Spiegel Nr. 38/1968 vom 16. 9. 1968, S. 22. Zitat; in: Der Spiegel Nr. 25/1970 vom 15. 6. 1970, S. 21. Zitate; in: Der Spiegel Nr. 52/1971 vom 20. 12. 1971, S. 19. Zitate; in: Der Spiegel Nr. 4/1983 vom 24. 1. 1983, S. 13. Zöller, Ludwig: Den Kuchen nicht zweimal essen wollen! Öffentliche Aufgaben in der parlamentarischen Demokratie; in: Rheinischer Merkur Nr. 44/1974 vom 1. 11. 1974, S. 3. Zur Sonne; in: Der Spiegel Nr. 26/1968 vom 24. 6. 1968, S. 38 – 55. Zwei links, einen rechts; in: Der Spiegel Nr. 18/1972 vom 24. 4. 1972, S. 66 ff.

6.

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Überblick über die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges im »Rheinischen Merkur« Tab. 2: Überblick über die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges im »Spiegel« Tab. 3: Gegenüberstellung der Thematisierungen im »Rheinischen Merkur« und »Spiegel« Tab. 4: Überblick über die Thematisierungen des Scheiterns der bundesdeutschen Demokratie bzw. eines Krieges von 1965 bis 1985 im »Rheinischen Merkur« und »Spiegel« zusammen Tab. 5: Überblick über die Thematisierung verschiedener Szenarien im gesamten Untersuchungszeitraum Tab. 6: Die Angst vor einer neuen Massenbewegung allgemein Tab. 7: Linke Ängste vor einer neuen Massenbewegung Tab. 8: Konservative Ängste vor einer neuen Massenbewegung Tab. 9: Die Angst vor einem neuen »Führer« Tab. 10: Linke Ängste vor einem neuen »Führer« Tab. 11: Konservative Ängste vor einem neuen »Führer« Tab. 12: Die Angst vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden Tab. 13: Linke Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden Tab. 14: Konservative Ängste vor einem neuen Krieg auf deutschem Boden Tab. 15: Die Angst vor einer latenten militärischen Bedrohung Tab. 16: Linke Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung Tab. 17: Konservative Ängste vor einer latenten militärischen Bedrohung Tab. 18: Die Angst vor einem anonymen Machtapparat Tab. 19: Linke Ängste vor einem anonymen Machtapparat Tab. 20: Konservative Ängste vor einem anonymen Machtapparat Tab. 21: Sonstige Ängste vor einem Scheitern der bundesdeutschen Demokratie oder Demokratiekonzeptionen Tab. 22: Sonstige Ängste des linken Wahrnehmungsmusters oder linke Demokratiekonzeptionen Tab. 23: Sonstige Ängste des konservativen Wahrnehmungsmusters oder konservative Demokratiekonzeptionen

408

Tabellenverzeichnis

Tab. 24: Gegendiskurs: Stärke der bundesdeutschen Demokratie bzw. Erhaltung des Friedens Tab. 25: Gegendiskurse der einzelnen Bedrohungsszenarien

7.

Abkürzungsverzeichnis

Außerparlamentarische Opposition Bild am Sonntag Beobachtende Fahndung BIGFON Breitbandiges Integriertes Glasfaser-Fernmeldeortsnetz BKA Bundeskriminalamt BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland BZ Berliner Zeitung CDU Christlich-Demokratische Union CSU Christlich-Soziale Union CGB Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschland DDR Deutsche Demokratische Republik DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DNVP Deutschnationale Volkspartei DKP Deutsche Kommunistische Partei EDV Elektronische Datenverarbeitung EKD Evangelische Kirche Deutschland FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDJ Freie Deutsche Jugend FDP Freie Demokratische Partei FU Freie Universität GAL Grüne Alternative Liste GAZ Grüne Aktion Zukunft GdP Gewerkschaft der Polizei Ge-Bezug Geschichtsbezug Gestapo Geheime Staatspolizei GPU Geheimpolizei der Sowjetunion IG Interessengemeinschaft Inpol Polizeiliches Informationssystem Judos Jungdemokraten Jusos Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands KB Kommunistischer Bund KBW Kommunistischer Bund Westdeutschlands APO BamS

410 Kons. KP KPD KPD/ML KPdSU KSV MAD Nadis NATO NS NPD NSA NSDAP NSDStB NSKK ÖTV RAF RM SA SDS SED SP SPD SS SWI RCDS UdSSR undef. UNO WM

Abkürzungsverzeichnis

Konservativ Kommunistische Partei Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistischer Studentenverband Militärischer Abschirmdienst Nachrichtliches Informationssystem North Atlantik Treaty Organization nationalsozialistisch Nationaldemokratische Partei Deutschlands National Security Agency Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Rote Armee Fraktion Rheinischer Merkur Sturmabteilung Sozialistischer Deutscher Studentenbund Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Spiegel Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Sozialdemokratische Wählerinitiative Ring Christlich-Demokratischer Studenten Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken undefiniert United Nations Organization Wahrnehmungsmuster