Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament 3161481550, 9783161578052, 9783161481550

Kinder sind im alttestamentlichen Kontext in einem erschreckend hohen Ausmaß Opfer tatsächlicher oder angekündigter körp

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Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament
 3161481550, 9783161578052, 9783161481550

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung und Hinführung zum Thema
„Gewalt“
„Kinder“
„Gewalt gegen Kinder“
Erste Konsequenzen für die Fragestellung
„Gott und Gewalt gegen Kinder“
Kapitel 1: „Gewalt gegen Kinder“ und „Gott und Gewalt“
1.1 Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte im Überblick
1.1.1 Lexikographisches und Semantisches zu „Kind“ im Hebräischen
1.1.2 Zur Rubrizierung der Gewalt-gegen-Kinder-Texte
1.1.3 Gewalt-gegen-Kinder-Texte: Übersetzung und textkritische Anmerkungen
Rubrik a) Kinder als Opfer in kriegerischen Kontexten
Rubrik a1) Kinder als Opfer von Waffengewalt etc.
Rubrik a2) Dynastieausrottung bzw. Ausrottung einer Familie
Rubrik a3) Belagerungsnot: Teknophagie
Rubrik a4) Kinder im Krieg als Beute, Kriegsgefangene etc.
Rubrik b) Kinder als Opfer von Göttern
Rubrik b1) Erschlagung bzw. Tötung der ägyptischen Erstgeborenen
Rubrik b2) YHWH/Gott (er)schlägt anderweitig Kinder
Rubrik b3) Kinderopfer – Kinderweihe – Erstlingsopfer
Rubrik c) Kinder als Opfer ihrer Eltern
Rubrik c1) Kinder haften für ihre Eltern
Rubrik c2) von Eltern (oder Anführern) vernachlässigte und rücksichtslos behandelte Kinder
Rubrik c3) Schuldsklaverei
Rubrik c4) Kinder als Opfer von Erziehung und Gehorsam
Rubrik d) Kinder als Opfer der Gesellschaft
Rubrik d1) Waisenausbeutung bzw. Kinder zu Waisen machen
Rubrik d2) Verführung/Missbrauch von Kindern
Rubrik d3) Ungleichheit von Jungen und Mädchen
Rubrik d4) Gesellschaftliche Stigmatisierung von Kindern
Rubrik d5) Opfer juristischer Entscheidungen oder religiöser Vorschriften
1.2 Gott vernichtet, schlägt, tötet, frisst und tritt etc.
1.2.1 Warum Gott-und-Gewalt und wie?
1.2.2 Zu den Gruppierungskriterien
1.2.3 Die Gott-und-Gewalt-Verben: Übersicht
Gruppe 1: YHWH/Gott rottet aus, vernichtet, reißt nieder
Gruppe 2: YHWH/Gott schlägt, zerschmettert, durchbohrt
Gruppe 3: YHWH/Gott tötet, schlachtet, macht kinderlos
Gruppe 4: YHWH/Gott frisst, verschlingt, zerreißt etc
Gruppe 5: YHWH/Gott macht krank, lässt schmerzen, hungern
Gruppe 6: YHWH/Gott stachelt zum Kampf an, kämpft selber
Gruppe 7: YHWH/Gott zerstreut, vertreibt, führt ins Exil
Gruppe 8: YHWH/Gott verwirft, wirft weg und nieder, verlässt
Gruppe 9: YHWH/Gott erschreckt, verwirrt, macht trunken
Gruppe 10: YHWH/Gott vermindert, entblößt, schert
Gruppe 11: YHWH/Gott als Brandstifter
Gruppe 12: YHWH/Gott als (züchtigender) Erzieher
Gruppe 13: YHWH/Gott verflucht und verwünscht
Gruppe 14: YHWH/Gott vergilt und sucht heim
1.2.4 Zusammenfassende Überlegungen zu den Gott-und-Gewalt-Verben
1.3 Gewalt im Spiegel der Textgeschichte
1.3.1 Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte
1.3.1.1 Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte: Überblick
1.3.1.2 Zu den härteren LXX-Texten
1.3.1.3 Die härteren MT-Texte: Graduelle Unterschiede
1.3.1.4 Die härteren MT-Texte: Überhaupt keine Gewalt gegen Kinder in der LXX
1.3.1.5 Die härteren MT-Texte: Direkte Belastung des Gottesbildes
1.3.2 Die Gott-und-Gewalt-Texte
1.3.2.1 Die LXX hat den gegenüber MT härteren Text
1.3.2.2 MT hat den gegenüber LXX härteren Text
Bereich a) Die LXX hat ein harmloseres Verb
Bereich b) Fehlen bzw. Negation der Verbhandlung oder Veränderungen beim Objekt
Bereich c) Differenzen am Subjekt (Agens)
Bereich ca) Passivtransformationen
Bereich cb) De-Kausativierungen: Statt kausativer Verb(form)en und Funktionen nichtkausative Verben und Formen
Bereich cc) LXX hat überhaupt ein anderes Subjekt
Bereich cd) Die Gottesbezeichnung fehlt in LXX
1.3.2.3 Auswertung zu den Gewalt-gegen-Kinder-Texten
1.3.3 Vergleich der Gewalt-gegen-Kinder-Texte und der Gott-und-Gewalt-Texte
1.3.4 Konsequenzen für die Auswahl der im Detail zu behandelnden Texte
Kapitel 2: „Kinder zerschlagen“ und Ps 137
2.1 Die literarische Uneinheitlichkeit des Psalms
2.2 Redaktionskritik im Kontext des Wallfahrtspsalters
2.2.1 Zu Ps 137,7
2.2.2 Zu Ps 137,8–9
2.3 Gott und Gewalt gegen Kleinkinder
Exkurs: Wie YHWH/Gott sonst direkt Gewalt an (Klein)Kindern ausübt
Kapitel 3: „Kinder essen“ und 2Kön 6 – Klgl 2 – Dtn 28 etc.
3.1 Altorientalische Texte zu (Anthropo- und) Teknophagie
3.2 Die alttestamentlichen Texte zu Teknophagie
3.2.1 2Kön 6,28–29
3.2.2 Klgl 2,20–22
3.2.3 Lev 26,27–33
3.2.4 Ez 5,8–10c
3.2.5 Dtn 28,49–57
3.2.6 Jer 19,6–9
3.2.7 Klgl 4,10
3.2.8 Bar 2,1–5
Kapitel 4: „Kinder opfern“ und Gen 22
4.1 Zur Relevanz von Gen 22
4.2 Erste offene Fragen
4.3 Leserlenkungs- und Emotionalisierungsstrategien
4.3.1 Perspektivenspiel
4.3.2 Leerstellen und Ambivalenzen
4.3.3 Zeitlupen und Nahaufnahmen
4.3.4 Emotionen
4.4 Der Text von Gen 22: Textkritik – Literarkritik – Strukturkritik
Exkurs: Molech
4.5 Kinderopfer, Kinderweihen und Erstgeburten
4.5.1 Zum Verb
4.5.2 Zum Subjekt
4.5.3 Zum Objekt
4.5.4 Zur ל-Angabe (Empfänger/Adnominalis)
4.5.5 Zu Ort, Instrument und Zweck
4.5.6 Zur Diachronie der Texte
4.6 Gen 22: Intertextuelles Potenzial und Redaktionsgeschichte
4.7 Theologischer Ausblick für Gen 22
Kapitel 5: Das Kind als Mitte(l) und 1Kön 3
Zusammenfassende Abschlussreflexion
Zusammenfassung der Kapitel 1–5
Gericht und Strafe: Die Völker
Gericht und Strafe: Israel
Die Abgründigkeit Gottes
Kinder
Literatur
Abgekürzt zitierte Literatur
Textausgaben
Sekundärliteratur
Register
Bibelstellen (in Auswahl)
Alter Orient und Frühjudentum
Autoren
Stichworte
Hebräische Wörter
Liste der gewaltkonnotierten Verben
Sonstige hebräische Wörter (in Auswahl)

Citation preview

Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski, Mark A. Smith und Hermann Spieckermann

37

Andreas Michel

Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament

Mohr Siebeck

ANDREAS MICHEL, geboren 1963; Studium der katholischen Theologie, der Geschichte und der Altorientalistik in Freiburg, Jerusalem und Tübingen; 1997 Promotion; 2 0 0 3 Habilitation; wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Mainz.

ISBN 3-16-148155-0 ISSN 0 9 4 0 - 4 1 5 5 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograabrufbar. phie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de

978-3-16-157805-2 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 © 2003

J . C. B. M o h r (Paul Siebeck) Tübingen.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das B u c h wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die leicht überarbeitete und um aktuelle Literatur ergänzte Fassung meiner im September 2002 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen eingereichten Habilitationsschrift „Gott - Gewalt - Kinder. Zu einem schwierigen alttestamentlichen Verhältnis". Sie bildet das vorläufige Ende eines Erkenntnisweges, der ursprünglich bei den Gewalt-gegen-KinderTexten anfing und zuletzt - wohl unvermeidlich - bei der biblischen Gottund-Gewalt-Thematik generell landete. Dieser Weg kommt in der Anlage der Studie dadurch zum Ausdruck, dass sie zu je etwa gleichen Teilen sowohl eher handbuchartige, kursorische Überblicke wie auch paradigmatische Textuntersuchungen quer durch den alttestamentlichen Kanon bietet. Darunter sind exponierte und vergessene Texte: Genesis 22 („Isaaks Opferung"), 1 Könige 3 (das sog. „salomonische Urteil"), Psalm 137 und die Teknophagietexte („Kannibalismus" an Kindern). Diese mehrheitlich sperrigen Einzeltexte führen zu bibeltheologisch prima facie unbequemen Thesen über die Verknüpfung von Gott und Gewalt, sie zeugen aber vor allem von der ^MC/Z-Abgründigkeit des biblischen Gottes. Die Thesen stehen, in Ernstnahme biblischen Realitätssinns und biblischer Nüchternheit, quer zu alter wie neuer banalisierender Verharmlosung der Gottesrede, erteilen aber auch jeder Dämonisierang des Gottesbildes, gar im Interesse „individueller schwarzer Pädagogik" eine klare Absage. Das Zeugnis der Texte, die Gott auf die Seite des „Problems Gewalt" rücken, ist sicher nicht das letzte Wort der Bibel, aber doch ein gewichtiges, das nicht verschwiegen, übergangen, negiert werden darf. Dass ich für die vorgelegten Thesen die alleinige Verantwortung trage, versteht sich ebenso von selbst, wie dass sie u.a. in vielen Diskussionen gewachsen, geschärft worden sind. Besonders den Tübinger Professores et Doctores Ottmar Fuchs, Bernd Jochen Hilberath, Peter Hünermann, Dietmar Mieth, Herbert Niehr und Michael Theobald bin ich für Kritik und Anregung zu großem Dank verpflichtet, Herbert Niehr insbesondere auch fiir die Erstellung des Zweitgutachtens. Prof. Dr. Josef Wohlmuth (Bonn) hat mir mit Derridas Interpretation von Genesis 22 grundstürzende neue Einsichten eröffnet. Ihm danke ich ebenso von Herzen wie Prof. Dr. HermannJosef Stipp (Mainz), der seinem Assistenten die nötige Freiheit zur Forschung gewährt und harte Kritik nicht erspart hat. Ich will außerdem offen und gerne bekennen, dass ohne die m.E. bahnbrechende alttestamentliche

VI

Vorwort

Theologie Walter Brueggemanns von 1997 diese Studie vielleicht gar nicht hätte geschrieben werden können. Dass sie dank der erfreulichen Zusage der beiden Herausgeber Prof. Dr. Bernd Janowski (Tübingen) und Prof. Dr. Hermann Spieckermann (Göttingen) so rasch in der Reihe „Forschungen zum Alten Testament" erscheinen kann, erfüllt mich mit ganz besonderer Freude. Als letztem und eigentlich erstem aber danke ich Prof. Dr. Walter Groß (Tübingen) von ganzem Herzen, weil er die biographische und thematische Eigenwilligkeit seines Habilitanden ertragen und mich trotzdem ermutigt und gefördert hat. Wer die vorliegende Studie aufmerksam liest, wird feststellen, wieviel ich Walter Groß, seinen thematischen Anregungen, seinem sprach- und literaturwissenschaftlichen Geist und seinem theologischen Denken verdanke. So ist es für mich zu einem biographischen Glücksfall geworden, dass ich ihm im September 1984 im theologischen Studienjahr der Dormitio Abtei/Jerusalem begegnet bin. Ich widme diese Studie im Bewusstsein der Abgründigkeit ihrer Fragestellung unseren Kindern Johannes, Clara und Theresia. Mainz, im Mai 2003

Andreas Michel

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Hinführung zum Thema „Gewalt" „Kinder" „Gewalt gegen Kinder" Erste Konsequenzen für die Fragestellung „Gott und Gewalt gegen Kinder" Kapitel 1: „ Gewalt gegen Kinder " und „ Gott und Gewalt" 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3

Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte im Überblick Lexikographisches und Semantisches zu „Kind" im Hebräischen Zur Rubrizierung der Gewalt-gegen-Kinder-Texte Gewalt-gegen-Kinder-Texte: Übersetzung und textkritische Anmerkungen Rubrik a) Kinder als Opfer in kriegerischen Kontexten Rubrik al) Kinder als Opfer von Waffengewalt etc Rubrik a2) Dynastieausrottung bzw. Ausrottung einer Familie... Rubrik a3) Belagerungsnot: Teknophagie Rubrik a4) Kinder im Krieg als Beute, Kriegsgefangene etc Rubrik b) Kinder als Opfer von Göttern Rubrik bl) Erschlagung bzw. Tötung der ägyptischen Erstgeborenen Rubrik b2) YHWH/Gott (er)schlägt anderweitig Kinder Rubrik b3) Kinderopfer - Kinderweihe - Erstlingsopfer Rubrik c) Kinder als Opfer ihrer Eltern Rubrik cl) Kinder haften für ihre Eltern Rubrik c2) von Eltern (oder Anfuhrern) vernachlässigte und rücksichtslos behandelte Kinder Rubrik c3) Schuldsklaverei Rubrik c4) Kinder als Opfer von Erziehung und Gehorsam Rubrik d) Kinder als Opfer der Gesellschaft Rubrik dl) Waisenausbeutung bzw. Kinder zu Waisen machen.. Rubrik d2) Verfuhrung/Missbrauch von Kindern Rubrik d3) Ungleichheit von Jungen und Mädchen Rubrik d4) Gesellschaftliche Stigmatisierung von Kindern Rubrik d5) Opfer juristischer Entscheidungen oder religiöser Vorschriften

1 1 4 8 14 16 21 21 21 27 31 31 31 37 39 41 44 44 46 48 53 53 55 57 59 60 60 63 64 64 64

VIII 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3

1.2.4 1.3 1.3.1 1.3.1.1 1.3.1.2 1.3.1.3 1.3.1.4 1.3.1.5 1.3.2 1.3.2.1 1.3.2.2

1.3.2.3

Inhaltsverzeichnis Gott vernichtet, schlägt, tötet, frisst und tritt etc Warum Gott-und-Gewalt und wie? Zu den Gruppierungskriterien Die Gott-und-Gewalt-Verben: Übersicht Gruppe 1: YHWH/Gott rottet aus, vernichtet, reißt nieder Gruppe 2: YHWH/Gott schlägt, zerschmettert, durchbohrt Gruppe 3: YHWH/Gott tötet, schlachtet, macht kinderlos Gruppe 4: YHWH/Gott frisst, verschlingt, zerreißt etc Gruppe 5: YHWH/Gott macht krank, lässt schmerzen, hungern.. Gruppe 6: YHWH/Gott stachelt zum Kampf an, kämpft selber... Gruppe 7: YHWH/Gott zerstreut, vertreibt, fuhrt ins Exil Gruppe 8: YHWH/Gott verwirft, wirft weg und nieder, verlässt.. Gruppe 9: YHWH/Gott erschreckt, verwirrt, macht trunken Gruppe 10: YHWH/Gott vermindert, entblößt, schert Gruppe 11: YHWH/Gott als Brandstifter Gruppe 12: YHWH/Gott als (züchtigender) Erzieher Gruppe 13: YHWH/Gott verflucht und verwünscht Gruppe 14: YHWH/Gott vergilt und sucht heim Zusammenfassende Überlegungen zu den Gott-und-Gewalt-Verben

66 66 72 74 74 79 84 85 87 87 90 93 96 101 103 104 104 105

Gewalt im Spiegel der Textgeschichte Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte: Überblick Zu den härteren LXX-Texten Die härteren MT-Texte: Graduelle Unterschiede Die härteren MT-Texte: Überhaupt keine Gewalt gegen Kinder in der LXX Die härteren MT-Texte: Direkte Belastung des Gottesbildes Die Gott-und-Gewalt-Texte Die LXX hat den gegenüber MT härteren Text MT hat den gegenüber LXX härteren Text Bereich a) Die LXX hat ein harmloseres Verb Bereich b) Fehlen bzw. Negation der Verbhandlung oder Veränderungen beim Objekt Bereiche) Differenzen am Subjekt (Agens) Bereich ca) Passivtransformationen Bereich cb)De-Kausativierungen: Statt kausativer Verb(form)en und Funktionen nichtkausative Verben und Formen.. Bereich cc)LXX hat überhaupt ein anderes Subjekt Bereich cd)Die Gottesbezeichnung fehlt in LXX Auswertung zu den Gewalt-gegen-Kinder-Texten

115 116 117 123 126

106

129 135 142 142 144 144 149 150 150 151 152 155 155

Inhaltsverzeichnis

1.3.3 1.3.4

Vergleich der Gewalt-gegen-Kinder-Texte und der Gott-und-Gewalt-Texte Konsequenzen für die Auswahl der im Detail zu behandelnden Texte

IX

157 160

Kapitel 2: „Kinder zerschlagen " undPs 137

162

2.1

Die literarische Uneinheitlichkeit des Psalms

162

2.2 2.2.1 2.2.2

Redaktionskritik im Kontext des Wallfahrtspsalters Zu Ps 137,7 Zu Ps 137,8-9

176 178 182

192 2.3 Gott und Gewalt gegen Kleinkinder Exkurs: Wie YHWH/Gott sonst direkt Gewalt an (Klein)Kindern ausübt. 193 Kapitel 3: „Kinder essen " und 2Kön 6 - Klgl 2 -Dtn 28 etc

200

3.1

Altorientalische Texte zu (Anthropo- und) Teknophagie

200

3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8

Die alttestamentlichen Texte zu Teknophagie 2Kön 6,28-29 Klgl 2,20-22 Lev 26,27-33 Ez 5,8-10c Dtn 28,49-57 Jer 19,6-9 Klgl 4,10 Bar 2,1-5

213 216 220 226 228 231 237 241 243

Kapitel 4: „ Kinder opfern " und Gen 22

246

4.1

Zur Relevanz von Gen 22

246

4.2

Erste offene Fragen

248

4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 Exkurs:

Leserlenkungs- und Emotionalisierungsstrategien Perspektivenspiel Leerstellen und Ambivalenzen Zeitlupen und Nahaufnahmen Emotionen Der Text von Gen 22: Textkritik - Literarkritik - Strukturkritik.. Molech

255 256 259 261 263 264 275

4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4

Kinderopfer, Kinderweihen und Erstgeburten Zum Verb Zum Subjekt Zum Objekt Zur "^-Angabe (Empfänger/Adnominalis)

280 281 283 284 285

X

Inhaltsverzeichnis

4.5.5 4.5.6

Zu Ort, Instrument und Zweck Zur Diachronie der Texte

286 287

4.6

Gen 22: Intertextuelles Potenzial und Redaktionsgeschichte

303

4.7

Theologischer Ausblick für Gen 22

313

Kapitel 5: Das Kind als Mitte(l) und lKön 3

317

Zusammenfassende Abschlussreflexion

329

Zusammenfassung der Kapitel 1-5 Gericht und Strafe: Die Völker Gericht und Strafe: Israel Die Abgründigkeit Gottes Kinder

330 339 342 344 350

Literatur

353

Abgekürzt zitierte Literatur Textausgaben Sekundärliteratur

353 353 356

Register

381

Bibelstellen (in Auswahl) Alter Orient und Frühjudentum Autoren Stichworte Hebräische Wörter Liste der gewaltkonnotierten Verben Sonstige hebräische Wörter (in Auswahl)

381 388 389 390 391 391 395

Einleitung und Hinführung zum Thema Gewalt gegen Kinder im Kontext der Gottesfrage ist im wissenschaftlichen Diskurs um das Alte Testament bislang eigentlich kein Thema. Das verwundert von verschiedenen Seiten der Themenstellung her nicht.

„Gewalt" Eine weitere Kreise ziehende „Gewalt"-Debatte im Hinblick auf die Bibel und dann auch das alttestamentliche Gottesbild ist im deutschsprachigen Raum im wesentlichen erst mit den einflussreichen Beiträgen von Jürgen Ebach 1 und Norbert Lohfink 2 Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zögerlich in Gang gekommen. 3 Ebachs nach wie vor lesenswerte kleine Studie hatte ihren konkreten Anlass in den Erscheinungen des bundesdeutschen RAF-Terrorismus, den - mangelnden - gesellschaftlichen Debatten um dieses Phänomen, und zielte als ganzes auf die Frage nach der Legitimität von Gewaltanwendung aus alttestamentlicher Sicht. 4 Das begrenzte einerseits die Reichweite der Studie, doch zeigen alleine die weiteren eigenen Arbeiten Ebachs den innovativen Impuls, der von der konsequenten Berücksichtigung der Frage nach Gewalt auch im Gottesbild ausgeht. 5 Lohfink rechtfertigte seinen drei Jahre späteren Beitrag, mit der durch die sog. Nachrüstungsdebatte katalysierten Friedensbewegung bereits im Rücken, aus biblischer Sicht zunächst noch mit der „anthropologischen" Präponderanz des Themas. 6 Doch zeigte sich die tatsächliche theologische Virulenz schon ganz schnell allein darin, dass aus den Händen desselben Autors nur vier Jahre später ein Aufsatz mit dem Titel „Der gewalttätige Gott des Alten Testaments" 7 erschien. Seitdem findet sich eine 1

EBACH ( 1 9 8 0 ) .

2

LOHFINK ( 1 9 8 3 ) .

3

Man vgl. aber auch ältere Beiträge zum Thema, besonders VOLZ (1924). Sein Fazit dazu lautet: „Tatsächlich ist einzig die Gewalt legitim, die den Kreislauf der Gewalt durchbricht und beendet." EBACH (1980) 116. 5 Vgl. z.B. Ebachs Auseinandersetzung mit dem Ijobbuch oder sein gewichtiger Bei4

t r a g z u G e n 2 2 : EBACH ( 1 9 9 5 ) , ( 1 9 9 6 ) u n d ( 1 9 9 7 ) . 6 LOHFINK (1983) 15: „Denn der Teil der Bibel, dessen Auslegung uns anvertraut ist, kennt kein anderes anthropologisches Thema, das ihn so erfüllen würde wie die Gewalttat." 7

LOHFINK ( 1 9 8 7 ) .

2

Einleitung und Hinflihrung zum Thema

wachsende, wenn auch immer noch bescheidene Anzahl von Monographien, die sich des Themas Gewalt besonders im Hinblick auf das Gottesbild annehmen. Dazu gehören vor allem Beiträge wie Groß/Kuschel (1992), Lindström (1994), Zenger (1994), Görg (1995), Dietrich/Link (1995) und (2000), Römer (1996), Krieger (2002) und (endlich!8) eine faszinierende - Theologie des Alten Testaments, nämlich diejenige aus der Feder von Brueggemann (1997). 9 Dass die Fragestellung freilich eine wirklich breite Akzeptanz gefunden hätte, wird man gleichwohl nicht konstatieren können. Das mag mit der Konjunktur von Themen zusammenhängen, manchmal auch mit der Einseitigkeit von Problembeschreibungen und Lösungsvorschlägen.10 Jedenfalls nimmt man mit Erstaunen zur Kenntnis, wie die z.Z. neuentstehenden bzw. neubearbeiteten drei großen deutschsprachigen theologischen Lexika, TRE, LThK3 und RGG4 sich der Sache annehmen: Die TRE - der relevante Band stammt von 1984 - kennt noch keinen eigenen Eintrag „Gewalt/ Gewaltlosigkeit, biblisch"!11 Der 1995 erschienene Artikel „Gewalt, Biblisch"12 in LThK3 aus der Feder von Ernst Haag behandelt nur das an8 LOHFINK (1983) 17 moniert noch das Fehlen eines „Abschnitts über das Thema Gewalt" in alttestamentlichen Theologien. Vielleicht ist das auch zu viel verlangt: BRUEGGEMANNS Theologie jedenfalls ist von der „Würdigung" der „Gewalttätigkeit" YHWHs durchdrungen, ohne dass das so in einer Kapitelüberschrift thematisch würde. 9 Die Beiträge hängen vielfach miteinander zusammen, an BRUEGGEMANN (1997) etwa wird auch deutlich, wieviel er der luziden exegetischen Studie LINDSTRÖMS ZU den Klage- und Krankenpsalmen verdankt, DIETRICH/LINK beziehen sich mehrfach auf GROB/ KUSCHEL etc. Aus neutestamentlicher Perspektive vgl. man auch BERGER (1996). 10 Im Falle LOHFINKs sollen drei (zu) pauschale Hinweise genügen: 1. Dass die Problembeschreibung so stark auf die sozial- und tiefenpsychologischen Ansätze GlRARDs rekurriert, begrenzt mit Sicherheit die mögliche interpretative Kraft von LOHFINKS Beobachtungen und Hypothesen. 2. Die Verschlingung der Gewaltproblematik in die Perspektive einer erlebbaren, aber religionssoziologisch recht enggefassten Gewaltlosigkeitsutopie hinein (fast programmatisch dafür schon der Titel des Artikels von 1991 in seiner Doppelung „Gewalt/Gewaltlosigkeit") schwächt ab, was zuvor stark gemacht wurde. 3. Die hermeneutische Vorordnung des NT vor das AT in Sachen „Gewalt" (paradigmatisch dafür LOHFINK [1987]), aber in der Essenz in LOHFINK [1991] eingegangen), reduziert das AT im wesentlichen eben doch, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, auf einen Anweg der „Entlarvung der Gewalt", während, so wird behauptet, das Neue Testament „unzweideutig und ohne verdunkelnde Konkurrenzaussagen... ohne Wenn und Aber" (LOHFINK [1987] 121) zur Sache komme. So gesehen kann man fast nicht umhin, ZENGERs Beitrag von 1994 „Der Gott der Bibel - ein gewalttätiger Gott?" sowohl als Reaktion auf BUGGLES Provokationen wie auf LOHFINKS Thesen zu interpretieren. 11 Der Artikel „Gewalt/ Gewaltlosigkeit" hat zwei Hauptpunkte, nämlich „I Ethisch" und „II Praktisch-theologisch". Unter „Ethisch" von HEINZ-HORST SCHREY findet sich der Unterpunkt „2. Die Stellung der Religionen zu Gewalt/ Gewaltlosigkeit", darunter dann (!) einige recht merkwürdige Zeilen unter „In Israel gilt" ebd. 169. 12 Und klein dahinter, nach Komma, „Gewaltlosigkeit". In der zweiten Auflage des LThK findet sich noch kein Unterabschnitt „Gewalt" „biblisch", aber das ist zeittypisch.

Gewalt"

3

thropologische Problem der Gewalt, davon, dass oder wie dem biblischen Gott gewalttätige Züge eignen könnten, erfahrt man nichts. 13 Im zuletzt erschienenen betreffenden Band der neuaufgelegten RGG von 2000 findet sich zwar ein Stichworteintrag zu „Gewalt", aber kein Unterabschnitt im Hinblick auf die Bibel. Die Gewaltverhaftetheit des Gottesbildes wird erst, so bis zur Unkenntlichkeit verpackt, im Unterabschnitt „Bibel" beim Artikel „Gewaltlosigkeit" angesprochen und dann auch nur so, dass - merklich apologetisch - eine scheinbar völlig eindeutige, geschichtliche Entwicklungslinie der „Pazifizierung des Gottesverständnisses" ausgezogen wird. 14 Es scheint so, als könne der gewalttätige Gott, wenn überhaupt, nur im Kontext der eigentlich avisierten Gewaltlosigkeit angesprochen werden, wenn das Problem als solches überhaupt benannt und nicht wie noch 1995 im LThK nicht wahrgenommen wird. Woran diese Reserve liegen mag, darüber kann man sicher trefflich streiten. Doch sollte man sich auch vergegenwärtigen, wie sehr die in dem uns interessierenden Zusammenhang aufkeimende „Gewalt"-Debatte überhaupt ein geistes- und wissenschaftsgeschichtliches Phänomen des ausgehenden 20.Jahrhunderts darstellt. Wer etwa Gerhard von Rads Theologie aus dem Ende der 50er Jahre zur Hand nimmt, wird schnell feststellen, wie - exegetisch-historisch aber auch theologisch - unverkrampft der Autor mit der (von ihm diagnostizierten) Erscheinung des „Heiligen Krieges" umgehen kann. Vielleicht ist das bezeichnend für eine Generation, die selbst zwei große Kriege erlebt und erfahren hat und sich von daher über die Wirklichkeit, wie sie ist, kaum etwas vormachen konnte. Oder für Generationen vor der Mitte des 20. Jahrhunderts überhaupt, für die angesichts der freilich kaum so empfundenen eigenen und gesellschaftlichen Gewalttätigkeit auch gewalttätige Züge im Gottesbild kein allzu großes Unbehagen bereitet haben mögen. Umgekehrt könnte dann der in den letzten Jahrzehnten lauter gewordene Aufschrei gegen Gewalt in der Bibel gerade Indiz für die weitgehende Erfahrungslosigkeit zum Thema Krieg in Europa sein. Er ist aber gleichwohl auch charakteristisch für etwas Anderes: Erst im Kontext einer Theologie, die sich vor allem „Gott ist die Liebe" auf ihre Fahnen geschrieben und ihren Siegeszug im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts gehalten hat, 15 wird die allen Ideologien zum Trotz 16 doch 13 Das ist umso erstaunlicher, als ZENGER (1994) im kurzen Literaturverzeichnis aufgeführt wird. 14 OTTO (2000) 888. Man beachte aber, dass die dritte Auflage des RGG weder einen Eintrag „Gewalt" noch einen zu „Gewaltlosigkeit" kannte. 15 Dafür könnte man zahllose Protagonisten nennen. Vieles davon findet sich etwa in WALTER KASPER, Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982 (mehrere Auflagen und Übersetzungen) auf den Seiten 360ff. verdichtet. 16 DlETRICH/LlNK (1995) 171 formulieren das so: „Unsere Zeit fragt nach dem „sanften Gott", einem Gott ohne Ecken und Kanten, der sich widerstandslos in die Weltan-

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Einleitung und Hinflihrung zum Thema

real erfahrene und erfahrbare Gewalt einerseits, die biblisch auch im Gottesbild verankerte und nicht zu leugnende Gewalt andererseits zum Problem, das einer Bearbeitung bedarf. „Der verabsolutierte Gott der Liebe" 17 ist insofern der Katalysator der neuen Fragestellung. Aber auch andere theologische Parameter haben sich im Prinzip grundlegend geändert: Vor der mittlerweile bei vielen christlichen Exegeten gewachsenen Sensibilität für die Eigenständigkeit des Alten Testaments stand zur Be- und Abwertung der Gewaltbilder des AT jederzeit das vermeintlich ethisch so viel höherstehende Neue Testament zur Verfugung, vor 1945 noch mit unverhohlen antijüdischer Attitüde, 18 nach 1945 in sanfteren Worten, die gleichwohl oft substitutionstheologisch argumentierten. Kurz: Der Kontext, in dem es notwendig wird, das Problem der Gewalt - im Gottesbild - zu verhandeln und in dem alte Holzwege nicht mehr beschritten werden können, besteht noch nicht lange; manchmal hat man sogar den Eindruck, dass er für den einen oder die andere noch gar nicht real existiert. Ob hier der 11. September 2001 im Hinblick auf die eigene biblische (und geschichtliche) Tradition zu mehr Nachdenklichkeit und Selbstreflexion statt zu Anklagen anderer fuhrt, ist noch nicht ausgemacht. Denn eine mögliche Reaktion auf die genannten Ereignisse könnte sein, das Thema Gewalt in der Bibel (christlich-)gesellschaftlich bzw. kirchlicherseits zu tabuisieren, um dadurch die immer virulenter werdenden Anfragen von außen stillzulegen. Was dann in der vorliegenden Studie geschieht, wird aus dieser Perspektive als Sammlung belastenden Materials für einen Prozess gegen die Bibel oder auch nur das Alte Testament interpretiert werden können, eine „Nestbeschmutzung", die das Geschäft „des Gegners" betreibt. 19 So mag unter apologetischen Druck von innen und von außen geraten, wer sich allzu viel mit Gewalt in der Heiligen Schrift beschäftigt. Günstig stehen die Indikatoren für eine unaufgeregte und unparteiliche Gewaltdebatte jedenfalls sicher nicht.

„Kinder" Dass hier gerade die Kinder-Texte herangezogen werden, hat vielfältige Gründe, in jedem Fall verrät sich darin ein den alttestamentlichen Texten schauung der Gesellschaft und deren Spielregeln einpassen läßt... Die Gewißheit des Hebräerbriefes: ,Der Herr wird sein Volk richten. Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen' (Hebr 10,30f), mutet uns wie ein archaisches Relikt aus einer längst vergangenen Vorgeschichte an." 17 So bringt KRIEGER (2000) 297 die Problembeschreibung auf den Punkt. 18 Man vgl. etwa GUNKELs Interpretation von Ps 137, dazu s.u. Kapitel 2. 19 Einen solchen Gegner werden manche vielleicht in BUGGLE (1992) finden. Diesen und weitere Christentums- und monotheismuskritische Autoren bespricht STOBBE ( 2 0 0 2 ) .

„Kinder"

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vielleicht zunächst inadäquat modernes, teilweise sehr aktuelles Frageinteresse. Die wachsende Aufmerksamkeit der (medialen) Öffentlichkeit für bestimmte (Ab)Arten von Gewalt gegen Kinder ist jedenfalls auffällig, zumal sie in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur tatsächlich sinkenden Zahl und schwindenden Bedeutung von Kindern in westlichen Gesellschaften steht. Dass hier die Kinder-Texte ausgewählt sind, hat aber vor allem seine pragmatischen Gründe in dem Bemühen, das Gott-und-GewaltProblem von der Seite der Texte und Themen her „handhabbar" einzugrenzen. Natürlich begrenzt diese Selektion die Aussagekraft im Hinblick auf Gott-und-Gewalt als Ganzes. Gleichwohl fällt von der Kinderthematik auf das Gottesbild ein besonders dunkler Schatten; ein Text wie Gen 22 tangiert und beschädigt neuzeitlich, spätestens seit Kant, das Gottesbild in einer Weise, dass an dieser Beschädigung alle Interpretationskünste zu scheitern drohen. Von alttestamentlicher Seite her ist es beachtlich, dass zu „Kind" und „Kindheit" in Israel sowohl historisch-soziologische wie exegetische monographische Studien weitgehend ausfallen. 20 Was es gibt, sind eher semantisch orientierte Artikel zu einzelnen „Kind" bezeichnenden Lexemen, am ausführlichsten geraten im Fall von ~ai in der Studie von Stähli (1978). 21 Verräterisch ist der Titel des scheinbar vielversprechenden Buches von Roy B. Zuck „Precious in his Sight. Childhood & Children in the Bible". Was als wissenschaftliches Exposé auftritt, entpuppt sich tatsächlich als Produkt von typisch US-amerikanischem moral-majority-Fundamentalismus mit der zwar nicht unberechtigten, aber bibelfernen Abzweckung, damit der amerikanischen Gesellschaft in Sachen Abtreibung einen Spiegel vor die Augen zu halten. Um Kinder an sich geht es in diesem Buch überhaupt nicht! Vordergründig mag man das sogar mit dem besonderen alttestamentlichen Interesse am Kind, eigentlich nur an Söhnen, als Nachkommen rechtfertigen, denn das rückt tatsächlich die Eltern oder die genealogische Linie ins Blickfeld, ist aber der Betrachtung von Kindern „als solchen" eher abträglich. So setzen denn auch Lexikoneinträge über „Kind im AT" oder „Kinder in der Bibel", wie schon im ThWNT von 1954, mit Bemerkungen über Kinder als Gabe Gottes vor allem für deren Eltern ein, so etwa in NBL von 1995 (der Faszikel datiert 1992)22, in 20

Bezeichnend ist der Ausfall des AT in Sammelstudien, vgl. dazu Kuss/WACKER (2002) 392. Man vgl. aber in demselben Band die Beiträge von FISCHER (2002), CRÜSEMANN ( 2 0 0 2 ) u n d DELKURT ( 2 0 0 2 ) . 21 Zu den einzelnen Lexemen sind die entsprechenden Artikel besonders in ThWAT zu vergleichen. 22 In manchem besser, weil weniger beschönigend als die beiden genannten Artikel ist übrigens derjenige von BLINZLER in der zweiten Auflage des LThK von 1961: Er bezeichnet mit Blick auf Ps 127,3-5 nicht einfach „Nachkommenschaft" als „hohes Glück", sondern präzisiert „bes. männliche". BLINZLER geht nicht verharmlosend von Vater- und

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Einleitung und Hinfiihrung zum Thema

LThK 3 von 1996 oder RGG 4 von 2001, und es ist sicher bezeichnend, dass z.B. NBL dem nachfolgenden Stichwort „Kinderlosigkeit" erheblich mehr Platz einräumt als dem vorausgehenden Artikel „Kind". 23 Die Frage drängt sich auf, was bei dieser Gewichtsverteilung der antiken Darstellung und was der modernen Erwartungshaltung entspringt. Dass Kinder als Kinder wenigstens in der modernen Wiedergabe so wenig ins Zentrum rücken, zumindest bei der Diskussion um das Alte Testament, ist angesichts der schon länger außerhalb der Theologie geführten Debatte um das „Kind" schon erstaunlich. 24 Die Debatte wurde zwar zunächst angeregt mit der provokativen These von Aries (1960), die darauf hinausläuft, dass es vor der frühen Neuzeit so etwas wie Kindheit jenseits der Säuglings- und Kleinstkindphase eigentlich gar nicht gegeben habe. 25 Die These besticht mit ihrer kultursoziologischen Perspektive des Konstrukts „Kindheit", die in dieser Form hinter eine Frage nach „Kindheit in alttestamentlicher Zeit" mehr als nur ein Fragezeichen gesetzt hätte. Aries ist aber vor allem von Seiten der eher medizinisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Anthropologie unter Kritik geraten. So hat sich mittlerweile zu Recht eine differenziertere Sicht von „Kind" und „Kindheit" ergeben, die Gerold Scholz 1994 unter vier Hinsichten zusammengefasst hat: „Als ,Kinder' bezeichnen wir Menschen - und manchmal Tiere - , die in der Relation der direkten Nachkommenschaft stehen. So läßt sich von jedem Menschen unabhängig von seinem Alter sagen, er sei ein Kind seiner Eltern. Der Begriff ,Kind' bezeichnet als zweites Menschen von ihrer Geburt an bis zu einem bestimmten Lebensalter. Als Demarkationsbegriff wird ,Kind' dann abgelöst durch ,Jugendliche(r)' oder ,Erwachsene(r)'. ... ,Kind' meint hier ,Kindesalter' als eine Lebensphase, die sich gewissermaßen naturgemäß ergibt. Drittens sprechen wir von Kindheit als persönlicher Kindheit im Sinne einer rückerinnerbaren Lebensphase im eigenen Lebenslauf. ... Die vierte Bedeutung des Begriffes .Kindheit' umreißt ... Mutterliebe aus, sondern von dem „weitgehende(n) Verfügungsrecht über das K(ind)" durch die Eltern; er beendet den atl. Teil seines Artikels mit dem Hinweis „schwere Verstöße gg. das 4. Gebot konnten mit dem Tod bestraft werden (Dt 21,18-21; Ex 21,15,17; Lv 20,9)." Der Hinweis findet sich in ThWNT und NBL nicht. Bei STENDEBACH in N B L fehlen ohnehin praktisch alle Hinweise auf negative und auf Gewaltaspekte des Kindseins in alttestamentlicher Zeit, ähnlich selbst noch bei GILLMAYR-BUCHER (1999). 23 Der Unterabschnitt „Kind 2.Biblische Markierungen" in TRE 18 (1989) kommt ganz ohne das AT aus und verweist für das NT vor allem auf die emanzipatorischen Kindertexte. 24 Trotzdem kommt die Debatte um Kinder natürlich spät. Werden auch Kinder erst dort zum Gegenstand wissenschaftlichen Interesses, wo ihre selbstverständliche Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung bereits stark beschnitten ist? Oder zeigt sich daran, w i e manche Kritiker behaupten, dass sich „Kindheit" überhaupt erst als ideologisch-eurozentrischer Begriff von Alterität herausgebildet hat? 25

Das französische Original erschien 1960, die deutsche Übersetzung erstmals 1975.

„Kinder"

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die Frage, ob Kindheit eine (erste) Lebensphase des Menschen ist, die sich von den Kindheiten anderer Lebenswesen unterscheidet und die gleichzeitig eine überzeitliche und überkulturelle Aufgabe hat." 26 Mit diesen verschiedenen Kindheitsbegriffen an der Hand wird es vielleicht überhaupt erst einmal gelingen, einen reflektierten Gebrauch des Wortes „Kind" in der alttestamentlichen Wissenschaft zu befördern. Eine solche reflektierte Verwendung muss vor allem den ersten Gebrauch von „Kind als Nachkommen" deutlich differenzieren von all jenen, wo tatsächlich Kinder im Sinne biologisch-medizinischer bzw. kulturanthropologischer Definition (gemeint: Kind im Sinne von Lebensalter) in Blick genommen sind. Dann zeigt sich schnell, dass nicht wenige vermeintliche Kindertexte tatsächlich gar keine sind, man sich daher auch von der bisherigen Fixierung gerade der alttestamentlichen Forschung auf Nachkommen und Nachkommenverheißung nicht den Blick verstellen lassen darf. Ein klar von der Abstammung unterschiedenes Frageinteresse nach (kindlichen) Lebenszeitaltern ist in der alttestamentlichen Wissenschaft kaum verankert, die letzte, die kultursoziologische Sicht, die Frage nach der „Konstruktion des Kindes" gar nur am Rande, einen in den beiden letzteren Zusammenhängen beheimateten Fokus auf dem Kind selbst gibt es so gut wie gar nicht. Ein besonders prägnantes Beispiel mag die Implikationen verdeutlichen, Gen 22. Die klassische Interpretation sieht darin, durchaus zu Recht, eine Erzählung mit Abraham im Zentrum, der in seiner Zukunftsfähigkeit bedroht ist. Sie definiert im Grunde Abraham als Opfer seines Tuns, für das die Sohnesopferung nur das Instrument darstellt. Selbst wer, ohne deshalb schon psychologisieren zu müssen, Isaak in den Vordergrund holt und ins Zentrum von Fragen stellt, scheint dies leichter tun zu können, wenn er sich Isaak seinerseits als erwachsenen Mann vorstellen kann: 27 Das Kind kommt nur unter Abstreifung seines Kindseins in den Blick. Wie anders ist das in der gegenwärtigen fachübergreifenden Forschung, wo mittlerweile ganze Kongresse zum Thema „Child Anthropology" veranstaltet werden. 28 Natürlich gibt es im AT keine Texte aus der Feder von Kindern. Es gibt allerdings Äußerungen, Zitate von Kindern in alttestamentlichen Texten, und wenn gilt: „Literatur ist wesentlich Zitat" 29 , dann sind diese Äußerun26

SCHOLZ (1994) 200 unter Rekurs auf weitere Autoren. Das tut etwa EBACH (1997) mit reichlich Material aus der Wirkungsgeschichte des Textes. D.h. nicht, dass man über das im Text vorgestellte Alter Isaaks nicht streiten könnte, doch scheinen die Signale in Richtung auf einen vorjuvenilen Knaben zu gehen. 28 Vgl. den gleichnamigen Kongress im September 2001 an der Universität Mainz mit einer großen Bandbreite soziologischer, kulturgeographischer, historischer, archäologischer, (evolutions)biologischer, medizinischer, psychologischer und juristischer Beiträge, 27

d a z u KURT/KEMKES-GROTTENTHALER 29

S o WEIPPERT ( 1 9 9 7 )

147.

(2002).

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Einleitung und Hinflihrung zum Thema

gen von Kindern natürlich in einem weiten Sinne Literatur geworden. Es gibt aber vor allem Texte aus der Perspektive von Kindern, auch und gerade im Zusammenhang mit Gewalt.30 Das zeigt schon auf, dass es hier nicht darum gehen kann, den Platz der fehlenden Monographie über die Soziologie der Kindheit im Alten Israel auszufüllen.31 Dazu bedarf es wahrscheinlich weitgehend anderer Arbeitsmethoden als des Zugangs über Texte, die mehrfach überarbeitet sind und ihren soziohistorischen Kontext oft nicht mehr oder nur noch unter viel Wenn und Aber preisgeben. Gleichwohl richtet sich das konzentrierte Frageinteresse auf Kinder im anthropologischen Sinne, soweit die Texte solche Daten offenlegen. 32 Es geht aber nicht um die Kinder der außertextlichen Wirklichkeit, sondern um die Konstruktion von Kindheit im Text und vor allem von bedrohter Kindheit, die diese Texte präsentieren. Denn diese bedrohten Kindheiten sind es, die für das Gottesbild und so für die Gotteskonstruktion unmittelbare Aussagekraft zu haben scheinen.

„Gewalt gegen Kinder" Ein Hinweis von Sommer (1996) charakterisiert sehr gut die Problemlage, in der wir uns theoretisch auch bei den alttestamentlichen Texten befinden könnten: „(V)or hundert Jahren noch hätte ein Buch über Kindesmißhandlung nicht geschrieben werden können. Wenn es möglich wäre, einen Forscher aus den siebziger Jahren [des 20.Jhs.] in das 19. Jahrhundert zurückzuversetzen, so daß er das damalige Familienleben aus moderner Sicht betrachten könnte, würde er überall mißhandelte Kinder sehen."33 Das hat mit den beiden vorgenannten Einsichten in die kultursoziologische Wan30 Mit Blick auf l K ö n 3 so besonders gegen die Behauptung von SEIFERT (1997) 47: „Ein Kind als solches ist in keinem einzigen alttestamentlichen Text die Zentralfigur. Kinder werden nur so weit erwähnt, wie sie für die Erwachsenenwelt Bedeutung haben oder später als Erwachsene von Bedeutung sind." 31 Material dazu liefert zuletzt FISCHER (2002). Der Beitrag zeigt zur Genüge, w i e änigmatisch Antworten auf soziologische Fragestellungen am alttestamentlichen Material (allein) bleiben. 32 In der Anthropologie haben sich die folgenden Charakterisierungen eingespielt: Fetus, Neugeborenes, Säugling (bis 1 Jahr), Infans 1 ( 1 - 6 Jahre), Infans 2 ( 7 - 1 2 / 1 4 Jahre) und Iuvenil ( 1 3 / 1 5 - 1 8 / 2 0 Jahre), vgl. dazu die hinsichtlich des Beginns des Iuvenil

d i v e r g i e r e n d e n A n g a b e n v o n K R A U S ( 2 0 0 2 ) 1 1 0 , LORKE ( 2 0 0 2 ) 1 4 1 u n d BECKER ( 2 0 0 2 )

1 5 7 - 1 5 8 . D i e Iuvenilphase wird im wesentlichen nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit sein. Dass e s sie aber in wohl allen Kulturen gegeben hat, zeigt sich etwa auf den männlichen Anteil b e z o g e n u.a. daran, dass die volle Kriegerausstattung bei Jungen meist erst mit 1 8 - 2 0 Jahren getragen wird. Dazu vgl. auch l S a m 17! FISCHER ( 2 0 0 2 ) 63f. etwa differenziert ungenügend zwischen Kindheit und Jugend. 33

SOMMER (1996), der hier einen älteren Beitrag von 1980 zitiert.

„ Gewalt gegen Kinder "

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delbarkeit von „Kind" und „Kindheit" einerseits, der Definition von „Gewalt" andererseits zu tun. Man wird also vorsichtig damit umgehen müssen, „moderne" Fragestellungen in vormoderne Texte einzutragen. Freilich sind gerade die biblischen Texte, anders als das Familienleben des 19.Jhs., Texte, die schon vor tausend Jahren gelesen wurden und auch heute noch gelesen werden wollen. Als solche müssen sie sich vor dem Wahrheitsgewissen der jeweiligen Zeit verantworten. Das macht, so unzumutbar gegenüber dem antiken Autor die modernen Bedenken erscheinen mögen, gerade unsere heutigen Fragestellungen an die biblischen Texte unabweisbar.34 Natürlich wird man in aller Sorgfalt zunächst die alttestamentlichen Texte selbst dahingehend überprüfen müssen, ob das, was wir als Gewalt empfinden, auch vom alttestamentlichen Autor so wahrgenommen wurde, ob das, was wir für ein „Kind" halten, auch in alttestamentlicher Sicht als solches galt. Dabei wird sich Erstaunliches zeigen: Einerseits, dass massive, brachiale, körperliche Gewalt, oft mit Todesfolge für die betroffenen Kinder, so vehement in unseren Texten präsent ist, dass wir beim Aufspüren der relevanten Texte nicht noch alle möglichen psychologisch-psychologisierenden Zwischentöne heraushören bzw. hineininterpretieren müssen. Die Gewalt ist präsent und wahrnehmbar, und die große Frage, die sich ergibt, ist die nach der Korrelation von Gott/YHWH und dieser Gewalt. Demgegenüber ist von der heute wahrnehmbaren Verschiebung physischer in psychische Gewalttätigkeit gegenüber Kindern35 in alttestamentlicher Zeit kaum etwas zu spüren, ebensowenig von dem z.Z. obsessiv besetzten Problemkreis sexueller Gewalt gegen Kinder. Was hingegen zusammen mit der massiven Präsenz körperlicher Gewalt gegen Kinder von vornherein auf34 Hier gilt auch die Überlegung von COLLINS (1999) 130: „Anachronism is a twoedged sword. It defends the ancient story from judgment by modern moral Standards, but only at the cost of rendering it irrelevant to modern ethics." Das gilt freilich nicht nur für „ethische" Fragen. 35 Dazu vgl. besonders SOMMER (1996). Es gibt im AT ein reiches Vokabular „psychischer" Gewalt, gerade auch mit Gott als Täter, dazu vgl. man unten und 1.2 die Gruppe 9 mit den Verben des Erschreckens, Ängstigens, Verwirrens, Verhärtens, Verachtens, Hassens, Demütigens und Verspottens. Dieses Vokabular findet bezeichnenderweise aber praktisch keine Anwendung auf das Verhältnis von Gott zu Kindern, auch kaum auf das Verhältnis von Erwachsenen zu Kindern. Außerdem sind viele dieser Verben, die sich dem modernen Leser prima facie als Verben psychischer Gewalttätigkeit präsentieren, sogar viel eher von physischer oder sozialer Gewalttätigkeit gekennzeichnet, dazu vgl. man etwa den mit DDn ausgedrückten (militärischen) Gottesschrecken oder auch die Wurzel n:»-D (demütigen, bedrücken), das ein reiches Spektrum an Handlungsnuancen bezeichnen kann, vgl. dazu MÜLLNER (1997) 260-268 und zusammenfassend 268: „HiD II pi. wird am besten mit entrechten' übersetzt. Das Verb hat nicht in jedem Fall sexuelle Bedeutung, ist aber in einem sexualisierten Kontext als negative Wertung des sexuellen Akts zu verstehen. Die negative Wertung bezieht sich nicht primär auf den physischen, sondern auf den sozial gewalttätigen Aspekt des Akts."

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Einleitung und Hinßihrung zum Thema

fällt, ist die unbestreitbar erkennbare strukturelle Gewalt gegen Kinder in alttestamentlicher Zeit, die in den Texten ihren Niederschlag, aber nur selten ihre Kritiker gefunden hat. 36 Für die Forschungslage bezeichnend ist es, dass das einzige Buch, das schon titularisch zum Thema „Gewalt gegen Kinder im Alten Testament" bzw. der Bibel Stellung nimmt, aus der Hand einer populärwissenschaftlich ausgerichteten, alttestamentlich aber durchaus vorgebildeten Autorin stammt, nämlich Susanne Krähe: „Ermordete Kinder und andere Geschichten von Gottes Unmoral" von 1999. Ausgehend von und immer wieder zurückkehrend zu verschiedenen Gewalt-gegen-Kinder-Texten - nämlich, in der Reihenfolge ihrer Behandlung, Ri 11, Gen 22, 2Sam 12, Mt 2, Ex 11, Ps 137, 2Kön 2, Jos 7, Num 16, Dtn 28 und Ijob 1-2 3 7 - verhandelt sie diese zusammen mit anderen Texten, die „Gottes Unmoral" zu erweisen scheinen. Sie scheut sich nicht, unter diesem Thema AT und NT gemeinsam zu durchleuchten, wobei sich für den Leser zeigt, dass der Anteil expliziter Gewalt-gegen-Kinder-Texte - nicht jedoch expliziter GewaltTexte (!) - im NT deutlich abzunehmen scheint. Die konsequente Durchleuchtung der Gewalt-Frage im Hinblick auf Kinder unterscheidet diese Studie etwa von dem spannenden Buch von Manfred Görg, „Der un-heile Gott. Die Bibel im Bann der Gewalt" von 1995, denn Görg behandelt von den wichtigen Kinder-Texten nur die besonders exponierten Gen 22, Ri 11 und die Tötung der ägyptischen Erstgeburt Ex 12 unter anderen und schon gar nicht an erster Stelle. 38 Noch stärker reduziert sich der Anteil der behandelten Gewalt-gegen-Kinder-Texte in den beiden gewichtigen Bänden von Walter Dietrich und Christian Link „Die dunklen Seiten Gottes" von 1995 („Willkür und Gewalt") bzw. 2000 („Allmacht und Ohnmacht"), wo eigentlich nur noch Gen 22 halbwegs eigenständig zu Wort kommt. 39 Natürlich finden sich zu jedem einzelnen der relevanten Texte Beiträge, Artikel, Studien, aber sie vereinzeln das Thema der Gewalt, wenn sie nicht

36 Zu diesen drei Aspekten von Gewalt vgl. BAIL (1998) 24, die „Gewalterfahrungen" definiert als „Erfahrungen, die die soziale, psychische und physische Integrität und Identität eines Menschen zerstören". Allerdings ist das „Soziale" bei BAIL nicht ineinszusetzen mit dem hier „strukturell" Bezeichneten, weil „soziale Gewalt", etwa als Isolation, innertextlich zum Ausdruck kommt, „strukturelle Gewalt" hingegen meist erst gegen den Text erhoben werden muss (aber vgl. die Interpretation von lKön 3 in Kapitel 5). 37 Die Ijobrahmenerzählung bezeugt freilich im Sinne der hier vorgestellten Definition nur im weiteren Sinne Gewalt gegen „Kinder". 38 Einen ähnlichen Aufriss wählt RÖMER (1996): Von den Gewalt-gegen-Kinder-Texten tauchen auch bei ihm vor allem Gen 22 und Ri 11 auf. 39

I n DIETRICH/LINK ( 2 0 0 0 ) 7 5 - 8 0 . V e r r ä t e r i s c h i s t d i e K l a m m e r b e m e r k u n g i m u n -

mittelbaren Anschluss daran (ebd. 80) zur Ijobrahmenhandlung: „Zum Besitz des Mannes gehören nach damaliger Vorstellung auch die Kinder." So können „Kinder" als Opfer von Gewalt nicht in den Fokus geraten.

„ Gewalt gegen Kinder "

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wegen ihres andersgearteten Frageinteresses überhaupt zu diesem Thema schweigen. 40 Die meisten Stellenangaben, die für „Gewalt gegen Kinder im Alten Testament" relevant sein könnten, findet man ohnehin in einem Buch, dessen Autor man nicht gerade allzu große Theologienähe nachsagen würde, bei Franz Buggle 1992. Die Stellen sind zwar über das Buch verstreut und mit vielen anderen Stellen vermischt, die nach Buggle das Bild von einer „zutiefst inhumanen Bibel" rechtfertigen. Sie werden auch nicht interpretiert, sondern in einer im Grunde naiven Lektüre zitiert. Freilich dürfte sich diese Leseweise gar nicht so erheblich von derjenigen der meisten gutwilligen Leserinnen und Leser der Bibel unterscheiden, und außerdem hat man mit Buggle immerhin schon mal einen Fundus von Gewalt- und Gewalt-gegen-Kinder-Texten, mit dem man etwas anfangen und mit denen die Auseinandersetzung beginnen kann. 41 Vor allem insistiert Buggle auch immer wieder auf speziell gegen Kinder gerichtete Stellen einerseits, der Problematik der Rezeption solcher Texte durch Kinder andererseits. 42 Es ist schon einigermaßen beschämend, wenn man, außer in der Bibel selbst, bei Buggle nachschauen muss, um herauszufinden, was die Bibel zu Gewalt gegen Kinder zu sagen hat. Warum „Kinder" und „Gewalt gegen Kinder" noch nicht als eigenständiges Thema in der alttestamentlichen Wissenschaft etabliert ist, hat auch noch einen anderen Grund: Wenn nicht alles täuscht, ist die Gewaltdebatte zwischenzeitlich weitgehend an die feministische Theologie und Exegese delegiert, vielleicht auch von ihr besetzt worden. Das einflussreiche Buch von Phyllis Trible „Texts of Terror: Literary-Feminist Readings of Biblical Narratives" von 1984 steht dabei wenigstens vom Titel her der vorliegenden Studie am nächsten. Vielleicht ist die Okkupation der Gewaltfrage durch diejenige nach androzentrischer Gewalt - auch im und durch das Gottesbild - ursächlich damit verknüpft, dass andersgelagerte Fragestel40

Paradigmatisch dazu STEINS (1999) zu Gen 22, vgl. dazu MICHEL (2001) 75. BUGGLES Horrorkatalog umfasst Gen 22,2/ Ex 11,5/ 12,12/ Lev 25,45/ 26; N u m 31,7.9.1-18/ Dtn 2,33/ 3,6/ 20,13-14/ 21,18-21/ 28/ 32,25/ lSam 5,9/ 15,3/ Jes 9,16/ 13,16.18/ Ps 21,11/ 78(,51)/ 105(,36)/ 106,37-38/ 135,8/ 136,10/ 137,8-9/ Spr 13,24/ 23,13, dann im NT vor allem Mt 27,25/ Offb 2,23/19,18. 42 Vgl. z.B. BUGGLE (1992) 45 (zu Ex 11/12: „Die Tötung von Kindern... wird auch hier wieder offenbar ohne einen Anflug von Gewissensregung oder Mitleid akzeptiert und beschrieben); 52 („Diese Einstellung zur Gewalttätigkeit und Lebensvernichtung, zur Ermordung auch von Kindern, zeigt auch die immer wieder zu findende, auch von den alttestamentarischen wie kirchlich-christlichen Liturgien aufgenommene Preisung Gottes für die Tötung aller Erstgeborenen in Ägypten"); 89 („Diese Botschaft der Androhung exzessiver Strafen bis zur erbarmungslosen Vernichtung selbst von Kindern setzt sich im Kapitel [Jes] 13... in kaum noch zu steigernder Grausamkeit fort"); 120 (zu Offb 2,23:„Wieder findet sich hier das schon häufiger aufgezeigte biblische Motiv der Vergeltung an Kindern); 155 (Verweis auf die Beliebtheit von Gen 22 in Schulbibeln). 41

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Einleitung und Hinflihrung zum Thema

lungen zu Gewalt wenigstens quantitativ und in der Wahrnehmung einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit eher ins Hintertreffen geraten sind. Außerdem wird man nicht gerade sagen können, dass die „Opfergruppe Kind" - bei aller Solidarität - innerhalb der feministischen Theologie die ihr gebührende Aufmerksamkeit erlangt hat. Im Gegenteil gibt es auch von feministischer Seite Blindheiten für das Thema „Gewalt gegen Kinder", die auffällig sind. Drei Beispiele seien genannt: Der Sammelband von Adams (1995) enthält, entgegen dem Titel, eben doch vor allem Belege für Gewalt gegen Frauen und dann auch noch einiges Wenige zu Gewalt gegen Mädchen, also der weiblichen Hälfte der „children". Einen kompletten Bogen über das angekündigte Thema wird man das nicht nennen können. Wer wie Schroer (1994) behauptet „Wir können mit Bestimmtheit sagen, daß vor allem die Witwen in Israel die am schlimmsten von sozialen Mißständen und Ausbeutung betroffene Bevölkerungsgruppe waren",43 der bzw. die hat, mittels Auslassung eines „auch", z.B. die Opfergruppe „Waisen" schon von vornherein aus dem Blickfeld genommen. Schlimm kommt es faktisch bei Elke Seifert, „Tochter und Vater im Alten Testament. Eine ideologiekritische Untersuchung zur Verfügungsgewalt von Vätern über ihre Töchter", einem Buch von 1997: Wenn Seifert im Hinblick auf Ez 16,15-34 (darin der Vers 20: ,J)a nahmst du deine Söhne und deine Töchter, die du mir geboren hattest, und schlachtetest sie ihnen zum Essen. War es zu wenig mit deiner Hurerei?") festhält: „Was hier im Text,Hurerei' genannt wird, müssen wir aus feministischer Perspektive als sexuell selbstbestimmtes Handeln einer Frau verstehen"44, dann verunsichert das den Leser nicht unerheblich: Soll er das Handeln der Frau nach Ez 16,20 als Beispiel für Verunglimpfung der Frau als „Hure" oder als Beleg für „sexuell selbstbestimmtes Handeln einer Frau" verstehen? Wie dem auch sei: Nach und neben dem feministischen Interesse für androzentrische Gewalt gegen Frauen und Mädchen noch eine eigenständige Frage nach Kindern, der Konstruktion von Kindheit, nach Gewalt gegen Kinder zu verankern, wird sichtbar schwer werden. Dabei sind die Paradigmenwechsel, die hinter der neuzeitlichen Frage nach „Frau" und „Kind" stehen, so verschieden gar nicht: Bei beiden Fragen hat sich gezeigt, wie sehr der „Gegenstandsbereich" einer kultursoziologischen Differenzierung bedarf: Wie die „sex"-Frage zunehmend zur „gender"-Frage mutiert ist, so wird mehr und mehr auch die Vorstellung von sozusagen naturgegebener „Kindheit" als ideologisches Konstrukt in jeweils verschiedener Aufmischung von Natur und Kultur entlarvt. Während sich die durch die vermeintlich natur- und sicher traditionsgegebene Mann-Frau-Dichotomisierung legitimierten Ungleichheiten zuungunsten 43

SCHROER ( 1 9 9 4 ) 6 8 5 .

44

SEIFERT ( 1 9 9 7 ) 2 6 4 .

„ Gewalt gegen

Kinder"

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von Frauen langsam aufzuweichen scheinen, stehen wir bei der Erwachsenen-Kind-Dichotomie noch ziemlich am Anfang einer Subjektwerdung von Kindern,45 deren Ziel und Ende noch nicht recht abzusehen ist.46 Bei der Lektüre der biblischen Texte im Hinblick auf „Kinder" könnte sich ebenso eine „Hermeneutik der Skepsis und Erinnerung"47 als notwendig erweisen, um nicht apologetisierend Ideologien in Texten zu verfallen, die nicht Rechtfertigung, sondern Kritik verdienen. Wie im Falle der feministischen Fragestellung ist es prinzipiell auch beim Kinderthema angesagt, die wirkungsgeschichtlichen Abwege der Texte zu beleuchten, vor allem in ihren antiemanzipatorischen Folgen. Was „apologetisierend ideologisch" heißt, mag ein abschließendes, extremes Beispiel verdeutlichen, das zeigt, wie gefährlich rassistisch und gleichzeitig verräterisch militant eine fundamentalistisch-apologetische Bibellektüre gepaart mit psychologisierender Attitüde einherkommen kann. So fragt sich Roy B. Zuck in seinem leider ja doch unvermeidlichen Unterkapitel über Gewalt gegen Kinder in der Bibel: „Why Did God Command the Slaughtering of Children?"48 Die schockierend offene Antwort folgt auf der Basis der völlig antiquierten Behauptung, die Kanaanäer hätten nicht nur einer vollerotisierten Religion, sondern auch Kinderopfern gefrönt: „Let's suppose God had ordered Joshua and Saul to spare the children. Who would care for them? Obviously, Israelite families would be obligated to adopt them, and in a few years Israelites would undoubtedly intermarry with those grown up Canaanites. The blood line of Israel would be polluted irreversibly! Furthermore, Canaanite children had surely seen their own parents and other adults engage in sexually oriented idol worship. It would be difficult for those youngsters to erase those impressions from their minds. Their minds and hearts were indelibly tainted with evil thoughts and ideas. In addition, many [sic!] of them would be sacrificed by their own parents [sic!] in their vile pagan worship. Was death by the sword at the hands of the Israelites any worse than a slow death by burning? True, some innocent children were no doubt included in these wartime slaughters. However, ,just as a surgeon does not hesitate to amputate a gangrenuous limb, even if he cannot help cutting of some healthy flesh, so God must do the same.'" 49 In einer bipolaren Welt von Gut und Böse bedarf Gewalt gegen die Kinder von „Bösen" keiner besonderen 45

D a z u BUCHER ( 1 9 9 6 ) u n d J U N K E R - K E N N Y / M E T T E ( 1 9 9 6 ) .

46

Allerdings wird dieser Prozess nicht einfach analog der „Emanzipation" der Frauen verlaufen können, denn mit BAUMANN (2000) 110 gilt im Vergleich zur Relation FrauMann: „(D)ie Abhängigkeit der Kinder von den Eltern ist in stärkerem Ausmaß biologisch als kulturell bedingt." 47

Zitiert nach SCHROER (1994) 684.

48

ZUCK ( 1 9 9 6 ) 8 6 .

49

ZUCK ( 1 9 9 6 ) 8 7 .

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Einleitung und Hinßihrung zum Thema

Rechtfertigung. Eine Aussage mit bedrückender Aktualität. Zweifelsfälle sind Kollateralschäden.

Erste Konsequenzen für die Fragestellung In dieser Arbeit wird es zuallererst um eine erschöpfende Sammlung von „Gewalt-gegen-Kinder"-Stellen im Alten (und auch Neuen) Testament gehen und dann vor allem darum, die bedeutsamsten Stellen paradigmatisch im Kontext der Fragestellung zu verhandeln. Es gilt dabei, zunächst überhaupt erst einmal die Fragestellung „Gewalt gegen Kinder" auf dem gegenwärtigen Niveau der vor allem außertheologischen Diskussion zu verankern, nicht aber alle Texte erschöpfend zu behandeln. Angesichts des Problems der Definition von „Gewalt" wird dabei ein Zugang über Texte bevorzugt, die sichtbar aus der Autorenintention heraus mit der Folie „Gewalt-gegen-Kinder" arbeiten; glücklicher- oder auch unglücklicherweise lässt sich der Zugriff auf die meisten Texte wegen ihrer brachialen Gewaltdarstellung mit genügender Sicherheit rechtfertigen. Trotzdem vorhandene verschiedene Aspekte von Gewalt sind zu benennen; zu thematisieren ist, inwiefern diese oder jene Handlung explizit oder implizit negativ, eben als Gewalt in einem kulturübergreifenden Sinne, charakterisiert oder bewertet wird. Ein solcher Ansatz wird der Textentstehung im jeweiligen soziokulturellen Kontext am ehesten gerecht und verzichtet bei der Heuristik auf eine diachrone Wertung derart, dass nur heute als Gewalt bezeichnet wird, was früher nicht so gesehen wurde. Ein scheinbar weit hergeholtes Beispiel mag das verdeutlichen: lSam 17 (David gegen Goliath) wird manchem, der heute mit dem Phänomen sogenannter Kindersoldaten befasst ist, den Magen umdrehen, wenn er liest, wie sehr David als eigentlich noch nicht waffenfähiger (vgl. dazu vor allem 17,38-39) Knabe (~iin: lSam 17,33.42.55.58) charakterisiert und gleichzeitig als siegreicher Kämpfer stilisiert wird. Doch würde der Kritiker dem Autor und seinem ursprünglich intendierten Publikum sicher Unrecht tun, wenn er lSam 17 als Manifest für Kindersoldaten und die sich daraus ergebende und gerade heute erschreckende Gewalt gegen Kinder läse. Das verweist auf eine andere Sorte von Texten, die hier nicht behandelt werden: jene nämlich, die nach Lage der Dinge vor allem wirkungsgeschichtlich Gewalt gegen Kinder befördert haben, aber ursprünglich mit dieser Intention weder verfasst worden sind noch diese Wirkung haben sollten und zunächst hatten. Prominentestes Beispiel dafür ist sicher das Elterngebot des Dekalogs, das unter dieser Hinsicht einer eigenen Monographie mit reichlich kirchengeschichtlichen bzw. christentumsoziologischen Anteilen bedürfte.

Erste Konsequenzen fiir die

Fragestellung

15

Dass vor allem geschlechtsspezifische Gewalt gegen Mädchen in charakteristischer Unterscheidung zu Jungen hier nicht eigens thematisiert wird, hat seinen Grund nicht darin, dass die Diskriminierung von Mädchen im alttestamentlichen Kontext selbstverständlich gewesen wäre (was tatsächlich zutrifft), sondern vielmehr den pragmatischen Grund, dass hierzu bereits Studien vorliegen 50 bzw. zu erwarten sind. Es würde auch den Rahmen dieser Arbeit sprengen, etwa die alttestamentlichen (und neutestamentlichen?) Sohnesverheißungen und die Verheißungen vor allem männlicher Nachkommenschaft deswegen zu behandeln, weil Mädchen damit meist gerade nicht mitgemeint sind. Darüber ist man sich schnell im Klaren, doch muss auch der Blick für die wirkungsgeschichtliche Mächtigkeit dieser Ungleichheit in den biblischen Texten weit geöffnet bleiben. Freilich gibt es Texte, in denen sich die Mann-Frau- bzw. Mädchen-Jungen-Dichotomie teilweise überlagern mit anderen Gewaltmustern; daher ist diese Dichotomie als solche jeweils am gegebenen Ort zu thematisieren. Wer solche Muster im übrigen insgesamt nicht benennt und kritisiert, trägt im Zweifelsfall zu ihrem Weiterleben bei. Dass z.B. nur männliche Nachkommenschaft „zählt" - und gezielt selektiert werden kann - , ist mittlerweile zu einem so schweren Albtraum in einigen Kulturkreisen geworden, dass über die biblischen Stellen nicht mehr einfach so hinweggegangen werden darf. 51 Im Blick auf die schillernde Vielfältigkeit des Begriffs „Kind" und „Kindheit" wird hier davon abgesehen, Texte zu behandeln, die „Kind" nur im genealogischen Sinne verwenden. Nur wo Indizien vorhanden sind, die so benannten „Kinder" auch als „Kinder" im Sinne einer Lebensalterangabe bzw. im kulturanthropologischen Sinne zu verstehen, werden diese Texte relevant, auch wenn es in ihnen trotzdem letztlich um die angesprochene bzw. besprochene Elterngeneration gehen sollte. Ein ganz typisches und sehr häufiges Beispiel für das hier nicht zu Besprechende ist der Nachkommenfluch (bzw. Fluch gegen den „Samen"), der sowohl altorientalisch wie biblisch weit verbreitet ist, so z.B. neuassyrisch in VTE § 45: „So möge Zerbanitu, die Namen und Samen gibt, euren Namen und euren Samen im Lande vernichten." 52 In einer solchen Formulierung spielen Kinder als Kinder gar keine Rolle. Als ein anderes Beispiel könnte man wieder das Elterngebot des Dekalog anführen, das sich eben wohl doch nicht an „minderjährige" Kinder richten dürfte, sondern das Verhältnis der

50

51

W i e z . B . SEIFERT ( 1 9 9 7 ) .

So aber z.B. STENDEBACH (1991) im Blick auf Ps 127. Vgl. TU AT 1,2,170. Zu ähnlichen Formulierungen vgl. etwa TU AT 1,2,143.164. 166.173/ 1,5,504/ 11,4,478.488.490.504.573.574.575.588.590.591.592.593. Zu den biblischen Beispielen mit m r vgl. 2Kön 11,1/ Ps 21,11/ 2Chr 22,10. 52

Einleitung und Hinführung zum Thema

16

Generationen ordnet, 53 oder einen für das Gottesbild so wichtigen Text wie den Rahmen des Ijob-Buches. 54 Außerdem entfallen selbstverständlich alle Fälle, die „Söhne" bzw. „Töchter" einfach im Sinne von Bürgern einer Stadt bzw. eines Landes verstehen bzw. eine Gruppe als eine Ansammlung von Individuen charakterisieren (wie „Söhne Israels" oder „Töchter Jerusalems"). Anders ist das dort, wo offensichtliche Formulierungsalternativen bestehen (z.B "Einwohner") und trotzdem z.B. von der als Frau angesprochenen Stadt aus gesehen von ihren Kindern als 0 ^ 2 „Söhnen" und ni33 „Töchtern" gesprochen wird, um z.B. semantisch bzw. metaphorisch das Bild einer wehrlosen Frau und wehrloser Kinder zu transportieren. Im Prinzip bleiben hier auch Texte mit jugendlichen „Kindern" ausgeschlossen (anthropologisch ist das die Iuvenil-Phase), allerdings nur, wenn die Entscheidung dafür überhaupt mit hinreichender Genauigkeit getroffen werden kann. 55 Das ist in vielen Fällen und gerade in den beiden wichtigen Texten Gen 22 und Ri 11 nicht im vorhinein zu entscheiden. Da diese beiden Texte wirkungs- und forschungsgeschichtlich im Mittelpunkt der hier zentralen Frage nach dem Verhältnis von Gott und Gewalt in der Bibel standen und zu den einzigen gehören, die von fast allen o.g. Autorinnen und Autoren bearbeitet bzw. zitiert wurden, 56 werden sie hier, allen Bedenken zum Trotz, mitbehandelt.

„Gott und Gewalt gegen Kinder" Im Blickpunkt der vorliegenden Studie steht die Relation der Trias „GottGewalt-Kinder"; deshalb kommt anthropologische Gewalt immer auch und besonders unter dem Blickwinkel ihrer Funktion für das Gottesbild zur Sprache. Trotz des textselegierenden Prinzips der Fragestellung handelt es sich hier nicht einfach um einen marginalen Bereich von Texten. 57 Aber von dem möglichen Ausschnitt von Texten, die von Kindern handeln, tauchen hier wiederum nur die „negativen" Kindertexte auf, wobei viele dieser Texte zu den sperrigen und meist als anstößig wahrgenommenen Zeugnissen der Bibel, dem „countertestimony", gehören, das Brueggemann in 53

Für d i e s e D e u t u n g votiert SCHMIDT ( 1 9 9 3 ) 9 8 - 1 0 6 , b e s o n d e r s 9 9 . M i n d e r h e i t e n -

positionen kommen in diesem Zusammenhang des Forschungsberichts (!) nicht zu Wort. 54

55

D a z u z u l e t z t MICHEL ( 2 0 0 1 ) o d e r STRAUß ( 2 0 0 1 ) .

Sie kann es etwa dann, wenn die betreffende Person als n m ,junger, waffenfähiger Mann" bzw. r 6 i m , junge, heiratsfähige Frau" bezeichnet wird. 56 Ri 11 wird jedoch nicht behandelt von BUGGLE (1992), der viele biblische Bücher wie das Richterbuch oder auch das Jeremiabuch im Hinblick auf sein Thema nicht durchgearbeitet zu haben scheint, sonst wäre manches wohl noch krasser ausgefallen. 57 Gegen das Vorurteil von LACHMANN in TRE 18 (1989) 15, „daß Kinder in der Bibel nur eine sehr marginale Rolle spielen."

„ Gott und Gewalt gegen

Kinder"

17

seiner Theologie von 1997 in aller Deutlichkeit herausgestellt hat. 58 Tatsächlich versteht sich diese Arbeit als ein Beitrag vor allem zur Skizzierung und Evaluierung dieses „countertestimony"; sie bleibt insofern programmatisch einseitig, unter ausdrücklichem Verzicht auf apologetisierende Aufführung von Entlastungszeugen. 59 Unbestreitbar gibt es alttestamentliche Gewalt-gegen-Kinder-Texte, bei denen YHWH/Gott auf der Seite der Gewaltgegner steht; das bekannteste Beispiel dafür dürfte die Ermordung der hebräischen Knaben (Ex 1,16.22) sein. Nur hat eben die dort implizierte Verwerfung von Gewalt gegen Kinder gewissermaßen ihr logisches Pendant in der folgenden göttlichen Gewalt gegen die ägyptischen Erstgeborenen. Das rückt auch den Entlastungszeugen Ex 1 ins Zwielicht. Ähnliches gilt für einen Textbereich wie die sog. Kinderopfer, die zwar nahezu einhellig im AT scharf verurteilt werden. Dem kontrastiert aber der besonders wirkmächtige Text Gen 22 mit der scheinbar so klaren göttlichen Aufforderung zum Kinderopfer, dazu gesellt sich Ri 11 (Jiftachs Tochter), von der Problematik des Erstgeburtsopfers einmal ganz abgesehen. Jede noch so klare göttliche Unterstützerposition für Waisen (und Witwen) in Israel kann einen Satz wie Jes 9,16 „und seiner Waisen und Witwen wird er [der Herr] sich nicht erbarmen" nicht ungeschrieben machen. Und selbst in einem so außerordentich brutalen Text wie 2Makk 7, dem als menschlich besonders grausam beschriebenen Martyrium der sieben, teilweise noch jungenhaften Brüder und ihrer Mutter, stehen die Verse 7,18 und 7,32-33 sperrig im Raum: Sie plädieren doch mindestens auf göttliche Zulassung dieser Gewalt und das trotz der denkbar scharfen Verurteilung des marternden Königs und gerade angesichts der Hoffnung der Gemarterten auf Gott und die von ihm zu bewirkende Auferweckung (7,14). Kaum ein Entlastungszeuge bleibt von derartigen Ambivalenzen verschont; tatsächlich sind die isolierten Entlastungszeugen im Kontext „Gewalt gegen Kinder" alttestamentlich ohnehin in der deutlichen Minderheit. Dieses meist zweifelhafte Minderheitenvotum wird in der vorliegenden Studie nicht exponiert. Und wer gerade Mehrungs-, Sohnes- und Nachkommenverheißungen als Entlastungszeugen für Gottes positives Handeln an Kindern anfuhren möchte, sollte bedenken, ob in den betreffenden Zusammenhängen überhaupt von Kindern als Kindern

58

Der Begriff „countertestimony" wird deshalb im Ausgang v o n BRUEGGEMANN ( 1 9 9 7 ) verwendet, der es ebd. 317f im Bild eines Gegenzeugnisses im Kreuzverhör vor Gericht erklärt und ebd. 3 2 9 f f im Sinne von DERRIDAs Dekonstruktivismus als „thoroughly dialectical". Das „countertestimony" wird in der vorliegenden Studie skizziert i m vollen Bewusstsein der m.E. überzogenen bzw. falsch fokussierenden Kritiken von FRETHEIM ( 1 9 9 8 ) , CHILDS ( 2 0 0 0 ) und NIELSEN ( 2 0 0 2 ) . 59

Dass die „Entlastungszeugen" immer gleich mitpräsentiert werden müssen, fordert

e t w a BAUMANN ( 2 0 0 2 ) 9 9 g e g e n GROB/KUSCHEL ( 1 9 9 2 ) .

Einleitung und Hinfiihrung zum Thema

18

die Rede ist und ggfs. welchen Preis die weibliche Hälfte der Nachkommenschaft für die Art Hochschätzung jeweils zu bezahlen hat(te). Aus derart inneralttestamentlichen Gründen allein ist deshalb die Präsentation des „countertestimony" angesagt, forschungs- und theologiegeschichtlich aber auch angesichts der allseits zu spürenden Verharmlosung des biblischen Gottesbildes in Rezeption nur positiv gestimmter Bilder und Semantiken der Bibel, hier im Blick auf Kinder. In dieser Studie werden wohlgemerkt nicht aus Lust an der Sache - mahnende und warnende Stimmen der Bibel nach der Devise „audiatur et altera pars" präsentiert. Dass es solche Gegenstimmen gibt, spricht für den Realitätssinn der biblischen Autoren und intendierten Leserinnen und für das nichtabgeschlossene und wohl nichtabschließbare, unideologische Zeugnis der Bibel von ihrem, unserem Gott. Wer die Texte von Gottes Gewalt gegen Kinder einfachhin dem Vergessen oder der Verdammnis anheimzugeben versucht, läuft in Ermangelung einer differenzierten hermeneutischen Kriteriologie Gefahr, sich selbst den Boden unter den Füßen zu entziehen.60 Was im Gegensatz dazu hier angestrebt wird, ist keine biblizistisch oder gar theozentrisch verbrämte Apologie von Gewalt, gar gegen Kinder - das wäre ein nachgerade zynisches oder absurdes Unterfangen61 - , sondern ein bewusster selbst- und bibelkritischer Diskurs, der noch damit rechnet, dass Gott der Andere ist, jedenfalls weder einfachhin identisch mit der Summe unserer Wünsche noch einfach eine Ausgeburt unserer Ängste und Negativpro-

60

Außerdem, soviel Tiefenpsychologie darf sein: Was verdrängt wird, wird dadurch im Zweifelsfall nur umso wirkmächtiger. Üblich ist es, die Gewaltszenarien (im Blick auf Gott) als bildhafte oder metaphorische Redeweise zu entschuldigen (das ist selbst ein Grundzug des Buches von GÖRG [1995]). Wer das vorliegende Buch aufmerksam liest, wird am Ende genau diesen apologetischen Grundzug vielleicht vermissen. Das geschieht hier aber mindestens mit dem gleichen (Un)Recht, mit dem umgekehrt von Gottes Liebe und Gnade üblicherweise konkretistisch geredet wird, vgl. dazu KRIEGER (2000) 298 in seinen Ausführungen zur „analogia entis": „Wir können von Gott nur analog sprechen, also in Gleichnissen, in Vergleichen, die unserer menschlichen Erfahrung entnommen sind. Dabei sind unsere Vergleiche Gott immer unähnlicher, als daß sie ihm ähnlich sind. Diese Einsicht ist auch auf unser Thema anzuwenden. Wenn Gott als gewalttätig dargestellt wird, so enthält das eine Wahrheit; es ist aber auch eine sehr unzulängliche Aussage über Gott. Allerdings ist auch die Bezeichnung Gottes als Liebe ein unvollkommener Vergleich." (Kursiva A.M.). Freilich gilt dieser Grundsatz der analogia entis für die alttestamentlichen Texte ohnehin nur beschränkt, weil er auf der grundsätzlichen Scheidung von Gott und Welt beruht. Diese wird aber den Texten und ihrer Entstehungssituation nicht gerecht, dazu gleich mehr weiter unten. 61

Apodiktisch formuliert: Es kann keine biblische Rechtfertigung für heute noch auszuübende Gewalt gegen Kinder geben; die (problematischen) biblischen Gottesbilder sind eben weder 1:1 in ethische Handlungsanweisungen noch 1:1 in systematisch-theologische Sätze umzuwandeln!

„Gott und Gewalt gegen

Kinder"

19

jektionen. 62 Das kann gebieten, bestimmte Aussage- und Darstellungsformen unter den neuzeitlich mit gutem Recht wirksam werdenden Kräften stärkerer Subjektwerdung von Kindern in die Kritik zu bringen, zumal wenn die Aussage- und Darstellungsformen sich stillschweigend, unter der Hand und ohne hermeneutische Reflexion in noch heute geltend zu machende, normative Handlungsanweisungen verwandeln. 63 Dann muss es im Zuge der Sachkritik um hermeneutische Fragen gehen, auch um Fragen nach Bildhaftigkeit, Metaphorik, Anthropomorphismen, Anthropopathismen. Freilich muss man sich dessen bewusst sein, dass damit eben doch abendländische - Kategorisierungen an die alttestamentlichen Texte herangetragen werden, die den Texten, ihren Autoren und intendierten Lesern, kaum gerecht werden dürften. Das gilt zumal dann, wenn man mit den Erkenntnissen der jüngeren religionswissenschaftlichen bzw. religionsgeschichtlichen Debatte ernst macht, dass über weite Strecken alttestamentlicher Literaturwerdung nicht die für uns heute scheinbar so selbstverständliche Dichotomie Gott-Mensch (bzw. Welt), sondern die Dichotomie Ordnung-Chaos das Grundparadigma darstellte, das erst exilisch-nachexilisch langsam und mit vielen Ungleichzeitigkeiten in Wanken geraten ist:64 Die biblischen Texte sind aber zuerst - und darum geht es hier - unter den hermeneutischen Voraussetzungen ihrer Zeit zu präsentieren und diskutieren, bei aller Unvermeidlichkeit auch in dieser Arbeit konzedierter Anachronismen. So könnte es sein, dass eine übereifrige Denunzierung von Gott-undGewalt-Aussagen als „anthropomorph" oder „nur metaphorisch" auseinanderreißt, was eigentlich viel stärker zusammengehört. 65 Man mag das Be62

Deshalb ist Vorsicht bei dem Versuch angezeigt, grundsätzlich jeden Vorfall von Gewalt auf Seiten Gottes in der Bibel auf das Konto menschlicher Angst- und Gewaltphantasien zu verbuchen. Das ist aber z.B. ein Grundzug der Studien von GEORG BAUDLER aus den letzten zehn Jahren zum Thema Gewalt, explizit z.B. in BAUDLER (1994) 201 zu Gen 22: „Das Ganze der biblischen Traditionen fordert uns freilich dazu auf, in solchen Erfahrungen eine menschliche Angst- und Gewaltprojektion zu sehen und sie - was nur in einem mühsamen, lebenslangen Arbeits- und Suchprozeß geschehen kann - von Gott zurückzunehmen." 63 So drängt KRÄHE (1999) 63 zu Recht darauf, dass wir uns „immer wieder fragen müssen, ob Gott nicht am Ende nur instrumentalisiert wird, ob seine Grausamkeit nicht bloße Projektionen sind." Gleichwohl hält sie fest: „(D)ie Geschichten von Gottes Unmoral ... treiben Risse in ein allzu harmloses, eindimensional friedliches Gottesbild, indem sie Schlaglichter auf die Widersprüchlichkeit, Inkonsequenz und Rücksichtslosigkeit des biblischen Gottes werfen." (ebd. 153). 64

Für diese Sicht vgl. STOLZ (1996), besonders 140-141 und 186-187. Je nach Metapherntheorie wird die Differenz und Spannung zwischen den beiden zu vergleichenden Elementen stärker in den Vordergrund gerückt als die Ähnlichkeit. Jedenfalls kann, wer wie etwa BAUMANN (2000) von RLCOEUR herkommt, leicht in einen den alttestamentlichen Texten gar nicht angemessenen „Panmetapherismus" geraten und sich zu Aussagen versteigen wie: „Uns Menschen stehen in unserem Reden von Gott 65

20

Einleitung und Hinfiihrung zum Thema

harren auf der konkreten sprachlichen Gestalt und dem als problematisch empfundenen Gehalt alttestamentlicher (und biblischer) Texte als archaisierend empfinden 66 oder behaupten, es werde „suggeriert, wir müßten wenigstens zeitweise in die Arme eines grausamen Gottes fliehen, weil die Aufklärung keine positiven Rezepte fiir die heutige Menschheit habe...". 67 Trotzdem dürfte sich mit derartigen Invektiven die Frage nach Gott und Gewalt, auch gegen Kinder, kaum von selbst erledigen. Ihre Erledigung scheitert an der Erfahrung der Wirklichkeit: Und diese Wirklichkeit ist bei aller Freiheit des Menschen eben immer auch, eigentlich zuerst und vor allem theologisch radikal von der Wirklichkeit Gottes gezeichnet.

,nur' Metaphern zur Verfügung, und es gibt kein ,konkretes' göttliches Korrektiv für Metaphern, selbst wenn sie sich überlebt haben mögen oder in besonderer Weise problematisch geworden sind." Diese „wir Menschen" können eigentlich nur neuzeitliche Subjekte sein. Zur metaphorischen Gottesrede (dort im Blick auf die Löwenbilder in den ersten drei kleinen Propheten) vgl. man jetzt auch ZENGER (2002). 66

S o MENKE ( 1 9 9 8 ) 9 4 g e g e n GROB/KUSCHEL ( 1 9 9 2 ) , d e n n a n g e s i c h t s der T h e o -

dizeefrage „rette(ten)" sich nach MENKE „Groß und Kuschel... in ein archaisches Gottesbild, das gute und böse Eigenschaft umfängt...". 67

S o d i e b e i ß e n d e K r i t i k v o n L Ü D E M A N N ( 1 9 9 6 ) 5 2 a n DIETRICH/LINK ( 1 9 9 5 ) .

Kapitel 1

Gewalt gegen Kinder" und „Gott und Gewalt" 1.1 Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte im Überblick 1.1.1 Lexikographisches

und Semantisches zu „Kind" im Hebräischen

Vor der Präsentation der relevanten Texte steht eine lexikographisch-semantische Orientierung über jene Lexeme an, die „Kind", „Kindsein" und „Kindheit" bezeichnen. In der hebräischen Bibel1 sind das zunächst als allgemeinste Lexeme t1?;1 (Kind bzw. männliches Kind) 2 bzw. seltener rnb^ (weibliches Kind) 3 und als Abstraktbildung n r t ' r (Kindheit) 4 . Dieses allgemeinste Wort zeigt schon die Schwierigkeiten der hebräischen Termini an: Nach Gen 34,4 (und wohl auch nach Joel 4,3) kann dieses weibliche Kind bereits im heiratsfähigen Alter sein, nach lKön 12,8.10.14 (parallel 2Chr 10,8.10.14) können die „männlichen Kinder" auch eine Beratergruppe jüngerer Männer sein, die der Beratergruppe Älterer entgegenstehen. Aber immerhin bezeichnet diese Wurzel in den meisten Fällen nicht „Kinder" im genealogischen Sinne aus der Perspektive der Eltern, sondern durchaus Kinder im kulturanthropologischen Verständnis. 5 Allerdings stellen die 806 Belege für nb 1 Kinder von vornherein - der erste Beleg steht in Gen 4,23 - in ein Licht von Bedrohung, Tod und Gewalt; selbst bei moderater Bewertung 7 stammen 60 Prozent der Belege aus solchen Kontexten: Gen 4,23/ 21,14.15.16/ 33,1.2(2x).5(2x).6.7.13.14/ 37,30/ 42,22/ Ex 1,17.18/ 2,3.6.7.8.9 (2x).10/ 21,22/ 2Sam 12,15.18 (4x).18 (2x).19 (2x). 21 (2x)/ lKön 3,25/ 14,12/ 17,21.22.23/ 2Kön 2,24/ 4,1/ Jes 57,5/ Hos 1,2 (vgl. 2,6!)/ Joel 4,3/ Klgl 4,10. 8 Nur Sach 8,5 und Neh 12,43 zeigen Kinder

1

Vgl. dazu zuletzt FISCHER (2002) 56-57. Den Gegenstand des Interesses bilden prinzipiell die hebräischen Teile des AT. 2 Demgegenüber bezeichnet T1?^ allgemeiner den (auch erwachsenen) Sohn bzw. den im Haus geborenen Sklaven. Die Belege sind hier nicht einschlägig. 3 Nur in Gen 34,4/ Joel 4,3/ Sach 8,5. 4 Ohne Ps 110,3 nur in Koh 11,9.10. 5 Ausnahmen wie Rut 2,5 bestätigen die Regel. 6 Ohne die sechs Belege aus lKön 12 par 2Chr 10 und die drei von Tierkindern. 7 Wenn man z.B. die sechs Belege in lKön 17,21-23/ 2Kön 4,18.26.34 nicht mitzählt. 8 Man beachte zudem die Abqualifizierung der „Jungen" gegenüber den „Alten" in lKön 12 par 2Chr 10, dazu in solchen Formulierungen wie „Kinder des Verbrechens"

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„ Gewalt-gegen-Kinder"

und,, Gott und Gewalt"

in uneingeschränkt positiver Pose, also Kinder, die Grund haben zu spielen oder sich zu freuen.9 Ebenso instruktiv und problematisch ist die zweite, häufigere Wurzel für „Kind" im Hebräischen, nämlich "IB? (männliches Kind, Knabe, Junge) 10 bzw. rnsi (weibliches Kind, Mädchen)11 mit den Abstraktbildungen o-nim, 12 niia: 1 3 und "U?:14 (Kindheit). Es ist schon irritierend, dass ~iiJ3/ rni)3_ gleichermaßen zur Bezeichnung von Jungen und Mädchen wie für diejenige von Knechten und Mägden dient, die beiden Gruppen verhalten sich etwa wie 60:40. 15 Die kontextuelle Verquickung mit Gewalt ist wesentlich geringer als bei den „Kind"-Fällen, findet sich aber immerhin noch in Gen 21,12.17.18.19.20/ 22,5.19/ Ex 2,6/ Dtn 28,50/ 2Sam 12,16/ 13,32/ 18,32/ lKön 11,17/ 14,3.17/2Kön 2,23/ Jes 13,18 /20,4/ 40,30/ Jer 51,22/ Ijob 1,19/ Klgl 2,21/ 5,13/ Est 3,13 für „Knaben" und für „Mädchen" 13x in Dtn 22/ Ri 21,12 16 / 2Kön 5,2.4. 17 Bei der Alterszuordnung zeigt sich eine größere Spannbreite: Damit kann sowohl ein Säugling bezeichnet sein (vgl. z.B. Mose in Ex 2,6 oder Samuel in lSam 1,22) als auch ein halbstarker, eigentlich noch nicht waffenfähiger Jüngling (David in lSam 17) oder gar ein heiratsfähiger und heiratswilliger junger Mann (Sichern in Gen 34,19) und z.B. die von den Israeliten ausgesandten Kund-

(Jes 5 7 , 4 ) und „Kinder der Unzucht". In Jes 2 , 6 gibt WLLDBERGER ( 1 9 8 0 ) 9 1 die „Kinder von Fremden" in vorauseilendem Gehorsam gleich mit „fremdem Gesindel" wieder! 9 Dazu ggfs. noch Gen 21,8 zusammen mit V.9 (spielende Kinder) und vielleicht die „Kinder in Ausbildung" (Dan 1). 10 239x belegt, vgl. STÄHLI (1978) 72. Dazu kommen die drei Belege aus Jos 2,1.23 und 6,22, wo mit der LXX und gegen MT ursprünglich "ISJ gestanden haben muss, dazu FLOSS (1982) 26.49-50 und BIEBERSTEIN (1995) 105-109. 11 77x belegt (inklusive des problematischen Am 2,7), falsch ist die Angabe von FUHS (1986) 512, der die Zahl mit 38 angibt. 12 46x belegt. 13 lx belegt. 14 4x belegt. 15 Mit größeren Unsicherheiten, weil die Übergänge zwischen „Knecht" und „Kind" bei den männlichen Belegen teilweise fließend sind. Die Relation ist ansonsten bei männlichen und weiblichen Kindern charakteristisch unterschieden: Während vielleicht 50 Prozent der männlichen Form „Knechte" bezeichnen, firmieren nur 15 Prozent der weiblichen Form für „Mägde". Die semantische Doppelfunktion „Junge/Mädchen" und „Knecht/Magd" bzw. „Sklave/Sklavin" eignet auch dem griechischen ircaq/ircaSioKri (dazu ELTROP [2002] 90) bzw. dem lateinischen puer/puella. 16 Die nachher vergewaltigte und zerstückelte namenlose Nebenfrau des Leviten in Ri 19 wird nur in den Versen 3 - 9 sechsmal als „Mädchen" bezeichnet, bei der Tat selbst aber als „Nebenfrau" und „Frau". 17 Am 2,7 ist problematisch im Verständnis, aber es handelt sich nicht um einen Fall von Gewalt gegen Mädchen. Auch die drei Fälle in lKön 2 und die acht Fälle von Est 2 werden hier nicht dazugerechnet.

Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte im Überblick

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schafter in Jos 2 und 6.18 Verniedlichend und die Palastrevolution herunterspielend kann David auch von seinem gegen ihn rebellierenden und natürlich erwachsenen Sohn Abschalom sprechen (2Sam 14,21/ 18,29.32). Diese gegenüber t W rn*r noch größere Uneindeutigkeit in der Alterszugehörigkeit ernötigt offensichtlich bei rnii; häufiger die Hinzufügung des qualifizierenden Adjektivs ]£3p (klein).19 Wirklich „kleine" Kinder kommen mit den Lexemen pr (Kind im Säuglingsalter)20, dazu bvj (Säugling)21, ^ina (das entwöhnte Kleinkind)22 und bbs, bbvj bzw. bbiv (Kleinkind)23 vor; dazu kommen noch die zwei bzw. drei Stellen im Ijobbuch mit b^vj (Knabe)24, wobei dieses Lexem aber genauso wie bms nicht in Gewaltkontexten vorkommt. Besonders bbü/ bbis weist hinsichtlich der Gewaltfrage einen schockierenden Befund auf:

18 In Gen 37,2 wird der siebzehnjährige Josef als IIJI bezeichnet. Doch wird die Zusammenordnung der beiden Angaben, auch aus anderen Gründen, meist für literarisch sekundär gehalten, vgl. dazu KEBEKUS (1990) 14. 19 Bei ersteren nur in Gen 44,20, bei letzteren in lSam 20,35/ lKön 3,7/ 11,17/ 2Kön 2,23/ 5,2.14/ Jes 11,6. Wie alt man dann wirklich ist, ist wiederum fraglich, wenigstens von lKön 11,17 aus, wo Hadad, wohl weil er (selber) „floh" als ,junger Mann" gilt, was NOTH (1983) 240 zu der zum Schmunzeln anregenden Übersetzung „Hadad aber war ein kleiner junger Mann" veranlasst hat. Die Selbstbezeichnung des regierenden Salomo als „kleiner Knabe" gehört natürlich in die Kategorie der Selbststilisierungen bzw. Selbstminderungen (vergleichbar den Fremdstilisierungen Abschaloms durch David in 2Sam 14 und 18) und belegt keinesfalls, dass der „kleine Knabe" von lKön 11,17 ein ,junger Mann" gewesen sein muss, gegen WORTHWEIN (1985) 136. Glaubwürdiger ist die Angabe, dass man mit acht Jahren noch ein 13J3 ist (2Chr 34,3). Fast tautologisch kann man die Kindlichkeit und Jugendlichkeit auch wie in lSam 1,24 ausdrücken: "IBJ "löäni „und der Junge war [wirklich] jung". Die Formulierung zeigt, dass 1J33 prinzipiell doch auf das Kindheitsalter verweist, im Zweifelsfall dies aber vereindeutigt werden muss. 20

1 lx. Nicht berücksichtigt ist dabei Jes 53,2. So nur in Jes 49,15 und 65,20, dazu Ijob 24,9 (gegen MT und LXX, dazu vgl. FOHRER [1988] 368 oder STRAUB [2000] 85); textlich unsicher ist Hos 11,4 (Joch?). Das Lexem hat die Semantik des Verbs, von dem es deriviert ist (blü-II „säugen") beibehalten. 22 Die Wörterbücher verzeichnen die Wurzel, wohl wegen Jes 28,9, als passives Grundstamm-Partizip von Da es ohnehin nur noch drei weitere Male vorkommt (2x in Ps 131,2 dazu in Jes 11,8), muss die Frage nicht entschieden werden. 23 20x. Da sie nach Klgl 4,4 bereits Brot essen, ist Entwöhnung offensichtlich vorausgesetzt, obwohl auch dieses Lexem ein Derivat von ^ID-II (säugen) darstellt, ähnlich auch RIEPL (1993) 331 Anm. 855: „Das Wort bezeichnet wohl das etwas ältere Kleinkind, das in Hinsicht auf Nahrungsaufnahme und Fortbewegungsfahigkeit mehr oder weniger selbständig ist." 24 Ijob 19,18/ 21,11; Ijob 16,11 ist wohl textkritisch zu korrigieren. Eine genauere Altersbestimmung ist mit diesen beiden Fällen kaum möglich. STRAUB (2000) 4 hält ^ I R fiir eine Mischbildung aus •1D-I und blil-II und übersetzt daher in 19,18 mit,junge Narren" (ebd. 2), inkonsequenterweise aber nicht in 21,11, wo er das Lexem mit „Bürschlein" wiedergibt (ebd. 37). 21

„ Gewalt-gegen-Kinder " und „ Gott und Gewalt"

24

Es ist dasjenige „Kind"-Lexem, das am häufigsten 25 - fast immer - im Kontext brutalster Gewalt auftritt, vgl. dazu 1 Sam 15,3/ 22,19/ 2Kön 8,12/ Jes 13,16/ Jer 6,11/ 9,20/ 44,7/ Hos 14,1/ Mi 2,9/ Nah 3,10/ Ps 17,14 26 / 137,9/ Klgl 1,5/ 2,11.19.20/ 4,4. 27 b b n h b \ s (Kleinkind) erweist sich damit als das Lexem schlechthin für die Indikation von Gewalt-gegen-KinderTexten im alttestamentlichen Kontext! 28 25

Den Säuglingen ( p r ) ergeht es wegen des häufigen Wortpaares „Säuglinge und Kleinkinder" nicht viel besser, vgl. zum Wortpaar lSam 15,3/ 22,19/ Jer 44,7/ Klgl 2,11/ 4,4 und Joel 2,16/ Ps 8,3. Negativ ist außerdem Dtn 32,25, aber wenigstens liegen mit Num 11,12 und Hld 8,1 auch zwei unverkrampfte Belege vor. 26 Die Interpretation ist umstritten, die Mehrheit neigt zu einer Negativinterpretation w i e z.B. SEYBOLD ( 1 9 9 6 ) 73.75, a b e r vgl. die positive I n t e r p r e t a t i o n von HOSSFELD in

HOSSFELD/ZENGER (1993) 116 „Aber deine Schutzbefohlenen, du füllst ihren Bauch, es werden satt die Söhne und ihren Überfluß hinterlassen sie ihren Kindern".. 27 Selbst die verbliebenen drei Belege werfen kein zweifelsfrei angenehmes Licht auf die Verwendung des Lexems: Joel 2,16 hält fest, dass auch die Säuglinge und Kleinkinder sich am DlS-Fasten beteiligen müssen, um YHWH zur Umkehr zu bewegen. Ps 8,3, notorisch schwierig, kann seine Botschaft gerade in Umkehrung der ansonsten selbstverständlich skizzierten Opferrolle von Säuglingen und Kleinkindern unter Feindbedrohung präsentieren (dazu ZENGER in HOSSFELD/ZENGER [1993] 79, aber anders RLNGGREN [1982] 667). In Ijob 3,16 wünscht sich Ijob mit harten Worten, nie geboren zu sein. 28 Vgl. dazu S/EB0 (1986) 1133: „Das Geschehen ist bei sehr vielen der Belege dieser Nomina kriegerisch; die Erwähnung von ,Kleinkind' (bzw. ,Kleinkind und Säugling'...) scheint eine Redeweise in Kriegs- und Notschilderungen zu sein, die die Grausamkeit des Krieges und die tiefe Not des Volkes unterstreicht... Es gibt sowohl in diesen und entsprechenden Stellen... kaum ein besonderes Interesse an ,Kleinkindern' als solchen." Im Überblick stellt sich das wie folgt dar: bvi 0 b b s 1 bbii; 2 pj.T 3 Num 11,12 positiv Pfleger trägt Säugling (3) Dtn 32,25 Schwert macht kinderlos in Israel (3) 1 Sam 15,3 Bann Amaleks (1) (3) lSam 22,19 Vernichtung Nobs (1) (3) 2Kön 8,12 Zerschmettern im Krieg gegen Israel (1) Jes 11,8 positiv Bild des Schlangenfriedens (3) Jes 13,16 Zerschmettern im Krieg gegen Babylon (1) Jes 49,15 Mutter vergisst Säugling (0) Jes 65,20 positiv keine Säuglingssterblichkeit mehr (0) Jer 6,11 Glut YHWHs gegen Jerusalem (2) Jer 9,20 Tod und Ausrottung in Jerusalem/Juda (2) Jer 44,7 angedrohte Ausrottung des judäischen Restes (1) (3) Hos 11,4? positiv Kind hochheben (0) Hos 14,1 Zerschmettern im Krieg gegen Samaria (1) Joel 2,16 Fasten für YHWHs Umkehr (1)-— (2) Mich 2,9 Beraubung der Kleinkinder Judas um ihr Land (2) Nah 3,10 Zerschmettern im Krieg gegen Babylon (2) Ps 8,3 positiv? Mund voll Lob/Macht (1) (3) Ps 17,14 [negativen] Rest vererben (Rachewunsch) (1) Ps 137,9 Zerschlagen im Krieg gegen Babylon (Rachewunsch) (2)

Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte

im Überblick

25

Umgekehrt werden hier generell jene Texte nicht behandelt, die die von Gewalt Betroffenen als "ins (junger Mann)29 bzw. nbina (junge Frau)30, abv ü u n g e r Mann)31 bzw. na1?!? (junge Frau)32 betitulieren, weil diese Bezeichnungen auf das Jugend- und junge Erwachsenenalter einzugrenzen sind. Allerdings werden die Texte, in denen Gewalt gegen derartige Erwachsene oder Halberwachsene in der Juvenilphase eine Rolle spielt, anhangsweise bei den verschiedenen Gruppen genannt, es handelt sich immerhin um eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Texten.33 Mit den Wörtern 13 (Sohn)34, na (Tochter)35, (Same bzw. Nachkommenschaft)36 und Q'KäKX (Sprösslinge)37 bewegen wir uns hingegen grundsätzlich im anderen Paradigma der Generationenfolge: das Kind als Nachfahre bzw. Abkömmling. Dass dies nicht Gegenstand des hier leitenden Interesses sein kann, wurde schon in der Einleitung begründet. Trotzdem gibt es natürlich Texte, die unter der Bezeichnung des Kindes als eines Ijob 3,16 negativer Wunsch, nicht geboren sein zu wollen (1) Ijob 24,9 Pfändung (0) Klgl 1,5 Kriegsgefangenschaft Jerusalems (1) Klgl 2,11 Verschmachten in Jerusalem (1) (3) Klgl 2,19 Verhungern in Jerusalem (2) Klgl 2,20 Teknophagie in Jerusalem (1) Klgl 4,4 Verhungern und Verdursten in Jerusalem (1) (3) Hld8,l positiv Geliebter als Milchbruder (3) 29 44x. 30 50x; bei den J u n g e n Männern" und .jungen Frauen" passiert es singulär, dass die weibliche Entsprechung häufiger vorkommt als die männliche, was sicher auch daran liegt, dass " i n ; nicht inkludierend auch die weibliche Hälfte mitbezeichnen kann. 31 2x ohne Konjektur in lSam 16,12. 32 6x. 33 Bei den ,jungen Männern" sind dies immerhin 27 von 44 Belegen: Dtn 32,25/ 2Kön 8,12/ Jes 9,6/ 31,8/ 40,30 (?)/Jer 6,11/ 9,20/ 11,22/ 15,8 (?)/ 18,21/ 48,15/ 49,26/ 50,30/ 51,3.22/ Ez 9,6/ 30,17/ Am 4,10/ 8,13/ Ps 78,31.63/ Klgl 1,15.18/ 2,21/ 5,13.14 (?)/ 2Chr 36,17. Am häufigsten ereilt die jungen Männer der Tod, die Todesart „durch das Schwert" ist die häufigste: Dtn 32,25/ 2Kön 8,12/ Jer 11,22/ 18,21/ Ez 30,17/ Am 4,10/ Klgl 2,21/ 2Chr 36,17. Die Todesfolge implizieren auch die Fälle „Ausrottung" (Jer 9,20), „Schlachtung" (Jer 48,15), „Fallen" (Jer 49,26/ 50,30), „Zerschlagen" (mit einem dazu geeigneten Werkzeug: Jer 51,22), „Töten" (mit einem Werkzeug zum Zerschlagen: Ez 9,6), „Niederstrecken" (Ps 78,31), „Feuertod" (Ps 78,63), „Zerschmettern" (Klgl 1,15); vgl. auch Jer 51,3 (Pfeil und Bogen und kein Mitleid haben). Nur Jes 9,16 (sich nicht freuen), Jes 31,8 (Zwangsarbeit), Jes 40,30 (stürzen), Jer 6,11 (Zornglut ausschütten), Jer 15,6 (Verwüster? der Text ist schwierig), Am 8,13 (Ohnmacht vor Durst), Klgl 1,18 (Kriegsgefangenschaft), Klgl 5,13 (Zwangsarbeit), Klgl 5,14 (Freudlosigkeit und Trauer) lassen sich nicht oder nicht eindeutig auf Todesfolgen festlegen. 34 35 36 37

Knapp 5000x. Knapp 600x. In allen Bedeutungsvarianten ca. 230x. 1 lx und das nur bei Jes und Ijob.

26

„ Gewalt-gegen-Kinder"

und „ Gott und Gewalt"

Sohnes oder einer Tochter tatsächlich ein Kind im anthropologischen Sinne meinen. Das Paradebeispiel dafür ist der Text lKön 3,16.28 („das salomonische Urteil"), der das umkämpfte und bedrohte Kind 15 mal (!) als „Sohn" (]a), einmal als (nb1) und zweimal als Ti'r (Geborenes) vorstellt. Diese lexematische und semantische Dichte ist auch der Grund, weswegen dieser Text unten unbedingt behandelt werden muss. Für die Heuristik der Stellen, die Gewalt gegen Kinder implizieren, bringt ein Beleg, der 5000 mal vorkommt, natürlich wenig. Allerdings ist die gleichzeitige Erwähnung von „Söhnen und Töchtern" in syndetischer Reihe (und - natürlich - immer dieser Reihenfolge) doch wieder für die Heuristik von Gewalt signifikant: Von den etwa 120 Belegen für das Paar tauchen über 50 38 in Gewaltkontexten auf: Ex 1,16.22/ 21,31/ Lev 26,29/ Num 21,29/ 26,33/ Dtn 12,31/ 13,7/ 18,10/ 28,32.41.53.56/ 32,19/ Jos 7,24/ 17,3/ Ri 11,34/ lSam 30,3.6.19/ 2Kön 17,17/ 23,10/ Jer 3,24/ 5,17/ 7,31/ 11,22/ 14,16/ 16,2.3/ 19,9/ 32,35/ 48,46/ Ez 14,16.18.20.22/ 16,20/ 23,4.10.25.47/ 24,21.25/ Joel 4,8/ Am 7,17/ Ps 106,37.38/ Ijob 1,13.18/ Neh 5,5/ IChr 2,34/ 23,22/ 2Chr 28,8/ 29,9. 39 Im Jeremiabuch, auch noch im Ezechielbuch häufen sich dabei die für „Söhne und Töchter" blutigen Ereignisse. 40

38 Die Relation hängt davon ab, wie man den „Gewaltkontext" bestimmt. Gehören etwa Dtn 13,7 (wegen V.10), Jer 16,2 (wegen V.3), Ez 23,4 oder Ijob 1,13 (wegen V.18: oder gar Ijob 1,2?) schon zum Gewaltkontext, gehört Ez 14,22 noch dazu? Ebenso fraglich ist die Einordnung von Ri 11,34. Die vier Belege Fälle von „er zeugte keine Söhne, sondern nur Töchter" differenzieren sogar syntaktisch zwischen Jungen und Mädchen zuungunsten der Mädchen, Ex 1,16.22 trifft das harte Schicksal nur die Jungen. In den meisten Fällen, wo „Söhne und Töchter" in Gewaltkontexten vorkommen, ist ein Verständnis von Kindern im Sinne von Lebenszeitalter vorausgesetzt. 39 Dagegen ohne Gewaltkontexte: Neun Belege in Gen 5, acht Belege in Gen 11, dann Gen 19,12/31,28.43/ 32,1/ 36,6/ 37,35/ 46,7.15/ Ex 3,22/ 10,9/ 20,10/ 21,4 (?)/ 32,2/ Lev 10,14/ 12,6/21,2/Num 18,11.19/ Dtn 5,14/ 12,12.18/ 16,11.14/23,18/(Jos 17,6)/ lSam 1,4/ 2,21/ 14,49/ 2Sam 5,13/ 14,27/ 19,6/ Jes 43,6/ 49,22/ 56,5/ 60,4/ Jer 29,6/ 35,8/ Ez 44,25/ Joel 3,1/ Mi 7,6 (ohne Syndese)/ Ps 144,12/ Ijob 1,2/ 42,13/ Neh 4,8/ 5,2/ 10,29/ IChr 4,27/ 14,3/ 25,5/ 2Chr 11,21/ 13,21/ 24,3/ 31,18. Fälle wie z.B. Ri 12,9 oder Esra 9,12 sind hier nicht verzeichnet. 40 Was dann freilich eine Aufforderung wie Jer 29,6 (2x das Paar!) umso schärfer konturiert! Die Gewaltsignifikanz des Paares „Söhne und Töchter" im Jeremiabuch wird in der altorientalischen Literatur von Staatsverträgen noch übertroffen. Die Thronfolgeregelung Asarhaddons von 672 (VTE) bietet alleinstehendes „Sohn"/ „Söhne" 38x ohne Gewaltkontext (außerhalb der Flüche), „Söhne und Töchter" 22x, und das immer mit Gewaltkontext (innerhalb der Flüche: § 47.65.66.67.69.70.72.73.75.76.79.81.83.84.88. 92.94.96A.97.100.101), dazu noch dreimal die „Söhne" mit Gewaltkontext (§ 42.47.78) und einmal „Tochter" (§ 47). „Söhne und Töchter" finden sich in der Edition der Staatsverträge in SAA nur noch im Vertrag Assurneraris mit Mati'ilu von Arpad, und zwar viermal, in 1,1 '.6'.7'-8'und IV,10 (immer als Gewaltopfer), dazu sechsmal „Söhne" ohne „Töchter" im Gewaltkontext: I,18'(!).23'.27'.30'.347 IV,4, ohne Gewalt 111,26' und IV,

Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte

im Überblick

27

Zwei Lexeme lohnt es sich, noch eigens herauszugreifen. Das erste ist Dirr (Waise). Für diese Gruppe der im Alten Orient zu den personae miserae zählenden Waisen bzw. vater- und grundbesitzlosen Halbwaisen gibt es ein reiches karitatives Ethos im gesellschaftlichen Kontext. Gleichwohl gibt es auch eine ganze Reihe von Texten, die sich mit der Unterdrückung etc. von Waisen beschäftigen. Die relevanten Texte müssen hier mitvorstellt werden, da die Waisen grundsätzlich als unselbständige, minderjährige Personen vorgestellt werden. 41 Schwieriger verhält es sich mit der offensichtlich inhomogenen Größe des (Anhang, Tross). Hier gilt, gegen die rekurrente Übersetzung des Lexems mit „Kinder" durch Luther 42 und infolge der lutherschen Übersetzung: 43 „tap hat also sprachlich und sachlich eine ,Komplementärfunktion': erst aus dem Kontext ergibt sich, was — unter Abzug der vor oder nach tap genannten Menschengruppen - mit tap jeweils gemeint ist." 44 Da von den 42 Belegen mit 15 im Kontext von Gewalt stehen 45 (Gen 34,29/ Num 14,3.31/ 16,27/ 31,9.17.18/ Dtn 1,39/ 2,34/ 3,6/ 20,14/ Ri 21,10/ Ez 9,6/ Est 3,13/ 8,11), sind diese im Hinblick auf den Einbezug von Kindern je und je zu überprüfen. Explizit müssen allerdings Kinder in irgendeiner Form als Opfer genannt sein. Fälle wie Jer 20,6: „Du aber, Paschhur, und alle Bewohner deines Hauses werden in Gefangenschaft gehen..." mögen zwar implizieren, dass auch Kinder als „Bewohner seines Hauses" in Gefangenschaft gehen, doch liegt dem Autor offensichtlich nichts daran, dies auszudrücken. Wenn diese Einschränkung nicht gemacht würde, müsste z.B. auch jeder Fall von JV3 mituntersucht werden. Dann müsste aber mehr e silentio als auf der Basis lexematisch greifbarer Beobachtungen argumentiert werden. Das kann nicht Ziel und soll nicht Arbeitsweise dieser Untersuchung sein. 1.1.2

Zur Rubrizierung der

Gewalt-gegen-Kinder-Texte

Im Folgenden werden die hier für relevant gehaltenen Texte in eigener Übersetzung dargeboten und mit wenigen Hinweisen auf hebräische bzw. ggfs. griechische Entsprechungen ausgestattet. Dabei werden die Texte so nach Fallgruppen sortiert, wie sie sich nach Sachverhalt und Terminologie 17. Die „Töchter" zusammen mit den „Söhnen" interessieren auch in den assyrischen historischen Inschriften vor allem als Opfer von Kriegen. 41 Zu „Waisen" vgl. zuletzt L A N G (2001) 1056 (Literatur) und auch L O H F I N K (1990) 33ff, dort besonders mit Blick auf die Problemstellung im Dtn. 42 Nicht viel besser ist die merkwürdige LXX-Standardübersetzung mit ¿nooKtuT) „Gepäck" in einem Drittel der Fälle, sonst meist mit verschiedenen Kindertermini. 43 Bezeichnenderweise setzt etwa HAL s.v. *]!? einzig „Kinder" fett und bietet keine summarische Alternativübersetzung an! 4 4 L O C H E R (1982) 373, vgl. auch S W I G G E R S (1993) 4 7 - 4 8 . 45 Häufiger geht es allerdings allgemein um das Thema „Existenzsicherung", vgl. dazu Gen 43,8/ 45,19/ 46,5/ 47,12.24/ 50,8.21 u.ö.

28

„ Gewalt-gegen-Kinder

" und „ Gott und Gewalt"

zusammenordnen lassen. Nur die Kernaussage wird zitiert, das für das erste Verständnis nötige Kontextwissen in Klammern mitgeliefert. Einzelne übersetzungs- und textkritische Hinweise finden sich in den Fußnoten, eine systematische textkritische Evaluation des Verhältnisses von griechischem und hebräischem Text folgt nach der Präsentation der Gott-undGewalt-Verben im folgenden Unterkapitel. Erst im zweiten Durchgang, den Kapiteln 2-5, werden dann einzelne dieser Texte jeweils paradigmatisch so behandelt, dass viele andere hier angesprochenen Texte thematisch mitpräsent sein können. Das methodische Verfahren liegt dabei auf der Linie von Brueggemanns Vorgehen in seiner Theologie: „... we shall have to proceed concretely, a text at a time, a detail at a time." 46 Es geht hier daher nicht um erschöpfende Behandlung aller Texte, sondern um die Gewinnung verantwortbarer Perspektiven, die dem Autor und seinem intendierten Publikum einerseits, der heute gewachsenen Sensibilität für Gewalt gegen Kinder und der immer mehr erkannten Subjekthaftigkeit von Kindern andererseits gerecht werden. Um dem Autor und seinem intendierten Publikum gerecht zu werden, bedarf es natürlich des bewährten exegetischen Apparats zur halbwegs zuverlässigen Gewinnung der Kontexte, in denen die Autoren ihre Texte verstanden haben wollten. Dabei zeigt sich, wie immer, dass die unterschiedlichen Texte unter sehr verschiedenen Rücksichten ihre „Geheimnisse" preisgeben. Das mag jene, die eher eine mittels einer bestimmten Methode durchgeführten Analyse erwarten, enttäuschen. Freilich: Weder z.B. die „redaktionskritische Exegese" noch z.B. eine „kanonische Lektüre" können das Monopol beanspruchen, wo es um die Beantwortung von Sachfragen geht, die sich eben unter verschiedenen methodischen Rücksichten beleuchten lassen und keineswegs unter allen, oft nur unter einer, besonders produktiv werden. So gewährt beispielsweise für Ps 137,8-9 - die Zerschmetterung der babylonischen Kleinkinder - die Redaktionsgeschichte ein tieferes Verständnis des Psalms. Wie fatal Ex 13,15 - Erschlagung der ägyptischen Erstgeborenen - funktioniert, versteht man am besten, wenn man in die Textgeschichte schaut. Die Teknophagietexte geben ihre Logik am ehesten im Licht der altorientalischen Traditionsgeschichte preis. Am ehesten noch braucht Gen 22 - die „Opferung" Isaaks - eine Vielzahl methodischer Zugänge, um diesen mehrdimensionalen Text zum Sprechen zu bringen. Der letzte Fall, Gen 22, macht außerdem hoffentlich zur Genüge klar, dass hinter der Auswahl der Texte nicht das Postulat einer historischen Erinnerung stehen darf: Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte sind in ihrem literarischen und deshalb notwendig fiktionalen Charakter ernstzunehmen, 47 es geht also um das Faktum der Darstellung von (möglicher) Gewalt gegen Kinder in 46 47

BRUEGGEMANN (1997) 117 und Vergleichbares öfter. Vgl. dazu den instruktiven Beitrag von BIEBERSTEIN (2002).

Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte

im Überblick

29

den Texten, das nur in den besonders behandelten Einzelfällen auf dahinterstehende geschichtliche Vorgänge selbst befragt wird. 48 Insofern ist diese Arbeit weder ein Beitrag zur Sozialgeschichte von Kindern im alten Israel noch zu Gewalt (gegen Kinder) in alttestamentlicher Zeit. Ein gemeinsames Frageinteresse steht als Zielfrage über allen Texten: Was hat das über die Rekonstruktion des Gottesbildes zu sagen? Denn, das zeigt die Präsentation der Texte: Tatsächlich haben die meisten Gewaltgegen-Kinder-Texte einen mittelbaren oder sogar einen unmittelbaren Bezug zur Gottesfrage. Sie tragen zum alttestamentlichen Verständnis „Gottes" etwas bei, selbst dann, wenn moderne Kritiker diesen Beitrag zur Gottesfrage Gott gegenüber eher für abträglich halten mögen. Die Texte werden nach vier großen Rubriken gruppiert: a) Kinder als Opfer von Kriegen, b) Kinder als Opfer von Göttern, c) Kinder als Opfer ihrer Eltern und d) Kinder als Opfer der Gesellschaft. Vor allem die Rubriken c) und d) sind dabei teilweise schwerer auseinanderzuhalten und unterliegen zu Recht dem Verdacht, anachronistischen Fragestellungen zu folgen, 49 allein schon in der Bildung und Kontrastierung der Begriffe „Familie" und „Gesellschaft". Tatsächlich handelt es sich bei den Überschriften c) und d) eher um der Systematik wegen gewählte Analogiebildungen zu den Bereichen a) und b). Die Präsentation der Stellen steht daher unter Vorbehalt. Freilich wird die textkritische Behandlung in Kapitel 1.3 zeigen, dass die antike Gewaltempfindlichkeit in den Bereichen c) und d) ausweislich der Textüberlierung ohnehin niedrig einzustufen ist. Da den Texten der Rubriken c) und d) im Fortgang der Arbeit ab Kapitel 2 keine weiterfuhrende Bedeutung zukommt, wird man mit dieser Unschärfe und Vorläufigkeit an dieser Stelle leben können und alles weitere einer eigenen monographischen Untersuchung überlassen müssen. Die meisten hier behandelten Texte gehören thematisch a) zu Kriegskontexten, inklusive dem, was man heute als „Bürgerkrieg" und „ethnische Säuberungen" bezeichnen würde und inklusive dynastischer Konflikte. In diesem Zusammenhang können Kinder 1. direkte Opfer feindlicher Waffengewalt sein, auch 2. als Mitglieder auszurottender bzw. ausgerotteter Königslinien. Sie können aber auch 3. in der Belagerungsnot zum bevorzugten Gegenstand von Anthropophagie (dann: Teknophagie) innerhalb der eigenen Gruppe avancieren. Sie werden 4. als Beute im Krieg versklavt bzw., eine spezielle Variante, als Mädchen geraubt. Kinder werden b) auch 48

Das gilt namentlich für die Teknophagie- und die Kinderopfertexte. Das Umgekehrte gibt es auch: Unter den Fällen von „Kinderopfern" b3) werden alle Stellen eingespielt, die heute darunter verhandelt und diskutiert werden, historisch aber gar nicht mit Gewalt verbunden waren. So etwa hätten Zeitgenossen Dtn 18,10, wenn es sich dort um die Disqualifizierung eines bestimmten Dedikationsritus gehandelt haben sollte, wohl kaum unter der Überschrift „Gewalt" eingeordnet. 49

30

„ Gewalt-gegen-Kinder"

und „ Gott und Gewalt"

Opfer von Göttern, sei es nun direkt 1. als erschlagene ägyptische Erstgeborene oder 2. von YHWH/Gott anderweitig erschlagene Kinder 50 oder 3. mehr indirekt, als „Gabe" ihrer Eltern bzw. ihrer (sozialen) Gruppe an die Götter als Kinderopfer bzw. durch Kinderweihe und als Erstlingsopfer. Kinder können aber auch c) (neben der Teknophagie) Opfer ihrer Eltern werden, und zwar 1. als Kinder, die für ihre Eltern haften, 51 2. allgemein als, insbesondere im Kriegskontext, von ihren Eltern (oder auch vom Anführer der eigenen Gruppe) Vernachlässigte oder rücksichtslos Behandelte, 3. als von ihren Eltern verkaufte Schuldsklaven und 4. als Opfer von Erziehung und Gehorsam. Kinder können d) Opfer der „ Gesellschaft" werden, als 1. ausgebeutete Waisen oder Kinder, die zu Waisen gemacht werden, als 2. sexuell verführte, missbrauchte, „verwertete" Mädchen (und Jungen), als (hier nur angedeutet) 3. gegenüber Jungen benachteiligte oder unerwünschte Mädchen, als 4. stigmatisierte Kinder oder als 5. Opfer juristischer Entscheidungen oder religiöser Vorschriften. Genauer und paradigmatisch behandelt werden von diesen vier Rubriken in den Kapiteln 2-5 nur jene Texte, in denen YHWH/Gott ganz gezielt, sehr direkt und vorrangig gegen Kinder vorgeht. Damit fallen, wie schon angedeutet, vor allem die beiden Rubriken c) „Kinder als Opfer ihrer Eltern" und d) „Kinder als Opfer der Gesellschaft" aus der näheren Betrachtung heraus, dazu aber die Masse der „Kinderopfer" in Kriegskontexten aus dem Bereich a), weil dort die Verantwortung YHWHs entweder nur differenziert zur Debatte steht oder, und das ist für die Fälle der „Vernichtungsweihe" entscheidend, „Kinder" gar nicht vorrangige Opfer des kriegerischen Handelns sind.

50

Angeführt werden in dieser Rubrik nur Fälle mit göttlichem Subjekt, nicht aber Passivbildungen u.ä., bei denen kontextuell YHWH/Gott als Verursacher feststeht. 51 Aber nicht im Sinne einer Generationenhaftung ä la Ex 34,7, denn in solchen Fällen geht es grundsätzlich nicht um „Kinder" im anthropologischen Sinn.

Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte im Überblick 1.1.3

Gewalt-gegen-Kinder-Texte:

Übersetzung

Rubrik a) Kinder als Opfer in kriegerischen

und

31

Textkritisches

Kontexten

Rubrik al) Kinder-52 als Opfer von Waffengewalt, durch Verhungern, oder wilde Tiere53

Ertränken

Ex 1,16: „Da sagte er [der Pharao]: Wenn ihr den Hebräerinnen beim Gebären helft, dann seht nach den Steinen, ob es ein Sohn (]3) ist. Dann sollt ihr ihn sterben lassen (ma-H), und wenn es eine Tochter ist, kann sie leben." Ex 1,22: „Da gebot Pharao dem ganzen Volk folgendermaßen: Jeder Sohn (]2), der geboren wird: In den Fluss sollt ihr ihn werfen, aber jede Tochter könnt ihr am Leben lassen." Lev 26,22: „Dann werde ich das Getier des Feldes gegen euch senden (nb'ii-H) und es wird euch kinderlos machen (Sdü) 5 4 und euer Vieh ausrotten und euch wenig machen..." Num 31,17: „Jetzt aber, tötet ( i m ) alles Männliche ("Di) vom Anhang (^tsa), und auch jede Frau, die männlichen Beischlaf kennt, tötet." Dtn 2 , 3 3 - 3 4 : „Da (er)schlugen (rDJ) wir ihn und seine Söhne 5 5 (Qere) und sein ganzes Volk. Da nahmen wir alle seine Städte zu jener Zeit ein. D a

52

Vgl. dazu die Fälle mit .jungen Männern" bzw. Jungen Frauen": Jer 14,17/ 15,8 (?)/ 48,15/ 49,26/ 50,30/ 51,3/ Ez 30,17/ Am 5,2/ 8,13 (Kriegskontext ist unklar)/ Ps 78,63/ Klgl 1,4 (Trauer)/ 1,15/ 2Chr 36,17. In 2Chr 36,17 ist das Subjekt zunächst unklar: „Da ließ er [YHWH] den König der Chaldäer gegen sie hinaufsteigen und [er] tötete sie..." (dazu schon CURTIS/MADSEN [1910] 523), aber der weitere Text verdeutlicht, dass es nicht YHWH sein kann, gegen RUDOLPH (1955) 336. Auch die Änderung von p r in pJl\ die RUDOLPH ebd. vorschlägt, hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich. 53 Das Hochkommen „wilder Tiere" ist Begleiterscheinung des Chaos kriegerischer Auseinandersetzung, deshalb werden die wenigen relevanten Belege hier eingeordnet (anders ist das allerdings in 2Kön 2,24). Zu den hebräischen Belegen kommen aus den deuterokanonischen Schriften und dem NT folgende Stellen (inklusive Junger Männer" und .junger Frauen"): Judit 2,27/ 7,14.22.27/ 16,4/ IMakk 1,60-61/ 2,9.38/ 3,20/ 5,28.35.51/ 13,6/ 2Makk 5,13/ 6,10/ 8,4/ 9,15/ 12,3-4.21.26/ Weish 11,7/ 18,5/ Mt 2,18/ 24,19 (par Mk 13,17/ Lk 21,23); anders funktioniert Lk 19,44 (Stadt und ihre Bewohner). Der Weheruf Mt 24,19 rekurriert auf die „Kleinkinder-zerschmettern-Schwangeren-den-Bauch-aufschlitzen"-Formulierungen des AT, das ist in den gängigen Kommentaren, z.B. bei Luz (1997) 427-428 übersehen. Die LXX gibt bei den beiden relevanten alttestamentlichen Stellen 2Kön 8,12 und Hos 14,1 die „Kleinkinder" unterschiedlich wieder, in 2Kön 8,12 unspezifischer mit i^uia, in Hos 14,1 mit (iTroTiTÖLtt, den „unter der Brust Liegenden". In die Ausgabe des NT Graece gehörte ein entsprechender Randvermerk. 54 Die LXX übersetzt bsti mit Kaieoöiu (vgl. Dtn 28,55.47 und Jer 5,17). Damit verschwindet die Gewalt gegen Kinder.

32

„ Gewalt-gegen-Kinder " und „ Gott und Gewalt "

bannten (mn) 5 6 wir die jede Stadt, Männer und die Frauen und den Anhang ( * ] B ) , nicht ließen wir einen Entronnen als Rest." Dtn 3,6 „Da bannten ( m n ) wir sie, wie wir es Sihon, dem König von Heschbon, getan hatten, ein Bannen jeder Stadt, von Männern, den Frauen und dem Anhang (^B)." Dtn 20,13-17: „...Dann sollst du all ihr Männliches mit der Schärfe des Schwertes erschlagen (H33). Nur die Frauen und den Anhang (^B) und das Vieh und alles, was in der Stadt sein wird, all ihr Beutegut darfst du dir erbeuten (TTD) ... So sollst du an allen von dir entfernten Städten handeln... Nur von den Städten dieser Völker, die YHWH, dein Gott, dir als Erbbesitz geben will, darfst du nichts Atmendes (notöi) am Leben lassen (rrn-D, negiert). Sondern du sollst sie bannen, ja bannen (mn)..." 5 7 Dtn 28,49-50: „Erheben wird YHWH über dich ein Volk aus der Ferne, vom Ende der Erde, wie herabzustürzen pflegt der Geier, ein Volk, dessen Sprache du (noch) nicht hören (=verstehen) wirst, ein Volk hart von Angesicht, das sein Angesicht für einen Alten nicht erhebt und sich eines Jungen (~iü3) nicht erbarmt (]:n, negiert)." Dtn 32,25: „Von draußen wird (das) Schwert kinderlos (*?3ttf) machen und von drinnen Schrecken, sowohl junger Mann als auch junge Frau,58 Säugling (pr) mit grauhaarigem Mann." Jos 6,21: „Dann bannten ( m n ) sie alles, was in der Stadt (war), Mann und Frau, Junge ("1JJ3) und Alte und sogar Rind und Kleinvieh und Esel mit der Schärfe des Schwertes."

55 „Und seine Söhne" sind wahrscheinlich ein später Zusatz zum Ausgleich mit Dtn 20,13; ursprünglich bedeutete H33 hier „schlagen", nicht „erschlagen", dazu passen „die Söhne" nicht, vgl. aber auch PERLITT (1994) 221. 56 In der einzigen Stelle, in der außerbiblisch von einem „Vernichtungs"krieg (•~n) berichtet wird, in der moabitischen Mescha-Stele aus dem 9.Jh., ist (Zeile 16-17) von den Opfergruppen „Männer", „Beisassen", „Frauen", „Beisassinnen" und „Sklavinnen" [keinen Sklaven!] die Rede (vgl. TUAT 1,6 [1985] 649), jedenfalls nicht von „Kindern", obwohl zuvor davon die Rede ist, dass Mescha „sie alle tötete" (es handelt sich im übrigen um einen Feldzug gegen Israel!). Wirft das ein bezeichnendes Licht auf die Formulierung „Anhang" im Zusammenhang des israelitischen Vernichtungskrieges? 57 LXX hat andere Satzgrenzen mit undeutlichem Schicksal von Frauen und Anhang, sie liest offensichtlich: „Du sollst alle (männlichen) Personen mit scharfem Schwert erschlagen außer Frauen und Anhang." 58 Die syntaktische Einbindung der Aufzählung ist unklar, vgl. dazu SANDERS (1996) 400: „However, the nouns in 25b cannot be objects of this verb [gemeint: ^SB]." Die LXX übersetzt die Reihe geradezu sklavisch mit Nominativen und legt so nur das Problem des Anschlusses offen. VOLKWEIN (1973) 187 hält daher 25b für literarisch sekundär gegenüber 25a. Allerdings bereitet die kontextuelle Deutung sowohl von MT wie von LXX kaum Probleme: „Pour le sens, on comprend que tous seront détruits", so

DOGNIEZ/HARL (1992) 333.

Die Gewalt-gegen-Kinder-Texte

im Überblick

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Ri 21,10-11: „...Geht und erschlagt (naj) die Einwohner von JabeschGilead mit der Schärfe des Schwertes und die Frauen und den Anhang (^a). Und das ist die Sache, die ihr tun sollt: Alles Männliche ("CT) und jede Frau, die männlichen Beischlaf kennt, sollt ihr bannen (Din)." 59 lSam 15,3: „Jetzt geh und schlage Amalek, dann sollt ihr alles, was (zu) ihm gehört, bannen, ohne Mitleid zu empfinden. Dann sollst du Mann und Frau, Kleinkind (bbs) und Säugling (pr), Rind und Kleinvieh, Kamel und Esel sterben lassen (nm-H)." 60 lSam 22,19: „Und Nob, die Stadt der Priester, schlug (HD:) er mit der Schärfe des Schwertes, Mann und Frau, Kleinkind (bSa) und Säugling ( p r ) und Rind und Esel und Kleinvieh mit der Schärfe des Schwertes." lKön 11,15-17: „Da geschah es, als David in Edom war, als Joab, der Heerführer, hinaufzog, die Gefallenen zu begraben, da (er)schlug (H33) er alles Männliche (IST) in Edom. Denn sechs Monate blieben Joab und ganz Israel dort, bis sie alles Männliche ("DT) in Edom ausgerottet hatten (ma-H). Da floh (rna) Hadad, er und (einige) edomitische Männer von den Knechten seines Vaters mit ihm, um nach Ägypten zu gehen, wobei Hadad ein kleiner Junge C|tpp IUI) war." 2Kön 8,12 (Elischa an Benhadad): „...Ihre festen Städte wirst du ins Feuer schicken, und ihre jungen Männer wirst du mit dem Schwert töten, und ihre Kleinkinder (bb'2) wirst du zerschmettern (EiQ~i), und ihre Schwangeren wirst du aufschlitzen (JJpa)." 2Kön 15,16: „Damals (er)schlug Menahem Tifsach und alles in ihr und ihr Gebiet von Tirza aus, weil man (ihm) nicht (die Tore) geöffnet hatte. Er schlug (sie) also, alle ihre Schwangeren schlitzte er auf (i?pa)." Jes 13,16: „Ihre Kleinkinder (bbl)) werden zerschmettert (man) werden vor ihren Augen, geplündert werden ihre Häuser werden, und ihre Frauen werden vergewaltigt werden." Jes 13,18: „Und Bogen werden Knaben (~iSJ5) zerschmettern (ü£2"i), und der Frucht des Leibes (]£3a~,"is) werden sie sich nicht erbarmen (Dm, negiert), wegen Söhnen (]a) wird ihr Auge nicht betrübt (Din, negiert) sein." 61 59 Der Schluss des Verses „und die Frauen und der Anhang" findet sich im Alexandrinus (als Kai ia Xaov, die Wiedergabe von *]£? mit „Volk" ist singulär) und den lukianischen Manuskripten, im Vaticanus fehlt ein Äquivalent. Hinter den Glättungsversuchen, die sich im Vaticanus zeigen, stecken literarkritische Spannungen des hebräischen Textes, dazu M I C H E L (1997) 269-270. 60 In der hier relevanten zweiten Hälfte des Verses variiert die LXX im Gegensatz zur ersten Hälfte nicht. 61 Anders LXX in Jes 13,18: „Die Bogen der Knaben werden sie zerbrechen und eurer Kinder werden sie sich sicher nicht erbarmen und mit den Kindern werden ihre Augen sicher kein Mitleid haben." LXX setzt hier und in 13,16 vereinheitlichend TE3 (zerschlagen), 115 die schwächste Gruppe, die der Kinder und Alten, aus YHWHs Vernichtungshandeln stillschweigend herausgenommen wurde; die Voranstellung der ,junge-Männer-junge-Frauen"-Gruppe hat diesen „Verlust" nur teilweise kompensiert. Die LXX zahlt ihren Preis für diese Umdeutung des Hammerspruchs mit der Auslassung der Gewalt YHWHs gegen (Alte und) Kinder. All diese Indizien sprechen für den klassischen Fall einer dogmatischen Korrektur.

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Die „Königreiche" wurden deshalb in „Könige" verändert; die „Völker" bereiten in den „Vielvölkerstaaten" der Großreiche dagegen keine Probleme. 114 Das wird öfter angenommen, so etwa taucht 51,22 in der Liste der Haplographien von J A N Z E N (1973) 117-119 auf, wobei J A N Z E N ebd. 120 annimmt, dass das Gros der Haplographien bzw. Parablepsen bereits aus der hebräischen LXX-Vorlage stammt. Hält man das für richtig, entstand die Parablepse entweder von „ich werde zerstreuen" zu „ich werde zerstreuen" im hebräischen oder griechischen Text oder aber über die Termini veaWoKoq (für Tina Jer 6,4/ 9,20/ 11,22/ 15,8/ 18,21/ 31,13/ 48,15/ 49,19.26/ 50,30.44/ 51,3.22) bzw. wohl yeutepoq (für "1BJ, das nur in Jer 1,6.7 vorkommt), allerdings erst nach der Umstellung der Opfergruppen. 115 Diese morphologisch eigentlich unmögliche Ableitung vom N-Stamm (!) von "1D findet sich zwar auch in dem inhaltlich verwandten Vers Jer 13,14 (und ist dort genauso willentlich vorgenommen worden?). In dem Teil des Jeremiabuches jedoch, das von demselben Übersetzer stammt wie Jer 51,22, nämlich in Jer 48,12 (=LXX Jer 31,12), wird fE3-D korrekt mit OUYKOTTTU wiedergegeben. Man kann also nicht argumentieren, dass der Übersetzer des Hammerspruches die Wurzel fSJ-D nicht kannte!

Gewalt im Spiegel der

Textgeschichte

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1.3.1.5 Die härteren MT-Texte: Direkte Belastung des Gottesbildes Es bleiben jene Stellen zu besprechen, bei denen die LXX nicht das in MT vorhandene oder mögliche göttliche Agens bietet: Ex 13,15/ 2Kön 9,8/ Jer 15,7/ 19,9/Hos 9,12/ Ps 17,14. Ps 17,14 mit seinem schon im Hebräischen rätselhaften Text ist im griechischen Text kaum weniger unklar, aber immerhin ist die zweite Hälfte des Verses, anders als die erste, doch eine weitgehend wörtliche Wiedergabe des Hebräischen, mit einem Unterschied eigentlich nur in der Verbform: Während MT „du wirst füllen" liest (Futur+Aktiv), hat LXX „er [ihr Bauch] wurde gefüllt" (Aorist+Passiv). Nur wenn man voraussetzen darf, dass der Übersetzer eine negative Gesamtsemantik wahrgenommen hat, 116 liest sich diese Passivtransformation als dogmatische Korrektur; insgesamt ist die Interpretation des Psalmverses aber zu unsicher, um allzu forsche Urteile begründen zu können. Zwei der sechs Fälle haben wieder mit der Wurzel (kinderlos machen) zu tun, wie die schon oben besprochenen Fälle Lev 26,22/ Ez 5,17/ 14,15 (und 36,16). Anders als dort ist die Wiedergabe der LXX mit axeKvöcü allerdings korrekt, das Problem hier besteht in der Unsichtbarkeit des göttlichen Agens: Hos 9,12 implementiert statt des aktivischen „ich [YHWH] werde sie kinderlos machen" passivisches „werden sie [Efraim] kinderlos (gemacht) sein." 117 Diese Passivtransformation kann man nicht als leichte bzw. zufällige Verlesung der hebräischen Vorlage erklären, weil eine entsprechende hebräische Vorlage ibriKh statt OTteEh hätte haben müssen. Angesichts der auch sonst großen textlichen Differenzen zwischen MT und LXX am Ende von V.12 und am Anfang von V. 13118 und der in

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In der L X X wird genausowenig wie in MT klar, was das „Verborgene" sein soll, mit dem der Bauch gefüllt wird. Dann ist im Griechischen und Hebräischen unklar, ob das Sättigen positiv (dafür vgl. V.15) oder negativ zu verstehen ist, und dasselbe gilt beim „Rest" für die Enkelkinder. 117 Das ist zumindest der griechische Befund. Die Passivkonstruktion wird allerdings auch für den G-Stamm von bsai „kinderlos sein" verwendet, also im Sinne eines Zustandsverbs (vgl. Gen 27,45/ 43,14/ l S a m 15,33/ 2Sam 17,8), außerdem noch dreimal für den aktiven D-Stamm: Gen 31,38/ 2Kön 2,19.21; bei den drei letzteren Fällen liegt jedoch im Hebräischen die semantische Variation „Fehlgeburten haben" vor, dazu

SCHMOLDT(1995) 118

1326.

Hos 9,13 L X X bietet umgekehrt eine Gewalt-gegen-Kinder-Variante, die in MT nicht wiederzuerkennen ist, mit dem Bild der Ausstellung von Ephraims Kindern als Jagdbeute. Ich kann nicht erkennen, wie man hier über die ältere Lesart soll entscheiden können, diametral entgegen stehen sich etwa JEREMIAS (1986) 119.123 (er übersetzt: „Ephraim, das ich ausersah zur Palme, gepflanzt auf einer Aue...") und WOLFF ( 1 9 8 2 ) 208, der ebd. 216 meint: „Der äußerst unsicher überlieferte und schwierige Text... besagt nach G wahrscheinlich, daß nach Gottes Sicht und Urteil Ephraim selbst seine Jugend der Todesgefahr ausgesetzt hat." A u f so viele Unsicherheiten sollten weitergehende Theorien

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„ Gewalt gegen Kinder" und „ Gott und Gewalt"

der Sache identischen Lesung des noch härteren V.16 wird man diese Variante jedoch nicht auf das Konto einer dogmatischen Korrektur verbuchen können, sondern wohl eher auf den Erhaltungszustand des überlieferten bzw. dem Übersetzer vorliegenden Hoseatextes. Die Lesung der 2. Person Singular (=Jehu) in der LXX-Fassung von 2Kön 9,8b geht einher mit der gleichsinnigen Lesung der Wurzel Dp] (rächen) im vorausgehenden Satz in 2Kön 9,7b. Dadurch hat LXX in den Versen 7 - 8 durchgehend die 2. Person, während MT zwischen der 1. (göttlichen: 7b/8b), der 2. (Jehu: 7a) und sogar der 3. Person (Haus Ahab: 8a) wechselt. Alles spricht dafür, dass die LXX hier die Personenwechsel der Vorlage auf Null reduziert und dabei auch die differenzierten Wurzeln ¡133 (schlagen: 7a) und n*D (ausrotten: 8b) einheitlich zu Kai e^oleSpeuoeK;. verschrieben hat. 119 Fraglich ist die Motivation dieser Änderung; in der Literatur finden sich gewichtige Stimmen, die sie für eine dogmatische Korrektur halten, die aber vielleicht mehr an der Wurzel Dpi (rächen) haftet, als an der Wurzel m s (ausrotten): „Gott soll nicht in eigener Person Rache ... ausüben." 120 Außerdem ist zu beachten, dass „Kinder" in der Formulierung von 2Kön 9,8 wohl kaum ausdrücklich genannt werden. Wenn also - was wahrscheinlich ist - eine dogmatische Korrektur vorliegt, liegt sie erstens nicht vorrangig an der Wurzel n~D (ausrotten) und zweitens auch nicht daran, dass versucht worden wäre, Gewalt gegen Kinder zu vertuschen. In Jer 15,7 - bz'ti wie Hos 9,12 - steht wegen des Manuskriptbefundes die Frage nach dem ursprünglichen LXX-Text im Raum: Während sich in MT ein aktiver D-Stamm von und 13K findet: ' a r - n x TH?« Ti*??^ („ich machte kinderlos, vernichtete mein Volk"), lesen die meisten und wichtigsten LXX-Manuskripte (besonders Vaticanus und Alexandrinus) passivisch bzw. in der dritten Person Plural: r|TeKvco0T|aav ¿irwleoav töv Xaov (IOU („sie wurden kinderlos [gemacht], sie haben mein Volk vernichtet"). Gleichwohl entscheidet sich Ziegler in seiner kritischen nicht gebaut werden. In der Sache heben sich LXX und MT in der jeweils gegenläufigen Zeichnung von Gewalt gegen Kinder in V.12 und 13 praktisch gegenseitig auf. 119 Vgl. dazu MULZER (1992) 59-60. Allerdings steht in den beiden Versen davor und danach, in V.6 und V.9, die göttliche 1. Person Singular sowohl in MT wie LXX, doch ist sie in 6 auch sicher, in 9 wahrscheinlich unverzichtbar: M.E. insuniert V.9: „Ich handle am Haus Ahab, wie ich am Haus Jerobeam etc. gehandelt habe." Diese Aussage kann nicht „Jehu" als Subjekt erhalten. Zu diesem Nebenton des Vergleichs beachte man den Vorschlag von JENNI (1994) 41 mit „wie seinerzeit (das Haus Jerobeams)" zu übersetzen. 120 Zitat nach MULZER (1992) 60 Anm. 134, der diese auf WEVERS, MONTGOMERY UND BOHLEN basierende These jedoch bestreitet; MULZER meint dann ebd. allerdings etwas kryptisch: „Näher liegt eine bewußt vorgenommene oder unbewußt unterlaufene Angleichung an V.7a". Über den Zweck einer „bewußten" Angleichung äußert er sich nicht. Warum soll das nicht die einer dogmatischen Korrektur sein?

Gewalt im Spiegel der

Textgeschichte

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Edition für den folgenden als ursprünglichen LXX-Text, obwohl der nur von einer qualitativen und quantitativen Minderheit von Manuskripten bezeugt wird: f|xeKvw0r|y