Gott ist ein Abenteurer: Der Offene Theismus und die Herausforderungen biblischer Gottesrede [1 ed.] 9783666556692, 9783525556696

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Gott ist ein Abenteurer: Der Offene Theismus und die Herausforderungen biblischer Gottesrede [1 ed.]
 9783666556692, 9783525556696

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Manuel Schmid

Gott ist ein Abenteurer Der Offene Theismus und die Herausforderungen biblischer Gottesrede

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar, David Fergusson und Christiane Tietz

Band 167

Manuel Schmid

Gott ist ein Abenteurer Der Offene Theismus und die Herausforderungen biblischer Gottesrede

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3253 ISBN 978-3-666-55669-2

Inhalt

Vorwort und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorbemerkungen zur Typographie und Sprache . . . . . . . . . . . . . . Typographisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Hinführende Übersicht. Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Historisch-kontextuelle Einordnung des Offenen Theismus . . 1.1.1 Die Bedeutung des Offenen Theismus . . . . . . . . . . . 1.1.2 Die Geschichte des Offenen Theismus . . . . . . . . . . . 1.1.3 Die Wurzeln des Offenen Theismus . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Der Einfluss der Prozesstheologie . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Systematisch-motivanalytische Skizze des Offenen Theismus . 1.2.1 Die praktischen Kernanliegen des Offenen Theismus . . . 1.2.2 Die thematische Mitte des Offenen Theismus . . . . . . . 1.2.3 Der bibeltheologische Schwerpunkt des Offenen Theismus 1.3 Forschungsgeschichtliche und methodische Vorbemerkungen . 1.3.1 Die Forschungsgeschichte des Offenen Theismus . . . . . 1.3.2 Fragestellung und Zielsetzung dieser Arbeit . . . . . . . . 1.3.3 Methodik und Aufbau dieser Arbeit . . . . . . . . . . . .

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2. Exegetische Spurensuche. Die thematische Auffächerung des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung und Kurzdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzierungen und Kontroversen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Biblisch-exegetische Materialgrundlage (das Motiv der ‚Offenheit Gottes‘) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Der erwartungsvolle Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Der enttäuschte Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.1.3 Der reuige Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Auseinandersetzung mit biblischen ‚Gegentexten‘ . . . . . . . . . 2.2.1 Texte im (vermeintlichen) Widerspruch zur ‚Offenheit Gottes‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Harmonisierende Lesungen der widersprechenden Texte . . 2.3 Kritische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die Berechtigung des biblisch-theologischen Anliegens des Offenen Theismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Das Schriftverständnis hinter der Verteidigung des Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Die Problematik dieses Schriftverständnisses für die Erklärung der strittigen Texte . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Theologische Deutungsansprüche. Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung und Kurzdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzierungen und Kontroversen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Auseinandersetzung mit der Hellenisierungsthese . . . . . . . . . . 3.1.1 Die Hellenisierungsthese im Offenen Theismus . . . . . . . . 3.1.2 Formalisierung der Hellenisierungsthese . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Ältere und neuere Kritik der Hellenisierungsthese . . . . . . 3.1.4 Reaktionen auf die Kritik an der Hellenisierungsthese . . . . 3.2 Annäherungen an das Anthropomorphismus-Problem . . . . . . . 3.2.1 Die Voreingenommenheit der gängigen Interpretation der fraglichen Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Der Anthropomorphismus-Begriff als hermeneutisches Vorurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Akkommodationslehre als theologischer Rechtfertigungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Der eingeschränkte Anthropomorphismus-Begriff im Offenen Theismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Der entschränkte Anthropomorphismus-Begriff im Offenen Theismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Die Frage der Angemessenheit anthropomorpher Gottesrede . 3.2.7 Das bleibende Problem der Interpretation „anthropomorpher“ Gottesrede . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Kritische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die „Hellenisierung des Christentums“ als wechselseitiger Transformationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Der der „Hellenisierungsthese“ inhärente Essentialismus . . .

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Inhalt

3.3.3 Der Nachweis philosophischer Prämissen am Beispiel Philos . 3.3.4 Die Beurteilung philosophischer Prämissen am Beispiel Philos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Neuere Auseinandersetzungen mit anthropomorphen Texten 3.3.6 Die systematisch-theologische Herausforderung anthropomorpher Gottesrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Systematische Einordnungsversuche. Die dogmatische Reintegration des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ . . . . . . . . . . . . . . Einleitung und Kurzdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzierungen und Kontroversen . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Reformulierungen klassischer Gottesattribute . . . . . . . . . . . 4.1.1 Gottes Allwissenheit als seine unübertreffliche Weisheit . . 4.1.2 Die Leistungsfähigkeit dieser Reformulierung der Allwissenheit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Gottes Allmacht als seine freisetzende Kraft . . . . . . . . . 4.1.4 Die Leistungsfähigkeit dieser Reformulierung der Allmacht Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Gottes Unveränderlichkeit als seine bewegliche Treue . . . 4.1.6 Die Leistungsfähigkeit dieser Reformulierung der Unveränderlichkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Kritische (Zwischen-)Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Gottes Liebe als hermeneutische Makroperspektive . . . . . 4.2.2 Der Einfluss des Werkes Terence Fretheims . . . . . . . . . 4.2.3 Systematisch-theologische Mangelanzeige . . . . . . . . . . 4.3 Vergleichender Blick auf neuere deutschsprachige Entwürfe . . . 4.3.1 Das Motiv der Befreiung von hellenistischen Denkvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Das Motiv der biblischen Rückbesinnung . . . . . . . . . . 4.3.3 Die Unveränderlichkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Die Allmacht Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Die Allwissenheit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Die Zentralität der Liebe Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.7 Das Klärungspotenzial deutschsprachiger Entwürfe für den Offenen Theismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Abschließende Reflexion. Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibeltheologische Folgeüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Zum spannungsvollen Verhältnis von exegetisch-bibeltheologischer Arbeit und kirchlich-dogmatischer Lehrbildung bzw. zum religiös-institutionellen Verunsicherungspotenzial vergessener Formen biblischer Gottesrede: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum spannungsvollen Verhältnis von divergierenden biblischen Gotteszeugnissen und dem Bekenntnis zur Einheit der Schrift sowie zur Möglichkeit der Entfaltung einer konsistenten gesamtbiblischen Gottesvorstellung: . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Frage nach der existenziellen Tragfähigkeit eines inkonsistenten Gottesbegriffs und zur theologischen und glaubenspraktischen Problematik der Multioptionalität hinsichtlich der Vielzahl biblischer Gottesvorstellungen: . . . . . . Zur Frage nach der die hermeneutische Makroperspektive bestimmenden Mitte der Schrift und zum Erschließungspotenzial einer Lesung der Schrift von der ‚externen Mitte‘ in Jesus Christus her: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassende Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort und Danksagung

Diese Arbeit wäre nicht denkbar gewesen ohne die theologische Weggefährtenschaft und persönliche Freundschaft mit Andreas Loos und Heinzpeter Hempelmann. Das Thema der Arbeit wie auch der Mut zu ihrer Durchführung verdanken sich ganz wesentlich ihrem Interesse, ihrem Zuspruch und manchen spätabendlichen Gesprächen – wofür ich beiden von Herzen danke. Der Anstoß, das Promotionsprojekt zu wagen, geht aber auch entscheidend auf meinen Doktorvater Prof. Reinhold Bernhardt zurück. Er hat mich über viele Jahre meines pastoralen Dienstes immer wieder auf mein ursprüngliches Promotionsvorhaben angesprochen und mich herausgefordert, die Sache (endlich) in Angriff zu nehmen. Für seine Ermutigung und geduldige Begleitung der Arbeit bin ich ihm gleichermaßen dankbar. Auch den Vertretern des Offenen Theismus, namentlich Gregory Boyd, John Sanders, Thomas Oord und Richard Rice, gilt mein herzlicher Dank für ihre Bereitschaft, sich in ausführlicher Korrespondenz und zahlreichen persönlichen Begegnungen meinen Fragen zu stellen. Sie alle persönlich kennen und schätzen gelernt zu haben, gehört zu den positiven Nebenerscheinungen meines Promotionsprojektes. Dann sei auch dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gedankt, dessen finanzielle Unterstützung zur Erforschung des Offenen Theismus mich durch einen großen Teil meiner Arbeiten getragen hat. Schlussendlich ist die hier vorgelegte Studie zur bibeltheologischen Herleitung des Offenen Theismus nur ein relativ kleiner Ausschnitt aus den Ergebnissen meiner Untersuchungen. Die ausführliche Aufarbeitung der Geschichte des Offenen Theismus, die Darstellung seiner analytisch-philosophischen Begründung sowie die Analyse der durch Gregory Boyd erfolgten christologischen Zuspitzung einer ‚offenen Sicht Gottes‘ hoffe ich zu einem späteren Zeitpunkt der Öffentlichkeit vorlegen zu können. Nicht unerwähnt sollte auch die Leitung meiner Kirche und überhaupt die Gemeinschaft von ICF Basel bleiben, welche längere Zeiten meiner Abwesenheit

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Vorwort und Danksagung

oder geteilten Aufmerksamkeit großzügig ertragen hat, um die Fertigstellung der Arbeit zu ermöglichen. Und schließlich möchte ich meiner Frau Rahel, meinen Kindern Louan und Lina, meinen Eltern Martin und Heidi Schmid sowie meinen Freunden Olivier Blauenstein, Ralf Dörpfeld und Martin Benz für so vieles danken, was das Leben auch in der Zeit einer Promotion erst wirklich ausmacht.

Vorbemerkungen zur Typographie und Sprache

Typographisches Alle Quellen werden im Fußnotenteil unter Angabe von Autor und Kurztitel aufgeführt. Untertitel und alle weiteren bibliographischen Informationen finden sich im Literaturverzeichnis. Im Haupttext erwähnte Titel sind kursiv und mit dem Jahr der Veröffentlichung in Klammern wiedergegeben. Zudem werden Schlüsselbegriffe und besonders betonte Wörter kursiv gedruckt. Alle Personennamen im Haupttext und in den Fußnoten sind in Kapitälchen wiedergegeben – außer wenn sie in Buch- und Aufsatztiteln vorkommen oder wenn es sich um biblische Figuren handelt. Zitate werden zwischen doppelte Anführungs- und Schlusszeichen („…“) gesetzt, während stehende Begriffe und Ausdrücke, die in Abweichung oder Relativierung vom Normalgebrauch verwendet werden, zwischen einfachen Anführungs- und Schlusszeichen stehen (‚…‘). Blogeinträge und Onlineartikel werden nach Autor, Titel und Veröffentlichungsdatum, aber der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit halber ohne die oft zeilenlangen Links angeführt – diese sind der Bibliographie zu entnehmen.

Sprachliches Die englischen Begriffsbildungen open theism, openness of God und open view (of God) werden jeweils in ihrer übersetzten Form wiedergegeben – es wird also vom Offenen Theismus, von der ‚Offenheit Gottes‘ oder von der ‚offenen Sicht Gottes‘ gesprochen. Der Ausdruck ‚klassisch‘ wird dort in einfache Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt, wo er im Diskurs um den Offenen Theismus als vereinfachter Sammelbegriff für den theologischen ‚Mainstream‘ im Gefolge von Augustinus, Thomas von Aquin und Calvin steht.

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Vorbemerkungen zur Typographie und Sprache

Um den Lesefluss im Haupttext zu verbessern, werden außerdem sämtliche englischsprachigen Zitate in deutscher Übersetzung wiedergegeben. Die Übersetzungen stammen vom Autor dieser Arbeit. In Anlehnung an den im evangelikalen Umfeld des Offenen Theismus gängigen Sprachgebrauch wird mit maskulinen Pronomen auf Gott Bezug genommen, ohne dass damit eine entsprechende Geschlechtlichkeit Gottes indiziert werden soll. Der erste Teil der Bibel wird – ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Usus im evangelikalen Milieu – meist als das ‚Alte Testament‘ bezeichnet. Eine Abwertung im Gegenüber zum ‚Neuen Testament‘ ist damit nicht beabsichtigt.

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Hinführende Übersicht. Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung

1.1

Historisch-kontextuelle Einordnung des Offenen Theismus

1.1.1 Die Bedeutung des Offenen Theismus Als 1994 das Buch The Openness of God erscheint, erwartet noch keiner der fünf beteiligten Autoren, dass der relativ schmale Band eine der bedeutsamsten und hitzigsten Debatten im zeitgenössischen (vornehmlich nordamerikanischen) Evangelikalismus anstoßen wird. „Nicht für einen Moment hätte ich mir ausgemalt, dass unser Buch über die ‚Offenheit Gottes‘ ein solches Interesse wecken und derartige Kontroversen provozieren würde“, reflektiert Clark Pinnock, Verfasser des systematisch-theologischen Herzstücks dieser Publikation, deren überraschende Auswirkungen im Rückblick.1 Gewiss äußern die Autoren in ihrem gemeinsamen Vorwort selbst ausdrücklich die Absicht, mit dem Buch ihre ‚offene Sicht Gottes‘ über die Grenzen des wissenschaftlichen Diskurses hinaus einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.2 Dass das Buch von der Zeitschrift Christianity Today, dem führenden Publikationsorgan des englischsprachigen Evangelikalismus, zu einem der „Bücher des Jahres“ gewählt werden und in der Folgezeit zwölf Auflagen erleben würde, haben sie aber wohl genauso wenig antizipiert wie die bald von Sympathisanten und Gegnern geteilte Ein1 Pinnock, Most Moved Mover, ix (Preface). Auch Bruce Ware, einer der prominentesten Kritiker dieser aufkommenden theologischen Bewegung, erkennt an, dass sich der Offene Theismus mit der Veröffentlichung von The Openness of God „von seinem Dasein hinter der Bühne hinein ins Scheinwerferlicht bewegt“ habe – vgl. Ware, God’s Lesser Glory, 31. Die Beitragenden am Buch The Openness of God sind: Clark Pinnock, Richard Rice, John Sanders, William Hasker und David Basinger – vgl. Pinnock et al., The Openness of God, 1994. 2 Pinnock et al., The Openness of God, 9 (Preface); vgl. Sanders, An Overview of the Debate on Open Theism, Blogeintrag auf DrJohnSanders.com (keine Datierung): „For many years the core ideas of openness had been buried in academic journals and I thought it was time to bring them to the attention of a broader public so I organized a team and we published The Openness of God.“

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Hinführende Übersicht. Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung

schätzung, dass die hier vertretene alternative theologische Konzeption einen „evangelikalen Megashift“ auszulösen im Begriff sei.3 Im europäischen theologischen Diskurs noch weitgehend unbeachtet, hat sich der Offene Theismus in den Jahren nach der Veröffentlichung von The Openness of God zu einer ebenso umstrittenen wie einflussreichen Bewegung innerhalb des Evangelikalismus der Vereinigten Staaten ausgewachsen, welche breite Aufmerksamkeit in vielen Denominationen geweckt und die Stellungnahme führender evangelikaler Theologen, Pastoren und Identifikationsfiguren herausgefordert hat.4 Ed Stetzer, Professor für Missiologie und profunder Kenner des Evangelikalismus, kann 2012 in einem Rückblick auf die theologischen Kontroversen in den USA der letzten Jahrzehnte festhalten, dass „durch die 90er Jahre hindurch bis in die frühen 2000er Jahre der Offene Theismus die Diskussionen um die Gotteslehre dominiert“ habe.5 In diesem Zeitraum (und darüber hinaus) hat die angeregte und teilweise erbitterte Debatte um die ‚offene Sicht Gottes‘ Hunderte von Aufsätzen, Onlineessays und Monographien hervorgebracht – Beiträge, welche sowohl deren exegetische und hermeneutische als auch deren systematische und philosophische Aspekte bearbeiten und die Beteiligung immer weiterer Kreise des englischsprachigen akademischen Diskurses mobilisieren.6

3 Vgl. die Rede von einem „evangelikalen Megashift“ bei MacArthur, Open Theism’s Attack, 95; sowie bei: Armstrong, Foreword, 9. Beide Autoren beziehen sich auf einen Artikel von Robert Brow in der Zeitschrift Christianity Today, welcher schon im Jahr 1990 im Blick auf bisherige Veröffentlichungen von Vertretern des Offenen Theismus von einem anstehenden „Megashift“ sprach: Brow, Evangelical Megashift (19. Februar 1990). 4 Als Beispiel sei etwa auf das Interview von John Piper mit Rick Warren aus dem Jahr 2011 verwiesen: Piper/Warren, John Piper Interviews Rick Warren on Doctrine, Blogeintrag auf DesiringGod.org (27. 05. 2011). John Piper gilt als führender Vertreter des konservativen, neocalvinistischen Flügels des Evangelikalen in den USA, Rick Warren ist – als Pastor einer der größten nordamerikanischen Kirchen (über 20.000 Gottesdienstbesucher), Autor eines weltweiten Bestsellers (30 Mio. verkaufte Exemplare) und Vertrauter mehrerer US-Präsidenten – wohl einer der populärsten Repräsentanten des gegenwärtigen Mainstream-Evangelikalismus überhaupt. Im Gespräch über die Souveränität Gottes beweisen beide Teilnehmer ihre Vertrautheit mit dem Offenen Theismus – und distanzieren sich ausdrücklich davon. 5 Stetzer, Morning Roundup (25. 09. 2012). 6 Eine regelmäßig aktualisierte und nach der affirmativen oder kritischen Haltung der Beiträge zum Offenen Theismus geordnete Bibliographie führt dessen Vertreter John Sanders auf seiner persönlichen Website: Sanders, Bibliography on Open Theism (November 2016); dort findet sich auch die vom Offenen Theisten Thomas Oord zusammengestellte, etwas weiter gefasste Bibliographie (allerdings mit Einträgen nur bis 2004): Oord, Bibliography on Open Theism (2002). Auch zwei Kritiker des Offenen Theismus sind mit Publikationsverzeichnissen hervorgetreten – vgl. Swanson, Works on Open Theism, 223–229; Taylor, Bibliography on Open Theism, 385–400. Die wichtigsten Quellen für Onlinebeiträge zum Offenen Theismus sind: http://thomasjayoord.com (Website des Offenen Theisten Thomas Oord); http://reknew. org (Website des Offenen Theisten Gregory Boyd); http://www.desiringgod.org (Website des

Historisch-kontextuelle Einordnung des Offenen Theismus

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„Was vor 20 Jahren noch eine theologische Perspektive war, die in erster Linie unter konservativen protestantischen Christen auf Interesse gestoßen ist, ist jetzt eine breit diskutierte Sicht sowohl in theologischen als auch philosophischen Kreisen“, resümiert der Offene Theist David Basinger im Jahr 2013, und die Quelle dieser Aussage bezeugt ihren Inhalt: Sie stammt aus Basingers Beitrag zum vom Springer-Verlag herausgegebenen religionsphilosophischen Kompendium Models of God and Alternative Ultimate Realities (2013).7Auch im stärker systematisch-theologisch orientierten Quellenband God: The Sources of Christian Theology (2012) will man ohne die Darstellung des Offenen Theismus nicht mehr auskommen: Unter den vorgestellten neueren theologischen Entwürfen findet sich eine Präsentation des Offenen Theismus aus der Feder des inzwischen verstorbenen Clark Pinnock.8 Gleiches lässt sich am Band Reason and Religious Belief aus dem Haus der Oxford University Press zeigen, einem der verbreitetsten religionsphilosophischen Lehrbücher in den USA: Seit der Überarbeitung des Werkes von 2003 hat der Offene Theismus einen festen Platz unter den vorgestellten Modellen zur Beschreibung des Gott-Welt-Verhältnisses.9 Entsprechend selbstbewusst kann der Offene Theist Richard Rice in seinem Referat auf dem Jahrestreffen der American Academy of Religion (AAR) von 2014 herausstellen, das von ihm und anderen vorgelegte theologische Modell sei heute eine „etablierte Position auf der theologischen Landkarte“.10 Anlässlich des 20-

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Kritikers John Piper); http://anopenorthodoxy.wordpress.com (Website der Sympathisanten des Offenen Theismus Thomas Belt und Dwayne Polk). Basinger, Introduction to Open Theism, 274. Vgl. auch die Rezension des Werkes durch Mullins, Models of God and Alternative Ultimate Realities (Review), 288–293. Mullins kritisiert an dem Band gerade den „überproportionalen Raum“, den prozesstheologische und verwandte Modelle, unter welche v. a. der Offene Theismus fällt, einnehmen – vgl. ebd., 290 (Es zeugt von einem eklatanten Mangel an Sachkenntnis, wenn der Rezensent dafür plädiert, ausgerechnet den Beitrag von Richard Rice – einem Offenen Theisten erster Stunde, auf den sogar die Prägung des Begriffs der ‚Offenheit Gottes‘ zurückgeht – nicht im Kapitel zum Offenen Theismus, sondern unter den Prozesstheologien im engeren Sinne einzuordnen). Pinnock, The Openness of God, 351–355. William Hasker und David Basinger gehören von der ersten Auflage von 1991 an zu den Mitherausgebern dieses Bandes: Hasker/Reichenbach/Basinger et al. (Hg.), Reason & Religious Belief, v. a. 155–172; die neueste Ausgabe von 2012 wartet mit einer erneuten Erweiterung des Kapitels über den Offenen Theismus auf. Viele weitere Standardwerke der systematischen und analytischen Theologie sowie der Religionsphilosophie nordamerikanischer Provenienz setzen sich inzwischen mit dem Offenen Theismus auseinander oder führen ihn als beachtenswerten Entwurf an – vgl. etwa Kärkkäinen, The Doctrine of God, 186–191; Vanhoozer, The Triune God of the Gospel, 24–26; Webster/Tanner/Torrance (Hg.), The Oxford Handbook of Systematic Theology, 100f. Vgl. die unveröffentlichten Notizen zum Referat von Richard Rice unter dem Titel „A Brief History of Open Theism“; die Videoaufzeichnungen zu den Referaten finden sich online: Rice/Sanders/Basinger, The Openness of God (AAR Annual Meeting 2014) – Part 1, Video auf vimeo.com (2014); Oord (u. a.), The Openness of God (AAR Annual Meeting 2014) –

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Hinführende Übersicht. Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung

Jahr-Jubiläums der Veröffentlichung von The Openness of God finden hier drei der fünf ursprünglichen Autoren wieder zusammen. Neben Richard Rice sind namentlich John Sanders und David Basinger zugegen, darüber hinaus der Initiator und Verantwortliche des Open and Relational Theologies Units in der AAR, Thomas Oord, welcher den Beiträgen der Offenen Theisten nicht nur eine etablierte Plattform auf dieser weltweit größten Versammlung von Theologen und Religionsphilosophen verschafft hat, sondern auch selbst zu den innovativsten jüngeren Vertretern einer ‚offenen Sicht Gottes‘ gehört. Dieser erst phänomenologisch-wirkungsgeschichtliche Blick auf den Offenen Theismus zeigt schon ohne inhaltliche Näherbestimmung seiner theologischen Propria dessen durchschlagenden Einfluss zumindest auf den evangelikalismusnahen wissenschaftlichen Diskurs in den USA – und deutet auch dessen öffentlich-kirchenpolitische Bedeutung an. Im Folgenden sollen die Entstehungsbedingungen und Entwicklungsstufen dieser theologischen Reformbewegung in einem kurzen Abriss über die Geschichte des Offenen Theismus und einer Darlegung seiner konfessionellen Verwurzelung aufgezeigt sowie deren Hauptvertreter vorgestellt werden.

1.1.2 Die Geschichte des Offenen Theismus Die Geschichte des Offenen Theismus beginnt – zwar noch nicht als eine theologische Bewegung oder Schulrichtung, wohl aber als eine von einzelnen Vordenkern noch weitgehend unabhängig profilierte theologische Konzeption – lange vor der Veröffentlichung von The Openness of God (1994). Bereits im Verlauf der 1970er und der anbrechenden 1980er Jahre entwickeln die späteren Hauptvertreter des Offenen Theismus die Kernideen dieses theologischen Modells. Übereinstimmend mit Dennis W. Jowers kann dieser Zeitraum vor dem Erscheinen der erwähnten Programmschrift als formative Phase in der Geschichte des Offenen Theismus gelten (ca. 1975–1994), während das darauffolgende Jahrzehnt dessen kontroverse Phase abdeckt (1994–2004).11 Jowers’ EinPart 2, Video auf vimeo.com (2014); Sanders, The Openness of God (AAR Annual Meeting 2014) – Part 3, Video auf vimeo.com (2014). 11 Vgl. Jowers, Open Theism, 3f. Neben Jowers hat sich im englischsprachigen Raum nur noch der Wissenschaftsjournalist Larry Witham qualifiziert mit der Geschichte des Offenen Theismus beschäftigt. Sein Buch The God Biographers versucht den Offenen Theismus gewissermaßen als Kulminationspunkt theologischer und überhaupt geistesgeschichtlicher Entwicklungen darzustellen, welche bis in die biblischen Zeiten zurückreichen und von der Frage nach der Realität des Leidens im Angesicht eines gütigen Gottes angetrieben sind. In zahlreichen Interviews mit Vertretern des Offenen Theismus legt Witham dann die Hintergründe der Debatte um die „Offene Sicht Gottes“ frei und fördert wichtige biographische Einzelheiten zu Tage. Seine Einpassung des Offenen Theismus in ein Jahrtausende um-

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teilung muss schließlich um eine dritte Phase der Konsolidierung ergänzt werden, welche nach dem Abklingen der großen Debatten ab ca. 2004 angesetzt werden kann. Die formative Phase bezeichnet näherhin die Zeit der ersten individuellen Bemühungen der späteren Hauptvertreter des Offenen Theismus, eine alternative Sicht Gottes und seines Verhältnisses zur Welt zu entwickeln – ein Modell, welches die ihrer Beobachtung nach deterministischen und geschichtsfeindlichen Implikationen der traditionellen, ‚klassischen‘ Theologie zu vermeiden sucht und im nordamerikanischen Kontext vor allem zum erstarkenden konservativen, calvinistisch geprägten Strom des Evangelikalismus auf Distanz geht. Die Systematiker Clark Pinnock (1937–2010), Richard Rice (geb. 1944) und John Sanders (geb. 1956) sowie die Religionsphilosophen David Basinger (geb. 1947) und William Hasker (geb. 1935) gehören zu den Vordenkern einer ‚offenen Sicht Gottes‘, etwas später tritt Gregory Boyd (geb. 1957) zur genannten Gruppe hinzu. Der Begriff der ‚Offenheit Gottes‘ verdankt sich dabei einer knappen Studie von Richard Rice, die schon 1980, also 14 Jahre vor der Veröffentlichung des Gemeinschaftswerkes The Openness of God, unter identischem Haupttitel erscheint.12 Der Untertitel des Rice’schen Buches – The Relationship of Divine Foreknowledge and Human Free Will – zeigt an, wofür der Offene Theismus später bekannt werden wird: Die Infragestellung des umfassenden Vorauswissens Gottes zugunsten der Vorstellung einer authentischen, auch für Gott selbst risikohaften, weil eben noch „offenen“ Geschichte mit seinen spannendes Narrativ von „Gottesbiographen“, welche eine dynamische und relationale Gottheit bezeugen, ist freilich überzogen, und die Darstellungsweise offenbart auch immer wieder eine fehlende Vertrautheit des Autors mit dem spezifischen theologischen und philosophischen Diskurs: Witham, The God Biographers. Einen Abriss der „skandalösen Geschichte“ des Offenen Theismus bietet im deutschsprachigen Raum neuerdings Julia Enxing im Zuge ihrer Dissertation zur Prozesstheologie Charles Hartshornes: vgl. Enxing, Gott im Werden, 241–249 (der ganze Abschnitt steht unter dem Titel „Der Open Theism – seine skandalöse Geschichte“). 12 Rice, The Openness of God (1980). Das Buch wurde einige Jahre später leicht modifiziert und unter verändertem Titel neu aufgelegt: Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, (1985). Vgl. auch Witham, The God Biographers, 145f, wo der Autor festhält, dass Richard Rice den Begriff der ‚Offenheit Gottes‘ zum ersten Mal 1979 verwendete – in einem Vortrag zum Thema „Geschichte und Theologie“ an der La Sierra University in Kalifornien. Der USamerikanische Prozessphilosoph Charles Hartshorne wie auch der schottische Systematiker Thomas F. Torrance konnten schon in den 60er Jahren von der „divine openness to creaturely influence“ (vgl. den Aufsatz im Sammelband: Hartshorne, Wisdom as Moderation, 92) bzw. der „openness of God for the world that he has made“ (Torrance, Space, Time and Incarnation, 74–75) sprechen. Erst in jener knappen biblisch-theologischen Untersuchung von Rice wird die „Offenheit Gottes“ aber zum ausdrücklichen Label einer „Alternative zum traditionellen christlichen Verständnis der Beziehung Gottes zur Welt“ (Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 10); vgl. zur Bezeichnung des Entwurfs als „Offener Theismus“ außerdem Anm. 118 in dieser Arbeit.

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Geschöpfen. Rices Untersuchung weckt in der Folgezeit die Aufmerksamkeit von Clark Pinnock, der im Verlauf seines eigenen wendungsreichen theologischen Denkweges zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Vorsehungslehre und des Gott-Welt-Verhältnisses überhaupt gekommen ist.13 Pinnock macht Rice wiederum mit dem jüngeren John Sanders bekannt, so dass schon Mitte der 80er Jahre drei der fünf Autoren des Bandes The Openness of God miteinander in Kontakt stehen.14 Nur wenig später entdecken sie die enge Verwandtschaft ihrer Ansätze auch mit William Hasker und David Basinger, welche auf einem stärker analytisch-philosophischen Wege zur Überzeugung von der Offenheit der Zukunft und der Authentizität der Geschichte Gottes mit der Schöpfung gelangt sind.15 Die fortschreitende Vernetzung dieser verschiedenen Vordenker regt zahlreiche individuelle und einige gemeinsame Publikationen an und lässt eine theologische Weggefährtenschaft entstehen, die schließlich zur Veröffentlichung des Gemeinschaftswerkes The Openness of God (1994) führt.16 Dieses Buch darf als eigentliches Gründungsmanifest des Offenen Theismus gelten und markiert den Anbruch der kontroversen Phase in dessen Geschichte.17 Es erscheint 1994 und entfaltet die ‚offene Sicht Gottes‘ in fünf Kapiteln hin13 Vgl. zur Rekonstruktion von Pinnocks theologischem Werdegang dessen autobiographische Skizze: From Augustine to Arminius, 15–30; dann besonders die ausführliche Nachzeichnung seines Denkweges durch Callen, Journey Toward Renewal, 2000. 14 Vgl. zu den ersten Begegnungen der Hauptvertreter des Offenen Theismus: Witham, The God Biographers, 148f. 15 Vgl. Witham, The God Biographers, 137f, sowie den stark autobiographisch geprägten Essay von Hasker, The Openness of God, 111–139. 16 William Hasker und David Basinger haben seit den späten 70er Jahren zahlreiche philosophische Aufsätze zum Problem der göttlichen Vorsehung und der menschlichen Freiheit veröffentlicht, in welchen sich eine Lösung in Richtung des Offenen Theismus abzeichnet (Basinger prägt dafür zunächst den Ausdruck „free-will theism“, welcher sich im religionsphilosophischen Diskurs bis heute als Überbegriff für freiheitstheoretische Vorsehungsmodelle gehalten hat) – vgl. v. a.: Basinger, Human Freedom and Divine Providence, 491– 510; ders., Divine Omniscience and Human Freedom, 291–302; dann der bahnbrechende Aufsatz von Hasker, Foreknowledge and Necessity, 121–157; sowie die Monographie Hasker, God, Time, and Knowledge. In dieser Studie argumentiert Hasker streng analytisch-philosophisch für eine „risikohafte“ Konzeption der Vorsehung Gottes (vgl. v. a. das letzte Kapitel unter dem Titel „God and the Open Future“: 186–206) – und er stützt sich dabei auf den ersten Aufsatz, mit dem Pinnock kurz zuvor als Vertreter einer ,offenen Sicht Gottes‘ hervorgetreten ist: Pinnock, God Limits His Knowledge, 141–162. Ein Meilenstein in der Vorgeschichte des Offenen Theismus ist schließlich der von Pinnock herausgegebene Sammelband The Grace of God and the Will of Man (1989). Richard Rice und John Sanders steuern Aufsätze bei, welche Kernideen ihrer Beiträge zum späteren Buch The Openness of God (1994) vorwegnehmen: Pinnock et al., The Grace of God and the Will of Man. 17 Pinnock et al., The Openness of God. Von der Vorgeschichte der Buchveröffentlichung berichtet Richard Rice in seinem Referat auf dem Jahrestreffen der American Academy of Religion von 2014 – vgl. Rice, A Brief History of Open Theism, 1 (unveröffentlichtes Manuskript).

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sichtlich ihrer bibeltheologischen Rechtfertigung (Richard Rice), ihrer theologiegeschichtlichen Wegbereiter (John Sanders), ihrer systematisch-theologischen Konsequenzen (Clark Pinnock), ihrer philosophischen Plausibilisierung (William Hasker) und schließlich ihrer praktischen Bewährung (David Basinger). Das auf diese Weise konturierte Modell einer dynamischen, interaktiven Geschichte, auf die sich Gott um der Liebe zum Menschen willen einlässt und welche auch für Gott selbst ein Moment der Unberechenbarkeit und Unkontrollierbarkeit impliziert, stößt unmittelbar auf massiven Widerspruch innerhalb des nordamerikanischen Evangelikalismus. Gleich drei Rezensenten üben im evangelikalen Magazin Christianity Today vernichtende Kritik an dieser vorgeblich „biblischen Herausforderung an das traditionelle Gottesverständnis“ (so der Untertitel von The Openness of God)18 – und wenn solch prominente Behandlung durch die meistgelesene christliche Zeitschrift Amerikas zum Bekanntheitsgrad des Offenen Theismus auch entscheidend beiträgt, so stellt sie zugleich den Auftakt für eine Reihe ausgesprochen feindseliger Veröffentlichungen dar, die in geradezu inquisitorischer Manier über den Offenen Theismus und dessen Vertreter herziehen. Allein die Titel dieser Publikationen geben einen Eindruck von der Alarmbereitschaft, in welche besonders Vertreter des konservativ-calvinistischen Flügels der US-Evangelikalen durch diesen theologischen Entwurf versetzt wurden – und vom Bedürfnis, die ‚offene Sicht Gottes‘ nicht nur als verfehlt auszuweisen, sondern als häretisch zu verurteilen: Creating God in the Image of Man? The New ‚Open‘ View of God: Neo-theism’s Dangerous Drift (1997) lautet etwa die Überschrift von Norman Geislers Auseinandersetzung mit dem Offenen Theismus, God’s Lesser Glory: The Diminished God of Open Theism (2000) nennt Bruce Ware seine Kritik in Buchlänge, und ein von John Piper herausgegebener Aufsatzband trägt den Titel Beyond the Bounds: Open Theism and the Undermining of Biblical Christianity (2003).19 Insbesondere die Vorstellung, dass dem Gott der Bibel zukünftige Ereignisse noch (teilweise) unbekannt sein könnten, kommt im Empfinden vieler Rezipienten einer Ver-

18 Vgl. die Beiträge von Douglas F. Kelly, Timothy George und Alister E. McGrath unter dem Titel: Has God Been Held Hostage by Philosophy?, in Christianity Today (9. Januar 1995). In der genannten Ausgabe findet sich allerdings auch die sympathisierende Rezension von Roger E. Olson, wie überhaupt die Zeitschrift Christianity Today später dafür kritisiert wird, dem Offenen Theismus nicht entschieden genug entgegengetreten zu sein und ihm sogar eine wiederholte Plattform gegeben zu haben – vgl. etwa Ware, God’s Lesser Glory, 25. 19 Vgl. Geisler, Creating God in the Image of Man?; Ware, God’s Lesser Glory; Piper/Taylor/ Helseth (Hg.), Beyond the Bounds. Weitere Kritiken des Offenen Theismus in Buchlänge sind: Wright, No Place for Sovereignty; Geisler/House, The Battle for God; Frame, No Other God; Wilson (Hg.), Bound Only Once; Huffman/Johnson (Hg.), God Under Fire. Dazu kommen zahllose Aufsätze in einschlägigen (englischsprachigen) theologischen und philosophischen Zeitschriften.

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leugnung der Allwissenheit und einem Verrat an der Gottheit Gottes überhaupt gleich. Die Vertreter des Offenen Theismus setzen sich gegen derartige Kritik nicht nur mit zahlreichen klärenden Aufsätzen zur Wehr, sondern verteidigen ihren Entwurf auch in mehreren ausführlichen Gesamtdarstellungen.20 Die Kontroverse um den Offenen Theismus kommt dadurch allerdings mitnichten zur Ruhe. Sie schlägt in den folgenden Jahren umso höhere Wellen und erstreckt sich nicht allein auf den theologischen und philosophischen Diskurs, sondern nimmt bald auch kirchenpolitische Dimensionen an. Einer der ersten davon Betroffenen ist allerdings kein Autor von The Openness of God, sondern der baptistische Pastor und Professor für Systematische Theologie Gregory Boyd: Boyd gewinnt auf eigenem Wege eine mit dem Offenen Theismus übereinstimmende Perspektive auf das Gott-Welt-Verhältnis und tritt damit an die Öffentlichkeit, noch bevor er mit den anderen Vertretern dieser Sicht in persönlichen Kontakt kommt.21 Er provoziert damit die Gegnerschaft von John Piper, einem Professor an derselben denominationellen Universität, welcher Boyds theologische Ansichten als Gefährdung des rechten Glaubens versteht und ein ausgesprochen öffentlichkeitswirksames Dienstenthebungsverfahren gegen Boyd anstrengt.22 Die sich über Jahre hinziehende zermürbende Auseinandersetzung wird von Boyd 2002 schließlich durch die Kündigung seines Lehrauftrages eigeninitiativ beendet.23 Ähnliche Erfahrungen müssen auch John Sanders und Clark Pinnock als Mitglieder der Evangelical Theological Society (ETS) machen, der größten Vereinigung evangelikaler Theologen und Religionsphilosophen in den USA:24 Um die Jahrtausendwende gipfeln die Vorwürfe gegen die beiden Offenen Theisten in einem regelrechten Häresieprozess, und zumindest Sanders entkommt dem 20 Vgl. v. a. die Hauptwerke der jeweiligen Autoren: Sanders, The God Who Risks; Boyd, God of the Possible; Pinnock, Most Moved Mover; etwas später dann auch Hasker, Providence, Evil and the Openness of God. 21 Vgl. hierzu besonders Boyds Dissertation: Boyd, Trinity and Process; später auch ders., Satan and the Problem of Evil; sowie ders., God of the Possible. 22 Es handelt sich um die Bethel University in St. Paul, Minnesota, welche der evangelikalen Denomination der Baptist General Conference (BGC) angeschlossen ist. Zahlreiche Stellungnahmen und Essays auf John Pipers Website zeugen bis heute von der erbitterten Debatte um Boyds „Offene Sicht Gottes“ (vgl. http://www.desiringgod.org). 23 Vgl. Carlson, Greg Boyd Resigns from Bethel College, 4. Boyd bleibt allerdings Pastor der baptistischen Woodland Hills Church in St. Paul, Minnesota. 24 Vgl. zur Geschichte und zum Selbstverständnis der ETS die Angaben auf ihrer Website: http:// www.etsjets.org/about; sowie die Charakterisierung bei: Murphy, Consuming Glory, 1: „[T]he Evangelical Theological Society is considered by most North american evangelicals to be the primary forum in which they ‚foster conservative biblical scholarship by providing a medium for the oral exchange and written expression of thought and research in the general field of the theological disciplines as centered in the Scriptures“ (Murphy zitiert aus dem „Purpose Statement“ der ETS).

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Ausschluss aus der ETS in der finalen Mitgliederabstimmung 2003 nur knapp.25 Existenzieller trifft ihn 2005 die Kündigung seiner Anstellung als Professor an der evangelikalen Huntington University aufgrund der „Unhaltbarkeit“ seiner Ansichten – ein Schicksal, das dem an derselben Einrichtung lehrenden Offenen Theisten William Hasker bemerkenswerterweise erspart bleibt.26 Sanders’ Schicksal an der Huntington University darf aber gewissermaßen als verspätete Konsequenz aus den hitzigen Debatten der Vorjahre gelten, häufen sich doch zu dieser Zeit schon viele Anzeichen auf eine Beruhigung der kirchenpolitischen Konflikte sowie auf eine Konzentration auf die theologischen und philosophischen Sachfragen, welche durch den Offenen Theismus aufgeworfen werden. Verschiedene Veröffentlichungen gegen Mitte der 2000er Jahre beweisen eine neue Bereitschaft vieler Kritiker des Offenen Theismus, auf unnötige Polemik zu verzichten und sich stattdessen ernsthaft und differenziert mit diesem Entwurf auseinanderzusetzen.27 In dieser konsolidierenden Phase des Offenen Theismus finden auch dessen Vertreter vermehrt den Freiraum, Aspekte ihres Entwurfs zu vertiefen und im kritischen Diskurs zu schärfen. Das gilt besonders hinsichtlich analytisch-philosophischer Problemfelder – näherhin etwa für die Frage nach dem ontologischen und epistemologischen Status der Zukunft oder nach der Kompatibilität von Freiheit und Vorauswissen – welche im ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums vornehmlich von Hasker und Basinger, aber auch von Boyd und Sanders bearbeitet werden.28 Es ist dieser jüngste Abschnitt in der Geschichte des Offenen Theismus, in welchem Thomas Oord (geb. 1965) als Offener Theist zweiter Generation in Erscheinung tritt. In seiner 2001 veröffentlichten Dissertation setzt sich Oord zentral mit Clark Pinnocks Denk25 Vgl. hierzu v. a. den ausführlichen Bericht von Neff: Dispatch from Atlanta; ferner Witham, The God Biographers, 180f; Jowers, Open Theism, 7; Sanders, An Overview of the Debate on Open Theism, 2; sowie Enxing, Gott im Werden, 245f (Enxing verwechselt allerdings die Proportionen in der Abstimmung gegen Sanders, wenn sie von einer deutlichen Mehrheit der Stimmen zugunsten von Sanders spricht: Tatsächlich haben sich 62,7 % der Mitglieder für den Ausschluss von Sanders ausgesprochen, womit die erforderliche Zweidrittelmehrheit aber immer noch knapp verfehlt wurde). 26 Hasker selbst erklärt sich diesen Umstand damit, dass Theologen an evangelikalen Einrichtungen unter genauerer Beobachtung stehen würden als Philosophen – vgl. Witham, The God Biographers, 182f. Zur Auseinandersetzung um Sanders an der Huntington University vgl. v. a.: Guthrie, Open or Closed Case?; Sanders, An Introduction to Open Theism, 45f; Enxing, Gott im Werden, 247f. 27 Exemplarisch seien genannt: Erickson, What Does God Know and When Does He Know It?; Robinson, The Storms of Providence; Murphy, Consuming Glory (eine bemerkenswert ausgewogene Kritik des Offenen Theismus mit einem Vorwort von Clark Pinnock); vgl. auch den von Bruce Ware herausgegebenen Aufsatzband, in welchem erstaunlicherweise eine Darstellung des Offenen Theismus aus der Feder von John Sanders Platz findet: Ware (Hg.), Perspectives on the Doctrine of God. 28 Die Auseinandersetzungen werden v. a. in religionsphilosophischen Fachzeitschriften geführt – insbesondere in den Publikationsorganen Religious Studies und Faith and Philosophy.

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weg auseinander und erweist sich selbst als Vertreter einer „Theologie der Liebe Gottes“ nach offen-theistischem Zuschnitt.29 Oord macht sich in den folgenden Jahren besonders als Organisator verschiedener theologischer, philosophischer und interdisziplinärer Konferenzen zum Offenen Theismus und als Herausgeber zahlreicher Aufsatzbände verdient, welche die Anliegen des Offenen Theismus in der nordamerikanischen kirchlichen und akademischen Öffentlichkeit präsent halten.30

1.1.3 Die Wurzeln des Offenen Theismus Schon der kurze Blick auf die Geschichte des Offenen Theismus offenbart diesen als ein evangelikales Phänomen – genauer noch als Teil der jüngsten Geschichte des US-amerikanischen Evangelikalismus. Wenngleich der Entwurf einer ‚offenen Sicht Gottes‘ im Verlauf seiner Profilierung eine ganze Reihe von Vertretern und Kritikern außerhalb der evangelikalen Kreise findet und zunehmend auch über die kontinentalen Grenzen hinaus Interesse hervorruft, so bleiben der kreative Mittelpunkt des Offenen Theismus sowie die dadurch angestoßene Debatte doch fest im Evangelikalismus der Vereinigten Staaten verwurzelt. Alle fünf Autoren des bahnbrechenden Buches The Openness of God (1994) wie auch der etwas später hinzutretende Thomas Oord wachsen im evangelikalen Milieu auf und bleiben ihm trotz zahlreicher Spannungen und Auseinandersetzungen verpflichtet; Gregory Boyd schließt sich als Kind katholischer Eltern in seinen Jugendjahren der Pfingstbewegung an und findet später (wie die meisten Hauptvertreter des Offenen Theismus) im ‚linken‘ Flügel des Evangelikalismus seine theologische und geistliche Heimat.31Zum Verständnis der ‚offenen Sicht Gottes‘ als einer eigenständigen theologischen Bewegung ist darum die Kenntnis dieses kirchlich-soziologischen Kontextes unabdingbar – nur dann werden die spezifischen inhaltlichen Anliegen ihrer Vertreter, deren Argumentationsweise

29 Thomas Oords Dissertation trug ursprünglich den Titel Matching Theology with Piety. A Relational Theology of Love und wurde 1999 fertiggestellt. Die Studie wurde überarbeitet und liegt dem Verfasser dieser Arbeit unter dem Titel An Essentially Loving God. An Open and Relational Theology of Love vor. Das deutlich später erscheinende Buch The Nature of Love (Oord, The Nature of Love) ist eine verdichtete Version seiner Dissertation. 30 Vgl. hierzu etwa Witham, The God Biographers, 183f. Zu den wichtigsten Herausgeberschaften Oords gehören Oord (Hg.), Creation Made Free; Oord/Hasker/Zimmerman (Hg.), God in an Open Universe; Oord/Montgomery/Winslow (Hg.), Relational Theology. 31 Vgl. zum konfessionellen und familiären Hintergrund der Hauptvertreter des Offenen Theismus v. a. Witham, The God Biographers, 133–155; zu Gregory Boyd außerdem die autobiographische Skizze Boyd, Spiritual Journey; sowie die zahlreichen biographischen Einschübe in Boyd, Benefit of the Doubt.

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und hermeneutische Voraussetzungen wie auch die Vehemenz ihrer Kritiker transparent. Der Evangelikalismus ist zunächst eine fast unüberschaubare Größe. Die World Christian Database zählt für das Jahr 2015 knapp 1 Milliarde evangelikale Christen weltweit (Pfingstkirchen und charismatische Gemeinschaften eingerechnet), und allein in den USA wird – je nach Reichweite des zugrunde gelegten Evangelikalismusbegriffs – mit 80 bis 120 Mio. evangelikalen Christen (das entspricht ca. 25 bis 40 % der Bevölkerung) gerechnet.32 Im Unterschied etwa zur katholischen Kirche ist der Evangelikalismus keine identifizierbare Konfession oder Körperschaft, sondern vielmehr eine äußerst diverse und diffuse Erscheinung, welche als vielschichtiges und bruchstellenreiches Netzwerk aus Tausenden von Denominationen, unabhängigen Gemeinschaften, übergemeindlichen Werken, Missionsgesellschaften, Dachorganisationen, Zeitschriften, Verlagen, Medienunternehmen, Konferenzen und Ausbildungsstätten beschrieben werden kann.33 Gemeinsam sind ihnen bestimmte Frömmigkeitsformen und Grundüberzeugungen, unter welchen die Hochachtung der Bibel als verbindliches und zuverlässiges Wort Gottes sowie die missionarische Selbstverpflichtung zur Erreichung der Welt mit dem Evangelium von Jesus Christus prominent zu nennen sind.34 Da es sich dabei aber keineswegs um Alleinstellungsmerkmale handelt, führt erst eine historische Verankerung zu einem einigermaßen konturierten Begriff dieser Bewegung: Die zahllosen Ausdrucksformen des gegenwärtigen Evangelikalismus gehen (unmittelbar oder mittelbar) zurück auf die unter dem Stichwort The Great Awakening gefassten protestantischen Erweckungen des 18. und 19. Jahrhunderts in England und Nordamerika.35 32 Vgl. Johnson/Zurlo/Hickman et al., Status of Global Christianity, 28–29. Selbst bei einer weniger großzügigen Auslegung des Evangelikalismus-Begriffs wird man dem Kirchenhistoriker Douglas A. Sweeney noch Recht geben können, wenn er seine Studie zur Geschichte des evangelikalen Aufbruchs mit der Feststellung einleitet: „Roughly one out of every ten people in the world is an evangelical“: Sweeney, The American Evangelical Story, 9. Regelmäßige Quantifizierungen des US-amerikanischen Evangelikalismus nimmt etwa das PewResearch Center vor – vgl. PewResearch Center, America’s Changing Religious Landscape, Newsfeed auf PewForum.org (12. 05. 2015). 33 Vgl. etwa Tidball, Who are the Evangelicals?, 12; sowie Sweeney, The American Evangelical Story, 19f; und neuerdings die monumentale Studie von Fitzgerald, The Evangelicals. 34 Der 1989 vom britischen Historiker David W. Bebbington unterbreitete Vorschlag, die evangelikale Bewegung anhand der vier charakteristischen Merkmale Konversionismus (der Glaube, dass das Leben von Menschen sich verändern muss), Aktivismus (der tatkräftige Einsatz als Ausdruck des Evangeliums), Biblizismus (eine besondere Hochachtung der Bibel) und Kruzizentrismus (die Betonung des Opfertodes Jesu Christi am Kreuz) zu begreifen, hat sich als Definitionsstandard fast unangefochten durchgesetzt und wird auch von den wohl renommiertesten Historikern des Evangelikalismus, George M. Marsden und Mark A. Noll, bekräftigt. 35 Vgl. etwa die entsprechenden Näherbestimmungen des Evangelikalismus bei Larsen, Defining and Locating Evangelicalism, 1–3; Sweeney, The American Evangelical Story, 23f;

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Diese Aufbruchbewegungen entfalten nachhaltige Wirkung gerade auf die religiöse und gesellschaftliche Entwicklung der Vereinigten Staaten – und sie integrieren selbst wiederum Impulse aus (mindestens) zwei historischen Strömungen auf bleibend spannungsvolle Weise: Einerseits speist sich The Great Awakening aus pietistisch-arminianischen Einflüssen, mit Wurzeln im deutschen und niederländischen Protestantismus, andererseits zehren viele Protagonisten und Anhänger dieser Erweckungen vom puritanisch-calvinistischen Erbe, das auf die schweizerische Reformation und den Anglikanismus zurückgeht.36 Die dem Pietismus wie dem Puritanismus gemeinsame Bibel- und Bekehrungsfrömmigkeit erleichtert die Amalgamierung dieser Hintergründe im Zuge der besagten geistlichen Aufbrüche, sie kann aber über die theologischen Differenzen ebenso wenig hinwegtäuschen wie über die unterschiedliche Gewichtung von spiritueller Erfahrung und orthodoxer Lehre.37 So sind große Teile v. a. des konservativen, dogmatisch konstituierten Evangelikalismus bis heute im Geiste des calvinistischen Puritanismus geprägt, welcher, prominent vermittelt vom Erweckungsprediger Jonathan Edwards und George Whitefield, die Souveränität Gottes und die völlige Verdorbenheit des Menschen ins Zentrum des Glaubensverständnisses stellt – während viele eher pragmatisch-erfahrungsorientierte (etwa pfingstlich-charismatische) Zweige des Evangelikalismus dem vom methodistischen Gründervater John Wesley vermittelten Denken des niederländischen Reformtheologen Jacobus Arminius nahestehen, welcher der calvinistischen Lehre abschwor, um der unbedingten Liebe Gottes wie auch der Freiheit des Menschen neues Gewicht zu geben. Roger Olson bezeichnet den Evangelikalismus vor diesem Hintergrund als „instabile Verbindung zweier inkompatibler Traditionen“, und er führt die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts häufenden Kontroversen, Grabenkämpfe und Verwerfungen innerhalb des Evangelikalismus auf jene nach wie vor unversöhnten Parteilinien zurück.38

sowie ausführlich die beiden Bände aus der Reihe A History of Evangelicalism: Noll, The Rise of Evangelicalism, und Wolffe, The Expansion of Evangelicalism; schließlich Fitzgerald, The Evangelicals, 13–48. 36 Vgl. neben den historischen Forschungen von Noll und Wolffe (Anm. 35 – Noll versteht den hochkirchlichen Anglikanismus als dritten für den Evangelikalismus konstitutiven historischen Hintergrund) besonders die scharfsinnige Analyse von Dayton, The Search for the Historical Evangelicalism, 12–33. 37 Vgl. hierzu zahlreiche Beiträge von Roger Olson – etwa Olson, Reformed and Always Reforming; ders., Postconservative Evangelicalism, 161–187; sowie McDermott, The Emerging Divide in Evangelical Theology, 355–377. 38 Vgl. Olson, Postconservative Evangelicalism, 166 und 187, wo Olson sogar die fortschreitende Aufspaltung des Evangelikalismus entlang dieser Parteilinien feststellt; vgl. ders., The Emerging Divide, 92–123; sowie ders., Why I Still Call Myself ‚Evangelical‘.

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Der Offene Theismus ist im Kontext der hier nur skizzierten spannungsreichen Geschichte und Gegenwart besonders des US-amerikanischen Evangelikalismus zu begreifen – und er darf nicht allein als wichtiges Fallbeispiel für die etwa seit den 70er Jahren noch zunehmende Polarisierung des Evangelikalismus gelten, sondern auch als wesentlicher Beschleuniger derselben: An der Kontroverse um den Offenen Theismus verhärten sich die alten Fronten zwischen dem „linken“, pietistisch-arminianisch orientierten und dem „rechten“, puritanischcalvinistisch geprägten Flügel des Evangelikalismus in einem bisher unerreichten Maße.39 Grund dafür ist zunächst, dass der Offene Theismus als radikale Zuspitzung ebenjener Grundüberzeugungen arminianischer Theologie gelten darf, welche im konservativen Lager von jeher größten Widerspruch hervorrufen, namentlich die Vorrangstellung der Liebe unter den Attributen Gottes und die Ernstnahme menschlicher Freiheit. Gregory Boyd selbst kann die ‚offene Sicht Gottes‘ als Ergebnis eines „innerarminianischen“ Ringens um eine möglichst kohärente und darum glaubwürdige Vorstellung geschöpflicher Freiheit bezeichnen,40 und auch Clark Pinnock leitet seine Gesamtdarstellung des Offenen Theismus mit der Ankündigung ein, die durch den Arminianismus angestoßene Revision ‚klassischer‘ Theologie „einen Schritt weiter“ in Richtung größerer Schlüssigkeit treiben zu wollen.41 Kritiker des Offenen Theismus fühlen sich durch derartige 39 Vgl. v. a. Olson, The Emerging Divide, 107f. Olson beschreibt die Streitigkeiten um den Offenen Theismus hier als „case study in what ails evangelical theology in America“ (ebd., 107) und resümiert später: „Nothing demonstrated the divide among evangelical theologians as clearly as the open theism controversy“ (ebd., 109). Die Terminologie zur Bezeichnung der gegensätzlichen Traditionen innerhalb des Evangelikalismus ist in der einschlägigen Literatur jedoch nicht einheitlich. Tendenziell wird der pietistisch geprägte Evangelikalismus dem puritanischen gegenübergestellt (oder, bei Donald Dayton, der pfingstliche dem presbyterianischen Typus), wenn die historische Perspektive bestimmend ist, während in theologischer Hinsicht meist vom arminianischen im Gegenüber zum calvinistischen Erbe die Rede ist. Diese Begriffspaare bezeichnen ähnliche, wenn auch nicht unbedingt identische Phänomene oder Sachverhalte. Gerald McDermott fasst die innerevangelikale Dichotomie seinerseits unter den Begriffen Meliorismus und Traditionalismus – vgl. McDermott, The Emerging Divide, 355; sowie ebd., 363, wo McDermott festhält, dass der heutige Evangelikalismus hervorging „from a Puritan-Reformed tradition indebted to Calvin, and a Wesleyan/Pietist tradition reacting against Calvin and all his works“ und dass diese alte Frontstellung mit den gegenwärtigen Differenzen in Verbindung steht, „for most of the Meliorists are also Arminian, and most of the Traditionists are Reformed“. 40 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 87. 41 Pinnock, Most Moved Mover, 13 – vgl. ebd., 106. Ausdrücklich hält Pinnock hier fest, dass die „Offene Sicht Gottes“ aus dem „ideological, if not the ecclesiastical, soil of WesleyanArminianism“ hervorgegangen sei – und dass sie schlicht nach einer tiefergehenden Modifikation theologischer Tradition verlange, als sie der herkömmliche Arminianismus vorzunehmen bereit gewesen sei. Es gehe dem Offenen Theismus darum, das arminianische Modell „more coherent“ zu denken (ebd.). Vgl. Witham, The God Biographers, 177f (Witham zitiert aus einem Interview mit Pinnock, in welchem dieser den Offenen Theismus als

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Bemerkungen im Urteil bestätigt, dass sich schon der herkömmliche Arminianismus theologisch in fataler Schieflage befinde, womit der offen-theistische „Ultra-Armianismus“ nur offenlege, wohin die Verabsolutierung der Liebe Gottes und die Verherrlichung menschlicher Freiheit in letzter Konsequenz führe – nämlich zur Verleugnung der Heiligkeit, Souveränität und Geschichtsmächtigkeit Gottes.42 Auch wenn sie die ‚offene Sicht Gottes‘ (noch?) nicht teilten, so würden sich eigentlich doch sämtliche Arminianer „auf dem Weg dorthin“ befinden, zitiert Roger Olson zwei führende Figuren des konservativ-calvinistischen Evangelikalismus aus der Zeit der großen Kontroversen.43 Für viele Vertreter dieses evangelikalen Flügels fällt darum vom Offenen Theismus her auf den gesamten Arminianismus ein zweifelhaftes Licht – und auch wenn längst nicht alle arminianischen Theologen den Offenen Theismus als Spielart ihres eigenen Ansatzes anerkennen, fühlen sich zahlreiche konservativ-calvinistische Kritiker nicht nur zu polemischen Ausfällen gegen die Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘, sondern auch zu Generalangriffen auf den Arminianismus überhaupt berechtigt.44 Zugleich ist der Offene Theismus aber nicht nur als Opfer innerevangelikaler Vorurteile und Zwistigkeiten zu verstehen, sondern durchaus auch im Sinne eines bewussten Frontalangriffs auf das Gottes- und Weltverständnis seiner späteren Kritiker. Die mehrheitlich aus einem moderaten, arminianisch geprägten Kontext stammenden Vertreter des Offenen Theismus werden im Verlauf ihres Studiums mit einer die evangelikalen Bildungseinrichtungen dieser Zeit dominierenden konservativ-calvinistischen Theologie konfrontiert, deren glaubenspraktische Implikationen ihnen derart inakzeptabel erscheinen, dass sie kohärenteste und überzeugendste Version des Arminianismus bezeichnet). Eingehend reflektiert John Sanders das Verhältnis des Offenen Theismus zum Arminianismus in Sanders, Open Theism, 69–102. Sanders versucht nachzuweisen, dass der Offene Theismus als „member of the Arminian family“ anerkannt werden sollte (ebd., 99), insofern er nur versuche, „to follow out the logical implications of certain key doctrines of Arminianism“ (ebd., 99; sowie 79). Der Offene Theismus sei „a subset of Arminianism rather than a stand-alone theological model“, resümiert er, und er hält es für angemessen, der ,offenen Sicht Gottes‘ eine „leading role in the Arminian resurgence in theology“ zuzugestehen (ebd., 101). Vgl. ferner Baker, Evangelism and the Openness of God, 73: Baker weist den Offenen Theismus hier als „radical arminianism“ aus. 42 Vgl. etwa schon die Rezension von Frederic Leahy (Leahy, The Openness of God). Leahy beschreibt den Offenen Theismus hier als „Arminianism taken to the nth degree“ und als „ultra-Arminianism grafted onto a Socinian root-stock and planted in the barren soil of human autonomy“ (17f). 43 Olson, Is Open Theism a Type of Arminianism. Eine hervorragende und gängige Missverständnisse aufklärende Darstellung arminianischer Theologie bietet ders., Arminian Theology; vgl. außerdem ders., Arminianism is God-Centered Theology. 44 Vgl. Olson, Reformed and Always Reforming, 209–234; ders., Is Open Theism a Type of Arminianism?; ders., A Test Case for Evangelicals; ders., Is There One Evangelicalism?; ders., Is the Problem Calvinism or Fundamentalism.

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sich zur Erarbeitung einer alternativen Sicht gedrängt fühlen.45 Exemplarisch beschreibt John Sanders das völlige Befremden, das ihn zu Beginn seines Universitätsstudiums angesichts der Vorstellung eines kontrollierenden, vorherbestimmenden, von menschlichen Initiativen unbeeindruckten Gottes beschlich und welches den Entschluss hervorbrachte, einem solchen theologischen Determinismus das Modell eines befreienden, menschennahen, abenteuerlichen Gottes entgegenzusetzen.46 Die Zuspitzungen theologisch-deterministischer Überzeugungen im aufstrebenden (Neo-)Calvinismus der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und das hegemoniale Gebaren seiner Vertreter in den akademischen Kreisen des Evangelikalismus bilden darum gewissermaßen den negativen Entdeckungszusammenhang für den Offenen Theismus. Sind das Ausmaß und der Ton der dann einsetzenden Kritik an der ‚offenen Sicht Gottes‘ auch ebenso unverhältnismäßig wie verstörend – der arminianische Theologe Roger Olson kann etwa zu Protokoll geben, die Kontroversen um den Offenen Theismus seien im biographischen Rückblick „das Bestürzendste und Desillusionierendste“ gewesen, was er „in über 50 Jahren evangelikaler Existenz erlebt“ habe –,47 so war doch der Offene Theismus selbst von Anfang an auf Konfrontation angelegt. Er erwächst den langanhaltenden Spannungen innerhalb des Evangelikalismus und trägt als radikal-arminianischer Gegenentwurf zum calvinistischen Determinismus zu deren Aktualisierung bei.48

45 Zur Dominanz eines „scholastischen Calvinismus“ in evangelikalen Bildungseinrichtungen vgl. etwa Pinnock, Most Moved Mover, 18; sowie ders., From Augustine to Arminius, 16f. 46 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 11f; vgl. dann v. a. Pinnock, Most Moved Mover, ixff; ders., From Augustine to Arminius, 15–30; sowie etwa Hasker, Providence, Evil and the Openness of God, 97f. 47 Olson, Postconservative Evangelicalism, 186; vgl. ders., A Test Case for Evangelicals: „As I look back on that decade long controversy now, my heart is heavy for evangelicalism. I was profoundly disillusioned by the dishonesty and lack of sincerity of many evangelical luminaries who I know read books by open theists and often talked with open theists about their views and nevertheless went public with blatant misrepresentations. I was also profoundly disillusioned by the heat of the controversy in which some evangelical scholars and leaders hurled accusations and charges against open theists that were completely out of proportion to the amount of time and effort they had spent in dialogue with their fellow evangelicals who either were open theists or sympathized with them.“ 48 Besonders augenscheinlich ist dieses Motiv in der Veröffentlichung von Clark Pinnocks The Grace of God and the Will of Man – vgl. die autobiographische Einleitung Pinnock, From Augustine to Arminius. Vgl. auch die zusammenfassende Einschätzung von Armin Kreiner in Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 338, Anm. 111: „Als Open View bezeichnet man die Position einer Gruppe von evangelikalen Theologen, die sich von der hauptsächlich calvinistisch geprägten Tradition distanzieren“ (Hervorhebung im Original).

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Hinführende Übersicht. Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung

1.1.4 Der Einfluss der Prozesstheologie Die konkrete Ausgestaltung der ‚offenen Sicht Gottes‘ verdankt sich nicht allein einer Zuspitzung zentraler Anliegen der arminianischen Theologie, sondern im Besonderen dem prägenden Einfluss des Prozessdenkens. Die meisten führenden Vertreter des Offenen Theismus kommen schon zu Beginn ihres theologischen Schaffens mit der Prozesstheologie und -philosophie in Berührung, und sie zeigen sich von vielen Grundanliegen dieser Denkrichtung ebenso angezogen, wie sie von der konservativ-evangelikalen Fassung reformierter Theologie abgestoßen wurden. Clark Pinnock und Gregory Boyd etwa beschäftigen sich intensiv mit dem Entwurf Charles Hartshornes, und zumal in ihren frühen Publikationen machen beide Offenen Theisten deutlich, dass sie von Hartshornes dynamischer, interaktiver Verhältnisbestimmung von Gott und Welt für ihr eigenes theologischen Denken profitieren wollen und gewissermaßen eine Mittelposition zwischen dem ‚klassischen‘ und dem ‚neoklassischen‘ (prozesstheologischen) Theismus einzunehmen gedenken.49 Auch John Sanders beweist großes Interesse am Werk Charles Hartshornes (sowie am Entwurf des ‚Bostoner Personalisten‘ Edgar Brightman),50 während Richard Rice durch sein Studium unter dem Chicagoer Prozesstheologen und Hartshorne-Schüler Schubert Ogden wichtige Impulse zur Ausbildung seines theologischen Ansatzes empfängt.51 Zahlreiche analytisch-philosophische Aufsätze William Haskers und David Basingers dokumentieren die intensive Auseinandersetzung auch dieser religionsphilosophischen Vertreter des Offenen Theismus mit der Prozessphilosophie.52 Thomas Oord schließlich absolviert bereits sein theologisches Studium am kalifornischen Center for Process Studies, dem unbestrittenen Mittelpunkt zeitgenössischen prozessphilosophischen Denkens, 49 Vgl. hierzu v. a. Pinnock, Need for a Neo-Classical Theism, 37–42; ders., Between Classical and Process Theism, 309–327; sowie Boyd, Trinity and Process; und ders., The Self-Sufficient Sociality of God, 73–94. Die Rede vom ‚neoklassischen‘ Theismus entnehmen Pinnock und Boyd der Prozessphilosophie – gerade Hartshorne hat seinen eigenen Entwurf als ‚neoklassische‘ Revision der christlichen Gotteslehre verstanden; vgl. Vine, Charles Hartshorne and the Existence of God, 27–43 (Kapitel „Neoclassical Theism“). 50 Vgl. Witham, The God Biographers, 147; zur persönlichen Korrespondenz und den theologischen Affinitäten zwischen Hartshorne und Brightman vgl. Enxing, Gott im Werden, 88–138. 51 Vgl. Rice, Process Theism and the Open View of God, 163–200; sowie Witham, The God Biographers, 144. Rice promoviert mit einer Arbeit über Hartshorne (Rice, Charles Hartshorne’s Concept of Natural Theology). 52 Vgl. bes. Basinger, Divine Power in Process Theism; ferner ders., Griffin and Pike on Divine Power, 347–352; sowie David Basinger/Randall Basinger, Divine Determinateness and the Free Will Defense, 531–534; sowie etwa Hasker, Providence and Evil. Three Theories, 91– 105; ders., The Problem of Evil in Process Theism, 194–208; ders., Bitten to Death by Ducks, 227–32; ders., In Response to David Ray Griffin, 39–52.

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und er promoviert unter Begleitung der namhaften Prozesstheologen David Ray Griffin, John B. Cobb und Majorie Hewitt Suchocki.53 Mit fortschreitendem Bekanntheitsgrad des Offenen Theismus und besonders im Verlauf der kontroversen Phase seiner Geschichte erweist sich das Verhältnis zum Prozessdenken allerdings als eigenartig ambivalent. Einerseits ist die Inspiration und Wegweisung, welche die Vertreter des Offenen Theismus durch die Beschäftigung mit Hartshorne, Ogden und anderen prozesstheologischen Protagonisten erhalten, mit Händen zu greifen. Auf der Suche nach einer theologischen Konzeption, welche den deterministischen Implikationen ‚klassischer‘ Entwürfe entgeht und sowohl dem Liebeswillen Gottes wie auch der Geschichtlichkeit und Freiheit der Schöpfung gerecht wird, stoßen die angehenden Offenen Theisten unter den Prozesstheologen auf Vordenker und Gesinnungsverwandte – wie überhaupt der arminianische Flügel des Evangelikalismus, welchem die Vertreter des Offenen Theismus angehören, eine auffallende Affinität für das Prozessdenken aufweist.54 Wenn die Offenen Theisten mit der Verwendung typischer prozesstheologischer Terminologie auch ausgesprochen sparsam sind – abgesehen von Boyds Dissertation finden sich in ihren Werken kaum Referenzen auf prozesstheologische Schlüsselbegriffe wie initial aim, aesthetic satisfaction, creative synthesis, premordial and consequent nature of God usw. – so lassen sich viele damit verbundenen Vorstellungen durchaus auch in ihren Darlegungen der ,offenen Sicht Gottes‘ identifizieren. Besonders einflussreich wirken sich im Offenen Theismus der Gedanke des interaktiven Zusammenspiels von Gott und Welt sowie die Qualifikation dieser Dynamik als Verwirklichung kontrollfreier Liebe aus. Die damit einhergehende Modifikation der Allmacht, Allwissenheit und Unveränderlichkeit Gottes in der Prozesstheologie wird von den Offenen Theisten weitgehend nachvollzogen, wenn sie auch (im Unterschied zur Prozesstheologie) an der creatio ex nihilo und entsprechend an der Möglichkeit Gottes festhalten, wenigstens vereinzelt unilateral einzugreifen.55 Trotzdem ist unter den Offenen Theisten das zunehmende Bedürfnis festzustellen, sich dem Prozessdenken gegenüber mit einer Vehemenz abzugrenzen, welche im Blick auf die augenscheinliche Ähnlichkeit der beiden Entwürfe kaum gerechtfertigt ist. Konnte Gregory Boyd im Vorwort seiner Dissertation 53 Vgl. Oord, An Essentially Loving God. 54 Gewiss nicht zufällig entstammen viele führende Vertreter der Prozesstheologie einem methodistischen Hintergrund, darunter auch Schubert Odgen, John B. Cobb und Majorie Hewitt Suchocki. Vgl. zur Anschlussfähigkeit der Prozesstheologie an eine methodistisch geprägte Theologie etwa Maddox, The Wesleyan Tradition and Process Theology, 111; ferner Vickers, Christology, 565: „Process theology has flourished to an unusual degree within Methodism.“ 55 Vgl. etwa Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 160–164 (sowie ebd., 198; 246); Pinnock, Most Moved Mover, 52 (sowie ebd., 140–150); Basinger, Practical Implications, 156.

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Charles Hartshorne noch für dessen entscheidenden Einfluss auf sein eigenes Gottesverständnis danken und die prozesstheologische Sicht als „im Grunde korrekt“ anerkennen,56 wehrt er sich in God of the Possible (2000) gegen alle Versuche, den Offenen Theismus in die Nähe der Prozesstheologie zu rücken, da die beiden Modelle in Wirklichkeit „kaum etwas gemeinsam“ hätten.57 Clark Pinnock seinerseits ist in The Most Moved Mover (2001) bemüht zu zeigen, dass die ‚offene Sicht Gottes‘ auf dem „wesleyanisch-arminianischen Denken“ und nicht auf der viel jüngeren und zweifellos heterodoxen Prozesstheologie beruhe,58 während John Sanders betont, die Grundzüge seiner Sicht bereits entwickelt zu haben, bevor er mit der Prozesstheologie überhaupt in Berührung gekommen sei.59 Selbst Roger Olson lässt sich zur Behauptung hinreißen, die Parallelen zwischen dem Offenen Theismus und der Prozesstheologie seien mehrheitlich „zufälliger Art“.60 Solcherlei Distanzierungen erklären sich nur auf dem Hintergrund der massiven Anschuldigungen und institutionellen oder denominationellen Ausschlussverfahren, denen die Hauptvertreter des Offenen Theismus in der kontroversen Phase ihrer Bewegung ausgesetzt sind. Die Assoziation mit der im Evangelikalismus weithin als ‚unbiblisch‘ verurteilten Prozesstheologie hätte den ohnehin virulenten Häresievorwürfen nur Vorschub geleistet, weshalb die Offenen Theisten zumal in diesen Jahren die Differenzen ihres Ansatzes zu jener „anerkannten Irrlehre“ zu betonen versuchen.61 Thomas Oord, der erst nach Abklingen der Kontroversen mit seiner „relationalen und offenen Theologie“ an die Öffentlichkeit tritt, zeigt sich dann auffallend frei von solchen Vorsichten und bekundet nicht nur offen seine Sympathien für zentrale Einsichten seiner prozesstheologischen Lehrer, sondern kann auch die Erwartung äußern, dass sich die Grenzen zwischen prozesstheologischen und offentheistischen Modellen zunehmend verwischen werden.62 56 Boyd, Trinity and Process, Preface (Seiten unnummeriert). 57 Boyd, God of the Possible, 31. Noch apodiktischer antwortet Boyd in einem Interview des Vorjahres auf die Frage, in welchem Maß sich der Offene Theismus der Prozesstheologie verdanke: „None. Despite uninformed protests to the contrary, the two movements have next to nothing in common“ (Modern Reformation, Is God Dependent On Us?, 44–45). Ausführlicher und ausgewogener nimmt Boyd zur Prozesstheologie Stellung in Boyd, Satan and the Problem of Evil, 274–278. 58 Pinnock, Most Moved Mover, 12, Anm. 36; sowie ebd., 15. Eingehend setzt sich Pinnock mit dem Prozessdenken auseinander in ebd., 140–150; vgl. auch Pinnock/Brown, Theological Crossfire; sowie Callen, Journey Toward Renewal. 59 Sanders, On Heffalumps and Heresies, 5. 60 Olson, Reformed and Always Reforming, 216; vgl. ders., Process Theology. 61 Pinnock, Most Moved Mover, 15; vgl. ebd., 141: „If openness theology could be shown to be a version of process theology, guilt by association would be established, which would be very handy for the severest critics.“ Ferner Sanders, On Heffalumps and Heresies, 31f. 62 Vgl. Oord, Open and Process Theologies Blur?; in Reaktion darauf vgl. den Beitrag des Prozessphilosophen McDaniel, Let the Blurring Begin!. Es ist jedoch festzuhalten, dass sich

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Über den Einfluss der genannten Vertreter der Prozesstheologie hinaus profitieren vor allem William Hasker und David Basinger von namhaften Angehörigen der ‚Oxforder Schule der Zeitlichkeit Gottes‘ sowie von Vertretern der free will defence, welche zentrale Anliegen mit den prozesstheologischen Entwürfen teilen.63 Besonders die Ausführungen der britischen Logiker und Religionsphilosophen Arthur Prior, Peter Geach, John Lucas und Richard Swinburne zum ontologischen und epistemologischen Status zukünftiger Ereignisse haben Hasker und Basinger in ihrer Überzeugung gestärkt, dass das umfassende göttliche Vorauswissen nicht mit der Freiheit der Geschöpfe vereinbar ist und Gott deshalb besser als Teilhaber einer unvorhersehbaren Geschichte verstanden werden sollte.64Alvin Plantinga und wiederum Richard Swinburne haben außerdem als Vordenker einer „Theodizee der Willensfreiheit“ die Auseinandersetzung der Offenen Theisten mit dem Problem des Bösen befeuert und die Lösungsrichtung vorgegeben, welche auch die ‚offene Sicht Gottes‘ beschreitet.65 Zumindest in philosophisch-theologischer Hinsicht erschöpfen sich damit aber die Linien der direkten Beeinflussung. Andere zuweilen als Vorgänger und Wegbereiter des Offenen Theismus genannte Gelehrte oder Strömungen – etwa antike und zeitgenössische Kritiker der Allwissenheit und Unveränderlichkeit Gottes wie Calcidius, Jules Lequer und Lorenzo McCabe oder Bewegungen wie der Sozinianismus und der Unitarismus – lassen sich nicht als eigentliche Inspirationsquellen für den Offenen Theismus verifizieren. Es handelt sich hier offensichtlich um von Vertretern oder Gegnern des Offenen Theismus nachträglich hergestellte Verbindungslinien, die entweder zur Diskreditierung (etwa im Falle des Sozinianismus) oder zur Bestärkung der ‚offenen Sicht Gottes‘ beitragen sollen.66

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Thomas Oord an entscheidenden Stellen – etwa in der Frage der creatio ex nihilo oder der Fähigkeit Gottes zur einseitigen Intervention – von seinen offen-theistischen Vorläufern entfernt und auf prozesstheologische Positionen festlegt. Zur ‚Oxforder Schule der Zeitlichkeit Gottes‘ vgl. Mullins, Doing Hard Time, v. a. 165f. Vgl. v. a. Prior, Time and Modality; ders., Past, Present and Future; ders., Papers on Time and Tense; Geach, The Future; ders., Providence and Evil; Lucas, The Freedom of the Will; ders., An Essay on God, Temporality, and Truth; Swinburne, The Coherence of Theism. Zum Einfluss dieser Denker auf den Offenen Theismus vgl. auch Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes, 40–42. Für eine frühe Auseinandersetzung mit Plantinga vgl. etwa David Basinger/Randall Basinger, Divine Omnipotence, 11–24. Vgl. die zahlreichen Referenzen auf frühere Vertreter einer ‚offenen‘ Zukunft bei Boyd, Satan and the Problem of Evil, 91, Anm. 11; zur Kritik am Offenen Theismus unter Verweis auf die „sozinianische Häresie“ vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 107. In der fehlenden Unterscheidung zwischen gestaltenden Einflüssen auf den Offenen Theismus und nachträglich festgestellten Übereinstimmungen liegt eine Schwachstelle des Kapitels „Ursprünge des Offenen Theismus“ bei Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes, 33–46.

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Unter Absehung von angstmotivierten Abgrenzungen und Unabhängigkeitsbekundungen gegenüber dem Prozessdenken wird man also zumal im Blick auf das philosophische Profil der ‚offenen Sicht Gottes‘ die ursprünglichen Absichten Pinnocks und Boyds erfüllt sehen, mit ihrem Entwurf eine Alternative zum ‚klassischen‘ und ‚neoklassischen‘ Theismus vorzulegen oder eine Kompromissposition zwischen diesen beiden Polen zu formulieren.67 Die Tatsache, dass der Offene Theismus von klassischen Theisten als schlecht getarnte Variante der Prozesstheologie,68 von Prozesstheologen wiederum als bloße Modifikation des klassischen Theismus kritisiert wurde,69 könnte dafür sprechen, dass die Offenen Theisten diese Mittelposition tatsächlich getroffen haben.70 Der Offene Theismus kann in diesem Sinne als Versuch beschrieben werden, die evangelikalarminianische Vorstellung Gottes und seiner Beziehung zur Schöpfung mithilfe prozessphilosophischer Einsichten schärfer zu zeichnen und weiter zu plausibilisieren – oder aber als das Bestreben, die prozessphilosophische Einsicht in die Dynamik und Relationalität der göttlichen und geschöpflichen Wirklichkeit im Rahmen einer evangelikalen Theologie arminianischer Prägung zu denken. Die Kernanliegen des Offenen Theismus sind damit allerdings – wie sich zeigen wird – erst ungenügend zur Geltung gebracht.

67 Vgl. Anm. 49; dann auch Sanders, Preface, in Pinnock et al., The Openness of God, 9 (das Vorwort ist anonym verfasst, stammt aber nach persönlicher Auskunft von John Sanders aus seiner Feder); sowie programmatisch Boyd, Trinity and Process, 219: „I am not convinced […] that the classical and neo-classical conceptions of God exhaust the viable alternatives […]. Indeed, do not the severe difficulties which, we have seen, are involved in both positions suggest that neither of them is entirely correct, and thus that the truth must lie somewhere between these two extremes? We do well, then, to at least investigate the possibility of a mediating position.“ Auch Armin Kreiner stellt den Offenen Theismus als „Kompromissposition“ zwischen klassischem und prozessphilosophischem Theismus vor – vgl. Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 337f. 68 Pointiert und polemisch wird diese Kritik vorgebracht in Merkle, Liberals in Drag, 67–81; vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 15f. 69 Vgl. die gegen den Free-Will-Theism überhaupt gerichtete Kritik von Griffin, Evil Revisited, 14–22; dann die Beiträge führender Prozesstheologen im Gespräch mit den Offenen Theisten in Cobb/Pinnock (Hg.), Searching for an Adequate God; ferner schon die kritische Rezension der Dissertation Boyds in Ford, Trinity and Process, 322–325. 70 Vgl. das etwas pathetische Resümee in Sanders, On Heffalumps and Heresies, 32f: „Open theism is a hot potato being tossed back and forth between classical and process theists. Nobody wants us. The sons of openness have nowhere to lay our heads.“ Ferner Baker, Evangelism and the Openness of God, 233f.

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1.2.1 Die praktischen Kernanliegen des Offenen Theismus Es hat gewiss mit seiner Verwurzelung im nordamerikanischen Evangelikalismus zu tun, dass viele tragende Motive des Offenen Theismus dem Gemeindeleben und der Spiritualität erwachsen und darauf zurückzielen. Auch wenn sich in der evangelikalen Bewegung der vergangenen zwei Jahrzehnte eine beachtliche Steigerung des theologischen und philosophischen Reflexionsniveaus verzeichnen lässt und einige ihrer Gelehrten zu internationalem Renommee gelangt sind, so ist sie doch letztlich keine Schulrichtung oder Denktradition, sondern vorrangig eine Kirchen- und Frömmigkeitsbewegung.71 Sie reicht wie gezeigt zurück auf die großen Erweckungen des 18. und 19. Jahrhunderts und ist bis heute eine zutiefst praxisbezogene und alltagsnahe Erscheinung mit vitalem Interesse an Fragen christlicher Lebensführung, missionarischer Kirchenentwicklung und persönlicher Spiritualität. Dies spiegelt sich auch im Offenen Theismus wider – nicht nur in der Tatsache, dass die offen-theistischen Publikationen mit wenigen Ausnahmen in allgemeinverständlicher Sprache gehalten sind, um über die akademischen Kreise hinaus in den christlichen Gemeinden Verbreitung zu finden, sondern auch in der ausdrücklich geäußerten Erwartung, mit der ‚offenen Sicht Gottes‘ einen Beitrag zur Lösung zahlreicher praktischer Probleme zu leisten. Schon im Vorwort zum Gemeinschaftswerk The Openness of God (1994) stellt Sanders die Implikationen der ‚offenen Sicht Gottes‘ für das alltägliche christliche und kirchliche Leben als ausschlaggebenden Grund für die Veröffentlichung klar,72 und wie überhaupt die meisten Beiträge der Offenen Theisten gipfelt auch dieses Buch in einer ausführlichen Reflexion auf die praktischen Konsequenzen dieses Modells.73 Für John Sanders scheinen dabei vor allem die Probleme des traditionellen Bittgebetsverständnisses entscheidend gewesen zu sein, sich einer alternativen, ‚offenen‘ Sicht Gottes anzunähern.74 Seine eigene Gesamtdarstellung des Offenen 71 Das Diktum des Evangelikalismus-Kenners Mark Noll in seinem vielbeachteten Buch The Scandal of the Evangelikal Mind (1994), nach dem der Skandal des evangelikalen Denkens vor allem darin bestehe, dass es nicht stattfinde, hat über 20 Jahre nach seiner Veröffentlichung höchstens noch für gewisse antiintellektuelle Teilsegmente des Evangelikalismus Berechtigung (vgl. Noll, The Scandal of the Evangelikal Mind). 72 Sanders, Preface, 8. 73 Basinger, Practical Implications; vgl. die Ausführungen zu den praktischen Implikationen des Offenen Theismus etwa in Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 249–288; ders., Divine Providence and the Openness of God, 202–214; Boyd, God of the Possible, 89–112; Pinnock, Most Moved Mover, 153–178. 74 Vgl. die biographischen Anmerkungen bei Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 13; vgl. ders., An Introduction to Open Theism, 34.

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Theismus präsentiert er entsprechend in der Hoffnung, die Sinnhaftigkeit des Bittgebets neu einsichtig zu machen und dadurch die Praxis individueller und gemeinschaftlicher Fürbitte anzuregen.75 Ganz ähnlich äußern sich weitere Vertreter des Offenen Theismus, und ebendiese gebetstheologische Fluchtlinie ihres Entwurfs spielt dann auch in dessen deutschsprachiger Rezeption eine zentrale Rolle.76 Es gehört zu den fundamentalen Überzeugungen der Offenen Theisten, dass sich unter ‚klassisch‘ -theologischen Voraussetzungen gerade die Erwartung von Gebetserhörungen letztlich nicht begründen lässt: An einem von Gott bereits vorherbestimmten und vorausgewussten Verlauf der Geschichte gibt es auch durch das ernsthafteste Gebet nichts mehr zu rütteln, weshalb die Praxis der Fürbitte auch Gott selbst nicht zu bewegen vermag, sondern lediglich zur Selbstreflexion und Transformation des Beters dient, wie die Vertreter eines ‚klassischen‘ Ansatzes meist freimütig zugestehen.77 Wenn dagegen die grundsätzliche Offenheit der Zukunft anerkannt und Gott als Teilhaber einer dynamischen Geschichte verstanden wird, dann lässt sich das Gebet als wirkliches Beziehungsgeschehen denken, im Zuge dessen der Schöpfer auf die Bitten seiner Geschöpfe antwortet und ins Geschehen eingreift.78 Zwar kann Gott die tatsächliche Erhörung von Gebeten nicht in jedem Fall sicherstellen, da seinem innerweltlichen Handeln durch die Freiheit und Eigenmächtigkeit anderer Geschöpfe Grenzen gesetzt sind79 – aber die Fürbitte seiner Getreuen eröffnet nach Ansicht der Offenen Theisten neue Handlungsspielräume für Gott: Das Gebet erweitere Gottes heilsame Präsenz in der Welt, gibt etwa Pinnock zu verstehen,80 75 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 13f und 277–283. 76 Vgl. den Abschnitt 1.3.1 zur Forschungsgeschichte in dieser Arbeit sowie zur Gebetstheologie des Offenen Theismus Basinger, Practical Implications, 156–162; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 277–283; ders., Divine Providence and the Openness of God, 203–205; Boyd, God of the Possible, 95–98; ders., Is God to Blame?, 125–151; ders., Satan and the Problem of Evil, 209–241; Pinnock, Most Moved Mover, 171–175; dann auch die spezifischen Untersuchungen Ellis, Answering God; Belt, A Critical Evaluation; Collins, Prayer and Open Theism, 161–186; sowie die vergleichende Studie von Tiessen, Providence and Prayer, 2000. 77 Vgl. in Verteidigung eines ‚klassischen‘ Gebetsverständnisses etwa Ware, God’s Lesser Glory, 163–176; siehe auch Anm. 94 in dieser Arbeit. 78 Vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 172: „Why pray if nothing depends on our praying or not praying? But if God’s plans can change and the future be altered, prayers make good sense.“ 79 Boyd befasst sich besonders ausführlich mit der Realität gottwidriger Mächte und dem Missbrauch geschöpflicher Freiheit in Boyd, Satan and the Problem of Evil; sowie in ders., Is God to Blame? 80 Pinnock, Most Moved Mover, 173; vgl. Boyd, Is God to Blame?, 126: „Scripture encourages us to believe that prayer really changes what God does. Indeed, it sometimes changes what God can do in particular situations“ (Hervorhebungen im Original). An der Frage, wie diese Erweiterung der göttlichen Einflussmöglichkeiten durch das menschliche Gebet zu denken ist, lässt sich allerdings bereits in The Openness of God ein deutlicher Dissens feststellen, auf den David Basinger auch selbst aufmerksam macht – vgl. Basinger, Practical Implications, 160f.

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und er ist überzeugt, dass gerade im Blick auf das Gebet die Praktikabilität der ‚offenen Sicht Gottes‘ in besonderer Weise aufleuchtet.81 Eng verbunden mit der Problematik des Bittgebets ist die Theodizeefrage, und auch hier sehen die Vertreter des Offenen Theismus in ihrem Entwurf nicht nur ein großes theoretisches Problemlösungspotenzial, sondern v. a. eine schlagende pastoral-seelsorgerliche Stärke.82 Zumindest für Boyd, Sanders und Rice stellt die drängende Frage nach der Denkbarkeit eines liebenden Gottes im Angsicht von Leiderfahrungen zudem einen biografischen Entdeckungszusammenhang für die ‚offene Sicht Gottes‘ dar, erschließt sich ihnen die Unzulänglichkeit ‚klassischer‘ (sprich: theologisch-deterministischer) Erklärungsversuche für das Übel der Welt doch gerade auf dem Hintergrund persönlicher Schicksalsschläge.83 Die Antworten, welche die Offenen Theisten im Blick auf die Frage nach dem Leid finden, decken sich dann weitgehend mit der free will defence im Gefolge Richard Swinburnes und Alvin Plantingas, deren freiheitstheoretische Entwürfe dem Offenen Theismus philosophisch ohnehin an vielen Stellen nahestehen.84 Allerdings wird die geschöpfliche (libertarische) Freiheit in der ‚offenen Sicht Gottes‘ nicht als ein Gut an und für sich anerkannt, sondern lediglich als eine notwendige Voraussetzung zur Verwirklichung von Liebe: Gott gewährt dem Menschen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung und riskiert damit die Unberechenbarkeit des Geschichtsverlaufs, um ein authentisches Liebesgeschehen zwischen Schöpfer und Geschöpf zu ermöglichen.85 Außer Boyd, der mit 81 Pinnock, Most Moved Mover, 171. Die Vertreter des Offenen Theismus sind überdies bemüht zu zeigen, dass sich gerade an der gängigen christlichen Praxis der Fürbitte offen-theistische Voraussetzungen ablesen lassen. Selbst entschiedene Gegner dieser Sicht würden nämlich gewöhnlich in einer Art und Weise beten, welche die Beeinflussbarkeit Gottes und die Offenheit der Zukunft präsupponiere – vgl. etwa Basinger, Practical Implications, 162: „[T]he open model of God is one of the few in which petitionary prayer is efficacious in the manner still presupposed by most Christians.“ 82 Zur Auseinandersetzung der Offenen Theisten mit der Theodizeefrage vgl. Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 47–52; Basinger, Practical Implications, 168–171; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 261–275; Pinnock, Most Moved Mover, 176f (u. ö.); Hasker, Providence, Evil and the Openness of God; Boyd, God of the Possible, 98– 106; ders., Is God to Blame?; und dann v. a. Boyds voluminöse Entfaltung einer „trinitarian warfare theodicy“: ders., Satan and the Problem of Evil. 83 Vgl. den zu einem apologetischen Buch verarbeiteten Briefwechsel Boyds mit seinem Vater, in welchem sein Ringen mit dem frühen Tod seiner Mutter zum Ausdruck kommt: Boyd/ Boyd, Letters from a Skeptic; dann auch den Hinweis auf den tragischen Unfalltod von John Sanders’ Bruder bei Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 12; sowie die biographischen Verweise in Rice, Process Theism and the Open View of God, 165. Rice beschreibt hier, wie ihn das Zerbrechen der Ehe seiner Eltern dazu gebracht hat, das ‚klassische‘ Vorsehungsverständnis zu hinterfragen und nach einem alternativen Modell zu suchen. 84 Vgl. den Verweis auf Swinburne im Abschnitt 1.1.4 in dieser Arbeit, sowie Swinburne, The Existence of God; ders., Providence and the Problem of Evil. 85 Vgl. etwa Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 236f: „God did not grant libertarian freedom for the sake of free will. Rather, God granted it as a necessary component to make

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einer elaborierten Theorie gottwidriger Mächte aufwartet, um auch das natürliche Übel als Missbrauch libertarischer Willensfreiheit auszuweisen, beschränken sich die Offenen Theisten aber darauf, die Möglichkeit des moralischen Übels zum notwendigen „metaphysischen Preis der Liebe“ zu erklären.86 In Anlehnung an prominente deutschsprachige Entwürfe können die Offenen Theisten dabei durchaus von der Selbstbeschränkung Gottes oder einer Zurücknahme der göttlichen Allmacht um der Beziehung zum Menschen willen sprechen – und anders als die Vertreter der Prozesstheologie halten sie an der Freiwilligkeit dieser göttlichen Selbstbeschränkung fest.87 Allen Offenen Theisten gemein ist die Überzeugung, mit der ‚offenen Sicht Gottes‘ einen äußerst theodizeesensiblen Entwurf vorgelegt zu haben, welcher den unbestrittenen Liebeswillen Gottes und seine unangefochtene Güte ins Zentrum stellt und darum gerade auch poimenisch und pastoralpsychologisch von großem Nutzen ist.88 Aber nicht nur im Blick auf die Leidfrage, sondern überhaupt hinsichtlich der Befindlichkeiten einer (post-)modernen Gesellschaft empfiehlt sich nach Überzeugung der Offenen Theisten ein theologischer Entwurf, welcher in relationalen Kategorien denkt und die Schöpfung als ein Projekt göttlicher Liebe zu denken wagt. So präsentiert etwa Clark Pinnock seine Gesamtdarstellung Most Moved Mover (2001) in der Hoffnung, zur öffentlichen Sprachfähigkeit der Theologie in der Gegenwart beizutragen.89 Er sieht eine starke Affinität der dynamischen, beziehungsorientierten Denkweise der biblischen Überlieferungen mit der aktuellen geistesgeschichtlichen Großwetterlage: Die überkommenen absoluten, statischen, substanzialistischen Vorstellungen verlieren seiner Beobachtung nach immer mehr an Plausibilität und weichen der Einsicht in die Verflochtenheit, Unberechenbarkeit und Veränderlichkeit der Realität – und er

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relations of love possible. Libertarian freedom is an instrumental good serving the intrinsic good of love.“ Siehe auch Anm. 102 in dieser Arbeit. Zur Rolle der libertarischen Freiheit als Ermöglichungsgrund authentischer Liebe im Offenen Theismus vgl. Williams, Love, Freedom, and Evil. Vgl. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 116: „If God’s aim for creation was love, the metaphysical price he had to pay was the risk of having some creatures choose the opposite of love.“ Vgl. hierzu die Abschnitte 4.1.4 und 4.3.4 in dieser Arbeit. Dass sich aus dieser Überzeugung neue Probleme für die Frage nach dem Leid ergeben, hat Thomas Oord wiederholt herausgestellt. Sein theodizeetheoretisches Modell unterscheidet sich von den anderen offentheistischen Entwürfen dann auch darin, dass er die Selbstbeschränkung Gottes (übereinstimmend mit der Prozesstheologie) für metaphysisch notwendig hält und entsprechend die Möglichkeit Gottes verneint, vereinzelt in den Weltverlauf einzugreifen – vgl. hierzu v. a. Oord, The Uncontrolling Love of God, 151–186. Vgl. die pastoral-seelsorgerliche Einleitung von Boyd, Is God to Blame?, 11–19. Die Rede von der Theodizeesensibilität hat Klaus von Stosch geprägt – vgl. von Stosch, Gott – Macht – Geschichte. Vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 116f.

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versteht diese Annäherung als Chance, die Relevanz und intellektuelle Überzeugungskraft der christlichen Gotteslehre wiederzugewinnen.90 Nicht allein im Namen biblisch-theologischer Integrität, sondern auch im Anliegen der Nachvollziehbarkeit des kirchlichen Zeugnisses in der aufgeklärten säkularen Öffentlichkeit ist nach Pinnocks Überzeugung eine offen-theistische Revision des konventionellen Gottesbegriffs ebenso fällig wie erfolgversprechend: „Wir erstreben einen apologetischen Durchbruch“, stellt er unumwunden klar.91 Dieses eigentlich gesellschaftlich-missionarische Anliegen kommt auch bei anderen Offenen Theisten deutlich zum Ausdruck und findet wohl in Gregory Boyd seinen frühesten und nachdrücklichsten Vertreter: Im Vorwort seiner Dissertation Trinity and Process (1992) äußert er seine Überzeugung, es sei nicht weniger als eine „kopernikanische Wende“ im Denken von Theologie und Kirche erforderlich, um mit den radikalen Veränderungen Schritt zu halten, in welchen die natur- und geisteswissenschaftliche Wahrnehmung der Wirklichkeit begriffen ist.92 Die „klassische aristotelische Weltsicht“, welche von der traditionellen Theologie internalisiert worden sei, werde bald zu einem bloßen Stück Geschichte werden, so dass „der schiere Sinngehalt der kirchlichen Glaubensbekenntnisse und die philosophische Integrität, mit der die Kirche ihren Glauben bezeugt“, an der Frage hänge, ob es ihr gelinge, sich auf eine zeitgemäße relationale und dynamische Sicht der Realität einzulassen.93 Sein in kritischer Auseinandersetzung mit der Prozesstheologie Charles Hartshornes gewonnener Entwurf nimmt darum die Form einer trinitarischen Theologie der Liebe Gottes an, welche bis heute als eingehendste analytisch-philosophische Verteidigung der ‚offenen Sicht Gottes‘ gelten darf. Weitere praktisch-theologische Vorzüge des Offenen Theismus identifizieren deren Vertreter in der Plausibilisierung und Motivation sozialen Engagements und evangelistischer Verkündigung – zur Begründung wird hier v. a. mit dem Verantwortungsbegriff operiert: Die ‚klassische‘ Sicht Gottes kann dem Urteil der Offenen Theisten nach nicht einsichtig machen, warum die (diakonische oder missionarische) Einflussnahme des Menschen wirklich einen Unterschied machen soll, wenn doch der Gang der Dinge qua Vorherbestimmung längst feststeht, während die ‚offene Sicht Gottes‘ dem Menschen zugesteht, als personales Gegenüber Gottes die Zukunft mitzugestalten und darum auch Mitverantwortung 90 Pinnock, Most Moved Mover, 150f. 91 Pinnock, Most Moved Mover, 114; vgl. auch schon ders., Systematic Theology, 107: „Modern thinking has more room for a God who is personal (even tripersonal) than it does for a God as absolute substance. We ought to be grateful for those features of modern culture which make it easier to recover the biblical witness.“ Vgl. ferner Baker, Evangelism and the Openness of God, 213–218. 92 Boyd, Trinity and Process, Preface (Seiten unnummeriert). 93 Boyd, Trinity and Process, Preface (Seiten unnummeriert).

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für das Schicksal der Menschheit zu tragen;94 die dargestellten Konsequenzen des Offenen Theismus für die Plausibilisierung des Bittgebets, die Erklärung der Leidfrage und die gegenwärtige Sprachfähigkeit der Theologie gehören aber zweifellos zu den primären kirchlich-pastoralen Anliegen, welche hinter der Entfaltung der ‚offenen Sicht Gottes‘ stehen.

1.2.2 Die thematische Mitte des Offenen Theismus Die thematische Mitte des Offenen Theismus erweist sich bereits an den bisherigen Ausführungen in der Wesensbestimmung Gottes als Liebe. Nach Richard Rice etwa beruht die ‚offene Sicht Gottes‘ auf der Grundüberzeugung, dass Liebe die fundamentale Qualität darstellt, die Gott zuzuschreiben ist.95 Das Bekenntnis „Gott ist Liebe“ umfasst seiner Überzeugung nach darum „alles, was es über Gott zu sagen gibt“.96 Übereinstimmend definiert Clark Pinnock die ‚offene Sicht Gottes‘ als ein „Modell der Liebe“,97 und auch Gregory Boyd will seinen theologischen Entwurf als „Betrachtung zum Wesen der Liebe“ verstanden wissen.98 Die Notwendigkeit für eine grundlegende Revision christlicher Gotteslehre sehen die Offenen Theisten in der Beobachtung begründet, dass die Liebe Gottes in den meisten Entwürfen zumal der westlichen Theologie augenscheinlich weder das primäre Anliegen noch das strukturgebende Prinzip gewesen sei.99 Dieser weitreichenden Vernachlässigung wollen sie mit ihrem eigenen Entwurf entgegentreten, welcher der göttliche Liebe wieder zugesteht, allen anderen

94 Vgl. etwa Basinger, Practical Implications, 171–175; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 249–261. Die Offenen Theisten gestehen freilich zu, dass Gott auch unter deterministischen Voraussetzungen z. B. die Gebete oder praktischen Hilfeleistungen des Menschen als (vorherbestimmtes) Mittel zur Erreichung von (vorherbestimmten) Zielen gebrauchen kann – sie legen aber Wert auf die Beobachtung, dass der Mensch in diesen Fällen nur instrumentalisiert wird, ohne wirklich aus freien Stücken und in eigener Verantwortung Einfluss auf die Dinge zu nehmen. 95 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 21; vgl. auch die Vorstellung des Offenen Theismus unter dem Titel „Love Makes the World Go Round“ in Rice, Suffering and the Search for Meaning, Downers Grove, IL, 2014, 91–104 – bes. 94: „For open theology, […] love is not just one among several divine qualities, it identifies the very nature of God.“ 96 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 21; vgl. ebd., 18f. 97 Pinnock, Most Moved Mover, 179; in früheren Publikationen präsentiert Pinnock seinen Ansatz sogar als creative love theism – eine Bezeichnung, welche sich gegenüber den Ausdrücken open theism oder open view of God nicht durchsetzen kann, aber erneut die Zentralität der Liebe für den Entwurf Pinnocks deutlich macht: vgl. Pinnock/Brow, Unbounded Love, 8 sowie 24f. 98 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 22; vgl. ebd., 16. 99 Vgl. etwa Oord, The Nature of Love: A Theology, 4.

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Lehrstücken ihr thematisches Zentrum zu geben.100 Die kritisch-konstruktive Aufgabe des Offenen Theismus verstehen dessen Vertreter entsprechend darin, die ‚klassische‘ Theologie konsequent am Paradigma der Selbstoffenbarung Gottes als Liebe zu überholen und die überkommenen Gottesattribute als Aspekte oder Funktionen göttlicher Liebe auszuweisen.101 Durchaus treffend gibt Johannes Grössl seinem Aufsatz zum Offenen Theismus darum den Titel Gott als Liebe denken (2012).102 Nun liegt hier zunächst wiederum eine Parallele zur Prozesstheologie vor. Schon Charles Hartshorne wollte mit seiner philosophisch-theologischen Arbeit der Wahrnehmung begegnen, dass die Bestimmung Gottes als Liebe in der Geschichte der Theologie bisher „niemals wirklich ernst genommen“ worden 100 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 177; die Vernachlässigung der Liebe in der westlichen Theologie betont Sanders in der 1. Auflage noch stärker – vgl. ders., The God Who Risks (1st Edition), 175. 101 Vgl. etwa Rice, Biblical Support for a New Perspective, 21. 102 Grössl, Gott als Liebe denken, 469–488; vgl. übereinstimmend Belt, Defining Claim and Core Convictions. Damit soll an dieser Stelle auch jenen Kritikern widersprochen werden, welche nicht die Liebe Gottes, sondern die Freiheit des Menschen als das zentrale Prinzip und den höchsten Wert des Offenen Theismus behaupten. So meint etwa John Frame in seiner Auseinandersetzung mit dem Offenen Theismus, dass „die Vorstellung menschlicher Freiheit im libertarischen Sinne der Motor“ sei, „welcher den Offenen Theismus antreibt“ (Frame, No Other God, 119). Anhängern dieses Entwurfs diene die Freiheit des Menschen als entscheidendes Kriterium, an dem alle theologischen Aussagen geprüft würden – wirklich erwägenswert seien für Offene Theisten nur jene Lehrinhalte, welche mit libertarischer Freiheit kompatibel sind (ebd.). William Davis ist sogar überzeugt, dass Offene Theisten letztlich die Ehre Gottes auf dem Altar menschlicher Autonomie opfern würden, und er erklärt den Erfolg dieses Modells mit der Popularität der Freiheitsidee in der modernen westlichen Welt (Davis, Why Open Theism Is Flourishing Now, 122f) – ein Zusammenhang, den auch James Smith in einem neueren Essay zum Offenen Theismus herstellt: Die nähere Untersuchung dieser Bewegung zeigt seiner Überzeugung nach, dass nicht eine bestimmte Gottesvorstellung, sondern ein von der Moderne geformter autonomer Freiheitsbegriff den Offenen Theismus ausmache (Smith, God, the Future, and the Politics of Freedom, 84). Während nun freilich ein Einfluss der Moderne auf die Betonung und Gestalt des Freiheitsbegriffs nicht nur im Offenen Theismus, sondern überhaupt in vielen neuzeitlichen theologischen Entwürfen schwer von der Hand zu weisen ist, hat sich John Sanders doch schon in The God Who Risks ausdrücklich zur Wehr gesetzt gegen die Behauptung, der Libertarismus sei das zentrale Motiv seiner Sicht. Namentlich seinen Ansatz zur Theodizee möchte Sanders nicht mit den populären Versuchen einer „freewill defense“ identifizieren, sondern lieber von der „logic-of-love-defense“ sprechen – eben weil die ‚offene Sicht Gottes‘ nicht bei der menschlichen Freiheit, sondern beim Wesen Gottes einsetze (Sanders, The God Who Risks [1st Edition], 257f). Gott gebe uns Freiheit nicht um der Freiheit willen, erklärt Sanders, „sondern vielmehr als notwendige Voraussetzung zur Entfaltung von Liebe“ (ebd., 221). In gleicher Weise betont dann auch Pinnock in Most Moved Mover, dass es der offenen Sicht Gottes „nicht um das Verlangen menschlicher Geschöpfe nach Autonomie“ gehe, sondern vielmehr „darum, jenes Projekt der Liebe hochzuhalten, welches Gott in Bewegung setzte und in das er selbst eingetreten ist“ (Pinnock, Most Moved Mover, xf).

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sei.103 Mit seiner Forderung, die „Logik der Liebe“ in der Darstellung Gottes und seines Verhältnisses zur Welt konsequent zur Geltung zu bringen, beruft sich Thomas Oord dann auch ausdrücklich auf jenes Hartshorne’sche Diktum.104 Den Bemühungen dieses jüngsten Hauptvertreters des Offenen Theismus, seine theologische Sicht ausgehend vom Liebesbegriff analytisch-philosophisch zu explizieren, sind die anderen Offenen Theisten bereits vorausgegangen: Nicht nur die Religionsphilosophen William Hasker und David Basinger, sondern auch Clark Pinnock, Richard Rice, John Sanders und vor allem Gregory Boyd argumentieren – wenn auch in unterschiedlicher Ausführlichkeit und Reflexionstiefe – auf philosophischen Linien für ihr Modell der Liebe und darum der ‚Offenheit Gottes‘.105 Näherhin wird von der Bestimmung des Wesens Gottes als Liebe auf den Willen Gottes zur Beziehung mit dem Menschen und daher auf die Notwendigkeit geschöpflicher Freiheit geschlossen. Diese (libertarische) Freiheit des Menschen wiederum erklärt bzw. erfordert im Gedankengang der Offenen Theisten die Einschränkung der Allmacht Gottes, die ontologische Offenheit der Zukunft und damit das Risiko Gottes im „Projekt Schöpfung“; Boyd prägt für diese Zusammenhänge die beiden markanten Grundsätze „Liebe erfordert Freiheit“, und „Freiheit bringt ein Risiko mit sich“.106 Im markanten Unterschied zu den einschlägigen prozesstheologischen Entwürfen stellt die philosophische Argumentation im Offenen Theismus nun aber nicht das eigentliche Herzstück dieses Modells dar. Wie schon der Untertitel der Programmschrift The Openness of God (1994) indiziert, wollen die Offenen Theisten vornehmlich eine biblische „Herausforderung des traditionellen Gottesverständnisses“ meistern, und auch die späteren Gesamtdarstellungen einer ‚offenen Sicht Gottes‘ lassen keinen Zweifel daran, dass nicht die analytischphilosophische Herleitung, sondern die biblisch-exegetische und biblisch-theologische Grundlegung der ‚offenen Sicht Gottes‘ im Mittelpunkt ihres Interesses steht: Sowohl Sanders’ ausführliche Studie The God Who Risks (1997) wie auch 103 Hartshorne, Ethics and the New Theology, 97; vgl. auch Enxing, Gott im Werden, 139– 157. 104 Oord, The Nature of Love: A Theology, 4. 105 Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 173–248; Pinnock, Most Moved Mover, 113–152; Rice, Love Makes the World Go Round; sowie die mehrheitlich philosophisch argumentierenden Werke: Boyd, Satan and the Problem of Evil; Boyd, Trinity and Process. William Hasker und David Basinger bewegen sich fast ausschließlich auf analytischphilosophischen Begründungslinien, wenn sie auch keinen Gesamtentwurf einer ‚offenen Sicht Gottes‘ vorlegen, sondern Teilprobleme des Diskurses um den Libertarismus, Determinismus und Kompatibilismus bearbeiten; für einen Auszug aus ihren Werken vgl. die Bibliographie dieser Arbeit. 106 Vgl. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 22f. Sein Buch Satan and the Problem of Evil (2001) versteht Boyd ausdrücklich als ein „work in philosophical theology“ (ebd., 21); sowie für eine ausführliche Aufarbeitung der philosophischen Weichenstellungen im Offenen Theismus Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes.

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Boyds The God of the Possible (2001) und Pinnocks Most Moved Mover (2001) dokumentieren die vorrangige Auseinandersetzung der Autoren mit der Gottesrede beider Testamente und ihr entscheidendes Anliegen, durch ein neues Hören auf die biblische Selbstbezeugung des lebendigen Gottes überkommene philosophisch-theologische Engführungen zu überwinden und zu einem erneuerten Gottesverständnis zu finden.107 Gewiss wurde die Richtung dieses Impulses von der Prozesstheologie entscheidend mitgeformt, er beruht aber primär auf Beobachtungen an den biblischen Texten selber – namentlich an den theologiegeschichtlich weithin vernachlässigten Belegen für die Lernbereitschaft, Enttäuschung oder Reue Gottes.108 An diesen Stellen biblischer Überlieferung wird nach Überzeugung der Offenen Theisten ebenjene Liebe zugespitzt thematisch, die Gott das unberechenbare Abenteuer der Schöpfung wagen lässt und die schließlich in der definitorischen Aussage des 1. Johannesbriefes kumuliert: „Gott ist Liebe“ (1Joh 4,8).109 Von hier aus lässt sich allerdings noch eine weitere Möglichkeit umreißen, die ‚offene Sicht Gottes‘ herzuleiten und zu entfalten, ist doch das Bekenntnis 107 Gleiches gilt selbstredend für den ohnehin biblisch-theologischen Beitrag Richard Rices zu The Openness of God (1994): Rice, Biblical Support for a New Perspective, wie auch für dessen früheste Studie ders., God’s Foreknowledge and Man’s Free Will. Clark H. Pinnock kann seine Begegnung mit der Prozesstheologie im Rückblick sogar als eine Fügung Gottes verstehen, durch welche er dazu gedrängt wurde, bestimmte Gottesvorstellungen aufzugeben oder „auf die Höhe biblischer Überlieferungen zu bringen“: Pinnock, Between Classical and Process Theism, 317; vgl. hierzu auch Callen, Journey Toward Renewal, 145f. Auch die im Feld der Religionsphilosophie beheimateten Offenen Theisten William Hasker und David Basinger geben wiederholt das leitende Anliegen zu erkennen, mit ihren Beiträgen einen biblischen und spezifisch christlichen Gottesbegriff zu reflektieren – vgl. etwa Hasker, A Philosophical Perspective, 154: Hier empfiehlt Hasker den Offenen Theismus ausdrücklich als jene Sicht, welche das „reichste und befriedigendste“ Verständnis der biblischen Überlieferungen bietet; für Basinger vgl. etwa den programmatischen Aufsatz: Basinger, Can an Evangelical Christian Justifiably Deny God’s Exhaustive Knowledge of the Future?, 133–145. Selbst Gregory Boyds Dissertation, welche sich einer explizit „metaphysischen“ Fragestellung verpflichtet und durchgängig analytisch-philosophisch argumentiert, kommt nicht ohne zahlreiche Brückenschläge zur biblischen Überlieferung aus: Immer wieder zeigt Boyd die Anschlussfähigkeit seiner philosophischen Beweisführung an die biblische Gottesrede sowie das Potenzial, diese Gottesrede auf dem Hintergrund prozessphilosophischer Einsichten neu zu erschließen. Boyds fundamentales Interesse gilt auch hier ganz offensichtlich nicht einer philosophisch konsistenten Gottesvorstellung an und für sich, sondern vielmehr der philosophischen Plausibilisierung biblischer Gottesrede – vgl. Boyd, Trinity and Process, 262f; 314f; 332f u. ö. 108 Vgl. Witham, The God Biographers, 147: Witham zitiert hier John Sanders mit der Aussage, die Prozesstheologie nehme die Bibel nicht ernst genug – „so I began to think through the biblical texts with this view in mind“. 109 Vgl. hierzu vor allem die exegetischen und hermeneutischen Ausführungen bei Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 18–139; Boyd, God of the Possible, 21–88 und 157–169; ders., Satan and the Problem of Evil, 394–416; Pinnock, Most Moved Mover, 25–64; Rice, Biblical Support for a New Perspective, 11–58.

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„Gott ist Liebe“ neutestamentlich ausdrücklich christologisch qualifiziert (vgl. 1Joh 4,9): Das Bekenntnis zur Liebe als Wesensbestimmung Gottes findet in Jesus Christus ihren endgültigen Beweis und ihre konkrete Gestalt, wie alle Offenen Theisten anerkennen.110 Hinsichtlich der weitreichenden Konsequenzen dieser offenbarungstheologischen Qualität des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu Christi stellt etwa Pinnock klar, das Evangelium von Jesus Christus verpflichte auf einen neuen Weg zum Verständnis Gottes – einen Weg, auf dem die metaphysischen Attribute auf den Kopf gestellt würden, sofern uns in Jesus Christus ein Gott begegne, der sich um unseretwillen verändere und für uns leide: „Unser Denken muss im Licht der Selbstoffenbarung Gottes im Evangelium reformiert werden; wir müssen damit aufhören, Gott Eigenschaften zuzuschreiben, welche seine eigene Erschließung unterlaufen.“111 Keiner der Vertreter des Offenen Theismus hat diese Begründungslinie indes mit stärkerem Nachdruck und in größerer Ausführlichkeit ausgezogen als in neuester Zeit Gregory Boyd. Ansätze dazu fanden sich bereits in seinem Buch Is God to Blame? (2003), wo er die Selbsthingabe des Sohnes am Kreuz als konkurrenzlose Mitte der Offenbarung Gottes neu ernst nehmen will und das Wesen Gottes wie auch dessen Verhältnis zur Schöpfung konsequent nach Maßgabe dieser Mitte zu bestimmen sucht.112 Exegetisch hergeleitet und systematisch reflektiert begegnet diese Denkfigur dann in seinem bisher ausführlichsten Werk The Crucifixion of the Warrior God (2017).113 Angesichts der Frage nach der zuweilen gewaltverherrlichenden Gottesrede des Alten Testaments und den damit verbundenen Problemen für eine christliche Theologie etabliert Boyd in dieser Studie den Grundsatz der konstitutiven Bedeutung und hermeneutischen Normativität der Offenbarung Gottes im Kreuzestod Jesu Christi. Nur von der sich in der Passion des Gottessohnes manifestierenden Liebe her will Boyd Gottes Wesen und seine Beziehung zum Menschen verstanden wissen – eine Beziehung, in der sich Gott gerade nicht kompromisslos durchsetzt, sondern vielmehr verletzlich macht, um den Menschen im Zuge einer noch offenen Geschichte für eine aus freien Stücken gewählte Gemeinschaft mit dem Schöpfer zu gewinnen.114 Zusammenfassend treten also drei unterscheidbare Argumentationslinien zu Tage, auf denen die ‚offene Sicht Gottes‘ im Sinne einer Theologie der Liebe 110 Vgl. etwa Sanders, The God Who Risks, 138: „In Jesus we see the very face of God, and so we can no longer doubt that the way of God is love.“ Ebenso Rice, Biblical Support for a New Perspective, 44f; Pinnock, Most Moved Mover, 27. 111 Pinnock, Most Moved Mover, 27; diese Forderung deckt sich mit dem Anspruch Sanders’ an eine wahrhaft christliche Theologie, die Vorstellung der Macht, Vorsehung und Erhabenheit Gottes durch die Linse der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus neu zu perspektivieren – vgl. Sanders, The God Who Risks, 116. 112 Boyd, Is God to Blame?, 49f; vgl. auch ders., Benefit of the Doubt, 155–193. 113 Boyd, The Crucifixion of the Warrior God. 114 Vgl. Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Bd. 1, 3–276.

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Gottes entfaltet und verteidigt werden kann: Eine analytisch-philosophische Linie, welche aus der Verhältnisbestimmung der Schlüsselbegriffe ‚Liebe‘, ‚Freiheit‘ und ‚Risiko‘ auf die Offenheit der Geschichte Gottes mit dem Menschen schließt; eine biblisch-theologische Linie, welche besonders die alttestamentlichen Zeugnisse der Lernfähigkeit, Enttäuschung und Reue Gottes theologisch in Anschlag bringt; und eine christologisch-hermeneutische Linie, welche von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus her die ‚klassischen‘ Gottesattribute und das Verhältnis Gottes zum Menschen zu überdenken sucht. Meistens werden diese drei Begründungswege in den offen-theistischen Werken nicht gesondert verfolgt, sondern treten ineinander verschlungen und sich gegenseitig ergänzend auf. Das argumentative Schwergewicht liegt dabei im Offenen Theismus insgesamt unzweifelhaft auf der biblisch-theologischen Linie: Die analytisch-philosophische Herleitung soll vor allem zu deren Plausibilisierung und Bekräftigung vor dem Forum der Vernunft dienen, während der christologisch-hermeneutische Nachweis zwar an manchen Stellen als Fluchtpunkt der biblisch-theologischen Anstrengungen aufleuchtet, aber erst in den neueren Veröffentlichungen Boyds eigenes Gewicht erhält.

1.2.3 Der bibeltheologische Schwerpunkt des Offenen Theismus Die obigen Beobachtungen zur Prävalenz der biblisch-theologischen Begründungslinie im Offenen Theismus stehen in auffallender Spannung zur zunehmenden Tendenz in der englischsprachigen Auseinandersetzung, den Offenen Theismus als vornehmlich philosophisches Modell zu begreifen. Dominieren zu Beginn der kontroversen Phase in der Geschichte des Offenen Theismus noch die Fragen um die biblische Angemessenheit und dogmatische Vertretbarkeit einer ‚offenen Sicht Gottes‘ – die frühen Kritiker des Offenen Theismus arbeiten sich etwa an der Interpretation der anthropomorphen Beschreibungen Gottes ab, welche zur Verteidigung der ‚Offenheit Gottes‘ ins Feld geführt wurden,115 oder sie prüfen die Abweichungen dieser Sicht von der orthodoxen (‚klassischen‘) Tradition des Christentums –, so verlagert sich das öffentliche Interesse am Offenen Theismus mit abklingender Empörung immer stärker auf philosophische Einzelaspekte dieser Sicht. Ein stetiger und besonders in den späteren 2000er Jahren anschwellender Strom von Aufsätzen und Zeitschriftenartikeln bezeugt die Lebendigkeit dieses Diskurses – und begünstigt die Wahrnehmung des Offenen Theismus als eine hauptsächlich philosophische Erscheinung.116 115 Vgl. hierzu den Abschnitt 2.2.1 in dieser Arbeit. 116 Ausführliche philosophische Debatten entzünden sich an der Frage nach der Brauchbarkeit der von David Hunt (gegen den Offenen Theismus) vorgebrachten Vorstellung des „ein-

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Schon die auf führende Vertreter des Offenen Theismus zurückgehende Qualifikation ihres Entwurfs als Mittelposition zwischen dem ‚klassischen‘ und dem prozesstheologischen Theismus könnte zur Annahme verleiten, es gehe der ‚offenen Sicht Gottes‘ primär um eine denkerisch konsistente Konzeption Gottes und seines Verhältnisses zur Welt117 – genauso wie der sich in den 90er Jahren allmählich etablierende Ausdruck „Offener Theismus“ selbst, sofern der Theismus-Begriff gemeinhin weniger in der biblischen oder systematischen Theologie als vielmehr im Feld der Religionsphilosophie und der Analytischen Philosophie beheimatet ist.118 Die Diskussion um die biblisch-theologischen Aspekte sowie die hermeneutische Reflexion auf den Schriftbezug des Offenen Theismus tritt jedenfalls besonders im Verlauf der konsolidierenden Phase immer stärker in den Hintergrund, genau wie die Frage nach einer angemessenen Methodik zur systematisch-theologischen Integration biblisch-theologischer Einsichten; dies allerdings nicht, weil die entsprechenden Probleme aufgearbeitet worden wären, sondern wohl eher weil sich in den meist ebenso erbitterten wie ergebnislosen Kontroversen um die ‚offene Sicht Gottes‘ die Differenzen nur verfestigen und sich die Gesprächsbereitschaft von Vertretern und Kritikern allmählich er-

fachen Vorauswissens Gottes“ (simple foreknowledge) sowie an der Frage nach dem ontologischen und epistemologischen Status der Zukunft – vgl. hierzu exemplarisch: Sanders, Why Simple Foreknowledge Offers No More Providential Control, 362–373; Hunt, The Providential Advantage of Divine Foreknowledge, 374–385; Hasker, Why Simple Foreknowledge Is Still Useless, 537–544; Hunt, Why Simple Foreknowledge Is Still Useful, 545– 550; Zimmerman, The Providential Usefulness of ‚Simple Foreknowledge’, 174–196; sowie Rhoda/Boyd/Belt, Open Theism, Omniscience, and the Nature of the Future, 432–459; Tuggy, Three Roads to Open Theism, 28–51; Rhoda, The Philosophical Case for Open Theism, 301–311; ders., Generic Open Theism and Some Varieties Thereof, 225–234; Boyd, Two Ancient (and Modern) Motivations for Ascribing Exhaustively Definite Foreknowledge to God, 41–59; Rhoda, The Fivefold Openness of the Future, 69–93. 117 Vgl. Anm. 67 in dieser Arbeit. 118 Es gehört zu den Kuriositäten in der Geschichte des Offenen Theismus, dass sich der eigentliche Ursprung der Wortkombination open theism nicht mehr ergründen zu lassen scheint. Robert Biersack meint zwar, der Ausdruck gehe auf den Vordenker Richard Rice zurück, aber das ist nicht zutreffend (vgl. Biersack, Bittgebet und Gottes Vorsehung, 326). Gewiss führt Rice den Begriff der „Offenheit“ (openness) in den Diskurs ein und spricht zum ersten Mal von der „Offenheit Gottes“ (openness of God) zur Kennzeichnung seines theologischen Modells (vgl. Anm. 12 in dieser Arbeit), aber er ist nach eigener Auskunft nicht für die Prägung des Terminus open theism verantwortlich. Auch Gregory Boyd, John Sanders und Thomas Oord wissen auf persönliche Anfrage des Autors nicht, wo und von wem dieser Ausruck erstmals verwendet wurde, auch wenn er sich inzwischen zur Bezeichnung ihres Entwurfs durchgesetzt hat. Da die meisten Vertreter des Offenen Theismus bis heute lieber von der „Offenheit Gottes“ oder von der „Offenen Sicht Gottes“ sprechen, liegt die Vermutung nahe, dass der Terminus open theism von den Kritikern dieser Sicht geprägt und schließlich auch von dessen Vertretern anerkannt wurde.

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schöpft.119 Im religionsphilosophischen und analytisch-philosophischen Diskurs tut sich dagegen ein zwar hochspezialisiertes, aber deutlich weniger emotionalisiertes Betätigungsfeld auf, so dass manche Offenen Theisten ihre wissenschaftliche Aufmerksamkeit an diese Fronten verlagern und sich außerdem z. B. mit Alan Rhoda und Dean Zimmerman neue, ausschließlich philosophisch argumentierende Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ ins Gespräch einschalten.120 Wie der folgende forschungs- und rezeptionsgeschichtliche Rückblick zeigen wird, ist es dieser analytisch- oder religionsphilosophische Zugang, der auch die kontinentale Diskussion zum Offenen Theismus beherrscht.121 Es gehört eben darum zum zentralen Anliegen dieser Arbeit, die biblisch-theologischen Bemühungen der Offenen Theisten und ihre daran anschließenden Versuche einer systematisch-theologischen Neufassung der Gottesattribute in den Mittelpunkt zu stellen. Nicht nur soll damit der hohe Anspruch evangelikaler Theologie überhaupt an die eigene ‚Schriftgemäßheit‘ ernst genommen und kritisch geprüft werden, sondern im Besonderen auch das ausdrückliche Programm des Offenen Theismus, das „traditionelle Gottesverständnis“ biblisch oder biblisch-theologisch herauszufordern.122

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Forschungsgeschichtliche und methodische Vorbemerkungen

1.3.1 Die Forschungsgeschichte des Offenen Theismus Die Bedeutung des Offenen Theismus wenigstens für die evangelikalismusnahe akademische und kirchliche Öffentlichkeit und seine wachsende Anerkennung als eine ernstzunehmende Option auf dem Feld der Konzeptionalisierungen des Gott-Welt-Verhältnisses im englischsprachigen theologischen und philosophischen Diskurs überhaupt steht in auffallendem Kontrast zur kontinentaleuropäischen Situation.123 Bis weit über die kontroverse Phase hinaus gibt es jedenfalls innerhalb des deutschsprachigen Diskurses schlechterdings keine Anzeichen einer Kenntnisnahme des Offenen Theismus als einer eigenständigen philosophisch-theologischen Denkrichtung. Mit der sprachlichen Differenz und geo119 Vgl. die Klagen zur fehlenden Gesprächskultur in der Debatte um den Offenen Theismus schon bei Sanders, Be Wary of Ware, 221–231; Boyd, Christian Love and Academic Dialogue, 233–243. 120 Vgl. etwa die Beiträge in den neueren Aufsatzbänden: Oord (Hg.), Creation Made Free; Oord/Hasker/Zimmerman (Hg.), God in an Open Universe. 121 Vgl. Abschnitt 1.3.1 in dieser Arbeit. 122 Vgl. den Untertitel der Programmschrift The Openness of God. A Biblical Challenge to the Traditional Understanding of God. 123 Zum Einfluss des Offenen Theismus im englischsprachigen Raum vgl. die Abschnitte 1.1.1 und 1.1.2 in dieser Arbeit.

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grafischen Distanz lässt sich dies nur unzureichend erklären. Vielmehr scheint sich hier ein noch immer weit verbreitetes Desinteresse deutschsprachiger universitärer Theologie am Evangelikalismus zumal als theologische Erscheinung zu exemplifizieren. Wohl erfahren die evangelikalen Bewegungen seit jeher in den Missionswissenschaften und in den letzten Jahren auch in praktisch-theologischen, kirchenhistorischen und religionssoziologischen Bezügen einige akademische Aufmerksamkeit124 – ein wirkliches Ernstnehmen des Evangelikalismus von Seiten der bibelwissenschaftlichen oder systematischen Theologie ist im deutschsprachigen Raum aber erst selten zu verzeichnen. Die Unübersehbarkeit des Evangelikalismus als weltweite kirchliche Basisbewegung und missionsgeschichtliches Phänomen sowie dessen markanter Einfluss auf die Politik und den konservativen Wertekonsens in den USA scheint ihn zwar als Gegenstand von Untersuchungen in den obgenannten Feldern auch im kontinentalen Europa interessant zu machen, als seriösen Gesprächspartner in theologischer Hinsicht aber eher zu disqualifizieren. Die historisch und phänomenologisch nachweislich falsche, in öffentlichen (auch akademischen) Verlautbarungen hierzulande aber nach wie vor gängige Identifikation des Evangelikalismus mit dem christlichen Fundamentalismus verschärft diese Einschätzung wohl zusätzlich – und verstellt gerade die Wahrnehmung des ausdrücklich anti-fundamentalistischen linksevangelikalen Flügels, zu welchem die Vertreter des Offenen Theismus prominent gehören.125 Es gibt jedoch auch Ausnahmen, dank derer der Offene Theismus im Verlauf der späteren 2000er Jahre auch im deutschsprachigen Kontext allmählich ins Gespräch gebracht wird. So arbeitet Reinhold Bernhardt in seiner Habilitationsschrift Was heißt ‚Handeln Gottes‘? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung (1999) die aktuelle angloamerikanische Literatur zur divine action auf und kommt dabei auf die Debatte um die Kompatibilität göttlicher Vorsehung 124 So profitiert etwa die deutschsprachige Homiletik immer unverkrampfter von evangelikalen Ansätzen und Einflüssen (vgl. exemplarisch Nicol, Einander ins Bild setzen), in kirchengeschichtlichen oder konfessionskundlichen Untersuchungen wird nicht nur die englische und US-amerikanische Erweckungsgeschichte aufgearbeitet, sondern auch die pfingstliche und charismatische Bewegung neuerer Zeit berücksichtigt (vgl. exemplarisch Zimmerling, Charismatische Bewegungen; Hempelmann, Evangelikale Bewegungen), und einige religionssoziologisch motivierte Studien beschäftigen sich mit dem Phänomen evangelikaler Freikirchen im deutschsprachigen Europa (etwa Bauer, Evangelikale Bewegung und evangelische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland; Eisenlöffel, Freikirchliche Pfingstbewegung in Deutschland; im schweizerischen Kontext vgl. Stolz/Favre/Gachet/ Buchard, Phänomen Freikirchen). Vgl. neuerdings auch Elwert/Rademacher/Schlamelcher (Hg.), Handbuch Evangelikalismus; sowie Lüdke/Schmidt (Hg.), Pietismus – Neupietismus – Evangelikalismus. 125 Vgl dazu in aller Kürze Hempelmann, Evangelikalismus ist nicht Fundamentalismus, 243– 244; vgl. ferner Roger Olsons Programmschrift für einen postkonservativen, antifundamentalistischen Evangelikalismus: Olson, Reformed and Always Reforming.

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und menschlicher Freiheit zu sprechen, in welche einige Protagonisten des Offenen Theismus maßgeblich involviert sind.126 Klaus von Stosch wiederum offenbart in seinem theologischen Entwurf Gott – Macht – Geschichte (2006) nicht nur eine große Nähe zu Grundeinsichten des Offenen Theismus, sondern bezieht sich auch ausdrücklich und zustimmend auf die Werke seiner Vertreter,127 während sich Ingolf Dalferth in seiner Studie Malum: Theologische Hermeneutik des Bösen (2008) mit der Debatte um das Vorauswissen Gottes und v. a. mit dem Beitrag Gregory Boyds zur Theodizee kritisch auseinandersetzt.128 Wesentlich eingehender noch berücksichtigt Armin Kreiner den Offenen Theismus. Bereits seine Untersuchung Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizee-Argumente (1997) beweist Kreiners Vertrautheit mit dem englischsprachigen Diskurs um Fragen der Vorsehung, Allmacht und Allwissenheit Gottes, wenn er die Offenen Theisten hier auch mit David Griffin, Richard Swinburne und John Hick unter die Vertreter eines sehr breit gefassten freewill theism einordnet.129 In seiner philosophischen Gotteslehre Das wahre Antlitz Gottes – oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen (2006) nimmt er den Offenen Theismus dann aber wohl als erster deutschsprachiger Theologe als eigenständigen theologisch-philosophischen Ansatz wahr und bezieht ihn ausführlich in seine Diskussion ein.130 Kreiner versteht die ‚offene Sicht Gottes‘ hier als „Kompromissposition“, welche zwar „einige prozesstheologische Anliegen aufgreift, aber gleichzeitig am traditionellen Allmachtsbegriff festhält“.131 Im Verlauf 126 Bernhardt, Was heißt „Handeln Gottes, bes. 26f. sowie 154f. Bernhardt verweist namentlich auf die philosophischen Beiträge von William Hasker, David Basinger und Richard Rice. 127 von Stosch, Gott – Macht – Geschichte, 351f (vgl. 226f – hier spricht von Stosch am Beispiel von Sanders’ Entwurf allerdings vom „Relationalen Theismus“); vgl. dann auch diverse Verweise v. a. auf die philosophisch versierten Vertreter des Offenen Theismus in ders., Theodizee, 2013; zur Nähe des Ansatzes von Stoschs zum Offenen Theismus vgl. ferner Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes, 303f. 128 Dalferth, Malum, 161–164 (zur Debatte um das Vorauswissen Gottes) sowie 293–295 (zum Ansatz Gregory Boyds). Dalferth hat ferner eine Dissertation zum Gott-Welt-Verhältnis des Offenen Theismus an der Claremont Graduate University mitbetreut: Dong-Sik Park, The God-World Relationship between Joseph Bracken, Philip Clayton, and the Open Theism, 2012. 129 Kreiner, Gott im Leid, 275–320; vgl. auch schon Kreiners Vorstellung und Diskussion des „Argumentes der Willensfreiheit“ in ebd., 207–274. Im Nachwort zur dritten Auflage des Buches (2005) stellt Kreiner dann fest, dass ihm in den letzten Jahren „immer klarer [wurde], von welch zentraler Bedeutung die Willensfreiheit in theologischer Hinsicht ist, und zwar nicht nur im Kontext des Theodizee-Problems“, und er verweist in ebendiesem Zusammenhang auf das Gemeinschaftswerk The Openness of God (Kreiner, Gott im Leid, 403). 130 Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 307–370; vgl. auch den Aufsatz ders., Models of Divine Action in the World, 331–348 (der Beitrag ist im Wesentlichen ein auf Englisch übersetzter Auszug aus dem Kapitel „Allmacht und Allwissenheit“ im obengenannten Buch). 131 Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 337f; vgl. auch Anm. 67 in dieser Arbeit.

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seiner Darstellung wird klar, dass Kreiner geneigt ist, sich dieser Position anzuschließen – oder dass er zumindest deren doppeltes Anliegen teilt, den Selbststand der Schöpfung und die Authentizität geschöpflicher Freiheit anzuerkennen, ohne Gott von der Welt abhängig zu machen und ihm metaphysisch ‚die Hände zu binden‘. Aus der Diskussion verschiedener Modelle des Welthandelns Gottes zieht er entsprechend das Fazit, dass es sowohl gute Gründe gebe „für die Annahme, dass Gott eine Welt erschafft, die nach eigenen Gesetzen funktioniert und nicht durchgängig von ihm gelenkt wird“, als auch „für die Annahme, dass Gott in bestimmten Fällen in das Weltgeschehen zum Wohl seiner Geschöpfe eingreift“.132 Es liege dann freilich alles an einer überzeugenden Begründung dafür, warum Gott nur gelegentlich und nicht permanent interventionistisch handle (oder handeln könne).133 Der Offene Theismus versucht darauf eine Antwort zu geben, welche nach Kreiner zwar ihre eigenen Probleme mit sich bringt,134 insgesamt aber der klassischen und wohl auch der prozesstheologischen Lösung vorzuziehen ist:135 Nach offen-theistischer Überzeugung sind den Eingriffsmöglichkeiten Gottes insofern Grenzen gesetzt, als er die Ordnung seiner Schöpfung und die moralische Verantwortlichkeit des Menschen nicht durch ständige Störung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs gefährden kann.136 Darüber hinaus schließt sich Kreiner der in der Kontroverse um den Offenen Theismus aufsehenerregendsten These an, dass die Ernstnahme geschöpflicher Freiheit weder mit dem definitiven Vorauswissen Gottes noch mit seiner zeitlosen Kenntnis des Weltverlaufs vereinbar ist – und dass also selbst Gott einer zumindest teilweise offenen Zukunft entgegengeht.137 132 Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 332f. 133 Vgl. Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 333. 134 Vgl. v. a. Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 341: „Das theodizee-relevante Hauptproblem dieser Kompromissposition ergibt sich aus der Behauptung, dass Gott in unzähligen Fällen zwar die Macht gehabt hätte, in den weltlichen Ereignisverlauf einzugreifen, dass er dies aber unterlassen hat.“ Kreiner kann es sogar als „frommen Etikettenschwindel“ bezeichnen, wenn der freiwillige Machtverzicht Gottes von den Offenen Theisten als Manifestation göttlicher Liebe deklariert wird (ebd.). 135 Vgl. das Fazit aus der Besprechung der Allmacht und Allwissenheit Gottes bei Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 368f. Kreiners Anerkennung für den Offenen Theismus als gangbarste Lösung der virulenten Probleme kommt noch deutlicher zum Ausdruck im Fazit seines Aufsatzes von 2007: Kreiner, Models of Divine Action in the World, 347f: „This compromise suggests itself especially if one assumes that God, in the course of history up until now, has acted in an interventionist way and that the world was created for a particular eschatological purpose. […] Only an omnipotent God can guarantee that creation attains the end that God intends. Only an omnipotent God can exclude the risk of final failure.“ 136 Vgl. etwa Basinger, Human Freedom and Divine Providence, 500; Pinnock/Brown, Theological Crossfire, 75; Hasker, The Necessity of Gratuitous Evil, 25f; Sanders, Divine Providence and the Openness of God, 210f. 137 Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes, 343–359 – bes. ebd., 357f. Kreiner kommt im Zuge seiner Ausführungen auch auf die Kontroverse im US-amerikanischen Evangelikalismus zu

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Es ist dann auch Armin Kreiner, der in den folgenden Jahren gleich mehrere Forschungsprojekte zum Offenen Theimus anregt und betreut. So legt Denis Schmelter 2011 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München seine Dissertation unter dem Titel Gottes Handeln und die Risikologik der Liebe. Zur rationalen Vertretbarkeit des Glaubens an Bittgebetserhörungen vor.138 Der Verfasser dankt im Vorwort seinem Doktorvater Armin Kreiner für „den Weichen stellenden Hinweis auf den Open-View-Theismus“, und er qualifiziert ebendieses Modell reichlich apodiktisch als eine der wenigen Konzeptualisierungen der göttlichen Wirklichkeit, „die einen Glauben nahelegen, den sich auch ein aufgeklärter Mensch aneignen kann, ohne dafür seinen Verstand an den Nagel hängen zu müssen“.139 Konkret fragt Schmelter nach den philosophisch-theologischen Bedingungen, unter denen der Glaube an die Erhörung von Gebeten Sinn ergibt, und er findet in der vom Offenen Theismus vorgenommenen Verhältnisbestimmung von Gott und Welt den verheißungsvollsten da widerspruchfreiesten Ansatz.140 Neben der erstmaligen ausführlichen Aufbereitung des Offenen Theismus in deutscher Sprache (unter dem Blickwinkel des Bittgebets) darf als vorrangige Errungenschaft von Schmelters Studie wohl v. a. die weitere Plausibilisierung jener Behauptung gelten, von der auch Kreiner die Vertretbarkeit der ‚offenen Sicht Gottes‘ abhängig macht – nämlich dass auch ein Gott mit interventionistischen Möglichkeiten gerade im Namen der Liebe davon nicht ständig Gebrauch machen kann, ohne die Stabilität der Schöpfung zu gefährden; Schmelter spricht von der „Feinabstimmung“ des Kosmos unter Berufung auf das sog. „Anthropische Prinzip“.141 Mit einer ganz ähnlichen Fragestellung arbeitet dann auch Robert Biersack in seiner Untersuchung Bittgebet und Gottes Vorsehung. Eine systematischtheologische Studie zur Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit der Bitte an Gott (2016).142 Die Dissertation vergleicht das „eternalistische Bittgebetskonzept“ des Thomas von Aquin mit zwei neuzeitlichen Vorschlägen, das Gebet und seine

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sprechen, und er verurteilt die „unter die Gürtellinie“ zielende Kritik mancher Gegner des Offenen Theismus scharf – ebd., 360 (v. a. Anm. 176). Die Publikation der Arbeit erfolgt dann im Folgejahr: Schmelter, Gottes Handeln und die Risikologik der Liebe. Schmelter, Gottes Handeln und die Risikologik der Liebe, 13 (Hervorhebung im Original). Zur „Begründung der Wahl des Open-View-Theismus als Lösungsansatz“ vgl. v. a. Schmelter, Gottes Handeln und die Risikologik der Liebe, 67–74. Schmelter räumt freilich ein, dass auch sein auf den Offenen Theismus abgestützter Vorschlag zur Plausibilisierung der Bittgebets nur „eine Minimierung, keine gänzliche Auflösung sämtlicher Aporien“ zu leisten vermag – ebd., 74. Vgl. v. a. Schmelter, Gottes Handeln und die Risikologik der Liebe, 219–253; vgl. zur entsprechenden Anfrage Kreiners Anm. 134 in dieser Arbeit. Biersack, Bittgebet und Gottes Vorsehung. Biersack nimmt von Schmelters Werk offenbar erst nach Abschluss seiner eigenen Studien Kenntnis und kann dessen Ergebnisse nicht mehr berücksichtigen – vgl. ebd., 7, Anm. 20.

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Erhörung konsistent zu denken. Neben dem „eternalistisch-interaktiven“ Modell von Eleonore Stump kommt hier eben das „temporalistisch-interaktive“ Modell des Offenen Theismus zur Sprache.143 Biersack kann den Offenen Theismus abschließend als „in sich stimmige biblisch-heilsgeschichtliche Konzeption“ würdigen, welche das Gebet als einen „beidseids freien Dialog mit Gott“ begreifen kann, im Zuge dessen Gott zum Handeln bewegt werden soll.144 Im Gegensatz zum Thomismus sieht Biersack die Denkbarkeit von Bittgebetserhörungen im Offenen Theismus grundsätzlich gewährleistet, er optiert schlussendlich aber doch für den Ansatz Stumps, weil dieser der Transzendenz und Unverfügbarkeit Gottes stärker Rechnung trage.145 Eine weitere von Armin Kreiner motivierte und als Zweitbetreuer begleitete Dissertation zum Offenen Theismus veröffentlicht Johannes Grössl unter dem Titel Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes: Der Offene Theismus als Konzeption der Vereinbarkeit von menschlicher Freiheit und göttlicher Allwissenheit (2015).146 Der Autor will den Offenen Theismus und dessen zentrale Thesen erläutern und die dahinterliegenden Argumentationsgänge aufzeigen – in der ausdrücklichen Hoffnung, „diese spannende Diskussion in einen Dialog mit der Kontinentaleuropäischen Theologie zu bringen“.147 Die im Rahmen des AnalyticTheology-Projektes der Universität Innsbruck entstandene Arbeit ist ausschließlich philosophisch fokussiert: Sie arbeitet die englischsprachige Diskussion um den libertarischen Freiheitsbegriff, dessen Konsequenzen für das Vorauswissen Gottes und das Risikopotenzial der Schöpfung auf und leistet besonders in letzterer Hinsicht eine Verfeinerung der ‚offenen Sicht Gottes‘.148 Ferner ist Julia Enxings Dissertation zur Prozesstheologie Charles Hartshornes zu nennen, welche unter der Betreuung des Münsteraner Professors Klaus Müller verfasst und 2013 publiziert wird.149 In einem ausführlichen Schlusskapitel bringt Enxing die soziale Gotteslehre Hartshornes mit

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Vgl. zum Offenen Theismus: Biersack, Bittgebet und Gottes Vorsehung, 323–505. Biersack, Bittgebet und Gottes Vorsehung, 553f. Biersack, Bittgebet und Gottes Vorsehung, 565f. Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes. Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes, 11. Grössl geht als erster Bearbeiter des Themas dem Risikobegriff auf den Grund und differenziert unter anderem verschiedene „Ebenen“ des Schöpfungsrisikos Gottes (ebd., 196f) und verschiedene Möglichkeiten, die Schöpfungsziele Gottes zu fassen (ebd., 187–189). Dabei bekräftigt er die von den Offenen Theisten behauptete Fähigkeit Gottes, Schöpfungsrisiken durch göttliches Eingreifen zu minimieren – er sieht aber keine Möglichkeit, das primäre Schöpfungsziel unter den Voraussetzungen des Offenen Theismus zu garantieren: Die Möglichkeit, dass kein einziger Mensch sich auf Gottes Gemeinschaft der Liebe einlässt, muss von Offenen Theisten nach Grössl zumindest prinzipiell eingestanden werden – vgl. ebd., 203–219. 149 Enxing, Gott im Werden.

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dem Offenen Theismus ins Gespräch.150 Wenn sie dabei u. a. auf die Gefahren eines „selektiven wörtlichen Bibelgebrauchs“ auf Seiten der Offenen Theisten hinweist,151 räumt sie doch zugleich ein, dass auch Hartshornes Prozesstheolgie, wenn sie an das Christentum anschlussfähig sein möchte, dafür zu kritisieren sei, „dass diese dem biblischen Zeugnis nicht ausreichend Beachtung schenkt“.152 Ihr Interesse besteht deshalb darin zu zeigen, „inwiefern und warum ein Dialog sowohl zwischen Prozess-Theismus und Open Theism als auch mit dem klassischen Theismus möglich und weiterführend sein kann“.153 Dazu setzt sie sich eingehend mit der Kritik am Offenen Theismus auseinander und ist auch die erste deutschsprachige Bearbeiterin des Themas, welche den Offenen Theismus historisch und konfessionell verortet und dessen bewegte Geschichte im US-amerikanischen Evangelikalismus der 90er und 2000er Jahre wenigstens in groben Zügen nachzeichnet.154 Grössl erwähnt demgegenüber die spezifische Beheimatung des Offenen Theismus nur beiläufig, Biersack bietet eine äußerst knappe Verortung der Bewegung und ihrer Vertreter in der „evangelikalen Linken“, während Schmelter an der Herkunft und den Entstehungsbedingungen dieser Bewegung keinerlei Interesse zeigt.155 Diese jüngsten Forschungen zum Offenen Theismus sind zunächst als Beiträge zum kontinentaleuropäischen theologischen und philosophischen Diskurs von Bedeutung. Sie rücken den Offenen Theismus erstmals ins Wahrnehmungsfeld der hiesigen Forschung und eröffnen vielfältige Möglichkeiten zur fruchtbaren Rezeption der ‚offenen Sicht Gottes‘. Kreiner selbst weist etwa auf die zahlreichen Berührungspunkte der ‚offenen Sicht Gottes‘ mit systematischtheologischen Entwicklungen im deutschsprachigen Raum hin und sieht besonders in der Rede vom „mitleidenden Gott“ Parallelen und gegenseitige Be-

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Enxing, Gott im Werden, 240–294. Enxing, Gott im Werden, 291. Enxing, Gott im Werden, 292. Enxing, Gott im Werden, 240. Vgl. ebd., 293: „Die Demonstration der Notwendigkeit eines intensiveren Dialogs zwischen klassischen und neoklassischen Theologien ist Absicht dieser Arbeit.“ 154 Vgl. v. a. Enxing, Gott im Werden, 241–249 (zur „skandalösen Geschichte“ des Offenen Theismus), und 275–290 (zur evangelikalen Kritik am Offenen Theismus). Enxing geht allerdings an keiner Stelle auf das Werk Gregory Boyds ein. Das ist nur schwer verständlich, da Boyd wohl als einziger Vertreter des Offenen Theismus unter die eigentlichen Harshorne-Kenner gerechnet werden darf und seine wegweisende Dissertation ausgerechnet dem sozialen Gottesverständnis Hartshornes gewidmet hat, welches auch Gegenstand der Untersuchung Enxings ist. Die Berücksichtigung Boyds hätte nicht nur den Vergleich des Offenen Theismus mit der Prozessphilosophie erheblich geschärft, sondern zweifellos auch den prozessphilosophischen Teil der Arbeit Enxings bereichert. 155 Vgl. Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes, 33f; Biersack, Bittgebet und Gottes Vorsehung, 324f.

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reicherungspotenziale.156 Die vorgestellten Arbeiten zeigen indes besonderes Interesse an den Implikationen des Offenen Theismus für die sinnvolle Rede vom Bittgebet und seiner Erhörung (Schmelter, Biersack) sowie an der philosophischen Rekonstruktion und Verortung dieses Modells (Grössl, Enxing). Auffallend ist dabei sicher der katholische Kontext, in welchem sämtliche bisherigen deutschsprachigen Arbeiten zum Offenen Theismus stehen. Ob der Einfluss Kreiners auf viele der genannten Projekte zur Erklärung dieses Umstandes ausreicht, sei dahingestellt – unübersehbar ist jedenfalls die Unbefangenheit der Autoren in der Bekräftigung geschöpflicher (libertarischer) Freiheit und ihr vitales Interesse an einer philosophischen Plausibilisierung ihres theologischen Denkens: Eigenheiten, welche den Offenen Theismus auszeichnen und sich mit der katholischen Tradition wohl zwangloser verbinden lassen als mit dem reformatorischen Erbe. Die bereits in der systematisch-motivanalytischen Skizze festgestellte Tendenz, den Offenen Theismus vor allem als philosophisches Modell wahrzunehmen, scheint sich in seiner Rezeption im deutschsprachigen Raum noch zu verstärken. Nicht nur wird der Offene Theismus innerhalb der philosophischen Gotteslehre Kreiners zum ersten Mal ausführlich thematisiert; auch bei den Untersuchungen Schmelters, Grössls, Enxings und Biersacks handelt es ganz wesentlich um philosophisch-theologische Auseinandersetzungen, die sich etwa am Problem der Verhältnisbestimmung von Freiheit und Determinismus, an verschiedenen Theorien von Zeit und Ewigkeit oder an konkurrierenden Modellen zur Erklärung des interventionistischen Handelns Gottes abarbeiten. Bibeltheologische Begründungslinien kommen in diesen Werken höchstens am Rande zur Sprache und erhalten an keiner Stelle das Gewicht, welches ihnen im Werk der Offenen Theisten zukommt; auch dahinter zurückfragende hermeneutische Überlegungen werden nicht angestrengt.157 Darüber hinaus fehlen in den bisherigen Forschungen eine eigentliche systematisch-theologische Kontextualisierung des Offenen Theismus und die Übersetzung der ‚offenen Sicht Gottes‘ in den hiesigen fundamentaltheologischen oder systematisch-theologischen Diskurs. Die genannten Autoren bringen den Offenen Theismus zwar mit aktuellen philosophisch-analytischen oder prozesstheologischen Ansätzen (Grössl, Enxing), mit dem traditionellen Thomismus (Biersack) sowie mit den Lehren der römisch-katholischen Kirche (Grössl zum Schluss seiner Arbeit) ins Gespräch, sie lassen die kritisch-konstruktive Aufarbeitung des Offenen 156 So Armin Kreiner in seinem Empfehlungsschreiben zum SNF-Beitragsgesuch für diese Arbeit; zu den Gemeinsamkeiten des Offenen Theismus mit Entwicklungen in der deutschsprachigen systematischen Theologie vgl. das Kapitel 0 in dieser Arbeit. 157 Vgl. die Anmerkung Biersacks zur Konzentration seiner Arbeit auf die „systematischen Begründungsmuster“ unter Absehung von der biblischen Grundlegung des Offenen Theismus: Biersack, Bittgebet und Gottes Vorsehung, 425.

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Theismus im Gegenüber zu zeitgenössischen katholischen Entwürfen weitgehend und zu protestantischen Entwürfen völlig vermissen. Ein im Ergebnis vergleichbares Bild ergibt sich hinsichtlich der Forschungslage im englischsprachigen Raum. Zunächst fällt im Rückblick auf über 20 Jahre der öffentlichen Auseinandersetzung um den Offenen Theismus in den Vereinigten Staaten auf, dass die Debatte zwar eine Vielzahl an Veröffentlichungen hervorgebracht hat, welche diese Sicht als theologischen Neuansatz vertreten oder kritisieren und betreffende philosophische, systematische und exegetische Teilprobleme bearbeiten. Diese Beiträge sind aber fast ohne Ausnahme selbst Teil der evangelikalen Kontroverse und positionieren sich in einem entsprechend polemischen Kontext.158 Wenn darüber hinausgehend inzwischen auch einige vergleichende oder vertiefende Studien zu Einzelaspekten des Offenen Theismus angestrengt wurden, so ist eine mit kritischer Distanz durchgeführte Darstellung v. a. der für den Offenen Theismus konstitutiven bibeltheologischen Weichenstellungen auch im englischsprachigen Raum ebenso wenig greifbar wie eine systematisch-theologische Durchdringung dieses Ansatzes.159 Die evangelikale Beheimatung der meisten englischsprachigen Beiträge zum Offenen Theismus wird wohl außerdem dafür verantwortlich sein, dass die den Vertretern und Kritikern weitgehend gemeinsamen hermeneutischen Grundvoraussetzungen kaum kritisch reflektiert werden und auch die Engführungen der Debatte durch ihre historisch-konfessionelle Einbettung im US-amerikanischen Evangelikalismus nicht zur Sprache kommen.

158 Das wird auch an einigen in den 2000er Jahren verfassten Dissertationen deutlich – vgl. etwa Roy, How Much Does God Foreknow; Kersey, The Freedom of God and Man; Ladd, Theological Indicators Supporting an Evangelical Conception of Eternity; Campbell, The Beautiful Mind; Tae Soo Park, A Biblical Response to Open Theism; Calvert, Paradox; Ostrom, Divine Sovereignty and the Religious Problem of Evil; Holland, God and Time. Viele dieser Arbeiten sind an konservativen baptistischen Seminaren entstanden und von bekannten Kritikern des Offenen Theismus wie Bruce Ware, Roger Nicole, Norman Geisler u. a. angeregt oder betreut worden (man vergleiche hierzu auch die Danksagungen zu Beginn der obigen Werke). Zumindest manche davon verstehen sich augenscheinlich als Beiträge im Kampf gegen die Unterwanderung der (evangelikalen) Kirche durch den Offenen Theismus. 159 Nennenswerte Studien zu einzelnen Aspekten des Offenen Theismus sind: Rissler, Divine Providence and Human Libertarian Freedom; Holtzen, Dei Fide; Hocking, Freedom Unlimited; Dong-Sik Park: The God-World Relationship between Joseph Bracken, Philip Clayton, and the Open Theism, 2012; Baker, Evangelism and the Openness of God, 2013.

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1.3.2 Fragestellung und Zielsetzung dieser Arbeit Aus obigen Beobachtungen zum noch lückenhaften Stand der Erforschung des Offenen Theismus und zum weitgehend unausgeschöpften Verwertungspotenzial dieses Entwurfs vor allem hinsichtlich seiner bibeltheologischen Herleitung sowie seiner systematisch-theologischen Entfaltung erwächst die Fragestellung und Zielsetzung dieser Arbeit. Sie kann als eine Doppelte beschrieben werden: Zum einen (1) soll im Sinne einer interkontinentalen Transferleistung der Offene Theismus im deutschsprachigen Kontext als bibeltheologische Reformbewegung vorgestellt und also über den hiesigen analytisch-philosophischen Diskurs hinaus bekannt gemacht werden. Ausdrücklich will diese Arbeit damit eine einseitige Wahrnehmung des Offenen Theismus als vornehmlich philosophisch-theologisches Modell überwinden und in der Aufarbeitung der spezifisch biblisch-theologischen Begründungszusammenhänge das argumentative und motivationale Herzstück des Offenen Theismus freilegen. Dazu wird auch nach den leitenden hermeneutischen Überzeugungen der Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ gefragt und insbesondere die Rolle der Hellenisierungsthese und das Anthropomorphismus-Problem bearbeitet – um schließlich die systematisch-theologische Modifikation des ‚klassischen‘ Gottesbegriffs in den Blick zu nehmen, welche sich den Offenen Theisten als Konsequenz aus ihren biblischtheologischen Einsichten aufdrängt. Die leitende Frage hinter dieser analytischdarstellenden Zielsetzung lautet: Welche biblisch-exegetischen Beobachtungen, hermeneutischen Grundsätze und systematisch-theologischen Konsequenzen zeichnen den Offenen Theismus als bibeltheologische Reformbewegung aus? Zum anderen (2) und daran anknüpfend sollen im Sinne einer systematischen Kontextualisierungsleistung die biblisch-theologischen Begründungszusammenhänge, die hermeneutischen Grundsätze und die systematisch-theologischen Konsequenzen der ‚offenen Sicht Gottes‘ kritisch geprüft und mit der zeitgenössischen deutschsprachigen Theologie ins Gespräch gebracht werden. Dabei wird die Berechtigung des biblisch-theologischen Anliegens des Offenen Theismus ebenso deutlich werden wie die Fragwürdigkeit bestimmter hermeneutischer Voraussetzungen – vor allem aber wird sich zeigen, dass viele zentrale Motive und Positionen des Offenen Theismus in gewichtigen dogmatischen Entwürfen des hiesigen Sprachraumes bereits vorgebildet sind und daher eine hohe gegenseitige Anschlussfähigkeit dieser beiden Größen besteht. Zugleich macht der Abgleich des Offenen Theismus mit deutschsprachigen Entwürfen einsichtig, dass gerade die systematisch-theologische Ausarbeitung einer die überkommenen Sackgassen ‚klassischer‘ Entwürfe überwindenden Lehre von den Eigenschaften Gottes in der deutschsprachigen Theologie auf einem deutlich höheren Problemlösungsniveau geleistet wird, so dass zumindest an dieser Stelle der Offene Theismus von der deutschsprachigen Theologie wesentlich profitie-

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ren könnte. Die diese kritisch-vergleichende Zielsetzung bestimmende Frage kann wie folgt formuliert werden: Wo ist vom aktuellen theologischen Diskurs insbesondere im deutschsprachigen Raum her Kritik am Offenen Theismus als bibeltheologische Reformbewegung angebracht – und wo kann der Offene Theismus den hiesigen Diskurs anregen? Eine Anmerkung zum bibeltheologischen Fokus der vorliegenden Untersuchung ist noch vonnöten, könnte sie sich doch den Vorwurf zuziehen, die Verweise der Offenen Theisten auf neutestamentliche Texte und die christologischen Motive ihres Entwurfs unzulässig abzublenden. Tatsächlich wird die hier aufgearbeitete bibeltheologische Konzeption zumal dem Gesamtwerk Gregory Boyds nicht (mehr) gerecht, da Boyd – wie unter 0 gezeigt – in jüngster Zeit mit einem profilierten bibelhermeneutischen Entwurf hervorgetreten ist, der konsequent christozentrisch (nach Boyd: kruzizentrisch) formatiert ist.160 Damit relativiert oder überholt er zumindest implizit auch manche hermeneutische Voraussetzung, von der seine früheren offen-theistischen Veröffentlichungen noch zehren, und zeigt ein deutlich gesteigertes Problembewusstsein gegenüber dem Anspruch, biblische Texte „möglichst wörtlich“ nehmen zu wollen.161 Im Blick auf Boyds vorausgehende eigentliche Entfaltungen der ‚offenen Sicht Gottes‘ ist aber festzuhalten, was auch für die Gesamtdarstellungen der anderen bibeltheologisch engagierten Offenen Theisten Sanders, Pinnock und Rice gilt: All diese Entwürfe zitieren zwar sowohl aus alt- wie aus neutestamentlichen Quellen, aber es bestehen kaum Zweifel daran, dass die christologischen Aussagen des Neuen Testaments noch keine effektive hermeneutische Priorität erhalten. Vielmehr geben die fast ausschließlich alttestamentlichen Belege für die Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes die Linien vor, auf denen auch das neutestamentliche Christuszeugnis ausgelegt wird. Die Auswertung des Ansatzes wird eben darauf zurückkommen müssen.162 An dieser Stelle genügt es festzuhalten, dass die Konzentration dieser Studie auf die biblisch-theologischen Begründungszusammenhänge des Offenen Theismus unter weitgehender Absehung von christologischen Fundierungsversuchen zumal für das Korpus der einschlägigen offen-theistischen Gesamtdarstellungen gerechtfertigt ist.

160 Boyd, The Crucifixion of the Warrior God. 161 Vgl. etwa Boyd, The Crucifixion of the Warrior God (Bd. 1), 353–371. 162 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 4.3.7.

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1.3.3 Methodik und Aufbau dieser Arbeit Die skizzierte doppelte Zielsetzung dieser Arbeit wird unter Aufarbeitung der gesamten englisch- und deutschsprachigen Literatur zum Offenen Theismus sowie unter Berücksichtigung zahlreicher Onlineessays und Blogbeiträge verfolgt. Im Fokus stehen aber besonders die fünf Autoren von The Openness of God (1994) sowie Gregory Boyd und Thomas Oord, welche unmittelbar nach Veröffentlichung dieser Programmschrift (im Falle Boyds) bzw. nach Abklingen der kontroversen Phase (im Falle Oords) zur Weggefährtenschaft der Offenen Theisten dazustoßen. Alle wesentlichen und richtungsweisenden Darstellungen der ‚offenen Sicht Gottes‘ stammen aus der Feder dieser Protagonisten. In den kritischen Reflexionen, welche die Hauptkapitel beschließen, wird dann auch der aktuelle bibeltheologische, hermeneutische und systematisch-theologische Diskurs mit einbezogen und besonders die deutschsprachige Theologie berücksichtigt. An diesen Stellen wurde aufgrund der Weite des Feldes und der Fülle an entsprechenden Veröffentlichungen nicht erschöpfend, sondern exemplarisch gearbeitet. Die vorliegende Arbeit ist vor allem auf die Wiedergabe der allen offen-theistischen Entwürfen gemeinsamen Grundideen und Argumentationslinien bedacht – zur Einleitung jedes Hauptkapitels wird aber auch auf allenfalls nötige Differenzierungen innerhalb des kleinen Kreises von Hauptvertretern des Offenen Theismus hingewiesen. Außerdem wird an besagter Stelle jeweils auf die Kontroversen aufmerksam gemacht, welche die im entsprechenden Kapitel referierten offen-theistischen Anliegen und Positionen im konservativen Evangelikalismus Nordamerikas heraufzubeschwören im Stande waren. Dieser polemische Kontext ist nicht nur im Blick auf die bewegte Geschichte des Offenen Theismus von Bedeutung, sondern führt, wie sich zeigen wird, auch zu spezifischen Engführungen in der Entfaltung der ‚offenen Sicht Gottes‘. Näherhin wird die Aufgabenstellung dieser Untersuchung entlang einer dreiteiligen Gliederung in Angriff genommen: Zunächst (Kapitel 2) werden jene biblischen Überlieferungen und jene Formen vornehmlich alttestamentlicher Gottesrede in den Blick genommen, welche in der bibeltheologischen Argumentation des Offenen Theismus im Zentrum stehen. Es sind diese Belege für die Erwartung, Enttäuschung oder Reue Gottes, welche die Offenen Theisten erst zu einer „Herausforderung des traditionellen Gottesverständnisses“ (so der Untertitel der Programmschrift The Openness of God) veranlassen und sie in ihrer Reformulierung klassischer Gottesattribute anleiten. Mit Gregory Boyd werden die betreffenden Texte unter dem Begriff des „biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘“ zusammengefasst. Das Kapitel verarbeitet dann auch die von konservativ-evangelikaler Seite geäußerte Kritik an der ‚offenen Sicht Gottes‘ und reflektiert das den Vertretern und Kritikern gemeinsame Schriftverständnis kritisch.

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Das nächste Hauptkapitel (Kapitel 3) macht dann die hermeneutischen Voraussetzungen transparent, welche die offen-theistische Bibellektüre bestimmen und in der Überzeugung kumulieren, fast die gesamte christliche Auslegungsgeschichte sei von griechisch-philosophischen Grundannahmen durchdrungen, welche die Wahrnehmung und Ernstnahme anthropomorpher Beschreibungen Gottes – zu welchen die unter dem Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ gefassten Texte zweifellos gehören – schlichtweg verunmögliche. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Hellenisierungsthese und der Anthropomorphismus-Vorstellung im Offenen Theismus sowie deren kritische Reflexion im Kontext der aktuellen Forschung bilden darum zentrale Inhalte dieses Kapitels. Der letzte Hauptteil (Kapitel 4) dieser Arbeit beschäftigt sich schließlich mit den Anläufen der Offenen Theisten, aus dem Impuls der von ihnen bevorzugten biblischen Überlieferungen (siehe Kapitel 2) und im Rahmen der von ihnen verteidigten hermeneutischen Voraussetzungen (siehe Kapitel 3) eine Reformulierung der christlichen Gotteslehre anzuregen. Dieser im engeren Sinne systematisch-theologische Impetus des Offenen Theismus betrifft besonders die ‚klassische‘ Lehre von den Eigenschaften Gottes, weshalb das abschließende Hauptkapitel die offen-theistische Reformulierung zentraler Gottesattribute aufarbeitet und sie zum kritischen Abgleich den Eigenschaftslehren deutschsprachiger Dogmatiker – namentlich Karl Barth, Emil Brunner, Jürgen Moltmann und Wolfhart Pannenberg – gegenüberstellt. Eine rückblickende Reflexion auf den Offenen Theismus als bibeltheologische Reformbewegung und eine Sicherung des Ertrages dieser Untersuchung im Blick auf das Befruchtungspotenzial des Offenen Theismus für den deutschsprachigen Diskurs sowie auf das Klärungspotenzial des deutschsprachigen Diskurses für den Offenen Theismus beschließen diese Arbeit. Der im Wesentlichen dreiteilige Aufbau der vorliegenden Arbeit folgt damit einerseits einem allgemein offenbarungstheologischen Konstruktionsprinzip – von der Sichtung des biblischen Materials über die Klärung interpretatorischer Fragen hin zur systematisch-theologischen Aussage – er vollzieht aber vor allem die spezifische Argumentationsweise des Offenen Theismus nach, in welcher sich wiederum der im Evangelikalismus übliche bibeltheologische Ansatz überhaupt spiegelt.163 Dieser zeichnet sich besonders durch die Überzeugung aus, dass Gott 163 Die ersten drei Kapitel der Programmschrift The Openness of God können dies exemplarisch verdeutlichen: Das Buch setzt bei einer Ausbreitung der biblischen Belege für die ‚Offenheit Gottes‘ ein (Rice, Biblical Support for a New Perspective, 11–58) und mündet ins historische Kapitel, welches v. a. die herkömmliche Interpretationsweise dieser biblischen Belege reflektiert und für ein neues Ernstnehmen anthropomorpher Gottesrede plädiert (Sanders, Historical Considerations, 59–100). Das dritte Kapitel versucht dann, die aus den biblischen und interpretatorischen Beobachtungen abgeleitete Forderung nach einer Neufassung der christlichen Gotteslehre systematisch-theologisch zu leisten (Pinnock, Systematic Theo-

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Hinführende Übersicht. Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung

sich in den biblischen Zeugnissen selbst offenbart – und dass er dies auf zwar spannungsvolle, aber letztlich doch widerspruchsfreie Weise tut. Eine heilsgeschichtliche Perspektive auf die biblische Gottesrede ist im Evangelikalismus üblich, ebenso die Vorstellung einer sich fortschreitend vertiefenden und klärenden Selbstoffenbarung Gottes, während historisch-kritischen Zugängen zur Bibel oft Misstrauen oder Ablehnung, zuweilen auch nur Desinteresse entgegengebracht wird (wenngleich das Verständnis für die Traditionsgeschichte und die spezifische Einbettung biblischer Texte sowie für die Notwendigkeit hermeneutischer Metareflexion in breiten Teilen des evangelikalen Milieus in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat). Auch in der Begegnung mit den Entwürfen einer ‚offenen Sicht Gottes‘ wird dem exegetisch und bibelwissenschaftlich versierten Leser daher wohl schnell die Unmittelbarkeit ins Auge fallen, mit welcher die Offenen Theisten (wie dann auch ihre evangelikalen Kritiker) aus den unterschiedlichsten Überlieferungssträngen und Textgattungen der Bibel theologische Aussagen ziehen, ohne die Genese, die Form und den historischen Kontext der betreffenden Texte eingehend zu reflektieren. Im Blick auf das die folgenden Ausführungen einleitende Kapitel zur biblischexegetischen Materialgrundlage der ‚offenen Sicht Gottes‘ (2.1) ist darum zumindest für den mit dem Evangelikalismus wenig vertrauten Leser ein caveat angebracht: Die Darstellung folgt zunächst dem Duktus und der narrativen Darstellungsweise der Vertreter des Offenen Theismus und argumentiert also unter Einlassung auf deren Schriftverständnis und Hermeneutik. Erst in der kritischen Reflexion (2.3) wird dieser Bibelzugang dann weiter geprüft und (zumindest teilweise) problematisiert.

logy, 101–125). Einen instruktiven Einblick in das innerevangelikale Ringen um eine angemessene bibeltheologische Methodik bietet Meadors (Hg.), Four Views on Moving Beyond the Bible to Theology, 2009.

2.

Exegetische Spurensuche. Die thematische Auffächerung des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ Doesn’t every page of the Bible paint a portrait of a God who experiences things, thinks things, and responds to things sequentially? Every verb applied to God in the Bible testifies to this. The God of the Bible is alive, dynamic, personal, changing, free, and relational. How different is this from the static, wholly necessary God of Plato and much of the church’s classical theology. Gregory A. Boyd, God of the Possible, 131f.

Einleitung und Kurzdarstellung Der vorliegende Hauptteil der Arbeit verfolgt die Versuche zumal der bibeltheologisch versierten Vertreter des Offenen Theismus, ihre Sicht auch unabhängig von philosophischen Plausibilisierungen aus einer eigenständigen Beschäftigung mit der biblischen Gottesrede zu gewinnen. Herausragend sind in dieser Hinsicht besonders die Beiträge von John Sanders und Gregory Boyd. Beide haben der exegetischen Verankerung und biblisch-theologischen Aufarbeitung der ‚offenen Sicht Gottes‘ in ihrem Werk große Aufmerksamkeit geschenkt – und sie stützen sich dafür auf ein weitgehend identisches Korpus von biblischen Texten, welche der Dynamik und Interaktivität des Gott-Welt-Verhältnisses sowie der Unvorhersehbarkeit der Geschichte Ausdruck verleihen. Boyd spricht hierbei vom „biblischen Motiv der Offenheit Gottes“ und bietet vor allem in seiner Studie God of the Possible (2000) eine feingliedrige Darstellung verschiedener Aspekte dieses Motivs, während Sanders dem alt- und neutestamentlichen „Material zur Bekräftigung einer relationalen und risikobehafteten Sicht der Vorsehung Gottes“ (so der Titel des biblisch-exegetischen Teils in Sanders’ The God Who Risks [1998]) in heilsgeschichtlicher Folge nachgeht und gleichfalls zahlreiche Gesichtspunkte herausarbeitet. Im Überblick lassen sich recht deutlich drei thematisch aufeinander aufbauende Gruppen von Belegstellen identifizieren, die sich dann auch in den biblischen Referenzen der meisten übrigen Vertreter des Offenen Theismus – namentlich bei Clark Pinnock, Richard Rice und Thomas Oord – wiederfinden: In einer ersten Gruppe (1) können zum Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ jene Texte gezählt werden, welche die Zukunft als Raum offener Möglichkeiten beschreiben und für Gott selbst die Erwartung eines Erkenntnisgewinns im Blick auf kommende Ereignisse ausdrücken – Texte also, die das Bild eines im Verlauf seiner Geschichte mit dem Menschen Neues antizipierenden und dazulernenden Gottes

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zeichnen. Eine zweite (2) Gruppe für den Offenen Theismus relevanter biblischer Texte liegt gewissermaßen in der Konsequenz der erstgenannten: Fasst die erste Textgruppe jene biblischen Zeugnisse zusammen, in denen vorausblickend von der Unabsehbarkeit der Geschichte Gottes mit dem Menschen die Rede ist, so blicken die Belege der zweiten Gruppe zurück auf den Gang der Ereignisse und sprechen von den unerfüllten Erwartungen und enttäuschten Hoffnungen Gottes. Auch die dritte (3) Kategorie von Texten kann als Zuspitzung der vorangehenden betrachtet werden. So muten die biblischen Zeugnisse dem Leser nach Boyd und Sanders gerade an ausgesprochenen Schlüsselstellen der Bundesgeschichte die Vorstellung zu, dass Gott über seine eigenen Entscheidungen bekümmert ist und angesichts der Entwicklung der Ereignisse sein vorausgegangenes Handeln bereut. Boyd weist mit besonderem Nachdruck auf diese Textgruppe hin, da sie nach seiner Überzeugung die unhintergehbare Geschichtlichkeit des Verhältnisses Gottes zur Schöpfung in einzigartiger Schärfe hervortreten lässt, und auch Sanders bietet einen ausführlichen Exkurs zur theologischen Reflexion des biblischen Zeugnisses von der Reue Gottes. Im Blick auf das Argumentarium der übrigen Vertreter des Offenen Theismus lässt sich festhalten, dass das vornehmlich alttestamentliche Phänomen der Reumütigkeit Gottes wohl am ausdrücklichsten zur biblisch-theologischen Rechtfertigung der ‚offenen Sicht Gottes‘ in Anschlag gebracht wird.

Differenzierungen und Kontroversen Die spezifische Auswahl und theologische Bewertung der biblischen Belegstellen für den Offenen Theismus ist unter den Vertretern dieser Sicht kaum umstritten. Sanders zeigt wohl ein besonderes Interesse an jenen Überlieferungen, welche die Risikohaftigkeit der Geschichte Gottes mit dem Menschen verdeutlichen, weil er seinen Entwurf an diesem Aspekt der ‚Offenheit Gottes‘ festmacht, während sich Boyd auf biblische Belege für ein indeterministisches Verständnis der Zukunft konzentriert. Insgesamt berufen sich beide aber auf dieselben Texte oder Textgruppen. Richard Rice, der mit seinem frühen Buch God’s Foreknowledge and Man’s Free Will und seinem biblisch-exegetischen Beitrag zum Gemeinschaftswerk The Openness of God die ausführlicheren Studien Sanders’ und Boyds gewissermaßen vorbereitet hat, fügt sich in dieses Bild ein. Die übrigen Vertreter des Offenen Theismus zehren weitgehend von den Ergebnissen dieser Protagonisten. Die zur Diskussion stehende Auswahl von biblischen Texten ist auch unter den Kritikern des Offenen Theismus wenig fraglich. Sowohl Vertreter des Arminianismus, welche die Vorstellung des lückenlosen Vorauswissens Gottes trotzdem festhalten wollen (philosophisch gesprochen also nicht-offen-theistische Liber-

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tarier), wie auch Vertreter der ‚klassischen‘ Tradition konservativ-calvinistischer Prägung (theologische Deterministen) stimmen darin mehrheitlich überein, dass es die von Boyd, Sanders und anderen Offenen Theisten angeführten Texte sind, welche zur Konstruktion einer ‚offenen Sicht Gottes‘ verleiten können. Sie sind nicht der Meinung, dass diese Texte zu Recht im Sinne des Offenen Theismus in Anspruch genommen werden. Vielmehr widersprechen sie den offen-theistischen Interpretationen der fraglichen biblischen Überlieferungen und plädieren für alternative Lesarten, welche mit dem Bekenntnis zum lückenlosen Vorauswissen Gottes vereinbar sind oder sogar eine deterministische Sicht der Vorsehung Gottes abdecken. Meist berufen sich die Gegner des Offenen Theismus dazu auf ein zweites Korpus von biblischen Belegstellen, welche ihren Gottesbegriff stützen und in deren Licht ihrer Überzeugung nach auch die von den Offenen Theisten angeführten Texte gelesen werden sollten. Im Folgenden soll vornehmlich anhand der Untersuchungen von Boyd und Sanders gezeigt werden, welche biblischen Texte und Motive von den Offenen Theisten zur Herleitung ihrer Sicht ins Feld geführt werden. Im Anschluss daran kommen dann jene biblischen Überlieferungen zur Sprache, welche die Kritiker des Offenen Theismus vorbringen, um einem relationalen, dynamischen Verständnis des Gott-Welt-Verhältnisses zu widersprechen – und schließlich wird gezeigt, wie sich die Vertreter des Offenen Theismus um alternative Lesarten ebendieser kritischen Texte bemühen. Erst im nächsten Abschnitt sollen dann die dahinterliegenden hermeneutischen Weichenstellungen zur Sprache kommen, welche die Vertreter des Offenen Theismus von ihren Gegnern trennen.

2.1

Biblisch-exegetische Materialgrundlage (das Motiv der ‚Offenheit Gottes‘)1

2.1.1 Der erwartungsvolle Gott Die Überzeugung, dass Gott an der Geschichte seiner Schöpfung teilhat und „den Fortgang der Ereignisse mit uns erlebt“,2 tritt nach Einschätzung der Offenen Theisten in jenen biblischen Überlieferungen besonders klar hervor, welche Gott 1 Man beachte zu diesem Kapitel das in der Einleitung vorausgeschickte caveat (am Ende von Abschnitt 1.3.3). Die wichtigsten Aufarbeitungen des biblischen Materials im Offenen Theismus sind Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 38–139 sowie Boyd, God of the Possible, 53–88 und 157–169; ferner ders., Satan and the Problem of Evil, 85–177. Vgl. darüber hinaus das von Richard Rice verfasste Kapitel im Gemeinschaftswerk The Openness of God, welches auf ca. 50 Seiten sowohl alt- als auch neutestamentliche Texte zur Unterstützung der ,offenen Sicht Gottes‘ anführt: Rice, Biblical Support for a New Perspective, 11–58; sowie Pinnock, Most Moved Mover, 25–64; Oord, The Uncontrolling Love of God, 108–112. In

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unverhohlen als Subjekt authentischer Lernerfahrungen beschreiben. Sie scheinen ein deutliches Vorher und Nachher in der Erkenntnis Gottes nahezulegen.3 Zumindest Boyd findet ein erstes Beispiel dafür bereits im Bericht von der Benennung der Tiere im Anschluss an die Schöpfungsnarrative (Gen 2,19–20): Seiner Beobachtung nach wartet Gott an dieser Stelle ab, „um zu sehen, wie der Mensch die Tiere nennen würde“ (Gen 2,19) – wobei die Erzählung ausdrücklich Gottes Bereitschaft betont, die Namensgebung des Menschen zu respektieren.4 Für Boyd bedeutet das nicht weniger, als dass Gott den Menschen ermächtigt, mit ihm zusammen die Zukunft hervorzubringen – und „dass also die Zukunft in gewissem Maße von dem abhängt, was wir tun“.5 Diese Vorstellung sehen Vertreter des Offenen Theismus darüber hinaus besonders dort in Kraft, wo biblische Erzähler Gott selbst im Modus der Möglichkeiten sprechen lassen – wo also Aussagen über zukünftige Ereignisse auch und gerade im Munde Gottes nicht als bereits feststehend, sondern als abhängig von der Beteiligung des Menschen artikuliert sind. Einschlägig hierzu ist nach Boyd und Sanders die Berufungsgeschichte des Mose in Ex 4,1–9.6 Gott verspricht Mose nach dieser Überlieferung seinen Beistand im Blick auf mehrere mögliche Verläufe der mosaischen Begegnung mit den Ältesten Israels (z. B. Ex 4,8: „Wenn sie dir nicht glauben sollten, dann …). Nach Überzeugung der Offenen Theisten ergibt dies nur Sinn, wenn Gottes Teilhabe an der Geschichte anerkannt und damit zugestanden wird, dass auch Gott die menschlichen Reaktionen auf sein Handeln nicht mit Sicherheit vorwegnehmen kann: Gott spielt dann im Dialog mit Moses verschiedene Szenarien durch („wenn/dann“), deren Verwirklichung vom Verhalten der Ältesten Israels abhängig und also für ihn selbst noch unabsehbar ist.7

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neuester Zeit hat Christopher Fisher eine umfassende Untersuchung zum Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ in der Bibel vorgelegt: Fisher, God is Open. In ihrem Gang durch die biblischen Bücher ist die Studie freilich ausgesprochen repetitiv, und der Autor lässt jede Reflexion auf die hermeneutischen Voraussetzungen seiner Lesart der Texte vermissen. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 100. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 100; ders., God of the Possible, 59–75; vgl. Pinnock, Systematic Theology, 123f. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 105; das an dieser Stelle für Gottes „Sehen“ gebrauchte hebräische Verb raah trägt, wie Boyd festhält, die Konnotation von „entdecken, herausfinden“, was den Eindruck noch verstärkt, den nach Boyd schon die englische (deutsche) Übersetzung des Textes evoziert: dass sich hier nämlich die Vorstellung eines Gottes ausdrückt, der mit dem Menschen in eine interaktive Geschichte eintritt, welche für ihn selbst Neues, Unvorhergesehenes bereithält. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 105f. Vgl. Boyd, God of the Possible, 66–68; ders., Satan and the Problem of Evil, 109–111; sowie Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 53–58. Boyd, God of the Possible, 67; sowie Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 55.

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Entlang dieser Linien verstehen Vertreter des Offenen Theismus dann auch die zahlreichen Passagen in der prophetischen Literatur des Alten Testaments, die von zukünftigen Ereignissen im Sinne offener Möglichkeiten sprechen. Wenn Gott etwa Hesekiel beauftragt, die drohende Verbannung Israels zeichenhaft vorwegzunehmen, weil dann „diesem widerspenstigen Volk vielleicht die Augen aufgehen“ (Hes 12,3), oder wenn Jeremia zur Verkündigung in die Städte Judas gesandt wird und Gott dabei der Hoffnung Ausdruck gibt, dass die Bewohner dann „vielleicht darauf hören und von ihren falschen Wegen umkehren“ (Jer 26,3), ferner wenn Gott im Blick auf Israels Götzendienst fragen kann: „Wie lange werden sie noch zur Reinheit unfähig bleiben?“ (Hos 8,5),8 dann schlägt sich hier nach Einschätzung der Offenen Theisten eine dynamische und ergebnisoffene Vorstellung der Geschichte Gottes mit dem Menschen nieder, die kaum mehr mit einem ‚klassischen‘ Gottesbegriff einzuholen ist.9 Über solche hervorstechenden Einzelstellen hinaus zieht besonders Boyd die biblische Gattung der prophetischen Texte überhaupt als Zeugin für ein offenes Verständnis der Zukunft heran, zumal er die überragende Mehrzahl der Prophetenbotschaften explizit oder implizit konditional versteht – der Prophet kündigt Gottes Heilshandeln an für den Fall der Umkehr Israels, und er droht mit dem Gerichtshandeln Gottes für den Fall fortgesetzter Unbußfertigkeit.10 Solche Prophetien sind nach Boyds Überzeugung „keine unbedingten Voraussagen dessen, was mit Sicherheit geschehen wird, sondern vielmehr Warnungen vor dem, was geschehen mag, wenn sich die Dinge nicht ändern“.11 Der zukünftige Verlauf der Dinge wird also gerade in der prophetischen Verkündigung meist nicht als einseitig festgesetzt vorgestellt, sondern von der Kooperation des Volkes abhängig gemacht – Gott tritt als Teilhaber einer interaktiven Geschichte mit dem Menschen in Erscheinung.12 Anstatt ein Problem für den Offenen Theismus 8 Vgl. Boyd, God of the Possible, 59. Vgl. Num 14,11; 1Kön 22,20. Boyd hält es für möglich, aber keineswegs notwendig, solche Fragen nur rhetorisch zu verstehen; ähnlich sieht es Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 80. 9 Vgl. Boyd, God of the Possible, 66; vgl. ders., The Open-Theist View, 30f; dann auch Pinnock, Most Moved Mover, 47f; ders., Systematic Theology, 122; sowie Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 79f. Sanders lehnt sich in der Darstellung dieses Motivs stark an die Studien von Terence Fretheim an: Vgl. v. a. Fretheim, The Suffering of God, 45–59. 10 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 93–95; ders., God of the Possible, 69f; vgl. auch Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 75–77; Pinnock, Most Moved Mover, 50f. 11 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 94. Boyd merkt an, dass „such prophecies may look like unconditional predictions when the conditions for God’s changing his mind aren’t met. But their conditional nature is revealed when the conditions are met.“ Vgl. in Übereinstimmung mit Boyd: Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 82, und auch schon Rice, Biblical Support for a New Perspective, 50f. 12 Zustimmend zitiert Boyd Terence Fretheim, der aus der „wenn/wenn nicht“ -Alternative vieler biblischer Prophetien folgert, dass „die Art und Weise, in der menschliche Akteure auf Gott und sein Handeln antworten, einen Unterschied [macht] im Blick auf die Gestalt der

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darzustellen, bekräftigt das Phänomen biblischer Prophetie die ‚offene Sicht Gottes‘ gerade, wie etwa auch Richard Rice festhalten kann.13 Markante Beispiele nicht allein für die dynamische, zukunftsoffene Teilhabe Gottes an der Geschichte, sondern auch für seine Angewiesenheit auf geschichtliche Lernprozesse sehen Boyd und Sanders schließlich in den zahlreichen Berichten göttlich initiierter Bewährungsprüfungen: „Gott stellt seinen Bundespartner regelmäßig auf die Probe, um zu sehen, ob er bereit ist, ihm zu folgen oder nicht.“14 Wer diese Prüfungen nicht zur bloßen Farce oder zum makabren Spiel erklären will, muss sich nach Ansicht der Offenen Theisten für die Vorstellung eines lernbereiten, im Zuge seiner Interaktion mit dem Menschen Neues entdeckenden Gottes öffnen: „Gott begehrt herauszufinden, ob das von ihm berufene Volk ihn aus Liebe allem anderen vorziehen würde.“15 Dem Einwand, dass die alttestamentlichen Bewährungsproben keinen Erkenntnisgewinn Gottes im Blick hätten, sondern vielmehr einen Erkenntnisgewinn der Geprüften – Israel oder ein individueller Bundespartner Gottes soll in der Hitze göttlicher Prüfungen etwas über sich selbst erfahren –, begegnen Boyd und Sanders dabei mit dem Wortlaut der Berichte selbst: Nachdem etwa Abraham die Prüfung Gottes bestanden und seine Bereitschaft bewiesen hat, sogar seinen Sohn Isaak um Gottes Willen herzugeben, erklärt Gott gemäß der Genesisüberlieferung feierlich: „Denn nun habe ich erkannt, dass du Gott fürchtest, weil du mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten hast“ (Gen 22,12). Der Text macht nach Beobachtung der Offenen Theisten Gottes Wissen um die Treue Abrahams ausdrücklich vom Ergebnis der vorausgegangenen Prüfung abhängig – „weil Abraham tat, was er tat, wusste Gott jetzt um die Verlässlichkeit seines Bundespartners“, stellt Boyd heraus,16 und auch Sanders betont, dass der biblische Wortlaut nur Gott selbst eine Lernerfahrung attestiert.17

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Zukunft für Gott und für Israel“ (Boyd, Satan and the Problem of Evil, 112; vgl. Fretheim, Divine Dependence on the Human, 9). Beide Zukunftsverläufe (entlang der Alternativen „wenn/wenn nicht“) müssen nach Fretheims und Boyds Urteil darum als „genuine Möglichkeiten“ anerkannt werden. Würde Gott dem Menschen eine positive Zukunft in Aussicht stellen, ohne dass es sich um eine echte Möglichkeit handelte, so wäre das „ein Akt der Täuschung“ (ebd.). Wenn aber „beide Zukunftsverläufe für Gott möglich sind, dann hat Gott noch nicht festgeschrieben und weiß noch nicht mit Sicherheit, welche Zukunft eintreten wird“. Gott kennt diese Zukunftsverläufe darum „als echte Möglichkeiten, wenn er auch sicher weiß, welcher Verlauf die höchste Wahrscheinlichkeit hat einzutreten“ (ebd.). Rice, Biblical Support for a New Perspective, 52. Boyd, God of the Possible, 63. Boyd, God of the Possible, 64; vgl. ders., Satan and the Problem of Evil, 106f; sowie Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 80. Boyd, God of the Possible, 64. Vgl. Ware, God’s Lesser Glory, 45. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 50. Vgl. auch die Ausführungen des Alttestamentlers Walter Brueggemann, der von Sanders wiederholt herangezogen wird: Brueggemann, Genesis, 187: „Verse 1 sets the test, suggesting God wants to know something.

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Diese und andere biblische Beispiele göttlicher Bewährungsprüfungen machen für Vertreter des Offenen Theismus klar, dass deren Sinn nicht (oder gewiss nicht ausschließlich) darin liegt, dem menschlichen Bundespartner sein Innerstes zu offenbaren – vielmehr erfolgen diese Prüfungen mit dem „ausdrücklichen Ziel, dass Gott selbst erfährt, wohin sich ihr Herz [dasjenige der Bundespartner, M. S.] neigen würde“.18 Sie sind damit ein herausragendes Beispiel für die Dynamik der Interaktion zwischen Gott und Mensch.19

2.1.2 Der enttäuschte Gott Unter einer zweiten Kategorie biblischer Referenzen können jene Stellen subsumiert werden, welche auf unerwartete Entwicklungen zurückschauen und namentlich die Enttäuschung Gottes über die Zurückweisung durch sein Volk zum Ausdruck bringen. Solche Beschreibungen präsumieren nach Einschätzung der Offenen Theisten die Vorstellung eines Gottes, der zwar von den tatsächlichen Ereignissen nie unvorbereitet getroffen oder „überrumpelt“ wird – denn er kann alle offenen Möglichkeiten antizipieren – der aber trotzdem „gelegentlich überrascht werden kann vom unwahrscheinlichen Verhalten des Menschen“.20 Während Sanders dieses Motiv vornehmlich an der biblischen Urgeschichte und der Abraham-Erzählung expliziert,21 trägt nach Boyds Darstellung die prophetische Überlieferung des Alten Testaments wesentlich zu dieser Textgruppe bei; v. a. die Bücher der Propheten Jesaja und Jeremia würden der Er-

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[…] It is not a game with God. God genuinely does not know. […] The flow of the narrative accomplishes something in the awareness of God. He did not know. Now he knows.“ In gleicher Weise werden von den Offenen Theisten auch die Berichte kollektiver Bewährungsprüfungen verstanden, wie sie etwa Deut 8,2 überliefert: Mose erinnert das versammelte Volk an dieser Stelle an die zurückliegende Wüstenwanderung und erklärt, dass „der HERR, dein Gott, dich diese vierzig Jahre in der Wüste hat wandern lassen, […] um dich zu prüfen und um zu erkennen, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht“ (Boyd, God of the Possible, 65). Nur wenige Kapitel später wird dann die Herausforderung durch falsche Propheten zur Sprache gebracht, und Mose macht erneut deutlich, dass Gott selbst durch diese zweifelhaften Botschafter sein Volk „prüft, um zu erfahren, ob ihr den HERRN, euren Gott, mit eurem ganzen Herzen und mit eurer ganzen Seele liebt“ (Deut 13,4): Boyd, God of the Possible, 65; vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 80: „Divine testing is a major motif in Scripture. God puts the people of Israel to the test to find out what their response will be (Ex 15:25; Deut 13:3). […] Why test them if God eternally knew with certainty exactly how the people would respond?“ Boyd, God of the Possible, 65. Vgl. den pointierten Abschnitt bei: Pinnock, Systematic Theology, 122. Boyd, The Open-Theism View, 24 – vgl. ebd., 28. Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 47 sowie ebd., 52: „In choosing to depend on human beings for some things, God takes the risk of being either delighted or disappointed in what transpires.“

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nüchterung Gottes im Blick auf die Sünde und Unbußfertigkeit Israels vielfältig Ausdruck geben.22 Mehrfach reflektiert Boyd etwa das Bild eines unfruchtbaren Weinberges, mit dem Jesaja 5 die Bemühungen Gottes um sein Volk veranschaulicht.23 In aller Deutlichkeit tritt für Boyd hier die Idee eines Gottes in Erscheinung, welcher auf die Umkehr seines Volkes hoffen, sie ernstlich erwarten und sogar um sie ringen kann („Was hätte ich für meinen Weinberg noch mehr tun können …“, Jes 5,4), ohne dass sie damit sichergestellt wäre.24 Vielmehr wird dem Volk Gottes nach der Einschätzung Boyds die Fähigkeit zugestanden, Gottes Pläne zu frustrieren und dem Lauf der Bundesgeschichte eine unerwartete Wendung zu geben. „Impliziert diese Passage nicht deutlich“, fragt Boyd darum, „dass die Zukunft Israels – des ‚Weinbergs‘ – noch unsicher war, bis Israel sie selbst festlegte durch seine Entscheidung, schlechte Beeren zu tragen?“25 Auch auf die Rede von der Enttäuschung Gottes in Jeremia 3 wird von Boyd im Interesse des Offenen Theismus ausgewertet.26 Der Text spricht im Bild der Ehebeziehung vom Bundesverhältnis Gottes zu seinem Volk und bringt wiederholt die Bestürzung Gottes über die beharrliche Untreue Israels und Judas zum Ausdruck (Jer 3,6–7). Weder die Ausstellung eines Scheidebriefes noch das eindringliche Werben Gottes um sein Volk vermögen es zur Umkehr zu bewegen (Jer 3,19–20: „Ich dachte, du würdest mich dann ‚Vater‘ nennen und dich nicht mehr von mir abwenden …“), was Boyd zur Frage veranlasst, „wie Gott ernstlich behaupten könnte, dass er dachte, Israel würde zu ihm umkehren, wenn er doch schon immer wusste, dass es dies nicht tun würde“.27 Die Enttäuschung Gottes über seine fehlgeschlagenen Versuche, Israels Treue wiederzugewinnen, kann nach Boyd vielmehr nur dann ernst genommen werden, wenn das Selbstbestimmungsrecht Israels anerkannt und die Offenheit seiner Bundesgeschichte mit Gott festgehalten wird.28 In manchen biblischen Erzählungen schlägt die Enttäuschung Gottes über die Halsstarrigkeit seines Volkes oder die Eigensinnigkeit einzelner Schlüsselfiguren auch in ausdrücklichen Zorn um – und zuweilen wird dieser im Gerichtshandeln 22 Vgl. Boyd, The Open-Theism View, 24f; ders., Satan and the Problem of Evil, 100f; ders., God of the Possible, 62f. 23 Vgl. Boyd, The Open-Theism View, 24f; ders., Satan and the Problem of Evil, 101; ders., God of the Possible, 59f. 24 Boyd, God of the Possible, 59f. 25 Boyd, God of the Possible, 60. 26 Vgl. Boyd, The Open-Theism View, 25; ders., Satan and the Problem of Evil, 100f; ders., God of the Possible, 60. 27 Boyd, God of the Possible, 60 – sowie zur selben Stelle: ebd., 119. 28 Boyd, God of the Possible, 61; Gottes Allwissenheit und seine Kenntnis der Zukunft werden von Boyd in der Weise gedeutet, dass Gott immer schon „um die unwahrscheinliche Möglichkeit wusste, dass sein Volk sich derart halsstarrig zeigt. Aber er hat nicht ernsthaft erwartet, dass sie diese Möglichkeit verwirklichen, sondern vielmehr dass er sie mit seiner Gnade für sich gewinnen würde“ (ebd.).

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Gottes wirksam. Für diese zugespitzten Formen der Frustration Gottes halten Boyd und Sanders gleichermaßen fest, dass ihnen nur ein dynamisches, offenes Verständnis der Geschichte gerecht wird: Der Ärger Gottes wird geweckt und sein Zorn entbrennt gegen seinen Bundespartner, eben weil er von ihm ein anderes Verhalten erwartet hat und von dessen mangelnder Einsicht negativ überrascht ist.29 Ein prominentes Beispiel dafür finden die Offenen Theisten in der Eigenart der Gerichtsbotschaft Gottes in Hes 22: Nachdem Gott die eklatante Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit Israels angeprangert hat (Hes 22,17–29), hält er Ausschau nach einem gottesfürchtigen Menschen, der das drohende Unheil durch sein Gebet abwenden könnte – aber er scheint dem biblischen Bericht gemäß niemanden finden zu können, der für sein Land vor Gott „in die Bresche treten würde“ (Hes 22,31–31). Gottes Gericht folgt demnach auf seine eingehende Suche nach einem Fürbitter in den Reihen der Israeliten – ein Vorhaben, dessen Erfolglosigkeit nach Boyd nicht als gegeben verstanden werden sollte: „Die Feststellung, dass Gott einen Fürbitter für Israel einsetzen wollte, legt doch nahe, dass er es für möglich hielt, einen willigen Fürbitter zu finden“.30 Erst nachdem sich Gottes Suche als vergeblich erweist, also in authentischer Enttäuschung über das Fehlen auch nur eines einzigen Gerechten, entzündet sich der Zorn Gottes, wie Boyd klarstellt.31 Sanders seinerseits rekurriert in der Behandlung dieses Motivs stark auf den jüdischen Gelehrten Abraham Heschel und legt das Phänomen der Frustration Gottes über die erfahrene Zurückweisung auf den Linien der Heschel’schen Rede vom „göttlichen Pathos“ aus.32 Dabei stellt er weniger das Moment der Unvorhersehbarkeit, wohl aber die Dynamik und Interaktivität der Beziehung Gottes zum Menschen in den Vordergrund. Und er sieht auch und gerade in der biblischen Rede von der Enttäuschung und dem daraus erwachsenden Zorn Gottes die Verletzlichkeit der Liebe Gottes manifestiert, wie sie der klassische Gottesbegriff seiner Überzeugung nach nur schwer integrieren kann.33

29 Vgl. Boyd, The Open-Theism View, 28f; ders., God of the Possible, 62f; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 65–67; sowie ebd., 224. 30 Boyd, God of the Possible, 63. 31 Boyd, God of the Possible, 63. 32 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 65–68; vgl. Heschel, The Prophets, 285–413 – und besonders ebd., 358–392. 33 Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 65f.

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2.1.3 Der reuige Gott Ein weiteres Motiv zur biblisch-exegetischen Herleitung der ‚offenen Sicht Gottes‘ sehen alle Vertreter des Offenen Theismus in der alttestamentlichen Rede von der Reue Gottes. Hier kumulieren gewissermaßen die vorausgehenden Motive in einer für den ‚klassischen‘ Gottesbegriff besonders anstößigen Weise: Nicht nur scheint Gott sich an diesen Stellen vom Verlauf der Dinge überraschen und vom Handeln des Menschen enttäuschen zu lassen – er kann sogar seinen eigenen Umgang mit dem Volk Israel oder einzelnen Bundespartnern kritisch reflektieren und Bedauern über sein vorausgegangenes oder angekündigtes Handeln äußern.34 Dabei betonen die Verfechter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ ausdrücklich, dass „das Motiv des Gesinnungswandels Gottes in der Schrift keineswegs nebensächlich“ ist, sondern „sich vielmehr durch das biblische Narrativ hindurchzieht“ und darum auch biblisch-theologisch zur Geltung gebracht werden muss.35 Zunächst können zu dieser Gruppe jene Passagen gezählt werden, in denen Gott reumütig auf von ihm bereits ausgeführte Taten zurückschaut. Der Rede von der Reue Gottes geht hier ein spezifisches Handeln Gottes am Menschen voraus – sein Schöpfungs-, Erwählungs- oder Gerichtshandeln etwa, welches nun im Lichte der darauffolgenden Entwicklungen einer neuen, selbstkritischen Beurteilung unterzogen wird. Weil seine Geschichte mit dem Menschen in unerwarteter Weise verläuft, weil er sich – pointiert ausgedrückt – im Menschen täuscht, bereut Gott sein eigenes Handeln im Nachhinein. Insofern es sich zumeist um negative Überraschungen oder Enttäuschungen Gottes durch den Menschen handelt, könnte man im Sinne des Offenen Theismus auch sagen: Die Taten des Menschen werfen ihren Schatten zurück auf das Handeln Gottes und stellen es nachträglich in Frage.36 Die biblischen Belegstellen hierfür sind im Urteil aller Offenen Theisten durchaus gewichtig – angefangen mit der Urgeschichte des Genesisbuches, wo 34 Die Auseinandersetzung der Offenen Theisten mit dem Phänomen der Reue Gottes findet sich v. a. in Boyd, God of the Possible, 55–58 und 81–85; ders., Satan and the Problem of Evil, 102–104; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 71–83; Pinnock, Most Moved Mover, 43f; Rice, Biblical Support for a New Perspective, 26–35; ferner ders., God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 79–80; Oord, The Uncontrolling Love of God, 110–112. 35 Vgl. Boyd, God of the Possible, 85; vgl. auch – unter Rückgriff auf die Studien Terence E. Fretheims –: Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 77. Zur Differenzierung der biblischen Reueaussagen vgl. auch Rice, Biblical Support for a New Perspective, 27. 36 An diesem Punkt hat sich der Vorwurf der Kritiker des Offenen Theismus entzündet, der Gott der ‚Offenen Sicht‘ könne sich irren und Fehler machen – vgl.: Ware, God’s Lesser Glory, 19; Piper, The Error and Injury of Open Theism, 371–384, hier: 372f; und in Antwort darauf: Boyd, The Open-Theism View, 26f; ders., God of the Possible, 61; ders., Satan and the Problem of Evil, 101; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 133f.

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Gott nicht allein seine Enttäuschung über die Verdorbenheit des Menschen zum Ausdruck bringt, sondern grundsätzlicher noch seine Reue im Blick auf die Erschaffung der Menschheit überhaupt (Gen 6,5–6). Gleich zweifach hält dieser Text nach Boyd fest, dass Gott sein eigenes Handeln einer Neueinschätzung unterzieht und zu einem revidierten Urteil kommt.37 Angesichts der ausufernden Bosheit der Menschheit stellt Gott die Berechtigung ihrer Erschaffung selbst in Frage – er „bereut, den Menschen gemacht zu haben“ (Gen 6,6). Zum dahinterstehenden Verständnis der Teilhabe Gottes an der Geschichte der Menschheit fragt Boyd rhetorisch: „Setzt nicht die Feststellung, dass Gott den Ausgang der Dinge bereute – bis zum Punkt, dass er noch einmal neu beginnt – voraus, dass es gerade nicht von vornherein feststand, dass die Menschen derart tief in die Verdorbenheit sinken würden?“38 Gleiches gilt nach den Vertretern einer ‚offenen Sicht Gottes‘ etwa für die Berufungsgeschichte Sauls: Nicht nur die Enttäuschung Gottes über die fehlende Bewährung des neuen Königs kommt in dieser Erzählung pointiert zum Ausdruck (1Sam 13,13–14), sondern gleich zweifach auch die Reue Gottes hinsichtlich der Erwählung Sauls überhaupt (1Sam 15,10–11 und 1Sam 15,35). Gott bereut also in Reaktion auf das enttäuschende Handeln eines Menschen auch sein eigenes Handeln – eine Behauptung, die wiederum nur innerhalb einer ergebnisoffenen Geschichte Gottes mit seinen Geschöpfen einsichtig gemacht werden kann: Der gesunde Menschenverstand sage uns doch, meint Boyd zu dieser Stelle, „dass wir eine Entscheidung nur dann bereuen können, wenn die Entscheidung zu einem Ergebnis führte, mit dem wir zum Zeitpunkt der Entscheidung gerade nicht gerechnet und auf das wir nicht gehofft hatten“.39 Der zwischen die beiden Reuetexte von 1Sam 15 eingefügten Reuenegation (1Sam 15,29: „Der HERR … lügt nicht, … und es gereut ihn nicht; denn er ist nicht ein Mensch, dass ihn etwas gereue …“; vgl. fast gleichlautend auch Num 23,19) begegnen Boyd und Sanders indes mit einer harmonisierenden Deutung.40 Boyd erinnert an andere Stellen gerade in der prophetischen Überlieferung, die Gottes Entschlossenheit zu einem bestimmten Handeln bekräftigen durch die Versicherung, dass er sich nicht mehr umstimmen und sich seine Absichten nicht mehr gereuen lassen will (Hes 24,14: „Ich, der HERR, habe geredet. Es kommt, und ich tue es; ich lasse nicht nach … und lasse es mich nicht gereuen“; vgl. Sach 8,14–15). Analog dazu versteht Boyd auch die Reuenegation in 1Sam 15: Samuel ist so erschüttert und verärgert über das gescheiterte Königtum Sauls, dass er die ganze Nacht im Gebet verbringt – offenbar, so folgert 37 Boyd, God of the Possible, 55. 38 Boyd, God of the Possible, 55; vgl. ders., Satan and the Problem of Evil, 102f. 39 Boyd, God of the Possible, 56; vgl. ders., Satan and the Problem of Evil, 103; vgl. zur selben Stelle: Boyd, The Open-Theist View, 26. 40 Vgl. Boyd, God of the Possible, 79f; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 73–75.

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Boyd, um Gottes Gesinnung noch einmal umzustürzen und Sauls Verwerfung rückgängig zu machen (1Sam 15,11). Aus dieser durchwachten Nacht kommt Samuel mit der bitteren Gewissheit hervor, dass Gott sich in diesem Fall nicht umstimmen lassen will. Es bestehe aber ein bedeutender Unterschied zwischen „nicht können“ und „nicht wollen“, betont Boyd hierzu.41 Der fehlende Wille Gottes, sich diese spezifische Entscheidung gereuen zu lassen, setzt seine grundsätzliche Fähigkeit zur Reue gerade voraus: „Diese Ausnahmen bestätigen also die Regel. Es ist nur dann sinnvoll zu sagen, dass Gott seine Gesinnung nicht ändern wird, wenn zugestanden wird, dass er seine Gesinnung ändern könnte, wenn er es wollte.“42 Die Reuenegation von 1Sam 15,29 liest Boyd also nicht als Beschreibung der prinzipiellen Unfähigkeit, sondern des partikularen Unwillens Gottes, von einer Handlungsabsicht wieder abzurücken oder den Kurs seines Handelns zu korrigieren.43 In gleicher Weise verfährt Boyd mit Num 23,19, und er zieht ein Fazit aus seiner Auseinandersetzung mit den zwei prekären Texten, welches sich mit Sanders’ Einschätzung weitgehend deckt: „Es besteht kein Grund, diese beiden Stellen in einem wörtlicheren Sinne zu verstehen als jene, die festhalten, dass Gott seine Gesinnung ändern kann und es auch tut. Im Kontext gelesen können beide Aussagelinien als akkurate Beschreibungen Gottes aufgefasst werden – Gottes Gesinnung ist unveränderlich in jeder Hinsicht, in der es tugendhaft ist, unveränderlich zu sein, und zugleich ist sie offen für Veränderung in jeder Hinsicht, in der es tugendhaft ist, offen zu sein. Kein Widerspruch muss aufgelöst werden.“44 Zu den biblischen Zeugnissen der Reue Gottes gehören dann aber auch jene Stellen, in denen Gott seine ausdrücklichen Absichten und Beschlüsse aufgrund unerwarteter Entwicklungen revidiert. Nicht bereits vollführte, aber schon ausgemachte und angekündigte Handlungen Gottes werden hier also kritisch überdacht: Gott bereut das Unheil, das er über den Menschen bringen wollte, oder – seltener – das Heil, das er ihm verheißen hat. Diese Belege für die Fähigkeit und Bereitschaft Gottes, seine Gesinnung zu wandeln und seine Pläne anzupassen, sind nach Einschätzung der Offenen Theisten v. a. deshalb brisant, weil sie in gewissem Sinne Gottes öffentliche Handlungsprognosen falsifizieren. Wird 41 Boyd, God of the Possible, 80; vgl. auf denselben Linien: Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 75. 42 Boyd, God of the Possible, 80 (Hervorhebungen dem Original entsprechend). Dieser Interpretation stehen im Deutschen jene Bibelübersetzungen entgegen, die ausdrücklich vom Nicht-Reuen-Können Gottes sprechen (Luther: „… denn er ist nicht ein Mensch, dass ihn etwas gereuen könnte“, ebenso die Elberfelder Übersetzung). Die meisten englischsprachigen Übersetzungen sind für Boyds Interpretation zugänglicher (ESV: „… for he is not a man, that he should have regret“, ähnlich NIV: „… that he should change his mind“ und KJV: „… that he should repent“). Der hebräische Text scheint indes beide Arten der Wiedergabe zuzulassen. 43 Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 73. 44 Vgl. Boyd, God of the Possible, 81; Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 70.

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Gott von der menschlichen Bußfertigkeit überrascht, zeigt er sich bereit, auf die Durchsetzung des Gerichts zu verzichten und seine eigenen Voraussagen unerfüllt zu lassen. Er riskiert den Vorwurf der Inkonsequenz oder sogar der Falschaussage um der Gnade an seinem Bundespartner willen. Umgekehrt kann Gott auch eine Heilszusage zurücknehmen, wenn der Mensch sich unerwartet von ihm abwendet. „Gott ändert seinen Sinn in Reaktion auf geschichtliche Ereignisse“ – diese bemerkenswerte und manche Gottesvorstellung irritierende Beweglichkeit hält Boyd für den „stärksten Aspekt der Offenheit Gottes“.45 Kardinalzeuge hierfür ist für die Offenen Theisten das Töpfergleichnis in Jeremia 18.46 Bildhaft wird an dieser Stelle sowohl die Bereitschaft Gottes beschrieben, sich angesichts der Bußfertigkeit des Volkes seines angekündigten Unheils gereuen zu lassen, wie auch umgekehrt die Bereitschaft Gottes, seine guten Pläne für sein Volk in Reaktion auf deren Bosheit wieder zurückzuziehen. Boyd deutet diese parallelisierte Darstellung als pointierten Ausdruck der Flexibilität Gottes: Gott passt sein Vorgehen dem Gebaren seines Gegenübers an, stürzt seine eigenen Pläne wieder um und ergreift alternative Maßnahmen, wenn die Dynamik seiner Geschichte mit dem Menschen es verlangt. So wie der Töpfer sein Tongefäß überarbeite, wenn sich seine ursprüngliche Absicht nicht verwirklichen lasse, resümiert Boyd, so könne Gott auch seine ursprünglichen Pläne ändern, wenn es die Umstände erforderten.47 Entgegen einer verbreiteten deterministischen Lesung dieser Stelle (wie auch ihrer prominenten neutestamentlichen Parallele in Röm 9,20–22) scheint der Ton in den Händen Gottes keineswegs leblos zu sein; „er hat vielmehr einen eigenen Sinn und Willen, auf den Gott entsprechend reagiert“.48 Das Töpfergleichnis etabliert nach jeremianischer (und paulinischer) Vorstellung darum gerade die Idee einer „gnadenvollen Beweglichkeit Gottes“ und darf als Paradebeispiel für „die Beziehung des Gebens und Nehmens“ zwischen Gott und Mensch gelten, wie Sanders in Übereinstimmung mit anderen Vertretern des Offenen Theismus herausstellt.49 45 Boyd, God of the Possible, 75. 46 Boyd, God of the Possible, 75f; vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 85–92 (bes. 90f); sowie ebd., 25f; ferner Rice, Biblical Support for a New Perspective, 31f. 47 Boyd, God of the Possible, 76. 48 Boyd, God of the Possible, 76f. 49 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 90; Rice, Biblical Support for a New Perspective, 32; Boyd, God of the Possible, 77. Nur auf diesem Hintergrund wird nach Boyd auch die Konsequenz deutlich, auf die das Töpfergleichnis in Jeremia 18 zugeht. Gott offenbart dem Propheten nämlich seine bereits ausgemachten Pläne zum Gericht und fordert sein Volk dann trotzdem heraus, noch zu ihm umzukehren (Jer 8,11) – augenscheinlich, wie Boyd bemerkt, um den göttlichen Entschluss damit noch einmal umzustoßen (Boyd, God of the Possible, 141f). Sowohl die alttestamentlichen wie die neutestamentlichen Vergleiche Gottes mit einem Töpfer bezeugen nach dem Dafürhalten der Offenen Theisten just das Gegenteil dessen, wofür sie in der ‚klassischen‘ Theologie deterministischer Prägung zumeist in Anspruch genommen wurden (Boyd, God of the Possible, 141).

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Die thematische Auffächerung des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

Auf individueller Ebene liefert ferner die Heilungsgeschichte Hiskias (2Kön 20) ein bemerkenswertes Exempel der Umkehr Gottes, auf welches die Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ aufmerksam machen:50 Obwohl Jesaja dem kranken König seinen sicheren Tod prophezeit, vermag das inständige Gebet Hiskias Gott zu einer Verlängerung seines Lebens um 15 Jahre zu bewegen (2Kön 20,6; vgl. den Rekurs auf diese Episode in Jer 26,13 unter ausdrücklicher Rede von der Reue Gottes). Für Boyd und die übrigen Vertreter des Offenen Theismus steht außer Zweifel, dass die herkömmliche Interpretation der Krankheitsgeschichte Hiskias unter der Voraussetzung eines lückenlosen Vorauswissens Gottes nicht umhinkommt, Gott der Doppelzüngigkeit zu bezichtigen. Wäre es nicht schlicht unehrlich, Hiskia sein sicheres Ende anzukündigen, wenn Gott doch schon wusste, dass er ihn nicht würde sterben lassen, kann Boyd fragen.51 Die Geschichte gibt ihm darum weiteren Anlass, die Zukunft auch in Gottes Augen nicht als unveränderlich feststehend anzunehmen, sondern ihr eine Offenheit für verschiedene Entwicklungen zuzugestehen – und sie steht nach Beobachtung der Offenen Theisten exemplarisch für eine ganze Reihe alttestamentlicher Texte, die Gottes Gesinnungswandel von der Fürbitte Einzelner abhängig machen.52 V. a. Boyd führt eine Fülle von Belegen an, die im Zusammenhang mit dem persönlichen Gebet explizit oder implizit von der Reue Gottes sprechen, und er konstatiert einen erzählerischen Dreischritt, der im Numeribuch besonders häufig aufzutreten scheint: (1) Gott zeigt sich erzürnt über die Untreue seines Bundesvolkes und beschließt, es zu vernichten oder mindestens hart zu strafen; (2) Mose wirft sich im Gebet zwischen Gott und sein Volk und bittet um die Abwendung des Zornes und um Gnade für Israel; (3) Gott wird vom Gebet des Mose bewegt, verschont sein Volk und lässt seine Gerichtsankündigung unerfüllt (oder deren Erfüllung unabgeschlossen).53 50 Vgl. Boyd, God of the Possible, 82; ders., Satan and the Problem of Evil, 95; ders., The OpenTheism View, 36; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 76; Pinnock, Most Moved Mover, 48. In der Einleitung zu God of the Possible (ebd., 7) offenbart Boyd, dass es diese alttestamentliche Erzählung, welche ihn „about seventeen years ago“ (das entspricht etwa dem Jahr 1983) veranlasst habe, die traditionelle Auslegung solcher Stellen unter der Voraussetzung des lückenlosen Vorauswissens Gottes zu hinterfragen (Boyd, God of the Possible, 7). 51 Boyd, God of the Possible, 82. 52 Vgl. v. a. Boyd, God of the Possible, 83f sowie 157–169; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 75f – Sanders spricht von über 30 Beispielen für die biblische Rede von der Reue Gottes, von denen er einige zur näheren Untersuchung herausgreift. 53 Boyd, God of the Possible, 157f; vgl. auch ders., Satan and the Problem of Evil, 229f; sowie ders., Is God to Blame?, 126f. Num 11,1–2, 14,12–20, 16,20–35 und 16,41–48 variieren dieses dramatische Schema, es lässt sich nach Boyds Untersuchungen aber etwa auch in der wendungsreichen Erzählung der Wüstenwanderung Israels nach Ex und Deut nachweisen – vgl. Deut 9,13–29; Ex 32,14 (und den Rekurs des Psalmisten auf dieses Narrativ in Ps 106,23). In ähnlicher Weise wird ferner in den Erzählungen zur Königszeit Israels das Gericht Gottes

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Schließlich aber liefert die Jona-Erzählung nach Ansicht aller Vertreter des Offenen Theismus ein besonders eindringliches und anschauliches Beispiel für die Reue Gottes.54 Das ganze Jonabuch kann nach Boyds Einschätzung begriffen werden als eine provokative Veranschaulichung der Bereitschaft Gottes, seine Gesinnung zu ändern und sein Gerichtswort unerfüllt zu lassen.55 Das an die Verschonung Ninives anschließende Gebet des Jona hebt die Reue dann sogar als wesenhafte Qualität Gottes hervor und erscheint gewissermaßen als Klimax der Beschreibung göttlicher Liebe, die selbst dem Propheten zu weit geht (Jona 4,2: „Ach, HERR! War das nicht meine Rede, als ich noch in meinem Land war? Deshalb floh ich schnell nach Tarsis! Denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langsam zum Zorn und groß an Güte, und einer, der sich das Unheil gereuen lässt“), wie Boyd, Sanders, Pinnock und Rice unisono festhalten.56 Dieser Kontext wiederum erinnert an Joel 2,12–13 – auch hier wird die Reue Gottes ausdrücklich seiner Gnade, Barmherzigkeit und Geduld beigeordnet und als Grund zur Hoffnung auf sein gnadenhaftes Eingreifen vorgestellt. Gerade diese bekenntnishaften Stellen machen es dem Urteil Boyds und Sanders’ nach unmöglich, die biblische Rede von der Reue Gottes als unbedeutende Randerscheinung oder das „eigentliche“ Wesen Gottes verfehlende Ausdrucksform abzutun – und Rice hält pointiert fest: „Gott ändert seine Gesinnung nicht, obwohl er Gott ist – er ändert seine Gesinnung, gerade weil er Gott ist.“57

2.2

Auseinandersetzung mit biblischen ‚Gegentexten‘

2.2.1 Texte im (vermeintlichen) Widerspruch zur ‚Offenheit Gottes‘ Nun ist den Vertretern einer ‚offenen Sicht Gottes‘ bewusst, dass sich auch die ‚klassische‘ Theologie in augustinisch-calvinischer Tradition prominent auf biblische Überlieferungen stützt – und dass deren zeitgenössische Verfechter den Anspruch erheben, der alt- und neutestamentlichen Gottesrede weitaus ge-

54 55 56 57

durch das Gebet Einzelner abgewendet – vgl. 2Sam 24,17–25; 1Kön 21,21–29; 2Kön 13,3–5; 2Chr 7,12–14; 2Chr 12,5–8; sowie, in der prophetischen Literatur: Am 7,1–6; Joel 2,12–14; Hes 33,13–15. Boyd, God of the Possible, 85; ders., Satan and the Problem of Evil, 94f; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 75f; Pinnock, Most Moved Mover, 43f; Rice, Biblical Support for a New Perspective, 27; ders., God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 79f. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 94f. Belege s. o., Anm. 54. Rice, Biblical Support for a New Perspective, 31, vgl. ebenso: Pinnock, Most Moved Mover, 44: „It is the very character of God ‚to relent from punishing‘ (Jon 4:2).“ Ferner Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 78: „Divine repentance is here placed right alongside divine grace and love as a key characteristic of God.“

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rechter zu werden als der Offene Theismus. Es sind dann vor allem zwei sich überschneidende Arten von Texten und biblischen Motiven, welche von Opponenten des Offenen Theismus zur Bekräftigung eines ‚klassischen‘ Gottesbegriffs im Allgemeinen und eines deterministischen Vorsehungsverständnisses im Besonderen in Anschlag gebracht werden. Richard Rice fasst sie unter den Begriffen „Prophetie“ und „Vorherbestimmung“ zusammen und mutmaßt schon in der Studie God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, dass viele seiner Leser die Glaubwürdigkeit der ‚offenen Sicht Gottes‘ in Frage stellen würden, weil die in der Bibel bezeugten Ankündigungen kommender Begebenheiten sowie die Rede von der Vorherbestimmung spezifischer Ereignisse zu implizieren schienen, „dass Gott die gesamte Zukunft im Voraus kennt und ihren Verlauf in allen Einzelheiten kontrolliert“.58 Eben dafür argumentiert mit besonderem Nachdruck und in mehreren Publikationen der herausragende Kritiker des Offenen Theismus, Bruce Ware.59 Seine Ergebnisse werden wiederum in Millard Ericksons Auseinandersetzungen mit dem Offenen Theismus rezipiert,60 während sich beide Autoren auf die zweifellos ausführlichste Studie zum Vorauswissen Gottes nach dem Zeugnis des Alten und Neuen Testaments berufen: Stephen C. Roy’s Werk How Much Does God Foreknow? A Comprehensive Biblical Study – eine überarbeitete und gekürzte Version seiner über 800 Seiten umfassenden Dissertation: How Much Does God Foreknow? An Evangelical Assessment of the Doctrine of the Extent of the Foreknowledge of God in Light of the Teaching of Open Theism.61 Akribisch 58 Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 75. Vgl. insgesamt: ebd., 75–82 („Prophecy and the Openness of God“) und 83–98 („Predestination and the Openness of God“), sowie ders., Biblical Support for a New Perspective, 11–15, sowie ebd., 46–58. Dann auch die Auseinandersetzung der anderen Offenen Theisten mit denselben Kategorien von Texten: Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 85–92; sowie ebd., 130–139; Pinnock, Most Moved Mover, 49–51; und besonders ausführlich: Boyd, God of the Possible, 21–52. Boyd unterscheidet zunächst Texte, welche (1) Gott ein Wissen um das künftige Schicksal seines Volkes als Ganzes attestieren, von Texten, welche (2) Gottes Voraussicht auf das Ergehen einzelner Individuen betreffen; sodann ordnet Boyd einer weiteren Gruppe (3) jene Stellen zu, welche Gottes Vorherbestimmung bestimmter Aspekte des Lebens und Sterbens Jesu zuschreiben. Eine weitere Kategorie (4) bilden nach Boyd die Belege für die vornehmlich neutestamentliche Rede von der Vorherbestimmung der Erwählten, und in einer letzten Gruppe (5) sammelt Boyd die gleichfalls neutestamentlichen Ankündigungen endzeitlicher Ereignisse. Selbst Boyds feingliedrige Entfaltung lässt sich aber wiederum auf die beiden biblischen Motive der göttlichen Voraussage sowie der Vorherbestimmung bestimmter Ereignisse zurückführen. 59 Vgl. v. a. Ware, God’s Lesser Glory; ders., Their God is too Small, 2003; ders., God’s Greater Glory, 2004. 60 Vgl. v. a. Erickson, What Does God Know and When Does He Know it?; sowie das frühere Werk ders., God the Father Almighty, 1998; vgl. ferner Ericksons Lob für Wares Studie God’s Lesser Glory – in Ware, God’s Lesser Glory, 2 (noch unnummeriert). 61 Roy, How Much Does God Foreknow?.

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untersucht Roy sämtliche biblischen Bücher und bringt eine Fülle an Belegstellen für Gottes Kenntnis der Zukunft zu Tage. Er will 164 Texte gefunden haben, die Gottes Vorauswissen explizit bekräftigen, 271 Stellen, die andere Aspekte der Allwissenheit Gottes bezeugen und nicht weniger als 4.017 „voraussagende Prophetien in den kanonischen Schriften“, welche Gottes Wissen um den Verlauf der Zukunft voraussetzen.62 „Die Schrift lehrt klar und deutlich, dass Gott um alles weiß, was in Zukunft geschehen wird“, hält Ware unter Verweis auf Roys Studie fest.63 Aus der „überwältigenden biblischen Evidenz“ für das Vorauswissen Gottes will er nur einen kleinen Ausschnitt auswerten.64 Die Darstellung Wares konzentriert sich v. a. auf die Gottesrede in Jesaja 40 bis 48 – eine Reihe prophetischer Worte, die „ein erstaunliches Bild vom Vorauswissen Gottes zeichnen“ und gemäß Wares Einschätzung die reichste und stärkste Passage der Bibel bilden, die sich zu Gottes Wissen um die Zukunft äußert.65 Der Prophet tröstet an dieser Stelle das zerschlagene Volk mit dem Zuspruch der Gegenwart Gottes und ruft es eindringlich zum Vertrauen in Gottes Verheißungen auf: Der Herr Israels wird sein Volk noch einmal befreien und wiederherstellen (Jes 43,15; 48,9–11). Die Vertrauenswürdigkeit Gottes wird dabei nach Wares Beobachtung wiederholt mit seiner Geschichtsmächtigkeit im Unterschied zur Ohnmacht und Sprachlosigkeit aller Götzen begründet – und in diesem Zusammenhang nehme gerade die Fähigkeit Gottes, sein Eingreifen im Voraus anzukündigen, eine zentrale Stellung ein.66 Nicht weniger als neun Textabschnitte macht Ware in diesen Kapiteln aus, welche ausdrücklich eben diese Aussage wiederholen und vertiefen: „Im Kontrast zu den Götzen, welche ihre Gottheit nur vorgeben“, erklärt Ware, „wird der Gott Israels als der wahre und lebendige Gott gerade daran erkannt, dass er die Zukunft kennt und im Voraus kundtut – einschließlich der zukünftigen Handlungen freier Wesen –, während seine betrügerischen Gegner zu solcher Kenntnis und Kundgabe nicht

62 Roy, How much does God foreknow?, 312; vgl. Roy: How much does God foreknow? (Blogeintrag). 63 Ware, God’s Lesser Glory, 100; vgl. ebd., Anm. 2, in der Ware die Ergebnisse der Studie Steven Roys zusammenfasst. Auch der Systematiker Millard Erickson stützt sich auf Roys Zählungen und lässt sich sogar zu Prozentrechnungen hinreißen: Erickson, What Does God Know and When Does He Know it?, 80: „Thus, on the most generous assessment, 1.617 texts, or 33.6875 percent of the texts, present a problem for the open theist view, and perhaps as high as 89.5 percent represent difficulties for that position, whereas the traditional view has difficulty with only 2.1875 percent.“ 64 Ware, God’s Lesser Glory, 100. 65 Ware, God’s Lesser Glory, 101f; auch Millard Erickson bezeichnet Jesaja 41–48 als „locus classicus of the traditional view of divine foreknowledge“: Erickson, What Does God Know and When Does He Know it?, 41. 66 Ware, God’s Lesser Glory, 103.

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imstande sind.“67 Schon aufgrund dieser Schriftbelege ist für Ware klar, dass die Gewissheit des Glaubens an Gottes Kenntnis der Zukunft gebunden ist – und dass es „um der schieren Einzigartigkeit Gottes und um seiner unübertrefflichen Herrlichkeit willen“ daran festzuhalten gilt, dass Gott genaues und umfassendes Vorauswissen der Zukunft besitzt.68 Darüber hinaus verweist Ware auf Beispiele konkreter biblischer Verheißungen und deren Erfüllung, wie sie etwa in den Visionen des Buches Daniel oder den johanneischen Ankündigungen Jesu zu den spezifischen Umständen seines bevorstehenden Todes begegnen, um die Zweifellosigkeit des lückenlosen Vorauswissens Gottes zu demonstrieren.69 Während Boyd und andere Vertreter des Offenen Theismus die grundsätzliche Unvorhersehbarkeit zumindest jener Ereignisse behaupten, deren Eintreten von menschlicher Beteiligung abhängig ist – weil wahrhaft freie Akte ihrem Urteil nach nicht vorausgesagt werden können –, hebt Ware hervor, dass es sich bei den von ihm zitierten Beispielen gerade um „unbedingte und genaue Voraussagen“ handelt, welche zugleich „ganz bestimmte zukünftige Entscheidungen oder Handlungen freier Wesen erfordern“.70 Überhaupt beschuldigt Ware die Verfechter des Offenen Theismus, in ihrer Auseinandersetzung mit der prophetischen Überlieferung die Kategorie unbedingter Voraussagen zu unterschlagen oder zu vereinnahmen, indem die entsprechenden Texte als implizit konditionale Aussagen verstanden werden, deren Erfüllung ungeachtet der apodiktischen Sprache des Prophetenwortes doch von der Kooperation der angesprochenen Subjekte abhängig sein soll.71 Ware will dagegen eine umfangreiche Kategorie biblischer Prophetien anerkennen, welche auf unverrückbar feststehende, aber gleichwohl die Beteiligung freier Subjekte einschließende Ereignisse vorausschauen: „Gott kündigt an, was sicher eintreten wird, selbst wenn dieses Eintreten durch das Mittel menschlicher Entscheidungen und Handlungen erfolgt.“72 Steven Roy listet dann in einer online zugänglichen Zusammenstellung der Ergebnisse seiner Studie ganze 2.323 biblische Texte auf (aus den 4.017 Belegen für 67 Ware, God’s Lesser Glory, 102 (Hervorhebungen dem Original entsprechend); die spezifischen Textabschnitte, welche Ware analysiert, sind: Jesaja 41,21–29; 42,8–9; 43,8–13; 44,6–8; 44,24–28; 45,20–23; 46,8–11; 48,3–8; 48,14–16. 68 Ware, God’s Lesser Glory, 121 – in alarmierendem Ton fügt Ware hierzu an: „I shudder to think of how God may judge any proposal that would deny of him his self-chosen and selfproclaimed means by which to demonstrate all of these truths. God is God and God is glorious, and God has said that we know this to be true because ‚I declare the end from the beginning.‘“ (Hervorhebungen im Original) Vgl. zu denselben Jesajatexten Erickson, What Does God Know and When Does He Know it?, 42. 69 Ware, God’s Lesser Glory, 125–127. 70 Ware, God’s Lesser Glory, 130 (Hervorhebungen dem Original entsprechend); vgl. übereinstimmend und im Rückgriff auf Ware: Erickson, What Does God Know and When Does He Know it?, 45f. 71 Ware, God’s Lesser Glory, 130–138. 72 Ware, God’s Lesser Glory, 136 (Hervorhebungen dem Original entsprechend).

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„voraussagende Prophetien in den kanonischen Schriften“ …), in denen Voraussagen getroffen werden, welche „menschliche freie Entscheidungen betreffen oder von Ereignissen sprechen, die mit solchen freien Entscheidungen einhergehen“.73 Gerade in dieser Form prophetischer Ankündigungen und ihrer Erfüllung manifestiert sich nach Wares Überzeugung in besonderer Klarheit Gottes Herrschaft über der Geschichte.74 Wenn Ware auch zugesteht, dass die biblischen Zeugnisse nicht explizit vom umfassenden, lückenlosen Vorauswissen Gottes im dogmatisch-grundsätzlichen Sinne sprechen und also die Möglichkeit einzelner unvorhergesehener Ereignisse nicht kategorisch ausschließen, so hält er es doch für offensichtlich, dass nur Gottes vollständiges Vorauswissen die entsprechenden Überlieferungen, insbesondere die zahlreichen prophetischen Voraussagen, „ganz und befriedigend erklären“ kann.75 Dass Gott vollständiges Vorauswissen besitzt, ist nach Ware also die überzeugendste Schlussfolgerung aus der Auswertung des biblischen Materials.76 Mit der reformierten Tradition „und überhaupt mit dem orthodoxen Erbe“ der Kirche will er festhalten, „dass Gott keine Überraschungen in der Zukunft erwarten“,77 und er schließt den theologischen Hauptteil seines Buches dann mit einem eigentlichen anti-offen-theistischen Bekenntnis: „Gott gewinnt im Verlauf der Zeit keine Erkenntnisse dazu, er stellt sein Handeln nicht im Nachhinein in Frage, er ist nicht erstaunt über das, was sich ereignet oder nicht ereignet, und er ist niemals beunruhigt im Blick auf den ultimativen Erfolg seiner Absichten – vielmehr kennt er das Ende vom Anfang her und hat uns in unmissverständlicher Weise klargemacht, wie diese Zukunft aussehen wird.“78

2.2.2 Harmonisierende Lesungen der widersprechenden Texte Vertreter des Offenen Theismus zeigen sich von den Versuchen ihrer Kritiker, die ‚offene Sicht Gottes‘ unter Berufung auf biblisch überlieferte Ankündigungen kommender Ereignisse sowie auf Aussagen zur göttlichen Vorherbestimmung zu falsifizieren, wenig beeindruckt. Viele der von Ware und anderen Verfechtern des umfassenden Vorauswissens Gottes vorgebrachten Einwände haben sie in der Entfaltung ihrer eigenen Entwürfe bereits antizipiert, und sie halten an ihren 73 74 75 76

Roy, How much does God foreknow? (Blogeintrag). Ware, God’s Lesser Glory, 136. Ware, God’s Lesser Glory, 140. Ware, God’s Lesser Glory, 141. Übereinstimmend auch Roy, How Much Does God Foreknow, 23: „The model of exhaustive divine foreknowledge that embraces all of the future, including free human decisions, is best able to account for the data of Scripture.“ 77 Ware, God’s Lesser Glory, 159. 78 Ware, God’s Lesser Glory, 159f.

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Die thematische Auffächerung des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

Erklärungen der strittigen Texte auch angesichts fortgesetzter Kritik weitgehend fest.79 Die grundsätzliche interpretatorische Strategie der Offenen Theisten besteht darin zu zeigen, dass die von ihren Gegnern vorgebrachten Texte zwar mit der Vorstellung des umfassenden Vorauswissens Gottes vereinbar sein mögen, dass sie eine solche Vorstellung aber keineswegs bedingen.80 Namentlich Boyd, Rice und Sanders sind bemüht nachzuweisen, dass auch eine offen-theistische Perspektive den entsprechenden biblischen Überlieferungen durchaus gerecht werden kann.81 Sie stützen sich dafür wesentlich auf eine Einsicht, die in der obigen Darstellung des Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ schon zur Sprache kam: Die Beschäftigung mit den Ankündigungen kommender Ereignisse in der Bibel führt diese Vertreter des Offenen Theismus nämlich zur Überzeugung, dass eine ‚offene Sicht Gottes‘ dem Phänomen biblischer Prophetie nicht nur nicht widerspricht, sondern dass sie dieses weitaus besser erklären kann, als es die ‚klassische‘ Vorstellung eines umfassenden Vorauswissens Gottes vermag. Richard Rice etwa stellt bereits in God’s Foreknowledge and Man’s Free Will heraus, dass es den prophetischen Überlieferungen der Bibel im Unterschied zu anderen religionsgeschichtlichen Erscheinungen im Alten Orient gerade nicht um bloße Weissagungen geht: „Ihre erste Absicht ist nicht, den unausweichlichen Ausgang der Zukunft zu prognostizieren“, ist Rice überzeugt, sondern vielmehr „die Absichten eines personalen Wesens zu offenbaren“ und den Menschen zur Einwilligung in die Heilspläne Gottes herauszufordern und für eine gemeinsame (Bundes-)Geschichte zu gewinnen.82 Die biblische Sicht der Prophetie gehe darum Hand in Hand mit der ‚offenen Sicht Gottes‘, resümiert Rice: Sie betone die Offenheit der Zukunft und die dynamische Qualität der Beziehung Gottes zur Welt.83 Sowohl Rice wie auch Boyd und Sanders machen dies bekanntlich nicht nur am generellen Wesen, sondern auch am konkreten Wortlaut biblischer Prophetien fest – gerade die zahlreichen Beispiele ausdrücklich konditional formulierter Prophetenworte („wenn/dann“-Struktur) sprechen ihrer Ansicht nach unzweideutig für die Vorstellung eines noch offenen, von der Kooperation 79 Man vergleiche hierzu v. a. Sanders „Excursus on Predictions and Foreknowledge“ in der ersten Auflage von The God Who Risks mit dem Exkurs zur „Divine Repentance and Foreknowledge“ in der zweiten Auflage: Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 129–138; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 71–83. Sanders nimmt im Exkurs der zweiten Auflage die Kritik von Bruce Ware auf, bekräftigt dabei aber seine bisherige Lesung der Texte. 80 Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 138; sowie Boyd, God of the Possible, 29. 81 Vgl. hierzu v. a. Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 75–98; Boyd, God of the Possible, 21–52; ders., Satan and the Problem of Evil, 109–112; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 71–92. 82 Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 77. 83 Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 77.

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des Menschen abhängigen Verlaufes der Zukunft.84 Schließlich aber folgert besonders John Sanders auch von der fraglichen Erfüllung vieler Prophetenworte her auf einen dynamischen, ergebnisoffenen Charakter biblischer Verheißungen.85 Ein Gott mit umfassender und unzweifelhafter Voraussicht auf die Zukunft könne sich in seinen Ankündigungen niemals täuschen, argumentiert Sanders – er müsse das Kommende „immer genau treffen“.86 Die Tatsache, dass eine ganze Reihe biblischer Prophetien nicht oder zumindest nicht genau wie verheißen eingetroffen sind, spricht in Sanders’ Einschätzung dafür, prophetische Voraussagen eben nicht als „prospektive Historiographie“ zu verstehen, sondern vielmehr als „Proklamation der Absichten Gottes“, deren Verwirklichung flexibel und im Lichte sich verändernder Umstände revidierbar ist.87 Wenn Ware das Bestreben der Offenen Theisten auch sicher richtig erkennt, so viele prophetische Äußerungen der Bibel wie möglich in diesem flexiblen und konditionalen Sinne zu verstehen,88 so sind doch auch Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ durchaus bereit, unbedingte prophetische Voraussagen Gottes anzuerkennen. Gerade in den von Ware, Erickson und anderen Kritikern ins Zentrum gestellten Kapiteln 40–48 aus dem Buch Jesaja können Offene Theisten Beispiele für nicht an Bedingungen geknüpfte göttliche Verheißungen finden.89 Boyd und Sanders gestehen gleichermaßen ein, dass der Prophet hier die Anerkennung der Gottheit Gottes von dessen Geschichtsmächtigkeit abhängig macht: Der Herr Israels versuche in diesem Teil des Jesajabuches wiederholt, sein Volk zur Umkehr zu bewegen, indem er es in seine Zukunftspläne einweiht, macht Sanders deutlich. Gott kündige sein Heilshandeln im Voraus an, damit Israel es unzweideutig als solches erkennt.90 Im Unterschied zu den Kritikern des Offenen Theismus sehen deren Vertreter aber keinen Anlass, zur Erklärung solcher Texte die Vorstellung eines umfassenden Vorauswissens Gottes zu be84 Vgl. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 109, sowie ders., God of the Possible, 69f; Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 80f; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 79f. 85 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 81f. 86 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 82. Als entsprechend verkrampft beurteilt Sanders die Versuche konservativer Evangelikaler, für offensichtlich unerfüllte Prophetien doch noch Folgeereignisse zu finden, die sich als Erfüllungen interpretieren lassen. 87 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 82. Sanders stützt sich in diesem Zusammenhang mehrfach auf die Studie von Renz, Proclaiming the Future, 17–58. Außerdem weist Sanders darauf hin, dass ausgerechnet Bruce Ware zur Erklärung nicht erfüllter Verheißungen Gottes auf die Kategorie der konditionalen Prophetien zurückgreift – ein Vorgehen, wofür ihm Sanders Inkonsistenz vorwirft (ebd., 82). 88 Ware, God’s Lesser Glory, 133: „Open Theists […] claim that virutally any divine prophecy may be exempt from exact fulfillment.“ Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 82. 89 Boyd, God of the Possible, 29f; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 77f;Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 78f. 90 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 78.

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mühen. Sie beobachten zunächst, dass es bei den entsprechenden Jesajatexten um sehr spezifische Ereignisse gehe – namentlich um das bevorstehende Ende des babylonischen Exils – und dass deren Ankündigung nicht für Gottes generelle Kenntnis der Zukunft sprechen müsse.91 „Das mag eine mögliche Lesung der Texte sein“, konzediert Sanders, „aber es ist keine notwendige.“92 Sodann beobachten Sanders, Boyd und Rice einmütig, dass Gott an diesen Stellen lediglich ankündigt, was er in Zukunft unwiderruflich zu tun beabsichtigt: Gott beziehe sich hier nicht auf Informationen, die er über die Zukunft besitze, stellt Boyd klar, sondern auf seine eigenen Intentionen im Blick auf die Zukunft.93 Auch Richard Rice beruft sich auf Jesaja 40–48 zur Erklärung jener Kategorie prophetischer Aussagen, welche das feststehende zukünftige Handeln Gottes anzeigen. Er hält es für problemlos mit einer ‚offenen Sicht Gottes‘ vereinbar, dass Gott das Eintreten bestimmter Ereignisse voraussagen könne, eben weil dieser beabsichtige, sie durch sein aktives Eingreifen unbedingt herbeizuführen.94 Es zeigt sich in dieser Argumentation die von den Offenen Theisten auch philosophisch schon verteidigte Überzeugung von der Fähigkeit und Berechtigung Gottes, wenigstens in seltenen Fällen einseitig ins Geschehen dieser Welt einzugreifen und die Verwirklichung bestimmter Zustände oder Ereignisse sicherzustellen.95 Sichtlich schwerer fällt den Vertretern des Offenen Theismus die Erklärung jener biblischen Voraussagen, die sich nicht auf das zukünftige Handeln Gottes beziehen, sondern auf das spezifische Verhalten freier Subjekte. Als Paradebeispiele hierfür können die in allen Passionsgeschichten der Evangelien getroffenen Ankündigungen der Verleugnung und des Verrats Jesu durch Petrus und Judas dienen (zur Verleugnung durch Petrus vgl. Mt 26,34; Mk 14,30; Lk 22,34; 91 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 78 – Sanders widerspricht hier direkt der Behauptung Bruce Wares, die Sprache der strittigen Texte impliziere nicht nur ein partikulares, sondern ein generelles Vorauswissen Gottes – vgl. Ware, God’s Lesser Glory, 119f. 92 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 79 (Hervorhebungen M.S.). 93 Boyd, God of the Possible, 29f; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 77f; Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 78f; vgl. im Wortlaut etwa Jes 46,10f (Hervorhebungen M.S.): „Ich habe von Anfang an verkündigt, was hernach kommen soll, und vorzeiten, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Was ich beschlossen habe, geschieht, und alles, was ich mir vorgenommen habe, das tue ich. […] Wie ich’s gesagt habe, so lasse ich’s kommen; was ich geplant habe, das tue ich auch.“ 94 Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 78. 95 Hier liegt ein entscheidender Unterschied des Offenen Theismus zur Prozesstheologie. Sicher nicht zufällig fügt Boyd gerade seiner Erklärung zu Jesaja 40–48 einen kurzen Abschnitt zum Verhältnis seiner Sicht mit der Prozesstheologie an (Boyd, God of the Possible, 31f). Boyd macht hier (in m. E. unangemessener und übertriebener Weise) die Differenzen dieser beiden Modelle stark und hebt besonders hervor, dass Gott im Offenen Theismus den Entwicklungen der Geschichte und dem freien Willen des Menschen eben nicht einfach ausgeliefert sei: „God is not at the mercy of chance of free will. This understanding of divine sovereignty contrasts sharply with a popular liberal theological movement called ‚process theology‘“ (ebd., 31).

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Joh 13,38; zum Verrat durch Judas vgl. Mt 26,20–25; Mk 14,18–21; Lk 22,21–23; Joh 13,18).96 Unter der von den evangelikalen Vertretern und Kritikern des Offenen Theismus gleichermaßen geteilten Voraussetzung, dass es sich dabei um authentische Prädiktionen aus dem Munde Jesu handelt – und nicht etwa nur um nachträgliche literarische Konstruktionen, mit denen die messianische Glaubwürdigkeit Jesu bekräftigt werden sollte – versuchen Boyd, Sanders und Rice zunächst, die Möglichkeit solcher Ankündigungen aus dem „präsentischen Wissen“ Gottes herzuleiten. Sanders hebt hervor, dass die genannten Voraussagen nicht „aus heiterem Himmel“ gemacht wurden, sondern vielmehr aus dem Kontext der engen Beziehung Jesu zu seinen Jüngern hervorgehen.97 Zum Zeitpunkt des letzten gemeinsamen Abendmahls habe sich Jesu Kenntnis der Jünger genügend vertieft und die öffentliche Stimmung gegen seine Person ausreichend zugespitzt, um akkurate Aussagen über das zukünftige Verhalten von Petrus und Judas zu treffen, sind sich die Vertreter des Offenen Theismus einig.98 Ihrer Einschätzung nach macht es die fortgeschrittene Verfestigung des Charakters der betreffenden Figuren möglich, ihr Schicksal im Voraus zu bestimmen.99 Sollte deren Verhalten aber doch noch nicht unausweichlich festgestanden haben, konzedieren zumindest Boyd, Sanders und Rice, so könnten die entsprechenden Voraussagen Jesu auch als konditionale Prophetien gelesen werden: Jesus hätte in diesem Fall aufgrund seines Wissens um den geistlichen Zustand seiner Nachfolger und die sich anbahnenden Widrigkeiten die Gefahr ihres Abfalls antizipiert – und mit seinen Ankündigungen an Judas, Petrus und die übrigen Jünger beabsichtigt, sie vor einem solchen Gang der Dinge zu warnen und das Eintreffen des vorausgesagten Unheils gerade zu verhindern.100 Es sei jedenfalls augenscheinlich, fasst Boyd zusammen, dass die Annahme eines umfassenden Vorauswissens Gottes nicht nötig sei, um sich aus den biblischen Voraussagen individuellen Verhaltens einen Reim zu machen: „Wir brauchen nur anzunehmen, dass Gott vollkommene Kenntnis der Vergangenheit und der Gegenwart besitzt“.101 96 Vgl. die Erklärungen hierzu bei: Boyd, God of the Possible, 35–39; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 135–139; Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 95–97; ders., Biblical Support for a New Perspective, 55f. 97 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 137. 98 Vgl. Boyd, God of the Possible, 35f; sowie Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 137. 99 Diese Erklärung wird von Boyd mit besonderem Nachdruck bemüht – vgl. Boyd, God of the Possible, 35: „Sometimes we may understand the Lord’s foreknowledge of a person’s behavior simply by supposing that the person’s character, combined with the Lord’s perfect knowledge of all future variables, makes the person’s future behavior certain.“ Vgl. zu Boyds Theorie der „character solidification“ auch Boyd, Satan and the Problem of Evil, 186–190. 100 Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 95f; vgl. Boyd, God of the Possible, 38; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 137f. 101 Boyd, God of the Possible, 37. Zur Kritik vgl. Ware, God’s Lesser Glory, 127f.

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Im Blick auf spezifische Einzelheiten in dieser Kategorie prophetischer Ankündigungen – etwa das Zusammenspiel der dreimaligen Verleugnung des Petrus mit dem dreimaligen Krähen des Hahns oder auch die Namensgebung des Perserkönigs Kyrus, welche nach konservativer Datierung des (Deutero-)Jesajabuches über ein Jahrhundert vor dessen Aufstieg zur Herrschaft vorausgesagt wurde (Jes 44,24–28) und darum gewiss nicht aus einer Extrapolation von „präsentischem Wissen“ erklärbar ist – müssen Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ doch wieder auf das Prärogativ Gottes zurückgreifen, einseitig zu intervenieren und bestimmte Ereignisse herbeizuführen. Ihre Erklärungen versuchen dabei zwar, die Freiheit der involvierten Personen möglichst intakt zu halten: Sowohl Boyd wie auch Sanders berufen sich auf die Fähigkeit Gottes, die Ereignisse und Umstände so zu „orchestrieren“, dass das prophetisch vorausgesagte Verhalten ohne Zwang gewissermaßen natürlicherweise erfolgt.102 Sie kommen dann aber doch nicht umhin zuzugestehen, dass etwa die weit vorausgreifende namentliche Ankündigung des Perserkönigs Kyrus nur erklärbar ist, wenn „der Freiheit der betreffenden Eltern, ihr Kind zu benennen, enge Grenzen gesteckt waren“.103 Solche Interpretationen wirken gepresst und kommen gefährlich nahe an deterministische Auffassungen des Wirkens Gottes heran – ein Umstand, der auch den Kritikern des Offenen Theismus nicht entgangen ist. Bruce Ware setzt sich eingehend mit den Kyrus-Prophezeiungen auseinander und stellt geradezu triumphierend fest, dass auch Boyd zu deren Erklärung die offen-theistische Verpflichtung auf die Wahrung der menschlichen Freiheit aufgeben und von einer eingeschränkten Ausübung des Wahlvermögens sprechen muss.104 Solche Konzessionen sind für Ware ein untrügliches Zeichen dafür, dass die „offene“ Lesung besagter Texte an ihre Grenzen stößt: Gerade die biblischen Zeugnisse prophetischer Voraussagen passen seiner Überzeugung nach „schlicht nicht zum Modell libertarischer Freiheit“, wie es die Offenen Theisten aufrechterhalten wollen.105 Im Fazit aus seiner Entfaltung der alt- und neutestamentlichen Evidenz für die ‚Offenheit Gottes‘ gesteht dann zumindest Sanders ein, dass manche seiner Erklärungen für prekäre Bibeltexte etwas „erzwungen“ erscheinen könnten – er betont aber, dass es den Offenen Theisten mit den ‚klassischen‘ Lesungen all jener Überlieferungen, die von der Reue, Enttäuschung oder Überraschung Gottes sprechen, genauso gehe.106 Schließlich 102 Boyd, God of the Possible, 35f; Sanders scheint sich freilich eher für eine konditionale Deutung der Vorhersage von Petrus’ Verleugnung auszusprechen – er beruft sich hier auf die Erklärung von Lorenzo McCabe, einem frühen Vordenker des Offenen Theismus. Vgl. McCabe, The Foreknowledge of God, 86–94. 103 Boyd, God of the Possible, 35. 104 Ware, God’s Lesser Glory, 108–113; bes. 110. 105 Ware, God’s Lesser Glory, 111. 106 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 139.

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ist er sich mit den anderen Vertretern des Offenen Theismus einig, dem „Gesamtzeugnis der Schrift“ mit ihrer ‚offenen Sicht Gottes‘ weitaus gerechter zu werden als Verfechter einer ‚klassischen‘ Gotteslehre unter Voraussetzung des umfassenden Vorauswissens Gottes.107

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Kritische Reflexion

2.3.1 Die Berechtigung des biblisch-theologischen Anliegens des Offenen Theismus Schon der zusammenfassende und ordnende Blick auf das Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ gibt einen Eindruck von der Gründlichkeit, mit der die Vertreter des Offenen Theismus die biblischen Überlieferungen auf Zeugnisse der wechselseitigen und unvorhersehbaren Dynamik zwischen Gott und Mensch hin befragen. Von der Urgeschichte über die Mose-Erzählungen bis zu den Propheten und unter Berufung auf verschiedene biblische Textgattungen verfolgen sie das Motiv der ‚Offenheit Gottes‘, insbesondere die unkonventionelle Rede von der Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes. Die fast erschöpfende Untersuchung des biblischen Materials und die Fülle an Belegstellen, die v. a. Boyd und Sanders zu Tage fördern, ist dabei nicht allein dem Anspruch auf eine breite biblische Verankerung theologischer Aussagen geschuldet und sollte auch nicht als bloßes biblizistisches „Versezählen“ gewertet werden. Vielmehr will die Darstellung des Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ in ihrer Diversität und Massivität eine neue Vertrautheit schaffen mit einer Art der Gottesrede, die nach Beobachtung aller Vertreter des Offenen Theismus biblisch- wie systematisch-theologisch geradezu strategisch vernachlässigt wurde.108 Dieses Anliegen teilen die Offenen Theisten vor allem mit Terence Fretheim, einem profilierten Gelehrten des Alten Testaments, an dessen Arbeiten sowohl Sanders wie auch Boyd und Rice explizit anknüpfen.109 Fretheim beschäftigt sich besonders eingehend mit dem Phänomen der Reue Gottes, welches gewissermaßen als provokative Spitze jener Gottesrede gelten darf, die von den Offenen Theisten unter dem Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ verhandelt wird. Seinen programmatischen Aufsatz The Repentance of God: A Key to Eva107 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 139; vgl. Rice, Biblical Support for a New Perspective, 15. 108 Vgl. etwa Boyds einleitende Bemerkungen zum Kapitel zum „Motiv der Offenheit Gottes“: Boyd, God of the Possible, 54. 109 Vgl. in dieser Arbeit Abschnitt 4.2.1. Zahlreiche Bezüge auf Fretheim finden sich in Pinnock (et al.): The Openness of God; Boyd, Satan and the Problem of Evil, und in Sanders, The God Who Risks.

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luating Old Testament God-Talk (1988), auf den die Offenen Theisten vielfach rekurrieren, beginnt Fretheim mit der Feststellung, dass „die göttliche Reue eines der am stärksten vernachlässigten Themen der biblischen Forschung“ sei.110 Die einschlägigen Theologien des Alten Testaments würden die göttliche Reue höchstens beiläufig erwähnen, und sogar ausführliche exegetische Kommentare zu jenen biblischen Büchern, welche die nahezu 40 Referenzen auf die göttliche Reue enthalten, würden das Thema meist kommentarlos übergehen.111 Fretheim verweist auf eine kleine Zahl von Aufsätzen, die sich den biblischen Zeugnissen der Reue Gottes widmen, sowie auf die einzige damals greifbare Monographie, die dieses Thema bearbeitet: Jörg Jeremias’ grundlegende (und nur in deutscher Sprache zugängliche) Studie Die Reue Gottes: Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung (1975).112 Auch Jeremias stellt zunächst die weitgehende Vernachlässigung dieses alttestamentlichen Theologumenons fest, und er verfolgt deren Spuren zurück bis ins Jubiläenbuch aus dem 1. Jh. v. Chr. Hier wird Gottes Ankündigung der Sintflut, wie sie Gen 6,1–13 berichtet, ausführlich nacherzählt – „die Aussage über die Reue Gottes aber bleibt unerwähnt und wird verschwiegen“.113 Josephus und die Qumrantexte übergehen dieses Motiv nach Jeremias’ Beobachtung ebenso konsequent, und sowohl bei den Rabbinen wie bei den Kirchenvätern zeige sich eine auffallende Zurückhaltung im Umgang mit der biblischen Rede von der Reue Gottes.114 Noch im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Studie von 1996 verweist Jeremias auf die fehlende Auseinandersetzung mit der göttlichen Reue auch in den zeitgenössischen Entwürfen alttestamentlicher Theologie. Übereinstimmend mit Terence Fretheim hält er fest, dass die „Brisanz und das theologische Gewicht“ der entsprechenden biblischen Texte „noch weithin der Entdeckung“ harrt.115 Es ist das ausdrückliche Ziel des Offenen Theismus, einen Beitrag zu dieser Entdeckung zu leisten und das entsprechende „Motiv der Offenheit Gottes“ theologisch zu würdigen – wenn auch deren Vertreter von der Studie Jeremias’ (wohl aufgrund der fehlenden englischen Übersetzung) keine Notiz nehmen, sondern sich exegetisch und bibeltheologisch vornehmlich auf Fretheim stützen.

110 Fretheim, The Repentance of God, 47; vgl. auch Fretheim, The Suffering of God, 17. 111 Fretheim, The Repentance of God, 47. 112 Jörg Jeremias: Die Reue Gottes, 1975 (1st Edition), 1996 (2nd Edition), 2002 (3. Auflage) – vgl. die Verweise darauf bei: Fretheim, The Repentance of God, 11; sowie ferner ders., Divine Foreknowledge, Divine Constancy, and the Rejection of Saul’s Kingship, 596, Anm. 3. 113 Jeremias, Die Reue Gottes, 11. 114 Jeremias, Die Reue Gottes, 11. 115 Jeremias, Die Reue Gottes, 5. Jeremias versäumt es seinerseits, von Fretheims inzwischen erschienenen Studien zum alttestamentlichen Reuezeugnis Kenntnis zu nehmen.

Kritische Reflexion

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2.3.2 Das Schriftverständnis hinter der Verteidigung des Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ Diese Aufgabe nehmen die Offenen Theisten trotz aller Kritik an der ‚klassischen‘, im Evangelikalismus verbreiteten Gotteslehre doch noch immer unter Annahme eines evangelikal-konservativen Schriftverständnisses in Angriff. Im besten Sinne bedeutet dies die Verpflichtung auf eine kanonische Exegese, welche die einzelnen Texte im Kontext der gesamten Bibel liest und ihr Gotteszeugnis in die umfassende (Heils-)Geschichte Gottes einzuordnen sucht. Boyds, Sanders’ und Rices Aufarbeitung der biblischen Belegstellen zum Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ und ihre Auseinandersetzung mit den von ihren Kritikern vorgebrachten ‚Gegentexten‘ beweist ihr durchgängiges Interesse an einer konsistenten theologischen Interpretation der Bibel in ihrer Endgestalt. In seinem jüngsten Werk The Crucifixion of the Warrior God (2017) schließt sich Gregory Boyd explizit (wenn auch mit einigen Modifikationen) dem „kanonischen Schriftzugang“ seines Lehrers in Yale, Brevard Childs, an – die übrigen Vertreter des Offenen Theismus stehen zumindest in gewisser Nähe zu diesem Ansatz.116 Im Unterschied zu Childs und anderen prominenten Vertretern der „kanonischen Exegese“ oder der „biblischen Theologie“ teilen die Vertreter des Offenen Theismus allerdings das für den Evangelikalismus konstitutive Bekenntnis zur Widerspruchsfreiheit der Bibel und zur theologischen Integrierbarkeit ihres Gotteszeugnisses im Einzelnen und im Ganzen. Der Fokus auf die von der Glaubensgemeinschaft tradierte Endgestalt des biblischen Textes ist hier demnach gerade kein Weg, unter Anerkennung zahlreicher innerbiblischer Widersprüche doch noch von der Einheit der Schrift reden zu können,117 sondern vielmehr eine Konsequenz der Überzeugung, dass sich Gott durch die Geschichte Israels und der Gemeinde hindurch in konsistenter Weise offenbart hat und also in den biblischen Schriften ein zwar vielstimmiges, aber letztlich doch widerspruchsfrei darstellbares Zeugnis seiner selbst überliefert. Besonders deutlich tritt dies in der Erklärung scheinbar unvereinbarer biblischer Texte zu Tage, wie sich etwa am Beispiel der Reuenegation in 1Sam 15 zeigen lässt: Die bekenntnishafte Aussage „Gott ist nicht ein Mensch, dass ihn etwas gereuen könnte“ (1Sam 15,29), ist hier geradezu eingerahmt durch eine zweifache Bekräftigung der Reue Gottes hinsichtlich der Erwählung Sauls zum 116 Vgl. Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Vol. 1, 6f, Anm. 9; 130f; sowie ders., What I’ve Been Reading Lately. 117 Vgl. hierzu die Anmerkung von John Barton zur Einheit der Schrift im Ansatz einer „biblischen Theologie“: „It is only after we have seen how varied and inconsistent the Old Testament really is that we can begin to ask whether it can nonetheless be read as forming a unity. To put it briefly: the canon critic is asking whether the Bible may not have a unity after all“ (Barton, Reading the Old Testament, 78; Hervorhebungen im Original).

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König (1Sam 15,11 und 1Sam 15,35). Alle Vertreter des Offenen Theismus, welche sich mit diesem Text beschäftigen, versuchen sich unmittelbar an einer theologischen Glättung seiner spannungsreichen Aussagen.118 Der in der alttestamentlichen Exegese wiederholt unternommene Versuch, den widersprüchlichen Textbefund mit verschiedenen Überlieferungsebenen zu erklären oder die zwischen die beiden Feststellungen der Reue Gottes eingeschobene Reueverneinung (1Sam 15,29) als nachträgliche korrigierende Glosse zu verstehen,119 wird von keinem Vertreter des Offenen Theismus überhaupt in Erwägung gezogen. Dasselbe gilt für buch- und epochenübergreifende Differenzen in der biblischen Rede von Gottes Wesen und Handeln. So scheint für die Offenen Theisten etwa von vornherein klar zu sein, dass die auf Gottes Geschichtsmächtigkeit und Voraussicht fokussierte Gottesrede in Jesaja 40–48 mit dem Zeugnis der Enttäuschung und Reue Gottes in anderen biblischen Überlieferungen in Übereinstimmung zu bringen ist. Sie bemühen sich darum um eine gesamtbiblischharmonisierende Interpretation dieser Texte, ohne die Frage zu stellen, ob das (deutero-)jesajanische Gottesbild mit anderen – etwa vorexilischen oder neutestamentlichen – biblischen Traditionen nicht auch in bleibender Dissonanz stehen könnte. Man wird insgesamt feststellen können, dass dem Interesse der Offenen Theisten an einer gesamtbiblischen Einordnung und theologischen Auswertung der alt- und neutestamentlichen Texte zum Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ ein auffallendes Desinteresse an den Entstehungsbedingungen und Überlieferungsprozessen ebendieser Texte gegenübersteht. Sofern dieser Umstand der Überzeugung geschuldet ist, dass die literar-, form- und traditionsgeschichtlichen Instrumente der historisch-kritischen Methode bei aller wissenschaftlichen Berechtigung theologisch doch meist wenig austragen, können sich die Offenen Theisten noch auf den Impuls einer „biblischen Theologie“ im Gefolge Brevard Childs’ und anderer Proponenten berufen.120 Ihre bleibende Verwurzelung in evangelikalen Denkvoraussetzungen lässt aber eher vermuten, dass die Offenen Theisten mit der im Evangelikalismus verbreiteten Ablehnung oder zumindest Verdächtigung der historisch-kritischen Methode an und für sich übereinstimmen und jener Herangehensweise an die Texte aus diesem Grunde kaum Be-

118 Vgl. Boyd, God of the Possible, 79f; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 75; sowie die Ausführungen zu 1Sam 15 im Abschnitt 2.1.3 in dieser Arbeit. 119 Vgl. zu den verschiedenen Strategien zur Erklärung des spannungsvollen Befundes in 1Sam 15 v. a. Döhling, Der bewegliche Gott, 218f. 120 Vgl. etwa die Kritik an den dürftigen Ergebnissen historisch-kritischer Bibelforschung bei Childs, Biblical Theology in Crisis, 142: „The inadequacy of the historicocritical method for the theological task of exegesis of Scripture is painfully evident in the modern concept of the Biblical commentary.“

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achtung schenken.121 Auf jeden Fall aber belegt gerade der biblisch-exegetische Schlagabtausch der Offenen Theisten mit ihren evangelikalen Kritikern, dass sie deren unsäglichen Gebrauch der Bibel als ‚Datenbank‘ oder ‚literarischen Steinbruch‘ zur Konstruktion einer Gotteslehre zwar nicht teilen122 – dass sich aber doch auch die Vertreter des Offenen Theismus von einem gewissen unhistorischen Rigorismus in der Auslegung biblischer Texte nur schwer befreien können. Eben darum müssen sie sich an Problemen abarbeiten, welche sich etwa unter Berücksichtigung der Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte bestimmter Texte gar nicht erst ergeben würden.

2.3.3 Die Problematik dieses Schriftverständnisses für die Erklärung der strittigen Texte Als Beispiel für diese Provokation biblisch-theologischer Erklärungsnotstände im Offenen Theismus kann der erwähnte Umgang mit der Kyrus-Prophezeiung im Jesajabuch oder mit den Leidensankündigungen Jesu im den Evangelien dienen. Offensichtlich verbietet es sich auch den Offenen Theisten, für die zweite Hälfte des Jesajabuches (bzw. für die Kapitel 40–55) eine spätere, exilische Abfassungszeit anzunehmen – was sie vor die Aufgabe stellt, eine Erklärung für die namentliche Ankündigung des Perserkönigs Kyrus mehrere Generationen vor dessen Geburt zu finden (Jes 44,28; 45,1), ohne damit die Freiheit der involvierten Personen in Frage zu stellen. Das Ergebnis bei Boyd, Sanders und Rice macht einen ähnlich verkrampfen Eindruck wie deren Auseinandersetzung mit der Voraussicht Jesu auf die Umstände seines Todes: Auch hier scheinen sich die Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘ nicht frei zu fühlen, die Entstehungsgeschichte und Schriftwerdung der entsprechenden Überlieferungen zur Geltung zu bringen oder zumindest in Betracht zu ziehen, dass es sich bei einigen jener im „Verheißungs-Erfüllungs“-Schema präsentierten Ereignisse auch um rückblickende Interpretationen oder Klärungsversuche handeln könnte. (Boyd beschränkt sich selbst an dieser Stelle besonders deutlich, wenn er die Leidensankündigungen Jesu sogar mit dem „ewigen Plan Gottes“ verbindet und die Überzeugung äußert, dass die Passionsgeschichte eine ganze Reihe von „prä121 Vgl. allerdings das differenzierte Urteil von Gregory Boyd in Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Vol. 1, 4f, sowie die ausführliche Auseinandersetzung mit den Vorzügen und Grenzen historisch-kritischer Instrumente und die Entfaltung der Grundzüge einer „offenen historisch-kritischen Methodik“, welche die naturalistischen, eurozentrischen und chronozentrischen Verengungen herkömmlicher Exegese zu überwinden sucht, in Boyd/ Eddy, The Jesus Legend, 39–90. 122 Vgl. hierzu etwa die Anschauungsbeispiele in Anmerkung 63.

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destinierten Aspekten“ aufweist.123 Ihm scheint indes nicht aufzufallen, dass er damit eine Grundannahme des Offenen Theismus unterläuft – nämlich dass Gott den Menschen mit der Erschaffung dieser Welt in die Freiheit entlässt und damit zwar die Möglichkeit, aber keinesfalls die Notwendigkeit der Sünde einräumt. Eine in Ewigkeit vorherbestimmte Kreuzigung des Gottessohnes macht dagegen die Realität der Sünde unausweichlich.124) Einzig John Sanders deutet an, die ursprünglichen Ankündigungen Jesu hinsichtlich seiner Hinrichtung könnten auch ungenau und erklärungsbedürftig gewesen sein, zumal seine Jünger die Kreuzigung ihres Meisters trotz dieser Voraussagen augenscheinlich nicht erwartet zu haben scheinen.125 Die Evangelisten hätten ihre Wiedergabe der Worte und Handlungen Jesu schließlich unter der Voraussetzung seiner Auferstehung und im Kontext der christlichen Gemeinde formuliert, merkt Sanders an: „Die Dinge wurden klar nach den Ereignissen.“126 Über diese zaghaften Zugeständnisse bei Sanders hinaus finden sich in den biblisch-exegetischen Ausführungen der Offenen Theisten aber nur wenig Hinweise darauf, dass die Einsichten der neueren historisch-kritischen Forschung in die Genese der betreffenden biblischen Texte überhaupt wahrgenommen werden – geschweige denn, dass diese Einsichten zur Erklärung von Spannungen und Ungereimtheiten in der Gottesrede herangezogen würden oder dazu dienen könnten, das Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ auch im Blick auf seine Überlieferungsgeschichte zu durchdenken. Dieser Mangel ist bedauerlich, nicht allein weil Terence Fretheim und andere von den Offenen Theisten gerne zitierte Exegeten längst gezeigt haben, dass ein synchroner, kanonisch-heilsgeschichtlicher Zugang zur Bibel fruchtbar mit einem diachronen, formkritisch-traditionsgeschichtlichen Zugang verbunden werden kann und dem Offenen Theismus durch die Nichtbeachtung des Letzteren also möglicherweise wichtige Entdeckungen zum biblischen Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ entgehen. Die fehlende Interaktion 123 Boyd, God of the Possible, 45. Boyd bezieht sich hier etwa auf 1Petr 1,20; Offb 13,8 oder Apg 2,23 – Stellen, welche den Tod Jesu im Plan oder der Vorsehung Gottes „vor Grundlegung der Welt“ verankern. Eine theologisch-verallgemeinernde Lesung dieser Texte zwingt wohl tatsächlich zur Vorstellung einer ewig vorherbestimmten Selbsthingabe des Gottessohnes. Aber selbst wer sich darauf einlässt, wird noch einmal zurückfragen können, ob damit wirklich die Hinrichtung des Nazareners an einem römischen Kreuz als theologische Unausweichlichkeit festgehalten werden muss oder ob nicht vielmehr in einem weiteren Sinne die Begegnung des Menschen mit dem menschgewordenen Gottessohn zur ewigen Absicht Gottes zu zählen ist. Die Autoren der besagten biblischen Überlieferungen hätten diesen Gedanken dann unter den Bedingungen der Sünde und im Kontext der damaligen Zeit zum Ausdruck gebracht. An anderer Stelle kann Boyd ebendiese Sicht teilen – vgl. Boyd, Paul Young and Some Renegade Canadian Pastors: „I share [the view] that the Incarnation was not God’s ‚Plan B‘: it was rather the focal point of creation from the start.“ 124 Boyd, God of the Possible, 44–48. 125 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 136–138. 126 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 136 (Hervorhebung M.S.).

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mit dem historisch-kritischen Diskurs der Gegenwart schmälert zudem auch die Anschlussfähigkeit ihres Entwurfs und verhindert die Beachtung ihrer Ergebnisse über den US-amerikanischen Evangelikalismus hinaus.127 Als Indiz dafür lässt sich etwa die Dissertation Jan-Dirk Döhlings anführen: Der bewegliche Gott. Eine Untersuchung des Motivs der Reue Gottes in der Hebräischen Bibel (2009). Ausdrücklich schließt Döhling seine Auseinandersetzung mit dem Motiv der göttlichen Reue an die Studien von Jeremias und Fretheim an, „den beiden profiliertesten und nahezu einzigen Bearbeitern des Themas“,128 und er unternimmt in acht ausführlichen Einzelstudien zu den wichtigsten alttestamentlichen Zeugnissen der Reue Gottes einen großen Schritt zumindest in Richtung der exegetischen Ernstnahme dieser Texte. Mit der bisher unerreichten Detailtreue und Differenziertheit seiner Untersuchung und der hilfreichen Bündelung ihrer Ergebnisse bricht Döhling energisch das „verbreitete […] ‚Reue-Schweigen‘ in Theologie und Fachexegese“ und schafft eine hervorragende Grundlage für deren biblisch- und systematisch-theologische Verarbeitung. Wenn Döhling allerdings einleitend festhält, dass die Reue Gottes bis heute „nahezu keine Erwähnung an den Schnittpunkten zwischen der biblischen und systematisch-theologischen Gottesrede findet“,129 dann wird deutlich, dass er vom Offenen Theismus keinerlei Kenntnis genommen hat – einer theologischen Bewegung, welche sich just Terence Fretheim zum Kronzeugen genommen und sich intensiv bemüht hat, dessen exegetische und biblisch-theologische Erkenntnisse aufzunehmen, weiterzuführen und systematisch-theologisch zu verarbeiten. Nicht nur führen zahllose literarische und thematische, sondern auch einige biographische Linien von Terence Fretheim direkt zu führenden Vertretern des Offenen Theismus; zumindest Pinnock und Sanders standen in freundschaftlichem Kontakt mit Fretheim, und deren ursprüngliche Absicht, Fretheim für das biblisch-exegetische Kapitel des Gemeinschaftswerkes The Openness of God zu gewinnen, zeigt dessen positionale Nähe zum Offenen Theismus, wenngleich Fretheim den evangelikalen Hin-

127 Vgl. Erickson, What Does God Know and When Does He Know It?, 71. Als einziger Teilnehmer am Diskurs um den Offenen Theismus bringt Erickson an dieser Stelle zumindest die Möglichkeit zur Sprache, die innerbiblischen Spannungen in der Gottesrede quellen- und redaktionskritisch zu erklären. Er merkt auch an, dass einige exegetische Kronzeugen des Offenen Theismus wie etwa Fretheim und Brueggemann diesen Erklärungsansatz verfolgen, dass sich die Offenen Theisten ihnen darin aber nicht anschließen. „Without trying to draw the limits of evangelicalism too tightly“, hält Erickson schließlich fest, „this would seem to represent a different view of Scripture than has previously ordinarily been identified as evangelical“ (ebd.). 128 Döhling, Der bewegliche Gott, 5. 129 Döhling, Der bewegliche Gott, 5.

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Die thematische Auffächerung des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

tergrund dieser Bewegung nicht teilt.130 Auch wenn man den explizit exegetischen Fokus von Döhlings Arbeit in Betracht zieht, hätte die Auseinandersetzung des Offenen Theismus mit dem Reuethema zumindest in seiner Darstellung der Forschungsgeschichte oder auch in seinen abschließenden Folgerungen vom biblischen Phänomen der göttlichen Reue auf die heutige theologische Rede von Gott Erwähnung verdient – dies umso mehr, sofern die Offenen Theisten in vielen exegetischen Beobachtungen mit Döhling übereinstimmen und sich ihre ‚offene Sicht Gottes‘ als vorauseilende Umsetzung der Forderung Döhlings nach einer theologischen Ernstnahme der „Beweglichkeit Gottes“ verstehen lässt.131

130 So John Sanders in persönlicher Korrespondenz vom 31. 08. 2016: „Fretheim is a long-time friend of mine who regularly sent me publications that supported open theism. Originally, I had asked him to write the chapter on biblical materials for the Openness of God book. He did not have time to do that but he was quite helpful to the project.“ Vgl. ferner die Anmerkung bei: Rice, A Brief History of Open Theism, 1, Anm. 1 – sowie den Artikel von Olson, Process Theology (with Special Reference to Terence Fretheim). Olson war Professor an der Bethel University in St. Paul (wo auch Boyd als Professor arbeitete) und persönlicher Bekannter von Fretheim, der am Luther Theological Seminary ebenfalls in St. Paul lehrte. Olson weist hier die Behauptung zurück, Fretheim stehe in der Tradition der Prozesstheologie, und weist ihn vielmehr als Vorläufer oder frühen Vertreter des Offenen Theismus aus: „Fretheim was an open theist before that label existed; his work has inspired many open theists and they have used it to support their belief that the Bible portrays God as not knowing the future exhaustively and infallibly because the future is not yet fully settled.“ Vgl. schließlich die enthusiastische Empfehlung Terence Fretheims für Sanders’ Hauptwerk The God Who Risks in Sanders, The God Who Risks (1st & 2nd Edition), auf den noch unnummerierten ersten Seiten. 131 Ein prominentes Beispiel für die Konvergenz der Ergebnisse des Offenen Theismus mit den exegetischen Untersuchungen Döhlings bietet die Reuerede und Reuenegation in 1Sam 15. Im Unterschied zum Offenen Theismus bringt Döhling zwar den Versuch zur Sprache, die widersprüchlichen Aussagen dieses Kapitels quellenkritisch aufzulösen – er spricht sich aber schließlich dagegen aus und sucht nach einem „integrierende[n] Verständnis aller Reueaussagen in Kap 15“ (ebd., 219). Wie schon Boyd und Sanders versteht er die Aussagen zur (Nicht-)Reue im besagten Kapitel nicht in einem dogmatisch-verallgemeinernden Sinne, sondern im konkreten, „situativ-begrenzten“ Kontext der Erwählung Sauls und seines Versuchs, Gott durch unlautere Mittel zur Gesinnungsänderung zu bringen (221). „Anders als Saul meint und tut Israels Gott, was er sagt, wenn es sich um Gottes festen Willen handelt, dieses Israel vor der Bedrohung durch seine paradigmatischen Feinde zu schützen“, hält Döhling fest. Die Reuenegation in 1Sam 15 (sowie jene in Num 23,19) würde also die grundsätzliche Fähigkeit Gottes zur Gesinnungsänderung nicht verleugnen, sondern vielmehr Gottes spezifische Weigerung auf den Punkt bringen, angesichts der Unaufrichtigkeit und Untreue Sauls seine Beschlüsse noch einmal umzustürzen (229). In auffallender Übereinstimmung mit Boyds Urteil schließt Döhling aus seiner Untersuchung von 1Sam 15, dass die Vorstellung, „Gott sei per se durch Menschen nicht zu beeinflussen, […] bei genauerem Zusehen gerade auch die Reuenegationen“ gegen sich habe: „Eben die Negationen setzen ja die Beeinflussbarkeit voraus und wären schlicht überflüssig, wenn sich aus der Gott-Mensch-Differenz eine prinzipielle Unbeeinflussbarkeit Gottes ergäbe“ (229).

3.

Theologische Deutungsansprüche. Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

It is so easy […] to use terms such as perfection, infinity and transcendence to smuggle human ideas about God into theology and not listen to Scripture. How often have we heard reasoning like this: the Bible may say that God repents but, being infinite, he doesn’t really. Or, the Bible speaks of ‚before and after‘ with God but, since we know there is no before and after with God, it cannot be so. What is it that prevents us taking seriously the imagery about God changing his mind and/or acting in time? Why can’t we allow such passages to speak? Basic to God’s character is the fact that he ‚relents from punishing‘ (Joel 2:13; Jon 4:2). What disqualifies such texts from being hermeneutically significant like other passages are? Why do we downgrade them as accommodated language and, in effect, silence them? Pinnock, Most Moved Mover, 61.

Einleitung und Kurzdarstellung Die ausführliche Entfaltung des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ besonders im Werk Boyds und Sanders ist aber nicht nur durch dessen weitgehende Vernachlässigung in der bisherigen Auslegungsgeschichte motiviert, sondern vielmehr noch durch die Beobachtung der gewaltsamen Domestizierung der betreffenden Texte eben dort, wo man ihnen nicht mehr ausweichen konnte oder wollte. Die Auseinandersetzung der Offenen Theisten mit den einzelnen biblischen Zeugnissen zur Lernbereitschaft, Enttäuschung oder Reue Gottes steht darum in einem durchweg polemischen Kontext – sie will nicht nur eine vergessene Form biblischer Gottesrede neu zu Gehör bringen, sondern erfolgt im offenen Widerspruch zur herkömmlichen Auslegungsweise ebendieser Texte. Im ‚klassischen‘ Umgang mit den von Boyd unter dem Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ zusammengefassten Überlieferungen sehen die Vertreter des Offenen Theismus eine gezielte Umdeutungsstrategie am Werk, deren Grundzüge hier zunächst im Überblick dargestellt werden: Den Anlass zur Umdeutung sehen Boyd, Sanders und ihre Mitstreiter in der Kollision eines klassischen, von griechisch-philosophischen Denkvoraussetzungen geprägten Gottesbegriffs mit den theologischen Implikationen der strittigen Stellen. Durch das Werk sämtlicher Offener Theisten zieht sich die Überzeugung, dass die Wahrnehmung der biblischen Gottesrede bereits im Verlauf der frühen Theologiegeschichte von hellenistischen Vorstellungen des Göttlichen verzerrt oder überfremdet wurde. Besonders unter dem Einfluss des platonischen und aristotelischen Erbes wurde Gott ihrer Beobachtung nach

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

schon von den Vätern der Kirche als unveränderlich, unbeweglich und zeitlos gedacht – weshalb dann etwa die biblischen Attribute der Macht und Weisheit Gottes zu metaphysisch definierten „absoluten“ Eigenschaften (Allmacht und Allwissenheit) umgeprägt wurden. Zu einer solchen Konzeption steht die biblische Rede von der Lernfähigkeit, Enttäuschung oder Reue Gottes in unauflöslicher Spannung, bezeugt sie doch nach Einschätzung der Offenen Theisten ebenso unverhohlen wie selbstverständlich eine veränderliche, bewegliche, innergeschichtliche Vorstellung Gottes. Als das entscheidende Instrument der ‚klassischen‘ Umdeutungsstrategie wird namentlich von Boyd und Sanders dann die hermeneutische Figur des Anthropomorphismus identifiziert: Ihrer Beobachtung nach werden in der herkömmlichen Theologie ebenjene strittigen biblischen Stellen, welche der ‚Offenheit Gottes‘ unverhohlen Ausdruck verleihen, konsequent als „anthropomorphe“ Beschreibungen Gottes verstanden und gerade so ihrer theologischen Aussagekraft beraubt. Die Anthropomorphismus-Kategorie wird also nicht einfach im neutral-deskriptiven Sinne verwendet, um anzuzeigen, dass bestimmte biblische Überlieferungen dem Gott Israels menschliche Eigenschaften, Gefühle und Verhaltensweisen zuschreiben, ohne ein Urteil über die Angemessenheit dieser Zuschreibungen zu fällen. Meist wird vom Anthropomorphismus auch nicht im generell-universalen Sinne gesprochen, also unter Anerkennung der Tatsache, dass letztlich alle menschliche Rede von Gott notwendigerweise anthropomorph ist. Vielmehr trägt der Anthropomorphismus-Begriff der Beobachtung der Offenen Theisten gemäß auf weiten Strecken der Theologiegeschichte einen unumwunden abwertenden Ton: Anthropomorphe Rede von Gott ist unangemessene Rede, welche Gott gerade nicht beschreibt, wie er eigentlich ist. Schließlich machen die Offenen Theisten klar, dass die ‚klassische‘ Theologie das Phänomen anthropomorpher Gottesrede in der Bibel mit der Vorstellung der Anpassung Gottes an das begrenzte Verständnisvermögen des Menschen erklärt: Gott offenbart sich in menschengestaltiger und damit uneigentlicher Weise, um sich unseren geschöpflichen Begrenzungen anzugleichen und mit dem unverständigen Menschen gewissermaßen ‚auf Augenhöhe‘ zu kommen. Wenn darum in biblischen Texten von der Reue Gottes die Rede ist oder der Eindruck geweckt wird, Gott wäre selbst Teil der Geschichte, dann verfehlen diese Beschreibungen zwar das wahre Wesen Gottes, sie kommen aber den primitiven Gottesvorstellungen des einfachen Menschen entgegen und machen ihm zumindest eine anfängliche und schattenhafte Gotteserkenntnis möglich. Nach Überzeugung der Offenen Theisten verbindet sich in der herkömmlichen Bibelinterpretation also die Kategorie des Anthropomorphismus mit der Idee der accommodatio Dei auf ebenso eindrucksvolle wie verhängnisvolle Weise zu einer hermeneutischen Strategie, mit deren Hilfe die prekären Bibeltexte theologisch entschärft und in

Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

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den ‚klassischen‘, griechisch-philosophisch formatierten Gottesbegriff eingepasst werden können. Die folgende Darstellung folgt dem Gang der Argumentation im Offenen Theismus, arbeitet aber auch die kritischen Einwände der Gegner ein. Sie beginnt bei der fundamentalen Behauptung einer frühen Hellenisierung des Christentums, um dann die spezifische Kritik der Offenen Theisten an der gängigen ‚klassischen‘ Interpretation anthropomorpher Gottesrede zu entfalten und ihren Versuch einer ‚wörtlicheren‘ oder ‚natürlicheren‘ Lesung der betreffenden Stellen darzustellen. Auch dieses Kapitel schließt mit einer kritischen Betrachtung des abgesteckten Feldes, welche besonders auf die erkenntnistheoretischen Probleme abhebt, die der Hellenisierungsthese wie auch dem verbreiteten (nicht neutral-deskriptiven, sondern theologisch-normativen) Begriff des Anthropomorphismus innewohnen. Selbst in den jüngsten Forschungen zur Menschengestaltigkeit, Reue oder Körperlichkeit Gottes, welche sich einem neu aufflammenden Interesse für anthropomorphe Phänomene in den biblischen Überlieferungen verdanken, bleibt weithin unklar, welche theologischen Wahrheitsansprüche mit deren Ergebnissen verbunden werden können und welche systematischen Folgerungen daraus zu ziehen sind. Darauf wird zum Ende des Kapitels aufmerksam gemacht.

Differenzierungen und Kontroversen Unter den Vertretern des Offenen Theismus besteht Einigkeit im Blick auf die Geltung der skizzierten Umdeutungsstrategie für weite Strecken der ‚klassischen‘ Auslegungs- und Theologiegeschichte – und zumindest innerhalb des Abfassungszeitraums der maßgeblichen Werke zur ‚offenen Sicht Gottes‘ stimmen auch alle Autoren mit der zugrunde liegenden Beobachtung überein, dass schon in der frühen Kirche ein problematischer Hellenisierungsprozess eingesetzt hat, im Zuge dessen eine alternative Interpretation der strittigen Texte überhaupt erst virulent wurde. Verschiedene neuere Studien zur antiken Philosophie- und Religionsgeschichte und zu den Einflüssen hellenistischer Denkfiguren auf die Theologie der Kirchenväter fechten ebendiese für den Offenen Theismus konstitutive Vorstellung an. Sie versuchen, ein differenzierteres Bild der vielfältigen philosophisch-theologischen Ideen zu zeichnen, welche im Umfeld der frühen Kirche anzutreffen waren und auf diese einwirkten, und sie verwerfen die Rede von einer „Hellenisierung des Christentums“ meist ganz. Vertreter des Offenen Theismus reagieren in jüngster Zeit unterschiedlich auf diese Kritik: Sanders schwenkt weitgehend um und relativiert seine frühere Überzeugung von der hellenistischen Verfremdung der christlichen Bibelexegese und Gotteslehre,

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

während sich Boyd gerade angesichts der neueren Forschungslage um die Erhärtung seiner bisherigen Einschätzung bemüht. Kritiker des Offenen Theismus haben der These von der verhängnisvollen philosophischen Vereinnahmung der christlichen Bibelinterpretation und Theologie allerdings von Anbeginn der Debatte an widersprochen – wenn ihre Argumentation auch hinter dem Differenzierungsgrad neuerer Forschungen zurückbleibt und sich nicht selten in bloßen Beteuerungen der exegetischen Sorgfalt und des philosophischen Unterscheidungsvermögens der frühen Kirchenväter erschöpft. Sie wehren sich entsprechend vehement gegen den Vorwurf, in der ‚klassischen‘ Theologie würden die für den Offenen Theismus zentralen biblischen Texte (namentlich die Rede von der Reue, Enttäuschung oder Lernfähigkeit Gottes) strategisch umgedeutet, um sie einem vorgefassten Gottesbegriff kompatibel zu machen. Die Diskussion kreist hier v. a. um die Berechtigung der Einordnung der strittigen Stellen in die Kategorie der anthropomorphen Gottesrede und um die hermeneutischen Implikationen dieser Zuschreibung. Dass dabei sowohl unter den Vertretern des Offenen Theismus wie auch unter dessen Kritikern der Anthropomorphismus-Begriff unterschiedlich und zuweilen widersprüchlich bestimmt wird, ohne dass diese Differenzen reflektiert werden, erschwert die Verständigung sichtlich.

3.1

Auseinandersetzung mit der Hellenisierungsthese

3.1.1 Die Hellenisierungsthese im Offenen Theismus Die These von der problematischen Hellenisierung des Christentums gehört zu den fundamentalen Überzeugungen sämtlicher Vertreter des Offenen Theismus.1 Richard Rice etwa beginnt seine wegweisende Studie God’s Foreknowledge and Man’s Free Will (1985) mit einer Entfaltung des traditionellen oder „klassischen Gottesbegriffs“, welchen er in der Vorstellung der göttlichen Vollkommenheit, Leidensunfähigkeit und Zeitlosigkeit definiert sieht, und er fällt schon hier das Urteil, dass „diese Konzeption Gottes mehr gemeinsam hat mit dem ‚unbewegten Beweger‘ des Aristoteles als mit dem Gott der Bibel“ und dass eine Untersuchung der geschichtlichen Wurzeln solcher Vorstellungen unschwer den Nährboden des Griechentums offenbare.2 Ebendieser Aufgabe widmet sich dann John 1 Vgl. hierzu auch in aller Kürze Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes, 18–20, bes. ebd., 18f: „Offene Theisten nehmen an, der Grund dafür, dass ihre Theologie in den vergangenen zweitausend Jahren eine Minderheitenposition dargestellt hat, bestehe darin, dass der hellenistische Einfluss auf das Christentum von Anfang an beträchtlich war und mit der Zeit sogar immer weiter zugenommen hat.“ 2 Rice, God’s Foreknowledge and Man’s Free Will, 23f.

Auseinandersetzung mit der Hellenisierungsthese

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Sanders in seinem philosophie- und theologiegeschichtlichen Beitrag zum Gemeinschaftswerk The Openness of God (1994) in einiger Ausführlichkeit.3 Sanders schreitet die wichtigsten Stationen der Genese des christlichen Gottesbegriffs von den Anfängen der Kirche bis in die Neuzeit ab – in der ausdrücklichen Absicht zu zeigen, dass „das griechische Denken eine maßgebliche Rolle in der Entwicklung der traditionellen Gotteslehre“ gespielt habe,4 und vielmehr noch: um die Art und Weise zu dokumentieren, in welcher „das griechische metaphysische System den in der Bibel beschriebenen Gott ‚eingeschachtelt‘“ habe.5 Die frühen Väter der Kirche hätten eben in einer von der griechischen Philosophie und insbesondere vom Mittelplatonismus dominierten Atmosphäre gelebt, und dieser Umstand hat nach Sanders einen „gewaltigen Einfluss“ auf die Formung des christlichen Verständnisses der Natur Gottes und letztlich auf sämtliche dogmatischen Lehrstücke gehabt.6 Die anderen Autoren von The Openness of God stimmen mit dieser Beurteilung zweifellos überein und greifen Sanders’ Einsichten unvermittelt auf. Ohne eigens dafür zu argumentieren, hält William Hasker im philosophischen Kapitel desselben Buches fest, dass der „klassische Theismus“ ganz zu Recht dafür kritisiert worden sei, in hohem Maße griechisch-philosophische Vorurteile in die Gotteslehre „eingekauft“ und eben damit die biblische Gottesvorstellung „verdunkelt“ zu haben.7 Clark Pinnock wiederum leitet sein systematisch-theologisches Kapitel mit der Ankündigung ein, durch seinen Beitrag einen Anfang in der De-Hellenisierung der christlichen Gotteslehre leisten und so der wahrhaft biblischen Rede von Gott neue Geltung verschaffen zu wollen.8 Einige Jahre 3 Sanders, Historical Considerations, 59–100; dieser Beitrag liefert dann auch die Materialgrundlage für das historische Kapitel seines Gesamtentwurfs der ,offenen Sicht Gottes‘ – vgl. Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 140–166. Auf die Modifikationen dieses Kapitels in der zweiten Auflage von The God Who Risks, zu welchen sich Sanders durch die neuere Kritik an der Hellenisierungsthese veranlasst sieht, wird im Abschnitt 3.1.4 in dieser Arbeit näher eingegangen. 4 Sanders, Historical Considerations, 59. 5 Sanders, Historical Considerations, 60. 6 Sanders, Historical Considerations, 60. 7 Hasker, A Philosophical Perspective, 126; sowie ebd., 140. Im übrigen Werk William Haskers finden sich allerdings kaum Rückgriffe auf die Hellenisierungsthese mehr (eine Ausnahme bietet noch eine kurze Bemerkung in Hasker, God, Time, and Knowledge, 191). Er operiert mit einem über die Attribute der Unveränderlichkeit, Zeitlosigkeit, Allmacht und Allwissenheit Gottes profilierten Begriff des „klassischen Theismus“, ohne dessen Entstehungsbedingungen weiter nachzugehen – wie er sich überhaupt wenig für historisch-genetische, sondern vielmehr für philosophisch-analytische Fragestellungen interessiert. Ähnliches kann von David Basinger und Thomas Oord gesagt werden: Auch sie wenden sich in ihren Werken gegen einen über philosophische Attribute definierten „klassischen“ Gottesbegriff, verzichten aber darauf, dessen Beeinflussung durch hellenistische Denkfiguren zu reflektieren. 8 Pinnock, Systematic Theology, 101.

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

später widmet er in seinem Gesamtentwurf einer ‚offenen Sicht Gottes‘ Most Moved Mover (2001) dieser dringend notwendigen „Überwindung des heidnischen Erbes“ ein ganzes Kapitel.9 „Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen?“, zitiert Pinnock hier den berühmten Ausruf Tertullians – um dann im Blick auf die christliche Theologiegeschichte zu antworten: „Offensichtlich ganz viel in jeder Hinsicht!“10 Auch Gregory Boyd ist diesem Denkansatz verpflichtet. Auch bei ihm tritt die Vorstellung einer verhängnisvollen Hellenisierung der „klassischen Theologie“ schon in den frühesten Publikationen hervor – sie kann sogar als ein zentrales Motiv hinter seiner Dissertation zur Philosophie Charles Hartshornes verstanden werden: Gleich in der Einleitung von Trinity and Process (1992) gibt Boyd seiner Überzeugung Ausdruck, dass das Denken der christlichen Kirche ganz erheblich und in nachteiliger Weise von der platonischen und aristotelischen Philosophie beeinflusst sei, ja dass der „traditionelle Gottesbegriff“ tatsächlich „kaum Ähnlichkeiten mit der in Jesus Christus geoffenbarten Gottheit“ aufweise.11 Die gegenwärtige Theologie hat darum nach Boyds Einschätzung allen Grund, von den Impulsen des Prozessdenkens zu profitieren und die hergebrachten, statischen und substantialistischen Kategorien zugunsten eines dynamischen und relationalen Denkens zu überwinden, welches nicht nur dem aktuellen Zeitgeist, sondern auch dem biblischen Wirklichkeitsverständnis entgegenkomme. Seine Arbeit soll eben dazu einen Beitrag leisten.12 Die Überzeugung, dass „die Entwicklung des klassischen Gottesbegriffs entscheidend von heidnischer Philosophie geprägt“ war, tritt in seinen folgenden Veröffentlichungen zum Offenen Theismus wiederholt zu Tage.13 Spätestens seit seiner 2001 erscheinenden Gesamtdarstellung Satan and the Problem of Evil kündigt Boyd eine ausführliche philosophie- und theologiegeschichtliche Auseinandersetzung mit der Hellenisierungsthese unter dem Titel The Myth of the Blueprint an (welche bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit noch nicht erschienen ist).14 Es sei für ihn eines der schockierendsten und enttäu9 10 11 12 13

Pinnock, Most Moved Mover, 65–112. Pinnock, Most Moved Mover, 69. Boyd, Trinity and Process, 10; vgl. ebd., 200. Vgl. Boyd, Trinity and Process, 8–11. Boyd, God of the Possible, 24 – vgl. ebd., 17: „My fundamental thesis is that the classical theological tradition became misguided when, under the influence of Hellenistic philosophy, it defined God’s perfection in static, timeless terms.“ Vgl. auch die eingehende Auseinandersetzung mit der Frage nach dem „Hellenisierungsgrad“ des antiken Judentums in Boyd/ Eddy: The Jesus Legend, 101–128. 14 Vgl. etwa Boyd, Satan and the Problem of Evil, 22, Anm. 19; ders., God of the Possible, 170, Anm. 4; ders., Is God to Blame?, 199, Anm. 2. Gregory Boyd hat dem Autor die bisherigen Vorarbeiten und Notizen zu The Myth of the Blueprint dankenswerterweise zur Verfügung gestellt – vgl. die Verweise darauf unter Abschnitt 3.1.4 in dieser Arbeit.

Auseinandersetzung mit der Hellenisierungsthese

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schendsten Rätsel der Christentumsgeschichte, gibt Boyd in einem seiner zahlreichen Blogposts zu Aspekten der Hellenisierungsthese zu erkennen, „wie hochintelligente Christen, welche gelehrt wurden, in Jesus Christus das Wesen Gottes zu erkennen, beim Bekenntnis zu einem unveränderlichen, […] zeitlosen und leidensunfähigen Gott landen konnten“.15 Für Boyd ist klar, dass es an der Zeit ist, „dieses fehlgeleitete griechische Konzept der Vollkommenheit Gottes zu beerdigen“.16

3.1.2 Formalisierung der Hellenisierungsthese Es fällt leicht, hinter solchen Äußerungen die Konturen jener These von der „Hellenisierung des Christentums“ zu erkennen, wie sie u. a. vom Historiker Johann Gustav Droysen (1808–1884) und dem Systematiker Albrecht Ritschl (1822–1889) vorbereitet und dann besonders vom Berliner Patristiker Adolf von Harnack (1851–1930) entfaltet und als Deutungskategorie zum Verständnis der frühen Kirchen- und Dogmengeschichte etabliert wurde.17 Wenn die Vertreter des Offenen Theismus auch nicht ausdrücklich auf Harnack zurückgreifen und überhaupt die stark im deutschsprachigen Raum verwurzelte Entstehungs- und Verwendungsgeschichte dieses Konzepts weitgehend außer Acht lassen, so kann die im Offenen Theismus vertretene Vorstellung von der griechisch-philosophischen Vereinnahmung der ‚klassischen‘ Theologie doch als auf die Gotteslehre zugespitzte Variante der Harnack’schen Hellenisierungsthese begriffen werden. Sie wird, wie die entsprechenden Literaturverweise zeigen, von den Offenen Theisten über die Vermittlung verschiedener Bibelgelehrter (allen voran Joschua Abraham Heschel und, an dessen Werk zum Pathos Gottes anschließend: Terence Fretheim) und Religionsphilosophen (besonders Nicolas Wolterstorff und Vincent Brümmer, im weiteren Sinne auch Vertreter der Prozesstheologie) aufgegriffen sowie u. a. unter Berufung auf Jürgen Moltmann und Emil Brunner bekräftigt, welche sich verschiedentlich 15 Boyd, The Fatal Flaw in the Classical View of God; vgl. exemplarisch: ders., What Do You Think of the Classical View that God is Impassible?; ders., Is God Immutable? Part I; ders., Is God Immutable? Part II; ders., What Does a Perfect God Look Like?; ders., How Classical Theology Gets It Wrong. 16 Boyd, The Fatal Flaw in the Classical View of God. Vgl. ganz ähnlich schon Pinnock, Most Moved Mover, 104. 17 Zur verworrenen Geschichte und den bleibenden Unschärfen im Begriff der „Hellenisierung“ vgl. v. a. Markschies, Hellenisierung des Christentums; vgl. zur Hellenisierungsthese weiter Meijering, Die Hellenisierung des Christentums im Urteil Adolf von Harnacks; sowie Rowe, Adolf von Harnack and the Concept of Hellenization, 69–98. Ferner Markschies, Does It Make Sense to Speak about the ‚Hellenization of Christianity‘?, 5–34; und Nippel, ‚Hellenismus‘ – von Droysen bis Harnack, 15–28.

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

zur Verfremdung der biblischen Gottesrede durch griechische Vorstellungen geäußert haben.18 Formal-argumentativ zerfällt die Hellenisierungsthese zumal in ihrer Rezeption durch den Offenen Theismus in zwei aufeinander aufbauende historische Behauptungen sowie ein daran anschließendes theologisches Urteil: Zunächst (1) wird kultur- und philosophiegeschichtlich die Verbreitung der griechischen Sprache, Bildung und Lebensweise mit dem Aufkommen des „griechischen Geistes“ in Verbindung gebracht – mit dem Herrschaftsantritt eines spezifischen, griechisch-philosophischen Denkens, welches zu einer relativ einheitlichen geistesgeschichtlichen Großwetterlage in den Jahrhunderten um die Zeitenwende führte. Zum Kernbestand dieses „griechischen Geistes“ gehört in theologischer Hinsicht ein geistig-rationalistischer Gottesbegriff, der als oberstes Prinzip eines metaphysischen Gesamtsystems der Wirklichkeit verstanden und mit abstrakten Negativattributen wie unteilbar, unveränderlich, unkörperlich, affektlos usw. näherbestimmt wurde.19 Sodann (2) wird kirchen- und dogmengeschichtlich nachzuweisen versucht, wie sehr die Anfänge des Christentums unter dem Einfluss dieses hellenistischen Geistes standen und wie fundamental besonders die Ausbildung der kirchlichen Dogmen von griechisch-philosophischen Kategorien bestimmt war.20 Im Blick auf den Gottesbegriff haben die Väter der Kirche demnach griechisch-philosophische Konzeptionen der göttlichen Natur mitsamt den dahinterstehenden rationalen Erklärungsmustern übernommen oder zur Interpretation des biblischen Gotteszeugnisses beigezogen.21 Eine Schlüsselrolle in diesem Rezeptions18 Vgl. hierzu v. a.: Sanders, Historical Considerations, 96f; und Pinnock, Most Moved Mover, 74–79 – sowie zur Hellenisierungsthese bei Brunner, Moltmann und weiteren deutschsprachigen Systematikern den Abschnitt 4.3.1 in dieser Arbeit. 19 Vgl. hierzu v. a. die philosophiegeschichtliche Analyse bei Sanders, Historical Considerations, 60–72; sowie Pinnock, Most Moved Mover, 65–68. Vgl. auch schon Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten Jahrhunderten, 23, wo Harnack von einer „relativen Einheitlichkeit in Bezug auf Sprache (Koine) und Anschauungen“ spricht, welche durch den Prozess der Hellenisierung geschaffen worden sei; sowie ders., Die Aufgabe der Theologischen Fakultäten, 184f: Hier hält Harnack fest, dass die fremden Religionen „unter dem Prinzipat des Hellenismus“ sämtlich „relativ gleichartig geworden“ seien. 20 Berühmt geworden ist das Diktum Harnacks, dass fast alles, was geläufig unter christlicher „Orthodoxie“ verstanden wird, in Wirklichkeit das Resultat einer allmählichen Hellenisierung der Kirche sei, ja dass das altkirchliche und katholische Dogma insgesamt als „Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums“ zu gelten habe – vgl. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 1, 20; sowie das Kapitel über die altkirchlichen Apologeten, welches die programmatische Überschrift trägt: „Fixierung und allmähliche Hellenisierung des Christentums als Glaubenslehre“ (ebd., 496–796). 21 Vgl. hierzu Markschies, Hellenisierung des Christentums, 54, der Harnacks Hellenisierungsbegriff als die durch das Christentum erfolgende Übernahme rationaler Argumentationsstandards aus der griechischen Philosophie definiert. Markschies macht allerdings zugleich auf den unscharfen, schillernden Gebrauch des Begriffs der Hellenisierung bei

Auseinandersetzung mit der Hellenisierungsthese

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vorgang wird gemeinhin dem jüdischen Gelehrten Philo von Alexandrien zugestanden; er gilt auch im Offenen Theismus als wichtigster Vordenker und Vermittler der „biblisch-klassischen Synthese“ für die frühe Kirche.22 Diese historischen Beobachtungen werden schließlich (3) einer biblischtheologischen Bewertung unterzogen: Die Assimilation des griechischen Geistes in Theologie und Kirche ist schon nach Harnacks Überzeugung eine ebenso unausweichliche wie problematische Entwicklung – sie verzerrt das „reine Evangelium“ Jesu durch die Hereinnahme fremder Denkformen und unterläuft das ursprüngliche „Wesen des Christentums“ überhaupt.23 Eben darum muss die Hellenisierung des Christentums überwunden und korrigiert werden.24 Diese Qualifikation des Hellenisierungsprozesses im Sinne einer ‚Verfallserscheinung‘ wird von den Offenen Theisten und den von ihnen beigezogenen Gewährsmännern bereitwillig übernommen und besonders im Angriff auf die traditionelle Lehre von der Unveränderlichkeit und Leidensunfähigkeit Gottes bemüht. Die „biblische Vision eines emotionalen, leidenden Gottes“ wird als Norm verstanden, an der dann die gesamte Entwicklung der patristischen Theologie gemessen und als „Abfall in die hellenistische Philosophie“ taxiert wird25 – oft auch

22 23 24

25

Harnack aufmerksam (ebd., 49–61; so auch Nippel, ‚Hellenismus‘ – von Droysen bis Harnack, 23: „Eine Definition oder jedenfalls deutliche Umschreibung, was er unter Hellenismus versteht, habe ich bei Harnack nicht finden können“). Vgl. hierzu wiederum Sanders, Historical Considerations, 72–91 – und spezifisch zu Philo: 69–72 (unter dem bezeichnenden Titel: „Philo: The Bridge from the Greeks to the Christians“); sowie Pinnock, Most Moved Mover, 69–74. Vgl. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 1 (Tübingen 51931), 349. Zur Bewertung des Hellenisierungsprozesses bei Harnack vgl. Meijering, Die Hellenisierung des Christentums, 68–72; sowie Markschies, Hellenisierung des Christentums, 49–58. Sowohl Meijering wie auch Markschies halten fest, dass Harnack die „Hellenisierung des Christentums“ zwar zweifellos kritisch bewertet, eben weil sie seinem Urteil nach das „Wesen des Christentums“ verfälscht (Meijering, Die Hellenisierung des Christentums, 68f; Markschies, Hellenisierung des Christentums, 51) – sie betonen aber zugleich, dass Harnack nicht zu einem Kronzeugen für die „Abfallstheorie“ gemacht werden sollte: Zum einen sei Harnack immer von der historischen Notwendigkeit der mit dem Begriff der „Hellenisierung“ bezeichneten Entwicklung überzeugt gewesen, zum anderen habe er auch schon im Neuen Testament „hellenische Elemente“ ausmachen können, weshalb er die hellenische Beeinflussung der frühen Kirche nicht ungebrochen als „reine Verfallsgeschichte“ oder als eindeutigen „Krankheitsprozess“ nachzeichnen wollte (Meijering, Die Hellenisierung des Christentums, 23f; Markschies, Hellenisierung des Christentums, 51f und 55f). Jedenfalls aber setzt sich Harnacks Bewertung der „Hellenisierung des Christentums“ scharf von derjenigen des Historikers Johann Gustav Droysen ab. Droysen, welcher den Begriff der „Hellenisierung“ im Sinne eines modernen akademischen Konzeptes erst geprägt hat, kann nämlich die hellenistische Umformung des Christentums noch als heilsgeschichtliche Entwicklung hin zu einer messianischen Ära würdigen (Markschies, Hellenisierung des Christentums, 56; vgl. Nippel, ‚Hellenismus‘ – von Droysen bis Harnack, 19f). So gibt der Patristiker Paul Gavrilyuk die gängige Argumentationsstruktur der Vertreter der „Abfallstheorie“ in seiner kritischen Studie The Suffering of the Impassible God wieder: Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 21. Vgl. die Zusammenstellung „zusätz-

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

unter Berufung auf die fundamentale Dichotomie zwischen hebräischem und griechischem Denken überhaupt.26

3.1.3 Ältere und neuere Kritik der Hellenisierungsthese Nun ist der These von der „Hellenisierung des Christentums“ im Gefolge Adolf von Harnacks besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von verschiedener Seite vehement widersprochen worden, und sowohl die genannten beiden historischen Behauptungen wie die Angemessenheit des daraus gefolgerten Urteils wurde fundamental in Zweifel gezogen. Schon vor dem Aufkommen des Offenen Theismus wurde die strenge Differenzierung einer hebräisch-biblischen und einer griechisch-philosophischen Gottesvorstellung wiederholt als unhaltbar zurückgewiesen – zum einen mittels linguistisch-semantischer Untersuchungen, wie sie prominent vom Hebraisten James Barr angestrengt wurden: Barr (und vor ihm schon der Alttestamentler Leonhard Knothe) relativiert und problematisiert die unter Vertretern der Hellenisierungsthese beliebte Idee, dass die hebräische Sprachgemeinschaft Israels eine der griechischen Mentalität völlig fremde Denkensart hervorgebracht habe, welche es neu zu entdecken gelte (wobei das Neue Testament nach Einschätzung der meisten Vertreter dieser Idee noch den „hebräischen Geist“ atmet).27 Zum anderen zeigen dann besonders die kultur- und religionsgeschichtlichen Studien Martin Hengels zur Entwicklung und zu den Wechselwirkungen zwischen Judentum und Hellenismus im antiken Palästina, dass die strikte Abgrenzung einer (hebräisch-)biblischen von einer hellenistischen Kultur und Vorstellungswelt schon deshalb nicht trägt, weil auch die späten alttestamentlichen und sämtliche neutestamentlichen Überlieferungen selbst bereits unter dem Einfluss des Hellenismus standen.28 Die Konstruktion „dualer Entitäten“ licher Evidenz zur Vorherrschaft der Theorie des Abfalls der Theologie in die hellenistische Philosophie“ im Appendix, ebd. 176–179. 26 Vgl. der Sache nach schon Heschel, The Prophets, 285–303 (u. ö.); sowie explizit dann das programmatische Werk von Boman, Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, welches besonders im englischsprachigen Raum breit rezipiert wurde (englische Ausgabe: Boman, Hebrew Thought Compared with Greek). 27 Vgl. hierzu v. a. Barr, The Semantics of Biblical Language; (deutsch: Bibelexegese und moderne Semantik); Knothe, Zur Frage des hebräischen Denkens, 175–181; vgl. den Kommentar von Brevard Childs – einem Vordenker und Hauptvertreter der „Biblischen Theologie“, welche den besagten Unterschied der Denkarten lange Zeit vertreten hat – auf Barrs Kritik an dieser Idee in Childs, Biblical Theology in Crisis, 72: „Seldom has one book brought down so much superstructure with such effectiveness.“ Vgl. aber auch die nuancierte Auseinandersetzung bei: Haacker/Hempelmann, Hebraica Veritas. 28 Vgl. das bekannte Diktum Martin Hengels in Hengel, The ‚Hellenization‘ of Judaea in the First Century after Christ, 53: „The term ‚Hellenistic‘ as currently used no longer serves to

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bei der historischen und theologischen Arbeit, zu welchen der Begriff der „Hellenisierung“ verleitet (das „Judentum“ oder das „Christentum“ gegenüber dem „Hellenismus“), ist demnach also unsachgemäß,29 und die Forderung nach einer „Säuberung“ der Theologie vom Einfluss des Hellenismus im Namen des biblischen Gottesbildes beruht zumindest teilweise auf einem Zirkelschluss, weil eine solche Säuberung auch die biblischen Überlieferungen selbst treffen würde, welche ihr aber zugleich die Norm vorgeben sollten.30 Dann aber wird auch vermehrt Kritik an der im Anschluss an Harnack oft beschworenen Vorstellung eines identifizierbaren „griechischen Geistes“ an sich laut. Verschiedene religions- und philosophiegeschichtliche Studien hinterfragen diese Idee eines den „Hellenismus“ kennzeichnenden Bündels an geteilten Begriffen und Anschauungen namentlich hinsichtlich der Natur Gottes, welche auf die Väter der Kirche einwirken und ihr Gottesverständnis verzerren konnten.31 In neuerer Zeit hat besonders der Patristiker Paul Gavrilyuk dagegen Einspruch erhoben und in einer eingehenden Untersuchung nachgewiesen, dass jede Rede von dem hellenistischen Denken oder dem griechischen Gottesbegriff das unüberschaubare Miteinander und Gegeneinander verschiedenster philosophischer Ideen und Systeme zur Zeit der frühen Kirche in keiner Weise abzubilden vermag.32 Angefangen bei Cicero, der seine Schrift zur Natur Gottes (de natura deorum) mit der Feststellung einleitet, dass die Fragen um die Form, Gegenwart und Seinsweise der Götter „in einer breiten Vielfalt an Meinungen unter den Philosophen debattiert“ würden,33 zeigt Gavrilyuk die Diversität der Gottesvorstellungen bei den Epikueern, Stoikern und Platonikern, andeutungsweise auch bei den Anhängern der Mysterienkulte. Mit spezifischem Blick auf die Frage der Leidensfähigkeit Gottes macht er deutlich, wie sehr sich dieses heterogene Bild der These einer axiomatischen Vorstellung der impassibilitas dei im Hellenismus widersetzt. Es habe gar nie einen consensus philosophorum gegeben, hält er fest: „Die Väter konnten unmöglich mit den Philosophen übereinstimmen, und zwar schlicht weil die Philosophen untereinander nicht übereinstimmten.“34 Es ist nach Gavrilyuk darum irreführend, sich die patristische Theologie in

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make any meaningful differentiation in terms of the history of religions within the history of earliest Christianity.“ Vgl. ferner Hengel, Judentum und Hellenismus (engl.: Judaism and Hellenism); ders., Jews, Greeks and Barbarian; ders., Zum Problem der ‚Hellenisierung‘ Judäas im 1. Jahrhundert nach Christus. Vgl. Markschies, Hellenisierung des Christentums, 16f. Vgl. hierzu auch Erickson, What Does God Know and When Does He Know It?, 140–145. Vgl. in Auseinandersetzung mit der Harnack’schen Hellenisierungsthese besonders: Rowe, Adolf von Harnack and the Concept of Hellenization, 88f. Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God; vgl. im Gefolge Gavrilyuks: Lister, God is Impassible and Impassioned, 41–63. Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 22. Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 35f.

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einer Entscheidungsnot zwischen dem emotionslosen und uninteressierten Gott der Griechen und dem emotionalen und leidenden Gott der Hebräer vorzustellen: Egal wie weit man die Unterscheidung zwischen dem „Gott der Philosophen und Gelehrten“ und dem Gott der Propheten, zwischen der griechischen Denkweise und der „hebräischen Erfahrung Gottes“ (Abraham Heschel) treiben wolle – dieser Kontrast werde „dem weiten Panorama an Vorstellungen“ nicht gerecht, mit denen sowohl die Leidensfähigkeit Gottes als auch seine Leidenschaftslosigkeit ihren Ausdruck fanden.35 Gavrilyuk dekonstruiert die Idee eines einigermaßen einheitlich beschreibbaren „griechischen Geistes“ also vor allem, um die frühkirchliche Theologie vom Vorwurf einer unreflektierten Anpassung an ebendiesen Geist zu befreien und sie stattdessen als theologisch konstruktive, verschiedene zeitgenössische philosophische Impulse kritisch verarbeitende Leistung der Kirchenväter auszuweisen. Damit ist zugleich die zweite für die Hellenisierungsthese konstitutive historische Überzeugung angefochten – die Vorstellung nämlich von der bloßen Übernahme hellenistischer Begriffe und Konzepte durch die Vordenker des aufstrebenden Christentums. In einem profunden Gang durch die wichtigsten theologischen Kontroversen der frühen Kirche zeichnet Gavrilyuk die bewegte Entwicklungsgeschichte der christlichen Gotteslehre nach, und er demonstriert die Vorsicht und Weitsicht, mit welcher die Väter der Kirche von den Vorstellungen ihrer Zeit Gebrauch machten, um das biblische Gotteszeugnis zur Sprache zu bringen und insbesondere eine Inkarnationslehre herauszuarbeiten, die sich doch „von allem unterschied, was das hellenistische Denken ihrer Zeit zu bieten hatte“.36 Auch wenn es durchaus Überschneidungen in der Bedeutung gegeben habe, weist Gavrilyuk am Beispiel des kirchlichen Bekenntnisses zur impassibilitas dei nach, so unterscheide sich die Funktion griechischer Begriffe und Vorstellungen in den christlichen Quellen doch deutlich von den hellenistischen Philosophen: Sie seien – im Bild gesprochen – „nicht ohne Bekehrung getauft worden“.37

35 Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 46 (Gavrilyuk spricht hier wörtlich von der „divine passion and divine dispassion“); vgl. ebd., 172, sowie schon einleitend: ebd., 15: „[T]he diversity of conflicting accounts of divine nature, emotions, and intervention in the Hellenistic philosophies and the Hellenistic religions at large does not yield a picture of a single impassible philosophical deity, disinterested in the world. This picture is a scholarly caricature, a convenient strawman put together by the modern proponents of the Theory of the Fall into Hellenistic Philosophy.“ 36 Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 172. 37 Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 15; vgl. auch schon Bray, The Doctrine of God, 58 (Bray beteiligt sich auch an der Kritik der Hellenisierungsthese im Offenen Theismus – vgl. Anm. 42). Eine eingehende Darstellung der frühkirchlichen Lehre von der impassibilitas Dei im Kontext des Hellenismus bietet Lister, God is Impassible and Impassioned, 41–168.

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Im Zuge seiner Untersuchung gibt Gavrilyuk mehrmals seiner Verwunderung Ausdruck, dass sich die These von der „Hellenisierung des Christentums“ zumal in der englischsprachigen systematischen und biblischen Theologie bis in die jüngste Zeit halten konnte. Noch immer gehöre sie zu den „weitverbreiteten Fehlkonzeptionen“, welche einer Wertschätzung der theologischen Errungenschaften zur patristischen Zeit im Wege stehe und deren gegenwärtige Rezeption verhindere.38 Damit greift er im Grunde eine Beobachtung auf, die Wolfhart Pannenberg schon 1959 in seinem einschlägigen Aufsatz zur „Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie“ (mit Blick auf die deutschsprachige Dogmatik) machen konnte39 – und noch dezidierter als Pannenberg verdeutlicht Gavrilyuk, dass er die vielfach bemühte „Theorie des Abfalls der Theologie in die hellenistische Philosophie“ mit seiner Untersuchung als „einen der hartnäckigsten Fehler in der Interpretation der christlichen Theologiegeschichte“ ausweisen und „ein für allemal beerdigen“ wolle.40 Tatsächlich trägt Gavrilyuks Arbeit nicht nur weiter zur Problematisierung der herkömmlichen Hellenisierungsthese im englischsprachigen theologischen Diskurs bei, sondern verschafft auch dem neu erwachten Interesse für die altkirchliche Lehre von der impassibilitas Dei weiteren Auftrieb – eine Entwicklung, welche ihrerseits als Gegenbewegung zur verbreiteten Rede vom „leidenden Gott“ im Gefolge Moltmanns verstanden werden muss und die natürlich auch dem Gottesverständnis des Offenen Theismus entgegensteht.41 Angesichts der argumentativen Bedeutung der Hellenisierungsthese im Offenen Theismus erstaunt es kaum, dass dessen Gegner auch die vielstimmige Kritik an der Vorstellung von der Verführung der christlichen Theologie durch 38 Vgl. Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 1–4; 15f; 45f; 172; 176–179. 39 Vgl. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs (später auch in ders., Grundfragen systematischer Theologie, Bd. 1, 296–346). 40 Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 46: „The theory of Theology’s Fall into Hellenistic Philosophy must be once and for all buried with honours, as one of the most enduring and illuminating mistakes among the interpretations of the development of Christian doctrine.“ – Vgl. im gleichen Duktus schon Wilken, The Spirit of Early Christian Thought, xvi–xvii. 41 Vgl. einige der zahlreichen Titel v. a. aus den 1980er und 90er Jahren zur Leidensfähigkeit Gottes im Gefolge Moltmanns: Ohlrich, The Suffering of God; Williams, The Passion of God; Fiddes, The Creative Suffering of God; Sarot, God, Passibility and Corporeality; Nnamani, The Paradox of a Suffering God – und dann die sich in jüngster Zeit häufenden Studien zur Leidensunfähigkeit Gottes: Castelo, The Apathetic God; Keating/White (Hg.), Divine Impassibility and the Mystery of Human Suffering; Cooper, The Importance of the Conversation Concerning the Doctrine of Divine (Im)passibility, 3–26; Lister, God is Impassible and Impassioned; Baines/Barcellos/Butler et al. (Hg.), Confessing the Impassible God; vgl. ferner die schon 2000 erschienene bahnbrechende Auseinandersetzung von Weinandy, Does God Suffer?.

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das griechische Denken dankbar verwerten. Noch vor Erscheinen von Gavrilyuks Studie, aber durchaus schon im Zuge der erwähnten Wiederentdeckung der altkirchlichen impassibilitas-Lehre setzen sich die Systematiker Gerald Bray und Michael Horton kritisch mit der Hellenisierungsthese im Offenen Theismus auseinander, und auch Millard Erickson widmet diesen Fragen in seiner umsichtigen Untersuchung zum Offenen Theismus ein ganzes Kapitel.42 Alle drei Kritiker weisen die von den Vertretern der ‚offenen Sicht Gottes‘ bemühte Hellenisierungsthese als eklatante Vereinfachung zurück, welche dem komplexen Prozess der Inkulturation des Christentums in der antiken Welt in keiner Weise gerecht wird – und sie versuchen zu zeigen, dass sich die von den Offenen Theisten gebrandmarkten Gottesattribute wie Leidensunfähigkeit, Unveränderlichkeit und Zeitlosigkeit keineswegs der hellenistischen Überfremdung christlicher Theologie verdanken, sondern dass sie vielmehr zeitgemäße Reformulierungen der biblischen Fundamentaldistinktion zwischen Gott und Mensch darstellen.43 In seiner wohlwollend-kritischen Auseinandersetzung mit der Theologie Clark Pinnocks schließt sich Gannon Murphy wenige Jahre später diesem Urteil an,44 und er kann – nun unter Berufung auf Gavrilyuks Studie – nicht nur die Darstellung der „klassischen Theologie“ im Offenen Theismus als missgünstige Karikatur verwerfen, sondern auch vorschlagen, anstatt von der „Hellenisierung des Christentums“ besser von der „Christianisierung hellenistischer Begriffe und Konzepte“ zu sprechen.45

3.1.4 Reaktionen auf die Kritik an der Hellenisierungsthese Derartige Kritik an einer der Grundideen des Offenen Theismus ist von dessen Vertretern natürlich nicht unbeantwortet geblieben – es lohnt sich aber, zuerst einen vertieften Blick auf das Bild zu werfen, welches die Offenen Theisten bereits in den ersten Entwürfen ihrer Sicht von der Hellenisierung des Christentums zeichnen. Dabei zeigt sich, dass auch die Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘ 42 Die Beiträge von Bray und Horton sind Teil umfangreicherer Fundamentalkritiken am Offenen Theismus, wie sie in den Jahren 2002 und 2003 in größerer Zahl erscheinen: Bray, Has the Christian Doctrine of God been Corrupted by Greek Philosophy?, 105–118 (vgl. auch im selben Band Lee, Does God have Emotions?, 211–230); Horton, Hellenistic or Hebrew?, 201–236; Erickson, What Does God Know and When Does He Know It?, 133–162 – und auch schon ders., God the Father Almighty, 67–92. 43 Vgl. Horton, Hellenistic or Hebrew?, 231; Erickson, What Does God Know and When Does He Know It?, 135; und schon ders., God the Father Almighty, 87f. 44 Murphy, Consuming Glory, 84–138 – und hier v. a. 95–117. 45 Murphy, Consuming Glory, 112; vgl. ebd., 102f: „I would argue that history favors the view that Christianity had a far greater impact on Hellenistic philosophy than the other way around.“

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zumindest dort, wo die philosophie- und theologiegeschichtlichen Entwicklungen eingehender in Blick genommen werden, keinem kruden Dualismus zwischen ‚Christentum‘ und ‚Hellenismus‘ oder zwischen dem ‚ursprünglichen Gottesbild der Bibel‘ und dem ‚hellenisierten Gottesbegriff der Kirche‘ das Wort reden. Gewiss lassen sich fast alle Offenen Theisten zuweilen zu ausgesprochen plakativen Aussagen über die „Irreführung der klassischen theologischen Tradition“ durch „die hellenistische Philosophie“ hinreißen,46 sie bemühen sich aber zugleich um notwendige Differenzierungen, wenn sie die Entstehung des kirchlichen Dogmas im Kultur- und Bildungsraum der griechischen Antike nachzeichnen. Das gilt zunächst für John Sanders, der in seinem Beitrag zur Programmschrift The Openness of God (1994) ebenso wie in seinem eigenen Entwurf The God Who Risks (1998) ausdrücklich darauf hinweist, dass die Väter der frühen Kirche das philosophische Erbe ihrer Zeit durchaus kritisch reflektiert und dass sie von den hellenistischen Begriffen und Konzepten vor allem im Interesse der öffentlichen Verteidigung und Sprachfähigkeit des christlichen Glaubens Gebrauch gemacht hätten.47 Eben weil sie den Vater Jesu Christi nicht nur als den Gott Israels, sondern als den „universalen Gott“ erkannten, hätten sich diese Vordenker der Kirche um die Artikulierung und Plausibilisierung der christlichen Botschaft im griechischsprachigen Raum bemüht.48 Der damit einhergehende Transformationsprozess sei letztlich unumgänglich gewesen, hält Sanders (in sachlicher Übereinstimmung mit der ursprünglichen Einschätzung Harnacks) fest – und er sei eigentlich nicht nur als „Hellenisierung des Christentums“, sondern genauso als „Christianisierung des Hellenismus“ zu beschreiben.49 Selbst Clark Pinnock, in dessen Werk die Vorstellung vom Einzug des „heidnischen Erbes“ in die christliche Theologie unter allen Offenen 46 So eben Boyd, God of the Possible, 17; vgl. besonders einige Spitzenaussagen bei Pinnock, Most Moved Mover, 20: „Just as Mormons read the biblical teaching through the lens of Joseph Smiths revelations, so conventional theists read it with the help of the great Hellenic philosophers.“ Sowie geradezu programmatisch: ebd., 27: „The God of the gospel is not the god of philosophy, at least not of hellenic philosophy. The God and Father of Jesus Christ is compassionate, suffering, and victorious love. The god of philosophy is immutable, timeless and apathetic. We must speak boldly for the sake of the gospel: Augustine was wrong to have said that God does not grieve over the suffering of the world; Anselm was wrong to have said that God does not experience compassion; Calvin was wrong to have said that biblical figures that convey such things are mere accommodations to finite understanding. For too long pagan assumptions about God’s nature have influenced theological reflection.“ 47 Sanders, Historical Considerations, 60f. 48 Sanders, Historical Considerations, 60: „In seeking to accomplish these objectives the early fathers did not sell out to Hellenism, but they did, on certain key points, use it both to defend and to explain the Christian concept of God to their contemporaries“ (Das Zitat findet sich wörtlich wieder in Sanders, The God Who Risks [1st Edition], 141). 49 Sanders, Historical Considerations, 59f.

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Theisten wohl die entscheidendste Rolle einnimmt, stimmt mit Sanders gerade in dieser Beschreibung der reziproken Beeinflussung von Christentum und Hellenismus überein.50 Er kann die „Wechselwirkung zwischen der biblischen Überlieferung und dem griechischen Denken“ als ebenso notwendigen wie grundsätzlich angemessenen Vorgang anerkennen und auch den Widerstand betonen, den die Väter der Kirche bestimmten griechisch-philosophischen Ideen im Namen der biblischen Gottesrede entgegensetzten.51 William Hasker schließlich bringt zumal in einer Anmerkung seines philosophischen Kapitels in The Openness of God den Hellenisierungsprozess sogar mit dem providentiellen Wirken Gottes in Verbindung und stellt heraus, dass gerade die Verfügbarkeit philosophisch-theologischer Begriffe und Konzepte im griechischsprachigen Raum der frühen Kirche die Möglichkeit gab, ihren Glauben vertieft zu reflektieren und zur Sprache zu bringen.52 Man wird wohl sagen können, dass viele Gegner des Offenen Theismus ebenjene Fähigkeit zur differenzierten Wahrnehmung, welche sie den Offenen Theisten besonders im Blick auf die frühkirchliche Theologiegeschichte absprechen, in ihrer grobkörnigen Wiedergabe der Hellenisierungsthese im Offenen Theismus selber vermissen lassen. Wenn aber schon die frühesten Darstellungen des Offenen Theismus einen durchaus polyvalenten Eindruck von der „Hellenisierung des Christentums“ vermitteln, so verfeinert sich dieses Bild in Reaktion auf die neuere Kritik an diesem Forschungsparadigma noch weiter. John Sanders etwa distanziert sich in der überarbeiteten Neuauflage seines Gesamtentwurfs The God Who Risks (2007) nicht nur erneut von der Vorstellung, die frühen Väter hätten sich „an den Hellenismus verkauft“ – er gesteht auch ein, dass sich seine Einschätzung des „Grades der negativen Beeinflussung, unter dem die frühen Väter durch die hellenistische Philosophie“ gestanden haben, gerade aufgrund von Gavrilyuks Studie noch einmal verändert habe.53 Dessen Werk zur Entwicklung der patristischen Gotteslehre hat Sanders nach eigener Aussage besonders geholfen, die von den frühen Vätern entfaltete Lehre von der impassibilitas dei nicht als bloße 50 Pinnock, Most Moved Mover, 71: „[T]here has been a Christianization of Greek, and a Hellenization of Christian thought.“ 51 Vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 66, Anm. 2 – man beachte, dass Pinnock hier sogar den Begriff der „Hellenisierung“ selbst problematisiert: „The ‚Hellenization‘ of doctrine, however, is too strong a description of what happened.“ Sowie ebd., 72f: „Please notice that I am not leveling a crude charge of the Hellenization of Christian doctrine. There are many aspects of the synthesis that I think are positive.“ Ferner ebd., 114. 52 Hasker, A Philosphical Perspective, in The Openness of God, 194, Anm. 1. 53 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 140; vgl. auch die augenzwinkernde Anmerkung: ebd., 315, Anm. 2: „In the first edition of this work I softened my criticism of the early fathers from what I had written earlier in The Openness of God […]. Now, I do so even more. Right now, some of my friends and critics are saying, ‚Praise the Lord, he’s seen the light.‘ Though I can be dense, I do try to remain open to learning from others.“

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Konzession an griechische Vorstellungen eines distanzierten, teilnahmslosen Gottes zu verwerfen, sondern sie vielmehr im Anliegen zu begreifen, die Überwältigung Gottes von (negativen) Gefühlen theologisch auszuschließen, ohne ihm aber jegliche Emotionalität abzusprechen.54 Solche Ergebnisse der neueren Forschung seien „gute Neuigkeiten“ für Vertreter des Offenen Theismus, da sie das Feld der Übereinstimmung zwischen ihrem Modell und der traditionellen Gotteslehre erweitere, gibt Sanders zu bedenken.55 Zugleich hält er contra Gavrilyuk (oder zumindest über ihn hinausgehend) fest, dass es trotz der Vielfalt philosophisch-theologischer Konzepte in der hellenistischen Welt durchaus eine deutliche Tendenz hin zu einer transzendenten, welt- und menschenfernen Gottesidee gegeben habe, welche der biblischen Offenbarung Gottes in der Geschichte Israels und im Leben Jesu Christi diametral entgegenstand: Der Trend sei in Richtung einer namenlosen, unbeschreiblichen, unveränderlichen, unteilbaren, leidensunfähigen und zeitlosen Gottheit gegangen, welche „einer metaphysischen Abstraktion näherkam als einem personalen Wesen“, macht Sanders klar.56 Eben hier setzt dann Gregory Boyds „Kritik der Kritik“ an der Idee von der hellenistischen Durchdringung der klassischen christlichen Gotteslehre ein. Sie wird v. a. in den Vorarbeiten zum Werk The Myth of the Blueprint greifbar, welche Gregory Boyd dem Autor dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat. Diese schon seit Jahren angekündigte philosophie- und theologiegeschichtliche Untersuchung wird wohl frühestens 2020 erscheinen und in zwei voluminösen Bänden die Entwicklung des Gottesgedankens in verschiedenen philosophischen Schulen der Antike sowie die Rezeption dieser Vorstellungen in der frühen Kirche nachzeichnen.57 Breit abgestützt auf den zeitgeschichtlichen Quellen und unter Berücksichtigung der aktuellen Forschung versucht Boyd hier zu zeigen, dass sich bereits unter den Vorsokratikern eine entscheidende metholodologische Voraussetzung zur Erklärung der ultimativen Realität und dann zur Bestimmung der göttlichen Natur etablieren konnte, welche im Gefolge der Philosophie Platos bestärkt wurde und über die Vermittlung Philos von Alexandrien 54 Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 140; sowie – im Wortlaut fast übereinstimmend – den Blogeintrag: Sanders, The Early Church Fathers on Hellenism and Impassibility. 55 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 140; und ders., The Early Church Fathers on Hellenism and Impassibility. 56 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 141f; vgl. schon ders., Historical Considerations, 68f. 57 Boyd rechnet damit, dass die beiden Bände je etwa 1.000 Seiten umfassen werden – seine Vorarbeiten und Notizen entsprechen bereits nahezu diesem Umfang. Zweifellos handelt es sich hierbei um die umfassendste Studie zu den Wechselbeziehungen zwischen griechischphilosophischen Gottesvorstellungen und der Ausformulierung der frühchristlichen Gotteslehre im hellenistischen Raum, die je angestrengt wurde.

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Einzug ins theologische Denken der frühen Kirche hielt.58 Boyd spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Prinzip der negativen Transzendenz“, das seiner Beobachtung nach schon in den Fragmenten Anaximanders hervortritt und dann bei Xenophanes zum ersten Mal in spezifisch theistischer Weise angewandt wird.59 Es kann zusammengefasst werden in der Überzeugung, dass der einzige Weg zu einer Erklärung des letzten Grundes der Welt über die Negation all dessen führt, was Erklärung benötigt – und spezifischer: dass der einzige Weg zu einer angemessenen Konzeption Gottes über die Negation all dessen führt, was die menschliche, zeitliche, veränderliche und vergängliche Welterfahrung gerade auszeichnet.60 Nun bestreitet Boyd keineswegs, dass es verschiedene Ausgestaltungen dieses Prinzips unter den Philosophen der Antike gab und dass dessen Anwendung innerhalb verschiedener Schulrichtungen zu differenten Vorstellungen des Göttlichen führte – aber er wirft Gavrilyuk und anderen Verfechtern der unvereinbaren Vielfalt philosophisch-theologischer Konzepte in der griechischsprachigen Antike vor, „den Wald vor lauter Bäumen“ nicht mehr zu sehen:61 Die entscheidende Gemeinsamkeit und damit das zentrale Problem zumindest der Mehrzahl der damaligen Entwürfe liegt in der methodologischen „Tiefenstruktur“, näherhin im besagten „Prinzip der negativen Transzendenz“, wie Boyd erklärt.62 Die Wirksamkeit dieses Prinzips ist seiner Einschätzung nach verantwortlich für die typischen Charakterisierungen Gottes mittels Verneinungen menschlich-weltlicher Seinsaspekte und infolgedessen für die Ausbildung eines Katalogs klassischer Gottesattribute, welche der biblischen Gottesrede ausgesprochen fremd sind.63 Die auch von Sanders in ganz verschiedenen Strö58 Vgl. hierzu v. a.: Boyd, From Homer to Parmenides (unveröffentlichte Vorarbeiten zu The Myth of the Blueprint), hier besonders 9: „[I]t is, in my opinion, close to impossible to overemphasize the importance of these earliest western philosophers. The methodological and metaphysical assumptions they made to a large degree set the agenda for the rest of the western philosophic tradition.“ 59 Boyd, From Homer to Parmenides, 8–11. 60 Vgl. im Blick auf die Ursprünge dieser Denkfigur bei Anaximander: Boyd, From Homer to Parmenides, 14; sowie, im Blick auf die theistische Anwendung dieser Methodik bei Xenophanes: ebd., 21f: „Xenophanes is the first thinker to explicitly apply what we are calling the principle of negative transcendence in a distinctly theistic fashion. […] To arrive at a true conception of this God, therefore, Xenophanes holds that we need to negate all aspects of humanity that are not ‚fitting‘ to ascribe to deity.“ Zum „Prinzip der negativen Transzendenz“ bei Plato vgl.: ders., Plato, 51–54. 61 So Gregory Boyd in einer persönlichen Korrespondenz vom 29. April 2014. 62 Eine von Boyd anerkannte und eingehend untersuchte Ausnahme stellt die Philosophie Heraklits dar – vgl. Boyd, From Homer to Parmenides, 23–34. 63 Boyd, From Homer to Parmenides, 14: „[T]his methodological stance [d. h.: das „principle of negative transcendence“; Anm. M.S.] is fundamentally opposed to the Hebraic approach to understanding of ultimate reality (God) and, consequently, to the Hebraic conception of ultimate reality.“

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mungen hellenistischen Denkens beobachtete Neigung, Gott als unveränderlich, unteilbar, leidensunfähig, zeitlos usw. zu beschreiben, wird von Boyd also durch einen gemeinsamen epistemologischen Schlüssel zur Ermittlung angemessener Aussagen über das Göttliche erklärt. Anhand von vertiefenden Einzelstudien – zunächst zum jüdischen Bibelgelehrten Philo von Alexandrien, dann u. a. zu Justin dem Märtyrer, Irenäus von Lyon, den Alexandrinern Clemens und Origenes sowie zu Augustinus und Boethius – versucht Boyd nachzuweisen, dass gerade diese Herangehensweise auf die christliche Gotteslehre stärker abgefärbt hat, als diese Vordenker der Kirche einzugestehen bereit gewesen wären.64 Gewiss hätten die frühen Väter die entsprechenden Negativbegriffe zur Beschreibung der Natur Gottes zunächst einfach gebraucht, um in ihrer hellenistischen Umgebung sprachfähig zu bleiben – aber „die dahinterstehenden Voraussetzungen“ hätten ihr eigenes theologisches Denken immer stärker zu prägen begonnen und schließlich zu einer Übernahme zentraler philosophisch-theologischer Axiome geführt, die zur Selbstoffenbarung Gottes in den biblischen Überlieferungen und insbesondere in der Person Jesu Christi in erheblicher Spannung stünden, gibt Boyd zu bedenken.65

64 Dies wird deutlich in folgenden Kapiteln der (noch unveröffentlichten) Vorarbeiten Gregory Boyds zu The Myth of the Blueprint: Meeting of Worlds – Philo; ders., The Pre-Augustinian Church – The Apologists; ders., The Apologists – God and the World; ders., The Apologists – Providence, Free Will and Evil; ders., The Alexandrians – God and the World; ders., The Alexandrians – Providence, Free Will and Evil; ders., Augustine – Providence, Free Will and Evil; ders., Augustine and Boethius – God and the World. 65 So Gregory Boyd in einer persönlichen Korrespondenz vom 29. April 2014 (die teilweise ungeschützte Ausdrucksweise verdankt sich dem persönlichen Setting der Kommunikation): „The central issue is found in the deep structure of Hellenistic thought, going back to Thales. The assumption was that to explain X, you must postulate –X to avoid an infinite regress. […] The concepts of immutability, impassibility and atemporarlity etc. arise out of this philosophical endeavor. The early fathers pick up these concepts initially just to use the respectful language of the day about God. But the assumptions behind them gradually make inroads to their thinking to the point that, in Clement and Origen, then Gregory of Nyssa and Augustine, and finally Boethius, you have essentially the same Hellenistic One, but with a bunch of contradictory Christian stuff imposed on it – and called a ‚mystery‘“ (Hervorhebungen im Original).

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3.2

Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

Annäherungen an das Anthropomorphismus-Problem

3.2.1 Die Voreingenommenheit der gängigen Interpretation der fraglichen Texte Auch wenn sich Sanders zum Grad der Beeinflussung christlicher Theologiegeschichte durch hellenistische Gottesvorstellungen zumindest seit Gavrilyuks Studie deutlich vorsichtiger äußert als Boyd, so scheinen sich alle Vertreter des Offenen Theismus doch darin einig zu sein, dass schon der frühen Kirche die Wahrnehmung und Wertschätzung gerade jener biblischen Überlieferungen auffallend schwer fiel, welche dem Offenen Theismus gewissermaßen als Referenztexte dienen. Wie tiefgreifend die Durchdringung der kirchlichen Gotteslehre mit hellenistischen Begriffen und Konzepten auch zu denken ist: In der direkten Begegnung mit den biblischen Zeugnissen der Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes tritt nach dem Urteil sämtlicher Offener Theisten bei den kirchlichen Auslegern ein Unbehagen zu Tage, welches sich nur durch philosophisch-theologische Voreingenommenheit erklären lässt. Entsprechend kommt die Hellenisierungsthese dann vor allem im Zuge der biblisch-theologischen Herleitung des Offenen Theismus gewissermaßen als Negativfolie zur Anwendung. Schon die argumentative Struktur der Programmschrift The Openness of God macht dies deutlich: Nachdem Richard Rice das Buch mit einer Entfaltung des reichen biblischen Zeugnisses für eine ‚offene Sicht Gottes‘ begonnen hat, fragt John Sanders in der Einleitung zu seinem philosophie- und theologiegeschichtlichen Beitrag, warum ebensolche Texte das geläufige christliche Gottesbild nicht entscheidender prägen konnten. Seine dann erfolgende Nachzeichnung der „Hellenisierung des Christentums“ dient also explizit zur Erklärung des Umstandes, dass die vielfältigen Belege für die unvorhersehbare Dynamik des Gott-Welt-Verhältnisses auf weiten Strecken der Kirchengeschichte theologisch kaum zur Geltung gebracht wurden.66 Näherhin steht für Sanders fest, dass das ‚klassische‘ kirchliche Gottesverständnis, wie es sich im Umfeld der griechischen Antike ausgebildet hat und im Wesentlichen bis in die Neuzeit fortsetzt, zumal in einigen zentralen Punkten nicht vereinbar ist mit der von Rice vorgestellten biblischen Bezeugung eines sich im Fluss der Zeit mitbewegenden Gottes.67 Die „prima facie“-Lesung der be66 Sanders, Historical Considerations, 59. 67 Sanders, Historical Considerations, 59f: „Why do we not usually read the Bible in the way suggested in the previous chapter? […] The answer, in part, is found in the way Christian thinkers have used certain Greek philosophical ideas. Greek thought has played an extensive role in the development of the traditional doctrine of God. But the classical view of God worked out in the Western tradition is at odds at several key points with a reading of the biblical text as given in chapter one.“

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treffenden Texte, welche einer ‚offenen Sicht Gottes‘ entgegenkommen würde, sei darum zugunsten einer alternativen Interpretation aufgegeben worden.68 Sanders spricht auch von der Etablierung einer „zweischichtigen“ oder „doppelbödigen“ Hermeneutik in der christlichen Auslegungsgeschichte: Manchen biblischen Überlieferungen werde zuerkannt, angemessene Aussagen über Gott zu treffen, weil sie sich (zumindest scheinbar) mit den mitgebrachten Vorstellungen der natura Dei decken. Jene biblischen Texte hingegen, welche davon reden, „dass Gott seine Gesinnung änderte, von menschlichen Handlungen überrascht wurde oder gelitten hat“, würden auf einer anderen Aussageebene verortet – sie „können nicht meinen, was sie eigentlich sagen“.69 Sachlich übereinstimmend mit Sanders bezeichnet Clark Pinnock dieses Vorgehen kurzum als „hermeneutischen Trick“, mit dessen Hilfe ein breites Korpus biblischer Gottesrede theologisch nicht mehr ernst genommen werden müsse.70 Gregory Boyd teilt diese kritische Einschätzung. Der fundamentale Vorbehalt vieler ‚klassischer‘ Interpreten gegenüber den Referenztexten zur ‚Offenheit Gottes‘ drückt sich seiner Beobachtung nach eben dadurch aus, dass die betreffenden Stellen nicht mehr als „eigentliche“ Gotteszeugnisse anerkannt werden, sondern als „uneigentliche“ Beschreibungen zu gelten haben.71 Ausdrücklich verurteilt Boyd diese Herangehensweise als philosophisch-theologisch präjudiziert: Wie Gott „wirklich“ ist, stehe dann ja bereits von vornherein fest – etwa im Blick auf die Reuetexte: „Es wird vorausgesetzt, dass Gott seine Gesinnung nicht ändern kann; Bibelstellen, die ausdrücklich behaupten, dass er dies doch tut, können also nicht für bare Münze genommen werden.“72 Damit werde letztlich ein willkürlicher „Kanon im Kanon“ begründet, gibt Boyd zu bedenken: Texten, die mit den eigenen Voraussetzungen übereinstimmen, werde die Autorität zuerkannt, Gott akkurat zu beschreiben, während jenen Überlieferungen, die den eigenen Voraussetzungen entgegenstehen, ebendiese Qualität abgesprochen werde.73 Diese Beobachtungen zur Auslegungsgeschichte der strittigen Bibelstellen lassen sich unschwer mit den Vorarbeiten Terence Fretheims und anderer Gelehrter zur Deckung bringen, auf welche sich die Offenen Theisten vielfach abstützen. Schon Fretheim stellt in seiner Auseinandersetzung mit dem alttestamentlichen Phänomen der Reue Gottes eine unübersehbare Voreinge68 Vgl. Sanders, Historical Considerations, 59f. 69 Sanders, Historical Considerations, 94f; vgl. auch ders., The God Who Risks (2nd Edition), 187. 70 Pinnock, Most Moved Mover, 62, Anm. 89. 71 Vgl. Boyd, God of the Possible, 118f. 72 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98 – vgl. ebenso: Pinnock, Most Moved Mover, 61; sowie im spezifischen Blick auf das Zeugnis der Lernbereitschaft Gottes in der Abrahamsgeschichte und mit anschließendem Aufruf zur „Dehellenisierung der christlichen Theologie“ bereits: Hasker, God, Time and Knowledge, 191. 73 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98.

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nommenheit im gängigen Umgang mit den betreffenden Texten fest, und er kann summarisch festhalten, dass ein Überblick über die jüdische und christliche biblische Interpretation durch die Jahrhunderte hindurch eine Vielzahl von Anläufen zeige, „jenen Interpretationen der Texte zu entgehen, welche das vorherrschende Gottesverständnis in Frage stellen würden“.74 Gerade weil aber die bisherige Auslegungsgeschichte die eindeutige Tendenz aufweist, „die Texte innerhalb mitgebrachter, üblicherweise traditioneller theistischer Kategorien und Perspektiven zu interpretieren“, macht sich Fretheim für eine erneute exegetisch- und biblisch-theologische Bearbeitung des Reuethemas stark.75 Jörg Jeremias wiederum, der diesem Anliegen bekanntlich bereits einige Jahre zuvor eine einschlägige Studie gewidmet hat, fragt dort einleitend: „Wie lässt sich die Reue Gottes mit seiner Allwissenheit und seiner Unwandelbarkeit in Einklang bringen? Besteht zwischen beidem nicht ein schlechterdings unausgleichbarer Widerspruch?“76 Exemplarisch schreitet er dann einige geschichtliche Stationen der Auseinandersetzung mit dem Reuezeugnis der Bibel ab und demonstriert den latenten Unmut oder den offenen Widerwillen, den die entsprechenden Texte bei den Interpreten ausgelöst haben – sowie die Versuche, sie in einem alternativen, mit dem Postulat der Unveränderlichkeit Gottes und seines umfassenden Vorauswissens kompatiblen Sinne zu verstehen.77 Etwas weiter zurück geht eine Untersuchung des Patristikers Joseph C. McLelland, auf die sich zuerst Boyd und dann auch Sanders und Pinnock wiederholt beziehen.78 McLelland befasst sich nicht mit dem Phänomen der Reue Gottes oder anderen für den Offenen Theismus maßgeblichen Eigenheiten der biblischen Gottesrede an sich, sondern er fragt nach den philosophischen Prämissen und den hermeneutischen Instrumenten, mit denen die Alexandriner Philo, Clemens und Origenes als herausragende Vertreter der frühjüdischen resp. frühkirchlichen Exegese an die biblischen Überlieferungen herangetreten sind. Er weist die tiefe Verwurzelung der alexandrinischen Theologie in hellenistischen Denkvoraussetzungen nach und zeigt, wie diese auch die Interpretation der biblischen Gottesrede bestimmt und sich in einem „Verdacht“ besonders angesichts aller menschenähnlichen Beschreibungen Gottes manifestiert.79 Nach Überzeugung 74 75 76 77 78

Fretheim, The Repentance of God, 47f. Fretheim, The Repentance of God, 48. Jeremias, Die Reue Gottes, 9. Jeremias, Die Reue Gottes, 9–14. McLelland, God the Anonymous; vgl. die Verweise auf McLelland bei: Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98, Anm. 18; dann bei: Sanders, Historical Considerations, 184f, Anm. 40, 65, 68, 157; sowie ders., The God Who Risks (2nd Edition), 316, Anm. 6, 7, 18; ferner Pinnock, Most Moved Mover, 69, Anm. 12. 79 Vgl. für Philo etwa McLelland, God the Anonymous, 31. McLelland darf als Vertreter der Hellenisierungsthese im „klassischen“ Sinne gelten: Er bezeichnet die alexandrinische Theologie als ein „Mischwesen – ein platonisches Skelett, belebt durch biblische Muskeln und

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der drei von McLelland untersuchten Figuren werde Gott in den biblischen Schriften oft nach menschlicher Weise dargestellt, um den Unmündigen und Nichteingeweihten unter ihren Lesern entgegenzukommen – das betrifft dann ausdrücklich die Schilderungen der Reue oder auch der Enttäuschung Gottes –, in Wirklichkeit aber verberge sich Gott gewissermaßen hinter solchen Beschreibungen.80 Damit werden nun die beiden hermeneutischen Instrumente thematisch, welche nach einhelligem Urteil der Offenen Theisten die herkömmliche Deutung ebenjener Texte kennzeichnet, welche zu einer ‚offenen Sicht Gottes‘ Anlass geben könnten. Sie lassen sich in den Begriffen Anthropomorphismus und Akkommodation zusammenfassen und haben gerade in ihrem Zusammenspiel erfolgreich zur Verteidigung der ‚klassischen‘ Gotteslehre im Angesicht widersprechender biblischer Überlieferungen gewirkt, wie v. a. Boyd, Pinnock und Sanders anmerken.81

3.2.2 Der Anthropomorphismus-Begriff als hermeneutisches Vorurteil Man wird kaum zu weit gehen mit der Feststellung, dass sämtliche biblischen Motive und Überlieferungen, welche den Offenen Theisten zur Verteidigung ihres theologischen Modells dienen, traditionell zur Kategorie der „anthropomorphen Gottesrede“ gezählt werden. „Der Offene Theismus blüht auf dem Boden der biblischen Anthropomorphismen“, hält William Hasker dann auch unverhohlen fest.82 Trotzdem finden der Begriff und dessen hermeneutische Implikationen nur in der methodischen Grundlegung des Sanders’schen Gesamtentwurfs The God Who Risks und neuerdings bei Boyd vertiefte Aufmerksamkeit.83 Beide definieren das Phänomen des Anthropomorphismus zunächst sehr generisch als die „Rede von Gott in menschlicher Weise“ oder auch als „menschenähnliche Beschreibung Gottes“.84 Die entsprechenden Überlieferun-

80 81 82 83 84

Körperflüssigkeiten“ (ebd., 137), und er hält diese Verbindung zwischen biblischem und hellenistischem Geist für exemplarisch für die theologische Entwicklung der frühen Kirche insgesamt. McLelland, God the Anonymous, 31; sowie ebd., 39f. Vgl. z. B. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98f; sowie Pinnock, Most Moved Mover, 60; und Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 30 u. ö. Hasker, Providence, Evil and the Openness of God, 198. Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 18–36, dort besonders: 27–29 sowie Boyd, From Homer to Parmenides, 18–23; und: ders., Plato, 51–54. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 26; Boyd, God of the Possible, 118 – Boyd nennt Anthropomorphismen „figures of speech that portray God in human terms“; vgl. die fast gleichlautende Begriffsdefinition im Anhang zu Boyd, Satan and the Problem of Evil, 418. Ferner ders., Isn’t God Changing his mind an Anthropomorphism?.

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gen schildern das göttliche Handeln, Empfinden oder auch Aussehen also dem Handeln, Empfinden und Aussehen eines Menschen entsprechend. Wenn Gott sich vom Gang der Ereignisse überrascht oder enttäuscht zeigt, wenn der biblische Text von der Lernbereitschaft Gottes spricht oder seine Reue beschreibt, dann erfolgt diese Gottesrede in Übereinstimmung mit der menschlichen Lebens- und Erfahrungswelt. Üblicherweise wird, wie sowohl Boyd als auch Sanders herausstellen, mit der Identifikation einer anthropomorphen Gottesaussage nicht einfach eine neutraldeskriptive Charakterisierung vorgenommen, sondern vielmehr ein Urteil gefällt über den theologischen Gehalt und den normativen Wert der Gottesrede an diesen Stellen: Die Anthropomorphismus-Kategorie dient gemeinhin als Indikator für die Uneigentlichkeit der Gottesrede; anthropomorphe Texte beschreiben Gott auf menschliche, sinnlich-gestalthafte Weise und also nicht so, wie er wirklich ist.85 Mit anderen Worten: Die Kategorie des Anthropomorphismus zeigt nicht einfach an, dass hier ‚menschlich‘ von Gott gesprochen wird, sondern vielmehr dass hier nur ‚menschlich‘ von Gott gesprochen wird. Sie impliziert damit bereits die Überzeugung, dass man Gott auf diese Art und Weise, mit solcher Sprache und Begrifflichkeit, gerade nicht angemessen beschreiben kann: „Die bloße Bezeichnung ‚Anthropomorphismus‘ neigt dazu, die Voreingenommenheit für die Überzeugung mit sich zu tragen, dass jede menschenähnliche Beschreibung Gottes nicht mitzuteilen imstande ist, wer Gott wirklich ist“, führt Boyd in seinen Vorarbeiten zum Doppelwerk The Myth of the Blueprint aus.86 Allein schon indem jene biblischen Texte, auf die sich der Offene Theismus im Kern beruft, als anthropomorphe Zeugnisse klassifiziert werden, sind sie demnach in ihrer theologischen Eigenaussage faktisch neutralisiert und zur Umdeutung im Sinne eines mitgebrachten Gottesbegriffs freigegeben: Sie beschreiben Gott nicht so, wie er eigentlich ist – welche Beschreibungen der Wirklichkeit Gottes aber tatsächlich angemessen sind, das wird nach Boyds Urteil nicht nur zur Zeit der frühen Kirche, sondern bis in die gegenwärtigen Entwürfe ‚klassischer‘ Theologie durch philosophische Grundsatzerwägungen unter starkem Einfluss hellenistischer Denkfiguren bestimmt.87 Gemäß Boyds Darstellung findet gerade in dieser Aufladung des Anthropomorphismus-Begriffs das „Prinzip der negativen Transzendenz“, das er bekanntlich als fundamentale philosophisch-theologische Denkfigur in der helle85 Boyd, Isn’t God Changing his mind an Anthropomorphism?; hier und andernorts (z. B. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 99) verwendet Boyd den Begriff „anthropomorphic“ als Unterbegriff zu „metaphorical“ und als Gegenbegriff zu „literal“. Auf Boyds unscharfen und teilweise inkonsequenten Gebrauch dieser Begrifflichkeit macht u. a. Caneday aufmerksam (Caneday, Veiled Glory, 153, Anm. 19). 86 Boyd, Plato, 54 (Hervorhebung dem Original entsprechend). 87 Boyd, God of the Possible, 118f; ders., Satan and the Problem of Evil, 97–99.

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nistischen Geistesgeschichte nachzuweisen versucht, seine konkreteste Zuspitzung.88 Der Grundsatz, dass nur die Negation dessen, was die innerweltliche Existenz auszeichnet, zur wahren Erkenntnis des Existenzgrundes und damit der Natur Gottes führt, verdichtet sich in einem unübersehbar antianthropomorphistischen Zug aller maßgeblichen Entwürfe hellenistischer Philosophie und geht so auch in die Theologiegeschichte ein, wie Boyd erklärt.89 Wegweisend und von „unvergesslichem Einfluss“ ist dabei der vorsokratische Dichter und Philosoph Xenophanes von Kolophon (570–480 v. Chr.) gewesen:90 Xenophanes kritisiert die anthropomorphen Göttervorstellungen der traditionellen griechischen Religion, wie sie durch die mythischen Erzählungen Homers und Hesiods geprägt wurden – und er setzt ihnen seine Konzeption eines (zumindest vermeintlich) gerade nicht menschenähnlichen, sondern transzendenten, unveränderlichen und unvergänglichen Gottes entgegen.91 Sowohl Boyd wie auch Sanders zitieren die zweifellos berühmtesten überlieferten Fragmente dieses Denkers – zum einen die aus der Beobachtung der Göttervorstellungen verschiedener Völker gewonnene Aussage: „Die Äthiopier stellen sich ihre Götter schwarz und stumpfnasig vor, die Thraker dagegen blauäugig und rothaarig.“92 Und dann die ironische Übertragung dieser gewissermaßen religionsethnologischen Einsicht auf die Tierwelt: „Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen könnten, dann würden die Pferde pferdeähnliche, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche Gestalten schaffen, wie sie selber haben.“93 Beide Textteile variieren dieselbe Denkfigur, und Xenophanes stellt damit, wie Boyd es interpretiert, „eine Art Feuerbach’sche Kritik der populären polytheistischen Religion seiner Tage“ vor und versucht also zu zeigen, „dass die Art und Weise, in der sich Menschen ihre Götter vorstellen, mehr über die Menschen selbst offenbart als über die Natur der Götter.“94 88 89 90 91

Boyd, From Homer to Parmenides, 8–10. Boyd, From Homer to Parmenides, 18–23. Boyd, From Homer to Parmenides, 20. Boyd, From Homer to Parmenides, 20. Boyd betont auch die Kontinuität der Gottesvorstellung des Xenophanes mit vorausgehenden Denkern, sogar mit Homer selbst – vgl. ebd., 20f: „Both Homer and Xenophanes presuppose a particular view of God/the gods and use this assumed starting point as the litmus test by which to decide what is and is not appropriate to posit vis-à-vis God/the gods. We shall see that this basic methodology exerts a decisive influence on the whole of the western philosophical and theological tradition.“ Zum Gottesbegriff bei Xenophanes vgl. neuerdings Halfwassen, Der Gott des Xenophanes, 275–294; und im Gefolge Halfwassens: Kohandani, Der Eine Gott. 92 Xenophanes, Fragment B 16 (Diels – Kranz); Übersetzung nach Capelle (Hg.), Die Vorsokratiker, 121. 93 Xenophanes: Fragment B 15 (Diels – Kranz); Übersetzung nach Capelle (Hg.), Die Vorsokratiker, 121. 94 Boyd, From Homer to Parmenides, 20.

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Im Unterschied zu Feuerbach will Xenophanes den anthropomorphen Gottesbegriff allerdings nicht durch eine atheistische Position überwinden, sondern vielmehr in einer anspruchsvolleren, von „ungeziemenden“ Eigenschaften gereinigten Konzeption des „größten Gottes“ auflösen, wie Boyd klarstellt.95 Dabei ist nach seiner Beobachtung eine bestimmte Sicht des wahrhaft Göttlichen bereits vorausgesetzt, welche Xenophanes dann „als Ausgangspunkt und Bewährungskriterium“ dient, „um zu entscheiden, welche Aussagen über Gott oder die Götter angebracht sind und welche nicht“.96 Die auffallende Gewissheit, mit der Xenophanes zu bestimmen wagt, was der Natur Gottes nicht angemessen ist, wird von Boyd kritisch kommentiert: „Als hätte er eine neue göttliche Offenbarung empfangen, bekennt sich Xenophanes zu dem ‚einen Gott, dem größten unter allen Göttern und Menschen, in keiner Weise den Sterblichen ähnlich, weder in Körperlichkeit noch in Gedanken‘.“97 Um zur wahrhaften Erkenntnis Gottes durchzudringen, müssen nach Xenophanes also alle Aspekte der Menschlichkeit negiert werden – „wir müssen die Vorstellung verwerfen, dass der größte Gott in menschlicher Weise denkt, Erkenntnis nach der Art des Menschen gewinnt, Dinge bewegt, wie Menschen Dinge bewegen, oder sich verändert, wie es menschliche Wesen tun“, gibt Boyd Xenophanes’ erkenntnistheoretischen Grundsatz wieder.98 Er findet sich gemäß Boyds Analyse später erneut bei Plato und bildet bald eine starke „antianthropomorphe Tradition“, die sich „in einer Vielzahl von Spielarten durch die folgende westliche philosophische Tradition und die frühe christliche Kirche hindurchzieht“ und sich in den verbreiteten negativen Implikationen des AnthropomorphismusBegriffs als solchem niederschlägt.99

3.2.3 Die Akkommodationslehre als theologischer Rechtfertigungsversuch Der herkömmliche Anthropomorphismus-Begriff verbindet sich nach Beobachtung der Offenen Theisten in der biblischen Auslegungsgeschichte meist nahtlos mit der Vorstellung der ‚Anpassung Gottes‘ (accommodatio Dei).100 Man 95 Boyd, From Homer to Parmenides, 20. 96 Boyd, From Homer to Parmenides, 21. 97 Boyd, From Homer to Parmenides, 20. Boyd zitiert hier aus dem Fragment B 23 (Diels – Kranz) – zur Schwierigkeit der Übersetzung dieses Fragments vgl. Halfwassen, Der Gott des Xenophanes, 284f. 98 Boyd, From Homer to Parmenides, 21. 99 Boyd, From Homer to Parmenides, 22 – vgl. ebd., 19. 100 Vgl. hierzu etwa Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 33; ders., The God Who Risks (2nd Edition), 29; Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98; Pinnock, Most Moved Mover, 60f; Hasker, Providence, Evil and the Openness of God, 159f. Zur Entwicklung und Anwendung der Akkommodationslehre vgl. v. a. die religionsgeschichtliche Untersuchung von

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könnte auch sagen, dass die Akkommodationslehre den AnthropomorphismusGebrauch rechtfertigt – denn natürlich lässt sich angesichts der Beurteilung anthropomorpher Gottesrede als uneigentlich oder der Wirklichkeit Gottes unangemessen zurückfragen, warum die biblischen Überlieferungen diese erklärungsbedürftige und zumindest potenziell irreführende Form der Gottesrede überhaupt bemühen.101 Zur Erklärung greift hier die Idee der göttlichen Akkommodation, wie Boyd und andere Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘ herausstellen, und sie wird im Anschluss an Philo von Alexandrien in der Kirchen- und Theologiegeschichte gerade für jene Texte geltend gemacht, welche zur Begründung des Offenen Theismus unabdingbar sind.102 Dieser Denkfigur entsprechend ist Gott an manchen Stellen der Bibel in menschlicher, sinnlichleibhafter Weise beschrieben, weil sich Gott in seiner Offenbarung dem begrenzten menschlichen Verständnisvermögen anpasst: Die biblische Selbstbezeugung Gottes lässt sich demnach auf das Niveau theologisch und philosophisch unmündiger Leser herab und ermöglicht ihnen eine wenigstens gebrochene Gotteserkenntnis.103 Hinter diesem Akt der Kondeszendenz steht nach klassischer Vorstellung ein pädagogisches Motiv, wie auch die Offenen Theisten anerkennen: Die Anpassung Gottes erfolgt mit dem Ziel der schrittweisen Erziehung des Menschen hin zu einer tieferen theologischen und philosophischen Einsicht und also hin zu einer erhabeneren Erkenntnis Gottes, welche den uneigentlichen, menschenähnlichen Gottesbegriff hinter sich lässt.104 Wenn die Deutekategorie des Anthropomorphismus die Frage beantwortet, wie in den besagten Texten von Gott gesprochen wird: nämlich in menschlicher, sprich: uneigentlicher Weise, dann beantwortet die pädagogisch-didaktische Figur der Akkommodation demnach die Frage, warum hier in solcher Weise von Gott gesprochen wird: nämlich um des beschränkten menschlichen Verständnisvermögens willen.105

101 102 103 104 105

Benin, The Footprints of God; zum Akkommodationsgedanken bei Calvin vgl. neuerdings Huijgen, Divine Accommodation in John Calvin’s Theology. Vgl. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 99; Hasker, Providence, Evil, and the Openness of God, 159. Vgl. v. a. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98, Anm. 18 – Boyd rekurriert auf die Untersuchung zur alexandrinischen Theologie von McLelland, God The Anonymous, 37– 40 und 122f (vgl. auch ebd., 70f; 114f). Vgl. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 99f. Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 29; McLelland, God The Anonymous, 39f. Zumindest unter der Voraussetzung eines traditionellen Inspirationsverständnisses könnte man das Phänomen des Anthropomorphismus auch als Bewegung vom Menschen auf Gott hin, die Figur der Akkommodation dagegen als Bewegung von Gott zum Menschen her verstehen: Die Anthropomorphismus-Kategorie problematisiert dann letztlich die biblische Rede von Gott, indem sie sie als uneigentlich und unangemessen ausweist – der Mensch stellt sich Gott in menschlicher Weise vor, auch wenn Gott in Wirklichkeit alle menschlichen

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Zum theologiegeschichtlichen Nachweis dieser hermeneutischen Strategie greifen Boyd und Sanders im Besonderen Calvins Interpretation der biblischen Rede von der Reue Gottes auf.106 Im Verständnis des Reformators stellen einzelne alttestamentliche Überlieferungen Gott als reumütig dar, nicht weil dieser tatsächlich seine Gesinnung ändern könnte, sondern „weil nämlich unsere Schwachheit nicht zu seiner Höhe empordringt“.107 Solche menschenähnlichen Beschreibungen Gottes kommen also den beschränkten Kapazitäten der Hörer und Leser entgegen, dürfen aber nicht für bare Münze genommen werden: Gott erklärt sich dem Menschen im Modus der Akkommodation „nicht, wie er an sich selber ist, sondern wie er von uns erfahren wird“.108 Auch wenn eine Vielzahl von Texten ausdrücklich von Gottes Reue oder Gesinnungswandel spricht, wird in Wahrheit doch „weder sein Ratschluss noch sein Wille verändert, noch seine Neigung verwandelt“.109 In Auseinandersetzung mit den biblischen Erwähnungen von Körperteilen Gottes kann Calvin diese göttliche Selbstbescheidung etwa im Bild einer Mutter oder Amme fassen, welche sich auf die sprachliche Ebene eines Kleinkindes herablässt, um von diesem verstanden zu werden. Wie die genannten Vertreter des Offenen Theismus zeigen, ist für Calvin völlig klar, „dass Gott an solchen Stellen mit uns kindlich redet“ und seine Erkenntnis unserer Begrenztheit anpasst – womit die sperrigen, dem hergebrachten theologisch-philosophischen Gottesbegriff zuwiderlaufenden Redeformen der Bibel zu einem Beispiel göttlicher Herabneigung und Erziehung erklärt werden.110 Das Instrument der Akkommodation funktioniert auch hier bereits unter Voraussetzung der Uneigentlichkeit der betreffenden Gottesrede oder in der Absicht, diese Uneigentlichkeit zu plausibilisieren – ein Umstand, der vor allem von Boyd und Sanders scharf kritisiert wird: Woher eigentlich nimmt Calvin die Gewissheit, dass es sich bei den biblischen Bezeugungen der Reue Gottes um

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Beschreibungen transzendiert. Die Kategorie der Akkomodation legitimiert aber die biblische Rede von Gott wieder, indem sie sie offenbarungstheologisch qualifiziert – Gott stellt sich dem Menschen in menschlicher Weise vor, weil sich der Mensch von ihm sonst keinerlei Begriff machen könnte – vgl. hierzu auch Huijgen, Divine Accommodation in John Calvin’s Theology, 381–384. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98f; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 29f. Boyd und Sanders rekurrieren v. a. auf Calvins verdichtete Auseinandersetzung mit der Reue Gottes in seiner Institutio Christianae Religionis, Buch I, Kapitel 17,13 (zur deutschen Wiedergabe vgl. Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, übersetzt von Otto Weber, 119). Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, Buch I, Kapitel 17,13 (in der Ausgabe von Otto Weber: 119) – vgl. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98. Siehe Anm. 107. Siehe Anm. 107. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 29; Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98; das Zitat stammt aus Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, Buch I, Kapitel 13,1 (in der Ausgabe von Otto Weber: 64).

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uneigentliche „Kindersprache“ handelt, fragen sie gleichermaßen – und warum scheint der Reformator durchaus imstande zu sein, diese angepasste Gottesrede in eigentliche „Erwachsenensprache“ zu übersetzen und also festzuhalten, wie es um Gottes Eigenschaften wirklich steht?111 Und wenn die Bibel sowohl kindliche als auch klare Gottesrede enthalten soll, argumentiert Sanders, dann müssten die Kriterien deutlich gemacht werden, anhand derer die beiden Modi der Gottesrede differenziert werden können (eine Forderung, die im Folgenden genauso an die Unterscheidung von anthropomorpher und nicht anthropomorpher Gottesrede gestellt wird).112 Calvin aber scheine sich anzumaßen, bereits vorgängig wissen zu können, wie Gott eigentlich ist und welche biblischen Beschreibungen Gottes darum als uneigentliche Anpassungen zu gelten haben.113 Konkreter noch will Boyd wissen, was denn die biblische Rede von der Reue Gottes noch positiv aussagen könne, nachdem klargemacht wurde, dass sich Gott in Tat und Wahrheit auf keinerlei Weise verändert. Er sieht hier einen Unterschied zur biblischen Rede etwa von der „rechten Hand Gottes“ oder von den „Augen des Herrn“: Die Erwähnung von Körperteilen Gottes hat Boyds Einschätzung nach eine zweifellos funktionale Bedeutung – auch nachdem eine „wörtliche“ Lesung im Sinne der Körperlichkeit Gottes verworfen wurde, sagen die genannten Stellen noch „etwas über die Stärke oder Erkenntnis Gottes“ aus.114 Die Rede von der Reue Gottes hingegen scheint nicht allein jeder positiven Bedeutung entleert zu sein, wenn jegliche Fähigkeit Gottes zur Veränderung bestritten wird – sie ist vielmehr „schlechthin irreführend“.115 Aus Gründen der fragwürdigen Exegese einzelner Texte wie auch der implizierten hermeneutischen Vorurteile verwerfen darum sämtliche Vertreter des Offenen Theismus den 111 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 30; und sehr pointiert: Boyd, Satan and the Problem of Evil, 98f: „Calvin apparently believes that his ‚weakness‘ does not preclude him from attaining to God’s ‚exalted state.‘ To the contrary, he seems confident that he has attained it and is capable of communicating it to others“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. aber neuerdings auch die Würdigung einzelner Aspekte der calvinistischen Akkommodationslehre durch Boyd in Boyd, Divine Accommodation and the Cross; ders., The Crucifixion of the Warrior God, Vol. 2, 701–763, hier v. a. 709f. 112 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 30. 113 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 30; vgl. auch den Dialog zur Leidensfähigkeit Gottes zwischen Christopher Hall und John Sanders in Hall/Sanders, Does God Have A Future?, 101–105 – hier bes. 103. 114 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 99; ders., God of the Possible, 118f. 115 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 99; ders., God of the Possible, 118f; vgl. auch Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 69 (die Stelle findet sich in der 2nd Edition nicht mehr), sowie Hasker, Providence, Evil, and the Openness of God, 159 (Hasker verurteilt die menschenähnlichen Beschreibungen Gottes unter den Voraussetzungen der Akkommodationslehre als „divinely inspired misinformation about God“). Der Kritiker des Offenen Theismus Bruce Ware versucht auf die Frage nach der positiven Bedeutung der Reuerede unter ‚klassisch-theologischen‘ Voraussetzungen eine Antwort zu geben – vgl. Ware, God’s Lesser Glory, 90f.

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theologiegeschichtlich gängigen Umgang mit den strittigen Beispielen biblischer Gottesrede.

3.2.4 Der eingeschränkte Anthropomorphismus-Begriff im Offenen Theismus Sind sich die Offenen Theisten auch einig, dass der Anthropomorphismus-Begriff in dargestellter Weise vorbelastet ist und gerade im Zusammenspiel mit der Akkommodationslehre dem Vollzug einer problematischen „doppelbödigen“ Hermeneutik dient, so ziehen sie doch unterschiedliche Konsequenzen aus diesem Befund. Da keiner der Vertreter des Offenen Theismus ganz auf die Kategorie der ‚anthropomorphen‘ Gottesrede verzichten will, kann man grob zwei Verwendungsweisen differenzieren: Zum einen lässt sich etwa bei Gregory Boyd und ferner bei Richard Rice und William Hasker eine eingeschränkte Anwendung des Anthropomorphismus-Begriffs beobachten, wobei das Urteil der Uneigentlichkeit anthropomorpher Rede beibehalten wird, zum anderen findet sich bei Clark Pinnock und vor allem in den neueren Publikationen John Sanders’ eine entschränkte Anwendung des besagten Terminus unter Verzicht auf ein Urteil zur Uneigentlichkeit solcher Rede. Im Glossar seines offen-theistischen Gesamtentwurfes Satan and the Problem of Evil erklärt Gregory Boyd zum Begriff des Anthropomorphismus, die Bibel sei tatsächlich voll von anthropomorphen Vorstellungen Gottes – „aber die Rede vom Gesinnungswandel Gottes, die Verwendung der Möglichkeitsform zur Beschreibung der Zukunft sowie die Belege für die Überraschung oder Enttäuschung Gottes gehören nicht dazu“. Diese Ausdrucksformen seien vielmehr „genauso wörtlich“ zu nehmen wie etwa die biblische Rede von der Liebe, Treue oder Heiligkeit Gottes.116 Richard Rice schlägt denselben Weg ein, wenn er zwar zugesteht, dass sich in der Bibel „eine ganze Menge“ Anthropomorphismen finden – er zählt dazu die Erwähnung eines „Spaziergangs“ des Schöpfers im Garten Eden, Gottes Herabkommen auf die Erde zur Besichtigung des Turmbaus zu Babel oder verschiedene Berichte von Erscheinungen Gottes in Menschengestalt –, er aber die Referenztexte des Offenen Theismus von dieser Kategorie ausnehmen will.117 Nach seiner Überzeugung sollten nur die körperlich-gestalthaften Beschreibungen Gottes in „symbolischer“, „nicht wörtlicher“ Weise verstanden werden, nicht aber die für die ‚offene Sicht Gottes‘ zentrale biblische Rede von Gottes Erwägungen, Entscheidungen, Handeln und Fühlen.118 Bei aller Kritik an der Anwendung des Anthropomorphismus-Begriffs auf das biblische 116 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 418; vgl. ders., God of the Possible, 118f. 117 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 34. 118 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 34f.

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Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ teilen Boyd und Rice also das in der Auslegungsgeschichte verbreitete Urteil, dass es sich bei der anthropomorphen Rede der Bibel um unangemessene Ausdrucksweisen handelt, welche Gott nicht im eigentlichen Sinne zuzuschreiben sind. Sie verschieben lediglich die Grenze zwischen der „wörtlichen“ (angemessenen) und der „anthropomorphen“ (unangemessenen) Gottesrede – eben so, dass ihre Referenztexte nicht mehr in die Kategorie des Anthropomorphismus fallen. Opponenten des Offenen Theismus haben darauf wiederholt mit dem Vorwurf der Inkonsequenz reagiert: Wenn die Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ die biblischen Beschreibungen der Reue oder Enttäuschung Gottes wörtlich nehmen wollten, dann müssten sie etwa auch die Rede von den Armen, Händen und Füßen Gottes wörtlich nehmen und Gott folglich eine physische Gestalt zuschreiben.119 Boyd wehrt sich gegen dieses „ausgesprochen schwache Argument“ mit dem Hinweis darauf, dass doch von Vertretern der ‚klassischen‘ Theologie umgekehrt auch nicht verlangt werde, jede biblische Rede von Gott als anthropomorph zu verstehen, nur weil sie einige Zeugnisse in diesem Sinne lesen.120 Von den „Traditionalisten“ trenne die Offenen Theisten nicht die Tatsache, dass sie wörtliche und anthropomorphe Rede in der Bibel unterscheiden, sondern vielmehr die Antwort auf die Frage, wo diese Unterscheidung zu treffen ist.121 Wie aber lässt sich die Ausklammerung der Referenztexte des Offenen Theismus aus der Kategorie der anthropomorphen Gottesrede begründen? Boyd gibt darauf eine zweifache Antwort, wenn er klarstellt, dass nur solche biblischen Aussagen über Gott als anthropomorph zu gelten haben, welche entweder in einem zweifellos poetischen Sinne gemacht werden oder aber schlicht „lächerlich“ wären, wenn sie wörtlich genommen würden.122 Sofort versichert Boyd dann, es sei nichts Poetisches und auch nichts Lächerliches an der Art und Weise, in der die Bibel von Gottes Reue, Gesinnungswandel oder Zukunftserwartung spreche: Meist begegne solche Gottesrede in den narrativen Texten der Bibel, und 119 Vgl. Erickson, What Does God Know and When Does He Know it?, 61–75. Erickson greift hier die Behauptung der Offenen Theisten auf, eine möglichst „wörtliche“ Lesung der biblischen Gottesrede zu erlauben, und versucht dann anhand verschiedener Beispiele anthropomorpher Rede in der Bibel zu zeigen, dass sich die offen-theistische Hermeneutik damit selbst ad absurdum führt. Ähnlich äußern sich auch Ware, God’s Lesser Glory, 84–86; Geisler, Creating God in the Image of Man?, 89; und ferner Caneday, Veiled Glory, 188– 196. 120 Boyd, Isn’t God Changing his Mind an Anthropomorphism?. 121 Boyd, Isn’t God Changing his Mind an Anthropomorphism?. 122 Boyd, God of the Possible, 118. Ganz ähnlich drückt sich William Hasker aus: In seiner hauptsächlich analytisch-philosophischen Untersuchung Providence, Evil and the Openness of God hält er an einer Stelle fest, dass der Offene Theismus im Unterschied zur ‚klassischen‘ Theologie nur jene Aspekte der biblischen Gottesrede von einer wörtlichen Lesung ausschließt, welche auf Gott „ganz offensichtlich nicht anwendbar“ seien – vgl. Hasker, Providence, Evil and the Openness of God, 198.

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

nur Lesern mit einem ‚klassischen‘ (von griechisch-philosophischen Denkfiguren geprägten) Vorbegriff dessen, wie Gott sein müsste, könnten diese Beschreibungen absurd erscheinen.123 Die Texte selbst geben nach Boyds Beobachtung keinerlei Hinweis darauf, dass hier in uneigentlicher Weise von Gott gesprochen würde, und auch im übrigen Gotteszeugnis der Bibel lasse sich nichts finden, was die Interpretation dieser Stellen in einem übertragenen Sinne (als „bloß anthropomorphe“ Rede) verlange oder auch nur rechtfertige.124 So beschreibe die Bibel etwa Gottes Charakter als unveränderlich, behaupte aber an keiner Stelle, Gott sei in jeder Hinsicht zur Veränderung unfähig. Genauso hielten gewisse Textstellen zwar den Entschluss Gottes fest, seine Gesinnung in bestimmten Situationen nicht mehr zu wandeln, ohne aber damit zu sagen zu wollen, dass Gott grundsätzlich zur Reue unfähig sei.125 Wenn also der Kritiker Bruce Ware erklärt, eine bestimmte an der menschlichen Erfahrungswelt orientierte Zuschreibung zum Wesen oder Wirken Gottes in der Heiligen Schrift habe dann als anthropomorph zu gelten, wenn die Schrift selbst andernorts deutlich mache, dass Gott ebendiese Zuschreibung transzendiere,126 dann scheinen zumindest Boyd und Rice dieser Definition zuzustimmen – sie sind allerdings überzeugt, dass der biblisch bezeugte Gott die strittigen Eigenschaften der Veränderungsbereitschaft oder Reue gerade nicht transzendiert, sondern als liebevoller Teilhaber der Menschheitsgeschichte vielmehr hervorragend manifestiert. Trotz der Berufungen auf den Wortlaut der Texte und das „Gesamtzeugnis“ der Schrift entgehen die genannten Offenen Theisten dem Vorwurf der Zirkularität ihrer Argumentation genauso wenig wie ihre ‚klassisch‘ -theistischen Opponenten. Beide gehen aus von einer Distinktion zwischen eigentlicher (wörtlicher) und uneigentlicher (anthropomorpher oder in anderer Weise metaphorischer) Gottesrede in der Bibel, und beide wollen Letztere nach Vorgabe der Ersteren verstanden wissen. Die Entscheidung darüber, welche Aussagen der Bibel zum Wesen und Wirken Gottes als uneigentliche (anthropomorphe) Rede zu verstehen sind, ist nun aber gerade abhängig davon, welche biblischen Aussagen als eigentliche Rede von Gott anerkannt werden – was sich wiederum erst entscheiden lässt, wenn die uneigentliche Rede von Gott in der Bibel identifiziert 123 Boyd, God of the Possible, 118f. 124 Boyd, God of the Possible, 118f. 125 Boyd/Eddy, Across the Spectrum, 67f; vgl. auch ders., Isn’t God Changing his Mind an Anthropomorphism?: „The only claim of Open Theists is that there’s no good exegetical or philosophical reason to take passages that speak about God changing his mind as anthropomorphic.“ Ebenso ders., Christian Love and Academic Dialogue, 240. 126 Ware, God’s Lesser Glory, 86 – und übereinstimmend schon ders., An Evangelical Reformulation of the Doctrine of the Immutability of God, 441f: „A given ascription to God may rightly be understood as anthropomorphic when Scripture clearly presents God as transcending the very human or finite features it elsewhere attributes to him.“

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ist… Man mag zwar gewisse sprachliche Indikatoren für „eigentliche“ oder „uneigentliche“ Rede und wohl auch einige wiederkehrende Kennzeichen „gesamtbiblischer“ Gottesvorstellung ausmachen, aber solche Faktoren sind in keiner Weise aussagekräftig genug, um eine unzweideutige Unterscheidung zwischen den beiden fraglichen Modi der Gottesrede treffen zu können. Der Ausleger kommt also gar nicht umhin, die Frage aufgrund eines Vorbegriffs dessen zu klären, was vom eigentlichen Wesen und Wirken Gottes zu sagen „angemessen“ ist. Wenigstens John Sanders scheint dieses Problem erkannt zu haben, wenn er in der Erstauflage von The God Who Risks zur Frage nach der Interpretation der Gottesreue festhält, dass „die Unterscheidung zwischen den Texten, welche meinen, was sie sagen, und jenen, die etwas anderes meinen, als sie sagen“, von den „kontrollierenden theologischen Überzeugungen“ des Interpreten abhänge.127 Wenn er dies auch zunächst kritisch auf die ‚klassische‘ Theologie münzt, so gibt er dann doch zu, dass der Gebrauch kontrollierender theologischer Überzeugungen letztlich unumgänglich ist und dass jeder Ausleger darum zumindest in der Gefahr steht, die Schrift zu einer „Wachsnase“ zu machen, „die wir entsprechend unseren eigenen theologischen Vorverständnissen formen“.128

3.2.5 Der entschränkte Anthropomorphismus-Begriff im Offenen Theismus Spätestens seit der Neuauflage von The God Who Risks (2007) verfolgt Sanders darum eine andere Lösung des Anthropomorphismus-Problems. Er nimmt zunächst die Anschuldigung seiner Gegner auf, er gründe seine ‚offene Sicht Gottes‘ auf die „metaphorischen“ (näherhin „anthropomorphen“) und darum „schwachen“ Beschreibungen Gottes in der Bibel, anstatt die „wörtlichen“ und darum „starken und klaren“ Zeugnisse ins Zentrum zu stellen – und problematisiert daraufhin nicht (wie Boyd und Rice) die herkömmliche Grenzziehung zwischen den wörtlichen und metaphorischen (anthropomorphen) Beschreibungen Gottes, sondern die Möglichkeit einer solchen Grenzziehung überhaupt.129 Sanders 127 Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 69. 128 Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 298f, Anm. 116. Es ist durchaus erstaunlich, dass etwa Gregory Boyd und Richard Rice diese Problematik in ihrer eigenen Argumentation nicht zu bemerken scheinen, obschon sie ihren „traditionalistischen“ Gegnern immer wieder vorwerfen, mit einem hellenistischen Vorbegriff von der „wahren Natur Gottes“ an die Texte heranzutreten – vgl. etwa Boyd, Isn’t God Changing his Mind an Anthropomorphism?. 129 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 21; vgl. hierzu auch Hall/Sanders, Does God Have a Future?, 124–129 – hier setzt sich Sanders u. a. mit Paul Helm auseinander, welcher in beispielloser Strenge ein wörtliches und ein anthropomorphes „set of data“ in der biblischen Gottesrede unterscheidet: vgl. Helm, The Providence of God, 51–55.

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

stützt sich dazu auf die aktuellen Erkenntnisse der kognitiven Linguistik, im Besonderen auf die von George Lakoff und Mark Johnson entwickelte „konzeptuelle Metapherntheorie“.130 In zahlreichen Untersuchungen zeigen diese beiden Pioniere und Hauptvertreter jenes interdisziplinären Forschungsfeldes, dass Metaphern keineswegs nur spezifische rhetorische Erscheinungen sind, welche etwa in der poetischen Sprache oder in bewussten figurativen Redeweisen Anwendung finden, sondern dass vielmehr das „konzeptuelle System“ des Menschen selbst metaphorisch strukturiert ist: Die Art und Weise, in der Menschen ihre Welt wahrnehmen, diese Wahrnehmungen konzipieren und diese Konzepte wiederum sprachlich zum Ausdruck bringen, ist von Metaphern aus der körperlich-sinnlichen Erfahrung durchdrungen und durch sie konstituiert. Lakoff kann darum festhalten, dass „die Entdeckung des enormen Metaphernsystems“, welches „hinter unserer alltäglichen Sprache und auch unseren abstraktesten Konzepten“ steht, „die traditionelle Unterscheidung von wörtlicher und bildhafter Rede zerschlägt“.131 Selbst dann, wenn jemand ausdrücklich um abstrakte, „nüchterne“, „wissenschaftliche“ Sprache bemüht ist, wird er nach Einschätzung der Vertreter dieser Theorie den unbewussten Gebrauch konzeptueller Metaphern nicht vermeiden können.132 Ebendies weist Sanders nun im Blick auf das klassisch-theistische Verständnis „wörtlicher“, nichtmetaphorischer Gottesrede nach. Er stellt keineswegs in Abrede, dass es sich bei der Rede von der Umkehr, der Reue (repentance) oder dem Gesinnungswandel (change of mind) Gottes um bildhaften Sprachgebrauch, näherhin um metaphorische Übertragungen aus der körperlich-sinnlichen Welt, handelt: Wer von einer „Umkehr“ spreche, referiere dabei auf die Erfahrung des Richtungswechsels auf Reisen, und wenn von einem „Gesinnungswandel“ 130 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 19–27; Sanders gesteht jedoch selber ein, dass er in der Zweitauflage von The God Who Risks zwar einige Kernideen der kognitiven Linguistik vorstellt, sie aber nicht weiter verarbeitet und darum zunächst hinter seinem Anspruch zurückbleibt, eine neue Lösung für das Anthropomorphismus-Problem zu liefern (persönliche Korrespondenz mit John Sanders vom 19. 11. 2016). In den folgenden Jahren spezialisiert sich Sanders aber zunehmend auf das Feld der kongnitiven Linguistik und tritt 2016 mit einem Buch hervor, das die Ergebnisse dieser Forschungsrichtung für die Theologie fruchtbar machen will: Sanders, Theology in the Flesh (der Buchtitel lehnt sich an das Standardwerk von George Lakoff und Mark Johnson Philosophy in the Flesh an) – vgl. die wichtigsten Werke zur konzeptuellen Metapherntheorie: Johnson, The Body in the Mind; Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things; ders., The Contemporary Theory of Metaphor, 1993, 202–252; Lakoff/Johnson, Metaphors We Live By; dies.: Philosophy in The Flesh. 131 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 19–21 – Sanders zitiert aus Lakoff, The Contemporary Theory of Metaphor, 204; vgl. auch den neueren Aufsatz von Kertész, Die kognitive Metapherntheorie als metalinguistisches Unterfangen, 39–60. 132 Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 19f: „The assumptions made by the traditional theory are false because we erroneously think we are speaking literally when we are often using conceptual metaphors.“

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(change of mind) die Rede sei, stehe das Austauschen eines Gegenstandes gegen einen anderen im Hintergrund, erklärt Sanders.133 Das gelte aber genauso für scheinbar abstrakte Eigenschaften wie der der Unbeweglichkeit Gottes (immutabilitas Dei) – auch diese Zuschreibung verweist nach Sanders’ Einschätzung auf unterschwellige „konzeptuelle Metaphern“, denn als unveränderlich würden zunächst Objekte wahrgenommen, „die allen Kräften widerstehen, welche sie bewegen“ wollten: Das vermeintlich „abstrakte“ Konzept der Unbeweglichkeit oder Unveränderlichkeit Gottes „schöpft aus der dinghaften Erfahrung, etwa einen Felsbrocken auf einem Feld nicht verschieben zu können“.134 Ähnliches stellt Sanders später u. a. für die Rede von der „Transzendenz“ Gottes heraus:135 Auch dieser vom lateinischen Verb für „hinübersteigen“ oder „heraustreten“ abgeleitete Terminus rekurriere auf die menschliche Welterfahrung – das Überschreiten einer bestimmten Zone oder das Entfernen eines Gegenstandes aus einem Behälter –, was sich etwa in der Beobachtung Colin Guntons widerspiegelt, das gängige christliche Verständnis von Transzendenz sei ein „Gefangener der Raummetaphorik“ geworden.136 Das Festhalten der Kritiker des Offenen Theismus an den nicht metaphorischen und deshalb „starken und klaren“ Eigenschaften Gottes, wie sie in bestimmten biblischen Überlieferungen zum Ausdruck kommen und in der ‚klassischen‘ Gotteslehre theologisch verarbeitet wurden, ist nach Sanders also verfehlt (und sogar die Rede von „starken und klaren“ Eigenschaften selbst greift seinem Urteil nach noch auf „konzeptuelle Metaphern“ aus der körperlich-sinnlichen Erfahrung eines starken, unbezwingbaren Objektes und einer klaren, unverstellten Sicht zurück).137 Die scharfe Dichotomie zwischen wörtlicher und metaphorischer Gottesrede löst sich angesichts der Erkenntnisse der kognitiven Linguistik und näherhin der 133 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 21f. Diese Einordnung des Reuebegriffs in die Weg- oder Gegenstands-Metaphorik verfängt freilich nur für die englische („repentance“/ „change of mind“) und allenfalls für die deutsche Sprache („Umkehr“/„Gesinnungswechsel“), nicht aber für das biblisch zugrunde liegende hebräische Verb nacham. Dieses könnte vielmehr etymologisch vom arabischen Verb nahama abgeleitet sein, dessen Grundbedeutung mit „heftig atmen, Luft schnappen, schnaufen“ wiedergegeben werden kann. Auch in diesem Fall würde die Rede von der „Reue Gottes“ freilich auf einer metaphorischen Übertragung körperlich-sinnlicher Welterfahrung beruhen. Es ginge dann, wie etwa Döhling erklärt, um eine „seelische Atemnot“, eine „psycho-physische Bedrückung, die durch nacham gelöst oder gemildert“ wird – vgl. Döhling, Der bewegliche Gott, 20. Unter anderen präferiert Jörg Jeremias diese Ableitung des biblischen Reuebegriffs, während Jan-Dirk Döhling sie wieder problematisiert (Döhling, Der bewegliche Gott, 21; Jeremias, Die Reue Gottes, 15f sowie 124f). 134 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 21f. 135 Sanders, Theology in the Flesh, 250f. 136 Sanders, Theology in the Flesh, 253f. 137 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 22; und ausführlicher Sanders, Theology in the Flesh, 121–129.

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konzeptuellen Metapherntheorie auf, und die auf dieser Dichotomie aufbauende Kritik am Offenen Theismus ist, wie Sanders klarstellt, „null und nichtig“.138 Mit Bonhoeffer kann er sogar festhalten, dass „der abstrakte Gottesbegriff im Grund viel anthropomorpher [ist], eben weil er es nicht sein will, als der kindliche Anthropomorphismus“.139 Im Blick auf den Vorwurf anthropomorpher Rede bedeutet dies für Sanders, dass er für sämtliche menschliche Rede von Gott zu gelten hat: Hat sich Sanders schon in der Erstauflage von The God Who Risks (1998) dem Diktum Herman Bavincks angeschlossen: „Die ganze Schrift ist anthropomorph!“,140 so holt er diese Überzeugung nun unter Rückgriff auf die kognitive Linguistik auch theoretisch ein.141 Für ihn ist klar, dass der Mensch über Gott nicht anders nachdenken und von ihm nicht anders reden kann als unter Verwendung jener konzeptionellen und begrifflichen Werkzeuge, die ihm die körperlich-sinnliche Welterfahrung zur Verfügung stellt: „Wenn Menschen sich von Gott einen Begriff machen wollen, dann sind sie auf dieselben kognitiven Fähigkeiten angewiesen, welche sie auch für das Nachdenken über alles andere gebrauchen“, ist Sanders überzeugt – und das sind notwendigerweise „spezies-spezifische“ oder eben „anthropomorphe“, durch die konkrete menschenweltliche Existenz geformte Mittel.142 Zum Gebrauch von Anthropomorphismen gibt es nach Sanders also keine Alternative,143 und er weist dies in seiner neuesten Arbeit zu den theologischen Implikationen der kognitiven Linguistik (Theology in the Flesh, 2016) gerade anhand einiger jener philosophischen und theologischen Ansätze nach, welche eine ausdrückliche Vorsicht oder sogar Abneigung gegenüber „anthropomorphen“ Beschreibungen Gottes zeigen.144 Schon Xenophanes, auf den die antianthropomorphe Tradition in Philosophie und Theologie nach Einschätzung aller Offenen Theisten ganz wesentlich zurückgeht, macht sich zwar über die menschenförmigen Gottesvorstellungen seiner Zeit lustig, kann aber durchaus anerkennen, dass Gott „denkt“, alles „sieht“ und alles „hört“.145 Ähnliches gilt nach Sanders’ Beobachtung für Philo von Alexandrien, welcher wohl 138 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 21f; vgl. ebd., 22: „[W]e cannot ‚escape‘ using conceptual metaphors since it is through these that we understand abstractions. Also, if the ‚clear and strong‘ texts turn out to be conceptual metaphors rather than ‚literal,‘ then the very dichotomy that the critics are relying on – figurative-literal – has dissolved.“ 139 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 27 – vgl. Bonhoeffer, Schöpfung und Fall, 69f. 140 Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 22; vgl. ebd., 19: „[A]ll the language we employ to speak of God is human language and thus is tinged with anthropomorphism.“ 141 Vgl. hierzu v. a. das Kapitel „Conceiving God“ in Sanders, Theology in the Flesh, 243–276. 142 Sanders, Theology in the Flesh, 244f; vgl. auch ebd., 23f. 143 Sanders, Theology in the Flesh, 249. 144 Sanders, Theology in the Flesh, 248–250. 145 Sanders, Theology in the Flesh, 248.

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überzeugt ist, dass gebildete Menschen „niemals Eigenschaften des geschöpflichen Seins auf Gott übertragen“ würden, dann aber doch von dem „lebendigen Gott“ sprechen kann, der über die weltlichen Angelegenheiten „regiert“.146 Calvins Kritik an den biblischen Reuetexten oder der Rede vom Zorn Gottes unterläuft sich gleichfalls selbst, wie Sanders festhält: Wenn der Reformator nämlich erklärt, Gott wolle sich mit derartigen Selbstbeschreibungen an die Unwissenheit des Menschen anpassen, auch wenn ihm solche menschlichen Regungen in Wirklichkeit natürlich fremd seien, so unterstellt er Gott gerade damit die äußerst menschliche Eigenschaft des absichtsvollen Handelns.147 Selbst die konsequentesten Versuche einer negativen Theologie im Geiste neuplatonischer Philosophie entlarvt Sanders auf begrifflicher und konzeptueller Ebene als zutiefst „menschengestaltige“ Unternehmen, was ihn zum Fazit veranlasst: „Ob wir nun kataphatisch oder apophatisch von Gott sprechen – wir gebrauchen letztlich immer anthropogene kognitive Strukturen, Bildschemata und Metaphern“.148

3.2.6 Die Frage der Angemessenheit anthropomorpher Gottesrede Die Einsicht in die unausweichlich anthropomorphe Formatierung aller Rede von Gott ist für Sanders zunächst ein Grund zur epistemologischen Bescheidenheit. Das von ihm vielerorts beobachtete Bemühen christlicher Philosophen und Theologen um eine möglichst abstrakte, von kulturellen Bedingtheiten und semantischen Mehrdeutigkeiten befreite Sprache sowie das spezifische Unterfangen, ungenaue weil „metaphorische“ Gottesrede in präzise weil „wörtliche“ Rede zu übersetzen, ist auf dem Hintergrund der dargestellten linguistischen und metapherntheoretischen Überlegungen zum Scheitern verurteilt: „Die Suche nach zeitloser und kulturfreier Wahrheit ist für den Menschen eine Sackgasse“, stellt Sanders klar, und eben deshalb sei größere Vorsicht bei der Äußerung von 146 Sanders, Theology in the Flesh, 248f. 147 Sanders, Theology in the Flesh, 250. 148 Sanders, Theology in the Flesh, 251. Sanders führt in Theology in the Flesh den Begriff der Anthropogenese ein, wohl um Verwechslungen mit dem eingeschränkten klassischen Verständnis des Anthropomorphismus zu vermeiden (in der Erstauflage von The God Who Risks hat Sanders noch zwischen einem „engeren“ und einem „weiteren“ Begriff des Anthropomorphismus unterschieden – der letztere geht nun im Begriff der „anthropogenen“ Rede auf). Zur anthropogenen Verhaftung aller menschlichen Sprache und Erkenntnis vgl. auch ebd., 23f. Sanders zitiert hier eine Grundeinsicht kognitiver Linguistik: „Due to the nature of our bodies, including our neuroanatomical architecture, we have a species-specific view of the world“ (aus Evans/Bergen/Zinken, The Cognitive Linguistics Enterprise, 270) – und erklärt hierzu: „[I]t means that all human understanding, on any topic, is anthropogenic, based upon the cognitive processes available to humans.“

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vorgeblich objektiven Erkenntnisansprüchen und Wahrheitsbehauptungen geboten.149 Zugleich gibt Sanders zu verstehen, dass er auch keinem erkenntnistheoretischen Konstruktivismus das Wort reden will, und er zeigt unter Berufung auf George Lakoff, dass die Forschungsergebnisse der kognitiven Linguistik nicht die Leugnung einer objektiven Realität an sich implizieren, sondern lediglich nachweisen, dass „wir keinen privilegierten Zugang zur objektiven Realität aus einem externen Standpunkt heraus“ besitzen.150 Die kognitive Linguistik gehe weder mit einer realistischen noch mit einer „antirealistischen“ Erkenntnistheorie notwendigerweise einher und sollte nicht unversehens vor den Karren eines „absoluten Relativismus“ gespannt werden, im Zuge dessen jede menschliche Welt- und Gotteserkenntnis mit dem Bann der Uneigentlichkeit belegt wird.151 Ausdrücklich wehrt sich Sanders dann eben gegen die Behauptung, der Mensch könne aufgrund seiner unhintergehbaren Verhaftung in Raum und Zeit und seiner spezifischen Körperlichkeit und Kulturgebundenheit überhaupt keine wahren Aussagen über Gott treffen – und also auch gegen die Schlussfolgerung, dass der faktische Zwang zur anthropomorphen Rede von Gott einem Zwang zur unangemessenen Rede gleichkomme.152 Das wäre nach Sanders nur dann der Fall, wenn Gott und die Geschöpfe „überhaupt keinen gemeinsamen Referenzrahmen“ teilen und darum alle menschlichen Begriffe und Konzepte zur Beschreibung Gottes notwendigerweise ins Leere greifen würden, weil Gott völlig jenseits aller menschlichen Begriffe und Konzepte (und den darin reflektierten Welterfahrungen) steht.153 Eine solche 149 Sanders, Theology in the Flesh, 7f. Sanders wendet sich dann im Besonderen gegen die teilweise überstiegenen Wahrheitsansprüche der neueren analytischen Theologie im Gefolge von Michael Rea, Oliver Crisp u. a. – vgl. ebd., 279, sowie 81–114 (hier besonders: 95f). Sanders’ Kritik an den epistemologischen Voraussetzungen analytischer Philosophie und Theologie ist durchaus bemerkenswert, steht doch der Offene Theismus zumindest teilweise in ebendieser Tradition. (Die gegen Rea gerichtete Anschuldigung ist allerdings nicht völlig gerechtfertigt – an den von Sanders zitierten Stellen referiert Rea einen klassischen erkenntnistheoretischen Realismus, ohne diese Position selbst eindeutig einzunehmen; vgl. Crisp/Rea (Hg.), Analytic Theology). 150 Sanders, Theology in the Flesh, 97 (Hervorhebungen dem Original entsprechend); Sanders macht auch klar, dass einige Vertreter der kognitiven Linguistik durchaus konstruktivistische Positionen vertreten (er spricht dabei vom „universal interpretationism“; ebd., 93) – er schließt sich ihnen aber nicht an. 151 Sanders, Theology in the Flesh, 100; vgl. ebd. 8. 152 Sanders, Theology in the Flesh, 8; ebd., 279. 153 Vgl. hierzu schon das Kapitel „A shared Context“ und „God as Wholly Other“ in Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 23–26 sowie 26–34; dann auch ders., Theology in the Flesh, 262–266 (In den folgenden Ausführungen wird meist die erste Auflage von The God Who Risks zitiert, da Sanders hier den erkenntnistheoretischen Grundfragen wesentlich mehr Platz einräumt als in der zweiten Auflage). Sanders’ Rede vom „shared context between God and creation“ hat ihm freilich schon früh vehemente Kritik eingebracht – vgl. etwa Caneday, Veiled Glory, 162; sowie Jones, Metaphor in Exile, 37–44 (Jones gründet seine Kritik auf einer ebenso missgünstigen wie verfehlten Darstellung der Position San-

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radikale Transzendenz Gottes ist zwar durchaus vertreten worden – Sanders referiert etwa die philosophischen Ansätze von Jacques Derrida, John Caputo und Emmanuel Levinas sowie die theologischen Entwürfe von John Hick, Paul Knitter und Gordon Kaufmann als Beispiele für Konzeptionen, welche Gott auf ihre je eigene Weise als den „ganz Anderen“ bestimmen und eine schlechthin unendliche qualitative Differenz zwischen Gott und Mensch verteidigen154 – aber deraratige Versuche werden von Sanders schon aus Gründen der fehlenden Konsequenz und Konsistenz abgelehnt: Zunächst machen die wortreichen Erläuterungen von Vertretern derartiger Konzeptionen nach Sanders’ Urteil selber nicht ernst mit der Behauptung, es gebe keinerlei Korrelation zwischen Gott und der geschöpflichen Wirklichkeit. Wer von der absoluten begrifflichen und konzeptionellen Unzugänglichkeit Gottes überzeugt ist, der erkläre Gott damit gewissermaßen zu einer „Teflonschicht“, an welcher keinerlei Vorstellungen und Eigenschaften haften bleiben, und sei angesichts der Gottesfrage konsequenterweise „zum Schweigen verpflichtet“, wie Sanders bildhaft deutlich macht.155 Dann aber hält er eine solche Position überhaupt für inkonsistent, zumal deren Vertreter gleich beides zu behaupten scheinen: „dass etwas unwissbar ist und dass sie etwas über das Unwissbare wissen“.156 Die Überzeugung, dass menschliche Sprache und Logik auf Gott selbst nicht anwendbar seien, unterläuft sich selber, wie Sanders herausstellt, denn natürlich kann auch ebendiese Überzeugung nur mittels menschlicher Sprache und Logik erlangt und vertreten werden.157

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ders’, nach welcher die Annahme eines von Gott und Mensch „geteilten Kontextes“ nur noch univoke Gottesrede zulasse). Vgl. zu Derrida, Caputo und Levinas: Sanders, Theology in the Flesh, 259–262; zu Hick, Knitter und Kaufmann vgl. v. a. ders., The God Who Risks (1st Edition), 26–34. Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 29; sowie ders., The God Who Risks (2nd Edition), 29; und ders., Theology in the Flesh, 252. Sanders kann in Anlehnung an Paul Riceur auch vom „blanken Agnostizismus“ sprechen, zu welchem das Bekenntnis zur absoluten Transzendenz Gottes eigentlich verpflichtet – vgl. ders., Theology in the Flesh, 264. Diese Position wiederum hält Sanders letztlich für eine Form des Atheismus „in religiösem Gewand“ (ebd., 260f). Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 31. Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 31: „The problem with this tactic is that the conclusion is affirmed precicely on the basis of human language and logic! […] These thinkers are attempting to arrive at a concept of the ultimate metaphysical principle that transcends all concepts. […] An idea or concept of that which transcends all concepts is a contradiction in terms.“ – Die von Sanders herausgestellte Inkonsistenz einer absolut transzendenten Gottesvorstellung ist zumindest verwandt mit dem jeder konsequent relativistischen Position inhärenten Selbstwiderspruch. So wie sich die Behauptung „Alles ist relativ“ durch die Rückfrage „Also auch diese Behauptung selbst?“ aushebeln lässt, so lässt sich die Überzeugung „Alle menschlichen Aussagen über Gott sind sachlich unangemessen“ problematisieren durch die Rückfrage: „Also auch diese menschliche Aussage über Gott?“ (oder, entsprechend: „Über den absolut transzendenten Gott lässt sich nichts sagen“ – „Also

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In erster Linie lehnt Sanders die Vorstellung der absoluten Transzendenz und darum der schlechthinnigen Unerkennbarkeit Gottes deshalb ab, weil sie seiner Beobachtung nach der in den biblischen Schriften bezeugten Selbstoffenbarung Gottes eklatant widerspricht: Auch wenn es immer ein Skandal bleiben werde für alle, die auf der Suche sind nach dem „ultimativen metaphysischen Prinzip bar aller materialen Eigenschaften“ und „jenseits aller Partikularitäten“, so begegne in den Überlieferungen des Alten und Neuen Testaments doch zweifellos ein ausgesprochen „partikularer“ Gott, der in Raum und Zeit eintritt, sich in die Geschichte seiner Schöpfung verwickeln lässt und dabei sehr konkrete personale Eigenschaften unter Beweis stellt.158 Gerade in dieser Beteiligung Gottes am geschöpflichen und geschichtlichen Dasein des Menschen liegt nach Sanders aber die grundsätzliche Möglichkeit der Erkenntnis Gottes begründet: „Was auch immer wir von Gott wissen können, ist uns nur zugänglich durch seine Beziehungsnahme zur Schöpfung, durch seine Teilhabe an unserem Leben in unserem Kontext.“159 Christen haben nach Sanders’ Beobachtung gewöhnlich auch daran festgehalten, dass Gott zwar „mehr ist, als wir je wissen oder verstehen könnten“, dass er aber zugleich nicht „völlig jenseits unseres Wissens und Verstehens“ steht.160 Menschliche und damit notwendigerweise „anthropomorphe“ Rede von Gott ist nach Sanders’ Einschätzung also nicht per se dazu verurteilt, unangemessene, unsachgemäße, „uneigentliche“ Rede von Gott zu sein: Insofern Gott dem Menschen als sein personales Gegenüber begegnet und sich ihm unter den Voraussetzungen seiner Geschöpflichkeit und Geschichtlichkeit offenbart, können menschliche Begriffe und Konzepte durchaus etwas von dem „treffen“, was Gottes Wesen und Wirken selbst ausmacht, ist sich Sanders sicher – und dies eben nicht, weil sich der Mensch mit den Mitteln seines Verstandes aus den Bedingtheiten seiner Existenz erfolgreich herausreflektieren könnte, sondern weil sich der lebendige Gott mitten in diese Bedingtheiten hineinbegeben hat.161 Sanders stellt dann auch im Blick auf verschiedene gängige Formen und Modi der theologischen Gottesrede heraus, dass sie letztlich den Anspruch implizieren, etwas objektiv Zutreffendes über die Wirklichkeit Gottes auszusagen: Jede Rede von Gott, „ob sie sich nun Symbolen, Metaphern oder Modellen bedient“, läuft nach Sanders schlussendlich darauf hinaus, dass „eine gewisse

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auch nicht, dass sich über den absolut transzendenten Gott nichts sagen lässt …?“). Vgl. hierzu auch Sanders’ Fazit, ebd. 34. Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 32f. Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 24 = ders., The God Who Risks (2nd Edition), 29. Sanders stützt sich hier auf die auch von Terence Fretheim geäußerte fundamentale Überzeugung, dass der Mensch von Gott keinerlei Kenntnis haben kann außer durch Gottes Partizipation an der menschlichen Geschichte – vgl. Fretheim, The Suffering of God, 40. Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 29 – vgl. ebd., 25. Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 24–26.

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Gemeinsamkeit zwischen Gott und den Geschöpfen angenommen wird“.162 Erst die Annahme einer solchen Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit rechtfertige die Erwartung, dass menschliche Prädikationen Gottes einen substantiellen Wahrheitsgehalt aufweisen können. Auch Vertreter der klassischen Analogielehre in thomistischer Tradition gestehen nach Sanders’ Beobachtung zumeist ein, dass einige universale Aussagen über Gott in univoker Weise zu verstehen sind oder dass auch die analoge Gottesrede einen (wenn auch vielleicht unbestimmbaren) „wörtlichen oder univoken Kern“ aufweist.163 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist Sanders überzeugt, dass die unhintergehbar anthropomorphe Sprache der Bibel (und die unausweichlich anthropomorphe Gottesrede der Kirche) durchaus theologisch zutreffende, d. h. der Wirklichkeit Gottes entsprechende Aussagen machen kann.164

3.2.7 Das bleibende Problem der Interpretation „anthropomorpher“ Gottesrede Im Blick auf die konkrete Interpretation jener Texte, welche traditionell zu den „anthropomorphen“ Beschreibungen Gottes gezählt werden, wird unübersehbar, dass Sanders die Anthropomorphismus-Debatte durch seine Berücksichtigung der Ergebnisse kognitiver Linguistik zwar von überkommenen Engführungen und Fehlvorstellungen befreien kann, dass er der Problematik der strittigen Stellen damit aber kaum entgeht. Die „konzeptuelle Metapherntheorie“ und die damit einhergehende Einsicht in die unvermeidlich anthropomorphe Qualität und metaphorische Durchdringung aller Gottesrede löst ja die Frage nach dem angemessenen Verständnis solcher Gottesrede gerade nicht, sondern verschärft und erweitert sie vielmehr: Nicht allein jene im engeren Sinne „anthropomorphen“ Beschreibungen Gottes in den biblischen Texten zur Enttäuschung, Lernfähigkeit oder Reue Gottes müssen nun darauf geprüft werden, ob und in welcher Hinsicht sie theologisch sachgemäße, der Wirklichkeit Gottes entsprechende Aussagen treffen, sondern sämtliche biblische Rede von Gott, inklusive der vermeintlich „wörtlichen“ und „eigentlichen“ Aussagen, auf welche sich die 162 Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 25. 163 Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 25f: „Even those who defend the doctrine of analogy presuppose that in some respects similarities between God and us are univocal. […] There must be some properties that are used of God in the same sense that they are used of things in the created order. Otherwise we will be back in the cave of agnosticism.“ 164 Sanders, The God Who Risks (1st Edition), 25. Vgl. die knapperen Ausführungen bei Pinnock, Most Moved Mover, 62f (bemerkenswerterweise verweist Pinnock hier noch vor Sanders auf die kognitive Linguistik – vgl. ebd., 63, Anm. 91); vgl. ferner Hasker, Providence, Evil, and the Openness of God, 198.

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

‚klassische‘ Gotteslehre nach Sanders’ Beobachtung abstützt. Es geht dann eben nicht mehr um die Frage, wo die Grenze zwischen der „anthropomorphen“ und der „wörtlichen“ Gottesrede in der Bibel gezogen werden sollte und also welche „starken und klaren“ Beschreibungen Gottes die Interpretation der „schwachen und unklaren“ Stellen bestimmen dürfen (wie es etwa Boyd und Rice noch nahelegen). Vielmehr stellt sich insgesamt die Frage, welcher Wahrheitsgehalt der biblischen Rede von Gott zukommt und inwiefern die notwendigerweise anthropomorphen Beschreibungen Gottes in der Bibel adäquat von Gott reden. Sanders hat den Vertretern einer ‚klassischen‘ Gotteslehre (und überhaupt jeder theologischen und philosophischen Konzeption Gottes) mit anderen Worten lediglich dieselbe Aufgabe gestellt, vor welcher auch er nach wie vor steht. Seine weitere Auseinandersetzung mit der biblischen Gottesrede macht dies dann überaus deutlich. Wiederum unter Berufung auf die Erkenntnisse der kognitiven Linguistik zeigt Sanders nämlich, dass sowohl die unwillkürliche Verwendung metaphorischer Sprache wie auch der bewusste Gebrauch von Metaphern nie ungebrochen erfolgt, sondern gewissermaßen mit „Übertragungsverlusten“ einhergeht.165 Nach Lakoff und Johnson verbinden konzeptuelle Metaphern zwei begriffliche Domänen miteinander – einen konkreten, in der körperlichen, menschenweltlichen Erfahrung gegründeten Quellbereich und einen abstrakten, der Erfahrung nicht unmittelbar zugänglichen Zielbereich – wobei die Vergleichbarkeit der beiden Bereiche immer nur partiell ist: Nicht alle Aspekte des Quellbereichs können und sollen auf den Zielbereich übertragen werden.166 Wird Gott im biblischen Sprachgebrauch also etwa als „Hirte“, „Ehemann“ oder „Vater“ Israels beschrieben, führt Sanders aus, so teilt Gott nicht alle essentiellen und funktionalen Eigenschaften eines Hirten, Ehemannes oder Vaters. Der Interpret hat folglich die übertragbaren von den nicht übertragbaren Aspekten einer metaphorischen Zuschreibung zu unterscheiden (etwa: Gott ist ein Hirte, insofern er seine Getreuen kennt und sie vor Gefahren beschützen will, aber nicht insofern er ihre Haare schert, und Gott ist der Ehemann Israels, insofern er sich mit seinem Volk in einen Bund begibt und sich um es kümmert, aber nicht insofern er ein sexuelles Verhältnis unterhielte usw.).167 165 Vgl. hierzu v. a.: Sanders, Theology in the Flesh, 203–242, sowie ebd., 139–171. 166 Vgl. Sanders, Theology in the Flesh, 56f; ferner etwa die pointierte Beschreibung bei Kertész, Die kognitive Metapherntheorie als metalinguistisches Unterfangen, 41f. 167 Sanders kann betonen, dass eben in dieser eingeschränkten Übertragbarkeit eine Erklärung für die auffallende Vielfalt von Metaphern in der biblischen Beschreibung Gottes ist: Keine einzelne Metapher ist geeignet, alle Gesichtspunkte des Wesens und Wirkens Gottes abzudecken – vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 24, sowie ebd., 59. In seiner Darstellung der metaphorischen Gottesrede der Bibel verarbeitet Sanders u. a. die maßgeblichen Studien von Sweetser/DesCamp, Motivating Biblical Metaphors for God, 7–23; dies., Metaphors for God, 207–38. Vgl. ferner die von Sanders empfohlene Untersuchung von Masson, Without Metaphor, No Saving God.

Annäherungen an das Anthropomorphismus-Problem

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Dasselbe gilt auch und gerade für die klassischerweise zur „anthropomorphen Gottesrede“ im engeren Sinne gezählten biblischen Überlieferungen: Wenn von der Umkehr und Gesinnungsänderung Gottes oder etwa von seinem „langen Arm“ und seiner „ausgestreckten Hand“ die Rede ist, so werden bestimmte menschliche Eigenschaften oder Tätigkeiten dem Wesen oder Wirken Gottes zugeschrieben, ohne dass aber sämtliche Bedeutungsaspekte des Quellbereichs auf den Zielbereich anwendbar sind.168 Die Antwort auf die Frage, wo die Übertragungsleistung einer Metapher ihre Grenzen findet, also welche Aspekte des Quellbereichs den Zielbereich der Wirklichkeit Gottes angemessen beschreiben und welche nicht, hängt wiederum am Urteil des Interpreten darüber, was sich von Gott angemessen aussagen lässt. Formal hat sich Sanders damit wieder zur Ausgangssituation zurückgearbeitet. Er hält zwar sicher zu Recht fest, dass die Beachtung der kognitiven Linguistik die Frage nach den spezifischen anthropomorphen Texten der Bibel durch die Frage nach der angemessenen Beschreibung Gottes überhaupt ersetzt169 – aber Letztere ist ja, wie die vorige Darstellung gezeigt hat, in der Ersteren bereits enthalten: Ob eine Beschreibung Gottes als anthropomorph (im eingeschränkten Sinne) zu gelten hat, entscheidet sich traditionell gerade daran, ob sie als angemessen bewertet wird oder nicht.170 Sanders beschreitet methodisch dann auch die168 Vgl. Sanders, Theology in the Flesh, 56f; sowie die in dieselbe Richtung weisenden, aber konzeptionell noch unscharfen Ausführungen von Pinnock in Pinnock, Most Moved Mover, 62. 169 Vgl. Sanders, Theology in the Flesh, 249f; sowie ebd. 262. 170 In der Besprechung konkreter Beispiele der biblischen und theologiegeschichtlichen Rede von Gott scheint Sanders allerdings wieder hinter seine eigenen Einsichten zurückzufallen (vgl. hierzu v. a. das Kapitel „Literality and God“ in Sanders, Theology in the Flesh, 263– 266): Sanders hält zwar fest, dass die gesamte biblische Gottesrede (wie überhaupt alle menschliche Sprache) notwendigerweise anthropogen und von konzeptueller Metaphorik durchdrungen ist. Eben darum verwirft er die klassische Unterscheidung von „wörtlicher“ und „metaphorischer“ Rede als undurchführbar und unsachgemäß. Er will aber dann gleichwohl daran festhalten, dass nicht jede einzelne sprachliche Äußerung von konzeptuellen Metaphern Gebrauch macht und dass also gewisse Aussagen in diesem Sinne durchaus „wörtlich“ sein können (ebd., 13: „[T]hough some of our language about God is literal, most is metaphorical, and all is anthropogenic“). Wenn Sanders damit auch durchaus mit der konzeptuellen Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson übereinstimmt – die beiden Vordenker der kognitiven Linguistik anerkennen ebenfalls die Möglichkeit einzelner „wörtlicher“ Aussagen innerhalb der anthropogenen Sprache – so ist die Anwendung der Kategorie „wörtlicher Aussagen“ auf die Gottesrede doch problematisch. Sanders hält es nämlich für angemessen, etwa die theologische Bezeichnung Gottes als „Person“ oder seine biblische Beschreibung als „Liebe“ nicht metaphorisch, sondern „wörtlich“ zu verstehen (im Unterschied zu den metaphorischen Bezeichnungen Gottes als Hirte, Ehemann, Vater usw.): „[W]e can say that from a human perspective, God is a person and God is love, but these are not conceptual metaphors for […] most theists believe God is actually an agent, and so they are not metaporically mapping the traits of agency onto God“ (Sanders, Theology in the Flesh, 265). Es ist offensichtlich, dass Sanders damit die Rede von Gott als „Person“ oder als

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

selben Wege zur Lösung des Problems, die Boyd und Rice noch unter den Voraussetzungen eines inzwischen überholten Anthropomorphismus-Begriffs vorgezeichnet haben: Er bemüht sich (1) um eine sorgfältige Einzelexegese der biblischen Texte, welche den historischen und literarischen Kontext berücksichtigt und die ursprüngliche Aussageintention der betreffenden Überlieferung zu ermitteln sucht – von diesem Bestreben zeugt insbesondere Sanders’ eingehende Auseinandersetzung mit der alt- und neutestamentlichen Gottesrede in The God Who Risks.171 Gleichwie etwa die biblischen Beschreibungen Gottes als „König“ in ihrer konkreten Verortung durchaus anzeigen oder zumindest nahelegen, welche Aspekte der menschlich-lebensweltlichen Vorstellung von Königschaft auf die Wirklichkeit Gottes übertragen werden sollen, oder wie der weitere Verlauf von Psalm 23 deutlich macht, worin die „Übertragungsleistung“ der metaphorischen Bezeichnung Gottes als „guter Hirte Israels“ besteht – so können nach Sanders’ Überzeugung auch die Zeugnisse der Lernbereitschaft, Enttäuschung oder Reue Gottes in ihren spezifischen Zusammenhängen Aufschluss darüber geben, in welcher Hinsicht sie eine der Wirklichkeit Gottes entsprechende Aussage machen wollen.172 Selbstverständlich können bestimmte Prädikationen Gottes an unterschiedlichen Stellen ganz unterschiedliche theologische Implikationen haben – so mag etwa die Rede von der „Hand Gottes“ in manchen Texten rein funktional verstanden sein, während in anderen Überlieferungen tatsächlich die Vorstellung einer Körperlichkeit Gottes im Hintergrund steht – und nicht selten bleibt dem Interpreten ein weiter Ermessensspielraum, wie Sanders zugesteht.173 Eben darum ist nach Sanders’ Darstellung (2) eine gesamtbiblische Betrachtung unumgänglich, welche versucht, die alt- und neutestamentliche Gottesrede zu einem möglichst stimmigen Bild zu integrieren. Sanders’ Gesamt„Liebe“ vom Vorwurf der Unangemessenheit und Uneigentlichkeit bewahren will, aber genau dies wäre nach Sanders’ eigener Argumentation auch über ein metaphorisches Verständnis dieser Zuschreibungen zu haben, insofern auch dann zumindest wesentliche Aspekte dessen, was der Mensch unter Personalität oder Liebe versteht, sachgemäß auf Gott übertragen werden können. Sanders’ Behauptung, dass es sich bei diesen Prädikationen um wörtliche Gottesrede handelt, lässt einerseits für die Rede von der Personalität und Liebe Gottes den Zielbereich der Wirklichkeit Gottes im Quellbereich der menschlichen Welterfahrung aufgehen (Univozität) – und belegt andererseits die verbleibenden, als metaphorisch anerkannten Beschreibungen Gottes als Hirte, Ehemann, Vater usw. mit dem Verdacht, Gott eben überhaupt nicht angemessen zu beschreiben (Äquivozität): eine Konsequenz, die Sanders eigentlich gerade vermeiden will. Sanders ist sich der Problematik bewusst, hält aber an seiner Darstellung fest (persönliches Gespräch vom 19. 11. 2016). 171 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 38–139. 172 Vgl. zur biblischen Metaphorik in der Gottesrede v. a. Sanders, Theology in the Flesh, 218– 220 – Sanders stützt sich hier besonders auf die Studien von Eve Sweetser und Mary Therese DesCamp (s. Anm. 167). 173 Vgl. Sanders, Theology in the Flesh, 263.

Annäherungen an das Anthropomorphismus-Problem

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darstellung des Offenen Theismus (The God Who Risks) will gerade eine solche Integration unter dem Leitmotiv einer risikobehafteten Geschichte, welche Gott um der Liebesgemeinschaft mit dem Menschen willen eingeht, leisten. Er betont allerdings hier schon, dass zu jeder theologischen Modellbildung auch eigene „Problemtexte“ gehören, welche sich nicht zwanglos ins Gesamtbild „einpassen“ lassen – und dass natürlich auch Konzeptionen nach ganz anderen Leitmotiven möglich sind, welche den Interpretationsrahmen für die biblische Gottesrede entsprechend anders ausspannen. Auch das vorgeschlagene Zusammenspiel von exegetischer Mikroperspektive und systematischer Makroperspektive kann den Interpreten also gemäß Sanders’ Einsicht nicht vor vielfältigen Ambivalenzen bewahren.174 Es ist nur konsequent, wenn Sanders deshalb dafür plädiert, dass Vertreter eines jeglichen theologischen Modells ihre „kontrollierenden Überzeugungen“ (control beliefs) offenlegen und also transparent machen, unter welchen theologischen Voraussetzungen sie die biblischen Texte interpretieren und zu welcher theologischen Konzeption sie ihre Interpretationen der Texte verdichtet haben.175

174 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 25f; sowie ebd., 30, wo Sanders festhält: „[D]ifferent theological models will have to present cumulative cases, not proof texts, for their positions.“ 175 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 74, bzw. ebd., 303, Anm. 126. Vgl. auch ebd., 25f: Hier diskutiert Sanders den Prozess der theologischen Modellbildung aus der Bevorzugung bestimmter biblischer Metaphern für Gott. Er macht deutlich, dass sich viele theologische Differenzen mit unterschiedlichen „Leitbildern“ zur Beschreibung Gottes erklären lassen: „Different models generate different theologies by which God and God’s relation to the world are understood.“ Eine Theologie etwa, die um das Leitbild Gottes als „Vater“ konzipiert ist, wird die Souveränität oder Vorsehung Gottes anders ausdeuten wie eine Theologie, welche das „Königtum“ Gottes ins Zentrum stellt (ebd.). Man könnte im Anschluss an Sanders also auch von einem „Streit der Metaphern“ zur Beschreibung Gottes sprechen. Deutlich selbstgewisser drückt sich noch Richard Rice aus in Rice, Biblical Support for a New Perspective, 11–15. Rice kann zwar eingestehen: „The Scriptures contain such vast and varied material that it is not difficult to surround an idea with biblical quotations“ (ebd., 15), er ist aber dann doch zuversichtlich, „the overall biblical portrait of God“, „the spirit of the biblical message“ oder auch „the broad sweep of biblical testimony“ bestimmen und gegen die klassische Theologie in Anschlag bringen zu können (ebd.).

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3.3

Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

Kritische Reflexion

3.3.1 Die „Hellenisierung des Christentums“ als wechselseitiger Transformationsprozess Die obige Darstellung der Kritik des Offenen Theismus an der herkömmlichen Interpretation jener ‚anthropomorphen‘ Beschreibungen Gottes, welche zur Konstruktion einer ‚offenen Sicht Gottes‘ ausschlaggebend sind, hat bei der Diskussion der sog. Hellenisierungsthese eingesetzt. Besonders Boyd und Sanders erklären sich die allgemeine Blindheit der ‚klassischen‘ Interpreten für das dynamische und risikohafte Verhältnis Gottes zur Schöpfung, wie es die biblischen Überlieferungen ihrer Einschätzung nach durchweg bezeugen, sowie den spezifischen Impuls zur Umdeutung ebenjener Texte, in denen dieses Verhältnis zugespitzt thematisch wird, mit der fortgeschrittenen ‚Hellenisierung des Christentums‘: Die frühkirchliche Reflexion der biblischen Gottesrede und die Ausformulierung der christlichen Gotteslehre findet den Offenen Theisten gemäß in einer vom Hellenismus dominierten geistesgeschichtlichen Großwetterlage statt, welche der Wahrnehmung und Integration zentraler Motive des ursprünglichen biblischen Gottesglaubens nachhaltig im Wege stand. Trotz einiger allzu grobkörniger Beobachtungen fassen die Offenen Theisten den Prozess der Hellenisierung durchaus differenziert als wechselseitigen Rezeptions- und Inkulturationsvorgang, der nicht nur zu Verzerrungen, sondern auch zu bemerkenswerten Erfolgen bei der Artikulierung der christlichen Botschaft in der griechischen Antike führte – und der umgekehrt auch hellenistische Begriffe und Konzepte umformte.176 Dieses Verständnis des Hellenisierungsprozesses ist in seinen groben Zügen durchaus kompatibel mit neueren kulturgeschichtlichen, religionswissenschaftlichen und interdisziplinären Untersuchungen, wie sie z. B. vom Berliner Sonderforschungsbereich „Transformationen der Antike“ angestrengt und vom Kirchenhistoriker Christoph Markschies auf den Hellenisierungsprozess zugespitzt wurden.177 Markschies widmet der bisherigen Verwendungsgeschichte sowie der Frage nach der heutigen Brauchbarkeit des Hellenisierungsbegriffs eine maßgebliche Studie, in welcher er die „Hellenisierung des Christentums“ als „bipolare[n] Konstruktionsprozess“ beschreibt, im Zuge dessen „die beiden Pole einander wechselseitig konstituieren und konturieren“.178 Angelehnt an das erwähnte Berliner Forschungsprojekt nimmt Markschies den 176 Zur Problematik der Rede von „Verzerrungen“ oder „Erfolgen“ in der Artikulierung der christlichen Botschaft vgl. die weiteren Ausführungen. 177 Vgl. hierzu v. a.: Böhme/Bergemann/Dönike u. a. (Hg.), Transformation. 178 Markschies, Hellenisierung des Christentums, 116.

Kritische Reflexion

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Transformationsbegriff auf, um die entsprechenden Phänomene zu bezeichnen und sich abzugrenzen von einem Verständnis der Hellenisierung nach dem „klassischen Modell“ einer bloßen „Rezeption ausgewählter Elemente und ihrer Integration“.179 Es gehe eben gerade nicht nur um die Übernahme oder Aufnahme fremder Begriffe und Konzepte, macht Markschies deutlich, sondern um einen viel tiefgreifenderen Prozess, im Zuge dessen das „transformierte Objekt“ (also hier: „das Christentum“) „stets neu hervorgebracht, ja auch ‚erfunden‘ und dabei fortlaufend verändert und differenziert“ werde, während zugleich immer auch „das verändert wird, was der Transformation voraus liegt, worauf sie sich reflexiv bezieht und was erst im Laufe der Transformation spezifiziert wird“ (also hier: „der Hellenismus“).180 Wenngleich sich die Vorstellung der Offenen Theisten von der „Hellenisierung des Christentums“ im Sinne einer polyvalenten und reziproken Entwicklung mit der neueren Forschung noch abgleichen lässt, so trifft sie doch in anderer Hinsicht die Kritik Markschies’ an den herkömmlichen Spielarten dieser „historischen Deutungskategorie“. Zunächst verpassen es die Vertreter des Offenen Theismus nämlich, den Begriff der „Hellenisierung“ sowohl inhaltlich wie chronologisch klarer zu fassen.181 Ihren Ausführungen zur Beeinflussung des Christentums durch den „hellenistischen Geist“ haftet darum derselbe Mangel an, welchen Markschies durch die gesamte Entstehungs- und Verwendungsgeschichte des Forschungsparadigmas „Hellenisierung“ im 19. und 20. Jahrhundert hindurch beobachtet: Er spricht vom auffallend diffusen Gebrauch dieser Kategorie schon bei Gustav Droysen und Adolf von Harnack und in deren Gefolge bis in den gegenwärtigen theologischen Diskurs hinein – wie er am jüngsten Beispiel der „Regensburger Vorlesung“ von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2006 zeigt.182 Markschies plädiert darum dafür, den Hellenisierungsbegriff vom allgemeineren Terminus der Gräzisierung sowie von der Romanisierung abzugrenzen und ihn „im spätantik-paganen Sinne von hellënis-

179 Markschies, Hellenisierung des Christentums, 116f. 180 Markschies, Hellenisierung des Christentums, 116f; vgl. beispielhaft auch ebd., 122. 181 Eine Ausnahme könnte Gregory Boyd mit der noch ausstehenden Veröffentlichung von The Myth of the Blueprint machen – seine Notizen und Vorbereitungen zu diesem Werk lassen zumindest die Erwartung zu, dass der Begriff der Hellenisierung inhaltlich präziser gefasst wird als in der bisherigen Literatur des Offenen Theismus. 182 Markschies, Hellenisierung des Christentums, 90–95 – vgl. Benedikt XVI., Glaube und Vernunft. Zum Hellenisierungsbegriff bei von Harnack und Droysen vgl. Markschies, Hellenisierung des Christentums, 42; sowie ebd., 49f: „An […] Adolf von Harnack (1851–1930), den man wahrscheinlich als den Protagonisten des Siegeszuges des Forschungsparadigmas der ‚Hellenisierung‘ mindestens im deutschen Sprachraum bezeichnen kann, zeigt sich, dass der vom Historiker Droysen unpräzise und vage verwendete Begriff auch in den Händen eines Theologen nicht sonderlich viel präziseren Inhalt angenommen hat.“

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

mos“ auf das Bildungswesen zuzuspitzen.183 Es geht dann bei der Hellenisierung – wie schon Martin Hengel formulieren konnte, auf den sich Markschies wesentlich stützt – um die „allmähliche Ausbreitung griechischer Sprache, Lebens- und Denkformen“: eine Entwicklung, die eben durch die hellenistischen Bildungseinrichtungen ermöglicht und vorangetrieben wurde.184 Die prominente Bedeutung der alexandrinischen Schule(n) für die Gestaltwerdung der christlichen Theologie führt Markschies schließlich zur Definition der „Hellenisierung des Christentums“ als einer „spezifische[n] Transformation der alexandrinischen Bildungseinrichtungen und der dort praktizierten Wissenschaftskultur in der theologischen Reflexion des antiken Christentums“.185

3.3.2 Der der „Hellenisierungsthese“ inhärente Essentialismus Eine theologische Wertung jener Transformation ist in dieser Definition von Markschies ausdrücklich nicht impliziert – sie verbietet sich religions-, kulturund kirchengeschichtlich wohl schon aufgrund der Komplexität und Inkommensurabilität der damit bezeichneten Vorgänge, dann aber auch erkenntnistheoretisch aufgrund des fehlenden oder zumindest äußerst fraglich gewordenen menschlichen Zugriffs auf das „Wesen der Dinge“. Eben hier liegt aber der wohl fundamentalste Anlass zur Kritik am offen-theistischen Gebrauch der Hellenisierungskategorie: Jedes unbedingte Urteil über das Ergebnis der Inkulturation des Evangeliums im hellenistischen Raum, jede Rede von der ‚Deformation‘ des ursprünglichen Glaubens, von ‚Verzerrungen‘ in der Artikulation der christlichen Botschaft unter veränderten sprachlichen und geistesgeschichtlichen Bedingungen präsumiert ja, dass der ‚eigentliche‘ Inhalt des Evangeliums, des ursprünglichen Glaubens oder der christlichen Botschaft bereits klar ist. Die Hellenisierungsthese als „Theorie vom Abfall der christlichen Theologie in die griechische Philosophie“ lässt sich mit anderen Worten bei allen Vorsichten und Verfeinerungen doch nur unter essentialistischen Voraussetzungen halten – nä183 Markschies, Hellenisierung des Christentums, 111 und 115f. 184 Markschies, Hellenisierung des Christentums, 111; vgl. Hengel, Zum Problem der ‚Hellenisierung‘ Judäas, 2. 185 Markschies, Hellenisierung des Christentums, 121 – vgl. ebd., 118, wo Markschies weiter erklärt: „Bildung prägt ja nicht nur den Bedeutungsinhalt der griechischen Begrifflichkeit, sondern ist für die Epoche des Hellenismus insgesamt charakteristisch. Man kann durchaus von einem selbstverständlichen Konsens sprechen, Bildung wie Bildungseinrichtungen als eine der herausragenden identity marker des Hellenismus anzusehen. Jene ‚hellenistische‘ Bildung und die Bildungseinrichtungen, die sie vermittelten, prägen aber auch das Christentum: Die genannten Bildungseinrichtungen haben nicht nur die ganze hellenistische Wissenschaft der Antike tief beeinflusst, sondern auch die Entwicklung einer christlichen Theologie seit dem zweiten Jahrhundert.“

Kritische Reflexion

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herhin unter Inanspruchnahme einer überlegenen Einsicht in das ‚wahre Wesen‘ dessen, was es in der christlichen Theologie durch alle Zeiten und Kulturen hindurch zu bewahren gilt.186 Adolf von Harnack konnte solche Einsicht zumindest implizit noch für sich reklamieren – seine These von der ebenso unausweichlichen wie verhängnisvollen Assimilation des „griechischen Geistes“ durch die aufstrebende Kirche begegnet nicht zufällig auch in seinen Vorlesungen zum „Wesen des Christentums“.187 Aber die wachsende Anerkennung der subjektiven, perspektivischen Bedingtheit aller menschlichen Erkenntnisbemühungen sowie nicht zuletzt gerade die vielfältigen und sich im Ergebnis widersprechenden neuzeitlichen Versuche, die ‚eigentliche Kernaussage‘ oder eben das ‚Wesen des Christentums‘ auszumachen, lassen solche Gewissheiten zweifelhaft erscheinen. Dasselbe gilt im Übrigen für die theologisch fundierte Bestreitung der sog. „Abfallstheorie“ und also für die Verteidigung der Überzeugung, dass das wahre Wesen des Christentums durch den Inkulturationsprozess im Hellenismus gerade nicht verraten worden sei. Man wird hier unter gegenwärtigen Voraussetzungen sowohl bescheidener als auch spezifischer argumentieren müssen. Als Ansatzpunkt bietet sich das Ergebnis von Sanders’ Auseinandersetzung mit den Problemen der Interpretation biblischer Anthropomorphismen an, namentlich seine Forderung nach einer Offenlegung und Begründung der eigenen hermeneutischen Makroperspektive, zu welcher man durch die Wahrnehmung der biblischen Gotteszeugnisse geführt wurde und unter welcher man diese Zeugnisse wiederum liest. Wer also eine theologische Bewertung jener nachhaltigen Transformationsprozesse wagen will, welchen besonders die christliche Gotteslehre zur Zeit des Hellenismus ausgesetzt war, ohne sich dabei erkenntnistheoretisch zu übernehmen, sollte zunächst einsichtig machen und also zu begründen versuchen, warum man welche Lesung der biblischen Gotteszeugnisse verfolgt und warum man welche theologische Gesamtsicht auf diese Zeugnisse einnimmt – um dann aus dieser spezifischen theologisch-bibelhermeneutischen Situierung heraus die frühkirchlichen Le186 Wenn es nach Markschies’ Einschätzung gerade die Unschärfe des überkommenen Hellenisierungsbegriffs ist, welche ihn dafür anfällig macht, mit theologischen und philosophischen Vorurteilen aufgeladen und zum „Gegenstand problematischer, ja gelegentlich regelrecht ideologischer Debatten zu werden“ (Markschies, Hellenisierung des Christentums, 94), so lässt sich die argumentative Instrumentalisierung der Hellenisierungsthese im Offenen Theismus als Beispiel dafür anführen. Trotz aller Anerkennung der Vielschichtigkeit und Wechselseitigkeit dessen, was mit der „Hellenisierung des Christentums“ umschrieben wird, ist es schließlich doch ein meist generisch gehaltener oder auf wenige Schlagworte zum „griechisch-philosophischen Gottesverständnis“ reduzierter Hellenisierungsbegriff, welcher den Vertretern der ,offenen Sicht Gottes‘ zur Erklärung für die Abweichung der christlichen Theologie vom biblischen Glauben und Gottesbild dient. 187 Vgl. Harnack, Das Wesen des Christentums 87; vgl. zur Hellenisierungsthese in Harnacks Wesen des Christentums auch Markschies, Hellenisierung des Christentums, 53f.

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sungen der Texte und die dahinterstehenden theologischen Prämissen kritisch zu vergleichen. Eine derartige Herangehensweise wird zwar zu keinem absoluten Urteil darüber gelangen, ob die Transformationen „des biblischen Gottesbegriffs“ zur hellenistischen Zeit geglückt sind und zu einer angemessenen Reformulierung „des Evangeliums“ in neuen Kontexten geführt hat. Sie wird aber zumindest anzeigen können, ob und inwiefern die eigenen Lesungen der einzelnen Texte und die daraus abgeleiteten Konturen eines christlichen Gottesbegriffs von der ‚hellenisierten‘ frühkirchlichen Theologie noch abgedeckt werden können – bzw. ob und inwiefern die Profilierung der christlichen Gotteslehre im Umfeld des Hellenismus jene Zugänge zum biblischen Gotteszeugnis erschweren, auf die man sich selbst eingelassen hat. Die Frage, ob der allgemeine Anspruch der frühkirchlichen Theologie auf die biblische Adäquanz ihrer theologischen Prämissen gerechtfertigt ist oder ob sich diese nicht vielmehr dem Einfluss bibelfremder (griechisch-philosophischer) Denkvorgaben verdanken, sollte indes nur noch stellen, wer sich ebendiese Frage im Blick auf die eigenen theologischen Grundüberzeugungen selbst gefallen lässt188 – und wer sich überdies bewusst macht, dass die Reformulierung einer Botschaft in neuen begrifflichen, konzeptuellen und kulturellen Kontexten unausweichlich mit Transformationen der Botschaft selbst einhergeht. Eine strikte Trennung von Referenz- und Rezeptionsgröße (von „Christentum“ und „Hellenismus“) wird also problematisch, sobald der Inkulturationsvorgang und damit der wechselseitige Transformationsprozess einmal in Gang gekommen ist. Ebendies besagt das vom erwähnten Berliner Sonderforschungsbereich „Transformationen der Antike“ entwickelte Forschungsparadigma, in dessen Anwendung Markschies ein forschungstaugliches Hellenisierungskonzept zu entwickeln sucht. Um die Wechselwirkung von Referenzbereich und Aufnahmebereich auf den Begriff zu bringen, wurde von Vertretern der Transformationsforschung der Neologismus „Allelopoiese“ geprägt: Abgeleitet von den griechischen Worten allelon („gegenseitig“, „reziprok“) und poiesis („Schöpfung“, „Hervorbringung“) steht dieser Fachterminus für das „gegenseitige Erschaffen von Aufnahmekultur und Referenzkultur“189 – und seine Implikationen zerschlagen die Hoffnung, im 188 Vgl. zum von Kritikern an den Offenen Theismus gerichteten Vorwurf der philosophischen Vereinnahmung durch einen (horrible dictu!) griechisch-philosophischen Rationalitätsbegriff Erickson, What Does God Know and When Does He Know It?, 147–162; Jones, Metaphor in Exile, 31–51; und, spezifisch im Blick auf Pinnocks Entwurf des Offenen Theismus Murphy, Consuming Glory, 95f. 189 Böhme, Einladung zur Transformation, 9; vgl. auch Markschies, Hellenisierung des Christentums, 122–125, sowie die verdichtete Wiedergabe der zentralen Denkfiguren der Transformationsforschung im Tagungsbericht von Schlelein, Allelopoiese – Konzepte zur Beschreibung kulturellen Wandels: „Ermöglicht es das Konzept der Transformation die Referenz zur Antike als wechselseitige Relation interdependenter Fremd- und Selbstkonstruktion zu analysieren, so begreift die Allelopoiese […] die komplexen Wandlungspro-

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Rückblick auf die Ausbreitung des Christentums und die Ausformulierung der Gotteslehre in der Antike die ‚eigentlichen Inhalte‘ des biblischen Gotteszeugnisses von den ‚fremden Einwirkungen‘ der hellenistischen Umwelt noch sauber trennen zu können.190

3.3.3 Der Nachweis philosophischer Prämissen am Beispiel Philos Hartmut Böhme, Kulturwissenschaftler und Sprecher des besagten Sonderforschungsbereichs, macht auch deutlich, dass Transformationen im dargestellten Sinne nicht notwendigerweise symmetrisch sind, sondern dass der Rezeptionskultur gegenüber vielmehr „mal […] mehr pathisch-rezeptive, mal mehr aktiv-zurechtmachende Einstellungen“ wirksam sind – je nachdem ob der Rezeptionskultur eine bestimmte Autorität eingeräumt wird, „die zu verehren und nachzuahmen ist“, oder ob sie nur „willkürlich instrumentalisiert und zur Befestigung der eigenen Position genutzt wird“.191 Zumindest in dieser relativierten und auf die „Einstellungen“ der Rezipienten zur Rezeptionskultur konzentrierten Weise könnte also auch im Blick auf die konkrete Fragestellung nach der „Hellenisierung des Christentums“ untersucht werden, ob bestimmte prägende Figuren der frühkirchlichen Theologiegeschichte bestimmte hellenistische Begriffe und Konzepte mehr in einem „pathisch-rezeptiven“ oder in einem „aktivzesse zwischen Referenz- und Aufnahmebereich als die produktive Wechselseitigkeit dieses Vorgangs, in dem nicht nur die Aufnahmekultur modifiziert, sondern durch die spezifische Form der Aneignung zugleich die Referenzkultur konturiert und konstruiert wird.“ 190 Natürlich gilt dies auch für die Inkulturations- und Transformationsvorgänge innerhalb der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der biblischen Zeugnisse. Die Tendenz von Vertretern der „Theorie vom Abfall der Theologie in die griechische Philosophie“ – einschließlich der Offenen Theisten –, „das biblische Gotteszeugnis“ als monolithische Größe aufzufassen, welche es durch die Zeiten und Kulturen hindurch zu bewahren gilt, übergeht die offenkundige Tatsache, dass auch ‚das biblische Gotteszeugnis‘ selbst das schriftgewordene Ergebnis vielfältiger Inkulturationen und also Transformationen ist. Die programmatische Erklärung Hartmut Böhmes, es könne aufgrund der allelopoietischen Eigenheit von Inkulturationsprozessen „keine konstanten Entitäten“ geben, „die sich im Lauf der Geschichte identisch behaupten würden“, scheint freilich erkenntnistheoretisch wiederum über das Ziel hinauszuschießen (Böhme, Einladung zur Transformation, 11). Aus der Feststellung, dass die Referenz- und Rezeptionsgrößen in einen wechselseitigen schöpferischen Prozess eintreten, oder aus der Tatsache, dass es dem menschlichen Beobachter aufgrund der kontextuellen Verhaftung sowohl seiner selbst als auch seines Forschungsgegenstandes unmöglich ist, konstante Entitäten definitiv auszumachen, folgt ja noch nicht notwendigerweise, dass es solche Entitäten überhaupt nicht geben kann. In theologischer Perspektive ist zu fragen, ob nicht die Wirklichkeit und Gegenwart Gottes inmitten der sich wandelnden Welt- und Menschheitsgeschichte eine Identität des Evangeliums verbürgen kann – vgl. hierzu: Faber, Transkulturation, 160–187; sowie Bernhardt, ‚Synkretismus‘ als Deutekategorie für multireligiöse Identitätsbildungen, v. a. 283f. 191 Böhme, Einladung zur Transformation, 11.

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zurechtmachenden“ Sinne aufgegriffen und verwendet haben – mit anderen Worten: Es wäre zu fragen, inwiefern ihre Schriften zu erkennen geben, dass sie griechisch-philosophische Vorstellungen bewusst umformten, um sie in den Dienst der biblischen Gottesrede zu stellen, oder inwiefern deutlich wird, dass den entsprechenden Vorstellungen selbst autoritative und umformende Kraft zugestanden wird. Sofern die von Markschies vorgeschlagene Fokussierung des Hellenisierungsbegriffs auf die alexandrinischen Bildungseinrichtungen ernst genommen wird, wären solche spezifischen Untersuchungen zur Hellenisierung des frühen Christentums besonders am Werk der Kirchengelehrten Clemens und Origenes sowie – grundlegend – an deren bibelhermeneutischem Wegbereiter Philo von Alexandrien durchzuführen.192 Gerade Philo nimmt, wie in der Darstellung der Hellenisierungsthese im Offenen Theismus angezeigt, bereits bei Sanders und Boyd eine besondere Stellung ein als Pionier einer Schriftauslegung und Theologie, welche das alttestamentliche Erbe im hellenistischen Geist seiner Zeit neu zu lesen sucht.193 Weil er eben so zu jener „Synthese“ des biblischen Gottesbegriffs mit griechischphilosophischem Denken gelangt, die für die christlichen Väter Alexandriens und schließlich für die christliche Theologiegeschichte überhaupt richtungsweisend werden sollte, eignet sich Philo für eine beispielhafte Betrachtung. Obschon die neuere Forschung das Bild dieses herausragenden jüdischen Denkers vertieft und differenziert hat, so besteht bis heute kaum Zweifel daran, dass die philonische Kommentierung der Tora (namentlich seine allegorische Auslegungsweise) von äußerst durchsetzungsfähigen theologisch-philosophischen Überzeugungen geleitet ist – und dass dies ganz besonders in Philos Auseinandersetzung mit den unverhohlen anthropomorphen Gotteszeugnissen im Pentateuch spürbar wird.194 Dieses Urteil muss (und sollte) nicht aus einer 192 Vgl. hierzu: Markschies, Hellenisierung des Christentums, 118f. 193 Vgl. die Verweise auf Werke der Offenen Theisten in Anm. 22, sowie die von den Offenen Theisten vielfach zur Stützung der Hellenisierungsthese herangezogene Untersuchung von Joseph McLelland: God the Anonymous – dort etwa 21: „Philo’s […] work is of direct consequence for the Christian Fathers of Alexandria. Their kind of Platonism is not explicable in terms of historical philosophy alone. They lived and taught in a city that occupied a unique position in ancient culture; and Philo represents that position in a significant way.“ Wenn McLelland sich auch zu ausgesprochen scharfen Verurteilungen der „Platonisierung des Christentums“ durch das Werk Philos, Clemens’ und Origenes’ hinreißen lässt, welchen spätestens die Untersuchung von Markschies ihre Berechtigung abspricht, so kann McLellands Studie im Blick auf den Untersuchungsgegenstand doch als ein vorauseilendes Beispiel für die Einlösung der Forderung Markschies’ gelten, die „Hellenisierung des Christentums“ aus den Entwicklungen und Einflüssen der „alexandrinischen Schule“ heraus zu erklären (Markschies, Hellenisierung des Christentums, 118–122). 194 Zur philonischen Interpretation anthropomorpher Gotteszeugnisse vgl. v. a. Tobin, The Creation of Man; sowie unter den älteren systematischen und historischen Untersuchungen besonders Kuitert, Gott in Menschengestalt; Maas, Unveränderlichkeit Gottes; McLel-

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überlegenen Außenperspektive gefällt werden, sondern es kann aus der Methodik und dem theologischen Anspruch der philonischen Schriftauslegung selbst gewonnen werden – näherhin aus der Selbstverpflichtung Philos auf die Fundamentalprämisse der gänzlichen Andersheit Gottes und also auf einen äußerst schroffen Transzendenzbegriff, im Zuge dessen alle biblische und theologische Gottesrede letztlich zur uneigentlichen, das Wesen Gottes verfehlenden Rede erklärt wird,195 sowie aus der Praxis der „geistlichen“ oder allegorischen Exegese, welche es Philo nach dessen eigenem Dafürhalten ermöglicht, den partikularen biblischen Erzählungen eine allgemeingültige, auch philosophisch-zeitgenössisch verdauliche Bedeutung abzuringen.196 Philo selbst scheint mit anderen Worten keinen Hehl aus seinen theologischbibelhermeneutischen Voraussetzungen zu machen, was sich an zahllosen Beispielen verdeutlichen lässt. Wenn Philo etwa den Gedanken der absoluten Unwandelbarkeit Gottes ausgerechnet aus einer Kommentierung von Genesis 6,5–7 herleitet, so dass also eine biblische Erzählung zur Reue Gottes, in welcher gerade dessen Beweglichkeit zugespitzt thematisch wird, als Anlass dient für eine ausführliche Abhandlung zur Unveränderlichkeit Gottes197 – oder wenn sich Philo in seiner Auslegung der Schöpfungsgeschichte dazu veranlasst fühlt, die Chronologie der Schöpfungstage als uneigentlich abzutun („Wir müssen uns vorstellen, dass Gott all diese Dinge gleichzeitig tut …“), so dass die Vorstellung der göttlichen Zeitlosigkeit auch im Angesicht dieser ausdrücklichen Beschreibung des sequentiellen Handelns Gottes noch festgehalten werden soll198 – oder weiter: wenn Philo sein Bekenntnis zur Selbstgenügsamkeit und darum Beziehungslosigkeit Gottes selbst im Zuge der Exegese von Gen 17,1–9 durchhalten will, so dass sogar der Bundesschluss mit Abraham, mit dem sich Gott unverbrüchlich

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land, God the Anonymous; Montes-Peral, Akataleptos Theos; sodann aus der neueren Forschung etwa Deines/Niebuhr (Hg.), Philo und das Neue Testament; Kamesar (Hg.), The Cambridge Companion to Philo; Hadas-Lebel, Philo of Alexandria; Seland (Hg.), Reading Philo; Kaiser, Philo von Alexandrien. Vgl. hierzu pointiert McLelland, God the Anonymous, 33; sowie Montes-Peral, Akataleptos Theos. Schon die Titel dieser Untersuchungen bringen zum Ausdruck, dass deren Autoren die philonische Gotteslehre von dessen Transzendenzbegriff her erklären; vgl. ferner Mach, Philo von Alexandrien, 523–531. Vgl. auch hierzu schon McLelland, God the Anonymous, 23–44; Kuitert, Gott in Menschengestalt, 56–68 (u. ö.); sowie etwa Whitacker, Allegorical Readers and Cultural Revision in Ancient Alexandria. Vgl. Maas, Unveränderlichkeit Gottes, 91f – Maas hebt hervor, dass es sich bei der entsprechenden Schrift Philos unter dem Titel „Quod Deus sit immutabilis“ um die erste monographische Abhandlung zum Thema der Unveränderlichkeit Gottes in der Religionsgeschichte überhaupt handelt (ebd., 87); vgl. auch Kuitert, Gott in Menschengestalt, 61, der es gleichfalls für „vielsagend“ hält, dass Philo ausgerechnet seine Ausführungen zu Gen 6, 5–7 unter den Titel der Unveränderlichkeit Gottes stellt. Vgl. Edwards, The Pagan Dogma of the Absolute Unchangeableness of God, 311 – das Zitat stammt aus den Genesiskommentaren von Philo (Ausgabe Colson/Whitacker), I, 13.

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auf die Seite des Stammvaters stellt („Ich bin dein Gott!“) noch die relationslose Natur Gottes zu bezeugen hat199 – und schließlich: wenn Philo die prominente Offenbarung Gottes in Ex 3,14 als Referenztext für die absolute Transzendenz und darum die prinzipielle Unerkennbarkeit Gottes verhandelt, so dass exakt der Moment der Enthüllung des Gottesnamens dessen Unaussprechlichkeit dokumentieren soll200 –, dann ist schwer zu bestreiten, dass sich hier ein vorgefasster Gottesbegriff Geltung verschafft, den der Alexandriner auch gegen den „Literalsinn“ einzelner Stellen oder in allegorischer oder apophatischer Übersteigung desselben zu verteidigen bereit ist.

3.3.4 Die Beurteilung philosophischer Prämissen am Beispiel Philos Strittig ist, aus welchen Quellen sich dieser Gottesbegriff und der damit gesetzte interpretatorische Rahmen der philonischen Schriftauslegung speist. Viele einschlägige Studien gelangen zur festen Überzeugung, dass es Philos Bindung an griechisch-philosophische (namentlich platonische und stoische, allenfalls neupythagoreische) Vorstellungen ist, welche ihn zu einer Umdeutung und letztlich zur Überfremdung des biblischen Gotteszeugnisses bewegt. So kann etwa der Philo-Gelehrte David Winston die Mühen beschreiben, welche der Alexandriner auf sich nimmt, „um die biblischen Verse zu neutralisieren, die seinen philosophischen Überzeugungen zu widersprechen schienen“,201 und Wilhelm Maas zieht in seinem Standardwerk zu den Ursprüngen der Vorstellung der Unveränderlichkeit Gottes aus einer eingehenden Untersuchung des philonischen Werkes das Fazit, dass „der eigentliche Sinn der Aussagen der Bibel, die für Philon ja zumindest äußerer Anlass für diese Überlegungen sind, […] nicht nur nicht erfasst, sondern auch kategorial überlagert wird von der Be199 Vgl. Maas, Unveränderlichkeit Gottes, 112 – Maas hält fest, dass „ausgerechnet die Zusage Gottes für ein Ich-Du-Bundesverhältnis […] Philon [veranlasst], Gottes Unbezüglichkeit zu konstatieren“ – und er kann entsprechend verständnislos ausrufen: „Der lebendige BundesGott Jahwe ist für Philon ‚beziehungslos‘!“ (ebd.); vgl. den Kommentar zur philonischen Auslegung derselben Stelle bei Mauser, Gottesbild und Menschwerdung, 27: „Selbst ein derartig fundamentaler Satz des Alten Testaments wie die Versicherung Gottes an Abraham Gen 17,1: ‚Ich bin dein Gott‘ ist, strenggenommen, ein Missbrauch der Sprache.“ 200 Vgl. McLelland, God the Anonymous, 33; sowie Runia, Philo and the Church Fathers, 3–7 und 206–218, hier bes. 212: „The doctrine of Being, in terms of which Exodus 3:14 is interpreted, is taken to mean that God is unknowable in his essence, and so also unnameable. But the Existent does have names, most notably ‚God‘ and ‚Lord‘. These, Philo argues are not proper names, i. e. descriptive of the essence, but are substitutionary or catachrestic names, i. e. involving licence of language.“ 201 Winston, Philo’s Conception of the Divine Nature, 25; zur Diskussion der verschiedenen Einflüsse auf Philos Denken vgl. auch schon ders., Logos and Mystical Theology in Philo of Alexandria, 9–42.

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grifflichkeit, in die hinein sich der übermächtige griechisch-philosophische Verstehenshorizont auslegt“.202 Ebendieser voreingenommene und unsachgemäße Schriftzugang hat nach Ansicht mancher Autoren über die christlichen Vertreter der alexandrinischen Schule die ganze frühkirchliche Theologie geprägt und – ganz im Sinne der herkömmlichen Hellenisierungsthese – zu einer verhängnisvollen Verzerrung auch des christlichen Gottesverständnisses geführt.203 Solchen einseitigen Urteilen ist gerade in der neueren Philo-Forschung allerdings vielfach widersprochen worden. Vehement wehrt sich etwa Gavrilyuk gegen die Behauptung, Philo sei ein „gefährlicher Hellenisierer, der das hebräische Alte Testament in seiner Substanz unterlaufe, es heidnischer Philosophie unterwerfe und damit die christlichen Exegeten von der biblischen Vorstellung Gottes wegführe“.204 Weit davon entfernt, die biblischen Überlieferungen den griechisch-philosophischen Konventionen oder Denkzwängen seiner Zeit zu unterwerfen, konnte die Gottesvorstellung des Alexandriners nach der Einschätzung Gavrilyuks und anderer Forscher vielmehr an respektablen alttestamentlichen Motiven anknüpfen. Schon David Winston gesteht durchaus ein, dass in Philos Überzeugung von der radikalen Transzendenz Gottes zwar unbestreitbar der Einfluss platonisch-pythagoreischer Ideen spürbar wird, dass Philo damit zugleich aber auch an sein jüdisches Erbe anschloss – gerade „die prophetische Botschaft der Unvergleichlichkeit und Unaussprechlichkeit Gottes verstärkte Philos philosophische Überzeugungen und führte ihn dazu, die Lehre von der absoluten göttlichen Transzendenz nachdrücklich zu vertreten“.205 202 Maas, Unveränderlichkeit Gottes, 112; vgl. ebenso deutlich Kuitert, Gott in Menschengestalt, 82f (u. ö.); McLelland, God the Anonymous, 31 (u. ö.); Mauser, Gottesbild und Menschwerdung, 23–28. 203 Vgl. etwa Mauser, Gottesbild und Menschwerdung, 28; sowie Kuitert, Gott in Menschengestalt, 61: „Philo war in methodischer Hinsicht Vorläufer der alexandrinischen Theologen, und sein Einfluss auf die Kirchenväter (und über die Kirchenväter auf die ganze Entwicklung der Theologie) kann kaum überschätzt werden. Die Art, wie Philo das AT las, scheint in vielfacher Hinsicht für die kommenden Jahrhunderte der Kirchengeschichte exemplarisch gewesen zu sein“; sowie das Fazit von Maas, Unveränderlichkeit Gottes, 120f. 204 Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 42 – Gavrilyuk spricht hier spezifisch über die Frage der Leidens(un)fähigkeit Gottes. Vgl. im selben Zusammenhang auch Lister, God is Impassible and Impassioned, 49–58; Keating/White (Hg.), Divine Impassibility and the Mystery of Human Suffering, 6f.; Weinandy, Does God Suffer?, 72. 205 Winston, Philo’s Conception of the Divine Nature, 21; zur Begründung der Transzendenzvorstellung in der Gottesrede der alttestamentlichen Propheten vgl. auch Weinandy, Does God Suffer, 49–63; sowie (kritisch) bereits Kuitert, Gott in Menschengestalt, 28–36. Alle genannten Autoren anerkennen aber auch, dass die LXX als die von Philo maßgeblich verwendete Bibelübersetzung bereits unbestritten antianthropomorphe Tendenzen zeigt. Charles Fritsch hat diesem Phänomen eine nach wie vor einschlägige Studie gewidmet und weist an einer Fülle von Beispielen nach, wie deutlich der griechische Pentateuch die Theologie ihrer Übersetzer aus dem hellenistisch geprägten Diasporajudentum in Alexandria erkennen lässt – vgl. Fritsch, The Anti-anthropomorphisms of the Greek Pentateuch;

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Weinandy wiederum bringt den Transzendenzbegriff Philos mit dem biblischen Schöpfungszeugnis in Verbindung. Er versucht zu zeigen, dass die Vorstellung Gottes als Urheber und Erhalter der Welt schon in der biblischen Überlieferung nicht nur die unmittelbare Präsenz Gottes, sondern ebenso seine radikale Unterschiedenheit von der Schöpfung ausdrückt, und stellt heraus, dass auch Philo seine transzendente Gottesvorstellung aus dem Schöpfersein Gottes ableitet.206 Wenn Philo darum die Unabhängigkeit und fundamentale Andersheit Gottes beschreibt, dann sind das nach Weinandy „nicht die Worte eines Platonikers oder Aristotelikers. Es sind vielmehr die Worte eines gläubigen Juden, der seine Schriften kennt“.207 In seiner eindrücklichen Studie zur Entwicklung und Anwendung der allegorischen Methode in der alexandrinischen Schule vertritt dann David Dawson gar die Überzeugung, Philo habe in seinem Werk keine Synthese zwischen jüdischer und griechischer Kultur versucht und schon gar keinen Kniefall vor der hellenistischen Philosophie vollzogen, sondern im Gegenteil den „hellenistischen Geist“ mittels der allegorischen Auslegung der jüdischen Identität unterworfen.208 Im Sinne einer Fallstudie zur Möglichkeit, einem Schriftausleger und Theologen seine Abhängigkeit vom philosophischen Denken seiner Zeit nachzuweisen, machen diese Ausführungen offensichtlich, dass schon die Frage nach den eigentlichen Absichten Philos mit der Verwendung hellenistischer Begriffe und Konzepte ausgesprochen breit gefächerte Antworten hervorbringt: „Geschieht die Aufnahme griechisch-hellenistischer Hermeneutik als Assimilation an die vorherrschende Kultur oder aus apologetischem Interesse?“, wie Friederike Oertelt in einer neuen Untersuchung zu Philo fragt, oder bedient sich der Alexandriner vielmehr der Denkfiguren seiner Zeit, um „die Unterordnung der sowie schon Bertram, Der Sprachschatz der Septuaginta und der des hebräischen Alten Testaments, 86f. 206 Weinandy, Does God Suffer?, 46–48 bzw. 79f. 207 Weinandy, Does God Suffer?, 79. Ganz grundsätzlich legte bereits Wolfson Wert auf den Nachweis, dass Philo sich nicht einer bestimmten philosophischen Konzeption unterwarf, sondern sich einer breiten Palette philosophischer Traditionen bediente und dass er deren Auswahl nach dem Kriterium traf, inwiefern die betreffenden Ideen seiner Auslegung der Tora nützlich sind: „Die Sprache der Heiligen Schrift bestimmt die Auswahl seines philosophischen Wortschatzes“, konnte Wolfson programmatisch festhalten (Wolfson, Philo’s Foundations of Religious Philosophy, 97). Daran lässt sich die zuweilen geäußerte Forderung anschließen, in Philo „in erster Linie einen Exegeten zu sehen und erst in zweiter Linie einen Philosophen“ (Mach, Philo von Alexandrien, 528). Im Blick auf diesen Anspruch besonders relevant ist die Studie von Borgen, Philo of Alexandria. Vgl. auch Hurtado, Does Philo Help Explain Christianity?, 73–105. 208 Vgl. Dawson, Allegorical Readers and Cultural Revision in Ancient Alexandria, 109f. – vgl. ebd., 113: „Philo’s allegorical reading of scripture revises Greek culture by subordinating it to Jewish cultural and religious identity; his interpretation is not a synthesis but a usurpation“ (Hervorhebungen M.S.).

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griechischen Kultur unter die jüdische“ denkerisch zu vollziehen, wie es Dawson vertreten hat?209 Das Werk Philos scheint bereits in dieser Hinsicht verschiedene Lesungen zuzulassen. Bei der Hellenisierungsthese im vom Offenen Theismus verhandelten Sinne geht es aber nicht allein um die Frage nach dem subjektiven Anspruch oder den theologischen Zielen Philos, sondern vielmehr darum, ob diese Ansprüche und Zielsetzungen auch objektiv eingelöst werden – also um die Frage, ob das biblische Gotteszeugnis durch die philonische Vermittlung an die hellenistische Kultur seiner Zeit in seinem Grundbestand bewahrt oder vielmehr verraten wurde. Um Böhmes Rede von den „Einstellungen“ des „Transformations-Agenten“ gegenüber der Rezeptionskultur aufzugreifen: Es mag vielleicht möglich sein, aus dem Werk Philos heraus aufzuzeigen, ob dieser dem Denken seiner Zeit eine mehr „pathisch-rezeptive“ Einstellung entgegenbrachte und sich also von den hellenistischen Begriffen und Konzepten genug beeindrucken ließ, um diese weitgehend unbelassen zu integrieren zu versuchen, oder ob er dem Denken seiner Zeit vielmehr „aktiv-zurechtmachend“ gegenüberstand und die hellenistischen Begriffe und Konzepte entsprechend unbefangen modifizierte, um sie an seine alttestamentlich-jüdische Gottesvorstellung anzupassen. Es lässt sich aber letztlich nicht entscheiden, ob das Ergebnis dieser Übersetzungsleistung Philos – ungeachtet seiner subjektiven Absichten – den von ihm verehrten Gott Israels „objektiv“ noch angemessen zur Geltung bringt. Dazu bedürfte es eines einigermaßen unstrittigen Instrumentariums zur Ermittlung des Grundbestandes biblischer Gottesanschauung, dessen Abwesenheit gerade am Beispiel der jüngeren Diskussion um die Treue Philos zu seinem alttestamentlich-jüdischen Erbe augenscheinlich wird.210 209 Oertelt, Herrscherideal und Herrschaftskritik bei Philo von Alexandria, 79. 210 John Sanders anerkennt dies in jüngerer Zeit zunehmend, weshalb er in seiner neuesten Publikation Theology in the Flesh einen erkenntnistheoretisch bescheideneren Standpunkt einnimmt, während Gregory Boyd nach wie vor darauf zu beharren scheint, dass letztlich nur eine offen-theistische Lesung dem biblischen Gotteszeugnis gerecht wird. Entsprechend hart geht Boyd dann auch mit den neueren Vertretern der These, Philo von Alexandrien habe seine Vorstellung von der absoluten Transzendenz Gottes gerechtfertigterweise etwa aus der alttestamentlichen Gott-Welt-Differenz abgeleitet, ins Gericht – vgl. v. a. seine Notizen und Vorbereitungen zur Veröffentlichung von The Myth of the Blueprint: Boyd, Philo, 65–68; Boyd setzt sich besonders mit der Behauptung Gavrilyuks auseinander, sowohl für die Übersetzer der LXX wie für Philo selbst sei es die „overarching theological vision of the Bible itself, not philosophical arguments“ (Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 43f) gewesen, welche die Vorsicht gegenüber den anthropomorphen Texten des Alten Testaments motiviert habe – eben darum verweise Philo auch regelmäßig auf Numeri 23,19 („Gott ist kein Mensch“, oder in der LXX: „Gott ist nicht wie ein Mensch“ …) als Referenztext seiner Gotteslehre. Nachdrücklich stellt Boyd heraus, dass Gavrilyuk hier (und an anderen Stellen) den Fehler begehe, Philo beim Wort zu nehmen: Gewiss habe sich der Alexandriner zur Begründung seines Transzendenzbegriffs auf biblische Aussagen berufen, und wahrscheinlich habe er an die Rechtmäßigkeit dieser Berufung auch selber geglaubt – aber „nur weil er sagt, dass seine Gotteslehre den biblischen Überlieferungen folgt, heißt das

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3.3.5 Neuere Auseinandersetzungen mit anthropomorphen Texten Was den Offenen Theisten also bleibt, ist unter Zuhilfenahme heutiger bibelwissenschaftlicher Methoden sowie hermeneutischer und spezifisch metapherntheoretischer Konzepte möglichst überzeugend darzulegen, dass es sich bei ihrer Lesung der anthropomorphen Gottesrede um eine legitime, sprich konsistente und kohärente Alternative zum ‚klassischen‘ Verständnis dieser Texte handelt – und dass sie sich stimmig in eine christlich-theologische Gotteslehre integrieren lässt oder zu deren Konstruktion beitragen kann. Dabei wird eine offen-theistische Auseinandersetzung mit der anthropomorphen Gottesrede heute von einer Reihe jüngerer exegetischer und biblisch-theologischer Studien zu den von ihnen zentralisierten Texten profitieren können. Besonders gewichtig ist hier die bereits erwähnte Dissertation von Jan-Dirk Döhling zum „Motiv der Reue Gottes in der hebräischen Bibel“.211 In einem einleitenden auslegungsgeschichtlichen Rückblick belegt Döhling den auch von den Offenen Theisten wiederholt festgestellten „hermeneutisch-domestizierenden Zugang der theologischen Tradition“ zum biblischen Zeugnis der Reue Gottes,212 im Zuge dessen „die kommunikative Absicht der jeweiligen Aussagen“ konterkariert oder de facto aufgehoben werde.213 Es sind nach Döhlings Einschätzung eben der Hintergrund einer „ontologisch fixierten Gott-MenschDifferenz“ und die dementsprechend entfalteten metaphysischen Attribute der Allmacht und Allwissenheit Gottes,214 welche in der christlichen Theologiege-

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noch lange nicht, dass die Bibel auch tatsächlich die Quelle seiner Ausführungen ist“ (Boyd, Philo, 65). Nun ist die Möglichkeit einer unbewussten Beeinflussung Philos (sogar gegen seine erklärten eigenen Absichten) schwer zu bestreiten – und vielleicht ließe sich ein solcher subversiver Einfluss der von Philo gebrauchten griechischen Begriffe und Konzepte auf seine Wahrnehmung der biblischen Zeugnisse sogar nachweisen. Aber die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass es eben nicht möglich sein wird, objektiv festzustellen, ob „die Bibel auch tatsächlich die Quelle seiner Ausführungen“ ist, weil schlicht nicht hinreichend klar ist, wie denn eine Gotteslehre aussieht, deren Quelle „tatsächlich“ die Bibel ist. Döhling, Der bewegliche Gott. So der Titel des auslegungsgeschichtlichen Rückblicks bei: Döhling, Der bewegliche Gott, 40. Vgl. auch die Rede vom „Prinzip der dogmatischen Domestizierung der Reueaussagen“: ebd., 43. Döhling, Der bewegliche Gott, 520; vgl. die pointierte Zusammenfassung des auslegungsgeschichtlichen Rückblicks, welche sich mit der Analyse der Offenen Theisten auffallend deckt (ebd., 40): „In der klassischen Interpretation der biblischen Reuetexte verdichten sich die […] Vorurteile gegen das Reue- und Veränderlichkeitszeugnis zu einer hermeneutischen Theorie. […] [S]pätestens von Philo und Origenes an über Augustin und Thomas bis zu Luther und Calvin [zeigen sich] gleich bleibende zirkuläre Problematisierungs- und Harmonisierungsmuster: Man befragt die Reuetexte auf ihre Angemessenheit als Rede von Gott, notiert ihre Kollision mit den Attributen des klassischen Gottesbegriffs, grenzt die Reuerede interpretatorisch ein und reintegriert diese eingehegte Reue wiederum in den vorgängigen Begriff.“ Döhling, Der bewegliche Gott, 517.

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schichte fast einhellig dazu führte, die biblische Rede von der „Reue Gottes“ als „inadäquate“ und „buchstäblich unwesentliche“ Sprachform abzutun.215 Auch wenn er eine explizit exegetische Fragestellung verfolgt und die Antwort auf die Frage nach dem theologischen Wahrheitsanspruch der biblischen Reuerede „anderen Zeiten, Orten und Personen“ überlässt, so will Döhling doch auch mit seiner Studie der Aufgabe dienen, „die Überlieferung der Gegenwart und ihren Konformitätszwängen abzutrotzen“216 – und also die „Prämissen und Denkverbote“ der klassisch-theistischen Auslegungstradition im Namen einer möglichst unverstellten Wahrnehmung der biblischen Texte zumindest vorübergehend zu suspendieren.217 Ausgehend von der Endgestalt der biblischen Reuetexte fragt Döhnling „nach der jeweiligen theologischen, literarischen und kompositorischen Funktion der Reuerede in ihren konkreten literarischen Kontexten“ und damit „nach ihrer je spezifischen Einbettung in eine je spezifische Textwelt mit je spezifischen Handlungs- und Geschehensvoraussetzungen und einem je spezifischen Gott-Mensch-, Gott-Welt- oder Gott-Israelverhältnis“.218 Seine präzisen narratologischen Einzelbetrachtungen sowie die abschließende theologische Würdigung der „Beweglichkeit Gottes“ bestätigen und differenzieren die vom Offenen Theismus vorgenommene Lesung der Texte im Sinne einer „Dynamisierung des Glaubens an die Immanenz Gottes“219 und bringen zumal den biblisch-exegetischen Reue-Diskurs auf ein bisher unerreichtes Reflexionsniveau. Eine ganze Reihe neuerer Studien setzt sich im engeren, gestalthaften Sinne mit den biblischen Anthropomorphismen auseinander, welche von den Offenen Theisten zumindest teilweise zur Vertiefung ihres Zugangs zum biblischen Gotteszeugnis und ihrer Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch in Anspruch genommen werden können. So untersucht etwa Esther J. Hamori die Erscheinungen Gottes vor Abraham (Gen 18,1–15) und Jakob (Gen 32,23–33) in menschlicher Gestalt und fragt nach Form und Funktion anthropomorpher Gotteszeugnisse in der biblischen und altorientalischen Literatur.220 Sie kommt 215 Döhling, Der bewegliche Gott, 6 und 42 (Hervorhebung im Original). 216 Döhling, Der bewegliche Gott, 73. 217 Döhling, Der bewegliche Gott, 45; vgl. ebd., 59: „[D]er Hinweis auf die Gefahr unbewusster Eisegesen klassisch-theistischer Attribute in die biblischen Texte gerade für die Auseinandersetzung mit dem Reuethema [scheint mir] unverzichtbar zu sein.“ 218 Döhling, Der bewegliche Gott, 11. 219 Döhling, Der bewegliche Gott, 9; vgl. auch die prägnante Formulierung des Ertrags aus den vorausgegangenen exegetischen Studien, welche sich wie eine offen-theistische Beschreibung des interaktiven Gott-Welt-Verhältnisses liest: ebd., 487: „Als Möglichkeit Gottes und der Menschen wird Reue gewährt und entzogen, erhofft und errungen, verfehlt und ergriffen. Dabei profiliert sich ihre jeweilige literarische Gestalt im Mit- und Gegeneinander der Handlungsträger, in Wort und Widerwort, Tat und Gegentat, im Eingehen auf und im Ausgreifen über den jeweiligen status quo, kurz in der Dynamik konkreter Situationen und Beziehungen.“ 220 Hamori, ‚When Gods Were Men‘.

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zum Schluss, dass der „anthropomorphe Realismus“ zumindest der beiden genannten Theophanien den Glauben Israels an die wesentliche Relationalität, Kommunikativität und Rezeptivität Gottes zum Ausdruck bringt221 und dass der in den hebräischen Schriften bezeugte Gott überhaupt zweifellos „menschenförmig, wandelbar und frei“ sei, „in Raum und Zeit lokalisierbar, fähig, sich zu bewegen, sich zu verändern und von anderen beeinflusst zu werden“.222 Diese Überzeugung berührt sich mit dem Fazit einer kurz darauf erscheinenden, ausgezeichneten Studie des jüdischen Bibel- und Sprachwissenschaftlers Benjamin D. Sommer zu den „Körpern Gottes“ in altisraelischer Vorstellung.223 „Der Gott der hebräischen Bibel hat einen Körper“, hält Sommer gleich zu Beginn seiner Ausführungen fest – das müsse klargestellt werden, gerade „weil so viele Menschen, einschließlich zahlreicher Wissenschaftler, annehmen, dass dem nicht so sei“.224 In eingehender Analyse des anthropomorphen Gotteszeugnisses der hebräischen Bibel unterscheidet er dann verschiedene „Formen“ oder Manifestationsweisen des oder der „Körper Gottes“,225 um schließlich deutlich zu machen, dass die für die altisraelische Theologie maßgebliche Vorstellung der Körperlichkeit Gottes nicht nur dessen Personalität und aktive Beteiligung an der Welt des Menschen sicherstellt, sondern es auch erlaubt, von der Veränderlichkeit und Leidensfähigkeit Gottes (von „seiner Freude und seinem Schmerz, seiner Einsamkeit und Liebe“) zu sprechen.226 Die leibhaftig-menschengestaltige Wahrnehmung Gottes reflektiert nach Sommer in zugespitzter Weise „Gottes Verlangen, für die Menschheit zugänglich zu werden“ und sich ansprechbar zu zeigen.227 An Sommers und Hamoris Beiträgen ausdrücklich anknüpfend und 221 Hamori, ‚When Gods Were Men‘, 152–155 – näherhin, ebd., 153: „We see in the ish theophany that it is in fact within God’s essense to transcend the noumenal and enter the human realm.“ 222 Hamori, ‚When Gods Were Men‘, 51. 223 Sommer, The Bodies of God. 224 Sommer, The Bodies of God, 1. 225 Sommer vertritt die These, dass sich in der hebräischen Bibel eine bisher unbeachtete Debatte zur Form der Körperlichkeit Gottes abzeichnet – näherhin dass sich unter den biblischen Autoren Vertreter der Überzeugung finden, dass der Gott Israels nur einen Körper hat, sowie Vertreter der Ansicht, dass Gott vielmehr mehrere Körper gleichzeitig haben kann; vgl. Sommer, The Bodies of God, 1: „What I propose to show in this book is that the startling or bizarre idea in the Hebrew Bible is something else entirely: not that God has a body – that is the standard notion of ancient Israelite theology – but rather that God has many bodies located in sundry places in the world that God created.“ 226 Sommer, The Bodies of God, 141f: „[A]ny physical God, whether a God with one body or with many, is a God who can change. Such a God, furthermore, is a deity in whom we can find pathos; a God who can change is a God who can experience joy and pain, loneliness and love. And that physical God of pathos, with one body or many, can seek out humanity. But only the God with many bodies can rise above God’s own physicality. The God with many bodies remains woundable and alterable, but this deity can nevertheless be omnipotent.“ 227 Sommer, The Bodies of God, 143.

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die Körperlichkeit Gottes nach biblischer Anschauung bereits voraussetzend sieht Mark S. Smith deren theologische Funktion übereinstimmend darin, „die besondere Gegenwart Gottes“ auszudrücken und das „göttliche Wirken in unserem Leben und in unserer Welt“ einsichtig zu machen.228

3.3.6 Die systematisch-theologische Herausforderung anthropomorpher Gottesrede Als Erträge eines in den letzten Jahren aufblühenden Interesses an der Erforschung der Menschengestaltigkeit Gottes bekräftigen diese Studien im Grundsatz die vom Offenen Theismus nachdrücklich geforderte exegetische und theologische Ernstnahme der biblischen Anthropomorphismen – sowie den daraus gewonnenen Blick auf die Nähe und Zuwendung Gottes zur Schöpfung, näherhin auf seine personale Interaktion mit dem Menschen.229 Wie schon sämtliche Vertreter des Offenen Theismus sind sich auch die Autoren der genannten Werke bewusst, dass sie durch ihre Relektüre der anthropomorphen Gottesrede der Bibel mit einem „klassisch-theologischen“ Konsens brechen oder zumindest die Selbstverständlichkeit problematisieren, mit welcher in der herkömmlichen christlichen (und jüdischen) Theologie von der Körperlosigkeit Gottes (und damit verbunden: von der göttlichen Unveränderlichkeit und darum Leidensunfähigkeit) ausgegangen wurde.230 Ihre Untersuchungen zur Körperlichkeit oder „Leibhaftigkeit“ Gottes nach alttestamentlicher Vorstellung machen zugleich auch das Problem virulent, welches schon an der offen-theistischen Deutung der biblischen Zeugnisse von Gottes Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue aufbricht – nämlich dass eine neue Wahrnehmung der biblischen 228 Smith, How Human Is God?, 3–41 (die Zitate finden sich ebd., 24). Smith unterscheidet drei verschiedene „Körper Gottes“, die sich mit den von Benjamin Sommer genannten Formen der Körperlichkeit Gottes berühren, aber nicht völlig decken – vgl. v. a. ebd., 6f; sowie die Zusammenfassung der Einsichten, welche mit solchen Vorstellungen der Körperlichkeit Gottes einhergehen: ebd., 24. 229 Vgl. neben den bereits genannten Autoren und Werken auch folgende Titel: Wagner, Gottes Körper; Kamionkowski/Kim (Hg.), Bodies, Embodiment, and Theology of the Hebrew Bible; sowie – in Vorwegnahme vieler biblischer und systematischer Fragestellungen – schon Schart, ‚Die Gestalt‘ YHWHs, 26–43. Ferner in inkarnationstheologischer Perspektive Cole, The God Who Became Human; sowie aus vergleichend-religionswissenschaftlicher Sicht Shah, Anthropomorphic Depictions of God; und schließlich magistral in religionsgeschichtlicher Perspektive Markschies, Gottes Körper, 2016. 230 Vgl. hierzu besonders den Nachweis der „scholarly avoidance“ hinsichtlich der Körperhaftigkeit Gottes sowohl in der christlichen wie auch in der jüdischen Bibelwissenschaft bei Sommer, The Bodies of God, 4–10; man beachte auch den instruktiven Überblick über die theologisch-philosophische Domestizierung des Anthropomorphismus-Phänomens bei Hamori, ‚When Gods Were Men‘, 35–64.

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Gottesrede, wenn es nicht nur bei einzelexegetischen Studien und religionsgeschichtlichen Erkenntnissen oder der bloßen Kritik gängiger Gottesvorstellungen bleiben soll, auch nach einer neuen Konzeptualisierung der christlichen Gotteslehre verlangt. Diese Aufgabe wird besonders dringlich, wenn die in obengenannten Forschungen diskutierten Belege für den „anthropomorphen Realismus“ der Bibel beim Wort genommen und also zu einer theologischen Theorie der „Menschengestaltigkeit Gottes“ verdichtet werden sollen. Sommer scheint in seiner Arbeit zu den „Körpern Gottes“ zumindest in diese Richtung zu deuten, wenn er sich gegen ein bloß metaphorisches Verständnis der betreffenden Beschreibungen Gottes ausspricht („Wenn die Altvorderen vom Körper Gottes sprachen, dann meinten sie wirklich, dass Gott einen Körper habe“!)231 und ausdrücklich auch im Blick auf einen zeitgemäßen ( jüdischen) Gottesglauben die Vorzüge einer Vorstellung der Körperlichkeit Gottes herausstellt.232 Damit wiederum bewegt sich Sommer gedanklich auf einer von Terence Fretheim bereits in seiner bekannten Studie The Suffering of God gelegten Spur.233 Fretheim, dessen Werk von den Offenen Theisten bekanntlich rege rezipiert wird, kann in Auseinandersetzung mit den alttestamentlichen Theophanieberichten hervorheben, dass die menschliche Gestalt „der Gottheit Gottes gewiss nicht fremd“ sei,234 da Gott der hebräischen Bibel gemäß offensichtlich die Erscheinungsform eines Menschen annehmen könne, ohne seine göttliche Erhabenheit zu kompromittieren.235 Es ist nach Fretheims Überzeugung darum nicht genug, die anthropomorphe Sprache der Bibel nur in funktionaler Hinsicht zu beachten, gewissermaßen „als Vehikel der Manifestation Gottes“; vielmehr müsse von einer 231 Sommer, The Bodies of God, 8f – Sommer kritisiert hier das gängige Vorgehen von christlichen und jüdischen Bibelwissenschaftlern, zunächst sorgfältig und überzeugend Beispiele für die verkörperte Natur Gottes zu sammeln – „only to deny the corporeality of the biblical God on the basis of an unsupported assertion that the biblical authors didn’t really mean it after all“ (ebd., 8). Die vielfältigen Anläufe, „to minimize, explain away, render metaphorical, or eviscerate the Bible’s anthropomorphism“, seien aus der Auslegungsgeschichte hinlänglich bekannt (ebd.), sie werde der Evidenz des biblischen Materials aber nicht gerecht; vgl. auch ebd., 178, Anm. 37, wo Sommer erklärt, dass er gerade nicht alle anthropomorphe Sprache der Bibel notwendigerweise metaphorisch verstehe. 232 Sommer, The Bodies of God, 137–139; vgl. ebd., 142. 233 Vgl. das Kapitel „God in Human Form“ in Fretheim, The Suffering of God, 79–106. 234 Fretheim, The Suffering of God, 101. 235 Fretheim, The Suffering of God, 102. Es ist auffallend, wie Fretheim in The Suffering of God die Fragestellungen und Antwortrichtungen von Benjamin Sommers Untersuchung vorwegnimmt – vgl. etwa ebd., 105: „While final clarity cannot be achieved at this point on the basis of the evidence we have, it is probable that Israel did not conceive of God in terms of formlessness, but rather that the human form of the divine appearances constituted an enfleshment which bore essential continuities with the form which God was believed to have“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. auch Fretheims einschlägige Studie zur Reue Gottes Fretheim, The Repentance of God (hier zur Menschengestaltigkeit Gottes: 60f).

Kritische Reflexion

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„essentiellen Kontinuität“ der anthropomorphen Beschreibung Gottes mit dessen wahrer Gestalt ausgegangen werden.236 Versuche, diese Kontinuität von Gott und Mensch auch und gerade hinsichtlich ihrer Gestalt systematisch-theologisch zu denken und für die Rede von der Leidensfähigkeit Gottes oder für die Inkarnationslehre fruchtbar zu machen, haben bisher Marcel Sarot und in jüngster Zeit Stephen Webb vorgelegt.237 Unter den Offenen Theisten hat nur Clark Pinnock die durch die biblische Annahme der Körperlichkeit Gottes gestellte Herausforderung gesehen. Er nimmt im Zusammenhang seiner Reflexion der Personalität Gottes einige Impulse von Terence Fretheim sowie der bereits 1992 veröffentlichten Arbeit von Sarot auf und hält zumal mit einer gewissen Vorsicht fest, dass es zum Verständnis Gottes als personal Handelnder und emotional Mitleidender helfen könne, von einer „geheimnisvollen Körperlichkeit“ Gottes auszugehen.238 Die anderen Vertreter des Offenen Theismus wollen von einer Menschengestaltigkeit Gottes in diesem konkreten Sinne allerdings nichts wissen – sie nennen die Vorstellung der Körperlichkeit Gottes vielmehr als Beispiel einer Konsequenz, welche sie aus ihrer Ernstnahme der biblischen Anthropomorphismen gerade nicht ziehen wollen. Gestalthafte Beschreibungen Gottes implizieren etwa nach Boyd und Rice keine Körperlichkeit im eigentlichen Sinne, und die biblischen Erwähnungen von Extremitäten oder Sinnesorganen Gottes sind ihrer Einschätzung nach Übertragungen von markanten Funktionen menschlicher Körperteile auf das eigentlich körperlose Wesen Gottes.239 Das entspricht dem Gedankengang bei Mark S. Smith, welcher von der Entfaltung verschiedener Vorstellungen des „Körpers Gottes“ in den biblischen Überlieferungen unvermittelt zur Frage übergeht, welchem Zweck solche Anthropomorphisierungen

236 Fretheim, The Suffering of God, 104 (Fretheim macht diese Aussagen hier in Form einer Frage, welche er aber anschließend zweifellos positiv beantwortet) – vgl. auch die Referenz auf Fretheim bei Döhling, Der bewegliche Gott, 58, Anm. 230: Döhling stellt heraus, dass die Erscheinung Gottes in menschlicher Gestalt für Fretheim „quasi-inkarnatorischen“ Rang habe. 237 Vgl. Sarot, God, Passibility and Corporeality; Webb, Jesus Christ, Eternal God. 238 Pinnock, Most Moved Mover, 81; vgl. ebd., Anm. 54, wo Pinnock festhält, dass seines Wissens kein Vertreter des Offenen Theismus die Vorstellung der Körperlichkeit Gottes ernsthaft in Erwägung gezogen habe. Pinnocks knappe Anmerkungen zur Möglichkeit der Körperlichkeit Gottes haben ihm indes massive Kritik eingebracht – für die Gegner des Offenen Theismus hat Pinnock damit unter Beweis gestellt, welch absurde Schlussfolgerungen ein „wörtliches“ Verständnis der biblischen Anthropomorphismen nach sich zieht; vgl. etwa Erickson, What Does God Know and When Does He Know It?, 68f. 239 Vgl. Boyd, God of the Possible, 118f; ders., Satan and the Problem of Evil, 99f; vgl. auch die klare Unterscheidung zwischen „wörtlich“ zu verstehenden biblischen Anthropopathismen und „figurativ“ zu verstehenden biblischen Anthropomorphismen in Rice, Biblical Support for a New Perspective, 34.

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Die umstrittene Interpretation des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

Gottes damals dienten und mit welchen Einsichten sie auch den heutigen Leser versorgen können.240 Insofern damit die Uneigentlichkeit der Rede von Gottes Körper angezeigt wird, lädt sich Smith (wie auch die Offenen Theisten) aber die Pflicht auf, eine ebensolche Lesung der Texte auch hermeneutisch zu rechtfertigen. Eine Studie, die sich anschickt, das anthropomorphe Gotteszeugnis der Bibel theologisch neu zur Geltung zu bringen und welche die Vorstellung der Körperlichkeit Gottes für die biblischen Autoren oder für den altisraelischen Gottesglauben ausdrücklich bejaht, wird zumindest nicht selbstverständlich voraussetzen können, dass solche Vorstellungen für ein zeitgemäßes biblisch-christliches Gottesverständnis erledigt sind. Selbst wenn aber die anthropomorphen Beschreibungen Gottes nicht als Zeugnisse einer „geheimnisvollen Körperlichkeit“ (Pinnock) aufgefasst, sondern rein funktional verstanden werden, bleibt noch immer die Herausforderung bestehen, diese funktionalen Bedeutungsinhalte anthropomorpher Gottesrede in eine christliche Gotteslehre zu integrieren: Namentlich die Gott wesentliche Bezogenheit auf und Empfänglichkeit für den Menschen (Hamori), die göttliche Wandelbarkeit in und Beteiligung an der Welt (Sommer) sowie sein personales Wirken unter seinen Geschöpfen (Smith) verlangen nicht nur nach einer biblisch-exegetischen Herleitung, sondern auch nach einer systematischtheologischen Plausibilisierung und also wohl zumindest nach einer Modifikation ‚klassischer‘ Gottesattribute wie etwa der Unveränderlichkeit oder der Zeitund Beziehungslosigkeit. Ähnliches ist von der dem alttestamentlichen Reuezeugnis entnommenen Beweglichkeit Gottes zu sagen, welche im Verlauf der Bundesgeschichte mit dem Menschen auf die Probe und unter Beweis gestellt wird und deren Implikationen die herkömmlichen Vorstellungen der Allwissenheit wie auch der Allmacht Gottes in Frage stellen (Döhling). Der nächste Teil dieser Arbeit befasst sich darum mit den im Offenen Theismus erkennbaren Ansätzen, einen Beitrag zur systematisch-theologischen Integration des Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ zu leisten und damit eine Rekonstruktion der christlichen Gotteslehre auf dem Hintergrund ihrer Lesung der anthropomorphen biblischen Überlieferungen anzustrengen.

240 Smith, How Human Is God?, 22 – vgl. ebd., 6, wo Smith sich auf einen Aufsatz des Anthropologen Pascal Boyer beruft, welcher nachzuweisen versucht, dass die Anthropomorphisierung sowohl weltlicher wie religiöser Reflexionsgegenstände Möglichkeiten zum vertieften Verständnis derselben eröffnet.

4.

Systematische Einordnungsversuche. Die dogmatische Reintegration des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

In the model proposed here God has the love, wisdom, perseverance and power to deal with any situation that arises in the working out of his project. When the divine nature is defined in light of the project God established and the actions God has done in history, then we have a very concrete understanding of God. God is a personal being who freely enters into loving relationships with his creatures. The nature of God is not defined in terms of the infinity of being or absolute power but rather in terms of his wise, free, faithful and powerful love manifested toward his creatures. John Sanders: The God Who Risks (1st Edition), 206.

Einleitung und Kurzdarstellung Die bisherige Darstellung der biblisch-theologischen Argumentation für den Offenen Theismus hat zunächst die Zeugnisse der Lernbereitschaft, der Enttäuschung sowie der Reue Gottes aufgearbeitet, welche im Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ zusammengefasst werden. Nach Einschätzung aller Offenen Theisten sollten diese Überlieferungen nicht als „bloße Anthropomorphismen“ im Sinne der uneigentlichen Gottesrede verstanden, sondern in ihrem theologischen Aussagegehalt ernst genommen werden. Dann nämlich würden sie nachdrücklich und gewichtig das Bild eines Gottes zeichnen, welcher sich mit seinen Geschöpfen auf eine unvorhersehbare und zumindest teilweise unkontrollierbare Geschichte einlässt, in deren Verlauf sich auch seine Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit erweist. Schon im Zuge der Auseinandersetzung mit der biblischen Gottesrede führen besonders John Sanders und Gregory Boyd beständig das Gespräch mit ihren ‚klassisch-theologischen‘ Kritikern. Sie bemühen sich zu zeigen, wie ihre ‚offene Sicht Gottes‘ auch angesichts jener biblischen Überlieferungen verteidigt werden kann, die in der ‚klassischen‘ Theologie zum Nachweis der uneingeschränkten Voraussicht Gottes auf die Zukunft (‚Allwissenheit‘) und seiner totalen Verfügungsgewalt über die Schöpfung (‚Allmacht‘) in Anspruch genommen werden. Lassen die Offenen Theisten auch keinen Zweifel daran, dass sie die traditionelle Gotteslehre für akut überholungsbedürftig halten und dass eine theologische Ernstnahme des Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ mit den metaphysisch definierten ‚klassischen‘ Eigenschaften Gottes unvermeidlich kollidiert, so versuchen sie doch zu zeigen, dass gerade die Rede von der Allmacht und Allwissenheit Gottes sowie die Vorstellung seiner Unveränderlichkeit nicht gänzlich verabschiedet werden muss, sondern vielmehr am biblischen Gotteszeugnis neu

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geschärft werden sollte. Die Vertreter des Offenen Theismus lösen diese Forderung zwar selbst höchstens teilweise ein: Keiner von ihnen bietet eine Integration des „Motivs der Offenheit Gottes“ in Form einer ausgearbeiteten systematischtheologischen Alternative zur ‚klassischen‘ Gotteslehre oder auch nur eine eingehende Beschäftigung nicht allein mit dem aktuellen analytisch-philosophischen Diskurs um die Begriffe der Allmacht, Allwissenheit oder Unveränderlichkeit,1 sondern gerade mit den spezifisch systematisch-theologischen Entwürfen der Gegenwart und den darin unternommenen Anläufen zum Verständnis dieser Attribute Gottes. Zumindest ansatzweise nimmt sich Sanders dieser Aufgaben aber in den letzten Kapiteln seines Entwurfs The God Who Risks an, und Pinnock zeichnet in seinem Beitrag zu The Openness of God sowie in Most Moved Mover wenigstens die Konturen einer alternativen, am Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ geklärten Gotteslehre vor. Ihre Ausführungen sowie die bei Boyd meist im Zuge der Auseinandersetzung mit konkreten biblischen Texten getroffenen Aussagen zu einer offen-theistischen Gotteslehre erlauben eine Darstellung der Grundlinien, entlang derer sich die Offenen Theisten eine systematisch-theologische Neufassung des Allmachts- und Allwissenheitsbegriffs sowie des Bekenntnisses zur göttlichen Unveränderlichkeit vorstellen. Dieses abschließende Hauptkapitel zur biblischen Argumentation für eine ‚offene Sicht Gottes‘ geht jenen drei für die ‚klassische‘ Gotteslehre bedeutsamen und jedenfalls in der Debatte um den Offenen Theismus entscheidenden Eigenschaften Gottes nach. Es zeigt, inwiefern die unter dem Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ subsumierten biblischen Überlieferungen eine Loslösung der herkömmlichen Vorstellungen göttlicher Allmacht, Allwissenheit und Unveränderlichkeit aus ihrem klassischen metaphysischen Referenzrahmen anregen und deren Rückbindung an biblische Zentralbegriffe nahelegen. Dabei wird auch deutlich, dass die Offenen Theisten eine solche Modifikation der strittigen Gottesattribute keineswegs als bloße theologische „Verlegenheitslösung“ heranziehen – etwa um nicht als Leugner eines allmächtigen und allwissenden Gottes dargestellt zu werden –, sondern dass sie vielmehr überzeugt sind, gerade vom Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ erst zu einem biblisch angemessenen, systematisch konsistenten und praktisch tragfähigen Verständnis der Allmacht, Allwissenheit und Unveränderlichkeit Gottes geführt zu werden. Die Anerkennung der dynamischen und zukunftsoffenen Bundesgeschichte Gottes mit dem Menschen spricht für sie mit anderen Worten nicht für eine Zurücknahme oder Abschwächung, sondern im Gegenteil für eine Bekräftigung und Zuspitzung der 1 Dass sich die Offenen Theisten in dieser Hinsicht durchaus qualifiziert einbringen, machen die neueren deutschsprachigen Arbeiten zur philosophischen Argumentation für eine ‚offene Sicht Gottes‘ deutlich – vgl. hierfür v. a. Grössl, Die Freiheit des Menschen als Risiko Gottes; sowie Schmelter, Gottes Handeln und die Risikologik der Liebe.

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genannten Gottesattribute: Fern davon, als unliebsame, einen Mangel im Wesen Gottes implizierende Ausnahmetexte gemieden werden zu müssen, erweisen sich die Belegstellen für die ‚Offenheit Gottes‘ nach Überzeugung der Offenen Theisten als Schlüsseltexte einer biblisch-theologisch erneuerten Lehre von den Eigenschaften Gottes. Konkret orientiert sich eine Neufassung der fraglichen Gottesattribute an drei für die biblische Gottesrede zentralen Begriffen: Zum einen (1) wird die klassische Vorstellung der Allwissenheit Gottes im Sinne der unübertrefflichen Weisheit ausgelegt. Alle biblisch-theologisch engagierten Vertreter des Offenen Theismus bemühen sich, die Rede von der göttlichen Omniszienz aus der philosophischen Verwicklung vor allem mit der Idee des zeitlosen, unveränderlichen Wissens zu befreien und sie stattdessen an den für die biblische Gottesrede fundamentalen Begriff der Weisheit zu binden: Gottes „Allwissenheit“ ist seine All-Weisheit, kraft derer er die Menschheit und überhaupt seine Schöpfung durch das unberechenbare Abenteuer der Geschichte führt. Sodann (2) bestimmen die Offenen Theisten die Allmacht Gottes näher als seine freisetzende Kraft. Auch hier wehren sich die Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ bekanntlich gegen die Einpassung der Omnipotenzvorstellung in einen philosophisch-deterministischen Referenzrahmen: Die Rede vom ‚allmächtigen Gott‘ ist ihrer Überzeugung nach gerechtfertigt nicht aufgrund einer einseitigen Verfügungsgewalt Gottes über die ganze Wirklichkeit, sondern vielmehr aufgrund seines unvergleichlichen Reichtums an Möglichkeiten zur Einflussnahme inmitten einer gefallenen und oft widerständigen Schöpfung. Und schließlich (3) versuchen die Vertreter des Offenen Theismus, die klassische Rede von der Unveränderlichkeit Gottes auf dessen unerschütterliche Treue hin zu deuten. Nicht eine philosophische Konzeption der innerlichen und äußerlichen immutabilitas steht ihrem Urteil nach hinter biblischen Aussagen, welche Gottes unveränderliches Wesen bezeugen, sondern vielmehr das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Beständigkeit der Zuwendung Gottes zum Menschen, also die Gewissheit der Treue Gottes, welche seine Beweglichkeit in den veränderlichen Umständen des Lebens nicht ausschließt, sondern gerade voraussetzt.

Differenzierungen und Kontroversen Sofern sie sich qualifiziert dazu äußern, teilen alle Vertreter des Offenen Theismus die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Neufassung zentraler ‚klassischer‘ Gottesattribute entlang der skizzierten Linien. Schon Clark Pinnocks systematisch-theologischer Beitrag zum Gemeinschaftswerk The Openness of God macht deutlich, dass die vom Offenen Theismus wiederentdeckten Aspekte biblischer Gottesrede die herkömmlichen Vorstellungen der Allmacht, Allwis-

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Die dogmatische Reintegration des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

senheit und Unveränderlichkeit Gottes in besonderer Weise tangieren und dass sich für den Offenen Theismus eine Reformulierung dieser Attribute nach Vorgabe des biblischen Zeugnisses zur Stärke, Weisheit und Treue Gottes anbietet. Die späteren Veröffentlichungen der Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ folgen dieser Vorgabe Pinnocks. Widerspruch ernten ihre Bemühungen erwartungsgemäß von den ‚klassischtheologischen‘ Kritikern des Offenen Theismus. Namentlich von Seiten der Vertreter eines konservativen, mehrheitlich neocalvinistischen Evangelikalismus, welchem die Offenen Theisten der ersten Generation unmittelbar gegenüberstehen, wird gegen derartige Modifikationen der christlichen Gotteslehre vehement Einspruch erhoben. Bruce Ware, Millard Erickson, Norman Geisler, John Frame und andere entschiedene Gegner der ‚offenen Sicht Gottes‘ machen unmissverständlich klar, dass eine Reformulierung klassischer Gottesattribute im dargelegten Sinne schlichtweg deren Bestreitung gleichkommt. Jedes Zugeständnis an die Beeinflussbarkeit Gottes durch seine Geschöpfe und besonders an die Möglichkeit, Gott zu überraschen oder seinem Willen zu widerstehen, ist ihrer Überzeugung nach unvereinbar mit dem Bekenntnis zur Allmacht, Allwissenheit und Unveränderlichkeit Gottes. Insofern aber diese Attribute zumal für die neocalvinistischen Opponenten in der Vorstellung der absoluten Souveränität Gottes kumulieren, können sie die ‚offene Sicht Gottes‘ nur als Frontalangriff auf dieses von ihnen besonders hochgeschätzte Prädikat Gottes werten. Die folgende Darstellung berücksichtigt entsprechend den polemischen Kontext, in welchem die Aussagen der Offenen Theisten zu den fraglichen Eigenschaften Gottes getroffen werden, und erörtert auch die Einwände der Kritiker – allerdings ohne deren biblisch-theologische Gegenposition noch einmal auszuführen: Diese ist bereits in der Entfaltung des Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ (unter Abschnitt 2.2.1) zur Sprache gekommen. An die Darstellung der offen-theistischen Modifikationen zentraler Eigenschaften Gottes schließt sich eine knappe kritische (Zwischen-)Reflexion an. Sie weist zunächst auf das gegenseitige Bedingungsverhältnis von exegetischer Mikroperspektive und systematischer Makroperspektive hin, welches bereits in der Diskussion des Anthropomorphismus-Problems zur Sprache gekommen ist (vgl. bes. 0 und 0). Ein vertiefter Blick auf das Werk Terence Fretheims zeigt sodann einerseits, dass dieser Gelehrte des Alten Testaments als entscheidender Vordenker des Offenen Theismus anzuerkennen ist, macht aber zugleich deutlich, dass dessen Vertreter in der theologischen Durchdringung ihrer ‚offenen Sicht Gottes‘ kaum über Fretheims Arbeiten hinausgehen. Sie lassen eine eigentliche dogmatische Entfaltung des Offenen Theismus vermissen und verpassen durch den verengten Blick auf ihre evangelikal-konservativen Kritiker die Gelegenheit, ihr theologisches Modell im Gegenüber zu namhaften systematischen Entwürfen des 20. Jahrhunderts zu profilieren.

Reformulierungen klassischer Gottesattribute

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Diesem Anliegen ist der letzte Teil dieses Kapitels gewidmet. Er greift mit Emil Brunner, Karl Barth, Jürgen Moltmann und Wolfhart Pannenberg vier gewichtige deutschsprachige Dogmatiker heraus, die auch im englischsprachigen Raum große Bedeutung erlangt haben und von den Offenen Theisten zumindest gelegentlich herangezogen werden. Ein Blick auf die Entfaltung der für den Offenen Theismus ausschlaggebenden Gottesattribute in diesen deutschsprachigen Entwürfen macht deutlich, wie groß die Übereinstimmungen mit dem Offenen Theismus tatsächlich sind – aber auch wie sehr die Darlegung der ‚offenen Sicht Gottes‘ von den Problemstellungen und Lösungsansätzen dieser Entwürfe profitieren könnte. Das Kapitel endet darum mit einer Anzeige offener Fragen und Desiderate im Blick auf die systematisch-theologische Ausarbeitung des Offenen Theismus.

4.1

Reformulierungen klassischer Gottesattribute

4.1.1 Gottes Allwissenheit als seine unübertreffliche Weisheit Das Motiv der ‚Offenheit Gottes‘, wie es die Offenen Theisten entfalten, steht zunächst in augenscheinlicher Spannung zur klassischen Vorstellung der Allwissenheit Gottes – das wird nicht nur von den Kritikern ihres Ansatzes hervorgehoben, sondern auch etwa von Boyd, Sanders und Pinnock selbst wiederholt eingestanden. Schon die Vorstellung, dass Gott zu authentischen Lernerfahrungen fähig ist und die Zukunft als Raum offener Möglichkeiten und nicht als vorhersehbaren Ereignisverlauf oder zeitlose Gegebenheit vor sich hat, umso mehr aber die Rede von der Enttäuschung oder Reue Gottes im Rückblick auf anscheinend unerwartete Entwicklungen der Geschichte wird in der Debatte um den Offenen Theismus als Bedrohung der Allwissenheit Gottes empfunden: Ein allwissender Gott kann nach Ansicht vieler Kritiker unmöglich etwas bisher Unbekanntes dazulernen und sich vom Verlauf der Dinge überraschen oder enttäuschen lassen. Er muss vielmehr vollständige und definitive Kenntnis der Zukunft besitzen – nicht selten wird davon schlechthin die Fähigkeit Gottes abhängig gemacht, die Weltgeschichte zu lenken und seine Schöpfungsziele zu erreichen: Nur „Gottes umfassendes Vorauswissen gibt ihm die providentielle, regulative Macht über der sich entfaltenden Gestalt der Zukunft“, bemerkt etwa Bruce Ware in Abgrenzung zum Offenen Theismus, und allein diese klassische Implikation der Allwissenheit Gottes vermag seiner Überzeugung nach auch dem biblischen Zeugnis der Vorsehung und Geschichtsmächtigkeit Gottes gerecht zu werden.2 Ware will darum den Allwissenheitsbegriff auch in diesem klassischen 2 Ware, God’s Lesser Glory, 41; vgl. ebd. 20: „The God of open theism suffers greatly from his

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Sinne definiert wissen und hält namentlich im Blick auf Boyds Ansatz fest: „Trotz der beharrlichen Bestätigung des Begriffs der ‚Allwissenheit‘ ist es unbestreitbar, dass Boyd die klassische Definition der Allwissenheit verneint, welche notwendigerweise Gottes umfassendes Vorauswissen einschließt.“3 Die gängige Anschuldigung, dass der Offene Theismus die göttliche Allwissenheit verwerfe und Gottes Wissen einschränke, sei darum zweifellos gerechtfertigt.4 Das ist jedoch eine zirkuläre Folgerung, worauf auch Boyd aufmerksam macht: Er und seine theologischen Gesinnungsgenossen stimmen mit ihren Kritikern ja von Anfang an darin überein, dass ihr Verständnis der Allwissenheit Gottes mit den klassischen Implikationen des Begriffs nicht vereinbar ist. Ware dokumentiert mit seiner Argumentation lediglich, dass er keiner von den klassischen Implikationen abweichenden Konzeption der umfassenden Wirklichkeitskenntnis Gottes zugesteht, den Terminus ‚Allwissenheit‘ zu beanspruchen.5 Die Offenen Theisten plädieren aber ausdrücklich für eine alternative Konzeption der Allwissenheit Gottes entlang der Linien des von ihnen durch das biblische Gotteszeugnis hindurch verfolgten Motivs der ‚Offenheit Gottes‘. Die Darstellung des philosophischen Argumentariums hat bereits deutlich gemacht, dass die Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ zwar durchaus an einem „buchstäblichen“ Verständnis göttlicher Allwissenheit festhalten können: Gott weiß auch nach ihrer Überzeugung schlechthin alles, was es zu wissen gibt, seine Kenntnis der Realität ist mit anderen Worten lückenlos und umfassend – was unter der Voraussetzung der Zeitlichkeit Gottes bedeutet, dass Gott Vergangenheit und Gegenwart im Modus feststehender Tatsachen, die Zukunft dagegen im Modus offener Möglichkeiten erschöpfend kennt. Diese vollkommene Wirklichkeitskenntnis Gottes scheint zumal für die biblisch-theologisch engagierten Vertreter des Offenen Theismus aber nur der gewissermaßen ‚epistemisch-materiale‘ Aspekt dessen zu sein, was unter der göttlichen Allwissenheit zu verstehen ist. Sie bestimmen den Begriff der Allwissenheit nämlich im weiteren Sinne der unübertrefflichen Weisheit Gottes inmitten der Wendungen der Weltgeschichte und der Herausforderungen der menschlichen Existenz. Der allwissende Gott zeichnet sich nicht allein durch sein erschöpfendes Wissen aus, sondern vielmehr durch seine Fähigkeit und Bereitschaft, den Menschen im lack of knowledge and it affects his plans, wise counsel, predictive ability, and providential control of history“ – sowie das Fazit aus Wares Gang durch die biblischen Nachweise des Vorauswissens Gottes: ebd., 138–141. 3 Ware, God’s Lesser Glory, 147 (Hervorhebungen dem Original entsprechend). 4 Ware, God’s Lesser Glory, 147. 5 Vgl. Boyds Reaktion auf Wares Kritik in Boyd, Satan and the Problem of Evil, 114, Anm. 36: „Ware presupposes his own view of the future and then charges open theists with positing an ignorant God for not knowing it! Overall Ware’s critique rarely engages open theists on their own terms, and this renders his work largely irrelevant to anone who wants to seriously engage in critical dialogue with the open view at an academic level“ (Hervorhebungen im Original).

Reformulierungen klassischer Gottesattribute

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Gebrauch dieses Wissens durch die Unsicherheiten des Lebens zu begleiten und in eine offene Zukunft zu führen. Das traditionelle Bekenntnis zur Allwissenheit Gottes wird so an den biblisch zentralen Begriff der Weisheit Gottes zurückgebunden und zugleich in einen relationalen lebenspraktischen Kontext gestellt. Während in der Theologie traditionell die Abstraktbegriffe der Allwissenheit und des Vorauswissens betont worden seien, macht Sanders in diesem Sinne deutlich, würden die biblischen Autoren vielmehr die Weisheit Gottes in den Vordergrund stellen, „kraft derer Gott zur Hilfestellung befähigt“ sei.6 Gewiss besitze Gott „Tiefe und Weite der Erkenntnis“ (Sanders verweist auf Psalm 139,1–6 sowie Jesaja 44,6–7) – aber was die biblischen Schreiber am höchsten schätzten, sei „die Weisheit Gottes in seinem Umgang mit Menschen (Römer 11,33)“.7

4.1.2 Die Leistungsfähigkeit dieser Reformulierung der Allwissenheit Gottes Vor allem Boyd versucht nun zu zeigen, dass ein solcherweise näherbestimmter Begriff der Allwissenheit auf die Behauptung umfassender definitiver Voraussicht gar nicht mehr angewiesen ist: „Wenn wir die biblischen Texte sagen lassen, was sie zu sagen scheinen“, führt er aus, „dann legt sich uns die Schlussfolgerung nahe, dass Gott als derart weise, einfallsreich und überlegen vorgestellt wird, dass er es nicht nötig hat, die Zukunft im Voraus umfassend festzulegen – und dass er dies auch nicht will.“8 Gott vertraue seinen Fähigkeiten und seiner Weisheit vielmehr so sehr, dass er bereit sei, den Menschen ein erhebliches Maß an Freiheit zuzugestehen, kraft derer sie ihre eigene Zukunft bestimmen könnten.9 Unter Verweis auf die unter dem Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ angeführten Schriftbelege hält Boyd fest, dass sich Gottes Größe gerade „in seiner Offenheit uns gegenüber und in seiner Bereitschaft, uns an der Gestaltung der Zukunft zu beteiligen“, erweise.10 Die Willigkeit Gottes, sich auf eine echte Geschichte mit dem Menschen einzulassen, von der auch er selbst noch überrascht werden kann, ist nach Boyds Einschätzung keine Infragestellung, sondern ein Ausdruck der Allwissenheit Gottes im Sinne seiner unübertrefflichen Weisheit.11 Sowohl Sanders wie auch Pinnock zitieren die von Boyd bereits in seiner Dissertation getroffene Aussage, dass es weit mehr Selbstvertrauen, Liebe und Feingefühl erfordere, „dasjenige zu 6 7 8 9 10 11

Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 131. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 131. Boyd, God of the Possible, 68 (Hervorhebungen dem Original entsprechend). Boyd, God of the Possible, 68. Boyd, God of the Possible, 68. Boyd, God of the Possible, 68; vgl. übereinstimmend: Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 182f.

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Die dogmatische Reintegration des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

lenken, was personal und frei ist, als dasjenige, worüber man absolute Kontrolle hat“ – und dass es also einer weit größeren Tiefe der Weisheit bedürfe, sich einer Zukunft mit echten Offenheiten, Unsicherheiten und Risiken zu stellen als einer Zukunft, deren exakte Blaupause man bereits in Händen halte.12 Die Definition göttlicher Allwissenheit im Modus umfassenden Vorauswissens und völliger Absicherung ist nach Boyd eine defizitäre, allzu menschliche Vorstellung, die der biblischen Gottesrede nicht gerecht werde13 – eine Kritik, welche von Sanders und Pinnock zugespitzt wird in der Behauptung, dass die ‚klassische‘ Gotteslehre das biblische Lob der Weisheit Gottes eigentlich nicht einsichtig machen könne. Ein Gott, der alles von Anbeginn der Schöpfung an vorherbestimmt habe, brauche gar nicht weise zu sein, stellt Pinnock klar,14 und Sanders ist sogar überzeugt, dass die traditionelle Auffassung der Omniszienz Gottes den Gebrauch von Weisheit nicht nur nicht erfordere, sondern gerade ausschließe.15 Gott wäre dann gewissermaßen im Besitz einer umfassenden „Datenbank“ oder einer lückenlosen „Enzyklopädie der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“16, welche weder eine Notwendigkeit noch eine Möglichkeit für den Gebrauch von Weisheit übrig ließe.17 Wenn der Verlauf der Geschichte von Gott bereits unausweichlich festgelegt sei, hält Sanders unter Rekurs auf ein Diktum Markus Barths pointiert fest, dann könne Gott auch gleich in den Ruhestand treten.18 Erst wenn Gott in ein wechselseitiges, geschichtliches Verhältnis zu seinen Geschöpfen eintritt, werden seine Fähigkeiten, Probleme zu lösen, verschiedene Möglichkeiten angemessen in Erwägung zu ziehen und einfallsreich auf Ereignisse zu reagieren, von kritischer Bedeutung.19 Darüber hinaus ist eine alternative Vorstellung der Allwissenheit Gottes, welche an der Unvorhersehbarkeit der Zukunft festhält und Gott aus biblischen 12 Boyd, Trinity and Process, 336 – und dort weiter: „The absence of absolute predestination and/or absolute foreknowledge, it must parenthetically be said, is no diminution of this One’s sovereignty […], because such a view does not require less of God, but more. It is not less exalted than the classical view: it is more exalted.“ Die im Haupttext wiedergegebene Stelle wird zitiert bei Pinnock, Systematic Theology, 124; sowie bei Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 184. 13 Boyd, God of the Possible, 68. 14 Pinnock, Most Moved Mover, 102. 15 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 184. 16 So Pinnock in Pinnock, Systematic Theology, 122. 17 Pinnock, Systematic Theology, 122; sowie Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 184. 18 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 183; die Aussage von Markus Barth steht im Kontext der Aussagen zur Vorherbestimmung Gottes im Epheserbrief und findet sich in Barth, Ephesians, 106: „[A] god who has fixed every detail beforehand may retire or die. His presence is no longer required.“ 19 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 184; vgl. übereinstimmend Pinnock, Most Moved Mover, 103; vgl. ebd., 27: Wenn die Theologie von der Bestimmung Gottes als Liebe ausgehe, stellt Pinnock hier klar, dann werde „God’s omniscience […] not be seen as knowit-all but as a wisdom which shapes the future in dialogue with creatures.“

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und philosophischen Gründen kein definitives Vorauswissen zugesteht, im Stande, Gott Erfahrungen und Qualitäten zuzuschreiben, die ihm auf der Grundlage des klassischen Verständnisses verwehrt bleiben. Es ist wiederum Boyd, der diesen Aspekt besonders hervorhebt, und er denkt dabei im Besonderen an die Fähigkeiten, wahrhaft Neues zu erfahren, Unerwartetes zu entdecken, Kreativität auszuleben und – unter Einschluss all dessen: ein echtes Abenteuer einzugehen.20 „Wenn aber wir, die wir in Gottes Ebenbild geschaffen wurden, diese Dinge in solchem Maße genießen“, fragt Boyd, „warum sollten wir denken, dass Gottes Größe sich gerade an der Entbehrung ebendieser Erfahrungen misst?“21 In provokativer Zuspitzung kann Boyd behaupten, dass der Mensch nach dem klassischen Verständnis von Allwissenheit positive, also nicht durch sein Gefallensein bedingte Fähigkeiten besitzt, die Gott prinzipiell abgehen. Der Mensch könnte sich an Neuem erfreuen – „an neu geschriebenen Liedern, frisch verfassten Gedichten, originellen Malereien, unerwarteten Wendungen in Geschichten, spontanem Spiel, kreativen Tänzen usw.“ –, und er sei fähig, in der Begegnung mit dem Unerwarteten zu staunen, Abenteuer zu erleben und Überraschungen zu genießen.22 All dies wäre einem im klassischen Sinne allwissenden Gott nicht nur in dieser aktuellen Welt, sondern grundsätzlich nicht möglich, zumal Gottes umfassendes Vorauswissen zur Definition seiner Allwissenheit schlechthin gehören soll, argumentiert Boyd.23 Es gebe für ihn aber keinen erfindlichen Grund, die Möglichkeit auszuschließen, dass Gott eine Welt erschafft, in der er jene Aktivitäten genießen kann, die auch in menschlicher Einschätzung das Leben erst lebenswert machten.24 20 Boyd, God of the Possible, 128; sowie ders., Satan and the Problem of Evil, 148. Boyd kann in diesem Zusammenhang auf William Barrett und Karl Popper verweisen, die eine deterministische Sicht der Wirklichkeit, deren Geschichte in prinzipiell voraussehbaren Bahnen verläuft, gleichermaßen verworfen hätten, weil diese dem Menschen gerade solche Fähigkeiten in letzter Konsequenz abspricht. Popper hält, wie Boyd betont, den (physikalischen) Determinismus gerade deshalb für einen „Alptraum“, weil er „die Idee der Kreativität zerstört“ und die Erfahrung, „etwas Neues geschaffen zu haben“, zur Illusion erklärt (Popper, Of Clouds and Clocks, 222). Schon vor ihm sieht Barrett im Anliegen, den theoretischen Raum für „frische Erfahrungen, Innovationen, kreative Errungenschaften“ offenzuhalten, das Hauptmotiv zur Ablehnung des Determinismus durch prominente Denker wie Pierce, James, Bergson, Whitehead und Dewey – sie alle seien geleitet gewesen von der Intuition, dass diese Werte zum authentischen Menschsein notwendigerweise dazugehören (Boyd, Satan and the Problem of Evil, 148; vgl. Barrett, Determinism and Novelty, 46f). 21 Boyd, God of the Possible, 129; vgl. Boyd, Trinity and Process, 317. 22 Boyd, God of the Possible, 129. 23 Vgl. die Auseinandersetzung Boyds mit William Craigs Einordnung des göttlichen Vorauswissens in die Reihe der „essentiellen Attribute“ Gottes in Boyd, Trinity and Process, 317, Anm. 208; dann die Diskussion der Frage: „Können wir etwas genießen, das Gott nicht genießen kann?“, in ders., God of the Possible, 129f; sowie ders., Satan and the Problem of Evil, 148. 24 Boyd, Trinity and Process, 317.

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Eine Neufassung des Allwissenheitsbegriffs anhand des biblischen Weisheitsverständnisses und im Kontext einer dynamischen, reziproken Geschichte Gottes mit dem Menschen hält demgegenüber auch für Gott den Raum zur Beteiligung an einem echten Abenteuer offen – „Gott bewegt sich mit uns in der Geschichte“, so kann Boyd die Kernaussage der biblischen Texte zur ‚Offenheit Gottes‘ zusammenfassen,25 und schon in seiner Dissertation bezeichnet er diese Vorstellung der Zeitlichkeit Gottes als dessen anbetungswürdigste Eigenschaft: „Die biblischen Autoren bezeugen und verehren nicht einen Gott, der sich oberhalb der Zeit befindet, für den das Ganze der Geschichte eine bereits feststehende Sache wäre“, sondern sie malen in Boyds Einschätzung vielmehr einen Gott vor Augen, „der angebetet wird, gerade weil er […] der Schöpfer ‚bei uns‘, der ‚Immanuel‘, ganz und gar inkarniert in unsere Zeit, ist“.26 Anders als die klassische Sicht der Allwissenheit Gottes will die Konzeption des Offenen Theismus diesem Bild Rechnung tragen: Sie ermöglicht, Gott als „abenteuerlich“ zu verstehen, als jemanden, „der Risiken eingeht und sich auf den Ausgang von Ereignissen freuen kann“.27 Und eben weil Boyd darin eine ausschlaggebende Errungenschaft seines Begriffs der Allwissenheit Gottes sieht, kann er seine ausführlichste Darstellung des biblischen Offenheitsmotivs in der Hoffnung einleiten, „zu zeigen, dass die Offenheit für die Zukunft im Zeugnis der Schrift nicht unterhalb der Würde Gottes ist, sondern vielmehr ein Kennzeichen seiner Größe darstellt“.28

4.1.3 Gottes Allmacht als seine freisetzende Kraft Die theologische Veranschlagung biblischer Belege für die Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes steht nicht allein dem klassischen Verständnis der Allwissenheit Gottes entgegen, sondern kollidiert auch mit der überkommenen Vorstellung göttlicher Allmacht. Dass Gott vom Verlauf der Dinge enttäuscht wird, dass seine ausgesprochenen Hoffnungen unerfüllt bleiben und er sich von bestimmten Entwicklungen sogar zutiefst frustriert zeigen kann, artikuliert ja die Vorstellung, dass Gott die Geschichte der Menschheit nicht völlig „im Griff“ hat und er seine Absichten mit der Schöpfung nicht uneingeschränkt durchzusetzen vermag – dass er, wie die Offenen Theisten unverhohlen fest-

25 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 100. 26 Boyd, Trinity and Process, 315. Vgl. die Diskussion der Frage, wie im Alten Testament das Verhältnis von Gott und Zeit gedacht wird, bei Fretheim, The Suffering of God, 39–44. 27 Boyd, Trinity and Process, 317. 28 Boyd, God of the Possible, 15.

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halten, echte Risiken eingeht und „nicht immer bekommt, was er will“.29 Besonders die neocalvinistischen Kritiker des Offenen Theismus halten dies für absolut ausgeschlossen weil unvereinbar mit dem Bekenntnis zur Souveränität Gottes im Allgemeinen und zur Allmacht Gottes im Besonderen.30 So ist etwa für Bruce Ware offenkundig, dass der Gott des Offenen Theismus ein begrenzter Gott ist. Ganz im Gegensatz zur in der Schrift geoffenbarten und von der klassischen Tradition bestätigten Erhabenheit Gottes könne die „offene Sicht“ ihrem Gott höchstens „eingeschränkte Macht, […] eingeschränkte Kontrolle, eingeschränkte Souveränität, und darum auch nur eingeschränkte Herrlichkeit“ zuschreiben.31 Die dahinterstehende Logik wird von Ware selbst offengelegt: Die Berechtigung, von der Gottheit Gottes zu sprechen und dessen Herrlichkeit zu rühmen, korrespondiert seiner Überzeugung nach notwendigerweise mit dem Ausmaß der unumstrittenen Herrschaft Gottes über Himmel und Erde.32 Die Rede von einem schöpfungsinhärenten Moment der Unkontrollierbarkeit greift demnach unmittelbar das Wesen und die Anbetungswürdigkeit Gottes selbst an: Je höher das Risiko der Schöpfung sei, rechnet Ware vor, desto geringer sei auch die Kontrolle Gottes, und je geringer die Kontrolle Gottes sei, desto mehr schwinde auch der Grund, auf dem die Gottheit und Herrlichkeit Gottes behauptet werden könnten.33 Die Verminderung der göttlichen Kontrolle im Modell des Offenen Theismus und die Rede vom Schöpfungsrisiko führten darum zu 29 Boyd, God of the Possible, 58; ders., Is God To Blame, 111–113; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 86. 243 u. ö. 30 Es ist unter den neocalvinistischen Kritikern des Offenen Theismus nicht immer klar, in welchem Verhältnis der von ihnen zentralisierte Begriff der Souveränität Gottes zu den anderen Attributen Gottes und namentlich zu seiner Allmacht steht. Für Bruce Ware scheint die Souveränität Gottes weitgehend in der Vorstellung von der umfassenden göttlichen Kontrollgewalt aufzugehen (vgl. etwa Ware, God’s Lesser Glory, 48, wo er Gottes Souveränität als dessen „ultimate control over every facet of creation and every action and event in history“ beschreibt), und auch Millard Erickson neigt zur Identifikation der Souveränität Gottes mit dessen uneingeschränkter Herrschaft (vgl. etwa Erickson, Christian Theology, 367f.; 394; u. ö.). John Frame scheint damit grundsätzlich übereinzustimmen und legt einen besonderen Akzent auf die Unabhängigkeit Gottes: Die göttliche Souveränität besteht in der freien, von allen weltlichen Einflüssen unabhängigen Durchsetzung seines Willens (vgl. Frame, The Doctrine of God, 44f; sowie ebd., 47f: Frame kündigt hier das Kapitel über die „efficacy and universality of God’s control over the world“ ausdrücklich als Erklärung der Souveränität Gottes an). John Feinberg wiederum versucht die Souveränität Gottes als die konkrete Anwendung der Allmacht Gottes in der geschöpflichen Wirklichkeit auszuweisen – ähnlich wie er die Weisheit Gottes als die Anwendung der Allwissenheit Gottes bestimmt (vgl. Feinberg, No One Like Him, 294f: „Whereas omnipotence tells how much and which powers God has, sovereignty clarifies the extent to which God uses those powers“). 31 Ware, God’s Lesser Glory, 146 – Wares Buch trägt darum auch den programmatischen Untertitel: The Diminished God of Open Theism. 32 Ware, God’s Lesser Glory, 151f: „Controlling everything that occurs is God’s self-chosen basis for upholding his deity. So, contrary to openness proponents, God takes no risks.“ 33 Ware, God’s Lesser Glory, 153f.

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einer Vorstellung Gottes, welcher „einen geringeren Anspruch auf Gottheit und ein geringeres Recht zur Verherrlichung besitzt“.34 Es ist längst klar geworden, dass die Offenen Theisten diesen Begründungsweg nicht mitgehen. Sie halten einen auf Alleinherrschaft und Kontrolle abzielenden Allmachtsbegriff für ein problematisches Konstrukt, das sich aus zweifelhaften metaphysischen Grundsatzerwägungen ableitet und die biblischen Bezeugungen der Enttäuschung oder Reue Gottes sowie überhaupt die wendungsreiche Bundesgeschichte Gottes nicht einzuholen vermag. Gewiss machen sich auch die Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ ausdrücklich für die Angemessenheit des Begriffs der Allmacht stark: Gott kann ihrer Überzeugung nach schlechthin alles tun, was er will – sofern es logisch nicht widersprüchlich ist.35 Vom Offenen Theismus gerade in seiner biblisch-theologischen Herleitung ins Zentrum gerückt wird aber nicht zuerst die Frage nach den durch die Allmacht Gottes eröffneten Möglichkeiten, sondern vielmehr diejenige nach dem die Allmacht Gottes leitenden Willen. Christliche Theologen sollten sich etwa nach Boyds Einschätzung nicht so sehr damit beschäftigen, ob Gott eine Welt hätte erschaffen können, die sich vollständig unter seiner Kontrolle befindet, sondern eher damit, ob Gott eine solche Welt hätte erschaffen wollen – und also ob eine solche Welt dem Wesen Gottes entspricht, wie es sich in seiner biblisch bezeugten Geschichte mit dem Menschen offenbart.36 Im gleichen Anliegen beklagt John Sanders die weitgehende Herauslösung des theologischen (und religionsphilosophischen) Diskurses um die Omnipotenz Gottes aus dem Kontext des konkreten Bundesverhältnisses Gottes zum Menschen, wie es sich alt- und neutestamentlich darstellt.37 Die christliche Rede von der Allmacht Gottes muss nach Sanders geschärft und kritisiert werden „im Licht jener Art der Macht, welche Gott im Verhältnis zu uns auch tatsächlich ausgeübt hat“.38 Eine solche Rekonstruktion des Allmachtsverständnisses vor dem Hintergrund der biblisch bezeugten Interaktion Gottes mit dem Menschen legt nach einhelliger Überzeugung der Offenen Theisten gerade nicht die Vorstellung einer unangefochtenen Kontrollgewalt nahe, sondern vielmehr den Begriff einer Macht, die sich in der Er-

34 Ware, God’s Lesser Glory, 152f; vgl. auf denselben Linien etwa Helseth, God Causes All Things, 25–52. 35 Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 190f. 36 Vgl. etwa Boyd, Satan and the Problem of Evil, 101; sowie ebd., 50–54; dann auch ders., God of the Possible, 153–156; ders., Is God to Blame?, 111–113; sowie ebd., 178: „[T]he Lord can do whatever he pleases, but […] [w]hy should we assume that God desires to do everything he has the raw power to do? […] Scripture makes it evident that though God could control us, he desires to empower us to be self-determining, morally responsible agents.“ 37 Vgl. besonders den Abschnitt zur Allmacht Gottes in Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 187–194. 38 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 187f.

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mächtigung anderer zur Teilnahme an der Bundesgeschichte Gottes betätigt und sich an der zwangfreien Einflussnahme auf die Geschöpfe erweist.39 In seiner jüngsten Verteidigung einer „offenen und relationalen Sicht Gottes“ bietet Thomas Oord dann eine dreifache Näherbestimmung der Allmacht Gottes, welche Grundüberzeugungen auch der anderen Vertreter des Offenen Theismus kondensiert: Nach Oord kommt Gott das fragliche Attribut zunächst (1) in dem Sinne zu, dass er mächtiger ist als alle anderen: Gottes Einflussmöglichkeiten auf seine Schöpfung übersteigen die Kapazitäten aller anderen Akteure in der Geschichte. Sodann (2) ist Gott allmächtig, insofern er Macht auf alle anderen ausübt: Gott erschafft und erhält das Universum und beeinflusst alles Leben auf dieser Erde in der Kraft seiner Gegenwart. Und schließlich (3) wird Gott nach Oords Darstellung zu Recht als allmächtig bekannt, weil er die ultimative Quelle der Macht für alle Geschöpfe ist: Gott ist der Ermöglichungsgrund für den Selbststand der Kreatur, und er befähigt im Besonderen den Menschen zur Verwirklichung seiner Existenz in personaler Freiheit.40 Die ‚Allmacht‘ Gottes kommt im Zuge dieser Näherbestimmungen nicht als konkurrenzlose Allgewalt in den Blick, sondern vielmehr als Gottes herausragende Stärke und Einflussnahme inmitten der von ihm gewährten Eigenmächtigkeit der Geschöpfe. Wie schon die Allwissenheit Gottes im Offenen Theismus als eine Qualität profiliert wird, die sich in der konkreten Bundesgeschichte Gottes und also im Einsatz für den Menschen erweist, so hebt auch der Begriff der Allmacht nach offen-theistischer Lesung auf die um den Menschen werbende, ihn bevollmächtigende und rettende Kraft Gottes ab.41 Besonders Boyd hat in verschiedenen Untersuchungen nachzuweisen versucht, dass ein solcherweise gefasster Allmachtsbegriff nicht allein dem Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ in der Bibel gerecht werden kann, sondern auch weit besser durch die eigentliche alt- und neutestamentliche Rede von der „Macht“ oder „Stärke“ Gottes abgedeckt wird als ein absolut-deterministisches Verständnis der omnipotentia dei.42 39 Vgl. Pinnock, Systematic Theology, 114; Boyd, God of the Possible, 149f; ders., Is God to Blame?, 62–64. 40 Vgl. Oord, The Uncontrolling Love of God, 189–191; Oord will dabei freilich jede Einwirkung Gottes auf seine Schöpfung im Sinne der gegenseitigen, „kontrollfreien Liebe Gottes“ verstehen, während die anderen Offenen Theisten für das Recht und die Möglichkeit Gottes plädieren, zumindest gelegentlich doch einseitig und zwingend in den Verlauf der Geschichte einzugreifen. Alle Offenen Theisten stimmen aber darin überein, dass der vornehmliche modus operandi Gottes sein das Gegenüber freisetzendes, beteiligendes und gewinnendes Handeln ist – vgl. hierzu etwa Pinnock, Systematic Theology, 116: „The power of God’s love […] does not command but woos and transforms us.“ Sowie Boyd, Satan and the Problem of Evil, 193: „God leads personal beings with a persuasive call, not a controlling force.“ Vgl. auch Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 193. 41 Vgl. sehr pointiert: Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 188f. 42 Vgl. v. a. die ausführliche Studie von Gregory Boyd God at War, welche sich ganz dem Nachweis verpflichtet, dass der alt- und neutestamentliche Gottesglaube zwar die überra-

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4.1.4 Die Leistungsfähigkeit dieser Reformulierung der Allmacht Gottes Auch das in dieser Weise näherbestimmte Verständnis der Allmacht Gottes versuchen die Offenen Theisten gegen die Anschuldigung in Schutz zu nehmen, eine „geschwächte“ Form dieses Attributs abzugeben und dessen Substanz letztlich auszuhöhlen. Schon in seinem Beitrag zum Gemeinschaftswerk The Openness of God kann Pinnock etwa festhalten, dass ein Begriff der Allmacht Gottes, welcher auf das Motiv der Alleinherrschaft und Kontrolle verzichtet, Gott keineswegs für ohnmächtig erkläre – es benötige nämlich in Wahrheit weit „mehr Macht“, über einer freigelassenen, nicht-determinierten Schöpfung zu regieren und sie an ein gutes Ziel zu führen, als die ganze Wirklichkeit von Vornherein einseitig festzulegen.43 Freie Geschöpfe hervorzubringen und mit ihnen in eine echte Geschichte einzutreten, widerspricht nach Pinnocks Überzeugung der Allmacht Gottes nicht, es erfordert sie vielmehr.44 Auch Gregory Boyd macht sich ausdrücklich für ein „risikofreundliches“ Verständnis der Allmacht Gottes stark, wobei Gott zunächst wenigstens die Möglichkeit zugestanden wird, eine Welt zu erschaffen, der ein Moment der Freiheit und damit auch der Unkontrollierbarkeit zu eigen ist.45 Die biblischen Zeugnisse der Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes legen nach Boyds Einschätzung dann nahe, dass Gott von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht und eine geschichtsoffene, „abenteuerliche“ Schöpfung ins Leben gerufen hat.46 Eben darin aber erweist sich die überragende Stärke Gottes, stellt Boyd übereinstimmend mit Pinnock klar: Gott ist sich seiner Einflussmöglichkeiten gewiss genug, um das Risiko dieser Welt eingehen zu können, ohne die Erreichung seiner Schöpfungsziele anzweifeln zu müssen.47 Die Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘ können den Spieß der Anklage sogar umdrehen und den Vertretern eines einseitig-kontrollierenden Verständnisses der Allmacht Gottes ihrerseits vorwerfen, den Schöpfer auf einen einzigen Modus des Wirkens zu reduzieren und die Souveränität Gottes letztlich zu unterlaufen.48

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gende Macht Gottes festhält, diese aber durchaus in Konkurrenz zu anderen Mächten und Gewalten versteht: Boyd, God at War, 1997. Pinnock, Systematic Theology, 113. Pinnock, Systematic Theology, 113; vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 95: „God is a being powerful enough to ensure that creatures share in freedom. It takes omnipotence to create and manage freedom.“ Boyd spricht von einer „adventurous sovereignty“ – vgl. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 147f. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 147f. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 147; vgl. ders., God of the Possible, 57f. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 148f: „[T]he view that God must control everything certainly undermines God’s sovereignty“; vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 95; und schon ders., Systematic Theology, 114.

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In Reaktion auf die zugespitzte Aussage des konservativ-evangelikalen Theologen R. C. Sproul, es dürfe kein einziges Molekül im Universum geben, das außerhalb der Kontrolle Gottes stehe, weil sonst die Souveränität Gottes hinfällig werde und seine Gottheit selbst in Frage stehe, bemerkt etwa Boyd polemisch: „Um es geradeheraus zu sagen: Es fällt mir schwer, mir einen schwächeren Gott vorzustellen als einen, der von allem bedroht würde, was sich außerhalb seiner unmittelbaren Kontrolle befindet.“49 Sogar die abgemilderte Behauptung, dass Gott zwar nicht um seiner Souveränität willen zur Kontrolle über seine Schöpfung gezwungen sei, dass er sich aber frei entschieden habe, diese Welt zu kontrollieren, läuft nach Boyds Urteil noch auf einen Machtbegriff hinaus, der weit hinter die biblischen Beschreibungen des dynamischen, interaktiven Wirkens Gottes zurückfällt.50 Es sei eben letztlich nichts Anbetungswürdiges an der einseitigen Ausübung schierer Macht, konstatiert Boyd – im Gegenteil würde das Bedürfnis nach Kontrolle gerade in interpersonalen Beziehungen als Zeichen der Schwäche, Unsicherheit und sogar der Krankheit gewertet, und es gebe keinen Grund, diese Intuition hinsichtlich der Machtausübung Gottes im Gegenüber zum Menschen fallen zu lassen.51 Der an der alt- und neutestamentlich bezeugten Bundesgeschichte Gottes profilierte Begriff der Allmacht Gottes ist nach Überzeugung der Offenen Theisten einer ‚klassisch‘-deterministischen Vorstellung der Omnipotenz darum nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen.52 Dies gilt dann auch im Blick auf das Problem der Theodizee. Es gehört zu den zentralen Motiven im Offenen Theismus, durch den in solcher Weise näherbestimmten Allmachtsbegriff auch das Auftreten von Übel und Leiden zu plausibilisieren, ohne Gott für diese Phänomene verantwortlich zu machen. Gott hat sich nach offen-theistischer Überzeugung entschieden, um der Integrität der Geschichte willen und mit dem Ziel der Gemeinschaft Geschöpfe hervorzubringen, die seinem Willen widerstehen und zumindest seine partikularen Absichten gefährden können. Gott verzichte freiwillig darauf, die Macht zu monopolisieren, stellt etwa Pinnock klar – er würde stattdessen gerade als der Allmächtige seinen Geschöpfen ein Stück seiner Macht abtreten (Pinnock spricht vom Delegieren oder Teilen der Macht), um Raum für die Entfaltung einer

49 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 148 (Hervorhebungen dem Original entsprechend); vgl. auch schon ders., God at War, 39; die Aussagen von Sproul finden sich in Sproul, Chosen by God, 26. 50 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 148. 51 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 148f; ders., God of the Possible, 57f; ders., Trinity and Process, 262: „[T]he classical understanding of the supreme power […] is not, in effect, the sort of power we ordinarily deem laudable, but is, rather, a ‚despotic‘ conception of power“. 52 Vgl. hierzu den verdichteten Abschnitt in der Schlussfolgerung von Pinnocks Darstellung der „Offenen Sicht Gottes“: Pinnock, Most Moved Mover, 183.

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Liebesgeschichte mit dem Menschen zu schaffen.53 Es ist diese Selbstzurücknahme oder Selbstbeschränkung Gottes, welche – im Unterschied zu einem kontrollierenden oder deterministischen Begriff göttlicher Allmacht – die Möglichkeit menschlichen Leidens erklärt, ohne deren Wirklichkeit auf Gottes Willen zurückzuführen.54 Zumindest das moralische Übel dieser Welt, welches sich in der menschlichen Eigensucht, Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit manifestiert, wird so als Missbrauch gottgegebener Freiheit bloßgestellt und gerade nicht auf höherer Ebene doch noch als Erfüllung göttlicher Absichten ausgewiesen. Wiederum unter Bezug auf das biblische Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ hält Boyd fest, dass die Rede von der Enttäuschung oder Reue Gottes angesichts der menschlichen Bosheit sowie diese Bosheit selber nur dann wirklich ernst genommen werde, wenn sie nicht unter der Hand mit einem übergeordneten „Plan Gottes“ in Übereinstimmung gebracht werde.55 Nicht zuletzt im Namen der Leidfrage plädiert also der Offene Theismus für ein Allmachtsverständnis, das der dynamischen Geschichte zwischen Gott und seinen widerständigen, erlösungsbedürftigen Geschöpfen Rechnung zu tragen vermag.

4.1.5 Gottes Unveränderlichkeit als seine bewegliche Treue Ein weiteres und grundlegendes Attribut, das nach Überzeugung der Offenen Theisten im Angesicht des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ dringend der Revision bedarf, ist dasjenige der Unveränderlichkeit Gottes. Unter der Voraussetzung einer schlechthinnigen immutabilitas dei lässt sich nach ihrer Einschätzung die biblische Rede von der Enttäuschung, Überraschung oder dem Gesinnungswandel Gottes theologisch ebenso wenig rechtfertigen wie die Zeugnisse des Leidens und überhaupt der Affektivität Gottes. Wenn Gott absolut 53 Pinnock, Systematic Theology, 113–117; vgl. ders., Most Moved Mover, 93: „God limits himself with regard to power. […] God exercises sovereignty by sharing power, not by domination.“ Und übereinstimmend Boyd, Satan and the Problem of Evil, 193, und ebd., 213; vgl. ders., God Limits His Control, 191; ferner Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 238f. 54 Im Unterschied zu den anderen Offenen Theisten möchte Thomas Oord nicht von einer freiwilligen Selbstbeschränkung, sondern vielmehr von einer wesensnotwendigen Kenose Gottes sprechen – vgl. Oord, The Uncontrolling Love of God, 151–186. Zur offen-theistischen Lösung der Theodizeeproblematik vgl. außerdem die entsprechenden Ausführungen in Abschnitt 1.2.1 dieser Arbeit. 55 Boyd, Satan and the Problem of Evil, 54: Warum, fragt Boyd hier, sollte Gott wählen, frustriert und bekümmert zu sein über die Ablehnung der Menschen, wenn es in seiner Macht und Weisheit stünde, die menschliche Ablehnung und folglich auch seine eigene Frustration und Trauer zu vermeiden? Und welchen Sinn kann die Rede von der „Frustration Gottes“ überhaupt noch haben, wenn sie „auf höherer Ebene“ wiederum als Befriedigung seines Willens interpretiert wird?

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unveränderlich sei, erklärt Boyd, dann bleibe ihm per definitionem kein Raum zur Erfahrung von Zeitlichkeit oder zur Beeinflussung durch äußere Anstöße: Ein unveränderlicher Gott könne keiner sequentiellen Abfolge von Ereignissen teilhaben und von nichts in dieser Welt affiziert werden, denn beides bedeute nichts anderes, als sich zu verändern.56 Eine derartige Gottesvorstellung sieht Boyd in eklatantem Widerspruch zum „Motiv der Offenheit Gottes“ im Besonderen und zum biblischen Gotteszeugnis im Allgemeinen. Jede Seite der Bibel zeichne doch das Bild eines Gottes, dem Ereignisse widerfahren würden und der auf Begebenheiten reagieren könne, gibt Boyd zu bedenken – ja letztlich bezeugt seinem Urteil nach jedes Gott in den biblischen Überlieferungen zugeschriebene Tätigkeitswort, dass der Leser es mit einem lebendigen, dynamischen, personalen und eben veränderungsfähigen Gott zu tun habe.57 Die traditionelle Idee der Unveränderlichkeit Gottes verdankt sich nach Einschätzung aller Offenen Theisten in besonderem Maße der Beeinflussung christlicher Theologie durch die griechische Philosophie, und sie wird zumal in ihrer metaphysisch fundierten Form entsprechend forsch abgewiesen.58 Nach Boyd handelt es sich bei der immutabilis dei um ein für die ‚klassische‘ Gotteslehre konstitutives Attribut, welches mit der Bestimmung Gottes als actus purus einhergeht und von welchem sich andere zweifelhafte Vorstellungen wie die der Beziehungslosigkeit oder Leidensunfähigkeit Gottes ableiten.59 Durchaus polemisch spricht dann Clark Pinnock von einem „ausgesprochen eng geschnürten Paket von Unbeweglichkeits-Attributen“, dem sich die „konventionelle Theologie“ verschrieben habe,60 und er kann deren Vertreter in der Einleitung seiner Gesamtdarstellung des Offenen Theismus pejorativ als „Unbeweglichkeits-Theisten“ bezeichnen.61 Weniger pointiert, aber in der Sache übereinstimmend bedauert John Sanders den Umstand, dass die Unveränderlichkeit Gottes in der Geschichte der Theologie meist stärker unter Rückgriff auf platonische Vorstellungen denn im Kontext der Geschichte Gottes mit seinem Bundesvolk entfaltet wurde – und er 56 Boyd, Is God to Blame?, 42f; vgl. ders., Satan and the Problem of Evil, 142; sowie ders., God of the Possible, 130f. 57 Boyd, God of the Possible, 131f; vgl. übereinstimmend Rice, Biblical Support for a New Perspective, 36; sowie Pinnock, Most Moved Mover, 87: „A God that cannot change at all is not the Lord presented by Scripture. If God cannot change at all, how does he act in certain places and at certain times? How could he grieve over something that has happened? How could he hear and respond to prayers?“ 58 Vgl. hierzu die Ausführungen zur Hellenisierungsthese im Offenen Theismus im Abschnitt 3.1.1 dieser Arbeit. 59 Vgl. besonders Boyd, Trinity and Process, 196–203. 60 Pinnock, Most Moved Mover, 77; vgl. ebd., 65: „A package of divine attributes has been constructed which leans in the direction of immobility and hyper-transcendence, particularly because of the influence of the Hellenistic category of unchangeableness.“ Vgl. auch ebd., 117. 61 Pinnock, Most Moved Mover, 11.

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plädiert dafür, den metaphysischen Begriff der immutabilitas dei zugunsten einer biblisch-theologischen Reflexion auf die unverbrüchliche Treue Gottes fallen zu lassen.62 Seine Diskussion der Unveränderlichkeit Gottes steht entsprechend unter der Überschrift der göttlichen Treue: „Ewige Wahrheiten sind unveränderlich; eine ewige Person dagegen ist treu“, stellt Sanders klar.63 Unter Berufung auf Donald Bloesch bestimmt er die Unveränderlichkeit Gottes als die Verlässlichkeit des göttlichen Wesens, die Unumstößlichkeit seiner guten Absichten für die Schöpfung, die Beharrlichkeit seiner Gnade und die Unermüdlichkeit seiner Liebe.64 Das ist die Linie, auf der auch die anderen Vertreter des Offenen Theismus dieses prominente Gottesattribut verstanden wissen wollen: Die biblischen Beteuerungen der Unveränderlichkeit Gottes würden auf dessen Zuverlässigkeit und Charakterfestigkeit abzielen, erklärt etwa Richard Rice – der Gott, der sich etwa nach Maleachi 3,6 „nicht wandelt“, sei eben nicht launisch, wankelmütig oder willkürlich, sondern standhaft in seiner Liebe und Fürsorge.65 Im selben Sinne ermahnt Pinnock dazu, die Lehre von der immutabilis dei an die biblische Rede von der Treue Gottes als ein relationales, personales Wesen zurückzubinden, und er verhandelt den Topos der Unveränderlichkeit Gottes konsequenterweise innerhalb des Kapitels zur „veränderungsfähigen Treue“ Gottes (changeable faithfulness).66

4.1.6 Die Leistungsfähigkeit dieser Reformulierung der Unveränderlichkeit Gottes Auch wenn die Offenen Theisten größte Vorbehalte gegenüber dem herkömmlichen Begriff der Unveränderlichkeit Gottes zeigen, so möchten sie ihn doch nicht völlig aufgeben. Vielmehr sind sie bemüht, das Verständnis der Unveränderlichkeit Gottes im Horizont der biblischen Bezeugung der Treue Gottes zu differenzieren und damit näherzubestimmen, in welcher Hinsicht die Rede von der Unveränderlichkeit Gottes angemessen ist – und in welcher Hinsicht gerade von der Veränderlichkeit Gottes gesprochen werden sollte. So besteht nach Richard Rice der Unterschied zwischen dem ‚klassischen‘ und dem Offenen 62 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 186; vgl. Hall/Sanders, Does God Have A Future?, 90. 63 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 186 (Hervorhebungen dem Original entsprechend) – Sanders zitiert hier wiederum aus Pollard, The Impassibility of God, 360. Auch in Pollards Aufsatz nimmt die Hellenisierungsthese einen prominenten Platz ein – vgl. v. a. ebd., 353f. 64 Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 187 – vgl. Bloesch, God the Almighty, 94. 65 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 47. 66 Pinnock, Most Moved Mover, 85–88; vgl. auch ders., Systematic Theology, 117.

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Theismus nicht darin, „dass Ersterer Gott als unveränderlich anerkennt, während Letzterer dies nicht tut“, sondern eben darin, dass „nach der traditionellen Sicht alles an Gott unveränderlich sein muss, wohingegen die offene Sicht Gott als sowohl unveränderlich wie auch veränderlich betrachtet“.67 Konkret verteidigt Rice das Attribut der Unveränderlichkeit dann im Blick auf die Existenz, die Natur und den Charakter Gottes: Diese Aspekte des göttlichen Seins seien in keiner Weise affiziert von irgendetwas außerhalb der Wirklichkeit Gottes selbst. Gottes Erfahrung der Welt hingegen und besonders sein Handeln im Zuge der Bundesgeschichte mit dem Menschen sind nach Rice höchst veränderlich, da sich der Schöpfer vom Schicksal seiner Geschöpfe zutiefst betreffen lässt.68 Pinnock, Sanders und Boyd schließen sich dieser Verteilung veränderlicher und unveränderlicher Aspekte der Wirklichkeit Gottes im Wesentlichen an; auch sie halten das liebende Wesen Gottes für absolut unveränderlich, seine Erfahrung, sein Wissen und Handeln aber wandelbar weil abhängig von seiner Kreatur.69 Boyd kann zuweilen von einer ethischen und Pinnock von einer moralischen Unveränderlichkeit Gottes sprechen, die dann einer affektiven, emotionalen oder experientellen Veränderlichkeit Gottes gegenübersteht,70 auf jeden Fall aber scheint im Offenen Theismus festzustehen, dass sich zwar verändern kann, was Gott erfährt, nicht aber, wer Gott ist.71 Die Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘ sind überzeugt, mit diesen Differenzierungen nicht allein der biblischen Gottesrede weitaus gerechter zu werden, sondern auch die Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes systematisch-theologisch neu plausibilisieren zu können. Dazu müssen sich die Offenen Theisten jedoch von der theologiegeschichtlich einflussreichen Argumentation verabschieden, nach welcher sich Gott als das schlechthin vollkommene Wesen in keiner Hinsicht verändern kann, weil jede Veränderung notwendigerweise entweder eine Steigerung oder eine Verminderung seiner Qualitäten bedeuten würde – wobei Ersteres ausgeschlossen ist, da die Vollkommenheit Gottes per definitionem nicht noch einmal gesteigert werden kann, und Letzteres nicht in Frage kommt, da eine verminderte Vollkommenheit eben keine Vollkommenheit mehr ist und also die Identifikation Gottes mit jenem Wesen, über das hinaus

67 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 48; vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 85: „The old term immutability […] needs be reformulated in ways that allow certain kinds of change.“ 68 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 48. 69 Vgl. Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 187; Pinnock, Systematic Theology, 118; und ders., Most Moved Mover, 85; Oord, The Uncontrolling Love of God, 125f; und ders., The Nature of Love, 77f. 70 Vgl. etwa Boyd, Trinity and Process, 202; und Pinnock, Most Moved Mover, 85. 71 Vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 85.

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nichts Größeres gedacht werden kann, verunmöglicht.72 Schon in seiner Dissertation Trinity and Process setzt sich Boyd mit dieser ursprünglich platonischen Denkfigur auseinander und versucht deren Fehlerhaftigkeit und Unvollständigkeit nachzuweisen: Es trifft nach Boyd keinesfalls zu, dass alle Veränderungen eines Wesens nur zum Besseren oder zum Schlechteren hin erfolgen können – vielmehr sei es problemlos denkbar, dass sich ein Wesen in Verwirklichung seiner selbst verändert, ohne seine Qualitäten dabei zu steigern oder zu vermindern.73 Weit davon entfernt, eine vorausgehende oder anschließende Unvollkommenheit zu offenbaren, könne die Veränderung Gottes auch als Ausdruck oder Bekräftigung seiner Vollkommenheit verstanden werden.74 Richard Rice schließt an diese Überlegungen an, wenn er betont, dass die unveränderlichen und die veränderlichen Aspekte des Seins Gottes im Offenen Theismus nicht miteinander in Konflikt und auch nicht nur unverbunden nebeneinander stehen, sondern sich vielmehr gegenseitig bedingen: „Der Grund, warum Gott in mancher Hinsicht bereit ist zur Veränderung, liegt gerade in der Tatsache, dass er sich in anderer Hinsicht niemals verändert.“75 Es ist konkret die Definition der Vollkommenheit Gottes als die Vollkommenheit seiner Liebe, welche die Verhältnisbestimmung von Unveränderlichkeit und Veränderlichkeit Gottes im Offenen Theismus leitet: Eben weil Gottes Charakter oder Natur sich unveränderlich durch Liebe auszeichnet, verlangt ihm die bewegte Geschichte der Menschheit eine hohe Fähigkeit und Bereitschaft zur Veränderung ab.76 Gott kann seine unverbrüchliche Treue zur Schöpfung nach Ansicht der Offenen Theisten nur aufrechterhalten, wenn er sich im geschichtlichen Umgang mit dem Menschen flexibel und anpassungsfähig zeigt. Ein Gott, der durch nichts außerhalb seiner selbst bewegt würde, könnte nach Boyds Überzeugung gerade nicht vollkommen liebevoll und barmherzig sein: „Wenn wir glauben, dass Gott in seiner vollkommenen Liebe unveränderlich ist“, gibt er zu verstehen, „dann müssen wir davon ausgehen, dass er sich – in Reaktion auf die wechselhaften Umstände der von ihm geliebten Geschöpfe – auch als in vollkommener Weise 72 Vgl. die Wiedergabe dieser Argumentation bei Boyd, Trinity and Process, 201–204; ders., Satan and the Problem of Evil, 142; ders., Is God to Blame?, 58f; sowie Pinnock, Systematic Theology, 131; Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 186. 73 Boyd, Trinity and Process, 231 – Boyd spricht hier von der „tugendhaften Veränderungsfähigkeit“ (virtuous mutability) Gottes (vgl. auch ebd., 201–204). Zur Kritik an der platonischen Unveränderlichkeitslogik vgl. besonders: Boyd, God of the Possible, 130f. 74 Vgl. Boyd, Satan and the Problem of Evil, 142: „[L]ogically, change can express one’s perfect character as easily as it can constitute an improvement or deteriorization of one’s character.“ Ferner Pinnock, Systematic Theology, 131f. 75 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 48. 76 Vgl. besonders pointiert: Rice, Biblical Support for a New Perspective, 48; sowie Boyd, Is God to Blame?, 58: „[B]ecause Gods loving character is perfect, he can and does change in response to changing situations.“ Ferner Oord, The Uncontrolling Love of God, 125f; und ders., The Nature of Love, 77f.

Reformulierungen klassischer Gottesattribute

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veränderlich erweist.“77 Gottes Veränderlichkeit kommt so gerade als eine Tugend, ein Siegel seiner Vollkommenheit in den Blick – eine Qualifizierung, welche besonders Boyd als intuitiv nachvollziehbar herausstellt, denn schließlich würde auch in zwischenmenschlicher Hinsicht die Fähigkeit, sich auf veränderte Umstände einzustellen und angemessen gerade auf das Leiden anderer zu reagieren, als Stärke wahrgenommen.78 Es sei vielmehr die fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit zur Veränderung in diesem Sinne, die einen schwerwiegenden persönlichen Mangel offenbare und auch im alltäglichen Leben zu Recht als Zeichen der Verhärtung oder Abstumpfung gewertet werde.79 Es ist nun allerdings bemerkenswert, dass auch viele lautstarke Kritiker des Offenen Theismus diesem hinsichtlich der immutabilitas dei zumindest auf halbem Wege entgegenkommen und zugestehen, dass sich eine absolute Unveränderlichkeit Gottes im metaphysischen Sinne mit dem biblischen Gotteszeugnis nur schwer vereinbaren lässt. So fächert Millard Erickson in seiner Auseinandersetzung mit dem Offenen Theismus nicht weniger als zehn verschiedene Arten von Veränderungen auf, die Gott zugeschrieben werden könnten – darunter etwa qualitative und quantitative sowie zeitliche und lokale Veränderungen, welche Erickson im Blick auf Gott allesamt für ausgeschlossen hält, aber auch relationale und handlungsbezogene Veränderungen, welche er Gott durchaus zuzuschreiben bereit ist.80 Wenn er dann abschließend festhält, der Gott der Schrift sei ganz im Gegensatz zur aristotelischen Gottesidee „kein statisches Wesen“, sondern vielmehr „aktiv, dynamisch und unablässig am Werk in dieser Welt“, und wenn er ausdrücklich von „verschiedenen Taten Gottes zu verschiedenen Zeiten“ sprechen will, welche jedoch mit der ewigen Natur oder Person Gottes konsistent und also mit einem essentiellen Verständnis der immutabilis dei vereinbar seien, dann befindet sich Erickson in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem Offenen Theismus.81 Ausdrücklich bekräftigt sodann John Feinberg die Berechtigung der offen-theistischen Kritik an einer „starken“ Konzeption der Unveränderlichkeit Gottes, welche Gott keinerlei Veränderung zugesteht – und er bemüht sich selbst um ein „nuanciertes Verständnis der 77 Boyd, Is God to Blame?, 59 (Hervorhebungen dem Original entsprechend); vgl. Hall/Sanders, Does God Have A Future?, 90: „God is always in perfect relationship with us, and as the relationship changes so God changes. It would be less than perfect not to change in a changing relationship.“ 78 Vgl. schon Boyd, Trinity and Process, 202. 79 Vgl. Boyd, Is God to Blame?, 58: „Possessing the ability to change is not a defect but a virtue. The inability to change is a defect.“ Ebenso: ders., Satan and the Problem of Evil, 142. 80 Erickson, God the Father Almighty, 100–102 (vgl. das ganze Kapitel „God and Change“, ebd., 95–113). 81 Vgl. Erickson, God the Father Almighty, 112; sowie ders., Christian Theology, 304–308 – hier bes.: 305: „[T]he biblical view is not that God is static but stable. He is active and dynamic, but in a way that is stable and consistent with his nature.“

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Unveränderlichkeit“, welches Gott sowohl charakterliche Konstanz wie auch geschichtliche Beweglichkeit zuzuschreiben vermag.82 Für Feinberg ist die Rede von der Unveränderlichkeit Gottes ebenfalls bereits dann gerechtfertigt, wenn sich die Person oder Natur Gottes im Verlauf seiner dynamischen Interaktion mit dem Menschen nicht wandelt – eine Einschätzung, die sich auch in einem frühen Aufsatz von Bruce Ware wiederfindet. Sein „Versuch einer evangelikalen Reformulierung der Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes“ hält zunächst die ontologische und ethische Unveränderlichkeit fest:83 Gottes ewige und vollkommene Natur sowie seine Treue und moralische Selbstverpflichtung gegenüber dem Menschen stehen unverrückbar fest und sind keinerlei Veränderung unterworfen.84 Dann aber gesteht Ware Gott explizit eine relationale Veränderlichkeit zu, welche der ontologischen und ethischen Unveränderlichkeit Gottes allerdings nicht widerspreche, sondern diese gerade vollkommen zum Ausdruck bringe.85 Mehrere Jahre vor Erscheinen des Bandes The Openness of God nimmt einer der schärfsten späteren Kritiker des Offenen Theismus damit geradezu wörtlich vorweg, was die Offenen Theisten als Grundeinsicht einer in ihrem Sinne revidierten Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes verhandeln werden. Die Vorwürfe der Offenen Theisten an die Adresse der Vertreter einer ‚klassischen‘ Gotteslehre verfangen also hinsichtlich der Unveränderlichkeit Gottes nicht in gleicher Weise: Während die Offenen Theisten im Blick auf die Allwissenheit und Allmacht Gottes Positionen angreifen, die zumal im konservativen Evangelikalismus auch wirklich vertreten werden, zielt ihre Kritik der herkömmlichen Vorstellung der Unveränderlichkeit Gottes bei den meisten zeitgenössischen Kontrahenten weitgehend ins Leere. Gewiss besteht der entscheidende Unterschied zwischen Vertretern und Kritikern des Offenen Theismus gerade für das Verständnis der Unveränderlichkeit Gottes in der Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Zeit: Nach Einschätzung von Boyd, Sanders und Pinnock führt das Bekenntnis zur Zeitlosigkeit Gottes mit innerer Notwendigkeit zur Vorstellung eines weltfremden, beziehungslosen, unbeweglichen Gottes, der zur echten Interaktion mit dem Menschen unfähig ist. Die Vertreter des Offenen Theismus würden ihre Kritiker darum wohl schlicht der Inkonsistenz beschuldigen, wenn diese versuchen, ihre eternalistische Position mit einer relationalen 82 Vgl. Feinberg, No One Like Him, 264–276. 83 Ware, An Evangelical Reformulation of the Doctrine of the Immutability of God, 431–446. 84 Vgl. Ware, An Evangelical Reformulation of the Doctrine of the Immutability of God, 434– 438. 85 Ware, An Evangelical Reformulation of the Doctrine of the Immutability of God, 440: „God’s changes of relationship actually express rather than deny his immutable nature and word.“ Wie auch die Vertreter des Offenen Theismus beruft sich Ware auf Karl Barths Rede von der „heiligen Veränderlichkeit Gottes“: ebd., 440; vgl. Barth, KD II/1, 557.

Kritische (Zwischen-)Reflexion

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oder handlungsbezogenen Veränderlichkeit Gottes zusammenzudenken.86 Das Urteil jedenfalls, dem Bild eines einer „Steinsäule“ oder einem „Eisklotz“ gleichen Gottes Vorschub zu leisten, ist im Blick auf die Bemühungen der genannten Gelehrten, die Beweglichkeit Gottes in ihr Gottesverständnis zu integrieren, nicht unmittelbar gerechtfertigt.87 Höchstens Norman Geisler hält als Vertreter eines eigentümlichen evangelikalen Thomismus noch an der absoluten Unveränderlichkeit Gottes fest. Er beruft sich dazu ausdrücklich auf das Argument von der nicht steigerbaren Vollkommenheit Gottes sowie auf die Bestimmung Gottes als actus purus.88 Selbst Geisler versucht seinen Begriff der Unveränderlichkeit aber von der Vorstellung einer distanzierten Unbeweglichkeit abzugrenzen und will das Interesse Gottes für und dessen Bezogenheit auf seine Schöpfung festhalten – Anliegen, welche gerade auch den Offenen Theismus auszeichnen.89

4.2

Kritische (Zwischen-)Reflexion

4.2.1 Gottes Liebe als hermeneutische Makroperspektive90 Die Herauslösung ‚klassischer‘ Gottesattribute aus ihren herkömmlichen philosophisch-metaphysischen Begründungszusammenhängen und deren Rückbindung an biblisch-theologische Zentralbegriffe ist in der obigen Darstellung zugleich als Neufassung der betreffenden Eigenschaften Gottes im Sinne von Eigenschaften zugunsten des Menschen in den Blick gekommen: Die Allwissenheit Gottes wird im Offenen Theismus als die unübertreffliche Weisheit Gottes in der Führung des Menschen durch die Unwägbarkeiten des Lebens, die Allmacht Gottes als dessen freisetzende Kraft im unablässigen Einsatz für den Menschen und die Unveränderlichkeit Gottes als dessen bewegliche Treue im Umgang mit der Wechselhaftigkeit und Widerspenstigkeit des Menschen perspektiviert. Und wenn diese Reformulierungen herkömmlicher Eigenschaften Gottes auch durch 86 Eine Ausnahme ist hier John Feinberg, der nach einer ausführlichen Aufarbeitung der aktuellen Debatte um die Verhältnisbestimmung von Gott, Zeit und Ewigkeit die Vorstellung einer „zeitlosen Ewigkeit“ Gottes verwirft und die Idee der „zeitlichen Ewigkeit“ Gottes und eine sempiternalistische Position stark macht – vgl. Feinberg, No One Like Him, 375–436 (hier bes. 428–433). 87 Vgl. Pinnock, Most Moved Mover, 7f (in Abwehr der ‚klassischen‘ Gotteslehre): „God is not like a stone pillar, in no way affected by the world and alien to real relatedness and reciprocity“; sowie Boyd, Trinity and Process, 200 (in Beschreibung der ‚klassischen‘ Vorstellung von Gott): „It is a portrait of a being – a property! – frozen solid in an eternally unchanging ‚Now‘.“ 88 Vgl. Geisler, Creating God in the Image of Man?, 28f; und ausführlicher: Geisler/House, The Battle for God, 100–141 (hier bes. 108f). 89 Geisler/House, The Battle for God, 106f. 90 Vgl. hierzu auch schon Abschnitt 1.2.2 in dieser Arbeit.

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das Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ und also durch die biblischen Zeugnisse der Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes angeregt sind, so berufen sich die Offenen Theisten letztlich auf die Bundesgeschichte Gottes mit seinem Volk und seiner Kirche überhaupt – sie sind überzeugt, dass die Schriften des Alten wie des Neuen Testamentes durchweg einen Gott zur Sprache bringen, der zum Menschen in ein dynamisches, interaktives und auch prekäres Verhältnis tritt, welches mittels der ‚klassischen‘ Gotteslehre und ihren abstrakten Kategorien nicht angemessen zur Darstellung kommen kann. Die von den Offenen Theisten vorgeschlagenen Modifikationen der Gotteslehre im Allgemeinen und der Eigenschaftslehre im Besonderen zielen indes unübersehbar auf die Wiederentdeckung der Liebe Gottes als die konstitutive Mitte einer christlichen Gotteslehre. Die Rückbindung der Gottesattribute an deren biblische Bezeugung innerhalb der Bundesgeschichte Gottes und die Anerkennung der Zentralität der Liebe Gottes im Sinne seines unbedingten Gemeinschaftswillens fallen nach offen-theistischer Einschätzung zusammen. Wer die Attribute Gottes nicht unabhängig vom biblischen Zeugnis abhandle, sondern sie vielmehr an der biblischen Gottesrede zu profilieren wage, ist sich etwa Pinnock gewiss, der werde sie gerade so als Eigenheiten jenes Gottes begreifen, dessen ureigenstes Wesen selbstaufopfernde Liebe sei.91 „Wenn wir in dieser Weise vorgehen“, fährt er fort – und der programmatische Duktus dieses Abschnittes rechtfertigt ein längeres Zitat –, „dann wird uns Gottes Einheit nicht als mathematische Unteilbarkeit vor Augen treten, sondern als Einheit unter Einschluss von Verschiedenheit; Gottes Beständigkeit wiederum wird nicht als abgestumpfte Unbeweglichkeit sichtbar werden, sondern als Verlässlichkeit des Charakters, welche seine Beweglichkeit mit einschließt; Gottes Macht wird nicht als rohe Allgewalt verstanden werden, sondern als die Souveränität der Liebe, deren Stärke gerade in Schwachheit offenbar wird; und Gottes Allwissenheit schließlich wird sich nicht als Besserwisserei zeigen, sondern als Weisheit, welche die Zukunft im Dialog mit den Geschöpfen formt.“92 Die Frontstellung der Offenen Theisten gegenüber der ‚klassischen‘, nach ihrem Urteil durch die griechische Philosophie verformten Gotteslehre ist also im Kern als Einspruch gegen die Einordnung der Liebe Gottes in eine Reihe von gleichberechtigten Gottesattributen oder gar die Verdrängung der Liebe Gottes in die Peripherie christlicher Gottesvorstellung zu werten. Entsprechend kann Sanders die Befürchtung äußern, dass die ‚klassischen‘ Bestimmungen Gottes als unveränderlich, leidensunfähig und außerzeitlich sowie als (im herkömmlichen Sinne) allmächtig und allwissend die christliche Gotteslehre immer weiter von der Vorstellung der Personalität Gottes wegführen – und dass deren Vertreter 91 Pinnock, Most Moved Mover, 27. 92 Pinnock, Most Moved Mover, 27.

Kritische (Zwischen-)Reflexion

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darum besonders das Verständnis der Liebe Gottes zu verlieren drohen.93 Pinnock hält es dann für ebenso bemerkenswert wie verhängnisvoll, dass „die Liebe im konventionellen Theismus so weit unten auf der Liste der Gottesattribute zu stehen kommt“, nämlich in der Kategorie der „ethischen“ Attribute und also erst nach der Verhandlung der metaphysischen Eigenschaften Gottes – ein systematischer Aufbau, der nach Pinnocks Überzeugung griechisch-philosophische, nicht aber biblische Prioritäten zum Ausdruck bringt.94 „Wo bleibt die fundamentale Einsicht, dass Gott wesentlich selbstmitteilende Liebe ist?“, fragt er rhetorisch – und hält als Grundsatz fest, dass es sich bei der Liebe eben nicht einfach um eines der Attribute Gottes handle, sondern um seine eigentliche und schlechthinnige Natur.95 Die Ernstnahme Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ und der biblischen Bundesgeschichte insgesamt führt für die Offenen Theisten unausweichlich nicht allein zu einer Favorisierung der Liebe unter den Prädikaten Gottes, sondern zu einer Formatierung der gesamten Gotteslehre anhand der Wesensbestimmung Gottes als Liebe – eine Einsicht, die bereits in Richard Rices Beitrag zu The Openness of God deutlich hervortritt: „Liebe ist das Wesen der göttlichen Wirklichkeit, die eigentliche Quelle, aus der alle anderen Eigenschaften Gottes hervorgehen“, kann er hier festhalten; das Bekenntnis „Gott ist Liebe“ umfasse darum auch alles, was es über Gott zu sagen gebe.96 Rice bringt damit die konstitutive Bedeutung der Liebe Gottes für die ‚offene Sicht Gottes‘ nicht nur in ihrer analytisch-philosophischen Herleitung, sondern auch und gerade in seiner biblisch-theologischen Entfaltung zum Ausdruck – wenn die Gottesliebe hier auch weniger Ausgangspunkt als vielmehr Fluchtpunkt der Ausführungen ist. Eine auf den alt- und neutestamentlichen Überlieferungen gegründete Lehre vom Wesen und den Eigenschaften Gottes kommt nach Überzeugung von Rice sowie von Sanders, Pinnock und Boyd jedenfalls nicht umhin, sämtliche ‚klassischen‘ Gottesattribute als Ableitungen oder Funktionen der Liebe Gottes zu denken und überhaupt die christliche Gotteslehre als Auslegung jener Liebe zu betreiben, die sich in der Geschichte Gottes mit dem Menschen auf jeder Seite der Bibel eingeschrieben hat.97 Erst wenn Theologen beginnen würden, der Liebe Gottes einen angemessenen Platz in ihrem Nachdenken über Gott einzuräumen, hält Pinnock in 93 Hall/Sanders, Does God Have A Future?, 152. 94 Pinnock, Most Moved Mover, 81f. 95 Pinnock, Most Moved Mover, 81f; vgl. besonders Thomas Oords Insistieren auf dem theologischen Primat der Liebe in Oord, The Nature of Love, 4; ferner Rice, Biblical Support for a New Perspective, 15; Boyd, Satan and the Problem of Evil, 22. 96 Rice, Biblical Support for a New Perspective, 21. 97 Vgl. etwa die Unterordnung der Gerechtigkeit, Heiligkeit und des Zornes Gottes unter die Bestimmung Gottes als Liebe bei Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 181f; sowie, ganz ähnlich Pinnock, Most Moved Mover, x: „The open view of God is about celebrating the loving project that God has set in motion and entered into.“

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Die dogmatische Reintegration des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

ebendiesem Sinne fest, stehe der Weg offen für eine alternative Sicht Gottes, wie sie der Offene Theismus vorlege – denn dieser sei zutiefst „eine Theologie der Liebe“.98 Es tritt hier – um den Bogen zur Diskussion um die Interpretation biblischer Anthropomorphismen zurückzuspannen – die hermeneutische Makroperspektive zu Tage, zu welcher die Offenen Theisten durch ihre aufmerksame Lesung biblischer Texte geführt werden und unter welcher sie ebendiese Lesung wiederum vornehmen: Die Zeugnisse der Bereitschaft Gottes, im Verlauf der Ereignisse dazuzulernen und sich von seinen Geschöpfen überraschen zu lassen, weisen auf seinen kompromisslosen Willen zur Verwirklichung einer authentischen Liebesgeschichte mit dem Menschen hin – und sind wiederum nur aus dieser Perspektive als Beschreibungen eines Gottes begreiflich, dem es nicht an Allwissenheit mangelt, sondern dessen Allwissenheit durch eben diesen geschichtlich verwirklichten Liebeswillen bedingt ist. Auch jene biblischen Texte, in denen der Widerstand der Geschöpfe gegen ihren Schöpfer thematisch wird und welche von der Enttäuschung Gottes erzählen, bekennen nach offen-theistischer Überzeugung das Risiko, das Gott um seiner Liebe zum Menschen willen einzugehen bereit ist – und werden zugleich erst von diesem Bekenntnis her nicht als Verleugnungen der Allmacht Gottes, sondern als deren Ausdruck im Modus der Liebe verständlich. Ebenso reden schließlich die zahlreichen Beispiele der Reue und Gesinnungsänderung Gottes von der Beweglichkeit seiner Liebe – und können auch nur in dieser Hinsicht klarmachen, warum die Unveränderlichkeit Gottes durch seine Anpassungsfähigkeit im Verlauf der Geschichte nicht gefährdet, sondern als die Unveränderlichkeit seiner Liebe ausgewiesen wird. Hierin wird auch der hermeneutische Zirkel offensichtlich, in welchem sich die Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘ zumindest in ihrer biblisch-theologischen Argumentation bewegen: Einerseits hegen sie die Überzeugung, dass das unvoreingenommene Ernstnehmen der biblischen Überlieferungen, näherhin der unter dem Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ versammelten Texte, unweigerlich zur Erkenntnis des Liebeswillens Gottes als des fundamentalen theologischen Motivs führt – andererseits scheint ihnen durchaus bewusst zu sein, dass erst die Anerkennung der fundamentalen Bedeutung der Liebe Gottes für die christliche Gotteslehre den Weg zu einer ‚offenen Sicht Gottes‘ ebnet.99 John Sanders hat, wie bereits gezeigt wurde, diese hermeneutische Problematik von allen Offenen Theisten am deutlichsten erkannt. Er hat eben darum die Ambiguität ihres biblisch-theologischen Vorhabens zugestanden und im 98 Pinnock, Most Moved Mover, 82 – wörtlich: „If theologians would restore love to their thinking about God’s nature, the road would be open to the open view of God, which is a theology of love.“ 99 Vgl. das Zitat von Pinnock in Anm. 98.

Kritische (Zwischen-)Reflexion

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Diskurs mit Vertretern anderer theologischer Modelle für die Offenlegung der Voraussetzungen plädiert, unter welchen die biblischen Texte interpretiert werden.100

4.2.2 Der Einfluss des Werkes Terence Fretheims Schon die thematische Auffächerung des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘ hat verschiedentlich deutlich gemacht, dass die Offenen Theisten in ihrer exegetisch-bibeltheologischen Argumentation stark vom Werk des Alttestamentlers Terence Fretheim zehren. Vor allem seine vielbeachtete Studie The Suffering of God (1984) rückt ebenjene biblischen Überlieferungen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, welche auch bei der Begründung der ‚offenen Sicht Gottes‘ ausschlaggebend sind.101 Auch Fretheim hält die sogenannten „anthropomorphen“ biblischen Beschreibungen Gottes, insbesondere die Rede von der Reue Gottes, für theologisch relevant – und er macht nicht nur deutlich, dass die Ernstnahme solcher Zeugnisse weitreichende Konsequenzen für die ‚klassische‘ Gotteslehre austrägt, sondern führt diese in zahlreichen systematisch-theologischen Einschüben zumindest ansatzweise schon aus. Im Folgenden soll darum gezeigt werden, dass und inwiefern sich auch die referierten offen-theistischen Näherbestimmungen klassischer Gottesattribute in der Fluchtlinie der Ausführungen Fretheims befinden. Dabei wird sich der Eindruck erhärten, dass Fretheim zumindest in exegetischer und biblisch-theologischer Hinsicht als Wegbereiter und Gewährsmann für die ‚offene Sicht Gottes‘ verstanden werden kann. An zahlreichen Reflexionen Fretheims auf das Attribut der Allwissenheit Gottes lässt sich dies bereits exemplarisch demonstrieren. Zunächst bietet Fretheim die vor der Veröffentlichung der Hauptwerke des Offenen Theismus wohl eingehendste Untersuchung jener alttestamentlichen Texte, welche die Zukunftsoffenheit Gottes bezeugen und die herkömmliche Vorstellung des göttlichen Vorauswissens gerade in Frage stellen.102 Kritisch im Blick auf seine eigene theologische Zunft stellt er fest, dass die Freiheit vieler Exegeten, in der Auseinandersetzung mit Einzeltexten von der Verwunderung, Unentschlossenheit und sogar Ratlosigkeit Gottes angesichts unerwarteter Entwicklungen zu sprechen, einer auffallenden Zurückhaltung gegenübersteht, wenn es um die weiterführende biblisch-theologische Frage geht, „was der Gebrauch solcher 100 Vgl. die Abschnitte 3.2.6 und 3.2.7 in dieser Arbeit. 101 Vgl. Fretheim, The Suffering of God, 1984. 102 Vgl. hierzu v. a. Fretheim, The Suffering of God, 45–59.

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Sprache im Blick auf das Wesen Gottes […] bedeuten könnte“.103 Für Fretheim jedenfalls sind die entsprechenden Texte nicht nur einzelexegetisch bemerkenswert, sondern ausschlaggebend für die grundsätzliche Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch im Alten Testament – er versteht sie als Bürgen für eine konsequent reziproke Beziehung Gottes zum Menschen. Wenn nach biblischem Zeugnis ein Gott begegnet, der Fragen zur Zukunft stellt, den Verlauf der Dinge von der Reaktion der Menschen abhängig macht oder im Modus der Unsicherheit oder Hoffnung spricht (Fretheim zieht zahlreiche „Vielleicht“Aussagen Gottes heran), dann offenbart sich darin nach Fretheims Überzeugung die Authentizität der Geschichte, in die Gott um des Menschen willen einzutreten bereit ist: Gerade an diesen Stellen werde zugespitzt deutlich, wie Gott in diese Welt eintauche und sich ihr gegenüber verpflichte, so dass er nie wieder in völliger Unabhängigkeit von der Welt handeln könne: „Alles, was Gott ist und tut, das ist und tut er um der Beziehung willen.“104 Fretheim kann in diesem Zusammenhang von der „Begrenzung Gottes in Bezug auf seine Kenntnis der Zukunft“ sprechen – die Ermöglichung einer echten Geschichte Gottes mit dem Menschen erfordere eine Einschränkung seiner Allwissenheit.105 In der weiteren Reflexion schlägt aber Fretheim schon vor, an der uneingeschränkten Allwissenheit Gottes festzuhalten und vielmehr den Begriff der Allwissenheit zu qualifizieren: „Gott weiß alles, was es zu wissen gibt“, aber zukünftige Ereignisse gebe es noch nicht definitiv zu wissen, sie existierten noch nicht als Aktualitäten, sondern erst als Möglichkeiten.106 Wenn Gott den Verlauf der Zukunft also nicht definitiv kennt, schränkt diese Unkenntnis seine Allwissenheit nicht ein, sondern sie erklärt lediglich, was zur Kenntnis eines allwissenden Wesens sinnvollerweise gehören kann – ein begriffsanalytischer Ansatz, der vom Offenen Theismus aufgenommen und philosophisch weiter entfaltet wird. Ebenso unübersehbar ist sodann, wie stark sich der offen-theistische Begriff der Allmacht Gottes und dessen biblisch-theologische Herleitung den Vorarbeiten Terence Fretheims verdankt. Besonders Pinnock scheint an vielen Stellen direkt auf dessen Untersuchungen zurückzugreifen und sogar spezifische Formulierungen zu übernehmen, wenn er sich auch nur gelegentlich explizit auf Fretheim beruft. Die Rede vom Verzicht Gottes auf eine „Monopolisierung der Macht“, von seiner „Kooperation“ mit dem Menschen und der damit verbun103 Fretheim, The Suffering of God, 54. Der Grund für diese Inkonsequenz liegt schon nach Fretheims Einschätzung in einem problematischen „analogischen“ oder „metaphorischen“ Verständnis der kritischen Stellen, welches deren Aussagen in einen Schleier der Uneigentlichkeit hüllt und die Exegeten von der Notwendigkeit befreit, ihre auffallenden Beobachtungen am Text biblisch-theologisch zur Geltung zu bringen – vgl. ebd., 54f. 104 Fretheim, The Suffering of God, 58. 105 Fretheim, The Suffering of God, 45; vgl. 57. 106 Fretheim, The Suffering of God, 58.

Kritische (Zwischen-)Reflexion

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denen „Risikonahme“ jedenfalls findet sich bereits in Fretheims Studie The Suffering of God, genauso wie etwa der Begriff des „Kräfteteilens“ (power-sharing).107 Auch für Fretheim ist im Blick auf das Verständnis der Allmacht Gottes die Frage entscheidend, mit welcher Absicht oder Zielsetzung Gott gemäß dem Zeugnis der biblischen Schriften diese Welt ins Leben gerufen hat – oder, im Duktus der Offenen Theisten: welche Art der Welt dem biblisch geoffenbarten Willen und Wesen Gottes entspricht. Schon angesichts der dynamischen, interaktiven Geschichte Gottes mit Israel liegt die Antwort für Fretheim auf der Hand, und er fasst sie im Anschluss an Abraham Heschel unter dem Begriff der „Beziehung der Gegenseitigkeit“ (relationship of reciprocity) zusammen: Gott hat nach Fretheims Lesung des Alten Testaments eine Schöpfung hervorgebracht, welche auf die Verwirklichung der authentischen Gemeinschaft zwischen Schöpfer und Geschöpf angelegt ist.108 Darum sei diese Welt nicht nur von Gott abhängig und beeinflusst, sondern umgekehrt Gott auch von dieser Welt, wie Fretheim wiederholt festhalten kann.109 Gewiss könne die Souveränität des biblischen Gottes bekannt werden, aber eben „nicht in unbedingter Weise“, da Gott ein beträchtliches Maß an Freiheit und Macht an seine Geschöpfe abgetreten habe und um der Integrität seiner Beziehung zum Menschen willen nicht bereit sei, diese gewährte Freiheit und Macht zu kompromittieren.110 Aus dieser Verhältnisbestimmung von Gott und Welt folgt für Fretheim dann auch, dass Gott das Erreichen seiner Schöpfungsabsichten von der Kooperation des Menschen abhängig gemacht hat. Gott hat sich dieser Welt nach Fretheims Überzeugung unwiderruflich verschrieben, und er wird seine Ziele nicht mehr unabhängig vom Menschen oder in Übergehung von dessen Freiheit und Selbststand verwirklichen können, sondern nur im Zuge einer gemeinsamen Bundesgeschichte.111 Der Gott der Bibel ist nach Fretheims Beobachtung ein

107 Vgl. v. a. Fretheim, The Suffering of God, 71–78; sowie ebd., 34–44. 108 Fretheim, The Suffering of God, 35; Fretheim bezieht sich auf Heschel, The Prophets, 9; vgl. Fretheim, Divine Dependence Upon the Human, 1f (auch hier unter Verweis auf Heschel). 109 Fretheim, The Suffering of God, 35; vgl. hierzu besonders auch den Aufsatz Fretheim, Divine Dependence Upon the Human, 1–13. Wie schon der Titel dieses Aufsatzes anzeigt, spricht Fretheim hier besonders unverhohlen von der Abhängigkeit Gottes vom Menschen, und er leitet diesen Gedanken schon vom Auftrag zur Vermehrung in Genesis 1 her, welchen er im Sinne der Teilhabe des Menschen an der kreativen Kraft Gottes liest: „It is remarkable that God’s first word to the newly created human beings constitutes a sharing of power. God thereby chooses not to retain all creative and other forms of power. God is a powersharing, not a power-hoarding, God“ (ebd., 4). 110 Fretheim, The Suffering of God, 35–37; vgl. auch Fretheim, God and World in the Old Testament, 270. 111 Vgl. pointiert in Fretheim, Divine Dependence Upon the Human, 2; ferner Fretheim, God and World in the Old Testament, 270.

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Die dogmatische Reintegration des biblischen Motivs der ‚Offenheit Gottes‘

Gott, der auf die Beteiligung des Menschen angewiesen ist,112 der verstoßen und sogar zum Rückzug gedrängt werden kann,113 und dessen heilsamer, zurechtbringender Einfluss auf die Schöpfung durch den Missbrauch geschöpflicher Macht immer wieder angefochten ist.114 Wenn Gott auch ständig darauf hinarbeitet, die Wirkungen solchen Machtmissbrauchs zu überwinden und zum Guten zu wenden, so hat er die „absolute Macht“ nach Fretheims Einschätzung doch unwiederbringlich abgegeben, um die Integrität seiner Beziehung zum Menschen nicht zu unterlaufen.115 Fretheim kann sogar von einer gewissen „göttlichen Hilflosigkeit“ angesichts der beharrlichen Rebellion seines Bundesvolkes sprechen116 – auch dies eine Zuschreibung, die nach Fretheim zwar nicht für eine Aufgabe des Allmachtspostulats spricht, wohl aber für die grundlegende Neuperspektivierung dieses Gottesattributs im Blick auf die selbst auferlegten Beschränkungen Gottes um des Menschen willen.117 Schließlich findet auch die offen-theistische Reformulierung der Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes in Terence Fretheim einen Vordenker. Das ‚klassische‘ Verständnis dieses Attributs wird zweifellos durch die Zeugnisse der Reue und Gesinnungsänderung Gottes besonders herausgefordert – und Fretheim gehört bekanntlich zu den wenigen neuzeitlichen Gelehrten, die sich eingehend um die exegetische und theologische Ernstnahme ebendieser Zeugnisse bemüht haben.118 In seinem programmatischen Aufsatz zur Reue Gottes The Repentance of God: A Key to Evaluating Old Testament God-Talk (1988) spricht sich Fretheim für die Vermeidung zweier Extreme aus: Auf der einen Seite müsse der Gedanke einer absoluten immutabilitas dei als biblisch nicht abgedeckt zurückgewiesen werden – auf der anderen Seite dürfe die schon alttestamentlich vielfach bezeugte Fähigkeit und Bereitschaft Gottes zur Veränderung auch nicht so verstanden werden, dass dieser als willkürlich, launenhaft oder unbeständig erscheine.119 Diese Mittelposition reflektiert er dann ganz im Sinne des Offenen Theismus, wenn er die veränderlichen und die unveränderlichen Aspekte des göttlichen Seins in ein Bedingungsverhältnis zueinander bringt: Wiederum angesichts des Phänomens der Reue Gottes hält Fretheim in seinem Exodus-Kommentar fest, dass es gerade diese „Offenheit Gottes zur Veränderung“ sei, welche offenbare, „was unveränderlich ist an Gott“ – nämlich seine 112 113 114 115 116 117 118

Fretheim, The Suffering of God, 73f. Fretheim, The Suffering of God, 65–67 und 72f. Fretheim, The Suffering of God, 76–78. Fretheim, The Suffering of God, 76; vgl. ders., Divine Dependence on the Human: 11f. Fretheim, The Suffering of God, 76. Vgl. Fretheims Fazit zum Begriff der Macht Gottes: Fretheim, The Suffering of God, 77. Vgl. die Würdigung und Analyse der Studien Fretheims zur biblischen Reuerede bei Döhling, Der bewegliche Gott, 55–61; sowie in der vorliegenden Arbeit Abschnitt 2.3.3. 119 Fretheim, The Repentance of God, 63.

Kritische (Zwischen-)Reflexion

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unverbrüchliche Treue gegenüber seinen Versprechen und sein feststehender Wille zum Heil für die Menschen. Gott sei bereit, sich zu verändern, eben um seinen unveränderlichen Absichten treu zu bleiben und seine unveränderlichen Ziele zu erreichen.120 Es ist überdies schon für Fretheim fraglich, ob eine kompromisslos gedachte Unveränderlichkeit überhaupt als Qualitätsmerkmal Gottes einsichtig gemacht werden kann. Die mangelnde Fähigkeit, auf äußere Impulse zu reagieren und sich in interpersonalen Begegnungen von seinem Gegenüber affizieren zu lassen, gelte doch gemeinhin eher als ein Zeichen mangelnder Vollkommenheit und sei der Vorstellung eines in jeder Hinsicht unübertrefflichen Gottes unwürdig.121 Ausdrücklich wird Gregory Boyd diesen Gedanken in sein Argumentarium zur Verteidigung eines differenzierten Begriffes der Unveränderlichkeit Gottes aufnehmen – der Einfluss Fretheims ist aber auch bei den anderen Vertretern des Offenen Theismus augenscheinlich.122

4.2.3 Systematisch-theologische Mangelanzeige Walter Brueggemann, einer der profiliertesten und produktivsten US-amerikanischen Gelehrten des Alten Testaments und Herausgeber der wissenschaftlichen Buchreihe Overtures to Biblical Theology, empfiehlt die in ebendieser Reihe erschienene Studie von Terence Fretheim, The Suffering of God, gerade wegen ihres Potenzials, die herkömmliche christliche Gotteslehre herauszufordern. Fretheim greife, so schreibt Brueggemann im Vorwort, klassische Topoi der Theologie wie etwa das Vorauswissen oder die Gegenwart, Gestalt und Souveränität Gottes aufgreifen, um dann aufzuzeigen, „wie Israel diese klassischen Themen untergräbt und transformiert“.123 Nicht mit Hilfe von vorgängigen Grundsatzerwägungen, sondern durch die aufmerksame Lektüre (close reading) der biblischen Texte gelange Fretheim zu Schlussfolgerungen, welche manche theologische Konvention zerschlage und zum radikalen Überdenken 120 Fretheim, Exodus, 287 – vgl. auch die Ausführungen zur Unveränderlichkeit Gottes in Fretheim, The Suffering of God, 124. In Auseinandersetzung mit dem Bilderverbot in Israel kann Fretheim sogar die Vermutung äußern, dass dieses nicht erlassen wurde, um die Transzendenz Gottes zu wahren, sondern vielmehr zum Schutz der dynamischen Bezogenheit Gottes auf den Menschen: „Götterbilder verändern sich nicht“, stellt Fretheim klar – und gerade darum seien sie zur Darstellung eines höchst beweglichen, responsiven Gottes zutiefst ungeeignet (Fretheim, The Repentance of God, 60). Gott sei eben nicht in der Form eines starren Bildnisses in dieser Welt gegenwärtig, das weder sehen noch hören noch auf seine Geschöpfe antworten könne, und darum sei er auch unmöglich durch eine statische, unveränderliche Nachbildung repräsentierbar (Vgl. Fretheim, The Color of God, 265). 121 Fretheim, The Repentance of God, 63. 122 Vgl. Boyd, Is God to Blame?, 58; und ders., Satan and the Problem of Evil, 142; sowie Anm. 79. 123 Brueggemann, Editor’s Foreword, xii.

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traditioneller Gottesattribute anrege.124 Durch seine gewissenhafte Auseinandersetzung mit oft vernachlässigten oder nur oberflächlich wahrgenommenen alttestamentlichen Überlieferungen lässt Fretheim nach Brueggemanns Beobachtung die Spannung zwischen der Bibel und der „konventionellen Theologie“ schmerzhaft deutlich zu Tage treten. Brueggemann betont hierbei besonders die Bekräftigung des auch im Buchtitel wiedergegebenen Motivs der Leidensfähigkeit Gottes, näherhin seine Vulnerabilität und Responsivität – Eigenschaften, welche von Fretheim selbst dann auf den Liebeswillen Gottes gegenüber dem Menschen zurückgeführt werden.125 Auch wenn es über den Umfang des betreffenden Werkes hinausgehe, macht Brueggemann klar, so seien dessen Implikationen für die christliche Gotteslehre enorm und würden geradezu auf eine „Reformation unseres Gottesverständnisses“ hinauslaufen.126 Was Brueggemann hier im Blick auf Fretheims Studie artikuliert, könnte als Programmansage für den Offenen Theismus figurieren – und wie die bisherige Darstellung gezeigt hat, können die Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ tatsächlich vielfach an die Vorarbeiten Fretheims anknüpfen und dessen Impulse zu einer Rekonstruktion der Gotteslehre im Horizont der dynamischen, interaktiven Geschichte Gottes mit dem Menschen aufnehmen. Es ließe sich anmerken, dass die Offenen Theisten zwar an Materialreichtum und Umsichtigkeit, kaum aber an systematisch-theologischer Reflexionstiefe über Fretheims Arbeiten hinausgehen: Sie suchen erneut und ausführlicher als Fretheim nach biblischen Zeugnissen für die Beweglichkeit Gottes und münzen diese (auf den gleichfalls von Fretheim schon vorgezeichneten Linien) in Anregungen zur Neufassung der ‚klassischen‘ Gottesattribute um. Gewiss bearbeiten die Offenen Theisten dabei ein weiteres argumentatives Feld als Fretheim, wenn sie nicht nur die fehlende biblische Abdeckung der ‚klassischen‘ (metaphysisch bestimmten) Eigenschaftslehre herausstellen, sondern etwa auch die „Anbetungswürdigkeit“ der betreffenden Vorstellungen Gottes bezweifeln, deren problematische praktisch-theologischen Konsequenzen reflektieren oder ihre logische Konsistenz hinterfragen. Besonders im letztgenannten Fall schwenken die Offenen Theisten gerne auf die analytisch-philosophische Auseinandersetzung mit dem ‚klassischen‘ Theismus um – allerdings ohne eine offen-theistische Gotteslehre wirklich systematisch-theologisch ausgearbeitet und mit anderen zeitgenössischen dogmatischen Entwürfen ins konstruktive Gespräch gebracht zu haben. Ernsthafte Auseinandersetzungen führen die Offenen Theisten in ihrer systematisch-theologischen Argumentation höchstens mit ihren konservativ124 Brueggemann, Editor’s Foreword, xii. 125 Brueggemann, Editor’s Foreword, xii. 126 Brueggemann, Editor’s Foreword, xii.

Kritische (Zwischen-)Reflexion

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evangelikalen Kritikern, die zumeist eine sich auf die reformiert-calvinistische Tradition berufende deterministische Extremposition vertreten, welche der ‚offenen Sicht Gottes‘ von Anfang an diametral entgegensteht. Diese Engführung ist im Blick auf den theologiegeschichtlichen und kirchenpolitischen Kontext der Debatte um den Offenen Theismus begreiflich – zumal im evangelikalen Diskurs in den Jahren um den Millenniumswechsel sind die ‚Neocalvinisten‘ in den USA tonangebend, und die Offenen Theisten haben sich theologisch gegen deren erklärungsstarkes ‚Gesamtsystem‘ sowie persönlich gegen deren Häresievorwürfe zu verteidigen, sie wirkt sich auf die systematisch-theologische Entfaltung und Festigung ihres eigenen Modells allerdings ertragsmindernd aus. Gewiss finden sich vor allem bei Pinnock, Sanders und Boyd auch zahlreiche Referenzen etwa auf die Entwürfe deutschsprachiger Theologen des 20. Jahrhunderts, welche zentrale Motive und manche konkrete Lösungsansätze des Offenen Theismus vorwegnehmen – prominent unter ihnen sind Emil Brunner und Jürgen Moltmann zu nennen, mit Vorbehalten auch Karl Barth oder Wolfhart Pannenberg.127 Das Werk dieser Systematiker wird von den Offenen Theisten aber gerade nicht aus dessen jeweiliger systematischer Struktur und dessen hermeneutischen Voraussetzungen heraus nachzuvollziehen versucht, sondern meist eher als Steinbruch der Zitate zur Bekräftigung ihrer eigenen Argumentation beigezogen. So werden zwar etliche augenscheinliche Parallelen zwischen dem Offenen Theismus und neuzeitlichen dogmatischen Entwürfen deutlich, aber die Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ verpassen es, ihren eigenen Ansatz in Auseinandersetzung mit diesen wirkmächtigen kontinentaleuropäischen Arbeiten zu schärfen und auf das Problemlösungsniveau des gegenwärtigen systematischen Diskurses zu bringen. Die oben vorgeführten Impulse des Offenen Theismus zur Neufassung der zentralen Attribute der Allwissenheit, Allmacht und Unveränderlichkeit Gottes bleiben eben aufgrund dieser mangelnden systematisch-theologischen Durchdringung der klassischen Fragestellungen zumeist genau das: Impulse zur Neufassung der Eigenschaftslehre Gottes, nicht aber deren eigentliche Durchführung.128 Um die Anschlussfähigkeit des Offenen Theismus gerade in seiner biblischtheologischen Herleitung an maßgebliche Entwürfe der deutschsprachigen 127 Fast gänzlich vernachlässigt werden die mit dem Offenen Theismus an manchen Stellen verwandten Entwürfe katholischer Gelehrter des 20. Jahrhunderts, allen voran Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner und Piet Schoonenberg, sowie in jüngerer Zeit etwa die Ansätze von Gisbert Greshake, Thomas Pröpper und Armin Kreiner. 128 Vgl. hierzu auch die Kritik von Bruce McCormack, im Offenen Theismus würden offensichtlich kaum Anstrengungen unternommen „to offer a fully integrated doctrine of God such as would allow it to compete with other ‚theisms‘“ (McCormack, Karl Barth in Conversation with Open Theism, 190). McCormack kommt darum zum Schluss, die ‚offene Sicht Gottes‘ sei „to a large degree, parasitic upon classical theism in that it draws its life from the negations it registers over against aspects of the latter“ (ebd.).

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protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts aufzuweisen und das Potenzial ebendieser Entwürfe zur Profilierung des offen-theistischen Ansatzes offenzulegen, soll hier zunächst deren auffallende Nähe zur ‚offenen Sicht Gottes‘ im Blick auf die leitenden Motive sowie auf einige wichtige Konsequenzen für die Eigenschaftslehre zur Sprache kommen. Die skizzenhafte Darstellung konzentriert sich auf die bereits erwähnten Systematiker Emil Brunner, Karl Barth, Jürgen Moltmann und Wolfhart Pannenberg – eben weil gerade diese vier Gelehrten von den führenden Offenen Theisten wahrgenommen und zumindest punktuell für die eigene Position beansprucht werden.129

4.3

Vergleichender Blick auf neuere deutschsprachige Entwürfe

4.3.1 Das Motiv der Befreiung von hellenistischen Denkvoraussetzungen Ein erstes gemeinsames Motiv liegt gewiss in der Überwindung eines abstrakten, metaphysischen Gottesbegriffes zugunsten einer Wiederentdeckung biblischchristlicher Gottesrede. Im Hintergrund steht die für den Offenen Theismus bereits ausführlich besprochene (und problematisierte) Hellenisierungsthese, die Überzeugung also, dass die eigentlichen Konturen einer schriftgemäßen Gottesvorstellung durch den Einfluss griechisch-philosophischer Begriffe und Denkfiguren schon in der Frühzeit der Kirche überfremdet und zuweilen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurden. In unterschiedlicher Deutlichkeit findet sie sich auch in den erwähnten deutschsprachigen Entwürfen wieder – am unverhohlensten sicher bei Emil Brunner, dessen Polemik gegen die „bibelfremde philosophische Spekulation“ der kirchlichen Väter und deren „verhängnisvolle“, ja „verheerende“ Folgen für die christliche Gotteslehre von den Offenen Theisten entsprechend bereitwillig aufgegriffen wird.130 Gerade im Kapitel zum „Problem 129 Vgl. zu Karl Barth den hervorragenden Aufsatz von McCormack, Karl Barth in Conversation with Open Theism. Es ließen sich freilich auch andere Verwandtschaften und Befruchtungspotenziale zwischen dem Offenen Theismus und wichtigen deutschsprachigen Entwürfen zeigen – so hat etwa Lisanne Teuchert jüngst Verbindungslinien zwischen Dietrich Bonhoeffers Theologie und den Grundüberzeugungen des Offenen Theismus gezogen und aufzuzeigen versucht, wo die beiden Entwürfe einander ergänzen, vertiefen oder auch widersprechen: Teuchert, Wie Gott fertig wird mit unseren Fehlern, 166–181; vgl. auch schon Gould, Bonhoeffer and Open Theism, 57–91. 130 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 254 – hier geäußert als Urteil über die für die Trinitätslehre „verderblich[e]“ Übernahme des griechisch-philosophischen Substanzbegriffs: „Dass dieser fatale Begriff ins Credo kam, war ein wahrhaftes Unglück“ (ebd.) – vgl. die entsprechenden Berufungen auf Brunner bei Sanders, Historical Considerations, 98; sowie ders., The God Who Risks (2nd Edition), 164 (Sanders nennt auch Moltmann, Pannenberg und Jüngel als Kronzeugen für ein relationales, personales Verständnis Gottes); sowie Pinnock, Most Moved Mover, 65.

Vergleichender Blick auf neuere deutschsprachige Entwürfe

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der Eigenschaften Gottes“ in seiner Dogmatik gibt Brunner der Hellenisierungsthese pointiert Ausdruck.131 Er geht hier vom „sachliche[n] Gegensatz zweier, in der Tat unvereinbarer, Gottesgedanken“ aus – nämlich eines „philosophisch-spekulativ-rationalen“ und eines „auf die Offenbarung begründeten Denkens über Gott“132 – und er verleiht im Rückblick auf die Geschichte der „‚christlich‘ -theologischen Lehre von Gott“ seinem Staunen über die „völlige Ahnungslosigkeit“ Ausdruck, mit der sich die Theologen „die Postulate der philosophischen Absolutheitsspekulation zu eigen gemacht und über das Maß der Verwüstung, das dadurch im Bereich der ‚christlichen‘ Gotteslehre angerichtet worden ist“.133 Nur wenig vorsichtiger äußert sich Moltmann zum metaphysischen Gottesbegriff des Hellenismus, welcher in die christliche Theologie Einzug gehalten habe und „dem Gott der biblischen Geschichte“ kaum mehr gerecht werden könne.134 Schon in seiner Gotteslehre Trinität und Reich Gottes beklagt er den Umstand, dass die christliche Theologie „bis in die Gegenwart“ keine konsistent christliche Gotteslehre erarbeitet habe, eben weil ihr die mit dem biblischen Christuszeugnis gänzlich unvereinbare „metaphysische Tradition der griechischen Philosophie“ zugrunde gelegt worden sei135 – ein Urteil, welches Moltmann auch in seinen jüngsten Veröffentlichungen erneut und mit Nachdruck bekräftigt.136 Sein eigenes theologisches Schaffen versteht Moltmann zweifellos

131 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 255–263; unter Berufung auf Ritschl spricht Brunner auch explizit von der „Hellenisierung des christlichen Denkens“ (ebd., 258). 132 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 256 – vgl. ebd., 257, wo Brunner vom „scharfen Entweder-Oder […] zwischen dem spekulativen Absolutheitsdenken und dem Offenbarungszeugnis“ spricht. 133 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 257 (Hervorhebungen im Original). Man habe sich eben nicht klar gemacht, fährt Brunner fort, „dass hier zwei gänzlich unvereinbare theologische Begriffsbildungen aufeinanderstoßen, dass man es, hüben und drüben, mit einem ganz anderen Inhalt des Wortes ‚Gott‘ und mit einem ganz anderen Grund der Aussage über Gott zu tun hatte“ (ebd.; Hervorhebungen im Original); Brunner zeigt sich dann auch überzeugt, dass gerade „in der dogmatischen Behandlung der Eigenschaften Gottes die metaphysisch-spekulative Verderbnis der Gotteslehre besonders deutlich zum Ausdruck“ komme (ebd., 315). 134 Vgl. etwa Moltmann, God’s Kenosis in the Creation and Consummation of the World, 137– 151, hier: 141f. 135 Moltmann, Trinität und Reich Gottes, 37; vgl. ferner Moltmanns Kritik an der Übernahme des „theistischen Gottesbegriffs“ in die christliche Theologie, in ders., Der gekreuzigte Gott, 199–204. Differenzierter äußert sich Moltmann zur Tradition der „apatheia als metaphysisches Axiom“: ebd., 256–258. 136 Vgl. Moltmann, Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, 44: „Als christliche Theologie auf dem Boden der hellenistischen Kultur entstand, wurde diese griechische Metaphysik mit dem biblischen Zeugnis des lebendigen Gottes verschmolzen. Da aber JHWH, der Gott Israels, mit ZEUS, dem göttlichen Allvater der Griechen, weder verwandt noch identisch ist, entstanden die theologischen Spannungen in der christlichen Gotteslehre, die bis heute

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im Zeichen der Wiederentdeckung biblischer Gottesrede im Allgemeinen und der Ernstnahme des neutestamentlichen Christuszeugnisses im Besonderen.137 Deutlich differenzierter zeigen sich indes Barth und Pannenberg in ihrer Einschätzung des Einflusses hellenistischen Denkens auf die kirchliche Theologie. In seinem einschlägigen Aufsatz zur Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie (1959) wendet sich Pannenberg zunächst ausdrücklich gegen den kruden Vorwurf einer „Hellenisierung des Christentums“ im Windschatten der Kritik Ritschls und Harnacks an einem das „Wesen des Christentums“ verstellenden metaphysischen Gottesbegriff.138 Er stellt dagegen klar, dass die frühkirchliche Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen griechischen Philosophie „innerlich begründet“ war im biblischen Anspruch der Universalität Gottes139 und dass die Entfaltung der christlichen Gotteslehre im hellenistischen Kontext nicht nur durch die Übernahme zentraler Begriffe und Vorstellungen, sondern auch und gerade in der Aufbrechung des philosophischen Gottesgedankens zustande kam.140 Eine „Hellenisierung“ im Sinne einer Überfremdung trete nicht schon da ein, wo die Theologie das Ringen mit der griechischen Philosophie aufnehme, hält Pannenberg fest, „sondern erst da, wo sie in diesem Ringen versagt, indem sie ihre assimilierende, umgestaltende Kraft verliert“.141 Dass Letzteres in der Entwicklung frühchristlicher Theologie zwar nicht immer, aber doch auch geschehen ist, will Pannenberg nicht bestreiten.142 Wiederholt spricht er von „nicht verschmolzenen Resten“ des griechischen Gottesbegriffs, welche der christlichen Theologie bis heute zu schaffen machen und besonders die Anerkennung des biblisch bezeugten personalen Wirkens Gottes in der Geschichte verhindern würden.143 Die Aufarbeitung und kritische Integration jener „Reste“

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ungelöst sind.“ Vgl. ebd., 37; ähnlich äußert sich Moltmann auch im Aufsatz Moltmann, The Passibility or Impassibility of God, bes. 109f. Vgl. die Zitate in Anm. 136 sowie insgesamt das Kapitel zur Eigenschaftslehre in Moltmann, Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, 44–64. Hierzu auch Rohls, Gott, Trinität und Geist, 1364. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 1–45. Pannenberg bezieht sich dabei explizit auf Emil Brunner, ferner auf Werner Elert, Gustav Aulén und Hermann Diem, vgl. ebd., 2. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 12; vgl. hierzu auch ders., Systematische Theologie, Bd. 1, 112f. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 15. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 16. Vgl. hierzu die zusammenfassenden Abschnitte bei Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 42–45; vgl. außerdem in auffallender Nähe zur Einschätzung Pannenbergs: Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 49f. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 43: „Die Unveränderlichkeit und Zeitlosigkeit, die Einfachheit, Eigenschaftslosigkeit und Namenlosigkeit haben den Gottesbegriff immer wieder in unüberbrückbare Ferne von den kontingenten Wandlungen der geschichtlichen Wirklichkeit, in der über das Heil der Menschen entschieden

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bleibe der gegenwärtigen Theologie aufgegeben, resümiert Pannenberg – und es steht außer Frage, dass er gerade mit seiner späteren „Systematischen Theologie“ einen Beitrag zu dieser Aufgabe leisten wollte.144 Ähnliches ließe sich zu Karl Barth festhalten, wenn dieser sich auch kaum explizit zur Hellenisierungsthese äußert. Pannenberg selbst hat aber Barths Polemik gegen jede „natürliche Theologie“ und damit auch gegen alle Versuche, mit den Mitteln begrifflicher Abstraktion und philosophischer Spekulation zur Wesenserkenntnis Gottes vorzustoßen, als eine „Weiterführung und Radikalisierung“ jener Frontstellung zwischen einem metaphysischen Gottesverständnis und dem biblischen Offenbarungsglauben erkannt, von welcher schon Albrecht Ritschls Theologie lebte.145 Im Unterschied zu Brunner und Moltmann hat Barth sich auch in der Eigenschaftslehre um den positiven Anschluss an die kirchliche Tradition und deren dogmatische Begrifflichkeit bemüht; die Durchführung seiner „Lehre von Gottes Vollkommenheiten“ lässt aber gleichwohl die mit Brunner geteilte Absicht erkennen, „die christliche Lehre von ihrer philosophischen Überfremdung zu befreien und sie auf die Grundlagen der biblischen Exegese zu stellen“, wie Jan Stefan in seiner Untersuchung der Barth’schen Eigenschaftslehre festhält.146

wird, gedrängt, und die Aussagen des Glaubens über Gottes geschichtliches Heilshandeln waren nur durch Verletzung der Strenge jener Eigenschaften zu erkaufen.“ Besonders die theologische Systembildung unter den Vätern der alexandrinischen Schule sei „nicht ohne Einbuße an der Substanz des biblischen Gotteszeugnisses“ erreicht worden – vgl. ebd. 42 (bzw. 342). 144 Vgl. besonders die Eigenschaftslehre in Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 365– 483 – hier wiederum bes. 394f, wo Pannenberg von den „Sackgassen“ spricht, in welche die traditionelle Lehre von den Eigenschaften Gottes aufgrund der „Anwendung der aristotelischen Kategorienlehre auf den Gottesgedanken“ geriet (395). Sein eigener Entwurf versucht diese Sackgassen durch die Rückbindung der Eigenschaftslehre an das (trinitarisch verstandene) Handeln Gottes in der Offenbarungsgeschichte zu vermeiden (ebd., 398). 145 Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 2; vgl. hierzu auch ders., Systematische Theologie, Bd. 1, 114f. 146 Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 102. Stefan kann freilich auch die Unterschiede zwischen Barths und Brunners Ansatz in der Eigenschaftslehre herausstellen, wenn er klarstellt, dass bei Barth eine „Hermeneutik des Einverständnisses“ walte, während Brunner eine Hermeneutik des Verdachts pflege. Auch mit Blick auf den Vorwurf der Hellenisierung der kirchlichen Gotteslehre resümiert Stefan: „Barth findet und schafft einen breiten Konsens, Brunner wittert überall griechische Philosophie am Werk“ (ebd., 103); vgl. aber auch Barth, KD II/1, 250f.

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4.3.2 Das Motiv der biblischen Rückbesinnung Im Motiv der Überwindung problematischer philosophischer Engführungen und Festlegungen in der Gotteslehre ist bei den referierten deutschsprachigen Systematikern der offenbarungstheologische Impuls schon enthalten – das auch dem Offenen Theismus zentrale Anliegen also, eine christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes auf die biblisch bezeugte Selbstoffenbarung Gottes im Zuge seiner Geschichte mit dem Menschen zu stützen oder aus ihr zu gewinnen. Eben weil der Gott der Bibel der lebendige Gott ist, der in den Überlieferungen des Alten und Neuen Testamentes „von sich selber redet“, wie besonders Barth unermüdlich betont, kann eine christliche Theologie dieser göttlichen „Selbstdeutung“ folgen und sie zwar niemals erschöpfend ausloten, aber doch gerade in der Entfaltung verschiedener Eigenschaften Gottes „umkreisen“.147 Barth tut dies in unerreichter Ausführlichkeit – seine Lehre von „Gottes Vollkommenheiten“ umfasst über 400 großformatige Seiten in der Kirchlichen Dogmatik –,148 aber auch Brunner und Pannenberg legen besonderen Wert auf eine am biblischen Offenbarungszeugnis erneuerte Entfaltung der klassischen Attribute Gottes,149 während Moltmann zwar keine in sich geschlossene Eigenschaftslehre bietet, aber doch in verschiedenen Zusammenhängen die Relevanz seines Ansatzes für eine offenbarungstheologisch begründete Neufassung der Eigenschaften Gottes reflektiert.150 Diese Verpflichtung auf die theologische Ernstnahme der konkreten biblischen Gottesrede zeigt sich dann sowohl bei Barth und Brunner wie bei Moltmann und Pannenberg auch in einer größeren Aufgeschlossenheit gegenüber den (im engeren Sinne) anthropomorphen Beschreibungen Gottes in den biblischen Schriften. Gewiss nicht unkritisch und ohne hermeneutisches Problembewusstsein, aber doch ungleich mutiger als viele ‚klassischen‘ theologi147 Vgl. in Barths Eigenschaftslehre: Barth, KD II/1, 457; sowie ebd., 515. In zusammenfassender Wiedergabe der Barth’schen Position vgl. auch Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 86f. 148 Barth, KD II/1, 288–764; vgl. ders., ‚Unterricht in der christlichen Religion‘, Bd. 2, 78–266. Zur Eigenschaftslehre Barths vgl. neben dem Aufsatz von Jan Stefan (s. Anm. 146) besonders Osthövener, Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth; Price, Letters of the Divine Word. 149 Vgl. etwa Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 255 – Brunner leitet hier seine Eigenschaftslehre ein mit dem Hinweis auf die auffallende Unbefangenheit der biblischen Überlieferungen, Gott zahlreiche Attribute beizulegen, und er will diesen göttlichen Eigenschaftsreichtum gerade auf dem Hintergrund eines verarmten metaphysischen Gottesbegriffs wieder stark machen. Vgl. zum Motiv des Rückgangs zum „Gott der biblischen Offenbarung“ weiter Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 476. 150 Vgl. prominent hierzu schon das Kernkapitel in Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 184–267 (hier bes. 199–204 und 214–222); sowie ders., Trinität und Reich Gottes, 36–76; und ders., Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, 44–64.

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schen Entwürfe kann sich etwa Barth dagegen wehren, die Rede von Gottes „Reue, Wohlgefallen, Schmerz“ oder von dessen „Kommen und Gehen, Anwesenheit und Abwesenheit“ als uneigentliche Rede abzutun und sie eben so ihrer prägnanten Bedeutung zu „entkleiden“; vielmehr sollte die Theologie auch und gerade dieser menschengestaltigen Gottesrede nicht ausweichen, sondern deren Eignung „zur Bezeichnung des besonderen Lebens und Seins Gottes“ anerkennen.151 Ganz ähnlich spricht sich Brunner dafür aus, im Gegensatz zur blutleeren philosophischen Spekulation die lebendigen und personalen Beschreibungen des Handelns Gottes in der Bibel nicht als „unerlaubte Anthropomorphismen“ abzuwerten, sondern als geschichtliche Manifestationen des Wesens Gottes ernst zu nehmen.152 Moltmann fügt sich in dieses Bild ein, wenn er die eigentliche Rede vom „Pathos Gottes“ ins Zentrum seiner Theologie stellt und die überkommenen „metaphysischen Eigenschaften des Göttlichen“ etwa unter Verweis auf die Reue Gottes im Alten Testament überholen will.153 Auch Pannenberg kann sich gerade unter Berufung auf die im engeren Sinne anthropomorphen Zeugnisse der Schrift für die Personalität Gottes und seine Teilhabe an der Geschichte der Schöpfung stark machen.154 Schon seine Auseinandersetzung mit dem „griechisch-philosophischen Gottesbegriff“ führt ihn bei allen notwendigen Differenzierungen zur Einschätzung, dass dieser eben nicht im Stande sei, das „personhafte Gegenüber des lebendigen Gottes zum Menschen“ zu denken, und dass die von ihm beeinflusste frühkirchliche Theologie das entsprechende Zeugnis der Schrift darum „nur als anthropomorphe 151 Barth, KD II/1, 250; sowie ebd., 296f. Vgl. prägnant auch Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 87: „Mit Theologen, die in neurotischer Angst vor Anthropomorphismen lieber von Gott möglichst wenig wissen und reden, hatte Barth nichts gemein.“ Barth hat freilich auch das Problem der Eingrenzung anthropomorpher Rede klar gesehen und sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, alle und also „auch alle von der Schrift gebrauchten menschlichen Anschauungen und Begriffe“ als anthropomorph anzuerkennen (KD II/1, 296), nämlich „die geistigen, d. h. abstrakten Begriffe ebenso wie die, mit denen eine konkrete Anschauung umschrieben wird“ (KD II/1, 250). Dass dieses Urteil nicht zugleich ein Urteil über die notwendige Unangemessenheit solcher Gottesrede ist, macht Barth gleichfalls deutlich. Sofern nämlich die „Ohnmächtigkeit“ menschlicher Begriffe eine „Auferweckung und Indienstnahme“ durch die Gnade Gottes erfährt, sind sie durchaus in der Lage, „nun in ihrer menschlichen Ganzheit – ohne Abstrich von irgendwelchen allzu menschlichen Menschlichkeiten, also gerade ohne Ausklammerung gewisser vermeintlich allzu krasser Anthropomorphismen – zureichend Gottes Sein (das eine ganze unteilbare Sein Gottes!) zu fassen und also wahrhaftig zu sein, wahrhaftige Erkenntnis Gottes auszudrücken und zu begründen“ (KD II/1, 266). 152 Vgl. besonders: Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 255–260; sowie im Blick auf den scheinbar „krasse[n] Anthropomorphismus“ der Rede von der Reue Gottes und deren Konsequenzen für die Gotteslehre: ebd., 288f. 153 Vgl. etwa Moltmann, Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, 46f. 154 Vgl. z. B. Pannenbergs Rückgriff auf die biblische Rede von der Reue Gottes in seiner Kritik an der klassischen Unveränderlichkeitsvorstellung Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 470f.

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Ausdrucksweise“ (im uneigentlichen, unangemessenen) Sinne zu deuten wusste.155 Während allerdings Barth, Brunner und Moltmann gerade bemüht sind, in ihrer Entfaltung der Eigenschaften Gottes auf einen der Offenbarung vorausliegenden „abstrakten“ (Barth), „spekulativen“ (Brunner) bzw. „metaphysischen“ (Moltmann) Gottesbegriff grundsätzlich zu verzichten und sich einzig an die Selbsterschließung Gottes in seinem geschichtlichen Handeln zu halten, versucht Pannenberg den offenbarungstheologischen Ansatz mit einer „allgemeinen Vorstellung von ‚Gott überhaupt‘“ und also mit einem philosophischen „Vorbegriff“ Gottes zu vermitteln oder Ersteren im Kontext des Letzteren zu plausibilisieren.156 Das auf der biblischen Offenbarung begründete christliche Reden von Gott muss seiner Überzeugung nach den (offenbarungsunabhängigen) „Minimalbedingungen für ein innerlich konsistentes Reden von Gott“ genügen, wenn es dem universalen Anspruch Gottes gerecht werden und im gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs kommunikabel bleiben will.157 Zumal in diesem Vermittlungsbestreben tritt er zu Barth wie auch zu Brunner 155 Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 15 (bzw. 311); vgl. allerdings auch ders., Systematische Theologie, Bd. 1, 367, wo Pannenberg die „Kritik am Anthropomorphismus der religiösen Gottesvorstellungen“ gerade als gemeinsame Aufgabe von philosophischer und christlicher Theologie bestimmt – der Zusammenhang ist hier das im Folgenden thematisierte Anliegen, die christliche Gottesvorstellung nicht aus der philosophischen (kritisch-rationalen) Reflexion des Gottesbegriffs herauszulösen. Es bleibt zunächst unklar, nach welchen Kriterien eine solche Kritik anthropomorpher Gottesvorstellungen von christlich-theologischer Seite erfolgen soll, wenn Pannenberg im nächsten Abschnitt klarstellt, dass sich „das Wesen dieses sonst unbegreiflichen Gottes“ nur „von seiner Offenbarung im Sohne her“ – und also vom inkarnierten, menschgewordenen Sohn her – erschließt (vgl. ebd.: „Darum muss sich an den Sohn halten, wer den unbegreiflichen Gott erkennen will“). 156 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 426. 157 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 426. Pannenbergs Anliegen, die Relevanz christlicher Theologie besonders im Gegenüber zur philosophischen Theologie zu verteidigen und sicherzustellen, „dass die Marginalisierung der Theologie im wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Kontext nicht noch weiter fortschreite“ (Bauke-Ruegg, Die Allmacht Gottes, 221), wird hier überaus deutlich – ebenso aber seine Überzeugung, dass jede Zuschreibung von Eigenschaften an die Adresse eines göttlichen Wesens bereits eine Allgemeinvorstellung oder einen Minimalbegriff von „Gott überhaupt“ voraussetze (ebd.). Ausdrücklich gilt dies nach Pannenberg auch für die „Zuschreibung von Eigenschaften aufgrund göttlichen Offenbarungshandelns“ (ebd.; vgl. ebd., 385): „Wesensbestimmungen einer Entität setzen – wenn auch noch so rudimentäre – Existenzbestimmungen derselben Entität voraus“, fasst Markus Mühling Pannenbergs Einsicht an dieser Stelle zusammen (Mühling, Gott ist Liebe, 226). Vgl. auch Bauke-Ruegg, Die Allmacht Gottes, 221–228; Krötke, Gottes Klarheiten, 95–98; Gockel, Herman Cremers Umformung der christlichen Lehre von den Eigenschaften Gottes, 56f – Gockel gewinnt angesichts der Architektur der Pannenberg’schen Eigenschaftslehre den „Eindruck, es gehe um die inhaltliche Füllung eines Begriffs von Gott, der auch auf andere Weise, zum Beispiel durch Erwägungen über eine allgemeine Gottheit Gottes, gewonnen werden kann“, wenngleich Pannenberg versichert, dass die philosophische Gottesrede von der christlichen Theologie nicht einfach übernommen werden sollte (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 427).

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und Moltmann in deutlichen Kontrast, wenngleich er deren Kernanliegen einer materialiter auf der biblischen Offenbarung gegründeten und aus ihr heraus erneuerten Eigenschaftslehre zweifellos teilt.

4.3.3 Die Unveränderlichkeit Gottes In der konkreten Näherbestimmung klassischer Gottesattribute zeigen sich gleichfalls enge Verwandtschaften zum Offenen Theismus. Am augenfälligsten ist hierbei wohl die Kritik am herkömmlichen Verständnis der Unveränderlichkeit Gottes und dessen Neufassung im Sinne der wandlungsfähigen Treue. Nicht erst Terence Fretheim und die Offenen Theisten haben sich in dieser Hinsicht verdient gemacht, vielmehr konnte schon Karl Barth den Begriff der Unveränderlichkeit als „verdächtig negatives Wort“ bezeichnen,158 dessen philosophische Ausdeutung im Verlauf der Theologiegeschichte immer wieder einem „heidnischen Gottesbegriff“ Vorschub leistete, der eine wahrhaftige Beziehung Gottes zur Welt und dessen Anteilnahme am Geschick des Menschen nur schwerlich denkbar machte.159 Anstatt darum von der Reflexion des Unveränderlichkeitsbegriffs auf das Wesen Gottes zu schließen und den lebendigen Gott der Bibel damit in letzter Konsequenz für „leblos, wortlos, tatenlos“, ja für „tot“ zu erklären,160 sollte eine christliche Theologie „von dem ‚unveränderlichen Gott‘ in seiner Selbstoffenbarung reden“.161 Eben auf diesem Wege lässt sich nach Barths Überzeugung dieses angeschlagene Gottesattribut als Spitzenbegriff für die „Beständigkeit seines Wissens, Willens und Tuns und also seiner Person“ wiedergewinnen und durchaus auch mit den biblischen Zeugnissen der Wandelbarkeit und Affizierbarkeit Gottes zusammendenken.162 In provokativer Umkehrung der mit dem Anthropomorphismus-Begriff verbundenen Intuitionen und gerade im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit von Gebetserhörungen geißelt Barth „die Zwangsvorstellung von der Unveränderlichkeit Gottes, die es ausschließe, daß er sich durch sein Geschöpf so oder so bestimmen lassen könne“, als einen „kümmerlichen Anthropomorphismus“, und er hält bekenntnishaft fest: „Gott ist wohl unveränderlich, aber unverän158 Barth, KD II/1, 557. 159 Barth, KD II/1, 556: „Es ist schon bedenklich, gerade an dieser Stelle sehen zu müssen, wie die orthodoxe Theologie auch der evangelischen Kirche knapp hundert Jahre nach Luther und Calvin es gar nicht merkte, daß sie ja mit diesem immobile den heidnischen Gottesbegriff – den Gottesbegriff derer, die keine Hoffnung haben – auf- und anzunehmen in vollem Zuge war“ (Hervorhebung im Original); vgl. ebd., 558, wo Barth spezifisch von einer platonischen Beeinflussung des Unveränderlichkeitsgedankens spricht. 160 Barth, KD II/1, 558; sowie ebd., 555: „Das reine immobile ist der Tod.“ 161 Barth, KD II/1, 555. 162 Barth, KD II/1, 557 (Hervorhebungen im Original); vgl. ebd., 565.

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derlich in seiner Lebendigkeit, in der Barmherzigkeit, in der er sich seines Geschöpfes annimmt!“163 Erstaunlich unbeschwert spricht schon Barth darum von einer „heilige[n] Veränderlichkeit Gottes“, von seiner „Beweglichkeit“ und „Elastizität“, die nicht weniger göttlich sei als seine Beharrlichkeit und in welcher sich seine Stetigkeit, Unbeirrbarkeit und Unermüdlichkeit für den Menschen gerade erweisen.164 Tritt die Unveränderlichkeit Gottes also bei Barth zumindest sachlich in unmittelbare Nähe zur Treue Gottes, bestimmen sowohl Brunner als auch Moltmann und Pannenberg die immutabilitas dei ausdrücklich auf den Linien der biblischen Bezeugung der göttlichen Treue.165 Begleitet von der üblichen Polemik gegen einen metaphysisch-spekulativen Gottesbegriff lässt Brunner seine Reflexion auf die göttliche Unveränderlichkeit ins Kapitel zur Treue Gottes münden: Ideenwahrheiten seien außerzeitlich und unveränderlich, gibt er zu verstehen, der lebendige Gott der Bibel aber gehe „in die Geschichte ein“, lasse sich durch das kreatürliche Geschehen bewegen und verfolge „mit unendlicher heiliger Leidenschaft“ seine Ziele mit dem Menschen.166 Diese Unbeirrbarkeit der Zuwendung Gottes geht mit seiner Fähigkeit einher, sein Verhalten „entsprechend dem Verhalten des Menschen“ zu verändern und gerade darin sich selbst treu zu bleiben.167 Es sind wesentlich dieselben Überlegungen, die Moltmann zur Aufgabe des Bekenntnisses zur Unveränderlichkeit Gottes und zu dessen Überbietung durch das Lob der Treue Gottes führen: „Verstehen wir den lebendigen Gott als Subjekt, dann steht dort, wo die alte Metaphysik die göttliche immutabilitas ansiedelte, seine Treue, auf die man sich verlassen kann“168 Pannenberg argumentiert in 163 Barth, KD III/4, 119f. 164 Barth, KD II/1, 557f; sowie ebd., 556f; vgl. außerdem die aufschlussreiche Interpretation der Barth’schen Eigenschaftslehre als Konkretion seines relationalen theologischen Ansatzes durch Meyer zu Hörste-Bührer, Gott und Menschen in Beziehungen, 294f; vgl. ferner McCormack, Karl Barth in Conversation with Open Theism, 219–223. 165 Vgl. auch die Vermutung von Robert B. Price, Barth habe die Unveränderlichkeit Gottes nur selten und zögerlich explizit mit der Treue Gottes verbunden, weil eben diese Verbindung Kennzeichen des ethischen Unveränderlichkeitsbegriffs Isaak Dorners war und weil Barth das Missverständnis vermeiden wollte, dass auch sein Begriff der Unveränderlichkeit nur ethisch und nicht ontologisch qualifiziert wäre – wenngleich er Dorners Ausführungen zugegebenermaßen viel verdankt und wenngleich der Topos der Treue Gottes sich mit Barths Begriff der Unveränderlichkeit durchaus stimmig verbinden ließe (Price, Letters of the Divine Word, 133). 166 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 292; vgl. ebd., 288: „Gott ‚reagiert‘ auf das, was die Menschen tun, und indem er reagiert, verändert er sich.“ 167 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 289. 168 Moltmann, Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, 45 (Hervorhebung im Original) – vgl. außerdem die vorausgehende, an Barths Reflexion des Unveränderlichkeitsgedankens erinnernde Feststellung: „Der lebendige Gott kann nicht für unveränderlich und unbeweglich erklärt werden, ohne dass man ihn für ‚tot‘ erklärt“ (ebd.).

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dieselbe Richtung: Die vom griechischen Gottesbegriff beeinflusste Vorstellung der Unveränderlichkeit Gottes, macht er im erwähnten Aufsatz zur Hellenisierungsthese klar, sei „den biblischen Zeugnissen nicht nur unbekannt, sondern auch nicht ohne weiteres gemäß“169 und habe namentlich das theologische Verständnis des lebendigen Wesens und geschichtlichen Handelns Gottes „in kaum überschätzbarem Ausmaß“ behindert.170 Dass indes Gottes Verheißungen nach dem biblischen Zeugnis unverbrüchlich und seine Gnadengaben unwandelbar sind, ist nach Pannenbergs Überzeugung gerade nicht Ausdruck einer das Wesen Gottes konstituierenden Unbeweglichkeit, sondern vielmehr „identisch mit der Treue Gottes“.171 Im Unterschied zur Vorstellung von der Unveränderlichkeit Gottes schließt der Gedanke seiner Treue „weder die Geschichtlichkeit noch die Kontingenz des Weltgeschehens aus“, hält Pannenberg in seiner „Systematischen Theologie“ fest, weshalb er diesen biblisch breit verankerten Begriff der Rede von der immutabilitas dei vorzieht.172

4.3.4 Die Allmacht Gottes In ähnliche Nähe zum Offenen Theismus rücken die Ausführungen der genannten Theologen zum Begriff der Allmacht Gottes. Barths weit ausgreifende Auseinandersetzung mit diesem prominenten Gottesattribut erfolgt erneut unter dem Grundsatz, nicht das Subjekt durch das Prädikat bestimmen zu lassen und also einen vorgängig bestimmten Begriff der (All-)Macht nachträglich mit Gott zu identifizieren, sondern umgekehrt das Prädikat ganz vom Subjekt her zu klären – und damit auch und gerade die Allmacht Gottes „nach der Schrift und also nach Maßgabe der Selbstoffenbarung Gottes“ zu verstehen.173 Gott der Vater 169 Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 30. 170 Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 31; vgl. auch Pannenbergs Bemerkung, die „These der Unveränderlichkeit Gottes“ habe sich „in der Geschichte der christlichen Theologie auf verschiedenen Gebieten verhängnisvoll ausgewirkt“, in ders., Systematische Theologie, Bd. 1, 472. 171 Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 31. 172 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 473; vgl. in Auseinandersetzung mit dem Begriff der Unveränderlichkeit Gottes bei Pannenberg: Gockel, Ethische Unveränderlichkeit Gottes?, 4–7. 173 Barth, KD II/1, 590 – vgl. sehr prägnant zur Bestimmung der „Vollkommenheiten der Freiheit Gottes“ insgesamt: ebd., 360f; zum Insistieren Barths auf der „Irreversibilität der theologischen Definitionen“ gerade in der Eigenschaftslehre vgl. auch Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 88–91. Stefan stellt heraus, dass die Verwechslung des Subjektes mit dem Prädikat Karl Barth als „Kardinalversündigung gegen die theologische Grammatik“ galt (ebd., 89). Zum Allmachtsbegriff bei Barth vgl. außerdem Davaney, Divine Power, 6–100 und 229–232; Case-Winters, God’s Power, 97–125; Kress, Gottes Allmacht angesichts von Leiden, 162–229; Price, Letters of the Divine Word, 128–158.

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sei es, von dem wir auch „im Widerspruch zu allem vermeintlichen Vorherwissen“ zu lernen hätten, was Allmacht bedeutet,174 und seine Offenbarung im biblischen Zeugnis mache deutlich, dass er eben in seiner Zuwendung zum Menschen und als der „Hirte Israels und der Herr seiner Kirche“ der Allmächtige sei.175 Ein abstrakt verstandenes, rein metaphysisch hergeleitetes Verständnis von „Allmacht“ würde den christlichen Gottesbegriff nicht nur verfehlen, sondern ihn geradezu ins Gegenteil verkehren, bringt Barth auf den Punkt, denn: „Macht an sich ist ja nicht nur neutral, sondern Macht an sich ist böse!“176 Entschieden wehrt sich Barth auch gegen die „gefährliche[…] Gleichsetzung“ von Allmacht und Allwirksamkeit.177 Die am Wort Gottes – und, wie es Barth besonders in seiner Versöhnungslehre dann vorführt: am Weg Jesu Christi – abzulesende Allmacht Gottes ist keine Allmacht der Tyrranei und Überwältigung, sondern zutiefst eine „Allmacht der Liebe“.178 Das allmächtige Wollen und Wirken Gottes erdrückt darum seine Geschöpfe nicht, sondern duldet vielmehr andere Mächte neben sich, „gibt ihnen Raum“ und schließt Gottes Selbsthingabe zugunsten der Menschen immer schon ein.179 174 Barth, KD II/1, 590. 175 Barth, KD II/1, 592f. 176 Barth, KD II/1, 589; vgl. auch ders., Dogmatik im Grundriss im Anschluss an das apostolische Glaubensbekenntnis, 52: „Gott ist nicht die ‚Macht an sich‘. […] Und wer den ‚Allmächtigen‘ Gott nennt, der redet in der furchtbarsten Weise an Gott vorbei. Denn der ‚Allmächtige‘ ist böse, wie ‚Macht an sich‘ böse ist. Der ‚Allmächtige‘, das ist das Chaos, das Übel, das ist der Teufel“ (Hervorhebungen im Original). 177 Barth, KD II/1, 594f. Barth sieht diese Identifikation von Allmacht und Allwirksamkeit in der lutherischen Orthodoxie angebahnt und bei Schleiermacher vollends verwirklicht. 178 Barth, KD II/1, 597: „Die Allmacht Gottes ist die Allmacht seiner freien Liebe“ (Hervorhebungen im Original) sowie ebd., 605f; vgl. dann auch die verdichtete Aussage in Barths Versöhnungslehre: ders., KD IV/2, 257: „Nicht neutrale Macht bzw. Allmacht also, sondern Allmacht des Erbarmens, nicht eines ruhenden, passiven, sondern eines tätigen und in seinem Verhältnis zu jener Gewalt zugunsten des armen Menschen schlechthin streitbaren Erbarmens!“ (Hervorhebungen im Original). 179 Barth, KD II/1, 605f; vgl. auch ders., KD III/3, 156f (im Kontext der Vorsehungslehre – hier bes. 164, wo Barth betont, dass „eben unter dieser Herrschaft Gottes auch das Recht und die Ehre, die Würde und die Freiheit des Geschöpfes nicht etwa unterdrückt und ausgelöscht wird, sondern zu ihrer Geltung kommt und ins Licht tritt“). An der Frage, ob Barth seiner eigenen Vorgabe, den Allmachtsbegriff nicht durch metaphysische Vorverständnisse, sondern einzig aus der biblischen Selbstoffenbarung Gottes heraus zu gewinnen, in der Durchführung seiner Eigenschaftslehre auch wirklich gerecht wird, haben sich freilich rege Diskussionen entzündet. Christine Kress etwa gelangt zur Überzeugung, dass Barth zumal in seiner Gotteslehre (KD II/1) letztlich doch die „Allmacht Gottes abstrakt als Allwirksamkeit und Alleinherrschaft – als ‚Macht in und über … allen‘ (KD II/1, 605) – bestimmt und sich damit nicht von denjenigen theistischen und metaphysischen Definitionen unterscheidet, zu denen er aufgrund seines Ansatzes im Gegensatz steht“ (Kress, Gottes Allmacht angesichts von Leiden, 204). Kress sieht diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Durchführung erst in der Versöhnungslehre Barths (KD IV/1) überwunden, weil es Barth hier gelinge, „alle Rede von Gott konkret aus dieser Geschichte [der Selbst-

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Barth will natürlich nicht von einer Beschränkung der Allmacht Gottes im Zuge der Schöpfung und schon gar nicht wie etwa Clark Pinnock von einer Machtabgabe an die Geschöpfe sprechen – in dieser Hinsicht tritt Emil Brunners Entwurf noch unmittelbarer an den Offenen Theismus heran. Auch Brunner hebt „den biblischen Allmachtsgedanken in seiner völligen Andersartigkeit“ scharf von allen metaphysischen („spekulativ-ontologischen“) Allmachtsbegriffen ab, welche seiner Einschätzung nach „mit Notwendigkeit zum Determinismus“ führen und jede nichtgöttliche Wirklichkeit zu verschlingen drohen.180 Die im biblischen Zeugnis manifeste Allmacht Gottes ist demgegenüber gerade keine die Geschöpfe einnehmende, sondern eine sie freisetzende und sich um ihrer Willen begrenzende Größe, stellt Brunner klar: Gott schafft sich im Vollzug seiner Allmacht ein Gegenüber, „dem er relative Selbständigkeit verleiht“ und das sich auch im Widerstand gegen seinen Schöpfer auflehnen kann.181 Solche Eigenmächtigkeit der Kreatur ist im biblischen Gedanken der offenbarung Gottes in Jesus Christus, M.S.] zu entwickeln“ (ebd., 173). Sie spricht deshalb von einem theologischen Neueinsatz oder einer „Neubestimmung der Allmacht Gottes“ im späteren Werk Barths (ebd., 173), während Sheila Davaney und Anna Case-Winters Barth auch in seiner Versöhnungslehre noch in einem „klassischen“, einseitigen Verständnis der Allmacht Gottes verhaftet sehen und seinen Versuch einer biblischen und näherhin christologischen Neufassung dieses Attributs insgesamt für gescheitert betrachten (Davaney, Divine Power, 6–100; Case-Winters, God’s Power, 97–125). In ähnliche Richtung zielt die Kritik Heinzpeter Hempelmanns, der „das unaufhebbare, umfassende Subjekt-Sein Gottes als Norm und Inhalt der ganzen Dogmatik“ Barths nachzuweisen sucht und beobachtet, dass Barth entgegen seinen Intentionen die biblische und christliche Selbstbezeugung Gottes doch einem „vorausgesetzten Gottesbild dienstbar macht“ und sogar die Liebe Gottes zur „Funktion des absoluten Herr-Seins Gottes“ erklärt (Hempelmann, ‚Unaufhebbare Subjektivität Gottes?‘, 133; 274). Robert B. Price indes widerspricht solchen Einschätzungen vehement und versucht zu zeigen, dass Barth schon in seiner Eigenschaftslehre seinen offenbarungstheologischen Fokus durchgehalten und keineswegs einem alles andere Sein „erdrückenden“, omnikausalen Verständnis der Allmacht Gottes Vorschub geleistet hat (Price, Letters of the Divine Word, 155f). Ob nun Barth eine theologische „Inkonsequenz“ (Kress, Gottes Allmacht angesichts von Leiden, 175) nachzuweisen ist oder nicht und ob der Vergleich des Allmachtsbegriffs in seiner Eigenschaftslehre mit demjenigen seiner Versöhnungslehre lediglich Akzentverschiebungen oder aber eine regelrechte theologische „Wende“ anzeigt – unübersehbar ist jedenfalls, dass Barth in seiner „Lehre von den Vollkommenheiten Gottes“ noch sehr bemüht ist, den Gedanken einer „Ohnmacht“ Gottes fernzuhalten und auch den Selbststand und Widerstand der Geschöpfe gegenüber dem Schöpfer noch einmal vom übergeordneten Willen und Herrschen Gottes umgriffen zu sehen (KD II/1, 602; 605). In diesem Motiv stimmt Barth mit dem Offenen Theismus fraglos nicht überein. 180 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 266f – vgl. ebd., 268, wo Brunner klarstellt, dass der biblische Allmachtsbegriff „so ganz frei“ sei „von der Problematik jener potestas absoluta, die alles andere Sein als nichtig erscheinen lässt, die ihm alle und jede Selbständigkeit raubt und vor allem für kreatürliche Freiheit keinen Raum lässt“. 181 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 268 – vgl. zum „Widerspruch der Menschen“ auch Brunners Ausführungen zum Kreuz Jesu Christi als dem Inbegriff der allmächtigen Selbstbegrenzung Gottes: ebd., 271f.

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Allmacht nach Brunners Beobachtung „schon immer mitgesetzt“,182 und sie gefährdet keineswegs die „Unbedingtheit“ der Freiheit Gottes, sondern bringt sie vielmehr erst „zur vollen Geltung“183 – denn eben in seiner unbedingten Freiheit, näherhin in der Freiheit seiner Liebe bringt Gott die Schöpfung hervor und lässt er sich auf eine Geschichte mit seinen Geschöpfen ein.184 Man könnte es geradezu als Vorwegnahme einer offen-theistischen Verhältnisbestimmung von Gott und Welt lesen, wenn Brunner dann einerseits den Modus der Allmacht Gottes als dessen Werben um das Herz des Menschen beschreibt – „So will Gott uns gegenüber allmächtig sein, dass er unser Herz gewinnt […]. Keine andere Allmacht Gottes kann unser Herz erobern und öffnen. Das Herz ist das einzige, was nicht gezwungen werden kann. Es gibt keine erzwungene Liebe“ …185 – wenn er aber zugleich Gottes Recht und Möglichkeit sichern will, einseitig in den Naturzusammenhang einzugreifen und „Wunder“ zu wirken, ja sogar die von ihm selbst auferlegten Grenzen hinsichtlich der Freiheit des Menschen wieder „aufzuheben“.186 Ausdrücklich und (u. a.) im Anschluss an Brunner spricht dann auch Jürgen Moltmann von der freiwilligen „Selbstbegrenzung, Selbstbeschränkung, Selbstzurücknahme“ oder „Selbsterniedrigung“ Gottes nicht erst in der Menschwerdung des Sohnes, sondern bereits im Zuge der Welterschaffung.187 Gott verzichtet nach Moltmann „auf unbegrenzte Macht“, um Raum zu schaffen und Zeit zu geben für die Welt im Allgemeinen und die Verwirklichung einer geschichtlichen und wahrhaft freien Beziehung zum Menschen im Besonderen.188 Dieser Verzicht Gottes ist für Moltmann aber gerade ein „Akt seiner Selbstmächtigkeit“, denn – und hier stimmt er sowohl mit Brunner wie

182 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 268. 183 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 269. 184 Vgl. v. a. Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 268: „Gott schafft sich also selbst diese Grenze […] – [e]r schafft sie, er beschränkt sich, damit ein Geschaffenes neben ihm Platz habe, in dem und an dem er sich offenbaren und dem er sich mitteilen kann. Der biblische Allmachtsbegriff ist darum von Anfang an offenbarungsbezogen. Er kann nur in seiner Korrelation mit dieser göttlichen Selbstbegrenzung, die im Wesen seiner Schöpfung liegt, richtig verstanden werden.“ Brunner wird auch in seiner Christologie auf diese Selbstbegrenzung Gottes zurückkommen – vgl. ders., Dogmatik II, 31: „Das heißt aber, Gott will den Raum des Seins nicht allein einnehmen, er will anderem Sein Platz schaffen. Indem er es tut, begrenzt er sich selbst […] Die Kenosis, die im Kreuz Christi ihren Höhepunkt erreicht, beginnt schon mit der Weltschöpfung.“ 185 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 272 (Hervorhebung im Original). 186 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 267f. 187 Vgl. unter Rekurs auf Brunner z. B. Moltmann, Der lebendige Gott, 55; sowie ausführlich in Moltmanns Schöpfungslehre: Moltmann, Gott in der Schöpfung. 188 Moltmann, Der lebendige Gott, 54: „Wenn Gott in seiner Macht über sich selbst, das ist seine Freiheit, seine Macht über das All ‚zurücknimmt‘, macht er das All frei und unabhängig […]. In der Beziehung der Liebe entstehen die Freiräume des Geliebten.“

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mit Barth überein – „nur Gott kann Gott begrenzen“.189 Die Schärfe seiner Polemik gegen einen metaphysischen Allmachtsbegriff kann sich dann auch mit Brunners antispekulativen Ausfällen und Barths Grundsatzkritik jeder nackten und damit dämonischen „Macht an sich“ messen. Für Moltmann ist klar, dass eine Theologie, welche Gott „auf die Rolle des Allmächtigen“ festlegt und ihm „keine andere Möglichkeit als die Weltherrschaft“ einräumt, eben weil sie ihn als die „alles bestimmende Wirklichkeit“ definiert, Gott in Wahrheit zu einem Gefangenen seiner selbst macht.190 Ein solcher Gott kann sich nicht zurücknehmen, er kennt keine „Ohnmacht und Machtlosigkeit“191 und entspricht damit mehr einem tyrannischen Kriegsherrn als der israelitischen und christlichen Gotteserfahrung.192 „Der allmächtige Gott ist nicht der lebendige Gott“, erklärt Moltmann apodiktisch193 – denn der lebendige Gott der biblischen Offenbarung zeichnet sich nicht durch seinen Herrscherwillen, sondern durch seinen Gemeinschaftswillen aus. Ganz im Duktus des Offenen Theismus beschreibt Moltmann dann in seiner Ethik der Hoffnung die Hervorbringung der Welt als einen Akt der freien Liebe, welche „Gott gleichsam aus sich herausgezogen und ins Abenteuer dieser Schöpfung gebracht“ habe.194 Pannenbergs Allmachtsverständnis lässt sich an die schon vorgestellten anschließen,195 zumal er nicht allein jede „abstrakt gefasste Vorstellung der unbegrenzten Macht“ ablehnt, welche zur Verwechslung der Herrschaft Gottes mit der „angemaßten Allmacht tyrannischer Herrschaft“ führt,196 sondern auch die positive Bestimmung der Allmacht Gottes als „die Allmacht seiner freien Liebe“

189 Moltmann, Der lebendige Gott, 54. Moltmann bezieht sich hier (und überhaupt in der Entfaltung seiner Theologie der Selbstbegrenzung Gottes) auf Hans Jonas. 190 Moltmann, Der lebendige Gott, 53. Moltmann kann auch sagen, Gott würde durch dessen Festlegung auf schlechthinnige Allmächtigkeit zu einem „Gefangene[n] des Alls“ (ebd.), was wohl so zu verstehen ist, dass Gott durch seinen Zwang, das All zu beherrschen, letztlich von diesem bestimmt wird; vgl. auch ders., Der gekreuzigte Gott, 208. 191 Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 208. 192 Moltmann, Der lebendige Gott, 53 – Moltmann merkt an, dass der in diesem Sinne Allmächtige auch von Hitler angerufen wurde, um den „Sieg an unsere Fahnen zu heften“, und er verurteilt solche Vorstellungen Gottes als „Idolatrie der Macht“. 193 Moltmann, Der lebendige Gott, 53; vgl. auch schon ders., Der gekreuzigte Gott, 237. An solchen Stellen wird deutlich, dass Moltmann (wie auch Brunner und andere Vertreter dieser Denkform) den Begriff der (All-)Macht Gottes gerade nicht im Sinne der „Macht der Liebe“ näherbestimmt, sondern ihn vielmehr weiterhin als beherrschende, unterdrückende Qualität begreift. Nur auf dem Hintergrund eines solchen Machtverständnisses wird es notwendig, vom Verzicht Gottes auf Macht oder von seiner Selbstbegrenzung zu sprechen. 194 Moltmann, Ethik der Hoffnung, 141. 195 Vgl. hierzu v. a. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 449–456; dann auch BaukeRuegg, Die Allmacht Gottes, 228–242; Mühling, Gott ist Liebe, 226–230. 196 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 449f.

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ausdrücklich bekräftigt.197 Die Erschaffung der Welt zielt als Akt dieser Allmacht der Liebe „auf das selbständige Dasein der Geschöpfe“, welches das personale Gegenüber von Gott und Mensch erst ermöglicht,198 aber zugleich die Gefahr birgt, dass die geschöpfliche Selbständigkeit übergeht „in die Verselbständigung gegenüber Gott“ – dass also das Geschöpf „in der Ablösung von Gott“ die „Schöpfungsintention des Schöpfers selbst“ zunichte macht.199 Pannenberg gehört dann auch zu den wohl ersten Theologen außerhalb der prozesstheologischen Schule, welche den Begriff der Risikonahme Gottes ausdrücklich und an entscheidender Stelle gebrauchen.200 In völliger Übereinstimmung mit dem Offenen Theismus ist für Pannenberg nämlich das Risiko des Abweichens von den Absichten Gottes unerlässliche Bedingung für die Selbständigkeit der Geschöpfe und näherhin die Freiheit des Menschen;201 diese Selbständigkeit und Freiheit wiederum ist unerlässliche Bedingung für das „Dasein von Geschöpfen neben dem ewigen Sein Gottes“ überhaupt;202 dieses Dasein von Geschöpfen im Gegenüber zu ihrem Schöpfer schließlich ist unerlässliche Bedingung zur Ermöglichung des eigentlichen Schöpfungszieles, nämlich der Teilhabe der Geschöpfe an der Gemeinschaft des trinitarischen Gottes.203 Das „Risiko von Sünde und Übel“ wird von Gott also um der „Realisierung des Zieles freier Gemeinschaft des Geschöpfes mit Gott“ willen in Kauf genommen, wie Pannenberg klarstellt.204 197 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 453 (Pannenberg zitiert hier Barth aus: Barth, KD II/1, 597); vgl. das Resümee aus der Reflexion des Allmachtsbegriffs: ebd., 456: „Die genauere Erörterung des Begriffs der Allmacht Gottes hat somit ergeben, dass die Allmacht nur gedacht werden kann als die Macht der göttlichen Liebe.“ 198 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 453; vgl. hierzu auch die Ausführungen Pannenbergs zur „Bestimmung des Menschen“ in seiner Erschaffung zum Ebenbild Gottes: Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 232–241. 199 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 454. 200 Pannenberg spricht vom Risiko Gottes besonders in seiner Auseinandersetzung mit der Theodizeefrage innerhalb seiner Schöpfungstheologie (ST, Bd. 2, 189–201) sowie im abschließenden Resümee seiner „Systematischen Theologie“ zur „Offenbarung der Liebe Gottes in der Vollendung der Schöpfung“ (Bd. 3, 689–694). Der Sache nach findet sich der Gedanke der Schöpfung als Wagnis Gottes freilich auch schon sehr prägnant bei Peter Brunner, etwa in seinem Aufsatz Brunner, Die Freiheit des Menschen in Gottes Heilsgeschichte, 108–125. 201 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 194. 202 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 690. 203 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 690. 204 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 194. Pannenberg fährt fort: „Das Böse und die Übel werden nicht als solche von Gott gewollt, d. h. sie können nicht für sich Gegenstand seines Wohlgefallens und also Zweck seines Willens sein. Aber sie werden als faktische Begleiterscheinungen und Bedingungen geschöpflicher Realisierung der Absicht Gottes mit seiner Schöpfung hingenommen“ (Hervorhebungen im Original) – daran wird deutlich, dass er zumal an dieser Stelle nicht klar genug zwischen dem Risiko des Bösen und dem Eintreten dieses Risikos und zwischen der Möglichkeit geschöpflichen Widerstandes gegen die Absichten Gottes und der Verwirklichung dieser Möglichkeit unterscheidet. Nicht „das

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Dementsprechend weist Pannenberg den Gedanken der Alleinwirksamkeit Gottes zurück und versteht das Wirken Gottes in der Welt nicht als gewaltsame Instrumentalisierung der Geschöpfe für seine Zwecke, sondern vielmehr als liebevolle Überredung zur Mitwirkung an seinen Schöpfungsabsichten205 – wenn er auch die Möglichkeit von „Wundern“ im Sinne der überraschenden Einflussnahme Gottes auf das Weltgeschehen und als Ausdruck der „schöpferische[n] Freiheit Gottes“ nicht ausschließen möchte.206 Selbstverständlich treten auch Differenzen zwischen den behandelten Vertretern deutschsprachiger Theologie zu Tage. Während zum Beispiel Pannenberg mit Barth und gegen Brunner und Moltmann am Verständnis Gottes als der „alles bestimmenden Macht“ festhält, begreift er die Allmacht Gottes Böse und die Übel“ selbst sind Bedingungen für die Realisierung der Schöpfungsabsicht Gottes, sondern die in der Selbständigkeit der Geschöpfe implizierte Möglichkeit, Böses und Übel in die Welt zu setzen. Pannenbergs verkürzte Wiedergabe läuft vielmehr auf einen Selbstwiderspruch hinaus, denn der Widerstand der Geschöpfe gegen die Absichten des Schöpfers können nicht zur Bedingung für die Erreichung ebendieser Absichten erklärt werden. Vgl. aber auch die Wahrung dieser Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit des Bösen im Zusammenhang mit der Vorsehungslehre, ebd., 65: „So wenig solche Abweichung [der Geschöpfe, M.S.] den Absichten Gottes mit seiner Schöpfung entspricht, so unvermeidlich ist sie als Risiko mit der Selbständigkeit verbunden, die dem Geschöpf verliehen ist und ohne die Gottes Schöpfungshandeln sich nicht in seinem Werk vollenden könnte“ (Hervorhebung M.S.). Vgl. zum Ganzen neuerdings Hocknull, Pannenberg on Evil, Love and God. 205 Vgl. im Zusammenhang der Vorsehungslehre Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 63–69, hier bes. 65 (inkl. Anm. 117), sowie besonders Pannenbergs Auseinandersetzung mit der Prozessphilosophie: ebd., 29–32. Nachdem sich Pannenberg von der prozessphilosophischen Verhältnisbestimmung von Gott und Welt und deren Ablehnung der creatio ex nihilo unmissverständlich distanziert hat, kann er den Gedanken des zwanglosen, überredenden Wirkens Gottes in der Schöpfung ausdrücklich stark machen: „Wenn einmal die Geschöpfe ins Dasein gerufen sind, dann respektiert der Gott der Bibel ihre Selbständigkeit in einer Weise, die der von Whitehead gegebenen Beschreibung weitgehend analog ist.“ 206 Vgl. v. a. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 60–63 und 87–96; ferner ders., Gott und die Natur, 16f; sowie ders., Das Glaubensbekenntnis ausgelegt und verantwortet vor den Fragen der Gegenwart, 38 – hier hält Pannenberg fest, dass gerade „die Erfahrung, dass immer wieder unvorhersehbar Überraschendes geschieht, die Israeliten zur Erkenntnis der Allmacht ihres Gottes“ führte und dass dieser biblisch bezeugte Gott eben nicht allein „der Ursprung der vorhandenen Ordnung der Dinge“ sei, sondern auch „jede denkbare und sogar jede unser Denkvermögen übersteigende Änderung der vorhandenen Ordnung“ herbeiführen könne. Pannenberg will im Blick auf die Wunderfrage ausdrücklich nicht von einer „Durchbrechung der Naturgesetze“ sprechen. Diese Definition des Wunders ist nach Pannenberg in einer naturwissenschaftlich überholten Sicht der Welt als „geschlossenes System“ verhaftet und führt im Raum der Theologie zu einem Ausschluss Gottes aus dem lückenlosen Kausalzusammenhang der Weltereignisse oder zur Vorstellung, Gottes Wirken könne nur in den „Erklärungslücken“ dieses Zusammenhangs noch Platz finden. Demgegenüber macht Pannenberg auf die Offenheit des Weltsystems aufmerksam und versucht mit seiner feldtheoretischen Erklärung des Wirkens Gottes auch als „Wunder“ bezeichnete Ereignisse zu plausibilisieren.

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gegen Barth und mit Brunner und Moltmann als schöpfungsrelativen Begriff, welcher Gott nicht an sich, sondern erst im Verhältnis zur Welt zukommt. Zumindest die erstgenannte Uneinigkeit ist allerdings eher in einer begrifflichen Unklarheit als in einer sachlichen Differenz begründet. Trotz ihrer Beteuerungen, den Allmachtsbegriff am biblischen Zeugnis und v. a. am Vorbild Jesu neu bestimmen zu wollen, sind Brunner und Moltmann im Zuge ihrer Ausführungen geneigt, „Macht“ im Sinne der Beherrschung eines anderen zu verstehen – darum tritt die Macht (und Freiheit) Gottes bei ihnen in Konkurrenz zur Macht (und Freiheit) der Geschöpfe, so dass sich ein allmächtiger Gott allererst zurückziehen muss, um der Selbständigkeit der Geschöpfe Platz zu machen, und darum können sie Gott auch nicht als die „alles bestimmende Macht“ anerkennen, da neben einer solchen (nach ihrem Verständnis) gar kein Raum für eine Schöpfung bliebe.207 Barth und Pannenberg dagegen versuchen sich stärker an ihre Näherbestimmung der Allmacht Gottes als der Macht seiner Liebe zu halten, in welcher Gott die gesamte Wirklichkeit hervorbringt und durchdringt. In diesem Sinne könnte Gott aber auch von Brunner und Moltmann als die „alles bestimmende Macht“ bekannt werden, da ein solches Bestimmt-Sein gerade keine Überwältigung oder Determinierung der Geschöpfe, sondern deren göttliche Beeinflussung im Modus der Liebe bedeutet.208 Undurchsichtig bleibt, warum Pannenberg dann nicht zusammen mit Barth von der Allmacht Gottes auch unabhängig von der Schöpfung sprechen will,209 sondern vielmehr übereinstimmend mit Brunner und Moltmann behauptet, Gott könne „nur als der Schöpfer“ allmächtig sein.210 Ist die Allmacht Gottes einmal vom Gedanken der Beherrschung und Vereinnahmung gelöst und stattdessen als Funktion der Liebe Gottes ausgewiesen, steht doch eigentlich der Weg offen, auch von der Allmacht

207 So explizit und in Kritik an Bultmanns Rede vom „Allmächtigen“ als der „alles bestimmenden Wirklichkeit“: Moltmann, Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, 52; und implizit Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 265f. 208 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 449f. Zur fraglichen Konsistenz Barths in der Entfaltung seines Allmachtsbegriffs vgl. Anm. 179. 209 Barth verteidigt die Rede von der Allmacht Gottes ad intra in Barth, KD II/1, 593f. 210 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 450 – darum, erklärt Pannenberg weiter, sei „in den biblischen Schriften die Aussage der Allmacht Gottes durchgängig mit dem Hinweis auf sein Schöpfungshandeln verbunden“. Vgl. Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 267: Die biblische Rede von der Allmacht Gottes bezieht Brunner hier „auf das Verhältnis Gottes zum Geschaffenen; sie sagt aus, dass Gott ‚über alles‘ Macht hat. Darum eben ist es ein Eigenschafts-, kein Wesensbegriff. Gott ist nicht an sich der Allmächtige – eine solche Aussage ist für biblisches Denken überhaupt sinnlos, da das Machthaben Gottes […] immer ein Machthaben über etwas ist.“ Sowie Moltmann, Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, 54: „Macht ist ein relationaler Begriff und verbindet ein herrschendes Subjekt mit einem beherrschten Objekt.“

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Gottes ad intra zu sprechen – zumal nicht nur Barth, sondern auch und gerade Pannenberg die trinitätstheologischen Denkvoraussetzungen dazu liefert.211

4.3.5 Die Allwissenheit Gottes Deutlich weniger Aufmerksamkeit erhält in neueren deutschsprachigen Entwürfen die Eigenschaft der Allwissenheit Gottes. Es darf in biblisch-theologischer und systematischer Hinsicht als eines der großen Verdienste des Offenen Theismus festgehalten werden, die Auseinandersetzung mit diesem Gottesattribut zumal im englischsprachigen Diskurs neu entfacht und dessen Bedeutung für die Vorsehungslehre, die Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Zeit sowie die Begründung der christlichen Hoffnung neu in Erinnerung gebracht zu haben. Trotzdem finden sich auch bei den bisher untersuchten deutschsprachigen Theologen durchaus Überlegungen zur Allwissenheit Gottes, welche die Denkrichtung des Offenen Theismus vorwegnehmen oder sich mit der offen-theistischen Neubestimmung der omniscientia dei sogar an entscheidenden Stellen berühren. Auffallend ist hierbei zunächst, dass sowohl Barth als auch Brunner die Allwissenheit Gottes unter der Überschrift der Weisheit Gottes verhandeln. Entgegen der etwa in der lutherischen Orthodoxie festgestellten Tendenz, die Weisheit Gottes einfach im Begriff der Allwissenheit aufgehen zu lassen, macht sich Barth für den Mehrwert der Weisheit gegenüber dem Wissen Gottes stark: Weisheit ist nach Barth „der Sinn und die Vernunft der Liebe Gottes“ und als solche kein bloßes Moment der Allwissenheit, sondern umgekehrt der Deutungsrahmen für ein angemessenes Verständnis der Allwissenheit.212 Noch ausdrücklicher kann Brunner herausstellen, dass nicht das „‚objektive‘ Alles-wissen“ eigentlicher Gegenstand des Bekenntnisses zum allwissenden Gott sei – dieser „neutrale“ Aspekt stehe nicht im Mittelpunkt des biblischen Blickfeldes, sondern an der Peripherie.213 Zentral für einen offenbarungstheologisch hergeleiteten Begriff der Allwissenheit Gottes ist nach Brunner vielmehr der in der Glaubensgeschichte Israels und der Gemeinde vielfach bezeugte Gebrauch der umfassenden Welterkenntnis Gottes zugunsten des Menschen: „Gottes Wissen 211 In den auf die Reflexion des Allmachtsbegriffs folgenden Ausführungen zur „Liebe und Trinität“ Gottes bestimmt Pannenberg dann „die Liebe als die Macht, die sich in den Beziehungen der trinitarischen Personen zueinander manifestiert“ (461). Diese Macht der Liebe, die das andere „sein lässt“, ist also innertrinitarisch immer schon wirksam, und sie wird in der Erschaffung der Welt auch außertrinitarisch verwirklicht (vgl. hierzu auch Bauke-Ruegg, Die Allmacht Gottes, 238–242). 212 Barth, KD II/1, 480 (Hervorhebung im Original). 213 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 282.

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ist nicht ein objektiv-unbeteiligtes, sondern ein ‚interessiertes‘. […] Sein Wissen ist der Ausdruck seiner Anteilnahme, seiner Fürsorge, seiner Planung und seiner Liebe.“214 Auch die spärlichen Bemerkungen Pannenbergs zur Allwissenheit Gottes bestimmen dieses Attribut als eine dem Menschen liebevoll zugewandte Qualität – als „sein ‚Wissen‘ um unsere Bedürfnisse (Mt 6,32), sein ‚Gedenken‘ (Ps 98,3; Lk 1,54; vgl. 1,72)“, welches zum „Trost des Frommen“ wird – wenn er die Allwissenheit auch nicht im Horizont der Weisheit, sondern als Ausdruck der „Geistigkeit“ Gottes zur Sprache bringt.215 Weisen die Ausführungen der bisher genannten Systematiker zur Allwissenheit Gottes bereits in Richtung der vom Offenen Theismus vorgenommenen Näherbestimmung dieses Attributs als Gottes unübertreffliche Weisheit inmitten der Unvorhersehbarkeiten der Geschichte, so stimmt Moltmanns Auffassung auch und gerade hier mit dem Offenen Theismus am weitgehendsten überein. Spätestens in seiner allgemeinverständlich gehaltenen Studie zur Gotteslehre und Spiritualität Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens (2014) bekennt er sich nicht nur ausdrücklich zur Geschichtlichkeit Gottes und zur Offenheit der Zukunft, sondern reflektiert diese Überzeugungen auch im Blick auf den „Inhalt“ des Wissens Gottes.216 Unter erneutem Rekurs auf die Idee von der Selbstbegrenzung Gottes weist Moltmann die Behauptung zurück, Gott müsse „alles wissen und voraussehen“, weil er ja die „alles bestimmende Wirklichkeit“ sei, und betont stattdessen die Bereitschaft Gottes, seinen Geschöpfen „Unbestimmtheit und Freiheit“ zuzugestehen: „Der lebendige Gott weiß nicht alles im Voraus“, notiert er unumwunden, „weil er nicht alles im Voraus wissen will, sondern auf die Antworten seiner Geschöpfe wartet und ihnen dafür Zeit lässt.“217 Gott bringt nach Moltmann also nicht nur die Wirklichkeit dieser Welt hervor, sondern ist auch „die Quelle ihrer unabsehbaren Möglichkeiten“.218 Weil er aber die Verwirklichung dieser Möglichkeiten nicht im Voraus kennt, macht Moltmann deutlich, ist er auch an deren Missbrauch nicht schuldig – eine Argumentation, in der wiederum die Theodizeeproblematik als tragendes Motiv aufscheint.219 Moltmanns augenfällige Übereinstimmung mit dem Offenen 214 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 282; vgl. auch die Näherbestimmung der Weisheit als „Erfindungsreichtum“ Gottes, welche an die Rede des Offenen Theismus von der „resourcefulness“ Gottes erinnert: ebd., 307. 215 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 411; die Eigenschaft der Weisheit Gottes behandelt Pannenberg ebd., 475–477. 216 Moltmann, Der lebendige Gott, 59f; vgl. zur Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Zeit auch ebd., 34–43. 217 Moltmann, Der lebendige Gott, 59. 218 Moltmann, Der lebendige Gott, 59. 219 Moltmann, Der lebendige Gott, 59; Moltmann macht explizit darauf aufmerksam, dass die traditionelle, „klassische“ Sicht der Allwissenheit Gottes den Menschen entmündigt und Gott mit der Verantwortung für das geschöpfliche Leid belastet.

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Theismus in der Vorstellung der Allwissenheit Gottes kommt zweifellos dadurch zustande, dass er mit dem Offenen Theismus nicht nur im Anliegen der biblischtheologischen Rückbindung dieses Attributs einig geht, sondern auch philosophisch-theologisch das Verhältnis Gottes zur Geschichte seiner Schöpfung ähnlich, nämlich temporalistisch, bestimmt. Dagegen scheinen Barth, Brunner und letztlich auch Pannenberg Spielarten des Sempiternalismus oder des Eternalismus zu vertreten.220

4.3.6 Die Zentralität der Liebe Gottes Es ist angesichts der bisherigen Ausführungen wenig überraschend, dass sowohl Barth und Brunner wie auch Moltmann und Pannenberg die für den Offenen Theismus besonders relevanten Attribute der Allmacht, Allwissenheit und Unveränderlichkeit Gottes nicht allein von der biblischen Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte seines Volkes und seines Sohnes her neu bestimmen und sie eben so als Eigenschaften im tätigen Einsatz für den Menschen ausweisen, sondern dass sie diese wie überhaupt sämtliche Eigenschaften Gottes übereinstimmend mit dem Offenen Theismus als Momente oder Manifestationen der Liebe Gottes qualifizieren. Die Orientierung und Organisation der Eigenschaftslehre am Zentralmotiv der Liebe Gottes erfolgt in den genannten Entwürfen auf je eigene Weise, aber allen ist die Überzeugung gemein, dass die Einheit des vielfältigen geschichtlichen Handelns Gottes und der daraus erschlossenen Bandbreite an göttlichen Eigenschaften in ebendiesem Motiv gefunden wird. Den nicht nur ausführlichsten, sondern auch kunstvollsten Entwurf legt in dieser Hinsicht zweifellos Karl Barth vor. Der Basler Theologe ordnet die Eigenschaften Gottes (er spricht bekanntlich von Gottes „Vollkommenheiten“) in zwei Reihen an, in welchen sich wiederum je drei Eigenschaftspaare gegenüberstehen. Die gesamte Darstellung ist dabei formatiert durch die Dialektik von Liebe und Freiheit bzw. durch die Bestimmung Gottes als des „in Freiheit Liebenden“.221 In der den einleitenden Paragraphen (§29) zusammenfassenden 220 Vgl. zur Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit bei Moltmann etwa Moltmann, Der lebendige Gott, 34–43; im Blick auf Pannenbergs Zeitbegriff v. a. Kiauka, Zeit und Theologie; sowie für Moltmann und Pannenberg: Jelonek, Zeit als eschatologische Größe, 247–330; und schließlich für Pannenberg und Barth: Remenyi, Auferstehung denken, 649–685. Auch als Ergebnis der genannten systematisch-zeittheoretischen Untersuchungen ist festzuhalten, dass sich die diskutierten dogmatischen Entwürfe einer eindeutigen Zuordnung zu einem bestimmten religionsphilosophischen Modell von Zeit und Ewigkeit (zu nennen wären klassischerweise: Eternalismus, Sempiternalismus, Temporalismus und Präsentismus) widersetzen. 221 Barth, KD II/1, 362.

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These formuliert Barth programmatisch: „Gott lebt sein vollkommenes Wesen in der Fülle vieler, einzelner und unterschiedener Vollkommenheiten, deren jede für sich und mit allen andern zusammen darin vollkommen ist, daß sie, sei es als eine Gestalt der Liebe, in der Gott frei ist, sei es als eine Gestalt der Freiheit, in der Gott liebt, nichts anderes als Gott selber, sein eines, einfaches, ihm eigenes Wesen ist.“222 Konkret entfaltet Barth zunächst sechs „Vollkommenheiten des göttlichen Liebens“ – darunter fallen die Paare Gnade und Heiligkeit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sowie Geduld und Weisheit –, um dann die sechs „Vollkommenheiten der göttlichen Freiheit“ auszuführen; hier sind die Paare Einheit und Allgegenwart, Beständigkeit und Allmacht sowie Ewigkeit und Herrlichkeit untergebracht.223 Weitere klassische Attribute wie etwa die bereits referierte Allwissenheit und Unveränderlichkeit Gottes werden von Barth innerhalb dieser zwölf „Vollkommenheiten“ verhandelt.224 Bei näherem Hinsehen erinnert die Architektur der Barth’schen Eigenschaftslehre an ein Fraktalgebilde mit ineinander verschlungenen Selbstähnlichkeiten, da sich die Symmetrie von Liebe und Freiheit nicht nur auf der Makroebene, im Gegenüber zweier Eigenschaftsreihen, sondern auch auf der Ebene der je drei Eigenschaftspaare und zuweilen sogar in der Entfaltung einzelner Eigenschaften noch einmal abbildet.225 Mit dieser mehrschichtigen Verschränkung göttlicher Freiheit und göttlicher Liebe scheint Barth verhindern zu wollen, was ihm später doch von verschiedener Seite vorgeworfen wurde – nämlich dass er entweder die Liebe Gottes auf Kosten seiner Freiheit betone, oder umgekehrt, dass er letztlich der

222 Barth, KD II/1, 362; unmittelbar fährt Barth sodann fort mit der Fundamentalaussage: „Gottes Wesen ist dies: der in Freiheit Liebende zu sein.“ Vgl. auch ders., KD II/1, 393. 223 Zur Analyse des Aufbaus der Barth’schen Eigenschaftslehre vgl. v. a. Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 93f; und Price, Letters of the Divine Word, 49–54 und 99– 103. 224 Vgl. Robert B. Price: Letters of the Divine Word, 100 – Price merkt an, dass Barths Auswahl von zweimal sechs Attributen doch „fairly complete“ sei, da er innerhalb dieser Eigenschaftsreihen „various subordinate concepts“ mitverhandle. Er konstatiert darum: „Little is missing from what one might find in more comprehensive lists of attributes.“ 225 Vgl. Jenson, God After God, 135 – Jenson vergleicht den Aufbau der Barth’schen Eigenschaftslehre mit einem Renaissancegebäude, in dessen Konstruktion sich bestimmte Muster wiederholen; ebenso Price, Letters of the Divine Word, 50. Im Blick auf die unter den „Vollkommenheiten des göttlichen Liebens“ beschriebenen Eigenschaftspaare hält Price hier fest, dass zwar immer beide Attribute Aspekte der Liebe Gottes beschreiben, dass aber das jeweils zweitgenannte zugleich einen Aspekt der göttlichen Freiheit zur Sprache bringt (vgl. zu dieser Organisation der Attribute auch Barth, KD II/1, 496) – Gleiches gilt umgekehrt für die „Vollkommenheiten der göttlichen Freiheit“. Darüber hinaus kann Barth auch auf der Mikroebene einzelner Attribute noch einmal zwischen der Freiheit und der Liebe Gottes zugewandten Aspekten unterscheiden – vgl. Price, Letters of the Divine Word, 50; vgl. außerdem den aufschlussreichen Versuch einer grafischen Darstellung der Struktur der Barth’schen Eigenschaftslehre in Mühling, Gott ist Liebe, 104f.

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Freiheit Gottes den Vorzug gebe und ihr die Liebe Gottes unterordne.226 Nach Barths eigener Absicht bezeichnet das strukturelle Gegenüber von Liebe und Freiheit in seiner Eigenschaftslehre allerdings ausdrücklich kein Verhältnis der Konkurrenz, sondern der wechselseitigen Bekräftigung und Vollendung: Es handle sich um eine „völlige Reziprozität“ im Wesen Gottes, macht Barth deutlich, im Zuge derer die Freiheit und Liebe Gottes sich nicht einschränken oder widersprechen und auch nicht bloß ergänzen, sondern vielmehr gegenseitig verstärken und erfüllen.227 Jan Stefan jedenfalls hält den Versuch, die Eigenschaften Gottes am offenbarungsgeschichtlichen Handeln Gottes abzulesen und in der Dynamik des freiheitlich liebenden Seins Gottes zu verorten, für wegweisend, und er würdigt es als den „wichtigsten Beitrag der Vollkommenheitslehre Barths für die evangelische Dogmatik des 20. Jahrhunderts“, dass Barth es gewagt habe, die Eigenschaften Gottes wieder als „Eigenschaften seines Wesens“ und „seiner Liebe, die sein Wesen ist“, zu denken.228 Natürlich ist auch abgesehen davon, ob es Barth gelungen ist, das Sein Gottes in Liebe mit dem Sein Gottes in Freiheit zu vermitteln und also das dynamische Ineinander und Miteinander von Liebe und Freiheit zu wahren, die Frage legitim, ob denn ein solches polares Konstruktionsprinzip, welches nicht nur die Freiheit Gottes von der Liebe Gottes her bestimmt sein lässt, sondern auch die Liebe Gottes von der Freiheit Gottes her, der biblischen Selbstoffenbarung Gottes überhaupt entspricht – oder ob der Liebe Gottes besonders im Namen des neutestamentlichen Zeugnisses nicht vielmehr der ausdrückliche Vorrang vor 226 Vgl. Price, Letters of the Divine Word, 10, der im Blick auf die Rezeption der Eigenschaftslehre Barths feststellt: „[T]here is a lingering temptation to isolate the divine loving and the divine freedom from each other and then to privilege one or the other in Barth’s thought“; sowie Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 93f; vgl. ferner Gockel/ Holloway, God’s Essential Will to Love, 184–199. Gockel und Holloway reagieren hier auf die spezifische Kritik des Offenen Theisten Thomas Oord an der Gotteslehre Barths, namentlich an Barths Betonung der Freiheit der Liebe Gottes. Nach Oord ist damit zumal die Liebe Gottes zur Welt als nicht notwendig und also als willkürlich ausgewiesen – ein Einwand, den die Autoren erfolgreich entkräften. 227 Barth, KD II/1, 386; vgl. Price, Letters of the Divine Word, 44f – Price widerspricht hier der Einschätzung von Wolf Krötke und Christopher Holmes, Barth habe mit dem Gegenüber von Liebe und Freiheit in seiner Eigenschaftslehre der Verabsolutierung der Liebe Gottes wehren und ihr gewissermaßen ein einschränkendes Gegenüber geben wollen (vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 28 sowie 81, Anm. 133; Holmes, Revisiting the Doctrine of the Divine Attributes, 223f). Krötke und Holmes verkennen laut Price, „that Barth does not conceive […] of God’s love and freedom, as in any sort of competitive relationship“ (ebd.). Jan Stefan richtet dieselbe Kritik an Wilfried Härle, welcher in Barths Hinzufügung der Freiheit zur Liebe Gottes „eine Art Gegenwehr gegen die in der ‚uneingeschränkte[n] Gleichsetzung Gottes mit Liebe‘“ drohende „Engführung und damit Verfehlung des Wesens Gottes“ gesehen habe: Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 104f, Anm. 51 (die von Stefan zitierten Stellen stammen aus Härle, Dogmatik, 247). 228 Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 104.

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allen anderen Attributen, Wesenszügen und Seinsaspekten Gottes sowie das konkurrenzlose Recht, diese zu bestimmen, zukommt.229 In diesem Sinne ist dann wohl Emil Brunners Eigenschaftslehre zu lesen. Brunner setzt zwar nicht bei der göttlichen Liebe, sondern bei der Selbstoffenbarung Gottes als des „Herrn“ ein:230 In diesem Begriff sieht er das personale Subjektsein Gottes verdichtet, das den Menschen „unbedingt in Anspruch nimmt“231 – eine Vorstellung, die Brunner sogleich mit der Heiligkeit Gottes verbindet,232 in welcher Gott, der Herr, von seinen Geschöpfen anerkannt werden will.233 Diese beiden Näherbestimmungen leiten für Brunner aber nur hin zur ultimativen Selbsterschließung Gottes als Liebe – denn erst hier „zielen wir auf die Mitte der neutestamentlichen, der christlichen Verkündigung“.234 Gott ist der Herr seiner Schöpfung und der Heilige seines Volkes, gerade weil und indem er die Liebe selbst ist.235 Die Aussage, „dass Gott Liebe sei“, ist nach Brunner nicht nur ein „völliges Novum“ in der Religionsgeschichte, sondern überhaupt der „kühnste[…] Satz“, „der je in menschlicher Sprache ausgesprochen“ wurde, und eben so „das beherrschende, das eigentliche Thema der Offenbarungsverkündigung“.236 Möglich wird die Identifikation Gottes mit der Liebe nur durch das neutestamentliche Zeugnis von Jesus Christus, wie Brunner herausstellt. Die Sendung und Hingabe des Sohnes legt die Liebe Gottes als den „Sinn der ganzen göttlichen Offenbarung“ frei und macht deutlich, dass es sich bei ihr nicht um eine Eigenschaft Gottes, sondern um 229 Heinzpeter Hempelmann argumentiert in seiner Untersuchung zum Barth’schen Begriff der „unaufhebbaren Subjektivität Gottes“ in diese Richtung – vgl. Hempelmann, Unaufhebbare Subjektivität Gottes, 140: „Unabhängig von der Frage, ob in seinem Ansatz eher der Liebe oder eher der Freiheit Priorität zukommt, ist aber festzustellen, dass das Spezifikum dieser Gotteslehre – gegenüber dem Neuen Testament – darin besteht, dass überhaupt ein Ausgleich gesucht wird.“ 230 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 140–157. 231 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 146. 232 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 161–182. 233 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 166. 234 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 189 (zum Ganzen: 189–213). Brunner scheint die Offenbarung Gottes in den biblischen Schriften im Sinne einer progressiven Selbsterschließung zu verstehen, im Zuge derer das Wesen Gottes als Liebe immer klarer vor Augen tritt – vgl. etwa Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 170, wo Brunner zunächst klarstellt, dass „in der Heiligkeit Gottes die Selbstmitteilung begründet“ sei, „die sich in der Liebe vollendet“, um dann anzumerken (ebd., Anm. 31), dass der Prophet Hosea „der erste“ gewesen sei, „der Heiligkeit und Liebe Gottes in eins schaute“. Vgl. ebd., 189: „Wie im Alten Testament die Heiligkeit, so ist im Neuen Testament die Liebe Gottes das, worum sich alles dreht. Es geht um die Liebe des heiligen Gottes; darum ist die Erkenntnis der Heiligkeit nicht nur geschichtlich, sondern sachlich das erste; aber es geht um die Heiligkeit des Gottes, der die Liebe ist, darum vollendet sich die Erkenntnis der Heiligkeit Gottes in der Erkenntnis seiner Liebe“ (Hervorhebung im Original). 235 Vgl. Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 192: „Liebe ist das Sichselbstschenken Gottes, Liebe ist die frei schenkende Gnade dessen, der der heilige Herr ist“ (Hervorhebung M.S.). 236 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 191.

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seine schlechthinnige Wesensbestimmung handelt.237 In diesem Sinne entfaltet Brunner – nachdem er die biblische Gottesrede auch trinitarisch zugespitzt hat238 – die klassischen Eigenschaften Gottes als Aussagen über das Sein Gottes „in Bezug auf die von ihm geschaffene Welt“.239 Im Einzelnen kommt die Allmacht Gottes, dann seine Allgegenwart und Allwissenheit, seine Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Treue und Gerechtigkeit sowie schließlich seine Weisheit und Herrlichkeit zur Sprache.240 Brunner versucht dabei im Zuge seiner Darstellung immer der Einsicht gerecht zu werden, dass alle Attribute Gottes am geschichtlichen Handeln jenes Gottes ersichtlich werden, der Liebe ist.241 Gerade diese sowohl für Brunner wie für Barth entscheidende Bindung der Eigenschaftslehre an das biblisch bezeugte Handeln Gottes am Menschen ist auch für Wolfhart Pannenbergs Ansatz charakteristisch – auch er sieht in diesem vielfältigen Handeln Gottes und den daran ablesbaren Eigenschaften Gottes jene Liebe aufleuchten, die Gottes Wesen selbst ausmacht.242 In der Durchführung erinnert seine Eigenschaftslehre dann zunächst mehr an Barths Entwurf, insofern Pannenberg die verschiedenen Gottesattribute in zwei Reihen entfaltet, so dass die Eigenschaften der Liebe Gottes (orientiert an 1. Joh 4,8: „Gott ist Liebe“) auf die Eigenschaften der Unendlichkeit Gottes (orientiert an Joh 4,24: „Gott ist Geist“) folgen.243 Unter den Unendlichkeitsattributen findet sich die Heiligkeit, Ewigkeit, Allgegenwart und Allmacht Gottes – die drei Letztgenannten werden von Barth als „Vollkommenheiten der göttlichen 237 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 191. Brunner sagt ausdrücklich: „Damit ist gesagt, dass Liebe nicht eine Eigenschaft Gottes ist; Gott teilt nicht mit anderen die Eigenschaft, lieb zu sein. Vielmehr ist die Liebe – nämlich die Liebe, von der die Bibel spricht – das Wesen Gottes“ (ebd., Hervorhebung im Original). 238 Vgl. Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 213–255. 239 Vgl. Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 263. An dieser Stelle wird auch deutlich, dass Brunner die Rede von Gott als dem „Herrn“ und als dem „Heiligen“ seiner eigentlichen Eigenschaftslehre vorordnet, weil er diese Prädikationen zusammen mit der Bestimmung Gottes als „Liebe“ zur Wesensbestimmung Gottes an sich rechnet, während die später verhandelten Eigenschaften Gottes zwar alle „auf Gottes Wesen zurück[weisen]“, dieses Wesen aber „in Hinsicht auf je einen bestimmten Aspekt der geschaffenen Welt zum Ausdruck“ bringen und Gott also nicht „an sich“ zukommen (ebd., 263f). 240 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 226–322. 241 Vgl. etwa zur Allmacht Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 272; zur Allgegenwart ebd., 278; zur Allwissenheit ebd., 282. 242 Vgl. v. a. die der Eigenschaftslehre vorangestellten Reflexionen zum Handlungsbegriff als Zugangsschlüssel für eine theologische Eigenschaftslehre: Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 389–426. 243 Vgl. zur Erklärung der Struktur der Eigenschaftslehre: Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 328f. Hier wird auch deutlich, dass der Geistbegriff für Pannenberg den Begriff der Unendlichkeit einschließt. Die Aufteilung der Eigenschaften Gottes in zwei Reihen oder Kategorien ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der genannten Entwürfe, sondern zieht sich durch die ganze Geschichte der Lehre von den Eigenschaften Gottes – vgl. hierzu Krötke, Gottes Klarheiten, 97 sowie 49f.

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Freiheit“ referiert – und unter den Liebesattributen sind (u. a.) die Güte, Gnade, Gerechtigkeit, Treue, Weisheit und Geduld verhandelt – auch hier sind die Übereinstimmungen mit den Barth’schen „Vollkommenheiten des göttlichen Liebens“ augenfällig. Im Unterschied zu Barth besteht zwischen diesen Eigenschaftsreihen bei Pannenberg allerdings kein symmetrisches Verhältnis, auch keine Beziehung der „völligen Reziprozität“, sondern vielmehr der Inklusion und Konkretion:244 Die Eigenschaften der Unendlichkeit Gottes leiten sich aus einer philosophischen Gotteslehre ab: Sie entsprechen den „Minimalbedingungen“ konsistenter Gottesrede und bilden einen allgemeinen Vorbegriff von „Gott überhaupt“,245 während die zweite Eigenschaftsreihe, abgeleitet aus der biblischen Selbstoffenbarung, die Liebe Gottes „nach verschiedenen Seiten ihrer Wirksamkeit“ beschreibt und gerade so die Eigenschaften der Unendlichkeit erst konkretisiert und theologisch ausfüllt.246 Sämtliche Eigenschaften Gottes sind nach Pannenberg damit entweder selbst „Erscheinungsformen der Liebe Gottes“, oder aber – im Falle der Eigenschaften der Unendlichkeit Gottes – sie können nur so „in ihrem wahren Sinn erfasst“ werden, „dass ihre konkrete Manifestation im Walten der göttlichen Liebe aufgehoben“ ist.247 Die Liebe fungiert mit anderen Worten auch bei Pannenberg durchaus als „Totalbestimmung Gottes“,248 und er betont, dass die Einheit Gottes ihre konkrete Gestalt „erst im Wirken der göttlichen Liebe“ gewinnt.249 Dass dies auch für die Theologie Jürgen Moltmanns gilt, ergibt sich aus den bisherigen Ausführungen nahezu selbstverständlich. Es erinnert an Brunners Rede von einem religionsgeschichtlichen „Novum“, wenn Moltmann in seiner bahnbrechenden Schrift Der gekreuzigte Gott (1972) festhält, dass die neutestamentliche Formel „Gott ist Liebe“ „allen metaphysisch und weltgeschichtlich 244 Vgl. hierzu auch Mühling, Gott ist Liebe, 226–230. 245 Vgl. Anm. 157 und die entsprechenden Ausführungen im Abschnitt „Zur biblischen Rückbesinnung in einigen neueren deutschsprachigen Entwürfen“ sowie Mühling, Gott ist Liebe, 226–230; Krötke, Gottes Klarheiten, 97. 246 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 466; Pannenberg macht deutlich, dass die Unendlichkeit Gottes in ihren verschiedenen Eigenschaften ihre „konkrete Inhaltsbestimmung in der göttlichen Liebe“ findet, während die Eigenschaften der „Güte, Barmherzigkeit, Gnade und Huld“ sowie der „Gerechtigkeit und Treue, Weisheit und Geduld Gottes“ nicht über den Gedanken der göttlichen Liebe hinausführten, sondern ihn lediglich in verschiedenen Aspekten ausleuchten (ebd.). 247 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 480. 248 Diesen Ausdruck verwendet Markus Mühling zur Charakterisierung der Gotteslehre Pannenbergs: Mühling, Gott ist Liebe, 213. 249 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 480 – vgl. ebd., 482: „Indem die Liebe die konkrete Gestalt der göttlichen Einheit in ihrem Weltverhältnis realisiert, stellt sie sich zugleich als Aufhebung der Vielheit der göttlichen Eigenschaften in die Einheit des göttlichen Liebens dar.“ Vgl. ferner Schulz, Sein und Trinität, 499–502, der für Pannenbergs Eigenschaftslehre festhält: „Die Mannigfaltigkeit der göttlichen Attribute sind Momente der Lebensfülle der göttlichen Liebe“ (ebd., 500).

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möglichen Gottesideen“ widerspreche.250 Moltmanns theologisches Schaffen findet dann sein kreatives Zentrum im Gedanken der „leidenden Liebe“, welche das trinitarische Sein Gottes konstituiert und sich im Kreuzesgeschehen als revolutionäre Selbsterschließung Gottes realisiert.251 „Die Theologie der göttlichen Passion gründet in dem biblischen Grundsatz: ‚Gott ist Liebe‘“, gibt der Tübinger Systematiker programmatisch zu verstehen.252 Zwar bietet seine theologische Gotteslehre unter dem Titel Trinität und Reich Gottes (1980) keine Entfaltung einer eigentlichen Eigenschaftslehre, sie führt aber das Bekenntnis zur Liebe als Wesensbestimmung Gottes im Sinne einer trinitätstheologischen Spitzenaussage aus, welche „die ewige[…] Liebesgeschichte zwischen dem Vater und dem Sohn“ unter den Bedingungen der Schöpfung auf den Begriff bringt.253 Spätestens hier drängt sich nun eine letzte Beobachtung auf, die nicht nur im Blick auf Moltmann, sondern zumindest auch auf die Entwürfe von Barth und Pannenberg der Erwähnung bedarf: Gerade an ihren Ausführungen zur Identifikation des Wesens Gottes mit der Liebe wird die christologisch-trinitarische Tiefendimension deutlich, die ihre Eigenschaftslehren durchdringt, wenn diese auch nicht unbedingt in der Entfaltung jedes Gottesattributes explizit gemacht wird. Die Identifikation Gottes mit der Liebe kann nach einhelliger Überzeugung der hier behandelten Systematiker letztlich nur trinitätstheologisch plausibilisiert werden. Von der Bestimmung Gottes als der ewigen Liebesgemeinschaft der trinitarischen Personen her erschließt sich ihnen auch ein erneuertes Verständnis der Attribute Gottes.254 Der biblische Gott, der sich in seinem geschichtlichen Handeln an Israel und in Jesus Christus als der „eigenschaftsrei250 Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 180; vgl. Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 191. 251 Vgl. hierzu v. a. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 184–267; ders., Trinität und Reich Gottes, 36–76. 252 Moltmann, Trinität und Reich Gottes, 72. 253 Moltmann, Trinität und Reich Gottes, 74 – vgl. ebd., 75, wo Moltmann die Geschichte der Schöpfung als „Tragödie der göttlichen Liebe“ bezeichnet; sowie ders., Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, 145. 254 Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 82–103 – Krötke merkt kritisch an, „dass in den meisten Konzeptionen einer trinitarischen Gotteslehre, die auf der Grundbestimmung des Wesens Gottes als Liebe beruhen, zur Problematik der Lehre von den Eigenschaften Gottes vom spezifisch Trinitarischen her gar kein zwingender Zusammenhang hergestellt“ werde (ebd., 83, Hervorhebungen im Original). Es gehört zu den Grundanliegen von Robert B. Prices Nachzeichnung der Vollkommenheitslehre Barths, diesen Vorwurf zumal für den Basler Systematiker zu entkräften und den durchgängigen trinitätstheologischen Horizont seiner Entfaltung der Gottesattribute aufzuweisen – vgl. Price, Letters of the Divine Word, 12: „Barth has in no way reverted to a non-trinitarian concept of the divine essence, but both presupposes the trinity of God’s essence and further expounds its implications.“ Price verweist auf den schon in KD I/1, 329 geäußerten Grundsatz Barths, man könne „in einer Dogmatik der christlichen Kirche vom Wesen und von den Eigenschaften Gottes nicht recht reden“, wenn nicht längst vorausgesetzt sei: „[E]s ist Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist, von dem da die Rede ist.“

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che“ Gott erweist,255 ist eben der in der liebenden Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist lebendige Gott – oder umgekehrt: Es ist das im Vollzug der trinitarischen Beziehungen und also in der tätigen Liebe ad intra konstituierte Wesen Gottes, das sich nun auch ad extra, in Beziehung zur Schöpfung und besonders in der Geschichte mit dem Menschen manifestiert – Barth und Pannenberg können von einer „Selbstwiederholung“ der ewigen Gottheit im Verhältnis zur Welt sprechen256 – und das die am biblischen Zeugnis abzulesenden vielfältigen Eigenschaften Gottes vereint. Exemplarisch für sämtliche Gottesattribute kann Pannenberg von der Allmacht und Allgegenwart Gottes festhalten, dass sich die mit diesen Begriffen verbundene Problematik „erst durch ihre trinitarische Interpretation und also durch ihre Auffassung als Ausdruck der Liebe Gottes löst“.257 Dabei ist für Pannenberg klar, dass Gott nur vom Christusereignis her überhaupt als ein Gott der liebenden Gemeinschaft dreier Personen einsichtig wird: Eine Überzeugung, die auch für Barths Theologie grundlegend ist und dann in äußerster Konsequenz und Zuspitzung bei Moltmann begegnet – er interpretiert das Kreuzesgeschehen als das Ereignis, das das trinitarische Sein Gottes konstituiert und infolgedessen die Differenzierung von ökonomischer und immanenter Trinität kollabieren lässt.258 Brunners Entwurf schert in dieser Hinsicht freilich aus. Er stellt seiner Eigenschaftslehre zwar ein ausführliches Kapitel zum „dreieinigen Gott“ voran und betont hier die Rolle des biblischen Zeugnisses von Jesus Christus als verbindliche Mitte einer trinitarischen Gotteslehre.259 Diesen Grundsatz sieht Brunner aber schon durch die (in seinem 255 Mit diesem Begriff gibt Jan Stefan eine Grundüberzeugung der Barth’schen Lehre von den „Vollkommenheiten Gottes“ wieder, er lässt sich aber auch auf die Entwürfe von Brunner, Pannenberg und Moltmann zwanglos anwenden. Vgl. Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 86f. 256 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 422; sowie Barth, KD I/1, 315 sowie KD III/1, 244. 257 Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 480. Vgl. wiederum die kritische Auseinandersetzung Krötkes mit den zeitgenössischen Versuchen, die Eigenschaften Gottes vom trinitarischen Wesen her als „Konkretionen einer Beziehung Gottes auf sich selbst und von daher auf die Welt“ zu verstehen: Krötke, Gottes Klarheiten, 84f. 258 Vgl. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 227f sowie 232f. Seine spätere Rede von einer „Wechselwirkung“ zwischen der immanenten und der ökonomischen Trinität könnte als Differenzierung oder Relativierung der früheren Radikalthese gelesen werden – vgl. etwa Moltmann, Trinität und Reich Gottes, 177f. Vergleichende Studien zur Christologie und Trinitätslehre bei Barth, Pannenberg und Moltmann haben u. a. vorgelegt: Theilemann, Die Frage nach Analogie, natürlicher Theologie und Personenbegriff der Trinitätslehre; Murrmann-Kahl, ‚Mysterium trinitatis‘?; Korthaus, Kreuzestheologie; Molnar, Divine Freedom and the Doctrine of the Immanent Trinity. 259 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 213–254; bes. 236 sowie 215: „Der Ausgangspunkt der Trinitätslehre ist, selbstverständlich, nicht ein spekulativer, sondern das schlichte Glaubenszeugnis des Neuen Testamentes.“

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Urteil) ebenso verbreiteten wie fruchtlosen „metaphysischen Spekulationen“ zum innertrinitarischen Wesen Gottes in Gefahr, weshalb er eine wahrhaft christlich-heilsgeschichtliche Theologie darauf verpflichtet, der „Versuchung des Denkens“ zu widerstehen und auf eine „Lehre vom Verhältnis der trinitarischen Personen“ zu verzichten.260 Trotzdem kann Brunner am Verhältnis Jesu Christi zum Vater zumindest die auch für seine Theologie entscheidende Bestimmung Gottes als Liebe „in sich selbst“ und „vor Grundlegung der Welt“ ablesen.261

4.3.7 Das Klärungspotenzial deutschsprachiger Entwürfe für den Offenen Theismus Weder die bei Barth, Brunner, Pannenberg und Moltmann aufgewiesenen Motive noch die entsprechenden Näherbestimmungen spezifischer Gottesattribute sind exklusive Gemeinsamkeiten ihrer Entwürfe. Vielmehr stehen sie exemplarisch für einflussreiche Entwicklungstendenzen zumal der deutschsprachigen reformatorischen und katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts, für welche auch viele weitere Exponenten genannt werden könnten. Das gilt schon für die Verbreitung der Hellenisierungsthese, weshalb etwa Pannenberg in seinem einschlägigen Essay (1959) feststellen kann, dass die Vorstellung eines verhängnisvollen Einflusses griechischer Philosophie auf die christliche Gotteslehre vor allem in der Dogmatik „noch heute weithin als selbstverständlich“ gelte.262 Auch Wilhem Maas hält in der Einleitung seiner Studie zur Unveränderlichkeit Gottes (1974) unter Anführung zahlreicher Beispiele (aber wohl doch nicht ohne Übertreibung) fest, dass „heute immer wieder global eine ‚Enthellenisierung‘ der Theologie“ gefordert werde.263 Die Untersuchung des Letztgenannten steht gleichsam für die Zurückweisung des Begriffs einer unqualifizierten immutabilitas dei, welcher eben im Zusammenhang mit der Verdächtigung metaphysischer Axiome durch „nahezu alle[…] neueren katholischen und 260 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 240f; vgl. 238: „[E]s ist uns verwehrt, die innertrinitarischen Verhältnisse zum Gegenstand theologischer Reflexion zu machen.“ Die kirchliche Trinitätslehre ist für Brunner entsprechend „nicht biblisches Kerygma“, sondern eine „theologische Schutzlehre für das biblisch-kirchliche Glaubenszentrum“ (ebd., 214; vgl. 240). Vgl. hierzu auch McGrath, Emil Brunner, 234–237. 261 Brunner, Die christliche Lehre von Gott, 242. 262 Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs, 2 – wie im Abschnitt 4.3.1 gezeigt wurde, verhält sich Pannenberg gegenüber einer undifferenzierten Hellenisierungsthese kritisch, wenn er auch den Verhängnischarakter der Verbindung des christlichen mit dem philosophischen Gottesbegriff an verschiedenen Stellen zugesteht. 263 Maas, Unveränderlichkeit Gottes, 15; vgl. Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 176f.

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evangelischen Theologen“ unter Beschuss gerät.264 Ähnliches ließe sich zur Kritik am Begriff absoluter Omnipotenz geltend machen – Jan Bauke-Ruegg hält in seiner umfassenden Arbeit zur Allmacht Gottes jedenfalls fest, dass gerade Barths Angriff auf die Vergottung von „Macht an sich“ und dessen Insistieren auf einen am Zeugnis Jesu Christi geschärften Begriff von Allmacht „eine Art Trendwende“ in der christlichen Gotteslehre markiere und gewissermaßen als „Grundeintrag ins Stammbuch der deutschsprachigen Nachkriegstheologie“ gewertet werden könne.265 Wolf Krötke macht schließlich auf den breiten Konsens gegenwärtiger systematischer Entwürfe im Bekenntnis zur Liebe als Wesensdefinition Gottes aufmerksam: „In der Aussage, dass Gottes Wesen Liebe sei, stimmen heute die evangelische und katholische Gotteslehre auf einer breiten Linie zusammen“, resümiert er, und er wertet dieses Einverständnis als einen „bedeutsame[n] theologische[n] Vorgang“.266 Das Vorhaben einer Neufassung ‚klassischer‘ Gottesattribute im Rückgang auf die biblische Gottesrede und zugleich im Horizont der Wesensbestimmung Gottes als Liebe, welches den Offenen Theismus zumal als theologischen Ansatz entscheidend auszeichnet, ist mit anderen Worten in vielfältigen Entwürfen deutschsprachiger Theologie des 20. Jahrhunderts schon vorgezeichnet. Auch wenn die Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ an manchen Stellen eigene Wege 264 So äußert sich Hans-Georg Link im Blick auf Heribert Mühlens christologische Programmschrift „Die Veränderlichkeit Gottes als Horizont einer zukünftigen Christologie“, welche dann auch von Maas positiv aufgegriffen wird: Mühlen, Die Veränderlichkeit Gottes als Horizont einer zukünftigen Christologie; Link, Auf dem Weg zu einer zukünftigen Kreuzestheologie, 426. Vgl. die mit der verbreiteten Kritik an der Unveränderlichkeit Gottes einhergehende Abweisung des Axioms der impassibilitas dei: Nach dem bekannt gewordenen Diktum von Ronald Goetz ist das „jahrhundertealte Dogma, wonach Gott unveränderlich und nicht leidensfähig ist“, für viele unhaltbar geworden, und die „alte theopaschitische Häresie wurde zur neuen Orthodoxie“ (Goetz, The Suffering God, 385; vgl. hierzu auch das Vorwort zu: Koslowski/Hermanni [Hg.]: Der leidende Gott, 5; sowie neuerdings: Link, Theodizee, 30.212). 265 Bauke-Ruegg, Die Allmacht Gottes, 36. Ein aktuelles Beispiel bietet die Auseinandersetzung mit der Allmacht Gottes bei Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 149–202. Das Fazit der beiden Autoren rekapituliert im systematischen Ergebnis wie in der biblisch-theologischen Begründung einen mit dem Offenen Theismus übereinstimmenden Begriff der Omnipotenz Gottes – ebd., 199f: „Die gängige Kritik am Allmachtsbegriff trifft nicht diesen selbst, sondern einen Missbrauch, der dadurch entsteht, dass der Machtgedanke ohne Bezug auf seine Verwendung in den Schriften und deren Gotteszeugnis verabsolutiert wird. Eine solche von der Einbindung in Gottes Zuwendung zur Welt abgelöste, verabsolutierte Macht ist nach biblischem Verständnis gerade nicht göttlich, sondern satanisch. Das Bekenntnis zu den unbegrenzten Möglichkeiten Gottes, das unaufgebbar zur biblischen Rede von Gott gehört, ist dagegen eingebunden in die Beziehung zu ihm.“ 266 Krötke, Gottes Klarheiten, 82; vgl. Stefan, Gottes Vollkommenheiten nach KD II/1, 104f, Anm. 51; vgl. auch Mühling, Gott ist Liebe, 1–10. Mühling macht die in prominenten zeitgenössischen Entwürfen gemeinsame Bestimmung Gottes als Liebe zum Ausgangspunkt eines modellanalytischen Vergleiches.

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gehen, die nur von wenigen hiesigen Theologen eingeschlagen werden – das ist besonders in der Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Zeit und darum auch nach der Möglichkeit seines Vorauswissens der Fall –, so hat der Gang durch die Eigenschaftslehren der vier exemplarischen deutschsprachigen Systematiker gezeigt, dass hier längst nicht nur oberflächliche Anknüpfungspunkte zum Offenen Theismus bestehen. Das vorgängige Urteil, die Offenen Theisten würden eine Neufassung der Gotteslehre unter dem Eindruck vernachlässigter biblischer Texte zwar einfordern, diese aber nicht systematisch durchführen,267 kann jetzt also in verschiedener Hinsicht konkretisiert werden: Zum einen (1) lassen die Entwürfe der Offenen Theisten jeden Versuch vermissen, das Verhältnis der verschiedenen Eigenschaften Gottes untereinander zu klären. Über das einmütige Bekenntnis hinaus, dass alle Attribute Gottes ihr Zentrum und ihre Bestimmung in der Gott wesentlichen Liebe finden, lassen sich in den Werken der Offenen Theisten keine Bestrebungen ausmachen, die Attribute Gottes zueinander in Beziehung zu setzen oder sie in Kategorien, Gruppen oder Reihen zu ordnen.268 Die theologiegeschichtlich breit etablierte Unterscheidung von „ruhenden“, „absoluten“, Gott an sich zukommenden Eigenschaften einerseits und „wirkenden“, „relativen“, Gott in Bezug zur Schöpfung zukommenden Eigenschaften andererseits269 wird von den Vertretern einer ‚offenen Sicht Gottes‘ augenscheinlich nicht getroffen, sie wird aber auch in keiner Weise kritisch reflektiert. Sicher kann geltend gemacht werden, dass „die strenge Unterscheidung zwischen Eigenschaften und Wesen Gottes“ im Fundamentalsatz „Gott ist Liebe“ eigentlich aufgehoben ist, wie Wolf Krötke im Anschluss an Gerhard Ebeling formuliert,270 und dass also die verschiedenen Eigenschaften Gottes für die Offenen Theisten nur noch den Charakter „formaler, nicht materialer Distinktionen“ haben: Sie sind allesamt „Konkretisierungen, Spezifizierungen und Qualifizierungen der göttlichen Liebe“ und müssen darum 267 Vgl. den Abschnitt 4.2.3 in dieser Arbeit. 268 Exemplarisch sei auf Clark Pinnocks Beitrag zum Gemeinschaftswerk The Openness of God sowie auf seine Gesamtdarstellung des Offenen Theismus Most Moved Mover verwiesen: In beiden Arbeiten werden zahlreiche Eigenschaften Gottes thematisiert, aber es handelt sich um unvollständige und unstrukturierte Auflistungen nach dem Kriterium der Relevanz für die „Offene Sicht Gottes“ – ohne erkennbaren Willen zur eigentlichen Durchdringung und Neufassung der theologischen Eigenschaftslehre (vgl. besonders: Pinnock, Systematic Theology, 111–124; ders., Most Moved Mover, 79–104). Es ist darum konsequent, wenn auch Julia Enxing „die Lehre des Open Theism“ vorstellt, indem sie schlicht elf Gottesattribute aus der Sicht des Offenen Theismus abhandelt (Enxing, Gott im Werden, 250–274 – Enxing bestimmt den Gott der Offenen Theisten u. a. als beziehungsfähigen, mitleidenden, flexiblen, schöpferischen, liebenden, riskierenden, lockenden Gott). 269 Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 49–59; sowie Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 393–401. 270 Krötke, Gottes Klarheiten, 83; vgl. Ebeling, Schleiermachers Lehre von den göttlichen Eigenschaften, 493.

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auch nicht mehr voneinander abgegrenzt, in abgeschlossenen Reihen dargestellt oder in eine bestimmte Systematik gegossen werden.271 Dennoch wird ein theologischer Ansatz, der gerade in der Reformulierung traditioneller Gottesattribute eine seiner Kernaufgaben ausmacht, weder die kritische Auseinandersetzung mit den ‚klassischen‘ (metaphysischen) Herleitungen und Einteilungen der Eigenschaften Gottes noch den konstruktiven Anschluss an die elaborierten Entwürfe der Neuzeit (namentlich Barths und Pannenbergs) vermeiden können, ohne sich den Vorwurf der Unterbestimmtheit zuzuziehen. Sodann (2) müsste sich eine ausgearbeitete Alternative zur ‚klassischen‘ Gotteslehre der Herausforderung stellen, das Verhältnis der verschiedenen Eigenschaften Gottes zu seinem trinitarischen Wesen näher zu bestimmen. Diese Aufgabe geht über die Plausibilisierung der einzelnen Eigenschaften Gottes als 271 So Wilfried Härle im Blick auf seinen eigenen dogmatischen Entwurf: Härle, Dogmatik, 260. Auch Härle will ausdrücklich den Versuch unternehmen, „die Eigenschaften Gottes konsequent als Eigenschaften der Liebe Gottes zu denken“, und er macht deutlich, dass die Anzahl möglicher Eigenschaften Gottes damit „grundsätzlich unbegrenzt“ sei: Es könne, wenn alle Eigenschaften Gottes Ausdrucksweisen der Liebe Gottes gewertet würden, keinen „abgeschlossenen Kanon“ göttlicher Eigenschaften geben (ebd.). Härle nimmt gleichwohl eine Zweiteilung der Eigenschaften Gottes vor, wenn er jene Attribute, welche Gott den Menschen „gnädig vorenthalten“ hat – dazu zählt Härle etwa die Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit und Unveränderlichkeit Gottes – von jenen Attributen unterscheidet, welche Gott den Menschen „gnädig zugedacht“ hat – darunter werden etwa die Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Weisheit Gottes gerechnet (ebd., 260f). Damit umfasst die erste Gruppe jene Eigenschaften, „in denen der kategoriale Unterschied zwischen der Liebe und den Liebenden (und damit zwischen Gott und Mensch)“ zum Ausdruck kommt, während die zweite Gruppe jene Eigenschaften versammelt, „in denen die reale Verbundenheit zwischen Liebe und Liebenden (und damit zwischen Gott und Mensch)“ thematisch wird (ebd., 261). Gewiss drängt sich die Rückfrage auf, ob es sich hierbei nicht um artifizielle Zuteilungen handelt, zumal es mühelos möglich scheint, Attribute der ersten Gruppe in solche der zweiten überzuführen (und umgekehrt): In den All-Prädikaten ist ja die vollkommene Inanspruchnahme und Verwirklichung der betreffenden Eigenschaft bereits mitgesagt, so dass darin selbstverständlich die Differenz zwischen Gott und Mensch ausdrücklich wird, während etwa das Prädikat der Weisheit oder Barmherzigkeit noch in unterschiedlichen Realisierungsgraden denkbar ist. Wird dagegen die „Allmacht“ im Sinne der „Macht der Liebe“ reformuliert, ist schwer einzusehen, warum der Mensch daran nicht Anteil haben sollte – und würde umgekehrt von der All-Weisheit oder All-Barmherzigkeit gesprochen, wäre der Schluss naheliegend, dass der Mensch an diesen Eigenschaften in ihrer Vollkommenheit nicht partizipiert. Dennoch legt Härle mit dieser Differenzierung einen Vorschlag vor, innerhalb der Bestimmung Gottes als Liebe nicht nur das Gott mit dem Menschen Verbindende, sondern auch das Gott vom Menschen Unterscheidende und ihn also als Gott Auszeichnende zur Sprache zu bringen. Es ist daher schwer begreiflich, wie Krötke just im Blick auf den dogmatischen Entwurf Härles behaupten kann, dass „Gottes Göttlichkeit, in der er ‚kategorial‘ von allem Weltlichen unterschieden“ sei, im Grunde „nicht aus der Liebe selbst abgeleitet“ werden könne, sondern vielmehr „‚qualifizierend‘ zur Liebe hinzugefügt werden“ müsse – ohne sich mit dem eben diskutierten Vorschlag einer formalen Zweiteilung der Liebeseigenschaften Gottes kritisch auseinanderzusetzen – vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 84f.

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Qualitäten der Liebe Gottes hinaus – sie besteht darin, die verschiedenen Gottesattribute als Implikationen der trinitarischen Liebe und also des spezifischen Verhältnisses von Vater, Sohn und Heiligem Geist einsichtig zu machen. Selbst wenn man einer Eigenschaftslehre auf der Grundlage der Wesensbestimmung Gottes als Liebe zugesteht, auf eine detaillierte Differenzierung und Systematisierung der einzelnen Eigenschaften Gottes zu verzichten – vgl. das unter (1) Erwogene –, so wird sie doch umso deutlicher herausstellen müssen, inwiefern die Attribute Gottes als „Konkretionen der Beziehung Gottes auf sich selbst und von daher auf die Welt“ verstanden werden können.272 Wolf Krötke bezweifelt sogar im Blick auf Brunner, Barth und Pannenberg, dass es ihnen gelungen sei, „die Relationalität des Seins Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist auch im Verständnis der Eigenschaften Gottes sichtbar“ zu machen273 – auf jeden Fall aber besteht an diesem Punkt ein Desiderat im Projekt des Offenen Theismus. Nicht nur Gregory Boyd, der mit seiner Dissertation eine trinitarische Prozesstheologie vorzulegen versucht hat, sondern sämtliche Hauptvertreter des Offenen Theismus gehen in ihrer theologischen Modellbildung ausdrücklich von der sozialtrinitarischen Bestimmung des Wesens Gottes als Liebe aus und wollen alle Gottesattribute von dieser dreifaltigen Liebe her verstanden wissen.274 Damit aber wird die Frage virulent, inwiefern etwa die für den Offenen Theismus zentralen Neufassungen der Allwissenheit, Allmacht und Unveränderlichkeit Gottes wirklich als Eigenschaften der Beziehung zwischen den trinitarischen Personen plausibel gemacht werden können.275 272 Krötke, Gottes Klarheiten, 85 (Hervorhebungen im Original); das gilt jedenfalls dann, wenn die Trinitätslehre wirklich als Auslegung der Wesensbestimmung Gottes als Liebe verstanden werden will – was für den Offenen Theismus fraglos der Fall ist. Krötke verhandelt und problematisiert in einem eigenen Kapitel allerdings auch „nichttrinitarische“ Versuche, das Wesen Gottes als Liebe zu verstehen und dessen Eigenschaften daraus abzuleiten – vgl. ebd., 73–82. 273 Krötke, Gottes Klarheiten, 83 – vgl. in dieser Arbeit: Anm. 254. 274 Boyd, Trinity and Process; vgl. Pinnock, Systematic Theology, 109; ders., Most Moved Mover, 29; Sanders, The God Who Risks, 183f. Eine Ausnahme stellt einmal mehr Thomas Oord dar – er distanziert sich in einer Reihe neuerer Onlineessays ausdrücklich vom Modell einer sozialen Trinitätslehre und macht in seiner prozessphilosophischen Verhältnisbestimmung von Gott und Welt deutlich, dass er die Bestimmung Gottes als Liebe nicht in gleicher Weise von der trinitarischen Beschreibung Gottes abhängig sieht – vgl. Oord, Rethinking Trinity; ders., Rejecting the Social Trinity; ders., Why the Social Trinity is Attractive; ders., A Triune God Who Essentially Loves Creation; ders., The Triune God Everlastingly Creates, Relates, and Loves. 275 Vgl. zur Aufgabe, „jede das Wesen Gottes konkretisierende Eigenschaft“ so zu artikulieren, dass dabei „eine innertrinitarische Beziehung mit zur Sprache“ gebracht wird: Krötke, Gottes Klarheiten, 84 (und insgesamt: ebd., 82–92); ferner auch den maßgeblichen trinitätstheologischen Ansatz Colin Guntons – dessen Anspruch an eine christliche Eigenschaftslehre kommt kondensiert zum Ausdruck in Gunton, The Christian Faith, 190: „All God’s characteristics are what they are because they are functions of the relations of Father,

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Daran lässt sich (3) die kritische Beobachtung anschließen, dass den Gottesattributen nach offen-theistischer Reformulierung die christologische Herleitung weitgehend abgeht – dass also das Verhältnis der verschiedenen Eigenschaften Gottes zur Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus nur unzureichend oder erst im Nachhinein bestimmt wird. Der Anspruch der Offenen Theisten, das ausdrücklich christologische Bekenntnis „Gott ist Liebe“ ins Zentrum zu stellen und also die Gotteslehre konsequent an der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus zu entwickeln, bleibt in der Durchführung ihres Entwurfes de facto uneingelöst.276 Die Argumentation in den einschlägigen Gesamtdarstellungen der ‚offenen Sicht Gottes‘ führt vielmehr (wie in dieser Arbeit nachvollzogen) von der Auffächerung der alttestamentlichen Zeugnisse der Lernfähigkeit, Enttäuschung und Reue Gottes über die Abweisung gängiger Umdeutungen „anthropomorpher“ Gottesrede hin zur Modifikation der ‚klassischen‘ Gotteslehre; die Übereinstimmung der im Zuge dieses Verfahrens reformulierten Attribute der Allmacht, Allwissenheit und Unveränderlichkeit mit der Selbstoffenbarung Gottes im menschgewordenen Sohn wird meist nachträglich und gewissermaßen zur ultimativen Bekräftigung des vorgängig entwickelten Gottesbegriffs festgehalten. Sicher wird das Wissen der Offenen Theisten um die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus – und also um den denkbar kräftigsten Anthropomorphismus überhaupt – auch ihre Interpretation der alttestamentlichen Zeugnisse schon inspiriert haben, so dass das bibeltheologische Projekt des Offenen Theismus nicht von vornherein als subchristlich verabschiedet werden kann. Es ist aber doch nicht von der Hand zu weisen, dass die bibeltheologische Begründung der ‚offenen Sicht Gottes‘ anhand der erwähnten anthropomorphen Texte des Alten Testaments eine Eigendynamik gewinnt, die christlich-hermeneutisch problematisch ist.277 Son and Spirit in eternity. They are what they are because God is eternally personal love, the love that gives to and receives from the other.“ Eine seiner neuesten Veröffentlichungen will diesem Anspruch gerecht werden: ders., Act and Being. 276 Vgl. hierzu die Ausführungen zur christologischen Begründungslinie des Offenen Theismus in Abschnitt 1.2.2 sowie die entsprechenden Vorbemerkungen zur Fragestellung und Zielsetzung dieser Arbeit in Abschnitt 1.3.2. 277 Bruce McCormack hat diese Kritik in einem Vergleich des Offenen Theismus mit der Gotteslehre Karl Barths prominent vorgebracht (McCormack, Karl Barth in Conversation with Open Theism). Im scharfen Gegensatz zur christozentrischen Hermeneutik des Basler Systematikers ruht die „biblische Beweisführung“ für eine ‚offene Sicht Gottes‘ auch seiner Beobachtung nach ausschließlich auf alttestamentlichen Überlieferungen. Das offentheistische Gottesverständnis werde auf der Grundlage des Alten Testaments schon nahezu vollständig ausgearbeitet, bevor die Menschwerdung des Sohnes Gottes überhaupt in den Blick komme, stellt McCormack klar (191; vgl. 197: „Jesus Christ is introduced in an attempt only to provide validation for a conception of God that has been worked out without reference to him“). Die Inkarnation und Passion würden darum für die Bestimmung des Wesens Gottes im Offenen Theismus keine konstitutive Rolle spielen, stellt McCormack

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Schließlich (4) aber bleibt in den einschlägigen Gesamtdarstellungen des Offenen Theismus das Verhältnis der verschiedenen Eigenschaften Gottes zur sie bezeugenden biblischen Gottesrede ebenso uneinheitlich wie unterkomplex. Zur bisherigen Kritik an den systematisch-theologischen Erklärungslücken des Offenen Theismus könnte eingewendet werden, dass damit vom Offenen Theismus zu viel verlangt werde, zumal dessen Vertreter vor allem eine von exegetischen Beobachtungen ausgehende „biblische Herausforderung des traditionellen Gottesverständnisses“ (so der Untertitel der Programmschrift The Openness of God) wagen, aber keine systematisch elaborierte Gotteslehre vorlegen wollen. Nun handelt es sich bei den Offenen Theisten natürlich ausnahmslos um Fachvertreter der Systematischen Theologie sowie der Religionsphilosophie – sie sind in den Disziplinen, an deren ‚klassischen‘ Positionen sie Anstoß nehmen, also selbst beheimatet und wären damit durchaus im Stande, nicht nur exegetische und biblisch-theologische Kritik an der herkömmlichen Gotteslehre zu üben, sondern dieser auch eine systematisch-theologisch ausgearbeitete Alternative entgegenzusetzen. Gerade wenn man den Offenen Theisten aber konzediert, ihre von der biblischen Gottesrede motivierten Impulse nicht in einer eigenen dogmatischen Gotteslehre ausarbeiten zu müssen, stellt sich ihnen die Aufgabe, wenigstens die hermeneutischen Rahmenbedingungen ihrer Kritik einsichtig zu machen. Bekanntlich sind die Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘ überzeugt, dass die sogenannten „anthropomorphen“ Texte der Bibel – allen voran die Rede von der Überraschung, Enttäuschung oder Reue Gottes – geradezu revolutionäre Konsequenzen für die ‚klassische‘ Gotteslehre austrügen, wenn sie denn „ernst genommen“ würden.278 Schon die Auseinandersetzung mit dem Anthropomorphismus-Problem im Teil 0 dieser Arbeit hat aber gezeigt, dass sich die Offenen Theisten nicht einig sind in der Frage, was es genau bedeutet, die biblische Gottesrede „ernst“ zu nehmen und wie die disparaten Beschreibungen Gottes in ein stimmiges theologisches Bild integriert werden können. Es wird im Offenen Theismus mit anderen Worten nicht hinreichend deutlich, nach welchen methodischen Schritten der Übergang von der exegetischen zur systematischen Arbeit erfolgt und nach welchen Kriterien die Beobachtungen an den Bibeltexten in Aussagen über das Wesen und die Eigenschaften Gottes überführt werden können. Wenngleich diese Kritik auch für viele deutschsprachige systematische klar, und er identifiziert das Fehlen einer adäquaten christologischen Fundierung als den entscheidensten Mangel im Projekt des Offenen Theismus überhaupt (201). Anknüpfend an McCormacks Kritik vgl. Cocksworth, Karl Barth on Prayer; aber auch – in Verteidigung des Offenen Theismus –: Belt, McCormack’s Barth & Open Theism. 278 Vgl. die zahlreichen Verweise auf die Notwendigkeit einer neuen Ernstnahme biblischer Gottesrede („taking the text seriously“ oder „taking the text at face value“) etwa bei: Boyd, God of the Possible, 54; 60; 71; 74; 77; 86 u. ö.; sowie bei: Sanders, The God Who Risks (2nd Edition), 18; 30; 187; 235 u. ö.

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Entwürfe geltend gemacht werden könnte,279 so wird doch festzuhalten sein, dass an dieser Stelle eine noch weitgehend unbewältigte Kernaufgabe für den Offenen Theismus besteht. Gerade der spezifisch bibeltheologische Anspruch des Offenen Theismus und das Pathos der „Wiederentdeckung“ schriftgemäßer Gottesrede prädisponiert die Vertreter der ‚offenen Sicht Gottes‘ zur tiefgehenden Reflexion auf die Hermeneutik ihres Ansatzes.

279 Zur mangelnden Methodenreflexion in interdisziplinärer Perspektive vgl. etwa Werbick, Theologische Methodenlehre, 9–16 – und den gesamten Band als Beispiel einer weitsichtigen Ausnahme.

5.

Abschließende Reflexion. Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung

Bibeltheologische Folgeüberlegungen Zum Schluss dieser Arbeit soll der Offene Theismus noch ein letztes Mal in den Blick genommen werden, um vor dem Hintergrund des bisherigen Denkweges einige der Herausforderungen zu reflektieren, vor welchen bibeltheologische Bemühungen überhaupt und das Projekt einer bibeltheologisch begründeten ‚offenen Sicht Gottes‘ im Besonderen stehen. Gesprächspartner für diese abschließenden (wenn auch nicht abgeschlossenen) Überlegungen sind Fachvertreter zeitgenössischer Bibelwissenschaften, insbesondere der amerikanische Alttestamentler Walter Brueggemann. Er steht dem Offenen Theismus ausdrücklich wohlwollend gegenüber und teilt dessen Anliegen, an weithin vergessene oder unterdrückte Motive biblischer Gottesrede zu erinnern und diese theologisch neu zur Geltung zu bringen.1 Als Teilhaber eines liberalen Protestantismus und unter Anwendung des Instrumentariums der von ihm mitgeprägten ‚rhetorischen Exegese‘ (rhetorical criticism) kommt Brueggemann allerdings vielfach zu ganz anderen theologischen Schlussfolgerungen und macht gerade im Gegenüber zum Offenen Theismus exemplarisch die Probleme bibeltheologischer Unternehmungen offenkundig, besonders wenn sie im Pathos der Kritik traditioneller Gottesverständnisse auftreten.2

1 Vgl. etwa die nachdrücklichen Empfehlungen für Sanders’ The God Who Risks (1997) und Boyds God of the Possible (2000) auf den Rückseiten der jeweiligen Bücher sowie Brueggemanns Einleitung zur Studie The Suffering of God (1984) von Terence Fretheim (vgl. hierzu auch Abschnitt 4.2.3 in dieser Arbeit). 2 Zum bibelhermeneutischen Ansatz Walter Brueggemanns vgl.: Brueggemann, A Pathway of Interpretation; Brueggemann/Sharp, Living Countertestimony.

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Der Offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung

Zum spannungsvollen Verhältnis von exegetisch-bibeltheologischer Arbeit und kirchlich-dogmatischer Lehrbildung bzw. zum religiös-institutionellen Verunsicherungspotenzial vergessener Formen biblischer Gottesrede: So ist zunächst auf das nicht zu unterschätzende „religiöse und theologische Verunsicherungspotenzial“ hinzuweisen, das der Wiederentdeckung ungewohnter und verstörender Formen der biblischen Rede von Gott innewohnt, wie Jan-Dirk Döhling im Blick auf die alttestamentliche Reuezeugnisse festhält3 – und wie es sich nicht zuletzt an den alarmierten und feindseligen Reaktionen ablesen lässt, welche die ‚offene Sicht Gottes‘ um die Jahrtausendwende hervorzurufen im Stande war.4 Wer auf der Relektüre der das Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ ausmachenden biblischen Überlieferungen insistiert, stößt auf tiefliegende traditionalistische Vorbehalte und provoziert Einspruch von Seiten der Vertreter einer Theologie, welche die entsprechenden Texte zu domestizieren gewohnt ist.5 Wenn Jürgen Ebach (im Rückgriff auf Walter Benjamin) die Aufgabe biblischer Exegese und Hermeneutik als beharrlichen Versuch bestimmt, „die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen“,6 dann darf der Offene Theismus als Unternehmung in ebendiesem Sinne gelten – und dann können die massiven Widerstände, die ihm von Seiten der Vertreter ‚klassischer‘ (vornehmlich konservativ-evangelikaler) Theologie begegnen, zumindest potenziell als Reflexe zur Sicherung der Deutungshoheit über die strittigen Überlieferungen verständlich werden. Das gilt gewiss dort in besonderer Weise, wo Kritiker ohne erkennbares Bemühen um ein Verständnis des Offenen Theismus mit dem Häresievorwurf operieren und dessen Vertreter durch solche Brandmarkung zu diskreditieren und aus dem kritischen Diskurs auszuschließen versuchen. Ohne mit den exegetischen Urteilen und theologischen Schlussfolgerungen der Offenen Theisten übereinstimmen zu müssen, kann angesichts solchen Machtgebarens deren Mut nur bewundert werden, auf einer neuen Würdigung der strittigen Texte zu be3 Döhling, Der bewegliche Gott, 72. 4 Vgl. hierzu den historischen Teil dieser Arbeit. 5 Vgl. Döhling, Der bewegliche Gott, 70, wo Döhling ebendiese Beobachtung am Beispiel der Studien Terence Fretheims und Jörg Jeremias’ zur Reue Gottes macht. 6 Ebach, Vergangene Zeit und Jetztzeit, 309; vgl. in ganz ähnlicher Verhältnisbestimmung von kritischer Exegese und kirchlicher Theologie den einsichtsreichen Aufsatz von Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft, 105–139. Theobald besteht auf dem „Interventionsrecht“ biblischer Exegese im theologischen Diskurs und versteht sie als „Anwältin der Fremdheit biblischer Texte“ in dem Sinne, dass sie diese „gegenüber allen institutionellen Selbstbeharrungstendenzen“ erneut zur Geltung bringt (ebd., 138 – Theobald nimmt damit wiederum ein Diktum Karl Lehmanns auf – vgl. ebd., 138, Anm. 100). Eben damit falle der Exegese in Kirche und Theologie „sozusagen ein prophetischer Dienst zu“, hält Theobald abschließend fest (ebd).

Bibeltheologische Folgeüberlegungen

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harren und ihre daraus gewonnene ‚offene Sicht Gottes‘ den traditionalistischen Konventionen ihres konservativen theologischen und kirchlichen Kontextes abzuringen. Zweifellos gibt etwa Walter Brueggemann darum eine Grundüberzeugung des Offenen Theismus wieder, wenn er in seiner einflussreichen Theology of the Old Testament (1997) das prekäre Verhältnis biblischer Exegese und Theologie zur Lehre der Kirche herausstellt und ausdrücklich festhält, es gehöre zur Aufgabenstellung eines jeden ernsthaften Interpreten der Bibel, dem Text selbst ungeteilte Aufmerksamkeit und eingehende Untersuchung zu widmen, und zwar unabhängig davon, ob und inwiefern dessen Aussagewille „mit den theologischen Gepflogenheiten der Kirche“ übereinstimme.7 Auch wenn Brueggemann verschärfend hinzufügt, dass die Ergebnisse einer sorgfältigen Lektüre des Alten Testaments seinem Urteil nach tatsächlich weder mit den offiziellen Lehren der Kirche noch mit populären christlichen Gottesvorstellungen kompatibel seien – das theologische Zeugnis der hebräischen Bibel habe vielmehr eine von Schuldogmatik und Volksfrömmigkeit nicht abgegoltene „wilde und ungezähmte“ Dimension –, kann er sich der Zustimmung der Vertreter einer ‚offenen Sicht Gottes‘ sicher sein.8 Darüber hinaus hält Brueggemann das biblische Gotteszeugnis allerdings nicht nur für nicht eingeholt durch die herkömmliche kirchliche Theologie, sondern grundsätzlicher für nicht einholbar: Er spricht von einer unauflöslichen Spannung zwischen biblischer und systematischer Theologie und von der Pflicht des biblischen Theologen, dem Reduktionismus kirchlicher Bekenntnisse und theologischer Modellbildung entgegenzutreten und beharrlich von jenen „querstehenden“ Überlieferungen Zeugnis zu geben, welche sich eben nicht systematisch einheimen lassen.9 Es ist hinreichend deutlich geworden, dass 7 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 107. Brueggemann kritisiert in diesem Sinne gerade das Unternehmen einer biblischen Theologie im Gefolge Brevard Childs’, da er diesem die Bereitschaft unterstellt, „to bring Old Testament theology completely under the aegis of church theology“ (ebd., 105): Im Anliegen, die Theologie der einen Bibel im Kontext der kirchlichen Rezeptionsgemeinschaft zu entfalten, würden das Alte Testament mit den dogmatischen Festlegungen der Kirche auf eine Linie und die widersprechenden Überlieferungen zum Verstummen gebracht (ebd.). 8 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 107 – Brueggemann fährt fort: „It is my urging that a serious Old Testament student, situated in an ecclesial community, has a responsibility to do careful reading of the Old Testament and to present to the ecclesial community not only those readings that confirm church theology, but also (and perhaps especially) those that clash with, challenge and undermine seemingly settled church theology.“ Man könnte einschränkend geltend machen, dass nach Einschätzung der Offenen Theisten die Volksfrömmigkeit, näherhin die Praxis des Bittgebetes, einer ,offenen Sicht Gottes‘ deutlich näher steht als die offizielle kirchliche Lehre oder theologische Mehrheitsmeinung – vgl. hierzu Anm. 81 in dieser Arbeit. 9 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 107 – vgl. ebd.: „Thus the work of biblical theology, vis-à-vis systematic theology, is one of tension that is honest but not quarrelsome.

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die Offenen Theisten demgegenüber versuchen, eine modellhafte Alternative zur herkömmlichen, ‚klassischen‘ Gotteslehre zu entwerfen, welche grundsätzlich der gesamten biblischen Gottesrede einschließlich ihrer sperrigen, meist als „nicht integrierbar“ missachteten oder gewaltsam umgedeuteten Beispiele gerecht wird. Dabei legen die Vertreter des Offenen Theismus spürbar Wert auf die weitgehende Kontinuität ihrer Sicht mit den Grundbeständen christlichen Gottesglaubens, ausgehend vom Bekenntnis zur Dreifaltigkeit Gottes, seiner Macht und Freiheit zur Hervorbringung und Vollendung der Schöpfung sowie zur Menschwerdung, Selbsthingabe und Auferstehung des Sohnes Gottes in Jesus Christus. Sie bemühen sich also durchaus um den konstruktiven Anschluss an die überkommene christliche Lehre. Damit stehen sie im Widerspruch zu manchen Vertretern der „Hellenisierung des Christentums“ im Sinne einer Verfallstheorie, welche (etwa im Gefolge von Adolf von Harnacks einflussreicher Deutung der Theologiegeschichte als Prozess der Entfremdung des Christentums vom schlichten Evangelium des nazarenischen Wanderpredigers) zur radikalen Abkehr von der überkommenen Gotteslehre der Kirche aufrufen.10 Gegensätze tun sich auch zur Behauptung mancher Kritiker auf, der Offene Theismus modifiziere das ‚klassische‘ Gottesverständnis nicht nur, sondern setze ihm einen gänzlich anderen Gott entgegen (im Englischen dann meist abwertend als „god“ in Kleinschrift bezeichnet).11 Bei aller Abgrenzung von den metaphysischen Präsuppositionen und Implikationen der ‚klassischen‘ Theologie verwerfen die Offenen Theisten deshalb auch die herkömmlichen Prädikationen Gottes als allmächtig, allwissend und unveränderlich nicht, sondern suchen diese an der biblischen Gottesrede neu zu profilieren. Anders darum als prominente Vertreter der Prozesstheologie, anders auch als etwa der jüdische Philosoph Hans Jonas, der Rabbiner Harold Kushner oder der katholische Theologe Günther Schiwy, wollen sie gerade keinem „Abschied vom allmächtigen Gott“ das Wort reden oder in sonstiger Hinsicht einen völligen Bruch mit der theologischen Tradition provozieren,12 wohl aber zu einer schriftgemäßen Reformulierung des „traditionellen Gottesverständnisses“ anregen.13 […] There can, in my judgement, be no final resolution of the tension between the systemizing task of theology and the disruptive work of biblical interpretation.“ 10 Vgl. hierzu in dieser Arbeit die Ausführungen in Abschnitt 3.1; sowie die im Appendix der kritischen Auseinandersetzung Gavrilyuks mit der Hellenisierungsthese angeführten Beispiele: Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 176f. 11 Vgl. etwa Ware, God’s Lesser Glory, 229f. 12 Zur Prozesstheologie vgl. v. a. die programmatische Studie von Hartshorne, Omnipotence and Other Theological Mistakes; sowie die daran erinnernde Bezeichnung des Allmachtsgedankens als ein „Laster“ der überkommenen theistischen Gotteskonzeption in Cobb/ Griffin, Prozess-Theologie, 9f; zur Verneinung der Allmacht unter jüdischen Gelehrten vgl. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz; sowie den biographisch geprägten Bestseller

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Zum spannungsvollen Verhältnis von divergierenden biblischen Gotteszeugnissen und dem Bekenntnis zur Einheit der Schrift sowie zur Möglichkeit der Entfaltung einer konsistenten gesamtbiblischen Gottesvorstellung: Spätestens an dieser Stelle tut sich ein weiteres für den Offenen Theismus noch fundamentaleres Spannungsfeld auf – denn die in der Entfaltung einer ‚offenen Sicht Gottes‘ ausgeschöpften biblischen Überlieferungen, namentlich die „anthropomorphen“ Zeugnisse der Lernbereitschaft, Enttäuschung oder Reue Gottes, treten nicht allein mit den „religiös-theologischen Vorbehalten der Tradition“14 und dem Modell ‚klassischer‘ Gotteslehre in Widerstreit, sondern auch mit jenen Überlieferungen, durch welche diese ‚klassische‘ Gotteslehre jeweils biblisch abgedeckt wurde.15 Eine „schriftgemäße Reformulierung“ zentraler Aspekte christlicher Gotteslehre hat sich darum gerade dort, wo im Namen biblischer Gottesrede gegen überkommene theologische Konventionen und religiöse Mehrheitsmeinungen Einspruch erhoben wird, der Tatsache zu stellen, dass es sich bei der „biblischen Gottesrede“ selbst um ein äußerst heterogenes Überlieferungsgefüge handelt, deren Einzelaussagen breit gefächert sind und von den verschiedensten Interessen in Anspruch genommen werden können. Vertreter evangelikaler Spielarten der ‚klassischen‘ Gotteslehre haben sich, wie im materialanalytischen Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, besonders auf die prophetischen (Vor-)Aussagen der Bibel gestützt, um die aus den „Offenheits-Texten“ abgeleitete Behauptung einer Risikonahme und Zukunftsungewissheit Gottes auszuhebeln und das traditionelle Bekenntnis zur umfassenden Voraussicht und Vorherbestimmung Gottes (und, dahinterstehend, zur göttlichen Zeitund Geschichtsenthobenheit) zu bekräftigen. Darüber hinaus wird in ‚klassischen‘ theologischen Entwürfen meist jenen Überlieferungen formative BedeuKushner, When Bad Things Happen to Good People; ferner ders., The Book of Job; und schließlich in besonderer Entschiedenheit und unter dem zitierten Titel: Schiwy, Abschied vom allmächtigen Gott. Vgl. zum Motiv der Aufgabe des Allmachtsattributes auch BaukeRuegg, Die Allmacht Gottes, 37–111, sowie spezifisch zu Schiwys Entwurf: ebd., 183–189. 13 Vgl. den programmatischen Untertitel des Gemeinschaftswerkes The Openness of God: A Biblical Challenge to the Traditional Understanding of God. 14 So Döhling im Blick auf die biblische Reuerede: Döhling, Der bewegliche Gott, 70. 15 Genau genommen können natürlich nicht biblische Überlieferungen selbst miteinander in Widerstreit treten, sondern nur die entsprechenden Lesarten dieser Überlieferungen. Die doppelte Spannung ergibt sich also (1) aus der Interpretation der biblischen Rede von Gottes Enttäuschung, Lernfähigkeit und Reue als Zeugnisse für die Geschichtlichkeit, Zukunftsoffenheit und Risikobereitschaft Gottes einerseits und dem Modell einer „klassischen“ Gotteslehre andererseits, sowie (2) aus der Interpretation der besagten biblischen Rede von Gott einerseits und den „klassisch-theistischen“ Interpretationen biblischer „Gegentexte“, aus welchen sich das Modell „klassischer“ Gotteslehre herleitet oder mit deren Hilfe es legitimiert wird, andererseits.

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tung zugestanden, welche der Andersartigkeit und Transzendenz Gottes überhaupt pointiert Ausdruck verleihen: Schon für Philo von Alexandrien war die Aussage „Gott ist nicht wie ein Mensch“ aus Numeri 23,19 theologischer Leitstern und hermeneutischer Schlüssel auch und gerade in der Interpretation befremdlich menschenähnlicher Aussagen zum Wesen und Wirken Gottes.16 Nicht nur die frühkirchliche alexandrinische Theologie, sondern ein breiter Strom der christlichen Theologie ist ihm darin zumindest im Grundsatz gefolgt.17 Sowohl Vertretern ‚klassischer‘ Entwürfe der Gotteslehre wie auch den Offenen Theisten ist allerdings die Überzeugung gemeinsam, dass die Gottesrede der biblischen Schriften bei allem Spannungsreichtum doch ein und denselben Gott bezeugt – dass also die vielfältigen alt- und neutestamentlichen Überlieferungen in ihrer theologischen Aussage nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten und dass sich jede definitive Rede von sachlichen Widersprüchen in der Bibel verbietet. Es ist dieses Bekenntnis zu einer letzten Einheit des biblischen Gotteszeugnisses, welches die Ausbildung der Anthropomorphismus-Figur sowie der Akkommodationslehre als traditionelle Instrumente zur Einpassung ‚unangemessener‘ Beschreibungen Gottes in einen übergeordneten Gottesbegriff erst notwendig macht und rechtfertigt; im Offenen Theismus wiederum ist es dasselbe Bekenntnis, das dessen Vertreter dazu führt, nicht allein die Zeugnisse der Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes neu zur Sprache zu bringen, sondern die Gottesrede der Bibel insgesamt unter der Perspektive der aus den besagten Zeugnissen abgeleiteten ‚Offenheit Gottes‘ zu interpretieren. Wenn darum etwa Michael Theobald betont, dass die biblische Exegese und Theologie darauf zu drängen habe, gerade auch „fremde“, zum gängigen Gottesverständnis querstehende Überlieferungen „ausreden“ zu lassen und „in ihrem Wahrheitsanspruch unabgegoltene biblische Texte und Traditionen neu auf die Tagesordnung“ zu bringen18 – dann ist damit zwar das Grundanliegen des Offenen Theismus äußerst treffend umschrieben. Dessen Vertreter werden diese Aufgabe aber erst als erledigt, also den besagten Wahrheitsanspruch erst als abgegolten anerkennen können, wenn der Aussagewille der betreffenden Texte nicht allein gegen das gängige Verständnis anderer biblischer Gotteszeugnisse 16 Vgl. hierzu etwa Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 43: „Scholars agree that this passage provides the clue to Philo’s understanding of the function of religious language as applied to God“; sowie McLelland, God the Anonymous, 39; Kuitert, Gott in Menschengestalt, 83. Die Wiedergabe „Gott ist nicht wie ein Mensch“ lehnt sich an die griechische Übersetzung der LXX von Num 23,19 an, welche gegenüber dem originalen „Gott ist kein Mensch“ bereits eine antianthropomorphe Zuspitzung aufweist: Gott ist nicht nur kein Mensch, er ist auch in keiner Weise wie ein Mensch: vgl. Gavrilyuk, The Suffering of the Impassible God, 39f; sowie schon Fritsch, The Anti-anthropomorphisms of the Greek Pentateuch, 42. 17 Vgl. hierzu den Abschnitt 3.3.3 in dieser Arbeit. 18 Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft, 127 und 138.

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stark gemacht wurde, sondern wenn er als organischer Teil einer alternativen Gesamtdarstellung biblischer Gottesvorstellung einsichtig gemacht werden kann. Aus diesem Grund bemühen sich die Offenen Theisten auch, die Inanspruchnahme biblischer Spitzenaussagen etwa zur Geschichtsmächtigkeit Gottes durch die ‚klassische‘, griechisch-metaphysisch grundgelegte Theologie als ungerechtfertigt zu erweisen und die entsprechenden Texte – wohl mit unterschiedlichem Erfolg – als Bekräftigungen der ‚offenen Sicht Gottes‘ auszulegen.19 Auch hier kann Walter Brueggemann als Vertreter jenes Großteils der neuzeitlichen bibelwissenschaftlichen Zunft gelten, welcher die besagten Anstrengungen als vergebliche Liebesmüh und als der Gestalt und Intention biblischer Gottesrede entgegenstehendes Vereinheitlichungs- und Systematisierungsbestreben verwirft. Brueggemann rühmt dagegen den „polyphonen Charakter“ der Bibel, welcher nur durch „polyvalente“ Interpretationen eingeholt werden kann,20 und sieht den pluralen Aussagewillen der Texte durch die „christlichen Totalisierer“ in Gefahr,21 welche das biblische Zeugnis in ihrer Abneigung gegen Mehrdeutigkeiten, Unklarheiten und Spannungen „einebnen“ oder „verflachen“ würden.22 Gerade hinsichtlich der biblischen Gottesrede sieht er keine Möglichkeit und keinen Bedarf, Widersprüchlichkeiten aufzulösen und divergierende Porträtierungen Gottes in ein stimmiges Gesamtbild zu integrieren: Die hebräische Bibel gebe genügend Anlass zur Annahme, dass der Gott Israels selbst „ein Rätsel aus Widersprüchen“ sei.23 Das „innere Leben Yahwes“ scheine so komplex und konfligiert zu sein, dass es ihm zumindest an manchen

19 Vgl. hierzu die Beobachtungen Bruce McCormacks zur wechselseitigen Inanspruchnahme (oder Vereinnahmung) biblischer Gottesrede durch ‚klassische‘ wie durch Offene Theisten: McCormack, Karl Barth in Conversation with Open Theism, 193f: „[T]he open theists prefer to treat such passages as a problem to be solved while the ‚fixed pole,‘ if you will – that which is thought to lie closest to divine reality – are those passages which speak of God changing his mind or repenting of a decision already made. […] [C]lassical theists are well aware of the existence of these passages. But they tend to treat them as the problem to be solved, regarding the ‚immutability‘ passages as the fixed pole.“ 20 Vgl. bes. Brueggemann, Theology of the Old Testament, 88f; vgl. auch die luziden Anmerkungen zur Frage der Einheit alttestamentlicher Gottesrede bei Moberly, Old Testament Theology, 111–116; sowie die in Breite und Tiefe der Darstellung nach wie vor einzigartige Untersuchung von Goldingay, Theological Diversity and the Authority of the Old Testament. 21 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 88. 22 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 81 – vgl. ebd., 82f, wo Brueggemann pointiert von den zahlreichen Wegen spricht, „in which Christian readers of the Old Testament have tended to run roughshod over the relatively playful and open inclination of Old Testament rhetoric in order to serve the less tensive propensities of the Christian tradition. Indeed, to read the Old Testament in order to articulate ordered, cognitive constancies in the text is likely to read against the character of the text itself.“ 23 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 362.

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Stellen an Konsistenz mangle, gibt Brueggemann zu bedenken24 – er kann sogar von einer „profunden Irrationalität Yahwes“ oder einer „tiefen Zerrissenheit“ seines Wesens sprechen, welche besonders sein Bundesvolk wiederholt zu spüren bekomme.25 Nun ist diese Verlegung biblischer Inkonsistenzen und Aussagekonflikte ins Innere des Wesens Gottes natürlich auch schon wieder eine eigene Konzeptionalisierung Gottes, ein Versuch also, die Widersprüchlichkeiten der überlieferten Gottesrede zwar nicht aufzulösen, aber doch gerade in ihrer Unauflöslichkeit als Kennzeichen des einen, biblischen (alttestamentlichen) Gottes zu begreifen.26 Die meisten Exegeten sind Brueggemann darin nicht gefolgt. Sie erklären die Diversität und Disparität alt- und neutestamentlicher Gottesrede vielmehr mit unterschiedlichen religionsgeschichtlichen Einflüssen auf die Texte, verschiedenen gesellschaftlich-kulturellen Entstehungsbedingungen oder voneinander abweichenden Produktions- und Traditionsmilieus – und lassen die (systematische oder religionsphilosophische) Frage, in welcher Beziehung das vielstimmige Gotteszeugnis der Bibel zum eigentlichen Wesen Gottes steht, meist in den Hintergrund treten. Sie stimmen aber zweifellos mit Brueggemanns Kritik an systematisierenden und harmonisierenden Lesungen der biblischen Zeugnisse überein. Exemplarisch dafür sei die Mahnung des katholischen Neutestamentlers Michael Theobald genannt, dass „immer dann, wenn ein Exeget es vermochte, die Vielstimmigkeit der Schrift in ein zu seiner Zeit greifendes, 24 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 362. Brueggemann hebt diese Feststellung der Inkonsistenz Gottes ausdrücklich noch einmal von Terence Fretheims Betonung der Veränderlichkeit und Reuebereitschaft Gottes ab: Mit Widersprüchlichkeiten und Inkonsistenzen meine er nicht einfach eine nachvollziehbare Gesinnungsänderung, hält er fest, sondern „a powerful insistence, assertion, or decision that flies in the face of a previous insistence, assertion, or decision, without any acknowledgement of a reversal“ (ebd). Brueggemann führt dafür im Folgenden vier alttestamentliche Beispiele an (ebd., 363–367). 25 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 383–385 und 268. Solche Feststellungen zur Irrationalität und Zerrissenheit Gottes nach dem Zeugnis des Alten Testaments ziehen sich durch das Werk Brueggemanns, und an vielen Stellen wird deutlich, dass er dabei nicht von Ausnahmeerscheinungen oder peripheren Merkmalen spricht, sondern vielmehr einen Grundzug des Wesens Gottes beschreiben will: „The substance of Israel’s testimony concerning Yahweh, I propose, yields a Character who has a profound disjunction at the core of the Subject’s life“ (ebd., 268). Ausdrücklich weist Brueggemann auch die Idee zurück, die konfligierenden Beschreibungen Gottes im Alten Testament seien nur traditionsgeschichtlich und nicht theologisch zu erklären – vielmehr identifiziert er die „verstörenden Eigenheiten“ als definitorisch für den Charakter Gottes: ebd., 303. 26 Vgl. hierzu auch die mit Brueggemanns theologischen Folgerungen an manchen Stellen verwandten Veröffentlichungen von: Gross/Kuschel, ‚Ich schaffe Finsternis und Unheil!‘; sowie von Dietrich/Link, Die dunklen Seiten Gottes, 2 Bd. Beide genannten Projekte bewegen sich auf der Schwelle von bibeltheologischen und systematischen Erörterungen sowie im Dialog dieser Disziplinen, und ihnen ist das mit Brueggemann übereinstimmende Anliegen gemein, die Eigenwilligkeit biblischer Gottesrede und besonders die Provokationen prophetischer Texte neu zu Gehör zu bringen; vgl. zur Kritik auch Bauke-Ruegg, Die Allmacht Gottes, 189–191.

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selbstverantwortetes systematisches Konzept zu überführen“, dessen „Belastbarkeit über die Stunde hinaus gering“ gewesen sei.27

Zur Frage nach der existenziellen Tragfähigkeit eines inkonsistenten Gottesbegriffs und zur theologischen und glaubenspraktischen Problematik der Multioptionalität hinsichtlich der Vielzahl biblischer Gottesvorstellungen: Ob man beobachtete Spannungen und Widersprüchlichkeiten der biblischen Gottesrede nun im Sinne Brueggemanns durch deren Einzeichnung ins Wesen Gottes theologisch sanktioniert oder ob man sie im Zuge literar- und redaktionskritischer Überlegungen historisch verständlich macht – es stellt sich gleichwohl die Frage, auf welchen Gottesbegriff sich der Glaube der Kirche nun beziehen soll und ob einem innerlich zerrissenen Gott oder einem dem Menschen nur mittels eines innerlich zerrissenen Gotteszeugnisses zugänglichen Gott auch wirklich existenziell vertraut werden kann. Bezeichnenderweise äußert sich Brueggemann hinsichtlich der Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit des Gottes Israels dann auch auffallend vorsichtig: Zwar kann er durchaus das biblische Bekenntnis zur „immerwährenden Treue“ Gottes zum Menschen anerkennen,28 sieht diese Gottestreue aber in ungelöstem Konflikt mit anderen Motiven im „Inneren Gottes“,29 wie er überhaupt das göttliche Sein als in ständiger Veränderung begriffen versteht.30 Letztlich rückt bei Brueggemann darum nicht nur die Unverfügbarkeit und Freiheit Gottes, sondern vielmehr dessen Unberechenbarkeit und Zwiespältigkeit in den Vordergrund, was seinem magisteralen Entwurf einer Theologie des Alten Testaments bei aller Beachtung auch vielseitige Kritik eingebracht hat.31 Selbst wer von solchen im engeren Sinne 27 Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft, 119. Theobald fügt allerdings anerkennend an, dass es „natürlich kein höheres Gütesiegel für eine Theologie“ gebe „als die Feststellung, dass sie in ihre Zeit hineingesprochen und -gewirkt“ habe (ebd). 28 Brueggemann, Theology of the Old Testament, 296. 29 Vgl. Brueggemann, Theology of the Old Testament, 311, wo der Autor deutlich macht, dass die Erhabenheit und der Selbstdurchsetzungswille Gottes dessen Festhalten an der Treue zu Israel nicht immer gewährleisten können, sowie ebd., 373, wo Brueggemann ausdrücklich von „Yahweh’s failure to adhere to covenenant“ spricht. Nicht im Einzelnen, sondern nur im gesamthaften Rückblick sieht Brueggemann die Rede von der Treue Gottes legitimiert: ebd., 312: „In the end, from the perspective of the final form of the text, fidelity dominates the vision of Israel“ (Hervorhebung M.S.). 30 Vgl. Brueggemann, Theology of the Old Testament, 279, oder ebd., 302 – Brueggemann spricht hier von eigentlichen Charakterveränderungen Gottes bzw. von der Freiheit Gottes, zu entscheiden „how to be Yahweh and who to be as Yahweh“. 31 Zur wesentlichen Unberechenbarkeit Gottes nach Brueggemanns Darstellung vgl. v. a. Brueggemann, Theology of the Old Testament, 282: „The tension, oddness, incongruity, contradiction, and lack of settlement are to be understood, not in terms of literature or

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theologischen Begründungen innerbiblischer Spannungen und Widersprüchlichkeiten Abstand nimmt und diese vielmehr als Gegebenheiten der historisch überlieferten und kanonisch festgesetzten Schriften „stehen lassen“ will,32 sieht sich vor ähnliche Herausforderungen gestellt.33 Der von Michael Theobald bemühte Vergleich verschiedener zuweilen konkurrierender oder sich gegenseitig ausschließender Theologien und Gottesvorstellungen innerhalb des biblischen Kanons mit einer Kunstausstellung, in welcher die einzelnen Bilder unverdeckt und unverzeichnet nebeneinander ausgestellt und miteinander ins Gespräch gebracht werden, verfängt nur teilweise.34 Gewiss gehört es zur Verantwortung einer an der kanonischen Schriftensammlung der Kirche orientierten Theologie, verschiedene biblische ‚Porträtierungen‘ des lebendigen Gottes herauszuarbeiten, ohne dem uniformierenden Zwang einer dogmatischen Einheitsperspektive zu erliegen – und es ist auch sicher zu begrüßen, dass eine dogmatisch ungebundene historische Arbeit im biblischen Kanon „auf eine große Vielzahl von Erschließungen der Wirklichkeit Gottes trifft, die immer mehr auch in ihrer Eigenart deutlich werden dürfen“, wie etwa Heinzpeter Hempelmann anerkennend festhält.35 Es ist aber doch zu fragen, ob nicht eine ganz wesentliche konstruktiv-synthetische Aufgabe der Theologie unterschlagen wird, wenn die in sich spannungsvollen bis kontradiktorischen biblischen „Gottesbilder“ einfach nebeneinander ‚aufgehängt‘ werden, um – nach Theobalds Formulierung – in ihrem „Ensemble“ für den

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history, but as the central data of the character of Yahweh. This suggests that Yahweh, as evidenced in and by Israel, has available as a character a range of inclinations, a repertoire of possible responses, a conundrum of loyalties, commitments, and expectations that are being endlessly adjudicated. While certain tendencies, propensities, and inclinations have some stability, being more or less constant, Israel and Israel’s rhetoricians never know beforehand what will eventuate in the life of Yahweh“ (Hervorhebungen M.S.). Sowie ebd., 296: „One never knows whether Yahweh will turn out to be a loose cannon, or whether Yahweh’s commitment to Israel will make a difference. […] What one does know is that Yahweh’s selfregard is massive in its claim, strident in its expectation, and ominous in its potential.“ Kritik an Brueggemanns Charakterisierung Gottes äußert u. a. Terence Fretheim: Fretheim, Some Reflections on Brueggemann’s God, 24–37; vgl. ferner den hervorragenden kritischen Vergleich der Entwürfe Heschels, Fretheims und Brueggemanns von Schlimm, Difference Perspectives on Divine Pathos, 673–694; sowie Coleman, Walter Brueggemann’s Enduring Influence on Biblical Interpretation, v. a. 94f. So Michael Theobald im Blick auf konkurrierende „Konzepte“ innerhalb der biblischen Überlieferungen: Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft, 128; und, mit Bezug auf die Auseinandersetzung um die ‚offene Sicht Gottes‘, schon McCormack, Karl Barth in Conversation with Open Theism, 194f: „[T]here is a real question here of whether it is really necessary to seek any final harmonization between the sets of Old Testament passages regarded by each side ot the controversy as fixed poles in the hermeneutical process. […] Perhaps it would be better to allow such passages to simply stand in an unresolved tension.“ Vgl. hierzu auch Werbick, Theologische Methodenlehre, 238–324. Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft, 129f. Hempelmann, ‚Stürzen wir nicht fortwährend?‘, 107.

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Betrachter „Nähe und Ferne in der Artikulation der ‚Sache‘“ erfahrbar werden zu lassen,36 ohne dass der Versuch unternommen wird, die verschiedenen Bilder als Perspektivierungen des einen, biblisch bezeugten Gottes einsichtig zu machen.37 Wird dem „Betrachter“ nicht zu viel zugemutet, wenn er im Gang entlang dieser Bilder „seinen eigenen Weg im Glauben“ finden und ihn, „inspiriert von den biblischen Optionen“, auch gehen soll?38 Immerhin geht es bei der Artikulation der „Sache“ um die Offenbarung des lebendigen Gottes, und der Glaube wird kaum darin bestehen können, der Vorstellung dieses Gottes gegenüber Optionen zu ergreifen. Eine solche Ausgangslage gleicht letztlich dem „Zwang zur Häresie“, wie ihn der Religionssoziologe Peter Berger im Blick auf den gegenwärtigen religiösen Pluralismus treffend beschrieben hat – der Zumutung also, das, was einen fundamental trägt und darum gerade nicht verfügbar sein sollte, selbst wählen zu müssen.39 Zugleich wird dem „Betrachter“ damit in gewissem Sinne aber auch zu wenig zugetraut, insofern man ihm im Namen einer solchen ‚Bilderausstellung‘ die Herausforderung abnimmt, nach dem zu fragen, was die verschiedenen biblischen Gotteszeugnisse in der Weise verbindet, dass es zu einer einheitlichen Traditionsbildung und einem gemeinsamen kirchlichen Glauben kommen konnte – oder, existenzieller, nach der Stimme des einen Gottes zu suchen, der sich im Miteinander und Durcheinander der Stimmen biblischer Autoren Gehör verschaffen will.40 Sosehr mit der Vielfalt menschlicher und damit ebenso kontingenter wie begrenzter biblischer Gotteszeugnisse zu rechnen sei, gibt darum Hempelmann zu verstehen, so wenig dürfe doch „die die Einheit 36 Vgl. Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft, 130. 37 Vgl. zumal im Blick auf das Neue Testament hierzu den programmatischen Aufsatz von Schlier, Über Sinn und Aufgabe einer Theologie des Neuen Testaments, 323–344. Schlier macht sich für die Aufgabe der Bibelwissenschaften stark, nicht nur den theologischen Gehalt und Aussagewillen der einzelnen biblischen Schriften darzulegen, sondern auch „die Einheit der verschiedenen ‚Theologien‘ sichtbar zu machen“ und wenigstens eine „letzte Widerspruchslosigkeit der verschiedenen theologischen Grundgedanken und Aussagen“ aufzuzeigen (ebd., 338f.). In die Architektur seiner Theologie des Neuen Testaments eingezeichnet hat dieses Anliegen Ferdinand Hahn, welcher im ersten Band seiner Darstellung „Die Vielfalt des Neuen Testaments“ entfaltet, während er im zweiten Band „Die Einheit des Neuen Testament“ herausarbeitet: Hahn, Theologie des Neuen Testaments, 2 Bd. Vgl. außerdem Stuhlmacher, Neues Testament und Hermeneutik, 9–49. 38 Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft, 130. 39 Berger, Der Zwang zur Häresie, 39–45; vgl. hierzu auch Hempelmann, ‚Was sind denn diese Kirchen noch…?‘, 70–78. 40 Vgl. hierzu Hempelmann, ‚Stürzen wir nicht fortwährend?‘, 109 – Hempelmann fragt eben angesichts der unterschiedlichsten alt- und neutestamentlichen Theologien, welche eine Vielzahl von Gottesvorstellungen unterstellen, wie man sich dann eine Geschichte Israels oder eine Geschichte des Urchristentums vorzustellen habe, „die solche angeblichen, zum Teil kontradiktorischen Aussagen nicht nur nebeneinander stehen lässt, sondern mit ihnen lebt, ja diese sogar noch als normative (!) Tradition weitergibt“; vgl. auch ders., Plädoyer für eine Hermeneutik der Demut, 190f.

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dieser Zeugnisse bildende Wirklichkeit als gemeinsamer Ausgangs- und Zielpunkt der verschiedenen theologischen und geschichtlichen Reflexionen“ aus dem Blick geraten.41

Zur Frage nach der die hermeneutische Makroperspektive bestimmenden Mitte der Schrift und zum Erschließungspotenzial einer Lesung der Schrift von der ‚externen Mitte‘ in Jesus Christus her: Diese die Einheit der biblischen Zeugnisse konstituierende Wirklichkeit – welche wiederum die hermeneutische Gesamtperspektive zur Interpretation der biblischen Zeugnisse bestimmen wird – kann aber nicht in der Schrift selbst identifiziert oder aus ihr heraus erhoben werden, ohne sich zirkulärer Begründungsmuster zu bedienen. Keine „wie auch immer geartete[…] Verschmelzung und Harmonisierung ihrer Teile zu einem ‚System‘“ kann die Einheit der Schrift sicherstellen,42 auch nicht der Versuch, „in einem bestimmten Text oder Textkorpus“ die Mitte der Schrift zu identifizieren und von daher sämtliche anderen Texte in den Blick zu nehmen:43 Solchen letztlich der Eigenwilligkeit des Auslegers und Systematisierers ausgelieferten Zugriffen auf die Bibel wird immer der Makel anhaften, bestimmte biblische Überlieferungen oder Motive aus dem biblischen Korpus herausgehoben und unter der Hand zum Beurteilungskriterium für ebendiesen biblischen Korpus erklärt zu haben. „Will man die Mitte des Neuen Testaments identifizieren als einen Teil desselben, endet man dabei, den einen Teil gegen den andern Teil der Schrift auszuspielen“, hält Hans Weder (zunächst mit Blick auf die neutestamentliche Wissenschaft) fest.44 Er plädiert entsprechend dafür, als die „Mitte“ der Schrift eine Instanz zu wählen, „der gegenüber alle Texte der Schrift gleichermaßen relativ sind“ – und er findet diese externe Mitte in der Person von Jesus Christus.45 Mit diesem Namen ist nach 41 42 43 44

Hempelmann, ‚Stürzen wir nicht fortwährend?‘, 109. So Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft, 135. So Weder, Biblische Theologie, 31f. Weder, Biblische Theologie, 32; vgl. übereinstimmend: Dalferth, Die Mitte ist außen, 178; sowie Hempelmann, Plädoyer für eine Hermeneutik der Demut, 190: „Immer dort, wo man versucht hat, solch einen ‚Kanon (im Sinne von Maßstab/Norm) im Kanon‘ zu formulieren, hat sich letztlich notwendig die Subjektivität des Auslegers durchgesetzt und zur Macht gebracht. Bester, schlagender Beweis ist die kaum noch überschaubare, disparate Fülle solcher Bestimmungen dessen, was denn nun die eigentliche Aussage der Bibel, die ‚Mitte der Schrift‘ etc. sei, die man in der Heiligen Schrift selbst erheben und dann zugleich sachkritisch gegen andere Kanonteile, ihre Gültigkeit oder gar ihre Kanonizität meinte wenden zu können.“ 45 Weder, Biblische Theologie, 32; sowie ausführlich ders., Die Externität der Mitte, v. a. 313: „Von der Mitte der Schrift gilt dementsprechend, dass sie eine unhintergehbare Externität hat.“ Vgl. übereinstimmend auch Dalferth, Die Mitte ist außen, 191: „Für alle biblischen

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Weder die „Sache“ bezeichnet, welche alle neutestamentlichen Schriften auf ihre je eigene Weise zur Sprache bringen wollen und welche in kanonischer Perspektive auch der Fluchtpunkt der alttestamentlichen Gottesrede darstellt.46 Es gehöre darum zur fundamentalen Aufgabe der Theologie, näherhin von „systematisch denkenden Exegeten“ und „exegetisch arbeitenden Systematikern“, Jesus Christus als die Einheit der Schrift tragende und ihre Lesung bestimmende Instanz zur Sprache zu bringen und einsichtig zu machen.47 Ausdrücklich hält Weder dabei fest, dass diese Perspektivierung biblischer Theologie auch die Möglichkeit und Notwendigkeit von Sachkritik am Geltungsanspruch bestimmter biblischer Überlieferungen einschließt – wenn solche Sachkritik dann auch nicht durch „modernistische Vorlieben“ getrieben sei, sondern vielmehr gerade aus der Konzentration auf die „entscheidende Sache der Bibel“ hervorgehe.48 Die einschlägigen Darstellungen der Offenen Sicht Gottes gehen den hier vorgezeichneten Weg de facto nicht mit, auch wenn sie sich verschiedentlich zur Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus als dem Zentrum und interpretatorischen Horizont der ganzen Schrift bekennen.49 In der Durchführung ihres Ansatzes bleiben die Offenen Theisten vielmehr einer möglichst unmittelbaren, „wörtlichen“ Lesung der biblischen Gottesrede verpflichtet, welche sie in der Wesensbestimmung Gottes als Liebe verdichten, um aus dieser theologischen Makroperspektive wiederum ihr Verständnis der Texte zu schärfen.50 Es handelt sich also um den von Theobald als Verschmelzung und Harmonisierung der biblischen Überlieferungen zu einem theologisch konsistenten „System“ bezeichneten Vorgang51 und damit um den Versuch, die Mitte der Schrift aus der Schrift selbst zu erheben, ohne dass der „Externität“ dieser Mitte im Sinne der die

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Texte gilt, dass ihre Mitte außen ist: Jesus Christus bezeichnet keinen Text, sondern das Außerhalb der Texte, auf das sich der Glaube richtet und auf das hin er die Texte des Alten und Neuen Testaments auslegt“ (Hervorhebungen im Original). Weder, Biblische Theologie, 32f. Weder, Biblische Theologie, 33. Weder, Biblische Theologie, 33; vgl. ebenso Dalferth, Die Mitte ist außen, 190f: „Der theologische Hinweis auf Jesus Christus als die Mitte der Schrift formuliert also ausdrücklich ein Prinzip der Sachkritik der biblischen Schriften: Die Schriften des Alten und Neuen Testaments bilden weder theologisch noch religiös noch ethisch ein in sich geschlossenes, widerspruchsfreies Lehrsystem, sondern eine Vielfalt von Stimmen höchst unterschiedlichen Charakters, Gewichts und Erkenntniswerts. […] Wird Jesus Christus als die Mitte der Schrift bezeichnet, dann wird damit also eine Aussage über das kritische Prinzip gemacht, in dessen Licht die Texte der Schrift (die Schriften) in der christlichen Gemeinde rezipiert, angeeignet und gebraucht werden“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. hierzu den Abschnitt 1.2.2 in dieser Arbeit. Vgl. hierzu den Abschnitt 4.2.1 in dieser Arbeit. Vgl. Anm. 42 in dieser Arbeit.

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Texte und die sie interpretierende Kirche ebenso tragenden wie transzendierenden Gegenwart Jesu Christi Rechnung getragen würde.52 Es ist aber bemerkenswert, dass Gregory Boyd in seinen neueren Veröffentlichungen in ebendiese (u.a.) von Hans Weder angezeigte Richtung zu argumentieren beginnt und sich damit von seinem früheren hermeneutisch-bibeltheologischen Ansatz immer weiter wegbewegt. Seine stark autobiographisch geprägte Auseinandersetzung mit der kreativen Spannung von Glaube und Zweifel unter dem Titel Benefit of the Doubt (2013) etwa beschreibt einen eigentlichen Paradigmenwechsel, den Boyd in seinem Schriftverständnis vollzogen hat.53 Während er früher unter der Voraussetzung eines konservativ-evangelikalen Bibelzugangs davon ausgegangen sei, dass erst der Aufweis der Glaubwürdigkeit der Bibel auch die Glaubwürdigkeit Jesu Christi verbürgt, so halte er jetzt vielmehr umgekehrt daran fest, dass die Glaubwürdigkeit Jesu Christi die Glaubwürdigkeit der Bibel verbürge.54 Die Überzeugung von der Glaubwürdigkeit Jesu Christi aber – näherhin von dessen Verlässlichkeit als der definitiven Selbstoffenbarung des lebendigen Gottes – hält Boyd sowohl aus historischen wie aus philosophischen Gründen für gerechtfertigt.55 Historisch nämlich sei die beste Erklärung für die Entstehung und das erstaunliche Wachstum einer Bewegung von Jesusnachfolgern in den Jahrzehnten nach dem Tod ihres Meisters nach wie vor die Wahrheit ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus: Nur die in der Person des Nazareners inkarnierte Menschenliebe Gottes, die im Kreuzestod in unübertrefflicher Tiefe sichtbar und in der Auferstehung als siegreiche Kraft Gottes erwiesen wurde, erklärt nach Boyd die Anziehungskraft und Unerschrockenheit der frühen Kirche einigermaßen hinrei-

52 Vgl. hierzu einzigartig pointiert Dalferth, Die Mitte ist außen, 191: „Der Glaube […] richtet sich auf Gott, den Schöpfer und Vollender der Welt, wie dieser sich in und durch Jesus Christus bestimmt und erschlossen hat und durch das Wirken des Geistes immer wieder erschließt. Von diesem Gott ist in den biblischen Texten in mannigfacher Weise die Rede. Aber er ist weder identisch mit diesen Texten noch mit dem, was diese von ihm sagen. Gott ist kein Text, kein semantisches Textkonstrukt und auch nicht nur das dunkle Referenzobjekt von Texten, das nur mit diesen gegeben wäre, sondern Gott ist die gegenwärtig wirksame Liebe, der sich alles, auch jedes Text- und Interpretationsgeschehen, verdankt und die sich in Jesus Christus und durch den Geist als solche zur Sprache bringt.“ 53 Boyd, Benefit of the Doubt, 157–166. 54 Boyd, Benefit of the Doubt, 159: „Rather than believing in Jesus because I believe the Bible to be the inspired Word of God, as evangelicals typically do, I came to believe the Bible was the inspired Word of God because I first believe in Jesus. This is how I now encourage people to structure their faith, for I have found it to be a much surer intellectual foundation for my faith than the conviction that Scripture is the Word of God“ (Hervorhebungen im Original). 55 Vgl. Boyd, Benefit of the Doubt, 159–163; Boyd nennt darüber hinaus existenzielle und geistlich-erfahrungsbezogene Gründe für seinen Glauben an Jesus Christus als der Inkarnation Gottes.

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chend.56 Und eben diese in Leben, Tod und Auferstehung Jesu sich manifestierende Liebe Gottes, die Vorstellung eines Gottes also, der sich um seiner verletzlichen Liebe willen vom Menschen überwinden lässt und gerade in dieser Schwachheit seine wahre Stärke unter Beweis stellt, läuft den Erwartungen und Vorurteilen einer herrsch- und gewaltsüchtigen Menschheit derart fundamental entgegen, dass es Boyd auch philosophisch vernünftig scheint anzunehmen, dass gerade an dieser Stelle das wahre, ungetrübte Wesen Gottes aufleuchtet.57 Die ultimative Selbstoffenbarung Gottes in der „kreuzesförmigen“ Liebe Jesu Christi fungiert dann im neuesten opus magnum Boyds unter dem Titel The Crucifixion of the Warrior God (2017) als das zentrale hermeneutische Paradigma.58 Durchaus im Sinne der von Theobald evozierten Metapher einer ‚Bilderausstellung‘ kann Boyd hier von den zahlreichen und divergierenden „Porträtierungen“ Gottes in den biblischen Überlieferungen sprechen,59 er betont aber in Auseinandersetzung mit der erschreckenden gewaltverherrlichenden Gottesrede mancher alttestamentlicher Texte die kritische Funktion Jesu 56 Boyd, Benefit of the Doubt, 160f; wenn Boyd an dieser Stelle auch für die grundsätzliche historische Glaubwürdigkeit der Evangelienberichte eintritt, so versucht er doch gerade nicht nach dem Muster der herkömmlichen evangelikalen Apologetik die Inspiration und Autorität der Bibel sicherzustellen, indem er die historische Akkuranz aller biblischen Überlieferungen nachweist. Vielmehr will Boyd die Glaubwürdigkeit zumindest der Grunddaten des Lebens Jesu aufweisen, also zeigen, dass „the historical Jesus roughly corresponds to the portrait these disciples give in the Gospels“ (ebd., 162), um dann von dieser Glaubwürdigkeit Jesu her für die Anerkennung der biblischen Schriften als Offenbarungszeugnisse zu votieren: „The earliest disciples certainly believed the Old Testament was inspired, but they never based their faith in Christ on this. They used it extensively, but only as a means of pointing people to Jesus, whom they already believed in for other reasons. This is the role that I believe the Bible, which now includes the New Testament, should play in our lives“ (ebd., 163); vgl. hierzu auch Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Bd. 1, 490: „I hold that the epistemic foundation for the conviction that Jesus Christ is the definitive revelation of God should be anchored not in the conviction that the NT is divinely inspired, but in a historical-critical assessment of the reliability of the Gospels, combined with other historical, philosophical, and experiential considerations.“ Zur Frage der historischen Verlässlichkeit der Evangelienberichte vgl. die ausführliche Studie: Boyd/Eddy, The Jesus Legend. 57 Boyd, Benefit of the Doubt, 159f; vgl. ausführlich: Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Bd. 1, 141–228, sowie pointiert ebd., 490: „[F]ar from reflecting people’s fallen and culturally conditioned views of God, the revelation of God on the cross contradicts not only the dominant way first-century people viewed God at the time, but the dominant way fallen and culturally conditioned people have always tended to imagine God/gods. We do not need to presuppose Paul’s divine inspiration to agree with his assessment that the power and wisdom of the God revealed on the cross appears weak and foolish to people’s ordinary way of conceiving of God (1 Cor 1:18–24), including, sadly, the dominant way Christian theologians have tended to conceive of God throughout history.“ 58 Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, 2 Bd. Gregory Boyd hat zur Etablierung der Rede von der „cruciform Love of God“ oder einer „cruciform hermeneutics“ im englischsprachigen Raum entscheidend beigetragen – vgl. etwa Boyd, A Cruciform Magic Eye. 59 Vgl. zur Rede von den „portraits“ oder „depictions“ of God: Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Bd. 1, xxviii, Anm. 3.

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Christi als die „externe Mitte“ der Schrift, von welcher her alle biblischen Gottesvorstellungen einer erneuten Lesung unterzogen werden müssen.60 Es ist also nicht mehr einfach das Bestreben, die Texte der Vereinnahmung durch die ‚klassische‘ Theologie zu entreißen und wieder möglichst unvoreingenommen („wörtlich“) im Sinne der damaligen Produzenten und Rezipienten zu lesen, welches diese jüngste bibeltheologische Untersuchung Boyds leitet, sondern vielmehr und ausdrücklich das Programm einer theologischen Relektüre der biblischen Überlieferungen im Licht der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus.61 Entsprechend ist auch das frühere Bedürfnis, die Gottesrede der Bibel unter zahlreichen Harmonisierungsversuchen in ein stimmiges Gesamtbild zu gießen, dem Bemühen gewichen, sämtliche biblischen Überlieferungen in ein positives oder problematisches Verhältnis zur in Jesus Christus inkarnierten und manifestierten Liebe Gottes zu setzen. Dem im Evangelikalismus besonders schwer wiegenden Vorwurf einer Sachkritik an der biblischen Gottesrede versucht Boyd allerdings durch ein ‚dialektisches‘ Verständnis der Schriftwerdung zu entgehen. Dieses erlaubt ihm, die gesamte Schrift als „inspiriertes Zeugnis“ des lebendigen Gottes anzuerkennen und selbst die gewaltverherrlichenden Beschreibungen Gottes in indirekter Weise noch als Ausdruck kreuzesgemäßer Liebe zu lesen: Die besonders im Alten Testament zahlreichen Zeugnisse der Zustimmung Gottes für oder seiner Beteiligung an Gewaltakten belegen nach Boyd insofern gerade die Gewaltlosigkeit Gottes, als Gott die theologischen Fehlvorstellungen der biblischen Autoren nicht gewaltsam überwunden und die Endgestalt der entsprechenden Überlieferungen nicht einseitig festgelegt hat, sondern sich die „literarische Entstellung“ seiner selbst um seiner kreuzesgemäßen Liebe Willen gefallen lässt.62 60 Vgl. programmatisch für das ganze Doppelwerk Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Bd. 1, 36. 61 Vgl. hierzu besonders Boyds Auseinandersetzung mit dem Programm einer Theological Interpretation of Scripture, welche im englischsprachigen Raum zahlreiche Anhänger aus verschiedenen Konfessionen gewonnen hat: Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Bd. 1, 513–552; vgl. aber auch schon Boyd, Benefit of the Doubt, 190: „My approach, in other words, isn’t an attempt to interpret what Old Testament authors said differently. I’m not engaging in clever exegesis. It’s rather an attempt to show how we who read their writings through the lens of the cross can discern a deeper, nonviolent meaning.“ 62 Boyd parallelisiert den Modus der Offenbarung Gottes im Kreuz Jesu ausdrücklich mit dem Modus seiner Offenbarung in der Schrift bzw. versteht Letztere von der Ersteren her – vgl. sehr verdichtet: Boyd, The Crucifixion of the Warrior God, Bd. 1, 497: „Since the cross is the definitive revelation of God, we should not assume that the manner in which we behold this revelation will be altogether different from the manner in which we behold his revelation within the ‚God-breathed‘ written record to his covenantal faithfulness. To the contrary, with the crucified Christ as our paradigm, we should rather read Scripture with the expectation that we will at least sometimes need to exercise the same depth perceiving faith we employ when we discern the crucified Nazarene to be the definitive revelation of God. That is, just as we must exercise faith to see beyond the sin-mirroring appearance of the crucified, god-

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Natürlich ist auch ein solcher Ansatz einer christozentrischen, „kreuzesförmigen“ Hermeneutik nicht der Subjektivität und Eigenwilligkeit des Schriftauslegers oder Dogmatikers entzogen, zumal auch das Kreuzesereignis und die darin manifestierte Liebe Gottes noch zahllose Interpretationen und Konzeptionalisierungen zulassen. Es ist damit aber zumindest das formale Kriterium, die thematische „Mitte“ vorgegeben, welche die Lesung der biblischen Gottesrede anleiten soll – ein Kriterium oder eine „Mitte“, welche der fundamentalen Verpflichtung des Offenen Theismus auf die Liebe Gottes zutiefst entspricht.63 Boyds ausführliche Studie The Crucifixion of the Warrior God (2017) zeichnet mit anderen Worten die Linien vor, entlang derer eine erneuerte Entfaltung der ‚offenen Sicht Gottes‘ nicht nur vielfältigen Kohärenzproblemen und Harmonisierungszwängen entgehen könnte, die sich aus einer „unmittelbaren“, teilweise rigoristischen Lesung der biblischen Gotteslehre ergeben, sondern mit denen sich auch zahlreiche systematisch-theologische Lücken schließen ließen, welche die fehlende Berücksichtigung christologisch-trinitarischer Zusammenhänge in der Ausgestaltung besonders der Eigenschaftslehre mit sich bringt.

Zusammenfassende Auswertung „Man fragt sich, wie jemand, der die Bibel liest, auf die Idee kommen kann, der biblische Gott sei überzeitlich, unveränderlich und unwandelbar. Nichts scheint dem biblischen Zeugnis mehr zu widersprechen als diese Aussage.“64 Mit diesem klaren Diktum bringt Armin Kreiner eine von den Offenen Theisten geteilte und durch ihre bisherigen Arbeiten substantialisierte Intuition auf den Punkt: Der Gott, den die biblischen Schriften des Alten und Neuen Testamentes bezeugen, ist nach einhelliger Überzeugung der Vertreter des Offenen Theismus mitnichten der Gott der ‚klassischen‘, griechisch-metaphysisch formatierten Theologie, der unbewegte Beweger, der leidenschaftslose Pantokrator, das ewigforsaken criminal to behold God stooping out of love to bear our sin and to thereby take on an ugly appearance that mirrors that sin, so too we must be prepared to exercise faith when reading Scripture to see beyond the sin-mirroring literary appearances of a violent God in order to behold God stooping out of love to bear the sin of his people and to thereby take on these ugly literary appearances.“ 63 Vgl. hierzu den Abschnitt 1.2.2 in dieser Arbeit. 64 Kreiner, Gott im Leid? Zur Theodizee-Relevanz der Rede vom leidenden Gott, 215. Man beachte auch das vergleichbare, im Kontext der Entfaltung einer „biblischen Gotteslehre“ gezogene Fazit von Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 110: „Als der ‚Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs‘ und als der ‚Vater Jesu Christi‘ ist der eine Gott der Bibel etwas anderes als das absolute hen (‚Eines‘) der platonischen Metaphysik, das gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich von der Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit als schlechthin nur mit sich selbst identisch und deshalb als unvergänglich und zeitlos abhebt.“

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zeitenthobene Sein. Der reiche Fundus biblischer Gottesrede offenbart ihrer Einschätzung nach vielmehr einen äußerst menschengestaltigen, nämlich personalen, beweglichen und verletzlichen Gott, der sich mit seiner Schöpfung auf ein unberechenbares Abenteuer einlässt und eine authentische Liebesgeschichte wagt. Kronzeugen für dieses Gottesverständnis sind die im Motiv der ‚Offenheit Gottes‘ versammelten ‚anthropomorphen‘ Beschreibungen der Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes, denen die Offenen Theisten zu neuem Gewicht verhelfen wollen. Die Aufmerksamkeit für jene auslegungsgeschichtlich weitgehend vernachlässigten oder vereinnahmten Texte gilt im Offenen Theismus dabei von Anfang an nicht einem überlieferungskritischen oder religionsgeschichtlichen, sondern einem dezidiert theologischen Interesse: Dessen Vertreter wollen nicht einen Beitrag zur Neubewertung vergangener israelitischer Gottesvorstellungen an sich leisten, sondern unter Ernstnahme besagter Überlieferungen (und insofern durchaus im Vollzug einer solchen Neubewertung) die Konturen eines offenbarungsgeschichtlich verantwortlichen Gottesglaubens in der Gegenwart neu ausziehen. Die vorliegende Untersuchung hat den Offenen Theismus in diesem Sinne in den Blick genommen und also erstmals als ein im Kern bibeltheologisches Unterfangen mit durchschlagenden Konsequenzen für die Gotteslehre (und eminent praktisch-theologischen Interessen) gewürdigt. Dabei stand eine zweifache Fragestellung und Zielsetzung im Hintergrund:65 Zunächst hat diese Arbeit nach den biblisch-exegetischen Beobachtungen, den hermeneutischen Grundsätzen und systematischen Konsequenzen gefragt, welche den Offenen Theismus als bibeltheologische Reformbewegung auszeichnen. Diese analytisch-darstellende Aufgabenstellung hat dem Begründungsverfahren der Offenen Theisten entsprechend bei der Entfaltung der biblisch-exegetischen Materialgrundlage einer ‚offenen Sicht Gottes‘ eingesetzt (Kapitel 2). Es wurde deutlich, dass gerade die typisch evangelikale Verpflichtung auf eine möglichst natürliche und unmittelbare („wörtliche“) Lesung der Texte die Vertreter des Offenen Theismus dazu führt, den herkömmlichen Umgang mit den biblischen Zeugnissen für die Flexibilität und Geschichtsimmanenz Gottes zu kritisieren – und energisch für die theologische Ernstnahme dieses von ihnen sogenannten „biblischen Motivs der Offenheit Gottes“ zu plädieren. In der anschließenden hermeneutischen Reflexion auf die Verstehensbedingungen des Offenen Theismus (Kapitel 3) wurde die These von der verhängnisvollen Überfremdung der christlichen Gotteslehre durch hellenistische Prämissen als fundamentale Denkfigur des Offenen Theismus transparent: Nach einmütiger Einschätzung der Offenen Theisten führt diese Voreingenommenheit der ‚klassischen‘ Theologie nicht nur zur selektiven Wahrnehmung biblischer Gottesrede, 65 Zur Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit vgl. Abschnitt 1.3.2.

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sondern zu einer strategischen Umdeutung all jener „anthropomorphen“ und vorgeblich „akkommodierten“ Aussagen, welche einer ‚offenen Sicht Gottes‘ Vorschub leisten könnten. Die Offenen Theisten wollen sich von diesem zweifelhaften Erbe befreien und die Selbstimmunisierung ‚klassischer‘ Theologie gegenüber weiten Teilen der biblischen Gottesrede überwinden, indem sie gerade die anstößig menschengestaltige Rede von der Lernbereitschaft, Enttäuschung und Reue Gottes neu zum Sprechen bringen. In systematisch-theologischer Konsequenz bedeutet dies, dass vor allem einige für den ‚klassischen‘ Ansatz zentrale Gottesattribute einer Reformulierung unterzogen werden (Kapitel 4). So wird etwa das Bekenntnis zur Allwissenheit, Allmacht und Unveränderlichkeit Gottes zwar formaliter beibehalten, materialiter aber im Rahmen einer ‚offenen Sicht Gottes‘ grundlegend modifiziert. Die Vertreter des Offenen Theismus sind überzeugt, die theologische Substanz der betreffenden Eigenschaften Gottes damit nicht zu kompromittieren, sondern diesen vielmehr ihren ursprünglichen biblischen Gehalt zurückzugeben, indem sie als Aspekte oder Funktionen der Liebe Gottes ausgewiesen werden. Das johanneische Diktum „Gott ist Liebe“ leuchtet in dieser Untersuchung daher als Fluchtpunkt der bibeltheologischen Bemühungen der Offenen Theisten wie auch als deren hermeneutische Markoperspektive auf. Verwoben mit dieser Aufarbeitung der bibeltheologischen Begründungszusammenhänge des Offenen Theismus ist die kritische Auseinandersetzung mit seinen tragenden Motiven und Positionen v. a. im Gegenüber zu neueren Entwicklungen der hiesigen Theologie. Sie folgt der spezifischen Frage, wo vom aktuellen theologischen Diskurs insbesondere im deutschsprachigen Raum her Kritik am Offenen Theismus als bibeltheologischer Reformbewegung angebracht ist und wo wiederum der Offene Theismus den hiesigen Diskurs anregen könnte. Die im Verlauf mehrerer kritischer (Zwischen-)Reflexionen gewonnenen Antworten auf diese Fragestellung sind ebenso vielfältig wie ambivalent: Die in Kapitel 2 einsichtige Verhaftung des Offenen Theismus in einem konservativ-evangelikalen Schriftverständnis wurde zunächst als Mangel verbucht, zumindest insofern die damit einhergehenden bibliologischen Grundüberzeugungen (etwa von der Widerspruchsfreiheit der Schrift oder der theologischen Unfruchtbarkeit historisch-kritischer Methodik) in allen einschlägigen Werken der Offenen Theisten weder diskutiert noch plausibilisiert, sondern schlicht vorausgesetzt werden. Das macht die exegetischen Ausführungen und Harmonisierungsversuche der Offenen Theisten außerhalb des Evangelikalismus zu einer teilweise befremdlichen Lektüre und steht einer Rezeption der ‚offenen Sicht Gottes‘ innerhalb thematisch verwandter Forschungsbemühungen sowohl im englischsprachigen wie im deutschsprachigen Raum im Wege. Als Beispiel wurde Jan-Dirk Döhlings Studie zur Reue Gottes angeführt, aber auch andere aktuelle Untersuchungen zur anthropomorphen Gottesrede der Bibel und ins-

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besondere zur Körperlichkeit Gottes nach altisraelischer Vorstellung verdienten Erwähnung.66 Meist ohne den Offenen Theismus zur Kenntnis zu nehmen, bekräftigen sie dessen grundsätzliches Anliegen, die biblischen Texte aus dem interpretatorischen Klammergriff eines ‚klassischen‘, letztlich antianthropomorphen Gottesverständnisses zu lösen und in ihren theologischen Eigenaussagen neu zur Geltung kommen zu lassen. Die kritische Reflexion der Hellenisierungsthese in Kapitel 3 hat auch gezeigt, dass die mit dem genannten Anliegen verbundene Zuversicht, unter Absehung von philosophischen Prämissen oder im Rückgang hinter gängige theologische Vorbehalte zur „eigentlichen“ biblischen Gottesrede durchstoßen zu können, erkenntnistheoretisch problematisch ist. Auch wenn neuzeitliche bibelwissenschaftliche Untersuchungen sich dem theologischen Aussagewillen einzelner Texte durchaus annähern mögen und obwohl es möglich zu sein scheint, etwa in den Schriftauslegungen frühchristlicher Autoren Vorlieben für bestimmte griechisch-philosophische Begriffe, Denkfiguren und Konzepte auszumachen, so scheitert die Klärung der Frage, ob eine solche hellenistische Beeinflussung den ‚biblischen Gottesbegriff‘ effektiv erhellt oder verdunkelt (und also auch ob der offen-theistische Gegenentwurf zur ‚klassischen‘ Gotteslehre als angemessener gelten darf), doch letztlich an der Diversität biblischer Gottesrede und der Unverfügbarkeit eines übergeordneten Urteilsstandpunktes. Unter den Offenen Theisten hat nur John Sanders diese Schwierigkeit in ihrem vollen Gewicht erkannt. Er bemüht sich deshalb weniger um den Nachweis einer objektiven Überlegenheit des Offenen Theismus gegenüber anderen theologischen Modellen als vielmehr darum, die Wesensbestimmung Gottes als risikobehaftete Liebe im Sinne einer möglichen (wenn auch nicht notwendigen) bibelhermeneutischen Makroperspektive einsichtig zu machen und zu zeigen, dass die ‚offene Sicht Gottes‘ dieser spezifischen Makroperspektive deutlich gerechter zu werden vermag als die ‚klassischen‘ Entwürfe der Gotteslehre. In dieser Hinsicht birgt der Offene Theismus auch für den deutschsprachigen Diskurs erhebliches Erschließungspotenzial. Zumindest den offenbarungstheologisch verpflichteten Versuchen hiesiger dogmatischer Theologie, die Liebe ins Zentrum der Gotteslehre zu rücken, könnte der Offene Theismus zu einer schärferen Wahrnehmung der Inkonsistenzen verhelfen, welche sich im Rahmen ‚klassischer‘ Bestimmungen Gottes etwa als allmächtig, allwissend und unveränderlich nicht erst im Angesicht der Inkarnation und Passion des Sohnes, sondern schon hinsichtlich 66 Vgl. hierzu den Abschnitt 3.3.5 in dieser Arbeit. Es wurde auch deutlich, dass die meisten Offenen Theisten nicht von einer Körperlichkeit Gottes sprechen wollen und darum hermeneutisch unterscheiden zwischen „eigentlich“ zu verstehenden Anthropopathismen (dazu gehört prominent die Rede von der Reue Gottes) und „uneigentlich“ zu verstehenden Anthropomorphismen im engeren Sinne (dazu gehört etwa die Rede von den Händen, Füßen und Armen Gottes) – vgl. ebd.

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prominenter Motive alttestamentlicher Gottesrede ergeben – und er könnte umgekehrt den Blick öffnen für den Reichtum biblischer Überlieferungen, welche die personale, bewegliche, verletzliche Qualität der Liebe Gottes zum Ausdruck bringen und eine Modifikation des ‚klassischen‘ Gottesbegriffs anregen. Ansätze zu einer solchen Modifikation der Gotteslehre durch die Vertreter des Offenen Theismus wurden in Kapitel 4 thematisch. Es wurde deutlich, dass sich anhand der bisherigen Werke der Offenen Theisten zwar die Konturen zentraler Attribute wie etwa der Allwissenheit, Allmacht oder Unveränderlichkeit Gottes in offen-theistischer Fassung nachzeichnen lassen, dass es aber an der Integration dieser Eigenschaften in eine eigenständige dogmatische Gotteslehre mangelt. Die Offenen Theisten bemühen sich an den entscheidenden Stellen weniger um die weitere systematische Durchdringung ihrer bibeltheologischen Erkenntnisse als vielmehr um deren religionsphilosophische Plausibilisierung. In dieser letztgenannten Hinsicht wird der Offene Theismus neuerdings auch im deutschsprachigen Raum wohlwollend aufgenommen – vornehmlich katholische Rezipienten erkennen die Anstrengungen der Offenen Theisten an, einen philosophisch konsistenten Begriff der Freiheit des Menschen sowie der Vorsehung und des Handelns Gottes zu gewinnen, und sie knüpfen besonders zum Nachweis der Intelligibilität des Bittgebets positiv daran an67 – wenn dieses Engagement der Offenen Theisten im religionsphilosophischen Diskurs auch auf Kosten der dogmatischen Ausarbeitung einer ‚offenen Sicht Gottes‘ geht. Gerade der exemplarische Abgleich mit den Eigenschaftslehren Barths, Brunners, Moltmanns und Pannenbergs konnte zeigen, dass der Offene Theismus weit über oberflächliche Referenzen hinaus von den Ausführungen prominenter deutschsprachiger Entwürfe profitieren könnte – und dass zumindest die genannten Systematiker mit dem Offenen Theismus sowohl in manchen tragenden Motiven wie auch in zentralen materialen Überzeugungen übereinstimmen. Besonders schwer fällt im kritischen Vergleich mit Barth, Brunner, Moltmann und Pannenberg die fehlende oder jedenfalls unterentwickelte christologisch-trinitarische Tiefendimension der einschlägigen Darstellungen einer ‚offenen Sicht Gottes‘ ins Gewicht. Die Offenen Theisten verpassen es bislang, ihr Bekenntnis zur Normativität der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus bibelhermeneutisch durchzuhalten und in der Entfaltung ihres Gottesbegriffs strategisch zur Geltung zu bringen. In seinem jüngsten Doppelwerk The Crucifixion of the Warrior God (2017) arbeitet Gregory Boyd die bibelhermeneutischen Grundlagen auf, die zu einer christologisch verantwortlichen Fassung der ‚offenen Sicht Gottes‘ notwendig wären – deren tatsächliche Entfaltung wartet aber noch auf kundige und willige Bearbeiter. 67 Vgl. die Ausführungen zur Forschungs- und Rezeptionsgeschichte des Offenen Theismus in Abschnitt 1.3.1 dieser Arbeit.

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Autorenregister

Aristoteles/aristotelisch 94 Armstrong, John H. 14 Baker, Vaughn 26, 32, 37, 53 Barr, James 100 Barrett, William 163 Barth, Karl 57, 159, 176, 187 f., 190–199, 201–205, 207–216, 218–220, 243 Barth, Markus 162 Barton, John 85 Basinger, David 13, 15–19, 21, 28 f., 31, 33– 35, 38, 40 f., 47 f., 95 Bauer, Gisa 46 Bauke-Ruegg, Jan 194, 201, 205, 216, 227, 230 Belt, Thomas 15, 34, 39, 44, 221 Benedikt XVI. 137 Benin, Stephen D. 117 Benjamin, Walter 151 f., 224 Bergen, Benjamin K. 127 Berger, Peter L. 233 Bernhardt, Reinhold 9, 46 f., 141 Bertram, G. 146 Biersack, Robert 44, 49–52 Bloesch, Donald 172 Boethius 109 Böhme, Hartmut 136, 140 f., 147 Boman, Thorleif 100 Bonhoeffer, Dietrich 126, 188 Borgen, Peder 146 Boyd, Edward K. 35 Boyd, Gregory A. 9, 14, 17, 20–22, 25, 28– 38, 40–45, 47, 51, 55 f., 59–74, 76, 78–83, 85–88, 90–92, 94, 96 f., 105, 107–123,

132, 134, 136 f., 142, 147 f., 153, 155 f., 159–171, 173–177, 179, 185, 187, 219, 221, 223, 236–239, 243 Bray, Gerald L. 102, 104 Brightman, Edgar 28 Brow, Robert C. 14, 38 Brown, Delvin 30, 48 Brueggemann, Walter 64, 89, 185 f., 223, 225, 229–232 Brunner, Emil 57, 97 f., 159, 187–194, 196, 199–207, 210–215, 219, 243 Brunner, Peter 202 Buchard, Emmanuelle 46 Calcidius 31 Callen, Barry L. 18, 30, 41 Calvert, Michael 53 Calvin, Johannes 11, 25, 105, 117–119, 127, 148, 195 Campbell, Travis 53 Caneday, Ardel B. 114, 121, 128 Caputo, John 129 Carlson, G. William 20 Case-Winters, Anna 197, 199 Castelo, Daniel 103 Childs, Brevard 85 f., 100, 225 Clark, Kelly James 13, 15, 17–21, 25, 27 f., 30, 36, 38, 40, 59, 95, 104 f., 111, 120, 153, 157, 171, 199, 217 Clemens von Alexandrien 109, 112, 142 Cobb, John B. 29, 32, 226 Cole, Graham A. 151 Coleman, Rachel L. 232 Collins, Robin 34

270

Autorenregister

Cooper, Jimmy 103 Craig, William Lane 163 Crisp, Oliver D. 128 Dalferth, Ingolf U. 47, 234–236 Davaney, Sheila Greeve 197, 199 Davis, William C. 39 Dawson, David 146 f. Dayton, Donald W. 24 f. Deines, Roland 143 Derrida, Jacques 129 DesCamp, Mary Therese 132, 134 Dietrich, Walter 230 Döhling, Jan-Dirk 86, 89 f., 125, 148 f., 153 f., 184, 224, 227, 241 Droysen, Gustav 97, 99, 137 Ebach, Jürgen 224 Ebeling, Gerhard 217 Eddy, Paul R. 87, 96, 122, 237 Edwards, R. B. 143 Eisenlöffel, Ludwig E. 46 Ellis, Robert 34 Elwert, Frederik 46 Enxing, Julia 17, 21, 28, 40, 50–52, 217 Erickson, Millard J. 21, 74–76, 79, 89, 101, 104, 121, 140, 153, 158, 165, 175 Evans, Vyvyan 127 Faber, Roland 141 Favre, Olivier 46 Feinberg, John 165, 175–177 Feldmeier, Reinhard 216, 239 Feuerbach, Ludwig 115 f. Fiddes, Paul L. 103 Fisher, Christopher 62 Fitzgerald, Frances 23 f. Ford, Lewis S. 32 Frame, John M. 19, 39, 158, 165 Fretheim, Terence E. 63 f., 68, 83 f., 88–90, 97, 111 f., 130, 152 f., 158, 164, 181–186, 195, 223 f., 230, 232 Fritsch, Charles T. 145, 228 Gachet, Caroline

46

Gavrilyuk, Paul L. 99, 101–104, 106–108, 110, 145, 147, 215, 226, 228 Geach, Peter T. 31 Geisler, Norman L. 19, 53, 121, 158, 177 George, Timothy 19, 23 f. Gockel, Matthias 194, 197, 209 Goetz, Ronald 216 Goldingay, John 229 Gould, James B. 188 Griffin, David Ray 28 f., 32, 47, 226 Gross, Walter 230 Grössl, Johannes 31, 39 f., 47, 50–52, 94, 156 Gunton, Colin E. 125, 219 Guthrie, Stan 21 Haacker, Klaus 100 Hadas-Lebel, Mireille 143 Hahn, Ferdinand 82, 233 Halfwassen, Jens 115 f. Hall, Christopher A. 119, 123, 172, 175, 179 Hamori, Esther J. 149–151, 154 Härle, Wilfried 209, 218 Harnack, Adolf von 97–101, 105, 137, 139, 190, 226 Hartshorne, Charles 17, 28–30, 37, 39 f., 50 f., 96, 226 Hasker, William 13, 15, 17–22, 27 f., 31, 35, 40 f., 44 f., 47 f., 95, 106, 111, 113, 116 f., 119–121, 131 Helm, Paul 123 Helseth, Paul Kjoss 19, 166 Hempelmann, Heinzpeter 9, 100, 199, 210, 232–234 Hempelmann, Reinhard 46 Hengel, Martin 100 f., 138 Hermanni, Friedrich 216 Heschel, Abraham J. 67, 97, 100, 102, 183, 232 Hick, John 47, 129 Hickman, Albert W. 23 Hocking, Jeffrey S. 53 Hocknull, Mark 203 Holland, Richard 53 Holloway, John Daniel 209 Holmes, Christopher R. J. 209

271

Autorenregister

Holtzen, William Curtis 53 Horton, Michael S. 104 House, H. Wayne 19, 177 Huffman, Douglas S. 19 Huijgen, Arnold 117 f. Hunt, David 43 f. Hurtado, Larry W. 146 Irenäus von Lyon

109

Jelonek, Jerzy 207 Jenson, Robert W. 208 Jeremias, Jörg 84, 89, 112, 125, 224 Johnson, Eric L. 19, 124 Johnson, Mark 124, 132 f. Johnson, Todd M. 23 Jonas, Hans 201, 226 Jones, Douglas M. 128, 140 Jowers, Dennis W. 16, 21 Judas (Ischariot) 63, 66, 80 f. Jüngel, Eberhard 188, 190 Justin der Märtyrer 109 Kaiser, Otto 143 Kamesar, Adam 143 Kamionkowski, S. Tamar 151 Kärkkäinen, Veli-Matti 15 Kaufmann, Gordon 129 Keating, James F. 103, 145 Kelly, Douglas F. 19 Kersey, Kent Allen 53 Kertész, András 124, 132 Kiauka, Tomas 207 Kim, Wonil 151 Knitter, Paul 129 Knothe, Leonhard 100 Kohandani, Mahdi 115 Korthaus, Michael 214 Koslowski, Peter 216 Kranz, Walther 115 f. Kreiner, Armin 27, 32, 47–52, 187, 239 Kress, Christine 197–199 Krötke, Wolf 194, 209, 211–214, 216–219 Kuitert, Harminus Martinus 142 f., 145, 228 Kuschel, Karl-Joseph 230

Kushner, Harold S.

226 f.

Ladd, Steven Willis 53 Lakoff, George 124, 128, 132 f. Larsen, Timothy 23 Leahy, Frederic 26 Lee, Patrick 104 Lequer, Jules 31 Levinas, Emmanuel 129 Link, Christian 216, 230 Link, Hans-Georg 216 Lister, Rob 101–103, 145 Lucas, John R. 31 Maas, Wilhelm 142–145, 215 f. MacArthur, John 14 Mach, Michael 143, 146 Maddox, Randy 29 Markschies, Christoph 97–99, 101, 136– 140, 142, 151 Masson, Robert 132 Mauser, Ulrich 144 f. McCabe, Lorenzo 31, 82 McCormack, Bruce 187 f., 196, 220 f., 229, 232 McDaniel, Jay 30 McDermott, Gerald 24 f. McGrath, Alister E. 19, 215 McLelland, Joseph C. 112 f., 117, 142–145, 228 Meadors, Gary T. 58 Meijering, E. P. 97, 99 Merkle, Ben R. 32 Meyer zu Hörste-Bührer, Raphaela J. 196 Moberly, R. W. L. 229 Molnar, Paul D. 214 Moltmann, Jürgen 57, 97 f., 103, 159, 187– 196, 200 f., 203 f., 206 f., 212–215, 243 Montes-Peral, Luis Angel 143 Montgomery, Brint 22 Mühlen, Heribert 216 Mühling, Markus 194, 201, 208, 212, 216 Mullins, Ryan T. 15, 31 Murphy, Gannon 20 f., 104, 140 Murrmann-Kahl, Michael 214

272 Neff, David 21 Nicol, Martin 46, 53 Nippel, Wilfried 97, 99 Nnamani, Amuluche Gregory Noll, Mark A. 23 f., 33

Autorenregister

103

Oertelt, Friederike 146 f. Ogden, Schubert 28 f. Ohlrich, Charles 103 Olson, Roger E. 19, 24–27, 30, 46, 90 Oord, Thomas Jay 9, 14–16, 21 f., 28–31, 36, 38, 40, 44 f., 56, 59, 61, 68, 95, 167, 170, 173 f., 179, 209, 219 Origenes 109, 112, 142, 148 Osthövener, Claus-Dieter 192 Ostrom, William Bruce 53 Pannenberg, Wolfhart 57, 103, 159, 187 f., 190–194, 196 f., 201–207, 211–215, 217– 219, 243 Park, Dong-Sik 47 Park, Tae Soo 53 Petrus 80–82 Philo von Alexandrien 99, 107, 109, 117, 126, 142 f., 146 f., 228 Pinnock, Clark H. 13, 15, 17–21, 25, 27–42, 48, 55, 57, 59, 61–63, 65, 68, 72–74, 83, 89, 91, 95–99, 104–106, 111–113, 116, 120, 131, 133, 140, 153 f., 156–159, 161 f., 167–174, 176–180, 182, 187 f., 199, 217, 219 Piper, John 14 f., 19 f., 68 Plato 59, 107 f., 113 f., 116 Popper, Karl 163 Price, Robert B. 192, 196 f., 199, 208 f., 213 Prior, Arthur N. 31 Rademacher, Martin 46 Rea, Michael C. 128 Reichenbach, Bruce 15 Remenyi, Matthias 207 Rhoda, Alan R. 44 f. Rice, Richard 9, 13, 15–19, 28, 35, 38–42, 44, 47, 55, 57, 59–61, 63 f., 68, 71, 73 f., 78–81, 83, 85, 87, 90, 94, 110, 120–123, 132, 134 f., 153, 171–174, 179

Rissler, James D. 53 Robinson, Michael D. 21 Rohls, Jan 190 Rowe, W. V. 97, 101 Roy, Steven 53, 74–77 Runia, David T. 144 Sanders, John 9, 13–21, 26–30, 32–35, 38– 42, 44 f., 47 f., 55, 57, 59–65, 67–74, 78– 83, 85–93, 95, 98 f., 105–108, 110–120, 123–136, 139, 142, 147, 155 f., 159, 161 f., 165–167, 170–176, 178–180, 187 f., 219, 221, 223, 242 Sarot, Marcel 103, 153 Schart, Aaron 151 Schiwy, Günther 226 f. Schlamelcher, Jens 46 Schlelein, Stefan 140 Schlier, Heinrich 233 Schlimm, Matthew 232 Schmelter, Denis 49, 51 f., 156 Seland, Torrey 143 Shah, Zulfiquar Ali 151 Smith, James K. A. 39 Smith, Mark S. 151, 153 f. Sommer, Benjamin D. 150–152, 154 Spieckermann, Hermann 216, 239 Stefan, Jan 191–193, 197, 208 f., 214, 216 Stetzer, Ed 14 Stolz, Jörg 46 Stosch, Klaus von 36, 47 Stuhlmacher, Peter 233 Suchocki, Majorie Hewitt 29 Swanson, Dennis M. 14 Sweeney, Douglas A. 23 Sweetser, Eve 132, 134 Swinburne, Richard 31, 35, 47 Tanner, Kathrin 15 Taylor, Justin 14, 19 Tertullian 96 Teuchert, Lisanne 188 Theilemann, Christof 214 Theobald, Michael 224, 228, 230–235, 237 Tidball, Derek J. 23 Tiessen, Terrance 34

273

Autorenregister

Tobin, Thomas H. 142 Torrance, Iain 15 Torrance, Thomas F. 17 Tuggy, Dale 44 Vanhoozer, Kevin J. 15 Vickers, Jason E. 29 Vine, Donald Wayne 28 Wagner, Andreas 151 Ware, Bruce A. 13, 19, 21, 34, 45, 53, 64, 68, 74–82, 119, 121 f., 158–160, 165 f., 176, 226 Warren, Rick 14 Webb, Stephen H. 153 Webster, John 15 Weder, Hans 66, 215, 234–236 Weinandy, Thomas G. 103, 145 f.

Werbick, Jürgen 222, 232 White, Thomas Joseph 103, 145 Williams, Thaddeus J. 36, 103 Wilson, Douglas J. 19 Winslow Karen 22 Winston, David 144 f. Witham, Larry 16–18, 21 f., 25, 28, 41 Wolffe, John 24 Wolfson, H. A. 146, Wright, R. K. McGregor 19 Xenophanes

108, 115 f., 126

Zimmerling, Peter 46 Zimmerman, Dean 22, 44 f. Zinken, Jörg 127 Zurlo, Gina A. 23

Sachregister

Abenteuer/abenteuerlich 27, 41, 157, 163 f., 168, 201, 240 Actus purus 171, 177 Akkommodationslehre 92, 116 f., 119 f., 228 Alexandria 142–147 Allelopoiese 140 f. American Academy of Religion 15, 18 Analogie (analogia) 131, 214 Anthropisches Prinzip 49 Anthropomorphismus/anthropomorph 43, 54, 57, 92–94, 110–136, 139, 142, 145, 147–155, 158, 180 f., 192–195, 220 f., 227 f., 240–242 Apologetik/apologetisch 35, 37, 237 Äquivoke Gottesrede 134 Aristotelismus/Aristoteliker/aristotelisch 37, 91, 96, 146, 175, 191 Arminianismus/arminianisch 24–30, 32, 60 Auferstehung 88, 207, 226, 236 f. Bethel College/Bethel University 20, 90 Bewährungsproben 64 f. Bibel – Allegorische Auslegung 142–144, 146 – Diachrone Zugänge 88 – Einheit der Schrift 85, 227–231, 233– 235 – Historisch-kritische Erforschung 58, 86–89, 241 – Kanon/kanonisch 75, 85, 88, 111, 232, 234 f. – Mitte der Schrift 42, 210, 234–239

– Relektüre 151, 224, 238 – Synchrone Zugänge 88 – Umdeutung 91–93, 114, 136, 144, 220, 241 – Widersprüche/Spannungen 85, 88 f., 228 f., 231–234 – Wörtliches Verständnis 51, 55, 70, 93, 119–125, 127, 131–134, 153, 235, 238, 240 Biblische Theologie 85–87, 100, 103, 225, 234 f. Biblizismus 23, 83 Bund/Bundesverhältnis/Bundesgeschichte 132, 143 f., 154, 156, 166–169, 171, 173, 178 f., 183 f., 230 Calvinismus/calvinistisch 14, 17, 19, 24– 27, 61, 73, 119, 158, 165, 187 Center for Process Studies 28 Charakterfestigung 81 Christianisierung (des Hellenismus) 104 f. Christianity Today (Zeitschrift) 13 f., 19 Christologie/christologisch 9, 42 f., 55, 199 f., 213 f., 216, 220 f., 239, 243 Creatio ex nihilo 29, 31, 203 Determinismus/deterministisch 17, 27, 29, 35, 38, 40, 52, 61, 71, 74, 82, 157, 163, 167, 169 f., 187, 199 Diskreditierung 31, 224 Dynamik (des Gott-Welt-Verhältnisses) 29, 32, 59, 65, 67, 71, 83, 110, 209 Ehe/Ehebeziehung

66, 132 f.,

276 Erkenntnistheorie/erkenntnistheoretisch 93, 116, 128, 138 f., 141, 147, 242 Essentialismus/essentialistisch 138–141 Eternalismus/eternalistisch 49 f., 176, 207 Evangelical Theological Society (ETS) 20 Evangelikalismus/evangelikal 12–14, 16 f., 19–30, 32 f., 45 f., 48, 51, 53, 56–58, 81, 85–87, 89, 158, 169, 176 f., 187, 224, 227, 236–238, 240 f. – Linker/postkonservativer/progressiver Flügel 22, 24 f., 27, 46, 51 – Megashift 14 – Neocalvinismus/neocalvinistisch 14, 158, 165, 187 Exegese/exegetisch 40–42, 53 f., 58–61, 68, 84–90, 93 f., 112, 119, 134 f., 143, 148 f., 151 f., 158, 181 f., 184, 191, 221, 223–225, 228, 230–235, 240 f. Free will defence 31, 35 Freiheit (des Menschen) 18, 21, 24–26, 29, 31, 34–36, 39 f., 43, 47 f., 50–52, 82, 87 f., 94, 161, 167 f., 170, 181, 183, 198–200, 202–204, 206–210, 212, 226, 231, 243 Frömmigkeit (s. auch: Spiritualität) 23 f., 33, 225 Fundamentalismus/fundamentalistisch 46 Gebet/Bittgebet 33–35, 38, 44, 49–52, 67, 72 f., 195, 225, 243 Glaube 20, 24, 37, 49, 76, 105 f., 138 f., 149 f., 152, 154, 191, 226, 231, 233, 235 f., 240 Gott – Affizierbarkeit 171, 173, 185, 195 – Allmacht (Omnipotenz) 29, 36, 40, 47 f., 92, 95, 148, 154–158, 164–170, 176– 178, 180, 182–184, 187, 194, 197–205, 207 f., 211, 214, 216, 218–220, 226 f., 230, 241, 243 – Allwirksamkeit 198 – Allwissenheit (Omniscienz) 20, 29, 31, 47 f., 50, 66, 75, 92, 95, 112, 148, 154–165, 167, 176–178, 180–182, 187, 205–208, 211, 218–220, 241, 243

Sachregister

– Anbetungswürdigkeit 164 f., 169, 186 – Barmherzigkeit 73, 174, 196, 208, 212, 218 – Beteiligung 130, 150, 154, 164, 238 – Beweglichkeit/Flexibilität 71, 89 f., 92, 125, 143, 149, 154 f., 157, 170 f., 174, 176–178, 180, 185 f., 196, 217, 240 – Eingreifen 50, 73, 75, 80 – Enttäuschung 41, 43, 55 f., 65–69, 82 f., 86, 91 f., 94, 110, 113, 120 f., 131, 134, 151, 155, 159, 164, 166, 168, 170, 178, 180, 220 f., 227 f., 240 f. – Erwartung 56, 59–61, 67, 77, 121, 159, 163 – Ewigkeit 52, 88, 177, 207 f., 211 – Freiheit 197, 200, 203 f., 209, 231 – Geduld 73, 208, 212 – Gerechtigkeit 179, 208, 211 f., 218 – Gericht 63, 66–68, 71–73 – Geschichtsmächtigkeit 26, 75, 79, 86, 159, 229 – Gewalt/Gewaltlosigkeit 42, 155, 157, 165–167, 178, 203, 237 f. – Gnade 66, 71–73, 172, 193, 208, 210, 212 – Handeln 34, 46–50, 52, 60, 62 f., 66, 68– 70, 77, 79 f., 86, 114, 120, 127, 143, 167, 173, 182, 191, 193 f., 197, 207, 209, 211, 213, 243 – Körper/Körperlichkeit 93, 116, 118– 120, 134, 150–154, 242 – Lebendigkeit 41, 75, 127, 130, 144, 171, 192–197, 201, 206, 214, 232 f., 236, 238 – Leidens(un)fähigkeit (passibilitas/impassibilitas) 51, 94, 97, 99, 101–109, 119, 145, 150 f., 153, 170–172, 178, 186, 193, 213, 216 f. – Lernbereitschaft 41, 55, 83, 91, 110 f., 114, 134, 151, 155, 164, 168, 178, 227 f., 240 f. – Liebe 19, 22, 24–26, 29, 35–44, 48–50, 64, 67, 73, 120, 133 f., 150, 156, 161 f., 167, 172, 174, 177–180, 193 f., 198–202, 204–220, 235–239, 241–243 – Natur (natura dei) 29, 38, 95, 98, 101 f., 105, 107, 109, 111, 115–117, 123, 144, 152, 155, 173–176, 179 f.

Sachregister

– Offenbarung 39, 42 f., 58, 107, 109, 117 f., 130, 144, 189, 191 f., 194 f., 197– 202, 207, 209 f., 212, 220, 233, 235–238, 243 – Ohnmacht 75, 168, 199, 201 – Relationalität 17, 32, 36 f., 47, 59, 61, 150, 167, 172, 176, 188, 219 – Responsivität 185 f. – Reue/Gesinnungswandel 41, 43, 55 f., 60, 68–73, 82–86, 89–94, 110–114, 118 f., 121 f., 124 f., 131, 134, 143, 148 f., 151 f., 155, 159, 164, 166, 168, 170, 178, 180 f., 184, 193, 220 f., 224, 227 f., 240–242 – Risiko/Risikobereitschaft/Wagnis 17 f., 40, 43, 50, 59 f., 135 f., 165, 168, 180, 183, 202 f., 227, 242 – Selbstgenügsamkeit 143 – Selbstzurücknahme/Selbstbescheidung 118, 170, 200, – Souveränität 14, 24, 26, 135, 158, 165, 168 f., 178, 183, 185, 228 – Transzendenz 50, 107 f., 114 f., 122, 125, 129 f., 143–147, 147, 185, 228 – Treue 120, 157 f., 170, 172, 174, 176 f., 185, 195–197, 211 f., 231 – Überraschung 65, 67 f., 71, 77, 82, 111, 114, 120, 158 f., 161, 163, 170, 180, 221 – Unendlichkeit 211 f. – Unerkennbarkeit 130, 144 – Unveränderlichkeit/Unwandelbarkeit (immutabilitas) 29, 31, 70, 92, 95, 97– 99, 104, 107, 109, 112, 115, 125, 142–145, 151, 154–158, 170–178, 180, 184–185, 187, 190, 193, 195–197, 207 f., 211, 215 f., 218–220, 226, 239, 241–243 – Vertrauenswürdigkeit 75, 231 – vielleicht-Aussagen 63, 182 – Vollkommenheit(en) 94, 97, 173–175, 177, 185, 191–193, 197, 199, 207–209, 211 f., 214, 216 – Vorauswissen 17, 21, 31, 44, 47 f., 50, 60 f., 72, 74–81, 83, 112, 159–163, 181, 185, 217 – Vorsehung 18, 42, 44, 46 f., 49–52, 59, 61, 88, 135, 159, 243

277 – Weisheit 92, 157–162, 164 f., 170, 177 f., 205 f., 208, 211 f., 218 – wenn-dann-Aussagen 62, 78 – Werben 66, 200 – Wesensbestimmung 38, 42, 179, 194, 211, 213, 216, 219, 235, 242 – Wille 29, 36, 40, 70, 90, 118, 158, 165 f., 169 f., 178, 180, 183, 185 f., 195, 201 f., 231 – Zeitlichkeit/Zeitlosigkeit 31, 48, 92, 94 f., 97, 104, 107–109, 143, 157, 160, 164, 171, 176–178, 190, 196, 239 – Zorn 66 f., 72 f., 127, 179 Gottesverständnis 19, 30, 40 f., 45, 56, 86, 101, 103, 105, 110, 112, 139, 144 f., 154, 177, 186, 191, 199, 221, 223, 226, 228, 232, 240, 242 Gräzisierung 137 Häresie/häretisch (s. auch: Irrlehre) 19 f., 30 f., 187, 216, 224, 233 Heiliger Geist 213 f., 219, 236 Hellenisierung 93–101, 103–106, 110, 136– 142, 189–191, 226 Hermeneutik 14, 23, 42–44, 47, 52–58, 61, 92, 94, 111–113, 118–121, 139, 146, 148, 154, 177, 180, 187, 191 f., 220–222, 224, 228, 234, 236 f., 239–243 Hoffnung 60, 63, 73, 182, 195, 201, 205 Huntington University 21 Inkulturation 104, 136, 138–141 Irrlehre (s. auch: Häresie) 30 Israel 62–68, 72, 75, 79, 85, 90, 92, 100, 105, 107, 132, 134, 147, 150, 152, 183, 185, 189, 198, 205, 213, 229–233 Jesus Christus 23, 42 f., 96 f., 144 f., 199 f., 210, 213 f., 220, 226, 234–238, 242 f. Katholizismus/katholisch 22 f., 49, 52 f., 98, 187, 215 f., 243 Kirche/kirchlich 23, 33, 37 f., 44–46, 52 f., 77, 85, 92–96, 98 f., 101 f., 105 f., 108 f., 110, 114, 116 f., 131, 139, 178, 188, 198, 225 f., 231 f., 236

278 Kirchenväter 84, 92–95, 98, 101 f., 105 f., 109, 142, 145, 188, 191 Kognitive Linguistik 124–128, 131–133 Kompatibilismus 21, 40, 46 Konventionen 145, 225, 227 Kreativität 163 Kreuz 23, 42, 88, 199 f., 213 f., 236–239 Leiden/Schmerz (des Menschen) 16, 169 f., 175, Libertarismus/libertarisch 35 f., 39 f., 50, 52 f., 82 Logic-of-love defence 39 Makroperspektive 135, 139, 158, 177, 180, 234 f., 242 Menschwerdung/Inkarnation 102, 151, 153, 200, 220, 226, 236, 242, Metapher/Metapherntheorie 124–127, 130–133, 135, 148, 237 Modellbildung 135, 219, 225 Neoklassischer Theismus 28, 32, 51 Neuheit/Innovation 163 Offener Theismus – Bewegung 13 f., 16, 22 f., 30, 33, 39, 51, 54 f., 89 f., 240 – Gesamtdarstellungen 20, 40, 55, 220 f. – Gründungsmanifest 18 – Hauptvertreter 16–18, 22, 30, 40, 56, 124, 219 – Kernanliegen 32 f. – Kritiker 13–15, 21–23, 25 f., 39, 43 f., 53, 56, 58, 60 f., 68, 74, 77, 79, 81 f., 85, 87, 94, 104, 119, 122, 125, 140, 155, 158–160, 165, 175 f., 187, 224, 226 – Plausibilisierung 19, 32, 37 f., 41, 43, 49, 52, 59, 105, 169, 173, 218, 243 – Rezeption 34, 51 f., 103, 241 Pfingstbewegung 22, 46 Philosophie – Analytische Philosophie 28, 37, 40–45, 52, 54, 95, 121, 128, 156, 179, 186

Sachregister

– Griechische Philosophie 57, 91, 93, 95, 97–102, 106 f., 122, 138–146, 171, 178 f., 188–191, 193, 215, 229, 239, 242 – Heidnische Philosophie/heidnisches Erbe 96, 105, 145, 195 – Prozessphilosophie (s. Prozesstheologie) – Religionsphilosophie/religionsphilosophisch 15–18, 21, 28, 31, 40 f., 44 f., 97, 166, 207, 221, 230, 243 Pietismus/pietistisch 24 f., 46 Platonismus/Platoniker/platonisch 91, 95 f., 101, 112, 127, 142, 144–146, 171, 174, 195, 239 Polarisierung 25 Polemik/polemisch 21, 26, 32, 53, 56, 91, 158, 169, 171, 188, 191, 196, 201 Präsentismus 81, 207 Prophetie/prophetisch 63–65, 69, 71, 73– 83, 227, 230 Prozesstheologie/prozesstheologisch 15, 17, 28–32, 36 f., 39–41, 44, 47 f., 50–52, 80, 90, 97, 202, 219, 226 Puritanismus 24 f. Reduktionismus 225 Romanisierung 137 Schöpfung 18, 29, 32, 36, 40–42, 48–50, 60 f., 68, 126, 130, 136, 140, 146, 151, 155, 157, 162, 164 f., 167–169, 172, 174, 177, 183 f., 193, 199–204, 207, 210, 213 f., 217, 226, 240 Schriftverständnis 56, 58, 85, 87, 236, 241 Selbstbestimmung 35 Sempiternalismus/sempiternalistisch 177, 207 Sozinianismus 31 Spekulation 188, 191, 193, 215 Spiritualität (s. auch: Frömmigkeit) 33, 206 Temporalismus/temporalistisch 50, 207 Theodizee 31, 35 f., 39, 47 f., 169 f., 202, 206, 216, 239 Theologie

Sachregister

– Deutschsprachig 17, 34, 36, 45–47, 51 f., 54–57, 97 f., 103, 156, 159, 187 f., 192, 205, 212, 215–217, 221, 241–243 – Kontinentaleuropäisch 45 f., 50 f., 187 – Negativ (apophatisch) 98, 108 f., 114, 127, 144 Traditionsgeschichte/traditionsgeschichtlich 58, 86, 88, 230 Transformation 34, 136–138, 140 f., 147 Trinität/trinitarisch/Dreieinigkeit 37, 188 f., 191, 202, 205, 211, 213–215, 218 f., 239, 243 Unberechenbarkeit (der Geschichte) 19, 35 f., 41, 157, 231, 240 Univoke Gottesrede 129 Unkontrollierbarkeit (der Geschichte) 19, 155, 165, 168

279 Verantwortung/Verantwortlichkeit 37 f., 48, 206 Verleugnung durch Petrus 80–82 Verrat durch Judas 80 f. Voreingenommenheit 110, 112, 114, 145, 240 Wahrheitsanspruch 93, 128, 149, 228 Wesen des Christentums 99, 139, 190 Willensfreiheit (des Menschen) 31, 36, 47 Woodland Hills Church 20 World Christian Database 23 Wunder 200, 203 Zukunft 18, 21, 31, 34 f., 37, 40, 44, 48, 59 f., 62–64, 66, 72, 74–80, 120, 155, 159– 162, 164, 178, 182, 206