Goethe und Hafis: Verstehen und Missverstehen in der Wechselbeziehung deutscher und persischer Kultur [1 ed.] 3899304047, 9783899304046

Spätestens seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York, sind Auseinandersetzung mit dem Fundamentalis

122 58

German Pages 427 [428] Year 2013

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Goethe und Hafis: Verstehen und Missverstehen in der Wechselbeziehung deutscher und persischer Kultur [1 ed.]
 3899304047, 9783899304046

Citation preview

Goethe und Hafis Verstehen und Missverstehen in der Wechselbeziehung deutscher und persischer Kultur

SCHILER

Mahmood Falaki, Schriftsteller und Dozent für persische Sprache und Literatur, wurde 1951 in Ramsar im Norden Persiens am Kaspischen Meer geboren. Studium der Chemie und Bibliothekswissenschaft im Iran. Studium der Germanistik und Iranistik an der Universität Hamburg. Er wurde über »Goethe und Hafis« zum Doktor Phil. promoviert. Während der Schah-Zeit wurde er wegen seiner politisch-literarischen

Aktivitäten zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Iran arbeitete er zuletzt an

der Freien Universität Irans. Seit 1983 lebt er in Deutschland, seit 1986 in Hamburg. Sein umfassendes literarisches Werk beinhaltet Lyrik, Erzählungen und Romane sowie literaturwissenschaftliche Arbeiten. Auf Deutsch verôffentlichte er u.a.: Verirrt (Erzählungen, 1992), Lautloses Flüstern (Gedichtband, 1995), Die Schatten (Roman, 2003), Fremdheit in Kafkas Werken und Kafkas Wirkung auf die moderne persische Literatur

(2005), Carolas andere Tode (Roman, 2009), Ich bin Ausländer, und das ist

auch gut so (Kurzgeschichten, 2013). Zu seinen Arbeiten gehört ebenfalls ein persisches Lehrbuch fiir Deutschsprachige in zwei Banden, in Zusammenarbeit mit Dr. Karin Afshar. Einige von Falakis Gedichten sind ins Englische, Schwedische und Kurdische übersetzt worden. www.m-falaki.com

Mahmood

Falaki

Goethe und Hafis Verstehen und Missverstehen in der Wechselbeziehung deutscher und persischer Kultur

Verlag Hans Schiler

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;

detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages repro-

duziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. All rights reserved.

No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system,

transmitted or utilized in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without permission in writing from the Publishers.

© 2013 Verlag Hans Schiler, Berlin Deutsche Erstausgabe

1. Auflage 2013 Redaktion: textintegration.de Umschlagmotiv: Goethe-Hafis-Denkmal Weimar, Nura S. Liepsner Printed in Germany ISBN 978-3-89930-404-6

Inhaltsverzeichnis ‫ايك‬

‫ا‬9

Einleitung 0000101 Zum Einstieg in die Thematik‫‏‬ Inhalt der Untersuchung‫‏‬

11‫‏‬

‫ل‬... ‫ل‬ ‫ ممه ممم ممم ممم ممم ممم مل‬11 1 1 1 251‫ة‬ ‫ اااي‬15

Methode der Untersuchung‫‏‬

1 1 1 21 ‫ة‬

‫ ا‬18

Über die primäre Quelle des Diwan‫‏‬

‫ل‬ ‫ ممم ممم ممم ممم‬22

Persische Laute und Transkription .…..................................................... 25‫‏‬ Uber das Ghasel und seine Wirkung auf die deutsche Dichtung ........ 27‫‏‬

1

Hafis’ Weltsicht sun

31‫‏‬

1.1

Hafis’ Vita und die politische Lage während seiner Lebenszeit. .31‫‏‬

1.2

Hafis aus Sicht der Hafis-Forscher‫ ‏‬۵۰۵۲:۲1۲2

1.3

Hafis 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4

‫ م ممم ممم ممم‬43

und die Mystik‫ا ‏‬... ‫ ممم ممم ممم ممم ممم ممم ممم م‬53 Mystik und‫ زک ‏‬0... ‫ ممم م ممم ممه مم ممم ممم ممه ممم ممم وو ع‬57 Hafis als frommer Mystiker (Sufi)‫‏‬ ‫ل‬ ‫ملل‬ ‫ مع مم‬63 Auseinandersetzung mit den Sufis ...............enesennee 68‫‏‬ Hafis als ungebundener Mystiker (Aref) und die Geschichte der Liebe ‎‫لل‬ ‫ لمعم ممم مومع م‬27

4.1 Hafis als Anhänger von malämatiye (Tadel-Orden)? .................... 84 1.5

Hafis und die Knabenliebe .......................eseesensenennnnne 88

1.6 1.7

Auseinandersetzung mit der mystischen Gesinnung .................. 102 Hafis und Chajjam [1 1 1 1 1 ‎‫ ااا‬701

8.1 Rendi als Hafis’sche Philosophie

‎‫ل‬ ‫ل‬ ‫مم‬ ‫ل‬ ‫ لمم م‬011

2 Goethe und die Rezeption der orientalischen Kultur 1.2 Interkulturalität im 18. Jahrhundert

‎‫ل‬

‎۰۰‫ م‬521

‫م م ل‬

‫ ممم‬521

2.2 Goethe und der Orient 00.0... cesssescseesececeseseeeeeseeeseseesetsteesesees 130 2.2.1 Goethes Islam-Bild ‎‫لل‬ ‫ لمعم ممم ممم ممم مم ل‬531 2.2.2 Goethe und 1001 Nacht ‎‫ملل‬. ‫لمم‬ ‫مم م‬. ‫ ممعم م‬641 3.2 Goethe und Persien 00... [1 1 1 1 1 1512 ‎‫ وم و موی وم وی موم یووم‬941 1.3.2 Goethe und die persische Naturreligion ........................... 154 2.3.2 Perserkönige und ,Toleranz' ‎‫موم و‬ ‫ همم‬751

2.3.3 2.3.4

Goethe und die persische Dichtung ...................eeeen. 165 Die Wirkung des Despotismus auf die persische ‎‫ااا‬ 1[ 1 1 1 1 271

4.2 Warum eine imaginäre Reise in den Orient?

‎‫ لل‬781

5.2 Warum Goethe Hafis als poetischen Sanger zum Begleiter auserwählt ..............eseeeeseneesensenessesennnnenenennnnene 197 2.5.1 Das durch Hammers Übersetzung gezeichnete Hafis-Bild ‎‫ممع‬ ‫مم‬ ‫ م‬991 2.5.2 Hafis Dichtung als Bezugstext zwischen Goethe und Marianne von Willemer ..............nneenn 206 2.5.3 Analogie zwischen Hafis’ und Goethes Dichten und Leben 22121210151۵ 1 [1 1 1 1 1 1 12 210

Goethe im Wettstreit mit Hafis ...........essesesenessesenenensennnennnennnnnnnene 219 3.1

Hafis Nameh (Buch Hafis) 000000 ‎‫ممم وم ممم مل لمم‬ ‫ موم‬002 1.1.3 Hafis’ Religiosität und das Verhalten der Orthodoxie aus Goethes 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 ‎‫ة ة‬ 022 2.1.3 Orthodoxie im Gegensatz zu dichterischer Freiheit ........ 231 3.1.3 Die oxymorontische Wendung Offenbar Geheimnis und die mystische Zunge ............nnrsnsssesnennesnnnnennnnnennnnnennen 236 3.1.4 AnHafis von 1818 ‎‫ ا‬0000000000 932

2.3 Moganni Nameh (Buch des Sängers) ‎0‫لم‬ ‫لومم مولومل‬ ‫ ممم‬242 1.2.3 Flucht aus der Zeit: Das Gedicht hegire ‎‫لله‬ ‫ لعل‬342 2.2.3 Vier poetische Elemente: Das Gedicht Elemente .............. 252 3.2.3 Verweltlichung der Schöpfungsgeschichte Adams: Das Gedicht Erschaffen und Beleben ۲۲۰۰۰۰۰۰ 258 3.2.4 Liebe im hohen Alter als Naturerscheinung: Das Gedicht Phänomen ‎‫ا‬ 111 ‫ ااا‬062 5.2.3 Auftauchen der Schönheit Schrias’ im trüben Norden: Das Gedicht Liebliches .................... een 265 3.2.6 Persisches Blumenpaar als Ausdruck der Sinnenfreudigkeit: Das Gedicht Im Gegenwärtigen Vergangenes .....267 3.2.7 Goethes Hineinversetzung in Hafis homoerotische Neigung: Das Gedicht Derb und Tüchtig ................... 270 3.2.8 Verwandlung der orientalischen Unterwürfigkeit: Das Gedicht All-Leben oo... 1 ‎‫ ااا‬672

3.2.9

4

Orientalisches Liebespaar Schmetterling-Kerze als Veranschaulichung des Flammentodes für den Quell des Lebens: Das Gedicht Selige Sehnsucht ......................

Die Liebe im West-östlichen Divan im Vergleich zur Liebe bei Hafıs 0.0000 ‎‫لمم مم مم مم ممم ممعم مم ممم مم ممم م‬ 1.4 Liebe in Hafis’ Dichtung ‎‫ا‬

1010100000

2.4 Die Auffassung der Liebe im West-östlichen Divan .................... 4.2.1

Der Dichter und die Huri des islamischen Paradieses ....307

4.2.2 Das Leid in der Liebe ‎‫ل‬.‫ل‬ ‫لمعمو مول لل‬ 3.2.4 Die Schenkensphäre als Darstellung der Knabenliebe? . 423 4.2.4 Zwei besondere semantische Belege für Hafis’ Liebesauffassung ..................00eenenesnennnnnnnnennenennnnsnnnn 4.2.4.1 Augenspiel als geheime Chiffre der Liebenden .... 4.2.4.2 Die Timur-Anekdote und das Bettler-König-Motiv in der Liebe ...................... 4.3

Rhetorische Figuren der Liebe in Hafis’ und Goethes ,Divan”…......................................... ‎‫قمعم مم م ممم‬

5 Epilog - Goethes Westöstlichkeit und das gegenwärtige

Okzident-Orient-Verhaltnis...................cccccccesccccessccceecscccessscceesscesseceees 5.1

Goethes Vorstellung von der Westöstlichkeit ...........................

5.2

Rezeption der fremden Kultur, um etwas Neues darauf zu 0212617 2121151

5.2.1

Persiens zaghafte Schritte in die Moderne ...................

5.2.2

Wie die Tradition den westlichen Ideen widersteht .......

5.2.4

Das verkehrte Nationalbewusstsein und 0

5.2.3

5.3

Imitation und Repetition in der modernen persischen Literatur ….........................................................

Toleranz als Mittel des Orientdiskurses

‎‫ل‬

ss. ‫م لل‬

‫ممم‬

‫مم‬

4.5 Zwiegespräche mit Friedenspotential ‎‫ل‬.‫مملعملل ل‬ ‫لم‬ 1.4.5 Toleranz und Dialog in der gegenwärtigen Situation .... Literaturverzeichnis ۰:51 11 1. Primärliteratur oc

.ccccccccccccccccccccescscccccccecescsssssssscccccessnscsensecceececececacees

2. Sekundarliteratur ...............ccccsccccccccccccccccsesssscccccesssccccsssccscececessscsueccessuasecs

Personenregister

[1 [ [1 1 1 1 1 1 1 1 1 121212 ‎‫ة‬

‫ا‬

Vorwort Als ich vor vielen Jahren

Weimar,

Goethes

Stadt, besuchte,

wollte

ich

auch das ein paar Jahre zuvor im Park an der Ilm errichtete Goethe-Hafis Denkmal sehen. In Goethes Gartenhaus, in eben diesem Park, fragte ich die zuständige Dame nach dem Standort des Goethe-Hafis Monuments. Sie hatte Hafis Namen nie gehört und keine Ahnung von der Existenz dieses Denkmals. Sie rief ihre Kollegin zu Hilfe. Die andere Dame wusste auch nicht Bescheid. Während sie auf dem Lageplan des Parks nach dem Ort suchte, erklärte ich, dass Hafis ein großer persischer Dichter sei. Plötzlich merkte sie auf und sagte: „Ach, er [Hafis] war ja vor etwa drei Jahren hier, in Weimar!“ Ich erklärte ihr weiter, dass Hafis im 14. Jahrhundert, d.h. fünf Jahrhunderte vor Goethe, lebte. Goethe war so von Hafis Dich-

tung begeistert, dass er Hafis als „Meister“ und ihn und sich „Zwillinge“ bezeichnete und dass er den West-östlichen Divan unter Wirkung von Hafis’ Poesie verfasst habe. Sie guckte mich erstaunt an und sagte verwirrt: „Das ist aber alles sehr kompliziert.“ Erst später ist mir aufgegangen, dass sie von Mohammad Khatami, dem ehemaligen iranischen Präsidenten gesprochen hatte, der etwa drei Jahre vorher zusammen mit dem damaligen deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau in Weimar war, um das Goethe-Hafis Denkmal einzuweihen. Solche Ahnungslosigkeit kann man vielleicht bei einer einfachen Angestellten des Goethe-Gartenhaus-Memorials in Weimar erwarten. Was allerdings mir, als einem aus Persien stammenden Literaten, im Allgemeinen an der westlichen Betrachtungsweise in der Hafis-Forschung auffällt, ist die unspezifische Verallgemeinerung orientalischer Kulturen. Viele westliche Forscher schenken einerseits der individuellen historisch-sozialen Entwicklung dieses islamischen Landes und auch der Ethik der persischen Kultur wenig Beachtung. Andererseits sind viele Übersetzer und Interpreten Hafis’scher Dichtung der persischen Sprache nicht mächtig genug, um seinen Stil und die seiner Dichtung spezifische inhärente Begrifflichkeit ausreichend zu verstehen und in ihrer Vielschichtigkeit zu übertragen. Dies führt in der westlichen Hafis-Rezeption in nicht wenigen Fällen zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen, die dann folglich auch die Forschung über Goethes Verhältnis zu Hafis und die Kommentare zum West-östlichen Divan beeinflussen.

Meine Motivation zu der vorliegenden Arbeit besteht darin, Hafis’ Dichtung aus einer, speziell für westliche Interessenten, neuen Perspektive darzustellen. Diese Arbeit ist gewissermaßen eine Fortsetzung meiner früheren Studien zu Hafis, die als Aufsätze in literarischen Zeitschriften

und in meinen Büchern erschienen sind.! Eine weitere Neuerung meiner Arbeit ist, dass ich in der Lage bin, die beiden unterschiedlichen Kulturen von einer anderen Basis aus zu betrachten. Als gebürtiger Perser lebe ich seit den achtziger Jahren in Deutschland, habe in beiden Kulturen studiert und literarisch gearbeitet, bin sowohl mit der persischen als auch mit deutscher Dichtung vertraut. In dieser Arbeit versuche ich, die Sichtweisen der unterschiedlichen Kulturen, insbesondere auch gegenwärtige Probleme der Westöstlichkeit, angemessen darzustellen. Das vorliegende Manuskript ist die überarbeitete und an einigen Stellen ergänzte Fassung meiner Dissertation, die im April 2012 von der Philosophischen Fakultät für Geisteswissenschaften, Departments Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaft der Universität Hamburg angenommen wurde. Ich möchte hier vor allem meinem Doktorvater Professor Dr. Stefan

Blessin (Hamburg, Germanistik) herzlich danken, von dem ich nicht nur

achtsames analytisches und wissenschaftliches Arbeiten erlernt habe, dieses Werk wurde auch durch seine hilfreichen Anregungen, Anmerkungen und Korrekturen bereichert. Bereits meine Magisterarbeit Fremdheit in Kafkas Werken und Kafkas Wirkung auf die moderne persische Literatur habe ich mit ihm als Gutachter fertiggestellt. Ich bedanke mich auch bei Dr. PD. Bernd Stenzig (Hamburg, Germanistik) für die Übernahme des Zweitgutachtens und seine Korrektur. Weiter habe ich Dank an Professor Dr. Ludwig Paul (Hamburg, Iranistik) für einige Anmerkungen auszusprechen. Herzlichen Dank auch an Dietrich Lange für das achtsame Korrekturlesen und hilfreiche Anmerkungen. Mahmood Falaki Hamburg, September 2013 1

Siehe Mahmood Falaki: Se’r az negäh-e Hafez [Dichtung aus Sicht des Hafis]. In: Falaki; Solouk-e Se’r (Poetics and Textual Criticism). Teheran

1999, S. 59-72, und

Falaki: Setiz-e Hafez ba riya-ye zahed [Hafis Auseinandersetzung mit Heuchelei der Geistlichen]. In: Falaki; Nogteha [Die Punkte - Gesammelte Essays]. Hamburg 1996. S. 53-68.

10

Einleitung Zum Einstieg in die Thematik In den letzten Jahrzehnten,

besonders nach der Februarrevolution

1979

im Iran, durch die der Klerus an die Macht kam und einen schiitisch-islamischen Gottesstaat gründete, ist das Interesse des Westens am Iran ständig gewachsen. Dieses Interesse speist sich aus zwei verschiedenen Quellen. Einerseits fasziniert der „Alte Iran” den Westen, oder wie es der Althistoriker Josef Wiesehöfer titelgebend richtig nennt das „Antike Persien” (von 550 v.Chr. bis 650 n.Chr.).! Das Persien-Bild des Abendlandes ist aber durch

die einseitige Historiographie der mit den Persern verfeindeten Griechen bestimmt. In den von den Griechen überlieferten Schriften werden die Handlungen und Reden der Perser aus griechischer Perspektive dargestellt.” Die Perser werden gemäß der griechischen Darstellung im Allgemeinen als grausames und brutales Volk gezeichnet. Wie auch neuerdings wieder im Hollywoodfilm 300, in dem die Perser als grausame, dämonische Barbaren dargestellt werden.’ Andererseits betrachtet der Westen genauso gebannt den heutigen Iran, wobei das Iran-Bild von Islamismus, Repression und Terror negativ geprägt ist.

1

2

3

Siehe Josef Wiesehöfer:

Das Antike Persien; von 550 v. Chr. bis 650 nach Chr. 2.

Aufl. Düsseldorf/Zürich 2002, S. 12. Siehe z.B. Herodot I, 86-94, der von der Verbrennung Krösus', des letzten lydischen Königs, bei lebendigem Leibe erzählt, nachdem Kyros (558-530 v. Chr.), der Gründer des Perserreiches, ihn im Jahre 546 v. Chr., besiegt hatte. Den Feuertod als Strafe allerdings gab es bei den Persern nicht, da sie das Feuer als Symbol des reinen himmlischen Lichtes und ihrer Gottheit verehrten. Vgl. Herodot: Neun Bücher zur Geschichte. Nach der Übersetzung von Ch. Bähr. Mit einer Einleitung von Lars Hoffmann. Wiesbaden 2007, S. 75 u. 773. Der 2007 entstandene Hollywoodfilm 300 erzählt eine von Herodot berichtete Episode aus der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.), auf die sich der Ruhm

Spartas gründet. Dort opferten sich der Überlieferung nach 300 Spartaner unter Leonidas, um einen Gebirgspass gegen das übermächtige Heer des Perserkönigs Xerxes I. zu verteidigen und den Rückzug der griechischen Streitkräfte zu sichern. Die Perser werden im Film - analog den Indianern im Western - als unzivilisierte, grausame Wilde dargestellt. 11

Während einerseits viele Menschen im Westen ein vereinfachtes und klischeehaftes Bild vom Orient vor Augen haben, das größten Teils von ablehnenden Gefühlen bis zu feindlichen Verhalten geprägt ist, gibt es auch viele westliche Iranisten, Orientalisten und Islamwissenschaftler, die aus ihrer Vorliebe und Hinneigung zum Orient ein idealistisches Bild der orientalischen Kultur entwerfen. Jegliche Kritik, insbesondere am Islam, entsteht für sie aus „engherziger Ansicht“ und Kritiker werden als „verständnislos und intolerant” bezeichnet.! Während die derzeitige politische Lage den Zugang zur fremden Kultur erschwert, war es zu Goethes Zeit, Anfang des 19. Jahrhunderts, leichter möglich, sich der unbekannten Kultur anzunähern. Goethe versuchte, sich die orientalische Kultur und besonders Hafis’ Dichtung zu eigen zu machen, um daraus etwas Neues zu entwickeln. Hafis, der große Dichter persischer Sprache aus dem 14. Jahrhundert, wird in der Forschung unterschiedlich und widersprüchlich interpretiert. Ohne die von Hafis verwendeten Termini und Anspielungen erforscht und verstanden zu haben, ist seine wahre Persönlichkeit nicht erkennbar. Ich stelle hier einen anderen, einen dem traditionellen Bild nicht entsprechenden Hafis vor. So werden durch meine vorliegende Arbeit nicht nur so manche, bisher unbekannte Einsichten in Hafis Weltsicht ermöglicht. Ich unternehme auch den Versuch, Hafis’ Entwicklungsprozess, als Mensch und Dichter, durch Interpretation seiner Dichtung aus neuer Sicht darzulegen. Infolge dieses neu gewonnenen Hafis-Bildes, werde ich die Divan-Gedichte und Goethes Verhältnis zu Hafis in vielerlei Hinsicht anders als gewohnt betrachten und interpretieren. Um Goethes Westöstlichkeit, sein Interesse am Orient und an Hafıs

zu verstehen, sollte man einen Blick auf die Frühaufklärung zurückwerfen. Europäische Orientreisende waren im Mittelalter in erster Linie Pilger, die Jerusalem und das Heilige Land besuchten. Wie die Abenteurer und Geschäftsreisenden der frühen Neuzeit bereisten sie andere Länder ohne Anspruch darauf, die Sitten und Gebräuche der fremden Kultur zu verstehen. Mit Beginn des Zeitalters der Aufklärung gewinnt der Blick auf das Fremde eine neue Qualität. Die aufgeklärten Reisenden studier1

12

Als B.S.s. Katharina Mommsen: Goethe und die arabische Welt. Frankfurt a. M 1988, S. 164ff. Mehr dazu s. die vorliegende Arbeit Teil 2, Kap. 2.2.1 Goethes IslamBild und Teil 5, Kap. 5.3.1 Toleranz und Dialog in der gegenwärtigen Situation.

ten Kunst, Kultur, Bildung, familiäre und gesellschaftliche Systeme ande-

rer Lander. Sie wollten anthropologische Konstanten erforschen, allgemeingiiltige Einsichten tiber die Natur des menschlichen Wesens gewinnen, und sie werteten ihre Erkenntnisse wissenschaftlich aus. Die entste-

hende neue Reiseliteratur ermôglichte einen Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen. Ziel der aufgeklarten Intellektuellen des 17. Und 18. Jahrhunderts war es, sich dem Fremden anzunähern.

Der Blick der Aufklarer auf die

eigene Kultur konnte auch durch die Bekanntschaft mit dem Anderen gescharft werden. ! Das Interesse an anderen Lebensweisen und an einem Kulturaustausch wurde vor allem durch Johann Gottfried Herders kulturphilosophische Studien Journal meiner Reise und Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784/91) geweckt. Die im

18. Jahrhundert

sich anbahnende

Interkulturalitat mündete

an dessen Ende geradezu in einer Hinwendung zum Morgenland ein. „Orient“ war in dieser Zeit, nach Burdachs Bericht „ein Zauberwort“ geworden.’ Rousseaus Naturevangelium und Herders universelle Lehre von der Natur- und Volkspoesie inspirierten die Romantiker auf der Suche nach einer neuen Mythologie. Friedrich Schlegel forderte dazu auf, durch Erinnerung von Sinnbildern aus dem Orient zur Urmythologie zurückzufinden.? Auch Friedrich Wilhelm Schelling vertrat die Idee einer neuen Mythologie, in der das aus dem orientalischen Geiste stammende Christentum in den universellen „Ozean der Poesie” zurückfließen solle.4 Durch Hinwendung zu den ursprünglichen Wurzeln der europäischen Kultur wollte man im Orient die reine Urreligion, die Spuren des Urvolks und eine neue Mythologie entdecken. Man wollte sich orientieren.

In diese idealisierte Ferne - in einen Orient jenseits der politisch Grenzen Europas - richtete Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) 1

Vgl. Stefan Blessin: Goethes West-östlicher Divan und die Entstehung der Weltliteratur. In: Westöstlicher und nordsüdlicher Divan; Goethe in interkultureller Perspektive. Hrsg. von Ortrud Gutjahr. Paderborn, München u.a. 2000, S. 59-71, hier

2

S. 67. Konrad Burdach: Goethes West-östlicher Divan in biographischer und zeitgeschicht-

3 4

Ebd. Ebd.

licher Beleuchtung. In: Edgar Lohner (Hg): Studien zum West-ôstlichen Divan Goethes. Darmstadt 1971, S. 310-351, hier S. 318.

13

wie andere Aufklärer seiner Zeit sein Augenmerk. Goethes Interesse am Orient wurde bereits in seiner Kindheit, durch die mütterlichen Erzählungen der Märchen aus 1001 Nacht und die frühe Bibellektüre geweckt.! In seiner Jugend hatte er bei der Lektüre von Herodot und Xenophon Beeindruckendes über das altpersische Achämenidenreich (558-330 v. Chr.)

erfahren. Die zarathustrische Textsammlung Awesta,? die er in der Übersetzung des Orientalisten Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron von 1771 studierte, machte ihn mit der mittelpersischen Epoche vertraut.* Die populären Reiseberichte von Deutschen wie Adam Olearius und Carsten Niebuhr, aber auch von Abenteurern und Reisenden anderer Nationalität wie Marco Polo, Pietro della Valle, Jean Baptiste Tavernier, Jean Chardin,

Edward Scott Waring u.a. verstärkten Goethes Interesse für Persien.? Aber dieses durchaus vorhandene Interesse Goethes am Orient und an Persien schlug sich noch nicht in seinen Werken nieder.° Bei ihm fand zunächst keine Auseinandersetzung mit der persischen Kultur und Religion statt, wie z.B. bei Herder, der Studien zu Persepolis, dem Residenz1 2

Vgl. Katherina Mommsen: Goethe und 1001 Nacht. Frankfurt/M 1981, S. 3f. Zarathustra (grch. Zoroaster), der altiranische Prophet und Religionsstifter, lebte zwischen

1200 und 800 v. Chr. im Osten Persiens. Nach der dualistischen Lehre

des Zarathustra wird die Welt von zwei Urwesen erschaffen und beherrscht, von dem obersten Gott Ahura Mazda

(Herr der Weisheit)

und seinem Widersacher

Ahriman (Avestisch: anrö maniius), dem Bösen Geist. Es herrscht ein steter Kampf zwischen den beiden Mächten, dem Guten und Bösen, dem Licht und der Finster nis (Ahura Mazda verkörpert die Macht des Lichts). Ahura Mazda hat durch Zara-

thustra seine Heilslehre verkünden lassen, deren als Offenbarung geltende heilige Schrift das Awesta ist. Den Mittelpunkt des Gottesdienstes bildete der Feuerkult. Vgl. Brockhaus-Enzyklopädie: Bd. 5, 19. Aufl. Mannheim 1986, S. 676. Mehr über

Zarathustra s. u.a. Mary Boyce: Zoroastrians, Their Religious Beliefs and Practices.

3 4

London 2001. Goethe-Handbuch: Bd. 4 / 2 (Personen, Sachen, Begriffen). Hrsg. von Hans-Dietrich Dahnke u. Regine Otto. Stuttgart / Weimar 1998, S. 841. Vgl. ebd. Goethe schreibt in den Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divan über einige dieser Reisenden. S. Johann Wolfgang Goethe: West-östlicher Divan. Hrsg. von Hans-). Weitz. 8. Auf. Frankfurt a.M. 1988,

S. 231ff. (weiterhin zitiert als Goethe: West-östlicher Divan. Weitz). Die im Text er-

5

scheinenden Divan-Gedichte werden nach dieser Ausgabe zitiert. Frühe Dichtungen Goethes über den islamischen Orient wie Mahomets Gesang meinen allgemein den Orient, zu dem auch Persien gehört. Mir geht es hier aber nur um Persien als ein individuelles Land, das neben der islamischen Kultur seine eigene historisch-soziale Entwicklung und seine eigene Ethik und Poesie besitzt.

14

und Verwaltungssitz der Achämenidenkônige, verfasste. Auch die in Zeitschriften gelegentlich erscheinenden Übersetzungsproben von Hafis’ Dichtung rezipierte Goethe zunächst nicht. Im 1812-13 erschien Hafis Diwan! erstmals in der deutschen Gesamtübersetzung von Joseph von Hammer-Purgstall. Seine Lektüre inspirierte Goethe zur schöpferischen Auseinandersetzung mit Hafis, der persischen Kultur und Dichtung. Daraus ging der West-östliche Divan hervor. Goethe bereiste den Orient im Geiste. Er wollte durch die fremde, orientalische Kultur sich und die Gesellschaft verjüngen und seine Poesie auf eine neue Stufe heben. Er sah sich nicht nur als Dichter, sondern auch in „der Rolle eines Handelsmanns‘.? Allerdings betrieb er einen ideellen Handel, er wollte westlicher Vermittler eines geistig-kulturellen Austausches sein. Mit dieser Absicht betrachtete er den Orient, den Islam, den Koran

und Hafis. Ziel seiner imaginären Reise ist Schiras, die Hauptstadt der

Provinz Fars (Pars) und Hafis’ Heimatstadt.

Den

meisterhaften und im

Persischen Volk durch Jahrhunderte anerkannten Sänger Hafis wählte er sich zum Begleiter. Goethe sah in Hafis den ihm Gleichgesinnten, mit dem er in ein Zwiegespräch eintreten wollte.

Inhalt der Untersuchung Ziel der folgenden Arbeit ist, einerseits Goethes Verhältnis zu Hafis im West-östlichen Divan zu untersuchen, wobei die Rezeption und poetische Anverwandlung im Vordergrund stehen; andererseits habe ich untersucht, inwieweit Goethes Vorstellung von Westöstlichkeit mit dem gegenwärtigen Stand des Orient-Okzident-Verhältnisses zu verknüpfen ist. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Arbeit in fünf Teile gegliedert. Im ersten Teil wird Hafis’ Weltsicht untersucht. Wer war Hafis und was für eine Weltanschauung prägt seine Dichtung, die nach sechs Jahrhunderten immer noch eine einzigartige Anziehungskraft auf die Perser 1

2

Das Wort Diwan (Gedichtsammlung) habe ich in vorliegender Arbeit in zwei

Schreibweisen verwendet:

Diwan (mit w) und Divan (mit v). Wo

ich Diwan mit

„w“ schreibe, ist Hafis’ Diwan gemeint. Goethes Divan wird mit „v“ niedergelegt, nach Goethes eigener Schreibweise. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 127f.

15

hat und dessen Diwan neben dem Koran verehrt und sogar als Orakel befragt wird? In diesem Teil wird zunächst der Versuch unternommen, die Forschungen zu Hafis zu analysieren und unterschiedliche Interpretationen bzw. Fehlinterpretationen aufzuzeigen und einander gegenüber zu stellen. Anschließend werden die in Hafis’ Poesie enthaltene Weltanschauung und die unterschiedlichen Phasen seiner Entwicklung in Verbindung mit einer intertextuellen Lektüre auf neuer Basis erschlossen. Da Hafis’ Weltsicht eng mit dem Mystizismus verknüpft ist, wird seine Mystik als Kernthema einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Im zweiten

Teil

wird Goethes Rezeption der orientalischen Kultur

untersucht, wobei zunächst die Interkulturalität im 18. Jahrhundert und

sodann Goethes Islam-Bild und seine Auffassung von der persischen Naturreligion und der persischen Dichtung erläutert werden. Es ist auch die Frage zu beantworten, inwieweit die Erschöpfung Europas nach den Napoleonischen Kriegen und die Politisierung der Gesellschaft im Zuge der vaterländischen Befreiungskriege dazu beigetragen haben, dass Goethe zu einer imaginären Reise in den Orient aufgebrochen ist. Welche Rolle spielte für diese Entscheidung auch seine persönliche Krise und worin könnte sie bestanden haben? Außerdem wird der Versuch gemacht zu verstehen, warum Goethe gerade Hafis als poetischen Sänger zum Begleiter auserwählt hat? Inwieweit hat Hammers Übersetzung Goethes Hafis-Bild beeinflusst? Welche Rolle spielte Hafis’ Dichtung als Bezugstext zwischen Goethe und Marianne von Willemer? Welche Analogien finden sich zwischen Hafis’ und Goethes Dichten und Leben? Im dritten

Teil

der Arbeit untersuche

ich Goethes

Divan daraufhin,

wie Goethe Hafis und dessen Lebensauffassung versteht. Insbesondere betrachte ich, auf welche Art er Hafis’ Poesie in seinem eigenen Divan aufnimmt, bearbeitet und umformt und in welchen Zusammenhängen er direkten Bezug auf Hafis nimmt, wenn er ihn auch namentlich anspricht.

Außerdem analysiere ich die direkten Entlehnungen, die Goethe bei Hafis gemacht hat, und gehe der Frage nach, welche Aspekte an Hafis’ Leben und Dichtung Goethes besonderes Interesse hervorriefen. In diesem Zusammenhang soll gewichtet werden, inwieweit Goethe den Dichter Hafis verstanden hat bzw. missverstanden haben könnte. Nach Möglich16

keit gehe ich in der Analyse von Goethes Divan jedes Gedicht durch, in dem eine direkte Rezeption und poetische Anverwandlung von Hafis ersichtlich sind. Zum besseren Verständnis von Goethes Verhältnis zu Hafis werde ich an einigen Stellen Goethes Strophen im Divan mit Hammers HafisÜbersetzung! und diese beiden wiederum mit der neuen Hafis-Ubersetzung von Wohlleben? vergleichen. Zur besseren Vergleichbarkeit werden die drei Texte, soweit möglich, synoptisch nebeneinander gestellt. Diese Synopse ist durch tabellarische Rahmung kenntlich gemacht. Im anschließenden vierten Teil wende ich mich wieder Goethes Divan-Gedichten zu, wobei das Kernthema „Liebe“ als autonome Sinneinheit in Hafis Dichtung aufgefasst wird. Um einerseits die Charakterisierung des Divan und Goethes Verhältnis zum Orient im Allgemeinen, im Besonderen jedoch zu Hafis, und andererseits den Unterschied zwischen der Weltanschauung eines Aufklärers und der eines Orientalen besser zu untermauern, wird die Liebe im West-östlichen Divan im Vergleich zur Liebe bei Hafis untersucht. Um diesen Vergleich zu verdeutlichen, werden zunächst die Liebe in Hafis’ Dichtung und die Auffassung der Liebe im West-östlichen Divan separat erläutert. Dann werden Elemente und besondere Belege der Hafis’schen Semantik für die Liebesauffassung, die Goethe in seinem Divan herausgearbeitet hat, aufgezeigt und untersucht: Wie z.B. die Rolle der Huri im islamischen Paradieses, das Leid in der Liebe, die Schenkensphäre als Darstellungsraum der Knabenliebe, Augenspiele als geheime Chiffre der Liebenden und rhetorische Figuren der Liebe in Hafis’ und Goethes ,Divan . Auch hier werde ich einige Texte, wie im dritten Teil, synoptisch nebeneinander stellen. Im fünften Teil und Epilog dieser Arbeit werden die wichtigsten Gesichtspunkte erörtert, die Goethe im West-östlichen Divan in Hinblick auf den Orient, insbesondere auf Hafis entwickelte. Wir werden untersuchen, inwieweit Goethes Vorstellung von der Westöstlichkeit mit dem 1

Mohammed Schamsed-din Hafis: Der Diwan. Aus dem Persischen von Joseph von Hammer-Purgestall. SZ, München 2007 (weiterhin zitiert als Hammers Hafis-Über-

2

Hafis: Die Ghaselen des Hafiz. Neu in deutsche Prosa übersetzt, mit Einleitung und Lesehilfen von Joachim Wohlleben. Würzburg 2004 (weiterhin zitiert als Hafıs-

setzung).

Wohlleben).

17

gegenwärtigen Stand des Orient-Okzident-Verhältnisses zu verknüpfen ist.

Um die aktuellen west-ôstlichen Auseinandersetzungen besser verstehen zu können, wird Goethes Verständnis des Orients mit der Reaktion der Perser auf die moderne westliche Kultur zum Vergleich herangezogen. Darüber hinaus werden Persiens zaghafte Schritte in die Moderne, der Widerstand der Tradition gegen westliche Ideen und das Fortbestehen von Imitation und Repetition in der modernen persischen Literatur als exemplarisch für den Orient dargestellt. Der Vergleich zwischen Goethes Westöstlichkeit und dem gegenwärtigen Orient-Okzident-Verhältnis erfolgt vor dem Hintergrund von Goethes Art und Weise der Begegnung mit der fremden Kultur und seiner Wunschvorstellung von Westöstlichkeit. Am Schluss werden die Art des Dialoges und des kulturellen Austausches in der gegenwärtigen Situation und die Reaktionen westlicher Denker und Medien auf die west-östlichen Auseinandersetzungen dargestellt.

Methode der Untersuchung In der Anlehnung an Wilhelm Diltheys Erlebnis-Begriff habe ich die Transformation des persönlichen Erlebnisses ins dichterische Werk Goethes in Verbindung mit Hafis’ Poesie untersucht. Diltheys ErlebnisBegriff ist um das Moment der bewussten und gewollten Selbstinszenierung in Auseinandersetzung mit der fremden Kultur zu erweitern. Dilthey schreibt: [...]! die erste und entscheidende Eigenschaft der Dichtung Goe-

thes [ist], dass sie aus einer außerordentlichen Energie des Erle-

bens erwächst. [...] Seine Stimmungen schaffen alles Wirkliche um [...]. Sein Leben und seine Dichtung sind hierin nicht zu unterscheiden, seine Briefe zeigen diese Eigenschaften gerade so wie seine Gedichte [...]? 1 2

18

Sämtliche in der vorliegenden Arbeit in einem Zitat in eckigen Klammern einge-

fügten drei Punkte (Auslassung) oder Wôrter stammen von mir (M. F.). Wilhelm Dilthey: Goethe und die dichterische Phantasie. In: Dilthey; Das Erlebnis

und die Dichtung: Lessing, Goethe, Novalis, Hôlderlin. Hrsg. von Rainer Rosenberg. Reclam, Leipzig 1988. S. 147-221, hier S. 150.

Die Umwandlung des persônlichen Erlebnisses in ein literarisches Kunstwerk versteht Dilthey so, dass ,den in der Dichtung dargestellten The-

men die Erlebnisse des Dichters innewohnen, die ihm bedeutsam sind.“ Goethe aber war persönlich nie im Orient, nie in Persien und hatte keine direkten Erlebnisse im Morgenland, um hieraus reale Lebenserfah-

rungen zu gewinnen, die ihm bedeutsam hätten werden können. Er hatte

nur durch Berichterstattungen und literarische Arbeiten den Orient, Persien und vor allem auch Hafis’ Lebensweise und seine Dichtung kennengelernt. Deshalb steht in meiner Arbeit nicht nur die praktisch und sinnlich gewonnene Kenntnis im Vordergrund, welche Goethe durch seine Gestaltung in Form und Gebilde umwandelte, sondern auch die Selbstinszenierung durch Fremd-Erleben bei der Lektüre literarischer Werke. Ich betrachte Goethe nicht als bloßen neutralen „teilnehmenden Beobachter , wie Karl Bühler in seiner Sprachtheorie, unter dem Titel „Deixis

am Phantasma’, die Autor-Leser-Relation sieht: In Verbindung mit dem Orientierungsraum zwischen dem Autor und dem Rezipienten im literarischen Text als Phantasmatischem

Objekt sieht Bühler den Leser in der

Position eines Zuschauers, der in einen anderen Raum, den Bühnenraum hinüberblickt. Der Leser bleibt außerhalb des erzeugten Orientierungsraums.! Ich hingegen betrachte Goethe als direkt am Geschehen teilnehmenden Aktanten im poetischen Text. Nach Konrad Ehlichs Sprachfeldtheorie beruht die Autor-Leser-Interaktion auf der kommunikativen Funktion eines fiktionalen Textes. In dem Sinne ist „sprachliche Handlung nicht in ihrer Isolation zu erfassen”, sondern als eine Form menschlicher Kommunikationsstruktur zu verstehen.? Hierzu ist auch die mentale Aktivität des Lesers mit einbezogen, die vom Autor und seinem Text bewirkt wird.’ 1

Vgl. Karl Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart

2

Vgl. Konrad Ehlich: Eichendorffs Incognito, [Sprachfelder im Gedicht Lockung von

3

1999, S. 121-140.

Eichendorff]. Wiesbaden 1997, S. 36. In der Autor-Text-Leser-Relation stellen manche Literatur-Theoretiker wie Hans

Robert Jauß und Wolfgang Iser aus der Konstanzer Schule in ihrer „wirkungsästhe-

tische(n) Literaturtheorie” die Rolle des Lesers in den Vordergrund. Für den fran-

zösische Theoretiker Roland Barthes beginnt das Schreiben erst durch Lesen inso-

weit, dass er vom „Tod des Autors” spricht (s. Roland Barthes:

Le bruissement de

la langue. Paris 1984. Deutsche Fassung: Das Rauschen der Sprache. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt, 2005, S. 57- 63). So verliert der Autor seine Stimme und spielt im Text keine Rolle mehr. Wenn man aber die kommunika19

Goethe ist aber kein einfach konsumierender Leser, der nur beim Lesen am Geschehen im Text teilnimmt. Er sucht nach einem alternativen Erlebnis durch die fremdkulturelle Lektüre. Er tritt in die fremde Kultur ein, er lebt in ihr und gewinnt damit einen Zugang zum Altertum, zur antiken Welt, der rein wissenschaftlicher Betrachtung verschlossen bleibt. Er versetzt sich durch eine Selbstinszenierung in der Fremdkultur hinein, um sich eine neue Biographie zu schaffen, wie er dies schon aber nicht so ausdrücklich und vorsätzlich - in seinem Verhältnis zur griechischen Kultur und Poesie getan hatte. In diesen Zusammenhang gehört m. E. Goethes Rezeption des Orients und besonders der Dichtung von Hafis zu seinem eigenen Erleben und seinen persönlich gewonnenen

Kenntnissen.

Mit anderen Worten,

das Erlernte steigert sich bei Goethe in den Rang eines persönlichen Erlebnisses. Hier steht das kommunikative Handeln durch die poetische Handlung im Vordergrund; denn Goethe übernimmt in seiner imaginati-

ven Reise in den Orient auch „die Rolle eines Handelsmanns.“!

So ver-

sucht er, als ein westlicher Vermittler einen geistigen Handel, d.h. ein poetisch-kulturelles Gespräch zu betreiben. Nach dem Vorhergegangenen werde ich untersuchen, wie de textuelle und intertextuelle Erlebnisse reproduziert und macht, um zu deuten, wie und inwieweit Goethe Hafis steht oder missversteht. Weil die von Goethe verwendeten der Übertragung aus einer fremden Sprache auch fremden tragen,

muss

man

beachten,

dass

nicht

nur

Goethe fremsich zu eigen Dichtung verTexte infolge Gehalt in sich

sprachstrukturelle

Unter-

schiede zwischen den verschiedenen Sprachen andere Sprachfeldmöglichkeiten und Vorstellungen hervorrufen können, sondern dass auch die unterschiedlichen Kulturen und verschiedenen philosophisch-dichterischen Auffassungen einen anderen Deutungsprozess, andere Vorsteltive Funktion eines fiktionalen Textes und die Lenkung des Lesers durch den Autor durch die verschiedenen Sprachfeldmöglichkeiten ins Auge fasst, kann man nicht vom Tod des Autors, sondern von der Abwesenheit des Autors sprechen; denn beim Lesen eines Textes ist der Autor zwar nicht selbst anwesend, doch seine Stimme verbirgt sich hinter dem Text, die beim Lesen, durch kommunikatives Handeln in Verbindung mit der sprachlichen Handlung, aktiv wird. Über Litera-

turtheorie von Jauß und Iser s. Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provoka-

1 20

tion der Literaturwissenschaft. Konstanz 1969, und Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens; Theorie ästhetischer Wirkung. München 1976. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 127f.

lungsbildung und Wahrnehmung herbeiführen können. Ein Beispiel dafür ist die Rolle des Artikels im Deutschen, der als ein Operator für die interaktive Bearbeitung von Wissen zur Verfügung steht. Verwendet der Autor in einem Text einen bestimmten Artikel, orientiert sich der Leser zu einem bestimmten Objekt. Wenn wir mit ,die (z. B. die Rose) in der deutschen Ausgabe / Übersetzung in Bezug auf sprachliche Einheiten operieren können und der bestimmte Artikel hier als Operationsfeld fungiert, kann dies im Persischen nicht der Fall sein; denn diese Sprache besitzt kein Genus und außerdem auch keinen Artikel. Da z.B. für „sie“

und ,er das gleiche Personalpronomen (u 4!) verwendet wird, ist es bis-

weilen schwer zu erschließen, ob ein Dichter wie Hafis eine Frau, einen Mann oder Gott meint. Der Leser vermag lediglich aus dem Kontext und über die verwendeten Begriffe und Bezeichnungen das Geschlecht der genannten Person zu ersehen. Dies ist für einen Nicht-Muttersprachler nochmals komplizierter.

Um eine andere Vorstellungsbildung von fremden Texten durch sprachliche Handlungsabläufe in Zusammenhang mit einer fremden Kultur zu beleuchten, kann Hafis’ mystische Auffassung als ein beredtes Beispiel dienen: Normalerweise greift der Autor durch das Lenkfeld unmittelbar in die mentalen Handlungsabläufe seines Lesers ein; z.B. wird die Aufmerksamkeit des Empfängers durch emphatische Anrede wie „O du‘ auf die Bereiche des Eigenen gerichtet. Aber eine solche Anrede ist in Hafis’ Dichtung nicht unbedingt an den Empfänger oder die irdische Geliebte als Adressat gerichtet, sondern, im mystischen Geiste, an Gott. In solchen Fällen kann der Leser keinen direkten gemeinsamen Vorstellungsraum mit dem Autor in Anspruch nehmen. All dies kann ein Gedicht der fremden Sprache und Kultur in eine andere Feldstruktur transformieren. So kann das Gefüge der anschaulichen Orientierung und der Autor-Leser-Relation eine andere Rolle spielen als im Vergleich zur deutschen Sprache / Übertragung. Desweilen muss noch ein anderer Hinweis gegeben werden: Meine Forschungsarbeit über Goethes Divan nähert sich insofern der biographistisch orientierten Methode an, als ich seine eigenen Erlebnisse und seine Weltsicht in Verbindung mit seiner Vorstellung von Hafis Poesie erörtere. Die Vorgehensweise entspricht aber nicht dem traditionellen Biographismus, der den künstlerischen Schaffensprozess nur durch ge21

sellschaftliche und historische Ereignisse, wie vom Positivismus propagiert, betrachtet.! Ich bearbeite hier jenen Teil der Erlebnisse des Dichters, aus denen heraus er als individuelle Persônlichkeit handelt. Ihm gewähren „nur die Mächtigkeit und der Reichtum seiner Erlebnisse das Material echter Poesie.“ ? Hier stehen die Person des Dichters und die Dichtung im Vordergrund. Um Goethes „reproduzierte oder frei gebildete Vorstellung“? anhand von Hafis’ Dichtung zu deuten, wende ich außerdem die komparatistische Methode an und vergleiche die Rezeption und Vorstellung Goethes mit der Originalquelle bei Hafis und in anderen persischen Dichtungen. Ferner nehme ich eine vergleichende Gegenüberstellung ausgewählter Themen beider Werke vor. Dabei tritt besonders das Thema Liebe als Kernthema in beiden Werken hervor. Ich verwende hier zum besseren Verständnis der Texte beider Dichter z. T. auch die semantisch-kontextuelle und lexikalische Analyse. Dies ermöglicht nicht nur den Vergleich von Textinhalten beider Dichtungen, sondern auch die Analyse bestimmter Sprachfelder und Begriffe.

Über die primäre Quelle des Diwan Alle Versionen des Diwan ‎)‫ دیوان‬Gedichtsammlung) von Hafis, die uns überliefert sind, wurden erst Jahre nach seinem Tod niedergeschrieben.

Die älteste Version stammt aus dem Jahre 1405, entstand also etwa 15 Jahre nach Hafıs’ Tod, sie beinhaltet aber nur 43 Gedichte (41 Ghaselen

und 2 gate‘ät Bruchstücke).* Zwei weitere ältere Versionen, die mehr Gedichte von Hafis liefern, datieren aus den Jahren 1411-12. Eine Version, in der außer anderen Gedichtformen 455 Ghaselen enthalten sind, wurde

von dem Kopisten Häfez Hassan niedergeschrieben, der von Galal adDin ‘Omar Seyh (Timurs Enkel und Regent von Fars) beauftragt worden

1 2 3 4

22

Mehr über Biographismus s. E. Ileri, a.a.O., 9. 12-35. Wilhelm Dilthey: Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine für eine Poetik. In: Dilthey; Gesammelte Schriften. Bd. 6, zweite Hälfte: Abhandlungen zur Poetik, Ethik und Pädagogik. Leipzig/Berlin 1924, S.103-241, hier S. 165. Dilthey; Goethe und die dichterische Phantasie, a.a.O., S. 151. Ein Nachdruck dieser Handschrift wurde von Kolsoum Galimowa im Jahre 1971 in

Tadschikistan herausgegeben.

ist. Die andere Version, die in der Bibliothek des Britischen Museums aufbewahrt wird, enthalt insgesamt 152 Ghaselen.!

Die zehn anderen Versionen, die zwischen 1414 und 1435 niedergeschrieben wurden, enthalten eine unterschiedliche Anzahl, von bis zu 496 Ghaselen. Eine dieser Diwan-Versionen, die von den zwei bekannten HafisForschern Mohammad Qazwini und Qäsem Gani im Jahre 1941 in Teher-

an herausgegeben wurde, basiert auf einer Handschrift von 1425, die 495

Ghaselen, 2 masnawi, 34 gate at, 3 gaside und 24 roba‘yi beinhaltet.? Die-

se Version wurde oft als originalgetreue Ausgabe in der Hafis-Forschung bezeichnet. Nach dem Erscheinen dieser Ausgabe wurden andere nennenswer-

ten Editionen, wie z. B. 1977 von Raëid Eyuzi und Akbar Behruz oder

von Mohammad Reza Galali Na‘yini und Nazir Ahmad herausgegeben. Wobei letztere ein Nachdruck der Handschrift von 1422 ist.? In allen diesen Editionen gibt es unterschiedliche Anordnungen der Verspaare und diverse unterschiedliche Stellungen einzelner Worte und Verse. Handschriften, die nach dem 15. Jahrhundert bis ins 18. Jahrhundert

von Kopisten angefertigt wurden, enthalten bis etwa 100 Ghaselen mehr als ältere Versionen.? dass die späteren Kopisten auch Ghaselen von z.B. Salman 537081 und Mas oud Sa d-e Salman

zu 600 Ghaselen, also Dies weist darauf hin, anderen Dichtern, wie oder selbst gedichtete

Verse als Hafis’sche eingebracht haben. Das machte es immer schwierig,

die richtige Reihenfolge der Verspaare ans Licht zu bringen und falsche Ghaselen von den echten zu unterscheiden. Im Jahre 1980 ist eine neu durchgesehene kritische Ausgabe aller früheren Versionen von Parwiz Nätel Hänlari in Teheran, mit 486 „ech1 2 3

4 5

Ein Nachdruck dieser Handschrift ist 1958 durch Parwiz Nätel Hänlari in Teheran erschienen. Diese Ausgabe wurde einmalig im Jahre 1927 von Abd ol-Rahim Halhäli in Te-

heran herausgegeben. Mehr

über

Diwan-Versionen

s. Hafis:

Diwan-e Hafez.

Hrsg.

von Parwiz

Nätel

Hänlari. 2. Band. Teheran 1983, S. 1127-1137 u. Bahä’ad-Din Horramsähi and Elr: Printed Editions of the Divan of Hafez. In: Encyclopedia Iranika. Edited by Ehsan Yarshater. Volume XI, New York, N.Y. 2003. S. 479-483.

Vgl. Hafis: Diwän-e Hage Sasm ad-Din Mohammad Häfez-e Sirazi. Hrsg. von Mohammad Qazwini u. Qäsem Gani. Teheran 1941, S. 32f (lab WJ). Siehe Hafis; hrsg.von Hanlari, a.a.0. 2. Band, s. 1001- 1024. 23

ten Ghaselen erschienen, die eine originalgetreuere Lesart bietet. Er hat 38 Ghaselen, deren Zugehörigkeit zu Hafis angezweifelt wird, vom Hauptwerk getrennt und sie extra im 2. Band mit den anderen Gedichtformen von Hafis eingebracht.! Die Zitate aus Hafis’ Diwan habe ich dieser von Hänlari herausgegebenen Version entnommen, da er die vertrauenswürdigste Quelle darstellt. Die Version von Hänlari liegt auch Joachim Wohllebens Ubersetzung zugrunde, die ich durchgehend herangezogen habe. Wohllebens

Ubersetzung ist prosaisch, aber im Vergleich mit anderen Ubersetzungen

sprachlich und inhaltlich präziser. Auch in dieser Übersetzung sind einige Worter und Begriffe nicht ganz treffend oder entsprechend genug iibertragen, so dass ich meine eigene Ubersetzung derartiger Textstellen verwende. In diesen Fallen habe ich meine Korrekturen in einer Fufinote erklärt. Wo ich Verse anderer persischer Dichter zitiere, die ich selbst übersetzte, habe ich den Originaltext daneben gestellt. Bei der Übersetzung dieser Verse war mir die angemessene Übertragung des Gehaltes wichti-

ger als die Asthetik der Sprache.

Wahrend meiner Arbeit an vorliegender Dissertation wurde eine neue Handschrift von Hafis-Ghaselen durch Ali Ferdousi in der Bibliothek Bodleian der Universitat Oxford entdeckt. Ein Nachdruck dieser Hand-

schrift, die als die erste und einzige aus Hafis’ Lebenszeiten gilt, ist im

Jahre 2008 in Teheran erschienen.? Diese Quelle enthält leider nur fünfzig der insgesamt etwa fiinfhundert Ghaselen von Hafis, die uns tiberliefert wurden. Ich habe einen Vergleich dieser Version mit der von mir verwendeten Quelle vorgenommen, die Unterschiede in den von mir un-

tersuchten Textstellen sind nur gering. Abweichungen bezüglich der Anordnung einiger Verspaare und in einzelnen Worten und Versen sind fur meine Arbeit nicht bedeutsam. Diese neu aufgefunden Handschrift ist vor allem insofern von Bedeutung, als ihr Inhalt es ermöglicht, Hafis’ genaues Todesjahr zu bestimmen, das bis dahin zwischen 1389 und 1390 angesetzt wurde. Die Abfassung dieser Handschrift, in der auch Gedichte anderer persischer 1 2

24

Hafez: Diwan-e Häfez. Hrsg. von Parwiz Nätel Hänlari. 2 Bde., Teheran 1983. Hafez: Gazalhä-ye Hafez. (Erste Handschrift von Hafis’ Ghaselen aus Hafis’ Le-

benszeit). Hrsg. von Ali Ferdousi. Teheran 2008.

Dichter enthalten sind, wurde im Jahre 1390 beendet. Der Kopist, ‘Ala’ Marandi, spricht in ihr von Hafis als einem lebenden und manchmal als einem schwer kranken Mann; denn er wünscht Hafis bald großen Erfolg und langes Leben, bald gute Besserung. ! Alles weist darauf hin, dass Hafis bis 1390 am Leben war.? Auf den letzten Seiten wünscht der Kopist sogar „Gottes Gnade’ für die „Seele“ des im Sterben liegenden Dichters, was dann bedeuten würde, dass Hafis im Jahre 1390, dem Jahr 792 He-

dschra, verstorben ist.

Persische Laute und Transkription Im West-östlichen Divan sind etliche persische Wörter in Hammers türkisch gefärbter Aussprache eingesetzt. Manche dieser Worte und in der deutschen Literatur bekannte persische Begriffe und Namen werden in vorliegender Arbeit in der üblichen deutschen Orthografie aufgeführt, wie z. ‎‫ظ‬. Hafis statt der richtigen Aussprache und Transkription (Hafez), Fetwa (korrekter: Fatwa) oder Schah.?

In vorliegender Arbeit werden auch andere persischen Wörter bzw. Eigennamen mit Besonderheiten der Lautung und Transkription verwendet. Für eine einheitliche Schreibweise wurde die Transkriptionstabelle der ZDMG# zugrunde gelegt. Einige Besonderheiten der Lautung und die Transkription finden sich in der unteren Tabelle. Die Transkription versucht, der Lautung so nah wie möglich zu kommen. Laut °

a |

tsch ch

1

2 3

4

Alphabet u. Transkription

Beschreibung. Lang, fast wie in dt. Aas

| Ce

Pre-palatal wie ,tsch” in Deutsch

he

Velares Frikativ wie „ch“ in dt. Nacht

Ebd., S. 27, 32, 52.

Siehe ebd., S. 19. Abgesehen von der gewöhnlichen Bedeutung von Schah (König) verwendet man dieses Wort

im Persischen auch für Doppelnamen

oder für Regionalfürsten.

In

solchen Fallen habe ich dieses Wort mit Transkription und diakritischem Zeichen eingetragen (Sah). Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

25

gh

0 à

Stimmloser, postvelar-postdorsaler Verschlusslaut, auch im Anlaut

dj

Be

Wie in eng. Gin

r

r,

Dental-alveolar (Zungenspitzen ,r°), nie vokalisiert wie im Norddt.

5

S ‎‫س‬

Spirant, stimmlos wie in dt. Gast

2

Z ;

Stimmhaft wie in dt. Susanne

zh

2

Palatal-Reibelaut wie in Genie

sch

5 ‎‫ش‬

Spirant, stimmlos wie in dt. Schule

Es gibt im Persischen viele Wörter arabischen Ursprungs, die man nicht mit arabischer Aussprache, sondern in persischer Lautung ausspricht. Die ursprüngliche Schreibweise von im Persischen verwendeten arabischen Konsonanten wurde jedoch beibehalten. Die in vorliegender Arbeit verwendeten Buchstaben solcher Wörter oder Eigennamen mit Transkription und diakritischem Zeichen sind wie folgt: Laut

h 5

Transkription

he

so

Laut

q 5

Transkription

BE

5 ‎‫ص‬

7

7 ‎‫ذ‬

2

2 ‫ض‬

2

2 ‎‫ظ‬

t

ale o]

le

Stimmeinsatz mit leichtem Knacklaut

tb

Die Namen iranischer Autoren in den persischen Quellentexten werden in meiner Transkription angegeben, falls sie nicht schon in lateinischer Umschrift vorliegen.

26

Über das Ghasel und seine Wirkung auf die deutsche Dichtung

Weil in vorliegender Arbeit häufig vom Ghasel die Rede ist, erkläre ich

hier kurz diese persische Gedichtform und ihre Wirkung auf die deut-

sche Literatur des 19. Jahrhunderts. Hafis hat verschiedene Gedichtformen wie roba'‘yi (Vierzeiler ‎‫(رباعی‬, masnawi ‎)‫(مثنوی‬, bestehend aus zwei sich reimenden Halbversen, gaside (ouai, Monoreim) und gazal (Ghasel ‎‫ (غرل‬verwendet. Sein Diwan aber

besteht überwiegend aus Ghaselen, so dass er als Ghaseldichter (gazalsora ‎‫ (غرلسرا‬bekannt ist. Ghasel (korrekter: gazal;

‎‫ غرل‬flirten, umwerben) ist in der persischen Ly-

rik seit etwa dem 11. Jahrhundert der Terminus für eine (Liebes)Gedicht-

form in Paarreimen. Jeweils

der erste und

zweite

Halbvers

(mesra’

‎‫ (مصراع‬reimen

sich,

alle geraden Verse tragen den gleichen Reim. Die ungeraden Verse müssen nicht unbedingt gereimt sein (Reimschema: aa -ba-ca-da-eafa - ga). Jedes Metrum ist zulässig; jedoch muss das einmal gewählte streng beibehalten werden.! Die Zahl der Verspaare (beyt ‎‫ (بیت‬soll zwischen 7 und 12 betragen, aber manche Dichter wie Rumi haben diese Grenze überschritten. Aus dem Persischen wurde diese Gedichtform in den folgenden Jahrhunderten ins Türkische, ins Paschtu, Urdu und andere Sprachen übernommen. Nachdem der vollständige Hafis-Diwan durch Joseph von Hammer-Purg-

stall ins Deutsche übersetzt und im Jahre 1812-13 erschienen war, beson-

ders nach der Entstehung des West-östlichen Divan von Goethe (erste Ausgabe 1819) wurde das Ghasel in die deutsche Dichtkunst eingeführt. Dichter wie Friedrich Rückert (1788-1866) und August von Platen (17961835) haben zahlreiche Gedichte in Ghaselform verfasst. Rückert hat so-

gar 86 Ghaselen von Hafis in gereimter Form ins Deutsche übersetzt.? 1 2

Vgl. auch Otto Schumann (Hg.): Grundlagen und Technik der Schreibkunst. Wilhelmshafen u.a. 1983, S. 183. Für seine Ghaselen s. Friedrich Rückert: Oestliche Rosen. Drei Lesen. Leipzig 1822. Für Hafis-Übersetzung s. in: Hafıs, Muhammad Schams ad-Din: Ghaselen aus dem Diwan. Übertragung von Friedrich Rückert. Einführung von Annemarie Schimmel. Bonn 2004. 27

Platen, unter Einfluss des West-ôstlichen Divan, war so von Hafis begeistert, dass er in Erlangen bei Kanne, einem Schüler Eichhorns, Persisch lernte (1820).! So beginnt für ihn eine Zeit, in der, It. Vait, „Hafis auf sein

Leben verhängnisvollen Einfluß auszuüben begann."? Innerhalb von drei Jahren sind von ihm vier Gedichtsammlungen mit eigenen Gedichten in Ghaselform und Nachdichtungen von Hafis - Ghaselen (1821), Lyrische Blätter (1821), Spiegel des Hafis (1822) und Neue

Ghaselen

(1823) - er-

schienen. Er hat auch insgesamt 76 Ghaselen von Hafis ins Deutsche

übersetzt.? Dichter wie Theodor Storm, Gottfried Keller, Detlev von Lili-

encron und Hugo von Hofmannsthal verfassten Gedichte in Ghaselform. Es wurden auch musikalische Ghaselen von Franz Schubert, Gustav Mahler, Arnold Schénberg u.a. komponiert.

Mit dieser Gedichtform setzten sich etliche Dichter und Kritiker aus-

einander. Es gab einen Konflikt von Heinrich Heine (1797-1856) und Karl

Leberecht Immermann (1796-1840) mit Platen tiber die Folgen der Annahme einer Gedichtform aus einer vollkommen fremden Kultur. Manche wie Immermann und Gustav Pfizer (1807-1890) haben als Reaktion darauf das Ghasel kritisch und z. T. ironisch nachgedichtet. Ein Gedicht Pfizers hat den Titel Das Gasel, worin er u.a. schrieb: Es wandte meine Kunst sich zum Gasele, Damit sie allen Formen sich vermähle. [...] Hier lernt, wie tonender Musik zulieb

Die Sprache sich in mancher Krümmung quale Und, von des Gleichklangs strenger Schrift beherrscht, Seltsame Bilder halb gezwungen wähle.

]...[ Und unter dieses bunten Turbans Schmuck Verkennet nicht die echte Christenseele.?

1 2 3

Siehe J.C. Bürgel. Platen und Hafıs. In: August Graf von Platen: Leben, Werk, Wirkung. Hrsg. v. Hartmut Bobzin u. Gunnar Och. Paderborn/München u.a. 1998, S. 85-102, hier S. 85. Ebd., S. 86. Vgl. Hamid Tafazoli: Translation of Hafez in German. In: Encyclopedia Iranika.

4

Gustav Pfizer: Gedichte. Neue Sammlung. Stuttgart 1835, S. 356.

28

Edited by Ehsan S. 500.

Yarshater.

Volume

XI, New

York, N.Y.

2003, S. 500-501,

hier

Immermann

schrieb einige Xenien, die Heine

seinen Reisebildern Die

Nordsee (1826) hinzufügte. In einem von ihnen kritisiert er unter dem Titel Ostliche Poeten Platens Vorliebe für das Ghasel sarkastisch: Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen, Essen sie zuviel, die Armen, und vomieren!

dann Gaselen.?

Am Ende 1823 kam die schärfste Kritik von Major Karl Ludwig von Knebel. Er schrieb in einem Brief an Platen u.a: Wir sind keine Perser, und ein Volk, das noch halb in der Barbarei lebt und durchaus keine bildende Kunst hat, kann wohl einem Eu-

ropäer nicht zum Muster der Kunst dienen. 3

Knebel kritisiert auch die Form dieser Poesie, dass die „öftere Wiederholung desselben Reimes und Verses [...] dem Ohr unerträglich" sei.4 Platen hat zwei spöttische Gedichte mit dem ironischen Echoreim „Lieber alter Herr Major“ als Entgegnung verfasst, worin er u.a. schrieb: Spornten Sie doch selbst mit Eifer Einen Pegasus zuvor:

War es etwa nur ein steifer, Lieber alter Herr Major? Aber nun, als Kritikaster In bejahrter Musen Chor, Rügen Sie poet sche Laster, Lieber alter Herr Major! Doch, sich in ein Lied zu finden,

Das die Seele bringt hervor,

Muß man selber was empfinden,

Lieber alter Herr Major! > 1 2 3 4 5

vomieren: erbrechen Heinrich Heine: Werke. Bd. 2 (Reisebilder, erzählende Prosa, Aufsätze). Hrsg. v. Wolfgang Preisendanz. Frankfurt a. M. 1968, S. 176. In: Bürgel; Platen und Hafis, a.a.O., S. 87f. Ebd. Ebd., S. 88. 29

1 Hafis’ Weltsicht

1.1 Hafis’ Vita und die politische Lage wahrend seiner Lebenszeit

Uber das persônliche Leben von Hage! Sams ad-Din Mohammad, mit dem Beinamen Hafis? (1317/1326-1390), dem großen Dichter persischer Sprache, ist uns wenig Verbürgtes überliefert. Legenden und Schlussfolgerungen aus seinem Diwan fließen ineinander. Die erste, aber bei weitem nicht ausreichende Quelle ergibt sich aus einem Vorwort von

Mohammad Golandäm, einem Freund oder einem Schüler von Hafis, der

die Gedichte nach dessen Tode gesammelt und zu einem Diwan (Gedichtsammlung) zusammengestellt haben soll.” Eine weitere nennenswerte Quelle ist das in Urdu verfasste Se’r al-‘Agam (persische Dichtung) von Sibli No’mani.4 Von dieser berichtet der englische Forscher Eduard Brown in seinem Buch A Literary History of Persia und bezeichnet sie als „the best and most complete critical study of Häfiz”.5 Sie überliefert etliche, wenn auch nicht unbedingt authentische Einzelheiten über Hafis’ Leben, die von vielen anderen Hafis-Forschern übernommen wurden. Je1 2

3

Der erste Teil des Namens (Hage) ist eine Ehrenbezeichnung und bedeutet „ehrwürdiger Alter, Lehrer“. „Hafis“ (korrekt wäre „Häfez”) bedeutet im eigentlichen Sinne des Wortes „Hüter,

Beschützer, der im Gedächtnis Bewahrende“. Diesen Ehrenbeinamen erhielt der Dichter, weil er den Koran auswendig wusste (im Gedächtnis bewahrte).

Es ist strittig, ob Golandäm überhaupt ein Zeitgenosse von Hafis war. In einigen älteren Versionen von Hafis’ Diwan wird er nicht als Verfasser dieses Vorworts

genannt. In Dolat$äh Samargandis (gest. 1494/95) bekanntem Werk über die Bio-

graphien der persischen Dichter (Tazkarat al-Soa‘ra), das 100 Jahre nach Hafis’ Tod verfasst wurde, wird keine bestimmte Person als Verfasser des Vorworts genannt. Er schrieb: „Nach Hafis’ Tode haben seine Freunde und Gönner seine Gedichte gesammelt.“ (Übersetzung von mir- M. F.). Der Name Golandam ist nach Vermutung des Hafisforschers Qazwini viel später als zur Zeit der Zusammenstellung der Gedichte aufgetaucht. Siehe Hafis: Diwan-e Hage Sasm ad-Din Mohammad Hafez -e Sirazi. Hrsg. von Mohammad Qazwini u. Qasem Gani. Teheran 1941,

4 5

5. 107 (qaz 55). Dieses Buch wurde ins Persische übersetzt: Sibli No’mani; Se’r al-‘Agam. Uberset-

zung von Fahr Da'i Gilani. Teheran 1948. Eduard Brown: A Literary History of Persia. Volume (1265-1502). Cambridge 1969, S. 273.

II:

The

Tartar Dominion

31

doch sind sie nicht ausreichend, um damit Hafis’ Weltsicht und besonders den Entwicklungsprozess seines Denkens nachzeichnen zu können. Weitere Quellen über Hafis’ Privatleben und sein Verhältnis zu den

Herrschern seiner Zeit sind entweder die Wiederholungen vorheriger Quellen oder aber bloße Legenden.! Das einzige Werk, in dem die politische Lage während Hafis’ Lebenszeit und sein Verhältnis zu den Herrschern dieser Zeitspanne beschrieben wird, ist die 1942 erschienene Geschichte der Hafis-Zeit von Qäsem

Gani,? der ich meine

Informationen

über Hafis’ Zeit überwiegend zu verdanken habe. Im folgenden Abschnitt wird nunmehr versucht, aus den zum Teil verwirrenden Berichten verschiedener Quellen die wichtigsten Ereignisse des Lebens und der Zeit von Hafis herauszustellen und dabei der historischen Wahrheit so nah wie möglich zu kommen.’ Hafis wurde zwischen 1317 und 1326 in Schiras, der Hauptstadt der Pro-

vinz Fars (Pars),* in einer wohlhabenden

Handwerkerfamilie

geboren.

Sein Vater war Bahä’ ad-Din Mohammad, ein von Isfahan (Nachbarstadt von Schiras in der gleichen Provinz) zugezogener Handwerker und Geschäftsmann. Schon in Hafis’ Kindheit starb der Vater, und der Sohn 1

Die bekannteste und älteste solcher Quellen sind Tazkarat al-Soa’ra von Dolatsäh Samaqandi (aus dem 15. Jahrhundert), Habib al-Siar von Händmir (ebenfalls aus

dem 15. Jh.), Tazkare-ye Meyhane von ‘Abdolnabi Fahr al-Zamäni, Baharestan und Nafahät al-Ons von Gämi (15. Jh.) u.a. In allen diesen Werken ist neben weiteren

2 3

4

Themen und Beschreibungen vieler anderer Persönlichkeiten nur ein Bruchstück über Hafis vorhanden. Qäsem Gani: Bahs dar äsär wa afkär wa ahwäl-e Häfez. 3 Bände. Bd. 1: Tärih-e ‘asr-e Hafez [Geschichte der Hafis-Zeit]. Teheran 2007. Außer den erwähnten Quellen habe ich zu meiner Recherche über Hafıs’ Lebens-

lauf auch folgende Werke herangezogen: Ehsan Yarshater (Editor): Hafiz, in: Encyclopedia Iranika. Volume XI, New York, N.Y. 2003, S.461-507; Nachwort von Kurt Scharf in: Cyrus Atabay (Übersetzer): Die schönsten Gedichte aus dem klassischen Persien. München 1998, S. 200-217; Hosseyn-Ali Herawi: Sarh-e gazalhä-ye Häfez [Kommentar zu den Ghaselen des Hafıs], in 4 Bänden. 7. Aufl. Teheran 2007; u. Zabiholläh Safa: Tarih-e adabiät dar Iran [Literaturgeschichte im Iran]. Bd. 3/2, Teheran 1987, S. 1064-1089.

Kernland des vorislamischen persischen Weltreiches in Südwestiran (altpersisch Parsa, griechisch Persis), woraus das Wort Persisch als Sprache abgeleitet ist. Da es in der arabischen Sprache den Laut p nicht gibt, haben die Araber statt p (Pars: Neupersisch) ein f (Fars) - wie auch bei weiteren Fremdwörtern

- gesprochen.

Diese arabisierte Aussprache hat sich im Iran durchgesetzt. Deswegen heißt heute die Provinz Färs und die Sprache farsi statt pärsi (Persisch).

32

musste seinen Lebensunterhalt erst bei einem Teigmacher und später als Kopist verdienen.! Daraufhin hat Hafis eine theologische Ausbildung durchlaufen und wurde anschließend Lehrer an einer theologischen Hochschule. Obwohl Schiras zu Hafis’ Zeit unter unruhigen und unsicheren politischen Verhältnissen mit schnellen Machtwechseln zu leiden hatte, war es einer der wichtigsten Orte theologischer Schulen.? Schiras war seiner Zeit eine reiche Stadt und ein bedeutender Knotenpunkt der Handelswege Irans und ganz Mittelasiens.” Außer dem Handel waren landwirtschaftliche Produkte, v.a. Zitrusfrüchte, Weintrauben und Wein,‘ eine bedeutende Finanzquelle der Region. Die Stadt war weithin bekannt für ihre schönen Gärten und besonders für ihr Rosenwasser, welches, wie auch Arzneien, aus Schiras bis nach Indien, China, Jemen,

Ägypten und Nordafrika exportiert wurde.’

Hafis verbrachte dort sein ganzes Leben und starb 1390. Was seine eigene Familie angeht, können wir lediglich aus seinen Versen erschließen, dass Hafis verheiratet war und wohl auch Kinder

hatte. Aus einem Ghasel (Buchstabe Dal, Nr. 210), in dem Hafis über den

Tod einer sehr nahe stehenden vertrauten Person berichtet, kann vermutet werden,° dass es sich dabei um seine Frau handelte:

1

„In Taschkent soll eine von ihm gefertigte Abschrift der Fünf Epen des Amir Chosrou von 1355 erhalten sein.“ - Über Hafis’ Arbeit als Kopist und die o.g. erhaltene

Abschrift habe ich nur im Nachwort von Kurt Scharf in Die schönsten Gedichte aus dem klassischen Persien (Übersetzung von: Cyrus Atabay, München 1998, S. 200)

2 3 4

gelesen. Leider hat Scharf seine Quelle nicht genannt. In diesen Schulen war der Unterricht der philosophischen Werke verboten. Siehe Goneyd Sirazi: Sad al-Azär. Hrsg. v. Mohammad Qazwini u. ‘Abbas Egbäl. 1949, S. 386. Vgl. I. P. Petruschewski: Kesäwarsi dar ‘ahd-e Mogol dar Iran [Landwirtschaft in mongolischer Zeit -13. u. 14. Jahrhundert - im Iran]. Übersetzung ins Persische v. Karim Kesawarz. Bd. 1, Teheran 1965, S. 316. Die europäischen, so auch die deutschen Persien-Reisenden des 17. Jahrhunderts, wie Olearius, berichten von der guten Qualität des Schiraser Weines. Ludwig Fabritius, der Leiter der schwedischen Gesandtschaft nach Persien, war derart vom Schiraser Wein

begeistert, dass er ihn nach Schweden

bestellte (30. Sep.

1684).

Vgl. Hamid Tafazoli: Der Deutsche Persien-Diskurs. Von der frühen Neuzeit bis in 5 6

das neunzehnte Jahrhundert. Bielefeld 2007, S. 260-262.

Vgl. Hafis:

Diwän-e Hage Hafez-e Siräzi. Hrsg. v. Abolgäsem

Angawi

Sirazi.

Teheran 2007, S. 89f. Vgl. Edward G. Brown: A Literary History of Persia. Volume IN: The Tartar Dominion (1265-1502). Cambridge 1969. S. 288.

33

Jene Freund,! durch den unser Haus ein Feenort wurde,

war von Kopf bis Fuß ein Feenwesen ohne Makel. [...] Aus meiner Hand hat ihn [sie] ein béser Stern hinweggerissen; ja, was soll ich tun? Ein Mondumlauf hatte sich vollendet.?

Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass mindestens drei seiner Söhne

(einer von ihnen noch ein Kind) früh gestorben sind. Hafis beklagt in einem Vierzeiler in gate’ät (Bruchstücke) den Tod eines Kindes.* In einem

anderen Ghasel (Dal, Nr. 130) trauert er deutlicher um seinen Sohn:

Ein Sprosser hatte sein Herzblut getrunken? und eine Rose gewon-

nen, / (doch) der Wind, voll Eifersucht, hat ihm mit hundert Dor-

nen die Freude daran verdorben. / [...]/ Mein Augentrost, jene Herzensfrucht, seiner will ich (immer) gedenken; / er selbst ging leicht davon, mir hat er die Sache schwer gemacht./ [...]/ Ach und

weh, dass wegen des Neides Himmelsmondes / im Grab mein bo-

genbrauiger Mond?’ seine Stätte fand.®

Dieser Sohn, wird vermutet, ist derjenige, dessen Name in einer Quelle mit Sah No’män angegeben ist. Er ist vermutlich nach Indien ausgewandert.’ In einem weiteren Gedicht (in gate’ät) hat Hafis sogar den Todestag (Freitag 6. Rabi

al-Awwal 764 Hidschra;

1362 n. Chr.) seines anderen

Sohnes angegeben, Hafis muss zu diesem Zeitpunkt etwa 40 Jahre alt gewesen sein.® 1

Hafis hat hier das persische Wort yär verwendet, das außer Freund oder Freundin auch eine sehr nahe- stehende, vertraute Person bedeutet. Zieht man den Gesamtcharakter des Ghasels in Betracht, so wird deutlich, dass Hafıs hier tatsächlich den

2

3

Verlust einer sehr nahestehenden Person beklagt. Hafis-Wohlleben, S. 293.

‎)‫فلک بر سر‬/ ‫به جاى لوح سیمین در کنارش‬/‫ جه دید اندر خم اين طاق رنكين‬/‫ دیدی که أن فرزانه فرزند‬Yo

6 7

‎‫ (نهادش لوح سنگین‬Hafis: Diwan. Hrsg. von Hänlari. Bd. 2, S. 1078. D.h: sich die äußerste Mühe gegeben. Hafis-Wohlleben, S. 203. Er vergleicht seinen Sohn mit dem Mond, der in klassischer persischer Poesie die Schönheit metaphorisiert. Hafis-Wohlleben, S. 203 Vgl. Herawi: Sarh-e gazalhä-ye Hafez [Kommentar zu den Ghaselen des Hafis]. 1.

8

So erklärt auch Rosenzweig-Schwannau in einer Fußnote zu seiner Übersetzung

4 5

34

Bd., 7. Aufl. Teheran 2007, S. 573.

(Mukathaat, Nr. 25) die Zeilen, die er wahrscheinlich aus dem Kommentar von Sudi, dem bosnischen Hafıs-Kommentator aus dem 17. Jahrhundert, übernommen

Weder in Hafis Diwan noch in Biographie-ähnlichen Werken gibt es namentlich genannte Geliebte. Spekuliert wird einzig über ein Mädchen namens Säh-e nabat (Zuckerrohrstängel, Pflanzenzweig) als Hafis’ Geliebte;

dies allerdings dürfte kaum authentisch sein.! Wann

Wortverbindung Sah-e nabat verwendet, Schreibrohr und nicht als Frauenname.? So brohr etwa als Zuckerrohr oder als einen sprießen, um die Schönheit und den hohen

immer Hafis die

ist es als Metapher bezeichnet Hafis sein Zweig, aus dem süße Wert seiner Dichtung

für das SchreiFrüchte darzu-

stellen; denn die Süße steht in der klassischen persischen Dichtung für etwas Wertvolles und für Liebenswürdigkeit: 0 Hafis, welch sonderbaren Pflanzenschaft (Sah-e nabat) hast du als Schreibrohr,

seine Früchte sind berückender als Honig und Zucker. [...]?

Das

Schreibrohr des Hafis ist ein süßfruchtiger Halm, pflücke

seine Früchte, denn in diesem Garten siehst du keine Frucht, besser als diese.?

Umstritten sind darüber hinaus die Berichte über Hafis’ Mitgliedschaft in einem Sufiorden. Vielleicht war er in seiner Jugendzeit für kurze Zeit Mitglied irgendeines Sufiordens oder Anhänger eines Ordensmeisters, doch ist unklar, ob er in seinem reifen Alter immer noch einem Sufiorden angehörte. Hafis präsentierte sich zu keiner Zeit als ein Ordensmeister oder als mystischer Pfadführer, der seinen eigenen Jüngern vorangeht. HammerPurgstall behauptet ohne jegliche Begründung, „er [Hafis] ward selbst Scheich.” Jenen aber, die wie Hammer Hafis’ Mitgliedschaft in einem Sufiorden und seine Ordensmeisterschaft behaupten, fehlt das Wissen über Hafis’ Philosophie und des Entwicklungsprozesses seines Denkens. Hafis wollte sich auf seinem eigenen Weg, frei von allen Gruppierungen hat. Siehe Sudi: Sarh-e Sudi bar Häfez (Der Kommentar des Sudi zu Hafis). Übersetzung

‫ان‬

‫حر‬

‫ نا‬ho‫‏‬

1

aus dem

Türkischen

ins Persische

Orumiye 1983, S. 2744. Siehe Brown; 3.3.0, 5. 287. Auch

von Esmat

Abdolhosseyn

Sattärzäde.

Zarrinkub:

[Über Hafis’ Leben und sein Gedankengut]. Teheran 1985, S. 26. Vgl. Herawi, ebd., 2. Band, S. 764.

3. Bd., 4. Aufl.

az kuce-ye

rendan

Hafis-Wohlleben, 5. 98.

Hafis-Wohlleben, S. 505. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 16. 53

mit dem Ursprung vereinigen, weshalb er alle Glaubensrichtungen, alle Sufiorden, die aus seiner Sicht anstatt der ,Wahrheit zu dienen, sich gegenseitig bekampfen und lediglich Marchen erzahlen, kritisiert: Das Gerangel der zweiundsiebzig Glaubensrichtungen musst du jeder einzelnen verzeihen: da sie die Wahrheit nicht kannten, schlugen sie den Weg der Wundererzählung ein.! Mehr und detailreicher ist über die Zeit, in der Hafis lebte, und besonders über die Herrscher, ihre Machenschaften und Machtergreifungen überliefert. Hafis’ Situation in dieser Zeit und sein Verhältnis zu den herrschenden Systemen stellt sich folgendermaßen dar: Seinerzeit war der Iran kein einheitliches Land mit einem zentralen Machthaber.? Es regierten vor allem machtgierige Feudalherren als Fürsten in Provinzen oder Städten, die sich gegenseitig zu übervorteilen trachteten und sich sogar innerhalb ihrer eigenen Familien hintergingen und meuchelten. In ethischer Hinsicht herrschte die Heuchelei der orthodoxen Geistlichen und Sufis, die als Verbiindete der Regenten und korrupten Beam-

ten den Islam als Zweck zu ihrem Vorteil nutzten. Diese Haltung kritisierte Hafis oft in seiner Dichtung: Wasser und Luft von Pars? nähren wunderbarerweise den niedrigen Mann. Wo ist ein Gefahrte, daß ich aus diesem Staub mein Zelt abbreche?4 1 2

3

4 36

Hafis-Wohlleben, S. 258. Ursprünglich leitet sich der Begriff Iran vom mittelpersischen érdn, dem Gen.Pl.

von Er, ab. Dieses bildet den ersten Bestandteil des Ausdrucks Erän-sahr („Land der Arier / Iranier“). Bereits die Achaimeniden [550-330 v. Chr] maßen dem er zu-

grunde liegenden ariya ethnischen Wert bei. Iran ist indes ein ethnischer, religiöser und auch politischer Begriff frühsassanidischer Schöpfung [3.-7. n. Chr.]. Er verschwand mit dem Untergang der Dynastie, wurde dann zur historisierenden Bezeichnung für ihr Reich und als politisches Konzept erst im Reich der Il-Häne [655-736 Hedschra, Mitte des 13. bis Anfang des 14. Jhrts.] und unter der PahlaviDynastie [1926-1979] neu belebt. Vgl. Josef Wiesehöfer: Das frühe Persien. Geschichte eines antiken Weltreichs. 4. Aufl. München 2009, S. 9. Wohlleben

hat statt „Pars“ (Fars) „Persien“

übersetzt,

„Pars“ gemeint, nicht das Land Persien bzw. Iran. Hafis-Wohlleben, S. 437.

aber hier ist die Provinz

Die Bevölkerung litt dauernd unter Repression, Elend und hohen Steuern. Zu Beginn seines 20. Lebensjahres (1341) wurde Hafis Hofdichter am Hof Mas’ud Sahs (Ingu-Dynastie) in Schiras. Drei Jahre später wurde

dieser ermordet und sein Bruder Abu Ishaq Ingu regierte die Provinz Fars zehn Jahre (1343-53) lang als sein Nachfolger.! Dieser neue Regent war ein literarisch intersssierter Mann und Hafis war in jener Zeit nicht nur als Hofdichter materiell gesichert, sondern konnte auch seine schöpferische Arbeit mit Erfolg fortsetzen. Der Nachfolger und Mörder Ingus allerdings, Mobärez ad-Din Mohammad Mozaffar (1353-58), war ein Frömmler und ein grausamer Despot, der Weingenuss unter Strafe stellte. Er liebte es, Todesurteile eigenhändig zu vollstrecken und brüstete sich damit. „Vorher und nachher pflegte er im Koran zu lesen."? Er ermordete bis zu 800 Menschen eigenhändig.? Auf seinem Befehl wurden mehr als drei Tausend Bücher gelöscht.? Hafis stellt die Zeitgeschehnisse in einem Naturbild dar, in dem blutige Köpfe vom Himmel fallen: Das hohe Firmament ist ein blutträufelndes Sieb, / und die Seihe sind das Haupt des Xosrou und die Krone des Parwiz.° In seiner von geistlicher Orthodoxie beherrschten Regierungszeit erlebte Hafis eine schwere Zeit: Ein Monarch, der, welterobernd,

Sieg’ auf Siege hat gehäuft,

Und von dessen Heldenschwerte

Häufig Menschenblut geträuft; [...]

Der die Oberhaupter alle

Grundlos in den Kerker stiess, 1

Vgl. Herawi: Sarh-e gazalhä-ye Hafez [Kommentar zu den Ghaselen des Hafis]. Bd. 1, S. 9f. u. Qäsem Gan: Bahs dar äsär wa afkär wa ahwäl-e Hafez. [Kommentar

zu Hafis’ Werken und seine Lage]. Bd. 1: Geschichte der Hafis-Zeit. Teheran 2007,

2 3 4

5

S. 117fF.

Vgl. Die schönsten Gedichte aus dem klassischen Persien. München 1998, S. 202 (Nachwort von Kurt Scharf). Auch: Qasem Gani, a.a.O., Bd. 1, S.187. Vgl. Ahmad Ali Ragäyi Bohäräyi: Farhang-e as‘ar-e Hafez [Lexikon zu den Gedichten des Hafis]. 4. Aufl. Teheran 1985, S. 461. Siehe Diwän-e Hage Häfez-e Siräzi. Hrsg. v. Abolqäsem Angawi

Sirszi. Teheran

2007, S. 100.

Hafis-Wohlleben, S. 100. Xosrou und Parwiz sind sassanidische Kônige (aus der vorislamischen persischen Dynastie). 37

Und die Halse! ihrer Häupter

Schuldlos dann berauben lies.2

Als Mobärez ad-Din Mohammads Sohn Sah Soga (1358-85), wiederum ein

an Literatur interessierter und selbst Gedichte schreibender Mann, seinen Vater blendete und die Macht tibernahm, schrieb Hafis dariiber er-

leichterte und panegyrische Verse, mit denen er den neuen Herrscher begrüßte: Morgens drang vom Rufer aus dem Boten-Engel die frohe Botschaft an mein Ohr: Das Zeitalter des Schah Shojä’ ist angekommen, trinke nur tapfer Wein.?

Sah Soga‘ war Hafis allerdings nicht uneingeschränkt wohlgesonnen: Zum einen dichtete er selbst ebenfalls Ghaselen, und eine Eifersucht auf

Hafis dürfte nicht auszuschließen sein. Im Buch Habib al-Siar von Händmir (aus dem 15. Jh.) wird eine Geschichte über diese seine Eifersucht er-

zählt: Sah Sofa‘ habe einmal an Hafis’ Gedichtstil kritisiert, seine Ghaselen besäßen keine Einheit und in mehr als einem seiner Ghaselen würden unterschiedliche Themen

miteinander verknüpft. Diese „Veränder-

lichkeit” zeige in rhetorischer Hinsicht die Schwäche des Dichters an. Hafis erwidert darauf, der Schah habe vollkommen Recht, allerdings seien seine (Hafis’) Gedichte weltbekannt, während

die der Anderen noch

nicht weiter als bis zum Stadttor gelangt seien.‘ Die Wohlgesonnenheit des Schah war zum Anderen besonders ab 1366 eingeschränkt, fiel doch auch er nach Intrigen der Frömmler in seines Vaters Frömmigkeit und dessen Gewaltmethoden zurück. Säh Soga' 1

2

3

4

Das kann auch heißen: Die Würdenträger. Erklärung von Rosenzweig-Schwannau. In: Mohamed Schemsed-din Hafis: Der Diwan. Aus dem Persischen übersetzt von Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau. Bd.3, Mukathaat (Bruchstuck 1),

Wien 1864.

Diese Verse von Hafıs, die zur Qate at (Bruchstücke) gehören, wurden von Wohlleben nicht übersetzt. Die Übersetzung ist entnommen aus: Rosenzweig-Schwanau, a.a.O., Bd.3, Wien 1864, Mukathaat, Bruchstück 1. Zu Hammers Hafis-Ubersetzung s. S. 947.

Hafis-Wohlleben, S. 369.

Händmir:

mir (M. F.)

38

Habib

al-Siar. Fi ahbar-e

afräd-e

basar.

Hersg.

v. Mohammad

Dabir

Siaqi. Bd. 3, 2. Aufl. Teheran 1974, S. 315. Zusammenfassung und Ubersetzung von

musste zur Sicherung seiner Macht mit hochstehenden Geistlichen, besonders mit dem Scheich ‘Emad Faqih-e Kermani, dessen Heuchelei Hafis bedichtet,! ein Bündnis schließen.? Der Grund für den tendenziellen Riickfall in die Frômmigkeit in dieser Zeit liegt u.a. in der Niederlage ge-

gen seinen Bruder Sah Mahmud, in deren Folge Sah Soga‘ 1364 für etwa zwei Jahre aus Schiras vertrieben wurde. Nachdem Sah Sofa‘ Schiras

nun (1366) zurückerobert hatte, tadelten die Geistlichen ihn, seine Nei-

gung zur Lebensfreude habe ihn von Gott getrennt und seine Niederlage verursacht. Dies sei eine Strafe Gottes, und er miisse sich wieder, seinem Vater folgend, in Frömmigkeit üben.’

Hafis hat Schiras nur zweimal in seinem Leben verlassen. Das erste Mal musste er in die von Säh Yahyä regierte Nachbarstadt Yazd fliehen, nachdem er Kritik an der orthodoxen Geistlichkeit geübt hatte, daraufhin der Ketzerei verdächtigt und beim Mufti eine Fetwa‘ gegen ihn erwirkt worden war. Auf Fürsprache von Freunden, besonders eines literarisch interessierten einflussreichen Wesirs namens Turansah wurde die Fetwa aufgehoben, so dass Hafis wieder in seine Heimat zurückkehren konnte.’

Vielleicht schreibt er die folgenden Verse in dieser Zeit, in der er über

sein Fremdsein beklagt und seine Sehnsucht nach der Heimatstadt „Schiras ausdrückt: Beim Abend® der Fremden, wenn ich zu weinen beginne,

bringe ich unter lauten Klagen absonderliche Geschichten hervor. 1 2

s. Ghasel 129 in Wohllebens Übersetzung, S. 201. 5. Eduard Brown: A Literary History of Persia. Volume III. Cambridge 1969, S. 281.

4

Fetwa (korrekter fatwä) ist ein auf den Bestimmungen womit der religiöse Führer Hafis’ Aufenthalt in Yazd, fällt wahrscheinlich in die Din Mohammad. Darüber, erzwungenes Exil handelte,

3 Vgl. Qäsem Gani, a.a.O., S. 326f.

5

das Rechtsgutachten eines muslimischen Geistlichen, des Schari'a (islamischen Gesetzes) beruhendes Urteil, seine Macht ausübt. der auch von manchen Forschern angezweifelt wird, Regierungszeit des grausamen Despoten Mobärez adob diese Reise freiwillig stattfand oder es sich um ein wird spekuliert. Einige Berichte aus dieser Zeit wie im

Tazkare-ye meyhäne (von Abd al-Nabi Fahr al-Zamani , in Qazwini, Tehran 1961,

6

S. 90) und auch die in dieser Zeit von Hafis verfassten Gedichte legen nahe, dass er gezwungen war Schiras vorübergehend zu verlassen. Wohlleben hat die Wortverbindung namäz-e sam wörtlich als „Abendgebet“ (statt Abend) übertragen, Hafis-Forscher wie Horramsahi haben dies richtig als eine Ta-

geszeitangabe

erklärt, nicht als Gebetszeit.

Siehe B. HorramSahi:

Hafez-name

[Kommentar zu den Ghaselen des Hafıs]. 16. Auf., 2. Bd., Teheran 2006, S. 953ff.

39

Bei der Erinnerung an den Freund und die Heimat muss ich so bitterlich weinen, daß aus der Welt ich Weg und Sitte des Reisens abschaffe.! [...] Die Sehnsucht nach dem Wohnort des Freundes ist Lebenswasser fiir mich,

o Morgenbrise, bring mir einen Hauch vom Staub aus Schiras.?

Nachdem seine Gedichte berühmt geworden waren, verließ Hafis, auf Einladung des indischen Königs Mahmud Sah von Deccan, Schiras noch ein zweites Mal. Er war noch nie mit einem Schiff gefahren. Als er sich in Hormoz

(Hafen am Persischen Golf) einschiffte, kam

ein Sturm auf

und er kehrte wieder um.? Hafis schrieb einen poetischen Brief (in Form eines Ghasels) an Mahmud $äh und entschuldigte sich. In diesem Ghasel ist u.a. zu lesen: Die Pracht der Sultanskrone, welche Lebensangst einflößt in ihrer

Erhabenheit- / sie ist (gewiss) ein entzückendes Diadem, aber den

Verlust des Kopfes ist sie nicht wert. Sehr leicht erschienen anfangs die Mühen der See, in der Hoffnung auf Gewinn; / doch habe ich einen Fehler begangen: Dieser Sturm ist nicht hundert Perlen wert.?

Nach Sah Soga‘s Tod 1385 regierte sein Sohn Zeyn al-‘Abedin, eine uner-

fahrene und schwache Persönlichkeit, für drei Jahre. Unter seiner Regierung herrschte Unruhe, Unsicherheit und Elend. Hafis wünschte sich einen starken Herrscher, in der Hoffnung, dieser würde alsbald für Ruhe im Land sorgen. Zu dieser Zeit und für dessen Fähigkeit, Ruhe zu schaffen, bewunderte er anfänglich Timur Lenk (1336-1405), der türkischstäm-

mige Welteroberer, der seinen Machtbereich bereits ausgedehnt hatte. Als Timur schließlich Schiras im Jahre 1387 (drei Jahre vor Hafis’ Tod)

eroberte, war Hafis von der Invasion entsetzt, denn Timur hinterließ 1

2

3

4 40

D.h.: Mein bitteres Weinen wirkt auf die Menschen so stark, dass sie für immer

auf Reisen verzichten werden. So wird Weg und Sitte des Reisens abgeschafft. Vgl.

H. 'A. Herawi: Sarh-e gazalhä-ye Hafez [Kommentar zu den Ghaselen des Hafis]. 7. Aufl. 3. Bd., Teheran 2007, S. 1380.

Hafis-Wohlleben, S. 425.

Vgl. Zabiholläh Safä: Tärih-e adabiät dar Iran [Literaturgeschichte im Iran]. Bd. 3/2, Teheran 1987, S. 1069.

Hafis-Wohlleben, S. 222.

nichts als Ruinen, Tote und Elend. Nach seiner ersten Invasion in Fars

ernannte Timur Sah $ogä’s Neffen Sah Yahya zum Gouverneur von Fars. Er regierte nur sechs Monate, und Sah Mansur - ebenfalls ein Neffe Sah Sogä‘s und zugleich sein Schwager - rebellierte als letzter Herrscher der Mozaffer-Dynastie gegen Timur und eroberte Schiras zurück. Sah Mansur war Gönner von Hafis und ein tüchtiger Regent. Hafis begrüßte seinen Sieg und hieß ihn willkommen in Schiras: Komm, das Banner des Säh Mansur! ist angekommen;

die Neuigkeit von Sieg und froher Kunde ist bei Sonne und Mond angekommen. [...] Das Firmament vollzieht herrlich seinen Umlauf jetzt, da der Mond aufging; die Welt erlangt ihren Herzenswunsch jetzt, da der Schah angekommen ist.? Seine letzten Lebensjahre verbrachte Hafis anscheinend recht gliicklich. Er mochte Mansur und riihmte dessen Tapferkeit und Verhalten als Regent in seiner Dichtung. Ein wichtiges Ereignis im Leben von Hafis, welches sich jedoch nicht nachweisen lässt, ist Hafis’ Begegnung mit Timur. Nach der Eroberung Schiras’ (1387) erhob Timur von den Wohlhabenden, zu denen auch Ha-

fis zählte, Tributzahlungen. Hafis klagte vor Timur über seine schlechte

finanzielle Lage, woraufhin Timur ihm vorwarf: ,Du hast selbst gesagt,

dass du für das Muttermal eines Lieblings Samarkand und Buchara? verschenken

würdest. Jemand,

der diese zwei Städte einfach verschenken

kann, ist also nicht arm.” Hafis soll ihm entgegnet haben: „Aufgrund solcher Verschenkung bin ich heute so arm.“ ? Ob diese Begegnung so stattgefunden hat, steht dahin, die Legende jedenfalls sagt, dass sie auf diese Verse von Hafis zurückgeht: 1

Ww

2

Wohlleben hat die Bedeutung des Eigennamens „Mansur“ in „siegreicher“ (Schah)

übersetzt; weil spekuliert wird, dass hier der siegreiche Sah 502 könnte.

gemeint sein

Hafis-Wohlleben, S. 321.

Die Heimatstädte Timurs, im heutigen Usbekistan.

4 Sopa’ Siräzi: Anis al-Näs. In: Qäsem Gani, a.a.O., S. 42f. u. 485. Übersetzung von mir.

41

Wenn jener Schiraser Türke! mein Herz in die Hand nähme, würde ich für sein Hindu-Mal? Samarkand und Buchara wegschenken.* Die Verse

gefielen Timur

nicht;

denn Hafis war

bereit, Timurs

beide

Lieblingsstadte (Samarkand und Buchara) fiir die Schénheit eines Lieblings zu ۹ Timur war nur zweimal in Schiras. übergab ihm der in Schiras regierende los; Zeyn al-‘Abedins Vater Sah Soÿä’ mit Timur einen Vertrag geschlossen.

Beim ersten Mal im Jahre 1387 Zeyn al- Abedin die Stadt kampfhatte kurz vor seinem Tode (1384) Dieser in Form eines Briefes von

Sah Soga’ selbst verfasste Friedensvertrag ist überliefert.5 Sah Soÿä’ be-

zeugt darin Timur seine Loyalität. Als Mansur schließlich Schiras eroberte und seine Loyalität Timur gegenüber aufkündigte, zog Timur erneut gegen Schiras zu Felde (1393). Mansur, der letzte Sultan der Dynastie Mozaffar, fiel schließlich im Krieg gegen Timur. Nicht zuletzt wegen des geleisteten, harten Widerstands befahl Timur, alle Familienmitglieder und Verwandten der Dynastie zu töten.° Von einem Massenmord wird berichtet, und davon, dass auf Timurs Befehl siebzig Mitglieder, Kinder wie Erwachsene, im Dorfe Mähyar von 0211156 zusammengetrieben und ermordet wurden.’

1

Bw

2

,Der Türke ist der schône Knabe; zugleich ist der Türke grausam. Der Vers ist auch lesbar in Bezug auf ein Mädchen.“ Siehe Hafis-Wohlleben, S. 50. Man sollte

hier beachten, dass Timur selbst auch Türke war. Indisches Muttermal ist ein schwarzer Schönheitsfleck, ein besonders Merkmal.

erotisches

Hafis-Wohlleben, S. 50.

s. Kap. 2.5.3.

SNA

S. Qäsem Gani, a.a.O., 2007, S. 405f. Ebd., S. 59, 470ff und 517ff.

Vgl. Gawäd Maëkur: Tärih-e irän-zamin [Geschichte des Iran]. Teheran 1994, S. 246. s. auch Qäsem Gan: Bahs dar äsär wa afkär wa ahwäl-e Häfez [Kommentar zu

Hafis’ Werken und seiner Lage]. 1. Bd... a.a.0., S. 537. 42

1.2 Hafis aus Sicht der Hafis-Forscher Hafis wird in der Forschung unterschiedlich und widersprüchlich interpretiert. In der Interpretation der einen ist er ein asketischer Sufi, in der der anderen wird er in die Nähe eines Atheisten gestellt. Entsprechend unterschiedlich ist die Lesart seiner Poesie. Ein weiterer Versuch der Interpretation sieht in der Poesie von Hafis eine liberalistische und humanistische Haltung,! wobei diese Begriffe ungleich moderneren Ursprungs sind. Darüber hinaus spricht der englische Hafis-Übersetzer A.J. Arberry Mitte

des

20. Jahrhunderts

von

„a sort of surrealist

treatment

of the

ghazal” bei Hafis.? Hinzu kommt die Unwissenheit mancher Forscher, die die Konkurrenzsituation zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen iranischislamischer Mystiker nicht kennen und deshalb die historisch-soziale Entwicklung eines islamischen Landes und der damit verbundene Ethik der persischen Kultur wenig Beachtung schenken. Die unspezifische Verallgemeinerung orientalischer Kultur und die daraus resultierende Fehlinterpretation führt bei Hafis oft zu Missverständnissen. Im Folgenden steht zunächst die Exegese der Hafis-Forscher im Vordergrund. An ihrem Beispiel werden unterschiedliche Interpretationen bzw. Fehlinterpretationen aufgezeigt und untersucht. Anschließend wird die in Hafis’ Poesie ausgedrückte Weltanschauung in Verbindung mit einer intertextuellen Lektüre auf neuer Basis erläutert. Joseph von Hammer-Purgstall (1774-1856), der Übersetzer des Diwans in die deutsche Sprache (1812-1813), findet in Hafis’ Poesie nur wenig mystischen Gehalt:

Außer einigen wenigen mystischen und moralischen Gaselen enthalten die meisten derselben nichts als den Ausbruch taumelnder Begeisterung des Lebensgenußes.? 1 2

Siehe Johann Christoph Bürgel: Drei Hafis-Studien. Bern-Frankfurt/M. 1975, S. 52. AJ. Arberry: Fifty Poems of Hafiz. Text and Translations collected and made, in-

3

Mohammed Schemsed-din Hafis: Der Diwan. Aus dem Persischen von Joseph von Hammer-Purgstall. Miinchen 2007. S. 32. (weiterhin zitiert als Hammers HafisUbersetzung).

troduced and annotated by A.J. Arberry. Cambridge 1947, S. 32.

43

Rosenzweig-Schwanau, der ebenfalls eine vollständige deutsche Übertragung des gesamten Diwans verfasste (1858-1864)! und wie Hammer un-

ter dem Einfluss des serbisch-türkischen Hafis-Kommentators Mohammed Sudi (gest.1600) stand,? hat über die Ghaselen von Hafis eine ähnli-

che Meinung wie Hammer. Im Unterschied dazu deutet A.J. Arberry 1947 den Diwan mehr mystisch.? Der französische Forscher R. Lescot versteht die „gelegentlichen mystischen Anklänge als Konzession an eine Mode der Zeit.“ Der sowjetische Iranist Iosif Samuilivi¢ Braginski versucht Hafis zu einem „Sozialrevolutionär” zu stilisieren.° Für ihn ist Hafis jemand, der „gegen die Ungerechtigkeit” protestierte und um ein besseres Leben der Menschheit in der Zukunft bestrebt war.° Henri Broms stellt gar, anhand der Literaturtheorie von Rene Wellek’ über „organistic formalism,* eine Analogie zwischen Hafis und der modernen europäischen „poesie pure”, insbesondere zwischen Hafis und den französischen Symbolisten her: I think it is fruitful for discussion about the structure of Häfiz poems to adopt the idea of an analogy between the stylistic innovations of Häfiz and the innovation of modern movement in Europe. [...] the most typical exponents of this last are supports poésie pure, Mallarmé and Valery.?

1

2

Mohammed Schemsed-din Hafis: Der Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis im

persischen Original herausgegeben, ins Deutsche metrisch übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau. Wien 18581864.

Wie Hammer-Purgstall selbst betont: „Der Übersetzer [Hammer-Purgstall] ist in die Fußstapfen Sudis getreten.“ (Hammers Hafis-Übersetzung, S. 11). 3 AJ. Arberry: Fifty Poems of Hafiz. Text and Translations collected and made, introduced and annotated by A.J. A. Cambridge 1947. 4 R. Lescot.: Essai d’une chronologie de l'oeuvre de Hafiz. Bulletin d’études orientales. T. 10. Beirut 1944. In: Hafis: Gedichte aus dem Diwan. Ausgewählt und hrsg.von Johann Christoph Bürgel. Reclam, Stuttgart 1998, S.25. 5 Ebd. 6

Braginski: H. Bpazunckuü; Bemynumenvnaa cmampa. Hpano- maôxuxckas 38۰

7 8

H30amenvcmeo ,Xy0oxecmeennaa numepamypa“, Moskwa 1974, S. 590. Rene Wellek: Concepts of Critism. New Haven and London 1965. Henri Broms: Two Studies in the Relation of Hafiz and the West. Helsinki 1968,

9

Ebd.,S. 8.

44

S. 35.

Wie auch der Islamwissenschaftler Johann Christoph Bürgel in diesem Fall bemerkt, ist aber die Irrationalität der poésie pure ,etwa vüllig anderes als die, der wir bei Hafis begegnen und die darin besteht, dass in sich zumeist klare und logische Verse infolge des fehlenden Kontextes dunkel werden und mehrdeutig zu schillern beginnen."! Für den tschechischen Forscher Jan Rypka ist Hafis kein ,Moralist”,? wahrend der dänische Iranist Harald Rasmussen Hafis’ Poesie, aus europäischer Sicht, als pantheistische ,Naturmystik” und „Naturromantik“

versteht.” Aber Gott und Natur werden im Islam nicht wie in Spinozas divina natura miteinander verschmolzen. Georg Friedrich Daumer sieht in seiner Übertragung von 1846 in Hafis einen Dichter, der „die asketische und ethische Abstraktion des Übersinnlichen und Himmlischen [...] entscheidend verneint.“4 Dementgegen steht die Daumer-Kritikerin Annemarie Schimmel, die Friedrich Rückerts Auslegung der Hafis-Gedichte bejaht. Rückert schreibt in der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts:

Hafis, wo er scheinet Übersinnliches nur zu reden, redet über Sinnliches; oder redet er, wo über Sinnliches er zu reden scheint, nur Übersinnliches? Sein Geheimnis ist unübersinnlich denn sein Sinnliches ist übersinnlich.

Schimmels Erläuterung: „Das ist genau, was wir sagen müssen: Das Sinnliche und Übersinnliche gehören zusammen.“ Damit beweist die Interpretin eine Zuneigung für das Mystische im Allgemeinen, wohingegen Daumer seine Aversion gegen die kirchlichen Institutionen in die Interpretation einfließen lässt.

1 Johan Ch. Bürgel: Hafis-Gedichte aus dem Diwan. Reclam, Stuttgart 1998, S. 17. 2 Jan Rypka: Iranische Literaturgeschichte. Leipzig 1959, S. 262f. 3

4

5

,Häfiz Poesie bliver derfor vaesentlight naturmystik, naturromantik.“ Harald Ras-

mussen: Studier over Häfiz med Sideblik til andre persiske Lyrikere. Kobenhaven

1892, S. 138. G.F. Daumer: Hafis, eine Sammlung persischer Gedichte; nebst poetischen Zugaben aus verschiedenen Ländern und Völkern. Jena 1912, S. IX .

Mohammad Schams Ad-din Hafıs: Ghaselen aus dem Diwan. Übertragung von Friedrich Rückert. Einführung von Annemarie Schimmel. Bonn 2004, S. 17. 45

Ansonsten glauben die westlichen Interpreten oder Übersetzer in ihrem Allgemeinwissen über orientalische Kultur mit dem individuellen Gedankengut der Dichter übereinzustimmen. Ein Beispiel dafür ist Schimmels Erläuterung zum Ende des Ramadan.! Rückert übersetzte Mitte des 19. Jahrhunderts Sa’dis Verse: Nun, Pauker, schlag zwiefachen Freudenschlag; denn gestern Weihnacht, heut’ ist Frühlingstag. Hier wird „Weihnacht“ für das Fastenbrechensfest und „Frühlingstag“ für das persische Neujahr (Nouruz) gesagt. Da Rückert das Fastenbrechensfest mit Weihnachten gleichsetzt, schreibt Schimmel: Immerhin wird gewahrt, denn Fastenbrechens vorfreude sehr

hier die Gefühlsebene des Gedichtes weitgehend die Gefühle, mit denen der Muslim dem Fest des entgegensieht, sind der christlichen Weihnachtsähnlich.?

Wenn nach Ähnlichkeit gesucht wird zwischen der Freude des Fastenbrechens und der Weihnachtsvorfreude in diesem Vers, dann weist es darauf hin, dass Schimmel die Weltanschauung des islamischen Dichters mitnichten gut kennt. Sie setzt die Gefühlsebene des Gedichtes mit der Fastenbrechensfreude der Muslime gleich. Unzweifelhaft bedeutet das Fastenbrechen für die Muslime ein großes heiliges Fest. Aber es waren Denker und Dichter wie Sa’di oder Hafis, die den Ramadan

(Fastenmo-

nat) als eine strenge, unbehagliche Zeit bezeichneten, in der die geistliche Orthodoxie oder die scheinheiligen Heuchler - die Tugendprahler wie Hafis sie nennt - das Leben bestimmen. Persönlichkeiten wie Sa‘di oder Hafis freuen sich über das Ende der anstrengenden verbotsreichen Zeit. Dies hat nicht mit dem Gefühl der Freude aus religiöser Sicht zu tun. Als Beispiel dafür mögen folgende Verse von Hafis dienen: Das Fasten ist gewichen, und das Fest? ist da, und Herzen schlagen höher,

aus der Taverne hervor gärt der Wein, und (jetzt) muss man Wein bestellen.

1

Ebd., S. 20.

2 3

Ebd.; S. 21. Hier hat Wohlleben das Wort „Fest“ (sc) mit ,Frühlingsfest übersetzt.

46

Die Reihe war an den Tugendprahlern, den lastenden Seelen,!

jetzt ist das vorbei, die Zeit des Zechens und der Lebensfreude der Freigeister ist gekommen.

Welcher Tadel sollte den treffen, der so (wie ich) Wein trinkt, was fiir ein Makel soll an dieser kleinen Unvernunft haften, warum ist das ein (Charakter-)Fehler?

Ein Weintrinker, dem keine Verstellung und Heuchelei anhaftet, ist besser als ein Tugendprahler voller Verstellung und Heuchelei.?

Diese „Lebensfreude“ oder Freiheitsfreude ist keineswegs mit der adventlichen Weihnachtsvorfreude vergleichbar. Außer Schimmel haben auch Daumer und sogar Wohlleben bei der Übersetzung des obigen Ghasels von Hafis das Fest des Fastenbrechens (arabisch: id al-fitr ‎‫ (عیدالفطر‬und das Nouruzfest (persisches Frühlings-Neujahrsfest) gleichgesetzt. Sie dachten, dass mit ,Fest” hier das persische Neujahrsfest gemeint ist. Deswegen haben sie das Wort „Fest“, wie es in der Originalfassung steht, mit Frühlingsfest übertragen. Sie haben das arabische Wort für „Fest“ (id ze) mit religiösem Inhalt für das Frühlingsfest (ein Fest für das persische Neujahr) gehalten, welches ein vorislamisches altertümliches und natürliches Fest (Tag- und Nachtgleiche bzw. Eintritt der Sonne in das Tierkreiszeichen Widder, der Frühlingspunkt) ist und keine Verbindung zum Islam hat. Der Ramadan wird nach dem Mondkalender festgelegt, der mit dem persischen Sonnenkalender nicht übereinstimmt und infolgedessen nicht zwangsläufig in den Frühling fällt, sondern durch das Sonnenjahr wandert. Das Fest im obigen Ghasel von Hafis meint nur das Fastenbrechensfest, was Hafis ironisch und schelmisch mit der persönlichen Feier zur Befreiung von der anstrengenden, verbotsreichen Zeit gleichsetzt. Dergleichen Missverständnisse treten auch auf anderer Ebene auf, besonders bei der Erklärung der mystischen Auffassung von Hafis. Hermann Vämbery beispielsweise glaubt, dass die Vertreter der geistlichen Frömmigkeit die von Hafis verwendeten Begriffe nicht verstanden haben, da 1 2

Das Wort geränÿaän, das Wohlleben hier wörtlich mit „lastende Seele“ übertragen hat, bedeutet eigentlich träge, schwerfällig, verachtenswert. Hafis verachtet hier die

Geistlichen.

Hafis: Die Ghaselen des Hafis: Neu in deutsche Prosa übersetzt, mit Einleitung und Lesehilfen von Joachim Wohlleben. Würzburg 2004, 5. 82 (weiterhin zitiert als Hafis-Wohlleben). 47

Hafis lediglich allegorische Dichtung eingearbeitet habe:

oder

symbolische

Bedeutungen

in seine

Hätten die Zeitgenossen des Hafis seine Lieder wörtlich verstanden, so hätten sie ihn totgeschlagen.! Diese Art Auslegung weist auf Vambérys Unwissenheit darüber hin, dass die von Hafis verwendeten mystischen Begriffe damals kein Geheimnis mehr waren. Betrachtet man Hafis’ Dichtung in intertextueller Hinsicht (vgl. Kapitel 1.3.1) so wird deutlich, dass derlei Begriffe bereits Jahrhunderte vor Hafis in verschiedenen Büchern von mystischen Orden diskutiert und interpretiert worden sind. Sie sind also allen Zeitgenossen hinlanglich bekannt. Wahrend Vambéry Weingenuss in Hafis’ Dichtung allenfalls fir eine Allegorie halt, vertritt Hans Heinrich Schaeder mit einem von Riickert übersetzten Ghasel (s.u.) die Meinung: ,Auch dies Ghasel beweist also nicht das Recht allegorischer Deutung, sondern hebt es auf."?

Und weil Hafis nach dem Ende der Zeit unter dem Frömmler und

grausamen

Despoten

Mobärez

ad-Din

Mohammad

(1353-1358)?

seiner

Freude über die Lockerung der Verbote unter dessen Sohn und Nachfol-

ger Säh $ogä‘ (1358-85) Ausdruck gibt, schließt Schaeder daraus: „Das alles ist doch nur auf wirklichen Weingenuss zurückzuführen und spottet der allegorischen Deutung. ? Der erste Doppelvers dieses Gedichts in Rückerts Übersetzung lautet: Laß Freudennaß in goldene Schal’ uns wohlbeflissen werfen,

Eh auf des Hirnes Schale man wird staub’ges Kissen werfen.’ Betrachtet man den Doppelvers für sich allein, kann man mit Schaeder darin übereinstimmen, dass sehr wohl „alles auf wirklichen Weingenuss”

nN

om

W

DN

‎‫نم‬

zurückzuführen wäre. Doch tut der Betrachter gut daran, das Ganze und die Verknüpfung der verwendeten Elemente und Begriffe nicht aus den Augen zu verlieren, um die einzelnen Wörter und das ganze Ghasel deuten zu können. Ghaselen von Hafis sind nicht immer monothematisch, sondern tragen bisweilen verschiedene Themen in sich und bilden doch

84

In: Schaeder: Goethes Erlebnis des Ostens. Leipzig 1938, S. 118. Ebd. s. Kap. 1.1

Schaeder, a.a.O., S. 119. Hafis: Ghaselen Aus dem Diwan. Übertragung von Friedrich Rückert. S. 112.

eine Einheit, die Arberry folgendermaßen kommentiert: „A ghazal may treat of two or more themes, and yet retain its unity. ! Doppelverse des Ghasels vieler anderer persischer Dichter haben im Allgemeinen ihre eigene Bedeutungsstruktur, charakteristisch für Hafis ist indessen die innere Verwobenheit der Verse. Es ist unstrittig, dass Hafis auch Gedichte verfasste, in denen tatsächlich

der

wirkliche

Weingenuss

besungen

wird;?

im

von

Rickert

übersetzten Ghasel hat der Wein allerdings eine eindeutig allegorische Bedeutung, weil andere Verspaare dieses Ghasels rein mystisch zu verstehen sind: Ein Auge mit unreinem Blick darf das Antlitz des Geliebten nicht schauen, auf sein Antlitz wirf einen Blick aus reinem Spiegel. [...] Mit Tränen habe ich die Waschung vollzogen; die Leute des mystischen Pfads sagen doch: sei erst rein, und dann wirf einen Blick auf jenen Reinen.’ Es ist hier von der Verbindung (Blick) mit dem Geliebten (Reinen/Göttlichen) die Rede, für die man rein sein soll. Um sich nach mystischer Auf-

fassung Gott zu nähern, muss man sich von allem Unreinen - auch von

irdischen Lasten - befreien, und dies ist in diesem Vers beschrieben, in

dem mit Tränen die rituelle Waschung (gos! ‎‫ (غسل‬des Blickes vollzogen wird. „Mit Tränen waschen”, - eine Deutung, die dem Europäer „künstlich und spielerisch erscheinen mag’ ‎‫ گر‬- hat in der islamischen Tradition eine besondere Bedeutung: Das ins Deutsche als „Waschung“ übersetzte Wort gosl trägt nicht länger die übliche Bedeutung von „Waschen, sondern bezeichnet die rituelle Waschung nach islamischem Gesetz, die man nach einer unreinen Handlung, wie z.B. nach Ausübung des Geschlechtsverkehrs, vollziehen muss. Im Koran wird dies als eine Pflicht für Muslime angesehen:

m‫‏‬

‫دیا‬

‫تح‬

‫سم‬

43 Ihr Gläubigen!

Kommt

nicht betrunken

zum Gebet,

[...]. Und

Arberry, a.a.O., S. 30. s. Kap. 1.3.4.

Hafis-Wohlleben, S. 347. Schaeder, a.a.O., S. 114. 49

(kommt auch)! nicht unrein (zum Gebet) [...], ohne euch vorher zu waschen [1:5]! [...] (wenn) einer von euch vom Abort kommt oder (wenn) ihr mit Frauen in Berührung gekommen seid und kein Wasser findet (um die Waschung vorzunehmen), dann sucht

einen sauberen (oder: geeigneten, w.? guten) Platz auf und streicht euch [mit etwas Erde] über das Gesicht und die Hände ‎]‫ [فتَیمموا‬7 In dem oben genannten Ghasel von Hafis ist von der Waschung vor dem Blickwerfen, vor der Verbindung mit Gott die Rede, denn der Mensch ist gegenüber Gott ein unreines Wesen, das sich vor der Begegnung mit ihm zunächst rein machen muss, wie es bei Muslimen eben geboten ist, sich vor dem täglichen Gebet Hände und Füfe nach einem besonderen Ritual zu waschen. Dieses Ritual steht im Koran wie folgt: 6 Ihr Glaubigen! Wenn ihr zum Gebet aufstellt, dann wascht euch (vorher) das Gesicht und die Hande bis zu den Ellbogen und streicht euch über den Kopf und (wascht euch) die Füße bis zu den Knöcheln!? Bei Mystikern ist die Verbindung zu Gott jedoch eine innere Verbindung, und die Reinigung vor dieser Begegnung wird nur durch das reinste

„Wasser“, die „Tränen“, möglich. Durch Weinen wird man von allen Las-

ten, von aller inneren Unreinheit, befreit.° 1

2 3 4

5

50

Wenn ein Textteil eingeklammert () ist und unmittelbar hinter der Anfangsklammer beginnt, handelt es sich um einen den Zusammenhang erläuternden Zusatz des Übersetzers. Der Koran: Übersetzung von Rudi Paret. 7. Aufl. Berlin-KölnKohlhammer 1996, S.11. In der vorliegenden Arbeit führe ich weiterhin die KoranÜbersetzung von Rudi Paret an. Wenn hinter der Anfangsklammer „w“ (wörtlich) steht, wird der vorhergehende, frei übersetzte Textteil in wörtlicher Übersetzung wiederholt. Der Koran, ebd., S. 11f. Der Koran: Sure 4, Die Frauen. Übersetzung von Rudi Paret. 7. Aufl. Stuttgart-Berlin-Köln 1996. 5. 65. Der Koran; Sure 5, Der Tisch, S. 79.

In islamisch-mystischer Tradition gibt es auch einen anderen Grund zu weinen. Die Mystiker beriefen sich auf das Prophetenwort: „Wenn ihr wüßtet, was ich weiß, ihr würdet wenig lachen und viel weinen.“ Viele von ihnen weinten deshalb, um göttliche Hilfe und Vergebung zu erflehen. Manche von ihnen weinten so viel, dass sie als „immerfort Weinende“ (al-bakkä'un) bekannt wurden. Vgl. Annemarie Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus; Mit zahlreichen Abbildungen. Frankfurt a.M. / Leipzig 1995, S. 56.

Da hier weiterhin von dem gôttlichen Geliebten die Rede ist, wird

eben gerade nicht die Berauschung durch realen, sondern durch mystischen Weingenuss beschrieben. Entgegen Schaeders Exegese ist „Wein“ in diesem Ghasel nichts Reales, sondern der Spender mystischer Trunkenheit. Rickert hat übrigens die Wortverbindung ahl-e tarigat a,b ‎‫اهل‬ (die Leute des mystischen Pfads) in diesem Ghasel als „unsere Weisen“! (Hammer-Purgstall als „die Lehrer?) übertragen, womit beide dem Original und der Bedeutung des Ghasels nicht nahe kommen. Auf diese Weise - durch die ungenaue Lesart - verliert die mystische Deutung ihr Gewicht: Gemeint sind weder Lehrer noch Weise, sondern alle Menschen, die sich auf dem mystischen Pfad mit ihrem göttlichen Ursprung zu vereinigen suchen. Die Sehnsucht der Seele nach dem göttlichen Ursprung in Verbindung mit Tränen wird auch in einem anderen Ghasel von Hafis wie folgt deutlich: O Hafis, es ist würdig, wenn auf der Suche nach der Perle der

Vereinigung

mein Auge ich zum Meer aus Tränen wandle und darin [nach dieser Perle] tauche.?

Derlei Fehldeutungen finden sich häufig, wenn es um einzelne Persônlichkeiten geht, die alle in Verbindung zu einem bestimmten religiös-kulturellen Zusammenhang gesetzt werden. Was sowohl von westlichen und als auch von persischen Hafis-Interpreten kaum beachtet wird, sind die Unterschiede zwischen den diversen mystischen Orden bzw. deren Konkurrenz untereinander, die auch in Hafis Dichtung anklingt.4 Diese Nichtbeachtung ist sowohl bei älteren Auslegungen, als auch noch bei den neuesten gegeben. Ein Beispiel dafür sei Bürgels Studie über Hafis. Obwohl sein Aufsatz aus der Menge der anderen Interpreten 1 2 3

4

Hafis: Übertragung von Rückert. S. 113. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 468.

Bei der Übersetzung dieses Doppelverses habe ich die Übersetzungen von Jochim Wohlleben (Würzburg 2004, S. 441) und Cyrus Atabay (Hafıs: Liebesgedichte. 4.

Aufl. Frankfurt a.M. 1986, S. 72) hinzugezogen. Eine Ausnahme davon ist Daryush Ashouri in: Hasti-senäsi-ye Hafez. Teheran 2005. Ihm ist gelungen durch intertextuelle Forschung einige mystischen Begriffe in Hafis Dichtung zu erklären, was für mich in vorliegender Arbeit z. T. hilfreich war.

31

hervorragt, hat er doch bei der Erläuterung von Verstand und Liebe bei Hafis die besondere Bedeutung der Begriffe bei den verschiedenen Dichtern nicht hinlänglich erkannt. Um zu beweisen, dass sich Hymnen auf die Liebe als ,Sehnsucht nach dem Ursprung, himmlisches Heimweh”, „als Grund und Triebkraft

alles Seins” schon lange vor Hafis in der persischen Poesie finden, hat Bürgel aus einer Präambel von Nisamis Epos Hosrou und Sirin einige Verse über die Liebe herausgesucht.! Was Bürgel hier außer Acht lässt, ist, dass in diesem Epos, trotz der mystischen Atmosphäre, eine irdische Liebe mit allen menschlichen Anliegen im Vordergrund steht: Die Liebende Sirin nimmt sich nach der Ermordung ihres Geliebten (König Hosrou) durch seinen Sohn, der gleichfalls Sirin liebt, das Leben. Sie tut dies nicht aufgrund der Sehnsucht nach dem Ursprung, sondern aus Liebe zu einem realen Mann, indem sie sich den Dolch in die Brust stößt, den ermordeten Schah (den Geliebten) „umarmt“, „ihre Lippen auf seine [legt]“ und dann mit „erhobener Stimme singt‘:

Seele mit Seele und Leib mit Leib vereint.?

‎‫که جان با جان و تن با تن بپیوست‬

Bürgel versucht diesem Liebesepos nur eine mystische Deutung zu geben, doch ist hier von der Vereinigung der Körper die Rede. Der Körper jedoch ist bei Mystikern das Gefängnis der Seele. Der größte Wunsch eines Mystikers ist es, sich vom Leib, der mit „Staub“ gleichgesetzt wird, zu befreien, damit die Seele sich mit dem gôttlichen Ursprung vereinigen kann. Dies wird im folgenden Vers von Hafis deutlich: Zum Schleier vorm Antlitz der Seele wird der Staub meines Leibes;

wie herrlich der Augenblick, da vom Antlitz den Schleier ich werfe.?

1 Johann Christoph Bürgel: Drei Hafis-Studien. Bern und Frankfurt /M. 1975, S. 47. 2 Nisami Gangawi: Hosrou wa Sirin. Hrsg. von Abdol-Mohammad Ayati. Teheran 1991, 5. 324f. Übersetzung von mir (M. F.). 3 Hafis-Wohlleben, S. 394. 52

1.3 Hafis und die Mystik Auf dem Weg der Mystik suchen die Gläubigen verschiedener Bekenntnisse die Gotteserfahrung zu erlangen. In der Regel wird durch Versenkung und Askese die Verbindung mit dem gôttlichen Ursprung gesucht. Im Unterschied zu Propheten, die Anweisungen eines personalisierten Gottes empfangen und als Gesandte weitergeben, steht hier kein Ich einem höheren Wesen gegenüber, sondern es wird von diesem Höheren „umfasst“. Das Ziel der Mystiker ist, ihr Selbst im Göttlichen aufzulösen. In diesem Sinne kann jeder Mensch ein Mystiker sein, unabhängig von einer bestimmten religiösen Organisation. Mystik in der islamischen Welt - der Sufismus - ist ein streng geregeltes Erziehungssystem und setzt normalerweise die Zugehörigkeit zu einem Sufiorden voraus. Die Gläubigen sind abhängig von der Führung durch

einen

Ordensmeister

(Scheich,

moräd).

Dessen

Auffassung

über

den richtigen Weg zu Gott gilt als heilige Botschaft, er genießt höchste Autorität, seine Adepten müssen ihm widerspruchlos gehorchen. Hierbei ist auch zu beachten, dass Sufis ihren Ordensmeister mit den Propheten vergleichen, der die Krankheiten und Schwächen der Seele erkennt und heilt. Nach Auffassung der iranisch-islamischen Mystiker ist Gott die Sonne, bzw. die Quelle des Lichtes, der Mensch eine Strahlung von der Sonne. Die Strahlung kann sich nur auf dem mystischen Weg mit ihrer Quelle vereinigen.! Um sich mit dem göttlichen Ursprung zu vereinigen (Entwerden in Gott), muss ein Mystiker verschiedene Stadien und Stationen auf dem mystischen Pfad überwinden. Die verschiedenen mystischen Schulen definieren unterschiedliche

Emanationsstufen. Die bekanntesten sind ‘Attars sieben Stationen, nämlich Suche, Liebe, Erkenntnis, Unbedürftigkeit, Verwirrung, tauhid (Eini-

gung), Armut und Entwerden (Li)? in Gott.’ Dieses Streben nach dem göttlichen Ursprung ist, bis zu einem gewissen Grade, dem in der franziskanischen

Mystik vergleichbar. Wie Bonaventura

(1221-1274) in sei-

nem Buch Itinerarium mentis in Deum (,Pilgerfahrt der Seele zu Gott‘) 1

Die Sonne als Symbol für Gott und die Welt als seine Strahlung soll ursprünglich eine neuplatonische Idee aus dem 5. Jh. sein. S. Raÿäyi Bohäräy: Farhang-e as‘ar-e

2

Für Atter bilden „Armut“ und „Entwerden” zusammen die siebente und letzte Sta-

3

Vgl. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, a..a.O., S. 181.

Hafez [Lexikon zu den Gedichten des Hafis]. 4. Aufl. Teheran 1985, S. 437. tion.

53

beschreibt, versuchen er und andere mittelalterliche Mystiker, wie David von Augsburg und Rudolf von Biberbach, Christus gleich und mit ihm eins zu werden (conformitas Christi). Auch ihr Weg führt über sieben Stationen, die aber nicht denen der islamischen Mystik entsprechen. Diese Stufen hat Rudolf von Biberbach in seinem Hauptwerk De septem itineribus aeternitatis (,Die sieben Wege zu Gott") wie folgt benannt: die richtige Absicht [nach ewigen Dingen], das aufmerksame Betrachten, das klare Schauen, das liebende Erfaftsein und Empfinden, die verborgene Offenbarung, das erfahrungsmäßige Verkosten Gottes und das gottähnliche Wirken.! Da Hafis’ Weltsicht vor allem mit dem Mystizismus verknüpft wird, wird dieser in der vorliegenden Arbeit als Kernthema betrachtet und untersucht. Bürgel hat, wie viele andere Hafis-Forscher auch, Hafis überwiegend mit bekannten Mystikern wie Rumi, Sohrawardi, Ibn Arabi u.a. gleichgesetzt. Rumis Auffassung von „Liebe“ beispielsweise versteht Bürgel als der von Hafis gleich und zitiert die folgenden Verse von Hafis: Das Heiligtum der Liebe ist weit höher als das Reich des

Verstandes;

Nur der küsst seine Schwelle, der die Seele im Ärmel trägt.

Die letzte Zeile bedeutet dabei soviel wie: Nur der küsst die Schwelle, der

bereit ist, für den Gegenstand seiner Liebe (das Geliebte) zu sterben. Bür-

gel folgert aus dem Vers:

Hier stoßen wir erstmals auf Anklänge jener Weltsicht, die der gesamten Hafisschen Dichtung zu Grunde liegt, der neuplatonischen

Hierarchie des Seins, die von der islamischen Philosophie seit Kin-

diund Faräbi rezipiert und von den späteren Philosophen nament-

lich des Ostens

- man

denke

an Ibn Sina und Suhrawardi,

aber

auch an den Andalusier Ibn ‘Arabi - stark weiter entfaltet wurde. Die Liebe als oberstes Weltprinzip steht höher als der nous, die Intelligenz oder ‘aql [Verstand] mit ihren jeweils verschiedenen Emanationsstufen.? 1 2 54

Vgl. Gerhard Wehr: Die deutsche Mystik. Leben und Inspiration gottentflammter Menschen in Mittelalter und Neuzeit. Köln 2006, S. 110-114. Bürgel, a.a.O. S. 47.

Weil allerdings auch irdische Liebe in Hafis’ Dichtung zu finden ist, führt

Bürgel andere Beispiele aus Rumi und Hafis über die Liebe an, um folgende Konsequenz zu ziehen: Die irdische Liebe ist ein Symbol der allumfassenden Sehnsucht nach der Gottheit, - dieser letztlich neuplatonische Gedanke ist lange vor Hafis Allgemeingut der Mystik und der von ihr beeinflussten Poesie. Ibn ‘Arabi etwa spricht dies in einem seiner mystisch-spekulativen Gedichte in den Futuhat Makkiya deutlich aus:! Wenn ich sage: ich liebe Zeinab oder Nizam oder ‘Inan [arabische Madchennamen],

so urteilt, dass dies ein immer neues schénes Symbol ist...?

Wie bei vielen anderen Hafis-Interpreten wurden die Auffassungsunterschiede zwischen den unterschiedlichen Mystikern nicht genügend beachtet, môglicherweise nicht einmal wahrgenommen.

Für einen Mystiker wie Ibn ‘Arabi (12. Jh.), dessen Grundidee ein is-

lamisierter Neuplatonismus ist, ist die irdische Liebe ein Symbol der Sehnsucht nach dem Ursprung. Ibn ‘Arabi versucht seine Auffassung durch Auslegung des Koran zu begründen und die „Wahrheit“ oder „das

Geheimnis der Worte” im Koran durch Analyse zu verstehen.3 Verstandesgemäße Argumentation ist Merkmal der Interpretation von Ibn ‘Arabi und seinen Anhängern,

die die Mystik des Verstandes - eine Art „wis-

senschaftliche” oder systematisierter Mystik - formulieren. Mithin sind für diese Mystiker alle Dinge ein Medium, mit dem sie ihre Liebe zu Gott beweisen und die Sehnsucht nach Vereinigung erfüllen können. Wann immer demnach von irdischer Liebe oder Weingenuss die Rede ist, ist dies symbolisch gemeint. In Rumis „Diwan” ist gleichermaßen, sogar ausschließlich, von der Liebe zur Gottheit die Rede, seine mystische Auffassung ist etwas anders als die von Ibn Arabi, und doch, obwohl er dichtet „Fern seien die Verstandesmenschen von den Liebenden’,’ versucht er in seinem bekannten

1 2 3

4

Ebd., S. 48. Ibn ‘Arabi: Al-futuhat al-makkya. Edition Dar Sadir, Beirut 2, 320. In: Bürgel, S. 48. Siehe Ibn ‘Arabi: Fosus al-Hekam. Übertragung ins Persische von Mohammad ‘Ali Mowahed. Teheran 2006.

In: Bürgel, a.a.O., S. 43.

33

Werk Masnawi-ye ma‘anwi seine mystische Auffassung Wie in folgender Arbeit tiker wie Hafis zu jenen, die platonismus

in Hunderten von Geschichten und Fabeln zu beweisen und zu lehren.! noch darzulegen sein wird, gehört ein Mysnicht unter dem direkten Einfluss des Neu-

standen, jene versuchten

nicht

wie

Ibn

‘Arabi und

Rumi

durch theosophische Argumentation in die Worte des Koran etwas Tieferes, Kompliziertes hineinzuinterpretieren. Diesbezüglich meinte Rumi,

im Koran seien „sieben tiefere untereinander gestufte Bedeutungen” verborgen.? Ein Mystiker wie Hafis indes versuchte vielmehr, den Text des Koran unmittelbar durch die schauende Erkenntnis der Seele (‘elm-e hozur

‎‫ (علم حضور‬- durch enthusiastische Gefühlsströmung - in sich aufzunehmen. Um sich mit dem göttlichen Ursprung zu vereinigen, brauchte er keine Vermittlung, keine Argumentation und keinen Verstand. Hafis hat dies in folgenden Versen, deren mystische Grundierung durch intuitive Gotteserkenntnis offensichtlich ist, veranschaulicht: Pass auf, zum Genuss von Herzensruhe [hozur ‎‫ [حضور‬und geordnetem Wohlstand vermagst du durch die Segensgabe weitschauender Leute zu gelangen. Die Schönheit des Freundes? hat keinen Schleier und Vorhang, vielmehr lass den Staub des Weges sich setzen, damit du ihn erblicken kannst.? Das unmittelbare Erblicken Gottes und die Verbindung mit ihm durch intuitive Gotteserkenntnis, reinen Enthusiasmus und poetische Eingebung führen einen Mystiker wie Hafis zu einer anderen Art von Mystik, wobei er durchaus auch irdische Freude genießen möchte. Dies ist der Grund, warum es in Hafis’ Dichtung Passagen gibt, in denen Liebe oder Weingenuss keinerlei symbolische Bedeutung haben. Dass so manche dichterische Allegorie oder rhetorische Figur als mystische Aussage verstanden wird, bleibt noch zu erklären. Viele, die versucht haben, Hafis zu deuten, haben ihn wegen seines

Mutes gegenüber der geistlichen Orthodoxie gewürdigt, ohne zu beach1

ww

2 4 56

Siehe Jalal ‘Ad-Din Moulawi (Rumi): Masnawi-ye ma‘nawi. Hrsg. von Reynold A.

Nicholson. 9. Aufl. Teheran 1983. Siehe Rumi, a.a.O., 3. Bd. (daftar-e sewwom), S. 477. Übersetzung von mir. Freund ist ein mystischer Begriff fiir Gott. Hafis-Wohlleben, S. 210.

ten, dass diese Kritik ein Teil der Auseinandersetzung mit seinen Konkurrenten aus anderen mystischen Orden war. In den folgenden Versen kritisiert Hafis höchstwahrscheinlich Ibn ‘Arabi: Ach, der du aus dem Buch des Verstandes die Offenbarungs-Verse der Liebe lernen willst, ich fürchte, den entscheidenden Punkt wirst du in Wahrheit (auf

diesem Wege) nicht erfassen kônnen.!

Verse in Hafis Diwan wie diese sind nun nicht gegen die Orthodoxie gerichtet, was aus der Zeile 1 („der du aus dem Buch des Verstandes...“) zu

ersehen ist. Die orthodoxen Geistlichen waren im Allgemeinen gegen jegliche Mystik. Was vor allem die verschiedenen mystischen Orden untereinander und diese in ihrer Gesamtheit von der geistlichen Orthodoxie unterscheidet, ist die signifikant andersartige Auslegung des Koran, auf die im folgenden Kapitel eingegangen wird.

Ohne die von Hafis verwendeten Begriffe und Anspielungen erforscht und verstanden zu haben, ist seine wahre Lebenswelt nicht erkennbar. Da nun aber diese Begriffe Allgemeingut der Mystiker sind, ist es unerlässlich die Vorläufer von Hafis zu studieren, will man seiner Weltanschauung näher kommen. Nicht nur die Schwerpunkte seiner Gedichte („Liebe“ oder ,,Weingenuss), sondern auch manche kaum erforschte Begriffe sind mit der mystischen Lehre verknüpft, die in Zusammenhang mit den früheren mystischen Gedanken und insbesondere mit dem Koran zu verstehen ist.

1.3.1 Mystik und Koran Vor dem Hintergrund des sufistischen Glaubens, aus welchem übrigens die neoplatonische Interpretation des Koran hervorgegangen ist, ist die Liebe die allumfassende Sehnsucht nach der Gottheit. Auf welche Stellen im Koran berufen sich nun aber die Mystiker? Da der Koran über das Judentum und das Christentum viel vom Alten Testament übernommen hat, sei zunächst das Alte Testament, soweit es

1

Hafis-Wohlleben, 5. 108. Siehe auch Daryoosh Ashuri: Hasti-Senäsi-ye Hafez. 5. Aufl. Teheran 2005, S. 151. 57

die Mystiker zur Interpretation ihrer Lehre herangezogen haben, untersucht. Der entscheidende

Punkt, in dem

sich die zahlreichen mystischen

Orden und gelehrten Geistlichen uneins sind, ist die Geschichte von der Erschaffung Adams und seiner Vertreibung aus dem Paradies, dem Garten Eden: 26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei [...] 27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. (1. Mose 1.2)! Adam und Eva (Mann und Weib) lebten in Frieden und Ruhe im Garten Eden, bis sie das Verbot Gottes, die ,Friichte des Baumes mitten im Garten“ (Baum der Erkenntnis) zu essen, missachteten und, von der „List“

der Schlange verführt, davon aßen:

22 Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! 23 Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute; von der er genommen war. 24 Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens. (1. Mose 3.4)?

Diese Geschichte wird im Koran mit Änderungen, die für die Auslegung durch die islamischen Mystiker maßgeblich sind, aufgegriffen: 30 Und (damals) als dein Herr zu den Engeln sagte: ‚Ich werde auf

der Erde einen Nachfolge einsetzen! Sie sagten: „Willst du auf ihr jemand (vom Geschlecht der Menschen) einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir (Engel) dir lobsingen und deine Heiligkeit preisen?” Er sagte: „Ich weiß (vieles), was ihr nicht wißt.“ [...] 34 Und als wir zu den Engeln sagten: „Werft euch vor Adam nieder!“ Da warfen sie sich (alle) nieder, außer Iblis. Der

weigerte sich und war hochmütig. Er gehörte nämlich zu den Un1 2 58

Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Nach der deutschen Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 1970, S. 10. Ebd., S. 12.

gläubigen. 35 Und wir sagten: „Adam! Verweile du und deine Gattin im Paradies, und eßt uneingeschränkt von seinen Früchten (w.

von ihm) wo ihr wollt! Aber naht euch nicht diesem Baum, sonst

gehört ihr zu den Frevlern!” 36 Da veranlaßte sie der Satan, einen Fehltritt zu tun, wodurch sie des Paradieses verlustig gingen, und brachte sie so aus dem (paradiesischen) Zustand heraus, in dem sie sich befunden hatten. Und wir sagten: „Geht (vom Paradies) hinunter (auf die Erde)! Ihr (d.h. ihr Menschen und der Satan) seid

(künftig) einander feind. Und ihr sollt auf der Erde (euren) Aufenthalt

haben,

und

Nutznießung

auf eine

(beschränkte)

Zeit.“

37

Hierauf nahm Adam von seinem Herrn Worte entgegen. Und Gott (w. er) wandte sich ihm (gnädig) wieder zu. Er ist ja der Gnädige und Barmherzige.!

Sowohl in den jüdischen Auslegungen des Alten Testaments als auch in den christlichen wird der Ungehorsam Adams gegen Gott (ausgedrückt im Essen der verbotenen Früchte) für die ursprüngliche und ewige Sünde des Menschen gehalten. Im Koran ist obendrein von der Verzeihung, der Gnade, Gottes die

Rede: Trotz Adams

Sünde wendet Gott sich Adam

wieder zu, denn ‚er

[Gott] ist der Gnädige und Barmherzige.“ Darüber hinaus lernte „Adam

von seinem Herrn Worte“, bevor er den Garten verlassen musste, was,

nach mystischer Lehre, die Liebe Gottes zu Adam beweist. Auf die Verbindung zwischen Sünde, Gnade, Liebe und Vertreibung aus dem Paradies (Glücks-Palast) spielt Hafis in folgenden Versen an: Wie sehr ich auch in hunderterlei Hinsicht im Meer der Sünde

versunken sein mag; seit ich auch mit der Liebe bekannt wurde, gehöre ich zu den Begnadeten.

[...] AuBerlich bin ich fern von der Schwelle des Glücks-Palastes des Freundes,?

doch mit Seele und Herz gehöre ich unter jene, welche seiner

Hoheit aufwarten. 1

2 3

Der Koran; Sure 2, Die Kuh, a.a.O., S. 15. Hervorhebung vom mir (M.F.).

Nach mystischer Lehre steht „Freund“ symbolisch für „Gott“. Hafis-Wohlleben, S. 400.

59

Die islamischen Mystiker haben sich jahrhundertelang mit den Koranversen über die Erschaffung des Menschen beschäftigt: Welche Worte hat Gott Adam gelehrt? Warum steht der Mensch soviel hôher als die Engel, so dass sie vor Adam niederfallen und ihn sogar anbeten mussten? Warum verzeiht Gott ihm trotz seines Treuebruches? Die Mystiker suchen nach dem Geheimnis (raz) der Beziehung zwischen Gott und den Menschen, dem Geheimnis der Liebe, indem sie Ant-

worten auf solcherlei Fragen formulieren. Sie behaupten, die großen unter ihnen hätten die Antwort gefunden, das Geheimnis sei aufgelöst, es müsse allerdings geheim bleiben: Mit dem Gegner besprecht nicht die Geheimnisse der Liebe und des Rausches,

dass er, ohne Ahnung, dahinsterbe im Schmerz seiner Selbstsucht. ! Das Geheimhalten des Pfades der Liebe zu Gott ist ein Hauptprinzip der islamischen mystischen Lehre. Sollte einer dieses Geheimnis außerhalb seines Ordens enthüllen, wird er als Verräter bezeichnet. Als z.B. Mansur al-Halläÿ, einer der bekanntesten Mystiker aus dem 10. Jahrhundert, wegen seiner mystischen Auffassung - er behauptete „an 21-0" („Ich bin die (göttliche) Wahrheit”) - in Bagdad am Galgen hingerichtet wurde (922 n.Ch.), sahen die anderen Mystiker den Grund für seine Hinrichtung in der Enthüllung der Geheimnisse Gottes.? Sebli (861-946), ein

bekannter Bagdader Mystiker, behauptet über diesen Fall, er (Sebli) habe

im Traum die Stimme Gottes gehört, dass „ich [Gott] dieses Schicksal für

Hallag bestimmte, weil er unsere Geheimnisse Fremden verraten hatte“.? Hafis hat zu diesem Geschehen folgendes gedichtet: Er sprach: Jener Freund [Halläÿ] durch den Galgen zu hohen Ehren kam sein Verbrechen war, dass er die Geheimnisse verriet.?

Auch müssen die gestellten Fragen unter dem Aspekt des besonderen Verhältnisses zwischen Gott und Adam verglichen werden. Dieses besteht

bo

1

=

3

60

Ebd., S. 539.

Siehe Paul Nwyia: a.a.O., S. 17. ‘Attar: Tazkarat al-Olia‘ S. 26. In: Gani, 2. Bd. (Geschichte der Mystik im Islam),

S. 60. Übersetzung von mir. Hafis-Wohlleben, S. 209.

darin, dass Gott bei der Erschaffung Adams jenem haucht hat:

seinen Geist einge-

28 Und (damals) als dein Herr zu den Engeln sagte: „Ich werde

einen Menschen aus feuchter Tonmasse(?)! schaffen. 29 Wenn ich

ihn dann geformt und ihm Geist von mir eingeblasen habe, dann fallt (voller Ehrfurcht) vor ihm neider!" [...]?

Die Mystiker interpretieren die oben genannten Verse des Koran folgendermaßen: Dass der Mensch einen Hauch

von Gottes Geist in sich trägt, den

Gott als „anvertrautes Pfand” ihm übergibt, zeigt nicht nur die Vorliebe Gottes für den Menschen, sondern ist auch ein Hinweis darauf, dass der Mensch ein Teil Gottes ist. Der vorzeitliche Bund zwischen Gott und Menschheit, den Henry Corbin als ,Meta-Historie” bezeichnete und auf den „das religiöse Bewusstsein des Islam” gegründet, beeinflusste die mystische Auffassung tief.” Der Mensch hat die Pflicht bzw. „Aufgabe,

das göttliche „Unterpfand”, die Gottesliebe, vor Bosheit und Verderbtheit zu bewahren und unversehrt wieder zurückzugeben. In mystischer Auffassung wird dieser Vorgang als „Vereinigung mit dem göttlichen Ursprung. verstanden. Was in diesem Zusammenhang zählt, ist die Liebe, „die

Last

der

vollkommenen

Gottesliebe’,4

die

der

Mensch

auf

sich

nimmt. So wird aus einem Schöpfer-Geschöpf-Verhältnis eine GeliebterLiebender-Beziehung zwischen Gott und dem Menschen.’ Hafis nennt es das „Projekt der Liebe“.® Die folgenden Verse von Hafis stellen eine Momentaufnahme der letzten direkten Kommunikation zwischen Gott und Adam im Garten

‫كن‬

‫© حير‬

bo‫‏‬

1

6

Original: aus Lehm, aus Schlamm: Koran (gorän): Zweisprachige Ausgabe (Ara-

bisch-Persisch). Übersetzung ins Persische von Bahä‘ad-Din Horramsähi. 6. Aufl.,

Teheran 2007, S. 263. Der Koran; Sure 15, Al-Hidschr, S. 183. Hervorhebung vom mir. Vgl. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 46f. Siehe auch Schaeder, a.a.O., S. 118.

Vgl. Kasf al-Asrär [Endeckung der Geheimnisse)] von RaSid ad-Din A. Meybodi. 11. Aufl., ausgewählt und hrsg. von Reza Anzäbi-Nezäd. Teheran 2006, 5. 29-47. Dieses Werk beinhaltet eine der bekanntesten und meist verwendeten mystischen Lehren in der iranisch-islamischen Welt. „Noch gab es nicht die Farblichkeit zu beiden Welten, da existierte die Skizze der Freundschaft, / das Schicksal hat das Projekt

der Liebe nicht erst jetzt entwor-

fen.” Hafis-Wohlleben, 5. 71. Hervorhebung von mir.

16

Eden und ihren Bund dar, während

der Gott Adam

ihm damit das göttliche Unterpfand (amanat

‎‫(امانت‬

„Worte“

۰

lehrt, und

Der Herr der Ewigkeit hat uns den Schatz des Liebeskummers hinterlassen, seitdem wir uns dieser Trümmerstätte zuwandten. [auf die Erde kamen] [...]} Der Himmel konnte die Last des (gôttlichen) Unterpfandes nicht tragen,

das Los fiir diese Aufgabe fiel auf mich armen Narren.? Dies ist eine Anspielung auf den Koran: 72 Wir haben (nach Beendigung des Schöpfungswerkes) das Gut [das Unterpfand],? das (der Welt) anvertraut werden sollte, (zu-

erst) dem Himmel

(w. den (sieben) Himmeln),

der Erde und den

Bergen angetragen. Sie aber weigerten sich, es auf sich zu nehmen, und hatten Angst davor. Doch der Mensch nahm es (ohne Bedenken) auf sich.‘

Im Koran steht nicht, worin das Unterpfand bestand. Nach mystischer

Lehre ist es aber die „Liebe“:

Die Liebenden sind die Schar derer, die über das anvertraute Got-

tespfand wachen. >

Hafis-Wohlleben, 5. 470. Deswegen wünscht er sich aus dieser Trümmerstätte (der Erde) fortzugehen, um sich mit dem göttlichen Ursprung (dem Geliebten) zu vereinigen: „Selig der Tag, an dem ich aus dieser Trümmerstätte fortgehe. / Ruhe der Seele suche ich, und auf den Spuren des Geliebten gehe ich.” Hafis-Wohlleben, S. 258. Das Wort amänat (arabisch: at, ein zur Aufbewahrung gegebener Gegenstand, Unterpfand) wurde in Rudi Parets Koran-Übersetzung mit Gut übertragen. Der Koran; Sure 33, Die Gruppen, S. 298.

Hafis-Wohlleben, S. 290. 62

1.3.2 Hafis als frommer Mystiker (Sufi) Die Weltanschauung des Dichters aus seiner Biographie erschließen zu wollen, ist schlichtweg unmöglich, weil, wie bereits erwähnt, über das persönliche Leben Hafis’ Legenden und Schlussfolgerungen aus seinem Diwan ineinander fließen. Da im Diwan die Gedichte, nach traditioneller Art in alphabetischer Reihenfolge nach den Buchstaben des Endreims geordnet sind, ist es schwer, auf die chronologische Entstehung der Gedichte und die weltanschauliche Entwicklung des Dichters zurückzuschließen. In seiner Dichtung finden sich gegensätzliche Auffassungen, einander widersprechende Standpunkte und Paradoxien. Hafis wird deshalb extrem unterschiedlich und widersprüchlich interpretiert. Im Folgenden werde ich dennoch den Versuch unternehmen, die unterschiedlichen Phasen von Hafis’ Entwicklung anhand seiner Dichtung, durch inhaltliche Kriterien und damit verbundene Kategorisierung der Themen und aus intertextueller Untersuchung zu erschließen. In seiner Jugendzeit, der ersten Phase der Entwicklung seiner Weltanschauung, neigt er m.E. zur sufistischen Glaubensrichtung. Das Wort Sufi entstand im 8. Jahrhundert, als der erste Sufiorden gegründet wurde.! Einige Orientalisten, wie der Franzose Louis Massignon, datieren die Entstehung bzw. das Auftauchen des Wortes auf das 9. Jahrhundert.? Über seine Bedeutung wird viel spekuliert, und insgesamt werden dreizehn verschiedene Konnotationen genannt.’ Die Einen meinen,

dass der erste Muslim,

neben

„Gottes Haus’

(Ka’be) asketisch

sein Leben Gott geweiht habend, Sufa ‎)‫ (صوفة‬geheißen habe. Deswegen wurden jene, die später seinen asketischen Weg wählten, Sufi genannt. Andere führen das Wort auf Soffa ‎)‫ (صفه‬zurück, weil die erste Gruppe der armen und familienlosen Muslime in der Prophet-Moschee namens Soffa lebte. Wieder andere verbinden Sufi mit dem Wort Sufana ‎)‫(صوفانة‬, ۲6 Pflanze, von der sich die Sufis ernährten.? Der persischer Wissenschaftler und Theologe Abureyhän Biruni (973-1048) sieht einen Zusammenhang zwischen Sufi und dem griechischen Wort Sophia (Weisheit), aus dem es 1 2

Siehe Qäsem Gani, a.a.O., 2.Bd., S. 579. Ebd., S. 599.

4

Hafis]. 4. Aufl. Teheran 1985. S. 381-387 Auch Gani, a.a.O., S. 594-603. Vgl. ebd., S. 383.

3

Siehe Ragäyi Boharayi:

Farhang-e as‘ar-e Hafez [Lexikon

zu den Gedichten des

63

entstanden sei.! Diese Deutung wurde zuerst von dem Orientalisten Nöldeke, dann auch von anderen Orientalisten wie Nicholson und Massignon abgelehnt.?

Unter all den verwirrenden Meinungen, von denen ich lediglich vier

angeführt habe, findet sich immer wieder eine Konstante: Sufi leite sich aus suf (Wolle) ab. Da der Sufi ein einfaches wollenes Gewand trug, wurde er ,Sufi” (Träger eines Wollgewandes) genannt. Hafis hat insgesamt neunmal das Wort Wollgewand verwendet und meint damit jedesmal den Sufi. Es wird angenommen, dass dieses Gewand ursprünglich die Nestorianer trugen, die Ende des 5. Jahrhunderts in Persien Zuflucht suchten. Sie trugen ein grobes hartes Wollgewand als Zeichen des asketischen Lebens.? Ein Sufi sucht auf dem asketischen Weg die Gottesliebe zu erreichen bzw. sich mit dem göttlichen Ursprung zu vereinigen. Nach der Grundlage der mystischen Lehre wird der Mensch „durch die Werke superrogativer Frömmigkeit langsam über seine niederen Anlagen emporgehoben [...] bis er schließlich ganz in ihm [Gott] lebt und webt und durch ihn wirkt.“ ? Die Gottesliebe oder die Liebe als Ausdruck der Sehnsucht nach dem göttlichen Ursprung und Sehnsucht nach der Einung mit ihm ist vielen Versen von Hafis inhärent: In der Urewigkeit leuchtete ein Strahl deiner Schönheit aus (plötzlicher) Offenbarung hervor, die Liebe erschien und warf Feuer in die ganze Welt.> [...] Ein Pfad ist der Pfad der Liebe, der keine Begrenzung hat, da ist kein Ausweg, außer: man gibt sein Leben.® Der „Wein“, der immer wieder als Symbol in der mystischen Welt auftaucht, ist eine Anspielung auf die Schöpfung des Menschen. Im Koran findet sich: 28 Und

‎‫ حر‬W OO

Lo

1

(damals)

als dein Herr zu den Engeln

sagte: „Ich werde

Abureyhän Biruni: Tahgiq-e Malalhend: Leipzig , 5. 16. In: Ragayi Bo,oarayi, a.a.O., S. 382.

Ebd., S. 382. Vgl. Gani, a.a.O., 2.Bd., S. 630f u. 642. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 73. Hafis- Wohlleben, S. 223. Ebd., S. 135.

einen Menschen aus feuchter Tonmasse (?) schaffen. 29 Wenn ich ihn dann geformt und ihm Geist von mir eingeblasen habe, dann fallt (voller Ehrfurcht) vor ihm nieder!” [...]! Bei Hafis lesen wir:

Gestern sah ich, wie Engel an die Tür des Weinhauses klopften; Adams Lehm kneteten sie und warfen ihn in einem Formtiegel [in einen Pokal].? ]...[ An der Tür des Weinhauses der Liebe, o Engel, sprich deinen Rosenkranz,

denn drinnen wird der Lehm ۸021115 3

Die Mystiker metaphorisieren Wein

für den göttlichen Odem.

Adam

wurde im „Weinhaus, dem Ort mystischen Geschehens, durch göttliche

Gärung (durch Seinen Geist) Mensch. Zugleich wird Adam selbst vom geistigen Wein (Gottes Odem) berauscht. Solange er nicht aus dem Paradies vertrieben war, war er immer in diesem Gottesrausch. Berauschtsein ist, nach mystischer Terminologie, der Moment der Einswerdung mit Gott. Dies kann geschehen, wenn der Mystiker sich selbst vergisst, sein Ich-Bewusstsein aufgibt. Solange Adam nicht die Treue gebrochen hatte, indem er die verbotenen Früchte aß, war er vom geistigen Wein berauscht, seinem Selbst so entfremdet, dass er auch seinen Körper, seine Nacktheit nicht wahrnehmen konnte. Nach seinem Treuebruch wurde er von Gott getrennt und zum ersten Mal wurden ihm sein Körper und sein Wesen bewusst. Aber seine Nachkommen, die Menschen, können auf mystischem Weg die göttliche Trunkenheit wieder er-

reichen. Nach mystischer Lehre gibt es zwischen dem Mystiker (dem Lie-

benden) und Gott (dem Geliebten) dann kein Hindernis, wenn

der Lie-

bende sein Ich vergisst, somit in den Zustand versetzt wird, in dem Adam einst war. Die Verbindung von Ichlosigkeit und Liebe zu Gott hat auch Hafis in seinem Gedicht angedeutet. Er bezeichnet sein Selbst als den Schleier zwischen sich und Gott. Derjenige, der sich von diesem Schleier befreit, ist glücklich, weil er nur ohne Schleier, ohne seine Selbstheit, mit dem Ursprung eins werden kann: 1

Der Koran: Sure 15, Al-Hidschr, S. 183.

2

Hafis-Wohlleben, S. 258.

3

Ebd., S. 276.

65

Zwischen Liebendem und Geliebtem gibt es kein Hindernis, hebe du selbst, o Hafis, den Trenn-Schleier deiner Selbstheit hinweg.! Oder:

Der Schleier vor dem Weg bist du selbst, o Hafis, hebe dich hinweg; gliicklich, wer in dieser verhangenen Welt ohne Schleier wandelt.? So kommt dem „Wein” die Rolle des Spenders mystischer Trunkenheit zu, in der er häufig mit der Liebe verkniipft ist:

Ja, wir sind von Kummer frei und trunken, denn wir sind die Kumpane des Bechers mit Wein, haben unsere Herzen hingegeben, das Geheimnis aller Liebe wurde uns vertraut.?

Um nun die Gottesliebe von der irdischen Liebe abzuheben, sagt Hafis: Ein Reiz liegt verborgen, aus dem die Liebe erwächst; sein Name ist aber nicht „Rubinlippe“ und „grünspanfarbener Flaum’. Die Schônheit einer Person ist nicht das Auge, das Antlitz, die Wange, der Flaum;

tausenderlei Feinheiten (wirken) in diesem Handel und Wandel (als) Herzrauber. 4

m

GO

‎‫= ده‬

Dass Hafis in der Rolle eines Sufi auf die irdische Schönheit und Freude zu verzichten versucht, wird hier deutlich. In dieser Entwicklungsphase stehen Gottesliebe und Weingenuss mit mystischer Bedeutung im Einklang. Dies muss mit der Erschaffung Adams im Zusammenhang gesehen werden. Eine der sehr unterschiedlichen Interpretationen der Mystiker tiber die Erschaffung Adams und seine erste Siinde wandelt einen Gedanken ab, der sich in der mystischen Deutung des Koran findet.

Ebd., S. 350. Ebd., S. 299.

Hafis-Liebesgedichte. Ubertragung von Cyrus Atabay. Frankfurt a.M. 1986, S. 39. Hafis-Wohlleben, S. 127.

Einige Koraninterpreten meinen, Adam habe sich ob seines Aufstandes reuig gezeigt und um Vergebung gebeten.! Zur Erläuterung dieser Auffassung wird die Erzählung über Adam herangezogen, er habe 400 Jahre weinend und flehend warten müssen, bis Gott ihm vergab und ihm seine Liebe wieder zuwandte.? In diesem Zusammenhang versetzt sich Hafis im Geiste in Adams Lage: Ich habe Hoffnung auf die Zuwendung von Seiten des Freundes [Gottes], gesündigt habe ich und hoffe auf seine Vergebung. So sehr habe ich geweint, dass jeder, der vorbeiging, sowie er meine Tränen sah, sogleich ausrief: Was ist das für ein Strom?? Da - wie bereits erwähnt - die chronologische Entstehung der Gedichte nicht bekannt ist und sie darüber hinaus nicht nach inhaltlichen Kriterien geordnet sind,‘ ist es auch hier nicht möglich, ihre Entstehungszeit zu erkennen. Sie dürften in Hafis’ jüngeren Jahren, in der er noch ein asketischer Sufi war, entstanden sein. Vermutlich trug auch Hafis zu jener Zeit, wie andere Sufis auch, das wollene Gewand (die Woll-Kutte). Noch

spricht er sehr ehrenhaft über sein Wollgewand, das er später dann verbrennen wird: Wenn du trunken in deinem goldgewirkten Gaba? vorbeigehst, widme einen Ergebenheits-Kuss dem Hafis im seinem Wollgewand.® Vermutlich trank er in dieser Zeit auch keinen Wein, der nach islamischen

1

wo

2 4

5 6

Gesetzen

nicht

erlaubt

ist. Wir

lesen

in einem

Vers

vom

Unter-

Siehe Raid Ad-din Meybodi: Kasf al-Asrar [Entdeckung der Geheimnisse]. Band, S. 570-573. S. auch Daryoosh Ashuri, a.a.O., 5. 97f. Siehe Nagm ad-Din Räzi: Mersdd al- Ebäd. Teheran 2006, S.78f.

3.

Hafis-Wohlleben, S.118. Im Jahre 1946 wurde Hafıs’ Diwan teilweise von dem iranischen Literaturwissen-

schaftler Mahmud Human auf die Entstehungszeit der Gedichte hin untersucht. Obwohl dies ein guter Versuch ist, ist es dem Autor letztlich nicht gelungen, die Entstehungszeiten festzulegen. Dies im Besonderen deswegen nicht, weil er zum Teil voreingenommen beweisen wollte, dass „Hafis kein Mystiker” sei. Siehe Mahmud Human: Hafez. 4. Aufl. Teheran 1978, S. 79. Gaba (qaba): lange Männerkleidung. Hafis-Wohlleben, S. 499. 67

schied zwischen dem Rausch der Gottesliebe und der Trunkenheit durch realen Wein - Hafis verabscheut hier die Weintrinker: Der Trunkenheit der (Gottes)liebe ist nicht in deinem Kopf,

geh, du bist ja vom Rebenwasser trunken.!

Dieser Vers mag auch ein weiterer Hinweis darauf sein, dass Hafis in seinem Leben diese (dem Sufi-Weg immanenten) Entwicklungsphasen durchlaufen hat. Die Entstehung der obigen Verse fallt in die Phase, in der er nicht auf wirklichen Wein gedichtet hat. Jedoch nicht nur verabscheut Hafis in jener Phase den wirklichen Wein; er möchte auch auf irdische Schönheit und Vergniigung verzichten, weil alles Irdische nur „Trick und Trug” ist:

Die Locke der schönen Frau Welt? ist durch und durch nur Trick und Trug;

die Weisen geraten über dieses Fadenende? nicht in Streit.?

1.3.3 Auseinandersetzung mit den Sufis In einer späteren Phase gelangte Hafis zu der Ansicht, die Sufis vermarkteten ihre Gesinnung, und in ihrem Tun und Treiben sei nurmehr Lüge und Heuchelei zu erkennen: Der Sufi legte seine Schlinge aus und öffnete seinen Zauberkasten, er legte es darauf an, (sogar)den Himmel - der selber ein Scharlatan ist - zu umgarnen. [...]

Versuche keine Tricks, denn wer die (Menschen-)Liebe nicht sauber spielt,

vor dessen Herz verschließt die (Gottes-)Liebe das Tor des Geistes.°

1

2

Ebd., S. 559.

D.i.: weltliche Schöne/Geliebte (Sahed-e donya Lio ‎‫ شاهد‬.)

3 D.h.: Thema. 4 Hafis-Wohlleben, S. 378. 5 w.: Tor der Sinnfindung, s. Hafis-Wohlleben, S. 201.

Ihr Tun war ihm von da an verhasst, so dass er das Wollgewand der Sufis - das Symbol der Zugehörigkeit - wegwerfen und sogar verbrennen wollte: O Hafis, diese Woll-Kutte lege ab, denn ich komme hinter der Karawane ! glühend vor Seufzern her. [...]? Die Münze des Sufi ist nicht ganz rein und ohne Legierung, ach wie viele wollne Kutten gehörten verbrannt! ° Mehr noch: er bezeichnete die Sufis späterhin als „Tiere”: Sieh den Sufi der Stadt, wie er verdächtige Brocken verschlingt; möge er ganz zum Tier werden, dieser strotzende Kerl? Was aber noch für Hafis den Titel Sufi unbehaglich macht, ist das Verhalten der Sufis in der Geschichte der Mystik: In den Anfängen des Ordens legten sich die Sufis eine sehr strenge Askese auf, bei der sie sich irdisches Vergnügen versagten.? Sufis hatten weiterhin einen guten Ruf, solange sie sich nicht in die Politik und die Macht einmischten. Nachdem im 13. Jahrhundert die Mongolen Iran erobert und nichts als Ruinen, Elend und Tote hinterlassen hatten, spielte der Sufismus als eine Art Zuflucht der enttäuschten Menschen, die alles verloren haben, eine besonders wichtige Rolle. Ein Großteil der Bevölkerung suchte nun seine Hoffnung im Gedankengut der ein weltliches Leben ablehnenden und eine spirituelle Sphäre anstrebenden Sufis; dieses Gedankengut war mit der Lage der verarmten Menschen gut zu vereinbaren. Zwei wichtige Faktoren waren es, die bewirkten, dass die Betroffenen eher dem Sufismus als dem legalistischen Islam zuneigten: 1. Die islamischen Rechtsgelehrten waren ein Teil der Macht und die Menschen misstrauten ihnen deshalb; 2. Die einfachen Menschen durften nicht nur an Ritualen der Sufis in deren Kloster (hängäh

‎‫ (خانقاه‬teilnehmen, sondern Wanderer und Reisende

konnten dort auch etwas zu essen bekommen und sich ausruhen.® All1

„Der heuchlerischen Kuttenträger.“ Erklärung von Wohlleben, in: Hafis-Wohlle-

2

Hafis-Wohlleben, S. 463.

3

4

ben, S. 463.

Ebd., S. 231.

Hafis-Wohlleben, S. 380. Eigentliche Übersetzung des letzten Verses ist wie folgt: „möge sein Schwanzriemen lang sein, dieses gut genährte Tier.”

5 Siehe. Ashuri, a.a.O., 5. 273-277 und Gani, a.a.O., 2. Band, 1961, S. 10ff.

6

Vgl. Ragayi Bohäräyi, a.a.O., S. 456f.

69

mählich entwickelte sich neben dem legalistischen Islam eine Art Parallelreligion. Diese Bewegung war so stark, dass etliche Herrscher den Sufiorden mit Respekt behandelten und einige von ihnen sogar neue Klôster für Sufis bauten.! Auf diese Weise verstärkte sich die Verbindung zwischen Sufis und Machthabern zusehends und schließlich wurden die Sufis ein Teil der Macht.? Obeyd Zäkäni, ein zeitgenössischer Satiriker, nannte die Sufis Schmarotzer,> denn im 13. und 14. Jahrhundert erhielten

die Scheichs und ihre Klöster staatliche Zuwendungen. Jedem Scheich wurden jährlich 10620 Dinar gezahlt und 2832 Man ? Brot und Fleisch zugeteilt, darüber hinaus waren die Klöster von der Steuerpflicht befreit. Sogar einfache Sufis und ihre Novizen wurden alimentiert.> Die anfänglich geringe Beteiligung an Regierungs- und politischen Angelegenheiten mündete in ihrer Machtübernahme im 16. Jh., als die Safaviden-Dynastie (1501-1722), aus einem Sufiorden unter Führung von Scheich Safi ad-Din (1252-1334) hervorgegangen, Persien zum ersten Mal mit schiitischer Staatsreligion regierte. Die Herrschaft dauerte etwa 220 Jahre.6 In diesem Fall kann man dem persischen Literaturwissenschaftler Safä zustimmen, der über diese sogar Krieg führenden Sufis schrieb: Sie haben sich statt des wollenen Gewandes mit einer Rüstung bedeckt und statt ihres frommen Rosenkranzes das Schwert in die Hand genommen.’ Hafis kritisierte nicht nur speziell die Sufis, er übte allgemein an allen

Asketen Kritik, nannte sie „Frrömmlinge“ und ,Selbstsüchtige”. Nachdem er sich von den Sufis und den Asketen distanziert hatte, blieb er bis zu

seinem Tode bei seiner Meinung: 1

Z.B.u.a. hat Gäzän Hän aus der Il-Häniendynastie (13. Jahrhundert) in Tabriz ein Kloster für Sufis gebaut. Mehr dazu s. Z. Safä: Tarih-e adabiät dar Iran [Literatur-

geschichte im Iran]. Bd. 3/1, 7. Aufl., Teheran 1990, S. 184.

2 Vgl. Hafis: Diwän-e Hage Häfez-e Sirazi. Hrsg. v. Abolgäsem Angawi Sirszi. Teher3 4

an 2007, S. 81.

s. ‘Obeyd Zäkani: Koliyat. Hrsg. von Parwiz Atäbaki. Teheran 1964, 5.317. 1 Man = 3 kg.

5 Vgl. Vorwort von A. Angawi Siräzi in: Hafis: Diwän-e Hage Hafez-e Sirazi. Hrsg. ۰ A A. Siräzi. Teheran 2007, S. 81.

6

s. Hans Robert Roemer: Persien auf dem Weg in die Neuzeit — Iranische Geschichte von 1350-1750. Stuttgart 1989, 5. 121ff. S. auch Gawäd Maëkur: Tärix-e irän-zamin

7

Z. Safa, a.a.O., Bd. 5, Teheran 1987, 5. 201. Übersetzung von mir.

70

[Geschichte des Iran]. Teheran 1994, S. 265-289.

Geh, Frömmling, du Selbstsüchtiger, vor deinem Auge und meinem

ist das Geheimnis dieses Vorhangs! verborgen, und verborgen wird es bleiben.” Abgesehen von ,Heuchelei”, „Lüge“ und „Selbstsucht” sind es auch Unehrlichkeit, Engstirnigkeit, Opportunismus, Hochmut und Erbarmungslosigkeit, die Hafis den Sufis und den Frömmler zuschreibt. Die Engstirnigkeit der asketischen Geistlichen z.B. hebt er in folgenden Versen hervor: Von dieser Geschichte* erschallen die sieben Himmelssphären,

schau den Kurzsichtigen,? wie er die 8

۸۹

Auch den Opportunismus des Muftis, der eigentlich für die Einhaltung der islamischen Gesetze, u.a. auch für das Verbot der alkoholischen Getränke, zuständig ist, kommentiert er in ironischer Manier: Zur Zeit des Königs, der Fehler verzeiht und Untaten zudeckt,

wurde Hafis Humpentrinker und der Mufti Pokalschlürfer.®

Hafis bezeichnet fortan die asketische Haltung der Sufis, ihre rituelle Wiederholung formelhafter Wendungen (zekr ‎‫ (ذکر‬und ihre theopathische Aussprache (Sathiat ‎‫ (شطحیات‬als Gotteslästerung und Geschwätz. Er kritisiert sie in einer neuen Entwicklungsphase, in der er nicht mehr an den Weg zur Gottheit durch Askese glaubt. Hafis wird jetzt als Aref die irdischen Freuden genießen. Damit ist ein scharfer Gegensatz zwischen ihm und den Sufis vorgezeichnet. Erhebe dich, dass wir die Sufi-Kutte zur Taverne tragen, dass wir Gotteslästerliches und Geschwätz zum Jahrmarkt

Aberglaubens tragen.

des

۳5

9

WM

à

©

D

‎‫مم‬

Damit alle Klausner den Morgen-Becher ergreifen,

D.h. das Geheimnis dieser Welt. Hafis-Wohlleben, S. 283. Gemeint ist die Geschichte der Liebe zu Gott. D.h.: den Engstirnigen. Hafis-Wohlleben, S. 151. missversteht, wörtlich alles für klein halt. Ebd., S. 370. 17

wollen wir die Morgen-Harfe zur Tür des Alten! mit seinen nächtlichen-vertraulichen Gesprachen tragen.?

1.3.4 Hafis als ungebundener Mystiker (Aref), und die Geschichte der Liebe

Der Unterschied zwischen Sufi und Aref, was in etwa „wissend, Erkennender“ heißt, ist keineswegs irrelevant - auch wenn in der westlichen Literatur und zum größten Teil selbst in der persischen Literatur beide als gleich betrachtet werden - und darf, will man Hafis wirklich verstehen, mitnichten übersehen werden. Übersieht man diesen Unterschied, könnte man aus Hafis’ Kritik an den Sufis schließen, er sei überhaupt kein Mystiker gewesen. Wiewohl ein Sufi und ein Aref Mystiker sind, führt beim Sufi der Weg nach innen über die Askese zur Mystik, und Weingenuss und andere irdische Vergniigen sind ihm dabei verboten. Aus der Sicht eines Aref, wie Hafis es geworden ist, sind Sufis keine „wahren“ Mystiker. Sie sind ,fromme” Mystiker, deren Tun und Treiben

er nunmehr als Lüge und Heuchelei erkennt. Aufgrund dieser Erkenntnis ist er bereit, seine Sufi-Kutte, die nun für ihn die Frömmigkeit und Heuchelei schlechthin symbolisiert, zu verbrennen. Fortan möchte er als ein „wahrer“ Mystiker (Aref) leben, um in den Rang eines Meisters des mys-

tischen Ordens (Oberhaupt der Rendän) emporgehoben zu werden. Nicht der Mystiker als Sufi, sondern der „wahre“ Kenner des mystischen Pfades

als Aref erreicht diese Station:

Wenn du schon an die Kutte Feuer legst, o weiser Pilger [Wanderer des mystischen Pfades],? Bemühe dich doch, dass du das Sekten-Oberhaupt der Rendän der Welt wirst.?

1 2 3 4

72

Der „Alte“ ist nach mystischer Lehre der Weise bzw. der mystische Pfadführer, welcher bei Hafis auch mit Adam gleichgesetzt wird. Vgl. Ashuri, a.a.O., S. 263. Hafis-Wohlleben, S. 472. Hier hat Hafis ursprünglich das Wort Aref verwendet, was Wohlleben, wie an vielen anderen Stellen übrigens auch, mit „weiser“ übersetzt. Hammer-Purgstall hat

Aref mit „Der Weise“ übertragen. ) 5. 140). Hafis-Wohlleben, 7

‫سالک‬

‫عارف‬

‫ای‬

‫زدی‬

‫جو انش‬

‫در خرقه‬

‫جهدی كنسر وحلقه‌ی رندان جهان باش‬ In folgenden Versen veranschaulicht Hafis, wie er als frommer ۲ (Sufi) das irdische Vergnügen verachtete, und wie aber dann die irdische

Liebe ihm die Augen öffnete, sodass dem Wein, mit dem er sein Asketen-

gewand reinigen wird, nun ein neuer Stellenwert zukommt:

Aus frommer Enthaltsamkeit hatte ich zuvor nie Wein und Musikanten beachtet;

die Leidenschaft für die Magierknaben! hat mich auf das Eine und Andere gebracht. Nun wasche ich mit dem Nass des Rubinweins meine Kutte,

den Anteil der Ewigkeitsbestimmung kann man nicht (einfach)

von sich abschütteln.? Um

die Eigenart der Mystik bei Hafis besser zu verstehen, ist es unbe-

dingt notwendig, den Liebesakt in Verbindung mit dem göttlichen Ursprung und die Sehnsucht nach der Vereinigung mit Gott mit den Auffassungen anderer Mystiker zu vergleichen. Der Liebesakt ist in allen mystischen Werken zu finden, wie u.a. in folgenden Versen von Rumi: Jeder, der aus seinem Ursprung weit vertrieben ist, sucht wieder nach einer Zeit der Einswerdung.’ ‎‫کسی که دور ماند از اصل خويش‬ ‫هر‬ ‫باز جوید روزگار وصل خويش‬

Bei einem Mystiker wie Rumi zahlt aber nur die mystische Liebe, und die irdische Liebe, aus seiner Sicht nicht ,wahre Liebe”, d.h. nicht gôttliche Liebe, môge vernichtet werden: Jene Seele, deren Merkmal nicht wahre Liebe ist,

môge vernichtet sein, denn ihr Dasein ist nicht mehr als eine Schande. ‫أن روح را که عشق حقیقی شعار نیست‬ ‫نابود به؛ که بودن أن غير عار نيست‬

2 3 4

1

s. Kap. 5

Hafis-Wohlleben, S. 71. Galal ad-Din Molawi (Rumi): Masnawi-ye ma‘nawi. Hrsg. von R. Nicholson. Teheran 1983, Bd. 1 (daftar-e awwal), 5. 1. Übersetzung von mir. Rumi, a.a.O., Übersetzung von mir. 73

Eine relevante mystische Lehre betont, dass das ,Liebesspiel und gutes Essen und andere irdische Genüsse [...] nur zum animalischen Triebe“ gehören und die Liebe zu Gott umso weniger werde, je mehr man sich diesen irdischen Freuden hingebe. Nach mystischer Vorstellung ist „die

Welt“, wie auch Gämi (gest. 1492), der persische Dichter und Mystiker, meint, „ein Misthaufen und ein Versammlungsplatz

der Hunde;

doch

niedriger als ein Hund ist der Mensch, der sich nicht davon fernhält.”!

Was die Hafis’sche Mystik nun von der Mystik der vielen anderen unterscheidet, sind Hafis’ Vorliebe für irdischen Genuss und sein Freigeist. Warum aber hat Hafis als ein Mystiker die irdische Liebe und den Genuss des realen Weines ebenso lobpreisend bedichtet wie als mystische Metapher? Warum gibt er den irdischen Freuden in manchen Gedichten keine symbolische Bedeutung? Warum sind sie - im Gegensatz zu anderen mystischen Werken - kein Mittel, die mystische Lehre zu verkünden? Und: wie können wir erkennen, wann wir es mit der Realität und wann mit einer mystischen Bedeutung zu tun haben? Hafis fasst in etlichen Ghaselen den irdischen Genuss derart enthusiastisch und zum Teil erotisch in Worte, dass eine mystische Deutung sich nachgerade ausschließt. In dergleichen Versen gibt es weder mystische Ausdrücke noch Wort- oder Sinnspiele noch andere rhetorische Figuren, die auf einen mystischen Gehalt hindeuteten. Im Gegenteil, alles spricht gegen die bekannten mystischen Lehren. In folgenden Versen z.B. ist von „Lebenslust im Frühling“ und von der Nutzung „jedes schönen Augenblickes” die Rede. Dies entspricht absolut nicht dem mystischen Verzicht auf irdischen Genuss: Schöner als Lebenslust und Unterhaltung und Garten und

Frühling, was kann das sein? Wo ist der Schenke? Warum müssen wir warten??

1 Abdur Rahman Gami: Nafahät al-Uns. Hrsg. v. M. Tauhidipur. Teheran 1957, S. 65. Uber2

setzung ins Deutsche von Schimmel in: Mystische Dimension des Islam, a.a.O., S. 163. Wollte man hier „Wein“ symbolisch deuten, spräche dagegen, dass nach mystischer Auffassung nicht in Eile getrunken wird. Nach mystischer Lehre muss man ohne jegliche Klage viel Geduld haben, bis man als ein vollkommener Mensch zur Vereinigung mit Gott reif ist. Siehe die Geschichte von Bubakr Sebli (9. Jh.), einem

der bekanntesten Mystiker der islamischen Welt, der jahrelang das Leben eines Bettlers geführt hat, drei Jahre ununterbrochen allein in einem Keller auf alle irdischen Freuden verzichten und die rituelle Wiederholung formelhafter Wendungen (zekr) ausüben musste. Hätte er einen Moment

74

das Denken an Gott vernachläs-

Jeden fröhlichen Moment, der sich ereignet, sieh als Gewinn an, niemand hat Wissen darüber, was am Ende des Ganzen sein wird.

mL

Eine Rose am Busen und Wein in der Hand und die Geliebte gefällig, der Herr der Welt ist an solchem Tag mein Sklave. [...]? Liebesspiel und Jugend und rubinfarbener Wein, Versammlung Vertrauter und gleichgestimmter Gesellen und andauernder Weintrunk Ein süßmundiger Schenke und ein wohlberedter Sänger, rechtschaffene Kumpane und Zechgenossen voll Anstand;

[...]

Wer diese Lebenslust verschmäht, dessen Heiterkeit sei erloschen,

und wer diese Versammlung nicht aufsucht, dem sei das Leben versagt.’

Wie konnte Wein und nicht in der Auffassung

Hafis, als ein eigentlicher Mystiker, so offen über Lebenslust, die Geliebte sprechen, welche nach islamischen Gesetzen Öffentlichkeit erwähnt werden dürfen und nach mystischer nurmehr das Symbol für das Göttliche sind?

An diesem Punkt der Entwicklung, einem Wendepunkt offensichtlich für Hafis, taucht der Begriff Aref auf. Nicht wenige Mystiker wie Hafis, vom

Verhalten der Sufis enttäuscht, nennen sich in Abgrenzung zu ihnen spä-

ter Aref.

Manche definieren Aref als jemand, der die Mystik des Verstandes formuliert, eine Art ,,wissenschaftlicher® Mystik und der mystischen Lehre nach einer bestimmten vorgegebenen Regel folgt.4 Aber wie in vorliegender Arbeit bereits gezeigt werden konnte, ist Aref fiir Hafis der „wahre“ Mystiker, der die irdischen Freuden genießen und nicht durch

Askese den göttlichen Ursprung erreichen möchte.

sigt, hätte er sich selbst zur Strafe peitschen müssen. Siehe R.A. Meybodi: Kasf alAsrär [Enthüllung der Geheimnisse]. S. 150ff. Zusammenfassung und Übersetzung

‫كر‬

)‫ تر‬NN‫‏‬

‫مم‬

von mir.

Hafis-Wohlleben, S. 126.

Ebd., S. 105.

Ebd., S. 396. Vgl. Z. Safa; a.a.O., Bd. 111/1, 9. 57

Was Hafis schließlich in die neue Phase seiner Mystik führt, ist seine Auslegung des Koran bezüglich des Sündenfalls Adams, was wiederum seiner mystischen Auffassung einen besonderen Charakter verleiht. Einige wenige Mystiker wie Hafis legen die Geschichte vom Sündenfall Adams wie folgt aus: Gott wollte, dass Adam diese Sünde begehe, damit er Anlass nehmen konnte, ihm [Adam] das Unterpfand - seine

Liebe - zu übergeben und ihn aus dem Paradies zu vertreiben; insofern

war Adams Handeln keine Sünde im eigentlichen Sinne.! Es handelte sich um eine von vornherein durch Gott vorausbedachte List. Im Koran finden sich Stellen, in denen von Gotteslist die Rede ist, so auch z.B. in der Sure von den Frauen: 142 Die Heuchler möchten Gott betrügen, während (in Wirklichkeit) er sie betrügt. [...] 143 [...] Wen Gott irreführt, für den findest du keinen Weg.? In einer anderen Sure ist von Gott als dem besten Ränkeschmied die Rede:

30 [...] Sie [die Unglaubigen] schmieden Ranke. Aber (auch) Gott schmiedet Ränke. Er kann es am besten.? Auch Hafis hat die List Gottes in Versen durchblicken lassen:

Wo bleibe ich, wenn selbst der Taschenspieler Firmament ins Wanken gerät vor den Listen, die du [Gott] in deiner Trickkiste bereit hältst.? Diese Zeilen sind durchaus dahingehend zu deuten, dass Gott Adam vergibt, weil Gott selbst Adams Tun (verbotene Früchte zu essen)? vorherbe1

Vgl. Ashouri., a.a.O., S. 256-260.

4 5

Hafis-Wohlleben, S. 92. Im Alten und Neuen Testament ist keine Rede von einem Apfel. Als das Testament ins Lateinische übersetzt wurde, wurde das Wort „malus“ für Früchte übertragen, welches „Apfel“ und zugleich „Sünde“ bedeutet. Nach islamischer Lehre steht „Weizen“ anstatt „Apfel“. Hafis dichtet aus diesem Standpunkt heraus iro-

2 3

Der Koran; Sure 4, Die Frauen, S. 75. Ebd; Sure 8, Die Beute, S. 127. Dies wird in Sure von der Sippe Imrans (3. 54) wiederholt: „Und sie (d. h. die Kinder Israels) schmiedeten Ränke. Aber (auch) Gott schmiedete Ranke.” (S. 47).

nisch: „Mein Vater [Adam] hat die schöne Aue des Paradieses für zwei Weizen-

körner hingegeben; / wieso sollte ich den Garten der Welt nicht für Ein Gerstenkorn hingeben.“ (Hafis-Wohlleben, 5. 433). Rosenzweig-Schwannau deutete das eine Korn als das Schönheitsmal des Geliebten (s. Buchstabe Mim, Ghasel 55).

76

stimmt hatte.! Die Deutung der Vergebung der Sünde als Ausdruck von Gottesliebe finden wir in folgenden Versen von Hafis: Wie sehr ich auch in hunderterlei Hinsicht im Meer der Sünde versunken sein mag; seit ich auch mit der Liebe bekannt wurde, gehöre ich zu den Begnadeten. [...]? Obgleich Hafis sich gekrankt fühlte und den Vertrag* brach, schau seine Güte:? in Frieden ist er zur Tür wieder eingetreten.° Nach

orthodoxer,

und

zum

Teil auch

Adam die Sünde und er muss lange die Unschuld Adams und Gottes List me Folgen nach sich ziehen können. fläche zu bieten, hat er dieses Thema

nach

mystischer

Lehre,

begeht

um Begnadigung flehen. Offen über zu sprechen, hätte für Hafis schlimUm seinen Gegnern keine Angriffsschelmisch und ironisch behandelt:

Obgleich die Sünde auch nicht unseren freien Willen unterliegt, 0 Hafis,

so bestrebe du dich doch auf dem Weg der Gesittung und sprich: Sünde 15] 6 An anderer Stelle versucht Hafis seine Auffassung von der Schöpfungsgeschichte und der Liebe zu Gott damit zu rechtfertigen, dass ein jeder „nach Maßgabe seiner Fassungskraft, eine Vermutung” über das Geheimnis der Liebe zwischen Gott und dem Menschen habe: Auf dem Weg der Liebe gibt es niemand, der wahrhaft vertraut wäre mit ihrem Geheimnis;

jeder hat, nach Maßgabe seiner Fassungskraft, eine Vermutung.

[..?

1

SO on

À

2 3

In Verbindung mit der Begnadigung Adams vor seiner Vertreibung wird folgende Koranstelle herangezogen: „37 Hierauf nahm Adam von seinem Herrn Worte entgegen. Und Gott (w. er) wandte sich ihm (gnädig) wieder zu. Er ist ja der Gnädige und Barmherzige.” (Der Koran, Sure 2, Die Kuh, S. 15). Hafis-Wohlleben, S. 400. Anspielung auf Adams Vertrag mit Gott, dass Adam keine verbotenen Früchte essen dürfe. seine Güte: d.h. Gottes Güte. Hafis-Wohlleben, S. 247.

Ebd., S. 114

Ebd., S. 192

77

Türkisch und Arabisch sind hierbei Eins, o Hafis, die Geschichte der Liebe erzähle du in der Sprache, die du kennst.! Aber von der Liebe in seiner Sprache nach „Maßgabe seiner Fassungskraft" zu erzählen, kann gefährlich werden. Deswegen rät Hafis den Angesprochenen, den Weg der Liebe umsichtig zu beschreiten, um die Gegner und Feinde zu besiegen und sich vor ihren Pfeilen zu schützen: Mag der Weg der Liebe auch der Ort sein, wo die Bogenschiitzen lauern, so wird doch, wer ihn umsichtig beschreitet, über seine Feinde den Sieg davontragen.? Hafis erzahlt in seinen Ghaselen immer wieder anhand der Auslegung des Koran auch die Geschichte der Liebe, und davon, wie er den Weg der Liebe beschreitet. Die Wortverbindungen ,Geschichte der Liebe” (gesseye 650 ‎‫ ( قصه‌ی عشق‬und „Pfad der Liebe” (rah-e ‘eSq ‎‫ (راه عشق‬sind dabei als mystische Ausdriicke in Verbindung mit der Geschichte von Adams Vertreibung aus dem Paradies und dem mystischen Weg zur Vereinigung mit dem göttlichen Ursprung zu verstehen. Wie bereits erklärt, hat Adam durch den Genuss der verbotenen Früchte eine vermeintliche Sünde begangen, durch die er nicht nur eine Ahnung vom guten Geschmack irdischen Vergnügens bekommen, sondern auch die Gottesliebe gewonnen hat. Wenn allerdings Ungehorsam und das Überschreiten verbotener Grenzen auf Gottes Willen zurückgehen, dann ist der Genuss der irdischen, sogar der verbotenen Güter wie

Wein, keine Sünde mehr. Keine Sünde geschieht ohne Gottes Willen und alles, was der Mensch an Gutem oder Bösem in sich trägt, ist das Erbe Adams nach Gottes Willen: ? Schau nicht mit dem Blick der Verachtung auf mich in meiner Trunkenheit, kein Sündertum und keine Frömmigkeit geschieht ohne Seinen Willen. 1

2 3

Ebd., 9. 5

Ebd. S.196. Hervorhebung von mir. Dies hat auch Sa‘di vor Hafis gedichtet: „Wenn du meinst: die Geschichte der Liebe ist eine Sünde, / (wurde) die erste Sünde von Eva und Adam begangen.” Koliyat-e Sa di [Gesammelte Werke Sa‘dis]. Hrsg. von Mohammad-Ali Forugi. Teher-

an 1993. S. 578. Übersetzung von mir. 78

[...]}

Ob Ärgernis dir entgegentritt, ob Ruhe, o Weiser,

schreib es keinem anderen zu, denn alles dies macht Gott. [...]? Trink Wein, denn Liebender-Sein ist nichts, was man erwirbt oder erwählt; ?

diese Gabe kommt mir aus dem Erbe der Schöpfung zu.

[...]? Geh, du (kluger) Ratgeber, und bekrittle nicht die Hefeschlürfer, der Befehlshaber Schicksal bewirkt das alles, was soll ich tun?°

Diese Ergebenheit in Allahs Willen wird in verschiedenen Suren des Koran betont: 213 [...] Gott führt, wen er will, auf einen geraden Weg.° [...] 247 [...] Gott gibt seine Herrschaft, wem er will. Gott umfasst (alles)

und weiß Bescheid.’ 253 [...] Und wenn Gott gewollt hätte, hätten

sie einander nicht bekämpft. Aber Gott tut, was er will.® [...] 93 Und wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. recht, wen er will.?

Aber

er führt

irre, wen

er will, und

leitet

Wenn nun Weingenuss jeglicher Art Sünde ist, vergibt Gott dieses Fehlverhalten: Bring Wein, denn gestern Nacht überbrachte mir Sorus!® von der

À

Hafis-Wohlleben, S. 506. Diese und weitere Hervorhebungen sind von mir. Ebd., S. 260. Mit Erwerben und Erwählen sind zwei islamische Sekten, nämlich as’ari undmo’tazele gemeint, deren eine fatalistisch ist und deren andere an die Willensfreiheit glaubt. Hafis weist beide zurück, weil er Auseinandersetzungen dieser Art nichtig findet. Uber diese Sekten siehe Gani, a.a.O., S.15f. Hafis-Wohlleben, S. 400.

D

ON A ‎‫سن‬

Ebd., S. 439. Der Koran; Sure 2, Die Kuh, S. 32. Ebd., Sure 2, Die Kuh, S. 37. Ebd., Sure 2, Die Kuh, S. 38. Ebd., Sure 16, Die Biene, S. 193. 10 Sorus (avestisch: Sraosä), ein zarathustrischer Botenengel. Obwohl er ein zarathustrischer (vorislamischer) Engel ist, wird er von Hafis und anderen persischen Mystikern als Botenengel des islamischen Gottes (Allah) verwendet. Mehr über

79

unsichtbaren Welt die Neuigkeit, dass allumfassend sei der Born seines Erbarmens. [...]! Wenn der Weinkäufer das Bedürfnis der Rendän? befriedigt, vergibt Gott die Sünde und wehrt Unheil ab.’ Eben dieses Sicherheitsgefühl in Verbindung mit Gott kann die Kühnheit von Hafis in der Auseinandersetzung mit seinen Konkurrenten, Gegnern

oder Feinden erklären. Er weiß „Gott“ hinter sich, der ihn ermuntert, irdische Genüsse furchtlos zu kosten und in Gedichten zu lobpreisen: Küsse nichts außer der Lippe der Geliebten und des

(Wein)Bechers, o Hafis; die Hand des Frömmlers zu küssen, wäre ein Fehler.‘

Die so geartete Verbindung zu Gott veranlasst Hafis zu folgender Aussage:

Die Welt gestaltet sich nach meinem Wunsch, indem der Kreislauf der Zeit mich in den Dienst des Herren der Welt geführt hat.° Dieser wie eine Anmaßung anmutende Machtanspruch, dass die Welt sich nach seinem Wunsch gestalte, den sich Hafis da zuschreibt, von den Gelehrten als Schmach empfunden, und zur Begriindung von Hafis’ tib1

3

4

5

80

Sorus: siehe Avesta; hrsg. von Jalil Dustkhah. 2. Band, Teheran 1991, S. 1007f. Hafis-Wohlleben, S. 506.

rend ist ein wichtiger Ausdruck in Hafis’ Poesie in Verbindung mit seiner Weltanschauung. Er wurde als Zecher, Schelm und Freigeist u. a. übersetzt. S. weiter dazu Kap. 1.8 (rendi als Hafis’sche Philosophie). Hafis-Wohlleben, S. 260.

Ebd., 5.

4

Ebd., 5. 72. Der bosnische Hafis-Interpret Sudi, dessen Interpretation eine wichtige und zum Teil entscheidende Wirkung auf Hammer-Purgstall ausübte, deutet, dass der ,Herr der Welt“ ein Wezir der Zeit, Qawäm ad-Din Hassan sei. (Vlg. Sudi: Sarh-e Sudi bar Hafez. Bd. 2, Orumiye 1983, S. 153). Dies wurde von weiteren Interpreten übernommen, aber es ist nicht mehr als eine Vermutung. Betrachtet man das Ghasel als Ganzes, wird die Verbindung mit Gott in Zusammenhang mit Hafis’ Mystik klar. Besonders vor dem Doppelvers, in dem vom „Herrn der Welt“ die Rede ist, akzentuiert Hafis, dass er nicht von ,jetziger”, gegenwärtiger Liebe, sondern vom uranfänglichen Schicksal spricht: „Das Schicksal hat das Projekt der Liebe nicht erst jetzt entworfen.“

lem Leumund herangezogen, ist aus der Sicht von Hafis kein Tadel. Alles, was er tut, ist vom Schicksal vorherbestimmt. Er versetzt sich immer

wieder in die Stunde der Schöpfung und der vorbedachten Vertreibung: Tadle nicht (mein) Zechertum und den üblen Leumund,

o Rechtsgelehrter.

(Wisse:) Das war mir vorherbestimmt vom Rat des Schicksals.!

Die bisher zitierten Verse und ihre Erläuterungen sind geeignet, aufzuzeigen, dass Hafis sehr wohl ein gläubiger Mystiker ist, der Koran und Mystik auf seine Weise versteht und sie in seinem Sinne auslegt. Er ist in diesem Zusammenhang jedoch ein schwerlich mit den anderen vergleichbarer ,,Mystiker’. Einige Hafis-Forscher wie u.a. Ashouri haben die Hafis’sche Mystik mit der von Sa‘di gleichgesetzt.2 Obwohl die Ähnlichkeit zwischen Sa‘di und Hafis - im Vergleich zu den anderen - besonders in den Genuss der Freude betreffenden Bereichen unübersehbar ist (die Wirkung von Sa dis Dichtung auf Hafis ist spürbar), sind sie sich in einem wichtigen Punkt nicht ebenbürtig: Sadi hat sich nie ernsthaft mit Mystik beschäftigt. Er war vielmehr jemand, der gelegentlich eine mystische Haltung als Konzession an eine Mode der Zeit zeigte.

‫كن‬

‫ حير‬WN‫سم ‏‬

Viele Interpreten setzen Hafis’ Mystik mit vor ihm bekannten Mystikern wie Sohrawardi und Rumi 3 oder Ibn ‘Arabi und Färäbi u.a. gleich,* deren Wirkung auf Hafis nicht ausgeschlossen werden kann. Es gibt gewiss Ähnlichkeiten und zweifellos hat Hafis viele ihrer mystischen Ausdrücke übernommen,’ doch in der Dichtung der Vorgänger wie der Zeitgenossen haben die irdischen Genüsse ausschließlich eine mystische Bedeutung. Jene verachten das materielle Leben, weil es sie von der Seele fernhält, und man - ihrer Auslegung nach - desto mehr die Verbindung mit dem seelischen Leben, mit Gott als reiner Seele verliert, je mehr man sich dem Diesseits hingibt. Aufgrund dessen ist für sie der Körper eine Last, oder metaphorisch der Leib „Staub, der „zum Schleier vorm Antlitz der Seele wird", und sie wünschen, den „Staub des Leibes’ abwerfen zu könHafis-Wohlleben, S. 400. Siehe Ashuri, a.a.O., S. 193ff. Siehe ebd., S. 139-165.

Siehe Bürgel: Drei Hafis-Studien, a.a.O., S. 47. Vgl. Ebd. 18

nen.! Nach der Engelslehre von Sohrawardi (1153-1191), des mit 38 Jah-

ren im Kerker getôteten iranischen Mystikers, ist der Kôrper der Gefangnis der Seele; denn die „Seele besaß früher Existenz in der Engelswelt“ und „wenn sie den Leib betritt... wird sie in zwei Teile geteilt: einer bleibt im Himmel und der andere steigt hernieder in das Gefängnis oder die Festung des Körpers.“ ? Die Mystiker glauben, durch Sterben ihre Seele von der Last des Körpers befreien und sich mit Gott vereinigen zu können. Aus diesem Grund wünscht sich z.B Rumi offensichtlich den schnellen Tod, wenn er dichtet: Die Anderen verlangten vom Tod Aufschub (Frist);

Die Liebenden[Mystiker] sagen ihm: Nein, nein, komm schnell'?

‫دیگران از مرگ مهلت خواستند‬

! ‎‫ نی» زود باش‬.‫ نی‬:‫عاشقان گویند‬ Für die Todessehnsucht, bei gleichzeitiger Verachtung aller weltlichen Freuden und des Lebens allgemein, ist eine überlieferte Geschichte vom

bekehrten Räuber und späteren arabischen Mystiker Fudail ibn Tyad (gest. 803) ein beredtes Beispiel. Nur einmal in dreißig Jahren soll man ihn lächeln gesehen haben, nämlich zu dem Zeitpunkt, als sein Sohn

starb. Daraufhin erklärte er: „Wenn Gott Seinen Diener liebt, so sucht er ihn heim, und wenn Er ihn sehr liebt, bemächtigt Er sich seiner und läßt

ihm weder Familie noch Vermögen. * Darüber hinaus schreibt auch Rumi „der Tod der Kinder“ sei „Süßigkeit“ (helwa). Der iranische Mystiker des 9. Jahrhunderts Yahyä

ibn Mu’az ar-Räzi (gest. 871) findet „der

Tod [ist] schön, denn er bringt den Freund [Gott]."6 Der Wunsch

[Mystiker]

zum Freunde

nach dem Tod, der die Seele von der Last des Leibes

befreit und mit dem göttlichen Ursprung vereinigt, ist allen mystischen Werken eigen. Er findet sich in einer Phase der Entwicklung auch bei 1 2 3

un

4

6 82

Hafis: ,Zum Schleier vorm Antlitz der Seele wird der Staub meines Leibes; / wie herrlich der Augenblick, da von Antlitz den Schleier ich werfe.“ Hafis-Wohlleben, S. 436.

S.H. Nasr: Three Muslim Sages, 1963, S. 69. In: Schimmel; Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 371.

Rumi: Masnawi-ye ma ‘nawi. Hrsg. von Reynold A. Nicholson. Teheran 1983. Übersetzung von mir. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 62f.

Rumi: Masnawi-ye ma‘nawi; a.a.O., 3. Buch (daftar-e sewwom), S. 478. Schimmel, a.a.O., S. 85.

Hafis. Wegen der Verachtung des Leibes, der irdischen Liebe und der Geniisse ist in Rumis Werken kein Platz für Lobpreisung des materiellen Lebens. Bei Hafis jedoch wird die Liebe zu Frauen oder Knaben und der Weingenuss insofern enthusiastisch gepriesen, als er den irdischen Genuss als seine Religion bezeichnet: Ich will die Rubinlippe der Geliebten und den Becher Wein nicht aufgeben, ihr Frommen, verzeiht mir, denn das ist meine Religion.! Könnte

man

dort (s.o.) eine symbolische

Bedeutung

von

,Gottesliebe”

herauslesen, so gilt das hier (s.u.) für die ,Gôtzenbilder nicht: Seit langem

ist die Leidenschaft

für die (schönen)

Götzenbilder

meine Religion. Das Leiden daran ist die Freude meines leidgeprüften Herzens.?

Diese „Götzenbilder“ tauchen in der klassischen persischen Poesie als Metapher der „schönen Geliebten” auf. Hafis hat insgesamt 11-mal die „Götzen” (in Pluralform) verwendet,

die alle „schöne Geliebte” bedeuten, wie z.B.: „Wir tadeln niemand wegen Freigeisterei und Trunkenheit; / die Rubinlippe der Liebesgötzen ist schön und schmackhafter Wein ebenso. ? Hätte Hafis den Gôtzen im Singular verwendet, hätte man ihn für das Symbol Gottes halten können. Doch ist von „Götzenbildern” (in der Pluralform) die Rede, welche nicht etwa als ,Gôtter” interpretiert werden dürfen. Hafis war wie alle anderen islamischen Mystiker Monotheist. Die Verwendung dieses Ausdrucks kann demnach als Hinweis darauf gelten, dass Hafis tatsächlich die irdischen Genüsse meint, was seine Sonderstellung unter den Mystikern wiederum verdeutlicht.

1 2 3

4

Hafis-Wohlleben, 5. 87. Hervorhebung von mir. Ebd. ‎‫و‬. .311 Hervorhebung von mir.

Siehe Heinrich F.J. Junker u. B. Alavi: Persisch-Deutsches

auch Bahä’ad-din Horramsähi:

Hafez-name.

Wörterbuch.

1984, S. 83;

16. Aufl. Tehran 2006, S. 302; und

Mohammad Mon: Farhang-e farsi. Bd. 1, Teheran 1963, S. 471.

Hafis-Wohlleben, S. 457.

83

1.4 Hafis als Anhänger von malämatiye (Tadel-Orden)? Der Sufismus verlangt, wie bereits erklärt, normalerweise zwingend die Mitgliedschaft in einem Sufiorden. Die Gläubigen werden durch einen Ordensmeister (Scheich, moräd) geführt und sind von seinen Weisungen abhängig. Er ist die höchste Autorität. Seine Auslegung der heiligen Botschaft, des richtigen Weges zu Gott, gilt als Gesetz, dem die Adepten widerspruchlos gehorchen müssen. Von daher ist es entscheidend zu wissen, ob Hafis je Adept eines mystischen Pfadführers, eines Sufiordens oder gar selbst ein Ordensmeister war, der seinen eigenen Jüngern voranging. Erst dann kann man charakteristische Eigenschaften von Hafis, die Entwicklung seiner außergewöhnlichen mystischen Weltsicht und seine Sonderstellung unter den Mystikern angemessen darstellen. Interpreten, die Hafis’ Sonderstellung nicht genau verstehen oder ihn aus ethischen Gründen zugunsten ihrer Auffassung anders interpretieren möchten, versuchen die Paradoxie in Hafis’ Mystik mit seiner Zu-

gehörigkeit zu einem bestimmten mystischen Orden, malämatiye ‎)‫(ملامتیه‬, zu erklären.! Der Ordensmeister Hamdun Qassär gründete im 9. Jahrhundert diesen Sufiorden, dessen Anhänger allerdings nicht als Sufis gelten wollten. Sie versuchten ihre „tugendhaften” Handlungen

zu verste-

cken, „um ihre religiösen Pflichten ohne Schaugepränge zu erfüllen.”? Sufis erregten schon an sich und durch ihre Kleidung die Aufmerksamkeit der Menschen. Diese Aufmerksamkeit von Seiten der Menschen - so die Begründung des Ordens - und deren Wahrnehmung durch den Mystiker mache diesen eigensüchtig und er werde dadurch von der Hinwendung zum Göttlichen abgelenkt. Sein Credo bestand darin, an nichts außer an die Liebe zu Gott zu denken, und aufgrund dessen beachtete er weder äußere Riten noch Formen. Die anderen islamischen Sekten und die Bevölkerung „tadelten” die Anhänger des Ordens wegen ihres Verhaltens, und aus diesem Grund wurde er schließlich malämatiye genannt, was soviel wie „die getadelt werden (zu tadelnder Orden) bedeutet.? Hafis Gesinnung und seine Entwicklung weisen Spuren der Auffassung des malämatiye-Ordens auf, was durchaus denken lassen könnte, auch Hafis sei ein Anhänger. Auszuschließen ist nicht, dass er von die1 2 3 84

Siehe Ragayi Bohäräyi, a.a.O., S. 104f. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 161. Vgl. Ebd.

sem Sufiorden, wie von seinen Vorläufern, gelernt hat, m.E. jedoch kann er aus dreierlei Gründen nicht als Anhänger des malämatiye-Ordens eingeordnet werden: 1. Es gibt keinen bestimmten Beleg dafür, dass Hafis überhaupt Mitglied irgendeines Sufiordens war. Scheichs wie Qawam ad-Din ‘Abdollah und Bahä ad-Din ‘Abd al-Samad u.a. waren Hafis’ Lehrer in der theologischen Schule und nicht, wie oft falschlich angeführt, seine Ordensmeister.! Die vorhandenen Informationen über seine Mitgliedschaft in einem Sufiorden sind nicht authentisch. Vielleicht war er in seiner Jugendzeit Anhänger eines Ordensmeisters, in seinem reifen Alter war er jedoch nie Anhänger eines bestimmten Sufiordens und hat selbst auch nie als Ordensmeister oder mystischer Pfadführer seine eigenen Jünger geführt. Hafis wollte frei von allen Gruppierungen seinen eigenen Weg zur Vereinigung mit dem Ursprung gehen: Der Sklave bin ich jenes mit der hohen Gesinnung, der unter dem blauen Himmelskreis von allem, was die Farbe der Abhängigkeit annimmt, frei ist. [...]? Sag dem Prediger, er solle Hafis nicht tadeln dafiir, dass er das Gebetshaus verließ, den Fuß des Freien fesselt man nicht; wenn er an seinen Ort geht, dann geht er.? Deshalb kritisiert er alle Glaubensrichtungen und alle Sufiorden. Aus seiner Sicht bekämpften sie sich bloß gegenseitig und erzählten nichts als Märchen, anstatt die , Wahrheit” zu erkennen: Das Gerangel der zweiundsiebzig Glaubensrichtungen musst du jeder einzelnen verzeihen: da sie die Wahrheit nicht kannten, schlugen sie den Weg der Wundererzählung ein.? 1 2 3

Siehe Hafis: Diwan-e Hage Hafez -e Sirazi (Vorwort). Hrsg. v. Angawi Siräzi. Teheran 2007, S. 110. Ebd., 5. 94. Hervorhebung von mir. Hafis-Wohlleben, 5. 148. Den ersten Halbvers habe ich in eigener, besserer Uber-

4

Hafis-Wohlleben, 5. 258.

setzung eingetragen.

85

Die 72 Glaubensrichtungen, auf die Hafis sich bezieht, sind die unterschiedlichen islamischen Sekten. Hogwiri zufolge, der im 11. Jahrhundert lebte, waren zu jener Zeit 12 unterschiedliche Sufiordens aktiv.! Ihre Zahl stieg in späteren Jahrhunderten auf 200.2 2. Die Anhänger des malämatiye-Ordens suchen nach Tadel, Verachtung und Demütigung, um ihre eigene Selbstsucht zu bekämpfen und sich ausschließlich der Liebe zu Gott hinzugeben. Beim bekannten Mystiker Naëm ad-Din Räzi (12.-13. Jahrhundert) liest man u.a., dass die Liebe zu

Gott schöner wäre, wenn sie den Tadel der Menge hervorriefe.? Es gibt nur ein Ghasel in Hafis’ Dichtung (Buchstabe Nun, Nr. 385), das stellenweise eine ähnliche Gesinnung zeigt: Was meinen Weinkult betrifft: Mein Bild habe ich auf Wasser gemalt, um das Bild der Selbstvergötzung loszuwerden. Treu halten wir, erdulden Tadel und sind guter Dinge, denn für unseren Glaubensweg ist Ärgernis Unglaube.

Interpreten wie Horramsähi führen nun genau dieses Ghasel als Beweis für Hafis’ Zugehörigkeit zum malämatiye-Orden an.’ Horramsähi nennt noch ein weiteres Ghasel (Buchstabe Mim, Nr. 333), jedoch ohne jeglichen Kommentar oder eine Begründung dazu zu liefern. Das oben angeführte Ghasel ist und bleibt das einzige Gedicht, in dem tatsächlich eine ähnliche Auffassung wie die des malämatiye-Ordens vertreten wird. Womöglich stand Hafis in einer seiner Entwicklungsphasen unter dem Einfluss des Ordens; möglich, dass es einen Zusammenhang mit der Verbrennung seiner Sufi-Kutte als Symbol für Heuchelei gab, damit er ein „wahrer“ Mystiker (Aref) werde. Dies darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, er sei immer und sein ganzes Leben lang Anhänger der malämatiye gewesen und habe den Tadel gesucht. 1

Abolhassan Hogwiri: Kasf al-Mahgub. Hrsg. von Valentin Schukovski, Leningrad

2

Vgl. Ragayi Bohäräyi, a.a.O., S. 444.

1926, S. 218 f.

3

4

5

Nagm ad-Din Räzi: Mersäd al ‘Ebad. Ausgewählt und hrsg. von Mohammad-Amin Riyähi. 17. Aufl. Teheran 2006, S. 72. Übersetzung von mir. Hafis-Wohlleben, 494.

Bahä‘ed-Din Horramsähi: Hafez-nadme [Kommentar zu den Ghaselen des Hafıs]. Bd. 2, 16.Aufl., Teheran 2006, 5. 1090ff. Mehr dazu s. Manucehr Mortezawi: Hafez

wa Masrab-e malämati wa galandari. Maktab-e Häfez. Teheran 1965, S. 113-148.

86

Das Gegenteil ist der Fall: Hafis hat sich fast überall nachgerade über den Tadel von Seiten der anderen beklagt: ,Tadele mich nicht we-

gen meiner Trinkerei...“ (S. 81), „Mach mir Trunkenbold wegen meines Schwarzbuches keine Vorwürfe...” (S.140), „Tadle nicht die Freigeister, o Frömmnler...” (S. 141): Welcher Tadel sollte den treffen, der so (wie ich) Wein trinkt, was für ein Makel soll an dieser kleinen Unvernunft haften, warum ist das ein (Charakter-)Fehler?

Ein Weintrinker, dem keine Verstellung und Heuchelei anhaftet, ist besser als ein Tugendprahler voller Verstellung und Heuchelei.!

Darüber hinaus akzeptiert er nicht nur den bei malämatiye so existentiellen Tadel nicht, sondern er vergleicht ihn sogar mit einem Dorn: ,Und wenn der Frömmler uns Dornen des Tadels in den Weg legt ...* (S. 472). So will er sich von den Lästerreden der Leute befreien: O Herr, erfinde einen Grund, dass der Freund heil zu mir zurückkehrt und mich von den Lästerrede (der Leute) befreit.? 3. , Fadel” (malamat

‎‫ (ملامت‬ist ein üblicher mystischer Terminus, den Ha-

fis bisweilen, wie andere gebräuchliche Termini auch, verwendet hat. Man findet ihn in den Schriften von vielen anderen Mystikern, ohne dass man sagen kônnte, sie seien zwangslaufig Anhänger des malamatiye-Ordens. Die Besonderheit Hafis’ liegt in seinem Freigeist und in seinem Selbstbewusstsein: Ob ich Wein trinke oder nicht, wen geht das an? Ich bin der Hafis? meines Geheimnisses und der Aref 4 meiner Zeit.>

Es kann nach der Zusammenschau aller Belege recht sicher davon ausge-

ON‫‏‬

‫حير‬

‫صنل‬

NN‫‏‬

‫بم‬

gangen werden, dass Hafis sich keinem Orden unterwarf, sich wohl aber dichterisch mit ihnen auseinandersetzte. Hafis-Wohlleben, S. 82. Hafis-Wohlleben, S. 157.

Hafis bedeutet (wörtlich) Bewahrer.

Aref bedeutet (wörtlich) Erkennender, wissend.

Hafis-Wohlleben, 5. 435. Wohlleben hat diesen Vers sinngemäß übersetzt: „Ich bewahre mein Geheimnis und begreife meine Zeit.” 87

1.5 Hafis und die Knabenliebe Hafis geht es in seiner Dichtung - wie in den bisherigen Erläuterungen bereits dargelegt - sowohl um die himmlische als auch um die irdische Liebe. Wie allgemein in der klassischen persischen Poesie finden sich in Hafis’ Gedichten hyperbolische Beschreibungen der Geliebten und auch so manche erotische Darstellung. Was aber in Hafis’ Dichtung kaum Aufmerksamkeit

findet und

infolgedessen

selten thematisiert

wird,

ist

die „Knabenliebe” in seinen irdischen Liebesgedichten. Da es im Persischen keine Genera gibt und für „sie“ und „er“ das gleiche Personalpronomen (u ,!) verwendet wird, ist bisweilen schwer zu erschließen, ob ein

Dichter eine Frau, einen Mann oder Gott meint. Der Leser vermag lediglich aus dem Kontext und über verwendete Begriffe das Geschlecht des Adressaten zu ersehen. Nennt der Dichter kein Geschlecht, denkt der Leser von Hafis’ Ge-

dichten üblicherweise an eine Frau. Wenn aber der angesprochene Geliebte als Mann erkennbar ist, wird er für Gott gehalten. Außerdem begegnet der Leser noch der Liebe zu Knaben, die normalerweise in allegorischer Bedeutung als eine Metapher für die mystische Liebe interpretiert wird. Manche Liebesgedichte hinwiederum, die dem Anschein nach eine Frau ansprechen bzw. einer Frau gelten, sind entweder an fürstliche Gönner gerichtet - was für Hofdichter wie Hafis und allgemein in der klassischen persischen Poesie herkömmlich ist - oder sie sind auf Knaben gedichtet. Folgende Liebesverse beispielsweise könnten auf eine Frau gedichtet sein: O du, von dessen leuchtendem Antlitz die Strahlen des Schön-

heits-Mondes (ausgehen),

der (Gesichts-)Glanz der (absoluten) Schönheit (stammt) aus deiner Kinn-Grube. ]...[

Den Wunsch, dich zu sehen, hat die Seele, die bis zur Lippe aufgestiegen ist;!

soll sie umkehren oder herauskommen, was ist dein Befehl??

1 2 88

Mit „die Seele, die bis zur Lippe aufgestiegen ist“ ist die „Seele“ gemeint, „die kurz davor steht, den Leib zu verlassen.” s. Hafis-Wohlleben, S. 64. Ebd.

Diese Zeilen sind aber eindeutig an einen Herrscher, wahrscheinlich an Sah Yahya, den Herrscher von Yazd (Nachbarstadt von Schiras) gerichtet.! Woher erschließt sich nun diese Eindeutigkeit? Sie erschließt sich aus einer noch anderen Lesart von Hafis’ Gedichten und die hat mit der bereits angedeuteten ,Knabenliebe” zu tun.

In Hafis’ Dichtung ist an keiner Stelle die Liebe zu einer bestimmten Frau nachzuweisen, trotzdem werden üblicherweise Gedichte wie das oben genannte oder sogar die mystischen Liebesgedichte an den gôttlichen Ursprung fiir Liebesgedichte an Frauen gehalten. Es finden sich jedoch keine besonderen Merkmale, die auf die Liebe zu einem Madchen hindeuten kônnten. Dagegen gibt es zahlreiche direkte und indirekte Erkennungszeichen von Liebe zu realen heranwachsenden Jungen in Hafis’ Dichtung.

Bevor ich aber die Darstellung der erotischen Beziehung in Hafis’ Dichtung erörtere, versuche ich zunächst den Ursprung homoerotischer Motive in persischer Literatur und die Rolle der Lehren des Koran in diesem Zusammenhang zu erklären. Die Liebe zu Knaben und zu jungen Soldaten war insbesondere ab

dem 10. Jh., als die türkischstämmigen Herrscher das Land regierten, ein

häufiges Motiv der Dichtung.” Außer den Herrschern, die ständig Knaben zur erotischen Vergnügung um sich hatten, kauften sich Wohlhabende, unter ihnen auch Dichter, Kinder-Sklaven für erotische 3 Der homosexuelle Umgang mit den Jungen war dermaßen zur Normalität geworden, dass so mancher Dichter seine erotische Neigung offen darstellte, wie das u.a. in den Versen von Farrohi (10./11. Jahrhundert) unverhohlen der Fall ist: Ich mag das Kind mit silbernem Körper? und Rubinenherz. Wenn du ein solches Kind siehst, gib mir Bescheid! Wie schön war es früher, als solche Kinder in meinem Wohnhaus waren, 1 2 3 4

S. Qäsem Gani, a.a.O., Bd.1 [Geschichte der Hafis-Zeit]. 2007, S. 466. Vgl. Sirus $amisä: Sähed-bäsi dar adabiät-e farsi [Männliche Homosexualität in persischer Literatur]. Teheran 2002, S. 44ff. Ebd. Weiße/helle Haut mit Silber zu vergleichen ist in der klassischen persischen Poesie eine übliche rhetorische Figur, weil helle Haut als schön galt. 89

die Kinder mit silberner Brust und goldener Kleidung,

mit weißem (hellem) rundem Hinterteil wie eine Fülle von Jasminblüte.! ‫دوست دارم کودک سیمین بر بیجاده دل‬

‫هركجا ز ايشان یکی بینی مرا آنجا طلب‬

‫ای خوشا زین پیشتر اندر سرایم زین صفت‬

‫کودکان بودند سيمين سینه و زرین سلب‬

‫با سرین‌های سپید و گرد چون تل سمن‬

So mancher der Dichter beklagt, dass die Knaben der Bartwuchs einsetzt. In den folgenden Versen mervoll, wie sich die zwei hellen schönen zwei gen (silbernes Gesicht) seines Knaben durch den in zwei dunkle Nächte verwandeln:

erwachsen werden und beschreibt Farrohi kumMonden gleichen Wanbeginnenden Bartwuchs

Die Wange meines (Geliebten) mit dem silbernen Gesicht wurde schwarz;

Aus zwei Seiten des Mondes treten zwei dunkle Nächte hervor. Sein Alter ist noch nicht über fünfzehn, sechzehn,

Wie kann ich (nun) sein Gesicht (wieder) blicken, das wie

schwarzes Silber geworden ist. [...] Wenn ich sein Gesicht sehe, tropft Blut aus meinem Herzen; ?

Voller Leid konnte ich nicht mehr ertragen, sein Gesicht zu sehen.?

‫ان سمن عارض من کرد بناگوش سياه‬ ‫دو شب تیره برآورد ز دو گوشه‌ی ماه‬

‫سالش از پانزده و شانزده نگذشته هنوز‬

> ‫چون توان دیدن آن عارض چون سیم‬

PS‫‏‬

‫بچکد خون زدل من جو به رويش‬

‫نتوانستم کرد از درد بدان روی نگاه‬

Das Knabenmotiv wurde in Liebesgedichten der persischen Poesie noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet, u.a. von Iraÿ Mirza, einem 1 2

Abolhassan Farrohi Sistäni: Diwan. Hrsg. von Dabir Siäqi. 2. Aufl. Teheran 1970, S. 4, Ubersetzung von mir. Gemeint ist: sehr traurig sein, Kummer haben.

3 Farrohi Sistäni; a.a.O., 5. 359. Übersetzung von mir. 90

bekannten Dichter der sog. konstitutionellen Epoche,! der voller Ironie dichtet: Damit die Leute mich nicht mehr tadeln, was ich mit dem fremden

Jungen mache,

heirate ich seine Mutter und werde so sein Vater.? ‫تا نگویند ترا با پسر غير چکار‬ ‫مادرش را به زنی گیرم و كردم پدرش‬

In der persischen Poesie finden sich etliche Verse über Soldaten als Geliebte, besonders im 10. und 11. Jahrhundert, als die türkischstämmige Dynastie der Qaznaviden das Land regierte. Liebesbeziehungen zu Soldaten,

und

im

Besonderen

zu türkischen

Soldaten,

die

eine

helle

Haut

(Merkmal der Schönheit) besaßen, waren häufig. Die Neigung zu heranwachsenden türkischen Jungen als schönen Menschen war derart verbreitet, dass nach und nach das Wort

tork (Türke) für die „Schönheit“

metaphorisiert wurde. Als beredtes Beispiel für die Liebesgedichte an Soldaten mögen folgende Verse dienen: Das Heer ist fortgezogen und damit auch jener heerbrechende (heerbesiegende) Geliebte.

Möge man sein Herz niemals an einen Soldaten verlieren.’ [...] Mein Geliebter ist ein Bogenschiitze mit zwei Pfeilen, von denen das Herz, im Frieden wie im Krieg, verwundet wird:

In Friedenszeiten verwundet er mein Herz durch den Pfeil seiner

Wimpern;

In Kriegszeiten das Herz der Feinde durch den Pfeil aus Pappel.?

‎‫برفت‬

‫شکن‬ ‫ر بت‬ ‫شفتکو أن‬ ‫ل بر‬ ‫لشکر‬

‫ به لشکری‬Jo‫‏‬

]...[

‫هر گز مياد که دهد‬.

Pm

‎‫ دیا‬NN

‎‫نمم‬

‫مان کشی ست بتم با دو گونه تير بر او‬ ‫وز أن دو گونه همى دل خلد به صلح و به جنگ‬ Die konstitutionelle Revolution breitete sich im Jahre 1905 aus.

Siehe Samisä, a.a.O., S. 55. Übersetzung von mir. Farrohi; a.a.O., 5. 208. Übersetzung von mir.

Ebd., S. 212. Ubersetzung

von mir. Das Holz einer Pappelart (Persisch:

hadang

‎‫ (خدنگ‬war wegen seiner Härte bekannt und eignete sich zum Herstellen von Pfeilen und Speeren. 19

‫به وقت صلح دل من خلد به تير مزه‬ ‫دشمنان به تير خدنگ‬

‫دل‬

‫جنگ‬

‫وقت‬ ‫به‬

Das Bild des Geliebten als Soldat oder der soldatische Geliebte findet sich

in Hafis’ Dichtung tibrigens ebenfalls:

Ein soldatischer Gôtze! hat mir das Herz geraubt und sich davon gemacht. O weh, wenn mich das Wohlwollen des Schahs nicht rettet. 2

In folgenden Versen von Hafis wird deutlich, dass der Geliebte ein Mann, ein junger Soldat, sein muss. Dies nicht nur aufgrund seiner Tat (Tôtung), sondern vielmehr wegen des Schwerts, das er trägt: Die Tötung dieses Geschwächten? durch dein Schwert war keine Gottesfügung, ansonsten hat dein gnadenloses Herz ja keinen Fehler begangen.‘ Außer dieser soldatischen Tradition in Verbindung mit der Liebesbeziehung zu Knaben gibt es eine weitere relevante Grundlage für die Knabenliebe in der persischen Gesellschaft, besonders bei Mystikern wie Ha-

fis. Ein nis für sich in tischen

schöner Knabe - so die Auffassung der Mystiker - war das Zeug„Allah, der selbst schön sei und Schönheit liebe. 5 Er verkörpere schönen Menschen.® Manche Mystiker versuchten ihre homoeroBeziehungen zur Jünglingen durch ein hadis’ zu rechtfertigen, in

dem Mohammed

verkündet: „Ich sah meinen Herrn in der Gestalt eines

schönen Jünglings.”? Zurück ging die Auffassung nicht unwesentlich auf Anhänger der Lehre von Abu Holmän, dem bekannten persischstämmigen Mystiker aus Damaskus im 9. Jahrhundert.

SA ON ‎‫ حير‬W

N

1

8

D.h. der soldatische Geliebte, der schöne Soldat. Solche Wortbindungen wurden auch als Metapher für Grobheit oder Untreue des Geliebten verwendet. Hafis-Wohlleben, S. 401. D.h. meine Tötung. Hafis-Wohlleben, S. 297. |

arabisch: ‎‫ جمیل و بحب‌الجمال‬Wi

Vgl. Samisä: a.a.O., 5. 98. hadis (hadith): überlieferte Aussprüche und Legenden Mohammeds, des islamischen Propheten. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 412

In der persischen mystischen Literatur wurde das Wort Sahed oft verwendet. Es bedeutet im eigentlichen wörtlichen Sinne „Zeuge“. Im neuen Kontext erhält es die Bedeutung von „schöner Knabe“ oder im Allgemeinen von „der Schöne“. Ein schöner Knabe

sei mithin ein „Zeuge

oder ein Beweis für Gottes Schönheit. Wie die platonische Liebe nach dem Verständnis oben erwähnter islamischer Mystiker eine reine Liebe ist, ist es auch die Homosexualität (d.h. die körperliche Liebe zwischen

zwei Männern). Die Liebe zu Knaben ist eine Art Übung, mittels der die

Mystiker sich auf die „wahre“ (göttliche) Liebe vorbereiten kônnen.! Die Mystiker glaubten, „scheinbare Liebe” (irdische Liebe) sei eine Brücke zur „wahren

Liebe“

(göttlichen

Liebe).

Der persische

Mystiker

Gämi,

über den Goethe in seinem Divan in Noten und Abhandlungen geschrie-

ben hat,? erklärt die Verbindung zwischen Gott und Schönheit wie folgt: Die Liebe zur (irdischen) Schönheit ist ein Zeichen von Liebe zur Vollkommenheit (Gottheit), weil die Schönheit ein Strahl der Voll-

kommenheit ist, nach der die Mystiker streben.?

Die Anhänger des Abu Holmän knieten vor den Schönen nieder und beteten diese an: sie waren die Offenbarung Gottes.” Da zu damaliger Zeit die Frauen in islamischen Ländern in der Öffentlichkeit nicht ohne Schleier zu sehen waren, blieb den Mystikern tatsächlich nichts anders als vor der Schönheit junger Männer niederzuknien. Obgleich Homosexualität nach islamischen Gesetzen streng verboten ist,° verspricht der Koran etwas, das auch als Begründung für die Auffassung der Mystiker erscheinen kann: Im Koran ist von weldan ‎)‫ بولدن‬Pl. von ‎‫ = ولد‬Kinder, Knaben) und gelman ‎)‫غلمان‬, Pl. von ‎‫ = غلام‬Knechte, Jünglinge) im Paradies die Rede, die zur Vergnügung der „tugendhaften Gläubigen“ zur Verfügung stehen. Die Schönheit dieser paradiesischen Knaben wird im Koran mit Perlen verglichen:

‫تخ‬ ‫ين لير‬ an‫‏‬

‫نم‬

17 Die Gottesfürchtigen befinden sich (dereinst) in Gärten und (in Vgl. ebd, S. 14f.

arabisch:‫‏‬

‫المجاز قنطرة الحقيقة‬

Siehe Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 162.

In: Raÿäyi Bohäräyi, a.a.O., 1985, S. 336. Übersetzung von mir. Vgl. Samisä, a.a.O., 5. 98.

Siehe Koran; Sure 7, Die Höhen. Verse 80 u. 81, S. 115. Auch Sure 15, Al-Hidschr, Verse 67-72,5. 185 u.a.

93

einem Zustand der) Wonne. [...] 23 Sie greifen in ihm (d.h. im Pa-

radies) (einer um den anderen) nach einem Becher (mit Wein), bei

dem man weder (betrunken wird und dummes Zeug) daherredet

noch sich versiindigt. 24 Und Burschen, die sie bedienen, (so vollkommen an Gestalt) als ob sie wohlverwahrte Perlen wären,! [...]

19 Ewig junge Knaben machen unter ihnen die Runde. Wenn du

sie siehst, meinst du, sie seien ausgestreute Perlen.?

In den folgenden Versen eines Ghasels von Hafis ist von einem Schönen (Sähed) die Rede, der noch ein „Kind“ ist, womit die „Reinheit“ der Liebe im Sinne des Mystizismus nachgewiesen wird: Mein Herzräuber ist ein Schöner [5ähed] und (doch noch) ein

Kind, und im Spiel eines Tages

wird er mich jämmerlich töten und (doch) dem (religiösen) Gesetz

nach unschuldig sein. Einen vierzehn Jahre alten Abgott?, geschmeidig - süß, habe ich, dem aufs (ganze) Leben der vierzehn Tage alte Mond versklavt ist. Milchduft kommt aus seiner Zuckerlippe hervor, obgleich Blut fließt durch den Schelmenblick seines schwarzen Auges.? Mystiker wie Rumi, Ibn Arabi, Sohrawardi, Hogwiri u.a. sind gegen diese Mystiker und empfinden vor homoerotischen Beziehungen Abscheu. In seinem bekannten Werk über Sufismus schreibt Hogwiri (11. Jahrhundert):

Junger Männer anzusehen und mit ihnen zu verkehren, sind verbotene Praktiken, und jeder, der sie für erlaubt erklärt, ist ein Un-

glaubiger.°

aD

‎‫نم‬

In seinem bekannten mystischen Gedichtband (Masnawi ma’nawi Geistliche Gedichte)® erzählt Rumi besonders im 2., 5. und 6. Buch einige Ge-

6

49

Der Koran; Sure 52, Der Berg, S. 371.

Ebd., Sure 76, Der Mensch, S. 416. „Abgott“ symbolisiert den schönen Geliebten. Hafis-Wohlleben, S. 374

Hogwiri: Kasf al-Mahÿub. S. 549. Übersetzung ins Deutsche Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 412.

von Schimmel,

in:

Was ich hier als „Gedichte“ übersetzt habe, ist eigentlich eine besondere Gedichtform (masnawi

‎‫(مخنوی‬, bestehend aus zwei sich reimenden Halbversen.

schichten

über

die

,Unsittlichkeit”

und

„Hässlichkeit”

der

homoeroti-

schen Beziehung zu Männern. Er kritisiert diejenigen, die „die Mondgesichter“ (die schönen Menschen)

für ein „Bild der Gottheit“ halten. Ein

solcher „Glaube“ gilt ihm als „Falle für erhabene Mystiker”.!

Im Allgemeinen ist die Knabenliebe bei Hafis eine irdische erotische Vergnügung. Er hat das Wort 56264 (der Schöne) 38-mal verwendet und gebraucht es überwiegend im erotischen Sinne in Verbindung mit Knaben: Wie will jemand Geschmack an den Früchten des Paradieses finden,

der nicht einmal in das Kinngriibchen? eines Schönen [Sahed],

gebissen hat? [...] 3 Mein Herzräuber ist ein Schöner [Sahed] und (doch noch) ein Kind

[...].

Ein weiterer in diesem Zusammenhang nennenswerter Begriff ist das Wort Magierknabe (mogbace ax... ) - ein schöner Knabe, der als Schenke in Weinhäusern tätig war. Da alkoholische Getränke für Muslime verboten waren, wurden Weinhäuser ausschließlich von Zarathustriern (Magi-

ern) und Christen betrieben. Deswegen spricht Hafis vom „weinpflegenden Christenknaben” als dem Geliebten.? Die Weinhäuser waren normalerweise den Männergesellschaften vorbehalten, nicht Frauen bedienten dort, sondern Männer bzw. Jünglinge. In Hafis’ Dichtung kann deswegen Schenke in Verbindung mit Weinhäusern nur einen Knaben meinen und steht mit erotischem Verlangen in Zusammenhang. Hafis hat mogbace (Magierknabe) insgesamt achtmal mit erotischem Nebensinn verwendet, was auf eine homoerotische Neigung schließen lässt. Aus frommer Enthaltsamkeit hatte ich zuvor nie Wein und Musikanten beachtet;

1

Jalal ad-Din Rumi (Molawi): Masnawi-ye ma nawi. Hrsg. von Reynold A. Nichol-

son. 9. Aufl. Teheran 1983, 5. 4: ‎‫عکس مه‌رویان بستان خداست‬/ ‫أن خیالاتی که دام اولیاست‬ 2 ,Kinngrübchen“, das hier als Anspielung für Früchte (Apfel?) steht, ist ursprünglich das Merkmal der Schönheit in der klassischen Literatur Persiens.

3

un

4

Hafis-Wohlleben, S. 308

Ebd., S. 374. Siehe Ghasel dal, Nr.119/8 (Hafis-Wohlleben, S. 190). 95

die Leidenschaft für die Magierknaben hat mich auf das Eine und das Andere gebracht.! Oder:

Wenn der Wein verkaufende Magierbube solchen Glanz entfacht, will ich zum Staubbesen vor der Tavernentiir meine Wimpern machen. [...] ? Ein Magierbube ging voriiber, ein Rauber von Glaube und Herz, dem folgte er treu ergeben, allen anderen (plötzlich) entfremdet.° Schöne Knaben als Schenken befinden sich - wie schon gesagt - auch im islamischen Paradies. Der Koran verspricht, dass „unsterbliche Jünglinge” im Paradies zur Verfügung gestellt würden, die dort Wein einschenken,

wird:

von dem

man

weder

„Kopfschmerz“

bekommt

noch

„betrunken“

11 Sie [die tugendhaften Muslime] sind es, die (Gott) nahestehen, 12 in den Gärten der Wonne. [...] 17 während ewig junge Knaben unter ihnen die Runde machen 18 mit Humpen und Kannen (voll

Wein?)>

und

einem

Becher

(voll) von

Quellwasser

(zum

Beimi-

schen?), 19 (mit einem Getränk) von dem sie weder Kopfweh bekommen noch betrunken machen (Variante: werden).’

۸

‫دیا‬

‫تخ‬

=

Vermutlich hat Hafis folgende Verse an Anlehnung an oben genannten Koran-Vers gedichtet:

5

Ebd., S. 71. Hafis- Wohlleben, S. 58.

Ebd., S. 242.

Obwohl alkoholische Getranke nach dem islamischen Gesetz streng verboten sind, werden sie im „Paradies“ ausgeschenkt! Das Original: „fließender Wein“ (S. 535). Wie der Koran lehrt, fließt der Wein im Paradies in Bachen, wie Wasser, Milch und Honig: ,15 Das Paradies, das den Gottesfürchtigen versprochen ist, ist so beschaffen: In ihm sind Bache mit Wasser, das nicht faul ist, andere mit Milch, die (noch) unverandert (frisch) schmeckt, andere mit Wein, den zu trinken ein Genuß ist, und (wieder) andere mit geläutertem Ho-

6 7 69

nig.” Koran; Sure 47, Mohammed, S. 358. D.h. Wein. Der Koran; Sure 56, Die hereinbrechende Katastrophe, S. 380.

Einen Wein ohne Katzenjammer schenke mir, o Herr, mit dem kein Kopfweh einhergeht.! Das folgende

Ghasel

(Buchstabe

be, Nr.14), in dem

ausschließlich von

Vergniigungen und der Liebe zum Schenken oder dem Schönen die Rede ist, zeigt eine typische Mannergesellschaft entweder in einem Weinlokal oder bei einem privaten Fest: Das Haus ist still und der Schenke gewogen und der Sanger voller Witz, es ist die Jahreszeit der Lebenslust und der Becher-Runde und die

Epoche der Jugend.

]...[ Der Schöne und der Sänger schleudern die Hande,? die Zecher stampfen auf,”

der schelmische Blick des Schenken hält vom Auge der

Weinverehrer den Schlaf fern.4

Uberdies gibt es Gedichte von Hafis, in denen er unverhohlen und direkt von seiner Liebe zu Knaben spricht. In folgenden Versen z.B. wird das Wort „Knabe“ in der Bedeutung von ,,Geliebter’ verwendet: Wecke mich, um Gottes Willen, nicht aus dem Schlaf, ich habe solch schône Freude an seinem Traumbild. Wenn jener süße Knabe mein Blut vergieft, o Herz, so halte das für geradeso statthaft wie Muttermilch.’ Hafis spricht etliche Male von seinem vierzehnjahrigen Geliebten: Wein von zwei Jahren und ein Liebling von vierzehn Jahren

das genügt mir als Gesellschaft von Klein und Groß. ®

oO

WN‫‏‬

‫حير‬

©

‫ده‬

‫مم‬

In der Folge werde ich darlegen, wie die Verse in der Interpretation etlicher Forscher verstanden werden und wie sie damit ein beredtes Beispiel fiir das Missverstandnis Hafis’scher Poesie in Verbindung mit Liebesgedichten sind. Im Persischen (s. vorn) gibt es kein grammatisches GeHafis-Wohlleben, S. 234. D.h.: tanzen. (im Tanz). Hafis-Wohlleben, S. 67. Ebd. Hafis-Wohlleben, S. 364. Ebd., S. 337.

97

schlecht und wenn der Dichter nicht genau bezeichnet, von welchem Geschlecht er spricht, halten seine Leser den Geliebten/die Geliebte automatisch für ein Mädchen/eine Frau. Hammer z. B. hat die oben genannten

Verse (Wein von zwei Jahren ...) wie folgt übersetzt:

Wein von zwey und Madchen von vierzehn Jahren Sind mein Umgang, Alte und Junge sprech’ ich.! Hammer

kommentiert dazu:

Der Wein von Schiras halt sich vermuthlich nur auf sehr kurze Zeit, weil hier zweyjahriger Wein zur Ehre des Alters kommt; indessen lasst sich das Alt und Jung sowohl auf Wein als auf Mad-

chen anwenden,

indem der alte Wein von zwey Jahren doch im-

mer noch um zwölf Jahre jünger ist als ein junges Madchen von vierzehn, das im Gegensatz des zweyjahrigen Weines als alt erscheint.? Hammer irrt: Mit dem vierzehnjährigen Liebling ist definitiv ein „Knabe von vierzehn”, nicht ein Mädchen gemeint, „klein“ oder „jung“ beziehen sich auf den Knaben. Und es ist der Wein mit „groß“ oder „alt“ gemeint;

denn damals glaubten die Menschen, Wein reife innerhalb zweier Jahre.?

Hafis möchte zwei Freunde, alte und junge, bei sich haben. Wie wir Hafis Vorliebe und seine Hochschätzung des Weines inzwischen kennen, ist Wein für ihn mitnichten „klein“ oder „jung“, sondern „groß“ oder vielmehr: ,alt/reif".4 In einem weiteren Gedicht - es sei zur Bekräftigung herangezogen - sucht der vierzigjährige Hafis als reifer Mann die Lösung seiner Qual im zweijährigen Wein als einem Reifen/Weisen: Vierzig Jahre habe ich mich in Mühe und Qual dahingeschleppt, und schließlich 1 2 3

Hammers Hafis-Übersetzung, S. 450. Hervorhebung von mir. Ebd. Vgl. Hosseyn-Ali Herawi: Sarh-e gasalhä-ye Häfez [Kommentar zu den Ghaselen

4

Frömmler versuchen diese Verse irgendwie mit dem Islam in Einklang zu bringen: Sie meinen, dass mit dem „Wein von zwei Jahren” der „Koran“ gemeint sei, weil dem Propheten der gesamte Koran innerhalb von zwei Jahren offenbart wurde. Mit „Liebling von vierzehn Jahren” sei der Prophet (Mohammed) selbst gemeint, weil 4 mal 10 = 40 das Alter ist, in dem Mohammed das Prophetentum erreichte. Vgl. Herawi, a.a.O., Bd. 2, S. 1069. Übersetzung von mir.

98

des Hafıs). Bd. 2, 7. Aufl. Teheran 2007, S. 1068.

zeigte sich die Lösung für mich anhand des Weins von zwei Jahren.! Zieht man den Gesamtcharakter dieses Ghasels (Wein von zwey...) in Betracht,

wird

das

männliche

Geschlecht

des

Geliebten

deutlich.

Hafıs

spricht nämlich nicht nur von der Liebe zu ,Junggesichtigen”, womit Jünglinge gemeint sind, sondern hat bereits im Vers davor den „Schmeichelblick des Schenken” betont. Der Schenke - wie bereits erwähnt kann nur ein Knabe sein: Im festen Entschluss zur (Wein-)Entsagung habe ich den Becher schon hundertmal aus der Hand gelegt, doch der Schmeichelblick des Schenken hat (jedes Mal) sein Ziel nicht verfehlt. [...] Erkennt den Gewinn eines Liebesbundes mit Junggesichtigen; im Hinterhalt des Lebens liegt die Tücke der alten Welt.? Hafis ist ironisch, wenn er schreibt, dass er durchaus dem Wein entsagen

wolle, die Liebe zum jungen Schenken

ihn jedoch wieder zum Trinken

gebracht habe. Seine Erkenntnis legt er in den Rat, man solle die Liebe der Jungen gewinnen, solange man noch nicht alt sei - und wünscht sich einen Liebling von vierzehn Jahren. Wir haben es hier mit einer für Hafis typischen Wein-Schenke-Knabenliebe-Relation zu tun. In einem anderen Gedicht spricht Hafis wiederum vom sähed (dem

Schönen), auch hier ist es ein Knabe von 14 Jahren: „Mein Herzräuber ist

ein Schöner [Sahed] schmeidig - süß,[...]"*

... / Einen

vierzehn

Jahre

alten Abgott,? ge-

D

W

‎‫زح‬

‫نم‬

Wenn nicht moralische Gründe hinter den Fehldeutungen der Verse von Hafis durch Interpreten oder Übersetzer stehen, dann zeigen ihre Kommentare bzw. Übersetzungen ihre Unwissenheit über die richtige Bedeutung der Begriffe. Bei der Übersetzung von Poesie ist es nicht nur notwendig die Sitten und Gebräuche einer Gesellschaft zu kennen, sondern der Übersetzer Hafis-Wohlleben, S. 292. Ebd., S. 337. Abgott symbolisiert den schönen Geliebten. Hafis-Wohlleben, 5. 374. Hervorhebung von mir. 99

muss nachgerade auf scheinbare Kleinigkeiten wie z.B. Kleiderordnung oder Art der Frisur achten. Im Fall der Hafis-Ubersetzungen ist dies mehr als relevant: Heute ordnet man Wôrter aus der klassischen persischen Poesie wie z.B. Haare/Locke (zolf ‎‫(زلف‬, Rock/Rockzipfel (däman ‎‫(دامن‬, Schönheitsmal (hal J&), Schenke (sägi ‎‫ ) ساقی‬u.a. automatisch Frauen zu, früher verwen-

deten Dichter sie, um Männer zu beschreiben.! D.h. überall dort, wo Hafis diese Wörter verwendet, ist ein männlicher Geliebter gemeint.

Spätestens beim Auftauchen des Wortes hat ‎)‫ (خط‬zerstreut sich jeglicher Zweifel, dass Hafis eine Frau gemeint haben könnte. hat bedeutet im heutigen persischen Sprachgebrauch „Strich, Linie, Schrift", wurde jedoch zu Hafis’ Zeiten zur Bezeichnung des „Bartflaums“ der heranwach-

senden Jungen verwendet.? In Hafis’ Dichtung kommt dieses Wort gemeinsam mit „Locke“ und „Muttermal/Schönheitsmal“ vor: O weh, in alle sechs Himmelsrichtungen ist mir der Weg blockiert, nämlich durch: Schönheitsmal und Flaum und Locke und Antlitz und Wangen und Wuchs. Hammer hat lediglich vier der sechs im Original stehenden Elemente übersetzt und den „Flaum” weggelassen.‘ So hat er aus einer Liebe zu einem Knaben eine Liebe zu einer Frau gemacht. Die folgenden Verse aus einem weltlichen Liebesgedicht von Hafis mögen ebenfalls ein Beispiel für die Liebe zu einem Knaben sein. Wäre das Wort „Flaum“” nicht, könnte man das Gedicht für ein Liebesgedicht an ein Mädchen halten: Ach, jede Form schön. Mein Herz wird beglückt. Wie ein frisches wie die Zypresse

an dir ist angenehm und am ganzen Leib bist du vom Reiz deiner zuckersüßen Rubinlippe Rosenblatt ist dein ganzes Dasein anziehend, des Paradiesgartens bist du von Kopf zu Fuß schön.

Dein Charme und Stolz sind süß, dein Flaum

erregend,

1 Vgl. Sirus Samisä; a.a.O., S. 10f.

2

und Schönheitsmal

Diese Bedeutung ist heute noch in abgewandelter Weise für Koteletten/Backenbart vorhanden (hat-eris ‎‫ ریش‬.)> 3 Hafis-Wohlleben, S. 157. 4 Siehe Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 163. 100

Auge und Braue sind dir reichgeschmückt, Wuchs und Statur hinreißend. ! Überdies gibt es auch ein Gedicht von Hafis, in dem er direkt namentlich von seinem Liebesknaben spricht; in diesem Liebesghasel geht es um einen Jungen namens ,Farrox”, der wahrscheinlich ein Sklave war.? Der Name dieses Jungen wird als Endreim des Ghasels 10-mal wiederholt: Mein Herz ist (befangen) in der Neigung zum Antlitz des Farrox, ganz wirr ist es wie das Haar des Farrox. ]...[ Reiche, o Schenke, den Wein, den roten, aufs Wohl der bezaubernden Narzisse? des Farrox [...]

Gern bin ich der Sklave eines jeglichen, der

wie Hafis ein Diener ist und Hindusklave des Farrox. 4

Meiner Erkenntnis nach sind Hafis’ irdische Liebesgedichte - wenn auch nicht alle, so doch überwiegend - auf Knaben oder allgemein auf Männer gedichtet. Diese homoerotische Haltung darf jedoch, aus Sicht der gegenwärtigen Bewertung, nicht zu der Annahme verleiten, Hafis und viele andere Dichter seien deshalb Päderasten gewesen. Wie bereits erörtert, waren die heranwachsenden Jungen, besonders die Sklaven, Liebesdiener. Diese Art Beziehungen wurden zur Normalität in der Gesellschaft. In Epochen

wie der Safaviden-Zeit (16.-18. Jahrhundert) waren

die ho-

moerotischen Beziehungen zu Kindern derart verbreitet, dass es öffentliche Freudenhäuser gab, in denen nur Knaben zu Diensten und die steuerpflichtig waren. Der französische Forschungsreisende Jean Chardin (1643-1713) berichtet aus dieser Zeit und von seinen Reisen nach Tabriz

und Irwan über Freudenhäuser und ,Teehäuser”, in denen Knaben zu erotischem Zwecke wie weibliche Prostituierte geschmückt und bekleidet 7

1

Hafis-Wohlleben, 5. 372. Hervorhebung von mir.

3

In der klassischen persischen Literatur ist ,Narzisse’ eine typische Metapher für

4 5

Hafis-Wohlleben, S. 164. Vgl. Samisä., a.a.O., S. 228.

2 Siehe Samisä, a.a.O., 5. 165. das schöne Auge.

101

1.6 Auseinandersetzung mit der mystischen Gesinnung

Was Hafis weiterhin eine Sonderstellung unter den Mystikern verschafft und ihm ein individuelles Gesicht verleiht, ist seine Auseinandersetzung

mit der Mystik selbst. Betrachtet man die bisher zusammengetragenen Ergebnisse, ergibt sich als Blick auf die weltanschauliche Ausrichtung von Hafis, dass er ein Mystiker ist, der im Laufe seines Lebens seine eigene Mystik entwickelte, d.h. die vorgegebenen Lehren transzendierte. Im Verlauf seiner Entwicklung verfasst er nun überwiegend Gedichte mit mystischer Bedeutung. So manche Stelle in seinem Werk jedoch gibt Anlass zu Zweifeln an seiner späteren Auffassung von Mystik, diesen werde ich in der Folge nachgehen. Zwei weitere wichtige Begriffe der Mystik seien dabei besonders untersucht: deren einer ist das von Hafis als glaubigem Mystiker verwendete habar ‎)‫(خبر‬, dessen eigentliche Bedeutung „Nachricht, Kunde, Neuigkeit, Ahnung“ ist. Die Übersetzer haben allerdings lediglich die übliche Bedeutung ohne jegliche Erklärung eingeführt, was erneut ihre Ahnungslosigkeit diesem entscheidenden Terminus gegenüber zeigt. HammerPurgstall und Rückert z.B. haben das Wort „Kunde“ und Wohlleben „Ahnung verwendet. Hammer-Purgstall hat an einer anderen Stelle, wahrscheinlich unter Einfluss von Sudis Interpretation, diesen Begriff gar völlig weggelassen. Er hat den zweiten Vers von einem Ghasel Hafis’, in dem von habar („Ahnung‘) die Rede ist („Mit dem Gegner besprich nicht die Geheimnisse der Liebe und des Rausches, / dass er, ohne Ahnung, dahinsterbe im Schmerz seiner Selbstsucht‘),! übersetzt: „daß er vergeh’ vor Gram, sterbe an selbstischem Sinn.“? Diese Übersetzung entspricht Sudis Interpretation, in der die mystische Deutung ausgeschlossen wird.? Habar ‎)‫ (خبر‬im mystischen Sinne ist keine einfache Nachricht/Ahnung, sondern darüber hinausgehend eine mystische Botschaft und be-

‫دح‬ mW‫‏‬

‫مر‬

deutet Erkenntnis des mystischen Pfades zur „wahren“ Liebe zu Gott.4 HaHafis-Wohlleben, 5. 539. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 863. Hervorhebung von mir. Siehe Sudi, a.a.O., Bd. 4, S. 2343.

Siehe Mahmud Human, a.a.O., 5.75 u. 359, auch N. Räzi: Mersäd al-‘Ebdad, a.a.O., S. 67.

102

fis empfiehlt während seiner mystischen Glaubenszeit den Konkurrenten „Inhaber der Ahnung”,! Eingeweihte also des Liebesweges zu werden: O du Ahnungsloser, strebe danach ein Inhaber der Ahnung? zu werden; solange du den Weg nicht gewandelt bist, wie willst du Wegführer werden.’ Damit deutet Hafis an, dass es ohne diese „Ahnung“ unmöglich ist, wie ein „Wegführer” die „wahre“ Liebe zu Gott zu erreichen. In anderen Versen

fordert Hafis von

seinen Genossen,

diese „Ah-

nung’, diesen Weg, als Geheimnis der Liebe nicht den Gegnern zu verraten:

Mit dem Gegner besprecht nicht die Geheimnisse der Liebe und des Rausches, dass er, ohne Ahnung, dahinsterbe im Schmerz seiner Selbstsucht.4 Diese Verse weisen darauf hin, dass Hafis ein Mystiker ist, der zu diesem Zeitpunkt seine eigene Mystik noch nicht entwickelt hat. Aber er, der einmal von anderen verlangte, „Inhaber der Ahnung“ zu werden, sagt in einem anderen Ghasel, dass er in die „Ahnungslosigkeit” geraten wolle: Da jede Nachricht, die ich hörte, ein Tor zu Konfusion aufstieß, will ich von nun an (nur noch) Freigeist sein und im Stand der

Ahnungslosigkeit verharren.

Komm, und wenn du den Welt-Zustand, wie ich ihn sehe,

prüfst, so wirst du Wein und nicht Kummer trinken.”

Da die Übersetzer die ersten Doppelverse in Verbindung mit dem mystischen Terminus nicht verstanden, konnten sie keine adäquaten Übertra1

Originalfassung (Persisch): saheb-e habar („=

‎‫(صاحب‬.

2 Wohlleben hat statt „Inhaber der Ahnung” „Wissender” übertragen, was eine andere Version der mystischen Bedeutung dieser Wortverbindung hervorruft. Rosenzweig-Schwannau hat dies „Licht des Wissens” übersetzt. s. RosenzweigSchwannau: Der Diwan des großen lyrischen Dichter Hafis im persischen Original herausgegeben, ins Deutsche metrisch übersetzt und mit Anmerkungen versehen von R. S., Wien, Bd.3, 1864.

3

4 5

Hafis-Wohlleben, S. 597. Hervorhebung von mir.

Ebd., S. 539. Hervorhebung von mir. Ebd. S. 557. Hervorhebung von mir.

103

gungen finden. Rückert, der bei so manchem Ghasel Verse „als störend übertragene“ oder als „unnötige Verse’ ausgelassen hat,! hat auch diese

wichtigen Verse, die für die Kenntnis der Weltsicht von Hafis relevant

sind, weggelassen. Die Übersetzung von Hammer-Purgstall bleibt dem Original nicht ganz treu. Wohlleben hat sonderbarerweise den Satz im Präsens übersetzt, obgleich das Original im Präteritum verfasst ist.? Hafis sagt hier, er sei früher so mit der Gottesliebe umgegangen, und wolle von nun an anders handeln. Der Ausdruck dieser Veränderung ist durch die Übertragung Wohllebens nicht gegeben. Er hat außerdem das Wort heyrat mit „Konfusion” wiedergegeben. Die eigentliche Bedeutung dieses Wortes ist „Erstaunen‘, aber da heyrat bei islamischen Mystikern eine Emanationsstufe ist, kann man auch ,Konfusion” oder „Verwirrung“ gelten lassen, weil der Eintritt in diese Stufe die Mystiker in der Tat in Verwirrung stürzt. An dieser Stelle gilt es nun den zweiten wichtigen Begriff in diesem Zusammenhang einzuführen: heyrat

‎)‫ (حیرت‬ist das Wort, das das „Tor zu

Konfusion”, in die jeder Mystiker früher oder später geraten wird, bezeichnet. Mit „Nachricht zu hören“ ist im o.g. Vierzeiler gemeint, „Ahnung zu erleben“ oder den „Liebespfad zu betreten“. Wir sehen hier Hafis in seinem Streben, den Weg der Liebe zu finden, jedes Mal? in Verwirrung geraten, so dass er sich schließlich nicht mehr damit beschäftigen will. Dies zeigt m.E. Hafis’ Hoffnungslosigkeit bzw. seine Verzweiflung am mystischen Weg, der wir übrigens auch an anderer Stelle begegnen. Einer Auslegung der mystischen Lehre nach verneint ein Mystiker seine vorige Emanationsstufe; d.h. wenn ein Mystiker eine höhere Stufe erreicht, lehnt er die vorherige, zu ihrer Zeit als „Wahrheit” angenommene, jetzt jedoch zu überwindende Stufe ab. Das auf einer Stufe ihm als „Wahrheit“ Erscheinende wird also später für unwahr erklärt.? Dieses wissend sind die zuvor zitierten Verse neu zu interpretieren: Weil habar (Ahnung) bei manchen Mystikern eine Emanationsstufe vor

EE

Wh

‎‫مم‬

der Stufe heyrat (Erstaunen, Konfusion, Verwirrung) liegt, hat hier Hafis Siehe Hafis; Übertragung von Rückert, a.a.O., S. 201. höre statt hörte (Senidam ps3): S. 557.

Vgl. „jede Nachricht, die ich hörte.“ Vgl. Paul Nwyia: Exege coranique et langage mystique. Beyrouth 1970. Übersetzung ins Persische von Esmäil Sa ädat. 1994, S. 15.

401

beim Erreichen der Stufe ,Konfusion die vorherige Stufe („Ahnung“ oder „Erkenntnis“) verneint.! Erachtet man diese Interpretation als akzeptabel, sind allerdings folgende Verse (s.u.) schwerlich wieder als eine Emanationsstufe oder überhaupt als mystische Lehre anzunehmen, weil diesmal direkt vom ,er-

sehnten Schatz“ (göttlichen Ursprung) die Rede ist:

O Jammer, dass ich mich bei der Suche nach der ersehnten Schatz-Skizze auf rieb vor aller Welt im vollkommenen Kummer, und nichts wurde daraus. Bedauern und Schmerz, wie ich auf der verzweifelten Suche nach dem Schatz der Herzensruhe

so oft als Bettler zu den Großmütigen zog, und es wurde doch

nichts daraus. Hafis als Mystiker, der danach strebt, die Liebe zu Gott zu erreichen, sich

mit ihm zu vereinigen, spricht verzweifelt über seine Versuche. Wie nun ist dies einzuordnen? Zwei weitere wichtige mystische Begriffe für „göttlichen Ursprung‘, nämlich den der „ersehnten Schatz-Skizze“ (ganÿname-ye magsud ‎‫ ( گنجنامه‌ی مقصود‬und der des „Schatzes der Herzensruhe“ (ganÿ-e hozur ‎‫ (گنج حضور‬sind bereits gefallen. Auch im folgenden Vers dieses Ghasels verzweifelt Hafis, diesmal an der Liebe insgesamt: In den Gau der Liebe setze ohne Weg-Führer nicht den Fuß,

ich habe meinerseits hundert Versuche unternommen, und nie wurde etwas daraus. Tausend Listen hat Hafis schon erdacht in der Absicht auf einen

schlauen Erfolg beim Bemühen, dass jene Geliebte? gefügig werde, aber es wurde nichts daraus.?

1

2 3

4

s.Kap. 1.3

Hafis-Wohlleben, S. 243. Hervorhebung von mir. Die Übersetzer merken unerklärlicherweise nicht, dass die persische klassische Poesie mit sehr vielen Metaphern oder symbolischen Figuren ausgestattet ist, dies insbesondere ab dem 11. Jh., als die Mystik sich verbreitet und die mystische Poesie entstand. Die Übersetzer übertragen die Wörter in ihren eigentlichen Bedeu tungen. Hier hat Wohlleben das Wort ,,negar“ mit „schönes Bild” übersetzt, obgleich das Wort in der persischen Literatur der Inbegriff der/des „Geliebten“ ist. Die Grundbedeutung „Bild oder „Skizze“ kann hier nicht gemeint sein. Hafis-Wohlleben, S. 243. 105

Hafis als Mystiker, der immer vom „Geheimnis des Rausches” und vom „Geheimnis der Liebe"! sprach, welche Gott als Unterpfand dem Adam verliehen hat, die seiner Ansicht nach der Wesenskern jedes Menschen sind,” findet er nunmehr alles „eine bodenlose Sache” und er will sich keine Gedanken mehr um den Himmel machen, will stattdessen die irdischen, realen Dinge genießen: Wein und Lebenslust geheim? was ist das? Eine bodenlose Sache. Ich schlug mich auf die Seite der Freigeister, es werde daraus, was will. Den Knoten löse vom Herzen, und um den Himmel schere dich nicht;

keines Geometers Grübeln hat (je) solchen Knoten gelöst. [...] Den Becher ergreife - wie Hafis - nur zum Klaggesang der Harfe, gebunden an den Seidenfaden der Lust ist das freudige Herz.’ Hafis, bis dahin leidenschaftlich bemüht, die Gottesliebe zu erreichen, gesteht in diesen Versen, dass seine Versuche vergeblich waren. In seiner Enttäuschung über das Gebot der Unaussprechlichkeit des Geheimnisses gibt er die Suche auf und zeigt mehr Neigung zu irdischer Freude. Ihm scheint das Geheimnis nunmehr unerreichbar: Sprich von Musikant und Wein, und dem Geheimnis der Welt suche weniger nach; niemand hat mit der Weisheit dieses Rätsel gelöst, noch wird es einer lösen.? Eine neue Phase in seiner Mystik ist erreicht, eine die der chajjamischen Weltsicht ähnelt: O Herz, du wirst das Rätsel die Einsicht der Wissenden begnüge dich hier mit Wein denn ob dich dort Seligkeit

nicht entwirren, wird dir verschlossen bleiben; und dem Becher der Seligkeit, erwartet, ist ungewiß.°

1 2

Das Wort „räz“ (Geheimnis) ist ein wichtiger Begriff in der mystischen Lehre. „Der Sufi erfuhr aus dem Strahl des Weins ein verborgenes Geheimnis, / den Wesenskern jedes Menschen kann man mit Hilfe dieses Rubins erkennen.“ Hafis-

3

Ebd., S. 166f.

Wohlleben, S. 108.

un

4

Hafis-Wohlleben, S. 50. "Omar Chajjam. In: Die schönsten Gedichte aus dem klassischen Persien. Uberset-

106

1.7 Hafis und Chajjam In der nun beginnenden Phase seiner Entwicklung, in der er seine Verzweiflung am mystischen Weg zeigt, spricht Hafis nicht langer über die Liebe, sondern tiber Weingenuss, Musik und andere Vergniigungen. In Verbindung mit Geliebten verwendet er selten das Wort „Liebe“. Tut er es doch, dann meint er die sinnliche Lust: Ich bin der Freund (jeglichen) schönen Angesichts und herzberückenden Haares, (stets) bringt mich aus der Fassung ein trunkenes Auge sowie unverpanschter Wein. [...] Ich bin ein Adam aus dem Paradies, jedoch auf dieser Reise ! bin ich zur Zeit der Gefangene der Liebe zu den mondschönen Jiinglingen.? Dergestalt enttauscht durchläuft Hafis eine weitere auf eine Art Nihilismus hinauslaufende Entwicklung: Frage nicht nach dem Grund, warum der Himmel den Niederträchtigen fördert; reine Wunscherfüllung ist ihm grundlos, Vorwand (Genug). [...]?

Die Welt und das Tun (auf) der Welt ist insgesamt ein Nichts im

Nichts; tausendmal hat sich mir diese Einsicht bestätigt.?

‫كر‬

‫زر‬

‫ده‬

‫سر‬

Dass es zu dieser Reaktion kommt, ist weder zufällig noch verwunderlich. In der persischen Literaturgeschichte stößt man in dieser Entwicklungsphase allenthalben auf den Einfluss des chajjamischen Hedonismus. ‘Omar Chajjam (1021/1048-1122/1131) ist ein sehr bekannter persischer Dichter, Mathematiker und Astronom, dessen Vierzeiler (robä’iyät) wegen skeptisch-frivoler Freigeisterei von den Geistlichen als Ketzerei verzung ins Deutsche von Cyrus Atabay. München 1998, S. 9. D.i.: im irdischen Leben (s. Hafis-Wohlleben, S. 430).

Hafis-Wohlleben, S. 430. Ebd., S. 65. Ebd., 5. 292.

701

dammt wurden.! Seine etwa 72 Vierzeiler, einzige von ihm erhaltene und überlieferte Poesie, handeln überwiegend von einer skeptischen Haltung und der Suche nach Lustgewinn und Sinnengenuss: Wie lange soll ich Ziegel häufen auf das Meer, überdrüssig bin ich der Gôtzenbilder und der Tempel. Chajjam, wer sagte, dass es eine Hölle gibt? Wer stieg zur Hölle, wer kam wieder aus dem Paradies?

[...]? Trink Wein, denn das Firmament führt deine und meine Zerstörung im Schilde; setze dich ins Grün und trink klaren Wein, denn dieses Gras wird reichlich aus deinem und meinem Staube wachsen. [...]? Da es für uns in dieser Welt kein Bleiben gibt, wäre es verfehlt ohne Wein und Geliebte zu sein:

Wie lange soll ich zweifeln, ob die Welt schon immer bestand oder erschaffen wurde? Wenn ich nicht mehr bin, sind erschaffene und ewige Welt sich

gleich.‘

Vergleicht man Chajjams Poesie (s.o.) mit Versen von Hafis (s.u.), drangt sich der Einfluss der Sinnenfreudigkeit Chajjams geradezu auf: Niemand beweist Großmut, und die Zeit der Wonne verstreicht,

da gibt es nur den Ausweg, dass wir den Gebetsteppich fiir Wein

verschachern. Süß ist die erquickende Luft, o Gott, sende uns eine Zarte,

dass wir in ihrem Angesicht rosenfarbenen Wein trinken.

...]8

On

à

W

fo

Chajjam ist in Europa erst im 19. Jahrhundert durch die Ubersetzung des englischen Romantikers Edward Fitzgerald bekannt geworden. Auf Deutsch erschienen 1818 einige Vierzeiler von Chajjam. 1827 legte Riickert Nachdichtungen vor. "Omar Chajjam, a,a.O., S. 10.

Ebd., S. 21. Ebd., S. 26. Hafis-Wohlleben, S. 476

108

Wie lange willst du das Leid der gemeinen Welt aushalten? Trinke Wein! Schade um das Herz des Weisen, das verstört ist. [...] In der Rosenzeit sitze nicht da ohne Wein und Schônen und Harfe,

denn wie diese Zeit wird das übrige Leben nur nach (wenigen)

Wochen bemessen.!

Was war geschehen? - Zusammengefasst bis hierher zeigt sich folgende Entwicklung: In seiner Jugendzeit schreibt Hafis Verse von der Glaubigkeit des Sufiordens geprägt, welche ihn als frommen Mystiker ausweisen. Die Dauer der Phase können wir allerdings als kurz einstufen, da nur wenige Verse im Sinne der Frömmigkeit verfasst sind. Überwiegend umfasst Hafis’ Dichtung dann Lehren der Aref-Auffassung, in welchen er sich von äußerlichen Riten und Formen unabhängig sieht und in denen er die irdischen Vergnügungen, wie gezeigt, gerne annimmt. Dieser Einstellung muss er bis über sein 40. Lebensjahr hinaus treu geblieben sein, weil er bis zu diesem Alter immer weiter Gedichte mit mystischem Gehalt verfasste.

Kann aus den Chajjam-beeinflussten Versen der Schluss gezogen werden, dass Hafis in einer Phase seiner Weltanschauungsentwicklung nicht mehr an die Gottesliebe im mystischen Sinne glaubte? Hatte er eine Krise? Wurde er etwa zum Atheisten?

1

Ebd., S. 280

109

1.8 Rendi als Hafis’sche Philosophie Die Zeiten, in denen Hafis Zeilen wie diese dichtete, fallen, wie dargestellt, in seine vierziger Lebensjahre. Vierzig Jahre sind vergangen und mehr, dass ich mich brüste: von den Dienern des Alten Magiers! bin ich der geringste! Aufgrund der segensvollen Neigung des alten Weinkäufers wurde mein Becher niemals leer von reinem leuchtenden Wein.? Nach dieser Phase kommt es zu Verzweiflung und Enttäuschung, und Hafis scheint mehr und mehr mit den irdischen Vergnügungen abzuschließen. Man kann annehmen,

sich selbst den Titel Rend zulegt:

dass er um die 50 Jahre alt war, als er

Da jede Nachricht, die ich hörte, ein Tor zu Konfusion aufstieß, willichvon

nun

an (nur noch) Rend

nungslosigkeit verharren.?

1

sein und im Stand der Ah-

Da Hafıs an unterschiedlichen Stellen das Wort „mog“ (Magier), zarathustrischer

Geistlicher, verwendet, versuchten Forscher eine der zarathustrischen Lehre zu finden (wie in: thustra, Goethe. Intuition, influence, intertextualite. S. 51-70). Hingegen meint Ashouri, dass mog ein und es nichts mit Zarathustra

Verbindung zwischen Hafis und Christoph Bürgel: Hafis, ZaraCollogium Halvetcum, 26/ 1997, Allgemeinbegriff der Mystik sei

zu tun habe (Ashouri, a.a.O., S. 313). Wo

dieses

Wort in Verbindung mit pir (alt oder Alter) verwendet wird (pir-e mogan, Alter Magier), hat es, meines Erachtens, mit zoroastrischer Geistlichkeit zu tun. Es gibt wenige Verse, welche Hafis’ Interesse an dieser altpersischen Religion zeigen, wo er z.B. sagt: „erneuere du im Garten die Sitte der Religion Zarathustras” (HafisWohlleben, S. 280); oder wo er anhand der zoroastrischen Feueranbetung und der ewigen Flamme, die in zoroastrischen Tempeln unterhalten wird, dichtet: „Deshalb haben sie mich im Magier-Kloster so lieb, / weil ein Feuer, das nicht erlischt,

immer in meinem Herzen brennt“ (Hafis-Wohlleben, 5. 83). Das Wort „der Alte” ist

ein mystischer Ausdruck für den mystischen Pfadführer oder göttlichen Ursprung. Da die zarathustrische Religion älter als die islamische ist, meint Hafis mit dem Alten Magier den göttlichen Ursprung. Die Verse in seinem Diwan, die diese Wortverbindung (Alter Magier) enthalten (24-mal), haben eine deutliche Anbindung an den Ursprung. Wo er nur „der Alte“ (ohne Magier) verwendet, mag allenfalls ein islamisch-mystisches Oberhaupt gemeint sein. Manche Übersetzer wie Hammer-Purgstall (S. 41), Bodenstehdt (Hafis’ Gedichte aus dem Diwan; Reclam,

2 3

1972, S. 45) und Keil (ebd., S. 47) haben diese wichtige Wortverbindung mit „Wirt“ und andere wie Ritter (ebd., S. 46) „der Alte“ (ohne mog, Magier) übertragen. Hafis-Wohlleben, S. 437. Ebd., ‎‫و‬. .755 Hervorhebung von mir.

110

Rend wurde vielfach und unterschiedlich ins Deutsche übertragen: Hammer-Purgstall übersetzt ,Trinker' oder “Trunkene’, Rückert und Rosen-

zweig-Schwanau meist „Zecher" u.ä., Rolf-Dietrich Keil „Freisinn” (Rend

sein), Wohlleben „Freigeister“ und Bürgel „Schelm“. Rend bedeutet im gewöhnlichen gegenwärtigen persischen Sprachgebrauch „schlau“, ,listig.! Dieses Wort ist aber auch ein Begriff der Mystik und bezeichnet einen Menschen, den im äußerlichen (gesellschaftlichen) Leben Tadel trifft, während er innerlich ein erhabener gottgetreuer Mensch ist.? Diese Bedeutung hat das Wort in fast allen mystischen Werken. Von Hafis wird Rend in eben dieser Bedeutung verwendet, solange er nicht angefangen hat, die mystische Lehre in seiner eigenen Weise zu verstehen. Von dem Moment an, in dem er sagt, er wolle „nur Rend” sein, hat Rend für ihn eine tiefere Bedeutung als bei den anderen Mystikern. Zwischen seinem rendi (Rend sein) und dem der anderen gibt es einen Unter-

schied:

Ich bin nicht der Rend, der den Schönen und den Pokal im Stich lässt;

der Polizeimeister? weiß, dass ich derlei kaum vollbringe.

ich, der ich oftmals die Bußetuenden verlästert habe, würde ich verrückt sein, wenn ich dem Wein abschwörte zur Rosenzeit! ?

Diese Textstelle weist darauf hin, dass es Mystiker gab, die sich zwar Rend nannten, sich jedoch nach wie vor irdischer Freude asketisch enthielten. Hafis will aber als Rend nicht auf das Schöne und den Wein verzichten, und verstößt damit gegen die gesellschaftlich-religiöse Norm. In diesem Kontext haben Übersetzer wie Forscher lediglich die Trinkgelage als Rendi begriffen und entsprechend als „Trunkene” oder „Zecher übersetzt. Weil ein Rend trotz seines Verstoßes gegen die gesellschaftliche Norm „damit im Grunde wider die Raison” handelt, haben 1 2

3 4

Farhang-e farsi [Persisches Wörterbuch]. Hrsg. Von Mohammad Mo'in. Band 2, Teheran 1964, S. 1677.

Ebd. Auch in: Mahsid Moëäiri: E$q wa ‘erfan [Liebe und Mystik]. Teheran 1997, S. 69-71.

Mohtaseb: Sittenvogt/Sittenwächter Hafis-Wohlleben, S. 440. 111

andere dieses Wort mit „Schelm” übersetzt.! Rend ist mithin unbedingt aus drei Perspektiven zu betrachten: 1. Rend ist jemand, der gegen die gesellschaftliche Norm verstößt, jedoch vorgibt, nach geltenden Regeln zu handeln. Er schleppt eine Flasche Wein mit sich, simuliert aber, es ware ein Buch: Eine Flasche schleppe ich insgeheim herum, und die Leute glauben, es sei ein Buch ein Wunder, dass das Feuer dieser Heuchelei nicht auf das Buch übergreift.? Hafis spielt mit den Leuten: Im Kreis der Aufrechten verhält er sich wie ein gläubiger Koran-Bewahrer, in einer nächsten Situation, sich vor Belästigung von Orthodoxen und Konkurrenten sicher wähnend, trinkt er für alle sichtbar Alkohol: Hafis (Koran-Bewahrer) bin ich im Zirkel (der Aufrechten),

Hefeschlürfer bin ich beim Gelage;

sieh die Bedenkenlosigkeit, mit der ich die (verschiedenen) Leute

am Gängelband führe.’

Im hiesigen Kontext ist Rend demnach ein schlauer Mensch, der mittels Heuchelei und List die Leute täuscht. Beides setzt er ein, jedoch nicht, um damit seine Macht zu sichern oder seine gesellschaftliche und finanzielle Lage zu verbessern, wie es bei den Geistlichen und den frommen

Mystikern (Sufis) der Fall ist. Hafis hat diese scheinheiligen Heuchler oder Tugendprahler vielfach angeprangert, die den Koran zur heuchlerischen Schlinge machen: O Hafis, trink Wein und sei ein Rend und lass dirs wohlergehen, jedoch mach nicht, wie andere, den Koran zur heuchlerischen Schlinge. [...] 4

Ein Weintrinker, dem keine Verstellung und Heuchelei anhaftet,

ist besser als ein Tugendprahler voller Verstellung und Heuchelei.

NN RD

‎‫دم‬

]...[

Siehe Bürgel: Drei Hafis-Studien, S. 44. Hafis-Wohlleben, S. 219. Ebd., S. 446. Hafis-Wohlleben, S. 59.

211

Was soll daran sein, wenn ich und du ein paar Gläser Wein trinken, der Wein ist aus dem Blut der Rebe, nicht aus eurem Blut.! Im Gegensatz zu einem Scheinheiligen will ein Rend wie Hafis durch seine Schlauheit „keinem Böses“ tun: „Das Gebot Gottes halten wir ein, und

keinem tun wir Böses.“ ? Er täuscht die anderen, um der Belästigung durch die Fanatiker zu entgehen: Wenn der Wein auch Freude schenkt und der Wind Rosen streut,

trink du zum Klang der Laute keinen Wein, denn der Sittenpolizist ist wachsam. [...] ۱

Im Flicken-Armel verbirg den Pokal,

denn wie das Auge? der Karaffe ist die Zeit bluttriefend.4 Um sich vor den Pfeilen (Angriffen) der Gegner und der Feinde zu schiitzen, muss man den Weg der Liebe klug beschreiten: Mag der Weg der Liebe auch der Ort sein, wo die Bogenschützen lauern, so wird doch, wer ihn umsichtig beschreitet, über seine Feinde den Sieg davontragen.° 2. Hafis ist nicht nur im von den Leuten unbemerkten Fall der Nichtausübung der äußerlichen Vorschriften ein Rend, sondern er ist es auch, wenn er seine Ansicht so geschickt ausdrückt, dass man sie unterschiedlich interpretieren kann. Dies ist übrigens die oft erwahnte Doppeldeutigkeit in Hafis Poesie, von Kurt Scharf mit jenen Versen als Beispiel angeführt. „Es folgt ein Hafis’scher

‫تنخ‬ ‫هن لحر‬ an‫‏‬

=

von Rolf-Dietrich Keil :®

roba‘yi in zwei Varianten aus der Feder

Ebd., S. 82.

Ebd., S. 82.

Gemeint ist: die Flaschenöffnung. Hafis-Wohlleben, S. 100.

Ebd., S. 196. Aus dem Nachwort von Kurt Scharf. In: Die schönsten Gedichte aus dem klassischen Persien, a.a.O., S. 205.

113

O du, es verhüllt sich die Knospe, beschämt und bedrängt von dir, Im Schlaf der Narzisse sich Scham mit Bewunderung mengt von

dir, Die Rose, wie könnte sie jemals mit dir zu vergleichen sein: Hat sie doch ihr Licht nur vom Monde, der seines empfängt von dir!

Dieser Vierzeiler (roba‘yi) von Hafis, eine hyperbolische Projektion der Beziehungen zwischen Liebendem und Geliebtem, mag ein Liebesgedicht für eine Frau, einen Knaben oder auch einen fürstlichen Gönner sein. Man kann aber das Wort „Licht“ auch als gängige Metapher für Gott oder Liebe zu Gott verstehen. Nach Auffassung der iranisch-islamischen Mystiker ist Gott die Sonne oder Quelle des Lichtes, der Mensch eine Strahlung von der Sonne, und die Strahlung kann sich nur auf dem mystischen Weg mit ihrer Quelle vereinen. Rumi hat die Einswerdung mit Gott auch mit der anderen Allegorie bedichtet, welche Mystiker als „Entwerden, Vernichtung“ (fanä) bzw. „Verschmelzung mit dem Geliebten”, unio mystica, verstehen: Wenn das Wasser aus dem Krug in den Bach geflossen ist, wird es sich mit dem Bach vermischen und wird wie er.! In diesem Sinne können die oben genannten Verse von Hafis als Hymnus auf die Liebe zu Gott verstanden werden und folgende Version ergeben: O du, das Verborgene verhüllt sich, mit Scham geschlagen von dir, Das Auge senkt sich wie schlafend in Scham und Bewunderung von dir,

Die irdische Schönheit, wie könnte sie dir zu vergleichen sein: Sie [die irdische Schönheit] leuchtet von himmlischer nur, die himmlische leuchtet von dir. Auf diese Weise betrachtet, werden die Verse eines irdischen Liebesge-

dichts zu einem Ausdruck innigen Gotteslobes. Die vieldiskutierte Doppeldeutigkeit ist allerdings nicht etwa ein charakteristisches Merkmal Hafis’scher Dichtung, sondern sie ist bei allen anderen Mystikern zu finden. Nur für Hafis charakteristisch ist sie nicht, denn wenn man die Begriffe der Mystik kennt, vermag man zwischen den mystischen Bedeu1

Übersetzung von mir.

114

tungen und dem Wirklichkeitsbezug zu unterscheiden. Dies darzustellen war der Versuch der bisherigen Dokumentation. Zwei- oder Mehrdeutigkeit als typisches Merkmal Hafis’scher Dichtung findet sich allerdings auf einer anderen Ebene, welche dort ein von Hafis bewusst angewandtes Stilmittel darstellt. Dieses Stilmittel wurde auch von anderen persischen Dichtern verwendet, ist indes bei Hafis ein spezifisches Mittel, mit dem er seine Dichtung auf ein höheres Niveau emporhebt; ihm galt die Poesie als das Geheimnis der Redekunst ! oder der Wortmagie!? Als Beispiel solcher Mehrdeutigkeit mögen folgende Verse dienen: Im Pokal sah ich den Widerschein der Wange des Freundes,

O du Ahnungsloser der Wonne meiner immerwährenden Trunkenheit! Die Wortverbindung, die hier mit ,immerwährende Trunkenheit” wiedergegeben ist, lautet im Persischen $orb-e modäm ‎)‫(شرب مدام‬. Das Wort sorb, als „Trunkenheit“ übersetzt, hat die zwei Bedeutungen „Trinken“ (allgemein) und „Wein. Das Wort modam ist ebenfalls zweideutig: „immerwährend” und

„Wein“. Mithin kann diese Wortverbindung vier verschiedene Bedeutungen haben: 1. immerwährendes Trinken (aller Art),

2.immerwährender Weingenuss, 3. Weintrinken, 4. immerwährende Trunkenheit.

1

„Über die herzberückende Dichtung des Hafis weiß Bescheid, / wer von Vers-

Anmut

und

dem

Geheimnis

der

Redekunst

versteht.”

- Diwän-e

Hafez:

Hrsg. v. Hanlari. Tehran 1980, S. 364. Bei der Übersetzung dieser Verse habe ich die Übersetzung von Wohlleben hinzugezogen (S. 252). In fast allen Editionen des

Diwan, besonders bei Übersetzungen, ist anstelle „Wortesetzen des Dari (persische Hofsprache)“ meines Erachtens, hier fehl am Platz ist. Siehe Sicht des Hafıs. In: Falaki; Nogtehä (Die Punkte

2

von „Geheimnis der Redekunst“ hinzugezogen worden, welches, Mahmood Falaki: Dichtung aus [gesammelte Essays]). Hamburg

1996, S. 55-68.

„Ich bin der zaubernde Dichter. der durch Wortmagie / aus dem Schreibrohr lauter Kandis und Zucker rieseln lässt.” (Hafis-Wohlleben, 5. 377). 115

Diese Mehrdeutigkeit haben etliche Übersetzer nicht erkannt, ihre Uber-

setzung musste zwangsläufig misslingen und sich vom Original weit entfernen. Doppeldeutigkeit erkennen viele westliche Hafis-Forscher offensichtlich nur, wenn es sich um den Unterschied zwischen der mystischen

und der irdischen Bedeutung handelt. Hammer-Purgstall und Bürgel (in seiner metrischen Übertragung) haben das Wort modäm (immerwährend) in der Ubertragung ganz weggelassen. Hammer-Purgstasll hat statt „immerwährende Trunkenheit” „Glück des Trinkens” ! und Bürgel „unser Trunk”? übertragen. Rückert hat „die Lust des Weines“? und Wohlleben „alltäglichen Weintrunk"{ übersetzt.’ Die originalgetreue Übertragung dieser Wortverbindung, besonders des Attributes „immerwährend‘, ist für das Verständnis des Gedichtes allerdings entscheidend: Die Thematik dieses Ghasels ist einheitlich und hat eine mystische Bedeutung, ist zugleich auch eine Kritik an den Frömmlern.® Der Dichter legt den Ton auf ,immerwährend”, um die ewi-

ge mystische Trunkenheit in Verbindung mit der Liebe zu Gott zu präsentieren. Deswegen spricht er auch in einem anderen Verspaar dieses Ghasels von ewiger Liebe: Niemals stirbt derjenige, dessen Herz lebendig ist durch die Liebe,

DR © na

‎‫نم‬

fest (eingeschrieben) ist ins Buch der Welt meine (ewige) Dauer.’

6

7

Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 45. Bürgel: Drei Hafis-Studien, S. 68. Ghaselen aus dem Diwan, S. 24. Hafis-Wohlleben, S. 62 Jene, die Ghaselen von Hafis in metrischer Form übertragen haben, haben nicht nur in diesem Fall, sondern auch in anderen Wörter weggelassen oder sie in einer Weise formuliert, dass das Inhaltliche der Metrik und der Ghaselform bzw. dem Reim geopfert wurde. Ein Beispiel dafür ist die Übersetzung von Bürgel: In der wörtlich-prosaischen Übertragung, bietet er „ewigen Trunk“ an (S. 67), in der metrischen Übertragung lässt er „ewig“ aus. Atabay hat die Stelle mit „immerwährender Trunkenheit“ übersetzt (Die schönsten Gedichte..., a.a.O., S. 83).

In einem anderen Doppelvers dieses Ghasels betont Hafis: „Ich furchte am jüngsten Tag wird das (religiös) erlaubte Brot des Scheichs / nicht angemessener belohnt, als unser unerlaubtes Wasser.“ „Unerlaubtes Wasser” ist eine Doppeldeutigkeit für Wein. Einige Übersetzer, u.a. Hammer-Purgstall, haben statt dieser Wortverbindung nur „Wein“ übertragen (S. 45). Rückert hat diesen Doppelvers weggelassen. Hafis-Wohlleben, S. 62.

611

Hafis hat auf diese Weise nicht nur die mystische Bedeutung des Ghasels festgelegt, er hat auch mit dem Wortspiel modam (immerwährend) und dawam (Dauer) das Niveau des Gedichtes gesteigert. In Hammer-Purg-

stalls Ubersetzung dieses Ghasels oder der Ubertragung anderer Uberset-

zer, die die inneren Verbindungen zwischen Elementen und Begriffen des Textes weder verstanden noch adäquat vorgenommen haben, geht nicht nur das Wortspiel verloren, welches in diesem Fall noch sublimer ist, als es in der Ubertragung herauszubringen ware, sondern diese Verse verlieren ihren mystischen Gehalt. Was bleibt, ist ein bloßes Loblied auf Liebe und Wein. Was jedoch diesbezüglich in der Dichtung von Hafis relevant ist, ist sein Ausdruck von Skepsis mittels Wort- und Sinnspielen über die Erschaffung der Welt und über so manch religiôses Glaubensbekenntnis wie die Existenz

des Paradieses

im Jenseits, mit der sein Schelmentum

veran-

schaulicht wird. In folgendem Vers z. B. sagt er nicht direkt, dass ,ein Fehler in das Schreibrohr der Schöpfung“ eingeflossen, sprich Gott ein Fehler unterlaufen sei, nein, er deutet es ironisch an mit dem Hinweis auf die Zude-

ckung dieses Fehlers durch die geistlichen Führer:

Unser Alter sagte: Ein Fehler ist in das Schreibrohr der Schöpfung nicht eingeflossen. Lob und Preis sei Seinem klaren Blick, welcher Fehler zudeckt.! Ein weiteres Beispiel für Hafis’ schelmenhafte Skepsis ist eine blasphemische Aussage über den Jüngsten Tag und das Jenseits, welche ihn in Schwierigkeiten gebracht hatte: Wenn Moslem-Sein von der Art ist wie bei Hafıs,

wehe dann, falls es nach dem Heute ein Morgen gibt!?

Hier ist mit „Heute“ und „Morgen“ Diesseits und Jenseits gemeint. Wir entnehmen dem Vers, dass Hafis das Jenseits fürchtet. Zweifel am islami-

schen Glaubensbekenntnis und an dessen Vorschriften ist nach islamischer Regel Gotteslästerung und Ketzerei, die zur höchsten Strafe bis zum Tode führen kann. Zitieren aber eines Zweiflers oder eines Unglaubigen ist keine Gotteslästerung. Hafis konnte durch Hinzudichtung fol1

2

Ebd.,S.

171.

Hafis-Wohlleben, S. 603. 117

gender Verse vor dem obigen Doppelvers dem Vorwurf der Ketzerei entgegenwirken:! Wie gelegen kam mir die Bemerkung, die am Morgen an der Tür zum Weinhaus bei Trommel und Flôtenklang ein Christ machte.? Das bedeutet, nicht er (Hafis) selbst, sondern ein Christ habe am Jenseits

und am Jüngsten Tag gezweifelt. „So nun hat der Christ zwar das Bonmot, aber auch den Schwarzen Peter.“

3. Hafis ist aber nicht nur fiir die vorgenannte Art von Schlauheit Rend,

er nennt sich vielmehr Rend, weil rendi (Rend sein) seine Philosophie ist.

Nach Hafis’scher Auffassung ist Rend im weitesten Sinne jemand, der das „Geheimnis“ des Daseins, das selbst für einen hochrangigen Sufi unerreichbar ist, kennt: Das Geheimnis hinter dem Vorhang erfrage von den berauschten Rendan,

denn dieser (geistige) Zustand ist (unerreichbar selbst) fiir den hochrangigen Sufi.‘ Dieser Doppelvers ist insofern wichtig, als er hilft, rendi aus der Sicht von Hafis besser zu verstehen: Er ist in einem Lebensalter entstanden, in dem er in einer neuen Phase seiner Entwicklung die irdischen Freuden genießen wollte. In einem weiteren Doppelvers dieses Ghasels beschwört er das Ende der Jugend und bereut, dass ihm im Alter nur Ruhm und Ehre bleiben: Ach Herz, die Jugend ging dahin, und du hast nicht eine einzige Blume der Lebensfreude gepfliickt; Im Alter nun befleißige dich des Ruhmes und der Ehre.° Hafis erklart rendi (Rend sein) zu einem Weg oder einer Methode (Strategie) des Lebens, die sich mit Liebe und Trunk verbinden: ,den Weg von 1 2 3 4 5

Vgl. Edward

G. Brown:

A Literary History of Persia. Volume IN: The Tartar

Dominion (1265-1502). Cambridge 1969, S. 281f.

Hafis-Wohlleben, S. 603. Ebd. Ebd., S. 56. Ebd.

rendi und Liebe will ich wählen”! und „schwindet doch für mich nie die Methode des Trunks und rendi.'? Er bezeichnet rendi einmal sogar als „Religion“ oder Lehre: „(viele) Jahre folge ich der Religion der Rendän.“3 Dieser „Weg“ ist jedoch nicht für jeden, besonders nicht für den Frömmling, sichtbar: Ergreife die Chance des Wegs der rendi! Dieser Hinweis ist - wie der Zugang zu einem Schatz nicht für jedermann offensichtlich. [...] 4 Wenn der Frömmling rendi nicht begreift, so sei ihm verziehen. Die Liebe ist ein Ding, das von rechter Führung abhängt.’ Er, Hafis, aber kennt diesen Weg seit dem Schôpfungstag: Mir wurde am Tag der Urewigkeit nur die Sache der rendi bestimmt, jeder Schicksalsanteil, der von da an seinen Anfang nimmt, bleibt unverrückt.® Ist rendi für ihn eine urewige Gesinnung, die mit der Liebe in Verbindung steht und die er seit Erschaffung des Menschen in sich trägt, so bedeutet dies, dass Hafıs sich hier wieder im Geiste in Adam

hineinver-

setzt, ja, sich mit ihm gleichsetzt. In diesem Fall muss man rendi mit der zuvor erörterten Geschichte der Erschaffung Adams, mit dem damit verbundenen Depositum bzw. Unterpfand (amänat) und mit der Wiedervereinigung

zwischen

Gott

und

Menschen,

der

unio

mystica,

zusammen-

schauen. Hafis will als Rend eine unmittelbare Verbindung mit der göttlichen Liebe schaffen, frei von der legalistischen Religionsauffassung des orthodoxen Islam und unabhängig von den am Äußerlichen haftenden 1 2

3

un

4 6

Hafis-Wohlleben, 5.204. Ebd., S. 435. Im Diwan hat Hafis rendi und Liebe 15-mal, und rendi und Trunkenheit 19-mal in einen Zusammenhang gebracht. Vielleicht hat deswegen der eine oder andere Übersetzer das Wort Rend mit „Trunkene“ übersetzt, ohne zu merken, dass Hafis in diesem Zusammenhang vielmehr göttliche Liebe und Trunkenheit meinte.

Hafis-Wohlleben, 5.408. ,dn“ als Auslaut von Rendan ist die Pluralendung für Rend (im Persischen). Wohlleben hat statt Religion Sekte übersetzt, was nicht ganz dem Original entspricht. Ebd.,S. 135. Ebd., S. 230. Hafis-Wohlleben, S. 237. 119

Asketen und Sufis. Er gründet seine Unabhängigkeit und Freiheit auf rendi: Der Sklave bin ich jenes mit der hohen Gesinnung, der unter dem blauen Himmelskreis von allem, was die Farbe der Abhängigkeit annimmt, frei ist. [...]! Sag dem Prediger, er solle Hafis nicht tadeln dafür, dass er das Gebetshaus verließ, den Fuß des Freien fesselt man nicht; wenn er an seinen Ort geht, dann geht er.’ Um seine Freiheit in seiner ihm eigenen Lebensart zu bewahren, muss Hafis der Heuchelei und dem Philistertum sein Schelmentum entgegensetzen. Auch Bürgel merkt an, dass rendi, der ,ungebundene Lebenswandel", auf seiner - Hafis’ - Freiheit beruhe.? Eingedenk des über Wortspielerei, Formenreichtum und die Mehrdeutigkeit Gesagten, mit dem Hafis seine Poesie anspruchsvoller zu gestalten suchte, kann jetzt in Übereinstimmung mit Schaeder und in Anlehnung an Goethe festgehalten werden, dass Hafis „sich seiner selbst und seiner Freiheit“ durch das „Spiel mit der Form“ versicherte.? Hafis hat eine poetische Sprache kunstvoll auf die Spitze getrieben, so dass sie ihm alles zu sagen erlaubt, ohne sich von einer Partei (einer Seite) vereinnahmen lassen zu müssen. Hafis ist der, der den Koran so

verinnerlicht hat, dass er ihn auswendig kann, und zugleich ist er derjenige, der über den Koran hinausgeht, der zugibt Alkohol (Wein) zu trinken und den Freuden der irdischen Liebe zu frönen usw. Er ist Mystiker,

als Mystiker aber von einer aufreizenden Sinnlichkeit. Zwar ist Hafis seiner Zeit und den Herrschenden unterworfen, aber er legt sich trotzdem mit der Orthodoxie an. Gegenüber der weltlichen Herrschaft ist er frech und herausfordernd, aber er bringt sie nicht gegen sich auf und zieht wie Reineke Fuchs? immer wieder den Kopf aus der Schlinge. 1

Ebd., 9. 4,

3 4 5

Bürgel, a.a.O., S. 26f. Hans H. Schaeder: Goethes Erlebnis des Ostens. Leipzig 1938. S. 122. Reineke Fuchs ist ein Epos in zwölf Gesängen von Goethe (Erstdruck: 1794). Stoff vom Reineke Fuchs bezog Goethe aus der von Johann Christoph Gottsched 1752 be-

2

Hafis-Wohlleben, S. 148. Den ersten Halbvers habe ich in eigener, besserer Übersetzung eingetragen.

120

Hafis ist das Muster, aber nicht durch Folgsamkeit, sondern dadurch, dass er mit seinen Mitteln - der poetischen Sprache - das Interpretationsmonopol der Orthodoxie unterläuft. Er ist ein Meister des doppelbödigen, vieldeutigen Sprechens. Unter den Bedingungen der Despotie und auf die Gefahr hin, die orthodoxe Mehrheit gegen sich aufzubringen, misst Hafis den Freiheitsspielraum aus, den er zu seiner Selbstbehauptung braucht. Hafis - das ist der Heilige und der Sünder, diesseitig und jenseitig, unterwürfig und provokant. Dafür wird er von seinem Volk geliebt, das bis heute durch eine nicht abreißende Kette von Despotien scharf am Zügel gehalten wird und doch immerfort Widerstand artikuliert. Allen vorliegenden Definitionen nach scheint es keine adäquate Übertragung von rendi ins Deutsche zu geben. Vielleicht lässt sie sich mit dem Goethischen ,Freisinn’, laut Bürgel, verbinden oder nähert sich dem Begriff der ,Freigeisterei ! an. Ich aber ziehe es vor, das Wort unübersetzt zu lassen und es bei der Definition zu belassen. Für das Wort ,rendi auf

Deutsch ein substantiviertes Adjektiv oder ein Nomen wie Renderei oder Rendschaft zu bilden, scheint mir zu gestellt. Ob Hafis bis zu seinem Tode ein Rend blieb, der sich immer noch mit der mystischen Auffassung auseinandersetzte und die irdische Freude ausübte, oder ob er zu seiner alten mystischen Position zurückkehrte, kann nur anhand seiner Gedichte beurteilt werden. Diese zeigen, dass er zwischen 60 und 70 Jahren zwei unterschiedliche Phasen durchlief. Folgendes Ghasel hat eine rein mystische Bedeutung:

So sehr ich auch alt und herzwund und kraftlos geworden bin, jedes Mal, da ich mich deines Antlitzes entsinne, werde ich wieder jung.

[...] An dem Tag erschloss sich meinem Herzen das Tor der geistigen Welt, als ich einer der Hof-Insassen des Magier-Alten wurde.?

1 2

sorgten Prosabearbeitung eines seit 1498 zunächst in niederdeutscher Form in Lübeck erschienenen und durchgehend erfolgreichen Versfassung vom Reynke de vos. Übertragung von Wohlleben. Hafis-Wohlleben, S. 411. 121

Dieses Ghasel zeigt in der Tat, dass er vor seinem Tode wieder zu seinem früheren mystischen Glauben zurückkehrte. Diese These kann durch folgende Verse desselben Ghasels zugestimmt werden: Gestern brachte mir die Gnade (des Herrn) die Botschaft: o Hafis,

kehre zurück. Sieh: Für die Vergebung deiner Sünde bürge ich.!

Allerdings finden sich auch Alters-Gedichte, die ausschließlich die irdi-

sche Freude lobpreisen. Eine der Grab-Inschriften am Mausoleum in Hafis’ Heimatstadt Schiras entleiht sich den Text des folgenden Ghasels: Ans Kopfende meines Grabes setzte dich mit Wein und Sanger,

auf dass ich bei deinem Duft aus der Gruft mich tanzelnd erhebe. ]...[ Wenn ich auch alt bin, so nimm doch du mich eines Nachts fest in deine Arme,

damit am Morgen ich von deinem Busen mich verjüngt erhebe.?

Dieses und das vorherige Gedicht kônnte man vielleicht sogar als sein Testament bezeichnen. Uns bleibt aus der Betrachtung die Schlussfolgerung: Tauchte er in seinem hohen Alter auch wieder als Mystiker auf, so hat er doch seinen weiteren Weg nie wieder als ein asketischer Frommer aufgenommen. Er bleibt ein ungebundener Mystiker. Wie in vorliegender Arbeit dargelegt, nimmt Hafis unter den Mystikern eine Sonderstellung ein. Seine Art von Mystizismus wurde nicht von irgendeinem mystischen Orden, sondern durch die Bevölkerung fortgefiihrt, was fiir sein fortwirkendes Charisma spricht. Seine freigeistige Gesinnung, neben seinem kritischen Ton gegen alle Orthodoxie, seine Frechheit gegenüber der weltlichen Herrschaft und seine Häresie, können als das Geheimnis von Hafis’ Anziehungskraft bezeichnet werden und seine Beliebtheit bei den Persern erklären. Die Perser sehen ihre Weltsicht bei Hafis’ widergespiegelt, das heißt: Sie wollen fromm sein, nicht im Sinne des orthodoxen Klerus, sondern zugleich wie Hafis auch

der irdischen Schönheit und ihren Vergnügungen frönen. Hinzu kommen seine subtile Sprache und die besondere Konstruktion seiner Poesie mit wortspielerischer Raffinesse und Mehrdeutigkeit, womit er sowohl Laien als auch Gebildete (Gelehrte) anzieht. Die Mannigfaltigkeit seiner Dichtung schafft ein eigenartiges Feld, in dem jeder die Dichtung aus sei1 2

Ebd. Ebd., S. 429.

122

ner eigenen Sicht interpretieren und wie eine Art Orakel befragen kann. In diesem Zusammenhang verehren sogar die streng Gläubigen und besonders zur Mystik neigende Menschen seine Poesie in ihrer übersinnlichen, allegorischen Interpretation. So konnte und kann Hafis immer lebendig bleiben - in dem Persien der Vergangenheit und dem Persien von heute.

123

2 Goethe und die Rezeption der orientalischen Kultur

2.1 Interkulturalitat im 18. Jahrhundert Meine Absicht ist dabei, auf heitere Weise den Westen und Osten,

das Vergangene und Gegenwart, das Persische und Deutsche zu verknüpfen.!

Im 18. Jahrhundert, einer Zeit, in der die Interkulturalitat zu einem wich-

tigen Kommunikationsthema wurde, war ,Kosmopolitismus’ als Gegenbegriff zum Patriotismus ein Modewort. Dieses Jahrhundert ist von der Aufklärung geprägt, die überhaupt erst die Interkulturalität ermöglichte. Die Wurzeln dieser Geistesbewegung reichen in Frankreich bis zu Rene Descartes (1596-1650), dessen Aussage cogito, ergo sum das analytische Denken mittels der Vernunft als wichtigstes Instrument der Erkenntnis hervorgebracht hat. Hinzu kam die Lehre des Empirismus aus England, nach der die Sinneswahrnehmung und die Erfahrung als Quelle des Denkens im Vordergrund stehen (John Locke; 1632-1704) und das menschliche Bewusstsein durch Assoziationen und Erfahrungen hervorgebracht werde (David Hume; 1711-1776).2 Der Weg der deutschen Aufklärung verläuft unter dem Einfluss der französischen Aufklärung und des englischen Empirismus über die Philosophie von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) hin zu Christian Thomasius (1655-1728), der hofft, das Licht der Vernunft werde die Welt erhel-

len (lumen ingenii)’ und das allgemeine Wohl bringen. So bildet das aufgeklärte und säkularisierte bürgerliche Lebensgefühl die erste Phase der deutschen Aufklarungszeit.4 Diese wurde in philosophischer Hin1 2 3 4

Goethe in einem Brief an Cotta am 16.5.1815. In: Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Band 7; Napoleonische Zeit. Hrsg. von Rose Unterberger, Frankfurt/M 1994, S. 451f (Frankfurter Ausgabe zitiert weiterhin als FA). Vgl. Barbara Baumann u. Birgitta Oberle: Deutsche Literatur in Epochen. 2. Aufl. Ismaning 1996, S.75f. Das Wort Aufklärung ist die deutsche Entsprechung für die französische Siecle des lumieres (Jahrhundert des Lichtes).

Vgl. Johanes Hirschberger: Geschichte der Philosophie. Bd. II, Neuzeit und Gegenwart. Freiburg 1960, S. 257ff 125

sicht von Christian Wolff (1679-1754) und Immanuel Kant (1724-1804) beherrscht. Für Wolff war die Glückseligkeit der Menschen im Diesseits das Ziel jeder Handlung, Kant gab in der Berlinischen Monatsschrift auf die Frage „Was ist Aufklärung?” seine berühmte Antwort: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit [...]. ‚Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!’ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.! Sich des eigenen Verstandes zu bedienen und die Eigenverantwortlichkeit des Individuums - beides hebt viele Grenzen und Barrieren auf, die das Verständnis des Eigenen und des Anderen sowie die Erkenntnis der Welt erschweren oder gar verhindern. Im Zuge der Aufklärung und der säkularisierten Vernunft wird Gott aus seiner zentralen Stellung als „Rechtfertigungsinstanz” heraus gerückt. Nicht länger sichert diese Instanz die Wahrheit einer Aussage, sondern die Wahrheit wird von einer subjektzentrischen Rationalität bestimmt. Das säkularisierte Ich-Bewusstsein hat mit dem Modernisierungsprozess nicht nur die Freisetzung des Individuums aus den sozial-politischen, ökonomischen und ideologisch Kontexten ermöglicht,” schon die Reformation und die ihr folgenden Konfessionskriege hatten die Menschen gelehrt, dass „der eigene Glaube nur eine mögliche Wahrheit neben anderen sein kann.“ ? So entsteht Mannigfaltigkeit des Lebens in allen Bereichen: Die Denker trennen sich vom Absolutismus und der mit ihm verbundenen höfischen Kultur und wenden sich dem Pluralismus und dem bürgerlichen Leben zu. Solche Auseinandersetzungen werden in der Epoche des Sturm und Drang (1767-1784) ihren Höhepunkt erreichen.

In der Folge des Übergangs von traditionellen Gesellschaftsstrukturen zur modernen Welt und in der Befreiung aus höfischer und klerikaler Gebundenheit erfuhr sich das Individuum als eigene Persönlichkeit und musste seine Identität unabhängig von äußeren Autoritäten und Instanzen bestimmen. So werden die Menschen als Individuen aus ihren gewohnten Bindungen entlassen und entwickeln daher das Bedürfnis nach generellem zwischenmenschlichem Mitgefühl, Verständnis und Sympathie, was in den literarischen Werken der Empfindsamkeit und des

1 2 3

Berlinische Monatsschrift, Dezember-Heft 1784. S. 481-494. In: www.unipotsdam.de Vgl. Peter Engelmann (Hg.); Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1990, S. 1. Thomas Meyer: Fundamentalismus, Aufstand gegen die Moderne. S. 39.

126

Sturm

und Drang wie z.B. in Goethes

(1774) zum Ausdruck kommt. !

Die Leiden des jungen

Werther

Die politisch-soziale Debatte öffnet neue Perspektiven in allen Be-

reichen und führt zu mehr Toleranz und Vielfältigkeit, woraus sich mit

dem Blick über die eigenen Grenzen ein kosmopolitisches Bewusstsein entwickelt, das später zu einem interkulturellen Interesse führt. Die neu zugewinnende Toleranz, die die Gleichberechtigung der Menschen ohne Ansehen religiöser und nationaler Unterschiede zu verwirklichen fordert, findet sich in Gotthold Ephraim Lessings Drama Nathan der Weise (1779). In der ,Ringparabel” verkündet Lessing die natürliche Religion der Humanität und tritt für Vernunft und Toleranz ein. So nannten nicht wenige Autoren den ,Weltbürger einen Menschen, der seine Identität stärker mit seiner Zugehörigkeit zur Menschheit als etwa mit seiner sozialen Klasse oder mit seiner Nationalität verbindet und der sich für die Freiheit des Individuums ungeachtet politischer Grenzen einsetzt. Die Interkulturalität wurde insbesondere durch den Kosmopolitismus der Aufklärung verstärkt, und war damit zugleich ein Aufbegehren gegen die „fürstliche Gewalt".* Auch der junge Schiller bezeichnete sich als Weltbürger: „Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient.”? Christoph Martin Wieland hat im Gespräch unter vier Augen (1799) den Weltbürger in Verbindung mit dem Patriotismus folgendermaßen definiert: „Nur der wahre Weltbürger kann ein guter Staatsbürger seyn. ? Auch

für Johann Gottfried Herder - obwohl er sich zu einem uni-

versellen Kosmopolitismus bekannte, wobei er Las Casas, Fénelon, Montesquieu und Filangieri als Vorbilder betrachtete - waren Patriotismus und Weltbürgertum miteinander vereinbar.” Herder zieht in den Briefen zur Beförderung der Humanität (1793-97) den Schluss: „Völker sollten ne1 2 3 4 5

Vgl. Hans-Georg Schede (Interpret): Johann Wolfgang von Goethe. Die Leiden des

jungen Werther. Interpretationshilfe Deutsch. Freising 2005, S. 81f.

Vgl. Klaus Manger: Goethe und die Weltkultur. Heidelberg 2003, S. 175. Friedrich Schiller: Erzählungen, theoretische Schriften. Hrsg. v. Wolfgang Riedel. In: Schiller; Sämtliche Werke. Bd. 5, München/Wien 2004, S. 855. Wieland: Gespräche unter vier Augen. In: Wieland; Sämtliche Werke. Leipzig 1799. Hrsg. von der Hamburger Stiftung der Förderung von Wissenschaft und Kultur. Bd. 31, Hamburger Printausgabe 1984. S. 158. Vgl., K. Magner, a.a.O., S. 177f. 127

ben einander, nicht durch und über einander drückend wohnen."! Er fordert Künstler und Wissenschaftler auf, ,Sinn und Mitgefühl für die gesamte Menschheit, zu verbreiten.? „In dem Bewusstsein, dass diese alle

ihre Fähigkeiten ausbilden sollen”, befürwortete er einen „weltweiten kulturellen Dialog“ und verband Patriotismus und Kosmopolitismus miteinander.’

Sich dem Fremden anzunähern, war das Projekt der aufgeklärten Intellektuellen. So stand nicht nur das Verständnis für das Fremde im Vordergrund, man konnte auch sich selbst in der Fremde besser verstehen. Der Blick der Aufklärer auf die eigene Kultur konnte durch die Bekanntschaft mit dem Anderen geschärft werden. ? Während sich die europäischen Reisenden des Mittelalters auf Pilgerfahrten für den Besuch des Heiligen Landes, besonders Jerusalems, interessierten, während viele Europäer in früher Neuzeit als Geschäftsreisende oder Abenteurer andere Länder besuchten, ohne die fremde Kultur begreifen zu können oder sich darauf einzulassen, betrachtete der aufgeklärte Reisende die Kultur und Bildung anderer Länder aufmerksam und wertete seine Kenntnisse wissenschaftlich aus. Dies rief eine neue Reiseliteratur hervor, die den Austauschprozess zwischen den Kulturen ermöglichte. Die Annäherung an die fremde Kultur und der Kulturaustausch wurden besonders mit Herders kulturphilosophischen Studien Journal meiner Reise und Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784/91) gefördert.

Für die Ausbreitung und Vertiefung der von Vernunft gesteuerten Kommunikation mit dem Fremden spielt nicht nur die Diplomatie und die Politik der europäischen Mächte eine wichtige Rolle - auch die Aktivitäten 1 2 3 4 5

Herder: Briefe zu Beförderung der Humanität. Hrsg. v. Hans Dietrich Irmscher. In: Herder; Werke. Bd. 7, Frankfurt a.M. 1991. Brief 115, S. 687. In diesem Zusammenhang stellte Herder zwei wichtige Fragen: „Was soll überhaupt eine Messung aller Völker nach uns Europäer? Wo ist das Mittel der Vergleichung?” Ebd., Brief 115, S. 688. Vgl. K. Manger, a.a.O., S. 178. Vgl. Stefan Blessin: Goethes West-östlicher Divan und die Entstehung der Weltliteratur. Goethe in interkultureller Perspektive. In: Westöstlicher und nordsüdlicher Divan; Hg. von Ortrud Gutjahr. Paderborn, München u.a. 2000, S. 59-71, hier S. 67. Vgl. Hamid Tafazoli: Der Deutsche Persien-Diskurs. Von der frühen Neuzeit bis in das neunzehnte Jahrhundert. Bielefeld 2007, S. 25.

128

der Gesandtschaften in fremden Ländern, u.a. auch im Orient, ermöglichten einen starken kulturellen Austausch. Am Ende des 18. Jahrhunderts und besonders im frühen 19. Jahrhundert waren es dann die technische

Entwicklung und Beschleunigung der Kommunikationsmittel, die den interkulturellen Austausch beförderten. Neue Verkehrswege wurden geschaffen, der Suez- und der Panama-Kanal sollten entstehen, hinzu kom-

men Dampfschiffe, Eisenbahnen usw.! Goethe beschrieb die Erleichterung der Kommunikation durch die Beschleunigung der Kommunikationsmöglichkeiten in einem Brief an Karl Friedrich Zelter:? [...] Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt; Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Facilitäten der Kommunikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgehet, [...] Eigentlich ist es das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leichtfassende praktische Menschen [...]? Goethe hat in das entstehende Weltbürgertum über die Grenzen deutschen Kultur- und Literaturraums hinausgehend betrachtet.

des

In diesem Zusammenhang wird hier bewusst der von Goethe 1827 geschaffene

Begriff „Weltliteratur

nicht

in die Diskussion

eingebracht,

weil dieser Begriff sich nicht deckt mit dem Interesse, das Goethe schon viele Jahre früher am Orient entwickelt hatte:

1. Goethe verwendete den Begriff Weltliteratur erst lange nach den Divan-Jahren (1814-1819).

2. Goethe verstand unter Weltliteratur den „freien geistigen Handelsverkehr“? hauptsächlich der europäischen, besonders der französischen, italienischen und englischen Literatur.° In einem Brief an C. F. v. Reinhard (vom

18. Juni 1828) setzt Goethe deutlich die Weltliteratur annä-

hernd mit der europäischen Literatur gleich: „Wenn wir eine europäische, ja eine allgemeine Weltliteratur zu verkündigen gewagt haben [...]"® 1

Vgl. Stefan Blessin, a.a.O., S. 64.

2

am 6. Juni 1825.

3

Goethe: Briefe. Auswahl und Einführung von Walter Flemmer. München 1961, S.

274.

4

5 6

Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 12, S. 363.

Siehe auch Stefan Blessin, a. a. O.. 5.64. Goethes wichtige Äußerungen über „Weltliteratur.“ In: Goethes Werke. Bd. 12. 129

Mit ,zunehmender Kommunikation“! konnte der Orient auf dem damaligen Literatur-Markt selbst keine Rolle spielen, weil zu jener Zeit zwischen Okzident und Orient kein gegenseitiger Literaturaustausch („geistiger Handelsverkehr’) möglich war. Allein von Seiten der Europäer wurden Teile der orientalischen Kultur bzw. Literatur zur Kenntnis genommen.

3. Der Begriff Weltliteratur bezeichnet fiir Goethe eine Art von ausgleichendem Wettbewerb zwischen autonomer nationaler Literatur.

2.2 Goethe und der Orient Die im 18. Jahrhundert gebahnte Interkulturalitat mündet an dessen Ende geradezu in eine Hinwendung zum Orient. „Orient“ war in dieser Zeit, nach Burdachs Bericht „ein Zauberwort“ geworden.? Unter Einfluss von Rousseaus Naturevangelium und Herders universeller Lehre von der Natur- oder Volkspoesie suchte die deutsche Romantik nach einer neuen Mythologie. Aus dem Orient sollten alte Sinnbilder geschöpft werden, wie dies Friedrich Schlegel in der Zeitschrift Athenäum (1800; Nr. 3, S. 103)

schrieb:

„Im

in den

allgemeinen

Orient

müssen

wir

das

höchste

Romantische

suchen. ? Auch in Schellings Philosophie heißt es, das Christentum stamme aus dem orientalischen Geiste her. In der Anwendung der Philosophie dieser Urzeit als Kindheit der Wissenschaft solle diese Mythologie „Ozean

der Poesie”

zurückfließen;

denn

diese

ur-

sprüngliche Philosophie und Wissenschaft seien von der Poesie geboren. In dieser Zeit stand nicht nur die Hinwendung zur Urquelle der europäischen Religion, sondern auch der Ursprung der Sprache im Mittelpunkt. So hielt man das Hebräische zunächst irrtümlich für die „ältere

1 2 3 4

Textkritisch durchgesehen von Werner Weber u. Hans Joachim Schrimpf. Hamburg 1963, S. 363. Hervorhebung von mir (M. F.) Blessin, a.a.O., S. 65f. Konrad Burdach: Goethes West-östlicher Divan in biographischer und zeitgeschichtlicher Beleuchtung. In: Edgar Lohner (Hg): Studien zu West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt 1971, S. 310-351, hier S. 318. Ebd. Ebd.

130

Schwester oder die Mutter der europäischen Idiome.! Erst Friedrich Schlegels Abhandlung ,Über die Sprache und Weisheit der Inder“ (1808), in der er vom Sanskrit als der gesuchten Ursprache, von der Griechisch, Lateinisch, Persisch und Gotisch abstammten, schreibt, hat diesen Irrtum aufgeklärt. Auf der Suche nach den echten Wurzeln der europäischen Kultur wollte man im Orient die reine Urreligion, die Spuren des Urvolks und eine neue Mythologie entdecken, man wollte sich Orient-ieren. Auf diese Weise,

besonders

nach

Bekanntwerden

der Sanskritsprache,

kam

man zu der Erkenntnis, dass die europäischen Völker „mit den Persern und Indern von einer Mutter abstammen.” ? Der Ausdruck ,Orient”, von lat. oriens (aufgehend, Aufgang der Sonne), bezeichnet zu Goethes Zeit vor allem das Herrschaftsgebiet des Islam. Goethes orientalistischer Berater Heinrich Eberhard Gottlob Paulus? versteht in seiner Einleitung zur Sammlung der merkwürdigsten Reisen in den Orient „nach dem Sprachgebrauch der orientalischen Philologie“ unter Orient die folgenden Gebiete: „Vorderasien, Persien, Syrien, Palästina, Arabien, Egypten” sowie die islamischen Staaten Nordafrikas.* Goethes Interesse aber „umfasste praktisch den gesamten Orient mit allen Kulturen weit über die islamischen Völker hinaus.“ 5 Wie andere Aufklärer dieser Zeit lenkte auch Goethe seinen Blick über Europa hinaus in weite Fernen. Was aber am Orient lockte Goethe? Ob Goethe die orientalische Kultur erst nach der Bekanntschaft mit dem Diwan von Hafis zu preisen beginnt oder ob diese Neigung aus seiner Jugendzeit stammt, soll im Folgenden untersucht werden. 1 2 3

Ebd., S. 319. Ebd. Paulus, bei dem Goethe Anfangsgründe arabischer Schrift und Sprache lernte, strebte an, die orientalische Philologie aus der Abhängigkeit von der Theologie zu lösen. (Siehe Goethe-Handbuch 4 / 2. Personen, Sachen, Begriffe. Hrsg. von HansDietrich Dahnke u. Regine Otto. Stuttgart, Weimar 1998, S. 814). Außer Paulus waren die Jenaer Orientalisten Lorsbach und Heinrich Friedrich von Diez Goethes

4

5

Orient-Berater. Nach Diez’ Tode sollten etliche orientalistische Berater Goethes, u.a. Johan Gottfried Ludwig Kosegarten, Nachfolger Lorsbachs, auf dem Jenaer Lehrstuhl folgen. Vgl. Anke Bosse: Meine Schatzkammer füllt sich täglich... Die Nachlassstücke zu Goethes West-östlichem Divan Dokumentationen - Kommentar. Bd. 2, Göttingen 1999, S. 596. Goethe-Handbuch: Bd. 4 / 2, (Personen, Sachen, Begriffen). Hrsg. von Hans-Diet-

rich Dahnke u. Regine Otto. Stuttgart / Weimar 1998 S. 813f. Ebd.

131

Goethes Interesse am Orient, besonders an den arabischen Ländern,

hängt mit seiner frühen Bibellektüre zusammen. Seinen autobiografischen Erzählungen in Dichtung und Wahrheit (Zweites Buch) ist zu ent-

nehmen, dass er ungefähr in seinem 12. Lebensjahr Privatunterricht in Hebräisch erhielt. Er „eröffnete“ seinem Vater „die Notwendigkeit, Hebräisch zu lernen‘:!

Überall hörte ich sagen, dass zum Verständnis des Alten Testaments sowie des Neuen die Grundsprachen nötig wären.? Er schreibt über seine Beschäftigung mit dem Alten Testament wie folgt: Aus meinen biographischen Versuchen werden sich Freunde wohl

erinnern, daß ich dem ersten Buch Mosis viel Zeit und Aufmerk-

samkeit gewidmet, und manchen jugendlichen Tag entlang in den Paradiesen des Orients mich ergangen.’ Der junge Goethe lebte (Dichtung und Wahrheit, Vierzehntes Buch) „in

jenen toleranten Zeiten", in denen „man so oft wiederholte, jeder Mensch habe seine eigene Religion, seine Art der Gottesverehrung.“? In eben dieser Zeit wird die Bibel durch die Aufklärung historisiert und entzaubert. Goethe hatte viele Fragen an die Bibel, über die zehn Gebote und Jesus; im Jahre 1773 z.B. stellt er „zwo wichtige [...] biblische Fragen. 5 Die erste steht in Verbindung mit den zehn Geboten auf den Tafeln des Bundes, und richtet sich an die Kirche, die „den Irrthum über diese Stelle heilig bewahrt, und viele fatale Consequenzen gezogen hat“.® Die Beziehung zwischen Moses und Gott versucht er auf einer irdischmenschlichen Ebene zu verstehen: Das Proömium der Gesetzgebung enthält Lehren, die Gott bey seinem Volke als Menschen und als Israeliten voraussetzte. Als Menschen, dahin gehören die allgemeinen moralischen; als Israeliten, die Erkenntniß eines einzigen Gottes, und die Sabbathfeyer.’ 1 2 3 4

Goethe: Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit. Hg. von Hermann Hettner. Mit einem Nachwort von Peter Goldammer. Aufbau-Verlag, Berlin/Weimar 1984, S. 122. Ebd. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 211. Goethe: Dichtung und Wahrheit, S. 610f.

7

Ebd.

5 6

Karl Eibl (Hg.): Der Junge Goethe in seiner Zeit. 2. Bd., Frankfurt/M 1998, S. 388. Ebd., S. 393.

Auch in diesen Zeilen stellt Goethe die Lehre der Kirche in Frage: Wenn

es aber so evident ist, warum

hat die Kirche so viel Jahr-

hunderte in der entgegengesetzten Meynung gestanden?!

In seiner Jugendzeit hatte Goethe unter dem Einfluss von Herders Auffassung über den Volksgeist, die Geschichte der Kultur und der Sprache,

in der, so Herder, „Poesie lebt”, gestanden.? Von Herder hat Goethe „über

etwas weitere Räume als [...] deutsche[n] Kleinstaaten und Reichsstädte“ blicken gelernt: „Das sind die Völker im großen, jedes mit seinem eignen, unverlierbaren Volksgeist."3 Sprache und Poesie miteinander verbindend betrachtet Herder die Bibel ebenso wie u.a. Homers Werke als Dichtung: Poesie steht am Uranfang der Geschichte, Poesie ist die Muttersprache des Menschengeschlechts. In den ältesten Schöpfungen gilt es sie zu erfassen: in den Dichtungen der Bibel, im Homer, in den Mythen, den Volksdichtungen, [...], auch der sogenannten

Wilden oder der verachteten unterdrückten Nationen[...]. Alle diese Völker haben ihre Stimme, und man hat auf sie zu hören. Poesie

lebt in der Sprache.‘

Später in der Erklärung über Hebräer in Noten und Handlungen hat auch Goethe die Bibel als ,Dichtkunst” betrachtet: Da wir von orientalischer Poesie sprechen, so wird notwendig, der Bibel, als der ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein großer Teil des Alten Testaments ist mit erhöhter Gesinnung, ist enthusiastisch geschrieben und gehört dem Felde der Dichtkunst an.° In seiner Auseinandersetzung mit der Religion und mit der Historisierung der Bibel lehnte Goethe die Vergöttlichung Jesu ab. Nach seiner ersten Begegnung mit Johann Caspar Lavater (1741-1801),° seinem GeEbd.

Vgl. Richard Friedenthal:

Goethe - Sein Leben

und seine Zeit. Stuttgart-Hamburg

0

u

he

WW

1963. 9. 85.

Ebd. Ebd. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 129. Lavater, der reformierte Pfarrer und Philosoph aus der Schweiz, ist besonders bekannt für seine 4 Bände umfassende Theorie der Physiognomik, nach der die verschiedenen menschlichen Charaktere anhand der Gesichtszüge und Körperformen erkennbar wären. 133

spräch mit ihm und Fräulein von Klettenberg zieht Goethe den Schluss: Ich konnte weder dem einen noch dem anderen völlig zustimmen: denn mein Christus hatte auch seine eigene Gestalt nach meinem Sinne angenommen.! Goethe schrieb in seiner Klassizistischen Phase seine schärfsten religionskritischen Gedichte nieder, so z. B. die 1797 entstandenen interkulturellen Balladen Die Braut von Korinth und Der Gott und die Bajadere.?

Seine Erkenntnisse blieben nicht ohne literarische Konsequenzen. Den biblischen Satz „Im Anfang war das Wort‘, dichtete er im „Faust“ um: Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rat

Und schreibe getrost: Im Anfang

war die Tat!’

Diese Art von Pragmatismus - ein entscheidender Schwerpunkt in Goe-

thes Philosophie - ist auch in seinen anderen Werken vorhanden; z.B. in „Zahme Xenien II”: „Ist auch wohl noch ein Rat: / Nach fröhlichem Er-

kenntnis / Erfolge rasche Tat.“* Die Handlungslehre ist nach Goethes Auffassung mit Selbsterkenntnis zu verknüpfen: Sich selbst zu kennen, ist nach Goethes Dafürhalten im Handeln, im Tun, möglich: Wie kann man sich selbst kennen lernen? Durch Betrachten niemals, wohl aber durch Handeln, Versuche, deine Pflicht zu tun, und du weißt gleich, was an 015 5

In diesem Zusammenhang mögen untenstehende Zeilen aus Iphigenie auf Tauris ein beredtes Beispiel dafür sein, dass der Mensch lediglich das sei, was er tue. Pylades sagt zu Iphigenie (4. Aufzug, 4. Auftritt):

1 2 3 4 5

Goethe: Dichtung und Wahrheit (Vierzehntes Buch). S. 611. Siehe Goethe: Gedichte 1756-1799. Hrsg. von Karl Eibl. Sonderausgabe zu Johann Wolfgang Goethes 250. Geburtstag. Frankfurt/M 1998, S. 686-695. Goethe: Faust, eine Tragödie. I. Teil (Studierzimmer). In: Goethes Werke; Bd. 3, Hamburg 1963, S. 44. Hervorhebung von mir. Goethe: Gedichte 1800-1832. Hrsg. von Karl Eibl. Frankfurt a.M. 1998, S. 630. Goethes Philosophie aus seinen Werken. Hrsg. von Max Heynacher,. 2. Aufl. Leipzig 1922, S. 26.

134

Auch sind wir nicht bestellt, uns selbst zu richten;

Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen

Ist eines Menschen erste, nachste Pflicht: Denn selten schatzt er recht, was er getan, Und was er tut, weiß er fast nie zu schatzen.!

2.2.1 Goethes Islam-Bild

Goethe will die Geschichte der Religionen studieren, sucht nach Alternativen, die Christus als Prophet nicht länger vergôttlichen, und versucht seine persönliche Religiosität zu entfalten.2 Auf dieser Suche wird er von Herder, als er ihm 1770/71 in Straßburg begegnet, auf den Koran aufmerksam gemacht.’ Insbesondere für Mohammed interessiert Goethe sich, weil er nicht wie Jesus als Sohn Gottes vergöttlicht wird und weil

auch er ein Pragmatiker ist. Von Goethe angeführte Auszüge aus dem Koran dokumentieren dieses Interesse an Mohammed als einem Handelnden,? der ebenso wie alle anderen Propheten

ist und keine „Wunderzeichen” kennt:

(Gesandten)

sterblich

So ist auch Mahomet unter euch nichts als ein Gesandter, und sind

auch schon viele Gesandte vor ihm gestorben. [...] Weiter sagen einige Ungläubige von dir: Ist dann nicht ein Wunderzeichen von seinem Herrn über ihn herabgeschickt worden? Doch du bist nur ein Prediger und ist einem ieden Volck sein Lehrer zur Unterweisung gegeben worden.®

1 2 3 4

5

6

Goethe: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Anmerkungen von Joachim Angst u. Fritz Hackert. Reclam, Stuttgart 1993, S. 48. Vgl. Katharina Mommsen: Goethe und die arabische Welt. Frankfurt a. M. 1988, S. 167 ff. Goethes Quellen waren die Koran-Übersetzung von David Friedrich Megelin von 1772 und die arabisch-lateinische Ausgabe von Ludovico Marraccio (1698, erneut 1721). S. Der Junge Goethe in seiner Zeit. Hrsg. von Karl Eibl. 1. Bd., S. 738. Im Koran wird nicht nur Mohammed,

sondern auch Gott (Allah) als der Handeln-

de dargestellt. Sure III. 138. In: Der Junge Goethe in seiner Zeit; Hrsg. von Karl Eibl. 1. Bd., S. 397. Sure XVII. (Der Donner), ebd., S. 399.

135

Dies betont Goethe durch Heranziehung eines anderen Koran-Auszuges aus Sicht Mohammeds: ,Zeichen stehen bey Gott, ich binn nur ein offenbaarer Prediger."! Mohammed,

den Voltaire in seinem religionskritischen Drama

Le fana-

tisme ou Mahomet le Prophéte (1732) als einen ,Scharlatan” und „Volksverführer” darstellte,? ist für den jungen Goethe ein großer Prophet, der neue Ideen hervorgebracht hat.* In seiner Dichtung Mahomets Gesang? und in der dramatischen Darstellung Mahomet > stellt Goethe ihn dar als großen Strom, der alle Bäche und Flüsse mit sich zieht und das ganze Land befruchtet: Drunten werden in dem Tal Unter seinem Fußtritt Blumen, Und die Wiese lebt von seinem Hauch. ]...[ Und die Flüsse von der Ebene,

Und die Bache von den Bergen,

Jauchzen ihm und rufen: Bruder! ]...[

Triumphiert durch Königreiche;

Giebt Provinzen seinen Namen; Städte werden unter seinem Fuß! ©

Goethe betrachtete Mohammed als großen Religionsstifter, nicht aber als Stifter eines Wundermonotheismus. Aus Goethes Sicht führte Mohammed jedoch nicht nur Glaubenskriege, sondern setzte auch viele neue religiös-gesellschaftliche Gesetze durch. Goethes Mohammed-Bild von einem erfolgreichen Propheten war Teil seiner Auffassung von Denken und Tun, das er in Wilhelm Meisters Wanderjahren Montan in den Mund legte: „Denken und Tun, Tun und Denken, das ist die Summe aller Weis-

m

W

‎‫تخ‬

‫مم‬

heit, von jeher anerkannt, von jeher geübt, nicht eingesehen von einem

5

6

Ebd., S. 400.

Der junge Goethe in seiner Zeit, S. 738. s. Kap. 2.2.1

Siehe Goethe: Gedichte 1756-1799. Hrsg. von Karl Eibl. Frankfurt/M 1998, S. 193 und 316. S. Der junge Goethe in seiner Zeit; S. 205-209.

Goethe: Gedichte 1756-1799, a.a.O., S. 316f.

631

jeden. Beides muß wie Aus- und Einatmen sich im Leben ewig fort hin und her bewegen. ! Goethes Auffassung nach kann man durch Tun sogar immer jung bleiben:

Ich bin nur immer jung, Daß ich was mache;

Wer jung bleiben will, Denk’, daß er mache, [...] ? Was jedoch Goethe hier nicht genau differenziert, ist die Entwicklung des christlichen Gedankenguts im Westen im Vergleich zum Islam. Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen Mohammeds

Tun, das le-

diglich der Verbreitung des Glaubensbekenntnisses und der Einhaltung der Gesetze gilt, und Goethes philosophischem Handeln als Aufklärer. Ein ausschlaggebender Unterschied zwischen dem Christentum im Westen und dem Islam ist die Art ihres Handelns in der wirklichen Welt (dem Diesseits). Dies besonders ist bei der Rezeption der griechischen Philosophie im Okzident und im Orient bzw. im Islam zu beachten. Die griechische Philosophie beruht auf dem kosmologischen Denken, der „Auffassung der Welt als eines wohlgegliederten Ganzen, dessen Wesen

die Harmonie seiner Teile ist.“ Das orientalische Denken ‚zielt nicht auf

die Betrachtung des Kosmos, sondern auf das Verhältnis der individuellen heilsbedürftigen Seele zu ihrem Gott.“ 4 Die Orientalen relativieren alles menschliche Handeln auf die Allmacht Gottes. Sie rezipieren nur den Bereich griechischer Philosophie, welcher ihren eigenen Welt-Ideen am nächsten steht, wenn sie z. B. die Unsterblichkeits- und Seelenlehre des Phaidon aufgreifen. Die islamische Mystik rezipiert neuplatonische Philosophie nur insoweit, als sie mit ihren eigenen Auffassungen in Anlehnung an den Koran in Einklang steht. Von Aristoteles Schriften griffen die islamischen Theologen vor allem zu jenen, „die ihnen einerseits zur Systematisierung des Dogmas, andererseits zur Schmiedung eristischer 1 2 3 4

Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahren (Neuntes Kapitel). In: Goethe; Sämtliche Werke. Bd. 1,10. Hrsg. von Gerhard Neumann u. Hans-Georg Dewitz, FA, 1989, S. 535f.

Im Gedicht Nach Lord Byron. In: Goethe: Gedichte 1800-1832. Hrsg. von Karl Eibl. S. 721. Hans Heinrich Schaeder: Der Mensch in Orient und Okzident. Grundzüge einer eurasiatischen Geschichte. München 1960, S. 124. Ebd. 137

Waffen im Kampf gegen Häretiker und Andersgläubige dienen konnten.“! Der Islam lehnte indes jenen Teil der griechischen Philosophie ab,

der die Gesetze dieser Welt/Natur (Diesseits) zu erkennen sucht. Der Is-

lam betrachtet das Diesseits lediglich als eine Brücke, über die der Mensch als Reisender das Jenseits erreichen muss.? Nizämi, der persische Dichter, legt Jesus in seinem Gedicht Jesus und der tote Hund dies in den Mund: Weil die ganze Welt von Uralt bis zum Neuen nur vergänglich ist, ist sie keinen Heller wert.’

‫ چون گذران است نیرزد دو جو‬/ ‫ ز کهن تا به نو‬Lis‫جمله‌ی ‏‬

Nach dieser Lehre des Koran, dass das Diesseits nichts weiter als eine‫‏‬ Brücke sei, sollen die Muslime sich nicht an diese Welt ketten, sondern sich vielmehr auf das Jenseits vorbereiten:

32 Das diesseitige Leben ist (doch) nichts als Spiel und Zerstreuung. Die jenseitige Behausung ist für diejenigen, die gottesfürchtig sind, wahrhaftig besser.*

Die islamischen Denker waren entschieden gegen die griechische Philosophie, weil diese nach Erkenntnis der wirklichen Welt, des Außen/Diesseits, strebte, während die islamische Lehre zur Erkenntnis des Innen/Jenseits auffordert. Rumi hat dies in einem Gedicht verdeutlicht, in dem er Wissen oder Wissenschaft ausschließlich zur Vertiefung des Inneren förderlich weiß, das Wissen über das Diesseits seiner Auffassung nach jedoch nur belastet:

1 2

Ebd. Arabisch:

3

Nezämi Gangawi: Hamse-ye Nezami. Mahzan al-Asrär. Hrsg. von 5. Basir-Mozdahi u. B. Horramÿähi. Teheran 2004, 5. 77. Übersetzung von mir (M. F.). Ein Teil der Übersetzung dieses Gedichts wurde von Goethe in Noten (unter dem Titel Allgemeines) eingetragen. Hier hat er das Gedicht mit Begeisterung und Lob interpretiert (S. 166). Die Verse, die ich hier übersetzt und angebracht habe, sind nicht in Goethes Noten enthalten. Koran; Sure 6, Das Vieh, S. 95. Das Original, S. 131.

4

‎‫( الدنیا قنطرة فاعبروها و لا تعمروها‬Diese Welt ist eine Brücke; passieren Sie

sie und kultivieren Sie sie nicht!).

138

Wenn das Wissen das Herz (Innen) betrifft, wird es hilfreich,

wenn aber das Wissen den Körper (Außen)

betrifft, ist es nur Last.

‎‫علم چون بر دل زند یاری شود‬ ‫علم چون بر تن زند باری شود‬

Eine ähnliche Meinung hat auch ‘Attar: „[...] Religiöse Wissenschaft ist Jurisprudenz, Koranauslegung und Uberlieferung - und wer irgendetwas anders liest, wird verabscheuungswürdig."? Eine feindliche Einstellung zur griechischen Philosophie oder überhaupt gegen jegliche Verweltlichung war nicht nur im Philistertum vorhanden - auch die Mystiker verhielten sich den Philosophen gegenüber feindselig: Mohammad Gazzäli, ein bekannter iranischer Koran-Interpreter und Mystiker des 11. Jahrhunderts, betrachtet die Philosophen aller Schulen als „Heiden“. Er spricht nicht nur über die griechischen Philosophen wie Platon und Aristoteles, sondern auch über iranisch-islamische Wissenschaftler und Theologen wie Avicenna (gest. 1037) und Abu Reyhän Biruni (gest. 1048) den Bann, weil sie sich mit der griechischen Philosophie beschäftigten.? "Abdul Qader Gilani (1078-1166), ein bekannter Sufi-Ordensmeister, wusch philosophische Texte ab, die „er für gefährlich für seinen Schüler erachtete.“4 Rumi nannte die Philosophen „verachtungswürdige Teufel” und „Blinde“. Er wünschte ihre Vernichtung, weil sie „Zweifel hervorrufen‘. Mit der Anerkennung der absoluten Wahrheit des Islam waren Zweifel an Spirituellem seitens der Philosophen keinesfalls vereinbar. Häqäni, ein persischer Dichter des 12. Jahrhunderts, hat in einem Gedicht die Missbilligung der griechischen Philosophen seitens islamischer Denker beschrieben. In diesem stellt er Aristoteles’ Gedanken als ein Schloss an der Tür der islamischen Welt und Platons Ideenlehre als schlechte Verzierung für den Islam dar, was einer Warnung der islamischen Welt vor griechischer Philosophie gleichkommt: 1 2

Rumi, Jalal ad-Din Molawi: Masnawi-ye ma‘nawi. Hrsg. von Reynold A. Nicholson. 9. Aufl. Teheran 1983, S. 170. Übersetzung von mir. Farid ad-Din ‘Attar: Musibatnäme. Ed. N. Wesäl. Teheran 1959, 5. 54. Übersetzung

3

Vgl. Qäsem Gani: Bahs dar äsär wa afkär wa ahwal-e Hafez. Bd. 2 [Geschichte der

4 5

Vgl. Schimmel, a.a.O., S. 36. Siehe Rumi, a.a.O., S. 105f.

ins Deutsche a.a.O., S. 36.

von

Annemarie

Schimmel

in: Mystische

Dimensionen

des Islam,

Mystik im Islam]. Teheran 2007. S. 561.

139

Mit dem mythischen Schloss verschließt nicht die Tür der Mit dem zerriebenen Muster zeichnet nicht auf der besten

des Aristoteles besten Nationen [islamischen Welt]! des Platon Seide [Islam]! !

‫ اسطوره‌ایٍ ارسطو را‬Hs‫‏‬

‫بر در احسن‌الملل منهید‬ ‫نقش فرسوده‌ی فلاطن را‬

‫بر طراز بهین حلل منهید‬

Das Christentum im Westen verwendete ebenfalls - wie der Islam - Teile der griechischen Philosophie zugunsten der eigenen Theologie; Augustinus z.B. setzte sich mit Platons Philosophie auseinander.? Nach der Reformation allerdings und besonders während der Aufklärung machte man sich im Westen - anders als im Islam - nicht nur die griechische Philosophie zunutze, was den Westen in der Entfaltung der Rationalitat und

Erkenntnis

der

Natur-Gesetze

weiter

voranbrachte,

sondern

das

Christentum hat den benediktinischen Grundsatz ora et labora sich entfalten lassen. Dieser Grundsatz bezeichnet den Glauben, dass der Weg zur Gottheit schlussendlich nur über Gebet und harte Arbeit führt. So konnte sich der Westen aus der mittelalterlichen Geschlossenheit, Unmiindigkeit und Homogenitat, in der der Mensch sich des jenseitigen Lebens mittels tugendhaften Handelns versicherte, befreien und mittels diesseitigen Handelns die Freisetzung des Individuums aus seinen vormodernen Kontexten ermôglichen. Die Eigenverantwortlichkeit des Individuums stellte sich gegen die Zwange der Religion. So konnten die Denker viele Phanomene wissenschaftlich untersuchen und eine Vielfalt der Lebensmôglichkeiten schaffen, infolge derer die Vorgänge der Welt nicht mehr als die Wirkung eines gôttlichen Willens, sondern als Folge der Naturgesetze betrachtet werden konnten. Während die islamische Frömmigkeit sich nach wie vor ausschließlich nach innen wendet, wenden sich nun die christlichen Denker - wie Goethe - sowohl nach innen als auch nach außen. Goethe lebte in einer Synthese von Sinnlichkeit und 1 Siehe Qäsem Gani, a.a.O,. Bd. 2, S. 564. Übersetzung von mir.

2 3

Siehe Christoph Horn: Augustinus. Beck’sche Reihe. Denker. München 1995, oder Aurelius Augustinus: Der Gottesstaat. In dt. Sprache von Carl Johann Perl. 2. Aufl. Salzburg 1966. Vgl. Gerhard Wehr: Die deutsche Mystik. Leben und Inspiration gottentflammter Menschen in Mittelalter und Neuzeit. 2006, S. 13.

140

Vernunft, anknüpfend an Leibnizens Monadentheorie und dessen Auffassung von der Harmonie des Universums.! Goethe - und besonders der junge Goethe - las vermutlich aus dem Koran genau das heraus, was seinem eigenen Denken entsprach. Er zitierte lediglich die friedliche, mit der Lebenspraxis verbundene Seite des Koran. Katharina Mommsen vermutet, dass ihn jene Auszüge aus dem Koran interessierten, die er für seine dichterische Arbeit verwenden wollte,? im Allgemeinen romantisierte er Mohammed. In den von Goethe ausgewählten Koran-Auszügen? findet sich keine Spur von der Gewaltbereitschaft Mohammeds und seinen Eroberungskriegen oder von einem drohenden und auch unterdrückerischen Allah (Gott). In Goethes Koran-

Auszügen kommen Koran-Verse wie der folgende, in dem Allah dem Propheten das Töten der „Ungläubigen” gebietet, nicht vor: 89 [...] Nehmt euch daher niemand von ihnen [den Ungläubigen]

zu Freunden, so lange sie nicht (ihrerseits) um Gottes willen aus-

wandern! Und wenn sie sich abwenden (und eurer Aufforderung

zum Glauben kein Gehör schenken), dann greift sie und tötet sie, wo (immer) ihr sie findet, und nehmt euch niemand von ihnen zum Freund oder Helfer!4 Der Befehl,

Gewalt

auszuüben

und

die „Ungläubigen”

oder die „heid-

nischen Gegner“ zu „töten‘, ist in verschiedenen Suren (Sure von der Kuh (2), Verse 191 und 244, Sure von der Sippe Imräns (3) Verse141, Sure von

den Frauen (4), Verse 84 und 89, Sure von der Beute (8), Verse 7 und 12,

Sure von der Buße (9), Verse 5 und 12 usw.) in unterschiedlicher Form auf wiederholte Weise zu finden. Katharina Mommsen zeichnete in ihrer umfangreichen Forschung über Goethe und die arabische Welt ein einseitiges, „stilisiertes Bild”° von der arabischen Welt und hob Goethes einseitiges Verhältnis zu dieser Welt hervor. Die Kritiker des Islam sind ihrer Darstellung nach „engherziger Ansicht” und sie nannte sie „verständnislos und intolerant”; dahin1

2 3 4

5

Vgl.

Goethes Philosophie aus seinen

S. 95. Siehe Katharina Mommsen: S. 179.

Werken.

Hrsg.

von Max

Haynacher,

a.a.O.,

Goethe und die arabische Welt. Frankfurt a.M. 1988,

Siehe Der Junge Goethe in seiner Zeit. Bd. 1, S. 397- 400. Der Koran; Sure 4, Die Frauen, S. 69. Hervorhebung von mir.

Siehe Stefan Blessin: Goethes West-östlicher Diwan und die Entstehung der Weltliteratur Goethe in interkultureller Perspektive, a.a.O., S. 61. 141

gegen stimmte sie Einschätzungen anderer wie z.B. Herder zu, die in ihrer Aversion gegen die Institution der Kirche meinten, ein Buch wie der Koran könne viele Probleme Europas lösen: Wenn die germanischen Überwinder Europas ein klassisches Buch ihrer Sprache, wie die Araber den Koran, gehabt hätten, nie wäre die lateinische eine Oberherrin ihrer Sprache geworden, auch hätten sich viele ihrer Stämme nicht so ganz in der Irre verloren.!

NH mW

=

In ihrer Hinneigung zum Islam akzeptiert Mommsen sogar Herders Befürwortung des Verbotes von Wein und gewinnsüchtigem Spiel im Islam als „Reinheitsbestrebungen, mit denen die Anhänger der muslimischen Religion Gott, dem Schöpfer, Regierer und Richter der Welt zu dienen sich bemühen.” ? Mommsen versucht, uns vom Islam das nur positive, vereinfachte Bild im „Sinne einer humanen, aufgeklärten Gesinnung“ zu präsentieren. Ihre romantische, humane Gesinnung jedoch brachte sie dazu, den Islam überzubewerten und ihn allzu einseitig zu betrachten. Ausgehend von Goethes positiver Einstellung zum Islam entwirft Mommsen nun ein ebenso idealistisches Bild. Gewiss ist, dass Goethe den Islam verehrte und in seinen Jugendjahren von Mohammed und dem Koran begeistert war. In seiner klassizistischen Epoche übersetzte und bearbeitete er aber Voltaires islamkritische Tragödie Mohamed. Er begründete seine Übersetzung in einem Brief an Knebel (vom 10.1.1800) damit, dass die „Vergleichung mit dem Original [...] den denkenden Deutschen auffordern [sollte] über das Verhältniß der Kunst beyder Nationen nachzudenken.“ ? Er bringt in den Noten und Abhandlungen? durchaus Kritik an, z.B wenn er im „Buch Hafis” die Fetwa 6 in Frage stellt.” Goethe sieht z. B. im Übertreten religiöser Gesetze seitens des Dichters nicht nur keine Gotteslästerung, für ihn ist die Verletzung dieses Gesetzes eine Art AbmaSiehe K. Mommsen: Goethe und die arabische Welt. S. 165. Ebd., S. 164.

Ebd.

Goethe-Handbuch: Bd. 2 (Dramen). Hrsg. von Theo Buck. Stuttgart / Weimar 2004,

S. 504.

5 6

Weiterhin zitiert als Noten. Fetwa (korrekter fatwä) ist das Rechtsgutachten eines muslimischen Geistlichen,

7

Siehe Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, 5. 231 .

ein auf den Bestimmungen des Schariats (islamischen Gesetzes) begründetes Urteil, womit der religiöse Führer seine Macht ausübt.

142

chung des Dichters mit Gott. Er findet außerdem die Lehre des Propheten im Vergleich zur Mannigfaltigkeit des Poeten ,eintônig”.! Er schreibt: „In seiner Abneigung gegen Poesie erscheint Mahomet auch höchst konsequent, indem er alle Märchen verbietet.” ? Goethe kannte, durch Hammers Übersetzung einiger Koranverse, Mohammeds negative Einstellung zu Dichtern und Poesie, dass Dichter Lügner seien, die sich mit Teufeln einließen und ihre Versprechen nicht halten.’ 220. Soll ich dir sagen auf wen die Teufel niedersteigen? 221. Sie steigen nieder auf die Lügner [...]. 223. Die Poeten folgen ihnen, und lassen sich von ihnen betrügen. 224. Siehst du denn nicht, wie sie durch alle Thäler schweifend nimmer ruhn. 225. Und Dinge sagen, die sie nimmer thun.{ Goethe ist sich sehr wohl dessen bewusst, dass Mohammed „Gottes wah-

re Religion auf Erden durch Gewalt der Waffen” gepflanzt hat. Expressis

verbis drückt er das in seinem

„Plan eines Mahomet-Dramas“

über die

„Grausamkeit“ Mohammeds gegenüber seinen Gegnern, die er hinrichten lässt, aus: Im dritten Akt bezwingt er [Mahomet] seine Gegner [...]. Im vierten Akt verfolgt Mahomet seine Eroberungen, die Lehre wird mehr Vorwand als Zweck, alle denkbaren Mittel müssen benutzt werden; es fehlt nicht an Grausamkeit. Eine Frau, deren Mann er [Mahomet] hat hinrichten lassen, vergiftet ihn.®

Eine weitere Kritik Goethes an Mohammed, der der ältesten arabischen Volkspoesie, nämlich Moallakat, „eine düstere Religionshülle überwarf und jede Aussicht auf reinere Fortschritte zu verhüllen wusste”,? lesen 1

Ebd.,S.

2

Ebd.,S. 147.

4

Sure 26, Die Poeten, in: Hammer-Purgstall: Fundgruben des Orients. Bearbeitet

3

0

5 7

145.

Goethe hat diese Koran-Verse im Gedicht Anklage umgedichtet. Siehe Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 23. s. Kap. 3.1.1

durch eine Gesellschaft von Liebhabern. Bd. 3, Wien 1813, S. 254f. Die Verse von Rudi Parets Koran-Übersetzung, welche ich in der vorliegenden Arbeit anführe,

sind 224 bis 226 (Sure 26, Die Dichter), S. 262f. Original, S. 376. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 146.

Goethe: Dichtung und Wahrheit. S. 629.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 131.

143

wir in einem von ihm angeführten arabischen Gedicht aus jener Zeit, mit dem er uns die Grausamkeit zu Mohammeds Zeit vor Augen führt: So fügen wir ein anderes

[Gedicht] bei, aus Mahomets

Zeit, und

vôllig im Geiste jener. Man kônnte den Charakter desselben als düster, ja finster ansprechen, glühend, rachlustig und von Rache gesättigt.! Der Schluss, den Goethe daraus zog, formulierte er mit den Worten: ,Die

Größe des Charakters, der Ernst, die rechtmäßige Grausamkeit des Handelns sind hier das Mark der Poesie.“? Goethe setzte sich als teilnehmender interkultureller Beobachter mit der Orthodoxie des Islam auseinander. Im Buch des Paradieses z. B spricht er, mit seiner aufgeklärten Auffassung, mit einem ironischen Unterton über das islamische Paradies, was er als „Scherz” bezeichnet. Er vertritt über das Eingehen in das von ihm geschaffene Paradies eine andere Meinung als Mohammed: Verspricht der islamische Prophet nur seinen Glaubenskämpfern das Paradies, möchte Goethe keinen Unterschied zwischen den Glaubensrichtungen machen. Mehr noch: Goethe erschafft eine Huri, die nicht mit der im Koran beschriebenen Huri übereinstimmt,

und könnte damit - nach der Lehre des Koran - in die Nähe von Blasphemie gerückt werden. Die Huri ist im islamischen Paradies eine himmlische Jungfrau und für die Liebesfreuden der „tugendhaften Mohammedaner“ zuständig. In Goethes Paradies spricht sie als gleichberechtigte

Frau mit dem Dichter (Goethe), womit sie sich vom Charakter und der

Rolle der Frauen im Islam vollkommen unterscheidet. Nicht Gott oder ein besonderer Wächter-Engel, wie es der Koran lehrt, sondern die Huri entscheidet, ob der Dichter/Goethe ins Paradies eingehen darf.?

Wenn Goethes Äußerungen über den Islam widersprüchlich erscheinen, so mag dies mit seiner juristischen Ausbildung in Gesprächsführung zusammenhängen, aber auch damit, dass er tatsächlich Sachverhalte nie nur von einer Seite aus sah.

1

Ebd., S. 131.

2 3

Ebd.,S. „Scherz ander.“ s.Kap.

4

144

135. und Ernst verschlingen sich hier [im Buch des Paradieses] so lieblich ineinGoethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 210. 4.2.1

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Goethe immer versuchte das Positive, Friedliche in der orientalischen Kultur zur Geltung zu brin-

gen, um darauf sein Verhältnis zum Orient zu bauen. Wenn Goethes Verhältnis zur fremden Kultur, und hier auch zum Islam, nur pejorative Züge enthalten hatte, ware es ihm nie gelungen, einen solchen west-östlichen Dialog zu beginnen. Goethes

fehlendes Dementi

zur Vermutung,

er sei womöglich

Moslem,

führt Mommsen zu Unrecht als Beweis an.! Goethe hat dies aber in seiner Ankündigung in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände (24. Februar 1816) über das Eröffnungsgedicht Hegire als eine imaginative Reisende symbolisch geäußert. Er könne sich nicht auf eine einzige „Denkweise“ beschränken. In einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi (vom 6. Januar 1813) erklärte er:

Ich für mich kann bei den mannigfaltigen Richtungen meines Wesens nicht an einer Denkweise genug haben; als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und eins entschiedener als das andere.° Es war nicht nur Goethes kritische und in sich widersprüchliche, zweif-

lerische Art und die Mannigfaltigkeit seines Wesens, die ihn seinen Blick auf den Islam und den Orient richten ließen - Goethe war begierig, etwas Neues zu entdecken. In seinem Wunsch, fremde Welten, so auch den Islam, zu entdecken,

sucht Goethe das Neue, um sich selbst zu finden und seine Poesie emporzuheben. In einem Brief an Karl Friedrich Zelter vom 11. Mai 1820 bezieht er sich auf den Islam: „Diese Mohammedanische Religion, Mythologie, Sitte geben Raum einer Poesie, wie sie meinen Jahren ziemt.“? In diesem Zusammenhang

rung“ für die Literatur: 1

2 3 4

Siehe K. Mommsen:

ist das Altertum für Goethe auch „Nah-

Goethe und Moallakat. Sitzungsberichte der Deutschen Akade-

mie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin 1960, S. 27. Siehe Goethe: West-östlicher Divan. In: Goethe; Sämtliche Werke. Bd. I, 3/1, FA, 1994, S. 549.

Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Bd. 19, Briefe 1786-1814. Hrsg. von Christian Beutler. Zürich 1951, S. 689. Goethe: Briefe. Auswahl und Einführung von Walter Flemmer. München 1961,

S. 292f.

145

Geht es ja doch mit dem Altertum auch so; der neue in Mailand vorgefundene gebildete Homer, besonders dessen Scholien werden unseren Literatoren von neuem zu tun geben, indessen der ästhetische Sinn am Hergebrachten immer noch genug Nahrung findet.! Goethe drängte immerwährend bis zu seinem Tode danach, „etwas anderes, Neues zu denken“, um sich zu „verjüngen“. Er sprach noch in seinem 80. Lebensjahr am 24. April 1830 zum Kanzler von Müller darüber: Ich strebe vielmehr, täglich etwas andere, Neues zu denken, um nicht langweilig zu werden. Man muss sich immerfort verändern, erneuern, verjüngen, um nicht zu verstocken.? Die Suche nach dem Denken von Neuem und der Drang, es auch zu finden, ist für Goethe nun zugleich eine Motivation, neue Ideen und neue Kunst zu schaffen. Er wollte Werke aus anderen Kulturen für seine dichterische Schöpfung produktiv verwenden. Bei allem Gesagten ist einzubeziehen, dass Goethe in einer Zeit lebte, in der es keine ernsthafte Auseinandersetzung, keine Reibungspunkte wie heute mit dem Orient, besonders dem Islam, gab. Dieser Umstand öffnete

Goethe einen Spielraum und führte dazu, dass er es mithin einfacher hatte, sich mit dem Thema Islam zu befassen und sich dem Orient und dem Islam soweit nähern zu können. 2.2.2 Goethe und

1001 Nacht

Goethe suchte einen Ort, „wo sich Natur und Kunst im anfänglichen Sinne begegnen.“? Im Aufsuchen der Kunst an ihrer Quelle bzw. auf der Suche nach der natürlichen Kunst stieß er auf die Antike wie während der Italien-Reise. Sein Interesse an den Märchen aus 1001 Nacht, das seine Mutter in der Kindheit mit Erzählungen geweckt hatte? und das später inhaltlichen und formalen Einfluss auf seine Werke hatte, zeigt seinen 1

Ww

2 4

In seinem Brief an Karl Ludwig von Knebel (29. Dezember a. 2. O., S. 290.

1819). Goethe: Briefe.

Goethes Philosophie aus seinen Werken, Hrsg. von Max Haynacher, a.a.O., S. 1. Blessin, a. a. O., S. 63. Vgl. K. Mommsen: Goethe und 1001 Nacht. Frankfurt/M 1981, S. 3f.

146

Willen zur Suche nach natürlicher, ursprünglicher oder volkstümlicher Kunst. Das Interesse an 1001 Nacht erreicht Deutschland in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts. Bereits im Frühwerk Laune des Verliebten, einem Schäferspiel, entlehnt Goethe den Namen der Heldin (Amine) aus einer Geschichte aus 1001 Nacht.! In der Phantasie des Knaben im Knabenmärchen „vermischen sich griechische Mythologie und Vorstellungen aus der

Welt von 1001 Nacht. ? Die Wirkung der Geschichten der Scheherazade auf Goethes literarische Arbeit beschränkt sich nicht allein auf Märchen wie Der neue Paris, Knabenmärchen

und das Feenspiel Lila (1777) oder

eine Reihe von Erzählungen, die in sechs Fortsetzungen im Jahre 1795 in den Horen erschienen, in denen, nach F. W. Riemers Bericht, Goethe „eine Art von tausend und einer Nacht“ liefern wollte. Scheherazade (korrekter Sahrzäd) ist ein persischer Mädchenname,

der auf das persische Wort „cehrzäd” zurückgeht. Es bedeutet „freigeboren, vornehm, adlig“. Eigentlich sind die Geschichten von 1001 Nacht aus einem verlorenen mittelpersischen Märchenbuch unter dem Titel 1000 Märchen ins Arabische übersetzt. Das Buch

1000 Märchen bestand zum

Teil aus indischen, ins Mittelpersische übersetzte Märchen. Obgleich in der arabischen Version viele Geschichten islamisiert worden sind, sind immer noch Namen und Motive geblieben, die der persischen Kultur ent-

stammen. Goethe hat die „Vermehrung“ der Märchen in der SassanidenZeit (persische Dynastie / 4.-7. Jh., während welcher Mittelpersisch gesprochen wurde) betont, als er über das „Verbot aller Märchen” von „Mahomet“ schreibt: „Diese Luftgebilde, über einem wunderlichen Boden schwankend, hatten sich zur Zeit der Sassaniden ins Unendliche vermehrt, wie uns Tausendundeine Nacht, an einen losen Faden gereiht, als

Beispiel darlegt."* 1001 Nacht hat Spuren auch in Goethes späteren Arbeiten wie Wilhelm Meisters Wanderjahre hinterlassen. Die Art und Weise der Einschal-

tungen, Unterbrechungen,

Fortsetzungen und der ,Verflechtungen‘

Wanderjahre stehen nach Ansicht Mommsens

1 2 3 4 5

in

formal der Erzähltechnik

Goethe dichtet dieses „Schäferspiel” in seinem 17. Lebensjahr. Es ist zu finden in: Goethes Werke; Bd. 4, Hamburger Ausgabe, S. 7-27. K. Mommsen: Goethe und 1001 Nacht. a.a.O, S. 5. Ebd., S. 57. Goethe wurde von Schiller ermuntert, diese Erzählungen (die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten) zu schreiben. Siehe 1001 Nacht, persische Fassung, Spanga, [1995], S. 1ff. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 148. 147

von 1001 Nacht nahe.! Dass dem tatsächlich so ist, ist in einem Brief Goethes an C. W. Göttling (27. Jan. 1829) zu lesen, in dem er schreibt, er habe die Wanderjahre ,Stückweise” „nach Art der Sultanin Scheherazade“ nie-

dergeschrieben.? Im Zuge seiner in diese Richtung gehenden Lektüre stieß Goethe

auch auf andere orientalische Texte, u.a. auf William Jones’? Werk über

die früharabische, vorislamische Dichtung Moallakat (1783), die er später in den Divan eingetragen und die eine Wirkung auf seine literarische Arbeit ausgeübt hat.‘ Nicht nur in seiner Jugendzeit beschäftigte Goethe sich mit OrientStudien, sondern er studierte erst recht nach seiner Begegnung mit Ha-

fis’ Diwan im Jahre 1814 intensiv orientalische Kultur und Literatur, be-

sonders das Persische. In einem Brief an Carl Ludwig von Knebel vom 11. Januar 1815 beschreibt Goethe seine eindringliche Beschäftigung mit dem Orient wie folgt: So habe ich mich die Zeit meist im Orient aufgehalten, wo denn freylich eine reiche Erndte zu finden ist. [...] geht man aber einmal ernstlich hinein, so ist es vollkommen als wenn man in's Meer geriethe. Indessen ist es doch auch angenehm, in einem so breiten Elemente zu schwimmen und seine Kräfte drin zu üben. Ich thue dieß nach meiner Weise, indem ich immer etwas nachbilde und mir so Sinn und Form jener Dichtarten aneigne. [...] so muß man es denn auch machen, wenn man ihm etwas abgewinnen will, und

1 2

Siehe Mommsen: Goethe und 1001 Nacht, S. 64f. Goethe: Briefe Oktober 1828 - Juni 1829. In: Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. TV Abteilung, Bd. 45, Weimar

3

Sir William Jones (gest. 1794) ging 1783 als Richter nach Fort William in Kalkutta. „Er hatte sich bereits zuvor mit der orientalischen Poesie befasst. In seinen Poeseos arabicae commentariorum libri sex (1774) gab er einen Überblick über die arabische und persische Dichtung, der 1777 von J. G. Eichhorn in Leipzig nachgedruckt wur-

1908, S. 140.

de. Sein österreichischer Freund Graf Rewiczky (gest. 1793) hatte erstmals Gedich-

te von Hafis veröffentlicht (Specimen poeseos asiaticae, 1771), wobei er, wie auch Jones, die Gedichte in den Stil lateinischer Oden übertrug.” Siehe Annemarie Schimmel: Der islamische Orient - Weg seiner Vermittlung nach Europa. In: Jochen Golz (Hg.): Goethes Morgenlandfahrten; West-östliche Begegnung. Frankfurt /M 4

1999, S. 16- 27, hier S. 23.

Vgl. Katharina Mommsen: Goethe und Moallakat. Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin 1960.

148

sollte man dabey auch die Rolle des Kindes spielen, das mit einer Muschel den Ocean in sein Grübchen schôpfen will.! Ein weiterer, an Graf von Uvarov? ([27.2.]1811) geschriebener Brief mag Goethes Interesse am Orient einmal mehr illustrieren. Er begrüßte 1811 die Pläne einer St. Petersburger asiatischen Sozietät derart, als müsse aus der „neuen orientalischen Societät [...] eine ganz neue Welt entspringen [...], wo wir in größerer Fülle wandeln, und das Eigenthümliche unseres Geistes stärken und zu neuer Thätigkeit anfrischen können.’ Eine ganz neue Welt schaffen, in größerer Fülle wandeln, das Eigentümliche des Geistes stärken und zu neuer Tätigkeit anfrischen sind besonders passende Motive für Goethe, als er 1814 den persischen Dichtern begegnete, um sich geistig und kreativ dem Orient zuzuwenden: Wollen

wir an diesen

Produktionen

der herrlichsten

Geister

teil-

nehmen, so müssen wir uns orientalisieren. Der Orient wird nicht zu uns herüberkommen.{

2.3 Goethe und Persien Das erste in einem deutschen Reisebericht - von Johann (Hans) Schiltberger (1380-1427) aus München - vermittelte Persienbild stammt aus

der

spätmittelalterlichen

Epoche.

Schiltberger

beschreibt

Reiserouten

und Reiseorte unter der Herrschaft Timurs in Persien und anderen Ge-

bieten wie Kleinasien, Ägypten, Indien, Kaukasus u.a.° Trotz dieses Rei1 2

3

Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Bd. 21, Briefe 1814 - 1832. Zürich 1951, S. 48. Sergei Uvarov, ein junger russischer Adliger, „Sohn eines Adjutanten der Kaiserin

Katherina, hatte in Deutschland studiert und war zum entschiedenen Verehrer des deutschen Geisteslebens geworden, dessen letzte Krone er Goethe nennt.“ Siehe Hans Heinrich Schaeder: Goethes Erlebnis des Ostens. Leipzig 1938, S. 9f. Goethe-Handbuch, 4/2, S. 813. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 184f.

5 Johann Schiltberger wird gelegentlich als der „deutsche Marco Polo” bezeichnet, er war als Ritter Teilnehmer am Krieg von Nikopolis (1396) zwischen dem später deutschen Kaiser Sigmund von Ungarn und dem osmanischen Sultan Bajazid I. Er verbrachte sechs Jahre in osmanischer Gefangenschaft, diente unter Timur und seinen

Nachfolgern im Heer. Er berichtete über Persien nur spärlich und allgemein. Siehe Johann Schiltberger: Irrfahrt durch den Orient. Der aufsehenerregende Bericht einer Rei149

seberichts und Michael Heers deutschen Übersetzungen aus dem Arabischen (1515) und der Übersetzung von Ludovico Bathemas Reisebericht über Persien, Arabien und Indien am Anfang des 16. Jahrhunderts ,blieb Persien für das deutsche Interesse bis um die Wende zum 17. Jahrhundert zunächst unbedeutend.“! Im 17. Jahrhundert weckten die neue Rei-

seberichterstattung diplomatischer und handelspolitischer Reisender das Interesse der Deutschen an Persien. Zunächst verôffentlichte Georg Tec-

tander von der Jabel (1581-1614), der die Gesandtschaft Rudolf II. beglei-

tete, eine Beschreibung seiner Reise nach Persien unter dem Titel Iter Persicum [...] Beschreibung der Persianischen Reise (1610). Diese Reise, die am 27. August 1602 in Wien begann und am 8. August 1603 die erste persische Stadt in der Provinz Gilan am Kaspischen Meer erreichte, kann als erste diplomatische deutsch-persische Beziehung bezeichnet werden.? Tectander gelang es, Schah ‘Abbas I., den persischen König der Safaviden-Dynastie, in der Stadt Tabriz zu treffen. Ein weiterer Reisebericht wurde von dem zehn Jahre nach Tectander nach Persien reisenden schle-

sischen Adligen Heinrich von Poser (1599-1661) niedergeschrieben. Den wichtigsten und ausführlichsten Reisebericht des 17. Jahrhunderts aber schrieb Adam Olearius (1599-1671), der im Auftrag des Herzogs Friedrich III. nach Persien kam. Er ist der erste Deutsche, der einen literarischen

persischen Text - Sa’dis Golestan - unter dem Titel Persianisches Rosenthal (1654) und in Zusammenarbeit mit seinem persischen Freund Hakwirdi direkt vom Persischen ins Deutsche übersetzte. Hakwirdi begleitete als Sekretär die Gesandtschaft des Schahs von Persien zu Herzog Friedrich III? Die erste deutsche Übersetzung von Sa’dis Golestan war übrigens zwanzig Jahre vor Olearius’ Übersetzung

von Johan

Friedrich Ochsen-

bach unter dem Titel Gvlistan (Königlicher Rosengarten) herausgekom-

1 2 3

se, die 1394 begann und erst nach über 30 Jahren ein Ende fand. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen und hrsg. von Markus Tremmel. Taufkirchen 2000, S. 88-90. Hamid Tafazoli: Der Deutsche Persien-Diskurs. Bielefeld 2007, S. 144-47. Vgl. ebd., S. 153f. „Hakwirdi blieb nach der Beendigung seiner diplomatischen Aufgabe mit seinem Sohn bei Olearius. Der sechsundfünfzigjährige Sekretär wurde der deutschen Sprache kundig, ließ sich mit Erlaubnis Friedrich II. taufen und trat dann zum Christen-

tum über. Bis zu seinem Tod am 18. Januar 1650, im Alter von 66 Jahren, lebte er bei

Olearius.“ Ebd., 5. 166 u. 286. Mehr dazu 5. Faramarz Behzad: Adam Olearius' Persianisches Rosenthal. Untersuchungen zur Übersetzung von Saadis Golestan im 17. Jahrhundert. Göttingen 1970. 150

men. Für seine Ubersetzung hatte Ochsenbach seinerzeit jedoch die französische Übersetzung des Golestan von André Du Ryer verwendet. Olearius’ Übersetzung konnte - im Gegensatz zu Ochsenbachs - „wirkungsgeschichtlich enorm an Bedeutung gewinnen.” ! Hinzu kamen Paul Flemings (1609-1640) poetische Reiseberichte über

Persien

(1633).

Er nahm

auf Wunsch

Olearius’

ebenfalls

an

der

Dienstreise der schleswig-holsteinischen Gesandtschaft nach Persien teil. Seine „Persianischen” Gedichte erschienen 1642 in seinem Gedichtband Teütsche Poemata (ab 1651 unter dem Titel Geist- und Weltliche Poemata).

Fleming hatte als Dichter mehr Interesse an Themen und Motiven wie Landschaft, höfischen Ritualen, Empfängen, Jagdszenen und besonderes der Beschreibung der Eigenart der fremden Völker usw.?

Carsten Niebuhrs (1733-1815) Bericht über die Altertümer von Per-

sepolis, der einstigen Residenz und dem Verwaltungszentrum der persischen Achämenidenkönige in Südwestiran, erweckte im 18. Jahrhundert in Deutschland

das

Interesse

an Persien,

insbesondere

an Altpersien,

neu.’ Dieser Bericht regte auch Herder dazu an, seine Persepolis-Hypothese unter dem Titel Persepolis; Eine Muthmaassung (1787) zu verfassen. Es waren aber nicht nur Reiseberichte von deutschen Reisenden wie Adam Olearius und Carsten Niebuhr u.a., sondern auch die von Reisen den und Abenteurern wie Pietro della Valle, Jean Baptiste Tavernier, Ed-

ward Scott Waring, u.a., die Goethes Interesse an Persien weckten.? Auch hatte er schon in seiner Jugendzeit bei Herodot und Xenophon Imponierendes über die altpersische Epoche der Achämeniden (ca. 550- 330 v. Chr.) gelesen. Die mittelpersische Epoche kam ihm in Form der zarathustrischen Textsammlung Awesta? entgegen, die von dem Orientalisten Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron 1771 aus dem Mittelpersi-

schen (pahlawi) übersetzt worden war.° Anders als Herder, den die Be-

mm

W

NN

‎‫مم‬

gegnung

5 6

mit dem älteren Persien zu Studien über Persepolis anregte,

Vgl. Tafazoli, a.a.O., S. 287. Ebd., S. 182.

Mehr dazu s. Josef Wiesehôfer: Carsten Niebur und seine Zeit. Wiesbaden 2003.

Goethe-Handbuch, 4/2, S. 841. Goethe schreibt in den Noten über manche dieser Reisenden. s. Goethe: West-östlicher Divan; Weitz, S. 231ff. Uber die :arathustrische Lehre s. vorliegende Arbeit, die Einleitung und Kap. 2.3.1. s. auch u.a. Mary Boyce: Zoroastrians, Their Religious Beliefs and Practices. London 2001.

Goethe-Handbuch, 4/2, S. 841. 151

fand bei Goethe damals keine Auseinandersetzung mit der persischen Kultur und Religion statt, die sich in Werken niedergeschlagen hatte. Als der persische Dichter Sa di (gest. 1292) durch die Nachdichtungen von Olearius in Deutschland bekannt wurde, wirkte sich dies auf die barocke Literatur u.a. auch auf Gryphius’ aus, und regte später Herder an, weckte aber kein sonderliches Interesse bei Goethe. Auch in Zeitschriften verstreut erschienenen Ubersetzungsproben aus Hafis schenkte er kaum Beachtung: Langst war ich auf Hafis und dessen Gedichte aufmerksam, aber was mir auch Literatur, Reisebeschreibung, Zeitblatt und sonst zu Gesicht brachte, gab mir keinen Begriff, keine Anschauung von dem

nes.!

Wert,

von

dem

Verdienste

dieses außenordentlichen

Man-

[...]|wenn ich früher den hier und da in Zeitschriften übersetzt mitgeteilten Stücken dieses herrlichen Poeten [Hafis] nichts gewinnen konnte, so wirkten sie doch jetzt zusammen um so lebhafter auf mich ein, [...]? Erst als er im Mai 1814 auf einer Badekur in Bad Berka von seinem Verleger Johann Friedrich Cotta die erste deutsche Gesamtübersetzung des Diwan von Hafis (von Joseph von Hammer-Purgstall) erhielt, inspirierte ihn diese zur kreativen Auseinandersetzung mit Hafis, der persischen Kultur und Dichtung.? Goethe schreibt im Jahre 1815: [...] als mir, im Frühling 1814, die vollständige Übersetzung aller seiner Werke zukam, ergriff ich mit besonderer Vorliebe sein inneres Wesen und suchte mich durch eigene Produktion mit ihm in Verhältnis zu setzen.? Nach der Heimkehr von der Rhein-Main-Reise mit fünfzig Divan-Gedichten setzte sich Goethe ab Mitte Dezember 1814 umfassend mit mehr 1

2 3

4

Goethe: West-östlicher Divan; Weitz, S. 258.

Siehe Hans Heinrich Schaeder: Goethes Erlebnis des Ostens. Leipzig 1938, S. 11. Siehe auch Anke Bosse: „Reisender“ und „Handelsmann“ in Sachen Orientalischer Poesie - zu einer Handschrift aus Goethes Nachlass zum West-östlichen Divan. In: Jochen Golz (Hg.); Goethes Morgenlandfahrten. Frankfurt/M u. Leipzig 1999, S. 112128, hier S. 112. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 258.

152

als hundert

orientalischen

Werken

auseinander.!

In den Divan-Jahren

(1814-1819), wie Karl Richter sie nennt, hat Goethe Werke über Persien wie z.B. Voyages du Chavalier Chardin en Perse? Fundgruben des Orients und Geschichte der schönen Redekunst Persiens von Hammer-Purgstall? bearbeitet. Es existieren zahlreiche Exzerpte aus den Denkwürdigkeiten Asiens, eine der vielen Publikationen des Amateur-Orientalisten Heinrich Friedrich Diez, dessen Schriften zu einer der meistgelesenen und meist aufgesuchten Divan-Quelle wurden.4 Von Zarathustras Lehre erfährt Goethe vor allem über den 1683 nach Persien gereisten französischen Missionar Sanson, dessen Bericht in der Persianischen Reise-Beschreibung von Olearius in der Ausgabe 1696 angefügt ist.” Die Ergebnisse seiner Forschung über die orientalische und besonders die persische Literatur fasst Goethe in einem Brief vom 16. Mai 1815 an Cotta in folgende Worte: Ich habe mich nämlich im Stillen längst mit orientalischer Literatur beschäftigt, um mich inniger mit derselben bekannt zu machen, mehreres in Sinn und Art des Orients gedichtet. Meine Absicht ist dabey, auf heitere Weise den Westen und Osten, das Vergangene und Gegenwärtige, das Persische und Deutsche zu verknüpfen, und beyderseitige Sitten und Denkarten über einander greifen zu lassen.®

1

2

3

Anke Bosse, a.a.O., S. 113.

„Zweimal zog Goethe das Weimarer Bibliotheksexemplar heran: vom 25. Januar

bis zum

19. Mai 1815 und vom

19 Februar bis zum 2. März

Golz (Hg.): Goethes Morgenlandfahrten; a.a.O., S. 168.

1816." Siehe Jochen

Goethe erwarb das Werk am 2. August 1817. Siehe ebd, S. 183. Goethe schreibt über die Rolle der Hammer-Übersetzung in Bezug auf seine Kenntnisse über Hafis

wie folgt: „Wie viel ich diesem würdigen Mann [Hammer] schuldig geworden, beweist mein Büchlein in allen seinen Teilen.“ (Goethe: West-östlicher Divan. Weitz,

4 5 6

S. 258 ). Katharina Mommsen hat ausführlich darüber geforscht, welche Anleihen Goethe bei Diez gemacht hat. Siehe K. Mommsen: „Goethe und Diez“. Quellenuntersuchungen zu Gedichten der Divan-Epoche. Berlin 1961. Vgl. Ernst Beutler: Goethes Divangedicht „Vermächtnis Altpersischen Glaubens.“ In: Edgar Lohner: Interpretation zum West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt 1973, S. 55-71, hier S. 59.

Goethe: Napoleonische Zeit. Hrsg. von Rose Unterberger. In: Goethe; Sämtliche Werke. Band 7: FA, 1994, S. 451. Hervorhebung von mir. 153

Um zu erfahren, wie Goethe ,das Persische und Deutsche zu verknüpfen“ versucht, und wie er die „beidseitigen Sitten und Denkarten” zusammendachte und welchen Schluss er daraus zog, sollte man sich dem West-ôstlichen Divan zuwenden. Goethe hat nach seiner Lektüre von Hafis’ Diwan

(in Ubersetzungen)

ein starkes Interesse

an persischer

Ge-

schichte und Literatur entwickelt, und seine kultursoziologische Darstellung Persiens in den Noten und Abhandlungen zum west-ôstlichen Divan (1819) gegeben. Im Folgenden wird nun Goethes Beschäftigung mit Persien vertiefend erörtert. 2.3.1 Goethe und die persische Naturreligion Es waren nicht nur arabische Länder und der Islam, für die sich Goethe

interessierte, es war auch die altpersische Religion, ,die edle, reine Na-

turreligion” der „alten Parsen”,! die Goethe faszinierte. Was er dort findet, entspricht der Goethischen „göttlichen Natur“ und seiner Sehnsucht nach allem, was „ursprünglich” ist. Gott war für Goethe seit seiner Kindheit derjenige, ,der mit der Natur in unmittelbarer Verbindung steht."? Dies zeigt die Spur einer „Vorahnung seines späteren Pantheismus‘.3 Nach Lehre der altpersischen Religion, dem Zoroastrismus, wurde der höchste persische Gott Ahura Mazda (Herr der Weisheit) wie in Indien der All-Gott pantheistisch aufgefasst, „so dass er alle Elemente

der

Welt in sich umfasste”.* Besonders anziehend war für Goethe die Feueranbetung der Perser, die „sich, den Schöpfer anbetend, gegen die aufgehende Sonne, als der auffallend herrlichsten Erscheinung [wandten]. Dort

glaubten

cken“.

sie den Thron

Gottes, von Engeln

1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 136f.

3

K. Mommsen: Goethe und die arabische Welt. S. 167.

5

Baden-Baden 1961, S. 111. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 136.

2 4

umfunkelt,

zu erbli-

Goethe: Dichtung und Wahrheit, Buch 1, S: 42.

Siehe Geo Widengren (Hg): Iranische Geisteswelt; von den Anfängen bis zum Islam.

154

Den Mithras-Kult! der Perser und die Rolle, die das Feuer als irdischer Vertreter der Sonne bei ihnen spielte - bei Goethe ,irdische Sonne“? und ein Element, das die Quelle des Lebens ist und alles Unreine beseitigen kann - behandelt er im „Buch des Parsen” unter dem Titel Vermächtnis altpersischen Glaubens.? In „Vermächtnis“, bei dessen Abfassung Goethe sich an Sansons Bericht hielt, hat Goethe 14-mal die Wörter „Sonne“,

„Feuer“

sowie deren Synonyme

„Licht“, „Flamme“

und „Glut“

u.a. verwendet. In diesem Zusammenhang steht für Goethe die enge, unmittelbare Verbindung mit der Natur im Vordergrund, wobei er ein auf „die Allgegenwart Gottes” in der Natur gegründetes Daseinsgefühl empfindet, wie er in folgenden Versen das Verhältnis zur Natur durch die „Feuertaufe“ des Neugeborenen im antiken Persien beschreibt:

Regt ein Neugeborner fromme Hände, Daß man ihn sogleich zur Sonne wende, Tauche Leib und Geist im Feuerbade! Fühlen wird es jeden Morgens Gnade.{ Dieses ,flammende, beseligende Gefühl des Augenblicks” ist für Goethe so wichtig, dass er sogar den persischen Propheten Zarathustra (neupersisch Zartost, griech. Zoroaster, ca. 1000 v.Chr.)® kritisiert:

Zoroaster scheint die edle, reine Naturreligion zuerst in einen umständlichen Kultus verwandelt zu haben.’ 1

Das Wort mehr im Neupersischen (mitr oder mihr im Mittelpersischen) entlehnt aus

Mithra

(Vertrag)

in avestisch-zoroastrische

Sprache

und

bedeutet

„Sonne,

HO

MN

&

W

NH

Licht, Freundschaft, Liebe“ und ist über dies der Name des 7. Monats des iranischen Sonnenjahres (23. Sep.-22 Okt.). Bei den Römern bekam Mithra auch den Beinamen Sol inviktus. („der unbesiegbare Sonnengott“). Über Mithraismus siehe u.a. Reinhold Merkelbach: Mithras. Ein persisch-römischer Mysterienkult. Wiesbaden 1998. Goethe: West-östlicher Divan. Wetz, S. 109.

Entstanden in Weimar am 13. März 1815.

Goethe: West-östlicher Divan. Wetz, S. 108.

Ebd., S. 137. Es wird über Zarathustras Lebzeit spekuliert. Die Angaben zur Datierung seiner Lebenszeit differieren etwa zwischen 1800 und 600 v.Chr, aber überwiegend von ca 1200 -800 v.Chr. Marry Boyce, die britische Iranistin, datiert ihn zwischen 1400

und 1200 v. Chr. Siehe Mary Boyce: Zoroastrians, Their Religious Beliefs and Prac-

7

tices. London 2001, S. 2.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 137. Die damalige Forschung über Zarathustra war nicht ausreichend, um Goethe eine präzisere Beurteilung zu erlauben. 155

Diese Kritik richtet sich indirekt auch gegen die mosaische und die christliche Religion, die sich nicht in ursprünglicher Einfachheit und Reinheit, wie es der Vorstellung Goethes von der „göttlichen Natur’ entspricht, erhalten konnten. Seine Kritik gegen die Umständlichkeit des zarathustrischen Priestertums („Magier und Mobeden“!) ist ebenso bei den umständlichen mosaisch-christlichen Zeremonien,? besonders denen des Mittelalters, angebracht: Diese mit Zeremonien, mit Weihen und Entsühnen, mit Kommen

und Gehen, Neigen und Beugen umständlich auszufüllen, ist Pflicht und Vorteil der Priesterschaft, welche denn ihr Gewerbe, durch Jahrhunderte, in unendliche Kleinigkeiten zersplittert. ? Neben der Verehrung des alles Unreine verzehrenden Feuers stellt Goethe die „Würde“ des Wassers als ein wichtiges Element der Reinlichkeit in dieser Religion heraus. Da seinem Dafürhalten nach der praktische Teil einer Religion entscheidend ist - vgl. Goethes Ansicht zu Mohammed und Pragmatismus? - denkt er hier an die Funktion der Reinheit, die die „bürgerlichen Tugenden“ leitet. So war für ihn „die Landeskultur” Über Zarathustra und seinen Einfluss auf die alte indo-iranische Religion siehe Mary

Boyce:

Zoroastrians,

Their Religious Beliefs and Practices. London

2001

u.

auch Mary Boyce: A History of Zoroastrianism. vol. 1, I (Handbuch der Orienta-

1

listik. Leiden 1982).

Hier hat Goethe für die zoroastrischen Priester zwei nur scheinbar unterschiedliche Begriffe (Magier und mobeden) verwendet, die beide die gleiche Bedeutung haben. Das neupersische Wort mobad oder mog, von dem Goethe unbewusst dessen deformierte Pluralform eingetragen hat - korrekter mobadan, Auslaut an ist die persische Pluralendung -, ist aus dem avestisch-altpersischen Begriff mogu (bedeutet Zoroaster oder Priester) entlehnt, welches von den Griechen als magus

2

überliefert ist und sich zum Wort „Magier” entwickelte, weil die Griechen die zarathustrischen Priester für Zauberer hielten. Dies hat auch Mozart inspiriert. Vor Goethe hat Mozart sein eigenes Bild vom Zarathustrismus mit dem Sarastro in der Oper „Die Zauberflöte“ geschaffen. Das Libretto dieser Oper stammt von Emanuel Schikaneder. „Man sieht nicht ein, warum bei einem so ungeheuren Feldzug [Israel in der Wüste], [...] das religiöse Zeremonien-Gepäck zu vervielfältigen, wodurch jedes Vor-

wärtskommen unendlich schwert werden muß. Man begreift nicht, warum Gesetze für die Zukunft, die noch völlig im Ungewissen schwebt, zu einer Zeit ausgesprochen werden, wo es jeden Tag, jede Stunde an Rat und Tag gebricht, [...].” 3

4

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 213.

Ebd.,S. 137. s.Kap. 2.2.1

156

auch auf Reinlichkeit gegründet, „denn wie sie keinen Fluß verunreinigten, so wurden Kanäle mit sorgfältiger Wasserersparnis angelegt und rein gehalten

[...]. Auch die Stadtpolizei wirkt aus diesen Grundsätzen:

Reinlichkeit der Straßen war eine Religions-Angelegenheit [...]. ! Die Begräbnissitten der Perser sahen vor, die Toten als Unreine statt einer Erdbestattung in „Türmen des Schweigens“ (persisch: dahme ‎‫) دخمه‬ den Geiern zum Fraß vorzuwerfen, zurückgehend auf den Glauben an die Reinlichkeit im Zarathustrismus; der davon ausging, dass in der Erde begrabenen Toten die Erde verunreinigen. Goethe findet diese Art des Bestattens eine „seltsame“ Art, „die reinen Elemente nicht zu verunreinigen. ?

2.3.2 Perserkönige und „Toleranz“ Eine auf „das Anschauen der Natur’ gegründete Religiosität erschien Goethe als „Kern“ der persischen „Nation“, mit der auch ihr Hauptcharakteristikum im Zusammenhang stehe, „ein friedliches, gesittetes Volk” zu sein.? Die Verbindung zwischen Persern als Zarathustra-Gläubigen

und Toleranz wurde zunächst mit Voltaires Tragödie Les Guebres, ou la Tolerance (1769) bekannt. Guebre - die französische Schreibweise für das Persische gabr (Zarathustrier) - hat Goethe in „Aeltere Perser" als Gue-

BD

‎‫مم‬

bern bezeichnet.° Dennoch enthält Goethes Aussage über die Friedfertigkeit des persischen Volkes auf der Basis seiner Naturreligion einen wichtigen Gesichtspunkt: Die Perser als Anhänger der zoroastrischen Religion, in deren Zentrum die Feueranbetung stand, waren toleranter als z.B. die Mohammedaner, weswegen sie die verschiedenen Glaubensbekenntnisse anderer Völker im Allgemeinen duldeten. Aufgrund dieser Toleranz konnten persische Herrscher auch fremde Völkerschaften in ihren Heeren mitführen. Als der Gründer des persischen Reiches Kyros (gest. 529 v. Chr.) Babylon eroberte, verehrte er den babylonischen Gott Marduk, und befreite trotzdem die Juden, die vom babylonischen König Nebukadnezar

5

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 138.

Vgl. ebd.

Ebd., S. 136.

Dieses Wort bedeutet Heide und wurde von den moslemischen Arabern für Zarathustrier verwendet, die in ihren Augen Heiden waren. Siehe auch Mo’in, Mo-

hammad: Farhang-e farsi (Persisches Worterbuch). Bd. 3, Teheran 1966, S. 3193. Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz. S. 137f.

751

als Kriegsgefangene von Jerusalem nach Babylon verschleppt worden waren. Kyros war es auch, der die goldenen und silbernen Gefäße, zuvor von Nebukadnezar aus dem Tempel in Jerusalem geraubt und in den Tempel seines Gottes gebracht, wieder zurückgeben ließ.! Mehrere Stellen im Alten Testament würdigen das segensreiche Wirken von Kyros, der dort als „heiliger Erlöser“ bzw. als „Hirte“ und „Gesalbter" bezeichnet wird:

28 der [Herr] zu Cyrus sagt: Mein Hirte! Er soll all meinen Willen vollenden und sagen zu Jerusalem: Werde wieder gebaut! und zum Tempel: Werde gegründet! ( Jesaja 44).

So spricht der Herr zu seinem Gesalbten, zu Cyrus, den ich bei seiner rechten Hand ergriff, dass ich Völker vor ihm unterwerfe, und

Königen das Schwert abgürte, damit vor ihm Türen geöffnet werden und Tore nicht verschlossen werden. (Jesaja 45)? Der „Kyros-Zylinder“ (auch ,Kyros-Erlass”) enthält eine Proklamation, die Kyros nach 538 v. Chr. auf einem Tonzylinder abfasste. Er steht heute im britischen Museum in London, eine Kopie befindet sich am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York. Der Text behandelt die Gründe des Sturzes des letzten babylonischen Königs Nabonid durch Kyros und wird kontrovers interpretiert. Die Inschrift (ein Text aus Keilschriftzeichen) „verbietet Sklaverei und Unterdrückung jeglicher Art, die Aneignung von fremdem Besitz unter Gewaltanwendung oder ohne Kompensation. Und gibt Mitgliedsstaaten das Recht, sich der Herrschaft des Kyros zu unterwerfen oder auch nicht." 1

2

3

Vgl. Tode 289. nian

Friedrich Spiegel: Eranische Altertumskunde II, Religion, Geschichte bis zum Alexander des Großen. Leipzig 1871-1878; Nachdruck: Amsterdam 1971, S. Siehe auch The Cambridge History of Iran. Volume 2: The Median and AchamePeriods. Edited by Ilya Gershevitch. Cambridge University press. Cambridge

u.a. 1985, S. 409.

Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Nach der deutschen Ubersetzung Martin Luthers. Stuttgart 1964, S. 758. Siehe auch Kurt Galling: Die Proklamation des Kyros in Esra 1. In: Studien zur Geschichte Israels im persischen Zeitalter. 3. Afl. Tübingen 1979, S. 61-77. Marguerite Del Giudice: Goldenes Persien; Die Geheime Seele des Iran. National Geographic. September 2008, S. 52. Siehe auch die vollständige Fassung von Rylke Borger: Der Kyros-Zylinder. In: Otto Kaiser (Hr.): Texte aus der Umwelt des Alten

158

Nicht wenige Iraner betrachten den Erlass aus nationalistischer Sicht als die erste Menschenrechtscharta. Dagegen werten etliche Wissenschaftler - lt. The Cambridge History of Iran - den Zylinder eher als „masterpiece of political propaganda’.! Ob Kyros nun Anhänger der zoroastrischen Religion war, ist ebenso

fraglich wie, ob er dem babylonischen Glauben anhing. Das einzige Zeugnis seiner Verehrung fiir einen Gott ist die Inschrift auf dem KyrosZylinder, mit der er Marduk, dem Gott des von ihm besiegten babylonischen Volkes, huldigt und nicht Ahura Mazda, dem zarathustrischen Gott. Der griechische Historiker Xenophon allerdings bezeichnete Kyros als Sonnen-

oder Feueranbeter. Xonophon

berichtet: ,Wenn

Cyrus sei-

nen Palast verließ, wurden Rosse als Opfer für die Sonne vor ihm hergeführt, auch ein weißer bekränzter Wagen für die Sonne; ihm folgte ein zweiter Wagen mit purpur geschmückten Pferden. Hinter diesen schritten Männer, die trugen Feuer auf einem großen Herde.” ? Es gehörte allerdings zur Politik der damaligen Perserkönige, die

Götter unterworfener Völker zu ehren, wenn ihnen dies zum Vorteil ge-

reichte. Der Fall war dies offenbar bei Kyros’ Nachfolger Dareios I. Wäh-

rend er sich in der Bisutun-Inschrift

(in Persien) als Zoroasthrier dar-

stellt,” hat er in der Kopie der Bisutun-Inschrift aus Babylon Bel? statt Ahura Mazda (den persischen Gott) gepriesen. Nach der Eroberung Ägyptens hat Dareios sogar die Titulatur des Pharaos übernommen.’ Ob der „Kyros-Erlass“ eine „politische Propaganda“ war oder tatsächlich Kyros Bekenntnis zur zarathustrischen Lehre enthielt, lässt sich

1

2 3 4

Testaments, Bd. 1 - Alte Folge -, Gütersloh 1985, S. 407-410.

The Cambridge History of Iran. Volume 2: The Median and Achamenian Periods. Edited

by Ilya Gershevitch. Cambridge University press. Cambridge u.a. 1985, S. 410. Siehe Ernst Beutler: Goethes Divangedicht „Vermächtnis Altpersischen Glaubens“. In: Edgar Lohner (Hg.): Interpretation zum West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt 1973, S. 55-71, hier S. 60. In diesem Inschrift spricht Dareios von Ahura Mazda (dem zarathustischen Gott) als „dem größten der Götter.” Siehe Josef Wiesehôfer: Das frühe Persien. Geschichte eines antiken Weltreichs. 4. Aufl. München 2009, S. 68. Bel (akkadisch) bedeutet Herr und ist ein Luftgott, „Herrscher der Länder“ und Schöpfer der Welt und Menschen, dessen Gattin Belet ist. Er wird später von Marduk (babylonischer Gott) verdrängt, so dass der Name

5

Bel für Marduk steht. Vgl.

Gerhard J. Bellinger: Knaurs Lexikon der Mythologie. Augsburg 2002, S. 73. Vgl. Josef Wiesehöfer, a.a.O., S. 51.

159

nicht schlüssig beweisen, aber alle Parteien sind sich indes über die Toleranz der Perser und insbesondere über die von Kyros einig: Religious toleration was a remarkable feature of Persian rule and there is no question that Cyros himself was a liberal-minded promoter of his human and intelligent policy.! Die Perser waren aber nicht immer so „friedlich“, wie Goethe es sich vor-

stellte; sie führten etliche Kriege und unterjochten zahlreiche Völker, wiewohl sie nicht versuchten, andere Religionen zu unterdrücken; sie haben stattdessen auch in nachfolgenden Zeiten wie Kyros die Götter der fremden Völker geehrt. Dem steht eine Überlieferung Herodots entgegen: der Perserkönig Kambyses (gest. 522 v. Chr.), der 525 v. Chr. Ägypten eroberte, soll während der Jahre seiner Herrschaft weit weniger Toleranz als sein Vater Kyros seinerzeit in Babylon gezeigt haben. Herodot berichtet über die Schreckensherrschaft Kambyses in Ägypten, er habe Tempel entweiht und den Apisstier eigenhändig getötet (Hdt. III, 28/29).2 Ihm wird ferner die Zerstörung ägyptischer Tempelanlagen zugeschrieben (Hdt. III, 37).° Wir wissen heute, dass das Persien-Bild des Westens durch die einseitige griechische Historiographie, in der die Griechen die Perser vor allem als Feind betrachteten, geprägt ist. In den überlieferten Schriften werden die Handlungen und Reden der Perser in griechischer Anschauungsweise dargestellt. In Herodots Bericht von einem Gespräch zwischen dem Perserkönig Kyros und Krösus, dem letzten lydischen König, den Kyros im

Jahre 546 v.Chr. unterwarf, wird z.B. griechische Denkart und Weltan-

schauung deutlich (s.Hdt.I, 86-94). Herodot erzählt sogar von der Ver-

brennung des Krösus bei lebendigem Leib durch Kyros (Hdt, I, 86). Den

Feuertod als Strafe allerdings gab es bei den Persern nicht, da sie das Feuer als Symbol des reinen himmlischen Lichtes und ihrer Gottheit verehrten.? Anders als aus Herodots Vorwürfen geht aus den Inschriften der erhaltenen Stele und des Sarkophags hervor, dass Kambyses den Apisstier offenbar ordnungsgemäß rituell bestattete. Eine Inschrift auf einer Statue 1 2 3

4

The Cambridge History of Iran. Volume 2, S. 412. Herodot: Neun Bücher zur Geschichte. Nach der Übersetzung von Ch. Bähr. Mit einer Einleitung von Lars Hoffmann. Wiesbaden 2007, S. 252.

Ebd., S. 257.

Vgl. ebd., die Anmerkung 97, S. 773.

160

des Udjahorresnet, eines hochgestellten ägyptischen Beraters von Kambyses und Dareios I., widerspricht der Zerstörung ägyptischer Tempelanlagen:! Da kam der Großkönig aller Fremdländer Kambyses nach Agypten und alle Fremden aus allen Fremdländern waren bei ihm. [...] Da kam der König von Ober- und Unteragypten Kambyses nach Sais. Er zog selbst zum Tempel der Neith und neigte sich vor ihrer Mäjestät so tief, wie es jeder König getan hat. Er veranstaltete ein großes Opfer an allen guten Dingen für Neith, die Große, die Gottesmutter, und die großen Götter in Sais. [...] Seine Mäjestät tat alle Wohltaten im Tempel der Neith. [...]?

Herodots Vorwürfe sind aber insofern nicht unbegründet und nicht als bloße Propaganda zu verstehen, als ägyptische Götterbilder nach Persien verschleppt und Tempelgüter beschlagnahmt wurden. Es stand in alt-orientalischer

Tradition,

Götterbilder

zu rauben,

um

den

Unterworfenen

den göttlichen Schutz zu entziehen. Die Ptolemäer, die nach Alexander dem Großen in Ägypten herrschten, versuchten mehrfach die Unterstützung der ägyptischen Priesterschaft für ihre Kriegszüge nach Vorderasien zu gewinnen, indem sie die Rückführung der geraubten Götterbilder aus Persien in Aussicht stellten.? Dareios I, der Nachfolger des Kambyses hingegen, galt wiederum als weiser und gerechter Herrscher, der das eroberte Weltreich umsichtig verwaltete und entwickelte.* Mit dem Bau eines Kanals zwischen Bubastis am Nil und dem Roten Meer wurde Ägypten z.B. besser in das Ver1

Vgl. Gabriele Gierlich: Prunk und Pracht der Großkönige. Das Persische Weltreich. In: Die html-Version

und Ägypter, S. 29.

der Datei http://www.germany-iran.com.

2

Textauszüge

3

Vgl. Gabriele Gierlich, a.a.O., S. 29.

4

entnommen

chen-Wien 1996, S. 408f.

aus: J. Assmann;

Ägypten

Abschnitt

Perser

- eine Sinngeschichte, Mün-

Hier muss gesagt werden, dass die westlichen Quellen normalerweise über die Niederlage Dareios gegen Alexander d. Gr. berichten, ohne zu erklären, welcher Dareios gemeint ist. Der von Alexander besiegte Perserkönig war Dareios II. (gest. 330 v. Chr.), welcher nur etwa fünf Jahre regierte. Er sollte nicht mit Dareios I. (gest. 486 v. Chr.), über den hier gesprochen wird und der in Iran als Dareios der

Große bezeichnet wird, verwechselt werden. Dareios I. (d.Gr.) regierte etwa 35 Jahre lang das Perserreich.

161

kehrsnetz des Perserreiches eingebunden. Dareios I. ließ unter anderem auch einen bedeutenden Amun-Tempel in der Oase Chargah errichten. Dieser ist der einzige große Kultbau der ägyptischen Spätzeit, der bis heute fast unversehrt erhalten ist.! Was Dareios I. angeht, der sich in seiner Grabinschrift als ariya (altpersisch ariyaëiça: ,arisch” bzw. „von arischer Abstammung‘) - wovon der Begriff Iran („Land der Arier)? abgeleitet ist - bezeichnet, kann

man im Allgemeinen Nöldekes Beschreibung folgen: „Natürlich war er ein Despot, konnte rücksichtslos, ja grausam sein, aber im ganzen war er zur Milde geneigt.’ Der griechische Tragiker Aischylos, der bei Marathon gegen das Heer des Dareios mitgekämpft hatte, erweist dem König in seiner Tragödie Die Perser (472 v. Chr.) hohe Achtung und rühmt ihn als einen weisen

Fürsten.?

Xerxes I. (486-465 V. Chr.), Dareios’ Sohn und Nachfolger, wurde von den Griechen dann hinwiederum als grausamer Tyrann bezeichnet, da er

Griechenland zu unterwerfen suchte. Er habe in Athen griechische Tem-

pel

in Brand

gesetzt,

weil

die

Perser,

die, wie

Goethe

in den

Noten

schreibt, „einer Religion ergeben, wo die himmlischen Gestirne, das Feu-

er, die Elemente als gottähnliche Wesen in freier Welt verehrt wurden,

fanden höchst scheltenswert, dass man die Götter im Wohnungen einsperrte, sie unter Dach anbetete.”> Während der lange andauernden Regierungsperiode der SassanidenDynastie (224-642 n. Chr.), der letzten persischen Dynastie vor der arabi-

schen Invasion und der Islamisierung des Landes, in welcher der Zara-

thustrismus etabliert war und eine zoroastrische Priesterschaft existierte,

wurden selten religiöse Minderheiten verfolgt.° Christen treten in dieser 1 2

Vgl.G. Gierlich, a.a.O., S. 29. Eigentlich „leitet sich der Begriff Iran ab von mittelpersischen erän, dem Gen. pl.

3 4

Theodor Nöldeke: Aufsätze zur persischen Geschichte. Leipzig 1887, 5. 41f. Siehe Aischylos: Die Perser. Übersetzung und Nachwort von Emil Staiger. Stutt-

5 6

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 142. Es wurden aber zwei Religionsstifter, nämlich Mani (216-276/77), der Stifter der

von Er, der den ersten Bestandteil des Ausdrucks Erän-Sahr („Land der Arier / Iranier“) bildet.“ Siehe Josef Wiesehöfer: Das frühe Persien. Geschichte eines antiken Weltreichs. 4. Aufl. München 2009, S. 9.

gart 1993. S.26-34 u. 45f.

nach ihm benannten Religion des Manichäismus, und Mazdak (um 500 - eher ein

162

Zeit als kônigliche Berater und Gesandte, Kunsthandwerker oder als Gelehrte und Übermittler des griechischen Wissens in Erscheinung. Die Juden schaffen mit dem ,Babylonischen Talmud” ihr bedeutendstes Schriftwerk und wirken als Berater in Handelsangelegenheiten.! In der Zeit Chosrous

I. (531-579),

der weit

über

die Grenzen

Persiens

hinaus

als

„weiser König“ bekannt war und der „großzügig das Geistesleben förderte’, hat der König jene Philosophen an seinem Hof empfangen, die nach der Schließung der platonischen Akademie in Athen im Jahre 529 ostwarts fliehen mussten.? Im Allgemeinen haben die Perserkönige der vorislamischen Dynastie die unter ihre Hegemonie geratenen Völker nicht gezwungen, die zoroastrische Religion anzunehmen. Im Gegenteil; sie verehrten die fremden Götter und

nahmen

die fremden

Bräuche

an. Auch

Herodot

bemerkte

(I,

135), dass die Perser „fremde Gebräuche [...] unter allen Völkern am ersten 4 Betrachtet man diese Toleranz in Zusammenhang mit der den Persern eigenen Art des Glaubens an das Königtum, gewinnt man Einsicht in Goethes Aussage über die Feueranbetung als Naturreligion und deren sittlicher Wirkung auf die Perser als ein „friedliches“ Volk. Nach altpersischer Königsideologie, in deren Kontext die persische Religion eingebetSozial-Reformer), der das Land über mehrere Jahre hinweg in Unruhe versetzte,

durch Sassaniden-Herrscher ermordet und ihre Anhänger verfolgt. Diese religiösgesellschaftliche Gruppierungen waren einheimische Bewegungen, von denen

sich die Herrscher und besonders die zarathustrische Priester bedroht fühlten. Die Perserkönige griffen aber in die religiös-kultischen Belange der anderen Völker

nicht ein. Wenn aber, wie zur Zeit Sabuhr I.(239/40-241/42) die Deportation christlicher Bewohner vorkam, waren es vor allem aus „wirtschaftlichen und demogra-

phischen und nicht etwa religionspolitischen Gründen.“ (Vgl. J. Wiesehöfer: Das

Antike Persien. Düsseldorf/Zürich 2002, S. 268). Oder wenn es zur Zeit Säbuhr I.

(309-379) zur Verfolgung von Christen kam, geschah das in erster Linie aus politischen Gründen, denn diese Christen galten „als politisch unzuverlässige Untertanen. (Siehe Wiesehöfer:

Das frühe Persien, 5. 1091 u. 118). Außerdem wurde das

Sasanidenreich zu Beginn des 3. Jahrhunderts „Zufluchtsstätte für manchen Chris1 2 3

ten aus dem Osten des Imperium Romanum, der vor den Verfolgungen unter Galerius Schutz suchte.“ (Wiesehöfer: Das Antike Persien, S. 269).

Vgl. Wiesehöfer: Das antike Persien;

im Glanz des Glücks. Der Spiegel (Geschichte-

te), Nr. 2: Persien, Supermacht der Antike, Gottesstaat der Mullahs. 2010, S. 34.

Vgl. ebd. Herodot: Neun Bücher zur Geschichte. a.a.O. S. 101.

163

tet ist, gilt der Kônig als Bruder der Sonne. Sein Element ist das Feuer, aus dem alle Himmelskôrper bestehen. In der Mythologie steigt der neugeborene Herrscher, nachdem

ein in einer Felshöhle leuchtender Stern

seine Geburt verkündet hat, als Inkarnation des Gottes Mithra in Feuergestalt mit einer Lichtsäule zur Erde hinab.! Die Perserkönige wurden als Repräsentanten der Gôtter auf Erden betrachtet. In dieser Hinsicht spricht man auch vom ,Gottesgnadentum" dieser Könige.? Goethes Verwunderung gilt der Tatsache, dass die zoroastrische Religion trotz räumlicher Nähe anderer, sie umgebender Religionen unbeeinflusst blieb: Am wundernswürdigsten aber ist mir, dass die fatale Nähe des in-

dischen Götzendienstes nicht auf sie [die zoroastrische Religion] wirken konnte. Auffallend bleibt es, da die Städte von Balch und Bamian so nah aneinander lagen, hier die verrücktesten Götzen in riesenhafter Größe, verfertigt und angebetet zu sehen, indessen sich dort die Tempel des reinen Feuers erhielten, große Klöster dieses Bekenntnisses entstanden und eine Unzahl von Mobeden [zoroastrische Priester] sich versammelten.?

Aber nicht über den fehlenden Einfluss von Seiten des Hinduismus sollte man sich wundern, sondern vielmehr darüber, dass der Zoroastrismus

trotz des großen Einflusses des Persischen Reiches nicht die geringste Wirkung auf den Hinduismus ausübte. Diese Tatsache ist es, die für die

„Toleranz“ der Perser spricht, die nicht versuchten, andere Völker zu ihrem Glaubensbekenntnis zu bekehren.

1 2 3

Vgl. Geo Widengren (Hg): Iranische Geisteswelt; von den Anfängen bis zum Islam. Baden-Baden 1961, S. 284f. Vgl. Josef Wiesehöfer: Das frühe Persien, S. 48. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 140.

164

2.3.3 Goethe und die persische Dichtung In ihrer Arbeit kommt Katharina Mommsen

zu der Ansicht, Goethe wäre

ohne die Inspiration durch den Koran nicht imstande gewesen, den Divan zu schreiben.

Nicht wenige Gedichte des Goetheschen Divan sind unmittelbar durch den Koran inspiriert.! Mommsen

übertreibt,

meines

Erachtens,

den

Einfluss

,ganz

reale[r]

stoffliche[r] und motivische[r] Anregungen aus dem arabischen Sammel-

werk“ auf Goethes Werke

und erweckt den Eindruck, als hätte Goethe

ohne „Hilfe“ der arabischen Werke keine „Atmosphäre des Zauberhaften“ in seinen Werken „verbreiten“ können:?

Seine Hinneigung zu dem Werk, das durch seine Sprache ganz der arabischen Welt angehört und dessen Inhalt zumindest in vielen Teilen arabischen Ursprungs ist, ließ auch mit zunehmendem Alter nicht ۸3 Dass Goethe Verse des Koran nachgebildet und in den Divan eingearbeitet hat,? ist unumstritten, waren doch seine Quelle und Inspiration vor allem Hafis und die persische Dichtung. In einem Brief schreibt Goethe während seiner eingehenden Studien über Persien an Christian Heinrich Schlosser, in dem er ,Schiras”, Hauptstadt der persischen Provinz Fars und die Geburtsstadt Hafis', „als den

poetischen

Mittelpunkt

[...] zum Aufenthalt gewählt” habe:

Ich habe mich gleich in Gesellschaft der persischen Dichter begeben, ihren Scherz und Ernst nachgebildet. Schiras, als den poetischen Mittelpunkt, habe ich mir zum Aufenthalt gewählt, von da ich meine Streifzüge [...] nach allen Seiten ausdehne.° Goethe findet in Hafis’ Dichtung sich selbst wieder, findet Ähnlichkeiten zwischen ihm und sich, denn auch er kennt die Not, „aus der wirklichen

Welt [...] in eine ideelle” flüchten zu wollen: 1

2 3

4 5

K.Mommsen: Goethe und die arabische Welt, S. 269.

Siehe ebd., S. 21f. Ebd., S. 19.

Siehe ebd., S. 269ff. Goethe: Gedenkausgabe der Werke. Briefe und Gespräche. Bd. 21, Briefe 1814 -1832.

Hg. von Christian Beutler. Zürich 1951, S. 50.

165

Die Einwirkung [von Hafis] war zu lebhaft, die deutsche Übersetzung lag vor und ich mußte also hier Veranlassung finden zu eigener Theilnahme. Alles, was dem Stoff und dem Sinne nach bey mir

Ähnliches verwahrt und gehegt worden, that sich hervor, und dies mit umsomehr Heftigkeit als ich höchst nötig fühlte mich aus der wirklichen Welt, die sich selbst offenbar und im stillen bedrohte, in eine ideelle zu flüchten, an welcher vergnüglichen Theil zu nehmen, meiner Lust, Fähigkeit und Willen überlassen war.! Es ist demnach Mommsen

nicht

der Koran

oder der arabische

Ursprung,

wie

behauptet, die den Divan entstehen ließen, sondern es ist die

persische Dichtung:

Wenn wir uns nun zu einem friedlichen, gesitteten Volke, den Persern, wenden, so müssen wir, da ihre Dichtungen eigentlich diese Arbeit [Divan] veranlassen, in die früheste Zeit zurückgehen, damit uns dadurch die neuere verständlich werde.? Goethe möchte, indem er die „früheste Zeit” der persischen Kultur untersucht, die „neuere“ Zeit besser verstehen. Wenn allerdings die neuere Zeit Persiens ihm allein durch den Islam verständlich geworden wäre wozu hätte er sich mit Altpersien beschäftigen sollen? Merkwürdiger bleibt es immer dem Geschichtsforscher, dass, mag auch ein Land noch so oft von Feinden erobert, unterjocht, ja vernichtet sein, sich doch ein gewisser Kern der Nation immer in seinem

Charakter

erhält,

und,

ehe

man

sichs versieht,

kannte Volkserscheinung wieder auftritt.°

eine

altbe-

Goethe wollte diese „altbekannte Volkserscheinung“ Persiens, die nicht unbedingt mit dem Islam in Verbindung steht, kennen lernen.

In einem Brief an Cotta (16. Mai 1815) hat er Hafis namentlich erwähnt als Titel für das in der Entstehung begriffene Werk: Ew. Wohlgeboren vorjähriges freundliches Geschenk der Übersetzung des Hafis, hat mich aufs neue angeregt, und es liegt bei mir schon 1 2 3

ein ziemliches

Bändchen

beisammen,

welches,

vermehrt,

Goethe: Tag- und Jahreshefte (1815). Hrsg. v. Irmtraut Schmid. In: Goethe; Sämtliche Werke. Bd. 1/17, FA, 1994, S. 259f. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 136. Ebd., S. 136

166

künftig unter folgendem Titel hervortreten kônnte: Versammlung deutscher Gedichte mit stetem Bezug auf den Divan des persischen Saengers Mahomed Schemseddin Hafis.! Hinzu kam das Mottogedicht in Buch Hafis, welches anfangs als Motto für den gesamten Divan gedacht war:? Sei das Wort die Braut genannt Brautigam der Geist;

Diese Hochzeit hat gekannt, Wer Hafisen preist.

In seinen Persien-Studien verschaffte Goethe sich nicht nur tiber Hafis,

sondern auch über andere bekannte persische Dichter der letzten 800

Jahre einen Uberblick. Dabei orientierte er sich an Hammers

Geschichte

der schönen Redekunst Persiens und an Auszügen aus dessen Fundgruben des Orients. Hammer folgend hat Goethe in den Noten sieben persische Dichter chronologisch (vom 10. bis 15. Jahrhundert) als ,Siebengestirn” geschildert: Ferdausi, Anwari, Nizämi, Rumi, Sa’di, Hafis und Gämi. Aus

Goethes Sicht hatten „die Perser in 5 Jahrhunderten nur 7 Dichter, die sie

gelten ließen, und unter den verworfenen waren mehrere Kanaillen, die besser als ich waren. ? Goethe hat diese sieben Dichter als Vertreter der persischen Poesie hervorgehoben und Hafis exemplarisch ausgewählt. Außer diesen sieben schildert und charakterisiert er aber keine anderen namhaften klassischen persischen Dichter wie z. B. Chajjam und ‘Attar, obwohl er im Divan auch von ‘Attar einige Gedichte umgedichtet hat. Goethe rühmt die persische Dichtung derart, als sähe er in ihr seine Wunschvorstellung von der Dichtkunst: Die Fruchtbarkeit und Manigfaltigkeit der persischen Dichter ent-

1 2 3

Goethe: Napoleonische Zeit. Teil II; von 1812 bis zu Christianes Tod. Hrsg. von Rose Unterberger. In: Sämtliche Werke. Bd. 2/7., FA, 1994, S. 451. Siehe „Wiesbadener Register“. in Goethe: West-östlicher Divan. Sämtliche Werke. Bd. 1, 3/1, FA, S. 457. Goethe

im Gespräch

mit

dem

Kanzler

von

Müller

(2. Oktober

1823). In:

Goethe;

Sämtliche Werke. Bd. 2/10; Die Letzten Jahre, Teil I: Von 1823 bis zum Tode Carl

Augustus 1828. Hrsg. von Horst Fleig. FA. 1993, S. 115.

167

springt aus einer unübersehbaren Breite der Außenwelt und ihrem unendlichen Reichtum.! So „befreundet“ er sich mit „ihrer eigensten Welt“ und „bewundert“ sie.?

Goethes Rezeption der persischen Dichtung ist nicht nur ein Versuch, die Literaturästhetik dieser „Redekunst“ kennen zu lernen, er sieht in dieser Dichtung auch eine Möglichkeit, sich dem „Charakter der Nation und ihres Geschmackes” anzunähern. So entdeckt er z.B. nicht nur die Schlau-

heit der Dichter in ihrem „Witz; in diesem Bereich ist auch „die ganze

Nation geistreich, was aus unzähligen Anekdoten hervorgeht. Durch ein geistreiches Wort wird der Zorn eines Fürsten erregt, durch ein anderes wieder besänftigt.“? Goethe lernte also weit über Hafis hinaus andere literarische Werke Persiens kennen und arbeitete sie in seinen Divan ein und mithin um. Dies sei an einigen Beispielen erläutert:

Im Buch der Betrachtungen hat Goethe in die Fünf Dinge 4 das Buch

Pend-Nameh (Ratbuch) von ‘Attar (1145/46-1221) aufgenommen. Goethe

stieß im zweiten Band von Hammers Fundgruben des Orients auf PendNameh in französischer Prosaübersetzung von Silvestre de Sacy.> Auch übernahm er aus der vom persischen Autor Daulatsäh Samaqandi® geschriebenen Biographie ‘Attars die Perle, die vom Meer an den Strand geworfen wird, als persische Metapher fiir Poesie, die sich in der Einleitung zur Übersetzung von Pend-Nameh findet.’ Er verwendete die Metapher zweimal

im Divan:

1. im Buch

der Sprüche („Sie

[die Flut der Leiden-

‫كن‬

‫ لور‬W‫‏‬

‫زح‬

‫نم‬

schaft] wirft poetische Perlen an den Strand / Und das ist schon Gewinn des Lebens.”)® 2. dichtete er diese Metapher auch im Buch Suleika als „dichterische Perle” um. Es ist Marianne von Willemer, die in ihm mit ihrer Liebe lyrische Kraft weckte, die er hier meint:

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 165. Ebd., S. 168.

Ebd. Die Entdeckung dieser Schlauheit ist ein wichtiger Gesichtspunkt im Divan. Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz. S. 37. Momme Mommsen hat in seinem Buch Studien zum

West-ôstlichen Divan (Berlin

I

©

1962), im Kapitel Goethe und Ferid-Eddin Attar ausführlich Goethes Verhältnis zu

8

Attar gest. Siehe Siehe

168

untersucht (S. 9- 24). 1494/95. M. Mommsen, a.a.O., S. 18f . Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz. S. 61.

Hier nun dagegen Dichterische Perlen, Die mir deiner Leidenschaft

Gewaltige Brandung

Warf an des Lebens Verödeten Strand aus.!

An manchen Stellen, wo er Verse von persischen Dichtern übernahm oder umdichtete, nannte er bisweilen ihre Namen, wie z.B. im Buch der Sprüche („Enweri sagt... ‘)? und im genannten Buch der Betrachtungen mit dem Untertitel Dschelal Eddin Rumi spricht oder Ferdusi spricht. Aus der Übersetzungsprobe Ferdausis Sähnäme (Königsbuch-10. Jahrhundert) des Grafen Ludolf, angefügt dem 2. Band der Fundgruben des Orients,? wurden von Goethe unverändert im Buch der Betrachtungen, im Gedicht Ferdusi spricht folgende Verse übernommen: O Welt! wie schamlos und boshaft du bist! Du näherst und erziehst und tôtest zugleich.°

‎‫جهانا چه بد مهر و بد گوهری‬

‎‫که هم پرورانی و هم بشکری‬

Ins Buch der Sprüche übernahm Goethe Dichtungen persischer Dichter, ohne ihre Namen zu nennen. So tauchen die folgenden Verse aus dem Sähnäme von Ferdausi dort wieder fast unverändert auf: Was machst du an der Welt, sie ist schon gemacht,

Der Herr der Schöpfung hat alles bedacht.®

m‫‏‬

‫نی‬

‫نح‬

‫مم‬

Diese Verse entsprechen dem Original:

5 6

Ebd., 73f. Ebd., S. 56. Ebd., S. 44. Hammer-Purgstall (Hg.): Fundgruben des Orients; bearbeitet durch eine Gesellschaft von Liebhabern. Bd.2, Wien 1811, S. 57-64. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz., S. 44. Dieses Verspaar im Original (Persisch) ist nicht in Goethes Divan enthalten. Ich habe dieses und andere Verse dieses Kapitels in den Originalwerken gesucht und im Text dazu gefügt. Ebd.,S. 56. 169

Für Goethe war Ferdausis Epos besonders anregend, weil im Sähnäme, laut Goethe, ,die Wiederherstellung einer Volks- und Stammes-Literatur

bedacht war [...]. Dieses Werk ist ein wichtiges, ernstes, mythisch-historisches National-Fundament, worin das Herkommen, das Dasein, die

Wirkung alter Helden aufbewahrt wird. Es bezieht sich auf frühere und spätere Vergangenheit, deshalb das eigentliche zuletzt mehr hervortritt, die früheren Fabeln jedoch manche uralte Traditions-Wahrheit verhüllt überliefern."! Dies steht mit dem damaligen Zeitgeist in Einklang, als die Literaten nach Volksliedern, Nationalmythen und uralten Überlieferungen suchten, um einen Weg zu sich selbst zu finden. Was hier Goethe, Hammers Redekunst folgend, beschreibt, ist der Sondercharakter des Sähnäme. Im 10. Jahrhundert, nach drei Jahrhunder-

ten der Islamisierung des Landes, waren nicht nur allmählich die Vergangenheit, die vorislamische Kultur und ihre Mythen in Vergessenheit geraten, sondern es wurde auch die persische Sprache vom Arabischen zurückgedrängt. Ferdausi hat dreißig Jahre an seinem nationalen Epos gearbeitet, in dem er die persischen vorislamischen Volksdichtungen und Mythen wiederbelebte, welche Straßenerzähler überliefert hatten. Ferdausi ist für die Perser nicht nur ein großer Dichter, der die persischen Mythen wiederherstellte und ihnen damit ihre Identität zurückgab, er wird besonders als „Retter“ der persischen Sprache verehrt; weil sein reines und hochliterarisches Persisch ein Vorbild für die Nachkommenden ist.

Andererseits bezieht sich das Sahname, laut Goethe, auf die „frühere

und spätere Vergangenheit“ Persiens.? In dieser Hinsicht war für Goethe wichtig, „in die früheste Zeit zurück[zu]gehen, damit uns dadurch die neuere verständlich 3 Außer Ferdausis Gedichten findet sich eine andere Stelle im Divan ebenfalls ein Doppelvers von Sa’di (Golestän, Rosengarten), der im Iran einem Sprichwort gleich kommt: Wer auf die Welt kommt baut ein neues Haus,

‎‫نم‬

Ebd., S. 156.

m

W

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 155f.

NN

Er geht und lässt es einem zweiten, [...] 4

Ebd., S. 136. Ebd., S. 60.

071

Dies entspricht auch dem Original:! ‫ که آمد عمارتی نو ساخت‬yo‫‏‬

‫رفت ومنزل به دیگری پرداخت‬ Auch an anderen Stellen des Divan gibt es Nachdichtungen von 52 ‎‫بل‬ wie z. B. zwei Verse aus seinem zweiten Werk

(Bustän), deren Uberset-

zung unter dem Titel Persianischer Baum-Garten im Anhang zu Adam Olearius Colligirten Reise-Beschreibungen (1696) erschienen war. Die Olearius-Ubersetzung lautet: ,Die Erde ist alsdann sein Tisch? vor alle Menschen / worinnen zwischen Freund und Feind kein Unterscheid befindlich.“3 Goethe dichtet diese Verse wie folgt um: 4 Welch eine bunte Gemeinde!

An Gottes Tisch sitzen Freund- und Feinde.’

Dies entspricht auch dem Original:®

‫ اوست‬ple‫ادیم زمين سفره‌ی ‏‬ ‫برين خوان یغما جه دشمن جه دوست‬ Insgesamt hat Goethe persische Texte (abgesehen von Hafis) - sowohl‫‏‬ lyrische Texte als auch Prosa wie Diez’ Übersetzung vom Buch Kabus -‫‏‬ als gelegentliches Hilfsmittel für die Verstarkung seiner Denkweise oder‫‏‬ als Beispiel für ,Lebensklugheit 7 verwendet. Da ist es denn kein Zufall,‫‏‬

‎‫ندم‬

dass solche Texte dort übernommen werden, wo die Weisheit oder die‫‏‬ Spruchgedichte im Vordergrund stehen, was besonders im Buch der‫‏‬ Sprüche der Fall ist.‫‏‬

Sa’di: Koliyat-e Sa di. Hrsg von Mohmmad Ali Forugi. Teheran 1994, S. 30.

6

Sa’di, a.a,O., S. 189.

ND BD

5

D.i.: Gottes Tisch. Goethe: Sämtliche Werke. Band 3/2, FA, S. 1140. Nach Momme Mommsens Hinweis war Goethe diese Stelle durch die Vermittlung von Chardins Übersetzung der Bustän-Vorrede (in Voyages en Perse) zur Kenntnis gelangt. Siehe M. Mommsen: Studien zum West-östlichen Divan. Berlin 1962, S. 91f. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 59. Andere Spuren von Sa’dis im Divan fin-

7

den sich im Gedicht Talismane (S.12), im Buch der Sprüche (S. 61) u.a.

Siehe Morgenblatt für gebildete Stände (24.Feb. 1816). In: Goethe: West-ôstlicher Di-

van. Sämtliche Werke. Bd. I, 3:1: FA. S. 550.

171

2.3.4 Die Wirkung des Despotismus auf die persische Dichtung Abgesehen von der Schönheit und Wahrheit der persischen Kunst wird Goethe angetrieben von dem ihm innewohnenden Drang, die Kunst an ihrer Quelle aufsuchen bzw. die natürliche Kunst finden zu wollen. Es ist kein Zufall, dass Goethe in den Noten seine Theorie über „drei echte Naturformen der Poesie“ vorträgt (Epos, Lyrik und Drama). In diesen „Dichtweisen“

wird

das

Drama,

die

dritte

Naturform

der

Poesie,

als

„Wechselrede“ charakterisiert,! weil im Drama die Stimmen geteilt sind als ,handelnde Personen sprechen. ? Das Drama nun findet sich in der klassischen persischen Literatur nicht. Denn der Despotismus duldet keinen Widerspruch: Höchst merkwürdig ist, dass die persische Poesie kein Drama hat. Hätte ein dramatischer Dichter aufstehen können, ihre ganze Literatur müsste ein anderes Ansehen gewonnen haben. Die Nation ist zur Ruhe geneigt, sie lässt sich gern etwas vorerzählen, daher die Unzahl Märchen und die grenzlosen Gedichte. So ist auch sonst das orientalische Leben an sich selbst nicht gesprächig; der Despotismus befördert keine Wechselreden.? Was Goethe hier unter dem Begriff „Drama“ erfasst, geht weit über die dichterische Lage Persiens hinaus: Er formuliert die Macht eines despotischen Herrschaftssystems über die Möglichkeiten der Kommunikation. In einer Gesellschaft, in der sich die Menschen mit einem despotischen Oberhaupt identifizieren müssen und ihr Schicksal vom despotischen System bestimmen lassen, gibt es keine Gegenrede. Vielmehr unterwerfen sich die Menschen und geben ihr Eigenleben preis. Dies versucht Goethe den „Westländern“ zu vermitteln:

Was aber dem Sinne der Westländer niemals eingehen kann, ist die geistige und körperliche Unterwürfigkeit unter seinen Herren und Oberen, die sich von uralten Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an die Stelle Gottes traten. ]...[ Welcher Westlander kann erträglich finden, dass der Orientale nicht allein seinen Kopf

1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 191.

2 3

Ebd. Ebd., S. 192.

172

neunmal auf die Erde stößt, sondern denselben sogar wegwirft irgendwohin zu Ziel und Zweck?! Als weiteres Beispiel und als Beleg für Unterwürfigkeit und Unmündigkeit in der persischen Dichtung führt Goethe das ,Mailespiel? des Schahs” an. Wie beim Mailespiel legte der Dichter „seinen Kopf als Ballen“? dem Schah zu Füßen, damit er [Schah] sein Blick auf ihn richte, um mit dem nächsten Schlag fortspediere. Goethe bezieht sich hier auf verschiedene Verse von drei persischen Dichtern, Dschami (Gämi), Hafis und

Enwari

(Anwari),

ohne

ihre Namen

zu nennen.

Sechs

Verse

Dschami (gest. 1492) dienen ihm als Beleg und darunter die letzten:

von

Leg’ auf des Schahes Bahn den Kopf,

Vielleicht dass er dich doch erblickt.4 ‫شاه‬

‫بنه در ره چوگانی‬

‫بار کند در بو نگاه‬

‫سر‬

‫بو که يك‬

Anschließend führt Goethe Beispiele von Hafis an: „Nicht aber allein vor‫‏‬ dem Sultan, sondern auch vor Geliebten erniedrigt man sich ebenso tief‫‏‬ und noch häufiger.”>‫‏‬ Goethe bemerkte zu Recht, dass der persische Dichter eine gewisse Unterwürfigkeit so weit verinnerlich hatte, dass er sich auch vor der Geliebten beugt und sogar in den Staub wirft. Allerdings ließ Goethe dabei die Mystik außer Betracht. Dort spielt ,Unterwürfigkeit” eine gänzlich andere Rolle: Es ist unumstritten, dass der Despotismus die dramatische Inszenierung nicht nur nicht fördert, sondern nachgerade verhindert, aber das ist die eine Seite. Denn - wie im Kapitel Hafis’ Weltsicht bereits dargestellt® - verlangt andererseits die islamische und damit verbundene mystische Lehre auch die absolute Hingabe an den Dienst Gottes, wobei der Mensch auf alle irdischen Freuden und sogar auf seinen eigenen Körper zu verzichten angehalten ist. Hafis’ Verse, die Goethe als Unterwerfung des Dichters unter die irdische Geliebte liest, bedeuten mithin im eigent1

Ebd., S. 172-173.

3 4 5 6

In: Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 173. Ebd. Ebd. s.Kap. 1.3

2

Polospiel.

173

lichen Sinne die willentliche Opferbereitschaft eines Mystikers, durch die er sich mit dem göttlichen Ursprung zu vereinigen sucht: Mein Gesicht lag auf dem Weg, Keinen Schritt hat er vorbeigetan.! ‫رو بر ره‌اش نهادم و بر من گذر نکرد‬

Goethe hat lediglich die erste Vershälfte des Ghasels in zwei Zeilen übertragen, nicht aber die zweite. Diese lautet: Hundert Freundlichkeiten erhoffte ich mir von ihm,

keinen einzigen Blick hat er mir gegönnt.?

‫ لطف چشم داشتم و او یک نظر نکرد‬10 Hafis hat obiges Gedicht in seiner Entwicklungsphase zum Mystiker verfasst. Dabei hofft er den „Blick“ (Liebe) des „Freundes“ (Gottes) auf sich zu ziehen. Er steht auf einer Emanationsstufe, auf der er eines freundli-

chen Blickes von Seiten Gottes noch nicht würdig ist, obgleich er sich (sein Gesicht, seinen Körper) für ihn zu opfern müht. Goethes Zitate aus Dschamis Dichtung sind nun allerdings ebenfalls in Verbindung mit einem von Gott vorherbestimmten Schicksal zu verstehen. Dschami spricht hier von der absoluten Machtlosigkeit der Menschen dem Schicksal gegenüber: Wie lang wirst ohne Hand und Fuß

Du noch des Schicksals Ballen sein!

Und überspringst du hundert Bahnen, Dem Schlägel kannst du nicht entfliehn.

Leg’ auf des Schahes Bahn den Kopf, Vielleicht daß er dich doch erblickt.?

Die von Goethe verwendete Übersetzung bleibt dem Original nicht ganz treu. Die korrekte Übertragung der ersten zwei Verse müsste vielmehr lauten:

OU

‎‫دح‬

=

Wie lang versuchst du ohne Kopf und Fuß in der Art eines Balles dem Krummstab(Schlagel) des Schicksals zu entgehen? In: Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 173.

Hafis-Wohlleben, S. 213.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 173.

Übersetzung von mir. 471

‫ بی سروپا‬.‫تابه کی گوی‌صفت‬

‫می‌جهی از خم چوگان قضا‬

Dschami hat unter Verwendung der Wortverbindung ,ohne Kopf und Fuß“ (nicht „Hand“ wie bei Goethe) ein Wortspiel mit Mehrdeutigkeit geschaffen. Einerseits vergleicht er die Machtlosigkeit der Menschen gegenüber dem Schicksal mit einem Ball (ohne Kopf und Fuf), andererseits

bedeutet „ohne Kopf und Fuß” (L ‎‫ (بی سر و‬im Persischen ,Vagabund”. Somit hat Dschami nicht nur den hin und her sich bewegenden Ball mit einem Vagabunden verglichen, sondern er hat auch den Menschen zum Spielball Gottes oder des Schicksals gemacht. In die gleiche Richtung weist die Rolle, die die Mystik bei den Orientalen hat. Sie ist Ursache für den Mangel an „Gespräch“ und „Wechselreden" bei Orientalen. „Schweigen“ wird in der mystischen Welt hoch bewertet. Weil die Mystiker das Geheimnis der Liebe zum göttlichen Ursprung und ihre verschiedenen Stadien und Stationen auf dem mystischen Pfade nicht enthüllen wollen, sind sie von ihrer Lehre her schweigsam und nicht etwa gesprächig. Mystiker empfinden das „Gespräch” als Störung, als Verdunklung, die das Erblicken des Geliebten (Gott) verhindert. Rumis Verse mögen dies verdeutlichen: Wenn du in unserem Gau [in mystischer Welt] (merkst du, dass) unsere Eigenschaft Schweigen ist; Weil unser Gespräch den Staub erregt.!

ankommst,

‫چون برسی به کوی ما خامشی است خوی ما‬ ‫چونکه ز گفت‌وگوی ما گرد و غبار می‌رسد‬

Es sei daran erinnert: Dem größten Wunsch des Mystikers, seine Seele mit dem göttlichen Ursprung zu vereinen, steht sein eigener Körper im Wege. Von diesem Hindernis auf dem mystischen Pfad, dem in der mystischen Literatur als „Staub“ bezeichneten Leib, muss er sich zunächst befreien, um die göttliche Vereinigung erreichen zu können. Dies wird im folgenden Vers von Hafis deutlich: Zum bes; 1

Schleier vorm Antlitz der Seele wird der Staub meines Lei-

Rumi: Koliyät-e diwän-e Sams-e tabrizi. Hg. von ‘Ali Dasti u. B. Foruzänfar. Teher-

an 1976, S. 243. Übersetzung von mir.

175

wie herrlich der Augenblick, da vom Antlitz den Schleier ich werfe.!

In Sa‘dis Golestän („Rosengarten“) findet sich eine Geschichte (Vorteile des Schweigens), in der das Schweigen hoch angesehen und der Mangel an Wechselreden als Tugend der Gläubigen dargestellt wird. Sie handelt von einer Diskussion zwischen einem angesehenen Rechtsgelehrten und einem ,Ungläubigen”. Der Rechtsgelehrte kann gegen die Behauptungen des Ungläubigen nicht mehr Einspruch erheben und hat nun aufgehört, weiter zu diskutieren. Man fragt ihn: „Wie kann es sein, dass du mit dei-

nen reichen wissenschaftlichen Kenntnissen gegen einen Ungläubigen

nicht argumentieren konntest?“ Er erwidert: „Meine Wissenschaft ist der

Koran und die Überlieferung über Mohammed und die Aussagen der Heiligen, und er (der Ungläubige) glaubt alles dies nicht. Was nutzt es mir, wenn ich seine Blasphemie anhöre?”? Die Schlussfolgerung dazu schreibt Sa ‘di, wie es bei anderen Geschichten dieses Werks ebenso der Fall ist, in einem Doppelvers: Wer durch Koran und Aussagen der Heiligen nicht zu überzeugen ist,

die beste Antwort ist, ihm nicht zu 3

‎‫ان كس که به قران و خبر زو نرهی‬ ‎‫ ندهی‬ule

aS

‎‫جوابش‬

‫ان است‬

Auf diese Weise wird die Tür zu jeglicher Kommunikation natürlich verschlossen. Hier muss angemerkt werden, dass die oben genannten Beispiele eher für die orthodoxe Lehrmeinung stehen. Es gab einige Mystiker, wie den Agypter Zu’n-Nun (gest. 859/60), die Perser Bayezid Bastami (gest. 874) und Ruzbehan Baqli (gest. 1209) von Shiras u.a., die, wie Hafis, die intuitive Gotterkenntnis oder Gnosis postulierten und dem diskursiven Wissen entgegensetzten.? Sie waren, verglichen mit den Orthodoxen und As-

keten ihrer Zeit, fortschrittlich in ihrer Suche nach einem direkten, per1 2 3 4

Hafis-Wohlleben, S. 394. Sa‘di: Koliät-e Sa‘di, golestan (Rosengarten). Hrsg. von MohammadAli Forugi. Teheran 1994, S. 113. Ubersetzung von mir. Ebd. Übersetzung von mir. Vgl. A. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 72-78.

176

sönlichen Verhältnis zu Gott, ohne die Notwendigkeit vermittelnder legalistischer Institutionen. Aber auch sie waren, auf ihrem eigenen Weg zu Gott, derart in sich und ihren eigenen Glauben versunken, dass sie keinen Dialog suchten und keinen Widerspruch duldeten. Ich möchte hier die von Schimmel bemerkte Intoleranz in der mystischen Auffassung als ein beredtes Beispiel zur Bekräftigung meiner These zitieren:

Ibn ‘Arabi wird meist als Advokat religiöser Toleranz gepriesen, und jeder, der das Ideal ‚mystischer Toleranz und Indifferenz zeigen will, pflegt seine Verse zu zitieren: Mein Herz ward fähig, jede Form zu tragen,

Gazellenweide, Kloster wohlgelehrt, ein Götzentempel, Ka’ba eines Pilgers, der Thora Tafeln, der Koran geehrt: Ich folg’ der Religion der Liebe, wo auch ihr Reittier zieht, hab’ ich mich hingekehrt.!

Doch diese scheinbar so tolerante Bemerkung enthält eher eine Feststellung über den hohen geistigen Rang des Verfassers: ‚Die Form Gottes ist für ihn nicht länger die Form dieser oder jener Religion unter Ausschluss aller anderen, sondern seine eigene ewige Form, die er am Ende seines tawaf? trifft.’ Es ist damit höchstes Selbstlob, Anerkennung einer Erleuchtung [...], aber keine Toleranz, wie sie den Massen gepredigt wird.? Nunmehr wird auch klar, dass die Mystik, wenn auch aus besonderem Grund, den Dialog ablehnt, was in der islamischen Lehre dem absoluten Gehorsam und der Unterwürfigkeit der Gläubigen entspricht. Auf diesen „unwandelbaren Gehorsam“ im Islam hat auch Goethe im Divan hingewiesen: Man sehe, wie er [Mohammed] die Überlieferungen des alten Tes-

taments und die Ereignisse patriarchalischer Familien, die freilich

‫نح‬ BD‫‏‬

‫نمم‬

auch auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem unwandelba-

Ibn ‘Arabi: tarjoman al-ashwäg, Nr. 11, Zeile 13-15. In: Schimmel, a.a.O., S. 384.

Rundgang, die Prozession um die ka ba.

Corbin: Imagination créatrice et priere créatrice. S. 180. In: Schimmel, a.a.O., S. 384.

Ebd.

177

ren Gehorsam und also gleichfalls auf einem Islam beruhen, in Legenden zu verwandeln weiß [...]! Halten

wir

fest,

dass

die

islamische

Lehre

die

„Wechselreden“

nicht

kennt, weil sie Widerspruch und- Gegenrede nicht fördert. In einem despotischen System also und unter einer Gewaltherrschaft muss eine Bevölkerung, deren Gesinnung durch die Eigenschaft des Schweigens in der Mystik geprägt ist, zwangsläufig verstummen. Hier ist Jan Rypka zuzustimmen, dass „die von den sufischen Dichtern unaufhörlich gepredigte Abkehr von der Welt [...] sicherlich nichts anderes als ein Widerhall des Gefühls der Knechtschaft [ist].”? In der Geschichte der persischen Poesie geht mit Verbreitung der mystischen Dichtung ein Verschwinden der Widerrede einher. Im Sähnäme, in dem Ferdausi (gest. 1030) seine Figuren manchmal Gespräche

führen

lässt, wie

auch

bei manchen

anderen,

vor allem

in

Nizämis Epik, deutet sich eine Vorform des Dramas an. Ferdausi war kein mystischer Dichter. Zu seiner Zeit (10.-11. Jh.) hatte die mystische Poesie noch kein Gewicht. Die dichterische Strömung jener Zeit, bekannt als „sabk-e horäsäni = chorassanischer Stil“,? beruht auf der Wirklichkeit

des irdischen Lebens. Ferdausis Werk, eine Nationalmythologie, hat die märchenhafte Geschichte Persiens von seinen Anfängen bis zum Islam und ihr Heldentum zum Thema. Es hat keine Verbindung zur islamischen Mystik oder überhaupt zum Islam. Die epischen Liebesdichtungen

von Nizami (Hosrou und Sirin, Leili und Magnun) sind zwar in einer Zeit

entstanden, in der die islamisch-iranische Mystik ihren Höhepunkt in der Poesie erreicht hatte (12. Jh.), werden aber nicht als mystische Werke betrachtet. Die Liebe in Nizämis Werken ist im Allgemeinen die gewöhnliche irdische Liebe, und in seinem Werk finden sich der Gesprächsform ähnliche Szenen. In mystischer Dichtung gibt es keine Notwendigkeit für die Gesprächsform. Entweder ist die Liebe eine himmlische Liebe, eine Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Ursprung oder die Geliebten bringen keine Widerrede hervor. Alles wird einseitig durch den Liebenden selbst, das lyrische Ich, bestimmt. 1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 148.

3

Diese literarische Strömung nennt sich der „chorasanische Stil“, weil er in der persischen Provinz Xoräsän entstanden ist.

2 Jan Rypka: Iranische Literaturgeschichte. Leipzig 1959, S. 84.

178

Wilhelm Litten nimmt Stellung zu Goethes Äußerung über den Mangel an Dramen in Persien:! Doch gibt es das persische Drama, das gerade zu der Zeit, als Goethe seinen Nachtrag schrieb, etwa seinen Höhepunkt erreicht hatte.’ Was Litten das ,persische Drama” nennt, um es anschließend mit dem griechischen Drama zu vergleichen,’ ist ein schiitisch-religiöses Trauerfeier-Lied (ta ziye 4,5) über Hossein, den 2. Imam

der Schiiten, der im

Jahre 680 n.Chr. in einem Macht-Krieg gegen Yazid, den zweiten Omayyaden-Kalif, bei Kerbela fiel. Für Schiiten ist Hossein der größte heilige Märtyrer. Seit dem 16. Jahrhundert, als unter der Safaviden-Dynastie der Schiismus Staatsreligion wurde, wird der Tag der Gefallenen jedes Jahr mit einer Trauerprozession begangen. In der Qäßären-Zeit (19. Jh.), besonders in der Näser ad-Din Schah-Zeit (1848-1896) hat sich diese Trau-

erfeier zu einem „Passionsspiel“ entwickelt,° das keinesfalls mit einem westlichen Drama gleichzusetzen ist. Es kann bis hierher geschlussfolgert werden, dass sowohl der Despotismus, der einen Dialog nicht aufkommen lässt, wie auch die mystische Lehre besonders die epische Dichtung Persiens in Wiederholung und Nachahmung haben erstarren lassen. Deshalb finden sich in der persischen Literatur bei Lyrikern unterschiedlicher Epochen die immer gleichen Geschichten mit überwiegend immer gleichen rhetorischen Figuren.

Der Prozess der Wiederholung und der Nachahmung erstreckt sich

weiter bis zu einem Tiefpunkt im 19. Jh. (Qäßärenzeit: 1796-1923), und

bis zur konstitutionellen Revolution (1906). Während der Qaÿärenzeit, besonders in der Fath- Ali Schah-Zeit (1798-1834), in der der Schah selbst (er schrieb Ghaselen) an seinem Hof mit Hilfe anderer Dichter einen lite1 2 3 4 5

„Höchst merkwürdig ist, dass die persische Poesie kein Drama hat. Hätte ein dra-

matischer Dichter aufstehen können, ihre ganze Literatur müsste ein anderes An-

sehen gewonnen haben.“ Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 192. Wilhelm Litten: Drama in Persien. Mit einem Geleitwort von Friedrich Rosen. Berlin u. Leipzig 1929, S. VI. Siehe Ebd. Mehr über Hossein und seinen Machtkampf s. Gerhard Konzelmann: Allahs

Schwert. Der Aufbruch der Schiiten. 2. Aufl. München/Berlin 1989, S. 69-79. Mehr über ta ziye s. Sadeq Homäyuni: Ta ziye dar Iran [Passionsspiel im Iran]. Teheran 1989.

179

rarischen Verein gründete (anÿoman-e hägän, Kaiser Verein),! haben die Lyriker bewusst lediglich die in der Zeit vom 9. bis 11. Jahrhundert entstandene literarische Strômung, den horassanischen Stil, nachgeahmt. Da-

her wird ihr Stil als „zurückgewandter Stil” bezeichnet.? Im Zuge seiner sozialpsychologischen Forschungen über Persien war Goethe sich bewusst, dass Wiederholung und Nachahmung, in der epischen Poesie des Orients über Jahrhunderte idealisiert und perfektioniert, mit dem Mangel an einer gleichberechtigten Gesprachsform einhergehen, sich die wechselredende dramatische Form unter den Bedingungen der Despotie nicht entwickeln konnte. Wolfgang Lentz schreibt, dass Goethe

auf eine „Vorform

des Dramas

zurückgehen”

im Gesamtbild des literarischen Orients etwas finden.“ ? Darüber hinaus schrieb Goethe aber auch:

musste,

Vergleichbares

„um

zu

Daß jedoch der Orientale die Gesprächsform so wenig als ein anderes Volk entbehren mag, sieht man an der Hochschätzung der Fabeln des Bidpai,? der Wiederholung, Nachahmung und Fortsetzung derselben. Die Vôgelgespräche* des Feriddin Attar geben hievon gleichfalls das schönste Beispiel. Goethe hat indes die persischen Dichter an anderer Stelle hochgeschätzt, wo sie es nicht verdient haben, z.B. dort, wo er über die „poetischen Stillleben” der persischen Dichter spricht: Höchst schätzenswert ist, bei dieser grenzlosen Breite, ihre [der persischen Dichter] Aufmerksamkeit aufs Einzelne, der scharfe liebevolle Blick, der einem bedeutenden Gegenstand sein Eigentümlichstes abzugewinnen sucht. [...] Jener Dichter [persische Dichter] haben alle Gegenstände gegenwärtig und beziehen die 1

Fath-Ali Schah war ein literarisch interessierter König, der viele Ghaselen unter dem Pseudonym „hägän“ (Kaiser) dichtete. Siehe Yahyä Ärianpur: Az Sabä tä

2 3 4 5

Siehe ebd., 5. 15 - 44. Wolfgang Lentz: Goethes Beitrag zur Erforschung der iranischen Kulturgeschichte. Sonderdruck aus Saeculum VII , Heft 2/3. 1957, S. 182. Bidpai ist der Name eines indischen Brahmanen, der indische Märchen erzählte. Mit Vögelgespräche ist ein mystisches Epos von Attar (Manteq at-Teyr) gemeint, in

6

die Reisen der unterschiedlichen Vögel symbolisiert. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 193.

Nimä [Geschichte der modernen persischen Literatur]. Bd. 1, Teheran 1978, S. 15.

dem er die Stationen und Zustände der Mystiker in ihrem mystischen Pfad durch

180

entferntesten Dinge leicht auf einander, auch dem, was wir Witz nennen.!

daher nähern

sie sich

So gesehen manifestiert sich der Zusammenhang zwischen einem herrschenden Despotismus und dem Fehlen von ,Widerrede” in der persischen Poesie, wodurch Wiederholung und Nachahmung keine Ende nehmen. Imitation und Repetition

finden

sich nicht nur in den Fabeln, die

Goethe mit den „Vögelgesprächen des Feriddin Attar” als Beispiel anfiihrt, sondern zeigen sich besonders in der Verwendung der rhetorischen Figuren. Die Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit der persischen Dichter entspringt aus einer unübersehbaren Breite der Außenwelt und ihrem unendlichen Reichtum.’? Die

„Außenwelt“

der persischen

Dichter

konnte

jene

„unübersehbare

Breite”, an die Goethe glaubte, allerdings nicht aufweisen. Im Gegenteil: In der klassischen persischen Literaturwelt sind nur bestimmte Gegenstände und Naturausschnitte erlaubt. Es gibt lediglich einige bestimmte Tiere und Blumen, die über die Jahrhunderte mit gleichen Funktionen in allen Epochen wiederholt wurden. Jeder Gegenstand hatte eine bestimmte Aufgabe in der Dichtung, es waren immer wiederkehrende Motive und Vergleiche. So wurden die Schönheit der Augen mit der Narzisse, die Wange der Geliebten mit der Rose, die hochgewachsene schlanke Geliebte mit der Zypresse usw. verglichen. Es gab ein ewiges unwandelbares allegorisches Verhältnis zwischen Blume und Nachtigall, zwischen Kerze und Schmetterling usw.’ Die von Goethe beschriebene

„grenzlose

Breite“ in der Dichtung existiert nicht. Saraf ad-Din Rämi - persischer Autor im 12. Jahrhundert - hatte bereits zu seiner Zeit ein Nachschlagewerk

für Dichter zusammengestellt,

in dem

er die „erlaubten“

rhetori-

schen Figuren (Metapher, Allegorie, Vergleiche usw.) von Vorgängern

sammelte.

Er unterteilte

sie und

ordnete

sie nach Themen,

damit

die

Dichter beim Schreiben ihrer Gedichte dort Richtlinien finden konnten. 1

Ebd. S. 168.

2 3

Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz, S. 165. Siehe M. Falaki: Negahi be $e‘r-e Nima [Interpretation der Dichtung

von Nima

Yusig, des Grinders der modernen persischen lyrischen Poesie]. Teheran 1994, S. 122f.

181

Er erfasste die für jeden Körperteil üblicherweise zu verwendenden Vergleiche. Lyriker, die außerhalb dieser Stereotypen etwas Neues erdachten, wurden von ihm als „künstlich” abgewertet.!

Diese in Jahrhunderten entstandene Endemie des Despotismus be-

legt deutlich, wie der Mensch daran gehindert wird, ein Selbstbewusstsein auszubilden. Ein Mensch in einer Gesellschaft, in der er sich nur

durch eine Oberhauptinstanz als Ganzes oder durch eine Gruppierung identifiziert, getraut sich nicht, Widerrede zu erheben; er kennt keine andere Möglichkeit als die ihm vorgegebene und er muss verwenden, was in der Gruppe akzeptiert und verstanden wird. Die Verwendung von neuen oder vom Gruppenkonsens abweichenden Bildern bedeutet Isolation und Vertreibung für den Betreffenden. Er sieht alles als Ganzes oder in der Totalen in einer in sich begrenzten Welt. Deswegen kann ein Dichter in einer solchen Gesellschaft nicht in einer „grenzlosen Breite“ die einzelnen, individuellen Dinge, die Details ins Auge fassen. In dieser

Hinsicht gibt es in der persischen Poesie (manche Epen ausgenommen), besonders in der mystischen Dichtung, Liebe nur als ein allgemeines Vereinigungsgefühl für etwas Allgemeines; es gibt keine individuelle, bestimmte irdische Liebe. In Hafis’ Diwan, wie in aller mystischen Poesie,

findet man keine bestimmte, individuelle Liebe zu einer bestimmten Frau. Die Frauen oder Knaben haben keine voneinander unterscheidbare Gestalt. Das Verhältnis zur Geliebten wird mit den gleichen rhetorischen Figuren und mit den gleichen Begriffen wie bei früheren Dichtern ausgedrückt. In ihrer Repetition und Imitation suggerieren sie die Unveränderbarkeit der Gesellschaft und der Bedürfnisse von Menschen

über Jahr-

hunderte hinweg. Das Auftauchen derartiger Wiederholungen und Nachahmungen weist darauf hin, dass in einer unter einem despotischen System leiden den Gesellschaft die Nachahmung nachgerade zur Normalität wird. Obgleich Goethe die „Eintönigkeit“ der persischen Dichtung in der Verwendung der ,Naturgegenstände” erkennt? und die Unwandelbarkeit dieser Poesie herausstellt, - die persische Literatur habe „seit drei Jahrhunderten, sich immer eine gewisse Prosa-Poesie erhalten.“? - setzt er sich doch gegen diesen „Vorwurf zur Wehr: Aber genau betrachtet, werden die Naturgegenstände bei ihnen 1

2 3

Siehe Saraf ad-Din Rami: Anis al-‘Osäg. Hrsg. von ‘Abbas Egbäl. Teheran 1946. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 167. Ebd., 5.171.

182

[den persischen Dichtern] zum Surrogat der Mythologie, Rose und Nachtigall nehmen den Platz ein von Apoll und Daphne.! Die Verwendung der Naturgegenstände wie Rose und Nachtigall durch persische Dichter ist allerdings nicht vergleichbar mit Bildern oder Metaphern in der westlichen Mythologie. Einerseits haben diese Naturteile keinerlei mythologische Bedeutung, andererseits, wie schon zuvor aufgezeigt, ist die Wiederholung von Gegenstanden mit bestimmter Funktion und gleicher Bedeutung über Jahrhunderte (und zwar nicht etwa drei Jahrhunderte, wie Goethe

meint,

sondern

zehn Jahrhunderte!)

ein Zei-

chen dafiir, dass Despotismus im Verbund mit orthodoxer Religiositat Anderungen in keinem Bereich duldet.

Haben nun aber - wie das zuvor Gesagte vermuten lassen kônnte - die großen Dichter wie Hafis keine höhere Sprache besessen? Und haben sie nicht durch wortspielerische Finesse und Sinnspiele u.a. ihre Dichtung auf ein höheres Niveau emporgehoben? Im Kapitel „Hafis’ Weltsicht" (Teill) ist dargestellt, dass Hafis die Poesie als das „Geheimnis der Redekunst”? oder als „Wortmagie“? galt. Mit Hafis erreicht die persische Literatursprache ihren Höhepunkt. Davon unbeeindruckt bleibt allerdings die Verbindung von ganz bestimmten Bildern mit Naturgegenständen und daraus resultierend auch das Verhältnis zu Formen, Deutungen, Abbildungen bei allen Dichtern aller Epochen unverändert. Hafis selbst hat nicht nur die rhetorischen Figuren seiner Vorgänger übernommen, sondern auch in vielen Fällen Verse von ihnen (insgesamt 17 Dichter u. a. Sa di, ‘Attar, Nizämi, Anwari, Zahir, 1

2

3

Ebd. S. 167.

„Über die herzberückende Dichtung des Hafıs weiß Bescheid, / wer etwas von Vers-Anmut und dem Geheimnis der Redekunst versteht.” - Diwan-e Hafez: hrsg. von Parwiz Natel Khanlari. Tehran 1980, S. 364. Bei der Übersetzung dieser Verse habe ich die Übersetzung von Joachim Wohlleben hinzugezogen (S. 252). In fast allen Editionen des Diwans, besonders bei Übersetzungen (auch bei Wohlleben), ist anstelle von „Geheimnis der Redekunst“ „Wortessetzen des Dari (persische Hofsprache)” die Rede, was m.E. hier fehl am Platz ist. Siehe M. Falaki: Hafis über die Dichtung. In: Falaki; Die Punkte (gesammelte Essays). Hamburg 1996, S. 55-68. Hervorhebung von mir. „Ich bin der zaubernde Dichter, der durch Wortmagie / aus dem Schreibrohr lauter Kandis und Zucker rieseln lässt.“ Übersetzung von J. Wohlleben, S. 377. Hervorhebung von mir. 183

Kamal, Hagu usw.)! mit fast gleichem Wortlaut und gleicher Bedeutung in seinen Ghaselen wiederholt. Die folgenden Verse hat Hafis direkt von anderen Dichtern übernommen: 1. Die Vershälfte „paß auf, dass du nicht am Tor-Reif an ein unmögliches Glück riittelst"? von Anwari (gest. 1152) hat Hafis direkt in sein folgendes Gedicht eingefiigt: Das Trugbild seines Haar-Reifs halt dich im Bann der Täuschung, o Hafis; paß auf, dass du nicht am Tor-Reif an ein unmögliches Glück rüttelst.? 2. Der Halbvers „Mir schenkt die Hoffnung auf Vereinigung mit dir das Leben”? von Zahir (gest. 1201) wird wie folgt übernommen: Mir schenkt die Hoffnung auf Vereinigung mit dir das Leben; ansonsten befürchte ich jeden Augenblick aufgrund der Trennung von dir den Untergang. 3. Die Vershälfte „wenn ich an jeder Haarspitze tausend 1.66۴ von Häßu (gest. 1345) wird wie folgt eingefügt:

‎‫أعناقط‬6

Ich sagte, was der Lockenduft des Freundes (mir) wert ist, wenn ich an jeder Haarspitze tausend Leben hatte.’ Auch hat Hafis die Verse anderer mit gleichen Deutungen in seiner Weise nachgedichtet: 1. Anwari: Weißt du, was meinen Weinkult mich nicht, wie du es tust, selbst vergötzen.®

1 2 3

4

5

6

7 8

betrifft? Damit

wollte ich

Siehe Baha ad-Din Horramsähi: Häfez-näme [Erläuterungen Hafis’]. Bd. 1, 16. Aufl. Tehran 2006, S. 40-90. Siehe Ebd., S.45. Hafis-Wohlleben, 5. 583. Hervorhebungen von mir. Horamsähi, S. 50.

Hafis-Wohlleben, S. 386. Hervorhebung von mir.

Horamsähi, S. 70.

Hafis-Wohlleben, 5. 546. Hervorhebung von mir. Horraméahi, 5. 45. Übersetzung von mir.

184

Hafis: Was meinen Weinkult betrifft: Mein Bild habe ich auf Wasser

gemalt, um das Bild der Selbstvergötzung loszuwerden.!

2. ‘Attar: Unser Alter [mystischer Pfadführer] floh aus dem Kloster und ging ins Weinhaus.? Hafis: Gestern (Abend) ging unser Alter aus der Moschee ins Weinhaus.’ 3. Kamal: Du bist im Mund des Grabes und ich an der Lippe des Grabes; 4 Von Lippe zu Mund ist kein langer Weg.’ Hafis: An der Lippe des Meeres® des Vergehens [Vernichtung] stehen wir wartend, o Schenke, nutze die Gelegenheit, denn von Lippe zu Mund ist kein langer Weg.’ Allerdings muss man derlei Repetition bei Hafis von der einfachen Nachahmung hunderter anderer Lyriker unterscheiden. Bei Hafis und bei einigen wenigen persischen Dichtern hat Nachahmung oder Wiederholung auch andere Gründe: 1. Ein Dichter wie Hafis übernimmt die Verse von bekannten Dichtern

‫ان‬

‫ لير‬W

D‫‏‬

‫مم‬

und dichtet sie um (vgl. Edward Browne, s.u.), um zu zeigen, dass er bes-

6 7

Hafis-Wohlleben, S. 494. Horramÿähi, 5. 53. Übersetzung Hafis-Wohlleben, S. 60. an der Lippe (Rand) des Grabes Horramsähi, S. 57. Übersetzung Esmäil (gest. 1202), den er als Ebd., S. 383.

von mir. = vor dem letzten Atemzug, sehr alt. von mir. Das ist ein Vierzeiler von Kamäl ad-adin Trauerlied für seinen ertrunkenen Sohn dichtete.

ander Lippe des Meeres = am Ufer. Hafis-Wohlleben, 5. 138. Wohlleben hat die letzte Wörter des Verses, nämlich „inhame nist ‎‫ نیست‬ass ,f", was ich hier „kein langer weg“ übertragen habe, wörtlich „ist alles nichts (von Lippe zu Mund ist alles nichts) übersetzt mit dieser Erklärung: „Zwischen Lippe und Mund eines Menschen ist tatsächlich - da beides dasselbe ist - nichts.“ (S. 138). Aber dieses Prädikat (in hame nist), das als Endreim das ganze Ghasel hindurch wiederholt wird, bedeutet in verschiedenen Versen

dieses Ghasels eher „nicht weit, nicht lang, nicht viel“. Das Wort „lab“ (Lippe) bedeutet außerdem ebenfalls „Rand, Kante”. Hier gibt es einen Doppelsinn: 1. Von der Lippe des Geliebten oder des Pokals zum Mund ist kein langer Weg; 2. Von der Lippe der Vernichtung zum Mund des Todes/der Vernichtung ist kein langer

Weg (Der Mensch ist am Rande des Todes bzw. der Tod steht vor der Tür). Bedeu-

tung: Weil also die Zeit so kurz ist. daher nutze die Gelegenheit, zu trinken und zu lieben. 581

ser als andere dichten Weise rühmen:

kann.

Der

Dichter

möchte

sich hier auf diese

Such appropriation of the work of others is regarded as entirely legitimate, and is not reckoned as plagiarism, when the object of the appropriating poet is to show that he can better the work of his predecessor or contemporary.! In Verbindung mit dergleichen Herausforderung spricht Hafis offen von Überlegenheit seiner Dichtung im Vergleich zu den anderen bekannten Dichtern seiner Zeit (Hägu, Salman, und Zahir):

Welcher Platz bleibt für die Äußerungen eines Xägu und die Dichtung eines Salmän,

wo (jede) Dichtung unseres Hafis doch besser ist als die gute des Zahir? ? Kamäl (ein anderer zeitgenössischer Dichter) wähnt sich indes auch über Hafis und anderen Dichtern stehend, und erhebt den Anspruch, besser als Hafis „in der Ghaselform“ zu sein.3

Auch Goethe war bewusst, dass Prahlen und Eigenlob ein Bestandteil von Hafis’ Dichtung, oder zumindest eine orientalische Manier, ist. In Zahme Xenien II lesen wir: Wo hast du das Prahlen so grausam gelernt, Im Orient lernt’ ich das Prahlen.? 2. Manche Dichter, aus deren Gedichten Hafis anscheinend etwas übernommen hat, sind seine Zeitgenossen. Wer aber tatsächlich wen nachgeahmt hat, ist nicht genau zu sagen. In manchen Fällen ist es erwiesen,

dass nicht Hafis andere, sondern diese ihn nachgeahmt haben, wie z. B.

Kamal, der - wie bereits oben gesehen - beansprucht, besser als Hafis zu dichten.° 1

Eduard G. Brown: A Literary History of Persia. Volume 11۲: The Tartar Dominion

2

Hafis-Wohlleben, 5. 338. Abgesehen von Zahir (gest. 1201) sind Hagu (gest. 1345)

3

4

(1265-1502). Cambridge 1969, S. 298f.

und Salman (1375) Hafis’ zeitgendssische Dichter. Vgl. Qäsem Gani: Bahs dar äsär wa afkar wa ahwal-e Hafez. [Kommentar zu Hafis’

Werke und seine Lage] Bd.1, Teheran 2007, S. 36. Goethe: Gedichte 1800-1832. Hrsg. von Karl Eibl. Frankfurt a.M. 1998, S. 630.

5 Siehe Gani, a,a,O., Bd. 2, S. 446f. 186

Es muss betont werden, dass Hafis diese aus literaturästhetischer und sprachlicher Hinsicht übernommenen Stellen auf ein höheres Niveau, höher als das seiner Vorgänger und der zeitgenössischen Dichter, hebt. Seine hoch lyrisierenden Wortformen und seine Wertschätzung für die Sprache und Lyrik weist darauf hin, dass er alles, m. E. sogar die Mystik, als Funktionsträger verwendet, um das Niveau seiner Poesie in den höchsten Rang emporzuheben. Deswegen nennt er sich selbst der „zaubernde Dichter“, der die „Wortmagie” besitzt.! Hafis ist der Sprache vollkommen mächtig und spielt mit ihr. Dadurch kommt er immer auf der anderen Seite zu stehen - denen gegenüber, die ihn auf einen Sinn festlegen wollen oder ihn sogar festnehmen, festsetzen möchten. Hafis war bedrängt von Orthodoxie, Sufis und weltlicher Herrschaft. Um seine Freiheit in seine ihm eigenen Sinnesart zu bewahren, muss Hafis der Heuchelei und dem Philistertum sein Schelmentum entgegensetzen. So unterlauft er mit seinen Mitteln - der poetischen Sprache - das Interpretationsmonopol der Orthodoxie. Er ist ein Meister des doppelbödigen, vieldeutigen Sprechens.

2.4 Warum eine imaginäre Reise in den Orient? Wiewohl Goethe sich seit seiner Jugendzeit mit dem Orient beschäftigte und ihn dieser stets faszinierte, ist doch vor seiner Begegnung mit dem Diwan von Hafis kein Werk daraus entstanden. Was war es, das Goethe in der Zeit seiner Begegnung mit Hafis Diwan veranlasste, einen „Di-

van zu dichten? Welche gesellschafts-psychologischen Beobachtungen haben ihn motiviert? Goethe hat seine imaginäre Reise nach dem Orient, und vor allem nach Persien, mit hegire im Divan begonnen. Das Wort hegire ist die französische

Schreibweise

Mohammeds

Flucht

higrat

des

arabischen

hiÿra

‎)‫(هجرة‬, im

‎)‫(هجرت‬, und bedeutet „Emigration, Auswanderung‘. oder, wie

Muslime

es ausdrücken,

die

persischen

Gemeint ist Emigration

(Hedschra) von Mekka nach Medina im Jahre 622, dem Beginn der islamischen Zeitrechnung.

1

Im Ghasel 319 / 4 (Buchstabe mim). Hafis-Wohlleben, S. 417. Mehr über Hafis’ son-

dersprachliche Wortbildungen s. M. Falaki: Solouk-e se’r (Poetics and Textual Criticism). Teheran 1999, 5. 59-72.

187

Goethe versuchte die Vorgänge zu verstehen und formulierte im Januar 1815: ,man flüchtete aus der Zeit in ferne Jahrhunderte und Gegenden, wo man sich etwa Paradiesähnliches erwartet."! In einem Brief an Knebel am 8.2.1815 schrieb er: Meine Schatzkammer fühlt sich täglich mehr mit Reichtümern aus Osten; wie ich sie ordnen und aufstützen kann, muß die Zeit lehren. Ich segne meinen Entschluß zu dieser Hegire, denn ich bin dadurch der Zeit und dem lieben Mittel-Europa entrückt, welches für eine große Gunst des Himmels anzusehen ist, die nicht einem jeden widerfährt.? Bei Hempel lesen wir dazu, dass „[...] hier die Ueberschrift [Hegire] in doppeltem Sinne: als Flucht des Dichters in den Orient und als Anfang einer neuen Zeitrechnung, einer glücklicheren Epoche“ zu verstehen 3 Aber warum wollte Goethe überhaupt aus seiner Heimat fliehen und ausgerechnet in den Orient und besonders nach Persien reisen? In den Jahren vor Goethes Bekanntschaft mit Hafis’ Diwan war Europa infolge der Napoleonischen Kriege erschöpft. Die französische Besatzung Deutschlands war auch Impulsgeber zur Modernisierung der Gesellschaft. Nach

der Niederlage

Preußens

in der Schlacht

bei Jena (14.10.

1806) befand sich Deutschland vollständig unter napoleonischer Herr-

schaft, Preußen wurde

durch den „Frieden von Tilsit“ (7.7.1807) in eine

europäische Mittelmachtposition zurückgestuft. Napoleon bildete, aus den ehemaligen preußischen Westgebieten sowie Kurhessen, Braunschweig und Hannover, das Königreich Westfalen und inthronisierte seinen Bruder Jeröme.? Die Konzeption Westfalens plante Napoleon zum Modell für den Rheinbund? zu machen. Durch die Einführung des französischen Rechts mit Aufhebung der (Adels-)Privilegien und der Herstellung staatsbürgerlicher Gleichheit, die Einführung eines einheitlichen 1

>

3 5

Goethe; Sämtliche Werke. Bd. 3/2. FA, S. 883f. Goethe: Briefe der Jahre 1814-1832. Hrsg. von Ernst Beutler. In: Goethe; Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Bd. 21, Zürich 1949, S. 52f. In: Goethe; Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 884. Ernst von Khuon (Hg): Chronik der Deutschen. Braunschweig 1983, S. 462. 16 deutsche Reichsstände schließen sich als Rheinbund unter dem Protektorat des französischen Kaisers Napoleon zusammen. Die Rheinbund-Akte wurde am 12.16.7. 1806 unterzeichnet. Ebd., S. 458.

188

Rechtssystems, die Umverteilung von Besitz durch Einziehung Geistlicher Güter wurde die Grundlage des bürgerlichen Aufstiegs geschaffen. Dies bedeutet das Ende für den preußischen „aufgeklärten Absolutismus“. Napoleon schrieb an seinen Bruder: „Welches Volk wird unter die preußische Willkürherrschaft zurückkehren, wenn es einmal die Wohltaten einer weisen und liberalen Verwaltung gekostet hat?“! In dieser politischen Lage und der folgenden Wirtschaftskrise war Friedrich Wilhelm III. gezwungen, endlich Reformideen, unter anderem des Freiherrn von Stein (1757-1831), umzusetzen und erließ das Edikt zur

Bauernbefreiung (1808). Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit der Bauern unter die adligen Grundherren wurden aufgehoben.* Während landbesitzende Bauern die Möglichkeit hatten, sich von der weiterhin bestehenden Verpflichtung, dem Gutsherrn Hand- und Spanndienste zu leisten, freizukaufen, mussten Kossäten und Häusler weiterhin Dienste und Abgaben leisten.’ Durch die neue Städteordnung wurde den Städten eine gewisse Autonomie gewährt. Bürger mit einem Jahreseinkommen von über 150 Talern waren zur Kommunalwahl berechtigt und konnten nun die Versammlung der Stadtverordneten, somit die städtische Verwaltung, in gleichen und geheimen Wahlen bestimmen.? Das Gesetz zur staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der in Preußen lebenden Juden wurde 1812 erlassen. Im Zuge der Reformen wurde auch das Bildungswesen umgestaltet.

Wilhelm von Humboldt (1767-1835) gründete 1809 in Berlin die Friedrich-Wilhelm-Universität (seit 1945 Humboldt-Universität) um ein uni-

verselles, humanistisches Bildungsideal zu verwirklichen. ° Infolge der französischen Besatzung erwachte auch das Nationalbewusstsein als Deutsche. So hielt der Philosoph Johann Gottlieb Fichte

(1762-1814) im französisch besetzten Berlin Vorlesungen unter dem Titel

„Reden an die deutsche Nation”, in denen er sich gegen die französische Fremdherrschaft wandte und einen selbstständigen deutschen National1

2 3

Ebd..S. 462.

4

Ebd., S. 463. Vgl. Heinrich A. Winkler: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik. Bonn 2000, S. 56. Vgl. Franz Mehring: Die preußischen Reformen und Befreiungskriege. In: Mehring;

5

Khuon, a.a.O., 5. 468.

Deutsche Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Berlin 1973, S. 144-151, hier S. 147.

189

staat forderte. Der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt (1769-1860) verband,

in der Schrift ,Geist der Zeit", die Forderung nach Befreiung des deut-

schen Volkes mit der Liebe zum Vaterland. Der ,Freiheitsdichter” Theodor Körner (1791-1813), dessen Ruhm sich auf patriotische Kriegslieder, wie z.B. „Der Tod fürs Vaterland” gründete, schloss sich freiwillig als

Adjutant dem Lützowschen Freikorps an und fiel mit 21 Jahren im Gefecht bei Gadebusch in Mecklenburg. !

Die napoleonische Ordnung in Europa war letzten Endes mit der Völkerschlacht bei Leipzig (16.-19.10.1813) zusammengebrochen. Nun wollten die europäischen Fürsten eine Neuorientierung schaffen und die frühere politische, territoriale und gesellschaftliche Ordnung wiederbeleben. Die Annahme der Restauration in der „Kongressakte” des Wiener Kongresses bereitete eine Rückkehr zur dynastischen absolutistischen Herrschaftsform und die Unterdrückung revolutionärer Ideen und Bewegungen vor.? Was Goethe am meisten bedrückte, war die Politisierung des allgemeinen Lebens seit den Befreiungskriegen, die durch die Rückkehr Napoleons von Elba weiter angefacht wurde. Die Dominanz des Politischen rief in Deutschland Patriotismus hervor und ließ einen Nationalismus aufkommen, den Goethe nicht wollte. Er zeigte seine weltbürgerliche Auffassung in einer Antwort an Eckermann, als dieser ihn viel später (am 14. März 1830) auf seine Haltung während der napoleonischen Herrschaft ansprach: Ihm [Theodor Körner] kleiden seine Kriegslieder auch ganz vollkommen. Bei mir aber, der ich keine kriegerische Natur bin und keinen kriegerischen Sinn habe, würden Kriegslieder eine Maske

gewesen seyn, die mir sehr schlecht zu Gesicht gestanden hätte. [...] Wie hätte ich nun Lieder des Hasses schreiben können, ohne Haß! - Und, unter uns, ich haßte die Franzosen nicht, wiewohl ich Gott dankte, als wir sie los waren. Wie hätte auch ich, dem nur Kultur und Barbarei Dinge von Bedeutung sind, eine Nation hassen können, die zu den cultiviertesten der Erde gehört und der ich

einen so großen Theil meiner eigenen Bildung verdanke! Überhaupt [...] ist es mit dem Nationalhaß ein eigenes Ding. - Auf den 1

2

Ebd, S. 479.

Ebd., 5. 281ff. Siehe auch Mehring, a.a.O., S. 144 -151.

190

untersten Stufen der Kultur werden Sie ihn [den Nationalhaß] immer am stärksten und heftigsten finden. Es giebt aber eine Stufe[, ] wo er ganz verschwindet und wo man gewissermaßen über den Nationen steht, und man ein Glück oder ein Wehe seines Nachbarvolkes empfindet[,] als wäre es dem eignen begegnet. Diese Kulturstufe war meiner Natur gemäß [...].! Der Zeitgeist hatte Goethe überholt sung, der er sich widersetzen wollte. hinausgehen und suchte eine Quelle men mit Europa verjüngen könnte. Er fand diese Quelle im „reinen welchen er in den ersten Versen des wird zunächst die Zersplitterung des Napoleonischen Kriege beschrieben.

und forderte von ihm eine AnpasEr wollte über die engen Grenzen in der Ferne, an der er sich zusamOsten“, einem paradiesischen Ort, Divan hyperbolisch darstellt. Hier zeitgenössischen Europa durch die Er will nun von Europa nach dem

Orient flüchten und dort in Frieden leben, wie Hafis die irdischen Freu-

den genießen und sich verjüngen. Die sinnenfrohe Lebensweise von Hafis ist für Goethe nicht einfach eine Lebensform, er will dadurch, wie auch Hafis, in dem er „ein lyrisches alter ego’ sieht,? einen Kreativitätsschub für seine dichterische Arbeit auslösen: Nord und West und Süd zersplittern, Throne bersten, Reiche zittern, Flüchte du, im reinen Osten Patriarchenluft zu kosten; Unter Lieben, Trinken, Singen

Soll dich Chisers? Quell verjüngen.?

1 Johann Peter Eckermann: Gespräch mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hrsg. von H. H. Houhen. Achte Originalaufl., Leipzig 1909, S. 583. 2 Vgl. Inge Wild: Wild, Inge: Goethes West-östlicher Divan als poetischer Ort, psychokultureller Grenzüberschreitungen. In: Westöstlicher und nordsüdlicher Divan; Hg. von Ortrud Gutjahr. Paderborn, München u.a. 2000, S. 73- 88, hier, S. 73. 3 Chiser (korrekter: Xezr) ist nach der orientalischen Mythologie der Hüter des Quells des Lebens, der im Land der Finsternis strömt. Grüne Fluren und fließendes Wasser, als Bilder der Jugend und des Lebens stehen unter Chisers Fürsorge. Nach islamischer Überlieferung ist er ein Prophet und Beschützer verirrter Gläubiger, der das Lebenselixier trank und dadurch ewiges Leben erlangte. 4 Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, 5. 9. 191

Goethe

stellte in seinen Zeilen den Orient einem „Paradies“ gleich dar.

Dass ,Patriarchenluft” ursprünglich „Paradieses Luft" bedeutete,! vermag dies noch weiter zu belegen. Goethe schrieb dieses Gedicht am 24. Dezember 1814 und romantisierte mit ihm den Osten in dem Gedanken an eine orientalisch-biblische Welt mit ursprünglichem und friedvollem Vater-Sohn- oder Alt-Jung-Verhältnis. Aber an der Wende zum 19. Jahrhundert wurde in der „Patriarchenluft“ des realen Persiens Blut vergos-

sen. Dort versucht der qäÿärische Reichsgründer ‎‫ همم‬Mohammad Han (gest. 1797) mit Kriegen und der Ermordung von Unruhestiftern die Ordnung im Iran wiederherzustellen. Seine 11-jährige Gewaltherrschaft versetzte das Land in Angst 0۳۴0 Goethe wusste von der Despotie der Patriarchen im Orient, so spricht er im Divan (in Noten) unter dem Titel „Despotie” u.a. über „die geistige und körperliche Unterwürfigkeit“, „umständliche Hofsitte”,? den Mangel an Widerrede in der unter Despotie leidenden Gesellschaft im Morgenland. In seinem Festspiel Des Epimenides Erwachen (1814) hat er den „Dämon der Unterdrückung“ im „Costum eines orientalischen Despoten“ auftreten lassen.4 Trotzdem entwirft er - von seinem romantischen Spiritualismus geleitet - das Bild eines idealen Orients. Goethe idealisierte Persien, um im Erschaffen einer eigenen inneren Welt seine Unzufriedenheit mit den politischen Zeitläuften zu stillen und einer unbehaglichen Gegenwart zu entfliehen. Goethes Flucht in den Orient resultierte nicht nur aus der politischen Lage Europas, er wollte auch vor dem Leben in Weimar entfliehen. Mit dem Tode Schillers geht für ihn eine Epoche zu Ende, die zwanzig Jahre von seiner Italien-Reise (1786) bis zu Schillers Tod (1805) - andauerte.

Goethe bezeichnete diese Zeit im Einleitungsgedichtzyklus Buch des Sängers, im Moto-Gedicht, wehmütig als „völlig schöne Zeit”: Zwanzig Jahre ließ ich gehen Und genoß was mir beschieden; 1 2

Siehe K. Mommsen: Goethe und Moallakat. S. 36. Siehe Brigitte Hoffmann: Persische Geschichte 1694- 1835, erlebt, erinnert und er-

3 4

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 172f. Siehe Goethe: Dramen 1791-1832. Band 1/6. hrsg. v. Dieter Borchmeyer u. Peter Huber. Des Epimendes Erwachen (zehnter Auftritt). FA, 1993, S. 747.

funden. Berlin 1986, S. 742-747

192

Eine Reihe völlig schön wie die Zeit der Barmekiden.! Nach dieser „schönen Zeit”, in der er als großer Dichter im Vordergrund

der deutschen Literatur und Kultur stand und gefeiert wurde, belastete ihn nicht nur die Entfremdung von der jüngeren Generation, sondern ihn traf der Tod weiterer ihm persönlich nahestehender Menschen tief, er fühlte sich verlassen, als er nach Schiller (1805) auch Herzogin Anna Amalia (1807), seine Mutter (1808) und Wieland (1813) verlor. Das Ge-

fühl, dass er nicht mehr verstanden werde und nicht mehr so wie früher eine Rolle in der Literaturbewegung seiner Zeit spielen würde und die immer heftiger werdende Polemik der Jungdeutschen gegen eine von ihm nicht beanspruchte Rolle als Nationaldichter brachten ihn in eine Lage, in der er sich in seinem eigenen Land fremd fühlte. Trunz schreibt in einem seiner Kommentare, dass Goethe damals unter einer ganzen Reihe von Schmähungen

litt, man

warf ihm „Arro-

ganten Stolz, hurerisches Privatleben, sittenlose Dichtung, Gotteslosigkeit, Fürstenknechtschaft, mangelnden Nationalstolz, naturwissenschaftlichen Unsinn, schlechte Hexameter” u.a. vor.? Solchen anmaßenden Urteilen ist Goethe im Übergang zum Alter zunehmend ausgesetzt, was bei ihm Zorn und Schmerz auslöste. Gelegentlich machte er dies in Gesprächen und auch in Versen deutlich, wenn er z.B. im Buch des Unmuts feindselige Jungdeutsche Kritik darstellt: Goethe beklagt sich über die

Jungen:

Das Gewesne wollte hassen

Solche rüstige neue Besen, 1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 9. „Die Barmakiden waren das Geschlecht, aus dem die ersten persischen Minister (796-803) unter den omajjadischen Kalifen hervorgegangen sind.” Goethe hat dies aus Oelsners Mohamed-Biographie übernommen, in der steht: „Die Araber sagen im Sprichworte: Schön wie das Zeitalter der Barmeciden.” Siehe Goethe: West-östlicher Divan. In: Goethe; Sämtliche Werke.

2

Vgl. Wolfgang Müller (Hg.): Johann Wolfgang von Goethe. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Dargestellt von Peter Boerner. Rowohlts Monographien. 28. Aufl. Frankfurt a. M., 1989, S. 110. Goethe: West-östlicher Divan. In: Goethes Werke. Bd. 2, Gedichte und Epen. Textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen versehen von Erich Trunz. Ham-

3

Bd. 3/2. FA, S. 881.

burg 1950, S. 558.

193

Diese dann nicht gelten lassen Was sonst Besen war gewesen.!

Ahnliche Verse, in Anlehnung an das deutsche Sprichwort ,neue Besen kehren gut, doch die alten halten die Ecken rein”, tauchen in den Zahmen Xenien III noch einmal als Protest gegen die ,unbescheiden” und stur alles Alte negierende und damit zerstörerische Jugend auf, die nicht an die Vergangenheit anknüpfen und nicht vom Alten lernen will: Was lassen sie denn übrig zuletzt Jene unbescheidenen Besen? Behauptet doch Heute steif und fest,

Gestern sei nicht ۴

Wobei die „unbescheidenen Besen“ auch Anspielung auf seine Ballade Der Zauberlehrling sind, in der der Lehrling die Abwesenheit des Meisters in jugendlicher Selbstüberschätzung und Unbescheidenheit nutzt, den Besen zu verhexen. Die Geister, die er rief, wird aber nicht mehr los, weil er den Zauber nicht lösen kann. Erst der heimkehrende Hexenmeister kann den Besen mit den richtigen Worten zum Stehen bringen. Er weist den Jungen zurecht, dass nur der alte Meister fähig ist mit Zauber-

worten Geister hervorzurufen und zu beherrschen.’

Es gibt außerdem andere Hinweise für Goethes Interesse an einer imaginären Reise nach dem Orient: Er war immer auf der Suche nach neuen dichterischen Möglichkeiten und wollte nicht in seinen literarischen Formen erstarren, weshalb er auch auf alle wichtigen deutschen Literaturbewegungen von der Empfindsamkeit über den Sturm und Drang bis zur Romantik direkt oder indirekt Einfluss zu nehmen versucht hat. Dieser Goethe ist jetzt mit seiner klassizistischen Zeit unzufrieden. Er war nach der wissenschaftlichen Außenseiterrolle, in die er sich mit seiner Farbenlehre hineingeschrieben hatte, nach dem mäßigen Erfolg mit den Wahlverwandtschaften und seiner Adaption griechischer Formen und Mythen, wie in Pandora und zuletzt im Epimenides Erwachen, davon bedroht, sein Publikum zu verlieren. 1 2 3

Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 47. Goethe: Gedichte 1800-1832. Hrsg. von Karl Eibl. Frankfurt/M 1998, S. 648. Siehe Ebd., S. 141-144.

194

Die klassizistische Geschlossenheit seiner literarischen Form ist nahezu erstarrt. Man bemerkt in ihm ,mehr gedankenschwere Weisheit als poetische Gestalt und Leidenschaft."! Man nannte sein Drama Die natürliche Tochter „marmorglatt und marmorkalt.** Vergleicht man seine früheren Dichtungen mit denen der klassizistischen Zeit, bemerkt man eine in sich ruhende Tektonik. Es wird ein zum Teil einförmig fließender Sprachrhythmus spürbar, welcher mit der vibrierenden Gespanntheit und dynamischen Bewegtheit der früheren Jahre kontrastiert. Schon in den Jahren vor seiner Bekanntschaft mit Hafis waren Goe-

the die griechisch-antike Welt, die apollinischen Prinzipien, die formale Regelmäßigkeit und die maßvolle Begrenzung zu eng geworden. Seine Sehnsucht nach Neuem, nach Wandlung und Verwandlung führte ihn hinter die Romantik in die Welt des Orients. So öffnete sich Goethe in dieser Zeit dem Orient. Er ließ die antiken griechischen Formen des Dichtens hinter sich und wandte sich enthusiastisch dem Morgenland zu, so dass er [,Dichter ] sich dabei verjüngt

„Wasser ballen” konnte.

wie ein Gott fühlt, der das

Mag der Grieche seinen Thon Zu Gestalten drücken,

An der eigenen Hände Sohn Steigern sein Entzücken; Aber uns ist wonnereich

In den Euphrat? greifen, Und im flüßgen Element

Hin und wieder schweifen.

Löscht Lied es Schöpft Wasser

1 2 3 4

ich so der Seele Brand, wird erschallen; des Dichters reine Hand, wird sich ballen.?

Konrad Burdach: Goethes West-östlicher Divan in biographischer und zeitgeschichtlicher Beleuchtung. In: Edgar Lohner (Hg): Studien zu West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt 1971, , S. 310-351, hier S. 314. Siehe Strich, a.a.O., S. 170. Der Euphrat vereinigt sich in Irak mit dem Tigris zum Arvand Rud /Schatt al-Arab, der in den Persischen Golf mündet. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 18. 195

Viele Gedichte des Divan sind als Gegenstücke zu Goethes klassizistischer Dichtung zu betrachten. Goethe hat die plastische Dichtungsweise der Griechen der orientalisch- romantischen Kunst gegenübergestellt. Goethes Wunsch nach Erneuerung und Verjüngung ist ein Anzeichen dafür, dass er immer noch nach der Quelle der Kunst sucht. Diese Rolle spielt nun der Orient bzw. die altpersische Welt. Die für Goethe charakteristischen Komposita auf Ur- wie „Urpflanze“, „Urtier“, „Urphänomen“ etc. weisen darauf hin, dass er auf der Suche nach den Urbildern ist. Sich darauf beziehend spricht Goethe im Gedicht Elemente von der Mischung der vier Elemente durch den Sänger Hafis. Dies zeigt an, dass Goethe auch hier den Ursprung, die Urstoffe zu finden, suchte. Er hat die vier Urstoffe bei Empedokles (Feuer, Luft, Wasser und Erde) zu Elementen der Dichtung (poetische Grundthemen) umgedeutet: Weiß der Sänger, dieser Viere, Urgewaltgen Stoff zu mischen, Hafis gleich wird er die Völker ewig freuen und erfrischen.! So sucht Goethe nach einer inneren und ursprünglichen Gemeinschaft aller Organe und nach deren Umbildung. Dieser Gedanke hat ihn dazu geführt, nach der Urpflanze? u.a. zu forschen. Aus den oben dargelegten Motiven mochte Goethe nun im Geiste in den Orient reisen. Auf seinem Weg dorthin wählte er vor allem Persien, besonders Schiras, die Hauptstadt der Provinz Fars und Hafis’ Geburtsstadt als Aufenthaltsort aus. Bleibt die nächste Frage: Warum aber hat Goethe Hafis gesucht? An der Antwort auf diese Frage arbeiten wir im nächsten Kapitel.

2

Ebd., S. 14. Goethes Idee über Typus als Urform/Urpflanze/Urtier ist eine platonische Idee, welche in präformistischem Sinne zu verstehen ist, nicht als „Stammform” im transformistischen Sinne Darwins und Haeckels. Vgl. Goethes Philosophie aus seinen Werken, a.a.O., S. 42.

196

2.5 Warum Goethe Hafis als poetischen Sanger zum Begleiter auserwahlt

Goethe kannte eine Reihe anderer orientalischer, auch persischer Dichter und Denker wie Rumi, Gami, Nizami, Attar und besonders Sa‘di, dessen Werk (Golestän, Rosengarten) viel früher als die Werke anderer persi-

scher Dichter durch die Ubersetzung von Adam Olearius schon im 17. Jahrhundert bekannt war und sogar in der deutschen Barockliteratur rezipiert ۱ Aber was an Hafis hat nun Goethe so ergriffen, dass er Hafis ,Meis-

ter“? nannte und ihn und sich ,Zwillinge23 Hat Goethe Hafis so gut verstanden, dass mit Schaeder behauptet werden kann, dass ,,wer Hafis verstehen will”, auf Goethes Urteil zurückgehen miisse? 4 Wie bereits gezeigt, spielte Goethe nach Verôffentlichung seiner ,Farbenlehre“ auch in der Literatur nicht mehr wie früher eine führende Rol-

le. Es bereitete sich die Jungdeutsche Kritik eines Menzel und Borne vor,’

die einen modernen Literaturbegriff forderten und nach deren Dafiirhalten Goethe sich überlebt hatte. Goethe ging nicht mehr wie mit dem Werther oder spater den Lehrjahren seiner Zeit voran, auch nicht, wenn

er mit den Wahlverwandtschaften (1809) einen der frühesten Ehebruchromane geschrieben hat. Hinzu kam die Auseinandersetzung mit der Romantik, die sich dem deutschen Mittelalter zuwendet und wieder an Legenden und Wunder glauben machen wollte. Goethe

hatte in den Jahren vor seiner Bekanntschaft

mit Hafis im

‫كن‬

À

NN‫‏‬

‫مم‬

Mai 1814 keine größere Dichtung verfasst. Bis 1810 und danach arbeitete er an der Farbenlehre, seiner umfangreichsten Veröffentlichung überhaupt,° die aber erfolglos bleibt. Die Arbeit an den Wanderjahren war seit

6

Siehe H. Tafazoli, a.a.O., S. 286ff. Im Gedicht An Hafis, in: Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 27. Im Gedicht Unbegrenzt, in ebd., S. 25.

H. H. Schaeder: Goethes Erlebnis des Ostens. Leipzig 1938, S. 109. Ludwig Borne kritisiert auch Goethes Divan und findet in ihm ,alles Wahrheit und nirgends Dichtung.” Siehe Borne: Goethes Divan. In: Nachgelassene Schriften. Bd.4, Mannheim 1874, S. 324.

Goethe schätzte bekanntlich die Farbenlehre höher als all seine Dichtungen, weil

darin sein ganzheitliches Naturverstandnis enthalten war. Siehe Eckermann: Gespräch mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens (19. Feb. 1829). Hrsg. v. H. H. Houhen. Achte Originalaufl.. Leipzig 1909, S. 261. 791

Herbst 1812 unterbrochen. Die ersten drei Bände von Dichtung und Wahrheit waren zwar erschienen (1811-1813), aber nicht so populär geworden wie er hoffte. 1814 schrieb er als Auftragsarbeit Des Epimenides Erwachen, ein Festspiel aus Anlass der siegreichen Rückkehr des Königs

von Preußen,

Friedrich Wilhelm

III, nach Berlin. Dieses klassizistisch-

mythologische Drama blieb umstritten.

Goethes Enttäuschung war groß, als er erfahren musste, die Berliner

,siegesfeier habe nicht mit seinem Drama, sondern mit einem Festspiel - Asträas Heimkehr - aus der Feder des völlig unbedeutenden Karl Alex-

ander Herklot stattgefunden. Nachdem

etwa ein Jahr später (1815) sein

Drama endlich in Berlin und dann in Weimar - allerdings erfolglos - inszeniert worden war und er neuerlich enttäuscht zurückblieb, sah er „die

Kluft zum Publikum und die eigene Isolation als Künstler“ immer deutlicher.! Emil Staiger charakterisierte Goethes Scheitern in dieser Phase zutreffend: ,Nie schlof der Gürtel der Einsamkeit sich enger um Goethes

Leben und Schaffen als eben in dieser Stunde,“ in der er der Nation seine

Stimme leihen sollte.

Die Anlehnung an das klassische Griechenland war offenbar ins Leere gelaufen. Etwas Neues musste her. Der Zeitgeist hatte ihn überholt und forderte von ihm eine Anpassung, der er sich widersetzen wollte. Goethe wollte nun gegen diese Situation etwas tun, um wie Hafis reine größere Dichtung zu schaffen. Unter den Bedingungen der Despotie und auf die Gefahr hin, die orthodoxe Mehrheit gegen sich aufzubringen, misst Hafis den Freiheitsspielraum aus, den er zu seiner Selbstbehauptung braucht. Die Mannigfaltigkeit seiner Dichtung schafft ein eigenartiges Feld, in dem jeder die Dichtung aus seiner eigenen Sicht interpretieren und wie eine Art Orakel befragen kann. So konnte und kann Hafis immer lebendig bleiben - im Persien der Vergangenheit und dem Persien von heute. Diesen Wunsch, dass er im Leser „Gleichgewicht” bewirken und ihm mithilfe seiner Worte (als Talismane) Freude bereiten könne, äußerte

Goethe im Buch der Sprüche:

Talismane werd’ ich in dem Buch zerstreuen,

Das bewirkt ein Gleichgewicht.

1

Goethe-Handbuch. Bd. 2 (Dramen). S. 343ff.

2 Ebd, S. 347. 198

Wer mit gläubiger Nadel sticht

Überall soll gutes Wort ihn freuen.!

Hafis hat ,Züge von Reinecke Fuchs: gleich diesem zieht er immer wieder den Kopf aus der Schlinge. Dies jedoch nicht mithilfe profaner Schlauheit wie Reinecke Fuchs, sondern mit seinem Wortwitz und seinen

Wortverdrehungen. Hafis ist der Sprache vollkommen mächtig und spielt mit ihr. Dadurch kommt er immer auf der anderen Seite zu stehen - denen gegenüber, die ihn auf einen Sinn festlegen und ihn festnehmen, festsetzen wollen. Im Spiegel der Mystik darf er von Wein, Weib und Ge-

sang fabulieren, ohne sich damit in einen Gegensatz zum Islam zu brin-

gen.

Goethe beneidet Hafis dafür, dass er über eine Sprache verfügt, die ihn unangreifbar gemacht hat. Für Goethe wurde Hafis zu einer Ermutigung, auch gegen den übermächtigen Zeitgeist seine Stimme uneingeschränkt hören zu lassen. 2.5.1 Das durch Hammers Übersetzung gezeichnete Hafis-Bild Die Übersetzung von Hafis ins Deutsche beginnt im Jahre 1791 mit der Übertragung einiger Gedichte im Magazin für alte, besonders morgenländische und biblische Literatur (3, S. 98-131) von Sam. Fr. G. Wahl

unter

dem Titel „Oden mit vorhergehender Beschreibung des Berliner Kodex von dem ganzen Diwan“. ? Die erste deutsche Übersetzung des gesamten Diwan von Hafis stammt von Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (1774-1856), einem österreichischen Diplomaten und Orientalisten, und erschien 1812-1813 in 2 Bänden. Vor dieser Übersetzung waren It. Hammer nur „hundert“ Hafis’ Gedichte von Revizkey, Jones, Wahl, Hindley, Nolt, Gladwin und Ouseley ins Lateinische, Englische und Deutsche

übersetzt erschienen.’ Als Goethe im Mai 1814 von seinem Verleger Johann Friedrich Cotta die erste deutsche Gesamtübersetzung

1 2 3

des Diwan von Hafis erhielt, in-

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 55. Siehe Susanne Kurz: Die Hafezliteratur in deutscher Sprache 1791 bis 1998 - ein bibliographischer Überblick. In: Festschrift Iradj Khalifeh-Soltani zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Susanne Kurz. Aachen 2002, S. 113-136, hier S. 116 u. 125. Vgl. Hammers Hafis-Übersetzung. S. 10. 199

spirierte ihn diese zur kreativen Auseinandersetzung mit Hafis und der persischen Kultur und Dichtung allgemein.! Sein Bild von Hafis hat sich Goethe nach Hammers Charakteristik gemacht. In dessen Ubersetzung und Vorrede wird Hafis als Sanger des irdischen Weins und der Liebe dargestellt: Auch schen gend steht Hammer

uns scheinen und erotischen und der Rosen, zu genießen und

Hafisens Gedichte grôstentheils bacchantiInhalts [...] Nützet die fliehende Zeit der Juniitzet sie mit Wein und Liebe. Keiner verzu lieben wie Hafis.?

bezeichnete in seiner Beschreibung vom

„Siebengestirn” der

persischen Poesie Hafis als einen „erotischen Dichter’.* Es ist demnach

kein Zufall, wenn Goethe den Wert und die Wirkung der Liebesgedichte des „heiligen“ Hafis im ersten Gedicht des Divans (Hegire) als so erotisch beschreibt, dass selbst die Huris? liebestoll werden: Will in Bädern und in Schenken,

Heilger Hafis, dein gedenken;

Wenn den Schleier Liebchen lüftet, Schüttelnd Ambralocken düftet. Ja des Dichters Liebeflüstern Mache selbst die Huris lüstern.°

Vergleichen wir Goethes Verse mit folgender Äußerung Hammers über Hafis:

[Hafis] preiset die Schenken und Hauser wiister Lust, sieht in den Sagen von Eden und dem ewigen Leben nichts als Bilder der

Schönheit des Liebchens und der Freuden des Lebens, ruft Schen-

ken und Sanger auf, und legt in den Mund der Rosen und Nachtigallen die Lehre: Weisheit sey Thorheit und Thorheit Weisheit,

1

2

Siehe auch Anke Bosse: „Reisender“ und „Handelsmann“ in Sachen Orientalischer Poesie- zu einer Handschrift aus Goethes Nachlass zum West-östlichen Divan. In: Jochen Golz (Hg.); Goethes Morgenlandfahrten. Frankfurt/M u. Leipzig 1999, S. 112128, hier S. 112. Ebd.,S. 32 u. 36.

3 Joseph Hammer-Purgstall: Geschichte der schönen Redekünste Persiens, mit einer Blüthenlese aus zweyhundert persischen Dichtern. Wien 1818, S. 11. 4 Huri: Paradiesjungfrau des Islam mit dem ewigen Hymen. 5 Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 10. 200

Liebe und Wein, Mädchen und Knaben hienieden seyen mehr werth als alle Huris und Quellen des Paradieses dort oben."! In der dritten Strophe des Gedichts Unbegrenzt aus dem „Buch Hafis”, in dem Goethe Hafis und sich als ,Zwillinge bezeichnet, wird Goethes „selige Sehnsucht” nach Hafis in den Worten „Lust“, „Liebe“ und „Trunk“

deutlich. Und versänke auch die „ganze Welt“, so will er - Goethe - Hafis für sich allein haben, will sich mit ihm messen, will wie er sein:

Und mag die ganze Welt versinken, Hafis, mit dir, mit dir allein Will ich wetteifern! Lust und Pein

Sei uns, den Zwillingen, gemein!

Wie du zu lieben und zu trinken Das soll mein Stolz, mein Leben sein.?

Hammer hat nicht nur mit seiner Vorrede über Hafis, sondern auch mit seiner Übersetzung ein Bild von Hafis gezeichnet, das Goethes eigenem Denken entgegenkommt. Die tiefere mystische Bedeutung aber hat Hammer in vielerlei Hinsicht entweder völlig außer Acht gelassen oder in einer Weise übersetzt, dass aus einem mystischen Gedicht ein irdisches wurde. Es steht zu vermuten, dass er viele mystische Begriffe schlichtweg nicht verstanden hat. Dies soll durch einige Beispiele belegt werden: Das Wort Rend,? ein wichtiger, grundlegender Terminus in Hafis’ Dichtung, hat Hammer z.B. entweder als „Trunkener“ oder „Trinker“ übersetzt? oder weggelassen.” Wenn Hafis von sich als Rend schreibt, übersetzt er: „Immer sey Hafis betrunken."f Damit präsentiert er ihn als einen ständig Betrunkenen und schlechthin als Trinker. Desweiteren hat Hammer den höchst relevanten mystischen Begriff

pir-e mogän (der Alte Magier) mit „altem Wirt“ übersetzt,” und damit die Bedeutung des Alten Magiers als Führer auf dem mystischen Pfad verlo1

Hammers Hafis-Ubersetzung; S. 36.

3 4

Mehr über Rend s. Kap. 1.8. Siehe Hammers Hafis-Ubersetzung; S. 117, 129, 310, 436, 642 u.a.

5

Ebd., S. 678.

2

6

7

Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz. S. 25.

Ebd.,S. 117.

Ebd., S. 605.

201

ren gegeben und lediglich einen einfachen Weinhauswirt aus ihm gemacht. Ein weiteres, bereits im Kapitel Hafis’ Weltsicht erläutertes Beispiel ist das die Bedeutung des Gedichts gänzlich verändernde Weglassen eines Attributes im folgenden Verspaar: Im Pokal sah ich den Widerschein der Wange des Freundes [Gottes], O du Ahnungsloser der Wonne meiner immerwährenden Trunkenheit! Hammer-Purgstall hat diese Verse folgendermaßen übersetzt: Ich erblick im Pokal der Wangen Abglanz.

Wiß es, der du nichts weißt vom Glück

Er hat statt ,Wonne

Sorb-e modäm-e ma ‎‫ما‬

Hammer

meiner

‫مدام‬

des Trinkens.!

immerwährenden

Trunkenheit”

(lezat-e

‫„ (لذت شرب‬Glück des Trinkens” übersetzt.?

hat mithin nicht nur etliche mystische Termini wie „Freund

(Gott) und „Ahnung“? nicht richtig übertragen, er ist auch durch das

Auslassen des entscheidenden Attributes „immerwährend”

(modam

‎‫(مدام‬

der Bedeutung des Gedichtes nicht gerecht geworden. Hafis legt den Ton auf ,immerwährend”, um die ewige mystische „Trunkenheit“ in Verbindung mit der Liebe zu Gott zum Ausdruck zu bringen. Der Dichter hat auf diese Weise die Bedeutung des Ghasels ins Mystische festgelegt. In Hammers Übersetzung werden die inneren Verbindungen zwischen Elementen und Begriffen des Textes weder verstanden noch adäquat wiedergegeben und die Verse verlieren ihren mystischen Gehalt. Was bleibt ist ein bloßes Loblied auf Liebe und Wein. Die folgenden Verse eines Ghasels mögen zeigen, wie der Gehalt eines Gedichtes in der Übersetzung entstellt werden kann. O Jammer, dass ich mich bei der Suche nach der ersehnten Schatz-Skizze aufrieb vor aller Welt im vollkommenen Kummer, und nichts wurde daraus. Bedauern und Schmerz, wie ich auf der verzweifelten Suche nach dem Schatz der Herzensruhe

1 2 3

Ebd. S. 45. Hervorhebung von mir. Ebd. Über den mystischen Terminus „Ahnung“ siehe Kap. 1.6.

202

so oft als Bettler zu den Großmütigen nichts daraus.!

zog, und es wurde doch

Als Mystiker danach strebend, die Liebe zu Gott zu erreichen, sich mit ihm zu vereinigen, spricht Hafis verzweifelt über dieses Streben. Zwei wichtige mystische Begriffe für „göttlichen Ursprung‘, der der „ersehnten Schatz-Skizze" (ganÿnäme-ye maqsud ‎‫ ( گنجنامه‌ی مقصود‬und der des „Schatzes der Herzensruhe” (ganÿ-e hozur ‎‫ حضور‬Æ$), sind hier gefallen. Dieses Ghasel ist, meines Erachtens, ein ausschlaggebendes, unverzichtbares Gedicht und spielt in Hafis’ Entwicklungsprozess eine bedeutsame Rolle, denn hierin zeigt er seine Zweifel an der mystischen Lehre. In der

Übersetzung von Hammer wird jedoch ein tiefgehendes Gedicht zu einer profanen Beschwerde über den Geliebten. Hammer-Purgstall hat das erste Verspaar unerklärlicherweise weggelassen, diese wichtige Quelle über Hafis’ Zweifel an seinem mystischen Glauben ist so verloren gegangen. Hammer stützte sich in seiner Übersetzung auf Sudis Version und dessen Interpretation von Hafis’ Diwan, und es läge die Vermutung

nahe, dass auch er die Verse in seiner

Fassung weggelassen haben könnte. Sudi indes hat das Verspaar übertragen.‘ In der Übersetzung Hammers findet sich das oben genannte zweite Verspaar wie folgt übersetzt: Um’s baare Geld die Gegenwart zu suchen, O wehe! mir o wehe! Gieng ich als Bettler zu dem Hochgeehrten, Es ist mir nichts geworden.?

۸

W

NN

‎‫مو‬

Statt von Schatz der Herzensruhe (ganÿ-e hozur) spricht er von Baaren Geld. Er hat hier wahrscheinlich Sudis Version vor Augen gehabt, weil in Sudis Fassung statt gang (Schatz) nagd auftaucht, was ebenso „Bargeld“ bedeutet. Sudi erklärte aber, dass in einzelnen Versionen auch ganÿ-e hozur (Schatz der Herzensruhe) zu lesen sei.? Selbst wenn wir Sudis Hauptversion heranziehen, hat Hammer trotzdem nicht korrekt gearbeitet. Die mystische Bedeutung dieser Wortverbindung hat er offenHafis-Wohlleben, S. 243. Hervorhebung von mir.

Siehe Sudi, a.a.O., Bd. 2, S. 1002.

Hammers Hafis-Übersetzung; S. 310.

Ebd., S. 1003.

302

sichtlich nicht ermessen können. Das Wort

naqd (sx), das Hammer

aus-

schließlich mit ,Bargeld” gleichsetzt, bedeutet in unserem Zusammen-

hang

zuallererst „Vorhandensein,

auf der Stelle“. Das Wort

hozur, das

Hammer mit „die Gegenwart“ übersetzt hat, ist als ein relevanter Terminus in Verbindung mit ‘elm-e hozur (die schauende Erkenntnis der Seele) zu verstehen. ! Wie indes aus dem Ghasel hervorgeht, suchte der Dichter vergeblich nach Vereinigung mit dem göttlichen Ursprung. Hier ist gemeint: Auf der Suche nach dem Schatz der Herzensruhe, nach Einswerdung mit Gott, wandte er sich an alle Großmütigen, an die geistlichen Führer, aber sie konnten ihm auch nicht helfen.

Goethe hat sich nach Hammers Charakteristik ein Bild von Hafis gemacht, einem Hafis, dessen Dichtung „wenig mystisch”? ist. Dies deutet Goethe mit der oxymorontischen Wendung im Gedicht Offenbar Geheimnis an.? In diesem Gedicht lehnt Goethe die allegorische Deutung des irdischen Genusses in Hafis’ Dichtung ab. Er charakterisiert hier einen Hafis, der ihm - Goethe - ähnelt, einen Hafis, dessen Dichtung, wie auch Hammer meint, Parallelen zur griechischen und lateinischen Dichtkunst besitzt. In den Noten erweist Goethe sich als jemand, der mit orientalischer Mystik, besonders mit deren „geheimnisvoller Lehre” und den Emanationenstufen, wie auch mit Rumi,’wenig anfangen kann: Die Mystik konnte ihn [Dschami, persischer Dichter, gest. 1492]

an» W ‎‫تيح‬

‫نم‬

nicht anmuten; weil er aber ohne dieselbe den Kreis des Nationalinteresses nicht ausgefüllt hätte, so gibt er historisch Rechenschaft von allen den Torheiten, durch welche stufenweise der in seinem irdischen Wesen befangene Mensch sich der Gottheit unmittelbar anzunähern und sich zuletzt mit ihr zu vereinigen gedenkt; da denn doch zuletzt nur widernatürliche und widergeistige, grasse Gestalten zum Vorscheine kommen. Denn was tut der Mystiker anders, als dass er sich an Problemen vorbei schleicht oder sie weiter schiebt, wenn es sich tun läßt? Mehr über den Begriff hozur siehe Kap. 1.3 und 1.6. Siehe Hammers Hafis-Übersetzung, S. 11. Siehe Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 26.

Die Interpretation über dieses Gedichtes s. vorliegende Arbeit, Kap. 3.1.3. Siehe Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 158f.

Ebd., S. 162.

402

Goethe ging alles andere als konform mit Schlegels Werk Über die Sprache und Weisheit der Indier (1808). Dort trat dieser dem heidnischen Grie-

chentum, in dem die Gôtter als Vergottungen der schônen Menschengestalt verehrt wurden, entgegen, und erhoffte von der indischen Weisheit, die die Natur nicht pantheistisch vergôttlichte und stattdessen die Gôtter

als „Sinnbilder tiefster, mystischer Geheimnisse” verehrte, eine religiöse

Erneuerung Europas.!

In den Augen Goethes waren die indischen Götter, die er als wider-

natürliche Ungeheuer erachtete, grotesk. Er nannte die indische Religion „jene verrückt monströse Religion.” Auch mit dem Buddhismus wusste Goethe nichts anzufangen, denn der Weg der Erlösung ist für diese Lehre „die Askese, die Tötung des Willens zum Leben, die Auslöschung des Ichbewusstseins. 3 Wie Strich in diesem Fall richtig erkennt, konnte „Goethe [...] seine Gottheit nur in schönster, menschlichster Gestalt oder gar nicht gestaltet, völlig bildlos denken. Er blieb der Erde und dem Leben treu.” ? Goethe beschreibt sich als jemand, der „ein sehr irdischer Mensch’ sei.> Ebenso wie er in seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten die Welt zu erkennen versuchte,® und auf der Suche nach etwas Neuem war, um sich zu verjüngen (was er „wiederholte Pubertät“ nannte), so versuchte er neue Menschen mit neuen Ideen, die den seinen ähnelten, zu finden.

ana Wh

‎‫مم‬

Und wie er in seiner Jugendzeit auf der Suche nach einem mitreißenden Visionär in Mohammed einen großen Propheten und einen praktischen Menschen fand, dem er geistig in den Osten folgte, so sieht er jetzt in Hafis einen Sänger des Weins und der Liebe, dem, nach Hammer'scher Exegese, „Liebe und Wein, Mädchen und Knaben hienieden seyen mehr Werth als alle Huris und Quellen des Paradieses dort ۴

7

Vgl. Fritz Strich: Goethe und die Weltliteratur. Bern 1957, S. 170. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 144.

Siehe Strich, a.a.O., S. 171. Ebd. Siehe Goethes Philosophie aus seinen Werken, a.a.O., S. 23. In Betracht kommen Werke und Untersuchungen von Goethe wie z. 8. die „Farbenlehre”, „Metamorphose der Pflanzen”. Aufsätze wie: „Die Natur“, „Naturphilosophie” und zur Metamorphose des Tierreichs usw. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 36. 502

2.5.2 Hafis’ Dichtung als Bezugstext zwischen Goethe und Marianne von Willemer

Als der 65jährige Goethe im Jahre 1814 begann, sich mithilfe von Hammers Übersetzung in Hafis’ Welt zu versenken, ging er auf die Reise an den Rhein, Main und Neckar und lernte die 30jährige Marianne von Wil-

lemer (1784-1860) bei Oberrad an Frankfurts südlichem Mainufer kennen. Marianne war die Gattin des Bankiers Johann Jakob Willemer. Aus

anfänglicher Zuneigung wurde bei einem verabredeten Wiedersehen in der zweiten Hälfte des Jahres 1815 Liebe. Sie verlebten mehrere Wochen

auf dem Landsitz des Ehepaars Willemer in der Gerbermühle vor der Stadt Frankfurt und drei Tage in Heidelberg. Das war die Geburtsstunde des Buches Suleika und die nachfolgende Zeit die Entstehungsphase des Divan, in der lyrisches Schaffen und persônliches Erleben so eng wie kaum je wieder miteinander verknüpft waren.! Goethes rein literarische Eingangs-Liebe zur persischen Dichtung, besonders zu Hafis, wurde durch die Liebe zu Marianne ergänzt und bewirkte die poetische Befruchtung zu neuem Schôpfertum. Die lyrische Kraft, die Hafis in Goethe weckte, wurde durch die Liebe zu Marianne

verdoppelt. Es waren nicht nur die „feurigen Jugendblicke” Mariannes, welche Goethes Herz gewannen; sie brachte etwas mit, das keine der früheren Geliebten in dem Mafe einzusetzen vermocht hatte: ,musischen Sinn, dichterische Kongenialität."? Aber daß du, die so lange mir erharrt war, Feurige Jugendblicke mir schickst, Jetzt mich liebst, mich später beglückst, Das sollen meine Lieder preisen, Sollst mir ewig Suleika heißen.’ Die künstlerisch begabte Marianne war als Theater-Aktrice unter dem Namen Demoiselle Jung in Frankfurt tätig gewesen. Sie musste nach der 1 2

Anke Bosse: Meine Schatzkammer füllt sich täglich... Die Nachlassstücke zu Goethes West-ôstlichem Divan Dokumentation - Kommentar. Bd. 2, Göttingen 1999, 5. 589, auch in Bd. 1, 163f, 180f. H. A. Korff: Die Liebesgedichte des West-östlichen Divans. 2. Aufl., Stuttgart 1949, S.

3

84. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 65.

4

Vgl. Dagmar von Gersdorff: Marianne von Willemer und Goethe, Geschichte einer Liebe. Franfurt/M 2003, S. 35f.

206

Eheschließung mit Johann Jakob Willemer und dem Abbruch nenlaufbahn ,ihren geistigen und seelischen Reichtum in der unfruchtbaren Rentnerdaseins begraben. ١ Als der Weggang ter „ihrem eigentlichen Wesen die Spitze abgebrochen” hatte mann

Grimm,

ihrer BühEnge eines vom Thea(vgl. Her-

den Vertrauten ihrer letzten Jahre), musste ihr, „was sie

von nun an erlebte, doch immer nur für ihr geheimstes Gefühl ein Surrogat für Verlorenes, nie Genossenes sein.? Goethe war für Marianne

nicht bloß irgendein Dichter, er lebte in

ihrem Innern von Kindheit an, in der sie ihm „ihre schönste Kinderfreude“ verdankte, als sie ihr erstes illustriertes Buch, Goethes Römischer Carneval, gelesen hatte, welches, wie sie später sagte, „ein prophetisches Vorspiel“ zu ihrem „Leben“ war.? Er öffnete ihr einen neuen Horizont, eine Erleuchtung, wie sie am 12. Mai 1852 an Hermann Grimm schrieb: „Wenn sich die Strahlen seines Geistes in seinem Herzen conzentrierten,

das war eine Beleuchtung, die einen eigenen Blick verlangte.“ ? Es wird Goethe „geschmeichelt haben, dass sie [Marianne] fast alles, was von ihm erschienen war, gelesen hatte, seine Verse liebte und vieles auswendig kannte."> Für Goethe war diese Liebe eine letzte, bisher noch

fehlende „Erfüllung seines erotischen Erlebens [...], die schöne Verbin-

dung von Geist und Liebe”, wie Goethe dies Suleika in den Mund legt: Denn das Leben ist die Liebe, Und des Lebens Leben Geist.’

Diese Liebe war keine jünglingshafte Leidenschaft, sondern die geistige

Leidenschaft des Alters, sicher auch zu dem Zweck, die Einsamkeit der

späten Jahre zu überwinden? Die neue Liebe und seine erhöhte Stimmung fanden in seinem Bild von Hafis einen Spiegel. Im Seelenzustand des Verliebtseins fühlte sich Goethe mit Hafis einig, Hafis und er waren „Zwillinge“; und er glaubte 1

coon OO ON a

‎‫دن‬

2

Hans Pyritz: Goethe und Marianne von Willemer. Eine biographische Studie. Stutt-

gart 1941. 3. Aufl. 1948, S. 21.

Preußische Jahrbücher 24, 21; Aufsätze zur Literatur, Gütersloh1915, S. 159f. Vgl.

auch Pyritz, a.a.O., S. 35.

Briefe an Goethe vom Januar 1830. In: ebd., S. 22f. In: Dagmar von Gersdorff, a.a.O., 46f. H. A. Korff, a.a.O., S. 72. Ebd., S. 84. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 78. Vgl. Hans Pyritz, a.a.O., S. 35. 702

zu verstehen, dass auch Hafis in seinem höheren Alter immer noch für Madchen schwärmte und das Leben genoss. Nach seiner „Begegnung“ mit Hafis „fühlte“ er „höchst nötig“, sich „aus der wirklichen Welt, die

sich selbst offenbar und im stillen bedrohte, in eine ideelle [Welt] zu flüchten, an welcher vergnüglichen teilzunehmen, meiner Lust, Fähigkeit und Willen überlassen ۱

Aber außer Lust und Vergnügung u.a. in Verbindung mit Hafis’ Dichtung gibt es auch ein wichtiges Motiv, weshalb Goethe mehr in Hafis’ Welt versinken möchte: Marianne (Suleika im Divan) ist eine gleichwertige Dichterin. Es ist uns seit 1869 durch Hermann Grimm überliefert worden, dass einige Gedichte im Divan aus Mariannes Feder stammen.? Goethe selbst hat betont, dass die Geliebte in dem Duodrama im Buch Suleika „als Dichterin auftritt und in froher Jugend mit dem Dichter, der sein Alter nicht verleugnet, an glühender Leidenschaft zu wetteifern scheint.“ ? Wie bereits gezeigt, war Goethe immer auf der Suche nach dichterischer Motivation. Er fand diese in Hafis’ Dichtung, was durch der Liebe zu einer Dichterin, in der die „ursprüngliche Weibheit und künstlerische Befähigung sich bezaubernd vereinten‘,? ergänzt wurde. Es ist kein Zufall, wenn

Goethe

den Raum

seines Duodramas,

Buch

Suleika,

neue

lyrische

Persien nennt: „Die Gegend, worin dieses Duodrama spielt, ist ganz per-

sisch.”>

Das

Zusammensein

mit Marianne

weckt

in Goethe

Kraft. Mithilfe Hafis’ Dichtung können sie ihre Liebe wie auch ihre Poesie auf eine höhere Ebene heben. Ihre auf Hafis Bezug nehmende poetische Korrespondenz inspiriert das Duodrama im Divan. Wie Goethe in den Noten, unter dem Titel Chiffer,é Hafis’ Dichtung als geheimen Code 1 2

Goethe: Tag- und Jahreshefte (1815). Hrsg. v. Irmtraut Schmid. In Goethe; Sämtliche Werke. Bd. 1/17, FA, 1994, S. 260. Bereits im Jahr 1849 hatte der junge Germanist Hermann Grimm bei einem Besuch von Marianne erfahren, dass einige Gedichte im Buch Suleika von ihr stammten. Sie bat ihn jedoch, dieses Geheimnis nicht zu verraten. Erst nach Mariannes

3 4 5 6

Tod veröffentlichte Grimm diese Geschichte. Goethe: West-östlicher Divan. Sämtliche Werke. Bd. I, 3/1, FA, S. 550. Konrad Burdach: Goethes West-östlicher Divan in Biographischer und zeitgeschichtlicher Beleuchtung. In: Edgar Lohner (Hg): Studien zu West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt 1971, S. 310-351, hier S. 332. Goethe: West-östlicher Divan. Sämtliche Werke. Bd. I, 3/1, FA, S. 551. Chiffer ist aus dem Arabischem entlehnt: sefr ‎‫ = صفر‬Null, Leere.

208

für Liebende erklärt, hat er selbst in seiner Beziehung zu Marianne verschlüsselte Botschaften gesandt und erhalten: Um aber zu unserem eigentlichen Zweck zu gelangen, erinnern wir an eine, wohlbekannte, aber doch immer geheimnisvolle Weise, sich in Chiffern mitzuteilen: Wenn nämlich zwei Personen, die

ein Buch verabreden und, indem sie Seiten- und Zeilenzahl zu einem Briefe verbinden, gewiss sind, dass der Empfänger mit geringem Bemühen den Sinn zusammenfinden werde. Das Lied, welches mir mit der Rubik Chiffer bezeichnet, will auf eine solche Verabredung hindeuten. Liebende werden einig, Hafisens Gedichte zum Werkzeug ihres Gefühlwechsels zu legen; sie bezeichnen Seite und Zeile, die ihren gegenwärtigen Zustand ausdrückt, und so entstehen zusammengeschriebene Lieder vom schönsten Ausdruck; herrliche zerstreute Stellen des unschätzbaren Dichters werden

durch Leidenschaft und Gefühl verbunden,

Neigung und Wahl verleihen dem Ganzen ein inneres Leben, und die Entfernten finden ein tröstliches Ergeben, indem sie ihre Trauer mit Perlen seiner Worte schmücken. ! Goethe und Marianne machten so Hafis’ Diwan zum Instrument eines Austausches von Zeichen und Zärtlichkeiten. Auf diesem Weg sandten sie sich geheime Botschaften. Dies wird z. B. im Gedicht Geheimschrift (im Buch Suleika) deutlich, als Goethe den Chiffernbrief von Marianne (Herrin) erhalten und ihn anhand von Hafis’ Gedichten entziffert hat:? Mir von der Herrin süße Die Chiffer ist zur Hand,

Woran ich schon genieße,

Weil sie die Kunst erfand. Es ist die Liebesfülle Im lieblichsten Revier, Der holde, treue Wille Wie zwischen mir und ihr.

1 2 3

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. am 21. September 1815 in Heidelberg. wendung auf Hafis’ Lieder von Goethe Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S.

197f. Mehr über die Chiffernbriefe und die Anund Marianne s. Burdach, a. a. O., S.343fF. 88. 209

So treten die Beiden (Marianne und Goethe) mit Hafis in einen Dialog, wobei dieser imaginierte Gedankenaustausch sich nicht auf die Themen Liebe und Lebensfreude beschränkt. Wenn Goethe sich bei Hafis nur für Lebensfreude durch Liebe, Wein

und Singen interessiert hatte, hatte er z. B. andere Dichter wie Sa di, der

in dieser Hinsicht viel enthusiastischer als Hafis gedichtet hat, auswählen können. Liebe, Wein und Singen sind allerdings nicht die einzige Reminiszenz an Hafis, die Goethe macht. Im folgenden Kapitel werden weitere und zum Teil wichtige Interessen Goethes an Hafis besprochen. 2.5.3 Analogie zwischen Hafis’ und Goethes Dichten und Leben

Adalbert Merx sah in Goethes Divan „ein Irrlicht, der in ihm abgeschilderte Orient eine wesenlose Phantasmagorie’,! Schaeder hingegen die „Magna Charta der Orientforschung."? Er meinte, dass, „wer Hafis verstehen will, auf Goethes Urteil zurückgehen [muss].°* Beiden kann ich nicht zustimmen. Denn wie kann man auf Goethes Urteil zurückgreifen, wenn doch klar geworden ist, dass Goethe aus Hammers Übersetzung nicht mehr als ein entstelltes Bild von Hafis herauslesen konnte? Die Exegese von Konrad Burdach - Herausgeber von Goethes Werke (Weimarer Ausgabe 1888), dessen Name mit der Sichtung und Auswertung des Goethe-Archivs verknüpft ist - erscheint mir dagegen wesentlich realistischer: Was ihn [Goethe] an Hafis so ergriff, die Analogie mit dem eigenen Dichten und Leben, ward zum Springquell des ganzen Divans.? In diesem Zusammenhang ist es wichtig die Epochen zu vergleichen, in denen Goethe und Hafis lebten. Strich betrachtet „die Ähnlichkeit der Zeit“ als einen „wesentlichen Zug der Gemeinsamkeit“, was m.E. nicht ganz der Wirklichkeit entspricht: 1

UD

2 4

Idee und Grundlinien einer allgemeinen Geschichte der Mystik. Heidelberger Prorektoratsrede 1893, 4. In: Wolfgang Lentz: Goethes Noten und Handlungen zum West-östlichen Diwan. Hamburg [1958], S. 1. Schaeder: Goethes Erlebnis des Ostens. S. 74. Ebd., S. 109.

Goethes Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe XV. Stuttgart und Berlin 1905. In: W. Lentz, a. a. O.,S. 14.

210

Die persischen Dynastien führten wilde Kriege gegeneinander, bis der furchtbare Eroberer Timur Persien unterjochte und ganz Asien in Flammen setzte. Hafis wurde Timur vorgestellt und antwortete auf dessen Fragen mit solcher Weisheit, dass er mit Gnaden überschüttet wurde [...]. Wie damals Asien durch Timur, so wurde Eu-

ropa durch Napoleon in Flammen gesetzt, und auch seine Heimat

unterjocht. Auch er [Goethe] wurde Napoleon vorgestellt [...].!

Es ist unumstritten, dass Schiras zu Hafis’ Zeit unter gelegentlichen unruhigen, unsicheren politischen Verhältnissen mit schnellen Machtwechseln zu leiden hatte. Dies ist aber nicht auf Goethes Lebenszeit im Ganzen übertragbar. Auch litt Hafis nicht immer unter unruhigen, kriegerischen Verhältnissen. In der Regierungszeit des literarisch interessierten Ingu-Dynastie Ishäq (1343-1353) und zum Teil auch in der langen Regie-

rungszeit von dem Mozaffarfürsten Sah Sopa‘ (1358-1385) hatte Hafis als

Hofdichter eine durchaus erfolgreiche Zeit. Hafis durchlebte allerdings unter der Regierung von Despoten wie Mobärez ad-Din Mohammad, dem Mörder und Nachfolger von Ishäq Ingu, einige schwere Jahre. Vergleichbares hat Goethe nie erfahren müssen. Goethes Situation entsprach nicht der von Hafis. Goethe wurde nicht wegen seiner Dichtung verfolgt. Er musste sich nicht für eine als übertrieben aufgefasste, stigmatisierte Freizügigkeit öffentlich verteidigen.

Der Vergleich zwischen Timur (1336-1405) und Napoleon (1769-1821) in Verbindung mit den beiden Dichtern ist schwer nachvollziehbar. Hafis starb ungefähr drei Jahre nach Timurs Invasion in Persien, und so dürfte die Eroberung auf Hafis’ Leben und Schaffen wohl kaum eine relevante Wirkung ausgeübt haben. Goethe war jedoch von den politischen Wirren und den Befreiungskriegen in Europa und dem nachfolgenden Sturz Napoleons auf der Höhe seines Lebens betroffen, was ihn auf sich selbst zurückwarf. In einem Brief an Schlosser (23./ 25. 11.1814) ist zu lesen:

Der unselige Krieg und die fremde Herrschaft alles verwirrt und zum Starren gebracht, die literarische Kommunikation stockte, mit

ihrem Wesen und Unwesen. [...] In unserer Gegend hatte der Krieg, die allgemeine Bewegung der Gemüther, und mancher an1

Strich, a. a. O., S. 168f.

211

dere ungünstige Umstand zusammengewirkt, [...] und ich sah mich fast auf mich selbst zurückdrängt. Diese Zeit benutze ich um mich in mir selbst historisch zu bespiegeln.! Dieser Krieg, den Goethe als „schreckliche und unerträgliche Zeit“? bezeichnete, hatte allerdings - wie bereits erläutert - einen großen Einfluss auf seine Entscheidung zu einer geistigen Reise in den Orient. Nun gibt es zwar Unterschiede zwischen den beiden Epochen und der Situation, in denen die Dichter lebten, aber auch Goethe fand in Berichten aus der Zeit von Hafis - wie Hammer ebenfalls in seiner Vorrede erwähnt? - Analogien zwischen seiner Zeit und seinem Leben und dem von Hafis. Goethe fand z. B. eine Parallele zwischen Timur und Napoleon nach dem Scheitern seines Russlandfeldzuges im Winter 1812-13. So schrieb er das Gedicht Der Winter und Timur im Buch des Timur, in dem er Timur mit Mars (Gott des Krieges) und den Winter mit Saturn (Gott des Todes) verglich.* Auf diese Parallelität weist auch ein Eintrag in Boisserées Tagebuch (am 8.8.1815) hin: „Timurs Winter-Feldzug - Paral-

lel-Stück zu Napoleons Moskowitischem Feldzug. - Kriegsrat. Der Winter tritt redend auf als Saturn gegen den Mars - Fluch oder Verheißung groß gewaltig.” > Am 3.8.1815 notierte Boisserée nach einem Gespräch mit Goethe: Neue Arbeit des Divan, Aneignung des Orientalismus - Napoleon, unsere Zeit bieten reichen Stoff dazu. Timur, Tsingiskan NaturKräften ähnlich in einem Menschen erscheinend.° Hinzu kommt eine weitere Parallele zwischen Hafis und Goethe. Beide sind einem herrschenden Eroberer begegnet. Während Goethes Zusammentreffen mit Napoleon eine historische Tatsache ist, handelt es sich bei der Begegnung zwischen Hafis und Timur vermutlich um eine Legende. Ursprünglich handelt es sich um eine Anspielung auf eine Timur-Anekdote aus Hammers Vorrede: 1 2

3

4

5 6

Goethe: Briefe 1814-1832. In: Goethe; Gedenkausgabe der Werke. Bd. 21, Zürich

1949 , 5. 8. Goethe-Handbuch, Bd. 1 (Gedichte). Hrsg. von Regine Otto und Bernd Witte. Stuttgart/Weimar 1996, S.306.

Siehe Hammers Hafis-Übersetzung, 5. 19f.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 63.

Goethe: Sämtliche Werke, Band 3/2, FA, S. 1161. Ebd.

212

Als Timur Fars eroberte, und den letzten Sultan der Dynastie Mosaffer hinrichten ließ, war Hafis noch am Leben. Er schickte um den Dichter, und als er vor ihm erschien, sprach er: Ich habe mit

glänzendem Schwert den größten Theil der Welt erobert, und tau-

send Länder blos deswegen meiner Bothmäßigkeit unterworfen, um Samarkand und Buchara, die beiden Städte meines Vaterlandes, vor allen andern empor zu bringen, und du unterstehst dich, dieselben in deinen Gedichten für das Maal deines Lieblings feil zu bieten. Nähme mein Herz in die Hand der schöne Knabe von Schiras,

Gerne gab’ ich für's Maal'Buchara und Samarkand hin. [Hafis] Elif VIII

Hafis küßte die Erde, und sprach: Herr der Welt, betrachte nur den Verschenker, und du wirst ihm verzeihen, in dieses Netz gefallen zu seyn. Diese Antwort gefiel dem Eroberer, der statt zu zürnen, ihn mit Gnadenbezeugungen überhäufte. Nach einer anderen Sage soll Hafis geantwortet haben: Fürst! leider daß ich so

verschwenderisch den.’

gewesen,

sonst wäre

ich nicht so arm gewor-

Hammer zufolge ist die zweite Version der Antwort der Übersetzung von Silvestre de Sacy entnommen.? Der übersetzte den ursprünglichen Titel Tazkarat al-Soa‘ra (Die Biographien der persischen Dichter) von Daulatsah Samarkandi (gest. 1494/ 95).> Goethe hat - It. Momme

Mommsen

- aus dieser Übersetzung übrigens die Biographie des persischen Dichters Farid ad-Din Attar (geb.1119) rezipiert, desweiteren die Darstellung Attars übernommen und als Vierzeiler im Buch der Sprüche nachgedichtet.° 1

Eigentlich ein indisches Muttermal (Original:

‎‫ هندو‬ji», Hindu-Mal), ein schwarzer

3

Schonheitsfleck, der ein besonders erotisches Merkmal ist. Das sind Buchstabe und Nummer des Ghasels, das auf der Seite 51 der Hammers Hafis-Ubersetzung zu finden ist. Hammers Hafis-Ubersetzung, 5. 19f.

4

Ebd., S. 20.

6

5. Momme Mommsen: Studien zum West-östlichen Divan. Berlin 1962, S. 9-19.

2

5

Siehe das Original: Dolatsah Samarkandi: Tazkarat al-Soa‘ra [Die Biographien der persischen Dichter]. Teheran 1959. S. 299.

213

Doch die Zeitangabe Hammers, die Begegnung Hafis’ mit Timur betreffend, kann nicht richtig sein. Hammer halt sich eng an den Bericht von Daulatsah Samarkandi, dessen unzulängliche und teils falsche Berichterstattung korrigiert werden konnte.! Hammer schreibt: ,Als Timur Fars eroberte, und den letzten Sultan der Dynastie Mosaffer hinrichten ließ, war Hafis noch am Leben.“ ?

Timur war nur zweimal in Schiras, dem Wohnort von Hafis und der Hauptstadt der Provinz Fars (Pars).” Das erste Mal im Jahre 1387, als

Zeyn al- Abedin, der die Stadt Timur kampflos übergab, in Schiras re-

gierte. Zeyn al-‘Abedins Vater, Sah $o&ä‘, einer der Gönner von Hafis,{ hatte kurz vor seinem Tode (1384) mit Timur einen Vertrag geschlossen.

Dieser Friedensvertrag - in Form eines Briefes von Säh Soa’ selbst verfasst - ist auf uns gekommen. Sah Sogä’ bezeugt darin seine Loyalität zu Timur.

Was Hammer nun berichtet, bezieht sich auf Timurs zweiten Einfall (1393) in Schiras, bei dem Mansur, der letzte Sultan der Mozaffariden, gegen Timur kämpfte und schließlich im Krieg fiel. Wegen seines harten Widerstandes befahl Timur, alle Familienmitglieder und Verwandten der Dynastie auszurotten.®

Dieser Krieg fand allerdings etwa drei Jahre nach Hafis’ Tode im Jahre 1393 statt. Als Timur, so Hammer, „den letzten Sultan der Dynastie Mozaffer hinrichten ließ”, war Hafis längst tot. Die Begegnung zwischen Hafis und Timur kann also nur bei dessen erstem Aufenthalt in Schiras stattgefunden haben (1387). In einem Anfang des 15. Jhrdts. entstande-

nen Text ist zu lesen:

Als Zeyn al- Abedin Schiras regierte, kam Timur nach Schiras und befahl, dass alle wohlhabenden 1 2 3

on

4 6

Schiraser einen Tribut

bezahlen

S. Farid ad-Din Attar: Mohtär-näme. Hrsg. und Vorrede von MR. Safi’i Kadkani. Teheran 1979, S. 23. Hammers Vorrede in Hafis-Ubersetzung, S. 19. Kernland des vorislamischen persischen Weltreiches in Südwestiran (altpersisch Parsa, griechisch Persis), voraus das Wort Persisch als Sprache abgeleitet worden ist. Weil es in arabischer Sprache keinen Laut p gibt, haben die Araber statt p (Pars: Neupersisch) F (Fars) ausgesprochen. Diese arabisierte Aussprache hat sich durchgesetzt. Deswegen wird heute diese Provinz Fars und die Sprache farsi statt parsi (Persisch) ausgesprochen. Uber Sah Sofa‘ und sein Verhältnis zu Hafis s. vorliegende Arbeit, Kap. 1.1. S. Qasem Gani, a.a.O., 2007, S. 405f. Ebd., 5. 59, 470ff u. 517ff.

214

sollten.! Weil Hafis zu den Wohlhabenden gehörte, verlangte man auch von ihm die Abgabe. Er ging zu Timur und klagte tiber seine schlechte finanzielle Lage. Timur entgegnete: Du hast selbst gesagt, dass du fiir das Muttermal eines Lieblings Samarkand und Buchara verschenken würdest. Jemand, der diese zwei Städte einfach verschenken kann, ist also nicht arm. Darauf antwortete Ha-

fis: Eben wegen meiner Freigebigkeit bin ich heute so arm.?

Goethe fand in dieser Geschichte eine Ahnlichkeit mit seiner eigenen historischen Begegnung mit Napoleon anlässlich einer Audienz am 2. Oktober 1808 am Rande des Erfurter Fürstentags, wahrend der Napoleon

auch Die Leiden des jungen Werther kritisch ansprach. Goethe zeichnete einige Einzelheiten der Unterredung mit Napoleon auf: [...] Er [Napoleon] wandte sodann das Gespräch auf den Werther, den er durch und durch mochte studiert haben. Nach verschiedenen ganz richtigen Beobachtungen bezeichnete er eine gewisse Stelle und sagte: Warum habt Ihr das getan? es ist nicht naturgemäß, welches er weitläufig und vollkommen richtig auseinander setzte.’ So stellte Goethe eine Parallele zwischen seiner Begegnung mit Napoleon und der Legende von Hafis’ Begegnung mit Timur her. Im Unterschied zu Hafis, der seine Wortwahl gegenüber Timur verteidigen musste und aufzeigte, dass jeder, Dichter wie Eroberer, in seinem Reich groß ist, war für Goethe die Begegnung mit Napoleon ein historischer, ernsthafter Zug über Weltpolitik. Außerdem ist Hafis Begegnung mit Timur, wie bereits erwähnt, eher eine Legende, aber Goethes Begegnung mit Napoleon eine historische Tatsache. In diesem Zusammenhang gibt es zwar eine Ähnlichkeit zwischen Goethe und Hafis, aber keinen Gleichklang. 1 2 3

Im Original steht amäni (Einlage, Pfand). Weil der Verfasser (Soga‘ Siräzi) sein Buch für Sahroh, Timurs Sohn, schrieb, hat er hier aus Respekt für Timur statt „bezahlen“ von „Pfand geben” gesprochen. Sopa’ Siräzi: Anis al-Näs. In: Qäsem Gani, a.a.O., S. 42f. u. 485. Übersetzung von mir. In: Wolfgang Müller (Hg.): Johann

Wolfgang von Goethe. Mit Selbstzeugnissen und

Bilddokumenten. Dargestellt von Peter Boerner. Rowohlts Monographien. 28. Aufl. Frankfurt a. M., 1989, S.103. 215

Ähnlich wie Goethe, der große historische Persönlichkeiten wie Mohammed, Cäsar oder sogar Napoleon bewunderte, blickte auch Hafis anfänglich zu Timur auf, dies in der Hoffnung, eine starke Persönlichkeit würde alsbald für Ruhe im Land sorgen. Bevor Timur Schiras eroberte, war sein Machtbereich bereits so ausgedehnt, dass auch Hafis, der unter Kriegen zwischen Provinzfürsten und schnellen Machtwechseln zu leiden hatte, sich seine Herrschaft

herbeiwünschte,

obwohl

Timur

türki-

scher Herkunft war. In Hafis’ Augen war er dem bekanntesten, beliebtesten Helden der persischen Sagenwelt Rostam, der Hauptfigur im Nationalepos Sähnäme von Ferdausi, vergleichbar. Den Spott seiner Zeitgenossen in Kauf nehmend und auch wissend, dass die Lage verworren war, wollte Hafis nur eins: einen Ordnungsstifter, der für Ruhe und Stabilität im Land sorgte, egal ob er Perser war oder nicht. In seinem Gedicht (Ghasel 461, Buchstabe Ye), in dem er sich Timur als Retter wünscht, bezeichnet er ihn als „Türken aus Samarkand” oder „Schah

der Türken“,

nach

dessen Ankunft

Schacht der Geduld“ verzehre:

er, Hafis,

sich „im Kerker-

Der Busen ist übervoll von Schmerz, o weh, bitte ein Heilmittel! Das Herz geriet vor Einsamkeit

in Todesnot,

o Gott, bitte einen

Gleichgesinnten! Wer hat Hoffnung auf Ruhe vor dem rasenden Firmament? Saqi [Schenke], einen Becher reiche mir, damit ich für einen Augenblick Ruhe finde. Auf, dass ich mein Herz jenem Türken aus Samarkand übergebe,

kommt doch von seinem Anhauch der Duft des Flusses Mulian! herbei. Einem Schlaumeier sagte ich: Schau diese Zustände! Er lachte und meinte:

Schwerer Tag, wunderlicher Zustand, verworrene Lage, eben: eine Welt! Ich verzehrte mich im Kerker-Schacht der Geduld wegen jener Kerze aus Cigil. Der Schah von Turan? befasst sich nicht mit meiner Lage; wo ist (ein) Rostam?? 1

2 3

Name der Flusses Amu Darya (Oxus).

Eigentlich „Türken“ Hafis-Wohlleben, S. 577.

216

Cigil oder cegel ist eine für ihre schönen Menschen bekannte Provinz in Turkestan. Wieder wendet sich Hafıs an Timur als Türken (Schah des Türken, Turaner). Die Kerze steht dabei für den Schönen - derlei Liebes-

gedichte auf Herrscher sind für Hafis und allgemein für die klassische persische Literatur typisch. Der „Kerker-Schacht der Geduld" ist eine Anspielung

auf das Liebespaar

„Bizan und

Manize“

aus dem

Sahname

von Ferdausi. In dieser Geschichte wird der persische Prinz Bizan von Turanen (Türken) in einem Schacht gefangen gehalten und von Rostam befreit. Damit spielt Hafis auf seinen Wunsch nach Befreiung aus der kerkerhaften Lage an. Hafis war allerdings später von Timurs Invasion entsetzt, denn Timur

hinterließ nichts als Ruinen, toten und Elend. Hafis hat auch über die In-

vasion Gedichte geschrieben, in denen er sehr wohl von der Vernichtung

der Schönheit (Rose und Jasmin) durch Timur spricht.! Dessen Heer me-

taphorisiert Hafis darin als den Sturmwind der Geschehnisse oder Wüstensturm, und Timur nennt er einen bösen Dämon den bösen Geist):

(Ahriman / anro maniius,

Der Sturmwind der Geschehnisse gestattet nicht zu erkennen, ob auf dieser Wiesenmatte eine Rose gewesen ist oder ein Jasmin. Nach diesem Wüstensturm, der am Garten vorbeifegte, welch Wunder, dass (überhaupt noch) der Hauch einer Rose existiert und die Farbe eines Jasmins.

Um Geduld bemühe du dich, o Herz, denn Gott duldet nicht einen so wertvollen Ring an der Hand eines bösen Dämons.? Hafis vergleicht seine Stadt mit einem wertvollem Ring, der nicht immer in der Hand

des Dämons

(des Eroberers Timur) bleiben werde, ähnlich

wie der Salomon gestohlene Ring zu diesem zurückgelangt und dieser seine Herrschaft weiterführen kann.

Abgesehen von solchen Ähnlichkeiten und abgesehen von der Sinnenfreude gibt es noch weiteres, was Goethe zu Hafis hingezogen haben könnte. Er ließ sich anregen von seiner Lebensweisheit (Was alle wollen 1 2

Vgl.Q. Gani, a.a.O., Bd. 1, S. 489. Hafis-Wohlleben, 5. 586. Eines Damons (= eines Ahriman) - „Erinnert an den Welt-

herrschaft schenkenden Ring Salomos. der in die Hände eines Div [Dämon] geriet,

wodurch die Welt zeitweilig in Unheil gestürzt wurde.“ Ebd.

217

weißt du schon),! von seinem Freisinn und dem poetischen und gesellschaftlichen Wert seiner Dichtung. Für Goethe ist Hafis „ein großes heiteres Talent [...] ein lieblicher Lebensgeleiter“:?

Denn, um nur von Hafis zu reden, wächst Bewunderung und Neigung gegen ihn, je mehr man ihn kennen lernt.’ In seinen Noten hat Goethe wenig über die „Dichtungen“ von Hafis geschrieben, „weil“, so Goethe, “man sie genießen, sich damit in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt eine fortquellende, mäßige Lebendigkeit. 4 Goethe konnte weder vor dem Hintergrund der damals zugänglichen Informationen noch über Hammers unzureichende Übersetzung zu einem angemessenen Verständnis gelangen. Mit seiner großen dichterischen Einfühlungsgabe konnte er jedoch Hafis’ Talent und dessen Freisinn sowie seine unorthodoxe Religiosität und seine Lebendigkeit erspüren. Goethe beneidete Hafis dafür, dass er über eine Sprache verfügt, die ihn unangreifbar gemacht hat. Hafis nutzt den durch Worte zu erlangenden Spielraum aus und hält so den Abstand, der ihn von seinen Häschern trennt. Ähnlich möchte Goethe souverän den Mächten seiner Zeit entgegentreten. Missgunst von allen Seiten soll ihn nicht niederdrücken, Missverstehen nicht entmutigen und kleinlaut machen. Vielmehr will auch er sich mit seiner Waffe - mit dem Dichterwort - zur Wehr setzen.

1

Das Gedicht „An Hafis” im Buch Hafis. In: Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S.

2

Ebd.,S. 164. Ebd., S. 200. Ebd.,S. 162.

©

27.

4

218

3 Goethe im Wettstreit mit Hafis

Und mag die ganze Welt versinken, Hafis, mit dir, mit dir allein

Will ich wetteifern! Lust und Pein Sei uns, den Zwillingen, gemein! }

In den folgenden Kapiteln wenden wir uns Goethes Divan-Gedichten zu, um zu ergründen, wie er über Hafis dachte. Wesentliches Augenmerk wird dabei auf die Frage gerichtet sein, in welcher Weise er Hafis’ Poesie in seinem west-dstlichen Divan verarbeitet hat. Wir werden betrachten, mit Goethes Worten gesagt, „in welchem [Verhältnis] sich der Deutsche zu dem Perser fühlt, zu welchem er sich leidenschaftlich hingezogen äu Bert, und ihn der Nacheiferung unerreichbar darstellt.” ?

Es soll erforscht werden, in welchen Zusammenhängen Goethe Hafis erwähnt. Anschließend werden Goethes Entlehnungen betrachtet, und es wird erläutert, worin sein Interesse an Hafis in verschiedenen Hinsichten bestanden haben könnte. Goethe setzt sich im Divan vor allem im Buch Hafis und Buch des Sängers mit Hafis auseinander, deshalb werde ich zunächst diejenigen Stellen dieser Zyklen untersuchen, in denen direkte Rezeption und poetische Anverwandlung ersichtlich sind. Zuerst werde ich das Buch Hafis untersuchen, um Hafis’ Lebensweise und seine poetische Welt aus Goethes Sicht zu verdeutlichen. Danach wird der Gedichtzyklus Buch des Sängers untersucht. Um zu eruieren, inwieweit Goethe aufgrund der unzureichenden Übersetzung Hammers den Dichter Hafis verstanden bzw. missverstanden haben könnte und um insbesondere zu betrachten, um wieviel besser als Hammer Goethe an nicht wenigen Stellen Hafis begriffen hat, werden wir in den folgenden Unterabschnitten Goethes Strophen im Divan mit Hammers Hafis-Übersetzung? und diese beiden wiederum mit der neuen 1 2 3

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 25. In der Ankündigung im „Morgenblatt für gebildete Stände“ (24.Feb.1816) zum Buch des Sängers. Goethe: West-östlicher Divan. In: Goethe; Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Bd. I. 3/1, Hrsg. von Hendrik Birus. FA, S. 549. Mohammed Schamsed-din Hafis: Der Diwan. Aus dem Persischen von Joseph von 219

Hafis-Ubersetzung von Wohlleben! vergleichen. Zum besseren Vergleich werden alle drei Texte synoptisch nebeneinander gestellt.

3.1 Hafis Nameh (Buch Hafis) Wollen wir über Goethes Verhältnis zu Hafis, seine Auslegung und Bewertung von Hafis Dichtung erfahren, muss man diesen Gedichtzyklus heranziehen. Goethe selbst beschreibt das Buch Hafis wie folgt: Hierauf folgt Hafisname, das Buch Hafis, der Characterisierung, Schätzung, Verehrung dieses außerordentlichen Mannes gewidmet. Auch wird das Verhältniß ausgesprochen, in welchem sich der Deutsche zu dem Perser fühlt, zu welchem er sich leidenschaftlich hingezogen äußert, und ihn der Nacheiferung unerreichbar darstellt.?

3.1.1 Hafis’ Religiosität und das Verhalten der Orthodoxie aus Goethes Sicht

Am Anfang der dialogischen Vergegenwärtigung mit dem Titel Beyname ? steht die Befragung von Hafis durch den Dichter (Goethe): Mohamed Schemseddin, sage, warum hat dein Volk, das hehre, Hafis dich genannt? { Hafis erwidert auf die Frage des „Dichters“, dass er nicht nur den Koran

auswendig kenne, sondern ihn darüber hinaus „unverändert aufbewahre:

Weil, in glücklichem Gedächtnis, Des Korans geweiht Vermächtnis Unverändert ich verwahre, 1

Ww

2 4

Hammer-Purgstall. SZ, Münschen 2007. Hafis: Die Ghaselen des Hafiz. Neu in deutsche Prosa übersetzt, mit Einleitung und Lesehilfen von Joachim Wohlleben. Würzburg 2004. Goethe: West-östlicher Divan. In: Goethe; Sämtliche Werke, Bd.3/2, FA, S. 977. Entstehung: 26 Jun. 1814. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 22.

220

Und damit so fromm gebare, Daf} gemeinen Tages Schlechtnis Weder mich noch die berühret Die Propheten-Wort und -Samen Schatzen wie es sich gebühret: Darum gab man mir den Namen.! In diesen Versen zeigt Goethe einen Hafis, der den Koran in seiner urspriinglichen Gestalt bewahrt. Wenn man Hafis’ und Goethes Auffassungen ihres eigenen Glaubens betrachtet, erôffnet sich noch ein anderer Blickwinkel auf ihre Bedeutung. Hafis als Mystiker interpretiert den Koran in seiner Weise. Einerseits nimmt Hafis für sich in Anspruch, die Liebe zu Gott auf seine Art zu verstehen. Hafis versucht seine Auffassung von der Schöpfungsgeschichte und der Liebe Gottes damit zu rechtfertigen, dass ein jeder „nach Maßgabe seiner Fassungskraft, eine Vermutung“ über das Geheimnis der Liebe zwischen Gott und dem Menschen habe: Auf dem Weg der Liebe gibt es niemand, der wahrhaft vertraut wäre mit ihrem Geheimnis; jeder hat, nach Maßgabe seiner Fassungskraft, eine Vermutung.? Andererseits sind für ihn Frömmler und orthodoxe Geistliche nicht die wahren Bewahrer des Koran. Sie sind diejenigen, die den Koran missbrauchen, um ihren Gegnern einen Strick zu drehen: O Hafis, trink Wein und sei ein Freigeist und laß dirs

wohlergehen, jedoch

Mach nicht, wie andere, den Koran zur heuchlerischen Schlinge.’ Nicht nur das, Hafis kritisiert alle islamischen Glaubensrichtungen, alle Sufi-Orden, die, aus seiner Sicht, anstatt der „Wahrheit“ zu dienen, sich

gegenseitig bekämpfen und nur Märchen erzählen:

Das Gerangel der zweiundsiebzig Glaubensrichtungen musst du jeder einzelnen verzeihen: 1

2

3

Ebd. „Hafis“ (korrekt wäre ,Häfez ( bedeutet im eigentlichen Sinne des Wortes „Hüter, Beschützer, der im Gedächtnis Bewahrende.“ Diesen Ehrenbeinamen erhielt der Dichter, weil er den Koran auswendig wusste (im Gedächtnis bewahrte).

Hafis-Wohlleben, S. 192.

Ebd., S. 59.

221

da sie die Wahrheit nicht kannten, schlugen sie den Weg der Wundererzählung ein.! Hafis ist ein gläubiger Muslim, seine Art der Interpretation des Koran und sein Verhältnis zu den irdischen Freuden entspricht aber nicht ganz dem ursprünglichen Islam. Goethe allerdings möchte offensichtlich auf die alte, ursprüngliche Quelle aller Religion verweisen, die rein und unorthodox sein soll. Wie wir wissen,? steigerte sich die Hinneigung zum Orient am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland derart, dass „Orient“ in dieser Zeit,

nach Burdachs Bericht „ein Zauberwort“ war.? Weil das Christentum aus dem

orientalischen Geiste stammte,

suchte man

nach der

Urquelle der

europäischen Religion. So wollte man im Orient die reine Urreligion, die Spuren des Urvolks finden und eine neue Mythologie gewinnen. Abgesehen davon suchte Goethe selbst, worauf seine eigene Philosophie hinweist, in allen Bereichen des Lebens nicht nur nach dem Ur-

sprung (vgl. Urpflanze, Urphänomen, Ureinheit u.a.), er war auch ein Kritiker der herrschenden Kirche. Goethe kritisierte an der mosaischen und christlichen Religion, sie habe sich nicht in ihrer ursprünglichen Einfachheit und Reinheit erhalten. Seine Kritik an der Komplexität und Umständlichkeit des zarathustrischen Kultus? galt ebenso für die christliche Liturgie und die mosaischen Zeremonien.? Dies erinnert uns an den jungen Goethe: Er lebte „in jenen toleranten Zeiten", in denen „man so oft wiederholte, jeder Mensch habe seine

eigene Religion, seine Art der Gottesverehrung."6 Seine Art, Gott zu verehren, war die ursprüngliche, „natürliche“ Religion, die er mit dem heite1

Hafis-Wohlleben, S. 258.

3

Konrad Burdach: Goethes West-östlicher Divan in biographischer und zeitgeschichtlicher Beleuchtung. In: Edgar Lohner (Hg): a.a.O., 5. 310-351, hier S. 318.

4

5

6

s. Kap. 2.1.

Mehr dazu s. Kap. 2.2..

„Man sieht nicht ein, warum bei einem so ungeheuren Feldzug [Israel in der Wüste], [...] das religiöse Zeremonien-Gepäck zu vervielfältigen, wodurch jedes Vorwärtskommen unendlich erschwert werden muß. Man begreift nicht, warum Gesetze für die Zukunft, die noch völlig im Ungewissen schwebt, zu einer Zeit ausgesprochen werden, wo es jeden Tag, jede Stunde an Rat und Tat gebricht [...].” Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 213. Goethe: Dichtung und Wahrheit, Vierzehntes Buch, S. 610f.

222

rem „Bild des Glaubens‘ vergleicht. In dem Sinne vergleicht er auch das Auswendig-Lernen des Koran durch Hafis mit seinem Glauben, den er aus seinen „heiligen Büchern” (dem Neuen und Alten Testament) als ein

„herrliches Bild“ an sich „genommen habe. Als Beispiel zieht Gothe das

Schweißtuch der Veronika heran, das ihn innerlich erquickt habe. Obwohl er wie Hafis viel Kritik, „Verneinung, Hinderung” habe hinnehmen

müssen, bewahre er dieses ursprüngliche Bild des Glaubens: Hafis, drum, so will mir scheinen,

Möcht ich dir nicht gerne weichen: Denn wenn wir wie andre meinen,

Werden wir den andern gleichen.

Und so gleich ich dir vollkommen,

Der ich unsrer heilgen Bücher

Herrlich Bild an mich genommen,

Wie auf jenes Tuch der Tücher

Sich des Herren Bildnis drückte,

Mich in stiller Brust erquickte, Trotz Verneinung, Hindrung, Raubens, Mit dem heitren Bild des Glaubens.!

Er vergleicht sein Glaubensbekenntnis mit dem des Hafis, obwohl sie beide zwei verschiedenen Glaubenswelten entstammen. Er grenzt sich und Hafis von den anderen ab Denn, wenn wir wie andre meinen, / Werden wir den andren gleichen. Für Goethe steht in der Religion besonders ihre praktische Anwendung im Vordergrund. Deswegen zeigt Goethe im nächsten Gedicht (Anklage),? das sich an das Gedicht Beyname anschließt, mit welchen Argumenten

die Orthodoxen

(die Anderen) den Dichter verurteilen. Für die

Orthodoxen ist ein Poet jemand, der sich mit Lügnern und Bösewichtern einlässt, und Lügner seien des Teufels Verbündete: Wisst ihr denn auf wen die Teufel lauern, In der Wüste, zwischen Fels und Mauern? ]...[

Lügner sind es und der Bösewicht. Der Poet warum scheut er nicht

1

2

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 22.

Entstehung: 10 März 1815.

223

Sich mit solchen Leuten einzulassen! [...] Er [der Dichter] versteht nicht was er sagt, Was er sagt wird er nicht halten.! Dass der Dichter ein Lügner sei, sich mit Teufeln einlässt und nicht hält, was er verspricht, hat Goethe aus Hammers Übersetzung einiger KoranVerse übernommen: 220 Soll ich dir sagen auf wen die Teufel niedersteigen? 221. Sie steigen nieder auf die Lügner [...]. 223. Die Poeten folgen ihnen, und lassen sich von ihnen betrügen. 224. Siehst du denn nicht, wie sie durch alle Thäler schweifend nimmer ruhn. 225. Und Dinge sagen, die sie nimmer thun.? An einigen Stellen verweist der Koran ausdrücklich darauf, Mohammed

sei kein Dichter und Wahnsinniger, wie manche ihn aufgrund seiner Re-

den genannt hätten. Mohammed wollte sich so von den Dichtern distanzieren und seine Worte nicht als Dichtung, sondern als Gottes Gebote verstanden wissen: 29 Mahne nun (mit dem Koran)! Du [Mohammed] bist ja dank der

Gnade deines Herrn weder ein Wahrsager noch besessen (wie die Ungläubigen behaupten). 30 Oder sie sagen: „(er ist) ein Dichter. [...]" 5 Aber nein, sie sagen: „Ein Wirrnis von Träumen (ist das).

Nein, er [Mohammed] hat ihn (oder: es, d.h. was er vorträgt) (seinerseits) ausgeheckt. Nein, er ist (nur) ein Dichter.“4

Mohammed war überhaupt gegen Dichter eingenommen, denn einerseits hörten die Menschen damals, besonders die Mekkaner, die Gesänge der Dichter viel lieber als Mohammeds Vorträge; andererseits trugen die Dichter auch Spottgedichte auf Mohammed vor.’ Deswegen bedroht Gott 1 2

3

5

Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 23. 26. Sure, Die Poeten: In: Hammer-Purgstall: Fundgruben des Orients. Bearbeitet durch eine Gesellschaft von Liebhabern. Bd. 3, Wien 1813, S. 254f. Verse von Rudi Parets Koran-Übersetzung, welche ich in der vorliegenden Arbeit anführe, sind 224 bis 226 (Sure 26, Die Dichter), S. 262f. Original, S. 376. Der Koran; Sure 52, Der Berg, S. 371.

Ebd., Sure 21, Die Propheten, S. 225. Vgl. Anmerkungen in Koran: Übertragung ins Deutsche von Lazarus Goldschmidt. Berlin 1920. S. 617f.

224

selbst diejenigen mit dem Höllenfeuer, die die Propheten und Gottes

Worte (Verse) karikieren:!

106 Das ist ihr Lohn, (nämlich) die Hölle (oder: Deren Lohn ist die

Hölle) dafür, dass sie ungläubig waren und mit meinen Zeichen und meinen Gesandten ihren Spot getrieben haben.?

Im Gedicht Anklage gelten den rechtgläubigen Muslimen die Dichter nicht nur als Lügner, auch dichterische Werke sind für sie wertlos: Wörter, die „in den Sand geschrieben” werden, die „vom Winde gleich verjagt“ sind. Die Poesie widerspricht dem Koran und umgekehrt Doch sein Lied man läßt es immer walten, / Da es doch dem Koran widerspricht.? Nach diesem Urteil tritt dann Hafis exemplarisch als der Dichter auf, der dem Koran widerspricht und damit „Ärgernis“ schafft.° Hierin scheint ein Paradox zu bestehen, worauf bereits einige Forscher aufmerksam machten.® Denn Hafis stellt sich einerseits (in seinem

Gespräch mit dem Dichter/Goethe im Gedicht Beyname) als Bewahrer des Koran vor, andererseits wird ihm der Vorwurf gemacht, seine Poesie widerspreche dem Koran. Zieht man aber in Betracht, wie Goethe und Hafis ihre jeweilige Religion verstehen, ist kein Paradoxon zu erkennen. Für Goethe ist die „wahre“ Religion die natürliche, ursprüngliche Religi-

on, die erst durch die Geistlichkeit verändert wurde. Er geht davon aus,

Hafis trage den ursprünglichen Islam in sich. Demzufolge stellt Anklage bzw. das Urteil der Orthodoxie gegen die Dichtung und besonders gegen Hafis’ Poesie keinen Widerspruch dar. Nach Goethes Vorstellung sind die Orthodoxen diejenigen, die die islamische Lehre verändert haben. Dies wird noch deutlicher, wenn man die Gedichte Beyname und Anklage in Verbindung mit den nachfolgenden Gedichten betrachtet: Goethe bejaht einerseits die alten, unveränderbaren Gesetze der Religion, was auf seine Hinneigung zu allem Ursprünglichen, das zugleich 1

Zwei Dichter, die gegen Mohammed Spottgedichte verfassten, heißen Ka b EbnAëraf und Nazr Ebn-Häres, sie wurden beide später auf Mohammeds Befehl ermordet. Siehe Soÿä’ad-Din Safa: Pas az hezär-o Cahär sad sal [Geschichte des Is-

aan

m

lam]. [Paris, 2005], Bd. 1, 5. 104 u. 138.

Der Koran; Übersetzung von Rudi Paret. Sure 18, Die Höhle, S. 212. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, 5.23. Ebd. Vgl. Ebd. Siehe Esin Ileri: Goethes West-östlicher Divan als imaginäre Orient-Reise. Sinn und Funktion. Frankfurt a. M. 1982, S. 307. 225

reiner als das Neue sei, hinweist. Er môchte sich auf diese Weise die Kultur des Orients zu eigen machen. Er sieht aber andererseits die schwierige Lage eines Dichters in einer von religiösen Machthabern regierten Gesellschaft und tritt für dessen Freiheit ein. Wie schon erörtert, ist das Gedicht Anklage eine Reaktion der „hochgelahrte(n) Manner"! (hoch- gelehrten Geistlichen) auf Hafis. Was ihre je eigene Auslegung anbelangt, hat Goethe zwei Beispiele von Rechtsgutachten bzw. Urteilen (fetwa} des Muftis (oberster Richter

des Schari at = religiöses Gesetz) angeführt, mit denen er die Lage des Dichters in der islamischen Welt zu erklären versucht. In der islamischen Gerichtsbarkeit spielt die Fetwa, ein Rechtsgutachten bzw. Urteil eines Rechtsgelehrten, eine entscheidende Rolle für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Muslime und für die Festigung der Macht der Religionsführer.

Die erste Fetwa? bezieht sich auf Ebusuud (korrekter Abu Su’ud? ‎‫ اپوسعود‬, gest. 1574), einen Mufti im osmanischen Reich unter Soliman und Selim II., der über Hafis schrieb: Die Gedichte Hafisens enthalten viele ausgemachte

und unum-

stößliche Wahrheiten, aber hie und da finden sich auch Kleinig-

keiten, die wirklich ausser den Gränzen des Gesetzes liegen. Das sicherste ist, diese Verse wohl von einander zu unterscheiden, Schlangengift nicht fiir Theriak anzunehmen, sich nur der reinen Wollust guter Handlungen zu überlassen, und vor jener, welche

ewige Pein nach sich zieht, zu verwahren. Dies schrieb der arme Ebusund, dem Gott seine Sünden verzeihen wolle.°

Bei Hammer findet sich folgende Erklarung: Ein musterhaftes Fetwa, wodurch der weise Mufti seine Ortodoxie

sehr fein aus der Schlinge zog, und zugleich die Erwartungen der

fanatischen Zeloten tauschte, die nur noch mit dem Bannstrahle 1 2

>

3

5

Goethe: West-ôstlicher Divan, Weitz, S. 23. Fetwa (korrekter fatwa) ist das Rechtsgutachten eines muslimischen Rechtsgelehrten, ein auf den Bestimmungen des Scharia (islamischen Gesetzes) begriindetes Urteil, mit dem der religiôse Führer seine Macht ausübt. Entstehung: Dec. 1814.

Dies hat Hammer noch falscher als Ebusund übertragen. Siehe S. 32. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 32.

226

des Scheichulislam! gewaffnet seyn wollten, um über den ganzen Diwan Hafisens und alle seine Bewunderer den Stab der Verdammung zu brechen.? Goethe hat diese Fetwa umgedichtet. Die zweite Ferwa? betrifft Niazi, bekannt als Misri

(1617/18-1699),

einen tiirkischen

Dichter,

tiber den ein

Mufti den Bannspruch verhängte. Die Quelle des Goethe-Gedichts zu Misri und die gegen ihn ausgesprochene Fetwa findet sich in Knebels Brief an Goethe vom 25.1.1815, der diese Erklarung enthält: Misri, ein Türkischer Dichter, kam wegen seiner Gedichte und anderer Ausserungen in den Verdacht, als sei er kein ächter Muselmann. Der Mufti sollte also über seine Verse entscheiden ob sie dem Koran gemäß oder ihm entgegen seien. Er gab folgendes Fetwa: „Die Bedeutung und der Sinn dieser Gedichte ist niemand bekannt,

als Gott und Misri.” Die Gedichte des Misri durften also verkauft werden, aber mit vorgesezter Warnung, welche sich so endigt: „Nachdem der Mufti diese Gedichte und Sätze gelesen hatte, so warf er sie ins Feuer, und gab dieses Fetwa von sich: ‚Wer also redet und glaubet wie Misri Afendi, der soll verbrannt werden; Misri Afendi ausgenommen: denn über diejenigen, die mit der Begeisterung eingenommen sind, kann kein Fetwa ausgesprochen werden.“ * Diese beiden Fetwa-Gedichte über das Verhältnis von Poesie zu religiöser Rechtgläubigkeit zeigen nicht nur die gefährliche Lage eines Dichters in der islamischen Welt, sondern auch Goethes Wunsch nach Toleranz und Freiheit der Poesie. Er begrüßt die kleinste Öffnung in einem Gesetz oder Urteil, durch die der Dichter einer Strafe entkommt. Die erste Fetwa betreffend, in der der Mufti, trotz der „Kleinigkeiten außerhalb der Grenze des Gesetzes” in Hafis’ Dichtung, nicht den Bann über ihn ausspricht, hebt Goethe im Gedicht Der Deutsche dankt? wie folgt hervor:

On

©

Nh

1

Scheich

ol-Eslam:

Hoher

Würdenträger

die höchste geistliche Autorität. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 32.

der islamischen

Glaubensgemeinschaft,

Entstehung: 25.1. und 8.2. 1815. Goethe: West-östlicher Divan. In: Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 2/3, FA, S. 998.

Entstehung: Jena, Dec. 1814.

227

Heiliger Ebusuud, hasts getroffen! Solche Heilge wiinschet sich der Dichter: Denn gerade jene Kleinigkeiten Auferhalb der Grenze des Gesetzes Sind das Erbteil wo er, übermütig,

Selbst im Kummer lustig, sich beweget.

Auch in der zweiten Fetwa bleibt Misri letztlich von der Verbrennung trotz des harten Urteils des Mufti gegen seine Dichtung - verschont. Jede Auslegung der Gesetze, durch die ein Dichter der Strafe entkommt, ist Goethe willkommen. Verbrannt sei jeder, sprach der hohe Richter, Wer spricht und glaubt wie Misri - er allein Sei ausgenommen von des Feuers Pein: Denn Allah gab die Gabe jedem Dichter. Mißbraucht er sie im Wandel seiner Sünden,

So seh er zu mit Gott sich abzufinden.?

In beiden Fällen hat Goethe versucht, das Übertreten des Gesetzes durch den Dichter mit dessen göttlicher Schöpfungsgabe zu rechtfertigen. Er sieht in der von Gott (Allah) gegebenen dichterischen Gabe - oder dem von den Musen eingegebenen Wahnsinn in Platons Phaidros > -, die sogar dem Missbrauch offen gegenüber steht, keine Gotteslästerung, wenn der Dichter die Verletzung des Gesetzes in seiner Weise mit Gott abmacht. Die Verteidigung anerkennt immer die Freiheit des Genies und seine Eigenverantwortlichkeit. Aber die Orthodoxie hält dagegen, die Dichter machten sich ein falsches Weltbild zurecht und hätten dafür die Folgen zu tragen.

‎‫يح‬ W ne

‫مم‬

Auch Hafis erkennt Gott auf seine eigene Weise. Wie bereits im Teil Hafis’ Weltsicht erörtert,? rechtfertigt er seine Auffassung von Schöpfungsgeschichte und Gottesliebe damit, dass ein jeder „nach Maßgabe seiner Fassungskraft, eine Vermutung‘> über das Geheimnis der Liebe zwischen Gott und den Menschen habe. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 24. Ebd. Platon: Phaidros, 245a. In: Goethe; Sämtliche Werke. Bd.3/2, FA, S. 999.

Siehe Kap. 1.3.4. Hafis-Wohlleben, S. 192.

822

Mit Hafis’ „Vermutung“ verhält es sich wie folgt: In Gottes Schöpfungsplan sei der Sündenfall, d.h. das Übertreten der göttlichen Gebote, bereits vorgesehen. Gott plante diesen Eigensinn Adams, um sowohl für die Vertreibung aus dem Paradies als auch zur Übergabe des Unterpfandes der Liebe einen Anlass zu haben. Somit ist Adams Handeln keine Sünde gegen Gott. Was der Mensch an Gutem wie Bösem in sich trägt, ist das Erbe Adams. Wenn Ungehorsam und das Überschreiten gebotener Grenzen auf Gottes Willen beruhen, dann ist der Genuss irdischer Freuden, einschließlich verbotenen Weines, keine Sünde. Da ohne Gottes Willen keinerlei Sünde geschehen kann, vergibt er Fehlverhalten.! Hafis hatte sich in seiner Zeit mit mancherlei Fetwa kritisch befasst. Über die Fetwa eines Rechtsgelehrten hat er sogar in ironischer Weise gedichtet:

Der Rechtsgelehrte? war gestern betrunken und hat eine Fatwa ergehen lassen; nämlich: dass der Wein-(Genuss) verboten, aber besser sei als (der

Verzehr) von Stiftungsgeldern.?

Wenn man hier, in Goethes Fetwa-Gedichten, vorliegende dichterische Interpretation von der Reaktion des Muftis auf den Dichter und dessen Dichtung mit der gegenwärtigen Art des Einsatzes der Fetwa in islamischen Ländern, exemplarisch in Iran, vergleicht, zeigt sich ein anderes Bild:

Der Rechtsgelehrte, der zu einer Fetwa berechtigt ist, heißt im Iran nicht Mufti wie im osmanischen Reich, sondern Moßtahed, was zugleich religiöser Führer (mar£a -ye taqlid = Instanz der Nachahmung) bedeutet. Es gibt nicht nur einen einzigen Moÿtahed für das ganze Land, sondern jede Volksgruppe in den Provinzen hat ihren eigenen, und jeder Moÿtahed hat seine Anhänger. Das heißt, wenn ein Moÿtahed eine Fetwa ausgesprochen hat, bedeutet das noch nicht, dass die gesamte Bevölkerung ihr gehorcht. Dazu bedürfte es der Zustimmung aller Rechtsgelehrten. Normalerweise gibt es unterschiedliche Meinungen und Urteile der ver1

2

3

Mehr dazu s. Kap. 1.3.4.

Hier hat Wohlleben statt „Rechtsgelehrter” ,Schuldirektor” übersetzt (s. S. 103). Im

Original steht: fagih-e madresse, was wörtlich bedeutet „der Rechtsgelehrte der (Religions-)schule”, denn rechtsgelehrte Geistliche leiteten die Religionsschulen. Hafis-Wohlleben, S. 103. 229

schiedenen Rechtsgelehrten, es kann ein Vorteil für einzelne Volksgruppen sein, wenn ein Urteil, das zugleich als ein Befehl und eine religiöse Pflicht gilt, sie nicht betrifft. Was gegenwärtig im Iran als Protestbewegung gegen die Wahlfälschung der politischen Verbündeten Hämeneyi und Ahmadinezäd anschwoll

(Juni 2009), ist ein klares Zeichen dafür, dass es auch heute keine Ein-

stimmigkeit bei den Geistlichen gibt. Als Hämeneyi, der so genannte „Revolutionsführer“ und oberste Rechtsgelehrte, die Demonstrationen gegen die Wahlfälschung verbot und den Militärkräften zur Niederschlagung der „Grünen Bewegung“ freie Hand gab, waren nicht wenige Mo$tahed, darunter Montazeri, gegen Hämeneyis Entscheidung. Sie sprachen ihre eigene Fetwa aus, in der das Verbot der Demonstrationen und die folgenden Straßenschlachten, Verhaftungen und Folterungen verdammt wurden. Montazeri bezeichnete darüber hinaus die brutale Niederschlagung der friedlichen Kundgebungen als haram (unrecht oder unerlaubt nach islamischem Gesetz) und richtete sich damit gegen den Revolutionsführer. Tausende Menschen sind trotz des Verbotes weiter auf die Straße gegangen. Man kann nun diese Befehlsverweigerung gegenüber dem obersten Rechtsgelehrten dem Einfluss der Moderne

zuschreiben, indes

haben ebenso die sich widersprechenden Fetwas der unterschiedlichen Moÿtaheds die Menschen geradezu zum Widerstand ermuntert.

Wie bereits erwähnt, kommentiert Hammer die oben erwähnte Fetwa von Ebusuud mit Bewunderung dafür, dass der Mufti „seine Orthodoxie

sehr fein aus der Schlinge zog.” (s. S. 176). Was Hammer an Weise der Fetwa von Ebusuud bewundert und was Goethe als tolerante Geste in solcher Fetwa zugunsten des Dichters beitet hat, mag für die gegenwärtige Lage im Iran annähernd

der Art und ihm folgend herausgearebenso gel-

ten.

Ebusuud war schlau genug, sich aus der Schlinge der Orthodoxie zu ziehen. Hämeneyi, als gegenwärtiger oberster Rechtsgelehrter im Iran, besitzt nicht die Schläue seines Vorgängers, was fatalerweise weitere Demonstrationen und Straßenschlachten zur Folge hatte. Er hat nicht nur den Willen der Bevölkerung und die politische Lage im Innern und ÄuBern falsch eingeschätzt, sondern - viel wesentlicher - er hat nicht mit

der Reaktion der anderen Moÿtaheds als Konkurrenten gerechnet, bzw. 230

wenn er auch damit gerechnet haben mochte, hat er ihre Wirkung als zu gering erachtet. Vor allem hierdurch hat er seine Autorität und Legitimation als oberster Rechtsgelehrter zum größten Teil eingebüft. 3.1.2 Orthodoxie im Gegensatz zu dichterischer Freiheit Wie sich gezeigt hat, steht das „Buch Hafis” unter dem Leitthema Orthodoxie versus Abweichung, gesellschaftliche Norm versus poetische Freiheit, Formtreue versus freie und selbststandige Anverwandlung. Das Thema spielt aus der fiir Hafis typischen Situation des angefeindeten und verfolgten Dichters hintiber zu der Frage, wie dem Poeten nachzufolgen sei. Auch in Fragen der Anverwandlung der poetischen Form sollen nicht die strengsten Maßstäbe gelten. Jede einseitige Entscheidung für das Eine oder das Andere ist problematisch. Sie macht nur die Orthodoxie, die Frömmler und „Wortgelehrten“! (Offenbar Geheimnis) stark und verlagert die Gewichte zu ihren Gunsten. Aber einen Kompromiss in der Mitte kann es auch nicht geben. Deshalb

ist es besser, von Fall zu Fall zu entscheiden. Solche Lösungs-

möglichkeiten und Auswege haben die erste und zweite Fetwa aufgezeigt. Sie haben der poetischen Freiheit ihren Spielraum zurückgegeben und zugleich den hohen Richtern das Gesicht zu wahren geholfen. Was nun die dichterische Nachfolge angeht, so scheint Goethe bereit, sich als „ein Zwilling“ von Hafis zu verstehen: [...] Lust und Pein

Sei uns, den Zwillingen, gemein! Wie du zu lieben und zu trinken Das soll mein Stolz, mein Leben sein.?

Indem Goethe - wörtlich und bildlich - einen großen Kreis um sich und Hafis schlägt und indem er ihre gemeinsame Mitte darin sieht, dass ihr Lied - „drehend wie das Sterngewölbe” - immer wieder zum Anfang zurückkehrt, beschwört er in hymnischen Worten ihrer beider Gemeinsamkeit Unbegrenzt heißt Goethes uneingeschränktes Lob für Hafis. Am Ende stimmt er sich aufs Neue darin ein, indem er als der Jüngere sich noch einmal selbst anfeuert:

1

Goethe:

2

Ebd., S. 25.

West-östlicher Divan, Weitz. S. 26.

231

Nun tône, Lied, mit eignem Feuer! Denn du bist älter, du bist neuer.! Wie Goethe sich hier einriickt in den ewigen Kreisgang der Natur und der Lieder, legt er doch Wert darauf, dass es „mit eignem Feuer“ geschieht. „Nachbildung“ und nicht Nachahmung oder Nachdichtung sind dann auch die nächsten beiden Lieder übertitelt. Goethe möchte sich in Hafis Dichtungsform und „Reimart“ finden und sogar die sich wiederholenden Wörter des Ghasels am Versende übernehmen: In deine Reimart hoff ich mich zu finden,

Das Wiederholen soll mir auch gefallen,

Erst werd’ ich Sinn, sodann auch Worte finden;? So versucht Goethe an einigen Stellen, die wiederkehrenden Wörter in

der Ghaselform? nachzubilden. Nicht nur in diesem Gedicht nähert er sich der Ghaselform an, auch in anderen Gedichten, wie z. B. der dritten Strophe des Gedichts Einladung im Buch Suleika verwendet er wiederholt das Verb „sein“ am Versende.* Auch das Wort „Trunkenheit“ im Schenkenbuch in der vierten Strophe des Gedichts Schenke spricht bildet die Ghaselform nach.? Das ist auch der Fall im Ghasel auf den Eilfer - erste Fassung aus dem Nachlass, in dem Goethe das Wort Eilfer (eine Weinsorte) in jedem zweiten Verspaar und insgesamt 37-mal wiederholt: Wo man mir Guts erzeigt überall, ‎"‫ و‬ist eine Flasche Eilfer, Am Rhein, am Main und Necker

Man bringt lächlend Eilfer.

[...] Und sie weif nicht, dass du, Hafis, An meiner Statt den Eilfer Ausgeschlurft, ich aus Liebe zu Dir 1 2 3

Ebd. Ebd. Die wiederkehrenden Wörter werden auch in anderen persischen Gedichtformen

4 5

Siehe Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 65. Siehe ebd., S. 95.

verwendet.

232

Seelenlos dalag; das soll nun der Eilfer

[Jo

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Goethe, Hammer folgend, allerdings die in den Ghaselen immer wiederkehrenden Wörter nicht genau verstanden und sie offensichtlich fiir einen individuellen Endreim gehalten hat. Was Hammer bei der Ghaselform nicht beriicksichtigt, ist die Reimregel in einem Ghasel, welche in allen Formen der persischen Poesie Anwendung findet. Wenn ein oder mehrere Wôrter oder Funktionsverben am Schluss der Verse wiederholt werden, muss nach dieser Regel vor diesen immer wiederkehrenden Wôrtern unbedingt ein Reimwort stehen. Deswegen hat das Persische fiir das Reimwort und das wiederkehrende Wort zwei verschiedene Begriffe. Für Reim gibt es das Wort gäfiyeh (46), was dem Reim im Deutschen entspricht. Für das wiederkehrende Wort gibt es dagegen einen anderen Begriff, radif ‎)‫«(ردیف‬ welcher in der eigentlichen Bedeutung jemanden bezeichnet, der hinter dem Reiter auf dem Pferd sitzt oder die Bedeutung eine Reihe hat. In einem Ghasel und in anderen persischen Gedichtformen können eine Reihe von gleichen Wörtern als Ergänzung des Reimwortes hintereinander „sitzen

(wiederholt

werden),

damit

der Klang

der Dichtung

verstärkt

wird. Man darf aber die wiederkehrenden Wörter nicht allein, ohne ein vorhergehendes Reimwort, verwenden. Hammer hat in seiner Übersetzung zwar die Wörter am Schluss der Verse, wie in Hafis Ghaselen, wiederholt, jedoch vor diesen Wörtern kein Reimwort eingeführt. Bei ihm treten die wiederkehrenden Wörter nicht als Ergänzung der Reimwörter, sondern als individuelle Kreuzreime auf, was nicht der Reimregel eines Ghasels entspricht. So wiederholt er z. B. im Ghasel 65 (Buchstabe Ta) das Wort weiß, ohne jegliche Reimwörter oder Reimbuchstaben davor gesetzt zu haben.? Eine richtige Anwendung der Reimform des Ghasels ist dagegen in Gedichten anderer deutscher Dichter wie z.B. Friedrich Rückert? und bei August von Platen zu finden, nämlich in seinen Gedichtbänden Ghaselen (1821) und Neue Ghaselen (1823). Es wird z.B. in einem Ghasel das Wort 1

2 3

Ebd., S. 287f.

Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 138. Siehe auch S. 90 (das wiederkehrende Wort:

Freundin), S. 113 (das wiederkehrende Wort: gebunden), S. 139 (das wiederkehrende Wort: verbrannt) u.a.

Siehe Friedrich Rickert: Oestliche Rosen. Drei Lesen. Leipzig 1822.

233

„nichts“ als letztes Wort des Gedichts wiederholt (als radif), gleichzeitig taucht jedes Mal vor den wiederkehrenden Wôrtern ein Reimwort (qafiyeh) als Kreuzreim auf: Es liegt an eines Menschen Schmerz, an eines Menschen Wunde nichts, Es kehrt an das, was Kranke quält, sich ewig der Gesunde nichts! Und ware nicht das Leben kurz, das stets der Mensch vom Menschen erbt, So gab’s Beklagenswerteres auf diesem weiten Runde nichts! Einförmig stellt Natur sich her, doch tausendförmig ist ihr Tod, Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner letzten Stunde nichts;! In diesem Ghasel, aus dem ich nur drei von sieben Verspaaren angeführt habe, reimen sich, nach der Ghaselregel, der erste und zweite Halbvers (Wunde / Gesunde), und alle geraden Verse haben den gleichen Reim (Runde, Stunde, Schlunde, Munde, Kunde, Grunde), der vor dem immer

wiederkehrenden Wort (nichts) steht. Die ungeraden nicht unbedingt gereimt sein.

Verse miissen

Immerhin hat Goethe eine deutliche Ahnung davon gehabt, wie schwierig es ist, die Ghaselform in deutscher Sprache anzuwenden. Denn auch was dem Klange nach gleichförmig wiederkehrt, verlangt jedesmal den

„besonderen Sinn“, den abzuwandeln sich auch Goethe vornimmt. Frei-

lich muss er anerkennen, dass ihm Hafis darin überlegen sei: „Wie du’s vermagst, Begünstigter vor allen!“? Hier an dieser Stelle, wo Hafis den Wettstreit zwischen Reimwieder-

holung und Sinnabwandlung schon für sich entschieden zu haben scheint, führt Goethe ein merkwürdiges Bild ein. Wie ein schon fast erloschener Funke, so entzündet sich an Hafis ein „deutsches Herz’? von neuem.

Merkwürdig

ist dieses Bild deshalb, weil es auf den Brand von

Moskau im September 1812 anspielt, dem Wendepunkt von Napoleons Russlandfeldzug, der überhaupt die Wende für die Napoleonische Herr1 2

3

August Graf von Platen: Gedichte. Hrsg. von Friedrich Mauer. Berlin 1947, S. 36. Hervorhebung von mir. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 25.

Ebd., S. 26.

234

schaft über Europa herbeiführte. Von dort ging besonders auch für „ein deutsches Herz“ die Erneuerung aus. Zwar nur ein Funke, aber folgenreich genug, einen Brand zu entzünden, der die Welt veränderte. Es ist eine von den Stellen, wo Hafis und die Hinwendung zum Osten zusammengesehen werden mit dem Aufruhr der sich wandelnden Weltordnung. Hief es im vorigen Gedicht noch: „Und mag die ganze Welt versinken” - so gilt es jetzt, das Neue zu ergreifen: „von frischem zu ermuten. | Darauf ist auch das folgende Gedicht bezogen, das sich als siebenzeilige Strophe von den vorigen abhebt, nur dass es diesmal wieder um die dichterische Form im engeren Sinne geht. Die Rede ist davon, dass ,zugemessene

Rhythmen”?

zwar das Talent

zur Nachahmung

reizen, aber

nur allzu schnell zu maskenhafter Formerstarrung führen. Es ist der „Geist“, der „jener toten Form ein Ende macht” und - „auf neue Form bedacht“? - sich dem künftigen Leben öffnet. Gerade so wie es schon das Motto? des ganzen Buches ausspricht: Sei das Wort die Braut genannt, Bräutigam der Geist; Diese Hochzeit hat genannt wer Hafisen preist.°

Die Quelle dieses Mottos zu Anfang des Hafisnameh, das zunächst von Goethe als Motto für den gesamten Divan gedacht war,® findet sich in den folgenden Versen von Hafis: Keiner hat noch Gedanken Wie Hafis entschleiert, Seit die Locken der Wortbraut

Sind gekräuselt worden.’

OO

On



WN

‎‫نمم‬

Bei Hammer

7

liest man einen Kommentar

dazu:

Ebd. Ebd. Ebd. Entstehung: 14.12. 1814. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz... S. 22. In einem nicht abgesandten Brief an Cotta am 16.5.1815. Siehe Goethe: Napoleonische Zeit. Hrsg. von Rose Unterberger. In: Goethe; Sämtliche Werke. Band 7, FA, 5. 1f.

Hammers Hafis-Übersetzung, S. 361. 532

Von Wort zu Wort: Niemand hat noch, wie Hafis, den Schleier von den Wangen der Gedanken weggezogen, seitdem man die Spitzen der Locken der Bräute des Wortes gekämmt hat. Die Haarkräuslerin spielt in der asiatischen Bildersprache eine große Rolle; ihres Amtes ist es, die junge Braut zu kämmen, zu baden, zu kleiden, zu salben, und

so mit erhöhten

gams zuzuführen.!

Reizen

den Umarmungen

des Bräuti-

Verjüngung und Erneuerung gehen nur aus der geistvollen Abwandlung vorgefundener Formen hervor. Darin ist Hafis ein Meister, aber Goethe nicht weniger, der, sich Hafis anschließend, dafür Probe auf Probe gibt. Zwar möchte diese Strophe auch als Goethes Abrechnung mit der klassizistischen Form gelesen werden, die ihm, gerade in der Divan-Zeit, als nicht mehr wiederzubeleben erschien. Aber hier muss der Weg zur erneuerbaren Form genügen, der freilich die griechische Metrik miteinbezieht, weil ausdrücklich die für sie typische „zugemessene Rhythmen”? genannt werden. 3.1.3 Die oxymorontische Wendung Offenbar Geheimnis und die mystische Zunge „Offenbar Geheimnis"? ist ein paradox anmutender Lieblingsausdruck des späten Goethe. Wenn er ihn schließlich als Titel für das nachfolgende Gedicht wählt, spricht er damit seine besondere Verbundenheit mit

Hafis aus. „Offenbar Geheimnis“ zeigt uns einen weiteren Lösungsweg in

der Auseinandersetzung mit der Orthodoxie. Hafis wird „die mystische Zunge“? genannt. Mystische Zunge ist Hammers freie Übersetzung von Hafis’ anderem

Beinamen

Lesän

al-geyb

‎)‫(لسان‌الفیب‬. Das ist eine arabische Wortverbin-

‎‫ده‬ WW ne

=

dung, die wörtlich „Zunge des Unsichtbaren” mit der Konnotation „Zunge/Sprache des göttlichen Geheimnisses“ bedeutet. Dieser Beiname wird von denjenigen für Hafis verwendet,’ die seine Darstellung des irdischen Ebd. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 26. Entstehung: Jena, 10. Dezember 1814. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 26. Manche Hafıs-Forscher meinen, dieser Begriff sei kein Beiname für Hafis, sondern für seinen Diwan. 5. Hafis; Diwan-e Hafez. Hrsg. von Hanlari, a.a.O., 2. Band, S. 1149.

632

Genusses als Allegorie für übersinnlichen geistigen Rausch deuten. Dies versucht Hammer in seiner Vorrede zu verdeutlichen. Er hat aus drei Hafis-Kommentaren der türkisch- und bosnischen Kommentatoren Schemii,

Sururi und Sudi, den Letzteren für seine Übersetzung ausgewahlt, weil die anderen Kommentatoren nur mystische Deutungen hineingetragen haben. Sudi jedoch hat nicht überall nur allegorischen Sinn aufgefunden, was sich Hammers Verständnis von Hafis annähert. Wenn

Sudi z. B. ,in

den glanzenden Schilderungen des Lichtes geliebter Augen keine Spuren von Phaosophie“ entdeckte, schienen dem Übersetzer (Hammer) „die meisten ähnlichen Stellen so wenig mystisch, ja vielmehr so ganz anakreontisch oder katullisch, daß er ähnliche Parallelstellen aus griechischen und lateinischen Dichtern [...] immer mit anzuführen für ersprief-

lich hielt;“! Er schreibt, dass dieser Begriff von orthodoxen Muslimen verwendet wurde, die Hafis nach seinem Tode so interpretiert sehen wollten.? Hammer hat den Beinamen „mystische Zunge” für Hafis aus zwei persischen Büchern, nämlich aus einem über Mystiker verfassten Buch, dem Tabagät-e Siyuh (Klassen der Scheichs), und einer Anthologie persischer Dichtung, Maÿäles al- Ossäq (Zusammenkünfte der Liebenden) übernommen.? Wenn Goethe von den „Wortgelehrten” spricht, die Hafis

mystische Zunge genannt haben, weil sie „den Wert des Worts nicht er-

kannten,? sind die Verfasser dieser persischen Bücher gemeint. Goethe hat die allegorische Interpretation von Rechtgläubigen auch aus den Bemerkungen Eichhorns, des Herausgebers von Jones’ Poesis Asiatica übernommen, welche nach Trunz’ Übersetzung aus dem Lateinischen ins Deutsche lautet: „Mit Leichtigkeit entkam er [Hafis] sogar der Mißgunst der Nachwelt, indem seine Interpreten, besessen von mystischen Ungereimtheiten, seine weitläufigen Gedichte von Wein und Liebe in allegorischem und spirituellem Sinn ‎‫دم‬ Die Wortgelehrten wollen unter „mystischer Zunge“ nur verstehen,

was ihrem orthodoxen Koran-Verständnis entspricht. Alle Lobpreisungen irdischer Freuden seien so gemeint, dass sie die Vereinigung mit dem 1 2

Hammers Hafis-Übersetzung, S. 11. Dieser Begriff wurde tatsächlich viel später, zwischen Ende des 15. Jahrhunderts

3

Siehe Ebd., S. 17.

5

Goethe: Sämtliche Werke. Band 3 2. FA. S. 1013.

und Anfang des 16. Jahrhunderts, etwa 150 Jahre nach Hafis Tod, verwendet. Vgl. Hafis; Diwan-e Hafez. Hrsg. von Hanlari, a.a.O., 2. Band, 5. 1148f. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz. S. 26.

237

höchsten Gott bedeuten. Um die orthodoxe Auslegung des Koran bestätigt zu finden, wollen sie „Wein, Weib und Gesang“ rein mystisch verstanden wissen. Aber Hafis sei ,mystisch rein”. Goethe spielt hier als ein Magier der Sprache mit einer einfachen Wortumstellung, die den Sinn ins Gegenteil verkehrt. Als ein Spiel mit Worten ist das Hafis’ würdig, der selbst immer wieder den Kopf aus der Schlinge gezogen hat, indem er sich der Mehrdeutigkeit der Sprache bedient und auf diesem Weg der Verurteilung entzogen hat. Der raffinierte, kunstvolle und gelegentlich schlitzohrige Umgang mit der Sprache ist eine Waffe des Dichters, die ihn vor Nachstellungen bewahren soll. Diese aus eigener Machtvollkommenheit geschöpfte Souveränität und Überlegenheit bewundert Goethe und macht ihn zum engagierten Mitstreiter. Dagegen ist abzugrenzen, wofür sich Goethe an der Seite von 5 stark macht. Denn durchaus möchte Goethe im Sinne irdischer Diesseitigkeit darauf bestehen, dass der von Hafis vielfach besungene Sinnengenuss auch gerade so aufzufassen sei. Das entspräche seiner allem Sinnlichen aufgeschlossenen Lebensart, wie sie Goethe auch mit direktem Bezug auf Hafis in dem Gedicht „Unbegrenzt”! ausspricht: Wie du zu lieben und zu trinken

Das soll mein Stolz, mein Leben sein.? Nun haben wir aber bereits gesehen,? dass es bei Hafis nicht durchweg in

einem Sinne zu verstehen sei und dass er oft genug auf die Vereinigung des Mystikers mit Gott anspielt, wenn er auch in seinen späteren Lebensabschnitten als Aref eher den sinnlichen Freuden zugetan ist und „Schenke“ und „Wein“ auch dafür stehen, was sie im weltlichen Leben sind.

Hier übertreibt für Hafis. Dagegen Hafis in Anspruch weitere Bedeutung, Schutz nimmt:

Goethe mit seiner sehr persönlichen Begeisterung gibt Goethe im Verlauf der letzten Strophe dem für genommenen Lob, er sei „mystisch rein“ noch eine die den persischen Dichter gegen die Orthodoxie in

m

W

NN

‎‫سر‬

Der du, ohne fromm zu sein, selig bist! Das wollen sie dir nicht zugestehn.? Entstehung: 30. Mai 1815. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 25. s. Kap. 1.3.4. Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 26.

832

Goethe reißt hier - was immer richtig ist - noch einmal den Graben auf zwischen den Frömmlern und „Wortgelehrten” und demjenigen, der „selig", weil „mystisch rein” ist, was hier auch die Bedeutung hat: der irdischen Gerichtsbarkeit überhoben. Aber damit hat es noch nicht sein Bewenden. Goethe schließt in dem nachfolgenden Gedicht sogleich damit an, dass es sich ja „von selbst“ verstehe, dass ein Wort nicht nur eine Bedeutung habe. Das soll ein „Wink“! an alle Leser sein, heute würden wir sagen: ein Wink mit dem Zaunpfahl - ein überdeutlicher Hinweis darauf, dass auch „mystisch rein nicht bloß in einem Sinne zu verstehen sei. Das darauf folgende Bild, das das Wort mit einem Fächer vergleicht, hinter dem sich das schöne Mädchen verbirgt wie auch sehen lässt, öffnet das dichterische Wort wieder vielen Bedeutungen. Ja, es treibt sein Spiel damit - ganz im Sinne jener Mehrdeutigkeit, die Goethe auch für sich als vorbildlich anerkennt und mit der Hafis außerordentlich reizen, provozieren und sich seiner Gegner erwehren konnte.

3.1.4 An Hafis von 1818 In dem letzten Gedicht „An Hafis”? zeigt uns Goethe die Verbundenheit

des Dichters mit seinem Volk. Er weiß und spricht aus, wonach sich alle sehnen und leiht ihm seine Stimme: Was alle wollen weißt du schon und hast es wohl verstanden:3

md

W

RD

‎‫مم‬

Die ihr die das

allen gemeinsame Sehnsucht, der Dichter Ausdruck und Worte gegeben. Im Bild der sich zu entziehen und in Natur aufzulösen Auge des Verliebten, der gar nicht anders

kennt sie schon und hat „wandelnde(n) Zypresse",4 scheint, fesselt die Schöne kann als seiner Begeiste-

Entstehung: Zwischen 10. und 12. Dezember 1814. Entstehung: Karlsbad, 11. September 1818. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 27.

Hafis hat diese Wortverbindung (wandelnde Zypresse) 9-Mal verwendet (Persisch: sarw-e haraämän oder caman). Hammer spricht in der Geschichte der schönen Redekunst Persiens von der „Cypresse, in deren schwankender Bewegung der Liebende nur den anmuthsvollen

Gang

und den Wuchs

seiner Geliebten sieht.“ Ham-

mer-Purgstall: Geschichte der schönen Redekünste Persiens, mit einer Blüthenlese aus zwey hundert persischen Dichtern. Wien 1818, 5.26. 932

rung mit eben diesem Bild Ausdruck zu verleihen und dafür den Meister - Hafis - als Vorsänger um Verzeihung bittet: Verzeihe, Meister _wie du weißt Daß ich mich oft vermesse -,

]...[ 1

Es folgt sodann eine Reihe von Bildern, mit denen die persische Lyrik und insbesondere Hafis die Geliebte besingt: die sich kräuselnden Locken, Gruß und Gerüche wie Wind und Wolken, die Stirn als Glättestein.? Dabei zeigt Goethe beispielhaft, wie solche Topoi wieder mit Leben zu erfüllen sind: Das faltenlose Gesicht der Schönen glättet auch die Stirn des werbenden Sängers, der so frei ist, dass ihm ein Lied über die Lippen kommt, mit dem er sich an sie bindet. Die Lippen: Sie machen dich auf einmal frei

In Fesseln dich zu legen.?

Wenn daraufhin das Verlangen „allgewaltig brennt“,? greift Hafis nach dem Becher mit Wein - einem Bild, das der werbende Sänger seinerseits um so lieber aufgreift, als er selbst in die Rolle des „Schenken“ schlüpfen kann, der neuen Wein herbeischafft, um aus der sich daran entzünden-

den Leidenschaft seine eigenen Lehren zu ziehen: Er hofft auf deine Lehren, Dich, wenn der Wein den Geist erhebt, Im höchsten Sinn zu hören.

In diesem Spiel mit wechselnden Rollen zeigt Goethe, wie die Bilderwelt von Hafis ,nachzubilden“ und „wiederzubeleben” sei. Er setzt sie wieder

neu in Szene und lässt daraus eine Handlung folgen, an deren Ende steht,

a

‎‫سنس‬

À

W

DD

‎‫سس‬

dass der von Hafis Begeisterte, also auch Goethe, wieder zum Jüngling wird: „Er ist ein Jüngling worden.” ®

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 27. Hafis: „Da deiner Liebe Stein / Des Herzens Formen glättet, / So ist es spiegelrein / Von allem Unglücksroste.“ Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 561. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 28. Ebd. Ebd. Ebd.

240

Sollte aber die Verjüngung noch nicht Lohn schließt sich Hafis auch und ebenso „dem Denker’: Und Was Dem Daß

genug

sein, so er-

wenn dir kein Geheimnis blieb Herz und Welt enthalte, Denker winkst du treu und lieb, sich die Stirn entfalte.!

Bezeichnend ist, dass Hafis in seiner Doppelsinnigkeit erfasst wird: Er macht sinnlich und besinnlich, er bedient Jung und Alt. Auf diesen Doppelsinn spielt auch die vorletzte Strophe an: Gibst du dem Schah ein gutes Wort Und gibst es dem Vesire.? Denn es muss nicht dasselbe Wort sein, sondern ebenso gut jedem das Seine, was dann auf das Spiel und Doppelspiel mit Worten zu beziehen wäre - eine Geschicklichkeit, die keinen so wie Hafis auszeichnet und die ihn in einem Land mit übermächtiger Orthodoxie bis heute gleichbleibend populär macht. Das alles kennst und singst du heut Und singst es morgen eben: So trägt uns freundlich dein Geleit Durchs rauhe, milde Leben.’ Natürlich kann Goethe nicht in einem islamischen Land zum Alkoholgenuss aufrufen. Aber er kann zeigen, wie die von Hafis immer wieder besungene Triade von Lieben, Singen und Trinken zu verstehen sei und wo sie ihren Platz im Leben und ihren Ort in der poetischen Welt der Dichtung hat. Da er sich der Doppelsinnigkeit der geistigen Getränke, wie es auch im Deutschen heißt, im Sinne der den Geist erhebenden Getränke,

durchaus bewusst ist, besteht nicht die Gefahr, die religiöse und auch mystische Bedeutung ganz auszublenden. Aber es ist doch nicht zu übersehen, dass Goethe für das Bild des Weines, für Singen und Trinken eher einen Anschluss an den natürlichen Kreislauf des Lebens sucht, im Sinne von Verjüngung und einer die Zunge lösenden Begeisterung.

1 2 3

Ebd. Ebd. Ebd.

241

Goethe war nicht in derselben Position wie Hafis, der mit einer Fetwa bedroht wurde, weil er die Grenzen des Schicklichen überschritten hatte. Goethe wurde für seine Dichtung nicht verfolgt. Obwohl als antikisierender Heide und Pantheist verunglimpft, musste er sich fiir tibertriebene Freizügigkeit, wie z.B. in den Römischen Elegien, nicht öffentlich verteidigen. Er war vielleicht durch die wissenschaftliche Außenseiterrolle, in die er sich mit seiner Farbenlehre hineingeschrieben hatte, und nach dem mäßigen Erfolg mit den Wahlverwandtschaften und seiner Adaption griechischer Formen und Mythen, wie in Pandora und zuletzt im Epimenides Erwachen, davon bedroht, sein Publikum zu verlieren. Die immer deutlicher hervortretenden Anfeindungen von Seiten der Jungdeutschen ließen ihn die breitenwirksamen Anfangserfolge der frühen Jahre vergessen. Von der Romantik, die ihm allein durch die Figur der Mignon so viel zu verdanken hatte, fühlte er sich nicht verstanden. Dazu kommt noch die lebensweltliche Enge von Weimar, aus der er mit Reisen erst in den Jahren des Divan wieder auszubrechen versucht.

Seiner imponierenden Lebensbahn zum Trotz muss sich Goethe als Mittsechziger in einer Situation wiedergefunden haben, aus der ihm nur ein Hafis heraushelfen konnte - einer, der seine durchaus nationale Beliebtheit über die Jahrhunderte

bewahrt

hatte; einer, der sich trotzdem

nicht zum Parteigänger der herrschenden Orthodoxie gemacht hatte, einer der dem irdisch diesseitigen Leben offenkundig zugetan war und dafür eine Sprache gefunden hat, die ihn trotz provozierender Doppelsinnigkeit immer gerade auf der Seite zu stehen brachte, auf der ihm - Hafis - nicht beizukommen war.

3.2 Moganni Nameh (Buch des Sängers) Der Titel dieses goetheschen Zyklus’ lehnt sich an einen Gedicht-Titel von Hafis an.! Das Wort name, das im Persischen „Brief, Urkunde“ bedeutet, wurde auch (bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts) überwiegend im

Sinne von „Werk“, „Einzelgedicht“ oder „Beschreibung“ (auch von Lebenslauf) verwendet. Das Wort moganni (Musikant) ist im gegenwärtigen persischen Sprache nicht mehr gebräuchlich.

1

Siehe Hammers Hafis-Übersetzung, 5. 879- 883.

242

In diesem Zyklus hat Goethe Hafis in 17 Gedichten siebenmal namentlich erwähnt und mehrmals von Hafis verwendete Elemente und Inhalte ohne Nennung von dessen Namen übernommen oder umgedichtet. 3.2.1 Flucht aus der Zeit: Das Gedicht hegire' Die islamische Zeitrechnung beginnt im Jahre 621 mit Mohammeds Flucht aus Mekka nach Medina, der Begriff Hedschra hierfür bedeutet Emigration /Auswanderung. Das hier verwendete Wort hegire ist die französische Schreibweise des arabischen Wortes heÿra (3 x»).

Goethe versuchte die Vorgänge zu verstehen und im Januar 1815 formulierte er: ,man flüchtete aus der Zeit in ferne Jahrhunderte und Gegenden, wo man sich etwa Paradiesähnliches erwartet.” Einen Monat später

am 8.2. 1815 ist Goethe froh über seinem Entschluss zur hegire: „[...] denn ich bin dadurch der Zeit und dem lieben Mittel-Europa entrückt, welches für eine große Gunst des Himmels anzusehen ist, die nicht einem jeden widerfährt."? Es sei kurz ins Gedächtnis gerufen, dass zu der Zeit als Goethe sich Hafis zuwandte, Europa durch die Napoleonischen Kriege erschöpft war. Mit der Völkerschlacht bei Leipzig (16.-19.10. 1813) war die napoleonische Ordnung Europas zusammengebrochen. Die Dominanz des Politischen im Zuge der Befreiungskriege beförderte den deutschen Patriotismus und den aufkommenden Nationalismus, der sich auch in der Literatur zu Wort meldete, wobei Goethe eine ablehnende Position einnahm. Der Zeitgeist hatte ihn überholt und forderte von ihm Anpassung, doch er wollte sich widersetzen. Goethe wünschte über die engen Grenzen des politischen Streits hinauszuwachsen. Er flüchtete zu einer fernen, exotischen Inspirationsquelle, um sich zu erneuern. Diesen Sehnsuchtsort fand er im „reinen Os-

ten’. Im einleitenden Gedicht hegire beschreibt er das nach den Napoleonischen Kriegen chaotische, zersplitterte Europa. Von hier flieht er ins entrückte Morgenland, in dem er wie Hafis die irdischen Freuden genießen, in Frieden leben und sich verjüngen will:

1

Entstanden in Weimar,

2

Goethe:

24. Dezember

1814.

West-östlicher Divan. In: Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 883f.

243

Nord und West und Süd zersplittern,

Throne bersten, Reiche zittern, Flüchte du, im reinen Osten Patriarchenluft zu kosten;

Unter Lieben, Trinken, Singen Soll dich Chisers Quell verjüngen.!

Goethes imaginäre Reise in den Orient war nicht nur durch die Zerschlagung Europas, nicht nur durch den sich zuspitzenden patriotischen Meinungsstreit in Deutschland bedingt und auch keineswegs der allgemeinen modischen Hinwendung zum Orient geschuldet. Er wollte auch dem Leben in Weimar entfliehen. Die Erkenntnis, keine führende Rolle mehr in der Literatur zu spielen, nicht mehr verstanden zu werden, krankte ihn. Die anmaßende Polemik der Jungdeutschen gegen seine, von ihm nicht beanspruchte Rolle als Nationaldichter, ließ ihn sich fremd im eigenen Land fühlen. Er wollte, so wie Hafis es für die Perser ist, zeitlos und

zeitübergreifend populär sein. Im Gedicht hegire, als Proömiumsgedicht des Divan, zieht es Goethe also im Geiste als Reisenden und als Kaufmann in den Orient. In der Einleitung der Noten schreibt Goethe, er wünsche nicht nur als ein „Reisen-

der angesehen zu werden“, er übernimmt auch „die Rolle eines Handels-

manns."? So versucht er von Anfang an als ein westlicher Handelsmann

einen geistigen Handel, ein poetisch-kulturelles Gespräch zu betreiben. Auf seiner Reise hat er Hafis als Sänger zum Begleiter. Goethe sucht in Hafis den Vermittler, den exemplarisch orientalischen geistigen Handelsmann, der nicht nur die Räuber abschrecken, sondern auch in der Liebe zu helfen und sogar die Tür zum Paradiese zu öffnen vermag: Bösen Felsweg auf und nieder

Trösten, Hafis, deine Lieder, Wenn der Führer mit Entzücken Von des Maultiers hohem Rücken

Singt, die Sterne zu erwecken

Und die Räuber zu erschrecken.?

5

1 2 3

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 9. Ebd.,S. 127f. Hier ist wahrscheinlich gemeint, dass die Reisenden laut singen, um sich Mut machen und Räuber abzuschrecken.

244

Wisset nur, dass Dichterworte Um des Paradieses Pforte Immer leise klopfend schweben, Sich erbittend ewges Leben.! In dieser Strophe ist der Erzähler nach Persien gelangt. Wir erfahren dies durch die erstmalige Nennung des persischen Dichters Hafis, der dort einem Heiligen gleich verehrt wird. Hafis’ Popularität bei den Persern und die Tatsache, dass man seine Lieder überall und jederzeit, sogar auf Reisen, rezitiert oder singt, hat Goethe im Anschluss an Warings Reise nach Sheeraz beschrieben: Einige der Bedienten wissen gewöhnlich viele Oden von Hafiz und Sadee zu singen, oder vielmehr zu trällern; auf jeden Fall sollte der Reisende suchen, einen wenigstens dazu zu erhalten, indem auf diese Weise das Einthönige eines langen Weges bei Nacht etwas gemindert wird.? Diese Popularität, die Goethe auch für sich selbst wünschenswert schien, ist im gegenwärtigen Iran nach wie vor ungebrochen, und die Perser verehren den Diwan, neben dem Koran, wie ein heiliges Buch, und befragen seine Gedichte als eine Art Orakel.’ In der sechsten Strophe von hegire taucht Hafis, diesmal mit dem Zusatz „Heilger” auf. In den Goethe-Strophen wird Hafis wieder mit dem Trinken von Wein („Schenke“), mit einer Liebesbeziehung zur Geliebten („Liebchen“) und mit Liebesgedichten oder Singen („Liebeflüstern” des Dichters) in Verbindung gebracht. Auch bekommen die Bäder eine erotische Bedeutung. Seine Kenntnisse von persischen Bädern hat Goethe aus Waring bezogen, der schrieb:

Die Bäder sind in Persien sehr schön. [...] Sie sind im gemeinen 1

2

3

Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 10.

Eduard Scott Waring: Reise nach Sheeraz. Bd. I, S. 20. In: Goethe; Sämtliche Werke.

Bd. 3/2, FA, S. 891. Der vollständige Titel des Reiseberichts von Edward Scott Waring ist: Reise nach Sheeraz auf dem Wege von Kazroon und Feerozabad.

Es gibt etliche Geschichten über Hafis Ghaselen als hilfreiches Orakel; s. Eduard

G. Brown:

A Literary History of Persia.

1502). Cambridge 1969, S. 315ff.

Volume III: The Tartar Dominion

(1265-

245

Gebrauch für jede Art Leute, und gewähren oft den unverheirateten Mannespersonen, die sie häufig besuchen, viel Vergniigen. ! Tabelle 1 Gocthe; West-ôstlicher Divan

Hammers

Will in Bädern und in Schenken. Heilger Hafis, dein gedenken: Wenn den Schleier Liebchen lüftet, Schüttelnd Ambralocken düflet. Ja des Dichters Liebeflüstern

»Komm. 0 Schenke, denn die Freundinn Hat gelüftet ihren Schleier, Und die Lampe der Geliebten,

Mache selbst die Huris lüstern.

(S. 10)

Hafis-

Übersetzung (1812-13):

(Januar 1815):

Hat ein neuer Glanz

ergriffen.

Wer, Hafis, hat so besondre Zauberworte dich gelernt” Statt des Amulctes hat die Freundinn dein Gedicht ereriffen” (S. 144)

Wohllebens

Hafis-

Übersetzung (2004):

.Komm, Schenke. der Freund hat den Schleier vom Gesicht gehoben, das Amt, den Klausnem zu Leuchten. hat er wieder aufgenommen. © Hafis, von wem hast du dieses Gebet gelemt, dass (sogar) das Schicksal zum Amulett dein Lied macht und es in Gold fasst‘ (S. 151)

Original

‫ساقی بیا که يار پرده ز رخ برگرفت‬

‫کار چراغ خلوتیان باز در كرفت‬

‫حافظ نو اين دعاز که اموختی که بخت‬

‫ تراو بهزر كرفت‬. ‫تعویذ کرد شعر‬ (Ghasel 86, 5. 188)‫‏‬

Deshalb konnte Hammer über Hafis schreiben, dass er „[...] die Schenken

und Hauser wüster Lust [preiset]." 2 Tatsächlich waren zu Hafis’ Zeiten die Bäder der Ort, an dem sich Homosexuelle treffen konnten.? ‘Obeyd Zäkäni, ein bekannter Satiriker dieser Zeit, nannte den Bademeister 1 2 3

246

(al-hammami) Steuereinnehmer des

Waring: Reise nach Sheeraz. Bd. 1, 79f. In: Goethe; Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 891f. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 36. Siehe Sirus Samisa: Sähed-bäzi dar adabiät-e farsi [Männliche Homosexualität in persischer Literatur], Teheran 2003, S. 181.

Geschlechtsverkehrs,! und in der persischen Dichtung tauchen auch homoerotische Szenen in Bädern auf.” Man muss in diesem Zusammenhang in Betracht ziehen, dass in den öffentlichen Bädern Persiens Geschlechtertrennung herrschte, und so leisteten nur Männer dort einander Gesellschaft. Goethe hat Hafis nicht ohne ironischen Unterton „heilig“ genannt, als er von Weintrinken, Liebesgeflüster und Bädern schrieb, wohl wissend, dass er damit eine Provokation aussprach, zu der er selbst noch

eine Einstellung finden musste.

Redet Hafıs selbst aber hier (s. Tabelle 1) von Wein oder Liebe, hat das

auch eine zusätzliche Bedeutung. Der Halbvers „Wenn den Schleier Liebchen lüftet“, bezieht sich auf einen Hafis-Vers nach Hammers Übersetzung: Komm, o Schenke, denn die Freundinn Hat gelüftet ihren Schleier, Und die Lampe der Geliebten, Hat ein neuer Glanz ergriffen.’ Das in diesen zwei Verspaaren Beschriebene fasst Hammer als eine normale irdische Geschlechtsbeziehung auf. Gleichermaßen haben sämtliche Kommentatoren die Verse auf die irdische Liebe bezogen. Hendrik Birus und andere kommentierten, dass die Verszeilen zeigen, („topisch bei Hafis"), wie Hafis das islamische Verschleierungsgebot für Frauen durchbrechen wolle,? übrigens ebenso wie das Alkoholverbot, was Michael Knaupp zufolge ein sich häufig wiederholendes Motiv bei Hafis 56.3 - Es handelt sich jedoch im Ganzen eher um ein mystisches Gedicht. Die „Durchbrechung des Verschleierungsgebots” ist keinesfalls ein feststehendes Motiv bei Hafis; kein klassischer persischer Dichter war je gegen die Verschleierung der Frauen. Sowohl für Hafis als auch für die 1

‘Obeyd Zakani: Koliyat-e Obeyd Zäkani. Hrsg. von Parwiz Atabaki. Teheran 1964,

2

S. 317. Siehe Gamal Halil Servani: Nozhat al-Ossaq [Amüsement der Geliebten]. Hrsg.

3 4

Hafis-Wohlleben, 5. 144, s. Tabelle 1. Siehe Goethe: West-östlicher Divan. Sämtliche Werke. Hrsg. von Henrik Birus. Bd.

5

von Mohammad Amin Riyähi. Teheran 1987, S. 485.

3/2. FA, S. 892.

Goethe: West-östlicher Divan. Hrsg. von Michael Knaupp. Reclam, Stuttgart 2000, S.

270.

247

anderen Dichter und Denker war eine Entschleierung unvorstellbar. In einer patriarchalischen Gesellschaft nach islamischer Auffassung betrachten die Männer die Frauen als ihr Eigentum, die Frauen haben die Kinder zu gebären und den Männern Genuss zu bereiten. Eine Frau darf sich nicht unbedeckt zeigen, denn außer ihrem Mann soll kein anderer in den Genuss ihrer äußeren Erscheinung kommen. Wenn also bei Hafis vom

„Heben des Schleiers“, oder - nach Hammers

Übersetzung

- vom

„Lüften des Schleiers’ die Rede ist, so ist entweder ein intimes Zusammensein mit der oder dem Geliebten gemeint, oder wir haben es, wie es häufig der Fall ist, mit einer mystischen Bedeutung zu tun. Ebenso wie beim oben genannten Vers: Komm, o Schenke... In diesem Ghasel (s. die Tabelle

1) spricht nun alles für die mysti-

sche Deutung. Das Wort yar, von Hammer mit „Freundin” übersetzt,! bedeutet hier, wie in anderen mystischen Gedichten, „Freund“. Das Wort „Freund“ steht aus mystischer Sicht für Gott oder den mystischen Pfadführer, wobei hier, im Kontext des gesamten Gedichts, der Pfadführer ge-

meint ist. Das Wort parde, das „Vorhang“ bedeutet und als „Schleier“ ins Deutsche übersetzt worden ist, hat die Konnotation „Hindernis, hemmend” (wie auch ,Geheimnis”), was in mystischer Poesie als Hemmnis zwischen dem Mystiker und Gott oder als Geheimnis der mystischen Welt verstanden wird. Der „Leib“ ist bei Mystikern das Gefängnis der Seele, und ein Hindernis (Schleier oder Vorhang), das die Vereinigung mit Gott verhindert. Der größte Wunsch eines Mystikers ist es, sich vom Leib, der mit „Staub“ gleichgesetzt wird, zu befreien (den Schleier abzuwerfen), damit die Seele sich mit dem göttlichen Ursprung vereinigen kann. Dies wird am folgenden Hafis-Vers deutlich: Zum Schleier vorm Antlitz der Seele wird der Staub meines Leibes;

wie herrlich der Augenblick, da vom Antlitz den Schleier ich werfe.?

Auch hier hat das Abwerfen des Schleiers nichts mit dem Schleier der irdischen Geliebten oder mit der „Durchbrechung des islamischen Verschleierungsgebots” für Frauen zu tun. Diese Art der Entschleierung mit 1

2

Hammer

hat auch

in anderen

Stellen das Wort

Yär „Freundin“

mers Hafis-Übersetzung, S. 79, 88, 90, 91, 92, 144 u.a. Hafis-Wohlleben, S. 436.

248

übersetzt.

s. Ha-

mystischer Bedeutung ist mehr als fünfzig Mal in Hafis’ Diwan zu finden, wie z. B. in folgendem Gedicht, in dem die Einswerdung mit dem gôttlichen Ursprung mit dem Herabfallen des Schleiers gleichgesetzt wird. Hafis spricht über die Geschichte der Trennung, die er mit der Nacht vergleicht, und spielt damit auf die urspriingliche Trennung Adams von Gott an: Die Geschichte der Nacht der Trennung lassen wir weg aus Dank dafür, dass der Tag der Liebesvereinigung den Schleier hat fallen lassen. ! Der „Schleier“ ist gleichbedeutend mit der „Nacht der Trennung“ und er fällt mit dem „Tag der Vereinigung‘. Der an dieses Verspaar anschließende Vers (Komm, o Schenke...) evoziert nachgerade die mystische Deutung: das Amt, den Klausnern

aufgenommen.

zu leuchten, hat er [der Freund]

wieder

Hammer hat diese Vershälfte folgendermaßen übersetzt: Und die Lampe der Geliebten, Hat ein neuer Glanz ergriffen.’

NN BD

‎‫نم‬

Das Wort ,Klausner (halwati ‎‫(خلوتی‬, ein wichtiger mystischer Terminus, hat Hammer weggelassen; stattdessen spricht er von der „Lampe der Geliebten”, deren Bedeutung an dieser Stelle jedoch nicht klar wird. Dieser Begriff (halwati), von Hafis in der Pluralform verwendet ‎)‫(خلوتیان‬, bezeichnet den Mystiker, der sich mit Gleichgesinnten zurückzieht und asketisch lebt. Mit diesem Verspaar, wie Wohlleben angemessen, ohne auf die mystische Bedeutung einzugehen, kommentiert, ist gemeint, dass „[...] der Freund [Pfadführer] zurückgekehrt [ist] und unsere Zusammenkünfte wieder zum Strahlen [bringt].“? In anderen Versen dieses Ghasels finden sich weitere Elemente und Begriffe, die für die mystische Bedeutung des Gedichtes sprechen. Ein

Ebd., S. 389. Ebd., S. 151. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 144. Hafis-Wohlleben, S. 151. 942

entscheidender Hinweis hierauf ist die Wortverbindung im fünften Verspaar des selben Gedichtes:

,Jesus-Atem !

Die Last des Grams, die unser Gemiit erschôpft hat -

Einen mit Jesus-Atem hat Gott gesandt, der hat sie [die Last] weggerafft.? Das Ghasel behandelt die heilige Wirkung des Freundes (Pfadführers), eines Freundes mit Jesus gleich heilendem Atem, der die Last des Grams

nimmt. Man sollte beachten, dass die Mystiker den Ordensmeister mit den Propheten verglichen, der Krankheiten und Schwächen der Seele erkennt und heilt. Deshalb ist in der persischen mystischen Poesie das Bild des mystischen Meisters (Pfadführers), der oft mit dem Geliebten gleichgesetzt wurde, auch als Arzt metaphorisiert.? In diesem Zusammenhang spricht Hafis in manchen seiner Ghaselen vom „Arzt der Liebe”: Der Arzt der Liebe hat den Messias-Atem und ist mitfühlend,

allerdings:

Wenn er keinen Schmerz in dir erkennt, wen soll er heilen?4

Das letzte Verspaar des oben genannten Ghasels (s. Tabelle 1) preist Hafis selbst, wie er sich in anderen Ghaselen ebenso lobpreist, und fragt nach dem, der ihn das Gebet gelehrt habe, jenes Gebet, das offensichtlich so schön und rein ist, dass es nun zu einem Amulett gemacht und in Gold gefasst wird. O Hafis, von wem hast du dieses Gebet gelernt, dass (sogar) das Schicksal zum Amulett dein Lied macht und es in Gold fasst? Bei Hammer liest man dieses Verspaar wie folgt: Wer, Hafis, hat so besondre

Zauberworte dich gelehret?

1 2 3 4 5

Gemeint ist die Auferweckung Jesu von den Toten. Hafis-Wohlleben, 151. Vgl. Annemarie Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam. a.a.O., 5. 151 u. 155. Hafis-Wohlleben, S. 261. Siehe auch Ghasel nun, Vers 125/6 (Hafis-Wohlleben, S. 197). Hafis-Wohlleben, 151.

250

Statt des Amuletes hat die

Freundinn dein Gesicht ergriffen.! Hammer

hat gemäß

seines Verständnisses

von

Sudi

„Schicksal“

mit

„Freundin“ übertragen, und obwohl Goethe diese Hammer-Übersetzung sicherlich bekannt war, hat er „Schicksal“ in des Dichters Liebesgedichten nicht der Freundin, sondern den Paradiesjungfrauen, den Huris, zu-

geschrieben:

Ja des Dichters Liebeflüstern Mache selbst die Huris lüstern.? In diesem Gedicht ist außerdem ersichtlich, dass Goethe statt „Freundin“, wie es Hammer übertragen hat, Liebchen geschrieben hat (s. Tabelle 1).

Im Persischen fehlt die grammatische Unterscheidung von Maskulinum und Femininum, und yar wird sowohl für männliche als auch für weibliche Geliebte verwendet. Goethe hat hier durch die Wahl des Liebchen beide Geschlechter vor Augen, was sich einerseits dem Inhalt von Hafis’ Ghasel nähert (weil Hafis Freund meinte), andererseits steht es mit dem

ineinander verwobenen Ganzen und mit den verwendeten Elementen in Goethes Gedicht (Bäder, Schenken, Liebeflüstern usw.) in Einklang. Außerdem hat Goethe - ähnlich wie Hafis - den Wert der Dichtung viel höher eingeschätzt als Hammer in seiner Übersetzung. Ebenso hat Goethe die Selbstpreisung, die wir bei Hafis kennen, auch seiner eigenen Poesie eingefügt. Nicht zuletzt deswegen verweist Goethe in diesem Gedicht auf das hohe Amt

ewige Leben, sie verwiesen. ges Leben zu des Gedichts wie Hafis ein

1

2

des Dichters, dessen Gedicht das Paradies, das

öffnen kann. Hier wird auf die Überzeugungskraft der PoeHafis’ Poesie soll Goethe dazu dienen, auch ihm ein ewiverschaffen. Deswegen, trotz der mystischen Bedeutung von Hafis, kehrt Goethe wieder zu Hafis zurück. Weil er ewiges Leben und Ruhm wünscht:

Hammers Hafis-Übersetzung, S. 145.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 10.

251

Wolltet ihr ihm dies beneiden, Oder etwa gar verleiden, Wisset nur, daß Dichterworte

Um des Paradieses Pforte Immer leise klopfend schweben, Sich erbittend ewges Leben.!

3.2.2 Vier poetische Elemente: Das Gedicht Elemente? Goethe hat in diesem Gedicht vier poetische Elemente bedichtet, die den Völkern Freude und Erquickung bereiten: Lieben, Trinken, Waffenklang und Hass (s. Tabelle 2). Diese vier Dichtungsthemen sollen die vier Urstoffe (nach Empedokles sind das Feuer, Luft, Wasser und Erde) reflektieren. Wieder stehen die Liebe und der Weingenuss im Vordergrund. Hier hat Goethe diesmal das Lied (Singen) nicht als ein individuelles Element, sondern in Verbindung mit der Liebe hervorgebracht, was auch der Poesie von Hafis entspricht, sonst würde anstatt von vier von fünf Elementen die Rede sein. Der Waffen Klang und der Hass des Dichters gegen das Unleidliche und Hässliche stellen die beiden anderen Elemente dar. Diese vier Elemente sind Goethe wichtig. Die Verbindungen zwischen Liebe und Trinken einerseits und Hass und Krieg andererseits verknüpfte er gerne zu einem magischen Vierer, damit er sich einem „echten Lied“ annähern kann. Goethe durchschaut hier Hafis, dessen Gedicht sowohl Laien als auch Gebildeten Freude macht, was Goethe auch für sich wünscht: Aus wie vielen Elementen Soll ein echtes Lied sich nähren,

Daß es Laien gern empfinden,

Meister es mit Freuden hören??

1 2 3

Ebd. Entstanden in Weimar, 22 Juli 1814. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 14.

252

Tabelle 2 Hammers HafisÜbersetzung

Goethe: West-östlicher Divan (22 Juli 1814):

Wohllebens Hafis-

Übersetzung (2004):

(1812-13):

"Aus wie viclen Elementen Soll ein echtes Lied sich nähren,

..Bring’ des Wein's Rubin, des Sorbets Perlen, Sag’ zum Neid: betrachte die GroBmuth. sterbe!” (S. 451)

Daß cs Laien gern empfinden,

Meister es mit Freuden hören’ Liebe sei vor allen Dingen Unser Thema wenn wir singen: Dann muß Klang der Gläser tönen, Und Rubin des Weins erglänzen:

[...]

Waffenklang wird auch gefodert. DaB auch die Drommete schmettre: Daß, wenn Glück zu Flammen lodert, Sich im Sicg der Held vergôttre. Dann zuletzt ist unerläßlich, daß der Dichter manches hasse:

Weiß der Sänger, dieser Viere Urgewaltgen Stoff zu mischen,

„Bring den Pokal von Rubin und segensvoll schimmernder Perle, zum Neider sag: Schau dic Freigebigkeit des Asaf und stirb.“

(S. 338)

„Bringe Wein! wer könnte sicher Bleiben vor des Hımmels Raubsucht. Wenn dort Sohre ]Venus| Lauten schlaget. Und Menh ]Marsf die Waffen traget.

„Bring Wein, gibt es doch vor den Ränken des Himmels keine Sicherheit beim Spiel der Venus, der Lautenschlägerin, und dem Waftenrasselnden Mars.

Aut der Tafel dieser Erde Giebt es keinen Ruhehonig,

Der Freitisch der niedriggemeinen Zeit bietet keinen Honig der Beruhigung:

Herz, gicb auf die lockern

Hafis gleich wird er die Völker Ewig freuen und erfrischen.”

Wünsche, Bitters sey dir gleich und Süßes.“

(S. 14). Hervorhebungen von mir

(S. 499)

den Sinn für Gier und

Geiz, 0 Herz, reinige vom bitteren und salzigen Nachgeschmack.” (S. 363)

Original:

‫ بیاور می که نتوان شد ز مکر آسمان ايمن‬Dei‫‏‬

‫به لعب ز هره‌ی چنگی و به مريخ سلحشورش‬

‫سماط دهر دون‌پرور ندارد شهد آسایش‬

‫مذاق حرص و از ای دل بشوی از تلخ و از شوزش‬ (Ghasel 273, S. 562)‫‏‬

‫بيار مساغر ياغوت و نر‬

‫اصفی ببین و بمير‬

۱‫خوشاب‬

‫كدرگوم‬ ‫حسو‬

(Ghasel 251, 9. 518)

Drei der Elemente (Liebe, Kampfstärke und Hass oder Tadel) fand Goethe in Jones’ Poeseos Asiaticae über „die Stoffe der asiatischen Gedichte“!

das vierte, der Wein, tritt hier in Verbindung mit dem namentlich erwahnten Hafis hinzu.

1

Jones: 2065605 Asiaticae Commentariorum, Libri Sex. Teil IV, 5. 230-305. Zitiert von Goethe: West-östlicher Divan. Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 918.

253

Was nun aber an dieser Stelle nicht mit Hafis’ Welt in Einklang steht, sind der Waffenklang und die Drommete (Kriegstrompete) in Zusammenhang mit der Vergötterung des Helden im Sieg: Waffenklang wird auch gefodert, Daß auch die Drommete schmettre; Daß, wenn Glück zu Flammen lodert,

Sich im Sieg der Held vergöttre.!

Burdach bezeichnet das Gedicht Elemente als „Gegenstück zu einem Ghasel von Hafis (Ghasel $in 13 in Hammers Übersetzung). Auch Birus hat die Erwähnung der „Waffen“, sich dem Kommentar Burdachs anschließend, gesehen: „Die Verbindung Wein-Liebe-Waffen findet sich auch in Hafis’ Ghasel Sin 13.“2 Die erwähnte Stelle dieses Ghasels ist folgende: Bringe Wein! wer könnte sicher Bleiben vor des Himmels Raubsucht, Wenn dort Sohre? Lauten schlaget, Und Merih die Waffen traget.° Hammer kommentierte dieses Ghasel folgendermaßen: „Wie ists möglich, hienieden ruhig zu seyn, wenn Sohre, d.i. Venus, beständig mit ihrer

Laute lärmet, und Mars [als Kriegsgott] mit seinen Waffen klirret, wenn Liebe und Krieg das Leben der Sterblichen unter sich theilen.“®

Vermutlich hat Goethe aus den zwei Wörtern „Waffe“ und „Laute“

DH à s21 an»

‎‫نم‬

aus Hafis’ Ghasel das Wort „Waffenklang“ gebildet. Was er jedoch offensichtlich außer Acht gelassen hat, ist, dass zwei unterschiedliche Thematisierungen der Waffe vorliegen. Fassen wir zusammen: Goethe hat eine Strophe über Kampfesmut mit Vergötterung des Helden im Sieg gedichtet. In Jones’ Abhandlung über die asiatische Dichtung findet sich zu dem Thema eben dies (Fortitudo bellica, Stärke im Kampf).’ Nun hat das Siegeslied jedoch weder mit Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 14. Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 2/3, FA, S. 920. Venus. Mars.

Hammers Hafis-Ubersetzung, 5.499.

Ebd. Siehe Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2. FA, S. 912.

452

dem von Goethe herangezogenen Ghasel noch mit Hafis’ pazifistischer Haltung zu tun. In diesem Ghasel will Hafis Wein trinken, um die Ranke des Himmels und seine kriegerische Neigung ertragen zu kônnen (Mars ist hier als Kriegsgott zu verstehen), vgl. den Kommentar Hammers oben. Diese Verse und darüber hinaus das ganze Ghasel weisen auf eine friedliebende Haltung von Hafis hin, welche aus seiner Sicht vom Himmel vorher-

bestimmt ist. Mehr noch: Er lamentiert gegen den Himmel, der ihm da-

durch, dass es Kriege gibt, keine Ruhe lässt:

Bring Wein, gibt es doch vor den Ranken des Himmels keine Sicherheit beim Spiel der Venus, der Lautenschlagerin, und dem Waffenrasselnden Mars. Der Freitisch der niedrig-gemeinen Zeit bietet keinen Honig der Beruhigung; den Sinn fiir Gier und Geiz, o Herz, reinige vom bitteren und salzigen Nachgeschmack. ! Es ist verbürgt, dass Hafis als Hofdichter gemäf der im Orient verbreiteten Enkomiastik auch Huldigungsgedichte fiir Herrscher dichtete, es gibt aber nur wenige Verse von ihm, in denen er Heldentaten der Herrscher preist. Als Mobarez ad-Din Mohammad (1353-1358), ein Frömmler und grausamer Despot, der Weingenuss unter Strafe stellte und Todesurteile eigenhändig vollstreckte, von seinen Söhnen geblendet wurde und sein

Sohn und Nachfolger Sah Soga‘ an die Macht kam (1358), hieß Hafis dies

gut.

Unter Sah Sogahs Regierung

- eines an Literatur interessierten

Mannes, der selbst Gedichte schrieb - glaubte Hafis ohne Furcht Wein trinken und Musik hören zu können: ? Morgens drang vom Rufer aus dem Boten-Engel die frohe

Botschaft an mein Ohr: Das Zeitalter des Schah Shoja’ ist angekommen, trinke nur tapfer Wein.

]...[

Beim Klang der Laute erzählen wir uns (jetzt) all die Geschichten, 1

2

Hafis-Wohlleben, S. 363.

Mehr über das Verhältnis Hafis zu diesen Herrschern s. Kap. 1.1. 255

von deren Verschweigung der Kessel in unserer Brust überkochte.! Goethes Verständnis nach sind die Themen asiatischer Dichtung auch auf Hafis übertragbar. Hafis aber war ein friedliebender Mensch und dichtete hôchst selten über Kriege oder die Siege der Helden; den Frieden aber lobte er häufig: Sultan(-sein) (heißt): Sorgen ums Heer und Besessensein von Schatz und Krone;

Derwisch(-sein) (heißt): Sicherheit des Gemüts und eine (Ruhe-)Ecke2an Wandermönchs(-Freiheit). Eine Sufi-Maxime möchte ich aussprechen; darf ich?

O Augenlicht, Friede ist besser als Krieg und Streit. 3

Oder die folgenden bekannten Verse, die den Charakter eines Sprichworts erlangt haben: Den Baum der Freundschaft pflanze, auf dass er den Herzenswunsch fruchten lasse, den Schössling der Feindschaft reiße, denn er bringt Verdruss ohne Zahl. ? Und:

Die Ruhe beider Welten (liegt in der) Deutung folgender zwei

Worte:

bei Freunden Großmut, bei Feinden Freundlichkeit [Toleranz].’

In der Reihe der von Goethe verwendeten Elemente und der von Hafis entlehnten Begriffe und Metaphern darf die Verwendung des Wortes „Rubin“ nicht fehlen: Im Gedicht Elemente finden wir die Wortverbindung „Rubin des Weins“ (s. Tabelle 2). Das Wort „Rubin (la‘l ‎‫(لعل‬, der rote Edelstein (v. lat. Ruber, rot), dient in der persischen klassischen Poe1 2

on

À

3

Hafis-Wohlleben, S. 368. Wohlleben hat statt „eine Ecke“ (Winkel) „ein Schatz“ übersetzt. Er wird das persische Wort „kon (eS) = „Ecke mit dem, der Schreibweise nach ähnlichen, Wort „gang“ (zu) = „Schatz“ verwechselt haben. Hafis-Wohlleben, S. 556. Ebd., S. 181. Ebd., S. 53.

256

sie, besonders aber bei Hafis, häufig als Metapher für die Lippen der/des Geliebten. In seinem Diwan hat Hafis das Wort La I (der rote Edelstein) 81-mal

benutzt, davon 51-mal fiir die Lippen der Geliebten und 11-mal fiir den roten Wein. Dass Birus nun den roten Edelstein eher als Metapher fiir Wein denn als Bezeichnung für die Lippen der Geliebten deutet,! hangt mit Hammers Ubersetzung zusammen. Im Ghasel Ra 12, an das sich Goethe beim Schreiben das Gedicht Elemente offensichtlich anlehnte, ist von

des Wein’s Rubin die Rede:

Bring’ des Wein’s Rubin, des Sorbets Perlen, Sag’ zum Neid: betrachte die Großmuth, sterbe!? Die falsche Übersetzung Hammers hat zuerst Goethe und später seine Kommentatoren irregeführt. Die von Hammer verwendete Wortverbindung „Wein’s Rubin“ ist eine falsche Übertragung von „Pokal aus Rubin“ )‫(ساغر یاقوت‬:

Bring den Pokal von Rubin und segensvoll schimmernder Perle, zum Neider sag: Schau die Freigebigkeit des Asaf? und stirb.* Hafis spricht vom Pokal aus Rubin voller kostbarer Perlen, die ehrenvolle Geschenke (Freigebigkeit) von Asef, des großen Wesirs, sind.5 Dies erregt den Neid der anderen, und hat nichts mit Wein zu tun. Nach islamischer Uberlieferung war Asef der legendäre Wesir des Königs Salomon und für seine Großzügigkeit bekannt. Hafis hat hier wahrscheinlich Turänsäh (gest. 1386), Großwesir von Sah Sogah und einer der Gönner von Hafis, gemeint, dessen Amtszeit zwanzig Jahre dauerte. Hafis widmete ihm verschiedene panegyrische Gedichte, in denen er ihn häufig „Äsef“ oder „Äsef der Zeit“ nennt. In diesem Ghasel preist

Hafis seine Großzügigkeit. So vergleicht er Turänsäh dären Wesir des Königs Salomon.

OM

‎‫ لحر‬W

‎‫دخ‬

1

mit dem legen-

Birus schreibt: „Hafis verwendet Rubin häufig als Wein-Metapher, so auch im Ghasel Sin 13; die Wendung des Wein’s Rubin findet sich im Ghasel Ra 12.“ Siehe Goethe: West-östlicher Divan. In: Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 920. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 451. Korrekter: Asef Hafis- Wohlleben, S. 338. Siehe auch Qasem Gani: a.a.O.. Bd. 1. 2007, S. 351f. 752

3.2.3 Verweltlichung der Schopfungsgeschichte Adams: Das Gedicht Erschaffen und Beleben'

Tabelle 3 Goethe: West-ôstlicher Divan (21. Jum 1814)

Hammers

Wohliebens Hafis-

Hafis-

Ubersetzung (2004):

Übersetzung (1812-13).

„Hans Adam war cin ErdenkloB. Den Gott zum Menschen machte, [...] Doch mit Gebein und Glied und Kopt Blicb er ein halber Klumpen. Bis endlich Noah für den Tropf Das Wahre fand, den Humpen.

„Gestern sah ich. daß Engeln In der Schenke saßen, Adamslehmen

zerrührten,

Und in Becher goßen.“ (S.359)

Der Klumpe fühlt sogleich den Schwung, Sobald er sich benetzet, So wie der Teig durch Säuerung Sich in Bewegung setzet.

).-.[ „Ihr Engel an der Schenkenthür. Lobsinget Euern Proisgesang. Die Säuerung von Adams Stoff. Nichts anders ist der Trinker Thun.“

So, Hafıs, mag dein holder Sang. Dein heiliges Exempel Uns führen bei der Glaser Klang. Zu unsres Schöpfers Tempel.“ (S. 14 -15)

(S. 247)

„Gestern sah ich, wie

Engel an die Tür des Weinhauses klopften: Adanıs Lehm kneteten sie und warfen ihn ın einen Formtiegel | Pokal[.“ (S. 258) „An der Tür des Weinhauses der Liebe, o Engel. sprich deinen Rosenkranz, denn drinnen wird der Lchm Adams gesäuert.“ (S. 276)

Original: ‫میخانه زدند‬

‫دوش ديدم که ملایک در‬

‫كل آدم بسرشتند و به میخانه زدند‬ (Ghasel 179, S. 374)‫‏‬

5

‫بر در میخانه‌ی عشق ای ملک تسبیح گو ی‬ (Ghasel 194, S. 404)

Das Gedicht handelt von der Erschaffung der Menschen. Goethe hatte wohl außerdem die biblische Genesis dabei vor Augen: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes

schuf er ihn; [...] Da machte Gott der Herr den Menschen [adam] aus Erde von Acker [a@dama] und blies ihm den Odem des Lebens

1

Entstanden in Berka, 21. Juni 1814.

258

in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. (1. Mose 1.2)!

Nun wird die Erschaffung Adams in diesem Gedicht mit Gesang und Wein zusammen dargestellt (s. Tabelle 3: So, Hafis, mag dein holder Sang). Dieser Umstand rückt es - im Sinne der mystischen Welt - in die Nähe Hafis’scher Dichtweise (Vgl. die Verse in der Tabelle 3). Obgleich das ganze Ghasel ein mystisches Gedicht ist, lässt Hammers Übersetzung eher an Irdisches denken. Hafis hat die Erschaffung Adams aus der Interpretation des Koran in mystischer Hinsicht gedichtet. In seiner Lesart wird Adam erst durch den Wein als geistiges Ferment wirklich Mensch. Der Wein ist hier eine Anspielung auf die Schöpfung des Menschen. Nach des Korans Lehre, der Bibel folgend, bildet Gott „einen Menschen aus feuchter Tonmasse2[...] geformt.“? Und dann hat Gott diesem „Fleischwesen” Leben von seinem „Geist“ eingehaucht.4 Wein ist für Mystiker die Metapher für den göttlichen Odem. Adam wurde im Weinhaus, dem paradiesischen Ort mystischen Geschehens, von Gottes Geist durchdrungen und reifte dort, durch diese göttliche Gärung, zum Menschen. Zugleich wurde Adam selbst auch durch Gottes Odem, den geistigen Wein, berauscht. Vor der Vertreibung aus dem Paradies war er ewig im Gottesrausch, also mit Gott vereint. In der Sprache der Mystiker ist Berauschtheit der Terminus für den Moment der Einswerdung mit Gott. Goethe hat in seiner Schöpfungsgeschichte die Erschaffung Adams unter

Verwendung

eines deutschen Namens

(Hans) eingedeutscht, und er hat

das Gedicht nach dem „Wiesbadener Register“ mit dem Stichwort Urvater verbucht.” Dies kann man mit Goethes Glauben an die ewige Seele und mit seiner Hinneigung zur Leibniz schen Monadenlehre in Zusammenhang sehen. Diese Lehre, in Verbindung mit der Harmonie des Uni1

2

3

4 5

Die Bibel, a.a.O., S. 10.

Original: „aus Lehm, aus Schlamm”: Koran (qorän): Zweisprachige Ausgabe (Arabisch-Persisch). Übersetzung ins Persische von Baha‘ad-Din Horramsähi. 6. Aufl.,

Teheran 2007, S. 263. Der Koran; Sure 15, Al-Hidschr, S. 183.

Ebd. Vgl. Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2. FA, S. 925. 259

versums, spricht „in der Synthese von Sinnlichkeit und Vernunft“ von in sich geschlossener, vollendeter, nicht mehr auflösbarer Ureinheit.! Der Name

Hans ist auch „die Kurzform von Goethes eigenem Vor-

namen Johann (vgl. die Koseform Hätschelhanß in den Briefen seiner Mutter an die Herzogin Anna Amalia)."? Während Hafis in seinem Erschaffensgedicht eine mystische Auffassung zum Ausdruck bringt, verwendet Goethe das Motiv einerseits zu seiner Selbstcharakterisierung, wie er auch „den Faust” - ungeachtet seines Vornamens Heinrich - „Hans“ nennt.? Andererseits hat er wie Hafis,

im Gegensatz zu Hammers Übersetzung, dem Wein auch eine mystische Bedeutung zugesprochen. Er spricht von der „Gläser Klang“ in des „Schöpfers Tempel”: So, Hafis, mag dein holder Sang, Dein heiliges Exempel

Uns führen, bei der Gläser Klang,

Zu unsres Schöpfers 4

Dies weist darauf hin, dass Goethe mit der Sicht eines Aufklärers die Erschaffung Adams zu verweltlichen versucht, aber dann wieder im Wett-

eifer mit Hafis dem orientalisch-mystischen Kontext des Gedichtes treu bleibt. Er kommt damit in seiner Nachdichtung der Deutung des Hafis-Gedichtes und seinem Gehalt näher als Hammer zung.

in seiner Überset-

3.2.4 Liebe im hohen Alter als Naturerscheinung: Das Gedicht Phänomen’ In diesem Gedicht schildert Goethe nur oberflächlich betrachtet eine Na-

turerscheinung (griech. phainomenon), die sich bald auf die Liebe im Alter bezieht.

1 2 3 4

5

Siehe Goethes Philosophie aus seinen Werken. Hrsg. von Max Heynacher. 2. Aufl. Leipzig 1922, S. 95f. Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2. FA, S. 925. „Der große Hans, ach wie so klein!“ In: Ebd, S. 925: Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 15.

Entstanden am 25. Juli 1814.

260

Tabelle 4 Goethe: West-ôstlicher

Hammers Hafis-

Divan:

Ubersetzung:

(25. Juli 1814)

(1812-13):

"]...[

„Gestern begab sich Hafıs in die Schenke,

Wohllebens Hafis-

Übersetzung (2004): „Hafıs. (sonst) in

Im Nebel gleichen Kreis Seh ich gezogen, Zwar ist der Bogen weiß, Doch Himmelsbogen.

Abgeschiedenheit verharrend, ging gestern ins Weinhaus:

Ohne Besinnung verlangt er das Glas.

aus dem Pakt'~” trat er aus. zum

So sollst du, muntrer Greis.

Träumend erblickt er die Göttin der Jugend

Dich nicht betrüben, Sind gleich die Haare weiß,

Siehe. da ward er als Greis noch verliebt.

Jugendzeit war ihm im Traum erschienen. noch einmal -- mit altem Haupt -- wurde er Liebhaber und wahnsinnig.

Doch wirst du heben.“

(S. 15)

Pokal trat er über. Der schöne Geliebte

low

۲

Schnell gieng ein diebisches Knablein vorüber,

[...]

Dieses verlangt Hafıs ganz alle.”

cin Rauber von Glaube und

(S. 403). Hervorhebungen von mir.

Ein Magierbube ging vorüber. Herz, dem folgte er treu ergeben, allen

anderen (plötzlich) entfremdet.“ (S. 242),

Original:

‫حافظ خلوت نشین دوش به میخانه شد‬ ‫ سر بیمانرهام سد‬1, ‫ن برقتم با‬5 ‫بیما‬

‫ز سر‬. ‫ا‬

‫بد‬ ‫ا به‬ ‫وودش‬ ‫خ ب‬ ‫شاهد عهد شباب آمده‬ ‫باز زبپرانه سر عاشق و دیوانه شد‬ ]...[

‫دين و دل‬

‫مغیچه‌ای می‌گذشت راهزن‬ (Ghasel 165. 5. 346)‫‏‬

Obgleich „der Weißhaarige als Liebender ein zentrales Motiv bei Anakreon ist”,! hat Goethe in diesen Zeilen offenkundig eher die Liebe in ho-

hem Alter bei Hafis im Sinn gehabt. Das Thema des Alters bzw. der Liebe im Alter ist in Hafis’ Ghaselen zu finden (Die Liebe eines Jünglings ist / in 1

Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA. S. 934. Anakreon (* um 550 v. Chr., andere

Angaben 580 v. Chr., in Teos (Ionien), heute Sigacik (Türkei); Athen) war ein griechischer Lyriker.

¢ 495 v. Chr. in

261

meinen greisen Kopf gefallen'), und nicht selten hat er die Liebe in hohem Alter mit dem Wieder-Jungwerden gleichgesetzt: Wenn ich auch alt bin, so nimm doch du mich eines Nachts fest in

deine Arme, damit am Morgen ich von deinem Busen mich verjüngt erhebe. [...]? Ich sprach: Welchen Nutzen hat der Alte vom Rubinnektar der Lippen? Er sprach: Mit süßem Kuss verjüngt man ihn.?

In dem oben erwähnten Ghasel (s. Tabelle 4) hat Hammer einen wichti-

gen Begriff falsch verstanden. Was er als „Göttin der Jugend” übertragen hat, heißt im Original $ähed ‎)‫(شاهد‬, und bedeutet im eigentlichen Sinne „Zeuge“. Gemeint ist aber der „schöne Knabe” oder im Allgemeinen „der Schöne”. Aus diesem Grund ist auch in den nächsten Versen des gleichen Ghasels vom Knaben (Knäblein) die Rede.

In der mystischen Terminologie wird unter dem Wort Sahed , d.h. Zeuge, auch „der Schöne” verstanden. Ein Teil der Mystiker, wie bereits erklart,4 besonders die Anhänger der Lehre Abu Holmäns, des bekannten persisch-stämmigen Damaszener Mystikers des 9. Jahrhunderts, war der Überzeugung, Allah, der selbst schön sei und die Schönheit liebe,* verkörpere sich in schönen Menschen. Ein schöner Knabe ist mithin ein Zeuge oder Beweis für die Schönheit Gottes. Da in islamischen Ländern damals die Frauen in der Öffentlichkeit nicht ohne Schleier zu sehen waren, konnten diese Mystiker sich nur für die Schönheit junger Männer begeistern und schwärmen.® Das Wort 52864 mit der Konnotation der Schöne wurde also nicht nur in seiner mystischen Bedeutung verwendet. 38-mal hat Hafis das Wort $ähed verwendet, und er gebraucht es überwiegend im erotischen Sinne in Verbindung mit Knaben. Im oben erwähnten Ghasel z. B. (s. Tabelle 4) tritt „der schöne Geliebte” (Sahed) nicht in mystischer Bedeutung

6

ON

à

W

DD

‎‫سم‬

hervor. Nicht nur in diesem Vers, in dem von dem Schönen die Rede ist, Hammers Hafis-Übersetzung, S. 372. Hafis-Wohlleben, S. 429.

Ebd., S. 275.

Siehe Kapitel 1.5. Arabisch: ‎‫ جميل و یحب‌الجمال‬alll Mehr über diesen Terminus und seine Verbindung mit der Lehre des Koran, ۰ Kap. 1.5.

262

ist die irdische Liebe zu einem Knaben deutlich, auch der Gesamtcharak-

ter des Gedichts weist auf weltliche Liebe hin. In Hammers Übersetzung

gibt es zwischen der „Göttin der Jugend” (als einer Frau) und dem „diebi-

schen Knäblein” keine Verbindung. Betrachtet man das Original, eröffnet sich ein noch anderer Blickwinkel auf die Bedeutung (s. Wohllebens

Übersetzung in der Tabelle 4).

Dieses Ghasel, wie bereits erwähnt mit vollkommen irdischem Gehalt, ist ein Gedicht, in dem Hafis lediglich die irdische Freude darstellt.

Er ging ins Weinhaus und sah einen Magierknaben!, der ihm Glaube und

Herz raubte. Durch dieses Erlebnis erscheint ihm der schöne Knabe sei-

ner Jugendzeit wie im Traum. Mit anderen Worten: Als er den schönen

Magierknaben sieht, erinnert er sich des schönen Knaben, der in seiner

Jugendzeit sein Geliebter war. Die Beziehung zwischen dem Dichter als Liebendem und dem Knaben als Geliebten wird durch Hammers die Göttin ist weiblichen Geschlechts.

Übersetzung verschleiert, denn

In seinem Wettstreit mit Hafis wäre Goethe, so wie jener, gerne in hohem Alter verliebt gewesen. In Hammers Übersetzung war Hafis’ Liebe zu Knaben

in hohem

Alter nicht eindeutig wiederzufinden, wiewohl es

Verse von Hafis gibt, die allgemein von Liebe in hohem Alter sprechen. Insbesondere diese Verse waren es, die Goethe faszinierten, denn in ihnen fand er den Hinweis auf die Verjüngung durch die Liebe, um die es ihm ging: Ich bin zwar alt, allein im Dunkeln, Magst du mich wohl umarmen fest, Ich stehe dann zur Geisterstunde

An deiner Brust als Jüngling auf.?

Sowohl das in der Tabelle eingetragenen Ghasel (s. Tabelle 4), wo Hafis schreibt „Siehe, da ward er als Greis noch verliebt“, als auch die oben genannten

Versen

(Ich bin zwar

alt ...) haben

Goethe

inspiriert.

Goethe

durchschaut hier sogar die Konstruktion der Poesie in der Übersetzung 1

2

Hafis verwendet in seinen Gedichten das Bild des Magierknaben, der der Schöne und der Schenke ist. Weil alkoholische Getränke für Muslime verboten waren, wurden Weinhäuser ausschließlich von Christen und Zoroastriern (Magiern) betrieben. s. Kap. 1.5. Hammers Hafis-Ubersetzung, 5. 684. Hervorhebung von mir. 263

von Hammer. Hafis schreibt: „Ich der Bogen weiß...” (s. Tabelle 4). noch einmal Liebe zu empfinden, der. Er hat hier statt mit „alt“, wie

bin zwar alt...“ und Goethe: „Zwar ist Die Berechtigung, im Alter wieder und spiegelt aber für Goethe die Natur wies in Hafis’ Vers heißt, das Alter durch

„Bogen“ und „weiß“ charakterisiert. In den „Briefen aus der Schweiz (27.10.1779) berichtet Goethe von einem ähnlichen farblosen Mond-

scheinregenbogen:!„Wir glaubten unter uns einen großen See zu erblicken, indem ein tiefer Nebel das ganze Tal, was wir übersehen konnten, ausfüllte. Wir kamen ihm endlich näher, sahen einen weißen Bogen, den der Mond darin bildete, und wurden bald ganz vom Nebel eingewickelt.”? Es ist typisch für Goethe, dass er sich seine Erfahrungen mit Naturphänomenen für seine Dichtung hineinnimmt, was, Diltheys Erlebnisbegriff zufolge, zur sogenannten Erlebnisdichtung gehört. Für Dilthey erwächst die „erste und entscheidende Eigenschaft der Dichtung Goethes [...] aus einer außerordentlichen Energie des Erlebens, 3 und „die Mächtigkeit und der Reichtum seiner Erlebnisse [gewähren] das Material echter 4 Goethe hat hier einerseits ein Naturerlebnis, und andererseits Hafis und

seine Dichtung zusammen mit der Wunschvorstellung, sich im Alter noch einmal verlieben zu können, in Verbindung gebracht. Ein Wunsch, der durch die Liebe zu Marianne erfüllt wurde.

1

2 3 4

„[...] es gibt keine farbigen Phänomene, die Mondscheinregenbogen sind blaß, nichts erscheint irgend feurig oder von einer anderen Farbe tingiert.” Goethe: Zur Farbenlehre. Hrsg. von Manfred Wenzel. In: Goethe: Sämtliche Werke. Bd. I, 23/1,

FA, S. 730.

Goethe: Campane in Frankreich, Belagerung von Mainz, Klaus-Detlef Müller. In: Goethe: Sämtliche Werke. Bd. I, Wilhelm Dilthey: Goethe und die dichterische Phantasie. und die Dichtung. Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin. 147-221, hier S. 150.

Reiseschriften. Hrsg. von 16, FA, S. 36. In: Dilthey; Das Erlebnis Reclam, Leipzig 1988. S.

Dilthey: Die Einbindungskraft des Dichters. Bausteine für eine Poetik. In: Dilthey; Gesammelte Schriften. Bd. 6, Leipzig/Berlin 1924, S. 165.

264

3.2.5 Auftauchen der Schönheit Schrias’ im trüben Norden: Das Gedicht Liebliches!

Rot und weiß, gemischt, gesprenkelt

Wüßt ich Schönres nicht zu schauen; Doch wie, Hafıs, kommt dein Schiras Auf des Nordens trübe Gauen? Ja es sind die bunten Mohne,

Die sich nachbarlich erstrecken,[...] ?

Nach der Rückkehr von seiner Italienreise klagt Goethe ständig über das trübe Wetter, so auch in den Briefen an Charlotte v. Stein vom

22.Juli

1788: „Der trübe Himmel verschlingt alle Farben”,? oder an Herder am

4.9.1788: „Das Wetter ist immer sehr betrübt und ertödtet meinen Geist; wenn das Barometer tief steht und die Landschaft keine Farben hat, wie

kann man ۹

Im Gedicht Liebliches stellt Goethe nun den trüben Himmel des Nor-

dens mit Hafis’ Geburtsstadt Schiras in einen Zusammenhang. Hafis besingt die Schönheit dieser Stadt, ihren „[Duft]-Hauch der Gärten” und die „Ambragerüche” wie folgt: Heil dir Schiras und deiner unvergleichlichen Gegend! Gott bewahr’ dich vor dem Verfalle! Hundertmal seyen gesegnet durch Ihn des Roknabads Fluthen,® Weil sie Chisers’ Kristalle verspenden. 1 2

3

4 5 7

Entstanden am 25. Juli 1814. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 16.

Goethe: Briefe der Jahre 1786 - 1814. Hrsg. von Ernst Beutler. In: Goethe; Gedankenausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Bd. 19, Zürich 1949, S. 120. Goethe: Italien im Schatten der Revolution; 3. September 1786-12 Juni 1794. Hrsg. von Karl Eibel. In: Goethe; Sämtliche Werke. Bd. 3, FA, 1991, S. 425. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 478. Roknabad, „ein schöner Fluß bei Schiras”. Fußnote von Hammer, S. 489. Dies war eigentlich ein ganät, ein unterirdischer Bewässerungskanal. Chiser (korrekter:

Xezr)

ist nach

der orientalischen

Mythologie

der Hüter

des

Quells des Lebens, der im Land der Finsternis strömt. Grüne Fluren und fließendes Wasser, als Bilder der Jugend und des Lebens stehen unter Chisers Fürsorge. Nach islamischer Überlieferung ist er ein Prophet und Beschützer verirrter Gläubiger, der das Lebenselixier trank und dadurch ewiges Leben erlangte.

265

Zwischen Dschaferabad! und dem weit berühmten Mosella?

Wehet der Nordwind Ambragerüche. Komm’ nach Schiras und suche die Gaben des heiligen Geistes Bey den Bewohnern, die Tugend besitzen;?

Schiras war berühmt für die Blumen- und Blütenpracht seiner zahlreichen Gärten und Parks. Eingedenk dieser Berühmtheit und der Lobeshymne von Hafis auf die Stadt schreibt Goethe am 4.6.1815 an seine Frau: „Die Rosen blühen vollkommen, die Nachtigallen singen wie man nur wünscht und so ist es keine Kunst sich nach Schiras zu versetzen.“ ? Man muss dazu wissen, dass Goethe vom Liebreiz der Landschaft bei Erfurt mehr als entzückt war. Wie aber konnte die Schönheit Schiras’ im trüben Wetter des Nordens auftauchen? Was hier hervortritt, ist Goethes bisher eher geheimer Wunsch, eine Verbindung zwischen dem Westen und dem Orient herzustellen. Als Sonnenschein seinen Weg durch die blumengeschmückten Felder erhellte, dachte er an das schöne Schiras, wie es Hafis besungen hatte. Das trübe Grau des Nordens kann sowohl die bedrückende Lage in Europa als auch Goethes eigene Krise metaphorisieren. Die bunten Blumen aus Schiras sind Symbol der Hoffnung auf eine Verjüngung der europäischen Ordnung durch die orientalische Kultur und einer Erneuerung seiner Poesie durch Hafis’ Dichtung. In diesem Zusammenhang greift das Gedicht Liebliches das vorherige Gedicht, Phänomen, nochmals auf. In Phänomen möchte Goethe sich wie ein orientalischer Dichter im hohen Alter wieder verlieben. Dies stellt nicht nur den Wunsch

eines alten Mannes dar, Goethe hat so auch seine Verbin-

dung mit dem Orient durch eine neue Liebe im Alter beleben wollen. Und in Liebliches möchte er wieder durch die Darstellung der Natur (das Oxymoron Rot-Weiß, „die bunten Mohne“) Westen und Osten, Erfurt und

Schiras, Deutschland und Persien zusammenschließen. Durch diese Verbindung möchte er sich und seine Heimat verjüngen. Ähnlichkeit besteht auch mit dem Gedicht hegire, in dem Goethe ebenfalls bereits die „Patri-

1 2 3 4

Dschaferabad, eine wegen ihrer Gärten und Landhäuser berühmte Vorstadt von

Schiras. Siehe Hammers Hafis-Übersetzung, S. 489.

Mosella, ein beliebter Ausflugsort bei Schiras, in dem der Dichter begraben liegt. Ebd. Ebd. Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 938.

266

archenluft des reinen Ost” genießen wollte, um sich „unter Lieben, Trinken, Singen” zu verjüngen.! 3.2.6 Persisches Blumenpaar als Ausdruck der Sinnenfreudigkeit: Das Gedicht Im Gegenwärtigen Vergangenes? Tabelle 5 Goethe: West-östlicher Divan:

Ros’ und Lilie morgenthaulich Blüht im Garten meiner Nahe. Hinten an bebuscht und traulich Steigt der Felsen in die Hohe. Nun die Wälder ewig sprossen So ermutigt euch mit diesen, Was ihr sonst für euch genossen Läßt in andern sich genießen. Niemand wird uns dann beschreien. Daß wirs uns alleine gönnen, Nun in allen Lebensreihen Miissct ihr genießen ۰ Und mit diesem Lied und Wendung Sind wir wieder bei Hafisen. Denn es ziemt des Tags Vollendung Mit Genießern zu genießen.“ (S. 179) Hervorhebungen von mir.

Hammers

Hafis-

Wohllebens

Ubersetzung:

Übersetzung

„Eile! Sieh’ der Wein ist rein, Nitze diese frohen Zeiten, Wer kann für das nächste Jahr Frühlingsfreuden dir versprechen” Zwey Gesellen bleiben noch In dem Garten Ros' und Lilie, Beide halten hoch den Kelch Auf des Freundes Angedenken.” (S. 827) „O Schenke. höre. wie die Sage Von Cedem, Rosen, Tulpen geht, Du sieh darauf. daß sie nicht ohne Dreyfacher Becher Spende geht.” (S. 281)

Hafis-

„Der Wein ist ungepanscht, etl dich. die Zeit ist günstig, nutze (die lage). Ein anderes Jahr? Wer setzt seine Hoffnung auf den [nächsten] Frühling”? Im Garten harren die Zechkumpane wie Tulpe und Rose, Jeder ergreift einen Becher auf das Wohl des Antlıtzes eines Freundes [Geliebten].“ (S. 549) „sagı. die Sage geht um von Zypresse, Rose und Tulpe und (zugleich) geht die Frage nach den drei

Reinigungs-Trinkrunden um.”

(S. 301)

Original: ‫ساقی حدیث سرو كل و لاله می‌رود‬ ‫وين بحث بانلانه‌ی غساله می‌رود‬ (Ghasel 218, S. 301)

‫ و قتی خوش است دریاب‬.‫بیفش اسبتشتاب‬ ‫مى‬ ‫ نوبهاری؟‬.‫دراکهرد امید‬ ‫ دگ‬JL‫‏‬ ‫دبروستان حریفان مانند لاله و گل‬ ‫ی‬

‫ار‬ ‫ی ی‬ ‫هر یگکرفته جامی بر ياد رو‬ (Ghasel 435. 5. 549)

1

Goethe: West-ostlicher Divan. Weitz. S. 9.

2

Entstanden am 26. Juli 1814.

267

Insgesamt sechsmal hat Hafis das literarische Blumenpaar läle und gol! (Tulpe und Rose), von Hammer bisweilen mit „Rose und Lilie“ übertragen, und zweimal susan und gol (Lilie und Rose) verwendet. Birus

schließt sich Sudis Kommentar über dieses Blumenpaar an: „Die Tulpe ist ein Vergleich für einen Becher mit Griff, die Rose für einen Becher ohne Griff (Schale). ? Beide verstehen das Bild dabei „rein optisch”. Dieser Interpretation kann ich nicht zustimmen. Hafis hat an manchen Stellen ebenfalls die Tulpe mit der henkellosen Weinschale gleichgesetzt; das Blumenpaar Lilie-Rose verwendet er aber überwiegend für die Darstellung der Schönheit oder einer schönen Landschaft in Verbindung mit Zeiten der Beglückung, wie bei in oben erwähnten

Ghaselen, in denen von Weintrinken

und ,frohen Zeiten“ die

Rede ist (s. Tabelle 5). Im Übrigen ist die Tulpe auch das traditionelle Symbol für die unglückliche Liebe: Wie sollte ich nicht - der Tulpe gleich - blutenden Herzens sein, wo doch sein Narzissenauge so hochmütig mit mir verfahren ist?? Abgesehen von den vorherigen Bedeutungen wird die Tulpe auch mit

»Brandmal” gleichgesetzt, wie z.B. „tulpengleich hat es [Herz] ein Brandmal (im Innern)', oder: „Sein gebrochenes Herz wird Hafis ins

Grab legen: / tulpenähnlich mit einem Brandmal der Sehnsucht im Innern. > In der abendländischen Tradition galten Rose und Lilie als Sinnbilder irdischer wie himmlischer Liebe. Mit der Aufnahme der Bedeutungserweiterung der beiden Bilder im Sinne von Hafis hat Goethe die Schönheit der Landschaft mit Genuss und Genießen zusammengebracht. In der Schlussstrophe, in der Goethe wiederum eine Hinwendung an Hafis vollzieht, spricht er von „genießen“, was Zuvorgesagtes über schöne Landschaft in Verbindung mit Zeiten der Beglückung bekräftigen kann (Mit Genießern zu genießen..., s. Tabelle 5)

1 2 3 4 5

Das Wort ‎‫ اهوم‬bedeutet eigentlich Blume, in der klassischen persischen Literatur wurde es auch zur Bezeichnung der Rose. Goethe: West-östlicher Divan. Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 943. Hafis-Wohlleben, S. 205. Ebd.,S. 183. Ebd.,S. 182.

268

Im Gedicht Im Gegenwärtigen Vergangenes liegt nunmehr die symbolische Verbindung zwischen West und Ost vor. Das Bild vom Genuss des Lebens hat Goethe allerdings nicht - wie zu erwarten gewesen wäre folgendem Hafis-Vers entnommen, Trinke nur Wein, denn giebts ein ewiges Leben, Wahrlich so kannst du dies mit Edens Weinen erlangen Ihren Genuß, Hafis, erlangest du, Armer, Einstens am Tag, der keinen Abend mit sich bringt.! - sondern eher aus Hammers Vorrede:

Kommentar

von Hafis’ Gedichten in seiner

„Eitelkeit aller Eitelkeiten, und nichts ist wahre Weisheit, als Genuß des Lebens. Wer möchte trauen dem Glücke, der unbeständigen Buhlerinn, und wer bauen auf die Welt, die abgefeimte Betrü-

gerinn? Nützet die fliehende Zeit der Jugend und der Rosen, nützet sie mit Wein und Liebe. Keiner versteht zu genießen und zu lieben wie Hafis.“?

Hafis’ Sinnenfreudigkeit wurde dargestellt.

Sie ist durch

wicklungsphase fungsgeheimnis wollte:

im Abschnitt

den chajjamischen

Hafis’ Weltsicht? bereits

Hedonismus

in jener Ent-

hervorgerufen worden, in der Hafis, statt das Schöpzu entschleiern, vielmehr den Augenblick genießen

Freunde, es ist Rosenzeit, lasst uns nach Fröhlichkeit streben,

Ein Spruch von beherzten Leuten ist dies, und mit ganzer Seele wollen wir hinhören. Niemand beweist Großmut, und die Zeit der Wonne verstreicht,

da gibt es nur den Ausweg, dass wir den Gebetsteppich für Wein verschachern. Süß ist die erquickende Luft, o Gott, sende uns eine Zarte, dass wir in ihrem Angesicht rosenfarbenen Wein trinken. [...]4 In der Rosenzeit

D

©

NN

‎‫مو‬

und Harfe,

sitze nicht da ohne Wein

und Schönen

[sahed]

Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 274.

Hammers Kommentar zu Hafis Gedichte. In: Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 34f.

Siehe Kapitel 1.3.4. Hafis-Wohlleben, S. 476.

962

denn wie diese Zeit wird das übrige Leben nur nach (wenigen) Wochen bemessen.! Im Gedicht Im Gegenwärtigen Vergangenes versetzt sich Goethe durch den Genuss des Augenblicks in Hafis hinein. Nachdem er sagt, ,Nun in allen Lebensreihen/ Müsset ihr genießen können‘, schließt er sein Lied

mit einer Hinwendung zu Hafis:

Und mit diesem Lied und Wendung Sind wir wieder bei Hafisen,

Denn es ziemt des Tags Vollendung Mit Genießern zu genießen.? In oben genannten Ghasel (s. Tabelle 5) möchte auch Hafis die verbleibende Zeit des Lebens für Genuss und Lebensfreude nutzen; denn keiner ist sicher, ob er im nächsten Frühling noch am Leben ist (Eile! Sieh’ der Wein ist rein, / Nütze diese frohen Zeiten...; s. Tabelle 5).

3.2.7 Goethes Hineinversetzung in Hafis’ homoerotische Neigung: Das Gedicht Derb und Tüchtig 3 Dichten ist ein Übermut, Niemand schelte mich!

Habt getrost ein warmes Blut Froh und frei wie ich. [...]

Dichten ist ein Ubermut! Treib’ es gern allein.

Freund’ und Frauen, frisch von Blut, Kommt nur auch herein!

Monchlein ohne Kapp und Kutt,

Schwatz nicht auf mich ein!

Zwar du machest mich kaputt,

Nicht bescheiden, nein!4 1 2 3 4

Ebd., S. 280. Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz, S. 18. Entstanden am 26. Juli 1814. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 19.

270

Dieses Gedicht weist deutlich darauf hin, dass Goethe einen besseren Zugang als Hammer zu Hafis hatte. Es zeigt nicht nur das gesteigerte Selbstbewusstsein des Dichters,! sondern die Zeilen sind auch ein Hinweis darauf, dass er fir Hafis Mitgefiihl empfindet und sich als sein Gesinnungsgenosse fühlt. Gleich zu Beginn wird der Leser darauf hingewiesen, dass Dichten „Übermut“ sei; in der fünften Strophe greift er den

Hinweis nochmals auf und führt uns seinen eigenen Mut vor. Von „Freund und Frauen” mit frischem Blut, die in den privatesten Bereich des Dichters eintreten dürfen, ist die Rede. Dieser Vers ist mehr als nur die Alliterationskette „Freund, Frauen und frisch.” Vielmehr spricht Goethe m.E. von Hafis’ Beziehung zu Männern bzw. Knaben. In diesem Kontext muss man nun die folgenden Zeilen als Kritik an den PhilisterPfaffen (Mönchlein ohne Kapp und Kutt} verstehen, die den Dichter beschwatzen. Die Interpreten, darunter auch Bürgel, waren sich sicher, dass „[...] wie bei Hafis [...] Goethe der Kritik engherziger Zeitgenossen ausgesetzt (ist).* Dass dem so war, liest man im Buch des Unmuts: Hafis auch und Ulrich Hutten>° Mußten ganz bestimmt sich rüsten Gegen braun und blaue Kutten;® Meine gehn wie andre Christen.’ Hier wendet sich Goethe gegen die Mönche, die an Huttens Epistolae obscurorum

virorum

(„Dunkelmännerbriefe”)

Kritik übten.

Die gleiche

Kritik richtet Goethe in Zahme Xenien V wiederum gegen Mönche, die ihm 1 2

3

selbst „schaden“.

In diesem

Gedicht

bringt

Goethe

wieder

Ulrich

Vgl. Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 956. Vgl. Ebd.

Hier meint Goethe auch „Personen also, die zwar keine Mönchstracht tragen, ih-

rem Wesen nach aber dem von Hafis gehassten herge-pus, dem Kuttenträger gleichen.” Kommentar von Bürgel, zitiert nach Birus in: Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 957.

wn

4 Johann Christof Bürgel: Drei Hafis-Studien. Frankfurt a.M., 1975. S. 28. 6

7

8

Ulrich Hutten (1488-1523) war ein Reichsritter und Humanist.

Mit braun und blaue Kutten sind die christlichen und islamischen Mönche gemeint, allerdings trugen nicht Huttens spezielle Gegner, die Kölner Dominikaner, braune Wollkutten, sondern die Franziskaner. Vgl. Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA,S. 1102. Goethe: West-östlicher Divan, S. 48.

Siehe Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2. FA, S. 1101f. 271

Hutten als beispielhaften Humanisten gegen das Philistertum hervor.! So hat Goethe sich selbst nicht nur mit Hutten, sondern auch mit Hafis gleichgesetzt, der sich immer der Orthodoxie widersetzte. Hafis sprach auch über die blaue Kutte des Sufi mit kritischem Ton („Ich selbst diene

der hohen Gesinnung der ehrlichen Hefeschliirfer, / nicht jenem Trupp, der blaue Kutte trägt und ein schwarzes Herz hat.“).? Wie aber kommt Goethe darauf, das Dichten, junge Menschen (Freund und Frauen mit frischem Blut) und die Philister in einen Zusammenhang zu bringen? Warum hat Goethe nach der Rezeption der jungen Freunde in seiner Privatsphäre Kritik an der Orthodoxie geübt? Warum „schwatzen” die Mönche oder den Mönchen ähnliche Personen auf den Dichter ein in Verbindung mit seinen Beziehungen zu jungen Frauen und Männern? (Schwatz’ nicht auf mich ein! / Zwar du machest mich ka-

putt, [...]).3

Hammer hat an vielen Stellen statt „Freund“ Freundin‘ und an Stellen statt „Knabe“ sogar Mädchen? übersetzt. Dennoch hat auch wenn Hafis’ homoerotische Neigungen eher verschleiert diese wohl erspürt. Er hat sich in Hafis hineinversetzt und sich

manchen Goethe, werden, von ihm

durchdringen lassen. Er schreibt hier nicht allein von „Frauen, frisch von

Blut", sondern auch von Männern (Freunden), und dies nicht zufällig. Frisch von Blut (jung) muss auf die Freunde mitbezogen werden. Mit anderen Worten: Goethe spricht von Menschen mit frischem Blut, die dem Dichter sehr nahe kommen dürfen. Dieses Motiv kommt in Hafis’ Dichtung häufig vor. Goethe weiß, dass die Philister diese Haltung von Hafis, die er immer wieder in Worte fasst, nicht dulden können und tadelnd darüber lästern. Hafis selbst hat oft kritisiert, dass es die Frömmler sind, die für sei-

ne Lebenslust aller Art kein Verständnis haben:

Tadle nicht die Freigeister, o Frömmler mit deinem reinen Charakter;

‫أن‬

‫حير‬

‫ها‬

‫دخ‬

1

„Denn gegen die obskuren Kutten, / Die mir zu schaden sich verquälen, / Auch mir kann es an Ulrich Hutten, / An Franz von Sickingen nicht fehlen.“ In: Goethe: Gedichte 1800-1832. Hrsg. von Karl Eibl. Frankfurt/M 1998, S. 672. Hafis-Wohlleben, S. 278. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 19.

Siehe Hammers Hafis-Übersetzung, S. 88, 90, 91, 92, u.a. Siehe ebd., S. 491.

272

dir wird ja auch die Sünde eines anderen nicht angeschrieben. Ob ich gut, ob ich böse bin, geh, kümmere du dich um deine (eigene Angelegenheit)! jeder erntet zuletzt das Werk, das er gesät hat. Jeder einzelne sucht den Freund, ob nüchtern, ob berauscht;

jeder Ort ist ein Haus der Liebe, ob Moschee, ob Tempel.!

Auch wenn man dieses Gedicht für mystisch halten kann (wobei Freund eine Chiffre für Gott sein mag), sind folgende Verse zweifellos irdisch gemeint:

Ich will die Rubinlippe des Freundes und den Becher Wein nicht aufgeben,

ihr Frommen, verzeiht mir, denn das ist meine

Religion?

In diesem Verspaar spricht Hafis klar und deutlich über die Liebe zu einem Mann

(Freund), bezeichnet diese Liebe zusammen

mit dem Wein-

trinken als seine Religion. Bei der Übersetzung dieses Verspaares hat selbst Hammer das Wort Freund beibehalten, nur hat er statt „Rubinlippe“ Rubin übertragen. Ich will vom Glas und vom Rubin des Freund’s Nicht lassen. Frommer! halt’ dies

Glaubensbekenntnif mir zu gut.’

Auch Schaeder ist der Ansicht, dass Goethe derlei erotische Beziehungen bei Hafis ahnte, sich aber aus sittlichen Gründen nicht dazu äußerte: Er [Goethe] fand bei Hafis eine Form erotischer Poesie, die sich an den Jüngling wendet, aber sie musste ,unseren Sitten gemäf in aller Reinheit behandelt sein.4 Möglicherweise hat Goethe deshalb dergleichen Beziehungen bei Hafis indirekt und diskret behandelt. Folgende letzte Strophe Goethes vermag diese Einschätzung zu belegen:

>

DD

‎‫سب‬

Wenn des Dichters Mühle geht Halte sie nicht ein: Hafis-Wohlleben, S. 141. Ebd., 5.87. Hervorhebung von mir. Hammers Hafis-Übersetzung; S. 84. Schaeder: Goethes Erlebnis des Ostens. Leipzig 1938, S. 72. 372

Denn wer einmal uns versteht, Wird uns auch verzeihn.!

Warum sollte man einem Dichter erst verzeihen, wenn man ihn verstanden hat?

Bedeutet es, dass man notwendig etwas verstehen muss, um es ver-

zeihen zu können? - Goethe beschreibt uns des Dichters Tun (allein sein

mit Freund und Frauen mit frischem Blut), damit wir ihn verstehen können. Mag dieses Verhalten auch nicht mit Goethes Prinzipien übereinstimmen, so erkennt er doch die Neigung als solche bei einem großen Dichter wie Hafis an und respektiert sie. Am

24. Januar

1812 schreibt Goethe

an Zelter: „Niemand

bedenkt

leicht, dass uns Vernunft und ein tapferes Wollen gegeben ist, damit wir uns nicht allein vom Bösen, sondern auch vom Übermaß des Guten zurückhalten."? Findet sich ein „Übermaß des Guten“ nicht auch in Hafis’ erotischer Neigung zu Jünglingen? Mir will scheinen, auch Goethe konnte sich vom Übermaß des Guten nicht ganz zurückhalten. In seinen Versen verteidigt er das „Wollen“ und das Verhalten des Dichters und meint, man solle ihm doch in Anbe-

tracht seiner Größe verzeihen, auch wenn sein Verhalten sittlich nicht in Ordnung sei. Diese Art von Verzeihung findet sich auch bei Hafis. Oftmals tritt sie in ironischer Weise hervor; so auch in oben genanntem Vers (,[...] ihr Frommen, verzeiht mir, denn das ist meine Religion’), oder in:

Hafis hat nicht aus freien Stücken diese weinbefleckte Kutte angezogen, o du Scheich mit reinem Saum, verzeih mir.?

Hier und auch an anderen Stellen hat Hafis die Tugendprahler oder Moralprediger ironisch als Männer mit „reinen Saum‘, oder „reinem Charakter’ bezeichnet:

1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 20

2

Siehe Goethes Philosophie aus seinen Werken. Hrsg. von Max Heynacher. Leipzig

3

Hafis-Wohlleben, 5. 54.

1922, S.70.

274

Tadle nicht die Freigeister, o Frömmler mit deinem reinen Charakter; dir wird ja auch die Sünde eines anderen nicht angeschrieben. ! Es soll hier erklärt werden, dass die postulierte Verzeihung für Dichter,

sowohl bei Goethe als auch bei Hafis, nicht aus moralischen Motiven entstanden ist. Das ist eher eine schelmische Haltung der Dichter, eine

wortspielerische Raffinesse.

Goethe hat nicht nur in diesem Gedicht, sondern auch in manchen

anderen Gedichten im Divan Hafis’ erotische Beziehungen zur heranwachsenden Knaben sehr fein und diskret dargestellt. Er wollte unbe-

dingt auch das Motiv Knabenliebe im Divan bearbeiten, wie er es in den Noten betont, wo er das Das Schenken-Buch beschreibt:

weder die unmäßige Neigung zu dem halbverbotenen Weine, noch das Zartgefühl für die Schönheit eines heranwachsenden Knaben durfte im Divan vermißt werden; letzteres wollte jedoch unseren

Sitten gemäß in aller Reinheit behandelt sein.?

Dies hat Goethe nicht nur in Das Schenkenbuch eingearbeitet, was ich im Teil 4 vorliegender Arbeit erörtern werde, sondern auch an anderen Stellen, wie z.B. im vorher erwähnten Gedicht hegire (s. Tabelle 1), in dem Goethe von Bädern in Persien spricht, die Männer auch aus homoerotischem Antrieb besuchten. In Das Schenkenbuch wird ein „zierlicher Knabe“ eingeladen, ähnlich wie im Gedicht Derb und Tüchtig, wo er junge Frauen und Männer hereinbittet Kommt nur auch herein!):

(Freund’ und Frauen, frisch

von Blut,/

Du zierlicher Knabe, du komm herein, Was stehst du denn da auf der Schwelle? Du sollst mir künftig der Schenke sein, Jeder Wein ist schmackhaft und helle.’

Obwohl Goethe die Liebe zu einem heranwachsenden Knaben deutschen Sitten gemäß „in aller Reinheit behandelt” sehen wollte und bei ihm das Verhältnis des Dichters zum Schenken ein pädagogisches Verhältnis oder die Beziehung eines Enkels zum Großvater andeutet, was aus der 1

Ebd., S. 141.

2

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 206.

3

Ebd., S. 94.

275

griechischen Antike vertraut ist, nennt er den Schenken nicht Sohn, sondern eben doch Knabe, Schenke oder Liebchen, und rückt die Deutung damit nah an die Welt des Hafis heran.! So überschreitet er die zivilisatorische Barriere zu der fremden Kultur mit poetischem Geschick. Dies schafft er auch mithilfe des Wortspiels und des sprachlich genutzten Spielraums, wie er es bei Hafis bewunderte. Für Goethe ist Hafis eine Ermutigung, auch gegen den übermächtigen Zeitgeist seine Stimme uneingeschränkt hören zu lassen; weil Hafis eine poetische Sprache kunstvoll auf die Spitze getrieben hat, die ihm alles zu sagen erlaubt, ohne sich von einer Partei vereinnahmen zu lassen. 3.2.8 Verwandlung der orientalischen Unterwürfigkeit:

Das Gedicht All-Leben ?

Staub ist eins der Elemente,

Das du gar geschickt bezwingest, Hafis, wenn zu Liebchens Ehren

Du ein zierlich Liedchen singest. Denn der Staub auf ihrer Schwelle Ist dem Teppich vorzuziehen, Dessen goldgewirkte Blumen Mahmuds? Günstlinge beknieen.?

Das persische Wort häk (Staub, Erde) ist ein für persische Dichtung typisches Zeichen der Unterwerfung unter die Geliebte oder den Herrscher. Das Wort Staub in All-Leben geht auf diese folgenden Hafis-Verse zurück:

Zwar bin ich nicht im Stande

Dir körperlich zu nah'n, 1

2 3

4

Mehr dazu s. vorliegende Arbeit, Kapitel 1.5.

Entstanden am 29. Jul 1814. Mahmud (971-1030) von Qazna ist der berühmteste Herrscher aus der türkischstämmigen Qaznawiden-Dynastie (977 bis 1186). Goethe hält ihn fälschlicherweise

für einen persischstämmigen Herrscher. Er schreibt in den Noten: „Er [Mahmud], selbst aus persischem Stamme, ließ sich nicht etwa in die Beschränktheit der Araber hineinziehen, er fühlte gar wohl, daß der schönste Grund und Boden für Religion in der Nationalität zu finden sei;“ Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 152. Ebd., S. 20.

276

Doch bleibet meine Seele Der Staub der Schwelle deines Thors.!

Derlei hyperbolische Liebedienerei hat mit der Unterwürfigkeit und Dienstwilligkeit der Perser zu tun, bei der auch die traditionelle islamisch-mystische Ergebung eine entscheidende Rolle spielt (Islam bedeutet Ergebung in Gott). Es finden sich zahlreiche Verse von Hafis, in denen das lyrische Ich sich als ein wertloses Element vor Geliebten niederwirft: Hoher Geist ward Hafisen! Von dieser Welt, und von der andern

Springet nichts ihm ins Aug’, als

Der Staub der Schwelle deiner Thüre.?

Mehr noch: der Liebende ist bereit, seine Seele dafiir hinzugeben, der Staub vor der Schwelle der/des Geliebten zu werden: Opfer für den Türstaub der Freundin mége meine liebe Seele sein [...]? Als Huldigungsstreu (fällt) auf den Staub deines Weges meine Seelenmünze, jedoch dieses Geld hat bei dir gar ja keine Geltung.* Goethe spricht zunächst mit orientalischer Enkomiastik von Staub, findet dann aber allmählich - was typisch für Goethe im West-östlichen Divan ist - zu seiner aufgeklärten Haltung zurück. Denn er möchte sich immer wieder erneuern bzw. neues Leben schaffen, um ein höheres Ziel zu erreichen. Hier wird Staub deshalb nicht mit orientalischer Konnotation als Unterwürfigkeit rezipiert, sondern als ein natürliches Phänomen, dem das Leben „entspringt“. Goethe macht den Staub wieder zu etwas Brauchbarem, er gibt ihm einen lebensfördernden Charakter: Wenn jetzt alle Donner rollen

Und der ganze Himmel leuchtet, 1 2 3 4

Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 77. Ebd. S. 166. Hafis-Wohlleben, 5. 575. Hier hat Wohlleben statt „Opfer“ (fedä ‎‫ (فدا‬die Wortverbindung „Lösegeld-Opfer“ übertragen, was in diesem Zusammenhang nicht treffend ist. Ebd., S. 548. 277

Wird der wilde Staub des Windes

Nach dem Boden hingefeuchtet.

Und sogleich entspringt ein Leben, Schwillt ein heilig, heimlich Wirken, Und es grunelt, und es grünet In den irdischen Bezirken.! 3.2.9 Orientalisches Liebespaar Schmetterling-Kerze als Veranschaulichung des Flammentodes für den Quell des Lebens: Das Gedicht Selige Sehnsucht 2 Sagt Weil Das Das

es niemand, nur den Weisen, die Menge gleich verhöhnet, Lebendge will ich preisen nach Flammentod sich sehnet.?

In diesen Versen lehnt sich Goethe an zwei Motive von Hafis an: 1. Weil Goethe in diesem Gedicht das Geheimnis als ausschließlich für

Weise zugänglich bezeichnet, erkennen viele Interpreten? darin Hafis’ Vers:

O Hafis! kennt wohl der Pöbel Großer Perlen Zahlwerth? Gieb die köstlichen Juwelen

Nur den Eingeweihten.°

‎‫تح‬ W ne

‫نم‬

Aber sowohl hier als auch an anderen Stellen möchte Hafis als Mystiker - wie alle anderen Mystiker - das Geheimnis (raz ‎‫ راز‬der mystischen Welt bzw. das Geheimnis der Liebe zum Göttlichen Ursprung nicht nur dem „Pöbel”, sondern auch hauptsächlich den Frömmlern oder sogar Konkurrenten aus den Sufi-Orden vorenthalten:

Goethe: West-östlicher Divan. S. 20f. Entstanden am 31. Jul 1814. Goethe: West-östlicher Divan. S. 21. unter ihnen auch Birus in: Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S., S. 967.

Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 514. Dieses Ghasel wird inzwischen nicht mehr Hafis zugeschrieben..

872

Sagt dem Eingebildeten nichts von Rausch und Liebesgeheimniß, Daß er vergeh’ vor Gram, sterbe an selbstischem Sinn.! Oder:

Begnüge dich Hafis Mit Liebesgram und schweige, Entdeck’ Verständigen Nicht deine stille Liebe.? Goethe hat in seinen Versen eine wichtige Lehre der Mystiker, das „Geheimnis” („Sagt es niemand”), nicht im mystischen Sinne angewandt. Die Mystiker suchen nach dem Geheimnis (räz) der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Wie schon erläutert,? glauben die Mystiker den Weg zur Erkenntnis des Geheimnisses um die Gottesliebe entdeckt zu haben. Die beseligende Schau des ewigen Geliebten darf Uneingeweihten unter keinen Umständen verraten werden, das Gebot zur Geheimhaltung der Offenbarung ist der mystischen Lehre immanent. Einer der bekanntesten Mystiker des 10. Jahrhunderts, Mansur al-Hallag - der sich selbst als die göttliche Wahrheit (an al-hag) bezeichnete - wurde in Bagdad wegen Blasphemie 922 n.Chr. gehängt. Die anderen Mystiker sahen den metaphysischen Grund für seine Hinrichtung im unerhörten Vergehen der Enthüllung der Geheimnisse Gottes. Hafis hat dazu Folgendes gedichtet: Er sprach: Jener Freund [Hallag] durch den Galgen zu hohen

Ehren kam sein Verbrechen war, dass er die Geheimnisse verriet.?

2. Wenn nun Goethe dieses Geheimhalten des Wissens auch nicht aus der Sicht eines Mystikers betrachtet, so steht er doch in seinem „Flam-

mentod“ unter dem Einfluss der orientalischen Mystik - Stirb und ۶۲ Nicht mehr bleibest du umfangen In der Finsternis Beschattung,

‫ لير‬W

DD‫‏‬

‫مم‬

Und dich reißet neu Verlangen Auf zu höherer Begattung. Ebd., S. 863. Ebd., S. 562. Siehe Kapitel 1.3.1. Hafis-Wohlleben, S. 209. 972

Keine Ferne macht dich schwierig, Kommst geflogen und gebannt, Und zuletzt, des Lichts begierig, Bist du Schmetterling verbrannt. Und solang du das nicht hast, Dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein triiber Gast Auf der dunklen Erde. !

In der Verbindung des Liebespaars Schmetterling-Kerze in der klassischen persischen Literatur ist der Schmetterling das Symbol fiir den Liebenden, die Kerze bzw. das Licht das Symbol fiir die Geliebte. Der Schmetterling wird in seiner Liebe zum Licht verbrannt; d.h. er opfert sein Ich für seine Liebe, um mit ihr eins zu werden. Dieses Bild wurde in der persischen Dichtung vielfach bereits vor Hafis fiir die hyperbolischer Darstellung irdischer Liebe verwendet, später dann von den Mystikern, also auch von Hafis, fiir ihre Lehre benutzt. Der mystische Weg, auf dem der Mystiker die Vereinigung mit Gott sucht, besteht aus verschiedenen Emanationsstufen. Die höchste Stufe geistiger Vervollkommnung ist „fanä” (Vernichtung, Entwerden).? Der Schmetterling verkörpert den Mystiker, dessen Geist sich durch die Vernichtung des Körpers in der Flamme der Kerze (Sonne/Gott)

mit

seiner Quelle

vereinigt.

Mit

anderen

gewinnt durch sein Sterben ein ewiges himmlisches Leben werde!):

Worten:

Er

(Stirb und

Der Schmetterling brennet am Licht Im Genuße der Liebe, Hingegen zerschmilzet mein Herz Vom Lichte deiner Wangen ferne. [...] 7 Fodert mir ihr Schmetterling ab die Seele, Will ich wie die Kerze im Augenblicke Opfern die Seele. 1 2

3

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 21. Bei manchen Mystikern sind fana (Entwerden) und bagä (Bleiben in Gott) die einander ergänzenden letzten Zustände des mystischen Pfades. Vgl. A. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., 5. 190. Mehr dazu s. vorliegende Arbeit, Kapitel 1.3. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 464.

280

[...]! Bis du nicht wie Schmetterlinge Aus Begier verbrennest, Kannst du nimmer Rettung finden Von dem Gram der Liebe.? Nun mag es sein, dass, wie Burdach und seine Nachfolger in Erwägung zogen, es sich bei dem Schmetterling im Gedicht Selige Sehnsucht um den Goethe’schen Begriff der ,Metamorphose handelt.? Es mag weitergehend sein, dass, nach Strichs Interpretation, Goethe „die irdische Verwandlung, die jedes Wesen durchmachen muss, um sich am Leben zu er-

halten“ oder vielmehr die Notwendigkeit, sein Leben erneuern zu müssen,

meint.4

Im

vorliegenden

Gedicht

hat aber

Goethe

m.E.

eher

die

orientalische Mystik oder - wie er selbst in der Erörterung vom Buch des Sängers erklärt - „die näheren Bezüge des Dichters zum Orient“ im Sinne.” Dies insbesondere deswegen, weil Metamorphose in ihrem Verwandlungsprozess einen Vorgang des Verbrennens nicht beinhaltet. Goethe hat in anderen Gedichten Metamorphose zum Gegenstand gemacht, dieses jedoch ist anders zu deuten. Des Weiteren hat Goethe in seinem Gedicht die Kerze genannt (Wenn die stille Kerze leuchtet), was wiederum dafür spräche, dass es gerade nicht um eine Metamorphose geht. Metamorphosen passen mit dem persischen literarischen Liebespaar Schmetterling-Kerze nicht zusammen. Das Lebendge will ich preisen Das nach Flammentod sich sehnet.® Auch dieser Vers zeigt, dass das Gedicht ein Paradoxon enthält: Der Dichter will einerseits „das Lebendige preisen“, aber andererseits sehnt 1

Ebd., 5. 609. Man soll hier nicht außer Acht lassen, dass das, was Hammer als „opfern der Seele” übersetzt hat (gan sepordan ‎‫(جان سپردن‬, eigentlich „sterben“ bedeutet im Sinne von körperlicher Vernichtung; denn nicht nur die Mystiker, sondern

OO

ON

Bm

W

DO

jeder Gläubige glaubt an ein ewiges Leben der Seele. Der Mystiker opfert nicht

seine „Seele“, sondern seinen Körper, sein Ich, um die Seele zur Vereinigung mit Gott zu befreien. Ebd., S. 514. Vgl. Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 971. Fritz Strich: Goethe und die Weltliteratur. Bern 1957, S. 181f. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 199. Ebd., S. 21.

281

er sich nach dem Tod. Das ist keine Metamorphose, denn diese gilt dem Weitergehen im irdischen Leben, nicht aber dem Aufgeben des Ich. Außerdem ist hier im mystischen Sinne von Opferkult die Rede. Aus diesem

Blickwinkel sei der Mensch, ohne die Lebensformel stirbe und werde an-

zunehmen, nur ein triiber Gast auf der dunklen Erde. Obwohl solche Opferbereitschaft (Vgl. auch: Will ich wie die Kerze im Augenblicke / Opfern die Seele) mit Goethes Denkweise nicht verein-

bar ist, haben wir es hier mit einem Gedicht zu tun, das im mystischen

Sinne zu verstehen ist. Wenn man aber dies mit Goethes Denkweise erklaren will, sollte es in diesem Fall nicht mit der Goethes Idee der Metamorphose in Verbindung gebracht werden, sondern mit seiner LichtLehre: Goethes Verwendung dieser Metaphorik sollte hier als eine Mischung von orientalischem Sinnbild und Goethe’scher Licht-Lehre verstanden werden, wobei das Licht als Quelle des Lebens dargestellt wird. Darüber hinaus opfert sich der Schmetterling nicht in einem Liebesakt. Es ist ein Flug zum Licht, zur Quelle des Lebens, der, da gefahrvoll, auch zum Tode führen kann.

Fassen wir zusammen: In diesem Buch (Buch des Sängers) ist die prinzipielle Haltung des Divan in Verbindung zu Hafis zu beachten: Nachempfindung und Verjüngung. Goethe übernimmt Hafis’ rhetorische Figuren und Sinnbilder, er bleibt aber nicht bei dieser Nachempfindung, er steigert sie, wie wir es auch im Buch Hafis erlebt haben, und wie es auch im nächsten Kapitel (Die Auffassung der Liebe im West-östlichen Divan) zu erörtern ist. Hafis wurde für Goethe zu einem Leitbild, wie der wachsenden Orthodoxie

zu widerstehen

wäre. In einer Situation, in der die Anerken-

nung Goethes durch seine Zeitgenossen schwindet, in der ihm Ruhm

und Liebe abhanden kommen, bewundert er Hafıs dafür, dass er sich die

Zuneigung seines Volkes nicht nur zu Lebzeiten, sondern bis in die Gegenwart hat erhalten können, was Goethe auch für sich wünschte. Hafis ist der Sänger der Perser - den sie heute noch rezitieren und wie ein Orakel befragen. Den Grund sieht er darin, dass Hafis eine poetische Sprache kunstvoll zur Vollendung gebracht hat, die ihm alles zu sagen erlaubt, ohne sich von einer Partei (einer Seite) vereinnahmen zu lassen. Hafis

ist das Muster,

aber nicht

durch

Folgsamkeit,

sondern

dadurch,

dass er mit seinen Mitteln - der poetischen Sprache - das Interpretationsmonopol der Orthodoxie unterläuft. Er ist ein Meister des doppelbö282

digen, vieldeutigen Sprechens. Deshalb möchte Goethe Hafis Lebensund Dichtungsform nachempfinden. So feuert ihn Hafis zu eigener Arbeit an. Er verfasste viele Strophen in Sinn und Art von Hafis, um sich inniger mit der orientalischen Literatur bekannt zu machen. Er verwendete nicht nur Sinnbilder oder Inhalte von Hafis, sondern

arbeitete daran, auch die Form der Dichtung von Hafis zu treffen. Es ist nicht die bloße Nachahmung, die Goethe als orientalische Bildsprache in seinem Divan zugunsten

seiner eigenen Auffassung von Poesie heraus-

zuarbeiten versuchte. Vielmehr hat er die poetische Nachfolge benutzt und sie zu einer Vorbereitung, zu einem Sprungbrett werden lassen, von dem aus er - Goethe - sich zu einer neuartigen, verjüngten Poesie erheben konnte. Sie ist ein Schöpfungsmedium, worin er Liebe und Lieder zur Reife zu bringen vermochte. Obgleich er versucht, sogar 16 Reimart nachzugestalten, erstarrt er nicht in ihrer Form. Sein Wunsch ist, mit ihrer Hilfe als poetischer Sänger neu hervorzutreten. Es ist eine Begegnung mit einer anderen, fremden Welt, wie er sie bereits in Italien erlebte. Dort erfuhr er „einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wiedergeburt. ! Sie befruchtete und belebte sein Schöpfertum. Der Wunsch nach Verjüngung und der Drang, ihrer teilhaft zu werden, ist für Goethe zugleich eine Motivation, in einen Wettstreit der Sänger einzutreten und daran seine Kunst zu erproben. Seine Absicht war,

Werke aus anderen Kulturen für seine dichterische Schöpfung produktiv zu verwenden. Goethe verliert sich indes nicht in der Ferne; sondern gerade die Begegnung mit der „ungemessenen Ferne”, dem Orient oder Persien, erweckt neues Leben in ihm. Er lernt Neues, um noch Neueres zu schaffen, er eignet sich fremde Formen an, um einen neuen Sinn und neue Lieder „mit eigenem Feuer“

zu schaffen. Es entsteht eine neue Religion, in der östliche Erhabenheit Eingang findet, damit die eigene Kultur verjüngt und erneuert werde.

1

Goethe: Italienische Reise. Hrsg. von Christoph Michel u. Hans-Georg Dewitz. In: Goethe: Sämtliche Werke. Bd. I, 15/1. FA, 1993, S. 158. 283

4 Die Liebe im West-ôstlichen Divan

im Vergleich zur Liebe bei Hafis

Hier wird die Weltanschauung eines Aufklärers mit der eines Orientalen durch das Thema „Liebe“ verglichen. Liebe ist das Kernthema in Hafis Dichtung und die Liebeslyrik ist ebenfalls ein Höhepunkt im West-östlichen Divan, darüber hinaus veranschaulicht sie Goethes Sicht auf den Orient ebenso wie sein Verhältnis zu Hafis und dessen Dichtung. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie Goethe im West-östlichen Divan das Thema „Liebe“ behandelt: Nähert sich die Liebe im West-östlichen Divan „östlichem Charakter, wie manche Interpreten, u.a. Strich, meinen?! Welche Rolle spielt Hafis in diesem Zusammenhang? Finden sich Spuren von Hafis’ Liebeswelt im West-östlichen Divan? Was sind die Unterschiede zwischen der Behandlung des Themas „Liebe“ im West-östlichen Divan und dem Diwan von Hafis? Zunächst wird dazu die Auffassung von Liebe in Hafis’ Welt untersucht, daran anschließend wird diese mit der Darstellung von Liebe im West-östlichen Divan unter Zuhilfenahme zweier wichtiger Liebesgedichtzyklen, dem Uschk Nameh (Buch der Liebe) und dem Suleika Nameh (Buch Suleika), verglichen.

4.1 Liebe in Hafis’ Dichtung Wie im Kapitel Hafis’ Weltsicht ? bereits dargelegt, geht es Hafis in seiner Dichtung sowohl um die himmlische als auch um die irdische Liebe. In beiden Erscheinungsformen - wobei die/der Geliebte entweder Gott, ein Herrscher, ein Knabe oder ein Mädchen sein kann - drückt sich das poe-

tische Ich mit der gleichen Gefühlsintensität aus und bedient sich dabei derselben Ausdrucksmittel. Beispiel dafür mögen folgende Verse sein: Rosenknospen verschließen den Kelch durch dich ganz beschämet, Hyacinthen entglühn gänzlich berauschet vor dir.

1

2

S. Fritz Strich: Goethe und die Weltliteratur. Bern 1957, S. 176.

S. vorliegende Arbeit, Kap. 1.3.4.

285

Ha! wie kônnte sich wohl mit dir die Rose vergleichen, Denn sie glänzt durch die Sonn’, Sonnen erglänzen durch dich.! Dieser Vierzeiler (robä’yi) von Hafis ist eine hyperbolische Projektion der Beziehungen zwischen einem Liebenden und einem Geliebten und kann als Liebesgedicht sowohl an Gott als auch an eine Frau, einen Knaben oder an einen fürstlichen Gönner gerichtet sein.? Wie in folgendem Vers-

paar (s.u.) eines Ghasels bleibt hier offen, wer letztlich gemeint ist. Da es

im Persischen kein Genus gibt, für „sie“ und „er“ das gleiche Personal-

pronomen (u ,!) verwendet wird, ist bisweilen schwer zu erschließen, ob der Dichter eine Frau oder einen Mann besingt. Der Leser vermag lediglich aus dem Zusammenhang das Geschlecht des Angesprochenen zu ersehen: Wecke mich, um Gottes Willen, nicht aus dem Schlaf,

ich habe solch schöne Freude an seinem /[ihrem?] Traumbild.?

Das sich daran anschließende Verspaar des gleichen Ghasels allerdings zeigt deutlich, dass der Dichter einen Knaben gemeint hat: Wenn jener süße Knabe mein Blut vergießt, 0 Herz, so halte das für geradeso statthaft wie Muttermilch.4 Von den folgenden Liebesversen ist bekannt, dass sie sich an einen Herrscher, wahrscheinlich an Säh Yahyä, den Herrscher von Yazd, einer Nachbarstadt von Schiras, richten.? Sie könnten ebenso auf eine Frau gedichtet sein: O du, von dessen leuchtendem Antlitz die Strahlen des Schönheits-Mondes (ausgehen), der (Gesichts-)Glanz der (absoluten) Schönheit (stammt) aus deiner Kinn-Grube.

[...]

On

‎‫ لير‬W

PR

‎‫مم‬

Den Wunsch, dich zu sehen, hat die Seele, die bis zur Lippe Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 930. Zur Interpretation dieses Vierzeilers s. Kap. 1.8 (rendi als Hafis’sche Philosophie). Hafis-Wohlleben, S. 364. Ebd.

S. Qäsem Gani: Bahs dar äsär wa afkär wa ahwäl-e Häfez. Bd.1 [Geschichte der

Hafis-Zeit]. Teheran 2007, S. 466. 682

aufgestiegen ist;!

soll sie umkehren oder herauskommen, was ist dein Befehl??

In Hafis Gedichten finden sich, wie allgemein in der persischen Dichtung, derart hyperbolische Beschreibungen des Geliebten und auch erotische Darstellungen. Was man aber über die Merkmale der Liebesgedichte in Hafis’ Dichtung wissen muss, ist dies: 1. Abgesehen von wenigen persischen Epen, wie denen von Ferdausi oder Nizämi, in deren Werken sich als eine Vorform des Dramas der Gesprächsform ähnliche Darstellungen finden, gibt es in der persischen Liebeslyrik kaum die Thematisierung einer gegenseitigen Liebe. Die oder der Geliebte bringt selten eine Gegenrede hervor. Das lyrische Ich in der Rolle des Liebenden spricht beinahe ausschließlich und einseitig. Diese Einseitigkeit entsteht einerseits bedingt durch das despotische System, in dem weder Widerspruch geduldet noch Wechselrede gewollt war,? andererseits entwickelt sie sich aus der iranisch-islamischen Mystik. In der mystischen Liebe sehnt sich der ohnmächtige Mensch nach der Einswerdung mit dem Allmächtigen. Die poetische Art der Darstellung von mystischer Liebessehnsucht wird in der persischen Liebeslyrik auf zwischenmenschliche Liebesbeziehungen übertragen. Entsprechend braucht der Geliebte keine eigene, antwortende Stimme hervorbringen. Wie Gott für den sehnsüchtigen Mystiker auf dem „Pfad der Liebe” noch verschleiert ist, suchen in der Abbildung dieser Verhältnisse die Liebenden kein gleichberechtigtes Gegenüber, das ihre Persönlichkeit spiegelt, um zu verschmelzen und sich im Wechselspiel zu entwickeln. Hier finden keine freien, gleichen Individuen in einer Liebesbeziehung zueinander. Der Liebende kann durch Unterwerfung mit dem Geliebten eins werden. Der Gegensatz zwischen den Liebenden bleibt unter den Bedingungen einer despotischen und patriarchalen Gesellschaft unüberbrückbar. Eine gleichberechtigte, wechselseitige, sich gegenseitig befruchtende Liebe im Sinne des aufgeklärten menschlichen Individuums ist undenkbar und existiert somit nicht in der Welt von Hafis Diwan. So besteht in 1

Mit „die Seele, die bis zur Lippe aufgestiegen ist” ist die „Seele“ gemeint, „die kurz

2 3

Ebd. Über die Rolle des Despotismus in der persischen Literatur s. vorliegende Arbeit Kap 2.3.4 Die Wirkung des Despotismus auf die persische Dichtung.

davor steht, den Leib hinter sich zu lassen.” s. Hafis-Wohlleben, S. 64.

287

der mystischen Dichtung keine Notwendigkeit zur Gesprächsform. Hafis gibt, z. B., an den Stellen, an denen von der Liebe die Rede ist, einem Dialog/Gesprach ‎)‫ (گفت و شنود‬keinen Raum, denn in diesem Zusammenhang, im ,Weihebezirk der Liebe”, hat man zu gehorchen, nichts anderes gilt: Im Weihebezirk der Liebe kann man sich nicht mit Hérensagen! durchschlagen,

weil dort alle Glieder Auge und Ohr sein müssen.? Gehorsam und Schweigen in Verbindung mit der Liebe in der mystischen Welt zeigt ein Ghasel von Rumi beispielhaft. In diesem Gedicht bewegen sich oder sprechen alle Wesen - einschließlich der Naturwesen -, um die Ankunft der heiligen Person, des mystischen Pfadführers, zu begrüßen oder um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Die Mystiker selbst schweigen. Das Gedicht ist eine Annäherung an die Vereinigung mit dem heiligen Geliebten, und nur Gehorsam und Schweigen gewährleisten diese. Denn vom Gespräch wirbelt „Staub“ empor, und dieser würde also die Vereinigung verhindern. Es zeigt sich hier auch die absolute Hingabe des Liebenden: Wenn du in unserem Gau [in der mystischen Welt] ankommst, (merkst du, dass) unsere Eigenschaft Schweigen ist;

Weil unser Gespräch den Staub erregt.’

‫چون برسی به کوی ماء خامشی است خوی ما‬ ‫ گرد و غبار می‌رسد‬cle‫زانکه ز گفت‌وگوی ‏‬,

.2 Kommen Geliebte doch einmal zu Wort, zeigen sie kein freundliches‫‏‬ Gesicht, sondern tadeln den Liebenden: In einem der seltenen Ghaselen,‫‏‬ in denen Hafis in Gesprächsform dichtet, beschwert sich eine Nachtigall‫‏‬ als Liebende über die Zuriickweisung ihrer Liebe durch die Rose als Ge-‫‏‬ liebte. Die Nachtigall halt der Rose vor, eingebildet zu sein, obwohl es‫‏‬ doch im Garten viele ihresgleichen gebe. Die Rose antwortet daraufhin,‫‏‬ dass es dem Liebenden nicht anstehe, harte Worte an die Geliebte zu‫‏‬ richten. Wenn der Liebende Gegenliebe erreichen môchte, müsse er sich‫‏‬ unterwerfen, unter blutigen Tranen flehen:‫‏‬ 1 2 3

Was hier Wohlleben mit Hörensagen übersetzt, meint im Original eher das Gespräch. Hafis-Wohlleben, S. 371. Rumi: Koliyät-e diwan-e Sams-e tabrizi [Rumis Gedichtsammlung]. Hrsg. von ‘Ali Daëti u. B. Foruzänfar. Teheran 1976, 5. 243. Übersetzung von mir.

288

Am Morgen sprach der Vogel der Aue! zur frisch ersprossten Rose:

Bild dir nicht soviel ein, denn in diesem Garten sind schon viele deinesgleichen zur Blüte gelangt. Die Rose lächelt: Die Wahrheit kränkt mich nicht, jedoch kein Liebender spricht (so) harte Worte zu Geliebten.

Wenn dich nach Rubinwein?gelüstet aus jenem inkrustierten Becher,?

musst du Perle und Rubin mit der Spitze deiner Wimper durchbohren.{

In den weiteren Versen des Ghasels wird noch deutlicher vom Liebenden

Unterwürfigkeit verlangt:

Bis in alle Ewigkeit wird der Duft der Liebe den (Geruchs-) Sinn dessen nicht erreichen, der nicht den Staub von der Tür des Weinhauses mit seiner Wan-

ge gefegt hat.”

Mit dem Weinhaus ist das Haus der/des Geliebten gemeint. Hafis zieht den Schluss, dass die Liebe nicht in Worten sagbar ist und man daher auf Gespräche verzichten solle. Erst wenn der Liebende jenseits aller Worte seine Liebe bezeugt, indem er sich in den Staub niederbeugt und vom Reden ablässt, wird er die Liebe erfahren. Dies wiederum belegt die absolute Hingabe: Das Wort der Liebe ist nicht das, was auf die Zunge gelangt. O Schenke, gib Wein und kürze das sinnlose Geschwatz ab.® 1 2

3 4 5 6

D.i: die Nachtigall. Es ist mir nicht nachvollziehbar, warum Wohlleben hier statt Rubinwein

‎)‫(می لعل‬

Granatwein übertragen hat. Rubinwein ist eine Metapher für die Lippe der/des Geliebten. „nach Rubinwein aus jenem inkrustierten Becher gelüstet” - gemeint ist: die Lippen des/der Geliebten küssen bzw. den/die Geliebte zu erreichen. „Sinn: Du musst helle und blutige Tränen an deinen Wimpern hängen lassen, also weinen." s. Hafis-Wohlleben, S. 144. Hafis-Wohlleben, S. 144. Ebd. Hier hat Wohlleben für die persische Wortverbindung ‎‫( گفت و شنود‬Gespräch) „das sinnlose Geschwatz’ übertragen, obwohl er dieses Wort im gleichen Ghasel bereits einmal mit „Hörensagen” übersetzt hat. „Das sinnlose Geschwätz” (besser: leere Reden) ist sinngemäß nicht ganz falsch, aber in diesem Fall ist die wörtliche

289

Solcher Unterwürfigkeit in der persischen Literatur hat auch Goethe Beachtung geschenkt. Dazu führt Goethe Beispiele aus Hafis an, in denen es heißt, dass man sich nicht allein „vor dem Sultan“, sondern auch eben-

so „vor Geliebten” erniedrigt.!

3. Schweigen, Gehorsam und Geduld werden in obigem, eher eine mystische Liebe meinendem Liebesgedicht gefordert, damit der Liebende vom Geliebten erhört werde. In Gedichten, in denen es um irdische Liebe geht, werden zwar ebenso Gehorsam und Geduld eingefordert, dies jedoch ungleich hartherziger und bedrückender. Gemeinheiten, Hartnäckigkeit und andere eher auf einen Mann bezogene Eigenschaften des Geliebten weisen darauf hin, dass es sich beim Angesprochenen um einen realen Mann handelt. Kandis mit Rosenwasser vermischt, das ist keine Medizin für mein Herz, ein paar Küsse mische auf mit ein paar Gemeinheiten. [...] Hafis ist vor Sehnsucht nach deinem sonnen-liebes-strahligen

Antlitz dahin geschmolzen;

O du wunschlos Glücklicher, gönne dem Wunschverunglückten gelegentlich einen Blick!?

Die Gemeinheiten und die Gnadenlosigkeit des Geliebten stehen der absoluten Hingabewilligkeit des Liebenden gegentiber: Der Liebende nimmt sogar seinen Tod durch des Geliebten Hand in Kauf: Die Tötung dieses Geschwächten? durch dein Schwert war keine Gottesfiigung, ansonsten hat dein gnadenloses Herz ja keinen Fehler begangen.? Hier wird deutlich, dass der Geliebte ein Mann, ein junger Soldat, sein muss. Dies nicht nur aufgrund

seiner Tat ( der Tôtung),

mehr wegen des Schwerts, das er trägt.

sondern viel-

md

W

‎‫تح‬

‫سم‬

Übersetzung (Gespräch) viel geeigneter, um das Fehlen von Dialogen zu verdeutlichen. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 173.

Hafis-Wohlleben, S. 256. D.h. meine Tôtung. Hafis- Wohlleben, S. 297.

092

Wie schon erwähnt,! die Liebe zu jungen Soldaten war besonders seit dem 10. Jh., als die türkischstämmigen Herrscher das Land regierten, ein häufiges Motiv in der persischen Poesie. In einem der nächsten mystischen Liebesgedichte (Buchstabe

Te, Ghasel

73) beklagt sich Hafis diesmal über die Hartherzigkeit Gottes, der seine ihm entgegengebrachte Liebe trotz aller Anstrengungen nicht zur Erfüllung gelangen lässt: In keiner Weise hat das Weinen des Hafis auf dich [Gott] einen Eindruck gemacht; ich staune über ein Herz, das nicht weniger hart ist als ein Stein.?

Eine Darstellung der als schmerzhaft empfundenen Trennung vom Geliebten kann sehr wohl aus gesellschaftlicher Repression resultieren, aus Umständen, die es den Liebenden erschwerten, zueinander zu finden. Doch liegt eine Erklärung aus mystischer Sicht näher: Indem Adam das Gottespfand (die Liebe) annahm, entstand sein, also des Menschen, lebenslanges Leiden. Die folgenden Verse stellen eine Momentaufnahme der letzten Begegnung Adams mit Gott dar, nach der Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieben werden. Statt Strafe, wie

es in der Bibel steht, öffnet Gott Adam den Weg der Liebe. Gott entlässt Adam mit einem Unterpfand. Dieses ist einer Garantie gleich und bedeutet, dass seine Liebe Adam in jedem Fall erhalten bleibt. Diese Gabe der Liebe bleibt dem Menschen ewig auferlegt:? Der Herr der Ewigkeit hat uns den Schatz des Liebeskummers hinterlassen seitdem wir uns dieser Trümmerstätte zuwandten.? [...] ° Der Himmel konnte die Last des (gôttlichen) Unterpfandes nicht tragen,

das Los für diese Aufgabe fiel auf mich armen Narren.®

‎‫تح‬ W R aan

‫مم‬

Dies ist eine Anspielung auf den Koran: Siehe vorliegende Arbeit, Kap. 1.5. Hafis-Wohlleben, S. 135. Mehr dazu s. die vorliegende Arbeit, Kap. 1.3.1.

D.h.: „auf die Erde kamen”; Hafis- Wohlleben, S. 470.

Ebd. Ebd., S. 258.

192

72 Wir haben (nach Beendigung des Schöpfungswerkes) das Gut [das Unterpfand],! das (der Welt) anvertraut werden sollte, (zu-

erst)dem

Himmel

(w. den (sieben) Himmeln),

der Erde und den

Bergen angetragen. Sie aber weigerten sich, es auf sich zu nehmen, und hatten Angst davor. Doch der Mensch nahm es (ohne Bedenken) auf sich. Der Mensch hat die Pflicht bzw. „Aufgabe“, die Gottesliebe vor Bos- und

Verderbtheit zu bewahren und unversehrt an Gott zurückzugeben, nur so kann der Mensch sich mit Gott vereinigen. Der Weg des Mystikers ist mühselig und langwierig. Viele Entbehrungen und Hindernisse liegen vor der Vereinigung mit dem göttlichen Ursprung. Dieses Ziel scheint fiir nicht wenige, darunter Hafis, derart schwer zu erreichen, wenn nicht unerreichbar zu sein, dass er irgendwann enttäuscht an Gottes Hartherzigkeit verzweifelt. „Liebeskummer“ als der Schmerz unerfüllter Liebessehnsucht z.B. ist deswegen ein wichtiges Merkmal der klassischen persischen Literatur, die man mithin als Literatur des Unmuts, des Grams oder der Schwermut bezeichnen kann: Die Tranen des Hafiz haben Verstand und Geduld ins Meer gespült Was soll er tun? Den Brand des Liebeskummers vermag er nicht zu verbergen.’ Dieser Liebeskummer durch Trennung ist in Adams Vertreibung aus dem Paradies begründet und in die Mythen der Menschen eingebrannt. Von Anbeginn der Menschheitsgeschichte ist mit der Liebe auch der Kummer geboren,

denn diese vollkommene

und bringt Leid und Gram hervor:

Gottesliebe ist eine ,Last", so Hafis,

In der Ewigkeit leuchtete ein Strahl deiner Schönheit aus (plötzlicher) Offenbarung hervor, die Liebe erschien und warf Feuer in die ganze Welt.

[...]

Andere setzen ihr Schicksalslos ganzlich auf Lebensfreude 1 2

3

Das Wort amänat (arabisch: ‎‫ = (آماند‬ein zur Aufbewahrung gegebener Gegenstand, Unterpfand wurde in Rudi Parets Koran-Übersetzung mit Gut übertragen. Der Koran; Sure 33, Die Gruppen, S. 298.

Hafis-Wohlleben, S. 144.

292

mein gramvertrautes Herz war es, das trotz allem auf Gram setzte.! Hafis beklagt Adams Tat, dass er verbotene Früchte aß und dadurch die

Vertreibung der Menschen aus dem Paradies in diese Ruine, die irdische

Welt, verursachte. Er wünscht sich aus dieser Trümmerstätte, der Erde,

fortzugehen, um sich mit dem göttlichen Ursprung, dem Geliebten, vereinigen zu können: Engel Adam [...] 3 Selig Ruhe ich.4

war ich und das erhabene Paradies mein Platz. hat mich in diese Kloster-Ruine? versetzt. der Tag, an dem ich aus dieser Trümmerstätte fortgehe. der Seele suche ich, und auf den Spuren des Geliebten gehe

Aus dem Kontext des unten stehenden Gedichts wird ersichtlich, inwie-

weit in der orientalischen, in diesem Falle gleichbedeutend mit der islamischen Welt, der schlechthin wird:

Liebende

nun

zum

Sklaven

des/der

Geliebten

Sollte es so sein, dass eine Audienz bei dem hohen Herrn nicht

(môglich) ist, dann bring meinen beiden Augen ein Staubchen von der Tiir des

Freundes. Was ware (genommen), wenn mein Herz aus den Banden des Grams frei ware, wo Hafiz (nun einmal) der schönsingende Sklave und Diener des Freundes ist.°

Es sei darauf hingewiesen, dass nicht alles Allgemeingut der Mystiker mit Hafis’ Weltsicht übereinstimmt: Bei Hafis ist Liebe wie bei vielen anderen Mystikern mit Leid und Gram seitens des Liebenden, sowie mit Demütigung und Unterwürfigkeit gegenüber den Geliebten verbunden: 1

2

‫حار‬

3 5

Ebd., S. 223.

„D.i.: die irdische Welt.” Ebd., S. 405. Wohlleben hat hier mit „überlaufene KlosterRuine “übersetzt. Das Wort überlaufene steht nicht im Original. Ebd., S. 405. Ebd., S. 454.

Hafis-Wohlleben, 5. 121. Mehr über die Liebe in Hafis’ Dichtung s. vorliegende Arbeit, Kap. 1.3.4. 392

Ich, der Bettler, und (dann) das Verlangen nach der Liebesvereinigung mit ihm, o weh, wie soll das gehen? Hôchstens erblicke ich im Traum das Bild des Freundes. Mein Herz - fichtenzapfenförmig - bebt wie Weidenlaub vor Sehnsucht nach dem Wuchs und der fichtenschlanken Hochgestalt des Freundes.! Hafis allerdings möchte vom Gram befreit sein: er möchte die Sehnsucht nach der Vereinigung überwinden: Was wäre (genommen), wenn sein Herz? aus den Banden des Grams frei wäre,

wo Hafis (nun einmal) der schönsingende Sklave und Diener des Freundes ist.?

Immer wieder stößt er auf die Unmöglichkeit der Verständigung mit dem/der Geliebten. Dieses Scheitern kann als ein weiteres Merkmal der Tragödie der Liebe im Orient bezeichnet werden. Erklärbar ist die Unmöglichkeit einerseits mit dem allseits bestehenden religiösen Despotismus, der keinen Widerspruch

duldet, andererseits - wie bei Hafis in diesem

Fall - mit einer mystischen Ausrichtung. So oder so: der Liebende verbrennt im Feuer vergeblicher Liebe: Mein Busen verbrannte vom Feuer des Herzens im Gram um den Seelenfreund, ein Feuer war in diesem Haus, das meine Kammer verbrannte. [...] Sieh den Brand meines Herzens, wie vom reichlichen Feuer meiner Tranen das Herz der Kerze

gestern aus Neigung fiir mich vor Liebe wie die Motte verbrannte.?

Viele Mystiker nehmen solch dauerhaftes Leid als Schicksal an und beweinen es fortan ihr Leben lang. Hafis aber, wie wir ihn in seiner geisti1 2

Hafis-Wohlleben, S. 121. In personaler Erzählperspektive ist mit „sein Herz’ mein Herz (Dichters Herz) ge-

3 4

Hafis-Wohlleben, 121. Ebd., S. 73.

meint.

294

gen Entwicklung kennen, ist lediglich enttäuscht, bezeichnet derlei als erfunden bzw. als Erzählung, und greift daraufhin zum Becher Wein, um sich dem Augenblick hinzugeben. Er schließt sein Ghasel mit: Laß das Märchen , o Hafis, und trink eine Weile Wein; wir haben nicht geschlafen (heute) Nacht, während die Kerze über dem Märchen sich verzehrte.!

Wohlleben hat in seiner Übersetzung das persische Wort „afsäne“ (Märchen, Lügengeschichte) mit „Geschichte” übersetzt. Hafis aber hat hier bewusst das Wort Märchen verwendet, um die ganze Quälerei des mystischen Weges als Irrtum oder leeres Geschwätz abzutun. Halten wir hier sechs wesentliche Merkmale des Begriffs Liebe bei Hafis fest: - Sowohl die himmlische als auch die irdische Liebe bei Hafis ist eine einseitige Liebe, die normalerweise durch ein lyrisches Ich bestimmt wird. - Kommt der/die Geliebte doch einmal zu Wort, zeigt er/sie kein freundliches Gesicht, sondern bemäkelt den Liebenden. — Es werden Schweigen, Gehorsam und Geduld gefordert, damit der Liebende vom Geliebten erhört wird. - Seine Liebe ist mit Leid, Gram und mit Unterwürfigkeit seitens des Liebenden verbunden. - Ein inneres Vereintsein mit dem göttlichen Ursprung beschreibt Hafis lediglich in seinen mystischen Liebesgedichten. In der irdischen, realen Liebe ist keine Rede von innerer Verbindung mit Geliebten. Dort ist die Sehnsucht auf bloße erotische Erfüllung gerichtet. - Die irdischen Geliebten in Hafis’ Dichtung sind zum größten Teil nicht weiblichen Geschlechts, sondern reale Männer bzw. Knaben.

1

Hafis-Wohlleben, 73. 295

4.2 Die Auffassung der Liebe im West-ôstlichen Divan Vor dem Hintergrund der dargelegten Sichtweise von Hafis! untersu-

chen wir nunmehr die Liebesauffassung im West-ôstlichen Divan, insbesondere das Uschk Nameh (Buch der Liebe) und das Suleika Nameh (Buch

Suleika). Beide stellen wir im Vergleich zu Hafis Liebesanschauung.

Im Gedichtzyklus Buch der Liebe lässt Goethe zunächst in den Gedichten Musterbilder und Noch ein Paar sieben bekannte orientalische Liebespaare auftreten;? darin präsentiert er die Macht der Liebe als Gewinn. Aus Sicht dieser Gedichte wird der Liebende durch die Liebe weder reich noch mächtig, aber durchaus den größten Helden vergleichbar. Der Wert, den Goethe der Liebe beimisst, lässt die Liebenden gar bis in den hohen Rang von Propheten aufsteigen: Hast Du sie wohl vermerkt,

Bist im Lieben gestärkt. [...] 3

Ja! Lieben ist ein groß Verdienst!

Wer findet schöneren Gewinst? Du wirst nicht mächtig, wirst nicht reich,

jedoch den Größten Helden gleich. Man wird, so gut wie vom Propheten, Von Wamik und von Asra‘ reden.- 5

Doch nicht nur werden Liebende dem Propheten gleich, sondern Goethe selbst - der Dichter - wird durch die Liebe verwandelt,® wie es im Buch 1 2

Mehr dazu in vorliegender Arbeit, Kap. 1.3.4 und 1.5. Bei dem persischen Liebespaar, Rustam und Rodawu (korrekter: Rostam und Rudabe), ist Goethe ein Fehler unterlaufen. Rudäbe ist Rostams Mutter, nicht seine Ge-

liebte. Das richtige Paar im Sähnäme von Ferdausi sind Zäl und Rudäbe, Rostams El-

tern. Über die Liebespaare im Divan s. Noshin Shahrokhi: Die Vervielfältigung der

3 4

5

6

Liebespaare in Goethes West-östlichem Divan (Magisterarbeit). In: www.noufe.com

Vom Gedicht Musterbilder in Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 29. Wamik und Asra (korrekter: Wämeg und Azrä) ein bekanntes Liebespaar, über derer Liebe der persische Dichter ‘Onsori (11. Jh.) dichtete. Nur einige Seiten dieses Epos sind erhalten. Vom Gedicht Noch ein Paar in Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 29.

Vgl. H. A. Korff: Die Liebesgedichte des West-östlichen Divans. 2. Aufl., Stuttgart 1949, S. 128.

296

Suleika der Fall ist. Dieser Liebesgedichtzyklus ist ein ,Duodrama”,

wie

es Goethe nennt,! in dem sich eine wechselredende Beziehung zwischen den Figuren Hatem und Suleika ergibt. Suleika ist in der Realität die 30jährige Marianne von Willemer, Gattin des Bankiers Johann Jakob Willemer, zu der der 65jährige Goethe (Hatem)

in Liebe entflammte.?

Die Figur Hatem, dessen Rolle Goethe als Dichter angenommen

hat, ist

Ihn kennt

Volks-

eigentlich eine vorislamische arabische Legendengestalt, ein reicher Mann, der sehr großzügig und dessen Freigebigkeit sprichwörtlich war. man

als Hatem

1

۷1

‎)‫ (حاتم طائی‬aus dem

arabischen

stamm Tay ‎)‫(طی‬,‫ د‬der in der klassischen Literatur für seine Freigebigkeit gerühmt wurde.? Goethe sollte sich eigentlich in Anlehnung an die Liebesgeschichte von Suleika und Joseph nach islamischer Überlieferung Josef nennen. Da aber Goethe nicht mehr jung wie Josef ist, wählt er stattdessen den Namen Hatem. Dieser hatte ursprünglich nichts mit Liebe

oder Liebesgeschichten zu tun. Goethe nennt außer Hatem Thai, „der al-

les gebende”,° einen anderen Hatem, nämlich Hatem Zograi,® welcher ein „Dichter“ ist. So hat Goethe sich, durch Anführung der zwei orientalischen Namenspatrone, in eine adäquate Figur versetzt. Hatem (Goethe) selbst sagt im Buch Suleika wehmütig zu Suleika,

dass er nicht mehr wie Joseph jung und schön sei: Doch du fühlst an meinen Liedern Immer noch geheime Sorgen;

Jussuphs Reize möchte ich borgen Deine Schönheit zu erwidern.’

1 2

3

un

4

6

7

Siehe Goethe: Sämtliche Werke. Band 3/2, FA, S. 1182. Über diese Liebe siehe u.a. Hans Pyritz: Goethe und Marianne von Willemer. Eine

biographische Studie. Stuttgart 1941. S. Mohammad Mo’in: Farhang-e farsi, a’alam [Persisches Wörterbuch, die Namen]. 5. Bd., Teheran 1966, S. 448. Hafis hat seinen Namen in zwei Ghaselen eingeführt (s. Ghaselen 421 u. 422). Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 66.

Ebd. Dieser persische, in arabischer Sprache dichtende Poet (aus dem 11-12. Jahrhundert) heißt eigentlich Abu Esma‘il Isfahani, bekannt als Tograyi, der auch Wesir des Seldschuken-Sultans Massu‘d ebn-e Maleksah war. Goethes Namenverwechslung (Hatem Zograi) entstand durch Hammers Ubersetzung. S. Goethe: sämtliche 1093.

Werke. Bd. 3/2. FA, S. 1179. Auch Mohammad

Mo’in, a.a.O., 5. Bd., S.

Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz. S. 74. 297

Den Altersunterschied hat Goethe in der zweiten Strophe des ersten Gedichts (Einladung) im Buch Suleika verdeutlicht. Das „Kunststück“ des 65jährigen Goethes ist es, in seiner Rolle als Liebender nicht als lächerlicher alternder Schürzenjäger zu wirken. Indem er von Seiten Mariannes die Erwiderung seiner Liebe erfährt und sie ihm ihre „feurigen Jugendblicke”

zusendet,

verjüngt

er sich

so,

dass

der Altersunterschied

schmilzt. Eben diese Wechselseitigkeit sollen seine Lieder rühmen:

dahin

Dass Suleika von Jussuph entzückt war Ist keine Kunst; Er war jung, Jugend hat Gunst, Er war schön, sie sagen zum Entzücken, Schön war sie, konnten einander beglücken. Aber daß du, die so lange mir erharrt war, Feurige Jugendblicke mir schickst, Jetzt mich liebst, mich später beglückst, Das sollen meine Lieder preisen, Sollst mir ewig Suleika heißen. ! Hatem, der Liebende in Goethes Duodrama, findet sich selbst nur, wenn er mit der Geliebten zusammen ist. Ohne Suleika gäbe es ihn nicht, wäre er nicht er selbst. Er findet sein Selbst im Spiegel der Geliebten: Alles Erdenglück vereint Find’ ich in Suleika nur. Wie sie sich an mich verschwendet, Bin ich mir ein wertes Ich; Hätte sie sich weggewendet Augenblicks verlör ich mich.? Die Einswerdung mit der Geliebten hat Goethe in dem berühmten Gedicht Gingo Biloba, ebenfalls im Buch Suleika, in anderer Weise wiederholt. Metamorphosen durch die Liebe verdeutlicht er in seinen Liedern in folgender Weise: Fühlst du nicht an meinen Liedern Daß ich Eins und doppelt bin.? 1 2 3

Ebd., S. 65. Ebd., S. 74f. Ebd., S. 69.

298

Diese Art von Einswerdung ist nicht im Sinne der islamischen Mystik. Sie ist nicht als eine Art Auflôsung zu verstehen. Hier findet der Liebende sich durch den anderen. Sie spiegeln sich gegenseitig, wie es an einer weiteren Stelle des Buchs Suleika in anderer Weise gesagt wird. Hier tritt der leidenschaftliche Austausch (Blick dem Blick) wie auch der poetische Austausch (Reim dem Reime) harmonisch hervor:

Hast mir dies Buch!geweckt, du hast’s gegeben; Denn was ich froh, aus vollem Herzen sprach,

Das klang zurück aus deinem holden Leben,

Wie Blick dem Blick, so Reim dem Reime nach.?

Diese Art der Wechselbeziehung zwischen Liebenden ist fiir Goethe ein Naturphänomen, wie der Wandel der Farben im Wechselspiel von Licht und Dunkelheit. So bestimmt die Farbe / Liebe Einheit und Vielheit des

Lebens,? denn „das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist

das Leben der Natur [...].“ 4

Einswerdung gibt es für Hafis in der irdischen Liebe nicht. Ein inneres Vereintsein mit dem göttlichen Ursprung beschreibt Hafis lediglich in seinen mystischen Liebesgedichten. In der irdischen, realen Liebe ist keine Rede von innerer Verbindung mit Geliebten. Dort gibt es allein die Sehnsucht nach erotischer Erfüllung. In der Auflösung, in seiner Liebe zum göttlichen Ursprung, versucht der Mystiker seine Seele durch die Verachtung des Körpers, durch gesteigerte Selbstlosigkeit mit dem göttlichen Quell zu vereinigen. Vom Einswerden mit dem Geliebten hat Hafis nur im mystischen Sinne in Verbindung mit der Schöpfung Adams gesprochen. In einem Ghasel legt er einen Korantext zugrunde, und betont dabei die Einswerdung mit Gott. Dieses Ghasel hat einen vollkommen mystischen Charakter, welcher so-

gar in Hammer Übersetzung in folgender Weise zum Ausdruck kommt:

m

Wh —

Lang’ ist's, daß der Sehnsucht Flamme Tief in meinem Innern ist, D.i. Buch Suleika.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 82.

Vgl. Blessin: Der ultimative Goethe. Bremen 2009, S. 212 u.217 ff. Goethe: Zur Farbenlehre. Hrsg. von Manfred Wenzel. In: Sämtliche Werke. Bd. 23/1, FA, S. 259.

299

Daß vom brennenden Verlangen Brust und Herz zerstöret ist. Lebenswasser ist ein Ausfluß Von dem Zuckermund des Freundes, !

Während daß die Sonn’ ein Abglanz Seines Mondgesichtes ist. Und von meinem Geiste blies ich Adam einen Odem ein; ? Dieser Vers erklärt mir, wie Ich und er nur Eines ist.5

Während Hafis auf mystische Weise mit dem göttlichen Ursprung eins werden und damit als Liebender sich als irdisches Individuum aufgeben möchte, verwandelt sich Goethe in eine andere irdische Gestalt (umgelost). So verwandelt die Liebe bei Goethe das Ich, beglückt die Persönlichkeit der Liebenden physisch und psychisch, hebt sie auf eine andere Ebene: Nun, mit Hatem war’s zu Ende: Doch schon hab’ ich umgelost,

Ich verkörpere mich behende In den Holden? den sie kost.®

Goethe bzw. Hatem findet dieses Glück in Liebe und Gegenliebe, beides gemeinsam löst ein „paradiesisches“ Glücksempfinden aus: Zu nehmen, zu geben des Glückes Gaben

Wird immer ein groß Vergnügen sein. 1 2 3 4 5 6

Freund = Gott. „Vers des Korans, wo Gott der Herr den Engeln von der Erschaffung Adams spricht: mein Geliebter haucht mir seinen Geist ein, wie Gott den Engeln.“ Hammers Hafis-Übersetzung, S. 181. Ebd. Umlosen: „ein anderes Los erwählen”, hier: „sich in eine andere Gestalt verwandeln.“ S. Christa Dill: Wörterbuch zu Goethes West-östlichen Divan. Tübingen 1987, S. 391.

Holder: Liebling, Geliebte; von hold, „liebevoll, geeignet.“ Christa Dill, a.a.O., S. 195f.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 75.

300

Sich liebend an einander zu laben Wird Paradieses Wonne

sein.!

Bei Goethe ist nun diese Verwandlung Ergebnis einer vollkommenen, irdischen Beziehung zwischen ,Erdenkindern."? Wenn man außerdem einbezieht, dass die Persönlichkeit für Goethe „höchstes Glück“ der Menschen ist, muss die Verwandlung durch die Liebe noch höher bewertet werden: Volk und Knecht und Überwinder Sie gestehn, zu jeder Zeit, Höchstes Glück der Erdenkinder sei nur die Persönlichkeit.’

Goethes „Erdenglück” jedoch ist in seiner inneren Verbindung mit Mari-

anne gesichert, in der er sein Ich, seine Persönlichkeit, fortentwickeln kann. Goethe zeigt sein Selbstbewusstsein als Dichter, der im Rausch der poetischen Erhebung kein Mystiker, sondern wie die großen Dichter Ferdausi? und Motanabbi,> wenigstens aber wie ein Kaiser sein möchte: Alles Erdenglück vereint

Find’ ich in Suleika nur. Wie sie sich an mich verschwendet Bin ich mir ein wertes Ich;

Hätte sie sich weggewendet Augenblicks verlör ich mich. ]...[

Ich verkörpere mich behende In den Holden den sie kost.

Wollte, wo nicht gar ein Rabbi,

‎‫نم‬

Ebd., S. 74. Ebd.

m

Ebd., S.66.

Wh

Das will mir so recht nicht ein,

5

Einer der größten persischen Dichter im 10. Jh., dessen epische Lyrik Sähnäme

weltbekannt ist. Beiname von Abu al-Tayyeb Ahmad ebn-Hossein (arab. Dichter aus dem 16. Jh.). Der Beiname Motanabbi wurde ihm sarkastischerweise verliehen, weil er sich für

einen Propheten ausgab. Motanabbl ‎)‫ ( متنبی‬bedeutet Wahrsager, der MöchtegernProphet.

103

Doch Ferdusi, Motanabbi, Allenfalls der Kaiser sein.!

Die Liebe im West-ôstlichen Divan, im Vergleich zur Liebe bei Hafis, nahert sich - entgegen der Exegese von Strich - nicht im Mindesten ihrem östlichen Pendant an? So wird im Eingang des Buchs Suleika im Gedicht Einladung die Liebe mit Gleichheit, gegenseitiger Liebe und Respekt vor dem anderen eingeführt: Da du nun Suleika heißest Sollt ich, auch benamset sein. Wenn du deinen Geliebten preisest, Hatem! das soll der Name sein.5 Nicht nur Hatem schätzt Suleika hoch, sondern auch Suleika ihrerseits rühmt den Geliebten. Sie erfreuen sich aneinander:

Zu nehmen, zu geben des Glückes Gaben Wird immer ein groß Vergnügen sein. Sich liebend an einander zu laben Wird Paradieses Wonne sein.? Im West-östlichen Divan zeigt die Liebe ihren gegenseitigen, gleichberechtigten und wechselredenden Charakter. Goethe stellt dies im Dialoggedicht zwischen Suleika und Hatem dar. Im Divan gibt es auch an anderen Stellen derlei Wechselrede, wie z.B. im Dialog zwischen dem Dichter und dem Schenken (in „Das Schenkenbuch), der Huri und dem Dichter (im „Buch des Paradieses“), dem Dichter und dem Mädchen (im „Buch Suleika”) u.a. Diese Gespräche sind nicht bloß einseitige Reden seitens des Dichters, in denen er sich präsentiert oder seine Gedanken darlegt. Die angesprochene Person ist dem Dichter ebenbürtig und inspiriert ihn sogar bisweilen mit ihren Worten; als z.B. die Huri eine lange Rede hält, erwidert ihr der Dichter voller Bewunderung:

m

DD ‎‫مم‬

Du blendest mich mit Himmelsklarheit, Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 74f.

Vgl. Strich: Goethe und die Weltliteratur. Bern 1957, S. 176.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S.65. Ebd., S.66.

203

Es sei nun Täuschung oder Wahrheit, Gnug, ich bewundre dich vor allen.! Die Angesprochenen sind mitnichten einfache Zuhôrer oder Geliebte zur lediglich erotischen Vergnügung, sondern sie ergänzen die Rede des Dichters. In der Suleika-Hatem-Beziehung liegt noch mehr als eine bloße Ergänzung der Worte vor: Suleika ist die gleichwertige Dichterin, die sich mit dem Dichter messen möchte. Goethe selbst hat in seiner Ankündigung im Cottas Morgenblatt fur gebildete Stande (24. Februar 1816) tiber das Buch Suleika betont, dass in diesem Duodrama die Geliebte ,mit einem entscheidenden Charakter, ja persônlich als Dichterinn auftritt und in froher Jugend mit dem Dichter, der sein Alter nicht verleugnet, an glühender Leidenschaft zu wetteifern scheint.” 2 Wie schon erwähnt, nennt Goethe sieben bekannte orientalische Liebespaare im einleitenden Gedicht im Buch der Liebe als Musterliebespaare, aber noch nicht als vorbildliche Paare. Er unterscheidet seine Liebe zu Marianne von diesen sieben Liebespaaren durch ein anderes Musterpaar: Im Buch Suleika zeigt er, dass die Liebe zwischen Suleika und Hatem nicht nur eine erotische Liebe ist, sie ist auch eine geistige, poetische Beziehung. Hier tritt ein neues Liebespaar aus Persien als ein vorbildliches Paar hervor, wobei, wie auch Ileri bemerkt, „ihre Liebe zur

Inspiration, Bewahrung und Steigerung der Dichtung beitrug“,? was mit der Liebe zwischen Hatem und Suleika in Einklang steht. Es ist Behramgur, der Perserkönig aus der Sassaniden-Dynastie? und seine Sklavin Dilaram (korrekter: Delaram). Behramgur ist hier der Reim-Erfinder, also ein Dichter, und Dilaram ist auch eine gleichwertige Dichterin, die „mit

gleichem Wort und Klang“ Behramgurs Worte erwidert: Behramgur, sagt man, hat den Reim erfunden, Er sprach entzückt aus reiner Seele Drang;

1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 117. S. Kapitel 4.2.1.

3

Esin Ileri: Goethes West-östlicher Divan als imaginäre Orient-Reise. Sinn und Funktion. Frankfurt a. M 1982, S. 353.

2

4

Goethe: West-östlicher Divan. Sämtliche Werke. Bd. 3/I, FA, S. 550.

Bahram V. bekannt als Bahram-e gur war 15. Konig der Sassaniden-Dynastie (die letzte vorislamische persische Dynastie), regierte von 421 bis 438. Uber ihn wer-

den Sagen erzahlt. Die berühmteste Geschichte über ihn ist ein Epos von Nizämi unter dem Titel Haft peykar (Sieben Gestalten).

303

Dilaram schnell, die Freundin seiner Stunden,

Erwiderte mit gleichem Wort und Klang.!

Mit Marianne von Willemer tritt Goethe erstmals eine geliebte Frau als gleichberechtigte Dichterin gegenüber. Zwischen ihnen entspinnt sich ein lyrischer Dialog, eine gegenseitige späte Liebe von schöpferischer Kraft. Goethe war nicht nur von Mariannes „feurigen Jugendblicken“ angezogen, sondern vor allem auch von ihrem musischen Verständnis. Die

Tatsache, dass sie mit seinen Werken von Kindheit an vertraut war, seine Dichtungen liebte und sie rezitieren konnte, wird ihm geschmeichelt haben.? Was die beiden aber darüber hinaus verband, war eine tief empfundene Geistesverwandtschaft. Er konnte ihre geistige Ebenbürtigkeit als Dichterin erkennen und anerkennen, nahm sogar ihre Gedichte in seinen Divan mit hinein. Dies war für den alternden Goethe ein inspirierendes erotisches Erlebnis. Eine für ihn neuartige Verbindung von Liebe und Geist. So lässt er Suleika sprechen: Denn das Leben ist die Liebe, / Und des Lebens Leben Geist.? Diese Liebe war für Goethe keine bloße jünglingshafte Leidenschaft, kein Versuch, das herannahende Alter zu verdrängen, sondern vor allem eine tiefe, geistige Leidenschaft des reifen Alters. Für Marianne von Willemer war Goethe nicht irgendein Dichter, sondern derjenige, dem sie mit seinem illustrierten Römischen Carneval „ihre schönste Kinderfreude“ ver-

dankte - was, wie sie sagte, „ein prophetisches Vorspiel” zu ihrem „Leben” wäre.? Die Begegnung mit Goethe eröffnete Marianne einen neuen Horizont. Sie sieht die Welt durch seine Inspiration strahlend neu.

An anderen Stellen zeigt Suleika eine avantgardistische Seite: Sie ist es, und nicht der konventionell abgebildete Hatem, die sogar vom „Rauben” in der Liebe spricht, die die freiwillige Liebe verkündet, welche ein gegenseitiges Geben und Nehmen ist. Hatem sagt: Nicht Gelegenheit macht Diebe,

m

W

‎‫دح‬

‫مر‬

Sie ist selbst der größte Dieb;

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 82.

Vgl. H. A. Korff, a.a.0., S. 72 u. 84.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 78.

Briefe an Goethe vom Januar 1830. In: Pyritz; a.a.O., 5. 21f.

403

Denn sie stahl den Rest der Liebe Die mir noch im Herzen blieb.!

Uber die Hartherzigkeit der/ des Geliebten in Hafis’ Ghaselen wurde bereits geschrieben, und es sei daran erinnert: der „Herzensräuber“ taucht

als eine Bezeichnung für Geliebte bei Hafis auf:

Du hast geraubet das Herz, ich verzeihe den Raub dir Geliebte, Besser, es bleibe geheim, als daß es werde bekannt. ? Goethe hat dieses Motiv in Anlehnung an Hafis verwendet. Er lässt Suleika aber zunächst eine Frage stellen, was auf ihr großes Selbstbewusstsein hinweist: „Wozu berauben?“ Dann legt er ihr die „freie Wahl” in der Liebe in den Mund, - ein Motiv der Aufklärung. Aus Suleikas Sicht bringt nur die wahre, freiwillige Liebe den „herrlichen Gewinn”: Und wozu denn auch berauben? Gib dich mir aus freier Wahl!

Gar zu gerne möcht’ ich glauben -

Ja, ich bin’s, die dich bestahl.

Was so willig du gegeben, Bringt dir herrlichen Gewinn;? Diese Verse

zeigen einen

starken

Bezug

zur Emanzipation

der Frauen

und der sich daraus beinahe zwangsläufig ergebenden freiwilligen Liebe, was nicht verwundert, hat doch Marianne selbst diese Verse gedichtet. Suleika aber kehrt in die orientalische Umgebung oder, wie Korff es nennt, „in die orientalische Maske”? zurück, und tut ihre völlige Hingabe kund:

1

>

3

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 66.

Hammers Hafis-Übersetzung, S. 775. Hammer hat die zweite Vershälfte dieses Ghasels falsch verstanden. Die korrekte Übertragung wäre wie folgt: „Das Herz hast du mir geraubt, und ich habe dir verziehen, o Seele, jedoch / behandle es umsichtiger, als du mich behandelt hast. ‎‫ به ازين دار نگاهش که مرا‬/‫دل ربودی بحل کردمت ای جان لیکن‬ ‎‫ میداری‬Hafis-Wohlleben, 5. 554 und Hafis (Original); Hrsg. von Hanlari, S. 896. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 67.

H. A. Korff, a.a.0., S. 98.

305

Meine Ruh, mein reiches Leben

Geb ich freudig, nimm es hin.!

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Liebe im West-dstlichen Divan nunmehr einen vollends orientalischen Charakter annimmt. Die Verwendung der orientalischen Maske ist für Goethe eine Art Vorbereitung, ein Sprungbrett, mit dem er sich zur höheren Poesie erheben kann. Ein Schöpfungsmedium, in dem er Liebe und Lieder zur Reife bringt, den Früchten gleich, die lange am Baum hängend reifen, damit die Kerne im Innern heranwachsen können. Um an die Luft und Sonne zu gelangen, befreien diese sich schließlich von ihrer Schale, um zu neuem Leben zu keimen: Sie hängen längst geballet, Still, unbekannt mit sich, Ein Ast der schaukelnd wallet

Wiegt sie geduldiglich.

Doch immer reift von Innen Und schwillt der braune Kern,

Er möchte Luft gewinnen Und säh die Sonne gern.

Die Schale platzt und nieder Macht er sich freudig los; So fallen meine Lieder Gehäuft in deinen 2

Um die Lieder als reife Früchte ernten zu können, benötigt der Dichter, bzw. die Dichterin die geistige Befruchtung durch Hafis’ Dichtung und seine Auffassung der Liebe. Erst nach einem inneren Reifungsprozess fallen die Lieder gleichsam als aufplatzende Kerne in den Schoß der Geliebten. Im Duodrama des West-östlichen Divan wird nicht nur der Unterschied zwischen der einseitigen orientalischen Liebe und der freiwilligen gegenseitigen, „westlichen“ Liebe deutlich, sondern hier stellt sich Suleika gegen Hafis’ Auffassung von der Liebe: Hafis bezeichnet den Pfad der Liebe - aus mystischer Sicht - als Irrfahrt: 1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 67.

2

Ebd.,S.80.

306

Welch ein seltener Pfad! Der Liebe Pfad, Wo der Führende selbst Verirret ist.!

Hier setzt sich Hafis mit der Lehre vom mystischen Pfad zum Ursprung in einer Entwicklungsphase auseinander, die von Enttäuschung und Verzweiflung bestimmt ist.* In dieser Phase befinden sich für ihn die Mystiker, die Pfadführer, auf einer Irrfahrt. Suleika hingegen findet - aus sinnlicher Sicht - kein Irren auf diesem Wege. Sie setzt ihre Liebe, ihre freiwillige auf Gegenseitigkeit ausge-

richtete Liebe, in einen Vergleich zur orientalischen Liebe. Im Bewusst -

sein von der höheren Art ihrer Liebe wagt sie es, dem bekanntesten orientalischen Liebespaar, Leila und Medschnun, „den Weg der Liebe’ zu weisen. Suleika übernimmt hier nun die Rolle der Liebes-Pfad-Führerin: Der Liebende wird nicht irre gehn, Wärs um ihn her auch noch so trübe. Sollten Leila und Medschnun auferstehn,

Von mir erführen sie den Weg der Liebe.’ 4.2.1 Der Dichter und die Huri des islamischen Paradieses

fm

W

‎‫دح‬

‫نم‬

Die gegenseitige, wechselredende Beziehung zwischen den Figuren, das dialogische Verhalten des Dichter-Ichs im West-ôstlichen Divan findet sich nicht nur in den besprochenen Versen, sondern ganz besonders ausgepragt auch im Zusammenhang mit der islamischen Figur der Huri. Die Huri bedeutet eigentlich eine Frau mit heller Haut, großen schwarzen Augen und schwarzen Haaren, oder auch allgemein eine sehr schöne Frau. Im islamischen Sinne ist die Huri eine himmlische Jungfrau mit dem ewigen Hymen, die für die Liebesfreude der „tugendhaften Mohammedaner“ zuständig ist. Die islamische Huri hat selbstverständlich etymologisch keine Verbindung mit der deutschen Hure (Prostituierte). Hammers Hafis-Übersetzung, S. 333. Mehr dazu s. vorliegende Arbeit, Kap. 1.6. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 67. Hure, ahd. huor, mhd. huore, entlehnt aus germanischem “horon f. „Hure“. Mehr dazu s. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 24. Aufl. Berlin 2002, S. 428. 703

Selbst wenn sich der deutsche Dichter am Ende des Divan im islamischen Paradies befindet und sich dem Stile orientalisch-islamischer

Dichtweise

annähert, bleibt er immer

noch der westliche Dichter. Dies

zeigt sich an verschiedenen Stellen. Im letzten Gedichtzyklus des Divan - dem Buch des Paradieses (Chuld Nameh) - zeigt Goethe im einleitenden Gedicht Vorschmack, wie er das Paradies im Koran versteht, jenen ewigen Raum, wo alles sich verjüngt. Goethe mit seiner aufgeklärten Auffassung spricht über das islamische Paradies mit einem ironischen Unterton. Er hat selbst in den Noten über Buch des Paradieses erklart: ,Scherz und Ernst verschlingen sich hier so lieblich ineinander.”! In dieses Paradies, das süß sein soll, möchte auch er eingehen: Auf meinem Schoß, an meinem Herzen halt ich Das Himmels-Wesen, mag nichts weiter wissen; Und glaube nun ans Paradies gewaltig, Denn ewig môcht ich sie so treulich kiissen.? Im weiteren Verlauf seines Gedichtes Berechtigte Männer schildert uns Goethe aus Sicht Mohammeds „nach der Schlacht von Bedr“ 3 das islamische Paradies. Er lässt Mohammed, den Propheten des Islam, über seine Glaubenskämpfer sprechen, die im Krieg als Helden gefallen sind und ins Paradies kommen. Der Koran spricht auch über die Belohnung für die Gefallenen im Paradies: 74 [...] Und wenn einer um Gottes willen kämpft, und er wird getötet - oder er siegt -, werden wir ihm (im Jenseits) gewaltigen Lohn geben.‘

2

3

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 210. Ebd. S. 110. Bedr (Korrekter:

Badr), eine Wasserstelle mit zwei Quellen, an der jährlich ein

Markt abgehalten wurde. Sie lag etwa sechs Kilometer von Medina entfernt, wo Mohammed seinen ersten Krieg mit 314 Gefährten und Anhängern geführt hat (im Jahre 624). Mohammeds Sieg in diesem Krieg, der eigentlich eher einen Über-

4

fall auf eine gegnerische Karawane war, stärkte Mohammeds Machtposition und die Standhaftigkeit der Muslime. Vgl. Eberhard Serauky: Geschichte des Islam. Entstehung, Entwicklung und Wirkung von den Anfängen bis zur Mitte des XX. Jahrhunderts. Berlin 1991, S. 110. Der Koran; Sure 4, Die Frauen, S. 67.

308

Der Prophet unterscheidet zwischen den ,Toten der Feinde und denen seiner ,Brüder: Seine Toten mag der Feind betrauern:

Denn sie liegen ohne Wiederkehren: Unsre Brüder sollt ihr nicht bedauern: Denn sie wandeln über jenen Sphären.! Daran anschließend beschreibt Goethe das Paradies, das aus Weisheitsund Lebensbäumen mit „breiten Schatten” besteht, das von “Blumensitz und Kräuterflor“ bedeckt ist, in dem „die Himmels-Mädchen-Schar“ (Huris) die Helden pflegen usw.? Eine ähnliche Beschreibung vom islamischen Paradies ist auch im Koran vorhanden. In folgenden Versen des Koran z. B. wird Belohnung und Strafe für Gläubige und den Ungläubige in Paradies und Hölle dargestellt: 56 Diejenigen, die nicht an unsere Zeichen glauben, werden wir

(dereinst) im Feuer schmoren

lassen. Sooft (dann) ihre Haut gar

ist, tauschen wir ihnen eine andere (dagegen) ein, damit sie die Strafe (richtig) zu spüren bekommen. Gott ist mächtig und weise. 57 Diejenigen aber, die glauben und tun, was recht ist, werden wir (dereinst) in Gärten eingehen lassen, in deren Niederungen (w. unter denen) Bäche fließen, und in denen sie ewig weilen werden. Darin haben sie gereinigte Gattinnen (zu erwarten). Und in dichten Schatten lassen wir sie kommen.?

Die wiederkehrende Betonung von „Strömen“ und „Schatten“ im Paradies in verschiedenen Versen im Koran ist wichtig, weil in den extrem heißen Gebieten Arabiens Wasser und Schatten spendende Bäume lebenswichtig sind.4 Dieses Paradies, das der Prophet seinen Kriegern verspricht, ist ein Paradies der Männer, der ,,Glaubenshelden’. Nachdem der Dichter das Paradies beschrieben hat, beginnt das Ge-

۸

Wh

‎‫مم‬

spräch

zwischen

der Huri,

dem

Mädchen

aus der Himmelsschar,

und

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 110. Vgl. ebd., S. 112.

Der Koran; Sure 4, Die Frauen, S. 66. Mehr über das Paradies im Koran s. auch Sure 55, Der Barmherzige, Verse 48-72 (S. 378] ) u.a.

902

dem deutschen Sänger des Divan. Die Huri fragt ihn, ob er zu den Helden zähle und für das Paradies überhaupt würdig sei: Ob du unsern Mosleminen Auch recht eigentlich verwandt? Ob dein Kämpfen, dein Verdienen Dich ans Paradies gesandt? Zahlst du dich zu jenen Helden? Zeige deine Wunden an, Die mir Rühmliches vermelden, Und ich führe dich heran.!

Der Dichter spricht aber nicht von islamischen Helden, die im Kampf fiir ihren Glauben gefallen sind, sondern allgemein von Menschen. Fir ihn bedeutet Mensch sein, Kampfer zu sein. Verspricht der Prophet nur seinen Glaubenskämpfern das Paradies, so möchte Goethe grundsätzlich keinen Unterschied machen. Er môchte die guten Taten der Menschen aller Glaubensrichtungen gleichgeachtet wissen. Nicht nur Muslime, sondern auch andere Glaubige anderer Religionen sollen ins Paradies eingehen: Nicht so vieles Federlesen! Laß mich immer nur herein: Denn ich bin ein Mensch gewesen,

Und das heißt ein Kämpfer sein. Scharfe deine kraftgen Blicke!

Hier! - durchschaue diese Brust, Sieh der Lebens-Wunden Tiicke, Sieh der Liebes-Wunden Lust.

Im Koran werden den „Gottesfürchtigen” nicht nur schöne Mädchen versprochen, sondern auch Wein: 22 Und großäugige Huris (haben sie zu ihrer Verfügung), 23 (in ihrer Schönheit)

wohlverwahrten

Perlen zu vergleichen.

24 (Dies)

zum Lohn für das, was sie (in ihrem Erdenleben) getan haben. [...]

1 2

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 113. Ebd.

310

35 (Und Huris stehen zu ihren Diensten.) Wir haben sie regelrecht geschaffen (w. entstehen lassen)) 36 und sie zu Jungfrauen ge-

macht, [...] 39 Eine ganze Schar (von diesen) gehört den früheren (Generationen) ren.!

an, 40 und (ebenso) eine ganze Schar den späte-

31 Die Gottesfürchtigen haben (großes) Glück zu erwarten, 32 Gärten und Weinstöcke, 33 gleichaltrige (Huris) mit schwellenden Brüsten 34 und einen Becher (mit Wein, bis an den Rand) gefühlt.? In Goethes Gedicht ist die Huri aber eine völlig andere als im Koran: Goethe hat seine eigene Huri und mit ihr sein eigenes Paradies geschaffen, in dem sie mit ihm als gleichberechtigte Frau spricht. Nicht ein besonderer Wächter-Engel, wie es der Koran lehrt, sondern die Huri selbst entscheidet, ob der Dichter ins Paradies eingehen darf. Sie ist hier keine bloße Liebesdienerin, die eine passive Haltung einnimmt, wie es von einer himmlischen Jungfrau des islamischen Paradieses erwartet wird. Diese Huri diskutiert, argumentiert, philosophiert als eigenständige Persönlichkeit.

Hinzu kommt die Ähnlichkeit der Huri mit Suleika. Sie lieben und

sprechen auf ähnliche Art und Weise. So hat Goethe Suleika in den Rang eines himmlisches Wesens emporgehoben und zugleich die himmlische Huri verweltlicht. Goethe weist hier darauf hin, welch einen hohen Rang seine Liebe zu Marianne einnimmt. Am Ende der Wechselrede ist sie es, die ihn bittet, ihr die Lieder an Suleika vorzusingen, damit sie ihn ins Paradies einlasse: Sing mir die Lieder zu Suleika vor: Denn weiter wirst du’s doch im Paradies nicht bringen.’ Die Lieder zu Suleika werden zum Schlüssel für das Tor zum Paradies. Hier treten wieder Liebe und Dichtung in gegenseitiger, ergänzender Wirkung hervor. Die Kraft der Poesie wird mit der eruptiven Kraft der Liebe gleichgesetzt, was auch im Gedicht Bedenklich im Buch der Liebe verdeutlicht wird:

1 2 3

Der Koran, Sure 56, Die hereinbrechende Katastrophe, S. 380. Der Koran, Sure 78, Was verkündet wird, S. 419. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 118. 311

Allem ist die Zeit verderblich,

Sie [die Lieder] erhalten sich allein!

Jede Zeile soll unsterblich,

Ewig wie die Liebe sein.

Hier verlangt die Huri nicht nach Hafis’ oder nach einer beliebigen orientalischen Liebespoesie, sondern nachgerade nach einer westlichen, welche - im Gegensatz zu der im Orient - auf der Erwartung gegenseitiger Liebe beruht. Gleichzeitig erscheint ihm die Himmelsjungfrau wie Suleika - und er fragt sie, ob sie nicht im irdischen Leben vielleicht sogar Suleika gewesen sei. Der Dichter macht so die Huri auch neugierig. Er verführt sie auf irdische, westliche Weise:

Deine Liebe, dein Kuß mich entzückt! Geheimnisse mag ich nicht erfragen; Doch sag’ mir ob du an irdischen Tagen Jemals Teil genommen? Mir ist es oft so vorgekommen; Ich wollt’ es beschwören, ich wollt es beweisen. Du hast einmal Suleika geheißen.! Drei wesentliche Aspekte treffen hier zusammen: zum einen ist es die ganz eigene Art von Paradies, die Goethe erschafft, zum anderen die Projektion von Suleika auf die Huri, in der man Goethes Vorstellung vom Paradieses aufscheinen sieht, schließlich

ist es die Rolle, die seine

Poesie in Unterschied zur Poesie von Hafis einnimmt. Dieser dritte Aspekt ist alles andere als unwesentlich: Hier ist der kreisförmige Charakter des Divan zu beachten. Noch in der Hegire - dem Anfangsgedicht des Divan - hatte Goethe Hafis als einem Dichter gehuldigt, dessen Poesie die Tür des Paradieses öffnen könne. Dort wird gezeigt, dass das Dichterwort ewig sein kann, ewigen Ruhm bringen kann: Wisset nur, daß Dichterworte Um des Paradieses Pforte Immer leise klopfend schweben, Sich erbittend ewges Leben.? 1 2

Ebd., S. 115. Ebd. 9. 0

312

Bei Hafis, der den Koran als „Schatz“ (Himmelswesen) in seinem Herzen

tragt, lesen wir:

Wie Hafis berge ich einen Schatz von Ihm im Busen, auch wenn der Gegner mich mit Verachtung anblickt.! Hier ist mit „Schatz von Ihm [Gott/Prophet]" der Koran gemeint; der Name ‚Hafis’ bedeutet: der, der den Koran im Herzen hütet, der ihn auswendig weiß (learn by heart). In einem anderen Ghasel wird dies noch deutlicher:

Das schönste Lied, das ich je sah,

Gehört Hafisen, Ich schwör’ es beim Koran, den du In deiner Brust hast.?

Hier ist mit der Personaldeixis du als erlebte Rede - im dritten Vers - der Dichter Hafis selbst gemeint. Goethe hat auch im Gedicht Beiname (in Buch Hafis) das Bewahren des Koran durch Hafis verdeutlicht. In diesem Gedicht

fragt

Goethe

als

Dichter

Hafis,

hehre, / Hafis dich genannt?3 Hafis antwortet:

„Warum

hat

dein

Volk,

das

Weil, in glücklichem Gedächtnis Des Korans geweiht Vermächtnis Unverändert ich verwahre,|...]4 Im letzten Gedichtzyklus

(dem

Name, jede Spur von Hafis. .Himmelswesen” im Herzen le übernimmt: „Auf meinem Himmels-Wesen, mag nichts wesen verweltlicht, in dem det. Im islamischen Paradies

Buch

des Paradieses) jedoch fehlt der

Es ist nicht mehr Hafis, der hütet, es ist nunmehr Goethe, Schoß, an meinem Herzen weiter wissen; > Goethe hat er das Wort für eine irdische

den Koran als der diese Rolhalt ich / Das das „HimmelsFrau verwen-

wird die Tür nunmehr durch seine - Goe-

On

D

W

Rh

=

thes - Liebesgedichte geöffnet. Das ist eine spielerische Umdeutung des Hafis. Obgleich er einerseits neuer und doch älter (vgl. Unbegrenzt) als Hafis-Wohlleben, S. 424. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 796 Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 22 Ebd. Ebd., S. 110. 313

Hafis sei, und Lieder mit seinem „eigenen Feuer“ dichten möchte, stellt er sich doch Hafis ebenbürtig zur Seite. Hier ist Goethe wieder gleichberechtigt, weil er seine eigene orien-

talische Welt durch die Kraft der Liebe und der Worte schafft, in der selbst die Huri seine Lieder wünscht. Die Huri bekommt dadurch einen irdischen, westlichen Charakter und bedient sich dabei auch der Mittel, sich denen verständlich zu machen, die Goethe und sein Versmaß kennen:

Um einem Deutschen zu gefallen, Spricht eine Huri in Knittelreimen.! Wieder wird schen Orient lung von der Goethes

eine gegenseitige Beziehung zwischen Frau und Mann, zwiund Okzident beschworen, was Goethes WunschvorstelWestöstlichkeit widerspiegelt. rein literarische Liebe zur persischen Dichtung, besonders

zu Hafis, die er sicherlich empfand,

und seine Liebe zu Marianne

von

Willemer haben sich hier getroffen. Beides zusammen brachte sowohl die Bereicherung seines Liebeslebens als auch die Befruchtung seines Schöpfertums hervor. 4.2.2 Das Leid in der Liebe

All die wechselredende Gegenseitigkeit in der Beziehung zwischen den Liebenden aber bedeutet nicht, dass der Dichter nicht auch unter Trennungsschmerzen und unter dem damit verbundenen Kummer gelitten hätte. Auch das Leid in der Liebe thematisiert Goethe, und dies nach dem Maß der persischen rhetorischen Figuren im Buch der Liebe (im Gedicht Ergebung): Die Liebe behandelt mich feindlich! Da will ich gern gestehn, Ich singe mit schwerem Herzen. Sieh doch einmal die Kerzen,

Sie leuchten, indem sie vergehn.?

1

Ebd., S. 117.

2

Goethe: West-östlicher Divan, Weitz, S. 34.

314

Die sich verzehrende Kerze findet sich als Liebesmetapher häufig in der persischen Dichtung, so auch bei Hafis. Hammer notiert: ,Die Kerze ist allen morgenländ’schen Dichtern das Bild eines aus Liebessucht sich anzehrenden, in heiße Thranen zerschmelzenden, treuen Liebenden, Hafis

vergleicht sich derselben in allen Stücken, ! wie in folgenden Versen: Der Felsen der Geduld zerschmilzt wie Wachs vor Schmerzen, Seit deine Liebe mich zerschmelzet wie die Kerze. [...]? O Trennungsgluth, So viel hab’ ich von dir schon vernommen,

Daß Kerzen gleich

Mir nichts, als selbst zu vergehen, erübrigt.’

Als weiteres Beispiel mögen folgende Verse aus oben genanntem Gedicht Ergebung gelten, in denen Goethe sich wie folgt des Schmerzes in der Liebe annimmt: Eine Stelle suchte der Liebe Schmerz, Wo es recht wüst und einsam wäre; Da fand er denn mein ödes Herz Und nistete sich in das leere.4

Diesen Versen stehen die folgenden aus einem weiteren Ghasel von Hafis nahe: Dein Schmerz fand’s nirgends so Wie in dem Herzen wüste, Deßwegen hat er sich Ins enge Herz genistet.° Hafis meint im Original mein Herz, welches Hammer in eine unpersönliche Form (in dem Herzen Hafis von „mein Herz“.

wüste) verwandelt,

Goethe

indes spricht wie

Vergleichen wir an dieser Stelle Hammers Übersetzung mit Wohlle-

na W ‎‫ذخ‬

=

bens Übersetzung: Einen Ort, noch wüster als mein Herz... (s. Tabelle 6). Hammers Hafis-Übersetzung, S. 537 (Fußnote 4, im Ghasel ‘Ain IV). Ebd., S. 537.

Ebd., S. 407.

Goethe: West-östlicher Divan. Wetz, S. 34. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 562. 513

Das persische Wort haräb ‎)‫ (خراب‬bedeutet defekt, zerstört, zerrüttet, niedergeschlagen. Sowohl Hammer als auch Wohlleben haben es mit wüst übersetzt, Goethe hat es in öde verwandelt. Hafis meint hier, dass der Gram sich zu einem bedrückten Herzen hingezogen fühlt, und da er (der Gram) keinen besser passenden Platz als in des Dichters Herz fand, hat er von dessen Herz Besitz ergriffen. Hammer hat die persische Wortverbindung del-e tang (Ss Jo) mit das enge Herz übersetzt, was zwar wörtlich richtig ist, im Deutschen aber eine andere Bedeutung als im Persischen trägt. Das enge Herz im Persischen bedeutet „bedrückt, schwermütig, traurig“, und es wird auch ver-

wendet, um zu bezeichnen, dass man jemanden vermisst. Ein enges Herz (haben) bedeutet dagegen im Deutschen ,kleinlich sein, enge Grundsätze haben.” ! In den genannten Hafis-Versen ist das enge Herz entweder als ein tatsächlich bedrücktes Herz zu verstehen, oder als Ausdruck des Dichters, dafür dass seine Geliebte/seinen Geliebten ihm fehlt und er sie/ihn vermisst. In diesem Fall nähme der Gram den leeren Platz der/des Geliebten ein. Erstaunlicherweise hat Goethe dies als „einsam“ bzw. „leere“ nachgedichtet, was der persischen Bedeutung sehr nahe kommt. Will man sagen, dass einem jemand fehlt, verwendet man im Persischen das Wort leer, z.B. du fehlst mir heißt dein Platz ist leer (ÿäyat hali ast. ‎‫جایت‬ ‎‫ است‬Je).

1

Siehe Klaus Müller (Hg.): Lexikon S. 251.

316

der Redensarten.

Gütersloh/München

2001,

Tabelle 6 Goethe: West-ôstlicher Divan:

Hammers Hafis-

Wohllebens Hafis-

Dein Schmerz fand's

Einen Ort. noch wüster als mein Herz. hat der Gram um dich nicht gefunden.

Übersetzung:

Übersetzung (2004):

Fine Stelle suchte der Licbe Schmerz,

Wo es recht wüst und cinsam ware: Da fand er denn mein ôdes Herz Und nistete sich in das leere.

nirgends so Wie in dem Herzen wiiste.

Deßwegen hat er sich Ins enge Herz genistet.

(Ergebung, 8.34)

Wer Still Und Den

kann gebicten den Vogeln zu sein auf der Flur’ wer verbieten zu zappeln Schafen unter der Schur?

Begnüge dich Hufis Mit Liebesgram und schweige. Entdeck' Verständigen Nicht deine stille Liebe.

Stell ich mich wohl ungebärdig Wenn mir dic Wolle kraust”? Nein! Die Ungebärden entzwingt mir

| (S. 562)

Der Scherer der mich zerzaust. Wer Nach Den Wie

meinem bedrängten Herzen abzustcigen und sich einzurichten. In den Schmerz der Liebe füge dich und schweig. o Hafis; die Geheimnisse der

Liebe tue nicht kund vor Verstandesleuten.

will mir wehren zu singen Lust zum Himmel hinan. Wolken zu vertrauen lieb sie mirs angetan’

(Unvermeidlich.

da entschloß er sich, ın

(S. 393)

S.34)

Original

‫فظ‬ ‫حوشا كن‬ ‫ عشق بساز و خم‬.‫به درد‬ ‫عفول‬

‫اهل‬

‫عشق مکن فاش پیش‬

‫رموز‬

‫ تو جای نیافت‬.‫ من غم‬.‫خر اب تر ز دل‬

‫کیهافت در دل تنگم قرارگاه نزول‬

(Ghasel 300, 9. 616)‫‏‬

Goethe hat hier zwischen Wüste bzw. Ode und Leere im Herzen eine adaquate, harmonische Verbindung geschaffen, wahrend Hammers wiiste sich zu dem engen Herzen nicht recht fügt. Es ist folglich nicht abwegig zu behaupten, dass Goethe das Gedicht besser als Hammer verstanden hat. Im Gegensatz zum o.g. Ghasel (Einen Ort, noch wiister... s. Tabelle 6), in

dem Hafis seinen Liebesgram schweigend ertragt und seine Liebe geheimhalten will (Begniige dich Hafis / Mit Liebesgram und schweige,/ Entdeck’ Verständigen Nicht deine stille Liebe.), schafft Goethe ein Frage-Ant-

317

wort-Schema und damit eine gegensätzliche Auffassung zum Schweigen und Geheim-Halten bei Hafis. Beinahe jedesmal, wenn Goethe von Hafis Motive oder Sinnbilder übernimmt, arbeitet er diese in seiner eigenen Weise aus und präsentiert letzten Endes eine neue Auffassung. Im Gedicht Unvermeidlich z. B. geht es um die Lust zu singen, und darum, dass niemand dem Vogel das Singen verbieten könne: Wer kann gebieten den Vögeln ... (s. Tabelle 6). So lehnt der Dichter die orientalische Unterwür

figkeit und das Schweigen ab, und möchte seine eigene Stimme erheben. Ein weiteres sich im Buch bende ist der nah, wie es in

bemerkenswertes Beispiel zum Trennungsschmerz findet Suleika - hier ist es die Kombination „nah-fern”. Der LieGeliebten zwar physisch fern, ihr jedoch zugleich geistig folgenden Versen von Hafis der Fall ist:

Zwar bin ich nicht im Stande

Dir körperlich zu nah’n,

Doch bleibet meiner Seele Der Staub der Schwelle deines Thors.!

Obwohl die Liebenden räumlich voneinander getrennt sind, ist die Geliebte in Gedanken gegenwärtig. Trotzdem löst dies Schmerzen aus. Diese Stimmungsschwankung in der Liebe ist ein augenblickliches Empfinden der Sehnsucht nach Vereinigung mit der Geliebten. Da die Vereinigung unerfüllt bleibt, entsteht Qual: Auch in der Ferne dir so nah!

Und unerwartet kommt die Qual. Da hör ich wieder dich einmal, Auf einmal bist du wieder da! ?

Auch Hafis leidet unter einem ähnlichen Schwebezustand. Da der Parallelismus nah-fern sich bei ihm ebenfalls findet, liegt die Annahme seiner Wirkung auf Goethe nahe. Hafis spricht Geist und Herz direkt an; trotz Trennung ist er mit beidem der Geliebten nah. Auch er sucht die körperliche Nähe, und dieser Zwiespalt macht ihn krank. Das lässt ihn Chiser,?

1 2 3

Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 77. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 79. Chiser (korrekter: Hezr) trank das Lebenselixier und erlangte dadurch ewiges Leben.

318

-

den Propheten und Beschützer verirrter Glaubenden, um Hilfe bitten: Zwar bin ich fern dem Anschein nach... (s. Tabelle 7). In seiner eigentlichen Lesart ist das Ghasel ein mystisches Gedicht, in dem der Dichter sich die Vereinigung mit Gott (dem Freund) wiinscht. Im Original ist die mystische Auffassung deutlich, durch Hammers Ubersetzung ist es zu einem irdischen Liebesgedicht geworden. Als ein solches hat Goethe nach Hammers Ubersetzung das Gedicht dann auch verstanden. Als die bessere Übersetzung muss m.E. folgende gelten: Äußerlich bin ich fern von der Schwelle des Glücks-Palastes des Freundes... (s. Tabelle 7, in Wohllebens Übersetzung). Hafis bittet hier, weil es zwischen ihm und seinem Geliebten Meer und Berg gibt, um die Hilfe Chisers. Nur an der Oberfläche geht es hier um einen irdischen Reisenden,

vielmehr spricht Hafis auf einer anderen Ebene über die Erschaffung Adams und den Glücks-Palast des Freundes /Gottes, das Paradies, in dem Adam vor seiner Vertreibung weilte,! und über den Wunsch des Dichters, sich mit dem göttlichen Ursprung zu vereinigen. Hafis verhält sich, wenn er von seiner Qual spricht, anders als Goethe. In dieser Seelenlage möchte Hafis sich mit Wein betäuben oder berauschen, Goethe aber möchte sich besinnen. Das Bekenntnis zum Weingenuss durch Hafis ist eine, von den Persern bewunderte mutige Grenzüberschreitung, denn Alkohol ist nach dem islamischen Gesetz Sünde und streng verboten. Für deutsche Christen hat die Darstellung des Weingenusses nicht diese rebellische Bedeutung. Hier ist Alkoholgenuss alltäglich, in maßloser Form mit Trunkenheit allerdings eine Charakterschwäche und ein Laster, nichts Bewundernswürdiges. Im selben Gedicht (zwar bin ich fern..., s. Tabelle 7) möchte Hafis, seines fernen Geliebten gedenkend, Wein trinken. Hafis greift zum Becher, um sich dem Augenblick hinzugeben. Das ist typisch für Hafis: O trinke Wein, die Lieb’ ist nicht In meiner Willkühr,

Von Ewigkeit her gab man sie Mir zum 2

1

2

Mehr über Adams Vertreibung aus dem Paradies und deren mystische Interpreta -

tion, s. Kap. 1.3.1 Mystik und Koran. Hammers Hafıs-Übersetzung, S. 591.

319

Tabelle 7 Goethe: West-ôstlicher Divan:

Hammers HafisÜbersetzung:

Auch in der Feme dir so nah!

Und unerwartet kommt die Qual. Da hör ich wieder dich cinmal, Auf einmal bist du wieder da!

Wie sollt ich heiter bleiben Entfemt von Tag und Licht? Nun aber will ich schreiben Und trinken mag ich nicht. (S. 79)

Zwar bin ich fern dem Anschein nach Von deiner Pforte, Allein ich bin mit Geist und Herz Stets gegenwärtig. Auf meinem Weg licgt Berg und Meer, Ich bin erkrankct. O Chiser. du Gesegneter, Komnr' mir zu Hiilfe. (S. 592)

Wohllebens Hafis-

Ubersetzung (2004): Äußerlich bin ich fem von der

Schwelle des Glücks-Palastes des Freundes, doch mit Seele und Herz gehöre ich unter jene, welche seiner Hoheit aufwarten. Meer und Berg (liegen) vor mir auf cinem Weg, und ich (bin so) erschöpft und schwach;

o Xezr. du mit dem gesegnetem Fuß, hilf mir mit

deiner Fürbitte.!” (S. 400)

‫ دولت‌سر ای دوست‬. ‫صموبهرت از در‬ ‫دور‬ ‫ حضرتم‬.‫لیکن به جان و دل ز مقیمان‬

‫ی وف‬ ‫عخسته‬ ‫ض من‬ ‫دریا و كوه در ره و‬ ‫ پی خجسته مدد ده به همتم‬.

‫ای خضر‬

(Ghasel 306, S. 628)

Hammer hat wiederum die Semantik zweier Begriffe (Erwerben und Erwählen

‎‫ (کسب و اختیار‬in diesem Gedicht nicht adäquat oder gar nicht ver-

standen. Er lässt sie weg

bzw. übersetzt sie allgemein als „Willkür“.

Wohllebens Übersetzung ist besser:

Trink Wein, denn Liebender-Sein ist nichts, was man erwirbt oder erwählt;

diese Gabe kommt mir aus dem Erbe der Schöpfung zu.!

Mit Erwerben und Erwählen sind zwei islamische Sekten, 43 2471 ‎)‫(اشعری‬ und mo'tazele ‎)‫ (معترله‬gemeint, wobei eine fatalistisch ist und die andere

an die Willensfreiheit glaubt.” Hafis lehnt beide ab, weil er Auseinandersetzungen dieser Art für nichtig hält. Hafis will als Rend * eine unmittelbare Verbindung zur göttlichen Liebe schaffen, frei von der legalistischen 1

2

3

Hafis-Wohlleben, S. 400.

Über diese Sekten s. Qäsem Gani: Bahs dar äsär wa afkär wa ahwäl-e Hafez. 2. Bd.

[Geschichte der Mystik im Islam]. Teheran 1961, S.15f. Über Rend 5. Kap. 1.8 Rendi als Hafis’sche Philosophie.

320

Religionsauffassung des orthodoxen Islam und unabhängig von den am Äußerlichen haftenden Asketen. Er möchte außerhalb der Glaubensauseinandersetzung seinen eigenen Weg zu Gott finden. Diesen Weg findet Hafis als vorherbestimmtes Schicksal, als Erbe der Schöpfung, was man wiederum in Verbindung mit der mystischen Gesinnung und Gottesliebe zu Adam, also der Menschheit, verstehen soll.! Im Gegensatz zu Hafis, der bei Kummer oder Sehnsucht trinken möchte, um den Gram zu überwinden oder den Augenblick zu genießen, mag Goethe nicht trinken und bevorzugt es, den Kummer und die Qual des Unaushaltbaren „wegzuschreiben‘. Wie sollt’ ich heiter bleiben

Entfernt von Tag und Licht? Nun aber will ich schreiben

Und trinken mag ich nicht.? Wenn er aber doch nach dem Becher greift, dann ist ihm das Wein-Trinken als eine Möglichkeit des Umgangs mit Kummer nicht unangenehm, erhebt doch „der Wein den Geist‘: Sein Auge blitzt, sein Herz erbebt,

Er hofft auf deine Lehren, Dich, wenn der Wein den Geist erhebt, Im höchsten Sinn zu hören.’ An anderer Stelle (in Das Schenkenbuch) ist Weintrinken für Goethe sogar ein Mittel sich zu verjüngen. Wein wird zum „Sorgenbrecher": Trunken müssen wir alle sein! Jugend ist Trunkenheit ohne Wein;? Trinkt sich das Alter wieder zu Jugend,

‫زح‬ mW‫‏‬

‫نمم‬

So ist es wundervolle Tugend.

Mehr dazu s. Kap. 1.3. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 79. Ebd., S. 28. Dies hat Goethe anscheinend aus Diez’ Übersetzung des Buch des Kabus übernommen. Vgl. Goethes Notiz aus dieser Quelle: „In der Jugend sind die Menschen ganz ohne Wein berauscht.” In: Goethe: Sämtliche Werke. Band 3/2, FA, S. 1317. 321

Für Sorgen sorgt das liebe Leben Und Sorgenbrecher sind die Reben.! Nicht nur das: Wenn der Dichter in seinem Trennungskummer trinken möchte, dann um sich zu besinnen

(Nur zu! geliebter Schenke, / Den Be-

cher fiille still. / Ich sage nur: Gedenke! oder der Geliebten zu gedenken: Wenn ich dein gedenke, Fragt mich gleich der Schenke: „Herr! Warum so still?

Da von deinen Lehren Immer weiter hôren

Saki [der Schenke] gerne will.? Betrachtet man das Thema Trennungsschmerz im West-östlichen Divan unter den vorgenannten Aspekten, wird deutlich, dass Goethe nicht nur

die Bitternis der Trennung überwinden konnte, sondern es ihn, wie Korff

schreibt, mehr noch „[...] dazu getrieben [hat], die Kraft des Buches Suleika gegen seinen Gram zu Hilfe zu rufen und sich auf den Flügeln der Poesie über die Schmerzen der Wirklichkeit zu erheben.” 4 Ein Beispiel dafür sei ein undatiertes Gedicht aus Goethes Nachlass (zum Buch Suleika). Hatem beweint hierin seine Trennung und klagt: Laßt mich weinen! umschränkt von Nacht, In unendlicher Wüste. Kamele ruhn, die Treiber desgleichen, Rechnend still wacht der Armenier; Ich aber, neben ihm, berechne die Meilen Die mich von Suleika trennen, wiederhole

Die wegeverlängernden ärgerlichen Krimmungen.°

Nun zieht Hatem/Goethe daraus keine negative Konsequenz, sondern im Gegenteil: Weinen ist „keine Schande”, denn auch Helden weinten: Laßt mich weinen! das ist keine Schande.

ON

à

WH ‎‫سم‬

Weinende Männer sind gut.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 93. Ebd., S. 79. Ebd., S. 79.

Korff, a.a.O., S. 140. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 284.

223

Weinte doch Achill um seine Briseis! Xerxes beweinte das unerschlagene Heer;

Über den selbstgemordeten Liebling

Alexander weinte.!

Daraus wiederum folgert er, dass die Tränen nicht nur erleichtern, im Staub neues Leben erwecken, sondern auch ein Verjüngungsgefühl hervorbringen können (gruneln):? Laßt mich weinen, Thränen beleben den Staub.

Schon grunelts.?

Im Divan kann Goethe sich über den Trennungsschmerz hinaus zu einem Verjüngungsgefühl aufschwingen und seine Leidenschaft zu hoher Poesie erheben, weil die Liebe im Divan eher eine innerliche Verbundenheit ist. Deswegen klagt er nicht über die äußerliche Trennung in der Art, dass er sich gelähmt oder machtlos fühlt, wie wir es bei Hafis kennen, denn Goethe ist im Geiste „auch in der Ferne nah“. Vielleicht aus

diesem Grund wollte Goethe Marianne, nach ihrer letzten Begegnung im Sommer 1815 in Heidelberg, nicht mehr wieder treffen. Er wollte so das Liebesglück, welches ihn verjüngte und inspirierte, verewigen. Vielleicht wollte er seine sich steigernde Liebe nicht durch weitere unmittelbare Begegnungen verblassen sehen. Daher stellt Hatem seine poetische Gebundenheit an Suleika durch den Weltspiegel Alexanders dar, durch den er sie dann sieht, wenn er seine „Lieder” erblickt. Hier wird wieder die gegenseitige Wirkung der Poesie und der Liebe gezeigt: Wenn ich nun vorm Spiegel stehe,

Im stillen Witwerhaus, Gleich guckt, eh ich mich versehe, Das Liebchen mit heraus. Schnell kehr ich mich um, und wieder Verschwand sie die ich sah;

1

2

3

Ebd., S. 284f.

Gruneln: „nach frischem Grün duften, besonders nach Regen; Symbolisch [einen]

Verjüngungsvorgang im Menschen andeutend. Methapher für Belebung des erstarrten Innen durch tief bewegende Gefühle.“ Christa Dill: Wörterbuch zu Westöstlichem Divan, S. 171. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 285.

323

Dann blick ich in meine Lieder, Gleich ist sie wieder da.!

Dieses Liebesglück durch Poesie wird in Suleikas Antwort verdeutlicht, wobei sie durch Darbietung ihres eigenen Herzens als Spiegel den kausalen Zusammenhang zwischen der Liebe und der Poesie hervorhebt:? Ja! Mein Herz es ist der Spiegel, Freund! Worin du dich erblickt, Diese Brust, wo deine Siegel Kuß auf Kuß hereingedrückt. Süßes Dichten, Fesselt mich in Rein verkörpert Im Gewand der

lautre Wahrheit Sympathie! Liebesklarheit, Poesie.’

4.2.3 Die Schenkensphäre als Darstellung der Knabenliebe? Die Hinwendung zum Schenken findet Goethe bei Hafis vorgegeben, und zwar nicht nur in vielen Versen, in denen sich Hafis an den Schenken wendet, damit er ihm seinen Becher fülle (O holder Schenke, füll’ den Becher? oder ..., 0 Sagi [Schenke], den Becher fülle mit Wein.°), sondern auch

im Anfangsvers des gleichen Ghasels (Zwar bin ich fern..., s. Tabelle 7): Komm’ Schenke, denn ich möchte dir

So gerne dienen,

Ich sehne mich nach deinem Dienst,

Und wünsche deinen Segen.®

Der Wein verbindet Hafis mit dem Geliebten. Weintrinken in Abwesenheit des Geliebten ist nicht erlaubt:

ON À ‎‫دحا‬

‫مم‬

Eine Fatwa vom Alten Magier habe ich, die (zugleich) ein Spruch Ebd., im Gedicht Abglanz, S. Vgl. auch Ileri, a.a.O., S. 383. Goethe: West-östlicher Divan. Hammers Hafis-Ubersetzung, Hafis-Wohlleben, S. 497. Hammers Hafis-Übersetzung,

423

89. Weitz, S. 90. S. 319. S. 591.

aus alten Zeiten ist: .Verboten ist der Wein dann, wenn kein Geliebter! als

Trinkgenosse dabei ist.!"?

In Anlehnung an diese Verse hat Goethe im Schenkenbuch eine feste Verbindung zwischen dem Trinken und der Liebe hergestellt: Solang man nüchtern ist Gefallt das Schlechte,

Wie man getrunken hat Weif} man das Rechte; Nur ist das Übermaß Auch gleich zu Handen; Hafis! o lehre mich Wie du’s verstanden. Denn meine Meinung ist Nicht tibertrieben: Wenn man nicht trinken kann Soll man nicht lieben; Doch sollt ihr Trinker euch Nicht besser dünken, Wenn man nicht lieben kann Soll man nicht trinken.? Saki (korrekter Sägi = der Schenk) steht bei Hafis nicht selten für die Rol-

le des Geliebten, der als Knabe in Weinlokalen auftritt. Es bleibt spekulativ, ob der Weinschenk im Sinne von Hafis jemals auch eine Frau bezeichnete. Sicher ist, dass Hafis, wenn er über seinen geliebten Aufenthaltsort Taverne redet, den Schenken als einen Mann bzw. einen Knaben anspricht. Hafis spricht auch direkt vom Knaben als dem Schenken (Magierknabe = mogbace ‎‫ ( مغبچه‬und dem Schönen in Weinhäusern? und er hat das

1

Ww

2 4

Wohlleben hat das Wort yar mit „Freund“ übersetzt, hier jedoch ist damit der Geliebte gemeint. Hafis-Wohlleben, S. 464. Goethe: West-ostlicher Divan. Weitz, S. 93.

Siehe vorliegende Arbeit, Kap. 1.5.

325

Wort Magierknabe insgesamt achtmal mit erotischer Konnotation verwendet. Weinhäuser wurden wegen des islamischen Alkoholverbotes ausschließlich von Christen und Zoroastriern betrieben. Dort verkehrten Männergesellschaften. Die Bedienungen waren keine Frauen, sondern ebenfalls Männer bzw. Jünglinge. Das erotischen Verlangen in der Hafis’ Dichtung nach dem Schenken des Weinhauses kann also nur auf einen Knaben gerichtet sein. In Hafis’ Ghaselen begegnen wir einem weiteren Bild in Verbindung mit dem Schenken, nämlich den Blicken des Schenken, die ein Liebesblinzeln sind. Sie werden an diesen Stellen von Hafıs als so betörend bezeichnet, dass er (Hafis) seinen Glauben verraten könnte:

So sehr hat das Liebesblinzeln des Schenken den Weg des Islam gefährdet[...];! oder:

Wenn die Schnur des Rosenkranzes riß, so verzeihe mir:

Meine

Hand

Schenken.?

ruhte gerade

auf dem

Arm

des silberschenkligen

Hier muss erklärt werden, dass der Rosenkranz auch im Islam eine religiöse Bedeutung hat, wobei der Gläubige durch Abbeten des Rosenkranzes die formelhaften Wendungen der heiligen Worte rituell wiederholt (zekr 3). Hier ist gemeint, dass Hafis dieses islamische Ritual wegen des Liebesspiels aufgegeben hat. In Hafis’ Dichtung tritt die Beziehung Dichter-Schenke als ein orientalisches Verhältnis häufig hervor. Ihre Wirkung auf Goethe ist recht stark, und hat ihn sogar zu einem Gedichtzyklus im Divan - Saki Nameh (das Schenkenbuch) - inspiriert; dabei lehnt sich der Titel an den Titel eines Hafis-Gedichts an.? Bei Goethe ist der Schenk zunächst eine Mischung aus Kellner und Weinschenk, nimmt dann zunehmend den Charakter eines Knaben wie auch eines Schönen an: 1

Hafis-Wohlleben, S. 262.

2

Ebd. S. 284.

3

s. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 885ff.

326

Du zierlicher Knabe, du komm herein, Was stehst du denn da auf der Schwelle? Du sollst mir künftig der Schenke sein,

Jeder Wein ist schmackhaft und helle.

]...[ ! Laß mich jetzt, geliebter Knabe, Mir will nicht die Welt gefallen,

Nicht der Schein, der Duft der Rose,

Nicht der Sang der Nachtigallen.?

Im nun folgenden Gespräch des knabenhaften Weinschenken mit dem Dichter entsteht eine erotische Stimmung, indem der Junge einen Kuss einfordert, auch wenn er beteuert, den Kuss lediglich als Erinnerungsstück haben zu wollen: Dann will ich auf der Terrasse

Dich mit frischen Lüften tränken,

Wie ich dich ins Auge fasse Gibst du einen Kuß dem Schenken. [...]? Nennen dich den großen Dichter Wenn dich auf dem Markte zeigest; Gerne hör ich wenn du singest, Und ich horche wenn du schweigest. Doch ich liebe dich noch lieber Wenn du küssest zum Erinnern,

Denn die Worte gehn vorüber

Und der Kuß der bleibt im Innern.?

Goethe will in diesem Gespräch der erotischen Annäherung des Knaben nicht entgegenkommen, und gestaltet die Beziehung in ein pädagogisches Verhältnis um. Damaligen deutschen Sitten gemäß möchte er das

‫ كلم‬DD =‫‏‬

Verhältnis „in aller Reinheit“, wie er auch im Noten „über das Schenkenbuch“ zu erklären versucht (s.u.), verstanden wissen: Goethe: Ebd., S. Ebd., S. Ebd., S.

West-östlicher Divan. Weitz, S. 94. 96. 97. 98.

723

Weder die unmäßige Neigung zu dem halbverbotenen Weine, noch das Zartgefühl für die Schönheit eines heranwachsenden

Knaben durfte im Divan vermisst werden; letzteres wollte jedoch

unseren Sitten gemäß in aller Reinheit behandelt sein. Die Wechselneigung des früheren und späteren Alters deutet eigentlich auf ein echt pädagogisches Verhältnis. Eine leidenschaftliche Neigung des Kindes zum Greise ist keineswegs eine seltene, aber selten benutzte Erscheinung. Hier gewahre man den Bezug des Enkels zum Großvater, des spätgebornen Erben zum überraschend zärtlichen Vater. ! Sulpiz Boisserées Tagebuch (Eintrag vom 8. August 1815) zufolge bezie-

hen Kellner und Schenke ? (Du zierlicher Knabe...) in Goethes Gedicht im

Schenkenbuch „sich auf den schönen jungen blonden Kellner auf dem Geisberg [bei Wiesbaden].”? Weitz dagegen meint: „Das eigentliche Urbild des Schenken aber war dem Dichter in Heidelberg begegnet. Als er dort im Herbst 1814 häufig zu Gast war bei der befreundeten Familie des Theologen und Orientalisten Paulus’, bei dem Goethe Anfangsgründe arabischer Schrift und Sprache lernte, „schloß der zwölfjährige Sohn, ein lebhaftes, frühreifes Kind, sich zutraulich ihm an." Diese Erläuterung wurde durch Paulus’ Frau (Caroline) in einem Brief an Hegel vom 12.

Dez. 1815 bestätigt:

Daß Goethe letzten Herbst wieder vierzehn Tage hier [in Heidelberg] war, wissen Sie. [...] Er war fast alle Abend bei uns [...], und der Wilhelm bildet sich nicht wenig darauf ein, daß er sein Schen-

ke sein und ihm alle Morgen ein sogenanntes Schwächen kleine Leckerei] zum Frühstück bringen durfte.’ Burdach meint, das Vorbild des „geliebten Schenken”

[eine

im Divan sei eine

‫نم‬

Ebd., S. 206.

aan»‫‏‬ ‫ده نیا‬

Mischung aus beiden heranwachsenden Jungen (dem Kellner auf dem Geisberg und dem Sohn von Paulus).® Entstanden in Wiesbaden, Ende Mai 1815 (überarbeitet 1. Juli).

In: Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, Erläuterungen, S. 323. Ebd. In: Anke Bosse: Meine Schatzkammer füllt sich täglich..., Bd. 2, S. 591. In: Anke Bosse: Meine Schatzkammer füllt sich täglich..., a.a.O., Bd. 2, S. 591.

Konrad Burdach: Goethes West-östlicher Divan in Biographischer und zeitgeschicht-

licher Beleuchtung. In: Edgar Lohner (Hg): Studien zum West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt 1971, S. 310-351, hier S. 330.

328

Bemerkenswert ist hier, dass Goethe nicht allein durch Hafis inspiriert, sondern auch durch eigene Erfahrung auf die Idee gekommen ist, den Schenken als Motiv in seine Dichtung aufzunehmen. Obwohl bei Goethe das Verhältnis des Dichters zum Schenken ein pädagogisches Verhältnis oder die Beziehung eines Enkels zum Großvater andeutet, nennt er den Schenken nicht Sohn, sondern eben doch Schenke oder Liebchen, und rückt damit die Deutung nah an die Welt des Hafis. Während Goethe versucht, die „wechselseitige Neigung! als eine platonische Liebe zu erklären, schließt Burdach für dieses Verhältnis jeglichen erotischen Gedanken gänzlich aus: Um diese Gedichte gerecht zu würdigen, muß man jede Erinnerung an perverse Sexualempfindung völlig fernhalten.? Relevant für unser Thema ist nun wiederum die Wechselrede im Schenkenbuch. Erhebt in Hafis’ Dichtung der Schenke keine individuelle Stimme und wird dort alles Gesagte einseitig dargestellt, führen im Schenkenbuch Dichter und Weinschenk ein wechselseitiges Gespräch unter Gleichberechtigten. 4.2.4 Zwei besondere semantische Belege für Hafis’ Liebesauffassung Wie in vorliegender Arbeit erläutert wurde, gibt es zahlreiche orientalische Liebesauffassungen in Verbindung mit der Poesie von Hafis, mit denen Goethe sich auseinandersetzte. In diesem Zusammenhang sind aber zwei besondere Belege vorhanden, die einerseits der persischen Dichtung eigentümlich sind und besonders die Semantik der Poesie von Hafis deutlicher vor Augen führen, und andererseits Goethes Art und Weise des Umgangs mit ihnen zutage treten lassen. Diese Belege sind Augenspiele als geheime Chiffre der Liebenden und die Timur-Anekdote in Verbindung mit dem Bettler-König-Motiv in der Liebe.

4.2.4.1 Augenspiel als geheime Chiffre der Liebenden Im Gedicht

Geheimnis aus dem Buch

der Liebe finden wir einen weiteren

bemerkenswerten Beleg für die Auffassung der Liebe im Sinne Goethes: 1 2

„Eine wechselseitige edle Neigung belebt das ganze Buch [Schenkenbuch].” Goe-

the; in der Ankündigung im ,Morgenblatt” (24. Feb. 1816). In: Goethe: West-östli-

cher Divan. Sämtliche Werke. Bd. I, 3/1. FA, S. 551.

Ebd., Bd. 3/2, FA, S. 1309.

329

das Augenspiel mit dem Geliebten, von dessen Bedeutung nur die Lie-

benden wissen: Uber meines Liebchens Augeln / Stehn verwundert alle Leute; ... (s.u. Tabelle 8).

Diese Verse sind im Hinblick auf den folgenden Vers von Hafis umgedichtet. Goethe hat die erste Vershälfte abgeändert von Hammers Hafis-Ubersetzung übernommen: Ueber meines Liebchens Aeugeln / Staunen alle Unerfahrene, ... (s. Tabelle 8). Dieses Gedicht von Hafis ist ein mystisches Gedicht, aus dem Hammer mit seiner Übersetzung ein irdisches Liebesgedicht gemacht hat. So hat Goethe es vorgefunden, aufgefasst und umgedichtet. Die bessere Übersetzung dieses Gedichtes kann wie folgt lauten: Über unser Augenspiel geraten Uneingeweihte in Verwirrung... (s. Tabelle

8, Wohllebens Übersetzung). Wie

bereits

erörtert,!

im

mystischen

Sinne

bedeutet

habar

‎)‫) خبر‬

nicht nur „Kunde“ im Sinne von Nachricht, wie Hammer und Rückert das Wort übertragen haben, sondern meint die Erkenntnis des mystischen Pfades zur „wahren“ Gottesliebe.2 Ein Ahnungsloser (bihabar) ist jemand, der den wahren mystischen Pfad nicht gefunden hat. Hammer übersetzte

hier

„Unerfahrener“,

was

dem

mystischen

Terminus

nicht

ganz

ent-

spricht. Hafis fordert hier in seiner mystischen Phase die Vertreter anderer Sufi-Orden auf „Inhaber der Ahnung‘? d.h. Eingeweihte des Liebesweges, zu werden:

m

W

‎‫تخ‬

‫نو‬

O du Ahnungsloser, strebe danach ein Inhaber der Ahnung? zu werden; solange du den Weg nicht gewandelt bist, wie willst du Wegführer werden.°

5

Kap. 1.6.

Vgl. Mahmud Human, a.a.O., S.75 u. 359, auch N. Räzi: Mersäd al-‘Ebäd, S. 67. Originalfassung (Persisch): ,säheb-e habar” „>

‎‫صاحب‬

Wohlleben hat statt „Inhaber der Ahnung” ,Wissender” übertragen, welches eine andere Version der mystischen Bedeutung dieser Wortverbindung hervorruft. Rosenzweig-Schwanau hat hier „Licht des Wissens” übersetzt. S. RosenzweigSchwannau, a.a.O., Bd.3, 1864. Hafis-Wohlleben, S. 597.

033

Tabelle 8 Goethe: West-ôstlicher Divan:

Uber meines Liebchens Augeln

Stehn verwundert alle Leute; Ich. der Wissende, dagegen Weiß recht gut was das bedeute.

Hammers HafisÜbersetzung:

Wohllebens Hafis-

Ueber meines Liebehens

Uber unser Augenspiel

Übersetzung:

Acugeln Staunen alle Unerfahme. Ich bin so wie ich erscheine,

Denn es heißt: Ich liebe diesen, Und nicht etwa den und jenen; Lasset nur, ihr guten Leute Euer Wundern. euer Sehnen! Ja, mit ungeheuren Mächten Blicket sic wohl in die Runde: Doch sie sucht nur zu verkiinden Ihm die nächste süße Stunde. (S. 34-35)

Während sie es anders wissen.

Weise sind zwar sonst das Mittel, Von der ganzen Schöpfung Kreise:

Doch die Liebe weiß, daß selbe In dem Kreise sich oft drehen.

]...| Nicht mein Aug’ allein betrachtet Die Licbkosungen der Wangen, Mond und Sonne machen immer Diesem Spiegel ihren Kreislauf. (S. 361)

veraten Uneingeweihte in Verwimung; Ich bin so. wie ich mich zeigte jene mögen es anders wissen. Die Vernünftigen sind der Mittelpunkt im Zirkel des Seins, jedoch Die Liebe weiß, dass sie in diesem Kreis kopflos umherlaufen. [...] Der Ort. wo sein

Antlitz" ‘aufglanzt. ist nicht

mein Auge allein. | Mond und Sonne umkreisen es auch als Spiegel.

(S. 268)

‫سهات‬ ‫ي تن‬ ‫نى من‬ ‫جلو مگاه رخ او ديده‬ ‫ماه و خورشيد هم اين أينه مىكّردائند‬ Ghasel

188. S. 392)‫‏‬

‫ ما بی‌خبر ان حير اناند‬.‫در نظربازى‬

‫ دگر ايشان دانند‬.‫موکهدم‬ ‫نینم‬ ‫من چن‬

‫عاقلان نقطه‌ی پرگار وجوداند ولی‬ ‫دان‌اند‬

‫داند که در ین دایر ه سرگر‬

‫شق‬

Damit deutet Hafis an, dass es ohne diese „Ahnung“ unmöglich ist, als »Wegführer” die ,wahre” Liebe zu Gott zu erreichen. Auch über die Ahnungslosen dieses Pfades spricht er in den Versen: die Unkundigen des gôttlichen Liebespfades verstünden sein irdisches Augenspiel (nazar-bäzi ‎‫ (نظرباری‬mit dem Geliebten nicht und tadelten ihn. Die Ahnungslosen betrachten Hafis’ Augenspiel lediglich als ein irdisches Spiel, während aus Hafis’ Sicht - im oben genannten Gedicht -, dieses Spiel ein Spiegel der Liebesvereinigung mit Gott ist. Weil die Schönheit auf der Erde eine Offenbarung Gottes sei, ist die Liebesbeziehung durch das Augenspiel mit der/dem schönen Geliebten eine Spiegelung der Liebe zu Gott.! Deswegen auch weist Hafis in den folgenden Versen des 1

Mehr darüber s. vorliegende Arbeit, Kap. 1.5. 331

gleichen Ghasels darauf hin, dass Mond und Sonne als Spiegel der Erscheinung Gottes zu verstehen sind. Demzufolge hat er Mond und Sonne mit seiner/seinem Geliebten gleichgesetzt: Der Ort, wo sein Antlitz! aufglänzt, ist nicht mein Auge allein, Mond und Sonne umkreisen es auch als Spiegel.? Als ein weiteres relevantes Merkmal für die Darstellung der orientalischen Liebesbeziehung durch die Liebesgestik des Augenspiels ist zu erwähnen, dass in einem religiös-despotischen System, wie es sich zu Hafis’ Zeiten etabliert hatte, es Liebenden schwer gemacht war, zueinander zu kommen. Das Spiel mit den Augen hat ein besonderes Gewicht. Die Beziehung der Liebenden blieb durch die versteckten, heimlichen Blicke den anderen verborgen. Das Augenspiel war indes so verbreitet, dass nicht wenige Dichter es wiederum offen darstellten.’ Eingedenk der belegten Tatsache, dass Männer und Frauen bei allen Zusammenkünften

(in Moscheen,

bei Festen oder zu anderen Gelegen-

heiten) immer getrennt feierten, kann m.E. sicher gesagt werden, dass es sich beim Augenspiel um eines mit einem männlichen Geliebten handelt. Aus

dem

Bericht

des britischen

Autors James

Morier

(1780-1849)

vom Anfang des 19. Jahrhunderts geht hervor, die Trennung der Geschlechter noch bis ins 19. Jh. Beibehalten wurde. James Morier wurde

als Sohn des britischen Konsuls in Konstantinopel geboren und wuchs

dort auf. Er hat insgesamt sieben Jahre (1808-1809 und 1810-1816) als Be-

PR‫‏‬

‫ندم‬

amter der britischen Botschaft in Teheran gearbeitet und ist durch verschiedene Provinzen Persiens gereist. Er hat die Sitten und Gebräuche der Perser genau beobachtet und darüber berichtet. Außer The Adventures of Hajji Baba of Ispahan? - seinem bekanntesten Werk (1824) - hat er weitere Reisebücher über Persien geschrieben, die 1812 und 1818 in London erschienen sind. In seiner Reiseberichterstattung schreibt er, dass die Frauen von jeder Zusammenkunft ausgeschlossen waren. Die Frauen seien „Gefangene des Harems“, sie seien nicht nur nirgendwo zu sehen, man dürfe nicht einmal ihre Stimme hören.° Gottes Antlitz.

Hafis-Wohlleben, S. 268.

‫كلم‬

W

Mehr dazu s. Kap. 1.5 Hafis und Knabenliebe. Morier, James: The Adventures of Hajji Baba of Ispahan. Illustrated by H.R. Miller, with an Introduction by Hon. George Curzon M.P. London 1902. 5 James Morier: Reiseberichterstattung. Bd. 1, Übersetzung ins Persische von Abolqäsem Raÿabniä. Teheran 2007, S. 300.

233

4.2.4.2 Die Timur-Anekdote und das Bettler-König-Motiv in der Liebe Weitere nennenswerte Beispiele in Zusammenhang mit der Liebe finden sich im Buch Suleika, in dem Goethe die Liebe héher bewertet als den Kaiserthron, wie es auch bei Hafis der Fall ist. Liebe tritt als eine eruptive Kraft auf, die alle Grenzen überschreitet. Sie kennt nicht nur keine räumliche, kulturelle und religidse Grenze, sie hebt auch die Trennung der Geschlechter auf, wie sie auch kein Alter mehr kennt. All dies ruft eine

enorme innerliche Kraft hervor, sodass die Liebenden sich starker und großzügiger als ein König fühlen, denn ein König weiß nicht, wie man liebt: Hatt ich irgend wohl Bedenken

Balch, Bochara, Samarkand, Süßes Liebchen, dir zu schenken, Dieser Städte Rausch und Tand?

Aber frag’ einmal den Kaiser Ob er dir die Städte gibt?

Er ist herrlicher und weiser; Doch er weiß nicht wie man liebt.

Herrscher! zu dergleichen Gaben Nimmermehr bestimmst du dich! Solch ein Mädchen muß man haben Und ein Bettler sein wie ich.!

Die oben zitierten Verse sind ursprünglich eine Anspielung auf eine TimurAnekdote in Hammers Vorrede: Als Timur Fars eroberte, und den letzten Sultan der Dynastie Mosaffer hinrichten ließ, war Hafis noch am Leben. Er schickte um den Dichter, und als er vor ihm erschien, sprach er: Ich habe mit glänzendem Schwert den größten Theil der Welt erobert, und tausend Länder

blos deswegen

meiner

Bothmäßigkeit

unterworfen,

um Samarkand und Buchara, die beiden Städte meines Vaterlandes, vor allen andern empor zu bringen, und du unterstehst dich, dieselben in deinen Gedichten für das Maal deines Lieblings feil zu bieten. 1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 72.

333

Nähme mein Herz in die Hand der schöne Knabe von Schiras, Gerne gab’ ich für’s Maal!Buchara und Samarkand hin. [Hafis] Elif VIN?

Hafis küßte die Erde, und sprach: Herr der Welt, betrachte nur den Verschenker, und du wirst ihm verzeihen, in dieses Netz gefallen zu

seyn. Diese Antwort gefiel dem Eroberer, der statt zu zürnen, ihn mit Gnadenbezeugungen überhäufte. Nach einer anderen Sage soll Hafis geantwortet haben: Fürst! leider daß ich so verschwenderisch gewesen, sonst wäre ich nicht so arm geworden.

Timur soll Hafis bei seiner ersten Invasion Schiras’, im Jahre

1387, d.h.

drei Jahre vor dessen Tod empfangen haben, nicht wie Hammer schreibt,

bei der zweiten Invasion, bei der Timur „den letzten Sultan der Dynastie

Mosaffer hinrichten ließ.“ Dieser Krieg fand allerdings etwa drei Jahre nach Hafis’ Tode im Jahre 1393 statt. Goethe fand, wie bereits erwähnt,? in dieser Geschichte eine Entsprechung zu seiner eigenen historischen Begegnung mit Napoleon. Die-

ser hatte ihn, bei der Audienz am 2. Oktober 1808, am Rande des Erfurter Fürstentages, auch kritisch auf Die Leiden des jungen Werther angesprochen.° Wahrend Goethes Zusammentreffen mit Napoleon eine historische Tatsache ist, handelt es sich bei der Begegnung zwischen Hafis und Timur vermutlich um eine Legende. Ähnlich Goethe, der neben den historischen Persönlichkeiten wie Mohammed und Cäsar, sogar den zeitgenössischen Eroberer Napoleon bewunderte, blickte auch Hafis anfänglich zu Timur auf, in der Hoffnung, eine starke Führungspersönlichkeit könnte stabile Verhältnisse im Land garantieren. Hafis hatte unter Kriegen zwischen Provinzfürsten und schnellen Machtwechseln gelitten, deshalb wünschte er sich vor allem 1

2

‫حر‬

3 5

Eigentlich

ein

indisches Muttermal (Hindu-Mal),

ein schwarzer

Schönheitsfleck,

der ein besonders erotisches Merkmal ist. Buchstabe und Nummer des Ghasels, das auf der Seite 51 der Hafis-Übersetzung zu finden ist. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 19f. Siehe vorliegende Arbeit, Kapitel 2.5.3. Vgl. Wolfgang Müller (Hg.): Johann Wolfgang von Goethe. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Dargestellt von Peter Boerner. Rowohlts Monographien. 28. Aufl. Frankfurt a. M., 1989, S.103.

433

Stabilität, die ihm unter Herrschaft Timurs gewährleistet zu sein schien. Der türkische Eroberer hatte zum Zeitpunkt der Invasion Schiras’ seinen Machtbereich bereits weit ausgedehnt und konsolidiert.!

Später war Hafis allerdings von Timurs Invasion entsetzt, denn der

hinterließ nichts als Elend, Toten über die Eroberung, in denen er die Jasmin) durch Timur thematisiert der Geschehnisse und Wüstensturm als einen „bösen Dämon”, Ahriman

und Ruinen. Hafis schrieb Gedichte Vernichtung der Schönheit (Rose und und dessen Heer als den Sturmwind darstellt, Timur selbst bezeichnet er /anro maniius, den bösen Geist:

Der Sturmwind der Geschehnisse gestattet nicht zu erkennen,

ob auf dieser Wiesenmatte eine Rose gewesen ist oder ein Jasmin.

Nach diesem Wüstensturm, der am Garten vorbeifegte, welch Wunder, dass (überhaupt noch) der Hauch einer Rose existiert und die Farbe eines Jasmins. Um Geduld bemühe du dich, o Herz, denn Gott duldet nicht

einen so wertvollen Ring an der Hand eines bösen Dämons.?

Halten wir in diesem Zusammenhang zwei wesentliche Punkte fest: 1. Hafis möchte das Leben durch die Liebe, ungeachtet von Wüstensturm

und Dämonen, genießen. Er will mit seiner Geliebten Wein trinken, Ge-

dichte lesen und sich seine Ruhe bewahren. Er will diesen glücklichen Zustand für nichts in der Welt, nicht einmal für das Paradies, hergeben,

wie er im gleichen Ghasel (s.o.) verdeutlicht:

Zwey schelmische Mädchen, zwey Eimer voll Wein,

Die Muße, ein Buch, und ein Winkel im Haus,?

Dies gieb um das andere Leben ich nicht,

Und stünden auch Schaaren zu dienen bereit.? 1 2

Siehe das Gedicht 461, Buchstabe ye, in Hafis-Wohlleben, S. 577. Mehr dazu s. vorliegende Arbeit, Kapitel 2.5.3. Hafis-Wohlleben, 5. 586. Eines Dämons (Ahriman) - „Erinnert an den Weltherr-

3

In allen Hafis’ Divan-Versionen, sogar in Sudis Version, welche Hammer für seine

4

schaft schenkenden Ring Salomos, der in die Hände eines Div wodurch die Welt zeitweilig in Unheil gestürzt wurde.“ Ebd.

[Dämon]

geriet,

Übersetzung und seinen Kommentar verwendet hat (s. Sudi, a.a.O., Bd. 4, S. 2553),

ist statt von Winkel im Haus von einer Wiesenecke die Rede. Mir ist unverständlich, warum Hammer statt die Wiese das Haus übertragen hat. S. Hammers HafisÜbersetzung, S. 803. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 803. Hier hat Hammer den letzten Halbvers nicht

so gut verstanden. Wohllebens Übersetzung ist die besse Mehr dazu s. vorliegende

335

Hier gibt es Ahnlichkeit zwischen Goethe und Hafis, aber keinen Gleichklang. Hafis in seiner Neigung zur Liebe und Genuss der irdischen Freuden spricht provokativ. Goethe will aber hierin mit Hafis nicht mitzie-

hen. Goethe möchte nicht Hafis’ Frechheit mitmachen, welche Hafis bei

den Persern beliebt machte. M. E. hat sich Goethe von diesem Ghasel zu seinen Versen im Hikmet Nameh (Buch der Spriiche) inspirieren lassen. Er spricht dort zu Hafis: Du bist auf immer geborgen,

Das nimmt dir niemand wieder: Zwei Freunde, ohne Sorgen, Weinbecher, Büchlein Lieder. !

Alle Kommentatoren glauben allerdings, dem Gedicht von Goethe lagen die folgenden Verse von Hafis zugrunde: Was mir am dienlichsten scheint bei diesen gefahrlichen Zeiten, Ist in das Wirthshaus zu ziehn, lustiger Dinge zu seyn. Keinen Freund verlang’ ich mir dort, als das Buch und die Flasche,

Daß ich vergeße der List, daß ich vergeße des Trugs.?

Die „zwei Freunde” in Goethes Gedicht hat Hempel für „das Ehepaar Willemer“3 gehalten, nach Birus’ Kommentar hingegen sind es „wie es ganz lakonisch-auffällig artikellos und asyndetisch - am Schluß heißt: ‚Weinbecher, Büchlein Lieder’. ? Sehr wohl spricht Hafis an dieser Stelle wie in den zuvor erwähnten Versen von schlechten Zeiten, in denen er zu Wein und Buch Zuflucht

nimmt, doch die „zwei Freunde“ in Goethes Versen sind weder „das Ehepaar Willemer“ noch „Weinbecher und Büchlein“. Sowohl Hempel als

auch Birus und noch andere Interpreten haben das erste der oben genannten Ghaselen (Zwey schelmische Mädchen...) außer Acht gelassen. Weil im zweiten Ghasel (Was mir am dienlichsten...) von „keinem Freund“ die Rede ist, nur vom Buch und der Flasche, ist man offensicht-

lich zu solchen Kommentaren gekommen.

‫زح‬ mW‫‏‬

‫مم‬

Arbeit,

Kapitel 2.5.3.re:

„Ich gebe

diesen Stand

nicht her für Diesseits

Jenseits,/ wenn auch eine Horde (von Tadlern) hinter mir her ist.“ S. Tabelle 9. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 60. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 611. Siehe Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 1149. Ebd.

336

und

Goethe aber hat m.E. seine Verse in Hinblick auf das erste Ghasel von Hafis konzipiert. Wieder einmal hat er hier sogar die Struktur des Gedichtes durchschaut. Hafis spricht zuerst, nach Hammers Ubersetzung, von zwei Mädchen, dann vom Wein und zuletzt vom Buch. Goethe hielt, genauso wie Hafis, diese Reihenfolge ein: Zuerst spricht er also von zwei Freunden (statt von Mädchen), dann vom

Wein und vom Buch. Die

Kommentatoren haben sich dadurch verleiten lassen, dass Goethe statt zwei

Mddchen

(wie

in Hammers

Ubersetzung)

zwei Freunde

auftreten

lasst (s.u. Tabelle 9). Hammer hat das persische Wort yar mit Madchen übersetzt. Dieses Wort kann für die oder den Geliebten oder den gôttlichen Ursprung verwendet werden. Es kann auch als ein Freund verstanden werden, wie es Wohlleben übersetzt hat.! Die Kommentatoren haben sich mit Hammers Ubersetzung beschaftigt und infolgedessen andere Kommentare abgegeben. Die Ubernahme der originalen Hafis-Struktur lasst sich noch besser in Goethes drittem Vers nachweisen: ohne Sorgen (Zwei Freunde, ohne Sorgen) ist hier mit die Muße (zweiter Halbvers: Die Muße, ein Buch...) bei Hafis identisch. Interessanterweise hat Goethe entweder aus moralischen Gründen oder intuitiv statt ,zwei Mädchen” zwei Freunde geschrieben. Das Original ist nämlich

nicht eindeutig. Wie

schon erwähnt,

hat das persische

Wort yar drei Bedeutungen. Es kann „Freund“, entweder im einfachen freundschaftlichen Verhältnis oder die/der „Geliebte“ oder Gott in mystischem Sinne heißen. Goethe hat in seinen Versen die erste Bedeutung übernommen, welche höchstwahrscheinlich auch Hafis im Sinn hatte. Darüber hinaus hat Goethe die ersten zwei Verspaare Du bist.../ Das nimmt... (s. Tabelle 9) so gedichtet, dass sie an Hafis’ letzte Verspaare Dies gieb um das andere Leben ich nicht... (s. Tabelle 9) anschließen. Man

kann davon ausgehen, dass Goethe die Verse besser als Hammer verstan-

den hat: Hafis spricht tatsächlich von „Diesseits und Jenseits“? bzw. von

„immer“ oder „Ewigkeit“ (s. Wohllebens Hafis-Übersetzung, in der Tabel-

le 9), wie auch bei Goethe von „immer“ die Rede ist.

1

2

Hafis-Wohlleben, 5. 586. 5. Tabelle 9 (S. 397).

Statt „Diesseits und Jenseits“ hat Hammer mit „das andere Leben“ übersetzt (s. Tabelle 9).

337

Tabelle 9 Goethe:

West-östlicher Divan:

Hammers Hafis-

Wohllebens

Zwey schelmische Madchen, zwey Eimer voll Wein, Die MuBe, cin Buch. und ein Winkel im Haus: Dies gicb um das andere Leben ich nicht, Und stünden auch Schaaren zu dienen bercit. (S. 803)

Zwei aufgeweckte Freunde und von Alten Wein zwei

Übersetzung:

Ubersetzung:

Hafis-

Du bist auf immer geborgen, Das nimmt dir niemand wieder:

Zwei Freunde. ohne Sorgen,

Weinbecher, Büchlein Lieder.

(S.60)

Man'”,

Mußezeit und ein Buch und eine Wiesenecke: Ich gebe diesen Stand nicht her für Diesseits und Jenseits, wenn auch eine Horde (von Tadlern) hinter mir her ist. (S. 586)

‫دو يار نازک [زیرک] و از باده‌ی کهن دو منی‬

‫فر اغتی و کتابی و گوشه‌ی چمنی‬

‫ما اين مقام به دنیا و آخرت ندهیم‬

‫اگرچه در پی‌ام افتند هر دم انجمنی‬ (Ghasel 468. 5. 952)

Goethe nimmt Hafis’ Wunsch

auf. In dieser Weise versicherte er Hafis:

Du bist auf immer geborgen, / Das nimmt dir niemand wieder.

2. Goethe schätzt die Liebe, wie bei Hafis, so hoch, dass er bereit ist, seinen Reichtum für die Liebe herzugeben, während die Herrscher nicht so

großzügig sind, denn sie ahnen nicht, „wie man liebt“. Die Liebe ist für Dichter ein vollkommenes Geben - bis man zum Bettler wird:

Aber frag’ einmal den Kaiser, Ob er dir die Städte gibt? Er ist herrlicher und weiser; Doch er weiß nicht wie man liebt.

Herrscher! zu dergleichen Gaben

Nimmermehr bestimmst du dich! Solch ein Mädchen muß man haben Und ein Bettler sein wie ich.!

1

338

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 72.

Goethe hat sich in der Form der Liebeserklärung der mystischen Auffassung von Hafis bedient. Einerseits wiederholt er das Bettler-Motiv mit dem Bild der Armut, welche Hafis in seiner Antwort an Timur anführt;

andererseits ist hier „Arm“ gegen ,Reich’ gestellt, welches in Hafis’ Gedichten fast immer mit mystischer Bedeutung auftritt. Lob der Armut im mystischen Sinne aber bedeutet nicht, dass man etwa ein Bettler sein muss. Armut ist bei vielen islamischen Mystikern eine wichtige Emanationsstufe auf dem mystischen Pfad. Es ist lediglich ein sinnbildlicher Begriff, mit dem der Mystiker seinen Verzicht auf irdische Güter um seiner Liebe zum göttlichen Ursprung willens bezeichnet, was zugleich die Hochschätzung der Liebe zeigt. Ein Mystiker versteht sich als arm (Fakir) im Sinne von eines Gottes bedürftig, nicht aber materieller Güter bedürftig.! Allein aus diesem Grund wünscht sich Hafis von Gott diese Art von Armut. Wenn nur die einfache irdische Armut gemeint wäre, brauchte er diesen Wunsch nicht an Gott zu richten (s. Tabelle 10):

Tabelle 10 Hammers Hafis-Übersetzung:

Wohllebens Hafis-Übersetzung:

Länger verlcihe gütig mir noch dic

Des Glücks der Armut,

Gabe der Armuth, Diesem Reichtum entkeimt meine Vergrößrung und Macht. (S. 106N)

würdige du mich, dann wird diese Gnadengabe die Grundlage meines Prunks und meiner Machtbefugnis sein. (S. 224)

0 Gott,

Arm zu sein bedeutet für den Mystiker einen Vorzug, denn er auf alles Irdische, um den größten Schatz der Welt - die Liebe zu gewinnen. Ein Mystiker glaubt mit der Kraft dieser Armut Welt regieren zu können. Diese Herrschaft ist größer als die schen Königs:

verzichtet zu Gott die ganze eines irdi-

Wenn das Sultanat der Armut dir geschenkt wird, o Herz,

1

Siehe Seyed Ga’far Saÿädi: Farhang-e estelähät wa ta‘birat-e ‘erfani [Wörterbuch zu den mystischen Begriffen]. 8. Aufl. Teheran 2008, 5. 623 ff. 5. auch Raßäyi Bohäräyi: Farhang-e as‘ar-e Hafez (Lexikon zu den Gedichten des Hafıs). 4. Aufl.

Teheran 1985, S. 509ff.

339

dann wird das geringste deiner Reiche vom Mond bis zum Fisch reichen. ! Typisch und tragisch für Hafis ist, dass er zwar den Weg der Armut hochhält - doch gleichzeitig weiß, dass er auf das Irdische nicht verzichten kann. Da er diese Armut nicht erreichen kônne, sagt er in den folgenden Versen des gleichen Ghasels, dass es daher besser sei, wenn er

auf die Großzügigkeit des Wesirs und auf dessen Geschenke nicht verzichte: Du weißt von Armut (in Wahrheit) nichts zu sagen; lass dir (deshalb) den Thron des Wesirs und die Ratsversammlung des Turas-Schah? nicht entgehen.’

4.3 Rhetorische Figuren der Liebe in Hafis’ und Goethes ‎‫ار‬ Ergänzend zum vorangegangenen Kapitel soll im Folgenden untersucht werden, wie bestimmte rhetorische Figuren der Liebe bei Hafis in Goethes Divan verwandelt wiederkehren. Bisher waren hauptsächlich die inhaltlichen Parallelen betrachtet worden; es ist jedoch sicher davon auszugehen, dass Goethe auch in formaler Hinsicht dem Meister Hafis nachzueifern und ihn zu überbieten suchte. Goethe hat in seinem Divan auf unterschiedliche Stilmittel und Motive von Hafis’ Liebesrhetorik zurückgegriffen. Ein Motiv, auf S. 315 bereits erörtert, ist die sich verzehrende Kerze als Metapher für die Liebe. Sie findet sich häufig in der persischen Dichtung, nicht nur bei Hafis. In diesem Zusammenhang steht die Dualität „Schmetterling-Kerze als Metapher für ein Liebespaar. Der Schmetterling, der sich seiner irdischen Liebe zum Licht opfert und verbrennen muss, wird von Mystikern wie Hafis als Sinnbild ihrer Lehre benutzt. Er verkörpert den Mystiker, des1

„Dies geht auf die alte kosmische Vorstellung zurück, dass die Erde dem Horn eines Stiers aufruht, der seinerseits auf einem Fisch steht. Vom Fisch zum Mond, das umfasst also die ganze Welt.” Hafis-Wohlleben, S. 599.

2 Turänsäh war etwa zwanzig Jahre lang Wesir von $äh $ogä‘ und ein Gönner von 3

Hafis. Hafis-Wohlleben, S. 599.

340

sen Seele sich durch den Akt der Vernichtung des Kôrpers, des Ichs, in der Flamme des Sonnenlichtes, also Gottes, mit seiner Quelle vereinigt. Goethe mischt die orientalische Metaphorik mit seiner eigenen Licht-Lehre. Hier ist das Licht selbst Quelle des Lebens. Der Schmetterling opfert und zerstôrt sich nicht für den Liebesakt, sondern er ist auf dem Flug zum Licht, dem Quell des Lebens. Ein anderes beredtes Bild sind die gelockten Haare der/des Geliebten, die

den Liebenden gefangen nehmen und fesseln: Locken! Haltet mich gefangen In dem Kreise des Gesichts! Euch geliebten braunen Schlangen Zu erwidern hab’ ich nichts.!

Oder im Gedicht Gewarnt in Buch der Liebe: Auch in Locken hab’ ich mich

Gar zu gern verfangen,

Und so, Hafis! wars wie dir

Deinem Freund ergangen.?

Locken sind die Ketten des Herzens, ein Motiv bei persischen Dichtern,

das ganz besonders bei Hafis nicht per se eine negative Bedeutung hat. Die obigen Verse aus dem Buch Suleika (Locken! Haltet mich ...) suggerieren geradezu Hafis’ Verse: Haltet mich in Lockenbanden,

sonst ergreife mich die Narrheit.’

Oder:

‫كيم‬

)‫در‬

‫دح‬

‫سر‬

Um sein Herz zu fangen hast du die Ketten der Locken Wie ein Band des Herrn um deinen Sklaven geworfen.*

Im Buch Suleika. In: Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 77.

Ebd., S. 30. Hammers Hafis-Übersetzung, . 636. Ebd., S. 778.

143

An Stellen, an denen Goethe, wenn er von der Geliebten spricht, orientalische Vergleiche wie „Locken-Schlangen“ oder „Wimpern-Pfeile”! anstellt, findet sich in Hammers Übersetzung: Meinen Lippen vom Pfeil der Schlangenlocken verwundet Leg Theriak aus dem heiligen Mund 2111.“ Wie wir bei dem Augenspiel mit dem Geliebten im vorherigen Abschnitt erfahren, dass in einem religiös-despotischen System es Liebenden schwer gemacht war, zueinander zu kommen, spielte das Augenspiel als einzige Kommunikationsmöglichkeit eine entscheidende Rolle. Vielleicht spielten hier, wenn der Liebende eine Frau wäre, Wimpern-Pfeile eine ähnliche Rolle; weil von den Körpern der verschleierten Frauen Augen und Wimpern die einzigen unbedeckten und sprechenden Teil des Leibes waren. Aber wo Hafis von gelockten Haaren spricht, zeigt sich deutlich, dass er einen

Mann

bzw.

Knaben

meint,

denn

Frauen

durften

damals

nicht ohne Schleier in der Öffentlichkeit auftreten. Männer hingegen trugen damals lange offene gelockte Haare. Hammer hat statt „Herz“ in der ersten Vershälfte „Lippen“ übertragen (s. Tabelle 11), und dies, obwohl in allen Versionen - auch in Hammers Quelle Sudi? - „Herz“ eingetragen war. Dies hängt wahrscheinlich mit seinem fehlenden Verständnis zusammen, sein Kommentar in einer Fußnote belegt diese Fehleinschätzung. Hammer erklärt die Verbindung zwischen

„Mund“

und

„Theriak“*

wie

folgt: „Anspielung

auf den

Ge-

Beweis

der

brauch orientalischer Schönen, welche den Mastix, den sie im Munde gekaut,

ihren

Geliebten

höchsten Gunst. °

1 2 3

4 5

wieder

in den

Mund

stecken,

zum

Siehe Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 70. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 468.

S. Sudi: Sarh-e Sudi bar Hafez [Der Kommentar des Sudi zu Hafis]. 3. Bd., Überset-

zung aus dem Türkischen ins Persische von Esmat Satarzäde. 4. Aufl. Orumiye 1983, S. 1564.

Gegengift, Opium. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 468.

342

Tabelle 11 Goethe: West-östlicher Divan:

Hammers Hafis-

Wohllebens Hafis-

Locken! Haltct mich gefangen In dem Kreise des Gesichts! Euch gelicbten braunen Schlangen Zu erwidem hab” ich nichts. (S.77)

Haltet mich in Lockenbanden, sonst ergreife mich die Narrheit.

Ubersetzung:

Ubersetzung:

Ja. von mächtig holden Blicken. Wie von lächelndem Entzücken Und von Zähnen blendend klar. Wimpenm-Pfeilen. LockenSchlangen. Hals und Busen reizumhangen. Tausendfältige Gefahr! Denke nun, wie von so langem

(S.636)

Vielleicht umschlieBt (ja doch noch) seine Haarkette meine Hand; andemfalls steigt in mir der Wahnsinn empor. (S. 416)

Meinen Lippen vom Pfeil der Schlangenlocken verwundet Leg Theriak aus dem heiligen Mund auf.

Mein Herz. das von der Schlange deiner Locken verwundet wurde. lass zur Heilstätte des Theriaks aus deiner Lippe gelangen.

Prophezeit Sulcıka war. (S. 70)

(S. 468)

(S. 347)

‎‫ست‬ ‫خ تو‬.‫دملاراکه ز مار سر زلبف‬ ‎‫اهخانه‌ی تریاک انداز‬ ‫شدف ب‬ ‫از لب خو‬

‫مگر زنجیر مویی گیردم دست‬ ‫وگرنه سر به شیدایی بر آرم‬

(Ghasel 258, S. 532)

(Ghasel 318, S. 652)

Meiner Einschätzung nach meinte er deshalb, dass „Lippen“ logischer seien als „Herz“. Wenn aber ein Herz von den Schlangen der Locken oder von Pfeilen der Wimpern verwundet wird, bedeutet dies in der persischen Poesie

Verliebtsein. Damit nun diese Wunde

(der Liebesschmer-

zen) heilen kann, wird nach den Lippen, also den Küssen der Geliebten verlangt. Die Küsse werden damit zu Theriak, dem Gegengift und Heilmittel gegen die Liebesschmerzen, die durch das Gift der Locken-Schlangen hervorgerufen wurden. Als solche werden sie sehnsüchtig herbeige wünscht: Mein Herz, das von der Schlange deiner Locken verwundet wurde, lass zur Heilstätte des Theriaks aus deiner Lippe gelangen.! Dies ist einem weiteren Kompositum in Hafis’ Dichtung - dem „Rubinenmund der Geliebten, der Heilung der Liebesschmerzen bringen soll - vergleichbar. Es wird im Buch Suleika wie folgt gedichtet:

1

Hafis-Wohlleben, S. 347. 343

Laß deinen süßen Rubinenmund Zudringlichkeiten nicht verfluchen, Was hat Liebesschmerz andern Grund Als seine Heilung zu suchen. [...] Mag sie sich immer ergänzen Eure briichige Welt in sich! Diese klaren Augen sie glanzen, Dieses Herz es schlagt fiir mich! ! Rubin für Lippe und Mund war auch den europäischen Dichtern des Barock eine „vertraute Metapher’,? Goethe aber hat dieses Kompositum aus orientalischer Sicht gebildet und soll es, wie bekannt ist, aus Diez’ Merkwürdigkeiten von Asien zitiert haben: Es ist Schande, o Mundschenk, den Wein mit den Rubinen des Geliebten streiten zu lassen[...]. Was hat Liebesschmerz anders für Grund als seine Heilung zu suchen!* Das Kompositum, Rubinenmund the ist allerdings m. E. schon bei ben: Die Heilung meines Herzens Derlei Heilung durch Lippe in anderen Ghaselen vor:

in Verbindung mit der Heilung, bei GoeHafis wie in folgenden Versen vorgege... (s. Tabelle 12): oder Mund der Geliebten kommt auch

O wehe! Wie der Freundinn Mund,

md

W

HO

‎‫مم‬

Der einzig nur Hafisen heilt, Zur Zeit der Gnaden, und der Huld So wunder eng und lieblich war.?

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 78. In: Goethe: West-östlicher Divan. Sämtliche Werke. Bd. 3/2, FA, S. 1244. Ebd.

Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 382.

443

Tabelle 12 Goethe: West-ôstlicher Divan:

Hammers Hafis-

Übersetzung:

Übersetzung:

Laß deinen süßen Rubinenmund Zudringlichkeiten nicht verfluchen; Was hat Liebesschmerz andern Grund. Als seme Heilung zu suchen? (S. 78)

Dic Heilung meines Herzens Sey deinen Lippen heimgestellt, Die Krafte des Rubines Sind deinem Schatze anvertraut. (S. 77)

Die Heilung meines kranken Herzens übertrage deiner Lippe, denn diesen belebenden Rubin hast du ja in deinem Schatzkästchen. (S. 92)

‫دل ما به لب حو الت كن‬

Wohllebens Hafis-

‫ ضعف‬.‫علاج‬

‫که ان مفر ح یاقوت در خزانه‌ی توست‬

(Ghasel 35. S. 86)‫‏‬

Die von Goethe zwischen der Sehnsucht nach den Lippen der Geliebten und dem Gram oder den Schmerzen des Liebenden hergestellte Verbindung ist in Hafis’ Dichtung häufig anzutreffen. In seinem Diwan hat Hafis das Wort la‘l (Rubin) 81-mal benutzt, davon 51-mal für die Lippen der/des Geliebten und 11-mal für den roten Wein. Außerdem hat Hafis statt /a‘l (Rubin) 12-mal das Synonymwort yäqut ‎)‫ (یاقوت‬für Edelstein/Rubin verwendet, der überwiegend als Metapher für die Lippen steht. Goethe hat, Hafis folgend, der Rubin auch für Wein in der Wortverbindung „Rubin des Weins’ metaphorisiert.! Hafis vergleicht sogar den Rubin der Lippen mit einem Lebensquell: Seit Hafisens Feder schrieb

Vom Rubin der Lippen, Trauft des ewgen Lebensquell Aus der Feder immer.?

Der Lebensquell, der offensichtlich die Liebe ist, wird mit Schmerzen und Gram verbunden und wie in den folgenden Versen als ,eingeengte Seele” (in die Klemme geratene Seele) metaphorisiert:

1 2

Siehe Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz, S. 14. Mehr dazu s. die vorliegende Arbeit, Kapitel 3.2.2. Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 466. 345

Aus Sehnsucht nach dem schönen Mund,

Wird meine Seele eingeengt.!

Derart häufig taucht in Hafis’ Dichtung diese Verbindung auf, dass Hammer sogar einmal ein orthographisch ähnliches Wort, das allerdings „Hefe“ bedeutet, missversteht. Nach Hammers Übersetzung: Nach den Lippen bleibt mein Wunsch

Unerfüllt noch immer, Harrend deinem Glasrubin Trink’ ich Gram noch immer.? Hammer

hat irrtümlich das Wort

dord

‎‫( درد‬Hefe) mit dard

‎‫( درد‬Schmer-

zen, Gram) übersetzt. Beide Worte werden gleich geschrieben, es unterscheidet sie lediglich ein Vokal, der entweder durch ein Vokalisierungszeichen oder gar nicht kenntlich gemacht wird. Was Hammer hier als „Gram“ übersetzt hat (Gram trinken), ist im Original tatsächlich dord ‎‫درد‬ in der Bedeutung von „Hefe“, „Hefewein“. Die adäquate Übertragung dieses Verspaars lautet wie folgt: Mein Streben nach deiner Lippe hat sein Ziel noch nicht erreicht, in der Hoffnung auf den Rubin-Pokal trinke ich noch (immer)

Hefewein.’

‫برنیامد از تمنای لبت کامم هنوز‬

‫بر اميد جام لعلت دردی‌آشامم هنوز‬ Der Dichter konnte bisher noch nicht die Lippe 06۳/065 Geliebten (= Rubin-Pokal ‎‫ جام لعل‬als Metapher) küssen, d.h. sich mit ihr/ihm vereinigen, er hofft indes, diese endlich zu erreichen. Hafis hat hier die Lippe des göttlichen Ursprungs mit reinem Wein verglichen, welcher unmöglich, zumindest aber nur schwer erreichbar ist. Der Liebende gibt jedoch seine Hoffnung nicht auf. In dem Wunsch, seine Sehnsucht zu erfüllen, kann er zwar zunächst nur die Hefe, den irdischen Wein, trinken, dann aber wird ihm endlich der Genuss des reinen (wahren/göttlichen) Weines zu-

teil. Dies ist eine Anspielung auf den Weg zur göttlichen Liebe, auf dem ein Mystiker wie Hafis die irdische Schönheit als Spiegelung Gottes genießt, um sich auf die „wahre“, göttliche Vereinigung vorzubereiten. Hier 1 2 3

Ebd.,S. 393. Ebd., 5. 465. Original: Ghasel 259, 5. 534. Hervorhebung von mir. Hafis-Wohlleben, 5. 348. Hervorhebung von mir

346

küsst/trinkt der Dichter die irdische Lippe/Hefe, in der Hoffnung, endlich die „wahre“, göttliche Lippe, den reinen Wein zu erreichen. Aus diesem Grund spricht Hafis in demselben Ghasel von einer Rubinlippe, die der Dichter im Urbeginn als reinen Wein getrunken hat und von der er immer noch benommen ist. Dies ist eine Anspielung auf Adams Erschaffung aus mystischer Sicht, bei der Adam durch den geistigen Wein, Gottes Geist/Odem Mensch geworden ist:! Im Urbeginn gab mir deine Rubinlippe? als Schenke einen Schluck aus einem Becher - von jenem Becher bin ich noch ganz benommen.? Goethe hat die Metapher nicht im mystischen Sinne, sondern im Sinne der irdischen Liebe verwendet. Sehr bemerkenswert daran ist, dass sie nicht etwa auf Suleika, sondern auf Hatem bezogen wird. Es ist Suleika, die von seinem süßen Rubinenmund (s. Tabelle 12) spricht. Aus diesem sehr feinen, aber wahrnehmbaren Hinweis muss man schließen, dass Goethe gewusst hat, dass Hafis diese Verse an einen Mann gerichtet hat. Fassen wir zusammen: Die Betrachtungen zur Auffassung der Liebe in Hafis’ Diwan, in Goethes West-östlichem Divan, und der formalle wie auch inhaltliche Vergleich lassen bis hierhin folgende Feststellungen zu: 1. Ein inneres Vereintsein mit dem göttlichen Ursprung beschreibt Hafis lediglich in seinen

mystischen

Liebesgedichten.

Wenn

es um

irdische,

reale Liebe geht, ist keine Rede von innerer Verbindung mit der/dem Geliebten. Dort gibt es die Sehnsucht

nach erotischer Erfüllung, die Leid

oder Liebeskummer mit sich bringt. Goethes „Erdenglück” jedoch ist in seiner inneren Verbindung mit der Geliebten gesichert, in der er sein Ich, seine Persönlichkeit, fortentwickeln kann. Die Liebe ist bei Goethe eine Wechselbeziehung zwischen erotischer Liebe und Geist. Selbst die Erfahrung von Trennungsschmerz wird letzten Endes zum natürlichen Teil der Liebe und beflügelt die dichterische Schöpfung.

1

2

3

Mehr dazu s. vorliegende Arbeit, Kapitel 1.3.2.

Wohlleben hat hier statt „Rubinlippe“ ) ‎‫ (لب لعل‬nur die „Lippe“ übertragen. Hier ist

Gott der Angesprochene. Hafis-Wohlleben, S. 348.

347

2. In Hafis’ Poesie ist die Beziehung zum Geliebten, sowohl bei mystischer als auch irdischer Liebe, eine einseitige, nur in eine Richtung weisende Beziehung. Bei mystischer Liebe antwortet Gott nicht auf den Wunsch und das Flehen des Liebenden; d. h. es redet nur der Liebende einseitig und Gott bleibt stumm. In der irdischen Liebe dagegen kann der Dichter wenigstens die Beziehung zum Geliebten bestimmen und gestalten, auch wenn seine Liebe nicht unbedingt erwidert wird. So bleibt auch hier die Liebesbeziehung immer einseitig. Im West-östlichen Divan zeigt die Liebe ihren beidseitigen Charakter. Goethe stellt eine gegenseitige, wechselredende Beziehung zwischen den Liebenden im Dialoggedicht zwischen Suleika und Hatem dar. 3. In Hafis’ Liebeswelt werden Schweigen, Gehorsam und Unterwürfigkeit gefordert, damit der Liebende vom Geliebten gehört werde, was wiederum die Einseitigkeit der Liebe reflektiert. Goethe schafft ein Frage-Antwort-Schema durch gegenseitiges Geben und Nehmen und zeigt damit eine gegensätzliche Auffassung zum Schweigen und Geheim-Halten bei Hafis. Es ergibt sich hier ein Wechselverhältnis und eine Steigerung in der Liebe, die wie ein wechselseitiger Austausch der Naturphänomene zwischen Licht und Dunkelheit vielfarbig aufscheint.

348

5 Epilog Goethes Westöstlichkeit und das

gegenwärtige Okzident-Orient-Verhältnis 5.1 Goethes Vorstellung von der Westöstlichkeit Der Modernisierungsprozess in Europa, der im 17. und 18. Jahrhundert mit der Aufklärung und der Säkularisierung der Gesellschaft einsetzte, ermöglichte durch die Befreiung des Individuums aus sozialen, politischen, ökonomischen und ideologischen Zwängen die Entwicklung eines bürgerlichen, individuellen Selbst-Bewusstseins.!

Schon zu Beginn der Neuzeit, im Zuge der Reformation und der sich anschließenden Konfessionskriege, verbreitete sich unter den Menschen die Erkenntnis, dass der eigene Glaube nur eine mögliche Wahrheit neben anderen sein kann.‘ Diese Befreiung des Denkens begünstigte in allen Bereichen von Kunst, Kultur und Gesellschaft eine bisher ungekannte

Vielfalt der Le-

bensentwürfe. Die Denker konnten sich vom Absolutismus und der höfischen Gesellschaft lossagen und wandten sich pluralistischen Ideen und der bürgerlichen Kultur zu. Die gesellschaftspolitischen Debatten unter neuen Perspektiven erlaubten Heterogenität der Gedanken und Toleranz gegenüber anderen Standpunkten. Der Blick über die Nachbargrenzen ließ ein kosmopolitisches Bewusstsein entstehen, das sich später auch zu einem interkulturellen Interesse wandelte. Interkulturalität wurde im 18. Jahrhundert zu einem wichtigen Kommunikationsgegenstand und „Kosmopolitismus ein modischer Begriff, eine Reaktion auf den aufflammenden Patriotismus. Aufklärer wie Herder befürworteten einen weltumspannenden Dialog und verbanden Patriotismus und Kosmopolitismus miteinander.’ Es wurde zum Projekt aufgeklärter Intellektueller sich dem Fremden anzunähern. Für sie stand nicht das Verständnis des Fremden im Vordergrund, vielmehr wollten sie sich selbst im Licht des Fremden distanzier -

1

Vgl. Peter Engelmann (Hg.); Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1990, S. 1.

3

Hamburg 1991, S. 39. Mehr dazu s. vorliegende Arbeit, Kapitel 2.1.

2

Vgl. Thomas Meyer: Fundamentalismus, Aufstand gegen die Moderne. Reinbek bei

349

ter betrachten. Der objektive Blick der Aufklärer auf die eigene Kultur konnte durch die Bekanntschaft mit dem Anderen geschärft werden.! Die aufgeklärten Reisenden betrachteten Sitten und Kultur anderer Länder nun aufmerksam, mit Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verhältnis zum Vertrauten. Sie berichteten in einer neu entstehenden Art von Reiseliteratur von ihren Erfahrungen und werteten ihre Erkenntnisse wissenschaftlich aus. Dies ermöglichte einen Austauschprozess zwischen den Kulturen. Dieser im 18. Jahrhundert eingeschlagene Weg des interkulturellen Austausches mündet endlich geradezu in eine schwärmerische Hinwendung zum Morgenland. Das Wort „Orient“ war in dieser Zeit geradezu zu einem „Zauberwort“ geworden.? Unter dem Einfluss von Rousseaus Naturevangelium und Herders universeller Lehre von der Natur- und Volkspoesie begannen die Romantiker nach einer neuen Mythologie zu suchen. Auf der Suche nach den ursprünglichen Wurzeln der abendländischen Kultur wollten sie im Orient die ersehnte reine Urreligion, das Urvolk und seine ursprüngliche Mythologie entdecken. Wie andere Aufklärer seiner Zeit lenkte auch Goethe seinen Blick über das klassische Europa hinaus in weitere Ferne, in den Orient. Aber Goethe tritt seine imaginäre Reise ins Morgenland nicht nur wegen der zeitgeistbedingten allgemeinen Hinneigung zum Orient an: Nach der die Weltordnung erschütternden Französischen Revolution, der im Zuge der französischen Besatzung erfolgten Verbreitung der Menschenrechtserklärung über den ganzen Kontinent, war das Abendland in Aufruhr. Zur Zeit von Goethes Hinwendung zu Hafis war Europa durch die Napoleonischen Kriegen erschöpft und mit der Völkerschlacht bei Leipzig (16.- 19. 10. 1813) war die napoleonische Ordnung zusammengebrochen. Die Dominanz des Politischen im Zuge der Befreiungskriege rief in Deutschland einen neuen Patriotismus und aufkommenden Nationalismus hervor, Ideen, die Goethes Vorstellungen zuwiderliefen. Er wollte über diese engen Grenzen hinausgehen und suchte eine Inspi1 2 3

Vgl. Blessin: Goethes West-östlicher Divan und die Entstehung der Weltliteratur. a.a.O., S. 59-71, hier S. 67. Vgl. Hamid Tafazoli: Der Deutsche Persien-Diskurs. a.a.O., S. 25. Vgl. Konrad Burdach: Goethes West-östlicher Divan in biographischer und zeitgeschichtlicher Beleuchtung. a.a.O., S. 310-351, hier S. 318.

350

rationsquelle in der Ferne, an der er sich, ja sogar ganz Europa ,verjüngen und erneuern konnte. Nicht nur aufgrund der hier skizzierten allgemeinen politischen Lage in Europa und besonders in Deutschland wollte Goethe eine Reise in den fernen Orient unternehmen. Er wollte auch dem alltäglichen Le ben in Weimar entfliehen. Das Gefühl, nicht mehr gehört und verstanden zu werden, keine führende Rolle in der Literatur mehr zu spielen, kränkte ihn. Die gegen ihn gerichtete anmaßende Polemik der Jungdeutschen, bezüglich der von ihm nicht beanspruchten Rolle als Nationaldichter, ließ ihn sich fremd im eigenen Land fühlen. Zu diesem Zeitpunkt ging Goethe nicht mehr, wie mit dem Werther oder später den Lehrjahren seiner Zeit voran, nicht einmal, indem er mit

den Wahlverwandtschaften (1809) einen der frühesten Ehebruchromane schrieb. Hinzu kam die Auseinandersetzung mit der Romantik, die sich, für ihn unverständlich, dem deutschen Mittelalter zuwandte und wieder an Legenden und Wunder glauben machen wollte.! In den letzten Jahren vor seiner Bekanntschaft mit Hafis’ Dichtung, Mitte Mai 1814, hatte Goethe keine größere Dichtung mehr geschaffen. Bis 1810 und danach arbeitete er an der Farbenlehre, seiner umfangreichsten Veröffentlichung überhaupt, die aber erfolglos blieb. Die Arbeit

an den Wanderjahren war seit Herbst 1812 unterbrochen. Die ersten drei

Bände von Dichtung und Wahrheit waren zwar erschienen (1811-1813), aber nicht so populär geworden, wie von ihm erhofft. 1814 schrieb er das Festspiel Des Epimenides Erwachen als Auftragsarbeit für den preußischen Hof. Das klassizistisch-mythologische Drama blieb umstritten. Goethes Enttäuschung war groß, als er erfuhr, die Berliner „Siegesfeier“ habe ohne die Aufführung seines Dramas stattgefunden. Als das Theaterstück ein Jahr später (1815) in Berlin und Weimar erfolglos inszeniert

wurde und er neuerlich enttäuscht zurückblieb, empfindet er die Kluft zum Publikum und die eigene Isolation als Künstler deutlich.? Weiterhin verschärfte sich die Kritik der aufstrebenden, jungen Generation, die gegen die von ihm nicht selbst gewählte Rolle als Übervater und National-Heiligtum rebellierte. 1

Goethe: „Das klassische ist das Gesunde, das Romantische das Kranke.” Zitiert nach Heinrich Zelton u. Eduard Wolff: Der neue Literaturführer. Deutsche Dichtung von der Romantik bis zur Moderne. Lektorat: Michael Müller. Wilhelmshaven

2

Vgl. Goethe-Handbuch. Bd. 2 (Dramen). Hrsg. von Theo Buck. Stuttgart / Weimar

1996, S. 8.

2004, S. 343ff.

351

Seine Anlehnung an das klassische Griechenland lief ins Leere, die klassizistische Geschlossenheit der literarischen Form war nahezu erstarrt. Etwas Neues musste her. Goethe wollte in dieser ausweglos erscheinenden Situation etwas tun, um wie Hafis reine, unvergängliche Dichtung zu schaffen. Er stellte

der plastischen Dichtung der Griechen die orientalisch-romantische Kunst gegenüber. Hafis wurde dabei für Goethe zu einem Leitbild, auf welche Art den wachsenden Widerständen, auch der Orthodoxie mögli-

cherweise zu widerstehen sei. In seiner persönlichen Situation, in der die Anerkennung durch Zeitgenossen ausblieb, Ruhm und Liebe schwanden, bewundert Goethe Hafis dafiir, dass er sich die Zuneigung und Wertschätzung seines Volkes nicht nur zu Lebzeiten, sondern bis weit über den Tod hinaus hatte erhalten können. Hafis war der Sprache vollkommen mächtig und spielte mit ihr. Wie in der Fabel von Hase und Igel ist er „jümmers all dor“ (immer schon da). Mit seinem Wortwitz und Wortverdrehungen schaffte er es, immer auf der jeweils anderen Seite zu stehen, denen gegenüber, die ihn auf eine

Deutungsart festnageln wollten. Hafis nutzte den durch Worte zu erlangenden Spielraum geschickt aus. Dadurch hielt er den Abstand, der ihn von seinen Häschern trennte. Gleich Reinicke Fuchs zog er seinen Kopf immer wieder aus der Schlinge, nicht durch profane Schläue, sondern durch das perfektionierte Spiel mit Worten. Hinter dem Spiegel der Mystik durfte er von Wein, Weib und Gesang fabulieren, ohne sich damit in einen Gegensatz zum Islam zu bringen. Die Grundlage für den Freiraum, den Hafis sich so schuf, erkannte Goethe darin, dass Hafis seine poeti-

sche Sprache so kunstvoll verfeinert hat, dass sie ihm alles zu sagen erlaubte, ohne dass eine Seite ihn bis heute für sich vereinnahmen konnte. Genauso eigenständig wollte Goethe den Autoritäten seines Zeitalters entgegentreten können. Gegen ihn gerichtetes Ressentiment sollte ihn nicht lähmen, Fehlinterpretationen und Missverständnisse ihn nicht mutlos machen und zum Verstummen bringen. Er wollte sich mit seinem eigenen dichterischen Ausdruck wehren und dem vorherrschenden Zeitgeist widerstreben. Goethes Flucht in den Orient resultierte nicht nur aus der politischen Lage Europas und seinen persönlichen Problemen. Er wollte im Erschaffen dieser eigenen inneren, exotischen Welt nicht einfach der eigenen Unzufriedenheit und unbehaglichen Gegenwart entrinnen. Er war auch immer auf der Suche nach neuen dichterischen Motivationen und 352

wollte nicht in literarischen Formen erstarren. Goethes Suche nach einer ursprünglichen Welt auch im paradiesischen, persischen Schiras ist ein Zeichen dafür, dass er noch immer die Antike und die alte Welt erfassen

wollte. Ebenso wie er auf der Suche nach der natürlichen Kunst bzw. bei der Suche

nach der Quelle der Kunst, auf die Antike stieß, forschte er

nun im Orient bzw. der altpersischen Welt, nach dem Ursprung der Künste. Er wollte sich durch das Durchdringen der fremden, orientalischen Kultur seinem eigenen Ursprung, seinem Selbst annähern. Goethe wollte mit Hafis’ Hilfe seine Poesie veredeln, sich selbst und die ganze restaurative Gesellschaft erneuern. Aus diesen oben dargelegten Gründen wollte Goethe nun im Geiste in das sagenumwobene Morgenland reisen. Er machte sich mit dem Orient, dem Islam, dem Koran und insbesondere mit Hafis vertraut. Als seinen Aufenthaltsort im imaginierten Orient wählt er Persien, die Provinz Fars mit ihrer Hauptstadt Schiras, der Geburtsstadt von Hafis.

In diesem Zusammenhang muss man sich vergegenwärtigen, dass es zu Goethes Zeit keine ernsthafte Auseinandersetzung, keine Reibungspunkte wie heute mit dem Orient gab und dass insbesondere vom Islam keine ernsthafte Bedrohung für Europa ausging. Das Osmanische Reich expandierte nicht mehr, sondern hatte seinen Zenit im 18. Jahrhundert bereits überschritten. So war Napoleon nach seinem erfolgreichen Ägypten-Feldzug zur Macht aufgestiegen und in den Territorialkriegen mit Russland und Österreich wurden die Türken weiter zurückgedrängt. Darüber hinaus bestand ein Bündnisvertrag zwischen Preußen und dem Osmanischen Reich.! Auch dadurch wurde die schwärmerische Hinwendung der Deutschen jener Epoche zum exotischen Orient begünstigt. Goethe suchte einen von der aktuellen Tagespolitik völlig freien idealen Sehnsuchtsort und fand ihn im fernen persischen Mittelalter, bei Hafis und dessen unsterblicher Dichtung. Dieses freie Feld eröffnete ihm den Spielraum, sich dem Orient und insbesondere dem Islam so weit anzunähern, wie er es mit seinem Divan getan hat.

1

Vgl. Christoph K. Neumann: Das osmanische Reich in seiner Existenzkrise (17681826). In: Klaus Kreiser u. Christoph K. Neumann; Kleine Geschichte der Türkei. Bonn 2005, S. 283-313. 353

Heute besteht eine ernsthafte geopolitische Auseinandersetzung zwischen Westen und Orient, die sich zusehends auch zu einer religiôs-ideologischen Auseinandersetzung zwischen dem christlichen Abendland und dem muslimischen Morgenland entwickelt. Gleichzeitig ist man im Westen bemüht, einen Lösungsweg im problematischen Verhältnis zu den hier im Land lebenden Orientalen, insbesondere den Muslimen,

zu

finden. Muslime sind zum Teil als direkte Folge der Kolonialpolitik der europäischen Mächte nach Europa gekommen, so emigrierten z.B. Pakistani nach Großbritannien oder algerische Araber nach Frankreich. In Deutschland wurden in der wirtschaftlichen Wiederaufbauphase nach dem II. Weltkrieg massiv Arbeitskrafte aus der Türkei angeworben. Hinzu kommen politische, wirtschaftliche und Kriegs-Flüchtlinge aus dem gesamten Orient, die in Europa Asyl fanden. Aus diesen Griinden entstand heutzutage eine grundlegend neue Situation im west-ôstlichen Verhältnis, insbesondere in der Beziehung zu

Muslimen.

In diesem Kapitel werden die wichtigsten Einsichten erörtert, die Goethe im West-östlichen Divan in Hinblick auf das gegenseitige Verhältnis zum

Orient, insbesondere in Beziehung zu Hafis entwickelte. Wir werden un-

tersuchen, inwiefern diese Erkenntnisse mit dem gegenwärtigen Stand des Orient-Okzident-Verhältnisses zu verbinden sind. Um die aktuellen west-ôstlichen Auseinandersetzungen besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, Goethes Verständnis der morgenländischen Kultur mit der Reaktion der Perser auf die moderne westliche Kultur zu vergleichen. Persien wird hier als exemplarischer Ort im Morgenland ausgewählt. Der Vergleich wird eingeleitet von Goethes Art und Weise, der fremden Kultur zu begegnen, also von seiner Wunschvorstellung von Westöstlichkeit. Zunächst sei Goethes Art der Annäherung an den Orient dargelegt und dann vergleichend der Aneignung der abendländischen Kultur durch die Perser gegenübergestellt. Am Schluss werden Dialog und kultureller Austausch in der gegenwärtigen Situation, die Reaktion der westlichen Intellektuellen und der Medien auf die west-östlichen Auseinandersetzungen in Bezug auf mehrere Fragestellungen dargestellt. Was hatte sich Goethe vorgestellt und was versuchte er zu finden, als er begann, sich mit dem Orient auseinanderzusetzen? Das Ziel seiner Be354

schäftigung hat er in einem nicht abgesandten Brief an Cotta (16. Mai 1815) wie folgt formuliert: Ich habe mich nämlich im Stillen längst mit orientalischer Literatur beschäftigt, und um mich inniger mit derselben bekannt zu machen, mehreres in Sinn und Art des Orients gedichtet. Meine Absicht ist dabey, auf heitere Weise den Westen und Osten, das Vergangene und Gegenwärtige, das Persische und Deutsche zu verknüpfen, und beyderseitige Sitten und Denkarten über einander greifen zu lassen.! Ist es ihm in der Folge gelungen, Westen und Osten, das Deutsche und das Persische in seinem Divan zu verknüpfen? Konnte er durch seine Dichtung die beiderseitigen Sitten und Denkarten in Wechselbeziehung treten lassen? Wie bereits in den vorhergehenden Kapiteln dargelegt und erläutert, empfängt Goethe mit Respekt, Verehrung und voller Freude das Fremde, Neue und besonders etwas Urspriingliches. Er hat nicht nur keine Scheu vor fremden Kulturen, sondern fühlt sich durch die Begegnung mit der neuen, fremden Welt geradezu wie neu geboren. In Rendsch Nameh (Buch des Unmuts) z. B. wird nach dem biographischen Hintergrund des Divan gefragt, d.h. danach, wie nun Goethe sich die orientalische bzw. persische Literatur als „Zunder" seiner Arbeit erwirbt: Wo hast du das genommen?

Wie konnt es zu dir kommen?

Wie aus dem Lebensplunder Erwarbst du diesen Zunder, Der Funken letzte Gluten Von frischem zu ermuten??

Goethe verliert sich indes nicht in der Ferne; sondern gerade die Begegnung mit der „ungemessenen neues Leben in ihm:

Ferne”, dem Orient oder Persien, erweckt

Euch mög es nicht bedünkeln,

Es sei gemeines Fünkeln; 1

2

Goethe: Napoleonische Zeit. Hrsg. von

Rose Unterberger.

Werke. Bd. 7, FA, 1994, S. 451. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz. S. 46.

In: Goethe:

Sämtliche

355

Auf ungemeßner Ferne, Im Ozean der Sterne,

Mich hatt ich nicht verloren,

Ich war wie neu geboren.!

Fröhlich in die Ferne reisen wollte Goethe bereits am Anfang des Divan im Gedicht Freisinn (in Buch des Sängers). Während sich viele Menschen

vor der Ferne und der damit verbundenen Fremde scheuen, sucht Goethe

ganz offensichtlich die Herausforderung:

Lasst mich nur auf meinem Sattel gelten! Bleibt in euren Hütten, euren Zelten! Und ich reite froh in alle Ferne, Über meiner Mütze nur die Sterne.?

Die Begegnung mit einer neuen, fremden Welt, wie er sie bereits in Italien erlebte, bedeutet für ihn „einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wie-

dergeburt.”3 Er verfasste viele Strophen im Sinn und nach Art des Orients, um sich inniger mit der orientalischen Literatur bekannt zu machen. Er verwendete nicht nur Sinnbilder oder Inhalte aus dem Orient, vor allem von Hafis, sondern arbeitete daran, auch die Form der Dichtung von Hafis zu treffen: In deine Reimart hoff’ ich mich zu finden, Das Wiederholen soll mir auch gefallen, Erst werd’ ich Sinn, sodann auch Worte finden?

So versucht Goethe an etlichen Stellen, den Kreuzreim in der Ghaselform nachzuahmen. In der dritten Strophe des Gedichts Einladung im Buch Suleika z.B. verwendet er wiederholt das Verb „sein“.’ Für eine derartige 1

2 3 4 5

Ebd. Diese Verse sind eine Paraphrase der Hafis Dichtung in Verbindung mit der Flamme von Ferne: „Sieh’, es erglänzet die Flamm’ von ferne auf Sinai’s Höhen, / Und wie Zunderschwamm fanget den Funken mein Herz.“ Hammers Hafis-Ubersetzung, S. 843. Sinai’s Höhen ist natürlich eine Anspielung auf Moses auf dem Berge Sinai.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 11. Goethe: Italienische Reise. Teil 1., Hrsg. von Christoph Michel u. Hans-Georg Dewitz. In: Goethe: Sämtliche Werke; Bd. 15/1, FA, 1993, S. 158. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 25. Ebd., S. 65.

356

Ghaselform spielt auch das Wort ,Trunkenheit” im Schenkenbuch in der vierten Strophe des Gedichts Schenke spricht! eine Rolle. Das ist auch der Fall im Ghasel auf den Eilfer - erste Fassung aus dem Nachlass, in dem Goethe das Wort Eilfer in jedem zweiten Verspaar und insgesamt 37-mal wiederholt.? Es ist nun nicht die bloße Nachahmung, die Goethe als orientalischen Charakter in seinem Divan zugunsten seiner eigenen Auffassung und Poesie herauszuarbeiten versuchte. Vielmehr benutzt er die orientalische poetische Maske als Grundlage und Sprungbrett für seine Poesie. Aus diesem Schöpfungsmedium kann er Lieder der Liebe zur Reife bringen. Goethe versucht zwar Hafis’ Ghaselen und Reimart nachzuempfinden, lässt sich aber nicht in ihre starre Form zwingen. Sein Wunsch ist, mit ihrer Hilfe eine neue Form zu singen: Zugemeßne Rhythmen reizen freilich, Das Talent erfreut sich wohl darin; Doch wie schnelle widern sie abscheulich, Hohle Masken ohne Blut und Sinn; Selbst der Geist erscheint sich nicht erfreulich, Wenn er nicht, auf neue Form bedacht, Jener toten Form ein Ende macht.?

Im Gedicht unbegrenzt ist Goethe voller Bewunderung für Hafis und geht dabei so weit, dass er sogar wie Hafis lieben und trinken möchte. Hier ist Hafis für ihn „der Freude echte Dichterquelle.“? Auch hier ahmt Goethe Hafis nicht bloß nach. Er lernt Neues, um noch Neueres zu schaffen, er lernt eine Form, um eine neuartige Form, einen zeitgemäßen Sinn und originelle Lieder mit seinem „eigenen Feuer“ zu singen: Nun töne, Lied, mit eigenem Feuer! Denn du bist älter, du bist neuer.

nn

Wh

‎‫نم‬

Tatsächlich hat Goethe im Divan eine neue Form geschaffen: Im Buch Suleika hat er in einer freien rhythmischen Form gedichtet, die in deutscher Dichtung zuvor unbekannt war: Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.

S. S. S. S.

95. 287f. 26. 25.

753

Hier nun dagegen

dichterische Perlen, die mir deiner Leidenschaft

Gewaltige Brandung

warf an des Lebens Verödeten Strand aus.

(...}

Bis zu seinem Tod drängte es Goethe danach, sich neuen Herausforderungen mit frischem Denken zu stellen, sich am Unbekannten stets zu erneuern und verjüngen. So sprach er noch in seinem 80sten Lebensjahr, am 24. April 1830, mit dem Kanzler v. Müller dariiber:

Ich strebe vielmehr, taglich etwas anderes, Neues zu denken, um nicht langweilig zu werden. Man muss sich immerfort verändern, erneuern, verjiingen, um nicht zu verstocken.? Die Suche

nach dem

Neuen

und der Drang, es auch zu finden, ist fir

Goethe zugleich eine Motivation, wieder und wieder neue Kunst aus neuen Ideen zu erschaffen. Seine Absicht war, Werke aus anderen Kulturen für seine dichterische Schöpfung produktiv zu verwenden. In diesem Schöpfungsprozess stellt er sich selbstbewusst auf eine Ebene mit dem moslemischen Gott (Allah): Allah braucht nicht mehr zu schaffen, Wir erschaffen seine Welt.?

Hier präsentiert sich Goethe als Schöpfer einer neuen Welt aus einer zusammengerückten west-östlichen Kultur mit einem neuen Paradies im Diesseits.

Goethes Verhältnis zum Orient ist anders als Schopenhauers östliches Evangelium keine Verneigung der europäischen Kultur vor der orientalischen. Für Goethe ist ein Orient, der aus seiner eigenen Kraft und seinen

Urphänomenen lebt, zusammen mit humanistischer, aufklärerischer Frei1 2 3

Siehe ebd., S. 73f. In: Goethes Philosophie aus seinen Werken. Hrsg. v. Max Heynacher. Leipzig 1922, S. 9. Goethe: West-ôstlicher Divan. In: Goethe: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Birus. Bd. 3/1, FA, S. 400.

358

heit und Toleranz der Moderne vorstellbar. Es entsteht eine neue Religion, in der ôstliche Erhabenheit und Urphänomene Einlass finden, damit die eigene Kultur verjüngt und erneuert werde. Man kann Strich zustimmen, der meinte, der morgenländische Geist habe in Goethe eine abendländische Verwandlung erfahren und der abendländische Geist in ihm den Segen der morgenländischen Erneuerung empfangen. ! Die wichtigsten Eigenarten Goethe’scher Westöstlichkeit, die man mit dem gegenwärtigen west-östlichen Verhältnis in Verbindung setzen kann, sind die Rezeption der fremden Kulturen und der Dialog.

5.2 Rezeption der fremden Kultur, um etwas Neues darauf zu bauen Goethe übernimmt etliche Elemente der fremden Kultur, um sich zu bereichern und etwas Neues darauf zu bauen. Seine Rezeption der anderen Kulturen bedeutet nicht, sie nur so zu akzeptieren wie sie sind, sondern

sie zu verstehen und mit dem Verstandenen die eigene Kultur zu transzendieren. Eine Aufnahme des Fremden dieser Art als bloße Nachahmung bezeichnen zu wollen, wird dem Prozess nicht gerecht, vielmehr geht es um eine Umwandlung der eigenen Kultur. Diese Weise der Rezeption von Kulturen kann die Auffaltung der eigenen Kultur anregen. Goethe verwendet in seiner Lyrik orientalische Elemente und Motive, und stellt so seine ihm eigene Beziehung zum Orient dar. Innerhalb dieser Beziehung erhält sogar die islamische Tradition aufklärerische Züge: Ins islamische Paradies z. B. gelangen nur die „tugendhaften Muslime”, er jedoch, obwohl Ungläubiger, vermag durch die Kraft der Liebe und der Dichtung nicht nur Einlass ins Paradies zu erhalten, sondern dadurch auch Okzident und Orient miteinander zu verbinden, sodass keine Grenze zwischen Okzident und Orient erscheint: Wer sich selbst und andre kennt Wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.? 1

Fritz Strich: Goethe und die Weltliteratur. Bern 1957, S. 182f.

2

Inschrift auf dem

Goethe-Hafis-Monument

in Weimar.

Goethe:

West-östlicher Di-

van. Weitz. Gedichte aus dem Nachlass, S. 279.

359

Während der Aufklärer Goethe die Fremdkultur als Förderin seines eigenen Schöpfertums und geistigen Schaffens ansieht, stehen im Orient Nachahmung und Wiederholung im Vordergrund. Hier sei nochmals daran erinnert, dass Imitation und Repetition Merkmale einer unter Despotismus leidenden Gesellschaft sind, einer Gesellschaft, die weder Dialog noch Eigeninitiative und mithin kein freies Individuum duldet. In den Noten erklärt Goethe seine Theorie über „drei echte Naturformen der Poesie“ (Epos, Lyrik und Drama). In diesen ,Dichtweisen” wird das Drama mit „Wechselreden” charakterisiert.! Das Drama allerdings, die dritte Naturform der Poesie, findet sich in der klassischen persischen Literatur nicht, denn Despotismus duldet keine Gegenrede: Höchst merkwürdig ist, dass die persische Poesie kein Drama hat. Hätte ein dramatischer Dichter aufstehen können, ihre ganze Literatur müsste ein anderes Ansehen gewonnen haben. Die Nation ist zur Ruhe geneigt, sie lässt sich gern etwas vorerzählen, daher die Unzahl Märchen und die grenzlosen Gedichte. So ist auch sonst das orientalische Leben an sich selbst nicht gesprächig; der Despotismus befördert keine Wechselreden.? Goethe bemerkte, der persische Dichter habe eine gewisse Unterwürfigkeit so weit verinnerlicht, dass er sich auch vor der Geliebten beuge und sogar in den Staub werfe. In einer Gesellschaft, in der sich die Menschen mit einem despotischen Oberhaupt identifizieren und ihr Schicksal von einem despotischen System bestimmen lassen, gibt es keine Widerrede. Vielmehr unterwerfen sich die Menschen und geben ihr Eigenleben auf. Dies versucht Goethe den „Westländern” zu vermitteln: Was aber dem Sinne der Westländer niemals eingehen kann, ist die geistige und körperliche Unterwürfigkeit unter seinen Herren und Oberen, die sich von uralten Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an die Stelle Gottes traten.[...] Welcher Westländer kann erträglich finden, dass der Orientale nicht allein seinen Kopf

neunmal auf die Erde stößt, sondern denselben sogar wegwirft ir-

gendwohin zu Ziel und Zweck??

1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 191.

2

Ebd., S. 192.

3

Ebd.,S. 172 f.

360

Ohne dessen Namen zu nennen, führt Goethe Beispiele von Hafis an, in denen es heißt, dass der orientalische Dichter sich nicht nur vor dem Sultan, sondern auch vor Geliebten ebenso tief erniedrigt.!

Im Zuge seiner sozialpsychologischen Forschung über Persien war sich Goethe sehr wohl dessen bewusst, dass Wiederholung und Nachahmung in der epischen Poesie des Orients mit dem Mangel an einer gleichberechtigten Gesprächsform einhergehen. Wolfgang Lentz zufolge musste Goethe auf eine „Vorform des Dramas zurückgehen”, „um im Ge-

samtbild des literarischen Orients etwas Vergleichbares zu finden.“ 2 Darüber hinaus schrieb Goethe: Daß jedoch der Orientale die Gesprächsform so wenig als ein anderes Volk entbehren mag, sieht man an der Hochschätzung der Fabeln des Bidpai,? der Wiederholung, Nachahmung und Fortsetzung derselben. Die Vögelgespräche? des Feriddin Attar geben hievon gleichfalls das schönste Beispiel.’ Solche Wiederholung sieht Goethe auch im Koran, und spricht über „grenzlose Tautologien und Wiederholung‘, die „den Körper dieses heiligen Buches’ bilden.® Wiederholung und Nachahmung beschränken den Spielraum der Kreativität und der Eigeninitiative. Infolgedessen sind in der klassischen persischen Literatur nur bestimmte Gegenstände und Naturausschnitte erlaubt. Es sind lediglich einige wenige bestimmte Tiere und Blumen, die über die Jahrhunderte in der Dichtung sämtlicher Epochen mit gleichen Bedeutungsinhalten und Funktionen als klassische rhetorische Figuren wiederholt wurden. Jeder Gegenstand hatte eine bestimmte Aufgabe in der Dichtung, es gibt seit Jahrhunderten dieselben immer wiederkehrenden Motive und Vergleiche. So wird die Schönheit der Augen mit der Narzisse, die Wange der Geliebten mit der Rose, die hochgewachsene 1 2 3 4 5 6

Ebd.,S. 173. Wolfgang Lentz: Goethes Beitrag zur Erforschung der iranischen Kulturgeschichte. Sonderdruck aus Saeculum VII , Heft 2/3. 1957, S. 182. Bidpai ist der Name eines indischen Brahmanen, der indische Märchen erzählte. Mit Vögelgespräche ist ein mystisches Epos von ‘Attar (Manteq at-Teyr) gemeint, in dem er die Stationen und Zustände der Mystiker in ihrem mystischen Pfad durch die Reisen der unterschiedlichen Vögel symbolisiert. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz, S. 193. Ebd.,S. 146. 361

schlanke Geliebte mit der Zypresse usw. verglichen. Es gibt ein ewiges unwandelbares allegorisches Verhältnis zwischen Blume und Nachtigall, zwischen Kerze und Schmetterling usw.! Das Auftauchen derartiger Imitation und Repetition weist darauf hin, dass in einer unter einem despotischen System leidenden Gesellschaft diese Gleichschaltung nachgerade zur Normalität wird. Die Notwendigkeit zur Nachahmung ist weitgehend auch aus einer schiitischen Tradition hervorgegangen. Nicht nur Despotismus und die mystische Lehre, nach der die Mystiker dem mystischen Ordensmeister absoluten gehorsam schuldig sind, fordert Unterwerfung, auch der soge-

nannte Moßtahed. Er ist derjenige, der als Ajatollah (Zeichen Gottes) die

Rechtsfindung (iftehäd) beherrscht. Der Moÿtahed ist berechtigt, nach islamischem Recht Urteile zu fällen, weil er zur „Anwendung des göttlichen Gesetzes befähigt“ ist.2 Seine Anhänger sind Mogalled (Nachahmer), d.h. alles, was

dieser Rechtsgelehrte,

der auch

die Fetwa

aussprechen

darf, sagt, muss als Gottes Lehre und Gesetz von den Anhängern „nachgeahmt” (bewahrt) werden. Deshalb nennt man einen solchen Rechtsgelehrte 7۱۵۳۵ ‎-‫ ع‬taqlid ‎‫( مرجع تقلید‬Instanz der Nachahmung)” Nachahmung und Wiederholung sind aus diesen Gründen auch in der derzeitigen persischen Gesellschaft zutiefst verinnerlicht, und die Problematik besteht bis heute fort. Möchte man die Art und Weise der Modernisierung der Gesellschaft im Iran, die Auffassung von Moderne seitens der iranischen Reformer, sowie den tiefverwurzelten Despotismus und die nach wie vor wirksame Nachahmung besser verstehen, findet man in der iranischen konstitutionellen Revolution zwischen 1905 und 1911 ein gutes Beispiel für die Auswirkungen dieser Denkart auf den Modernisierungsprozess.

1

Mehr dazu s. M. Falaki: Negähi be se‘r-e Nima [Interpretation der Dichtung von Nima Yuëäiÿ, des Gründers der modernen persischen lyrischen Poesie]. Teheran

2

Vgl. Tilman Nagel: Der Koran; Einführung, Texte, Erläuterungen. 3. Aufl. Mün-

3

Moÿtahed und seine Rolle werden im sunnitischen und schiitischen Islam unterschiedlich definiert. Den Titel Ajatollah gibt es nur bei Schiiten.

1994, 5. 122.

chen 1983, S. 8 u. 339.

362

5.2.1 Persiens zaghafte Schritte in die Moderne Das 19. Jahrhundert war die Zeitspanne, in der sich Persien dem Westen öffnete und die Iraner zum ersten Mal die europäische Wissenschaft und Technik näher kennen lernten. Während der Regierungszeit von Fath-Ali Schah (1796-1834) wurden mehrere Kriege mit Russland geführt. Der Kronprinz und Gouverneur von Tabriz, Abbäs Mirzä (1786-1833), den man als den ersten Wegbereiter der Moderne bezeichnen kann, kämpfte auf Befehl seines Vaters in verschiedenen Kriegen gegen Russland, unter anderem im Jahre 1804-1813 (erste Kriegsperiode) und 1826-1828 (zweite

Kriegsperiode).! Die Niederlage Persiens in diesen Kriegen führte zu einer Schwächung des Landes, so dass es schließlich zur ,Halbkolonie” Russlands und Großbritanniens wurde.? ‘Abbas Mirza erkannte, dass eine Selbstbehauptung ohne Ausrüstung mit westlicher Technik nicht möglich war. Aus diesem Grunde schickte er in den Jahren 1806-10 eine erste Gruppe iranischer Studenten und drei Jahre später eine weitere Gruppe nach England. Sie sollten dort verschiedene Bereiche der Naturwissenschaft, Technik und Medizin studieren. Mit der zweiten Gruppe ging u.a. Mirzä Saleh Sirazi, der später (1819) die erste Druckerei Irans in Tabriz aufbau-

te und 1836 die erste Zeitung (Kägaz-e Ahbär, Nachrichtenpapier wahrscheinlich dem englischen Wort ,Newspaper” nachgebildet) im Iran herausbrachte.? Studenten wie Siräzi versuchten die neu entdeckte Welt zu beschreiben. In seinem Reisebericht (Safarnäme, 1820) schreibt $irazi nicht nur über seine Reiseerlebnisse, sondern auch über London und Cambridge, die Geschichte und Geographie Englands, Frankreichs und des Osmanenreiches.? Diese Reiseberichterstatter des 19. Jahrhunderts „öffneten in Persi-

en nicht nur „die ersten Tore zum Verständnis abendländischer Verhält1

Vgl. Mohammad Gawäd Maskur: Tärih-e iran-zamin [Geschichte des Iran]. Teher-

2

Vgl. Bozorg Alavi: Geschichte und Entwicklung der modernen persischen Literatur,

3

an 1993, S. 331-336.

Berlin 1964, S. 1 (weiterhin zitiert als Alavi). Naser ad-Din Parvin: Tärih-e ruzname-negari-ye iranian (A history of Journalism in the Persian-Speaking World). 1. Bd. Beginnings: 1780-1896). Teheran 1998,

1261 . Auch in: Mohammad

4

Tagi Bahar: Sabk-Senäsi (Stilistik [persischer Lite-

ratur]), 3. Bd., 5. Aufl. Tehran 1990, S. 342f.

Vgl. Alavi, a.a.0., S. 24.

363

nisse’,! sondern sie beeinflussten auch die spätere persische Literatur

dergestalt, dass die ersten Romanschreiber, die europäische Literatur nachahmten, ihren Romanen die Form von Reiseberichten gaben.? Der Erfolg verleitete andere ebenfalls zum Schreiben von Reisebüchern. Sogar der damalige Schah, Näser ad-Din (1848-1896), hat nicht nur verschiedene Reisebücher, u.a. über seine erste Europareise, unter anderem nach Berlin, im Jahre 18733 (Safar-e Farangestän), umgangssprachlich verfasst, sondern auch Berichte von Inlandreisen und Wallfahrten wie Safar-e Mazanderan, Safarnäme-ye ‘Atabat (Reisebericht über eine Wallfahrt zu den Grabmälern der Heiligen) usw. geschrieben. Dass nicht alle Reisebücher, die unter seinem Namen veröffentlicht wurden, von ihm selbst verfasst sind. ist inzwischen als Tatsache anzusehen. Etliche

Bücher hat er von Sekretären schreiben lassen. Der iranische Literaturforscher Iraÿ Afsär schreibt im Vorwort von Safarname-ye Atabät: Näser ad-Din Schah ist einer der angesehensten Reiseberichterstatter seiner Zeit und er hat einige seiner Reiseberichte selbst geschrieben.> Die „Aufklärer“ und Reformisten, die gegen Despotismus und für eine konstitutionelle Monarchie kämpften, flüchteten ins Ausland und veröffentlichten dort ihre eigenen Zeitungen und Zeitschriften. Durch die Veröffentlichungen und durch das unmittelbare Erleben der modernen Gesellschaft trugen die im Exil lebenden Aufklärer und Autoren dazu bei, neue Themen in die Diskussion einzuführen. Die Presse dieser Zeit und die vorrevolutionäre Presse im Ausland spielten die Rolle der Volksaufklärer.

1 2 3 4 5

Bert G. Fragner: Persische Memoirenliteratur als Quelle zur neueren Geschichte Irans. Wiesbaden 1979, S. 8. Wie z.B. Zeynoläbedin Maräge’i: Siyähat-näme-ye Ebrahim Beyg [Reisetagebuch von Ebrahim Beyg]. Band 1 ist in Kairo (wahrscheinlich um 1901) erschienen. Auf diesen Roman komme ich noch zu sprechen, s. Kap. 5.2.2. In diesem Jahr besuchte Näser ad-Din Schah Berlin, als erster persischer Kaiser. Siehe auch Mattias Küntzel: Die Deutschen und der Iran; Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft. Berlin 2009, S. 25. Alavi, a.a.O., S. 25. Naser ad-Din Sah: Safarnäme-ye

‘atabat [Reisebericht über Wahlfahrt zur Grab-

mäler der Heiligen]. Hrsg. von Iraÿ Afsär. Teheran 1984, S. 2.

364

Mit der Gründung der polytechnischen Schule in Teheran im Jahre 1851, der ersten polytechnischen

(nicht theologischen)

Schule

(dar al-

funun), durch den Premierminister und grofsen Reformer Amir Kabir wurde die Ubersetzung wissenschaftlicher und geschichtlicher Werke ins Persische notwendig. Es wurde sogar eine staatliche Ubersetzungsverwaltung (Haus des Drucks und der Ubersetzung) gegriindet, die sich mit der Veröffentlichung europäischer Werke befasste.! In der Folgezeit sind nicht nur viele Lehrbücher, sondern auch Geschichtswerke und Belletristik ins Persische übersetzt worden. Die Auswahl der übersetzten Romane (historische Romane, z. B. von Voltaire und Alexandre Dumas) zeugt von einer besonderen Neigung der Iraner zur europäischen Geschichte. Außer historischen Werken stehen wissenschaftliche Abenteuerromane wie Jules Vernes’

Werke,

ferner Daniel Defoes

Robinson

Crusoe oder Jona-

than Swifts Gullivers Reisen an zweiter Stelle bei der Vermittlung von Kenntnissen über die westliche Wissenschaft und Technik. Doch konnten die Übersetzer oft nicht zwischen faktueller Erzählung und fiktionaler Erzählung unterscheiden. Dies belegen die Vorworte der Übersetzer, in denen sie die besondere Wirklichkeitsnähe der Romane herausstellen.? Die Forderung nach einer neuen politischen Ordnung führte im Jahre 1905 nach einem Protestmarsch und einem Generalstreik der Bazaris gegen Zollmaßnahmen zur sogenannten engeläb-e maSrutiat (konstitutionellen Revolution).* Die gewaltigen Massen-Demonstrationen im August und Juni 1906 nötigten Mozaffar ad-Din Schah, das erste Parlament zu eröffnen, woraufhin er am 30. Dezember 1906 die neue Verfassung unterzeichnete.? Mithin war aus der absoluten eine konstitutionelle Monarchie geworden, was zur Folge hatte, dass ausländische Staaten nicht mehr direkt und ausschließlich mit dem Schah verhandeln konnten.’ Die neue Situation brachte Hoffnung für die Bevölkerung, sich von der Jahrhunderte lang herrschenden Despotie und der damit verbundenen mittelalterlichen Gesellschaftsstruktur und ihrem Elend zu befreien. Kurz nach Unterzeichnung der Verfassung jedoch starb Mozaffar ad-Din 1

Vgl. Christophe Balay: La Genese du Roman

Persan Moderne.

Paris 1998. Persische

Übersetzung (Pedäyeë-e romän-e farsi) von M. Ghavimi u. N. Khattate, Teheran 1998,

ON

à

W

ho

S. 41-50.

Ebd., S. 71.

Alavi, a.a.O., S. 9.

Ebd., S. 10f.

Vgl. Richard L.G. Flower:

Berlin 1977, S. 34f.

Sadegh-e Hedayat

1903-1951. Eine literarische Analyse.

365

Schah, und sein Sohn MohamadAli Mirza, „der ärgste Feind jeglicher Demokratie und der Konstitution”,! bestieg den Thron. Die modernisierte politische Ordnung war nicht nur für den neuen Schah unannehmbar, sie gefährdete auch die wirtschaftlichen Konzessionen, die Mozaffar adDin Schah den Kolonialmächten gewährt hatte. 1907 hatten Russland und Großbritannien den Iran mit dem anglorussischen Abkommen

in zwei Einflusszonen,

eine nördliche

russische

und eine südliche britische, aufgeteilt, wodurch sie die wichtigen Reichtümer des Landes unter ihre Kontrolle brachten.” MohammadAli Schah versuchte mit voller Unterstützung der Kolonialmächte, besonders Russlands, die Errungenschaften der demokratischen Neuordnung rückgängig zu machen. 1908 gelang es ihm, das Parlamentsgebäude mit russischen Kosakenbrigaden unter Kanonenfeuer einzunehmen und schließlich das Parlament aufzulösen.” Nach dem Widerstand und dem Einmarsch patriotischer Revolutionäre aus verschiedenen Provinzstädten in Teheran musste der Schah am 15. Juli 1909 kapitulieren. Er sah sich gezwungen, zugunsten seines zwölfjährigen Sohnes Ahmad abzudanken; das Parlament wurde wieder konstituiert.? Die neuen Machthaber, Vertreter der Feudalinteressen, waren weder

in der Lage, die elende Situation der Bevölkerung zu verbessern noch irgend etwas Positives zu bewirken.° Zu Beginn des Ersten Weltkrieges befand sich der Iran in einem Zustand der Anarchie. Das Land war verarmt und erneut von Truppen Russlands und Englands besetzt. Die russische Revolution 1917 brachte insofern Entlastung für den Iran, als die neue Sowjetregierung 1918 alle Verträge, die zuvor unter Druck geschlossenen worden waren, für ungültig erklärte. Diese neue Situation führte dazu, dass Großbritannien als einzige Macht alle militärischen und wirtschaftlichen Schlüsselpositionen im Iran kontrollierte.” Als Reaktion auf die britische Politik und die korrupte 1 2 3 4

Alavi, a.a.0.S. 11 Edward Brown: The Persian Revolution of 1905-1909. Edited by Abbas Amanat. Washington DC. 1997. S. 172ff. Ahmad Kasrawi: Türih-.e masrute-ye Iran [Geschichte der Konstitutionellen Revolution im Iran]. Teheran 1990., S. 577ff. s. auch Edward Brown, a.a.O., S. 196ff. Ebd., S. 292ff.

5 Vgl. Alavi, S. 16. 6 Jan Rypka: Iranische Literaturgeschichte. Leipzig 1959, S. 343. 7 Ebd.

Regierung entstanden 1920-1921 Unabhängigkeitsbewegungen, insbesondere in den Provinzen Gilän und Aserbaidschan. Hierdurch entwickelte sich die Nationalbewegung in Persien und ein iranisches Nationalbewusstsein bildete sich heraus.! In dieser Zeit brach die innenpolitische Stabilität zusammen und das Land stürzte in chaotische Zustände. Die

Machthaber und die Briten brauchten eine starke Persönlichkeit, um der

Unruhe Herr zu werden. Sie fanden sie im persischen Oberst der ’Kosakischen Division’: Resa Khan. Er gelangte mit britischer Hilfe durch einen Militärputsch an die Macht und wurde 1923 Premierminister.? 1925 ernannte

man

ihn

zum

provisorischen

Regierungschef

mit

Generalvoll-

macht. Die konstituierende Versammlung erklärte die qagarische Dynastie für abgesetzt.” Am 25. April 1926 wurde Resa Khan als neuer Schah unter dem Namen Resa-Schah Pahlawi gekrönt. Die Wahl des Namens knüpft an die alte, vorislamische iranische Sassanidendynastie an und sollte der Legitimierung der Herrscher-Familie dienen.? Gleichzeitig stand dies mit der Nationalbewegung und dem Nationalbewusstsein der Zeit in Einklang. Es gelang Resa-Schah, die Unabhängigkeitsbewegungen, die sich immer mehr zu demokratischen Bewegungen entwickelten, mit militärischen Aktionen brutal niederzuwerfen. Im Bestreben, seine Macht abzusichern, brachte Resa-Schah in der Folge etliche Reformen auf den Weg: Das Gerichtswesen wurde nach europäischen Vorbildern strukturiert, neue Straßen und Eisenbahnen wurden gebaut. Die Kapitulationsrechte wurden aufgehoben und alle Ausländer waren von nun an nach iranischen Gesetzen zu behandeln. Bei der Gründung der iranischen Nationalbank 1928 leisteten deutsche Spezialisten Hilfe.” Erster Hauptmanager der Bank war der deutsche Bankier Dr. Lindenblatt, sein Assistent Otto Vogel. Als weitere Banken 1

On&

W

2

Ebd. S. 37f.

Faramarz Behzad u. J. Ch. Bürgel u.a. (Hg. u. Übersetzer): Moderne Erzähler der Welt - Iran. Tübingen-Basel 1978, S. 16. Alavi, a.a.O., S. 125. Flower, a.a.O., S. 50. Alavi, S. 125.

Die beiden deutschen Bankiers mussten später wegen Betruges nach Syrien flüchten. Die iranische Regierung verlangte ihre Auslieferung. Otto Vogel nahm sich

das Leben, während Lindenblatt mit seinem Rechtsanwalt nach Iran zurückkehrte. Er wurde dort zu 18 Monaten Haft und einer Geldbuße verurteilt. S. Hossein Mahbubi Ardakäni: Tärih-e mo asesät-e tamadon-e ÿadid dar Iran [Die Geschichte der Institutionen der neuen Zivilisation im Iran]. 2. Bd., Teheran 1975, S. 115.

367

in anderen Städten gegründet wurden, arbeiteten insgesamt 70 Deutsche in diesen Banken.! Die Nationalbank hatte sich die Entwicklung einer eigenen Industrie und des Handels zum Ziel gesetzt. In der Folge wurden verschiedene Fabriken aufgebaut, und mit ihnen die Industrialisierung des Landes vorangetrieben.? Die Schulbildung wurde ausgeweitet. Es wurden jahrlich einhundert persische Studenten nach Europa geschickt. 1935 folgte die Gründung der Teheraner Universität.’ Trotz all dieser Reformen konnte sich die Bevölkerung nicht vom Despotismus befreien. Alle Errungenschaften der konstitutionellen Revolution u. a. in Bezug auf Meinungs- und Pressefreiheit wurden rückgängig gemacht. Die Opposition war gegen die von Resa-Schah geführte Politik machtlos. Besonders nach 1933 wurde der polizeiliche Druck verstärkt und Verhaftungen sowie die Ermordung politischer Gegner, besonders der linksstehenden Kräfte, waren an der Tagesordnung. Die persische Presse, die in der Zeit der konstitutionellen Revolution beim „Wachrütteln” der Bevölkerung und für die Entwicklung der Litera-

ON À W D

‎‫نمم‬

tur eine wichtige Rolle gespielt hatte, verlor immer mehr an Einfluss.° Alle Zeitungen wurden nun vom Polizeiapparat gelenkt und zwangsläufig vereinheitlicht. Allerdings setzte sich auch der Prozess der Modernisierung, besser gesagt, der Industrialisierung des Landes fort. Durch eine neue Bildungspolitik und die Entsendung von Studenten nach Europa, sowie durch die Übersetzung westlicher Literatur wurde das Bildungsniveau angehoben. Auf der anderen Seite wurde das erwähnte Nationalbewusstsein gestärkt. Diese Faktoren und das Verbot von jeglicher Gesellschaftskritik führten dazu, dass sich jetzt unter den Literaten die einen mehr auf nationale, volkstümliche Themen verlegten, andere sich mehr mit theoretisch-ästhetischen Fragen beschäftigten.® Etliche zuvor aktive Autoren verstummten in dieser Zeit oder sie beschäftigten sich, wie der Journalist und Kritiker Dehhodä, ausschließlich mit klassischer Literatur oder mit dem Verfassen von Wörterbüchern. Ebd., S. 114f. Alavi, S. 125.

Vgl. Flower, S. 51. Ebd., S. 52. Ebd., S. 132.

Alavi, S. 132f.

863

Im Gegensatz zur Revolutionszeit, während der die Autoren über politisch-gesellschaftliche Themen schrieben, aber theoretisch-ästhetische Fragen vernachlässigten, beschäftigten sie sich nunmehr mit der Erforschung der alten Geschichte und Literatur, mit Volkskunde und Volksliedern. Die an moderner Literatur Interessierten wandten sich der Literaturtheorie und Fragen der Kunst zu. Diese neue Tendenz bezeichnet Alavi als ,Zuflucht”.! Es war, m.E., ein Versuch, den unerträglichen Restriktionen auszuweichen und zugleich auf dem Wege der Literaturtheorie eine Voraussetzung zu einer Veränderung der erstarrten Literaturform zu schaffen. Solcherart literarische Veränderungen wurden von Sadeq Hedayat (1903-1951) auf dem Gebiet der epischen Dichtung und von Nimä Yusig (1897-1959) auf dem der Lyrik vorangetrieben.? Der Modernisierungsprozess von außen und die damit verbundene Zerstörung der traditionell geprägten Weltanschauung bewirkten einen kulturellen Identitätsverlust in der Unter- und Mittelschicht. Die kleine Modernisierungselite, die als einzige von den ökonomischen Vorteilen profitierte, geriet in eine kulturelle Isolation.’ Dass der religiöse Fundamentalismus gegen jegliche Verweltlichung stand, ist aus seiner selbst erzeugten Erkenntnisgewissheit und aus seinem Rückgriff auf die eigene Tradition zu verstehen. Aber auch die „Reformisten” im Konflikt zwischen Religion und Verweltlichung konnten sich nicht rückhaltlos für die Säkularisierung entscheiden. Obgleich dieser Teil der iranischen „Aufklärer“ die westlichen Modelle für die Lösung der gesellschaftlichen Probleme hielten, blieben Widersprüche in der Weltanschauung zu klären. Sie wollten lediglich die Industrialisierung und die Rechtsordnung des Westens übernehmen, ohne zu erkennen, dass beides von der Säkularisierung nicht zu trennen ist. Diese Tendenz zur Ablehnung der Moderne wurde besonders durch die neokolonialistische Politik, vor allem Großbritanniens und Russlands, verstärkt, was Hass gegen die westlichen Ideen und schließlich ihre Verweigerung hervorrief. Exogene Bedingungen stärken die endogene Verbindung - im Fortgang vermochte dieser Tatbestand zur Machtergreifung des Fundamentalismus, der der sozialkulturellen Lebenswelt der Be1

Ebd.,S. 132.

3

Vgl. Thomas Meyer: Fundamentalismus, Aufstand gegen die Moderne. Reinbek bei Hamburg 1991, S. 201.

2

Siehe Falaki: Negahi be s‘ehr-e Nima, a.a.O.

369

volkerung am nächsten steht, beizutragen. Die Fundamentalisten nutzten den zwiespältigen, ambivalenten Zustand der Gebildeten bzw. Reformisten zugunsten ihrer Weltdeutung und ihrer Modernisierungsfeindlichkeit aus. Jeder kleine Schritt in Richtung auf die Beschrankung des Despotismus wurde von einem neuen Despoten mit Hilfe der Kolonialisten zunichte gemacht. Ein anderes beredtes Beispiel dafür in einer späteren Epoche ist die sogenannte Erdöl-Bewegung in Persien. Im Jahre 1901 gelang es dem Engländer William Knox D’Arcy, die Konzession für die Gewinnung des Erdöls durch einen Vertrag mit dem damaligen Schah für 60 Jahre zu erlangen. Nach dieser Konzession wurden der iranischen Regierung nur 16 Prozent der jährlichen Profite ausgezahlt. Im Jahre 1909 kaufte die englische Regierung die Anteile D’Arcys auf und gründete damit die AngloPersien Oil ۲ Als Mohmmad Mosaddeg, der iranische Premierminister (1951), die Erdölproduktion verstaatlichen wollte, wurde er durch einen amerikanisch-britischen Putsch abgesetzt und festgenommen (1953). Die Maßnahmen zum Erlangen der eigenständigen Förderung und der Vermarktung des Erdöls, die als Erdöl-Bewegung bekannt wurde und sich allmählich zu einer national-demokratischen Bewegung entfaltete, vor der sogar der Pro-Amerikaner Mohammad Resa Schah ins Ausland fliehen musste, wurde durch die westlichen Mächte wieder zunichte gemacht. Es ist unumstritten, dass die Politik der Kolonialmächte die politischgesellschaftliche Orientierung des Landes veränderte, aber auch der innere Mechanismus der persischen Gesellschaft spielte eine große Rolle. Die seit Jahrhunderten währende Unterwerfung unter den Despotismus, der weder Kritik noch Widersprüche duldete, bildete ein enormes Hindernis für eine tiefer gehende Übernahme der modernen Errungenschaften.

Im Folgenden mögen Beispiele einiger besonderer Ereignisse verdeutlichen, wie diese tiefverwurzelte Despotie und der Einfluss der eige1

Vgl. Bahman Nirumand: Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt. Nachwort Hans Magnus Enzensberger. Reinbek bei Hamburg 1967, S. 20f. Dieses britische Olkartell wurde als AIOC (Anglo-Iranian Oil Company) bekannt.

370

nen Kultur die ,Reformisten” immer wieder in fundamentalistische Bahnen zurücklenkte. 5.2.2 Wie die Tradition den westlichen Ideen widersteht

Auch die eine Reform und Modernisierung des Iran anstrebenden so genannten

„Aufklärer“,

von denen

etliche im Exil leben mussten,

hatten

keine klare Vorstellung von der Moderne. Immer wieder griffen auch sie auf traditionelle Werte zurück. Marageyi (1838-1908), Autor des in Romanform geschriebenen Rei-

sebuches Siyahatname-ye Ibrahim Beyg (Reisetagebuch von Ibrahim Beyg),! versucht seine Leser von den Vorteilen der Modernisierung Irans zu überzeugen. Das Buch erzählt vom abenteuerlichen Leben des Nationalisten Ibrähim Beyg und ist eine Kritik an den politisch-gesellschaftlichen Zuständen im Iran. In Bezug auf den Vorteil der Industrialisierung kritisiert Marägeyi nicht nur die Regierung, die das Land unterentwickelt hält, sondern auch die persische Lyrik. Er bezeichnet die persische Poesie als Verherrlichung der unfähigen Machthaber und fordert die Dichter auf: Man muss statt vom Lippenmuttermal [Schönheitsfleck] über Kohlenminen reden. ]...[ Lass die Röcke [der Geliebten mit] silbernen Busen und hänge dich stattdessen an die Brust der Silber-und

Eisenminen.

]...[ Heute ist die Zeit des Pfeifens des Zuges, nicht

vom Klang der Nachtigall [...]. ?

Seiner Ansicht nach sind die Hauptursachen für die Rückständigkeit im Orient Unwissenheit und Ahnungslosigkeit; Wissenschaft und Selbstbewusstsein hätten dem Westen Würde und Stolz gebracht, Verachtung und Erniedrigung sei die Ursache für den Zustand des Orients.’ Maräge’yi stellt seinen nationalistischen Hochmut

offen heraus, in-

dem er die vorislamische Gesellschaft Persiens „den Blumengarten 1

2

3

(go-

Der Buch liegt in drei Bänden vor: Band 1 ist in Kairo (wahrscheinlich um 1901),

Band 2 und 3 sind 1902 in Kalkutta und 1906 in Istanbul erschienen. Band 1 wurde von Walter Schulz ins Deutsche übersetzt und ist 1903 in Leipzig erschienen, unter dem Titel Zustände im heutigen Persien, wie sie das Reisebuch Ibrahim Begs enthüllt. Zeynoläbedin

Marage’i:

Siyahatname-ye Ibrahim Beyg [Reisetagebuch von Ibra-

him Beyg]. Teheran 1977, S. 154f. Übersetzung von mir (M.F.). Ebd.,S. 132f.

371

lestän ‎‫ (گلستان‬der Erde"! und die damalige Herrschaft „Quelle der Rechtspflege und Gerechtigkeit“ nennt.? Obgleich er einerseits von der ,paradiesischen“ vorislamischen Zeit in Persien begeistert ist und andererseits überall die Modernisierung des Landes fordert, ist er weiterhin ein gläubiger Muslim und tritt ultrakonservativ auf: Maräge’yi kritisiert 2. B. die Frauen in Teheran, die keine Rücksicht auf die islamische Kleiderordnung (hegab) nehmen.? Als er vor einer Moschee in Maräge, einer Stadt in Aserbaidschan, neben dem Eingang einen Wassermelonenstand sieht, bezeichnet er dies als „Missachtung der Moschee, der Religion und der Saria’t (islamischer Gesetze)‘. So bezeichnet er auch das Picknicken am

Fluss und andere Vergnügungen als „Krankheit“.? Obwohl er die westlichen Rechtssysteme und die Modernisierung allgemein als nachahmenswert hinstellt, bezeichnet er das islamische Recht (fegh ‎‫ (فقه‬und die islamischen Prinzipien als „Kapital der Rettung‘: 6 Alle guten Gesetze des Westens sind aus den heiligen Büchern des Islams übernommen worden.’ Damit steht Maräge’yi bei weitem nicht allein, denn dies war der herrschende Gedanke der vielen anderen Aufklärer und Reformisten. Mostaëär ad-Dole, ein weiteres Beispiel, lebte als iranischer Botschafter in St. Petersburg (1862), Tiflis (1863-1866) und Paris (1864) lange Jahre in Europa.® In Paris übersetzte er die Prinzipien der Menschenrechte aus dem Vorwort der französischen Verfassung unter dem Titel „Ein Wort“ (Yek Kalame

‎‫ کلمه‬.)5 Er glich aber die Gesetze der französischen Verfas-

De)

On

AO

‎‫ كل‬à

W

D

‎‫نم‬

sung oder die Menschenrechtserklärung mit dem islamischen Gesetz ab und urteilte: „Nach gründlicher Untersuchung fand ich alle Gesetze [der französischen Verfassung/ Menschenrechtserklärung] mit dem Koran in Übereinstimmung.“ Ebd., S. 129. Ebd., S. 239.

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Vgl.

S. 159. S. 181. S. 179. S. 108. S. 111. Ubersetzung von mir. Yahya Arianpur: Az Saba ta Nima [Die moderne persische Literaturgeschich-

te]. Bd.1, Teheran 1978, S. 281. Mostasar ad-Dole: Yek kalame [Ein Wort], 1870, S.18. In: Ajoudani., a..a.O. S. 118.

Ubersetzung von mir. 372

Des Weiteren

hatte Malkom

Han

(1833-1903), einer der Aufklarer,

die den Begriff ,Gesetzlichkeit” propagierten und dessen in London veröffentlichte oppositionelle Zeitung Qänun (Gesetz, 1889) eine wichtige und einflussreiche Quelle fiir gebildete Iraner darstellte, eine verbliiffend ähnliche Meinung: „Andere Nationen [europäische Lander] haben ihre Grundgesetze aus den islamischen Prinzipien übernommen“! Er meinte sogar „Dampfschiff, Telegraf” und alle technischen und gesellschaftlichen Errungenschaften der Welt seien nur durch das „Strahlen des Islam" möglich.” Er forderte von den Muslimen absoluten Gehorsam gegenüber den Geistlichen. Malkom Hän war der Meinung, der zukünftige „Führer der Nation” solle ein Kleriker sein, weil das geistliche Oberhaupt der Nation im Range höher als der Schah stehen müsse. Er ist es auch, der zum ersten Mal das im Koran stehende Wort hisbollah (Allahs Partei)

für eine islamische Gruppierung verwendete,? mit dem sich heute Islamisten auf ihr Glaubensbanner geschrieben haben. Als nächster iranischer „Aufklärer“ vertrat Aqa Han Kermani, ein sehr

aktiver Oppositioneller, der auf Befehl von MohammadAli Mirzä, des damaligen Kronprinzen von Mozaffar ad-Din Schah, in Tabriz ermordet wurde (15. Juli 1896),° eine ähnliche Meinung wie Malkom Han. Kermani schatzte zwar aus seiner nationalistischen Tendenz heraus die vorislamische persische Kultur hoch und kritisierte den Islam als eine nicht persische (arabische) Religion. Er nannte den Islam den Hauptgrund für den Niedergang des Landes.° Trotz dieser Kritik am Despotismus im Iran und trotz seiner aufklärerischen Aktivitäten schrieb er, als manche Reformisten die politische Führungsrolle der Geistlichen in Frage stellten, in einem Brief an Malkom Hän:

Wenn jeder Kleriker sich nur zwei Monate mit Politik beschäftigt,

wird er, aufgrund seiner natürlichen Talente und seiner persönli-

1

Zeitung Qänun; Nr. 5, S. 2. In: Ebd., S. 119. Übersetzung von mir.

3 4

Iranian (A history of Journalism in the Persian-Speaking World). 1. Bd., S. 284. Zeitung Qänun, Nr. 22, S.2f. In: Ebd., S. 284. Übersetzung von mir. Siehe Zeitung Qänun, Nr. 21, S. 4, Nr. 23, S. 3 u.a. In: Ebd., S. 282. Mehr über Mal-

2

5 6

Zeitung Qänun; Nr. 21, S. 4. In: Näser ad-Din Parvin: Tärih-e ruznäme-negäri-ye

kom Han s. Ajoudani: Maërute-ye irani wa pis-zamineha-ye nazariye-ye „weläyate faqih“ [iranische konstitutionelle Revolution...]. London 1997, 5. 275-356.

Eduard Brown G.: The Persian Revolution of 1905-1909. London- Edinburgh 1966. S. 95.,s. auch Ärianpur: Az Sabä tä Nimä, a.a.O., Bd.1, 1978, S. 391. Siehe Ajoudani, a.a.O., S. 119. 373

chen Tugend und Vollkommenheit, Fürst Bismarck und Salisbury! übertreffen.? Nach Meinung des iranischen Geschichts- und Sprachforschers Ahmad Kasrawi versuchte damals jeder aus seiner Sicht die konstitutionelle Revolution zu interpretieren, „einige versuchten, die neue Ordnung mithilfe des Koran und der Hadithen? als islamisches System zu deuten.“ 4 Eine Ausnahme unter den „Aufklärern“ ist einzig Ähundzädeh, (1812-1878), in Aserbaidschan geboren, dort und im Kaukasus aufgewachsen, der seine literarische Arbeit (Theaterstücke u.a.) überwiegend in azeritürkischer Sprache verfasste. Ähundzädeh kritisierte den Islam und forderte die Trennung von Religion und Staat: Bis heute haben wir uns immer nach der Geistlichkeit gerichtet [...]. Wenn wir weiterhin daran festhalten, werden wir uns nie ändern, und Entwicklung wäre ein Ding der Unmôglichkeit.° Mit Ausnahme dieses einen, der auch keinen modernen Ausweg für die Probleme vorschlagen konnte, greifen fast alle Aktivisten, sowohl Politiker als auch Literaten, gleichermaßen auf traditionelle, religiöse Verhaltensmuster zurück. Die kulturelle Kontinuität ist nachgerade resistent gegen Einwirkungen von außen, ja, sie wird stärker, je mehr von außen interveniert wird. Wesentliche Elemente dieser kulturellen Traditionen erinnern wir uns - sind Wiederholung und Nachahmung. Wir werden den Zusammenhang im Weiteren noch spezifizieren. Neben den oben erwähnten Gründen für den ständigen Rückgriff auf die Gewissheiten der eigenen Tradition gibt es einen anderen tiefliegenden Grund: 1 2 3

Robert Cecil Salisbury (1803-1903), der britische Politiker, war eine wichtige Person in der britischen Kolonialpolitik. In: Ajoudani, a.a.O., S. 121. Übersetzung von mir. hadis ‎)‫ = (حدیث‬Überlieferung, Legende über den islamischen Propheten Moham-

4

med. Ahmad Kasrawi: Ttarih-e masrute-ye Iran [Geschichte der Konstitutionellen Revo-

5

Fath-’Ali Ahundzädeh: Maktubät-e Kamal ad-Dole. Hrsg. von Hamed Mahmudzä-

6

lution im Iran]. 15.Auf. Teheran 1990, S. 274. Übersetzung von mir. deh. Baku 1985, S. 185. Übersetzung von mir. Siehe Aramesh 1999, S. 110ff.

374

Dustdar:

Derahseshä-ye

tire (Lumieres

sombres).

2. Aufl., Paris

Im Iran wie in der ganzen islamischen Welt haben die Menschen anders als in Europa - nie die Erfahrung der Relativierung des Absoluten machen können. Die Reformation in Europa und die ihr folgenden Konfessionskriege lehrten die Menschen, „dass der eigene Glaube nur eine mögliche Wahrheit neben anderen sein kann. ! Außerdem wurde in Europa durch die Aufklärung und die säkularisierte Vernunft Gott aus seiner zentralen Stellung als ,Rechtfertigungsinstanz gerückt. Nicht diese Instanz sichert die Wahrheit einer Aussage, sondern die Wahrheit wird durch subjektzentrische Rationalität bestimmt.? Ermöglicht wurde so die Freisetzung des Individuums aus seinen vormodernen Kontexten durch den Modernisierungsprozess. Dieser Gedanke wohnt in Europa allen Bereichen des Lebens inne,

hat im Iran jedoch keine Entsprechung. Die europäischen Wertbegriffe und die Technik sind von außen in den Iran eingeführt worden. Die Iraner vermochten sie nicht zu ihrer sozialen Erfahrung zu machen. Begriffe wie Technik wurden flickengleich auf die Gewissheiten der eigenen Tradition geklebt, wobei die Menschen den Verlust ihrer Geborgenheit fürchteten, welche sie früher (vor dem Beginn der Modernisierung des Landes) in Allah als Rechtfertigungsinstanz fanden. Die Problematik der persischen Gesellschaft besteht bis heute darin,

dass im Orient keine eigenständige Phase der Aufklärung mit Auflösung traditioneller Strukturen und Entwicklung eines bürgerlichen individuellen (Selbst-)Bewusstseins analog der europäischen Geschichte einsetzte. Vielmehr wird diese Art der Verortung des Individuums in der modernen Gesellschaftsordnung als fremde Denkungsart und von den Kolonialmächten aufgezwungen erfahren. Der internalisierte Despotismus, der damit verbundene Glaube an eine absolute religiöse Wahrheit und die unterwürfige Haltung der Anhänger gegenüber den religiösen Oberhäuptern, als „Instanz der Nachahmung’, war und ist derart verinnerlicht, dass sie bis heute auf die gebildeten Menschen in ihren politischen Entscheidungen einwirken.

1 2

Thomas Meyer: Fundamentalismus, Aufstand gegen die Moderne. S. 39. Vgl. Peter Engelmann (Hg.); Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1990, S. 13. 375

5.2.3 Imitation und Repetition in der modernen persischen Literatur Die Nachahmung westlicher Ideen durch die Iraner, die aus den zuvor aufgezeigten Gründen meistens oberflächlich blieb, ist auch in anderen Bereichen und vor allem in der Literatur zu beobachten. Betrachtet man die Entwicklung der modernen persischen epischen Poesie von der konstitutionellen Revolution bis zum Anfang der Pah-

lawi-Dynastie (1926), drängt sich die strukturelle Unvollkommenheit die-

ser im Sinne der westlichen Erzähltheorie geschriebenen Prosawerke auf. Sie kônnen nicht eigentlich als Roman bezeichnet werden. Obwohl diese Werke unter dem Einfluss europäischer Romane verfasst wurden, betrachteten selbst die Autoren ihre Werke noch nicht als ein neues literarisches Genre, sondern vielmehr als einen Versuch. Sie empfanden die in Europa gefundene literarische Form als ein wirksames Mittel, der Leserschaft Wissen zu vermitteln oder sie aufzuwecken, d.h. in ihr ein neues Bewusstsein zu erwecken. Im Mittelpunkt standen Belehrung und soziales Engagement, fiir deren Vermittlung sie sich z.T. essayistischer Mittel bedienten. Nach der traditionellen Auffassung stand in der Literatur bis dahin die lyrische Dichtung im Vordergrund, Literatur schlechthin wurde mit Lyrik gleichgesetzt. Viele iranische Romanciers, die dies verinnerlicht hatten, flochten in ihren Prosatexte immer wieder auch Gedichte ein, um das literarische Niveau zu heben. Darüber hinaus konnten ihre Werke überhaupt erst so als „Literatur” gelten. Dies zeigt, dass sich im Iran Prosa, besonders die Erzählprosa, bis dato nicht als „Literatur“ wie im Westen hatte etablieren können. Bei Übersetzungen verfuhren Übersetzer ähnlich, indem sie den erzählten Handlungen hier und da Verse aus klassischer persischer Dichtung oder selbst gedichtete Verse einfügten. Die von Mirzä Habib Esfahäni angefertigte Übersetzung des Romans The Adventures of Hajji Baba of Ispahan von James Morier (1780 -1849),! 1905 in Kalkutta erschienen, ist zum Teil nach traditioneller Art in gereimter Prosa verfasst. Esfahäni hat in den Originaltext Gedichte eingefügt; auch hier ging es darum, das literarische Niveau in traditioneller Hinsicht zu erhöhen.? 1 James Morier: The Adventures of Hajji Baba of Ispahan. Illustratet by H.R. Miller, 2

with an Introduction by Hon. George Curzo M.P. London 1902. Siehe Mirzä Habib Esfahäni (Ubers.): Sargozast-e Hagi Baba Esfahani von James

Morier. Vorwort u. hrsg. von Mohammad 57, 163, 323 u.a.

376

’Ali Gamälzädeh. Teheran 1969, S. 38,

An einigen Stellen hat er des Weiteren in die Erzählperspektive insbesondere des Protagonisten als Ich-Erzähler eingegriffen. So hat er z.B. im zweiten Kapitel statt des Ich-Erzählers die Perspektive eines Erzählers in der 3. Person („ich” wurde zu ,er’) oder ein inkludierendes „wir” ein-

gesetzt.! Der Ubersetzer wagt es hier offensichtlich nicht, den Protagonisten konsequent als ,ICH” auftreten zu lassen. Er vermag die faktuelle Erzählung nicht von der fiktionalen Erzählung zu unterscheiden; d.h. ihm misslingt die Unterscheidung zwischen literarischer Fiktion und Wirklichkeitsaussage. Die Unfähigkeit, die im Original vorliegenden Per spektiven zu erkennen und in der Übersetzung wiederzugeben, liegt in der traditionell-persischen Erzählweise, die fast immer nur die dritte Person (Er-Erzähler) in einer auktorialen Erzählsituation kennt, begründet. Außerdem aber spiegelt das Fehlen der Ich-Perspektive die psychologisch-traditionelle Verfassung einer Gesellschaft wider, in der das „ICH“ und damit das Individuum aus seinem vormodernen Bewusstsein noch nicht hervorgetreten ist. Halten wir fest, dass sich die moderne persische Literatur mit mehreren

Problemen konfrontiert sah: Da Literatur nach traditioneller Auffassung mit Lyrik gleichgesetzt wurde, konnte auch nur lyrische Dichtung als „richtige“ Literatur gelten. Diese verinnerlichte Tradition machte es den neuen persischen Prosaerzählern schwer, sich von ihren Mustern zu lösen: immer wieder verfielen sie darauf, in ihre Erzählungen Lyrikpassagen einzuflechten. Die Lyrik an sich hatte ein weiteres Problem: Struktur und Form der Gedichte blieb traditionell, es wurden weiterhin die rhetorischen Figuren und dichterischen Paare wie Rose und Nachtigall, Kerze und Schmetterling aus der klassischen Dichtung übernommen. Auch die rhetorischen Figuren der Wiederholung und Nachahmung sind in der Revolutionszeit, und auch noch in der Zeit Resa-Schahs (1925-1941) beibehalten worden. Selbst im Werk

Sadeq Hedayats (1903-

1951), der als moderner persischer Romancier geschätzt wird, entdecken wir einen derartigen Fall: Es wurde nachgewiesen, dass Hedayat in seinem bekanntesten Roman Die blinde Eule westliche Autoren imitiert hat.” Etliche Passsagen 1 2

Ebd. 9. 5-11. Vgl. Homayun Katuzian: Sadegh Hedeyat - az afsäne ta wäge'iyat. Teheran 1993, 377

aus Die schwarze Katze von Edgar Allan Poe, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge von Rainer Maria Rilke und Der Horla von Maupassant tauchten wortlich in Die blinde Eule auf. Die verblüffenden Ahn-

lichkeiten, sogar in der Wortwahl, die nicht selten einer Übersetzung nahekommen, weisen darauf hin, dass Hedayat die erwähnten Werke in

seinem Romanwerk nachbildete.! In Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge von Rilke beschreibt der Erzähler die Gesichter der Menschen wie folgt: Es gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der

Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; [...] Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. [...] Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist es schon das letzte. Hedayat hat für „Gesicht“ „Maske“ eingesetzt, alles andere ist mit Rilkes Beschreibung in Wörtern und Ausdrücken identisch: Alle tragen vermutlich Masken mit sich herum. Manche benutzen

immerfort ein und dieselbe Maske, die natürlich im Laufe der Zeit

schmutzig und faltig wird. Das sind die Sparsamen. Eine andere Gruppe bewahrt die Masken für nachkommende Generationen? auf. Schließlich gibt es Menschen, die sich immer wieder neue Masken aufsetzen, aber sobald sie ein gewisses Al-

1 2 3

5. 172 und M. F. Farsane: Asenäyi ba Hedayat [Bekanntschaft mit Sadegh Hedayat]. Teheran 1993, S. 395 u. a. Vgl. Shahruz Rashid: Negähi be buf-e kur [Ein Überblick auf Die blinde Eule]. Aftab (Literaturzeitschrift}. Nr. 53. Oslo 2004, S. 6-10 u. 16-25.

Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Köln 2005, S. 7. Hervorhebung von mir. Vgl. mit „Kinder“ in Rilkes Text.

378

ter! erreicht haben, merken

sie, dass sie nur noch eine Maske

die letzte - zur Verfügung haben?

-

Nicht wenige Kritiker und Literaturwissenschaftler der modernen persischen Literatur vernachlässigen bzw. ignorieren bei ihrer Suche nach parallelen Merkmalen bei iranischen und europäischen Denkern oder Autoren die gesellschaftlich-kulturellen Unterschiede zwischen West und Ost und die damit verbundene unterschiedliche Entwicklung des Individuums. Richard Flower? findet gleiche Elemente in Hedayats und Kafkas Werken, eine Ahnlichkeit sei sogar in der Sprache der beiden Autoren zu erkennen:4 Die Personen seiner Werke sind oft einsame und verfolgte Seelen wie jene von Kafka.’ [...] In vielen Bemerkungen sind parallele Elemente der Technik und der Problematik beider Autoren zu erkennen.® Flowers Exegese kann nun allerdings aus verschiedenen Gründen nicht zugestimmt werden: Vergleicht man die sozial-politische Lage der Menschen zu Kafkas Zeit und seine Konflikte mit denen Hedayats zu dessen Zeit, zeigt sich, dass scheinbare Ähnlichkeiten vor jeweils unterschiedlichen Hintergründen entstanden sind. Ein Beispiel dafür sei ihrer beider Einsamkeit und Entfremdung von der Umwelt. Kafkas Einsamkeit ist aus dem Verfall des

Individuums und damit aus seiner Suche nach dem Eigenen, seinem frei-

en Selbst, zu verstehen. Hedayats Einsamkeit ist Ergebnis seiner Enttäuschung über seine Landsleute und seine dichterische Arbeit, die „keine Leser hat“.” Während Kafka nach seinem eigenen Ich suchte, bzw. sein

SJ OO

‎‫سنس‬

À

©

1 2

Vgl. mit letztem Gesicht bei „vierzig“ in Rilkes letztem Satz des Textes. Sadeq Hedayat: Die blinde Eule. Übersetzung aus dem Persischen ins Deutsche von Bahman Nirumand. Frankfurt a.M. 1997, S. 117f. Hervorhebung von mir. Richard Flower: Sadegh-e Hedayat 1903-1951. Eine literarische Analyse. Berlin 1977. Ebd., S. 304. Ebd., S. 304. Ebd., S. 303.

Als Farsane, ein junger Bewunderer Hedayats, ihn mit Kafka verglich, sagte Hedayat: „Wie kann ich ähnlich wie Kafka sein? Er [Kafka] hatte keine finanziellen Schwierigkeiten, er hatte seine Verlobte, er konnte seine Bücher veröffentlichen lassen, wenn er wollte. Ich, im Gegenteil, habe kein Brot, keine Verlobte, und vor allem keine Leser.“ M. F. Farzane, a.a.O., 5. 230. Übersetzung von mir. 379

Selbst frei wünschte, versuchte Hedayat sein Ich zu vernichten! oder es zu erniedrigen.? Weil er keinen Individuationsprozess wie ein moderner Europäer erlebt hatte, besaß er in diesem Sinne keine individuelle Existenz.

Dies erinnert an den traditionellen Mystizismus, in dem der Mystiker wünscht, dass sein Ich entwerde/vernichtet würde (fanä Li), um so mit dem Ursprung oder dem Geliebten vereinigt zu sein. Hedayat war kein Mystiker, aber es ist eine Spur der persisch-islamischen Mystik in seinen Werken, besonders in Die Blinde Eule nachweisbar. Dort wird die Liebe hyperbolisch als etwas Überirdisches bezeichnet, und Hedayat betrachtet die Liebe seines Lebens, die „unerreichbar“ scheint, als „ätherisches Wesen’ oder „Engel“.? Er hält nicht nur das Geschehene im Roman für ein

„übernatürliches Ereignis“ und für „Schattenbilder der Seele”* - beides mystische Begriffe -, sondern er möchte wie ein asketischer Mystiker auf die körperliche Liebe verzichten oder die irdischen Dinge gering achten. Er betrachtet die Liebe - wie ein Mystiker - als eine vorherbestimmte, ursprüngliche, ewige Vereinigung mit der Geliebten: [...] alles scheint mir vertraut, als hätten unsere Seelen in einem

früheren Leben, in einer Zeit vor der Ewigkeit miteinander gelebt,

als hätten beide denselben Ursprung, als stammten sie aus derselben Materie und müssten sich vereinen. Und selbst in diesem irdischen Leben verlangte es mich nach ihrer Nähe. Ich hatte nicht das Verlangen, sie zu berühren, nein, keineswegs. Mir hätte es schon genügt, wenn sich die Aura ihres Körpers mit der meinigen vermischt hätte.° Nein, ihren Namen werde ich niemals nennen. [...] Nein, ihr Name

soll nicht mit Irdischem beschmutzt werden.

1

2

3

on

4 6

Z.B. in der Erzählung Zende be-gur [Lebendig begraben]. Teheran 1963.

Z.B. im Roman Buf-e kur [Die blinde Eule]. Köln 1988. Auch: Sadegh Hedayat: Die blinde Eule. Aus dem Persischen von Bahman Nirumand. Frankfurt a. M. 1997. Hedayat; Blinde Eule. Original, 5. 16. Nirumand hat hier nur „Engel“ übertragen und „das ätherische Madchen“ weggelassen. s. S. 17. Hedayat; Blinde Eule. Deutsche Übersetzung, S. 7. Ebd., S. 17f. S. 10.

380

Zu Hedayats Zeit ist Persien ein Land, das von den Errungenschaften der

Moderne, namentlich der Säkularisierung und der Freiheit des Denkens

und des Wortes meilenweit entfernt ist. Unter diesen Umstanden ist es kaum vorstellbar, dass ein iranischer ,Intellektueller” die Modernitat wie ein europäischer Intellektueller wahrnehmen oder verinnerlichen kann. Kafka jedoch lebte in einer Zeit, in der nicht nur nach Jahrhunderten ,an

die Stelle Gottes als Rechtfertigungsinstanz und letzte Referenz diskursiver Ableitungen das Subjekt tritt",! sondern die Durchsetzung der Kernidee des Modernisierungsprozesses, hier die Befreiung des Individuums, in Frage gestellt wird. In Kafkas Werken kommt diesem Gedanken ein großes Gewicht zu und diese Befreiung bedingt die Einsamkeit seiner Figuren. Obwohl Hedayat während seines vierjährigen Aufenthalts in Frankreich und durch seine eigenen Studien die europäische Moderne in ihrer Realität erlebte, verblieb er dennoch in einem Schwebezustand zwischen Modernität und Tradition, in dem sein traditioneller Hintergrund an Gewicht gewann. Vergleicht man die Erzählstruktur, die Entwicklung der Handlung und die Rahmenkonstruktion

der Werke

Kafkas

und

Hedayats

finden

sich

überaus relevante Unterschiede: Kafkas Werke sind von den Wanderungen seiner Figuren geprägt, die niemals enden, diese Wanderungen entwickeln die Handlung der Geschichte. Die Figur des Josef K. in Das Schloß wird ohne dessen willentliches Zutun, die des K. in Der Prozess aus eigenem Willen auf eine labyrinthische Irrfahrt geführt. Indem Josef K. seine Unschuld zu beweisen, K. das Schloss zu erreichen und Gregor Samsa, Protagonist in Die Verwandlung, sich von der Tiergestalt zu befreien versucht, streben alle eine Befreiung und eine menschliche Beziehung mit den anderen an. Die Rahmenkonstruktion in Kafkas Werken wird anhand dieser Befreiungsversuche aufgebaut, durch die die Handlung ihre Tragik erhält. Hedayats Geschichten spielen sich dagegen in einem geschlossenen Raum ab, was sich wiederum aus seinem Leben in einem totalitären System erklärt. Die Figuren handeln Gefangenen gleich, die hier in sich selbst gefangen sind. In der Erzählung Lebendig begraben ist die Welt der Hauptfigur ein Zimmer, in dem sie sich das Leben zu nehmen versucht. In Drei Tropfen Blut ist der Protagonist (Mirzä Ahmad Hän) in einem Ir1

Peter Engelmann, a.a.O., S. 13. 381

renhaus gefangen. Der Ich-Erzähler des Romans Die blinde Eule wohnt in einem Zimmer, das „über den Ruinen” errichtet wurde und dessen Wände „wie die Mauern

eines Grabmals“!

sind. Seine Außenwelt

sind eine

„baufällige Schlachterei” und eine Krämerei „unter einer Mauerwölbung“, deren Verkäufer ein buckliger Greis ist, der „mit seinen gelben lückenhaften Zähnen Verse aus dem Koran zitiert.“? Das waren meine Beziehungen

zur Außenwelt,

aber von meiner

Innenwelt sind mir nur meine Amme und eine Dirne geblieben.’

Die Figuren Hedayats versuchen nicht, sich aus ihrer Gefangenschaft zu befreien; im Gegenteil, es scheint, als hätten sie sich in ihr Schicksal ergeben, oder sich willkürlich von der Außenwelt abgeschlossen, was wie-

derum mit dem bereits erwähnten verinnerlichten Despotismus und der damit verbundenen Knechtschaft zu erklären ist. Hedayat ist ein gutes Beispiel, die Entwicklung persischer „Intellek-tueller“ hin zu Moderne besser zu verstehen. Sie übernehmen einerseits lediglich die Fassade der Moderne, andererseits geben sie ihrem Nationalbewusstsein eine eher chauvinistische und teilweise rassistische Tendenz. Hedayats Aversion gegen den Islam, die in Werken wie Tup-e Morwäri und im Theaterstück Maziyär hervortritt, hat m. E. mit seiner Auseinandersetzung mit Religion allgemein oder mit seinem Bewusstsein in Verbindung mit der Säkularisation der Gesellschaft nichts zu tun. Mit anderen Religionen wie dem Zoroastrismus oder dem Christentum hatte Hedayat kein Problem. Er akzeptierte sogar die zarathustrische Religion als „weiße Religion” im Gegensatz zum Islam, den er die „schwarze Religion’ nannte.‘ Er hasste den Islam und die Araber, weil sie das persische Reich vernichtet hatten. Dieser Hass bekam die Tendenz einer rassistischen gegen semitische Völker gerichteten Gesinnung, in deren Zusammenhang er vom „schmutzigen Arabern“> und „schmutzigen Semiten” ® Hedayat: Buf-e kur [Die blinde Eule]. S, 50. Bei Übersetzung dieser Stelle habe ich die Übersetzung von Nirumand hinzugezogen. Vgl. Die blinde Eule, Frankfurt a. M.

2 4

Buf-e kur [Die blinde Eule]. 5. 51-53. Übersetzung von Nirumand, S. 59-61. Ebd., S. 53. Sadeq Hedyat: Maziyar. 2. Aufl., Hrsg. von Mogtaba Minawi, Teheran 1977, S. 34

5 6

Ebd., S. 82. Ebd.,S. 11.

Ww

1

1997, S. 58.

u. 84.

382

spricht, während die Perser ihm als „saubere Rasse” galten. Es war auch

Hedayat, der sagte, die „Juden [seien] ein schlimmeres Volk als die Araber.“ ! Seine nationalistische Tendenz führt diesen „Intellektuellen“ auf eine Irrfahrt, auf die viele andere auch gegangen sind. 5.2.4 Das verkehrte Nationalbewusstsein und Germanophilie Rekapitulieren wir: Im Jahr 1907 hatten Großbritannien und Russland auf Grund eines bilateralen Abkommens den Iran in zwei Einflusszonen aufgeteilt. MohammadAli Schah, „der ärgste Feind jeglicher Demokratie und der Konstitution”? hatte erst die volle Unterstützung Russlands gefunden, als er versprach, die Errungenschaften der Konstitutionellen Revolution rückgängig zu machen. Es war ihm gelungen, das Parlament mit Hilfe russischer Kosakenbrigaden aufzulösen.’ Nach dem Widerstand der patriotischen Revolutionäre aus verschiedenen Provinzstädten hatte der Schah allerdings am 15. Juli 1909 kapitulieren müssen. So befand sich Iran zu Beginn des Ersten Weltkrieges in einem anarchischen, verarmten und erneut von russischen und englischen Truppen besetzten Zustand.? Die unhaltbaren Zustände riefen in der Bevölkerung Hass gegen die fremden Mächte hervor und steigerten das Nationalbewusstsein. Allerdings führte dieser Nationalismus, wie es auch bei Hedayat und anderen „Intellektuellen“ der Fall war, bald zu einem neuen Chauvinismus.

Das Nationalgefühl war aber längst nicht so stark, dass die Menschen im Iran jegliche Unterordnung unter fremde Mächte abgelehnt

hätten. Sie wünschten sich jetzt eine andere Fremdmacht, die sie aus ih-

rer Lage befreien könnte.? So hegten die gegen Russland und Großbritannien aufgebrachten „Intellektuellen” große Sympathien für das Deutsche 1 2 3

4

5

Ebd. 5. 84 Alavi, a.a.O., S. 11. Ahmad Kasrawi: Tarih-e masrute-ye Iran [Geschichte der Konstitutionellen Revolution im Iran]. Tehran 1990., S. 577-637. Siehe auch Edward Brown: The Persian

Revolution of 1905-1909. Edited by Abbas Amanat. Washington DC, 1995, S. 196ff. Vgl. Jan Rypka, a.a.0. S. 343.

Dies erinnert an Hafis, der sich Timurs Herrschaft herbeiwünschte, obwohl dieser

türkischer Herkunft war. S. vorliegende Arbeit, Kapitel 2.5.3.

383

Reich - prodeutsch zu sein hatte jedoch noch einen weiteren Hintergrund: Als Kaiser Wilhelm II. 1888 an die Macht gelangt war, hatte die Phase der deutschen Orientpolitik in Verbindung mit dem Projekt eines verspateten deutschen Kolonialismus begonnen.! Das erste deutsche Generalkonsulat war 1890 in Teheran erôffnet worden. Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und dem Iran waren stetig gewachsen: In den ersten zwölf Jahren des 20. Jahrhunderts stieg der Wert der

von Persien nach Deutschland verkauften Waren von 1,3 auf 16 Millionen Reichsmark. Gleichzeitig stieg der Wert deutscher Exporte in den Iran von 800000 auf 3,7 Millionen Reichsmark an.? Die 1906 in Teheran gegriindete Schule, in der persische Jugendliche auf ein Studium in Deutschland vorbereitet wurden,? und der „Deutsche Schulverein für Persien”, waren bedeutende Einrichtungen, die das Anse-

hen Deutschlands in Persien stärkten und Deutschland einen guten Ruf

verschafften.4

Wilhelm II. wollte mit seiner Orientpolitik die islamische Welt fir

seine Politik gewinnen, darunter besonders die Osmanen, da sie in Russ-

land und Großbritannien die gleichen Konkurrenten und Feinde wie die

Deutschen hatten.

Mögen die 300 Millionen Mohammedaner [...] versichert sein, dass zu allen Zeiten der deutsche Kaiser ihr Freund sein wird.’

Mit diesem Ausspruch fand Wilhelm II. am Ende seiner Orientreise (1898) im Morgenland viel Aufmerksamkeit. Der einem Versprechen gleichkommende Satz wurde in den Sprachen der muslimischen Bevölkerungen überall, auch in Persien, verbreitet.®

Am 15. August 1914 forderte Wilhelm II. in einer Mitteilung an den Kriegsminister des osmanischen Reiches, Enver Pascha, den „Heiligen Krieg‘: 1

2 3 4 5 6

Vgl. Matthias Küntzel: Die Deutschen und der Iran; Geschichte und Gegenwart einer

verhängnisvollen Freundschaft. Berlin 2009, S. 25f. Ebd., S. 26. Ebd. Vgl. Friedrich Kochwasser: Iran und wir; Geschichte der deutsch-iranischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Herrenalb-Schwarzwald 1961, S. 90f. Matthias Küntzel, a.a.O., S. 27. Ebd.

384

Seine Majestät, der Sultan, muss die Muselmanen in Asien, Indien, Egypten, Afrika zum heiligen Kampf fürs Kalifat aufrufen.! Die Politik Wilhelms II. brachte den höchsten osmanischen Rechtsge-

lehrten im Auftrag des Sultans dazu, 1914 eine Fetwa auszurufen, die die-

sen Heiligen Krieg (Dschihad) zur Verpflichtung aller Muslime erklärte. Darin wurde allen Muslimen, die „gegen die Bundesgenossen der Osmanen, gegen

Deutschland

der Hölle“ angedroht.?

und

Österreich-Ungarn

kämpfen“,

die „Strafe

Der Theologe Prof. Richter warnte in einer von der „Gesellschaft für

Islamkunde” organisierten Veranstaltung in Berlin vor dem Dschihad, denn er sei immer schon das zweischneidige Schwert des Islam gegen die Christenheit gewesen. Er (der Dschihad) stärke das islamische Glaubensbewusstsein und könne zu einem blutigen und erbarmungslosen Guerillakrieg ausarten.? Trotz Warnungen und Kritik wie der Richters und anderer deutscher und westeuropäischer Denker? wurde die Politik vom geistigen Urheber dieses Dschihad, dem Orientalisten Max Freiherr von Oppenheim, als eine Art „Wunderwaffe” deutscher Kriegsführung angestiftet.° Diese Orientpolitik hatte auch bei den Geistlichen im Iran eine positive Resonanz. Sie überreichten dem deutschen Geschäftsträger in Teheran eine muslimische Kriegsfahne, „die den Kaiser bei all seinen Schlachten begleiten sollte.“® Derlei Zustimmung kam nicht nur von den Geistlichen, die damit durchaus mit ihrem Traditionsbewusstsein in Einklang standen, sondern auch von den so genannten „Intellektuellen“, die damit allerdings ihren traditionellen Zwang zur Unterwerfung unter einen Herrscher - dieses Mal unter den deutschen Kaiser - unter Beweis stellten. Der zoroastrische Intellektuelle und bekannte Iranist Ibrahim Pur-Dawud bezeichnete „Preußen“ nicht nur als „Vertrauten und engen Freund’, nein, Gott selbst 1 2

3 4 5 6

Wolfdieter Bihl: Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte. Wien 1975, S. 40f. Eugen Mittwoch: Deutschland, die Türkei und der Heilige Krieg. Berlin 1914, S.27f. In: Matthias Küntzel, a.a.O., S. 30.

Ebd., S. 29. Der niederländische Islamwissenschaftler Christan Snouk Hurgronje bezeichnet z.B. den deutsch-türkischen Dschihad als „Schande für die Menschheit“. Ebd., S. 30.

Ebd., S. 28f. Ebd.,S. 36. 385

habe den Deutschen das Schwert in die Hand gegeben und ihrem Kaiser Mut und das Herz eines Löwen. Er hieß den Tag der Schlacht willkommen!! Der bekannte Lyriker Adib Pisäwari dichtete 12 Elegien mit panegyrischen Versen über den deutschen Kaiser und ein Buch Kaiser (Qeysar-näme) mit 14000 Verspaaren: Môge ausgezeichnet sein der Kaiser und sein majestätisches Bestreben;

Seine Feinde môgen fecht.?

vernichtet sein durch Unheil und das Ge-

‫آفرین بر قيصر و بر همت والاش باد‬ ‫خصم او خسته جگر زین كينه و پرخاش باد‬

Des Weiteren sei Wahid Dastgerdi genannt, der ebenfalls Lobeshymnen‫‏‬ auf die Deutschen verfasste. Eines dieser Gedichte trägt den Titel „Der‫‏‬ rebellierende Derwisch“ und wurde von Derwischen in Moscheen, Basa-‫‏‬ ren und anderen Versammlungsorten in Isfahan rezitiert. Dergestalt ge-‫‏‬ lang es, das Volk gegen Großbritannien und Russland aufzuwiegeln, und‫‏‬ Sympathien für Deutschland zu 3‫‏‬ Mit eiserner Hand presst die deutsche Regierung die Kehle von Russland und Britannien. Die Streitaxt der Germanen schlägt den Kopf der Slawen. O Perser, im Gedanken an Key? und Sassaniden,? Erhebe dich, gehe an die Kriegsfront, zum Ruhme deiner Vorfahren, Ringe, wie dein Vater, um den Sieg. [...] Der Perser ist mit Germanen von der Rasse her vereint, Beide sind in der Schlacht riesenhaft und tapfer.®

W D ON

‎‫تخ‬

‫مم‬

Germanophilie dieser Art trat auch im zweiten Weltkrieg auf. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Persien besonders eng. Gottfried Hagen: Die Türkei im ersten Weltkrieg. Frankfurt 1990. S. 157ff. Adib Pisäwari: Diwan. Teheran 1983, 5.31. Übersetzung von mir.

Vgl. Arianpur: Az Saba ta Nimä, a.a.O., Bd. 2, S. 322.

vorislamischer Perserkönig. letzte vorislamische persische Dynastie. Wahid Dastgerdi: Rahäward-e Wahid. 1. Bd. Teheran 1928, 5f. Übersetzung von mir.

683

Im Jahre 1940-41 stammen 80 Prozent aller nach Iran gelieferten Maschinen aus dem Nazistaat, zwischen 1941 und 1944 kamen 100 Prozent der antiamerikanischen und antisemitischen Propaganda aus Berlin. [...] In Teheran vermehrte sich täglich die Anzahl der an Hauswände gemalten Hakenkreuze.! Adolf Hitler wurde als der „Zwölfte Imam", als der schiitische Messias,

verehrt.? mes Resa pen Iran Er wurde wie vor

Zwangsläufig musste der iranische Sympathisant des NaziregiSchah am 25. August 1941, als britische und sowjetische Trupbesetzten, zugunsten seines Sohnes Mohammad Resa abdanken. von den Alliierten nach Johannesburg ins Exil geschickt. Nach jedoch sabotierten die nationalsozialistischen Sympathisanten

unter den Iranern die alliierten Waffentransporte. Viele Iraner, unter ih-

nen Pro-Nazi-Intellektuelle und der später bekannt gewordene Dichter und einer der Gründer der persischen modernen Poesie Ahmad Shamlou, wurden von den Alliierten verhaftet.° Im gegenwärtigen Iran ist die Sympathie für jenes Deutschland immer noch vorhanden, der Politikwissenschaftler und Publizist Matthias Küntzel schreibt: Wer als Deutscher nach Iran kommt, fühlt sich zuweilen wie im falschen Film: Es kommt vor, dass man mit dem erhobenen Arm

begeistert begrüßt und an die deutsch-iranische Zusammenarbeit während der Nazizeit erinnert wird.4

Der frühere iranische Präsident HaSemi Rafsanÿäni (Amtszeit: 19891997) bezeichnete beide Völker als der arischen Rasse zugehörig’ und die Leugnung des Holocaust seitens des derzeitigen iranischen Präsidenten Ahmadinezäd liegt ebenfalls auf dieser Linie. Bruni Prasske, die als deutsche Reiseberichterstatterin im Jahre 2006

den Iran bereiste, schreibt in ihrem Buch u.a. von einer Teheraner Auto-

1

2

3 4

5

Küntzel: Die Deutschen und der Iran, S. 17 u. 21.

Ebd.Es soll hier an Hitlers Pakt mit dem arabischen Großmufti Al-Hosaini gegen

Juden erinnert. Siehe E. PaSayi: Nam-e

hame-ye Se'rhä-ye to; zendegi wa se'r-e Ahmad Shamlou

[Shamlous Vita und seine Dichtung]. Teheran 2009, S. 603f.

Küntzel, a.a.O., S. 17.

Ebd.

387

werkstatt mit Namen „Hitler“.! Die fragwürdige Sympathie ist also nach wie vor deutlich spürbar. Aus eigener Erfahrung kann ich die Sympathie für Hitler-Deutschland zwar bestätigen, muss sie aber dahingehend einschränken, dass die überwiegende Zahl der iranischen Intellektuellen das Nazi-Regime verabscheut. 5.3 Toleranz als Mittel des Orientdiskurses Hier muss zunächst erklärt werden, dass ja die Anerkennung von Verschiedenheiten und die damit verbundene Toleranz eine wichtige Errungenschaft der Aufklärung ist. Es war eine Haltung, die auch Goethe innewohnte. Seine Annäherung an den Orient und den Islam, wie bereits erklärt (Kap. 2.2), wurde auch dadurch begünstigt, dass es in Goethes Zeit keine ernsthafte Auseinandersetzung, keine Reibungspunkte wie heute zwischen dem Westen und dem Orient bzw. dem Islam gab. Goethe hatte es mithin einfacher als wir heutzutage, sich mit dem Orient oder dem Islam unvoreingenommen zu befassen. So ist er bestrebt, durch die Begegnung mit dem Orient, sich die fremde Kultur zu eigen zu machen. Diese Offenheit war einerseits Goethes eigene Geisteshaltung, andererseits versuchte er immer anderen Kulturen zu verstehen und Zugang zu ihnen zu finden. Goethe war sich dessen sehr wohl bewusst, dass der Despotismus im Orient keinen Widerspruch duldet und Mohammed „Gottes wahre Religion auf Erden durch Gewalt der Waffen” verbreitet hatte.2 Trotz dieser und anderer kritischer Betrachtungen wollte er dem Aspekt der Gewalt allein nicht alle Aufmerksamkeit widmen. Während Voltaire in seinem religionskritischen Drama Le fanatisme ou Mahomet le Prophete (1732) Mohammed als einen ,Scharlatan” und „Volksverführer“ darstellte,? ist Mohammed für Goethe ein großer Prophet. Infolgedessen findet sich in den von ihm gewählten Koran-Auszügen nur die friedliche Seite des Koran,4 während

©

‫نح‬

‫نم‬

doch in den medinischen Suren auch die Gewaltbereitschaft Moham-

Bruni Prasske: Küsse in der Moschee. Meine Reise durch den Iran. München 2007, S. 375. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz (Hg.), S. 146.

Karl Eibl: Der junge Goethe in seiner Zeit. 2. Bd., Franfurt/ M 1998, S. 738. Siehe ebd., S. 396ff.

883

meds, seine Eroberungskriege und ein drohender und unterdrückender Allah präsent sind.! Goethe versucht das Positive und Friedliche in der orientalischen Kultur herauszuarbeiten, um ein versöhnliches Verhältnis zum Orient aufzubauen. Hätte er ausdrücklich die problematischen Seiten der fremden Kultur betont, wäre es ihm nie gelungen, ein inniges west-östliches Verhältnis, wie es ihm schließlich gelang, zu schaffen. Mit seiner Offenheit dem Fremden gegenüber entdeckt Goethe schließlich in der orientalisch-despotischen Gesellschaft eine minimale Freizügigkeit, mit der er wiederum etwas Neues bilden kann, die ihm wieder neue Sichtweisen eröffnet. Es ist die orientalische Wendigkeit und Schlauheit, die ihm begegnet. Erinnern wir uns an die Fetwa-Gedichte im Divan. Der Mufti Ebusuud, oberster Richter des Schari‘at (religiöses Gesetz)

Fetwa über Hafis’ Dichtung:

schreibt in seiner

Die Gedichte Hafisens enthalten viele ausgemachte und unumstößliche Wahrheiten, aber hie und da finden sich auch Kleinigkeiten, die wirklich ausser den Gränzen des Gesetzes liegen. Das sicherste ist, diese Verse wohl voneinander zu unterscheiden [...].2 Goethe dichtete auf diese Aussage des Mufti, der sich gegenüber der Orthodoxie auf diese Weise schlau aus der Affäre gezogen und über Hafis’ Dichtung nicht den Bann gesprochen hatte: Heiliger Ebusuud, hasts getroffen! Solche Heilge wünschet sich der Dichter: Denn gerade jene Kleinigkeiten Außerhalb der Grenze des Gesetzes Sind das Erbteil wo er, übermütig, Selbst im Kummer lustig, sich beweget.? Der Mufti hat hier durch die Differenzierung eine praktische Toleranz, eine Kompromissbereitschaft gezeigt, auf die der Dichter angewiesen ist. Dies ist auch bei dem türkischen Dichter Niäzi, bekannt als Misri, der Fall,

wo der Mufti zwischen dem Dichter und seinem Werk unterscheidet und nur das Werk verbrennt. 1 2 3

Mehr dazu s. vorliegende Arbeit, Kapitel 2.2.1. Hammers Hafis-Übersetzung, S. 32.

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz (Hg.), S. 24.

389

Als Misri von der Verbrennung - trotz des harten Urteils des Mufti gegen seine Dichtung - verschont bleibt, sieht Goethe diese Ausnahme im besonderen Verhältnis des Dichters zu Gott begründet. Dass der Mufti hervorhebt,

,die Bedeutung

und

der Sinn dieser Gedichte

[sei] nie-

mand bekannt, als Gott und Misri',! hat Goethes Zustimmung gefunden.

Jede Auslegung der Gesetze in einer Weise, durch die ein Dichter der Strafe entkommtt, ist in Goethes Sinn.

Der Eins Und Das

Mufti las des Misri Gedichte, nach dem andern, alle zusammen, wohlbedächtig warf sie in die Flammen, schöngeschriebne Buch es ging zunichte.

Verbrannt sei jeder, sprach der hohe Richter, Wer spricht und glaubt wie Misri - er allein Sei ausgenommen von des Feuers Pein:

Denn Allah gab die Gabe jedem Dichter. Mißbraucht er sie im Wandel seiner Sünden,

So seh er zu mit Gott sich abzufinden.?

Goethe möchte einen Spielraum finden, in dem

beide Seiten ihr Gesicht

nicht verlieren müssen. Wie er dies im Gedicht Der Deutsche dankt, in Verbindung mit dem erwähnten Gedicht Fetwa, betont: Töten wird nicht

jenes, dies nicht heilen: / Denn das wahre Leben ist des Handelns / Ewge Unschuld, die sich so erweiset, / Daß sie niemand schadet als sich selber.?

So ist Goethe in beiden Fällen bereit, die Gesetzesübertretungen der

Dichter mit deren göttlicher Schöpfungsgabe zu erklären. Er sieht weder in der von Gott (Allah) gegebenen dichterischen Gabe noch z.B. im von den Musen eingegebenen Wahnsinn eine Gotteslästerung, wenn nur der Dichter die Verletzung des Gesetzes - selbst wenn diese einen Missbrauch nicht ausschließt - in seiner Weise mit Gott abmacht. Goethe versucht, die fremden Kulturen aus deren Sicht zu betrachten, die Eigenheit des Fremden ohne jedes Vorurteil zu erkennen. Wir täten mit-

hin gut daran, seinem Beispiel folgend, die anderen Kulturen, auch jene,

die nach den Maßstäben der Moderne nicht demokratisch sind, so zu nehmen wie sie sind. Jeder andere Umgang muss zu fatalen Fehlern führen. 1 2 3

Goethe: Sämtliche Werke. Band 3/2, FA, S. 998. Goethe: West-östlicher Divan. Weitz (Hg.), S. 24 Ebd.

390

Es geht um Anschauung, um Weltanschauung. Wer kann tolerant sein? Doch nur der, der einen Standpunkt einnimmt und von diesem Standpunkt aus das Andere anders sein lässt. Das entspricht doch im Wesentlichen dem Goetheschen Weltbild. Im Falle des Vorhandenseins eines wenn auch nur kleinen Toleranzpotentials wird es einen Dialog geben kônnen. Die Bemühungen um Verständnis und Frieden hangen dabei nicht unwesentlich von der Art des Dialogs ab, den man führen wird.

5.4 Zwiegesprache mit Friedenspotential Der aufgeklarte Denker, der Goethe war, hat seine Gesprache mit anderen, sowohl mit seinen Landsleuten als auch mit Fremden, auf beiderseitiger, durchaus auch diskursiver, kontroverser Basis geführt. Obwohl die einseitige Wirkung des Anderen auf Goethe sein Orient-Bild prägte und der Dialog im Divan nur ein imaginärer Austausch ist, besteht Goethes Kunststück darin, eine einseitige Wirkung in den Rang eines kulturellen Austausches mit einer vollkommen fremden Welt zu erheben. Ohne diesen imaginären Austausch ware kein dialogischer Handlungsrahmen im Divan môglich. Im West-östlichen Divan zeigt nicht nur die Liebe ihren beiderseitigen, gleichberechtigten und sich in dem anderen spiegelnden Charakter. Wie im Dialoggedicht zwischen Suleika und Hatem gibt es im Divan auch an anderen Stellen solcherart ,Wechselrede”, z.B. im Dialog zwischen dem Dichter und dem Schenken (in Das Schenkenbuch), der Huri (der islamischen Figur) und dem Dichter (in Buch des Paradieses), dem Dichter und dem Madchen (in Buch Suleika) u.a. Diese Gespräche sind

nicht bloße Monologe seitens des Dichters, in denen er sich präsentiert oder seine Gedanken darlegt. Die angesprochene Person (hier die Huri) ist dem Dichter ebenbürtig und inspiriert ihn sogar bisweilen mit ihren

Worten, ja, er bewundert sie für ihre lange „Rede“: Du blendest mich mit Himmelsklarheit,

Es sei nun Täuschung oder Wahrheit, Gnug, ich bewundre dich vor allen.!

1

Goethe: West-östlicher Divan. Weitz (Hg.), S. 117. 391

Die Huri ist im islamischen Paradies eine himmlische Jungfrau und zuständig

für

die

Liebesfreude

der

,tugendhaften

Mohammedaner’,

sie

spricht hier mit dem Dichter (Goethe) als gleichberechtigte Frau. Goethe hat ihr einen vollkommen anderen Charakter verliehen: Im West-östlichen Divan ist sie keine bloße passive Liebesdienerin, wie es von einer

himmlischen Jungfrau des islamischen Paradieses erwartet wird. Diese Huri diskutiert, argumentiert, philosophiert als eigenständige Persönlichkeit. In diesem von Goethe gleichberechtigt geführten Dialog zeigt nicht nur er, sondern auch die Huri Toleranz. Obgleich sie lediglich die islamischen „Helden“ und „tugendhaften Mohammedaner” pflegt, lässt sie hier

ihren Gesprächspartner, als einen Nicht-Muslim, ins islamische Paradies eingehen. Im Übrigen hat Goethe in seinem dichterisch erschaffenen Paradies eine andere Meinung als Mohammed über das Eingehen ins Paradies vertreten. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Glaubensrichtungen. Verspricht der islamische Prophet nur seinen Glaubenskämpfern das Paradies, so möchte Goethe keinen Unterschied machen. Er spricht nicht von islamischen Helden, die im Kampf für ihren Glauben gefallen sind, sondern allgemein von Menschen. Für ihn bedeutet Mensch Kämpfer zu sein: Nicht so vieles Federlesen! Laß mich immer nur herein: Denn ich bin ein Mensch gewesen Und das heißt ein Kämpfer sein.! Die Adressaten in Goethes Duodrama sind mitnichten einfache Zuhörer oder unnahbare Geliebte, sondern einander Ergänzende. Die Dialoge sind offene, beiderseitige und gleichberechtigte Gespräche, in denen die Gesprächspartner einander als Gleiche unter Gleichen und mit Respekt behandeln. Bei allem Respekt gibt indes Goethe seine kritische Haltung nicht auf. Nicht die absolute Rezeption der fremden Kultur oder das Schweigen über Unrecht bedeuten ihm Toleranz. Bei allem Respekt vor Mohammed erhebt er zugleich auch seine kritische Stimme gegen dessen Gewaltbereitschaft? und „seine Abneigung gegen Poesie’.* Ganz ausdrücklich 1 2 3

Ebd. S. 113. Siehe Ebd., S. 146. Ebd., S. 147.

392

sucht Goethe den Dialog dort, wo der große Prophet ,Fintônigkeit” und das in seiner Hand vereinigte Auslegungsmonopol Allahs zum hôchsten Maßstab erhoben hat. Wie bereits erklärt,! Goethe sieht z.B. im Übertreten religiöser Gesetze durch den Dichter nicht nur keine Gotteslästerung, für ihn ist die

Verletzung dieses Gesetzes auf eine Art Abmachung des Dichters mit Gott zurückzuführen. So unterscheidet er Grenzlosigkeit und Mannigfaltigkeit der Poesie von der Beschränktheit und Eintönigkeit der Lehre des Propheten. Goethe mit seiner aufgeklärten Auffassung spricht über das islamische Paradies mit einem ironischen Unterton. Er hat selbst in Noten zum Buch des Paradieses erklärt: „Scherz und Ernst verschlingen sich hier so lieblich ineinander." ? In dieses Paradies möchte auch er eingehen, was ihm als Ungläubigem im Divan sogar gelingt. Sehr wohl könnte dies nach der Lehre des Koran als Blasphemie bezeichnet werden. Die „Gotteslästerung“ ist auch in der neuen Charakterisierung der Huri enthalten: Nicht Gott oder ein besonderer WächterEngel, wie es der Koran lehrt, sondern die Huri selbst entscheidet, ob der Dichter/Goethe ins Paradies eingehen darf. Goethes Huri taucht als eine eigenständige Persönlichkeit auf, womit sie sich von dem Charakter und der Rolle der Frauen im Islam vollkommen unterscheidet. Wieder sei daran erinnert, dass Goethe damals so leicht und unproblematisch seiner Phantasie und seiner Auffassung von Orient und Islam Flügel geben konnte, weil es keine Reibungspunkte zwischen dem Westen, besonders Deutschland, und dem Islam gab. Goethe setzt dem Islam ein Denkmal und zugleich kritisiert er die Orthodoxie. Er nimmt Hafis auf diesem Weg als Vorbild; wie er dies im Gedicht unbegrenzt zu Hafıs sagt:

Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß, Und daß du nie beginnst das ist dein Los. Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe, Anfang und Ende immerfort dasselbe, [...] Wie du zu lieben und zu trinken Das soll mein Stolz, mein Leben sein.3

1 2 3

S. vorliegende Arbeit,Kapitel 3.1.1. Goethe: West-ôstlicher Divan. Weitz (Hg.), S. 210. Ebd., S. 25. 393

5.4.1 Toleranz und Dialog in der gegenwärtigen Situation Heute ist das Verhältnis zum Orient für den Westen nicht nur per se problematisch, es ist auch eine neue Lage durch die Anwesenheit der einge-

wanderten Orientalen, besonders der Muslime, im Westen entstanden. Wie bereits dargestellt (Kap. 5.1), sind diese Muslime entweder durch die

Kolonialpolitik der europäischen Mächte wie Großbritannien und Frankreich nach Europa eingewandert oder sie sind wie in Deutschland wegen des Mangels an Arbeitskräften aus der Türkei geholt worden. Hinzu kamen auch die Flüchtlinge aus dem ganzen Orient. Der Westen versucht, mit dieser fremden Gesellschaft, die ihre eigenen Sitten und Gebräuche hat, zurechtzukommen.

Spätestens seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York (am 11.9.2001) sind Auseinandersetzungen mit dem Fundamentalismus und die Diskussionen über die Grenze der „Toleranz“ und den ,rich-

tigen Dialog“ mit dem Islam Gegenstand des öffentlichen Diskurses in Europa und besonders auch in Deutschland. Bei jedem neuen Anlass wie den Demonstrationen und Morddrohungen aufgrund der MohammedKarikaturen des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard oder wegen des Großmoscheebaus in Köln sowie bei allen islamistischen Attentaten entzündet sich die Debatte von Neuem. In dieser Debatte ist nicht nur das Verhältnis zum Orient zu diskutieren, sondern auch der zunehmende Islamismus, besonders von im Westen lebenden Anhängern des Islam. Die Lage der Muslime bildet eine derartige Besonderheit, dass der Philosoph Michael Schmidt-Salomon von einer in Deutschland herausgebildeten „islamische Parallelgesellschaft“ spricht. Diese Parallelgesellschaft lege es darauf an, selbst die grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien zu negieren. ! All dies brachte eine neue Situation im west-ôstlichen Verhältnis hervor, besonders in Verbindung mit der Haltung gegenüber Muslimen. Trotz verschiedener Meinungen über die orientalische Kultur und besonders über den Islam sind zwei Hauptthemen immer im Diskurs: Einerseits verteidigen viele Diskutanten die Grundlagen der Demokratie und die 1

Michael Schmidt-Salomon: Repressive Toleranz. Editorial zu MIZ 1/2005. HeftSchwerpunkt: „Islamismus in Deutschland. Das Problem der falschen Toleranz“. Siehe auch www.miz-online.de.

394

historischen Errungenschaften von Humanismus, Aufklärung, Säkularisierung und vor allem der Meinungsfreiheit, andererseits meinen auch viele, dass man in seiner Meinungsfreiheit nicht die religidsen Gefühle der Muslime verletzen dürfe. Schriftsteller wie Günther Grass verwickelten sich in widerspriichliche Aussagen. Als z.B. am 14. Februar 1989

Chomeini, der damalige iranische Staats- und Revolutionsführer, eine Fetwa auf den Roman ,Die satanischen Verse’ und gegen Salman Rush-

die aussprach und ein Kopfgeld fiir dessen Ermordung aussetzte, traute sich kein deutscher Verlag, das Buch zu publizieren. Schriftsteller, unter ihnen Günther Grass, gründeten in Kooperation mit einigen Verlegern einen neuen Verlag zur Verôffentlichung der Satanischen Verse unter dem Namen ARTIKEL 19 - wie der Paragraf der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Meinungsfreiheit garantiert.! Grass, der damals zur Verteidigung der Meinungsfreiheit die Initiative ergriffen und die ARTIKEL

19-Aktion angestoßen hatte, ohne auf „Ge-

fühle der Muslime” zu achten, die sich durch Salman Rushdies Roman beleidigt fühlten, zeigte nach den Ausschreitungen in der islamischen Welt wegen der Mohammed-Karikaturen im Jahre 2006 eine vollkom-

men andere Reaktion. Er kritisierte die Karikaturen als „fundamentalisti-

sche Tat‘, bezeugte sein Verständnis für die „Verletzung der Gefühle der Muslime“ und bezeichnete die Reaktionen der Muslime, also den Mordaufruf und die Attentatsdrohung, als eine ,fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat“. Ähnliche Kritik an den zwölf Karikaturen und eine Gleichsetzung beider Seiten ist auch bei prominenten Politikern festzustellen. Fritz Kuhn z. B., der damalige Fraktionschef der Grünen, verglich die Karikaturen mit antisemitischen Zeichnungen „in der Hitler-Zeit”.3 Auch der Historiker Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, zieht Parallelen dieser Art. Seiner Einschätzung nach arbeiten die „Islamkritiker“ an ihrem „Feindbild” mit „ähnlichen Mitteln“ wie die Antisemiten des 19. Jahrhunderts, als die „Protokolle der Weisen von Zion” als „antisemitisches Pamphlet, das eine

À‫‏‬

‫زح‬

‫مم‬

jüdische Weltverschwörung belegen sollte", entstanden.

Siehe Henryk M. Broder: Im Mauseloch der Angst. Spiegel-Online, 02.01. 2010. Ebd. Ebb. Wolfgang Benz: Antisemiten und Islamfeinde, Hetzer mit Parallelen. Süddeutsche Zeitung, 04.01. 2010.

395

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins ist Gegner derartiger Reaktionen. Die Verletzung und das Leid der Muslime durch Mohammed-Karikaturen bestünde nicht darin, dass irgendein Mensch Gewalt oder echte Schmerzen erlitten hätte.! Seine Kritik richtet sich gegen den übertriebe-

nen Respekt der westlichen Gesellschaft, besonders in den USA, vor der

Religion? Die Muslime selbst nähmen keine Rücksicht auf die Verletzung der Gefühle anderer: Vielen Menschen ist auch aufgefallen, welcher Kontrast zwischen der hysterischen ,Verletztheit” der Muslime und der bereitwilligen Verôffentlichung judenfeindlicher Karikaturen in arabischen Medien besteht. In Pakistan wurde bei einer Demonstration gegen die dänischen Karikaturen eine Frau in schwarzer Burka mit einem Transparent fotografiert, auf dem stand: ,Gott segne Hitler”.

Die Debatte über den Islam im Westen lôste in deutschen Medien eine neue Auseinandersetzung aus. Kritiker des aggressiv politisierten Islam wie Henryk M. Broder fordern harte Gegenmaßnahmen des Westens gegen den Islamismus. Sie kritisieren das nachgiebige Verhalten des Westens: Broder im Vorwort seines Buches „Hurra, wir kapitulieren’:

»Fighting is no option” ist eine genaue Zustandsbeschreibung der

europäischen Konstitutionen. Es ware auch ein schénes Motto für die europäische Verfassung.? Er kritisiert polemisch, dass in Deutschland die Hisbollah, die islamische

fundamentalistische Organisation im Libanon und in Palästina, „nicht als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft” sei, obwohl „das erste und wichtigste Anliegen der Hisbollah die Zerstörung Israels“ sei. Er schreibt allerdings kein Wort über die Politik der israelischen Regierung und ihre Gewalttätigkeit gegen die genannten Länder. Auch fällt er pauschalisierte Urteile über alle in Europa lebenden Menschen mit „Migrationshintergrund”, ohne die Unterschiede zwischen den Gruppen untereinander, ihre jeweilige Situation oder ihre Beweggründe für die Emigra1

Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Ber-

2

Ebd.,S. 39.

4 5

Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren. München 2007, S. 8. Ebd. S. 10f.

3

lin 2007, S. 44.

Ebd., S. 43.

396

tion aus den Herkunftsländern zu beachten. Mit einem gewissen Sarkasmus schreibt er: Heute [...] bedeutet ,Migrationshintergrund eine Art Freifahrtschein für alle Fälle. Wer einen „Migrationshintergrund” hat, der braucht nur noch in ganz extremen Fällen einen Anwalt, zum Beispiel, wenn er einen Filmemacher auf offener Straße abschlachtet. Bei minderen Vergehen gegen Recht, Gesetz und Ordnung reicht der Hinweis auf den „Migrationshintergrund” gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit [...].' Einseitige, parteiische und fragwürdige Behauptungen machen seine bisweilen treffenden Hinweise und Argumentationen an anderen Stellen seines Buches zunichte. Genauso wie in Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab (Sommer 2010), in dem dieser alle in Deutschland lebenden Menschen mit ,Migrationshintergrund” über einen Kamm schert. Er benutzt Statistiken und Zitate nicht für einen fundierten Diskurs, son dern „alles steht im Dienst der Provokation.“ ?

Die Soziologin Necla Kelek sähe zu gerne, dass die Muslime alle Errungenschaften der Moderne, die in jahrhundertelangem Bestreben der Europäer verwirklicht wurden, auf einmal akzeptierten: Die Muslime

müssen

sich von der Scharia lösen, sie müssen den

politischen Islam ächten und sich vorbehaltlos zur Bürgergesellschaft (zu) deren Rechten und Pflichten bekennen.

Wie schwer die Positionen zu vereinigen sind, schreibt der Journalist Thomas Steinfeld, der die Islamkritiker des Westens als ,Hassprediger” bezeichnet: Wenn man aber mit den ‚westlichen Werten’ ebenso kämpferisch umgeht, wie es der radikale Islam mit seinen heiligen Schriften tut, dann verhält man sich wie der, den man sich zum Feind erkoren hat. Und schlimmer noch: Man zerstört die sozialen und mora-

lischen Einrichtungen, die man zu verteidigen vorgibt. Das liegt an der Dialektik dieser ‚Werte‘: Wer auf Toleranz beharrt, für den

1

Ebd. S. 103.

3

In: Thomas Steinfeld: Unserer Hassprediger. Süddeutsche Zeitung, 14.01.2010.

2 Vgl. Spiegel-Online, 28.08.2010.

397

kann die Toleranz nicht aufhören, wenn ein anderer nicht tolerant sein will.!

Andere wie der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Claudius Seidel, nennt die westlichen Islamkritiker dagegen ,unsere heiligen Krieger’. Im Grunde handelt es sich bei solcherart geführten Debatten um eine Auseinandersetzung „zwischen humanistisch aufklärerischer und religiös bestimmter ۵ Die derzeitige Debatte kann als Muster für zahlreiche ähnliche Auseinandersetzungen im Westen dienen. Sie enthält im Allgemeinen entweder die Forderung nach harten Maßnahmen des Westens gegen den Islamismus oder die Forderung nach absoluter Toleranz. Hier finden sich einerseits Gedanken wie Broders „Intoleranz gegen Intoleranz”,* andererseits Toleranzenthusiasmus (s. Steinfelds Definition von Toleranz) oder jene ungewöhnliche Spielart der Toleranz, wie sie der Bürgermeister von Brüssel, Freddy Thielemans, zeigt: Seine Verwaltung hat die Polizisten von Brüssel angewiesen, „während des Fastenmonats Ramadan nicht in der Öffentlichkeit zu rauchen oder zu essen, um die religiösen Gefühle der Moslems nicht zu verletzen.” ® Solche ungewöhnlichen Spielarten der Toleranz sind auch in anderen europäischen Ländern zu finden: ,In der hessischen Kleinstadt Laubach wurde der Fastenmonat Ramadan mit dem Abfeuern einer alten Ka-

none begonnen - wie es in islamischen Ländern üblich ist." Oder „in der

Niederlanden gibt es an staatlichen Schulen Klassenfahrten nur für muslimische Schüler - nach Mekka. In Italien wurde 2006 der erste Badestrand nur für Muslime eröffnet.” Ein 47-jähriger türkischstämmiger Ladengehilfe eines coop-Warenhauses in Kiel weigerte sich, in der Geträn1 2

Thomas Steinfeld: Unserer Hassprediger. Süddeutsche Zeitung, 14.01.2010. Claudius Seidl: Unsere heiligen Krieger. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,

3

Vgl. Michael Schmidt-Salomon: Repressive Toleranz. Editorial zu MIZ 1/2005. a.a.O.

5 6 7

Mut zur Intoleranz, um die westliche freiheitliche Gesellschaft zu verteidigen. Siehe Broder: Hurra, wir kapitulieren. S. 8 Ebd.,S. 18. Udo Ulfkotte: Heiliger Krieg in Europa. Wie die radikale Muslimbruderschaft unsere Gesellschaft bedroht. 2. Aufl., Frankfurt a.M. 2009, 5. 12.

4

10.01.2010.

Broder fordert, in seinem Buch Kritik der reinen Toleranz (München 2009), mehr

398

keabteilung Alkoholika in die Regale zu raumen. Ihm wurde im Marz 2008 fristlos gekündigt. Der vom DGB im Arbeitsgerichtsverfahren unterstützte Mann begründete sein Verhalten damit, dass ihm sein muslimischer Glaube jeden Umgang mit Alkohol verbiete. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass nur dann eine fristgerechte Kündigung môglich sei, wenn der coop-Konzern keinen unproblematischen Ersatzarbeitsplatz bereitstellen könne.! So wird einerseits dieserart falsche Toleranz praktiziert, andererseits verlangen manche Kritiker wie Kelek etwas in einer kurzen Zeitdauer nicht realisierbares: Necla Keleks Aufruf an jene, die sich als Muslime mit den westlichen Werten arrangieren sollen, zeigt wiederum ihre Unachtsamkeit und mangelnde Sensibilität gegenüber der Komplexität der islamischen Gesellschaft, besonders der schiitischen Seite. Muslime können sich nicht einfach auf Knopfdruck von der über Jahrhunderte verinnerlichten Religiosität und der damit verbundenen Unterwürfigkeit lösen oder einen

politischen Islam ächten. Islam und Macht bzw. „Politik“ waren von je-

her miteinander verflochten. Andererseits ist die Modernisierung der Denkweise in islamischen Ländern unter der Herrschaft der Fundamentalisten nochmals schwieriger geworden. Die Muslime, besonders die Fundamentalisten unter ihnen, haben eine grundsätzlich andere Vorstellung vom Dialog. In einem Land, in dem immer von oben herab diktatorisch regiert wurde und in dem weder Kritik noch Widerrede geduldet war, werden die Menschen nicht ohne weiteres ihre politisierten Glaubensbekenntnisse fahren lassen. Im Islam gibt es keine Unterscheidung zwischen religiôsem und öffentlichem Leben.? Es werden nicht ohne weiteres die totalitären Machthaber sich gleichberechtigt an einen Tisch setzen und beginnen,

demokratisch

zu

verhandeln

und

ihre

Wünsche

zu

diskutieren,

anstatt sie durch Repressionen durchzusetzen. Fundamentalisten kennen keinen beiderseitigen Dialog, das ist ihrer absoluten Glaubensgewissheit fremd. Das „Andere“ gilt dem Fundamentalismus als unheilig und unrecht: Was nicht wie er ist, kennt er nur als Objekt strategischer Einwirkung und nicht als Mitsubjekt für Dialog und Kooperation.’ 1 2 3

Siehe Christian Rath: Neue Chance für muslimischen Ladenhelfer, taz, 25.02.2011. Vgl. Udo Ulfkotte: Heiliger Krieg in Europa; a.a.O., S. 12. Thomas Meyer: Fundamentalismus, Aufstand gegen die Moderne. S. 173. 399

Die der Moderne innewohnende Offenheit, Mündigkeit, Gesetzmäßigkeit und die Individualität fehlt ihnen und so können die in einer religiösdespotischen Gesellschaft lebenden Menschen zwischen der individuellen Haltung eines freien Menschen im Westen und den Regierenden nicht unterscheiden: Bringt ein Einzelner aus den Westen - sei er nun Künstler, Philosoph, Soziologe oder Journalist - seine persönliche, kritische Auffassung über den Islam oder über „heilige Persönlichkeiten“ in irgendeiner Weise zum Ausdruck, zieht er/sie nicht nur den Zorn der Fundamentalisten auf sich, sondern seine Regierung und das ganze Land werden zum Ziel der Vergeltung. Die Orientalen, besonders die Menschen aus islamischen Ländern, verallgemeinern alle Werte und verbinden die individuelle Tat eines Menschen mit der ganzen Gesellschaft und deren Regierung. Derart identifiziert mit ihrem Kollektiv, können diese Menschen, besonders die Fundamentalisten die Unabhängigkeit des einzelnen Menschen im Westen von ihrem Staat oder die Unabhängigkeit einer Institution, wie z.B. der Justiz, von der Regierung nicht nachvollziehen. Das Prinzip der Gewaltenteilung, wie es dem demokratischen System zugrunde liegt, ist ihnen fremd. Der moderne Rationalisierungsprozess im Gegensatz zum geschlossenen religiösen Weltbild muss grundlegend in einer Gesellschaft Fuß fassen. Vorankommen und wachsen kann dieser erst, wenn eine Gesellschaft säkularisiert ist und die Menschen ihre Individualität entwickeln können. Sollte aus diesem Tatbestand geschlossen werden, dass eine Kommunikation und der Dialog zwischen Westen und Osten unmöglich sind? Es ist offensichtlich eine Frage des Standpunktes: Sucht man eher die Gemeinsamkeiten oder reibt man sich an den Gegensätzlichkeiten und dem unabänderlich Anderen? Im ersten Fall öffnet man eine Tür zum Fremden. Goethe konnte sich vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte den Islam öffnen. Zu seiner Zeit gab es keine Reibungspunkte zwischen zwei politischen Welten und keine Bedrohung durch Islamisten. Von daher konnte er leichter als wir heute seine Wunschvorstellung von einer Westöstlichkeit entwickeln. Er zeigte, wie eine friedliche Begegnung mit dem Orient möglich ist, auch wenn dort Despotismus herrscht. Anders als damals ist aber heute die gesellschaftliche Lage im Orient durch den Einfluss der Modernisierung nicht mehr dieselbe wie zu Zei400

ten Goethes. Anfang des 19. Jahrhunderts schufen Despotismus und Reli-

gion im Orient eine Einheit in der Lebensvorstellung,

in der alle Men-

schen mit ihren Sitten und Gebräuchen vertraut waren; heute ist keine absolute Einheit des Glaubens und der Ideen mehr gegeben. Die Säkularisierung hat, trotz des wachsenden

Fundamentalismus,

bereits begon-

nen. Was den Iran betrifft, so sind es nicht nur aufgeklarte Intellektuelle im Lande oder im Exil, sondern auch eine Minderheit oppositioneller Muslime, unter ihnen auch ehemalige enge Mitstreiter der regierenden Fundamentalisten im Iran, die für eine Säkularisierung der Gesellschaft eintreten.! Zu dieser Minderheit tritt neuerdings die so genannte ,Grüne Bewegung , die nach den Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl im Juni 2009 im Iran entstand. Dies kann vielleicht ein neuer Anfang fiir einen ergiebigen beiderseitigen Dialog zwischen Okzident und Orient werden, vorausgesetzt, dass diese Krafte mobilisiert und unterstiitzt wiirden. Auch dürfte der Westen nicht nur an wirtschaftlichem Profit orientiert bleiben, sondern sollte, wie einst Goethe, das Fremde auf kultureller Basis und humanistischer Grundlage erfassen und sein Handeln danach ausrichten.

1

Mehr über die Meinung solcher ,moslemischen Reformisten” siehe Katajun Amirpur: Unterwegs zu einem anderen Islam. Texte iranischer Denker. Ausgewahlt, übersetzt und kommentiert von K. Amirpur. Freiburg-Basel-Wien 2009. 401

Literaturverzeichnis

1. Primärliteratur Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben; Dichtung heit. Hrsg. von Klaus-Detlef Müller. In: Sämtliche Werke, gebücher und Gespräche. Bd. 1/14, Frankfurt a.M. 1986. Goethe: Aus meinem Leben; Dichtung und Wahrheit. Mit einem von Peter Goldammer. Berlin/Weimar 1984. Goethe: Briefe. Auswahl und Einfiihrung von Walter Flemmer. 1961.

und WahrBriefe, TaNachwort Miinchen

Goethe: Briefe der Jahre 1786-1814. Einführung u. Textüberwachung v. Hans Jörg Ostertag. In: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Bd. 19, Zürich 1949. Goethe: Briefe der Jahre 1814- 1832. Einführung, Zusammenstellung u. Textüberwachung v. Christian Beutler. In: Goethe; Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Bd. 21, Zürich 1951. Goethe: Briefe, Oktober 1828-Juni 1829. In: Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. IV. Abteilung, Bd. 45, Weimar 1908. Goethe: Campane in Frankreich, Belagerung von Mainz, Reiseschriften. Hrsg. von Klaus-Detlef Müller. In: Goethe; Sämtliche Werke, Briefe,

Tagebücher und Gespräche. Bd. I, 16, Frankfurt a. M. 1994. Goethe: Die Leiden des jungen Werther. Reclam, Stuttgart 2001. Goethe: Dramen 1791-1832. Band I, 6. Hrsg. v. Dieter Borchmeyer u. Peter Huber. Frankfurt a. M. 1993. Goethe: Gedichte 1756-1799. Hrsg. von Karl Eibl. Sonderausgabe zu Johann Wolfgang Goethes 250. Geburtstag. Frankfurt/M 1998 Goethe: Gedichte 1800-1832. Hrsg. von Karl Eibl. Sonderausgabe zu Johann Wolfgang Goethes 250. Geburtstag. Frankfurt/M 1998. Goethe: Gedichte und Epen. West-östlicher Divan. In: Goethes Werke. Bd. 2, Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz. Hamburger Ausgabe. 9. Aufl. München1972. Goethe-Handbuch: Bd. 1 (Gedichte). Hrsg. von Regine Otto und Bernd Witte. Stuttgart/Weimar 1996. 402

Goethe-Handbuch:

Bd.

2 (Dramen).

Hrsg.

von

Theo

Buck.

Stuttgart

/

Weimar 2004. Goethe-Handbuch: Bd. 4/2 (Personen, Sachen, Begriffen). Hrsg. von HansDietrich Dahnke u. Regine Otto. Stuttgart / Weimar 1998. Goethe: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Anmerkungen von Joachim Angst u. Fritz Hackert. Reclam, Stuttgart 1993. Goethe: Italien im Schatten der Revolution. Hrsg. von Karl Eibel. In: Goethe; Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vom 3. September 1786-12 Juni 1794, Band 2/3, Frankfurt a.M. 1991. Goethe: Italienische Reise. Teil 1. Hrsg. von Christoph Michel u. HansGeorg Dewitz. In: Samtliche Werke, Briefe, Tagebiicher und Gesprache. Bd. 15/1, Frankfurt a.M. 1993. Goethe: Napoleonische Zeit. Teil ‎‫لآ‬: von 1812 bis zu Christianes Tod. Hrsg. von Rose Unterberger. In: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gesprache. Bd. 2/7, Frankfurt a.M. 1994. Goethe: Tag- und Jahreshefte. Hrsg. v. Irmtraut Schmid. In Goethe; Sämtliche Werke. Bd. I/17, FA, 1994.

Goethes wichtige Äußerungen Textkritisch

durchsehen

über „Weltliteratur.“ In: Goethes

von

Werner

Weber

u.

Hans

Werke. Joachim

Schrimpf. Bd. 12, Hamburg 1963, S. 361-364. Goethe: West-östlicher Divan. Hrsg. und erläutert von Ernst Beutler. Unter Mitwirkung von Hans Heinrich Schaeder. Leipzig 1943. Goethe: West-östlicher Divan. Hrsg. und erläutert von Hans-J. Weitz. Mit Essays zum „Divan von Hugo von Hofmannsthal, Oskar Loerke und Karl Krolow. 8. Auf., Frankfurt a.M. 1988. Goethe: West-östlicher Divan. Hrsg. von Michael Knaupp. Mit 9 Abbildungen. Reclam, Stuttgart 2000. Goethe: West-östlicher Divan. Hrsg. von Hendrik Birus. In: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Bd. II, 3/2, Frankfurt a.M. 1994.

Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahren. Hrsg. von Gerhard Neumann u. Hans-Georg Dewitz. In: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Bd. 1,10, Frankfurt/M 1989. Goethe: Zur Farbenlehre. Hrsg. v. Manfred Wenzel. In: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Bd. I, 23/1, Frankfurt a. M. 1991. Hafis, Mohammed Schamsed-din: Der Diwan. Aus dem Persischen von Joseph von Hammer-Purgestall. SZ, Münschen 2007.

403

Hafis, Mohamed Schemsed-din: Der Diwan des großen lyrischen Dichter Hafis im persischen Original herausgegeben, ins Deutsche metrisch übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau. 3 Bande, Wien 1858-1864.

Hafis: Die Ghaselen des Hafis: Neu in deutsche Prosa übersetzt, mit Einleitung und Lesehilfen von Joachim Wohlleben. Würzburg 2004. Hafis: Die Lieder des Hafiz. Persisch mit dem Commentare des Sudi. Hrsg. von Hermann Brockhaus. 3Bde. Leipzig 1854-1861. Hafis: Diwan-e 1983.

Hafez.

Hrsg. von

Parwiz

Nâtel

Hänlari.

2 Bde. Theran

Hafis: Diwan-e Hage Hafez-e Sirazi. Hrsg. v. Abolgäsem Anÿawi Sirazi. Teheran 2007. Hafis: Diwan-e Hage Sams ad-Din Mohammad

Hafez-e Sirazi. Hrsg von

Mohammad Qazwini u. Qäsem Gani. Teheran 1941.

Hafis: Eine Sammlung persischer Gedichte; nebst poetischen Zugaben aus verschiedenen Ländern und Völkern. Übertragen von Georg Friedrich Daumer. Jena 1912.

Hafis, Muhammad Schams ad-Din: Ghaselen aus dem Diwan. Übertragung von Friedrich Rückert. Einführung von Annemarie Schimmel. Bonn 2004.

Hafis: Gasalhä-ye Häfez. [Erste Handschrift von Hafis’ Ghaselen aus Hafis’ Lebenszeit]. Hrsg. von Ali Ferdusi. Teheran 2008. Hafis: Gedichte aus dem Diwan. Ausgewählt und hrsg. v. Johann Christoph Bürgel. Reclam, Stuttgart 1998. Hafis: Gedichte aus dem Diwan. Eingeleitet, übertragen und kommentiert von Rolf-Dietrich Keil. Düsseldorf u. Köln 1957. Hafis: Liebesgedichte. Übertragung von Cyrus Atabay. Mit einem Nachwort von Kurt Scharf. Frankfurt a.M. 1986. 2. Sekundärliteratur Adorno, Theodor W.: Kulturkritik und Gesellschaft.(Gesammelte Schriften 10.1). Hrsg. von Ralf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1977. Ahundzädeh, Fath ’Ali: Maktubät-e Kamäl ad-Dole. Hrsg. von Hämed Mahmudzäde. Baku 1985. Aischylos: Die Perser. Übersetzung und Nachwort von Emil Staiger. Stuttgart 1993. 404

Ajoudani,

Ma3ä ۱۱۵:

Masrute-ye

,welayat-e fagih” [iranische

iräni wa pis-zamineha-ye

konstitutionelle

nzariye-ye

Revolution...].

London

1997.

Ajoudani, ۷۵52 ۱۱28: ۲۵ marg ya taÿaddod - dar 56۲-0 adab-e masrute [Persische Lyrik und Prosa in der konstitutionellen Revolution]. Teheran 2003. Alavi, Bozorg: Geschichte u. Entwicklung der modernen persischen Literatur: Berlin 1964. Amirpur, Katajun: Unterwegs zu einem anderen Islam. Texte iranischer Denker. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Katajun Amirpur. Freiburg-Basel-Wien 2009. Arberry, A. J.: Fifty Poems of Hafiz. Text and Translations collected and made, introduced and annotated by A.J.A. Cambridge 1947. Arianpur, Yahya: az Saba ta Nima [die Geschichte der modernen persischen Literatur]. Teheran 1978.

Arnold, Heinz Ludwig u. Heinrich Detering (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. 2. Aufl. München 1997. Ashouri, Dariyoosh: Hasti-Senäsi-ye Hafez. Erfan wa rendi dar Se'r-e Hafez (Mystik und rendi in Hafis’ Dichtung). Tehran 2005. Assmann, J.: Ägypten - eine Sinngeschichte, München-Wien 1996. Atabay, Cyrus (Ubersetzer): Die schénsten Gedichte aus dem klassischen Persien. München 1998.

‘Attar, Farid ad-Din: Manteg at-Teyr. Hrsg. von M. R. Safi’i Kadkani. 4. Aufl. Teheran 2008.

‘Attar, Farid ad-Din: Mohtär-näme (roba'iyat). Hrsg. u. Vorwort von MR.

Safi’i Kadkani.Teheran 1979.

‘Attar, Farid ad-Din: Musibatname. Ed. N. Wesäl. Teheran 1959.

‘Attar, Farid ad-Din: Tazkarat al-Olia‘. Hrsg. von Reynold A. Nicholson. Leaden 1905. Augustinus, Aurelius: Der Gottesstaat. In dt. Sprache von Carl Johann Perl. 2. Aufl. Salzburg 1966. Bahar, Mohammad-Taqi: Sabk-Senäsi [Stilistik (persischer Literatur)]. 3 Bde. 5. Aufl., Teheran 1990. Balay, Christophe: La Genese du Roman Persan Moderne. Paris 1998. Übersetzung ins Persische (Pedäyeë-e romän-e färsi) von Mahwash Ghavimi u. N. Khattate. Teheran 1999.

405

Balay, Christophe et Michel Cuypers: Aux sources de la Nouvelle Persane.

Paris 1983.Übersetzung ins Persische v. Ahmad Karimi Hakkak. Te-

heran 1987. Barthes, Roland: Le bruissement de la langue. Paris 1984. Deutsche Fassung: Das Rauschen der Sprache. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt, 2005

Baumann, Barbara u. Oberle Birgitta: Deutsche Literatur in Epochen. 2. Aufl. Ismaning 1996. Behzad, Faramarz: Adam Olearius, Persianisches Rosenthal’. Untersuchun-

gen zur Übersetzung von Saadis ,Golestan’ im 17. Jahrhundert. Göttingen 1970.

Behzad,

2002.

Faramarz:

Deutsch-Persisches

Worterbuch.

Teheran/

Bamberg

Behzad, Faramarz u. J. Ch. Bürgel u.a. (Hg. u. Ubersetzer): Moderne Erzähler der Welt - Iran. Tübingen-Basel 1978. Bellinger, Gerhard J.: Knaurs Lexikon der Mythologie. Augsburg 2002. Benz, Wolfgang: Antisemiten und Islamfeinde, Hetzer mit Parallelen. Süddeutsche Zeitung, 04.01.2010. Beutin, Wolfgang u. a.: Deutsche Literaturgeschichte; Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Metzler, Stuttgart-Weimar 2001. Beutler, Ernst: Goethes Divangedicht ,Vermächtnis Altpersischen Glaubens”. In: Edgar Lohner (Hg.): Interpretation zum West-ôstlichen Divan Goethes. Darmstadt 1973, S. 55-71. Bihl, Wolfdieter: Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte. Wien 1975. Birus, Hendrik (Hg.): Hermeneutische Positionen: Schleiermacher, Dilthey,

Heidegger, Gadamer. Hrsg. u. eingeleitet v. H. Birus. Göttingen 1982. Biti, Vladimir: Literatur- und Kulturtheorie. Ein Handbuch gegenwärtiger Begriffe. Rowohlts Enzyklopädie. Hrsg. von Burghard König. Reinbek bei Hamburg 2000. Blessin, Stefan: Der ultimative Goethe. Unter Mitwirkung von Horst Janssen. Bremen 2009.

Blessin, Stefan: Die Romane Goethes. Königstein/Ts. 1979. Blessin, Stefan: Goethes West-östlicher Divan und die Entstehung der Welt-

literatur. In: Westöstlicher und nordsüdlicher Divan; Goethe in interkultureller Perspektive. Hrsg. von Ortrud Gutjahr. Paderborn, München u.a. 2000. S. 59-71. Bodenstedt, F. : Der Sänger von Schiras. Hafisische Lieder. Versdeutsch durch F. B., Berlin 1877. 406

Borne, Ludwig: Goethes Divan. In: Bôrne; Nachgelassene Schriften. Hrsg. von den Erben des literarischen Nachlasses. Bd.4, Mannheim 1874, S. 114-124.

Borne, Ludwig: Schriften zur deutschen Literatur. Hrsg. u. mit einer Einleitung von Walter Dietze. Reclam, Leipzig 1987. Bohnenkamp, Anne: „Den Wechseltausch zu befördern.” Goethes Entwurf einer Weltliteratur. In: Goethe: Ästhetische Schriften 1824-1832. Über Kunst und Altertum V-VI, Bd. 1.22. Hrsg. von Anne Bohnenkamp. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt a. M.,1999, S. 937-964.

Borger, Rykle: Der Kyros-Zylinder. In: Otto Kaiser (Hr.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. 1 - Alte Folge -, Gütersloh 1985, S. 407-410.

Bosse, Anke: Meine Schatzkammer füllt sich täglich... Die Nachlassstücke zu Goethes >West-östlichem Divan< Dokumentation - Kommentar. 2 Bde, Göttingen 1999. Bosse,

Anke:

„Reisender“

und „Handelsmann“

in Sachen

Orientalischer

Poesie- zu einer Handschrift aus Goethes Nachlass zum West-östlichen Divan.

In: Jochen

Golz

(Hg.):

Goethes

furt/M u. Leipzig 1999. S. 112-128.

Morgenlandfahrten.

Frank-

Boyce, Marry: A History of Zoroastrianism II, Leaden 1982.

Boyce, Mary: Zoroastrians, Their Religious Beliefs and Practices. London, New York 2001. Brockhaus-Enzyklopädie: Bd. 5, 19. Aufl. Mannheim 1986. Brockhaus, Hermann (Hg.): Die Lieder des Hafiz. Persisch mit dem

Commentare des Sudi. 3 Bde. Leipzig 1854-1861. Broder, Henryk M.: Hurra, wir kapitulieren. München 2009. Broder, Henryk M. : Kritik der reinen Toleranz. München 2009. Broms, Henri: Two Studies in the Relation of Hafiz and the west. Helsinki 1968.

Brosius, Maria: The Persian; An Introduction. London, New York. 2006. Brown, Edward Granville: The Persian Revolution of 1905-1909. Edited by Abbas Amanat. Washington DC. 1995. Brown, Edward G.: A Literary History of Persia. Volume II: The Tartar Dominion (1265-1502). Cambridge 1969. Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart 1999.

Bürgel, Johan Christof: Drei Hafis-Studien. Frankfurt 1975.

407

Bürgel, Johan Christof: Hafis, Zarathustra, Goethe. Intuition, influence, intertextualité. Colloqium Halvetcum, 26, 1997, S. 51-70.

Bürgel, Johan Christof: Platen und Hafis. In: August Graf von Platen; Leben, Werk, Wirkung. Hrsg. v. Hartmut Bobzin u. Gunnar Och. Padaebon/München u.a. 1998, S. 85-102.

Burdach, Konrad: Goethes West-ôstlicher Divan in biographischer und zeitgeschichtlicher Beleuchtung. In: Edgar Lohner (Hg): Studien zum West-ôstlichen Divan Goethes. Darmstadt 1971. Burger, Heinz Otto (Hg.): Annalen der deutschen Literatur. Stuttgart 1952. Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. 2. Aufl. Stuttgart 1990.

Daumer, G. Fr.: Hafis, eine Sammlung persischer Gedichte; nebst poetischen Zugabe aus verschiedenen Ländern und Völkern. Jena 1912. Dawkins, Richard: Der Gotteswahn. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Berlin 2007. Del Giudice,

Marguerite:

Goldenes Persien; Die Geheime

Seele des Iran.

National Geographic. September 2008. Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Nach der deutschen Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 1970. Dill, Christa: Wörterbuch zu Goethes West-östlichem Divan.Tübingen 1987.

Dilthey, Wilhelm: Die Einbindungskraft des Dichters. Bausteine für eine Poetik. In: Dilthey; Gesammelte Schriften. Bd. 6, zweite Hälfte: Abhandlungen zur Poetik, Ethik und Pädagogik. Leipzig/Berlin 1924. Dilthey, Wilhelm: Goethe und die dichterische Phantasie. In: Dilthey; Das Erlebnis und die Dichtung: Lessing , Goethe, Novalis, Hölderlin. Hrsg. Von Rainer Rosenberg. Reclam, Leipzig 1988. S. 147-221. Doustkhah, Jalil: Avesta. 2 Bände. Teheran 1991. Drodowiski, Günther u.a.(Hg): Duden- Deutsches

Universal

Wörterbuch.

Mannheim 1983. Dustdar, Aramesh: Derahsesha-ye tire (Lumieres sombres). 2. Aufl., Paris 1999.

Dustdar, Aramesh: Emtena -e taffakkor dar fahang-e dini (L'impossibilité de penser dans la culture religieuse). Paris 2004. Eckermann, Johann Peter: Gespräch mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hrsg. v. H. H. Houhen. Achte Originalaufl., Leipzig 1909. Ehlich, Konrad: Eichendorffs Incognito [Sprachfelder im Gedicht Lockung von Eichendorff]. Wiesbaden 1997. 408

Ehlich, Konrad & Jochen Rehbein: Sprachliches Handeln, Modelle-ListenDiagramme. Düsseldorf/Bochum 1978.

Eibl, Karl: Der Junge Goethe in seiner Zeit. 2 Bde. Franfurt/ M 1998. Eickhôlter, Manfred: Die Lehre vom Dichter in Goethes Divan. Hamburger

philologische Studien, Bd. 60, Hamburg 1984. 1001 Nacht: Persische Fassung. Hrsg. v. Jalal Sattari.

6 Bande. [Spänga ]

1995.

Engelmann, Peter (Hg.); Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1990.

Esfahani, Mirza Habib (Ubers.) Sargozast-e Hagi Baba Esfahäni von James Morier. Vorwort u. Hrsg. von Mohammad ‘Ali Gamälzädeh. Teheran 1969.

Fahr al-Zamäni Qazwini, Abd al-Nabi: Tazkare-ye meyhäne. Tehran 1961. Falaki, Mahmood: Fremdheit in Kafkas Werken und Kafkas Wirkung auf die moderne persische Literatur. München 2005. Falaki, Mahmood: Negahi be $e’r-e Nima [Interpretation Nima, des Gründers der modernen persischen Poesie]. Teheran 1994. Falaki, Mahmood: Nogtehä [Die Punkte - Gesammelte Essays]. Hamburg 1996. Falaki, Mahmood:

Solouk-e se’r (Poetics and Textual Criticism). Teheran

1999.

Farrohi Sistäni, Abolhassan: Diwan. Hrsg. von Dabir Siäqi. 2. Aufl. Teheran 1970.

Farzane, M. F.: ASenayi ba Hedayat [Bekanntschaft mit Sadegh Hedayat]. Teheran 1993. Ferdowsi, Abu 1-Qäsem: The Shahnameh (Book of King). Edited by Djalal Khaleghi-Motlagh. With an introduktion by Ehsan Yarshater. 5 Bände. New York 1988-1997. Fink, Gonthier-Louis: Weltbürgertum und Weltliteratur. In: Klaus Manger: Goethe und die Weltkltur. Heidelberg 2003, S. 173-180. Fragner, Bert G.: Persische Memoirenliteratur als Quelle zur neueren Geschichte Iran. Wiesbaden 1979. Friedenthal, Richard: Goethe - Sein Leben und seine Zeit. Stuttgart-Hamburg 1963. Frye, Richard N.: The History of Ancient Iran. München 1984. Galling, Kurt : Die Proklamation des Kyros in Esra 1. In: Kurt Galling; Studien zur Geschichte Israels im persischen Zeitalter. 3. Aufl. Tübingen 1979, S. 61-77.

409

Gami, Abdur Rahman: Nafahat al-Uns. Hrsg. v. M. Tauhidipur. Teheran 1957. Gani, Qäsem: Bahs dar äsär wa afkär wa ahwäl-e Hafez [Kommentar

Hafis’ Werken und seiner Lage]. 3 Bände. Teheran 2007.

Gersdorff, Dagmar

von: Marianne

zu

von Willemer und Goethe, Geschichte

einer Liebe. Frankfurt a.M. u. Leipzig 2003. Gershevitch, Ilya (Editor): The Cambridge History of Iran. Volume 2: The Median and Achamenian Periods. Edited by Ilya Gershevitch. Cambridge University Press. Cambridge u.a. 1985. Gierlich, Gabriele: Prunk und Pracht der Großkönige. Das Persische Weltreich. Die HTML-Version der Datei http://www.germany-iran.com. Abschnitt Perser und Agypter, S. 27- 31. Glaser, Hermann, J. Lehmann u. A. Lubos: Wege der deutschen Literatur. Eine geschichtliche Darstellung. Berlin 1997. Goharin, Sadeq: Farhag-e logät wa ta‘birat-e masnawi-ye Rumi [Wörterbuch zu Rumis Mystik]. Teheran, 1958.

Golz, Jochen (Hg.): Goethes Morgenlandfahrten; West-ôstliche Begegnung. Frankfurt /M 1999.

Goneyd Sirazi: Sad al-Azar. Hrsg. v. Mohammed

Qazwini u. ‘Abbas

Eqbal. Teheran 1949. Graf, Gunter: Literaturkritik und ihre Didaktik. Modelanalysen zur Wertungspraxis. Miinchen 1981. Greiner, Ulrich: Toleranz fir die Intoleranz. Die Zeit, 28.01.2010. Grewendorf, Giinther u. Georg Meglle: Linguistik und Philosophie. Weinheim 1995. Gutjahr, Ortrud (Hg.):

Westôstlicher und nordsüdlicher Divan; Goethe in

interkultureller Perspektive. Paderborn, Miinchen u.a. 2000. Habermas, Jürgen: Die Moderne - ein unvollendetes Projekt. Philosophischpolitische Aufsätze 1977-1990. Leipzig 1990. Hagen, Gottfried: Die Türkei im ersten Weltkrieg. Frankfurt 1990. Hammer-Pugstall, Joseph (Hg.): Fundgruben des Orients. Bearbeitet durch eine Gesellschaft von Liebhabern. Auf Veranstaltung des Herrn Grafen Wenceslaus Pzewusky. Bd.2 (1811), Bd. 3, Wien 1813.

Hammer-Purgstall, Joseph: Geschichte der schénen Redekünste Persiens, mit einer Blüthenlese aus zwey hundert persischen Dichtern. Wien 1818. Handmir,

Giyäs

ad-Din:

Tarih-e Habib

al-Siar. Fi ahbar afrad-e

baÿar.

Hersg. V. Mohammad Dabir.Siaqi. 3 Bande. 2. Aufl. Teheran 1974.

410

Hedayt, Sadeq: Buf-e kur [Die blinde Eule]. Köln Hedayat, Sadeq: Die blinde Eule. Übersetzung Deutsche von Bahman Nirumand. Frankfurt Hedayat, Sadegh: Maziyär. Hrsg. von Mogtabä 1977.

1988. aus dem Persischen ins a.M. 1997. Minawi, 2. Aufl. Teheran

Hedayat, Sadegh: Se gatre hun [Drei Tropfen Blut]. Stockholm 1988. Hedayat, Sadegh: Zende be-gur [Lebendig begraben]. Teheran 1963. Hein, Edgar (Interpret): Die Leiden des jungen Werther. Oldenburg Interpretationen. München 1997. Heine, Heinrich: Werke. Bd.2: Reisebilder, erzählende Prosa, Aufsätze. Hrsg. von Wolfgang Preisendanz. Frankfurt a. M. 1968. Heintz, Günter: Franz Kafka- Sprachreflexion als dichterische Einbildungskraft. Würzburg 1983. Heintz, Günter(Hg.): Interpretationen zu Franz Kafka. Stuttgart 1979. Herawi, Hossein-‘Ali: Sarh-e gazalhä-ye Hafez [Kommentar zu den Ghaselen des Hafis]. In 4 Banden. 7. Aufl. Teheran 2007.

Herder, Johann Gottfried: Briefe zu Beforderung der Humanität. Hrsg. v. Hans

Dietrich

Irmscher.

In: Herder;

Werke.

Bd.

7, Frankfurt

a.M,

1991.

Herodot: Neun Bücher zur Geschichte. Neue überarbeitete Ausgabe nach der Übersetzung von Ch. Bahr (Berlin-Schöneberg 1898). Mit einer Einleitung von Lars Hoffmann. Wiesbaden 2007. Heynacher, Max (Hg.): Goethes Philosophie aus seinen Werken. 2. Aufl. Leipzig 1922.

Hirschberger, Johanes: Geschichte der Philosophie. 80.11: Neuzeit und Gegenwart. Freiburg 1960. Hoffmann, Birgitte: Persische Geschichte 1694- 1835, erlebt, erinnert und erfunden. Berlin 1986. Hogwiri, Abu'l-Hassan: Kasf al-Mahgub. Hrsg. von Valentin Schukovski. Leningrad 1926. Homayuni, Sadeq: Ta ziye dar Iran [Passionsspiel im Iran]. Teheran 1989. Horkheimer, Max und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragment. Hrsg. von Rolf Tiedemann. In: Adorno; Gesammelte Schriften. Bd. 3, Frankfurt a.M. 1981. Horn, Christoph: Augustinus. Beck'sche Reihe, Denker. München 1995. Horramsähi, Bahä ad-Din: Hafez-name [Kommentar zu den Ghaselen des Hafis]. 16. Auf., Teheran 2006.

411

Horramsähi, Bahä ad-Din and Elr: Hafez’s Life and Times. In: Encyclopedia Iranika. Edited by Ehsan Yarshater. Volume XI, New York, N.Y. 2003. S. 465-469.

Horramëähi, Bahä ad-Din and Elr: Printed Editions of the Divan of Hafez. In: Encyclopedia Iranika. Edited by Ehsan Yarshater. Volume XI, New York, N.Y. 2003. S. 479-483. Human, Mahmud: Hafez. 4. Aufl. Teheran 1978.

Ibn ‘Arabi: Fosus al-Hekam. Ubertragung von Arabischen ins Persische von Mohammad-Ali Mowwahed. Teheran 2006. Ileri, Esin: Goethes >West-östlicher Divan< als imagindre Orient-Reise. Sinn und Funktion. Frankfurt a. M 1982. Immermann, Karl Leberecht: Gedichte. Stuttgart u. Tübingen 1830 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens; Theorie ästhetischer Wirkung.München 1976. Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. 2. Aufl. Konstanz 1969. Jeßling, Benedikt, B. Lutz u. I. Wild (Hg.): Metzler Goethe Lexikon. Stutt-

gart-Weimar 1999.

Jones, William: Poeseos Asiaticae Commentariorum: Libri Sex. London 1773. Junker, Heinrich F.J. und B. Alavi: Persisch-Deutsches Wörterbuch. 1984. Kaiser, Otto (Hr.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd.1 - Alte

Folge -, Giitersloh 1985. Kafka, Franz: Das Schloß. Hrsg. von Max Brod. Frankfurt a. M. 1983. Kafka, Franz: Der Prozess. Hrsg. von Max Brod. Frankfurt a.M. 1946. Kafka, Franz: Sdmtliche Erzählungen. Hrsg. von Paul Raabe. Frankfurt a. M. 1970.

Kafka, Franz: Tagebticher 1910-1923. Hrsg. von Max Brod. Frankfurt a. M. 1954.

Kasrawi, Ahmad: Tarih-e masrute-ye Iran [Geschichte der Konstitutionellen Revolution im Iran]. 15.Auf. Teheran 1990. Katuzian, Homayun:

Mossaddeq

und nabard-e qodrat im Iran [Mossddeq

and fight of power in Iran]. Ubersetzung ins Persische von Ahmad Taddayon. Teheran 1992. Katuzian, Homayun: Sadegh Hedeyat - az afsane ta waghe ۱۷۵۶ Teheran 1993, S. 172.

Khuon, Ernst von (Hg): Chronik der Deutschen. Braunschweig 1983 .

412

Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 24. Aufl. Berlin 2002. Kochwasser, Friedrich: Iran und wir; Geschichte der deutsch-iranischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Herrenab- Schwarzwald 1961. Konzelmann, Gerhard: Allahs Schwert. Der Aufbruch der Schiiten. 2. Aufl. München/Berlin 1989. Koran (der): Übersetzung ins Deutsche von Rudi Paret. 7. Aufl., StuttgartBerlin-Köln 1996. Koran (der): Ubertragung ins Deutsche von Lazarus Goldschmidt. Berlin 1920.

Koran (gorän): Zweisprachige Ausgabe (Arabisch-Persisch). Übersetzung ins Persische von Bahä ad-Din Horramsähi. 6. Aufl., Teheran 2007.

Korff, H. A.: Die Liebesgedichte des West-östlichen Divans. 2. Aufl., Stuttgart 1949. Krusche, Dietrich: Literatur und Fremde - Zur Hermeneutik kulturräumli-

cher Distanz. München 1985. Krusche, Dietrich: Zeigen im Text. Anschauliche Orientierung in literarische Modellen von Welt. Würzburg 2001. Küntzel, Mattias: Die Deutschen und der Iran; Geschichte und Gegenwart

einer verhängnisvollen Freundschaft. Berlin 2009. Kurz, Susanne: Die Hafezliteratur in deutscher Sprache 1971 bis 1998 - ein bibliographischer Überblick. In: Festschrift Iradj Khalifeh-Soltani zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Susanne Kurz. Aachen 2002, S. 113-136. Lamb, Harold: Omar Chajjam. Das abenteuerliche Leben des persischen Dichter und Astronomen. Aus dem Englischen von Dagoberti v. Mikusch. Leipzig 1939. Lentz, Wolfgang: Goethes Beitrag zur Erforschung der iranischen Kulturgeschichte. Sonderdruck aus Saeculum VIII , Heft 2/3. Köln 1957, S. 180-189.

Lentz, Wolfgang:

Goethes Divan und Hafisforschung. In: Edgar Lohner

(Hg.); Studien zum West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt

1971,

S. 190-220.

Lentz, Wolfgang: Goethes Noten und Abhandlungen zum west-östlichen Divan. Hamburg 1958. Lescot, R.: Essai d'une chronologie de l'oeuvre de Hafiz. Bulletin d’etudes orientales. T. 10. Beirut 1944. Lewis, Franklin: Hafez and Rendi. In: Encyclopedia Iranika. Edited by Ehsan Yarshater. Volume XI, New York, N.Y. 2003. S. 483-491. 413

Litten, Wilhelm: Drama in Persien. Mit einem Geleitwort von Friedrich Rosen. Berlin/Leipzig 1929. Lohmeier, Dieter (Hg.): Mit Carsten Niebuhr im Orient. Zwanzig Briefe von der Arabischen Reise 1760-1767. Hrsg. u. erläutert von D. Lohmeier. Heide 2011. Lohner, Edgar (Hg.): Interpretation zum West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt 1973. Lohner, Edgar (Hg.): Studien zum West-östlichen Divan Goethes. Darmstadt 1971. Mahbubi Ardakäni, Hossein: Tärih-e mo’asesat-e tamadon-e gadid dar Iran

[Die

Geschichte

der

Institutionen

der

neuen

Zivilisation

im

Iran]. 2. Bd., Teheran 1975. Manger, Klaus: Goethe und die Weltkultur. Heidelberg 2003. Maräge’i, Zeynol’äbedin: Siahatnäme-ye Ebrahim Beyg [Reisetagebuch von Ebrahim Beyg].Teheran 1977. Maëkur, Gawad: Tarih-e iran-zamin [Geschichte des Iran]. Teheran 1994. Max, Frank Rainer u. Christine Ruhrberg (Hg.): Reclams Romanlexikon.

Deutschsprachige erzählende Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Stuttgart 2000.

Mecklenburg, Norbert: Das Mddchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft. München 2008. Mehring, Franz: Deutsche Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Berlin 1973.

Melzer, U.V. und V.R.v. Rosenzweig: Rumi- Nie ist wer liebt allein. Mystische Liebeslieder. Graz 1994. Merkelbach, Reinhold: Mithras. Ein persisch-rômischer Mysterienkult. Wiesbaden 1998. Meybodi, Raëid ad-Din A.: Kasf al-Asrar [Enthüllung der Geheimnisse]. 11. Aufl. Ausgewählt und hrsg. von Rezä Anzäbinezäd. Tehran 2006. Meyer, Thomas: Fundamentalismus, Aufstand gegen die Moderne. Reinbek bei Hamburg 1991. Mittwoch, 1914.

Eugen:

Deutschland,

die Türkei und der Heilige Krieg. Berlin

Mo’in, Mohammad: Farhang-e färsi [Persisches Wörterbuch]. 6 Bde. Teheran 1963-1973. Mohr, Reinhard: Peinlicher Aufklärungsunterricht. Spiegel-Online, 15.01. 2010.

Mommsen, Katharina: Entstehen von Goethes Werken. Berlin 1958. 414

Mommsen,

Katharina:

Goethe

und die arabische

Welt. Frankfurt

a.M.

1988.

Mommsen, Katharina: Goethe und Diez. Quellenuntersuchungen zu Gedichten der Divan-Epoche. Berlin 1961. Mommsen, Katharina: Goethe und 1001 Nacht. Frankfurt-M 1981. Mommsen, Katharina: Goethe und Moallakat. Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin 1960. Mommsen, Katharina: Handschriften. Frankfurt/M 1996. Mommsen, Momme: Studien zum West-östlichen Divan. Berlin 1962. Morier, James: À Journey through Iran. London 1912. Übersetzung ins Persische von Abolgäsem Serri: Safarnäme-ye James Morier. Teheran 2007.

Morier, James: The Adventures of Hajji Baba of Ispahan. Illustrated by H.R. Miller, with an Introduction by Hon. George Curzon M.P. London 1902. 50 MoSiri, Mahsid: ‘Esq wa ‘erfan [Liebe und Mystik]. Teheran 1997. Müller, Klaus (Hg.): Lexikon der Redensarten. Gütersloh-München 2001.

Müller, Wolfgang (Hg.): Johan Wolfgang von Goethe. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Dargestellt von Peter Boerner. Rowohlts Monographien. 28. Aufl. Frankfurt a. M., 1989.

Naficy, Mehdi: Klerus, Basar, die iranische Revolution. Deutsches OrientInstitut. Hamburg 1993. Nagel, Tilman: Der Koran, Einführung, Texte, Erläuterungen. 3. Aufl. München 1983. Näser ad-Din Säh: Safarname-ye ‘atabät [Reisebericht über Wahlfahrt zur Grabmäler der Heiligen]. Hrsg. von Iraÿ Afsär. Teheran 1984. Neumann, Christoph K.: Das osmanische Reich in seiner Existenzkrise (1768-1826) In: Klaus Kreiser u. Christoph K. Neumann;

Kleine Ge-

schichte der Türkei. Bonn 2005. Niemann, Hartmut u. Ludwig Paul: Iran (Reiseführer). 2. Aufl. Bielefeld 2009.

Nirumand, Bahman: Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt. Nachwort Hans Magnus Enzensberger. Reinbek bei Hamburg 1967. Nizami Gangawi: Hamse-ye Nezämi. Mahzan al-Asrär. Hrsg. von S. BasirMozdahi u. B. Horramsähi. Teheran 2004.

Nizami Ganÿawi: Hosro wa Sirin. Hrsg. von Abdol-Mohammad Ayati. Teheran 1991. 415

Nôldeke, Theodor: Aufsätze zur persischen Geschichte. Leipzig 1887. Nwyia, Paul: Exégé coranique et langage mystique. Beyrouth 1970. Ubersetzung ins Persische von Esmäil Sa 2021, Teheran 1994. Olearius, Adam:

Berichte deutscher Persienreisender aus dem

17.Jahrhun-

dert. In: Im Reich des Kônigs der Kônige. Berichte deutscher Persienreisender aus dem 17. bis 19. Jahrhundert (Adam Olearius, Engelbert Kaempfer, Carsten Niebuhr, Heinrich Brugsch). Ausgewählt und eingeleitet von Herbert Scurla. Berlin 1976, S. 29-146. Olearius, Adam: Vermehrte Newe Beschreibung Der Muscowitischen vnd Persischen Reyse. Schleswig 1656. Hrsg von Dieter Lohmeier. Neuer

Originaldruck, Tübingen 1971 [Uber Olearius’ Leben: Nachwort, S. 3-

62]. ‘Onsori, Abolqasem: Diwan. Hrsg. von Dabir-Siäqi. 2. Aufl. Teheran 1984. Pasäyi, E.: Näm-e.hame-ye Se'rhä-ye to; zendegi wa 56 7-6 Ahmad Shamlou [Shamlous Vita und seine Dichtung]. Teheran 2009. Parvin, Naser ad-Din: Tarih-e ruznäme-negäri-ye iranian (A history of Journalism in the Persian-Speaking World). 2 Bde, Teheran 1998. Petruschewski, Ilia Pawelowitsch: Kesäwarsi wa monäsebät-e arzi dar Iran,

‘ahd-e Mogol [Landwirtschaft in mongolischer Zeit - 13. u. 14.

Jahrhundert - im Iran]. Übersetzung ins Persische v. Karim Kesäwarz. 2 Bände. Teheran 1965. Pfizer, Gustav: Gedichte. Neue Sammlung. Stuttgart 1835. Pisäwari, Adib: Diwän. Teheran 1983. Platen, August Graf von: Gedichte. Hrsg. von Friedrich Mauer. Berlin 1947.

Prasske, Bruni: Küsse in der Moschee. Meine Reise durch den Iran. München 2007. Pyritz, Hanz: Goethe und Marianne von Willemer. Eine biographische Studie. Stuttgart 1941. Qayyem, ‘Abdolnabi: Farhang-e moa'ser-e miyäne, arabi-farsi [ArabischPersisches Wörterbuch]. Teheran 2006. Ragayi Bohäräyi, Ahmad ‘Ali: Farhang-e as‘ar-e Hafez [Lexikon zu den Gedichten des Hafis]. 4. Aufl. Teheran 1985.

Rami, Saraf ad-Din: Anis al-‘Osäg. Hrsg. von ‘Abbas Egbäl. Teheran 1946.

Rashid, Shahruz. Negahi be buf-e kur [Ein Überblick auf die blinde Eule]. Aftab (Literaturzeitschrift), Nr. 53. Oslo 2004, S. 6-10 u. 16-25.

Rasmussen, Harald: Studier over Hafiz med Sideblik til andre persiske Lyrikere. Kobenhaven 1892 . 416

Räwandi, Mortezä: Tarih-e eÿtemä i-ye Iran [Gesellschaftliche Geschichte Irans]. 9. Bd: [Religiôse Sekte im Iran]. Spanga 1997. Razi, Nagm ad-Din: Mersäd al-Ebäd. Ausgewählt und hrsg. vonMohammad-Amin Riyähi. 17. Aufl. Teheran 2006. Riedner, Ursula Renate: Sprachliche Felder und literarische Wirkung. Exemplarische Analysen an Brigitte Kronauers Roman

„Rita Münster‘.

München 1996. Rilke, Rainer Maria: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Köln 2005.

Roemer, Hans Robert: Persien auf dem Weg in die Neuzeit. Iranische Geschichte von 1350-1750. Stuttgart 1989. Roemer, Hans Robert: Probleme der Hafisforschung und der Stand ihrer Lösung. In: Akademie der Wissenschaften und der Literatur - Abhandlungen der Klasse der Literatur. Jg. 1951, N. 3, Wiesbaden 1951. Rückert, Friedrich: Oestliche Rosen. Drei Lesen. Leipzig 1822. Rumi, Jalal ad-Din (Molawi): Kolliyat-e diwan-e Sams-e tabrizi. Hrsg. von

‘Ali Dasti u. B. Foruzanfar. Teheran 1976.

Rumi, Jalal ad-Din (Molawi): Masnawi-ye ma‘nawi. Hrsg. Von Reynold A.

Nicholson. 9. Aufl. Teheran 1983. Rypka, Jan: Iranische Literaturgeschichte. Leipzig 1959. Sa’di: Koliyat-e Sa’di. Hrsg von Mohmmad Ali Forugi. Teheran 1994. Sadigiyän, Mahin-doht u. A. Miräbedini: Fahang-e waze-nama-ye Hafez (Concordance et Frequence de la Hafiz). Teheran 1987.

Safa, Sogä‘ad-Din: Pas az hezär-o Cahär sad sal [Geschichte des Islam]. 2 Bände, Paris, 2005. Safa, Zabihollah: Tärih-e adabiat dar Iran [Literaturgeschichte im Iran]. 8 Bände, Teheran 1987.

5388301, Seyed Ga‘far: Farhang-e estelähät wa ta‘birat-e ‘erfani [Wörterbuch zu den mystischen Begriffen]. 8. Aufl. Teheran 2008. Said, Edward W.: Orientalism. New York 1979. Samisä, Sirus: Sahed-bazi dar adabiät-e farsi [Männliche Homosexualität in persischer Literatur]. Teheran 2002. Schaeder, Grete: Gott und Welt. Drei Kapitel Goethescher Weltanschauung. Hameln 194.7 Schaeder, Hans Heinrich: Der Mensch in Orient und Okzident. Grundzüge einer eurasiatischen Geschichte. Hrsg. von Grete Schaeder. Unter Mitabeit

von

Kurt

Heinrich

Schulin. München 1960.

Hansen,

mit

einer

Einleitung

von

Ernst

417

Schaeder, Hans Heinrich: Goethes Erlebnis des Ostens. Leipzig 1938. Schede, Hans-Georg (Interpret): Johan Wolfgang von Goethe. Die Leiden des jungen Werther. Interpretationshilfe Deutsch. Freising 2005. Schiller, Friedrich: Erzählungen, theoretische Schriften. Hrsg. v. Wolfgang Riedel. In: Schiller; Samtliche Werke. Bd. 5, Miinchen/Wien 2004.

Schiltberger, Johann: Irrfahrt durch den Orient. Der aufsehenerregende Bericht einer Reise, die 1394 begann

und erst nach

iiber 30 Jahren

ein

Ende fand. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen und hrsg. von Markus Tremmel. Taufkirchen 2000. Schimmel, Annemarie: Der islamische Orient - Wege seiner Vermittlung nach Europa. In: Jochen Golz (Hg.): Goethes Morgenlandfahrten; West-östliche Begegnung. Frankfurt a.M. 1999. 5. 16-28. Schimmel, Annemarie: Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus. Mit zahlreichen Abbildungen. Frankfurt a.M. / Leipzig 1995. Schmidt, Hein: Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte. Personal-

und Einzelbibliographien der Internationalen Sekundärliteratur 19451990 zur deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd.

9, Duisburg 1996. [Goethe]: S. 7-95. Schulz, Walter: Zustände im heutigen Persien, wie sie das Reisebuch Ibra-

him Begs enthüllt. Aus dem Persischen übersetzt und bearbeitet von Walter Schulz. Mit 1 Farbigen Karte und 84 meist ganzseitigen in Autotypie. Leipzig 1903.

Schumann, Otto (Hg.): Grundlagen und Technik der Schreibkunst. Wilhelmshafen, Locarno, Amsterdam 1983. Scurla, Herbert (Hg): Im Reich des Königs der Könige. Berichte deutscher

Persienreisender aus dem 17. bis 19. Jahrhundert (Adam Olearius, En-

gelbert Kaempfer, Carsten Niebuhr, Heinrich Brugsch). Ausgewählt und eingeleitet von Herbert Scurla. Berlin 1976. Seidl, Claudius: Unsere heiligen Krieger. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.01.2010. Serauky, Eberhard: Geschichte des Islam. Entstehung, Entwicklung und Wirkung von den Anfängen bis zur Mitte des XX. Jahrhunderts. Berlin 1991.

Serwani, Gamal Halil: Nozhat al-Ossäq [Amüsement der Geliebten]. Hrsg. von Mohammad Amin Riyähi. Teheran 1987 ۰ Shahrokhi, Noshin: Die Vervielfältigung der Liebespaare in Goethes Westöstlichem Divan (Magisterarbeit). In: www.noufe.com. 418

Siepmann, Thomas: Johann Wolfgang von Goethe. , Die Leiden des jungen Werther’. Lektürehilfe. 10. Aufl. Stuttgart 2000. Spiegel, Friedrich: Eranische Altertumskunde II, Religion, Geschichte bis zum Tode Alexander der Großen. Leipzig 1871-1878; Nachdruck: Amsterdam 1971. Staiger, Emil: Meisterwerke deutscher Sprache. Zürich 1957. Steinfeld, Thomas: Unserer Hassprediger. Süddeutsche Zeitung, 14.01. 2010.

Strich, Fritz: Goethe und die Weltliteratur. Bern 1957. Sudi, Mohammed: Die Lieder des Hafiz. Persisch mit dem Commentare des Sudi. Hrsg. von Hermann Brockhaus. 3 Bde. Leipzig 1854-1861. Sudi, Mohammed:

Sarh-e Sudi bar Häfez

[Der Kommentar

des Sudi zu

Hafis]. Übersetzung aus dem Türkischen ins Persische von Esmat Sattärzäde. 4 Bde. 4. Aufl. Orumiye 1983. Tafazoli, Hamid: Der Deutsche Persien-Diskurs. Von der frühen Neuzeit bis in das neunzehnte Jahrhundert. Bielefeld 2007.

Tafazoli, Hamid:

Translation of Hafez in German. In: Encyclopedia Ira-

nika. Edited by Ehsan Yarshater. Volume S. 500-501.

XI, New

York, N.Y. 2003,

Ulfkotte, Udo: Heiliger Krieg in Europa. Wie die radikale Muslimbruderschaft unsere Gesellschaft bedroht. 2. Auflag., Frankfurt a.M. 2009. Unterberger, Rose: Die Goethe-Chronik. Frankfurt a.M. u. Leipzig 2002. Wahid Dastgerdi, Hassan: Rah-award-e Wahid. 1. Bd., Teheran 1928. Wehr, Gerhard: Die deutsche Mystik. Leben und Inspiration gottentflammter Menschen in Mittelalter und Neuzeit. Köln 2006. Weimar, Klaus: Goethes Gedichte 1769- 1775. Interpretationen zu einem Anfang. Paderborn, München u.a. 1982. Wellek, Rene: Concepts of Critism. New Haven and London 1965. Werner,

Helmut

(Hg.):

Wörterbuch

der

lateinischen

Sprache.

Latein-

Deutsch. Hamburg 2007. Wieland, Christoph Martin: Gespräche unter vier Augen. In: Wieland; Sämtliche Werke. Leipzig 1799. Hrsg. von der Hamburger Stiftung der Förderung von Wissenschaft und Kultur. Bd. 31; Der Hamburger Printausgabe 1984.

Wiesehöfer, Josef: Carsten Niebur (1733-1815) und seine Zeit. Wiesbaden 2003. Wiesehöfer, Josef: Das Antike Persien (von 550 v. Chr. bis 650 n. Chr). 2.

Aufl. Düsseldorf/ Zürich 2002.

419

Wiesehôfer, Josef: Das antike Persien: im Glanz des Glücks. Der Spiegel (Geschichte), Nr. 2: Persien: Supermacht der Antike, Gottesstaat der Mullahs. Hamburg 2010. Wiesehôfer, Josef: Das frühe Persien. Geschichte eines antiken Weltreichs. 4. Aufl. München 2009. Wild, Inge: Goethes West-ôstlicher Divan als poetischer Ort; psycho-kultureller Grenzüberschreitungen. In: Westôstlicher und nordsiidlicher Divan; Hrsg. von Ortrud Gutjahr. Paderborn/ München u.a. 2000. S. 7388.

Winkler, Heinrich August: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik. Bonn 2000 ۰ Yarshater, Ehsan (Editor): Hafez. In: Encyclopedia Iranika. Volume XI, New York, N.Y. 2003, S.461- 507.

Yarshater, Ehsan (Editor): Homosexuality in Persian Literature. In: Encyclopedia Iranika. Volume XII, New York, 2004, S. 445-453.

Zäkani, ‘Obeyd: Koliyat-e ‘Obeyd Zäkani. Hrsg. von Parwiz Atäbaki. Teheran 1964. Zarrinkub, Abdolhosseyn: az kuëe-ye rendän [Uber Hafis’ Leben und sein

Gedankengut]. Teheran 1985.

Zelton,

Heinrich

u. Eduard

Wolff:

Der

neue Literaturführer:

Deutsche

Dichtung von der Romantik bis zur Moderne. Lektorat: Michael Müller. Wilhelmshaven 1996. Zwilgmeyer, Franz: Stufen der Bewusstseinserweiterung bei Goethe. Unter besonderer Berücksichtigung des Märchens von der grünen Schlange. Freiburg i. Br. 1978.

420

Personenregister! ‘Abbas Mirza:

363

‘Attar, Farid ad-Din:

139, 167-8

180-1, 183, 185, 197, 213, 361

Abu Holman: Achill: Adam:

92, 93, 262

320 58-62, 65, 67, 76-78

106-7, 119, 259, 291, 293, 300,

219, 321, 347

Afsär, Irag: 364 Ahmad, Nazir: 23 Ahmadinezad, Mahmud: 230, 387 Ahriman:

14, 217, 335

Ahura Mazda:

14, 154, 159

Ahundzadeh, Fath-’ Ali:

374

Aischylos:

162

Alavi, Bozorg: Alexander:

Amir Kabir:

Abraham: Anwari, Ouhad ad-Din: 173, 183-4

Apoll:

Aqä Mohammad Han: Arberry, A.].:

Aristoteles: Arndt, Ernst Moritz:

Asef: Ashouri, Daryoosh:

Augsburg, David von: 1

Baha

ad-Din

‘Abd al-Samad:

Bathemas, Ludovico: Bayezid Bastami:

43-4, 49

257 81

54

159 395 54

Bidpai:

180, 361

Birus, Hendrik:

219, 247

Biruni, Abu Reyhan:

63, 139

254, 257, 268, 336

Bonaventura:

137, 139-40 190

23

Bel: Benz, Wolfgang: Biberbach, Rudolf von:

365

192

32

303

Behruz, Akbar:

Boisserée, Sulpiz:

183

85

150 176

Behramgur:

147

14, 151 167

54, 139

Baha’ ad-Din Mohammad:

Bizan:

Anakreon: 261 Anna Amalia: 193, 260 Anquetil-Duperron, Hyacinthe

140

Avicenna (Ibn-e Sina):

396

161, 323

Amine:

Augustinus, Aurelius:

217

Blessin, Stefan:

10

212, 328

53

Borne, Ludwig: Braginski, 10511 Samuilivié: Briseis:

197 44 323

Broder, Henryk M.: Broms, Henri: Brown, Eduard Granville:

396 44 31

Bühler, Karl:

19

Bürgel, Johann Christoph: 45, 52 54-5, 111, 116, 120-21, 271

Burdach, Konrad: 13, 130 222, 210, 254, 282, 328-9

Cäsar: Chajjam, Omar: Chardin, Jean:

216, 334 107-9, 167

14, 101, 153

In diesem Namensregister sind alle im Text stehenden Personennamen verzeichnet, ausgenommen die Namen in den Fußnoten.

421

Charlotte v. Stein: Chiser:

265 244, 265, 318-19

Chomeini, Roholläh: Chosrou L: Christus:

395 163 54, 134-5

Corbin, Henry:

61

Cotta, Johann Friedrich:

152-3

Crusoe, Robinson:

365

D’Arcy, William Knox: Daphne: Dareios:

370 183 159, 161-2

Dastgerdi, Wahid:

386

Daulatsäh Samagandi:

168

213-14

Daumer, Georg Friedrich: 45, 47 Dawkins, Richard: 396 Defoe, Daniel: 365 Della Valle, Pietro: 14,151 Descartes, René:

125

Diez, Heinrich Friedrich:

153

303-4 18, 19, 264 365

Ebusuud (Abu Su'ud):

226, 228

230, 389

Eckermann, Johann Peter: 0 Ehlich, Konrad: 19 Eichhorn: 28, 237

242, 351

384 192, 194, 198

Esfahani, Mirza Habib: Eva: ‘Eyuzi, Raëid:

196, 252

376 63, 342 23

Farrox:

101

Fath-’Ali Schah:

179, 363

Faust:

134, 260

127

Ferdausi, Abolqasem:

167, 169

170, 178, 216-17, 287

Ferdousi, Ali: Fichte, Johann Gottlieb:

24 189

Fleming, Paul:

Flower, Richard: Friedrich II.: Friedrich Wilhelm III:

Fudail ibn 0:

151

379 150 189, 198

Galal ad-Din ‘Omar Seyh: Galali Na‘yini, Mohammad Reza:

Gami (Dschami):

Gilani, ‘Abdul Qader: Gladwin:

Golandäm, Mohammad: Göttling, C. W.: Grass, Günther:

Grimm, Hermann:

Gryphius, Andreas: Häfez Hassan: Hägu: Hakwirdi:

Halläÿ, Mansur al-: Hämeneyi, Ali:

82

22 23

74, 93, 167

Gani, Qäsem: Gazzali, Mohammad:

Hammer-Purgstall, Joseph von:

422

89

90

173-5, 197, 204

171, 344

Dilaram: Dilthey, Wilhelm: Dumas, Alexandre:

Empedokles:

81

Farrohi Sistani, Abol-Hassan:

Fénelon:

166, 199, 355

Enver Pascha: Epimenides:

Farabi, Abu Nasr Mohammad: 54

23, 31-2 139

139 199

31 148

395 207-8

152 22 184 150

60, 279

230

15, 17, 27, 35, 43, 44

51, 98, 100, 102, 104, 111, 116, 117, 152-3, 167, 199, 200-205, 212-14, 219, 224, 226, 230, 233, 235, 237, 239, 246-51, 254, 257, 260, 262, 264, 268, 271-3, 281, 299, 315-17, 320, 330, 334-5, 337, 342, 346

38

Hanlari, Pawiz Natel:

23-4

Hans: Haqani, Afzal ad-Din:

260 139

Häsemi Rafsangäni, Ali Akbar: 387 Hatem (Tä’yi): 297-8, 300 302-4, 322-3, 347-8, 391

Hedayat, Sadeq: Hegel, Georg W. ۰۰ Heer, Michael:

297

369, 377-83 328 150

Heine, Heinrich: 28, 29 Hempel: 188, 336 Herder, Johann Gottfried: 13, 14 127-8, 130, 133, 135, 142, 151-2, 265, 349-50, 350

Herklot, Karl Alexander: 198 Herodot: 11, 14, 151, 160, 163

Hindley:

Hitler, Adolf:

199

387-8, 395-6

Hofmannsthal, Hugo von: Hogwiri, Abolhassan.: Homer:

Horramsähi, Bahä ad-Din:

28 86, 94

133, 146

86

Hosrou: 52, 178 Hossein: 179 Humboldt, Wilhelm von:187, 189 Hume, David: 125 Huri:

Ibn Arabi:

Ibrahim Beyg:

271-2, 356 58 54-7, 81, 94, 177

lleri, Esin: Immermann, Karl Leberecht:

371

303 28

29

Händmir:

Hatem Zograi:

Hutten, Ulrich: Iblis:

17, 144, 200-1, 205, 251

302, 307, 309-12, 314, 391-3

‘Inan:

55

Iphigenie: rag Mirza: Ishaq Ingu:

Jacobi, Friedrich Heinrich: Jérôme:

Jesus:

Jones, William:

134 90 37, 211 145 188

132, 135, 138, 250 148, 199, 237

253-4

Josef K.:

Joseph: Jung, Demoiselle: Kabus (Keykawus): Kafka, Franz: Kamal:

Kambyses:

381

10, 379, 381 184-6

Kanne: Kant, Immanuel: Kasrawi, Ahmad: Keil, Rolf-Dietrich: Kelek, Necla: Keller, Gottfried:

Kermani, Emad

Kermani, ۸

Fagih:

Han:

Khatami, Mohammad: Kindi:

297 206 171

Klettenberg, Fräulein von: Knaupp, Michael:

160-61

28 126 374 111, 113 379, 399 28

39

373

9 54

4 247

Knebel, Karl Ludwig von: 29, 142 148, 188 Korff, H. A.: 305, 322

423

Kôrner, Theodor:

190

Krosus:

11, 160

Kuhn, Fritz:

395

Küntzel, Matthias:

387

Kyros:

Lange, Dietrich: Las Casas: Lavater, Johann Kasper:

10 127 133

125

141, 259

307 178

Lentz, Wolfgang:

180, 361

Lescot, R.:

44

Lessing, Gotthold Ephraim:

127

Lindenblatt:

367

Lila: Liliencron, Detlev von: Litten, Wilhelm: Locke, John: Medschnun (Magnun):

Mahmud Sah:

147 28

179 125 178, 307

Mahler, Gustav:

28

40

Malkom Han: Manize: Mansur:

373 217 41-2, 214

Maräge’yi, Zeynol’äbedin: Marandi, ‘Ala’: Marduk:

Mas’ud Säh:

Massignon, Louis: Maupassant, Guy de: Maziyär:

Menzel, Wolfgang: Merx, Adalbert:

371-2

25 157, 159

37

63-4 378

37, 48, 211, 255 366, 373

Mohammed:

92, 135-6, 141-44

156, 176, 177, 205, 216, 224, 308, 334, 388, 392, 394-6

Mommsen, Katherina:

141-2

Mommsen, Momme:

213

Montan:

Montazeri,

136

Hosein- Ali:

Montesquieu, Charles-Louis: Morier, James:

230

127

332, 376

Mosaddeq, Mohmmad: 370 Mostaÿär ad-Dole, Yusuf Han: 372

Motanabbi: Mozaffar ad-Din Schah: 373

Müller, Kanzler von: Nabonid: Napoleon I, Bonaparte:

301-2 365-6

146, 358 158 188-190

211-12, 215-16, 234, 334, 243,

350, 355 Naser ad-Din Schah: Nebukadnezar:

179, 364 157-8

Neith:

161

Niazi:

227, 389

Nicholson, Reynold A.:

64

382

Niebuhr, Carsten: 14, 151 Nizami (Nezami) Gangawi Abu Mohammad: 138, 167

242

Nizam:

197 210

Mirza Ahmad Hhan:

424

(Mozaffar):

Mohammad-' Ali Mirza (Schah):

145, 165-6

Leila: Leili:

Misri:

155, 164

Mobärez ad-Din Mohammad

11, 157-60

Leibniz, Gottfried Wilhelm:

Mignon:

Mithra:

381

227-8, 389, 390

178, 183, 197, 287

Noldeke, Theodor: Nolt:

55

64, 162 199

Olearius, Adam:

14, 150-3, 171

197

Oppenheim, Max Freiherr von:

Ouseley:

385

Pahlawi, Mohammad Resa Schah:

199

Revizkey:

199

Richter, Karl:

153

Riemers, F. W.:

147

Rilke, Rainer Maria: 378 Rosenzweig-Schwanau, Vincenz Ritter von:

370, 387

Rostam:

44,111 216-17, 296

Pahlawi, Resa-Schah: 367-8 Pandora: 194, 242 Parwiz: 37 Paul, Ludwig: 10 Paulus, Caroline: 328 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob: 131, 328 Paulus, Wilhelm: 328

Rousseau, Jean-Jacques:

Peter:

118

Rushdie, Salman:

Pfizer, Gustav: Phaidon: Phaidros: Pharao: Pisawari, Adib:

28 137 228 159 386

Sa'di (Saadi):

Platen, August von:

Platon:

27-9, 233

93, 139-40, 228, 329

Poe, Edgar Allan:

378

Pylades:

134

Poser, Heinrich von: Prasske, Bruni: Ptolemäer: Pur-Dawud, Ibrahim: Qassär, Hamdun:

Qazwini, Mohammad: Qawäm ad-Din Abdolläh: Rämi, Saraf ad-Din: Rasmussen, Harald: Rau, Johannes:

Razi, Nagm ad-Din:

Reinhard, V. C. F. von: Resa Khan:

150 387 161 385

84

23 85 181

45 9

86

129 367

13, 130

350

Rickert, Friedrich: 27, 45,-6, 48-9 50, 102, 104, 111, 116, 330

Rudolf IL: Rumi, Jalal ad-Din (Molawi):

150 27

54-6, 73, 81-3, 94, 114, 138-9, 175, 167, 169, 197, 204, 288,

395

Ruzbehan Bagli: Rypka, Jan:

176 45, 178 46, 81, 152

176, 183, 197, 210

Sa‘ d-e Salman, Mas oud: Safa, Zabiholläh:

23 70

Säh-e Nabat:

Sah Mahmud:

Sah Sah Sah Sah

35

Mansur: 41-2, No’man: Soga‘: 38-42, 48, 211, 214, Yahya: 39, 41, 89,

39

214 34 255 286

Salomon:

217, 257

Sanson:

153, 155

Samsa, Gregor: Säwoÿi, Salman: Sarrazin, Thilo: Schaeder, Hans Heinrich:

381 23

397 48, 51

120, 197, 210, 273

Schah ’Abbas L: Scharf, Kurt:

Scheherazade (Sahrzad):

150 113

147-8

425

Scheich Safi ad-Din: Schelling, Friedrich Wilhelm:

70 13

130

Schemii: Schiller, Friedrich:

237 127, 193

Schiltberger, Johann (Hans): Schimmel, Annemarie:

149

45-7, 177

Schlegel, Friedrich: 13, 130-1, 205 Schlosser, Christian Heinrich:

Schönberg, Arnold: Schopenhauer, Arthur:

Schubert, Franz: Sebli, Bubakr: Seidel, Claudius: Selim IL.: Shamlou, Ahmad:

394

28 358

28 60 398 226 387

Sibli No’mani: 31 Silvestre de Sacy, Antonie Isaac:

Sirazi, Mirza Saleh: Sirin:

168, 213

363 52, 52, 178

Sohrawardi, Sahäb ad-Din:

54

81-2, 94

226 45 205, 210, 281

285, 302, 359

Staiger, Emil:

198

Stein, Freiherrn von: Steinfeld, Thomas:

189 397

Stenzig, Bernd:

Storm, Theodor: Sudi, Mohammed:

10

28 44, 102, 203

237, 251, 268 168, 206-9, 232, 285

296-9, 301-7, 311-12, 318,

426

276 365

Tavernier, Jean Baptiste:

Thielemans, Freddy:

14, 151

398

Thomasius, Christian: 125 Timur Lenk: 22, 40-2, 149, 150 Trunz, Erich:

Tsingiskan (Cingiz Han): Turänsäh:

Udjahorresnet:

193, 237

212

39, 257, 340

161

Uvarov, Graf von:

149

Vait:

28

Vambéry, Hermann: 47-8 Vernes, Jules: 365 Veronika: 223 Vogel, Otto: 289 Voltaire (Francois-Marie Arouet): 136, 365, 388 Wahl, Sam. Fr. G: 199

Waring, Edward Scott:

14, 151

245 Weitz, Hans-]:

Soliman: Spinoza: Strich, Fritz:

Suleika:

356-7, 391

Sururi : Swift, Jonathan:

211-17, 329, 333-5, 339

165, 211

Schmidt-Salomon, Michael:

322-4, 333, 341, 343, 347-8,

328

Wellek, Réne: Werther:

44

127, 197, 215, 334, 351

Westergaard, Kurt: Wieland, Christoph Martin:

394 127

193

Wieserhôfer, Josef: Wilhelm IL: Willemer, Marianne von:

11 384 16, 168

206-10, 264, 297, 301, 303-5, 311, 314, 323, 336

Willemer, Johann Jakobi:

207

297

Wohlleben, Joachim:

17, 24, 104

111, 116, 249, 263, 295, 315,

319-20, 330, 337

Wolff, Christian: Xenophon: Xerxes: Xosrou:

Zahir:

126 14, 151, 159 11, 162, 323 37

Yahya ibn Mu 22 ar-Räzi: Yazid:

82 179

Yusig, Nima:

369

Zakani, ‘Obevd:

183-4

186

-0 246

Zarathustra (Zoroaster): 14. 155-7 162-4, 382 Zeinab: 55 Zelter, Karl Friedrich: 129. 145

274 Zeyn al- Abedin: Zu n-Nun:

40. 42. 214 176

427

»Die Dissertation zeigt Qualitäten bis hin zu sprachlichen Richtigstellungen, auf die künftige Forschungen über den Divan werden zurückgreifen müssen.« Prof. Dr. Stefan Blessin Spätestens seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York, sind Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus und Diskussion über Grenzen 06۴ 4 und den p>richtigen Dialog: mit dem Islam Gegenstand des öffentlichen Diskurses. Inwieweit kann die im West-ôstlichen Divan nach aufgeklarter Art vollzogene Annäherung Goethes an die orientalische Kultur, seine Rezeption und poetische Anverwandlung von Hafis' mittelalterlicher Dichtung für uns, beim gegenwärtigen

Stand des Orient-Okzident Verhältnisses vorbildlich sein?

Falaki analysiert Hafis Weltsicht, Goethes Rezeption der orientalischen Kultur, die Liebeslyrik als Höhepunkt im Westöstlichen Divan und die unterschiedliche Auffassung von ‚Liebe: beim Aufklärer und dem Orientalen. Der Vergleich zwischen Goethes Westöstlichkeit und dem gegenwärtigen Orient-Okzident-Verhältnis erfolgt vor dem Hintergrund von Goethes Art und Weise der Begegnung mit der fremden Kultur. Es werden die Art des Dialoges und des kulturellen Austausches in der gegenwärtigen Situation und die Reaktionen westlicher Denker und Medien auf die west-östlichen Auseinandersetzungen dargestellt.

Verlag Hans Schiler ISBN 978-3-89930-404-6

۶

۶ 83899

304046