Gnosis und Manichäismus: Forschungen und Studien zu Texten von Valentin und Mani sowie zu den Bibliotheken von Nag Hammadi und Medinet Madi [Reprint 2013 ed.] 3110142945, 9783110142945

Die Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft (BZNW) ist eine der renommiertesten internatio

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Gnosis und Manichäismus: Forschungen und Studien zu Texten von Valentin und Mani sowie zu den Bibliotheken von Nag Hammadi und Medinet Madi [Reprint 2013 ed.]
 3110142945, 9783110142945

Table of contents :
Vorwort
Die Krise einer philosophischen Bibeltheologie in der Alten Kirche oder: Valentin und die valentinianische Gnosis zwischen philosophischer Bibelinterpretation und mythologischer Häresie
1. Vorbemerkung
2. Vermittlung zwischen Bibel und Philosophie - Valentin als ‘apologetischer Vermittlungstheologe’
3. Valentins Schüler und ihr Mißverständnis - von der philosophischen Bibelauslegung zum häretischen Kunstmythos
Alte und neue Texte und Forschungen zu Valentin und den Anfängen der ‘valentinianischen’ Gnosis - Von J.E. Grabe und F.C. Baur bis B. Aland
1. Die Quellen zu Valentin
2. Die bisherige Erforschung der Quellen zu Valentin
3. Eine neue Hypothese - neueste Forschungen zu Valentinus Gnosticus
4. Schluß - Aufgaben für die künftige Forschung am Valentinianismus
Anhang: Synopse von (Ps.-?) Didymus, Trin. III 42 und (Ps.-?) Cyrill, Catech. 6,17-19
Die Bedeutung der Funde von Medinet Madi und Nag Hammadi für die Erforschung des Gnostizismus
1. Voraussetzungen und Fundgeschichte
2. Bestand
2.1 Die Bibliothek von Nag Hammadi
2.2 Die Bibliothek von Medinet Madi
3. Der “Sitz im Leben” der koptischen Schriften
4. Der “Sitz im Leben” der Vorlagen der koptischen Schriften
4.1 Die Literaturgattungen der Schriften von Nag Hammadi
4.2 Die Traditionen
Exkurs: Das Problem aramäischer Elemente in den Schriften von Nag Hammadi und ihre Bedeutung für den “Sitz im Leben”
5. Die religionsgeschichtliche Verankerung des Gnostizismus
6. Die Schriften von Nag Hammadi als Zeugen für die geistigen Grundlagen der Gnosis
7. Die koptisch - manichäischen Texte in ihrer Bedeutung für die Kenntnis und die religionsgeschichtliche Einordnung des Manichäismus
8. Das religionsgeschichtliche Ergebnis
Bibliographie
Zum griechischen Hintergrund der manichäischen Nus-Metaphysik
1. Einleitung
2. Nus bei den Manichäern
3. Nus in Ägypten
4. Nus bei den Vorsokratikern
5. Nus bei Platon
6. Nus bei Aristoteles
7. Nus bei Xenokrates
8. Nus im Mittelplatonismus
9. Nus in der Stoa
10. Schluß und Ergebnis
Der Manichäismus und das Christentum
Stellenregister
Autorenregister

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Alexander Böhlig · Christoph Markschies Gnosis und Manichäismus

W DE G

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Herausgegeben von Erich Gräßer

Band 72

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994

Alexander Böhlig Christoph Markschies

Gnosis und Manichäismus Forschungen und Studien 2u Texten von Valentin und Mani sowie zu den Bibliotheken von Nag Hammadi und Medinet Madi

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994

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Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufhahme

Gnosis und Manichäismus : Forschungen und Studien zu Texten von Valentin und Mani sowie zu den Bibliotheken von Nag Hammadi und Medinet Madi / Alexander Böhlig ; Christoph Markschies. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1994 (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche ; Bd. 72) ISBN 3-11-014294-5 NE: Böhlig, Alexander; Markschies, Christoph

ISSN 0171-6441 © Copyright 1994 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin

Vorwort Der vorliegende Band dokumentiert die Zusammenarbeit eines christlichen Orientalisten mit einem Kirchenhistoriker. Daß dabei das eine Phänomen Gnosis/Gnostizismus aus mindestens zwei Blickwinkeln gesehen wird und unterschiedliche Sichten und Methoden in diesem Band auch nicht nivelliert wurden, scheint uns kein Nachteil, sondern eher ein Vorteil solcher interdisziplinärer Arbeit zu sein. Die Erforschung der klassischen gnostischen Texte und der spektakulären Neufunde unseres Jahrhunderts setzt einen weiten historischen Horizont bei den Forscherinnen und Forschern voraus, um Einseitigkeiten und Befangenheiten weitestmöglich zu reduzieren. Wenn Philologie und Kirchengeschichte, Religionsgeschichte und Theologie so ins Gespräch gebracht werden, kann das für die Sache, die Erforschung und Kommentierung der Texte, die nun weitgehend in brauchbaren Editionen vorliegen, nur von Nutzen sein. Die komplexe Materie erfordert solche gemeinschaftlichen Unternehmungen zu ihrer Erschließung; nichts weniger als eine Revision unserer vertrauten alten Bilder von "der Gnosis" bzw. "der alten Kirche" könnte die Folge sein; in diesem Band sind fünf Beiträge gesammelt, die dazu helfen wollen. Dazu wird zunächst von Christoph Markschies bei der valentinianischen Gnosis und dem ägyptischen und römischen Theologen Valentin (Mitte zweites Jahrhundert n.Chr.) eingesetzt, der seit den Kirchenvätern als Inaugurator des nach ihm benannten Zweiges der Gnosis bzw. des Gnostizismus gilt. In einem ersten Beitrag versucht der Kirchenhistoriker, grundsätzlicher über sein Verständnis der historischen und theologischen Entwicklung von Valentin zur sogenannten 'valentinianischen Gnosis' Rechenschaft zu geben. Diese Überlegungen ergänzt dann ein Forschungsbericht zum selben Thema1. Bereits an ei-

1 Dieser Bericht ist im Vorwort seiner Tübinger Dissertation (Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, WUNT 65, Tübingen 1992, VD) angekündigt worden.

VI

Vorwort

nem solchen vergleichsweise partikulären Sektor der Gnosisforschung zeigt sich, auf wie schwachen Beinen scheinbar unerschütterliche Wissenschaftskonsense stehen. Außerdem ist dieser zweite Beitrag in seinen Nachweisen zu den jeweiligen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern so ausführlich angelegt, daß er gleichzeitig als Beleg der These dienen kann, daß die entsprechenden Gesamtbilder der Erscheinung Gnosis/Gnostizismus stets weit mehr von den hermeneutischen resp. religionshistorischen oder theologischen Vorentscheidungen der Autoren geprägt waren (und sind), als jenen (und uns) meist bewußt ist. Mit den beiden Untersuchungen von Markschies liegen zugleich erste Beiträge zu einer Gesamtdeutung der valentinianischen Gnosis vor. Die folgende Einleitung von Alexander Böhlig in die Bibliotheken von Nag Hammadi und Medinet Madi, der dritte Beitrag, ist allgemeiner gehalten und kann als erste Vorstufe einer künftigen "Geschichte der gnostischen Tradition" gelesen werden. Ursprünglich als Rahmenbericht in einem größeren Sammelwerk gedacht, informiert er über Bestand und religionsgeschichtliche Einordnung der wichtigsten koptischen gnostischen bzw. manichäischen Textfunde dieses Jahrhunderts, an deren editorischer und inhaltlicher Erschließung der Autor von Anfang an beteiligt war. Er verbindet die Betrachtung des Gnostizismus mit der des Manichäismus, weil bei aller Besonderheit der letztere doch die Krönung der gnostischen Wirksamkeit in der Zeit der Alten Kirche und der Spätantike darstellt. Auch diese Untersuchung enthält Überlegungen zu einer Gesamtdeutung des Phänomens Gnosis/Gnostizismus. Der vierte Beitrag, ebenfalls von Alexander Böhlig, über den griechischen Hintergrund der νοΟς-Metaphysik wendet sich gegen die Trennung von Mythos und Philosophie in der Gnosisforschung und versucht mit einem Rückblick auf die zeitgenössische, aber auch die ältere griechische Philosophie der besonderen Betonung des νους in manichäischer Theologie gerecht zu werden. Ist im vierten Beitrag die Beziehung des Manichäismus zur Philosophie behandelt, so folgt im fünften seine Stellung zum Christentum: Hat doch für Mani und seine Schüler christlicher Glaube und christliche Kirche Möglichkeiten der Auseinandersetzung, aber auch vielfacher positiver Anregung gegeben. Beide Autoren des Buches sind sich darin einig, daß die gnostische Kombination von (Kunst-) Mythos, Mythenallegorie und philosophischer Prinzipientheorie nicht nur im spätantiken Gnostizismus, sondern etwa auch in Ausläufern des spätantiken Piatonismus (zu nennen wären z.B. Plutarch, Apuleius,

Vorwort

νπ

Numenius und die Chaldäischen Orakel) zu finden ist2. Es kommt jetzt in der Forschung darauf an, präzise die Unterschiede, Abhängigkeiten und reinen Koinzidenzen zu bestimmen. Dabei muß zunächst der religiöse Charakter von Gnostizismus und hellenistischer Philosophie beachtet werden. Darüber hinaus ist wahrzunehmen, daß die gnostische 'systematische Theologie' häufig beansprucht, auf direkter göttlicher Offenbarung, nicht auf autonomem Schlußverfahren über Sachverhalte zu beruhen. Christoph Markschies kennzeichnet die Durchführung dieser Methode - verglichen mit dem Denken z.B. eines Plotin oder Gregor von Nyssa - in einigen der Texte als 'Halbbildungsphänomen'3. Daneben stehen solche Werke, deren Gestalt eher mit dem in vielen Punkten "experimentellen Charakter" der Theologie der Kirchenväter des zweiten Jahrhunderts zu vergleichen wäre. Dem entspricht die Beobachtung von Alexander Böhlig, daß im Gegensatz zu den großen Philosophen die Gnostiker nicht vom dialektisch-mathematischen Denken ausgingen, sondern dessen Ergebnisse verarbeiteten. Der Gnostizismus ist ohne die griechische Schule nicht denkbar, zeigt aber auch deren bekannte Mängel in der römischen Kaiserzeit4. Für die zuverlässige Anfertigung der Druckvorlage und Hilfe bei den Registerarbeiten haben wir ganz herzlich Frau stud. theo!. Johanna Braner zu danken; die Beiträge wurden zu diesem Zweck geringfügig formal vereinheitlicht5. Drei Beiträge dieses Bandes sind bereits im Druck erschienen6, wurden 2

Für grundsätzlichere Voten der Autoren vgl z.B.: A. BÖHLIG, Zur Struktur des gnostischen Denkens, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, GA zur spätantiken Religionsgeschichte, WUNT 47, Tübingen 1989, 3 - 24; CH. MARKSCHIES, Art. Gnosis/Gnostizismus, Neues Bibel-Lexikon I, Zürich 1991,868 - 871. 3 Ahnlich schon im Art. Gnosis/Gnostizismus, NBL I, 870 zur Klientel, die durch die Texte angesprochen wurde. * A. BÖHLIG, Die griechische Schule und die Bibliothek von Nag Hammadi, in: DERS., Gnosis und Synkretismus 1,251 - 288. s Die antiken Autoren werden weitestgehend nach den Verzeichnissen in den Lexika von G.W.H. LAMPE, PGL, Oxford 1987 (= 1961) und H.G. LIDDELL/R. SCOIT/H.St. JONES, A Greek-English Lexicon, Oxford 1983 (= 1968) bzw. A. BLAISE, Dictionnaire Latin-Français des Auteurs Chrétiens, revu spécialement pour le vocabulaire théologique par H. CHIRAT, Turnhout 1954 und Oxford Latin Dictionary von P.G.W.GLARE, Oxford 1982 zitiert bzw. abgekürzt. Für Texte TertuUians wurde allerdings den Vorschlägen von J.-C. FREDOUILLE (SC 280, Paris 1980,65) gefolgt. Ansonsten wird nach dem Abkürzungsverzeichnis der TRE (zusammengestellt von S. SCHWERTNER, Berlin/New York 21992) verfahren. 'DPAC' bezieht sich auf das 'Dizionario Patristico e di Antichità Cristiane' (3 Bde., Casale Monferrata 1983-1988). 6 A. BÖHLIG, Zum griechischen Hintergrund der manichäischen ΝΟΥΣ-Metaphysik, in: The Manichaean ΝΟΥΣ. Proceedings of the International Symposium of the IAMS organized at the Katholieke Universiteit Leuven from the 31st July to the 3rd of August 1991, ed. by A. VAN TONGERLOO, Leuven 1993, 23 - 43; DERS., Der Manichäismus und das Christentum, in: Gnosis und Philosophie. Miscellanea, mit einem Vorwort von A. BÖHLIG, Elementa 59, hg. v. R. BERLINGER und W. SCHRÄDER, Atlanta, Amsterdam 1994,5 - 22; CH. MARKSCHIES, Die Krise einer philosophischen Bibel-Theologie in der Alten Kirche, oder: Valentin und die va-

Vili

Vorwort

aber für diesen Rahmen aktualisiert und geringfügig erweitert - wir danken den Herren Professoren R. Berlinger und A. von Tongerloo für die Freigabe. Herrn Professor Erich Gräßer gilt unser herzlicher Dank für die Aufnahme dieser Studien in seine Reihe, Herrn Dr. Hasko von Bassi für die Anregung dazu und dem Verlag für die Unterstützung dabei.

Tübingen, im Januar 1994

Alexander Böhlig/Christoph Markschies

lentinianische Gnosis zwischen philosophischer Bibelinterpretation und mythologischer Häresie, in: Gnosis und Philosophie. Miscellanea, 227 - 269.

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Christoph Markschies, Die Krise einer philosophischen Bibeltheologie in der Alten Kirche oder: Valentin und die valentinianische Gnosis zwischen philosophischer Bibelinterpretation und mythologischer Häresie 1 1. 2. 3.

Vorbemerkung 1 Vermittlung zwischen Bibel und Philosophie - Valentin als 'apologetischer Vermittlungstheologe' 6 Valentins Schüler und ihr Mißverständnis - von der philosophischen Bibelauslegung zum häretischen Kunstmythos 26

Christoph Markschies, Alte und neue Texte und Forschungen zu Valentin und den Anfängen der 'valentinianischen' Gnosis - Von J.E. Grabe und F.C. Baur bis B.Aland 1. 2. 3.

Die Quellen zu Valentin Die bisherige Erforschung der Quellen zu Valentin Eine neue Hypothese - neueste Forschungen zu Valentinus Gnosticus 4. Schluß - Aufgaben für die künftige Forschung am Valentinianismus Arthang: Synopse von (Ps.-?) Didymus, Trin. III 42 und (Ps.-?) Cyrill, Catech. 6,17-19

39 44 59 97 106 109

χ

Inhaltsverzeichnis

Alexander Böhlig, Die Bedeutung der Funde von Medinet Madi und Nag Hammadi für die Erforschung des Gnostizismus

113

1. 2. 2.1 2.2 3. 4. 4.1

Voraussetzungen und Fundgeschichte 113 Bestand Die Bibliothek von Nag Hammadi 122 Die Bibliothek von Medinet Madi 133 Der "Sitz im Leben" der koptischen Schriften 135 Der "Sitz im Leben" der Vorlagen der koptischen Schriften.... 145 Die Literaturgattungen der Schriften von Nag Hammadi 149 4.2 Die Traditionen 156 Exkurs: Das Problem aramäischer Elemente in den Schriften von Nag Hammadi und ihre Bedeutung für den "Sitz im Leben" 158 5. Die religionsgeschichtliche Verankerung des Gnostizismus 163 6. Die Schriften von Nag Hammadi als Zeugen für die geistigen Grundlagen der Gnosis 172 7. Die koptisch - manichäischen Texte in ihrer Bedeutung für die Kenntnis und die religionsgeschichtliche Einordnung des Manichäismus 203 8. Das religionsgeschichtliche Ergebnis 213 Bibliographie

225

Alexander Böhlig, Zum griechischen Hintergrund der manichäischen Nus-Metaphysik.... 243 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Einleitung Nus bei den Manichäern Nus in Ägypten Nus bei den Vorsokratikern Nus bei Piaton Nus bei Aristoteles Nus bei Xenokrates Nus im Mittelplatonismus Nus in der Stoa

243 245 248 249 252 255 257 258 261

10.

Schluß und Ergebnis

262

Inhaltsverzeichnis

XI

Alexander Böhlig, Der Manichäismus und das Christentum

265

Stellenregister Autorenregister

283 305

CHRISTOPH MARKSCHIES Die Krise einer philosophischen Bibeltheologie in der Alten Kirche odér: Valentin und die valentinianische Gnosis zwischen philosophischer Bibelinterpretation und mythologischer Häresie*. Herrn Professor Martin Hengel zum 14.12.1991 1. Vorbemerkung Angesichts des sehr speziellen Themas aus der Religions- bzw. Kirchengeschichte drängt sich sofort eine Frage auf: Besteht überhaupt eine Notwendigkeit für systematische Theologen und Philosophen, sich mit einem solch begrenzten Ausschnitt der Alten Kirchengeschichte zu beschäftigen? Schließlich geht es im folgenden um eine durchaus nicht zentrale Gestalt unter den ersten christlichen Theologen, nämlich um den gemeinhin "Gnostiker" genannten altchristlichen Lehrer Valentin, der etwa zur Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom lebte, und um seine Schule, die valentinianische Gnosis. Warum also der Blick auf eine Person und Gruppe, die noch dazu von der Kirche eindeutig als Häretiker erkannt und ausgeschieden worden sind? Zunächst einmal muß kaum ausführlich dokumentiert werden, daß gegenwärtig in vielen Texten innerhalb und außerhalb der Theologie, die gar nicht von Kirchengeschichtlern stammen, über Gnosis1 geredet wird; dieAktu' Die folgenden Überlegungen stellen ein im wesentlichen unverändertes Referat für eine Tagung des 'Pfullinger Arbeitskreises' zum Thema "Theologische Gegenwartsdeutung" vom 4. 4. 1989 in der Evangelischen Akademie in Hofgeismar dar, das lediglich um ausführliche Nachweise in den Anmerkungen erweitert wurde. Dort sollten Ergebnisse meiner patristischen Dissertation (Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, Diss. Theol. Tübingen 1990 = WUNT l.R. 65, ebd. 1992) einem Kreis von systematischen Theologinnen und Theologen vorgestellt werden; für ausführlichere Belege und Argumentationen zu den hier vorgetragenen Thesen darf ich auf diese Arbeit verweisen. - Für freundliche Hinweise danke ich Frau Prof. Dr. B. ALAND, Frau Prof. Dr. L. ABRAMOWSKI und den Herren Proff. Dr. W. HÄRLE und Dr. E. HERMS sowie den Teilnehmern der anschließenden Diskussionsrunde. Die Widmung will Dank für viele anregende Gespräche, die sich auch in diesen Überlegungen niedergeschlagen haben, sagen. 1 Ich bin an dieser Stelle eine kurze terminologische Rechenschaft schuldig: Ich verwende den Ausdruck "Gnosis" wie die altkirchlichen Autoren für diejenige Bewegung, für die der Gnosiskongreß von Messina den Namen "Gnostizismus" vorgeschlagen hat (Le origini dello Gnosticismo. Colloquio di Messina, 13-18 Aprile 1966, testi e discussioni publicati a cura di U. BIANCHI, SHR 12, Leiden 1967, XXIXf). Zur Begründung vgl. meine knappen Bemerkungen im Artikel 'Gnosis/Gnostizismus' des Neuen Bibellexikons (ed. M. GÖRG/ B. LANG, Zürich, Einsiedeln, Köln 1991, 868 - 871). Man könnte, wenn man schärfer argumentieren wollte, daran noch die Frage anschließen, ob nicht durch die Einführung eines eigenen 'Gnosis'-Begriffes, der als "Wissen um göttliche Geheimnisse, das einer Elite vorbehalten ist", definiert ist, eine grobe historische Unscharfe in die Forschung gekommen ist, weil dieses Element zu einer ganzen Reihe von völlig verschiedenen Geisteshaltungen der Spätantike gehört, die dann als 'Weltreligion'

2

Christoph Markschies

alitât des Themas ist augenfällig. Für systematische Theologen und Philosophen ist dieser Abschnitt der Kirchengeschichte aber aus noch einem ganz anderen Grunde interessant: Er scheint mir nämlich für die stets umstrittene Frage nach der Möglichkeit und Gestalt einer philosophischen Theologe von gewisser Bedeutung. Die Zusammenstellung der Stichworte 'philosophische Theologie' und Gnosis mag Verwunderung auslösen - die letztere Erscheinung pflegt man eher mit Schlagworten wie 'Remythisierung', 'Weltfremdheit' und 'mystische Schau' zu verbinden, die Gnosis jedenfalls kaum für einen ernstzunehmenden Beitrag zu systematischer Begriffsbildung zu halten. Darunter werden meist komplizierte Systeme vorgestellt, die man allenfalls zu theologischen oder religionswissenschaftlichen Examina fehlerfrei zusammenbringt2. Der große Berliner Kirchenhistoriker und Wissenschaftsorganisator Adolf von Harnack drückt, was man da gewöhnlich assoziert, in einer Rezension so aus: Gnosis "war (...) ein Passivum, ein ewig Gestriges, ein Sammelsurium von Fossilien, eine Rumpelkammer und ein Kerichthaufen"3.

Ein "Kerichthaufen" kruder Mythologumena vermag nun gar nichts zum Problem einer philosophischen Theologie beizutragen. Aber eine solche Sicht des Phänomens bliebe viel zu äußerlich, bemühte sich nicht um das Verständnis eines Phänomens, dessen äußere Gestalt ohne Zweifel nur den Halbgebildeten vergangener wie gegenwärtiger Tage prima vista zu faszinieren vermag. Für den Weg zu einem tieferen Verstehen hat wieder von Harnack

o.ä. zusammengefaßt werden. Eine Zusammengehörigkeit von so verschiedenen Richtungen wie der Hermetik, den Chaldäischen Orakeln, dem jüdisch-hellenistischen Denken eines Philo, dem Christentum der Oden Salomos (um einige Beispiele zu nennen), müßte aber nicht ständig vorausgesetzt, sondern endlich einmal nachgewiesen werden (dazu M. HENGEL/CH. MARKSCHIES, The 'Hellenization' of Judaea in the First Century after Christ, London,Philadelphia 1989,94 - 96)! 2 Dabei muß man sich allerdings klarmachen, daß der stellenweise wild wuchernde Mythos durchaus einen Zweck verfolgt, den ich im erwähnten Artikel so beschrieben habe: "Der Mythos versucht dabei zu erklären, wieso es in dieser vom Demiurgen beherrschten Welt zur Anwesenheit eines göttlichen Funkens im Menschen kommen konnte. G[n δε σάρκα μή σώζεσθαι θέλει, 'δερμάτινοι/ χιτώνα' άποκαλων καΐ 'άνθρωποι/ φθειρόμει/οιΛ - Die beiden zitierten Ausdrücke sind ihrerseits Zitate aus beiden Teilen der Bibel: 'δερμάτινος χιτώι/' aus Gen 3,21, wo mit diesen Vokabeln berichtet wird, daß Gott den Menschen Fellkleider herstellte und sie damit bekleidete; 'άνθρωπος φθειρόμει/ος' aus Eph 4,22, wo mit diesem Ausdruck der durch τάς επιθυμίας tfjç απάτης verdorbene "alte Mensch" gekennzeichnet wird, den es abzulegen gilt, "um den neuen Menschen" anzuziehen, "der nach Gott geschaffen ist in Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit" (V. 24 - zur Auslegungsgeschichte MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 284 - 289). 125 Nämlich der Ausdruck 'άνθρωπος φθειρόμενος' (Eph 4,22) mit der Vorstellung, die Engel seien plötzlich erschrocken und hätten den Menschen verdorben (και κατεπλάγησαν και ταχύ τό έργον ήφάνισαν Frgm. 1 = Clem. ΑΙ., Str. Π 36,4 [132,15f STÄHLIN]). 12β In seinem Beitrag "Das Evangelium Veritatis in der neueren Forschung" (ANRW 25.5, Berlin, New York 1988, 4054 - 4106), der auch ausführliche prosopographische Überlegungen enthält (p. 4064 - 4069). 127 C. COLPE, Heidnische, jüdische und christliche Überlieferung in den Schriften aus Nag Hammadi VII, JbAC 21,1978, (125 -146) bes. 133 und 144 -146. 128 SC 264,166,1194-171,1233 ROUSSEAU/DOUTRELEAU.

Texte und Forschungen zu Valentin

59

schiedenen Quellenabschnitten recht hilflos kompiliert ist - selbst die seit Lipsius129 durch Ά ' und 'B' unterschiedenen Varianten des valentinianischen Systems gehen durcheinander130.

Somit bleiben nach Ansicht von Markschies für die Diskussion über Valentin nur die oben aufgeführten Fragmente mit den Nummern 1 -12. Diese Quellenlage scheint im Vergleich mit christlichen Autoren des 3./4. Jh.s eher dürftig; ist aber bei einem Theologen des in vielem dunklen zweiten Jahrhunderts dann doch nicht so verwunderlich - aus wie wenig Zeilen rekonstruieren wir die Häresiologie eines Hegesipp, die Theologie des Montanus oder die Eschatologie eines Papias? Daher muß jeder, der sich in irgendeiner Form zur valentinianischen Gnosis und ihrer Entwicklungsgeschichte zu äußern beabsichtigt, schon aus ganz grundsätzlichen Erwägungen heraus mit dem "Schatten" ihres Gründers umgehen und ihm einen Platz in seinem Bild von der Entwicklung der valentinianischen Gnosis zuweisen. 2. Die bisherige Erforschung der Quellen zu Valentin 2.1. Grundsätzliche Bemerkungen zur Forschungsgeschichte Schon einer der ersten neuzeitlichen Verfasser einer ausführlichen Monographie über die Gnosis, Ferdinand Christian Baur131, hat das "Problem" klar beschrieben, vor dem jeder steht, der versucht, Valentins ursprüngliche Lehre zu rekonstruieren. "Das ursprüngliche System Valentins selbst kann um so weniger von den Modificationen seiner Schueler geschieden werden, da Irenaeus, ob er gleich Hauptschueler Valentins (...) besonders auffuehrt, doch in der Darstellung des valentinianischen Systems immer nur von den Valentinianern nicht aber von Valentin selbst spricht"132.

Man kann diesem Satz aus dem letzten Jahrhundert, um die Kontinuität des Problems zu demonstrieren, z.B. auch eine Stimme dieser Tage zur Seite stellen; B. Layton schreibt:

129

Valentinus und seine Schule, JPTh 13,1887, 585 - 658, hier p. 602.613; vgL Hippolyt, Haer. VI 29,3 (155,25-156,4 WENDLAND/237,10-16 MARCOVICH). Auch Tertullian hat in gewohnt ironischer Form von dieser Differenz berichtet: Val. 34 (SC 280,148,1-7 FREDOUILLE/CChr.SL 2, 777,16-21 KROYMANN). Zur Begründung der Unterscheidung von Schichten in diesem Text vgl. mein 'Valentinus Gnosticus', S. 366 - 376. 130 Auch das Zitat aus Ps.-Didymus Trin. III 42 mit seiner Parallele bei Cyrill v. Jerusalem, Catech. VI 17-19 sollte m.E. nicht für den historischen Valentin herangezogen werden; vgl. die beigegebene Synopse, unten S. 109 -111. 131 Die christliche Gnosis oder die christliche Religions-Philosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Darmstadt 1967 (Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1835); zu F.C.BAUR s. u. S. 62f. 132 F.C. BAUR, Die christliche Gnosis, 122 Anm. 1.

60

Christoph Markschies "Any reconstruction of Valentinus's life and teachings is inseparable from the study of his disciples and his school"*33.

Aus diesem Befund wurden, wie die Forschungsgeschichte zeigt, zwei gegensätzliche Schlüsse gezogen: Entweder wurde versucht, die wenigen Texte Valentins für sich zu verstehen und zu kommentieren, oder sie wurden mit Hilfe des ausgebildeten valentinianischen Mythos', den man bei den Schülern in mehreren Varianten findet, erläutert. Eine große Zahl von Forschern (wie z.B. eben Baur, Foerster, Sagnard und zuletzt McGuire) nimmt, weil sie die Fragmente Valentins für unverständlich hält, zu den wenigen originalen Bruchstükken noch weitere Texte der Schüler hinzu; nur eine kleinere Zahl (Harnack, Hilgenfeld und vor allem Preuschen) meldet Bedenken gegen dieses Verfahren an und geht von den Fragmenten Valentins aus134. 2.2. A Neander, Genetische Entwickelung (1818) Johann August Wilhelm Neander135 schrieb in den ersten Jahren seiner Berliner Professur als "Erzeugniß früh begonnener, und bey veränderten Ansichten fortgesetzter Lieblingsstudien" (ΙΠ) eine Darstellung über die Entwicklung der gnostischen Systeme136, wobei er weder in diesen Systemen "nur das Erzeugniß roher Einbildungskraft und kindischer Naturbetrachtung" sehen wollte noch lediglich "von Andern mißverstandene allegorische Entwickelungen phi-

133

Gnostic Scriptures, 222. In der folgenden Übersicht wird auf eine Darstellung und kritische Würdigung des Bildes, was ANTONIO ORBE in einer großen Zahl von Publikationen entwickelt hat, verzichtet. Zum einen habe ich in meinem Kommentar zu den Fragmenten seine Deutungen von Texten Valentins jeweils besprochen (vgl. Valentinus Gnosticus, Register moderner Autoren s.v.), zum anderen würde eine solche Auseinandersetzung den Rahmen dieses Beitrages sprengen. ORBES umfangreiche Beiträge zur valentinianischen Gnosis wurden (besonders die bisher sechs Bände seiner 'Estudios Valentinanos' [AnGr 99/100, 1958 = SCHOLER Nr. 1059/60; AnGr. 65,1955 = Nr. 1077; AnGr 113, 1961 = Nr. 1088; AnGr 158, 1966 = Nr. 1106; AnGr 83,1956 = Nr. 1112; vgl. aber auch D.M.SCHOLER, Nr. 877; 1055; 1056; 1135; 1136; 3365; 3653 und 4022) im deutschen Sprachraum kaum rezipiert, wenn man einmal von der Rezension G. BERTRAMS (ThLZ 91,1966,907-15) absieht. 135 17. 1. 1789 (David Mendel) - 14. 7. 1850, seit 1813 o.Prof. in Berlin; vgl. K. SCHOLDER, Art. Neander, 1. August, RGG IV, Tübingen 1960,1388. Eine recht abschätzige Charakterisierung NEANDERS findet sich bei W. VON KÜGELGEN, Bürgerleben. Die Briefe an den Bruder Gerhard 1840-1867, hg. v. W. KILLY, München 1990,185. 136 Genetische Entwickelung der vornehmsten gnostischen Systeme, Berlin 1818. 134

Texte und Forschungen zu Valentin

61

losophischer Ideen" in ihnen zu finden glaubt137. Mit seinem Werk beginnt die lange Reihe separater Darstellungen der Gnosis in der Neuzeit138. Nach Philo und Basilides wird Valentin dargestellt, zunächst sein Leben: "Von seinen Lebensumständen wissen wir zu wenig, um über die genetische Entwickelung seiner Meinungen etwas sagen zu können" (p. 92). Trotzdem beginnt Neander seine Darstellung mit einer biographischen Skizze 'von Alexandria nach Rom': Er "lebte zu Alexandria, vermuthlich von jüdischer Abkunft herstammend (...) Von Alexandria reisete er nach Rom, vermuthlich weil er hier, wo Christen aus allen Weltgegenden zusammen kamen, für die Ausbreitung seiner Schule am meisten würken zu können hoffte" (p. 92). Er versteht Valentin als 'Theosoph' (ebd.), sieht ihn in Nähe zu Basilides und bemerkt: "Unmöglich aber ist es, die dem Valentinus insbesondere eigenthümlichen Ideen von den Lehren seiner Schüler, welche sie entweder mehr vereinfachten, oder weiter ausspannen, und von den verwandten Ideen derjenigen, welcher aus gleicher Quelle schöpften, scharf und genau zu unterscheiden. Viele Schüler wollten selbst originell seyn, und bildeten daher die Ideen ihrer Meister auf eine eigenthümliche Weise aus" (p. 93).

Neander nennt als Charakteristicum des Valentinianischen Systems den Gegensatz "zwischen einer inneren, unmittelbaren Entfaltung und Entwickelung der göttlichen Lebenskräfte aus dem verborgenen Urgründe alles Daseyns und einer Schöpfung von außen, welche nicht unmittelbar von dem höchsten Wesen abgeleitet werden kann" (94); als eine "Grundidee in dem System Valentin's" bezeichnet er, "daß Ein Gesetz durch alle Stufen des Daseins hindurch gehe, alle Erscheinungen dieser Welt von Einem in einer höheren Weltordnung begründeten Gesetze sich müßten ableiten lassen" (96). Der Berliner Kirchenhistoriker gibt dann einen 'heilsgeschichtlichen (mithin systematisch-theologisch motivierten) Abriß' des valentinianischen Systems, in dem die Fragmente Valentins aus Clemens in die Darstellung aus den Kirchenvätern eingefügt sind139. Dabei wird im Rahmen seiner Kommentierung dieses Materials z.B.

137

Genetische Entwickelung, IV. Freilich findet sich schon an einer Reihe von Stellen bei dem Helmstedter und Göttinger Kirchenhistoriker JOHANN LORENZ VON MOSHEIM (1694-1755) eine Charakterisierung der valentinianischen Gnosis. Er hat zB. in seinem Werk 'De rebus christianorum ante Constantinum Magnum commentariΓ (Helmstedt 1753,376a) davon gesprochen, Valentin habe zwar 'die Philosophie gewissermaßen an Kindes Statt angenommen', aber der regula der christlichen Kirche angepaßt. Freilich sah M. diese Entwicklung äußerst kritisch (P. MEINHOLD, Geschichte der kirchlichen Historiographie II, Orbis Academicus IQ/5, Freiburg 1967, 25). Da Valentin aber auch den größten Teil seiner Begriffe aus dem Neuen Testament entnahm, sei es nicht verwunderlich, welchen Anklang er in der Kirche gefunden habe. m Frgm. 5 = p. 121; Frgm. 1 = p. 124f; Frgm. 4 = p. 127f; Frgm. 6 = p. 131; Frgm. 3 = p. 137 und Frgm. 2 = p. 140. 138

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die Doppelgeschlechtlichkeit der Aionen 140 in Bezug zur Kabbala und zum Neuplatonismus gesetzt, aber auch sonst interessantes Material angeführt141. Neander rechnet schon damit, daß der Valentinianismus die Bearbeitung eines älteren gnostischen Systemes darstellt: "Daß dies wichtig sey, erhellt besonders aus der Vergleichung der Valentinianischen Lehre mit der Ophitischen" (205)142. 2.3. F.Chr. Baur, Die christliche Gnosis (1835) Von Ferdinand Christian Baur (1792-1860)143 stammt die erste umfangreiche Monographie über "Die christliche Gnosis". Auf ihren fast 800 Seiten stellte der Tübinger Ordinarius (seit 1826) freilich nicht nur wie sein Berliner Vorgänger das reine historische Phänomen dar, sondern versuchte, wie der Untertitel "Die christliche Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung" zeigt, die Kirchengeschichte nun nach Kategorien Hegels neu zu verstehen und zu begreifen144. Die Monographie Baurs bietet so einen repräsentativen Eindruck seines dann durch Hegel geprägten Zuganges zur Kirchengeschichte: Schon im Vorwort sagt er, daß er den "Gegenstand der Untersuchung nicht blos seiner äußeren Erscheinung nach, sondern vor allem in seinem inneren Zusammenhang, in der innem Bewegung seines Begriffe und in der Totalität der Momente desselben", auffassen wolle (p. IV). Seine Geschichte der Gnosis schritt dabei

140 Den Begriff 'Aion' erklärt N. so, daß die Schule "den für die Bezeichnung des Urwesens charakteristischen Namen αίων (der Ewige)" auf untere Dynameis übertragen habe (95). Für die Doppelgeschlechtlichkeit wird p. 208 auf die Kabbala und Proclus (Theol. Plat. I 28 [CUFr I, 121,26-122,10 SAFFREY/WESTERINK]) verwiesen. 141 Das gilt besonders für die Anmerkungen, wo NEANDER zum valentinianischen 'Bythos'Begriff auf Synesios von Kyrene (ca. 370-413) und eine Stelle aus Jamblich, Myst. 8,2 hinweist (p. 207: npò [...] των όλων άρχων εστί θεός εις [...], ακίνητος εν μονότητι tf)ç έαυτοΟ ένότητος μένων, οδτε yòp νοητόν αύτω έπιπλέκεται οότε δλλο τι [261,9-12 Parthey]). Diese Passage einer 'ägyptischen Theologie' vergleicht N. mit der Unterscheidung zwischen 'Bythos' und 'Nous' bei den Valentinianern. 142 Zur Forschungsgeschichte bis auf Neander vgl. auch F. LÜCKE, Kritik der bisherigen Untersuchungen über die Gnostiker, bis auf die neuesten Forschungen darüber von Herrn Dr. Neander und Herrn Professor Lewald, ThZ (Berlin) 2,1820,132 -171. 143 Zu ihm vgl. zuletzt U. KÖPF, Theologische Wissenschaft und Frömmigkeit im Konflikt: F.Chr. Baur und seine Schüler, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 11, 1988, 169 - 177 (mit Literatur p. 169) und H. HARRIS, The Tübingen School, Oxford 1975. 144 Auf die zentrale Funktion des Buches für BAURS Denkweg machte z.B. M. TETZ in seinem Artikel über BAUR in RGG I, Tübingen 1957, 936f aufmerksam; vgl. auch E.P. MEIJERING, F.C. Baur als Patristiker. Die Bedeutung seiner Geschichtsphilosophie und Quellenforschung, Amsterdam 1986.

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"von selbst zu einer Geschichte der Religions-Philosophie" fort (VDI); im vierten Abschnitt, der etwa ein Viertel des Werkes umfaßt 145 , werden entsprechend auch "die alte Gnosis und die neue Religionsphilosophie" verglichen, dabei vor allem/. Böhme, F.D.E. Schleiermacher, F.WJ. Schelling und G.W.F. Hegel in den Blick genommen. Vor die Darstellung der einzelnen gnostischen Systeme hat der Tübinger eine Forschungsgeschichte146 und eine Begriffsdefinition des Phänomens gestellt, das er untersuchen will: Baur selbst bemüht für seine Untersuchung die Anwendung der "die drei Religionen Heidenthum Judenthum und Christenthum umfassenden Religionsgeschichte" (9). Dabei synthetisiert er die konkurrierenden bisherigen Erklärungsmodelle der Gnosis als zuallererst vom Piatonismus bzw. von orientalischer Philosophie bzw. Religion beeinflußter Bewegung in seiner Darstellung: Gnosis sei spekulative Philosophie auf der Basis dieser drei "positiven" Religionen, "an welche sie sich haelt (19)"147. Der eigentliche Charakter der Erscheinung aber wird gebildet durch die diese Elemente organisch verbindende Religionsphilosophie (29), die vor allem die platonischen Vorstellungen der Emanation und Evolution enthalte (29 - 31) 148 . Schon die heidnische Religion an sich trage freilich, "sofern sie immer von dem Gegensaz zwischen Geist und Materie, von einer Dualität von Principien ausgeht, ein wesentlich spéculatives Element in sich, sie ist ebendarum ihrem Princip nach Religionsphilosophie" (66). Baur verstand den Valentinianismus als die "das Christenthum mit dem Judenthum und Heidenthum naeher zusammenstellende Form der Gnosis" (122) und stellte sie als erste 'Hauptform" dieser Bewegung vor:

145

S. 544-735. Dabei rühmt er als Verdienst seines Vorgängers R. MASSUET (s.o. Anm. 56) die "genauen und gelehrten Nachweisungen, die er (...) ueber den Zusammenhang der gnostischen Lehren mit dem Platonismus gab" (p. 3). JX. MOSHEIM habe "die Ahnung eines großartigen aeußern und innere Zusammenhanges der gnostischen Systeme ausgesprochen, deren Wahrheit die folgenden Untersuchungen vollkommen bestaetigen" (5). An NEANDER kritisiert BAUR den Einsatz bei den Phänomenen (7), lobte aber - aus begreiflichen Gründen - seine Unterscheidung von "judaisierender und antijuedischer" Gnosis (8). 147 Entsprechend schlägt er p. 109-121 eine Klassifikation der Gruppen der Gnosis nach dem Verhältnis dieser drei Religionen zueinander im jeweiligen System vor: "Gerade das bedeutendste gnostische System, das valentinianische, kann nicht in seinem ganzen Umfange gewuerdigt werden, wenn es nicht als ein sowohl das Heidenthum wie das Judenthum mit dem Christenthum vermittelndes betrachtet wird" (p. 112). Zum Beweise dieser Ansicht beruft BAUR sich auf Valentins Frgm. 6 πολλά των γεγραμμέι/ων έν τάις δημοσίαις βίβλοις ευρίσκεται yeγραμμένα év τ§ έκκλησίφ τοΟ θεοΟ- (ρ. 458,13f STÄHLIN; zur Interpretation der δημόσιοι βίβλοι in der Forschung CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 194 - 200). 14 ° Zu der valentinianischen Aionenlehre bemerkt BAUR (p. 33): "Zu dem Begriffe der Emanation (...) gehoert aber endlich auch dieB, daß das Emanierende in demselben Grade, in welchem es sich von seiner Urquelle entfernt, an Realitaet und Vollkommenheit verliert." 146

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Christoph Markschies "Das valentinianische System ist unter allen gnostischen Systemen das am meisten platonisirende, und sein Piatonismus begegnet uns sogleich in zwei Grundideen, die ebenso unverkennbar ein platonisches Gepraege an sich tragen, als sie in den innern Organismus des Systems selbst tief eingreifen. Die eine derselben ist die Idee des Abfalls, in Folge dessen die endliche Welt entsteht, (...) die andere betrifft den Gegensatz des Idealen und Realen" (124). "Platonisch dürfen wir wohl, wenn wir auf das Ganze zurücksehen, mit Recht die Grundlage des Systems im Allgemeinen nennen. Es sind die drei Hauptmomente des absoluten Seyns, des Falls und der Rückkehr, durch die sich das System in seiner Entwicklung hindurchbewegt, und unter diesen Momenten selbst ist es die Idee des Falls, die am meisten auf den Zusammenhang mit dem Piatonismus zurueckweist" (141).

Dabei zitierte Baur zwar die Übersetzung einzelner Fragmente in seiner Darstellung des Systems, konnte sich aber zu einer Trennung von Texten und Kommentaren der Häresiologen noch so wenig wie zu einer differenzierten Wahrnehmung des Lehrers vor dem Hintergrund der Schule entschließen149. Ihn interessierte am valentinianischen System vor allem, wie es das Heidentum (vor allem in Gestalt der Mythen der "pythagoreisch-platonischen Philosophie", p. 231) und das Judentum mit dem Christentum vermittelt, nicht zuallererst das 'reine Phänomen' historischer Lehrerpersönlichkeiten150. 2.4. G. Heinrici, Die Valentinianische Gnosis und die HL Schrift (1871) Georg Heinrici151, der seinerzeit in Berlin als Privatdozent für Neues Testament wirkte, riet in seiner Untersuchung über das 'Schriftmaterial' der valentinianischen Gnosis152 fast dreißig Jahre nach Baur trotz allen Interesses an einer "Zergliederung der in verschiedenen Quellenschriften uns aufbehaltenen Darstellungen des Systems" (4) davon ab, allein von den Fragmenten auszugehen: "Vergeblich wäre der Versuch, den eigentümlichen Lehrtypus des Valentinus aus den Fragmenten vollständig herzustellen" (74).

149 Frgm. 2 p. 139f Anm. 9; Frgm. 5 mit Kommentar des Clemens p. 145 -147 Anm. 10; Frgm. 4 p. 158f Anm. 18. 215f Anm. 43 bringt er das 2. Fragment und seine 'Hausmetaphorik' mit "buddhaistischen Schriften" zusammen. 150 In der posthum erschienenen dritten Auflage des ersten Bandes seiner "Geschichte der christlichen Kirche" (Tübingen 1863 = Leipzig 1969) erklärt er ebenfalls als Hauptinteresse der Gnosis "nicht sowohl ein religiöses, als vielmehr ein spéculatives, philosophisches Interesse, das ihr zu Grunde liegt, und auf die Philosophie, als das höchste Erzeugniss des menschlichen Geistes in der heidnischen Welt, zurückführt" (p. 176). "Das tiefsinnigste dieser Systeme und zugleich dasjenige, das uns am genauesten bekannt ist, ist das des Gnostikers VALENTIN, oder, da sich nicht bestimmen lässt, was ihm selbst oder seinen Schülern angehört, das valentinianische" (p. 196). 151 1844 -1915; o.Prof 1892 in Leipzig (W.G. KÜMMEL, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, Orbis Academicus, München 1958,568). 152 Die Valentinianische Gnosis und die Heilige Schrift. Eine Studie, Berlin 1871.

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Trotzdem sprach er von "bestrickenden Lehren des Meisters", die fesseln und gewinnen mußten, "denn wer vermöchte dem Flügelschlag der einmal entfesselten phantasirenden Vernunft beschränkte Grenzen zu stecken" (11), als er eine Prosopographie der valentinianischen Schule der Untersuchimg voranschickte (9 -16). Das Referat des Irenäus über Valentin (s.o. Anm. 128) wertete er kritisch153. Heinrici hat sich schon Gedanken über den Unterschied zwischen Valentins Fragmenten, die er p. 65 - 75 darstellte, und dem System der Schüler gemacht: Es lägen "die erhaltenen Bruchstücke sämmtlich mehr in der Peripherie der Darstellung des geistigen Lebens, sie sind Blttthen desselben, unmittelbare Aeußerungen des Verkehrs oder des religiösen Bedürfnisses, und man darf sich nicht wundern, in ihnen kaum eine Spur der reichen Terminologie des Systems, keine Beziehung auf die Doppelketten der Aeonenwelt, keine Parallele für die zerspaltene Christologie anzutreffen. Sie zeigen die der großen Welt zugewandte Seite der Metaphysik, von der man auf den verhüllten Unterbau nur zur&ckschließen kann, wie man von den Gesichtszügen auf das Leben der Seele schließt"1^.

In den Fragmenten Valentins seien die Ideen in Bilder verhüllt (67); der Ausgangspunkt seiner Überlegungen sei der "Brief Plato's an den Dionysus"155. Heiruici gab die Fragmente in Übersetzung wieder und setzte sie zum 'schulmäßigen' Valentinianismus in Beziehung156. Er Schloß seine Darstellung mit dem bereits oben zitierten Diktum über die Vergeblichkeit der Bemühung, aus den Fragmenten Valentins System vollständig wiederherstellen zu wollen. Die Nähe Valentins zum kirchlichen Christentum zeigte sich für ihn darin, daß in seinen Fragmenten die "heilige Schrift (...) nicht als Auctorität herbeigezogen oder als Arsenal für Beweisstellen ausgebeutet, sondern einfach benutzt {wird) wie von einem, der in langem Umgang mit ihrer Sprache sich vertraut gemacht hat". Der Inhalt der Fragmente aber rechtfertige zur "Genüge" die Polemik der Kirchenväter dagegen (75). 2.5. E. Preuschen, Artikel "Valentinus, Gnostiker" (1908) Erwin Preuschen157 versuchte das Programm Adolf Hilgenfelds umzusetzen, der 1884 dazu geraten hatte, "die ursprüngliche Lehre des Meisters so viel als

153

Es schiene "zweifelhaft, ob wir einen einheitlichen Bericht vor uns haben, oder nicht Irenäus hier, wie auch sonst in diesem Abschnitt, verschiedenartiges zusammenschweißte" (41f). 154 Valentinianische Gnosis, 66. 155 Zu diesem Bezug auf Hippolyt (Haer. VI 37,1) vgl. oben Anm. 76. 156 Dabei schlägt er vor, in Frgm. 6 zu lesen: ουτός έστιν ό Xóvoc ό τοΟ ήγαπημένου (ρ.458,15 STÄHLIN - zur Forschungsgeschichte dieser Konjektur vgl. CH. MARKSCHI ES, Valentinus Gnosticus, 186 -188). 157

S.O.S. 52 Anm. 79.

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möglich zu unterscheiden von den Fortbildungen der Schüler und Nachfolger"158. Er erklärte in seinem Artikel für die Realencyclopädie programmatisch^; "Jede Darstellung der Lehre Valentins hat aber von einer strengen, durch nichts beeinflußten Analyse der noch erhaltenen Worte auszugehen"16 0.

Dazu begann auch er mit einer prosopographischen Übersicht (396f), die sich durch ein umsichtiges und zugleich quellenkritisches Vorgehen auszeichnet161, und Schloß daran eine Übersicht über die "schriftstellerische Thätigkeit Valentins" an (398 - 402). "Dieser Überblick über die schriftstellerische Thätigkeit Valentins zeigt, daß ihn die praktischen Aufgaben in Anspruch nahmen und daß er nicht den Ehrgeiz hatte, Schriftsteller zu sein" (398). In einem dritten Abschnitt versuchte Premchen, das "System Valentins" darzustellen (398 -402), nannte aber bei seiner Auslegung der Fragmente die Aufgabe, "aus diesen Bruchstücken eine zusammenhängende Darstellung von Valentins Lehre zu geben", "eine unlösbare Aufgabe" (402). Sie werde "dadurch erschwert, daß sich die Exegese der valentinianischen Schule bereits dieser Äußerungen bemächtigt und sie in Zusammenhänge hineingestellt hat, die ihnen ursprünglich fremd waren" (ebd.). Er interpretierte seinen Autor auf dem "Nährboden (...) des hellenistischen Synkretismus" (399), hielt für grundlegend den 'platonischen Dualismus', "der die geistige, göttliche, himmlische Idealwelt von der materiellen Erscheinungswelt trennt" (ebd.)162. Die Behandlung der Fragmente zeichnet sich dadurch aus, daß Zitat und Interpretation bei Clemens stets sorgfältig getrennt werden163 und die wörtlich in Übersetzung zitierten Texte nur knapp kommentiert sind164. In der zusammenfassenden Darstellung verschweigt Preuschen die Lücken, die von einem befriedigenden Gesamtbild

158

Ketzergeschichte, 290. Art. Valentinus, RE XX, 398 - 402. Art. Valentinus, 402. 161 Vg]. etwa seine Bemerkungen zur Zuverlässigkeit chronologischer Angaben bei Tertullian (p. 397,38-40). Vor diesem Hintergrund wird Frgm. 5 zitiert und kritisch vom Kontext bei Clemens abgehoben (399f). 163 Frgm. 1 = p.400; Frgm. 4 = p.400f; Frgm. 2 = p.401; Frgm. 3 = ebd; Irenäus 111,1 bezeichnet er als "kaum (...) zutreffendes Bild der Lehre Valentins selbst (...); wenigstens stimmt das, was wir hier als valentinianisches System erhalten, in wichtigen Punkten nicht mit den authentischen Äußerungen Valentins" (402). "Fast nichts erinnert an die Lehre, wie sie sich aus einer Analyse der Fragmente Valentins ergiebt. Der Schluß wird daher nicht abzuweisen sein, daß man eine Schullehre mit der Valentins selbst identifiziert hat" (403). 164 Zu Frgm. 3 (θεόριτα ΊησοΟς είργάζετο, ήσθιεν καί Inii/ei/ ιδίως ούκ άποδιδούς τα βρώματα [223,13f STÄHLIN]) verweist er z.B. auf seine "Zwei gnostische Hymnen" (mit Text und Übersetzung, Gießen 1904, 54f). 159

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trennen, nicht: Er nennt als Elemente eines solchen Bildes den "präexistenten Menschen" (Frgm. 1), den "einzig guten Vater" (Frgm. 2), dessen defizientes Abbild, die Welt. Jesu Erlösungswerk bestehe vor allem in seiner Enthaltsamkeit165; er lehre die Menschen, die Dämonen aus dem Herzen (Frgm. 2) zu treiben. Preuschen schließt seinen sorgfältigen Überblick mit der Ansicht: "Er steht in der That den kirchlichen Kreisen und ihren Anschauungen noch unendlich viel näher, und er hat in dem synkretistischen Gemenge den festen Boden noch weniger unter den Füßen verloren als ein Teil seiner Schüler" (402).

2.6. A. von Harnack, Dogmengeschichte (1886/1909) Adolf von Harnack bietet ein eindrückliches Beispiel für die Tatsache, daß auch die Sicht eines Theologen, der der Gnosis resp. dem Gnostizismus eher kritisch gegenüberstand166, eine interessante Perspektive auf Valentin und den Valentinianismus ermöglicht. Vielleicht stand der Berliner Gelehrte, der einst sein erstes kirchengeschichtliches Kolleg über den Gnostizimus gehalten hatte, in späteren Jahren 'der Gnosis' deshalb eher kritisch gegenüber, weil sein eigenes theologisches Ideal so weit davon entfernt war und er ein undogmatisches "schlichtes Evangelium" Jesu für das ursprüngliche Wesen des Christentums hielt167. Sozusagen als Gegenbild zu den Ursprüngen hat er mit allem Nachdruck die Gnosis als "Philosophie, Ethik und Mystik"168, als 'spekula-

165 Die Enkrateia würde in dieser zugespitzten Interpretation zur besonderen Erlösungstat Jesu Christi. Sollte sie zutreffen, wäre Valentin wohl unter die Theoretiker der 'enkratischen Bewegung1 zu zählen; PREUSCHEN scheint in diese Richtung gedacht zu haben. In meinem Kommentar zu diesem Fragment (Valentinus Gnosticus, 54 - 82) ist diese Anregung noch nicht genügend berücksichtigt, worauf mich mein Bonner Kollege W A LOHR mit Recht hinweist. Ich hoffe, mich ein andermal dazu näher äußern zu können. 166 In seiner Rezension von W. BOUSSET, Hauptprobleme der Gnosis [FRLANT 10, Göttingen 1973 = 1907], zuerst in: ThLZ 33,1908,10-13; jetzt in: Gnosis und Gnostizismus, hg. v. K. RUDOLPH, WdF 262, Darmstadt 1975, 231-237, hier 232 (F. SMEND/J. DUMMER, A. von Harnack, Verzeichnis seiner Schriften, Nr. 974/1654): Gnosis "war (...) ein Passivum, ein ewig Gestriges, ein Sammelsurium von Fossilien, eine Rumpelkammer und ein Kerichthaufen". 167 Das "Evangelium im Evangelium (ist) etwas so Einfaches und kraftvoll zu uns Sprechendes, daß man es nicht leicht verfehlen kann" (Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorlesungen vor Studierenden aller Facultäten im Wintersemester 1899/1900 an der Universität Berlin gehalten, Leipzig 1900, 9 [= Gütersloh 1977, 20; SMEND/DUMMER, Nr. 715/1655]; vgl. etwa auch K.H. NEUFELD, A. Haraacks Konflikt mit der Kirche. Weg-Stationen zum Wesen des Christentums, Innsbrucker Theologische Studien 4, Innsbruck 1979); C.-J. KALTENBORN, Kontroverstheologie zur Weltgestaltung. A. von Haraacks Berliner Wirksamkeit, in: Beiträge zur Berliner Kirchengeschichte, hg. v.G.WIRTH, Berlin 1987,197-216 sowie U.WICKERT, A. von Harnack, in: 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin, hg. v. G. BESIER u. CH. GESTRICH, Göttingen 1989,363-379. 168 Rez. von BOUSSET, Hauptprobleme der Gnosis, 232.

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tive Mysterien-Philosophie' und Gnostiker gar als die "Theologen des ersten Jahrhunderts" der Kirche interpretiert169: Sie "haben das Christenthum als die absolute Religion darzustellen unternommen^..). Bei Männern wie Valentin und seinen Schülern (...) kann kein Zweifel sein, dass dieser ihr Gnosticismus (...) in der Hauptsache vom griechischen Geist durchwaltet und von den religionsphilosophischen Interessen und Lehren der - freilich schon selbst im Synkretismus sich bewegenden - Griechen bestimmt gewesen ist"17^.

Entsprechend hielt er für die Schlüsselfrage der Gnosisforschung die von Baur aufgebrachte Frage, "was denn der ganze mythologische Apparat in ihnen (sc. den Systemen) bedeutet"171. Als Hauptproblem Valentins empfand Harnack das der "verfrühten Wissenschaftlichkeit"172. Diese Sicht stand gegen die Tendenzen seinerzeitiger religionsgeschichtlicher Forschung, gegen die er pointiert die Berücksichtigung der Fragmente forderte: "Unsere Geschichtsschreibung des Gnosticismus berücksichtigt diese Fragmente, wie sie uns vor allem Clemens und Orígenes bieten, noch immer viel zu wenig und hält sich mit Vorliebe an die trübseligen Berichte der Kirchenväter über die 'Systeme'(...)"173.

1888, also fünfzehn Jahre nach seiner Dissertation über die Gnosis174, veröffentlichte Harnack in der "Encyclopaedia Britannica" einen Artikel über Valentin175. Auch hier wird mit der Biographie begonnen ("Of Valentinus himself almost nothing is known", p. 37) und dann eine Aufzählung der Werke176 gegeben. Der Artikel enthält dann eine allgemeine Einführung in die Probleme einer Auslegung biblischer Schriften vor den Gebildeten im zweiten Jahrhundert (38/39). Die Darstellung schließt - dem Publikum entsprechend recht allgemein: "The importance of Valentinus lies in the facts, firstly, that he has recognized the relationship (...) between the theogonic-cosmogonic myth-wisdom of western Asia and the

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Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd.l Die Entstehung des kirchlichen Dogmas, 4., neu durchg. u. vermehrte Aufl. Leipzig 1909, 250. Er zitierte mit den Stichworten "acute Verweltlichung" F. OVERBECK (Studien zur Geschichte der alten Kirche, Libelli ISS, Darmstadt 196S [Chemnitz 1875], 184). Natürlich ist die Deutung als philosophische Theologie auch schon etwa von F.C. BAUR (Die christliche Gnosis, 141) vertreten worden: "Platonisch dürfen wir wohl, wenn wir auf das Ganze (des valentimamschen Systems) zurücksehen, mit Recht die Grundlage des Systems im Allgemeinen nennen". Als philosophische Theologie interpretiert etwa auch W.WEISCHEDEL (Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus I, München 1979,82) die Gnosis. 170 Lehrbuch der Dogmengeschichte, 251f. 171 Rez. Bousset, 236. - Zu HARNACK und BAUR vgl. E. TROELTSCH, Adolf v. Harnack und Ferd. Christ, v. Baur, in: Festgabe von Fachgenossen und Freunden A. von Harnack zum siebzigsten Geburtstag dargebracht, Tübingen 1921,282 - 291. 172 Rez. Bousset, 232f. 173 Lehrbuch der Dogmengeschichte 1,258f Anm. 3. 174 SMEND/DUMMER, Nr.1/3; s.o. S. 49 mit Anm. 63. 175 Valentinus and Valentinians, Bd. 24,9. Aufl., 37 - 40. 176 Auch HARNACK macht auf die Problematik der Quellenlage aufmerksam.

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Neopythagorean, Platonic, and Philonic philosophy; secondly, that he touched all this rich and varied material which he had appropriated with the magic wand of the Platonic conception of the universe, and thus transmuted the whole into entities of a purely spiritual character; and thirdly, that he gave a decisive part to the appearance of Jesus Christ in that great drama which the history of the higher and the lower cosmos presented to his mind. In all this he had no design of setting up a new "confession" and still less any notion (as Marcion had) of utterly remodelling Christianity (...). In this respect he was the forerunner of Clement and Origen (,..)"177T

Vor dem Hintergrand von Hamacks lebenslangen Interesses an der Gnosis im Rahmen der altkirchlichen Dogmen- und Kirchengeschichte wird man wohl auch das Thema der Lizentiatsarbeit seines Seminar-Seniors und späteren Berliner Bischöfe, Otto Dibelius, verstehen, auf deren Basis Dibelius 1908 in der ZNW einen Aufsatz unter dem Titel "Studien zur Geschichte der Valentinianer" publizierte. In seinen Memoiren unter dem Titel "Ein Christ ist immer im Dienst" nennt er allerdings popularisierend den "Gnostiker Valentin (...) den Rittelmeyer der alten Kirche"178. 2.7. E. Schwartz, Aporien im vierten Evangelium (1908) Eduard Schwartz, der die Kirchengeschichte bewußt und kritisch als klassischer Philologe traktierte, sprach von den Fragmenten Valentins als "einzelnen, kostbaren Resten", deren exaktes Verhältnis zu den Systemen, wie sie die Ketzerbestreiter überliefern, nicht mehr geklärt werden könne, und bezeichnete den Überlieferungszustand der Lehre der valentinianischen Gnosis entsprechend als 'wüsten Trümmerhaufen', "der sich zu einem verständlichen Bau nicht mehr zusammenfügen will"179. Er charakterisierte als Eigentümlichkeit der valentinianischen Gnosis, "daß sie dem Christentum selbst von allen gnostischen Secten am nächsten steht und alles daran gesetzt hat die Kirche zu erobern oder doch wenigstens darin zu bleiben" (p. 130).

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Valentinus, 39. HARNACK schließt seinen Artikel, indem er neun Punkte angibt, in denen "Valentinians anticipated the ecclesiastical speculations of subsequent centuries" (40). 178 Stuttgart 1961, 58. F. RITTELMEYER fühlte sich freilich lebenslang als Schüler HARNACKS (so in einem [unveröffentlichten] Brief zum 7.5.1927, Nachlaß Harnack, Staatsbibliothek zu Berlin, Kasten 39). 179 Aporien im vierten Evangelium Π, NGWG.PH 1908,127. - Zu SCHWARTZ selbst vgl. z.B. A. REHM, Eduard Schwartz' wissenschaftliches Lebenswerk, SBAW. PH 1942/4, München 1942.

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2.8. CBarth, Die Interpretation des N.T. in der Valentin. Gnosis (1911) Carola Barth1S0 hat in ihrer Lizentiatsarbeit181 den Umgang der Valentinianer hauptsächlich anhand der 'Exzerpta ex Theodoto' und der parallelen Texte aus Irenäus182 dargestellt. Die Verlegenheit gegenüber dem originären Werk zeigt sich darin, daß die Fragmente Valentins sowohl im quellenkundlichen Teil (p. 1 - 27) wie im Abdruck der Bibeltexte (p. 30 - 43) vollkommen ausgeblendet werden183. Frau Barth rechnete zudem damit, daß "die Grundgedanken der valentinianischen Lehre, wie die jeder Gnosis, älter als das Christentum selbst" gewesen wären (p. 44184), so daß die Frage nach dem Beitrag des Theologen Valentin ohnehin für sie von geringerem Gewicht gewesen sein muß. Die Metaphysik der Valentinianer hält sie für "platonisch orientiert" (45); das Aionensystem sei von Ptolemäus aus dem Johannesprolog entwickelt (93) und mit Elementen eines 'griechisch-ägyptischen' Synkretismus angereichert worden. Auch die neueren Arbeiten zur Schriftauslegung der Valentinianer konzentrieren sich weitgehend auf die Schüler185.

180 (1879 - 1959) - Hier scheint eine ausführlichere biographische Notiz durchaus angebracht: Sie legte 1907 vor der theologischen Fakultät der Universität Jena (als erste Frau) die Lizentiatenprüfung ab, war von 1910 bis 1921 Oberlehrerin an der Schillerschule in Frankfurt, seit 1920 (ChW 33, 1920, 526) bis zu ihrer Pensionierung 1934 als Oberstudiendirektorin Leiterin des Kölner Lyzeums. Seit 1919 Fachvertreterin fär Ev. Religionsunterricht im Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß; 1920 Forderung nach Gründimg einer Berufsorganisation für Frauen (ChW 34, 1921, 107); 1927 Ehrendoktor der Ev.-Theol. Fakultät der Albertina in Königsberg; 1930 Vorsitz der 'Vereinigung evangelischer Theologinnen' (dazu W. MATTHIAS, Art. Barth, l.Carola, RGGI, Tübingen 31957,893; ihr Nachlaß im Stadtarchiv Frankfurt/M.). 181 Die Interpretation des Neuen Testaments in der Valentinianischen Gnosis, TU 37/3, Leipzig 1911. 182 Zur Rekonstruktion einer ptolemäischen Quellenschrift vgl. C. BARTH, 12-21. 183 Zu den nicht wenigen Bibelzitaten und Anspielungen Valentins vgl. unten S. 104 mit Anm. 363. 184 Diese Ansicht vertrat auch der ehemalige Jenenser Ordinarius A. HILGENFELD (s.o. S. 49 Anm. 61). 185 B. ALAND, Erwählungstheologie und Menschenklassenlehre. Die Theologie des Herakleon als Schlüssel zum Verständnis der christlichen Gnosis?, in: Gnosis and Gnosticism, Papers Read at the Seventh International Conference on Patristic Studies, NHS 8, Leiden 1977, 148-181 [SCHOLER Nr. 4004]; E.H. PAGELS, The Johannine Gospel in Gnostic Exegesis: Heracleon's Commentary on John, SBL MS 17, Nashville, New York 1973 [Nr. 3076]; J.-M. POFFET, La Méthode Exégétique d'Héracléon et d'Origène. Commentateurs de Jn 4: Jésus, la Samaritaine et les Samaritains, Paradosis 28, Fribourg 1985 [Nr. 6370]. - Die Dissertation von JA. WILLIAMS (Biblical Interpretation in the Gnostic Gospel of Truth from Nag Hammadi, SBL. Dissertation Series 79, Atlanta 1988 [SCHOLER Nr. 6671]) beansprucht, da sie Valentin als Autor des EV voraussetzt (s.o. S. 56 Anm. 103), diese Lücke zu füllen (p. 7).

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2.9. E. de Faye, Gnostiques et Gnosticisme (1913/1925) Der reformierte Patristiker Eugène de Faye186 hat in seiner großen Darstellung über Gnosis und Gnostizismus187, die zuerst 1913 und dann in wenig veränderter Form 1925 nochmals erschien, trotz seiner Anerkennung für die an babylonischer und persischer Religiosität orientierte Gnosisdeutung BoussetsiS& bewußt eine aus den gnostischen Original-Quellen selbst gearbeitete Studie vorlegen wollen. Daher besprach er zuerst die aus ihren Fragmenten erhebbaren "großen Gnostiker und ihre Schüler" (p. 39 - 188), dann die durch zuverlässige Referate überlieferten Persönlichkeiten (p. 189 - 267) und koptische Texte (269 - 333). Hier erst folgen die nur aus den Kirchenvätern bekannten Gnostiker und "gnostiques de la légende" (Simon, Cerdo, Satornil; p. 335 - 437). Valentinus rechnete er mit Basilides und Marcion zur "génération des créateurs" (p. 233) 189 . Ihn selbst schätzte er hoch: "Chacun de ces fragments nous révèle un aspect du génie si riche et si original de Valentin" (57). Das Valentinkapitel (57-74) beginnt mit der Besprechung von Frgm. 5 als Zeugnis einer platonischen Bildung und Ansicht (57f): "Ce fragment nous révèle donc un philosophe platonicien" (59)190. Es folgen einige weitere Fragmente191; dann als Zusammenfassung: "Nos fragments nous révélant un Valentin que la tradition ecclésiastique ne laisserait jamais deviner. Π est d'abord un spéculatif. L'essor en pleine métaphysique est naturel à sa pensée. Les larges constructions d'idées en dehors de la réalité contingente l'attirent. Il est de la famille des Platon, des Philon, des Plotin" (63f). Sein Verständnis Valentins als eines christlichen Platonikers faßte De Faye so zusammen: "Philosophe et chrétien, homme de spéculation et ardent apôtre, tel est le Valentin desfragments"(64). Natürlich beruht auch seine Valentin-Darstellung programmatisch zuerst auf den Fragmenten (und nicht auf den Referaten der Kirchenväter) - Valentin erweist

186 1860 - 1929; seit 1912 Prof. und dann Direktor an der 'École des Hautes Études' (R. VOELTZEL, Art. Faye, Eugène de, RGG Π, Tübingen 31958,890). 187 Gnostiques et Gnosticisme. Étude critique des documents du Gnosticisme chrétien aux IIe et e n i siècles, Paris 21925 - vgl. die ausführliche Rezension von F. LOOFS, ThLZ 51, 1926, 361 368. 188 Vgl. dazu p. 529: "Ce que Bousset a mis également en pleine lumière, c'est l'influence des religions orientales et syncrétistes sinon sur tout le gnosticisme, du moins sur une notable partie des systèmes gnostiques. A ce point de vue, ses recherches conservent toute leur valeur". Kritik an BOUSSETS Valentinbild übt DE FAYE p. 74. 189 An einigen Stellen wird auch noch mit dem gemeinsamen Vorfahren der Naassener, Peraten und Sethianer ein fünfter Typ eingeführt (p. 233). 190 Zum Piatonismus Valentins cf. auch seine p. 64f, wo DE FAYE auf die Differenzen in der Erklärung des Bösen aufmerksam macht - hier denke V. stärker biblisch. Zum Thema vgl. auch unten, S. 79f. 86 - 90 und 103 -106. 191 Frgm. 2 (59f); Frgm. 4 (60); Frgm. 3 (61: "On voit clairement que, dans le système authentique de Valentin, Jésus occupe la place centrale [...]. Sans doute, il est à présumer que dans le doctrine de Valentin, le Christ métaphysique absorbait le Jésus de l'Évangelie"); Frgm. 1 (62).

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sich so fast als 'Probestück' für die Angemessenheit des methodischen Programmes von de Faye (und für die Folgen eines solchen Vorgehens für das Bild der Entwicklung)*92.

Die Entwicklung der valentinianischen Schule verstand er als ein Paradigma für die Entwicklung der Gnosis insgesamt: Ihre Lehre sei durch die Einfügung der 'bizarr-barbarischen' Namen verwildert (386f); die ursprünglich innerkirchliche Bewegung sei zu einer eigenen Kirche geworden (263.475). Der Ptolemäus-Bericht des Irenäus193 ist nach de Faye durch die geistlose Spekulation von Valentinianern der dritten Generation getrübt194; Sakrament und wirrer Synkretismus treten an die Stelle einer Bewegung, die Erkenntnis innerhalb der Kirche fördern wollte; de Faye spricht von "nouveau gnosticisme" (477) oder "néognosticisme" (483). Sein Rezensent Friedrich Loofs rühmte diese in ihrer Zeit recht ungewöhnliche Konzeption der Geschichte der Gnosis trotz aller Kritik: "In vielen Punkten - so im wesentlichen in der Beurteilung der groBen gnostischen Lehrer des 2. Jahrhunderts - ist de Faye ihnen (sc. der religionsgeschichtlichen Schule, C. M.) gegenüber im Recht; und, wo gnostische Dokumente weder direkt noch indirekt zu erreichen sind, ist in der Tat mit den Berichten keine sichere Erkenntnis zu gewinnen. Soweit sie dem Rechung trägt, ist de Faye's Methode (...) uneingeschränkt als die richtige anzuerkennen"1®5.

Leider hat Eugène de Faye seine Beobachtungen zu Valentin nicht auf alle Fragmente ausgedehnt, so daß seine Interpretation 'allein auf Grund der erhaltenen Reste' (26) philologisch etwas in der Luft hängt. 2.10. W. Foerster, Von Valentin zu Herakleon (1928) Der spätere Münsteraner Neutestamentier Werner Foerster196 hat sich in seiner Monographie zur Geschichte der valentinianischen Gnosis197 auch über

192 «Vous resterez ainsi asservi à la tradition des hérésiologues. Seulement vous ne serez assuré d'avoir raison qu'à la condition de prouver que cette tradition mérite plus de confiance que les fragments originaux de notre gnostique" (74). Zum Thema äußert sich DE FAYE auch p. 118 122; zu "graves altérations du système primitif de Valentin" und ihren Urhebern in der 'großen Notiz' des Irenäus p. 137f. 193 Haer. I 1,1-8 (28,74-137,973 ROUSSEAU/DOUTRELEAU; vgl. dazu die Einleitung der beiden Forscher in SC 263,83 - 85). 194 Vgl. dazu p. 110 -141 und 265 - 67. 195 ThLZ 51,1926,366f. Allerdings wirft LOOPS DE FAYE vor, aus den Fragmenten mehr entnommen zu haben, "als sie bieten" (367). Das gelte insbesondere auch für sein Bild der Person Valentins. Hier bleibt LOOFS' Rezension allerdings sehr im Allgemeinen; ein konkreter Beleg für diese Kritik wird nicht genannt. 196 23.7.1897 - 8.1.1975, seit 1959 o. Prof. in Münster. 197 Von Valentin zu Herakleon. Untersuchungen über die Quellen und die Entwicklung der valentinianischen Gnosis, BZNW 7, Gießen 1928.

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Valentins Fragmente geäußert (91 -101). Er griff das methodische Programm De Fayes auf, indem er mit der Interpretation der Fragmente des Valentinianers Herakleon begann (2)198. In das daraus gewonnene Bild zeichnete er andere Textüberreste ein und meinte so schließlich "eine bestimmte Entwicklungslinie von Valentin über die Exzerpte zu Ptolemäus und Herakleon" (2) ziehen zu können. Foerster behielt diesen Zugang zum Phänomen der valentinianischen Gnosis auch in späteren Jahren bei, wie seine Einleitung zur Übersetzung der Fragmente in dem dreibändigen Sammelwerk "Die Gnosis" der 'Bibliothek der alten Welt' (s.o. Anm. 98) von 1969 deutlich zeigt: "Nunmehr kommen wir auf die Fragmente, die von dem Sektenstifter selbst erhalten sind. Von ihnen aus sich ein Bild von dem ganzen System machen zu wollen, wäre vergeblich, dazu sind die Fragmente zu wenig zahlreich, zu kurz und betreffen auch zu verschiedene Punkte. Wir können nur die einzelnen Fragmente daraufhin untersuchen, ob sie zu dem, was von Valentin und von seinen Schülern sonst überliefert ist, passen"199.

1928 hatte er in den Fragmenten vor allem "eine viel stärker orientalisch-mythologische Umgebimg" als bei Ptolemäus und Herakleon beobachtet200; die Widersprüche zwischen Fragmenten und den Systemen der Schüler wurden in seiner Darstellung reduziert201. Für das endgültige Urteil spielte freilich auch das erwähnte Irenäus-Referat (Haer. 111,1) eine wichtige Rolle (97f): "Was Irenäus als Meinung des Valentin selbst mitteilt und was wir aus den Originalfragmenten ersehen, berührt sich mit den Besonderheiten der Excerpte aus Theod(of). Leider können wir nicht den Bericht des Irenäus über Valentin mit den Bruchstücken des Valentin vergleichen, da jeweils andere Teile des Systems erörtert werden (...). Da die Schule des Valentin, wie aus Her(aJüeo/i) und Ptolemäus hervorgeht, im Laufe der Zeit immer mehr die Anklänge an das System der Gnostiker des Irenäus, überhaupt die orientalisch-mythologischen Züge beseitigt oder abgeschwächt hat, so ergibt sich für die Geschichte der valentinianischen Schule mit hoher Wahrscheinlichkeit der Schluß, daß202 Valentin selbst ausgegangen ist von einem dem der Gnostiker des Irenäus ähnlichen System, das er in den Dienst einer bestimmten neuen Idee gestellt hat" (98).

198 Vier Jahre später zugänglich bei VÖLKER, Quellen zur Geschichte der christlichen Gnosis, 63 - 86; vgl. zuletzt J.-M. POFFET, La Méthode Exégétique d'Héracléon et d'Origène (s.o. Anm. 185 = SCHOLER Nr. 6370). Zur Auseinandersetzung FOERSTERS mit DE FAYE vgl aber die Bemerkungen auf p. 105-107. 199 Die Gnosis 1,309. 200 Zu Frgm. 1 (p. 92). 201 "Diese Stelle (= Frpn. 3) ist allerdings den verschiedenen Berichten über das System der Valentinianer gegenüber neutral" (93). "Dies Fragment (= Frgm. 5) bietet weiter keine Handhabe, Valentin einzureihen". "Auch dies Fragment (= Frgm. 7) bietet zu wenig Anhaltspunkte für eine nähere Erörterung" (beide Zitate p. 96). 202 Folgende 13 Worte im Original gesperrt.

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Im methodischen Zugriff Foerster eng verwandt ist die Heidelberger Dissertation des Jahres 1991 von Holger Strutwolf1die sich allerdings zum Ziel gesetzt hat, für Orígenes der "Beziehung dieses Systementwurfe zur Gnosis (...)" nachzugehen (13) und daher im Rahmen dieses Beitrages nicht eigentlich besprochen werden kann und muß. Die valentinianische Gnosis muß natürlich bei diesem Unterfangen in den Blick kommen, "weil Orígenes im Milieu von Alexandria, wo Valentin zuerst und nachhaltig204 gewirkt hat, großgeworden ist und mit Valentinianern regen Kontakt hatte, wie u.a. die Bekehrung seines dem Valentinianismus entstammenden Mäzens Ambrosius zeigen kann" (14). Strutwolf führt über Foerster freilich schon deswegen hinaus, weil er valentinianische Traktate der Nag-Hammadi-Bibliothek einbezieht205. Bei den Fragmenten Valentins rät er zu Vorsicht206; er empfiehlt, "von der frühesten Gestalt des Systems, von welcher wir eine vollständige und sichere Kenntnis besitzen, auszugehen, um von dieser Entwicklungsstufe aus (...) auf ihre etwaigen Vorlagen und Vorläufer zurückschließen zu können" (28). Diese Bedingungen erfülle nur die 'große Notiz" des Irenaus. Zu jener Gestalt des Systems werden dann die anderen Texte und ihre Varianten in eine entwicklungsgeschichtliche Beziehung gesetzt. Bei Strutwolf geschieht das in einer heilsgeschichtlich geordneten Darstellung des valentinianischen Systems (27 - 209)207, der dann (nach seiner Meinung) vergleichbare Punkte bei Orígenes in einem zweiten Teil gegenübergestellt werden. Dabei hält der Autor das Referat Haer. 111,1 für authentisch208 (und ordnet deswegen Valentin der östlichen Schule des Valenti-

203

Gnosis als System. Zur Rezeption der valentinianischen Gnosis bei Orígenes, Diss.Theol. [masch.], Heidelberg 1991 - eine "nochmals durchgesehene und im wesentlichen unveränderte Fassung" erschien jetzt als FKDG 56 (Göttingen 1993); danach wird zitiert. - Ich danke dem Autor nicht nur dafür, daß er mir sein Werk sofort zugänglich gemacht hat, sondern auch für allerlei freundliche Gespräche über die Materie. 204 Für diese Ansicht gibt S. leider keine Belege. 205 Nämlich (p. 21f) PrecPl (NHC I.J); EV (NHC U/ΧΠ^); Rheg (1,4); TractTrip (1,5); EvPhil (11,3); lApocJac (NHC V¿); ExpVal (XI,2) und PrecVal (Xl^a) - vgl. oben Anm. 21 auf S. 43. 206 "Angesichts der wenigen Relikte seiner Schriftstellerei läßt sich die Frage, ob Valentin ein gnostischer Systematiker oder ein platonischer Exeget war, m.E. nicht mit Sicherheit beantworten" (28). 207 "Entwicklungslinien der valentinianischen Pleromalehre" (30 - 58); "Der Fall und die Entstehung der außerpleromatischen Welt" (59 - 103); "Die Schöpfung des Menschen und die DreiNaturen-Lehre" (104 - 154); "Der Erlöser und sein Werk" (155 - 180); "Die valentinianische Eschatologie" (181 - 209). 208 Er bemerkt nach der Darstellung der Äonenpaare dieses Textes ("Αρρητος - Σιγή; ΙΤατήρ 'Αλήθεια; Λόγος - Ζωή; "Ανθρωπος - Εκκλησία): "Nun spricht nicht nur (...) die Beobachtung, daß Ptolemäus augenscheinlich ein System voraussetzt, das dem von Adv. haer 1,11,1 entspricht, für die Authentizität des Textes, sondern es gibt auch Indizien in den wenigen erhaltenen Valentinfragmenten" (33). Valentin kenne in Frgm. 1 "eine pleromatische Gottheit, die er als προών "Αι/θρωπος bezeichnet". Warum dieser Begriff eine "pleromatische Gottheit" bezeichnen soll, begründet S. allerdings nicht. Die platonische Urbild-Abbild-Struktur des ersten Fragmentes werde durch unplatonischen Dualismus "radikal verdunkelt" (34). Frgm. 5 (όπόσον έλάττων ή είκών τοΟ ζώντος προσώπου, τοσούτον ήσσων ό κόσμος τοΟ ζώντος αιώνος [ρ. 287,22f STÄHLIN]) interpretiert S. mit ORBE so: "Um wieviel geringer das Abbild [der Demiurg] als das lebende Gesicht [der eingeborene Sohn] ist, um soviel geringer ist auch der Kosmos [die Sinnenwelt] gegenüber dem lebenden Äon [das Pleroma]" (35). Allerdings beruht diese Interpretation auf der Deutung des Fragmentes durch Clemens, deren Angemessenheit der Autor voraussetzt (anders CH. MARKSCHIES, s.u. S. 99f).

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nianismus zu209). Valentin kenne noch keine Aufspaltung der Sophia-Gestalt in eine 'obere' und 'untere' Sophia210. Auch die "Naturenlehre mit ihrer absoluten Heilsgewißheit" führt er auf Valentin zurück211; zudem schließt er aus dem Psalm Valentins (Frgm. 8), dieser habe einen Prinzipien-Dualismus vertreten212.

Damit wird aber eben Foersters Sicht der Entwicklung des Valentinianismus bestätigt bzw. erneuert: Der Valentinianismus paßte sich - nach dieser Deutung - im Laufe seiner Entwicklung eher der kirchlichen Theologie an und verließ z.T. einige damit in Konkurrenz stehende Lehren. Die Grundlagen des Systems hat schon Valentin gelegt. Insgesamt fällt an der Darstellung Strutwolfs auf, daß auf die schwierige Bildersprache der Fragmente kaum eingegangen wird, wenig berücksichtigt wird, daß viele Fragmente Valentins Aussagen in Form eines Gleichnisses vornehmen, dessen 'Entschlüsselung' m.E. äußerst problematisch ist und z.T. offenbar schon antiken Lesern (etwa Clemens) nicht mehr einfach möglich war. Nun wird man freilich von einer Arbeit, die die Genese des origeneischen Systems ein Stück weit genauer erklären will 213 , auch keine ausführliche Exegese jedes valentinianischen Quellenstückes erwarten dürfen. Aís besondere Stärke der Arbeit und gewichtiger Beitrag zur Diskussion um die Genese des valentinianischen Systems erweisen sich m.E. die vielen Vorschläge zur Quellenscheidung bei Irenäus und Hippolyt, die (vor allem, wenn der Autor sie nochmals eigens zusammenstellt und weiter begründet) zu einer wirklichen Klärung in dieser schwierigen Frage führen könnten. Außerdem findet man hier eine verdienstvolle doxographische Zusammenstellung der Lehren der 'valentinianischen Gnosis', die man so und auf diesem Niveau bisher nicht lesen konnte.

209

Er bezieht sich dabei (71f) vor allem auf folgende Passage: Kai τόν Xpurcòv δε ουκ άπό των cu τφ Πληρώματι Αίώι/ωι/ προβεβλήσθαι, άλλα ùnò tffe Μητρός εξω γενομένης κατά τήν μνήμην τών κρειττόνων άποκεκυήσθαι μετά σκιάς τίνος (169,1213-1216) im Vergleich zu Clemens, Exc. Thdot. 30,2 - 31,1. 210 So STRUTWOLF, 75 - vgl dazu unten S. 79 - 81 den Bericht über STEAD. 211 Nämlich auf Frgm. 4 (p. 129). Die Wendung κοά τόν θάνατον ήθέλετε μερίσασθαι είς εαυτούς, u/a δαπανήσητε αύτόν και άναλώσητε, και άποθάνη ό θάνατος έν ύμΐ; καί Si' ύμων (287,12-14 STÄHLIN) übersetzt er: "ihr wolltet den Tod euch selbst zuteilen...". Damit wird das Problem des Ausdruckes "verteilen" umgangen, das aber einer der Schlüssel zur Auslegung der Metaphorik des Zitates ist (CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 130-141). 212 Er bezieht sich auf die beiden letzten Verse έκ δέ βυθού κφπους φερομένους, έκ μήτρας δέ βρέφος φερόμενον, die er wörtlich versteht. Die Frage, ob hier (wie gern in solchen Psalmen) Parallelismus membrorum vorliegt (so CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 226 228. 242), wird leider nicht diskutiert. - Zu Frgm. 3 knappe Bemerkungen auf p. 160f; Frgm. 10 hält STRUTWOLF (p. 161 Anm. 35) für echt; vgl. aber oben S. 55f. 213 Er will es "als eine ständig im Gespräch mit seinen Gegnern befindliche Konkurrenzbildimg zum valentinianischen System" verstanden wissen, die diesem aber sowohl durch seine größere Nähe zur christlichen Tradition als auch durch seine tiefere philosophische Durchdringung überlegen" sei (359).

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Christoph Markschies 2.11. F. Sagnard, La Gnose Valentinienne (1947)

Der französische Dominikaner und Patristiker François-M.-M. Sagnard hat in seiner ausführlichen Untersuchung zur "Grande Notice d'Irénée"214 den Fragmenten Valentins keinen 'konstruktiven Wert' zugesprochen. Da es ihm vor allem um den Text Haer. I 1,1-8,4 (p. 31 - 50)215, dessen Autor216 und seine Art der Widerlegung (104 -111) sowie um einen ausführlichen Kommentar zu diesem Text (140 - 198) ging, wird man ihm diese Grundrichtung kaum vorwerfen wollen. Trotzdem wendete er sich bereits im ersten Teil seiner Untersuchung recht deutlich gegen die These seines Landsmannes De Faye, Epigonen Valentins in der dritten Generation hätten dessen Lehre verkompliziert und den wahren Valentin deformiert (113f): Er wirft ihm vor, diese Ansicht sei a priori entstanden (und eine reine Hypothese), die Sagnard um der Texte willen ablehnt217. Vor Beginn des eigentlichen Kommentars folgt in einer Übersicht zu den Quellen auch eine Übersetzung einiger Fragmente218, deren Rätselhaftigkeit dem Leser mit knappen Bemerkungen demonstriert wird (121 126). Sagnard schließt diesen Abschnitt: 'Si nous n'avions que ces extraits, nous n'irions pas au delà d'une grande probabilité, sans pouvoir l'object du mystère. Mais si, sur d'autres bases critiquement établies, nous arrivons à determiner ce qu'est la gnose valentinienne, et que nous en rapprochions ces fragments étudiés, ils deviennent alors très clairs" (p. 126).

Die Fragmente dienten ihm so lediglich als 'Verifikationspunkt' und 'Prüfstein' für das Bild der valentinianischen Gnosis, das er vor allem aus der "großen Notiz" des Irenäus gewonnen hatte219. Damit entsteht natürlich ein Zir-

214 La Gnose Valentinienne et le témoignage de Saint Irénée, EPhM 36, Paris 1947. - Diese bahnbrechende Arbeit kann hier freilich nur in ihren Ergebnissen in Bezug auf Valentin - und damit sehr verkürzt - dargestellt werden. 215 Es handelt sich weitgehend um den Text aus der Berliner Epiphanius-Edition von KARL HOLL (Berlin 1915), allerdings hat SAGNARD einige der Konjekturen Holls zurückgenommen und den App. ergänzt. Vorauf geht eine Einleitung in die handschriftliche Überlieferung (11 -18) und eine Bibliographie (18 - 31). Für den Text s. jetzt SC 264,28,1-137,189 ROUSSEAU/DOUTRELEAU. 216 Zur Biographie des Irenäus vgl. p. 57 - 69. In einem eigenen Abschnitt werden Nachrichten über "Contact vivant d'Irénée et des Gnostiques" gesammelt: p. 81 - 88 und Quellen seiner Darstellung (96). 217 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit DE FAYE findet sich auch p. 208 - 220, wobei er mit Recht auf das Mißverhältnis zwischen wenig konkreter Textauslegung und geradezu enthusiastischer Einschätzung Valentins aufmerksam macht (209). 218 Frgm. 1; 2; 4a/b und 8. Das dritte Fragment interessiert SAGNARD hier nicht (!): "il semble simplement traduire le docétisme valentinien" (p. 123). 219 So seine Formulierungen (La Gnose Valentinienne, 126).

Texte und Forschungen zu Valentin

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kelschluß im grundsätzlichen methodischen Umgang mit den Fragmententexten; sie werden bewußt am Anfang als vollkommen "rätselhaft" vorgeführt, um sie dann von den Ergebnissen des Kommentars zu Irenäus her auslegen zu können. Entsprechend folgt erst nach dem Kommentar der 'großen Notiz', die aufgrund ausführlicher Überlegungen als Lehre des Ptolemäus interpretiert wird220, in einer Zusammenfassimg die Darstellung des Sinnes der Fragmente - und damit die Antwort auf die scheinbar so unlösbaren Fragen danach vom Anfang der Untersuchung221: Auf Valentin selbst, der mythologischer gedacht habe (229), gehe ohne Zweifel der Mythos vom 'Pleroma', die Syzygien-Lehre, der Fall der Sophia, die Konzeption des Σωτηρ, die drei Menschenklassen, der psychische Demiurg und die letzte Syzygie zurück (232). Zu dieser Überzeugung kommt F. Sagnard natürlich vor allem durch die Auswertung von Haer. I 11,1222; in seiner sorgfältigen Darstellung "La doctrine Valentinienne d'après l'exposé de S. Irénée" (295 - 357.387 - 415) sind praktisch keinerlei Fragmente Valentins zitiert. Erst in einem letzten Abschnitt werden vier Fragmente auf zwei Seiten mit dem valentinianischen System ausgelegt223: "Lesfragmentsde Valentín correspondent aux documents étudiés précédemment. C'est un résultat décisif (561).

2.12. G. Quispel, The Original Doctrine of Valentine (1947) Der Utrechter Patristiker Gilles Quispel (* 30. 5. 1916) hat 1947 in einem knappen Aufsatz versucht, die ursprüngliche Lehre Valentins zu rekonstruieren und den Fragmenten einen weiteren Text zur Seite zu stellen224. Er stellte eine 'esoterische Valentin-Schrift' aus vorhandenen Textstücken von Valentinianern zusammen225. Obwohl er auf der Gnosis-Konferenz von Yale 1978

220

So p. 227 - 232; vgl. auch oben S. 44 und 72f. Sehr feine Beobachtungen enthält das Kapitel "Les Lois d'Interprétation de la Gnose" (p. 233 - 265). La Gnose Valentinienne, 559-561 (Conclusion. Le sens desfragmentsde Valentin). 222 "Cette conception (sc. das Verständnis der Welt als Abbild des Pieromas, C.M. [...]) correspond au Valentin connu par sesfragments"(229). 223 "Le test s'achève. Il convient ici, pour terminer, de reprendre les quelques lignes des fragments de Valentin cités au début. Comme ils s'éclairent maintenant! Quel relief ils prennent, alors que leur lecture isolée était presque stérile!" (p. 560). Eine Charakteristik Valentins noch auf p. 615. 224 The Original Doctrine of Valentine, VigChr 1,1947, 43 - 73, teilweise auch in: DERS., Gnostic Studies I, UNHAD 34/1, Istanbul 1974, 27 - 36. Der folgende Abschnitt stellt eine Zusammenfassung der Seiten 362f in CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus dar. 225 Der Aufsatz The original doctrine of Valentine" enthält auf p. 48 - 73 Text, englische Übersetzung und Kommentar. 221

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diese Rekonstruktion mehr oder weniger explizit zurückgezogen hat226, hat sie einen großen Einfluß auf die Forschimg ausgeübt227. Quispel versuchte zu zeigen, daß Ptolemäus ein existierendes Manuskript durch Korrektur, Interpolation und Verstellung228 veränderte: "The author of this document can hardly have been anyone else than Valentine himself. It may be taken for granted that Theodotus, who wrote during the lifetime of Valentine, did also possess this esoteric writing"229. Wo nun beide, Theodot und Ptolemäus, übereinstimmten, bewahrten sie den Meister; der 'kleinste gemeinsame Nenner1 des Valentinianismus gehe auf Valentin zurück230. Valentins ursprüngliches System bestehe nicht aus unverständlicher Mythologie, sondern aus einem "poetischen Konzept" eines "visionären Mystikers", inspiriert durch "lebende Emotionen und persönliche Erfahrungen", "who expressed his tragic conception of life in the symbols of creative imagination"231. Die "Rekonstruktion" dieser Quellenschrift besteht dann aus einer Aneinanderreihung und Vermischung von Teilen der "großen Notiz", des angeblichen Valentinreferates und Teilen der Exzerpte aus Theodot232. Christopher Stead hatte allerdings bereits 1969 gezeigt, "that Quispel's attempt of 1947 (...) , for all its undoubted value, suffered from a serious defect of method. He suggested on insufficient grounds that an actual document written by Valentinus has been transcribed and amended by Ptolemaeus; hence he deduced an original form of the myth, which is self-consistent, yet involves only one Sophia, by selecting and adapting our existing texts. But if the story were self-consistent, it is difficult to see what motive could have led Ptolemaeus, or some other systematizer, to introduce the complication of a second Sophia"233.

226

CHR. STEAD schreibt schon 1969: "Prof. Quispel kindly informs me that his article 'was never meant to be a completely rigorous reconstruction of the doctrine of Valentinus'; but that he still upholds its main conclusions" (The Valentinian Myth of Sophia, JThS 20,1969, 75 -110, auch in: DERS., Substance and Illusion in the Christian Fathers, London 1985, Nr.IV, hier p. 89 n. 1); QUISPEL 1978 in Yale: "Therefore I suggest that this short summary (Iren., Haer. 111,1) still furnishes a valid basis for the reconstruction of the original doctrine of Valentinus. (...) It is no longer possible to say that Ptolemaeus or Heracleon adapted an existing manuscript by means of corrections, interpolations and transpositions" (Valentinian Gnosis and the Apocryphon of John, in: The Rediscovery of Gnosticism I, SHR 41/1, Leiden 1980,118 -127, hier 123). 427 Dazu vgl. etwa den Valentin-Art. in der RGG (G. KRETSCHMAR, Bd.VI, Tübingen 31962, 1225f), der in vielen Punkten auf Arbeiten QUISPELS beruht. 228 Auf diese Textpassage (The original doctrine of Valentine, 46) bezog sich QUISPEL in Yale wörtlich, vgl. das Zitat oben in Anm. 226. 229 The Original Doctrine of Valentine, 46. 230 The Original Doctrine of Valentine, 47. 231 The Original Doctrine of Valentine, 47. Zum deutlichen Einfluß C.G. JUNGS auf diese Konzeption vgl. CH. MARKSCHIES, Die Krise einer philosophischen Bibel-Theologie in der Alten Kirche (in: Miscellanea Gnostica, hg. v. R.BERLINGER und W.SCHRADER, Amsterdam, 1994,227 - 269, bes. 238 = in diesem Band S. 10). 232 Iren., Haer. 11,1 - 2,2 + Haer. 111,1 + Haer. 14,1 + 4,5 + Clem., Exc. Thdot. 23,2 + Hipp., Haer. VI 31, 1/2 vermischt mit Iren., Haer. I 2,1 + Haer. I 2^ + 2,6 vermischt mit I 4,6 und Exc. Thdot. 43, (dieser Mischtext geht vermutlich auf den synoptischen Abdruck bei W. VÖLKER, Quellen, 104 zurück) + I 4, 5; Iren., Haer. I 4,2 vermischt mit 5,4; I 4,5 + I 5,1 mit Exc. Thdot. 47,1 (dgj. VÖLKER, 106); 5,2-6; Exc. Thdot. 58/59 + 38,3 + 63,1. Da QUISPEL Parallelen zu anderen valentinianischen Texten zusammenstellt, bleibt der Aufsatz trotz Revozierens der Grundthese nach wie vor lesenswert (in seinen gesammelten Aufsätzen von 1974 [Gnostic Studies Bd. 1, S. 27 - 36] entfallen allerdings griechischer Text und Kommentar). 233 The Valentinian Myth of Sophia, 89.

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Das Scheitern von Quispels Versuch von 1947 zeigt freilich mit großer Deutlichkeit, daß von den verschiedenen erhaltenen valentinianischen Texten kein Weg zur "ursprünglichen Lehre" Valentins zurückführt234. 2.13. Chr. Stead, In Search of Valentinus (1980) Der emeritierte Ely Professor of Divinity der Universität Cambridge, Christopher G. Stead hat mit zwei Beiträgen wichtige Klärungen im bisherigen Bild der Geschichte des Valentinianismus und der Lehre Valentins ermöglicht235. 1969 hatte er versucht nachzuweisen, daß die zweifache Sophia im Valentinianismus einen späteren Stand der Lehrentwicklung repräsentiere236. Schon damals ging er davon aus, daß die uns bekannten Systemreferate "represent late developments of Valentinian teaching which are considerably more complex than the system of Valentinus himself' (81): "I think it probable that Valentinus envisaged an Unfällen female figure, analogous to the biblical Sophia, at the head of his hierarchy, and I shall not affirm that he never called her Sophia. (...). What can be said with some assurance is that Valentinus recognized only one erring Sophia" (88f). "The Theology of these fragments clearly leaves room for a fall-story, but it hardly prepares us to find this theme so strongly and repeatedly pressed as it is in the fully developed myth of Sophia" (92)237.

Um den Schritt zwischen Philo, dessen Sophia nicht fällt, und den Valentinianern zu schließen, verwies Stead vor allem auf Plutarch und andere Spielarten des spätantiken Piatonismus238. In seinem Vortrag auf der zweiten großen Gnosis-Konferenz in Yale 1978 sprach Stead davon, daß "a sharp contrast between the fragments from his own writings (...) and the complex cosmic myth known from the heresiolo-

234

Vgl. auch G. QUISPEL, Art. Valentinus, Encyclopaedia Britannica, Vol. 22, Chicago 1969, 854 (= SCHOLER, 1145). 235 Vgl. seine Beiträge: In Search of Valentinus, in: The Rediscovery of Gnosticism I, SHR 41/1, Leiden 1980,75 -102; S. 75 - 95 auch in: DERS., Substance and Illusion in the Christian Fathers, London 1985, Nr. XII; The Valentinian Myth of Sophia, JThS 20, 1969, 75 - 104, auch in: Substance and Illusion Nr. IV (= SCHOLER, Nr. 4798/1148). 236 Zu diesem Zweck stellte STEAD die Ereignisse für beide Figuren synoptisch zusammen, verglich die analogen Begriffe (81f) und wies auf valentinianische Texte hin, die nur von einer Sophia-Figur sprechen (84). Valentin habe, wie das Referat Iren. Haer. 111,1 zeige, ebenfalls nur eine Sophia gekannt (ebd.). DJ. GOOD hat (Reconstructing the Tradition of Sophia in Gnostic Literature, SBLMonograph Series 32, Atlanta 1987 [SCHOLER Nr. 6495]) das Bild der Sophia in NHC 111J/\,1 und 111,4 mit dem 'valentinianischen Lehrbrief bei Epiphanius (s.o. S. 48 Anm. 55) in Beziehung gesetzt (p. 72 - 75). 237 Allerdings möchte STEAD auch nicht mit DE FAYE dies als reine "post-Valentinian developments" (93) interpretiert wissen. 230 Vgl. seine Belege auf p. lOOf; kritische Einwände bei S. PÉTREMENT, A Separate God, 87.

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gists' accounts of the Valentinians"239 bestehe. Man besitze zudem nur wenige Fragmente Valentins (p. 75): "The problem is that the fragments of Valentinus, taken themselves, would give no ground for supposing anything but a Platonizing biblical theologian of some originality, whose work hardly strayed beyond the still undefined limits of Christian orthodoxy".

Dieses Bild der Fragmente passe zu den ältesten prosopographischen Nachrichten. Die Zuschreibung von Nag-Hammadi-Texten an Valentin kommentierte Chr. Stead eher ironisch: "an overconfident assimilation of the new sources to the old" (76). Wenn Valentin - wie Irenäus behaupte - einen älteren gnostischen Mythos (etwa wie im Apokryphon des Johannes vorausgesetzt) übernommen habe, "why does it leave so little trace in thefragments"?Der gute Kenner der spätantiken Philosophiegeschichte240 versteht Valentin als "a biblical Piatonist" (78). Als platonisch werden die Urbild-Abbild-Struktur in Frgm. 5, die Abwertung der sichtbaren Welt zugunsten des 'lebendigen Aion' und die Macht des 'göttlichen Namens' (ebenfalls Frgm. 5), der Begriff προσαρτήματα in Frgm. 2 interpretiert. Stead gab eine Fülle von Einzelbeobachtungen zu einzelnen Fragmenten241: Valentin habe wie Philo zwei Schöpfungsakte unterschieden, als Schöpfer sei in Frgm. 5 (mit Piaton242) der Demiurg gemeint. Da der spätantike Piatonismus, wie Plutarch oder die Chaldäischen Orakel243 zeigten, seines Sykretismus' wegen auch eine Personalisierung der Ideen vornehme (88), ließe sich die Entwicklung bei den Valentinianern von daher als Parallele erklären244. Steads Beitrag erweist sich vor allem durch den Hinweis auf die Parallelität einer eigenwilligen Piatonrezeption bei Philo und Valentin und durch den Vergleich der Diskussion innerhalb der valentinianischen Gnosis mit Ent-

239

In Search of Valentinus, 95. CHR. STEAD, Philosophie und Theologie I. Die Zeit der alten Kirche, ThW 14/4, Stuttgart u.a. 1990. 241 Zu Frgm. 1 p. 81f; Frgm. 5 p. 82f. 86-88. 242 "The word Ζωγράφος and its cognates occur about forty times in Plato's dialogues" (p.83 STEAD zu Frgm. 5 [p. 287,24 STÄHLIN]). 243 Oracles Chaldaïques, avec un choix de commentaires anciens, texte établi et traduit par É. DES PLACES, CUFr, 2 m e tirage revu et corrigé, Paris 1989; The Chaldean Oracles. Text, Translation and Commentary by R. MAJERCIK, Studies in Greek and Roman Religion, Vol 5, Leiden u.a. 1989. 244 Er bezieht sich auf die oben (S. 55 mit Anm. 97) zitierte Tertullian-Stelle, wonach erst Ptolemäus die Aionen als personales substantias verstanden habe. Allerdings macht ST. darauf aufmerksam, daB ein spätantiker Platoniker "would not therefore think of the Ideas as archetypes (παραδείγματα) of species or objects in this world, as they are often represented by Philo; they would rather be archetypes of ideal existence in the intelligible world" (90). Valentin folge hier Philo. 240

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Wicklungen im spätantiken Platonismus als außerordentlich gewichtiger Beitrag zu einer neuen Valentin-Deutung245. 2.14. A.M. McGuire, Valentinus and the "Gnostike Hairesis" (1983) Arine Marie McGuire unternahm 1983 in ihrer Dissertation246, die unter Anleitung Bentley Laytons in Yale angefertigt wurde, nochmals den Versuch, Valentins "Position in the history of Gnosticism" zu bestimmen247. Sie ging dabei von der Behauptung des Irenaus und Tertullian aus, Valentin habe die "Prinzipien der 'fälschlich so genannten' (1 Tim 6,20) gnostischen Häresie in eine eigene Gestalt der Lehre transformiert"248, bzw. "Samen gewisser alter Meinungen vorgefunden" und aufgegriffen249. Als Ergebnis der Untersuchungen ergab sich, "that Irenaeus's statement (in Haer. 111,1) offers a limited, but useful perspective on the relation between two of the major varieties of Gnosticism (nämlich die 'sethianips sehe' und 'valentinianische'Gnosis)"2®".

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, analysierte sie zunächst mit verdienstvollen neuen Beobachtungen den Satz des Irenäus (p. 9 - 16. 28). Als Hauptstück des Nachweises fungiert entsprechend ein Vergleich beider gnostischer 'Typen'; zunächst erfolgt die "Construction of an Extended Body of Evidence for the Gnostike Hairesis" (p. 66), ein thematisch geordneter Abriß251 des 'sethianischen'252 Systems zum Vergleich mit den Daten der valentinianischen Gno-

245

"Hippolyt us for once was right in his philosophical placing of Valentinus" (The Valentinian Myth of Sophia, 91). Valentinus and the "Gnostike Hairesis", an Investigation of Valentinus's Position in the History of Gnosticism. A Dissertation, Presented to the Faculty of the Graduate School of Yale University in Candidacy for the Degree of Dr. of Philosophy, Dez. 1983 [4 Microfiche; Ann Arbor/Michigan 1983] (= SCHOLER, Nr. 5504). 247 VgL auch die Dissertationen von J.W.E. DUNN, Gnosis in Valentinus and in Clement of Alexandria, Ph.D. Thesis, Birmingham (Index to Theses Accepted for Higher Degrees in the Universities of Great Britain and Ireland, 13,1962/63, # 46) und E JH. JENSEN, An Examination of the History and Teaching of Valentinus and His School, B.Litt. Thesis, Oxford, Worchester (Index to Theses, 8,1957/58, # 38). 248 Irenaus, Haer. 111,1 (SC 264,167,1197f ROUSSEAU/DOUTRELEAU); zu diesem Text s. in meinem 'Valentinus Gnosticus' besonders S. 364 - 79. 249 Tertullian, Val 4,2 (SC 280,86,10 FREDOUILLE/CChr.SL 2,755,4f KROYMANN). 250 Valentinus and the Gnostike Hairesis, abstract, p2. 251 Dabei liegt folgende Ordnung zugrunde: "I.The Conception of the Divine World II. The Creation and Ordering of the Cosmos III. The Creation of First Human Beings IV. The Struggle of Humanity in Cosmic History V. The Recovery of Divine Spirit and Redemption of Humanity" (p. 71). 252 Zur Problematik dieses Begriffes äußert sich A.M. McGUIRE p. 56 - 66 ausführlich und stellt auch seine Forschungsgeschichte dar.

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sis253. Dadurch, so jedenfalls die Autorin, würden die häresiologisch motivierten Verzeichnungen des Irenäus gleichsam 'neutralisiert'. Da sie erwägt, "that Gnostikos principles influenced the Valentinian school not only through Valentinus, but through Ptolemy and other disciples as well" (73), trennt sie sorgfältig den Vergleich der 'γνωστική αϊρεσις' mit dem Bericht über Ptolemäus bei Irenäus (Haer. 11-8) einerseits bzw. mit den Fragmenten Valentins andererseits. Im Rahmen von Beobachtungen zu den bekannten Schwierigkeiten im Umgang mit diesen verschiedenen Quellengruppen254 äußert sie sich auch zum Verhältnis zwischen den Fragmenten und den Referaten über die Schule: "Also contributing to the difficulty of discerning the religious thought of Valentinus is the problem of separating Valentinus's thought from that of his disciples. On this, too, modern scholars have taken varying positions, many of them based on the striking differences between the fragments of Valentinus's own compositions, and the more substantially attested sources for Valentinian thought, marked especially by variations on the myth of Sophia. Finding the Sophia myth (...) absent from the fragments of Valentinus, many have felt constrained to conclude either that the myth of Sophia was developed after Valentinus, or that he was presupposed, but indirectly expressed in the fragments. Regrettably few studies have considered the more useful task of examining the evidence for Valentinus's thought to perceive its distinctive elements and internal coherence" (88).

Trotz dieser Problematik hält die Autorin die Fragmente für eine ausreichende Basis "for the testing of Irenaeus's claim through comparison with the Gno-

253

Dabei versucht sie auch nachzuweisen, daß das Referat des Irenäus, Haer. I 29-31 (358,1386,23) mit verschiedenen Texten aus Nag Hammadi sich auf 'denselben Typ' von Gnosis bezieht (p. 67). Allerdings gesteht sie ein, daß Irenäus "may have included in those accounts some material that was composed after the height of Valentinus' career (135-160)" (p. 67). 254 Zur Rechtfertigung ihres vorsichtigen Umgangs mit den erhaltenen Nachrichten über Valentinus selbst gibt McGUIRE eine knappe Darstellung über "the nature of the source for his life and thought" (so p. 73; vgl. p. 73 - 90). Am Beginn stehe eine methodische Schwierigkeit: "Though some continuity between teacher and disciples may be assumed, no method of analysis guarantees that any feature of Valentinian teaching, even the most widely exhibited, can be traced to Valentinus himself" (74). Die verschiedenen Quellen (sie nennt Fragmente, das EV aus Nag Hammadi und andere valentinianische Schriften) ermöglichten zwar an und für sich keine "comprehensive reconstruction of the career or thought of Valentinus", aber "they can be used in the reexamination of Irenaeus' claim" (75). Dann stellt die Autorin die bekannten (s.o. S. 46f) prosopographischen Nachrichten zusammen (p. 76 - 85). Sie betont, daß Valentinus zu Lebzeiten "existed as a 'cell' within the larger community of Christians at Rome", aber erst in der nachfolgenden Generation die Trennung der Valentinianer von der Kirche erfolgte (81). Die schon von den Kirchenvätern vorgenommene Herleitung des Denkens von Valentin entweder von einer früheren gnostischen Lehre (Tertullian, Hippolyt) bzw. vom Piatonismus und Neupythagoreismus (Tertullian) und schließlich vom Paulinismus eines Theudas (Clemens) befriedigen McGUIRE nicht: "Each of these reports may capture some truth, but none of them account for the interaction of mythic, philosophical, and Christian factors in Valentinus's religious and intellectual formation" (86). Die heutigen Forscher würden meist lediglich eine der drei Herleitungen auf Kosten einer anderen betonen (88). McGUIRE meint dagegen, im Synkretismus der Zeit ließen sich diese drei Größen (Christentum, Piatonismus und Gnostizismus) kaum exakt trennen (89).

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stikos evidence and with Irenaeus's account of Ptolemy in Haer. 1.1-8" (90). Es folgt, so vorbereitet, im nächsten großen Abschnitt: "Mythic Principles of Gnostikos and Valentinian Texts compared" (95 - 217). Der Vergleich besteht ans wörtlichen englischen Zitaten aus sechs NagHammadi-Schriften255 bzw. aus dem Referat Irenäus Haer. 129-31 auf der einen, aus entsprechenden Zitaten aus den valentinianischen Texten auf der anderen Seite. Unter letztere zählen dann auch die Sätze aus den Fragmenten Valentins256, wobei natürlich in einem solchen Rahmen die Fragmente nicht angemessen interpretiert werden können257. Vermutlich deswegen wird aus einer wiederholten Beobachtung keine Folgerung gezogen: Obwohl sie an einer ganzen Reihe von Stellen zugibt, daß Valentins Fragmente keine Spindes Systems der Schüler enthalten258, und auch ihrer Meinung nach von der Lehre der Schüler nicht auf den angeblichen Lehrer zurückgeschlossen werden darf259, wendet sie diesen Eindruck nicht genügend kritisch auf Irenäus'

255

AJ (NHC 111,2; IV^/BG; NHC 11,2); HA (NHC 11,4); ÄgEv (NHC 111,2; IV,2); ApcAd (NHC V,5); OdNor (NHC IX,2) und Protennoia (XIII, 1). - Dabei erscheint mir äußerst problematisch, daß und wie die z.T. schweren Passagen aus dem Kontext gebrochen sind. Zur Datierung, Übersetzung und Interpretation wäre eine Fülle von kritischen Bemerkungen nötig, die ich hier aus Platzgründen nicht anfügen kann. 256 Valentinus and the Gnostike Hairesis, 95-217. Zwei Beispiele: Als Beleg der Vorstellung "A. Barbelo Exists in Virgin Spirit with an Unnameable Father" erscheint in diesem "Katenen-Kommentar" unter Nr. 17 (p. 97) das εις δέ έστιι> αγαθός aus Valentin, Frgm. 2, Ζ. 4 (= Clem. AL, Str. Π 114,3 [GCS Clemens Alexandrinus Π, 175,1 STÄHLIN]) oder für "G. Seth and Norea are Generated by the Providence of Sophia" als Nr. 383 (p. 172) Frgm. 6 (Str. VI 52,4 [458,13-16]). In der "Evaluation", mit der die Zitat-Gruppen jeweils abschließen, zeigt sich aber dann häufig, daß die Texte doch wenig miteinander zu tun haben: "The fragments and G(ospel of)Tr(uth) provide no evidence for the pairing of the Father" (p. 97 zu Nr. 17); ähnlich zu Nr. 383 auf p. 173. Gegen dieses Verfahren der Zusammenstellung völlig disparater Texte sind auch im Detail schwere Bedenken anzumelden. Zudem entging der Verfasserin wichtige Literatur, etwa zum Problem des Syntagmas Hippolyts, wo ihr die Forschungen von E.SCHWARTZ und die Thesen K. HOLLS (und deren Konsequenzen) unbekannt zu sein scheinen (dazu CH. MARKSCHI ES, Valentinus Gnosticus, 4f. 380 - 385). 257 Dieses Vorgehen verwundert, weil die Verf. ausdrücklich die Schwierigkeit dieser Texte hervorhebt und versucht, methodische Konsequenzen zu ziehen (p. 91). 258 Valentinus and the Gnostike Hairesis, 90.222.223.229.231 und 233 - demgegenüber die Hinweise auf angebliche Bezüge auf die "Gnostike Hairesis" in p.219.221.226f. 259 "As a result, sources for Valentinian thought are not reliable guides to the theology of Valentinus. Though some continuity between teacher and disciples may be assumed, no method of analysis guarantees that any feature of Valentinian teaching, even die most widely exhibited, can be traced to Valentinus himself (Valentinus and the Gnostike Hairesis, 74). Zusätzlich hält sie das Valentinreferat bei Irenaus, Haer. 111,1 für 'nicht repräsentativ für Valentins ursprüngliche Lehre', sondern nur für das Bild, was sich Irenäus davon machte (p. 92).

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Bild von Valentinus an. (Aber hier liegt m.E. gerade der Schlüssel zur Kritik seiner häresiologischen Konzeption260). Als Ergebnis ihres Vergleiches kommt sie im vierten Kapitel zur Zusammenstellung folgender Ähnlichkeiten zwischen Valentin und "der gnostischen Häresie": "The fragments contain a number of expressions which recall the language about the divine world in the Gnostikos texts"261 (219). "It is possible, nevertheless, that Valentinus adapted from the Gnostikos texts a way of articulating that conception in metaphorical images and mythic narrative" (221).

Allerdings muß die Autorin zugeben, daß Valentin die Offenbarung stark an Christus bindet (ebd.), so daß sich von hier aus Irenäus' Sicht nicht bestätigen läßt. Auch die Fragmente über die Schöpfung (Frgm. 1/5) können hierzu nicht herangezogen werden (223). "What does suggest a closer relation to the Gnostikos texts, however, is the idea that these angels feared their creation ([...] = Frgm.l), but this cannot provide direct support for the claim that Valentinus adapted principles of the Gnostike Hairesis" (223f).

Dagegen seien die Angaben über die Menschenschöpfung gut zu vergleichen (225 - 230). Valentin habe die 'gnostische Genesisauslegung' gekannt, aber entscheidend modifiziert. Die Differenzen im Bild der irdischen Existenz des Menschen lägen möglicherweise am differenten literarischen Genus (231). Das Erlösungsverständnis läßt sich auch nach McGuire kaum vergleichen (233). Nur unter Einbeziehung von Irenäus' Valentinbericht (Haer. 111,1) und dejn 'Evangelium Veritatis'262 gelingt der Verfasserin die Verifizierung ihrer (bzw. des Irenäus) Hauptthese im Blick auf Valentin: Dieser habe allerdings alle Quellen seines Denkens sehr frei bearbeitet und so eben auch die vorva-

260

Vielleicht fehlt dieser Schritt bei McGUIRE auch, weil sie ohne zureichende Begründung das Evangelium Veritatis (NHC Ι3/ΧΠ.2) für ein Werk Valentins hält (p. 75 - sie bezieht sich vor allem in den Anmerkungen auf die beiden Aufsätze von BENOIT STANDAERT aus dem Jahre 1976 ("Evangelium Veritatis", VigChr 30,1976,138 -150, bzw. 'L'Évangile du Vérité', NTS 22,1976, 243 - 275). - Die Tatsache, daß beiden, den Fragmenten und dem EV fehlt, was man "typically Valentinian" nennt (93), vermag ebensowenig zu überzeugen wie angebliche "striking similarities in language, style and theological conception" (93). Besonders weist sie auf "Wortspiele" in beiden Texten hin (ebd.). 261 "Among these are the 'préexistent Anthropos'; The 'Father who alone is good'; whose 'manifestation through the Son is boldness (...)'; 'fruits brought forth from the depth and a baby from the womb'; the triad of 'Father, Son, and Holy Spirit'; and the 'one who placed in the formed creature (...)'". Diese Zitate aus den Frgm. 1, 2,8, 9(!) und 1 werden dann (p. 220) durch "comparison with Gnostikos evidence" (ebd.) interpretiert. 262 Auf p. 233 - 236 werden "Irenaeus's account of Valentinus and the Gnostikos Texts" (d.i. Haer. 111,1) verglichen; 236 - 246 das EV und Valentin - vgl. aber die von ihr selbst (oben, Anm. 259) geäußerten Bedenken.

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lentiniamsche Gnosis (256): Aus dem Material des spätantiken Synkretismus habe er virtuos eine neue Vision geschaffen (260)263. Man wird in diesem Werk keinen eigenständigen Beitrag zur Interpretation der Fragmente und daher auch keine endgültige Klärung der Position Valentins in der Geschichte der Gnosis erkennen können. Dazu müßten die vielen genannten Belege zunächst kritisch geprüft, die zitierten Schriften in eine verläßliche Chronologie gebracht und ihre Exegese vorangetrieben werden. Aber A.M. Me Guires "Katenen-Kommentar" stellt immerhin das Material für diese - freilich immense - Arbeit zuverlässig zusammen. Man kann außerdem ihre Arbeit (dann allerdings gegen die Absicht der Verfasserin) als den bisher deutlichsten Hinweis auf die beiden tiefen Gräben zwischen Valentin und seiner Schule einerseits und ihm und den gnostischen Systemen andererseits lesen. Der von ihr (wie von ihrem Doktorvater B. Layton) vertretenen alten irenäischen These, Valentin sei ein "christlicher Reformer eines klassischen gnostischen Systems gewesen"264, muß m.E. allerdings widersprochen werden265. Für diese Behauptung fehlt in den Fragmenten nahezu jeder Anhalt, sie stützt sich, wie Layton und McGuire selbst zugeben müssen, vor allem auf Irenaus' hochproblematisches Valentin-Referat. B. Layton verschweigt diese Schwierigkeit zwar266 und stellt diesen Text einfach an den Beginn seines Abschnittes über Valentin; seine Schülerin problematisiert dagegen mehrfach die Relation dieses Textes zum "historischen Valentin"2®7 - um so verwunderlicher erscheint, daß sie sich nicht dazu entschließen konnte, ganz auf seine Verwendung für Valentin zu verzichten268.

263

"Though it is likely that influence extended from Valentinus to the composition of Gnostikos texts, the comparison of texts shows that the fragments cannot be understood without a more extended mythic account of creation and redemption in its background, and that the Gnostikos myths provide evidence of precisely the kind of narratives from which Valentinus's revisionary thought emerged" (256f). 264 Gnostic Scriptures, Xllf. 265 Kritische Worte auch in der Rezension des LAYTON'schen Werkes durch H.-M. SCHENKE, ThLZ 114,1989,103f. 266 Ebd. p. 221 und 250. 267 Valentinus and the Gnostike Hairesis, 92.257. ^Außerdem muß man mit H.-M. SCHENKE sowohl ihr Bild von der Entwicklung der Gnosis wie die Sicht der valentinianischen Schule als unzulässige Vereinfachung bezeichnen (ThLZ 114, 1989,104). Zunächst wäre zu klären, ob es sich bei der Interpretation der "sethianischen Gnosis" als der "klassischen Gnosis" nicht um eine "häresiologische Fiktion" handelt, wie KURT RUDOLPH in Yale fragte (Die "sethianische" Gnosis - eine häresiologische Fiktion?, in: The Rediscovery of Gnosticism Π, SHR 41/2, Leiden 1981, 577f), und ob es überhaupt einen gnostischen "Urmythos" gab (dagegen etwa A. BÖHLIG, Zur Struktur gnostischen Denkens, zuerst: NTS 24,1978,496 - 509 [SCHOLER Nr. 4254]; jetzt in: DERS., Gnosis und Synkretismus, GA zur spätantiken Religionsgeschichte, Tl. 1, WUNT 47, Tübingen 1989, 3 - 24, bes. S. 12). SCHENKE selbst hat sich mehrfach zu Fragen im Zusammenhang der sethianischen Gnosis geäußert, z.B. mit einem Beitrag auf der Gnosis-Konferenz in Yale 1978: The Phenomenon and Significance of Gnostic Sethianism (The Rediscovery of Gnosticism Π, 588 - 616). Im übrigen bleibt das von WA. LOHR als "Crux der Gnosisforschung" (ThLZ 112,1987, 352) bezeichnete chronologische Problem bestehen.

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2.15. S. Pétrement, Le Dieu séparé (1984) Die französische Philosophiehistorikerin Simone Pétrement, Freundin und Biographin Simone Weils269, setzt mit ihrem umfangreichen und jüngst auch ins Englische übersetzten Werk "Le Dieu séparé"270 einen Schlußstein auf ein Gebäude wissenschaftlicher Arbeiten zur Geschichte des frühen Christentums271. Frau Pétrement versteht unter Gnosis "the distinction between two levels in the supraterrestrial world, two levels, each of which has a representative that can be called God, though only the representative of the upper level can be the true God" (10). Die Trennung zwischen dem wahren Gott und der Welt, die dem Buch seinen Titel gibt, ist keine gnostische Erfindung272, aber von den Gnostikern extrem verschärft worden (z.B. durch die Trennung von Gott und Schöpfer, 171). - Ob und inwieweit diese Grundthese vom "Dieu séparé" mit der Beschreibung von S. Weil, Gott habe sich aus Liebe zu den Menschen aus seiner Schöpfung zurückgezogen (décréation) 273 , in Verbindung zu bringen sei, kann hier dahingestellt bleiben274. Jedenfalls steht Frau Pétrements Buch gegen die Tendenz gegenwärtiger Gnosis-Forschung, wenn sie programmatisch erklärt: "In separating Gnosticism and Christianity our scholars have not allowed us to understand Gnosticism" (3); wenn sie das Johannesevangelium nicht für ein Zeugnis, sondern für eine Quelle der Gnosis (219) erklärt. Dieser konsequente Versuch, die Gnosis auf der Basis des Christentums zu erklären, zeigt sich im Detail beispielsweise, wenn sie zur Lösung der komplizierten Diskussion um den "Gott

269

La vie de Simone Weil, avec des lettres et d'autres textes inédits de Simone Weil, 2 Bde. (1909-1934,1934-1943), Paris 1973. Hier nach dieser Übersetzung zitiert: A Separate God. The Christian Origins of Gnosticism (engl. Übersetzung von: Le Dieu séparé: les origines du gnosticisme, Paris 1984 durch C. HARRISON), London 1991 (= SCHOLER Nr. 5666). 271 Vgl. dazu bei SCHOLER Nr. 514 - 517 (p. 30) sowie den unten (S. 87f Anm. 280) erwähnten Aufsatz zum Diognet-Brief. 1947 erschien 'Le Dualisme chez Platon, les Gnostiques et les Manichéens' (Paris). 272 «jije Cross separates God from the world. If it does not separate him absolutely, at least it puts him at a very great distance". PÉTREMENT verweist auf die Transzendierung Gottes in frühen jüdischen und christlichen Texten (37f). 273 F. PAEPCKE, Art. Renouveau catholique, WBC, Gütersloh, Zürich 1988,1077f. 274 Zur Rezeption von Theorien der Freundin vgl. auch: S.PÉTREMENT, Une suggestion de Simone Weil à piopos d'Apocalypse ΧΠ, NTS 2,1965,291 - 296. 270

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'Mensch"' in der Gnosis 275 vorschlägt, diesen Titel von der Bezeichnung υΙός τοΟ θεου herzuleiten: "The most probable is that the expression comes from the Gospels and it is because Christ is here called Son of man that it was thought that God the Father ought to be called Man" (106).

Ihre Untersuchung gliedert sich in zwei Hauptteile; in einem ersten Teil wird nach "Christianity and Gnosticism" gefragt ("Can the principal Gnostic 'Myths'" bzw. "the principal characteristics of the Gnostic Doctrines be understood on the basis of Christianity?" p. 27 - 213); ein zweiter Teil beschreibt historisch, "How Gnosticism could have been formed" (215 - 486)276. Frau Pétrement hält Valentin nun für einen Wendepunkt in der Geschichte der Gnosis (dazu auch unten, S. 104 -106): "Valentinus stamped a new direction upon Gnosticism and that we can speak of a Valentinian turning point. In reestablishing a greater continuity between the two Testaments, and closer links between God and the world, Valentinus seems to have allowed the bringing together of certain Gnostics either with Jewish Christianity, or the Great Church, or with the Platonists. Certainly he remains a Gnostic; he keeps the Demiurge distinct from God, and for him the true God is only really known to us thanks to Christ"(48).

Die wenigen Fragmente der "great gnostic masters" (Basilides, Valentin und Marcion) stünden über dem Niveau der jüngst entdeckten gnostischen Texte 277 ; Valentin sei zudem weniger anti-jüdisch als Satornil, Karpokrates oder auch Basilides (89). Diese Ansicht hängt sehr stark mit ihrem Bild von Valentin zusammen: Für die Konstruktion dieses Bildes verwendet sie recht unterschiedliches Quellenmaterial. Teilweise folgt sie bereits eingeführten Positionen in dieser Frage (so erwägt sie Valentin als Autor des Rheg [NHC I.4]278 und EV [p. 153], hält die Oden Salomos für valentinianisch279), vertritt aber auch neue, eigene Ansichten: In einem Aufsatz aus dem Jahre 1966 hatte sie untersucht, ob Valentin den 'Brief an Diognet' (zumindest dessen sekundäre Kapitel 11 und 12) verfaßt habe280. Zwei neuere deutsche Untersuchungen zu diesem Text haben allerdings auf die erhebliche Problematik einer solchen spekulativen Hypothese hingewiesen: Angesichts des sehr

275

Dazu H.-M.SCHENKE, Der Gott "Mensch" in der Gnosis. Ein religionsgeschichtlicher Beitrag zur Diskussion über die paulinische Anschauung von der Kirche als Leib Christi, Göttingen 1962 (SCHOLER Nr. 1177). 276 Diesem Teil ist das Ergebnis in Form von 30 Hypothesen vorangestellt (217 - 232). 277 "Many of the recently discovered texts seem to me to lack wisdom and moderation, and some of them are perhaps even downright stupid" (24) - anders Α. BÖHLIG in seinem Beitrag 'Die Bedeutung der Funde von Medinet Madi und Nag Hammadi für die Erforschung des Gnostizismus' (unten, S. 214f). 278 Der Autor, "who might be Valentinus and who is in any case Valentinian" (p.89f), halte die Welt nicht für eine reine Illusion. Auch das Referat Haer. 111,1 wird für eine authentische Nachricht gehalten (368f). 279 Note 54 p. 492f; Subject Index s.v. (p. 540). 280 Valentin est-il l'auteur de l'épître à Diognète?, RHPhR 46,1966, 34 - 62 (SCHOLER, Nr. 1139).

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geringen Textbestandes der Fragmente Valentins fehlt die statistische Basis für eine solche Auesage281.

Bei ihrem Verständnis der Lehre Valentins als einer auf der Basis christlicher Dogmatik entstandenen Lehre (Teil I) kommt sie zu überraschenden und sehr ungewöhnlichen Ansichten: Sie hält die 'Sophia' im Valentinianismus für die Personifikation jüdischer Weisheit, die Gott direkt schauen wollte, aber doch nur in der Betrachtung des Sohnes Gott schauen kann. Da aber im Mythos dieser Fall der 'Sophia'282 ja wieder rückgängig gemacht wird, begründet sie hiermit u.a. ihre Behauptung, diese Richtung der Gnosis sei weniger stark antijüdisch ("Judaism seen from the outside" [p.12]) als andere Formen (89). Auch den Demiurgen hält sie in diesem Mythos für "an imaginary figure, a symbol" einer Ansicht, die auch anderswo in der christlichen Theologie gedacht worden sei (ebd.): Die falsche jüdische Weisheit habe ein falsches Gottesbild (dessen Symbol der Demiurg sei) geboren. Der Doketismus der Valentinianer sei aus Verehrung für Christus entstanden (151), obwohl Valentin im Frgm. 3 283 überhaupt nur 'etwas doketisch' erscheine, denn schließlich setze er die leibliche Existenz Jesu voraus (153). Mit Valentin sei vielleicht "the idea of a substantial predestination" im Gnostizismus erschienen (189)284; aber auch das wird als eine Art radikaler Paulinismus verstanden, als Absage an die Vorstellung, sich das Heil aus eigenem Willen mit eigenen Werken zu schaffen285: Valentinianismus wird (mit RA. Markus) als "a doctrine of grace",

281

W. ELTESTER, Das Mysterium des Christentums. Anmerkungen zum Diognetbrief, ZNW 61,1970, 278 - 293: ELTESTER lehnte die These u.a. wegen des KirchenbegrifEs dieser Kapitel ab und schloß: "Keines der für Valentin (...) angeführten Argumente ist durchschlagend. Aber ich sehe gerade in diesem negativen Erfolg des Aufsatzes (...) seinen Wert" (p. 285 Anm. 15). R. BRÄNDLE, Die Ethik der 'Schrift an Diognet'. Eine Wiederaufnahme paulinischer und johanneischer Theologie am Ausgang des zweiten Jahrhunderts, AThANT 64, Zürich 1975, 64 versucht, PÉTREMENT mit dem Hinweis auf die "Identität zwischen Gott dem Schöpfer und dem Erlöser" (p. 63) zu widerlegen. B. führt auch an, daß der unbekannte Verfasser "etwas paulinischer als Paulus" in seinem Verhältnis zum AT sei (62). Auch das Schöpfungs- (174) und Rechtfertigungsverständnis (210) sei nicht mit einem Gnostiker zu verbinden. Allerdings versteht BRÄNDLE Valentin sehr stark von einem Bild eines "Normalgnostikers" her (besonders wird das p. 192f Anm. 667 sichtbar). Wenn er sich für Alexandria als Entstehungsort und das Ende des 2. Jh.s als Entstehungszeit entscheidet (p. 230/31), lassen sich die von PETREMENT genannten Berührungspunkte (52 - 55) als Frucht des geistigen Klimas der Stadt bestimmen, in der wohl auch Valentin aufgezogen wurde. 282 "The story of Sophia's fall would be a new, more metaphysical, more Platonic account of the fall recounted in Genesis" (91). 283 θεότητα ΊησοΟς είργάζετο, ήσθιει/ και enu/eu Ιδίως ούκ άποδιδους τά βρώματα (p.223,13f STÄHLIN). Zu Frgm. 3 auch S. PÉTREMENT, p. 367. 284 Allerdings gibt sie zu, daß diese Idee nicht in den Fragmenten V. auftritt (189f), und stellt darauf die Ansichten des Rheg und EV dar, die sie für 'mögliche' Werke Valentins hält (191). 285 Was dagegen über die Psychiker gesagt sei, sei eine simple Beschreibung durch die Valentinianer - eine Beschreibung dessen, "what they think the men and women of the Great Church themselves think about their salvation" (192).

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als ein radikaler platonischer Paulinismus (oder paulinischer Piatonismus) interpretiert (207). Im zweiten Teil postuliert die Autorin eine Entwicklung der Gnosis aus der "simonianischen Schule" in Antiochia unter Menander und seinem Schüler Satornil (219f) erst ab der Herrschaft Trajans (also nach 98)280. Zu Valentin führt von Satornil eine Linie "via Basilides and Carpocrates" (224); er bildet aber auch die Brücke zur Großkirche, zum alexandrinischen "jüdischen Platonismus" eines Philo: "Valentinus is also steeped in Platonism" (226). Die (angesichts der gegenwärtigen Gnosis-Forschung) überraschendste These formuliert Frau Pétrement so: "The doctrines called Barbelognostic, Sethian, Ophite, and others of the same sort are post-Valentinian and not the source of Valentinianism (...). In fact, they can scarcely be explained without Valentinianism, whereas the latter is understandable without them" (227).

Diese These wird dann auch auf einen Haupttext scheinbar prävalentinianischer Gnosis bezogen: Das 'Apokryphen Johannes' "is later than the first disciple of Valentinus" (22e)287. Dies weist Frau Pétrement dann auch mittels einer Analyse der häresiologischen These von Irenäus über Valentin nach288. Sie bestreitet deren Richtigkeit, versucht zu zeigen, daß die von ihm als Lehren der multitude» Gnosticorum289 bezeichneten Ansichten nicht früher als Valentin entstanden seien und ihm gar als Quelle gedient hätten ("simply [...] Irenaeus's personal opinion" [p. 361]) - mithin liegt in diesem Kapitel die direkte Gegenthese zur Arbeit von AM. McGuire vor (354f). Basilides und Valentin seien gut zu vergleichen290, freilich bildeten die positive Wertung des Judentums, die neue Unerkennbarkeit des Vaters und das dezidierte Interesse an der Selbsterkenntnis zusammen den gravierenden Unterschied, "an important modification of the fundamental tendency of Gnosticism", "the valentinian

286

Aber mit einer Einschränkung zu Kerinth (223). Dazu Kapitel 12, p. 387 - 419. In Haer. 111,1 wird gesagt, Valentin sei ό μέι/ yàp πρώτος όβιό -rffc λεγομέι/ης Γί/ωστικίίς αίρέσεως τάς άρχάς eie ίδιοι/ χαρακτήρα διδασκαλείου μεθαρμόσας" (ρ. 167,1197-99). PÉTREMENT versteht mit RA. LIPSIUS (Die Quellen der aeltesten Ketzergeschichte, neu untersucht, Leipzig 1875,191 - 219) den Begriff γνωστικοί aber nicht einlinig (p. 352f. 358 - 361). Ihre Begründungen können hier freilich nicht wiederholt werden. 289 Haer. 129,1 (359,2 mit SC 263,296 - 300). 290 Beide lehrten - so P. - als Platoniker, daß "the world was not directly created by God" (365). Beide vertreten eine ähnliche, von platonischen und paulinischen Ideen gespeiste Seelenlehre (ebd.); beide eine Gnadentheologie (366). In enger Beziehung zu Satornil stehe Frgm. 1 über die Menschenschöpfung. Da sie auch Irenaus, Haer. 111,1 für authentisch hält, werden auch der Vater-Begriff (368), die Emanationen und einzelne Aionen verglichen (369f). 287 288

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turning point" (370 - 373). Piatonismus und Paulinismus Valentins werden nochmals mit anregenden Hypothesen illustriert291. Am Ende einer Lektüre dieses - bisherige Forschungskonsense der Nachkriegszeit umstürzenden - Buches fragt sich der Leser resp. die Leserin nur, warum der ungewöhnliche Einfallsreichtum und Individualismus dieser französischen Historikerin nicht auch auf Valentin selbst ausgedehnt wurde. Hier übernimmt sie relativ ungeprüft Annahmen anderer, während sie doch sonst gern eine communis opinio mit knappen Beobachtungen widerlegt. Unabhängig davon, wie man sich zu mancher dieser Beobachtungen stellen mag, wer sein Bild von der Entwicklung der valentinianischen Gnosis nicht revidieren will, muß es nach Simone Pétrement zumindest besser und neu begründen. 2.16. J. Holzhausen, Der "Mythos vom Menschen" im hellenistischen Ägypten (1992/1994) Die überarbeitete Berliner altphilologische Dissertation von Jens Holzhausen292 behauptet wieder, daß Valentin nur als Gnostiker und Inaugurator der valentinianischen Gnosis richtig gedeutet ist: Der anthropologische und kosmologische Mythos der 'Schüler Valentins' wird wieder aus der Denkstruktur Valentins hergeleitet. Neu an dieser nicht neuen These des Kirchenvaters Irenäus, Valentin sei der Urheber einer 'valentinianischen Gnosis' gewesen, ist hier das Gewicht, das auf die angebliche Relevanz eines postulierten vorgnostischen, jüdisch-hellenistischen "Mythos' vom Menschen" für Valentin und seine Schüler gelegt wird. Der Häresiarch soll den Mythos lediglich gnostisiert haben, während die Schüler erhebliche mythologische Modifikationen vornahmen. In diesem generellen Rückbezug auf einen vorgnostischen Mythos unterscheidet sich das Werk Holzhausens von der eher punktuellen Heranziehung jüdisch-hellenistischer Theologumena zur Erklärung der Lehre Valentins, wie sie bisher z.B. bei Stead üblich war. Der eigentliche Zweck jener Arbeit ist also auch gar nicht die Untersuchung der Geschichte des Valentinianismus der Autor unternimmt vielmehr den Versuch, nach Colpes vernichtender Kri-

291

S. PÉTREMENT leitet beispielsweise die Unkenntnis der 'Sophia' (und damit auch den ganzen Sophia-Mythos) von paulinischen Texten, insbesondere 1 Kor 1/2 ab: Die Weisheit dieses Aions (2,6: σοφίοα/ Se ού τοΟ αίωι/ος) als des letzten Aions (der Sophia) differiert von der Weisheit Gottes (p. 382f). 292 Der "Mythos vom Menschen" im hellenistischen Ägypten. Eine Studie zum "Poimandres" (= CH I), Valentin und dem gnostischen Mythos, Theoph. 33, Bodenheim 1994 - unter ähnlichem Titel als Diss. Phil, an der Freien Universität Berlin (1992).

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tik der alten religionsgeschichtlichen Konzepte vom "Urmenschmythos"293 eine neue Geschichte des "Mythos' vom Menschen" vorzulegen. Diese Rekonstruktion, ihre Postulate und Interpretationen können im Rahmen unseres Forschungsberichtes nur äußerst knapp besprochen werden, müssen aber doch wenigstens kurz in den Blick genommen werden. Nach Holzhausen hat der "gnostische Urmenschmythos" zwei Wurzeln (den Platonismus und das Judentum) und einen Vorgänger (den nichtgnostischen, jüdisch-hellenistischen "Urmenschmythos")294. Am Beginn seiner Rekonstruktion des Weges, den diese Konzeption vom hellenistischen Judentum in die Gnosis nimmt, steht das Postulat eines jüdisch-hellenistischen Mythos von der Schöpfung des Menschen (in bewußter methodischer und inhaltlicher Anknüpfung an Quispel: p. 103). Jüdische Denker hellenistischer Zeit hätten mit Hilfe des (Mittel-) Piatonismus die Genesis ausgelegt, wobei an die Stelle der biblischen Erzählung ein neuer Mythos vom Menschen getreten sei. Dieser Mythos habe die Hermetiker in ihrer Darstellung von Soteriologie und Anthropologie beeinflußt; ebenso Christen wie Paulus. (Dabei vermag der Autor für dieses Postulat in der erhaltenen jüdisch-hellenistischen Literatur neben Philo keinerlei Beleg beizubringen, obwohl doch bekanntlich jüdisch-hellenistische Vorstellungen über Weltund Menschenschöpfung z.B. bei Aristobul, beim Tragiker Ezechiel oder in den jüdischen Orphica überliefert sind). Valentin sei, nachdem schon der vorpaulinische Christushymnus in Phil 2,6-11 vor dem Hintergrund des postulierten Mythos' zu verstehen sei295, nun der erste greifbare Zeuge einer gnostischen Interpretation des ursprünglich jüdischen, platonisierenden "Mythos* vom Urmenschen". Als 'gnostisch' wird die Deutung bezeichnet, weil Valentin "Schöpfungskräfte" annehme, "deren Intention und Handeln dem göttlichen Willen widersprechen" (230.144f). Der zugrundegelegte Gnosis-Begriff, der für die Argumentation eine wichtige Rolle spielt, erweist sich bei näherer Betrachtung als äußerst problematisch: Holzhausen nimmt offenbar an, daß "diese Spaltung (...; sc. von oberstem Gott und unwissenden Schöpfungskräften) ein erst dem christlichen Denken mögliches Phänomen" sei, bezeichnet sie aber zugleich als das "entscheidendste Charakteristikum der Gnosis"296. Scheinbar ist damit auch die lange und kontroverse Debatte, woher dieser "Dualismus" stammt, beendet297. Aber angesichts der verschiedenen Dualismus-Konzeptionen in persischen, zwischentestamentlichen und jüdischen Texten (z.B. aus Qumran298) wird man es sich so einfach nicht machen können: Die Spaltung von oberstem Gott und Schöpfungskräften ist offenkundig auch Nichtchristen wie iranischen Theologen

293

Die religionsgeschichtliche Schule. Darstellung und Kritik ihres Bildes vom gnostischen Erlösermythos, FRLANT 78, Göttingen 1961. 294 J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 1 - 6.102 -118.229 - 232. 295 J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 118 - 129. Die These, der christliche Dichter des vorpaulinischen Textes habe "Christus als (...) Idee-Mensch" (124) aufgefaßt, halte ich für beliebig unwahrscheinlich. Mit ähnlicher Berechtigung könnte man bei allen Texten der Antike, die Urbild-Abbild-Beziehungen beschreiben, postulieren, ein platonischer Philosoph habe sie geschrieben. Und vor allem: Strukturanalogien müssen nicht stets als historische Abhängigkeit erklärt werden. Aber das mögen die Neutestamentier diskutieren. ®® Der "Mythos vom Menschen", 146. 297 J. HOLZHAUSEN behauptet, meine eigenen Untersuchungen widersprächen der These, es habe im häretischen Judentum oder im Christentum zur Zeit Valentins schon einen gnostischen Mythos gegeben (p. 4 mit Anm. 145). Dabei sind freilich Inhalt und Absicht meines Buches (Valentinus Gnosticus, 407 u.ö.) mißverstanden: Ich halte es im Gegenteil für nachweisbar, daß Valentins Schüler einer vorvalentinianischen Gnosis Anregungen verdankten und diese wiederum viele jüdische Elemente aufweist - jene Zusammenhänge, die in einer Untersuchung über Valentins Fragmente nicht zu entfalten waren, gedenke ich z.T. im Artikel 'Kerinthos' des RAC zu behandeln. 298 Dazu P. VON DER OSTEN-SACKEN, Gott und Belial. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Dualismus in den Texten von Qumran, StUNT 6, Göttingen 1969.

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möglich und hat doch vermutlich die abgemilderten Formen des Dualismus im antiken Judentum beeinflußt, wenn nicht gar ausgelöst. Als alleiniges Kriterium für Gnosis taugt die Spaltung von Gott und Schöpfungskräfien also kaum. Wie sieht der von Holzhausen postulierte jftdisch-heUenistische "Urme^schmythos" nun im Detail aus? Ein gutes Stück entspricht er dem, was Philo von der Menschenschöpfung denkt: Der Autor nimmt an, wie Philo hätten auch andere jüdisch-hellenistische Theologen im 2./1. Jh. v. Chr. die Genesis so ausgelegt, daß sie die abbildliche Schöpfung in Gen 1,26 κατ' εΙκόνα ήμετέραν καί καθ' όμοίωσιν vor dem Hintergrund der Ideenlehre interpretiert hätten: Der irdische Mensch ist das Abbild des Urmenschen in der Materie. Ein zweiter Zug dieser Auslegung sei die Deutung von Gen 2,7 (και έι/εφύσησεν [sc. ό θεός] εις τό πρόσωπον αύτοΟ πνοήι/ ζωίίς, καί έγένετο ó άνθρωπος εις ψυχήν ζώσαν) vor dem Hintergrund der platonischen Seelenlehre 299 . Soweit wird man diese A n n a h m e n kaum bestreiten wollen. Holzhausen rechnet aber nun damit, daß es innerhalb dieses einen "Mythos' vom Menschen" drei Modelle gab, wie aus der Idee des Menschen der abbildliche Mensch entstand (114118). Zu den bekannten und gut belegten Modellen einer Schöpfung durch den Logos oder durch Engel zählt er die Anthropogonie im ersten Traktat des Corpus Hermeticum (= CH I = Poimandres) als weitere Variante30". Sie weicht stark von Philos Modell ab301 und ist m.W. kein einziges weiteres Mal im Judentum belegt; danach habe nicht mehr der Schöpfergott das Abbild hergestellt und die Seele dem Menschen eingeblasen, sondern der άνθρωπος selbst302: Er sei als Idee und Seele in die Welt herabgestiegen. In der Tat findet sich im 'Poimandres* eine solche Vorstellung : "Und als der Mensch die Schöpfung des Demiurgen (...) betrachtete, wollte er auch selbst Schöpfer sein"303. Holzhausen postuliert nun, die beiden überaus unterschiedlichen Konzeptionen der Schöpfung des irdischen Menschen durch den Logos bzw. die Engel nach der Idee einerseits und durch die Idee selbst andererseits seien lediglich verschiedene "Fassungen" (so p. 114-118) einunddesselben Mythos. Deswegen kann er den 'Poimandres' und Valentin überhaupt zusammenstellen - Valentin, der im Gegensatz zum Poimandres eine Schöpfung des irdischen Menschen durch die Engel lehrt. Meiner Ansicht nach können die beiden Vorstellungen nicht unter das einheitliche Dach einunddesselben Mythos gebracht werden - daß beide Mythen (um hier die Terminologie des Autors aufzugreifen) platonisierende Genesisauslegung enthalten, ist in der dogmengeschichtlichen Landschaft des hellenistischen Judentums und frühen Christentums nicht verwunderlich. Ebensowenig verwunderlich ist, daß die Verbindung der Anthropogonie des Poimandres zu Valentin bisher noch niemand gesehen hat 304 - die beiden Vorstellungen passen, von ganz allgemeinen Ähnlichkeiten einmal abgesehen, auch gar nicht zusammen. Holzhausen nivelliert diese Unterschiede, indem er davon ausgeht, im Mythos agierende 'Personen' (wie z.B. ein Logos oder die Engel) seien doch nur Personifikationen von 'Prinzipien' (wie eben einer Idee). Da sei es relativ egal, ob die Idee oder ein Logos resp. die Engel sich schöpferisch betätigten. Diese Position mögen vielleicht einige antike Philosophen vertreten haben; ich bezweifle allerdings, daß Valentin und die anderen christlichen oder jüdischen Theologen des zweiten Jahrhunderts Engel und Ideen in derselben Weise für Äquivalente, für relativ belanglose verschiedene Fassungen gehalten haben, wie es uns Holzhausen nahe legen möchte: Der Christus-Logos als Äquivalent einer Idee; als alternative Fassung einundderselben Mythe? Diese simplifizierenden Konstruktionen werden der historischen Wirklichkeit m.E. nicht gerecht.

299

J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 104 -118. J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 7 - 70 (bes. 67 - 70); H. folgt in seiner Ableitung des Poimandres von der jüdischen Genesis C.H. DODD (The Bible and the Greeks, nd 2 impr., London 1954) und wendet sich gegen J. BÜCHLI, Der Poimandres. Ein paganisiertes Evangelium, WUNT 2.R. 27, Tübingen 1987. 301 J. HOLZHAUSEN zeigt selbst, daß Philo "in Schöpfungsaussagen den Logos nie mit dem άνθρωπος gleich(setzt)" (Der "Mythos vom Menschen", 106 Anm. 108). 302 J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 115-117. 303 CH 113 in der Übersetzung von J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 74. 304 Darüber wundert sich freilich J. HOLZHAUSEN (Der "Mythos vom Menschen", 3). 300

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Welche Deutungen erfahren nun in dieser neuen Arbeit die Fragmente Valentins? Nach Valentin, Frgm. I3®5 schufen die Engel den Menschen. Sie bildeten ihn (so Referat Holzhausen) nach der Idee des Menschen (= προών άνθρωπος)306. Dann fürchteten sie sich vor ihm, weil er (nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis) "Größeres von sich gab" und versteckten ihn307. Aufgrund mehrerer Annahmen bezeichnet Holzhausen diese Anthropogonie nun als 'gnostisch': (1) Die Engel agierten nicht in Übereinstimmung mit, sondern gegen Gott; (2) Nachdem sie bemerkten, daß der Mensch nun diesen ihnen unbekannten Gott erkennen konnte, wurden sie neidisch und versteckten ihn; (3) Der Sündenfall besteht also in der Gotteserkenntnis; was Kirche und Synagoge negativ werten, schätzt Valentin positiv ein308. (4) Da wie in CH I - der προών άνθρωπος selbst schöpferisch tätig wird (nämlich durch die Gabe des pneumatischen Samens), liegt jener jüdisch-platonische Mythos vom Menschen in gnostischer Interpretation vor30®. Dazu ist zu bemerken: Prämisse (1) wird nirgendwo im Text ausgedrückt; aus dem belegten Erschrecken von Engeln folgt nicht mit Notwendigkeit die vorangehende widergöttliche Handlung derer, die erschrecken. (2) Im Text steht nichts von der Erkenntnisfälligkeit des Menschen, sondern von seiner Fähigkeit, "groß zu sprechen"310: Es müßte der unmittelbare Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Sprechen (¿B. philologisch) nachgewiesen werden. (3) Dafi Erkenntnis eine Folge des Sündenfalls ist, und dafi die 'Erkenntnis des Guten und Bösen' an sich positiv bewertet werden muß, steht schon in der jüdischen und christlichen Bibel311; im Fragment Valentins findet sich auch nicht mehr. Ob er den Sündenfall an sich positiv bewertete (wie die Gnostiker), kann man aus dem Textstück nicht erkennen. (4) Wer der Geber der Gabe im irdischen Menschen ist, muß erschlossen werden: Die bisherige Auslegung nannte z.B. den obersten Gott oder den Demiurgen312; Holzhausen nennt jetzt (wie vorher schon Quispel) den

305

Textnachweis und Literatur o. S. 47 mit Anm. 48. J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 89; so freilich bereits CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 49f. Ich interpretiere allerdings weitergehend vor philonischem Hintergrund den Logos als 'Idee des Menschen', nach deren Vorbild und auf dessen Namen der Mensch von Engeln geschaffen wurde. 307 καί ώσπερεί φόβος έπ ' εκείνου τοΟ πλάσματος ύπίίρξε τους άγγέλοις, 8τε μείζονα έφθέγξατο tffe πλάσεως δια τόν άοράτως έν αύτω σπέρμα δεδωκότα τής άνωθεν ουσίας και παρρησιαζόμενον (...). καί κατεπλάγησαν και ταχύ τό έργον ήφάνισαν (132,8-10/15f ST.). Η. schlägt als neue Übersetzung für ήφά/ισαν 'verstecken* vor dem Hintergrund von Gen 3,8 έκρυβησαν 8 re Αδαμ και ή γυνή αΰτοΟ vor (Exkurs 4, p. 99-101: der Exkurs betrifft meine Übersetzung des Verbs nicht. HOLZHAUSEN gibt selbst zu, daß die Wiedergabe "Die Engel brachten den Menschen um seine δόξα" [Valentinus Gnosticus, 52] philologisch zutrifft: Die δόξα ist ein äußerlicher Lichtglanz, der durch die Engel beschädigt wird. Sinn der metaphorischen Aussage ist die von mir 'moralische Beschädigung' genannte Veränderung). Gegen HOLZHAUSENS eigene Übersetzung kann ich nur wieder einwenden, was schon geschrieben steht (p. 51) und offenbar nicht beachtet wurde: "Wer so übersetzt, daß vom 'Verschwinden-Lassen' des irdischen Menschen durch die Engel die Rede ist (und dies auf Gen 3,8 bezieht), muß sich nach dem Sinn seiner Auslegung fragen lassen: Wie soll der Mensch 'verschwinden', der doch sichtbar präsent ist (Gen 3,10)". HOLZHAUSEN rechnet gar damit, daß der irdische Mensch für den höchsten Gott άφανής geworden ist (87) - da ist es um den Allmächtigen nicht sehr gut bestellt! 308 J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 86. 309 J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 91f. 310 In der Bonner Habilitation von WA. LOHR (Basilides und seine Schule. Eine Studie zur llieologie- und Kirchengeschichte des zweiten Jahrhunderts, [masch.] Bonn 1992, 71 Anm. 10) werden Stellen gesammelt, an denen φθέγγεσθαι sich auf "geistgewirkte, auch prophetische Inspiration" bezieht. 311 Gen 3,22: κοά είπεν ό θεός ' 'Ιδού Αδάμ γέγονεν ώς εΤς έξ ήμων τοΟ yu/ώσκειν καλόν καί πονηρόν'. 312 Forschungsgeschichte z.B. bei CH. MARKSCHŒS, Valentinus Gnosticus, 32 - 42. 306

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'προών άνθρωπος'. Das überzeugt nach wie vor nicht313. Die Analogie des Valentinfragmentes zu der Anthropogonie des 'Poimandres' beruht also m.E. auf vier problematischen Prämissen und leuchtet daher nicht ein. Da die Behauptung, diese Genesisinterpretation sei dezidiert 'gnostisch', einen Zug der biblischen Erzählung verwendet, trifft sie ebenfalls nicht zu. Das fünfte Fragment Valentins 3 " bespricht der Altphilologe vor dem Hintergrund jener referierten Deutung: Hier ist es nun - nach Holzhausen - der unwissende Demiurg, der den Kosmos herstellt315; auch in diesem Text werden Herstellung des Abbildes und Gestaltung nach der Idee unterschieden316. Freilich lesen wir im Fragment nichts von gnos tischer Unwissenheit, sondern nur etwas von der Defízienz des Gebildes, dessen 'Authentizitätslücke' von Gott selbst geschlossen wird. Die Tatsache, daß die Schöpfung eines zweiten Gottes durch den obersten Gott beglaubigt werden muß, ist an und für sich nun gar nicht gnostisch - im Rahmen einer subordinatianischen Logostheologie könnte man sich das alles gut vorstellen. Zusätzliche Argumente für die Grundthesen zu Valentin ergeben sich also aus diesem Kommentar nicht, sodaß auf die weitere Mitteilung von Einzelheiten in diesem Rahmen verzichtet werden kann.

Nach Holzhausen besitzt Valentin also eine entscheidende Bedeutung für "die Genesisauslegung in der Alten Kirche"317 (bzw. für die Abspaltung gnostischer Genesisauslegung von der Alten Kirche). Wenn man allerdings die wirklich gesicherten Elemente der Genesisauslegung Valentins von den hypothetischen Annahmen seines Interpreten trennt, ergibt sich ein weit weniger spektakuläres Bild: Die Schöpfungsassistenz der Engel war längst durch das hellenistische Judentum in die Genesisauslegung eingeführt worden318; die Interpretation der Genesis vor dem Hintergrund des platonischen 'Timaios' und mit Hilfe der Ideenlehre gehört zu den hermeneutischen Grundaxiomen des hellenistischen Judentums - wie man beispielsweise an Philo sehen kann319. Im Vergleich zu den Modifikationen, die etwa ein Orígenes in seiner Schöpfungslehre an der jüdisch-christlichen Tradition vornimmt320, wirken Valentins

313

J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 92 Anm. 53 versucht, einen Vorgang des "Gebens" für Ideen zu postulieren - das erste Argument ('Zeitlichkeit') verstehe ich nicht; das zweite Argument (affectus/motus bei Tertullian) wirft intellektuelle 'Bewegung* im übertragenen Sinne und faktische Bewegung durcheinander. Ich frage weiter: Wo gibt eine Idee von sich aus etwas in etwas anderes? Wird sie nicht allenfalls von etwas in etwas gegeben? 314 Textnachweis und Literatur o. S. 48 mit Anm. 52. 315 J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 135. 316 J. HOLZHAUSEN, Der "Mythos vom Menschen", 136-142. 317 G.T. ARMSTRONG, Die Genesis in der Alten Kirche. Die drei Kirchenväter, BGBH 4, Tübingen 1962 - diesen Titel sucht man wie manche andere bei H. vergeblich (!). 318 Belege und Literatur bei CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 18 - 24. 319 G.T. ARMSTRONG, Die Genesis in der Alten Kirche, 10 - 13; M. HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2Jh.s v.Chr., WUNT 10, Tübingen 31988, 275 - 307; CH. KANNENGIESSER, Philon et les pères sur la double création de l'homme, in: Philon d'Alexandrie, Lyon 11-15 Septembre 1966, Paris 1967, 277-296; TH. H. TOBIN, The Creation of Man: Philo and the History of Interpretation, CBQ.MS 14, Washington 1983 sowie R. McL. WILSON, The Early History of the Exegesis of Gen. 1.26, StP 1 = TU 63, Berlin 1957,420 - 437. 320 Jetzt dargestellt bei H. STRUTWOLF (s.o. S. 74 Anm. 203), Gnosis als System. Zur Rezeption der valentinianischen Gnosis bei Orígenes, FKDG 56, Göttingen 1993,214-269).

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Aussagen eher konventionell. Sie zeigen aber die tiefe Verwurzelung der frühen christlichen Theologie im alexandrinischen hellenistischen Judentum. Holzhausen ergänzt seine Deutung der Fragmente 1 und 5 durch einen Aufsatz zum Hymnus Valentins (= Frgm. 8)321. Auch hier kehrt er wieder zur altvertrauten Interpretation des Textes als eines "gnostischen Psalms"322 zurück und ergänzt sie durch den Nachweis platonischer Elemente, vor allem der Ideenlehre. Diese Deutung liefert dann - darin ganz dem wesentlich älteren valentinianischen Kommentar zum Hymnus1"3 vergleichbar, den Hippolyt mitteilt im Ergebnis eine versweise Entschlüsselung der Allegorien des poetischen Textes32* Auch mit jener neuen Auslegung des Textes soll wieder nachgewiesen werden, daß sein Autor Valentin Gnpstiker und Stammvater der Valentinianer war. Aber hier hängt die Deutung erneut von kaum als solchen offengelegten Prämissen ab: (1) Der Psalm ist vermutlich vollständig überliefert 325 ; (2) Er enthält (implizit) die Rede von zwei 'Ketten', die streng voneinander geschieden sind: eine 'Kette' der vier Elemente, von denen allerdings nur Feuer/Äther und Luft genannt werden, und eine "platonische" zweite Kette, in der der Mensch als "Seele und Fleisch" beschrieben ist. Zwischen beiden 'Ketten' besteht - nach H. - kein 'ontologischer' Zusammenhang326: Valentin wechselt "in einem kühnen Sprung von der Kosmologie in die Anthropologie". Dazu ist zu bemerken: (1) Natürlich gehört die "geschlossene Struktur" auch schon zum Wesen einer Strophe eines Textes; der Psalm könnte gut mehrere Strophen dieser oder ähnlicher Bauart umfaßt haben. Jede Interpretation ist schon von daher mit vielen Fragezeichen belastet und äußerst unsicher327. (2) Der literarische Befund zeigt m.E. eindeutig, daß Valentin sich eine (auch 'ontologisch') zusammenhängende Kette328 vorstellte: πόα/τα κρεμάμενα, alles aufgehängt aneinan-

321

J. HOLZHAUSEN, Ein gnostischer Psalm? Zu Valentins Psalm in Hipp. réf. VI 37,7 (erscheint in JbAC 36,1993 [Münster 1994], Hier zitiert nach der Paginierung des Manuskriptes). 322 So schon Hippolyt in seiner Einleitung (Haer. VI 36,7 [GCS 167,15 WENDLAND/PTS 25, 152,29 MARCOVICH]) und B. HERZHOFF im Titel seiner Bonner altphilologischen Dissertation "Zwei gnostische Psalmen. Interpretation und Untersuchung von Hippolytus, Refutatio V 10,2 und VI 37,Τ (Diss. Phil, [masch.], Bonn 1973). 323 Hippolyt, Haer. VI 37,8 (Dazu CH. MARKSCHIES, Piatons König oder Vater Jesu Christi? Drei Beispiele für die Rezeption eines griechischen Gottesepithetons bei den Christen in den ersten Jahrhunderten und deren Vorgeschichte, in: M. HENGEL, AM. SCHWEMER (Hg.), Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, im Urchristentum und in der hellenistischen Welt, WUNT1.R 55, Tübingen 1991,385 - 439, hier S. 429 - 438). 324 Valentins Text: θέρος/πάντα κρεμάμενα πνεύματι βλέπω,/πάντα δ ' όχούμενα πνεύματι νοω·/σάρκα μεν εκ ψυχής κρεμαμένην,/ψυχήν δ ' αέρος έξεχομένην,/άέρα δ ' εξ αΐθρης κρεμάμενον,/έκ δέ βυθοΟ καρπούς φερομένους,/έκ μήτρας δέ βρέφος φερόμενον (Hipp., Ref. VI 37,7 [CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 218]) und HOLZHAUSENS Deutung: Das dichterische Ich erntet Erkenntnisse:/Durch Pneuma wird die Welt in ihren vier Elementen Abbild der Ideen./Neben der Welt steht der Mensch: Er soll erkennen und darüber jubeln./Aus dem mannweiblichen Gott (Bythos/ Mutterschoß) kommen Ideen; der Logos als Gesamtheit der Ideen (HOLZHAUSEN, Ein gnostischer Psalm,passim). 325 Die "geschlossene Struktur legt nahe, daß der Psalm vollständig überliefert ist" (J. HOLZHAUSEN, Ein gnostischer Psalm, 3). 326 "Beide Reihen (sc. 'Feuer/Äther - Luft - Wasser - Erde* und 'Seele - Fleisch'; C.M.) stehen nebeneinander und werden nur vom Dichter zu einer Kette verschmolzen" (HOLZHAUSEN, Ein gnostischer Psalm, 8). 327 Ahnlich schnell wird übrigens von HOLZHAUSEN Porph., Abst. 142,2/3 (erstmals bei CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 411 - 413 [dort auch Text und Übersetzung] mit dem Valentinianismus in Verbindung gebracht) Valentin selbst zugeschrieben (HOLZHAUSEN, Ein gnostischer Psalm, 11 Anm. 50). 328 So sind ja auch alle vergleichbaren 'Ketten', die das Motiv der catena aurea variieren, dichterisch und ontologisch einheitliche Ketten (CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 233 - 238 [mit Belegen und Literatur]).

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Christoph Markschies

der: σάρκα μέι/ έκ ψυχής κρεμαμένην, ψυχήν δ ' Λέρος έξεχομέι/ην, άέρα β ' έξ οίϊθρης κρεμάμενοι/ - diese Sätze Valentins führen unbefangene Leser resp. Leserinnen auf eine Viererreihe Fleisch - Seele - Luft - Äther und nicht auf eine Zweierreihe. Holzhausen hat richtig bemerkt, daß für einen reinen Platoniker (und ebenso für einen Gnostiker) diese optimistische Einordnung des Menschen in eine Kettenbeziehung zum göttlichen πνεΰμα kaum denkbar ist - aber eben doch explizit ausgedrückt wird: πάντα κρεμάμενα πνεύματι βλέπω. Nun bestehen zwei Möglichkeiten: (a) Der Gnostiker und Platoniker Valentin konnte so nicht reden; man muß zwei Ketten ohne ontologischen, nur mit rein dichterischem Zusammenhang annehmen (so Holzhausen)·, (b) diese Prämissen von Valentin als reinem Platoniker und Gnostiker sind falsch; Valentin folgte offenbar in seiner Verbindung von Pneuma, Fleisch und Seele der jüdisch-christlichen positiven Wertung der Schöpfung (so Markschies). Hier liegt die entscheidende Weichenstellung jeder Interpretation; hieran zeigt sich natürlich auch die Schwierigkeit aller Deutung dieses kleinen Textstückchens. Die nahezu unentscheidbare Frage, ob in den letzten beiden Zeilen des Psalms schlicht wörtlich die Fruchtbarkeit von Materie und Mutterschoß oder der höchste Gott und sein Logos oder gar eine mannweibliche Doppelgottheit gemeint seien329, scheint mir gegenüber dieser Grundweichenstellung von eher untergeordneter Bedeutung zu sein; diese ergibt sich aus jener.

Trotz einiger bedenkenswerter Einzelbeobachtungen und einer kühnen, neuen Hypothese zu einem alten Thema der Gnosisforschung, dem "Urmenschmythos", liegen m.E. in Holzhausens Arbeit nicht genug Argumente und zu wenig textimmanente Interpretation vor, um die alte These von Valentin als dem Stammvater der valentinianischen Gnosis (oder gar: aller Gnosis!) wieder neu beleben zu können. Der platonische Hintergrund des Denkens dieses römischen Theologen, auf den schon Baur, Harnack und Stead hinwiesen, ist aber durch diese Arbeit weiter erhellt worden, und damit sind die Thesen der genannten Forscher nochmals bestätigt worden. 2.17. Schlußbemerkung Auch über achtzig Jahre nach Harnacks und Preuschens Forderung, von den Fragmenten auszugehen330, findet sich in der reichen Literatur zur valentinianischen Gnosis noch immer keine ausführliche Untersuchung der Fragmente Valentins331; nur vier dieser Texte wurden bisher Gegenstand selbständiger 329

HOLZHAUSEN votiert - im Rahmen seiner gnostischen Deutung auch kaum verwunderlich - engagiert für die letzte Bedeutung (Ein gnostischer Psalm, 12-18).

330

331

S.O.S. 66 und 68.

Während der bisher umfangreichste Kommentar der Fragmente durch A. HILGENFELD (Ketzergeschichte, 293 - 307) wenig mehr als 12 Seiten zählt, benötigte E. PREUSCHEN (Art. Valentinus, RE XX, 398 - 402) ungefähr 4 Seiten; W.FOERSTER (Von Valentin zu Herakleon, 91 - 99) 6 Seiten; F. SAGNARD (La Gnose Valentinienne, 121 - 126. 559 - 561) 9 Seiten (ebenso H. LEISEGANG [Die Gnosis, 281 - 289]) zur Erklärung der Texte. Die Arbeit von A. McGUIRE kann aus den genannten Gründen nicht als eigenständiger Kommentar zu den Fragmenten gelten; HOLZHAUSEN deutet Valentin im Rahmen eines hypothetischen Urmenschmythos'. Bei M.R. DESJARDINS, Sin in Valentinianism, SBL. Dissertation Series 108, Atlanta 1990 (= Diss. PhiL Toronto 1987) wird zwar die Zahl der erhaltenen Worte Valentins angegeben (p. 20: 411 direkt zitiert), aber aufgrund der "absence of any reference to sin" (ebd.) treten sie selbst kaum in den Blick (vgl aber p. 132).

Texte und Forschungen zu Valentin

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Untersuchungen bzw. von Aufsätzen332. Auf diese Weise bleibt natürlich schon in der Methode der Untersuchung angelegt, daß der "Schatten" Valentins nicht wirklich Gestalt gewinnen kann. Allerdings erschienen mit den in sich so verschiedenen Arbeiten von Frau McGuire und Frau Pétrement im Abstand von einem Jahr zwei außerordentlich unterschiedliche Gesamtbilder der Entwicklung zur valentinianischen Gnosis, die ihrerseits die Rückfrage nach dem mutmaßlichen Inaugurator noch dringender machen. 3. Eine neue Hypothese neueste Forschungèn zu Valentinus Gnosticus333 Angesichts der bisherigen Forschungsgeschichte erscheint ein Kommentar, der jene wenigen Fragmente Valentins in einem strengen Sinne zunächst aus sich heraus zu verstehen sucht, als Desiderat. Diesen Kommentar habe ich unter dem Titel "Valentinus Gnosticus. Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins" vorzulegen versucht334. Jenes Werk gliedert sich in zwei große Teile: In einem ersten Teil werden die Fragmente Valentins ausführlich kommentiert 3 ". In einem zweiten Teil sind Untersuchungen zu Prosopographie und Doxographie zusammengestellt. Dort wird auch begründet, warum der Verfasser weitere Texte, die gelegentlich für Werke Valentins gehalten werden, also das 'Evangelium Veritatis' (NHC 1,3 bzw. ΧΠ.2) oder den Rheginusbrief (NHC 1,4) aus dem Bibliotheksfund von Nag Hammadi, hier nicht für die Rekonstruktion von dessen Lehre verwendet hat336. Die Arbeit schließt mit dem Versuch einer Einordnung Valentins in die Dogmen- und Theologiegeschichte des zweiten Jahrhunderts; dort wird auch versucht, die Titelfrage "Valentinus Gnosticus?" auf der Basis seiner Fragmente zu beantworten337.

Als Hauptergebnis dieser Kommentierung zeigt sich, daß zwischen dem angeblichen Inaugurator der 'valentinianischen' Gnosis und seinen mutmaßli-

332

Frgm. 8 behandelte die Bonner altphilologische Dissertation von B. HERZHOFF (Zwei gnostische Psalmen. Interpretation und Untersuchung von Hippolytus, Refutatio V 10,2 und VI 37,7, Diss. Phil, [masch.], Bonn 1973); Frgm. 2 ein Aufsatz des Altphilologen J. WMTTAKER (Valentinus Fr. 2, zuerst in: Kerygma und Logos. Beiträge zu den geistesgeschichtlichen Beziehungen zwischen Antike und Christentum. FS für C. ANDRESEN zum 70. Geburtstag, hg. v. ΑΛΙ. RITTER, Göttingen 1979, 455 - 460, auch in: DERS., Studies in Platonism and Patristic Thought, London 1984, Nr. XXVI [SCHOLER, Nr. 4801]); den Komplex der Fragmente 4 und 5 ein Aufsatz von A. ORBE (Los hombres y el creador segúun una homilía de Valentin [Clem., Strom. IV 13,89,1-91,3], Gr. 55,1974, 5 - 48. 339 - 368 [SCHOLER Nr. 3356]); die Frgm. 1, 5 und 8 traktiert HOLZHAUSEN (s.o.). 333 Der folgende Abschnitt beruht zu Teilen auf dem Text eines Vortrages, der auf der II" 1 Conference on Patristic Studies (19. - 24. 8.1991) in Oxford gehalten wurde. Allerdings wurde der reine Vortragstext, der in den Akten (StP XXIV, ed. by E. LIVINGSTONE, Leuven 1993, 382 - 389) publiziert ist, erheblich geändert und um ausführliche Nachweise ergänzt. 334 WUNTLR. 65, Tübingen 1992. 335 S. 11 - 290. 336 S. 337 - 361. 337 S. 388 - 407.

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chen Schülern, Ptolemäus und Herakleon338, eine Reihe von grundlegenden Differenzen in wichtigen theologischen Fragen besteht, auf die zuletzt Christopher Stead hingewiesen hatte339. Worin aber dieser Unterschied nun genau besteht, bleibt selbst bei E. de Faye (oben S. 71f) weitgehend unklar und wird in der Forschung kontrovers beurteilt. 3.1. Die methodische Grundentscheidung Kann man eine derartig geringe Textmenge angemessen interpretieren oder auf dieser Basis gar Aussagen über den Autor wagen? Zunächst scheint es ja als Hilfe zum Verständnis der schwierigen elf Fragmente die spätantike Kommentierung des Clemens Alexandrinus, des Hippolyt und eines unbekannten Valentinianers zu geben, die auch gern für die Interpretation verwendet werden. Es läßt sich aber zeigen, daß sowohl Clemens wie Hippolyt auch schon nur noch diese Fragmente, z.T. mit einem valentinianischen Kommentar, vorlagen. Beide verstanden diese Texte zudem im Rahmen ihres theologischen Gesamtkonzeptes: Hippolyt deutet Valentins Hymnus340 als Beispiel der häretischen Piatonrezeption341, wobei ein doppeltes Mißverständnis des Urtextes 338 Dazu s.o. S. 44 mit Anm. 22/23. 339 S.o. S. 79f. - Auch HOLZHAUSEN streitet diese Differenzen nicht ab: "Hier ist ein wichtiger Punkt, an dem ich Markschies zustimmen möchte; bei Valentin handelt es sich um eine frühe Form der Gnosis" (DERS., Ein gnostischer Psalm, 17 Anm. 84). 340 Hippolyt, Haer. VI 37,7 (GCS Hippolyt m , 167,17-23 WENDLAND; bzw. PTS 25,253,31-38 MARCO VICH). 341 Dazu meinen S. 52 in Anm. 76 genannten Aufsatz "Piatons König oder Vater Jesu Christi", 429 - 438. JAAP MANSFELD hat jüngst gegen ein Detail der dort vorgetragenen Interpretation in einer vorzüglichen Untersuchung argumentiert (Heresiography in Context. PhAnt 56, Leiden 1992, 206 n. 154). Ich hatte die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß Hippolyt zwar in Haer. VI 37,2 (166,19-23 W./ 251,5-9 M.) das Rätselwort aus (Ps.-)Plat., Ep.2, 312 E - 313 A zitiert, es aber nicht im platonischen Kontext auflöst. Nach dem Rätselwort fügt er nach einer Einleitung sofort das Zitat eines von Valentin geschriebenen Psalmes (= Frgm. 8) und danach noch eine, valentinianische Deutung des Psalms an. Dies wurde von mir so erklärt: "Offenbar setzt Hippolyt voraus, daß man aus seinem Piatonreferat mühelos in die Lage gesetzt wurde, den Text zu deuten. Und in der Tat beginnt sein Piatonreferat im ersten Buch mit dem Satz, der als Lösung hier einzulesen wäre: Πλάτων αρχάς eîuai τοΟ παντός θεόν και ϋληι/ καΐ παράδειγμα" (Piatons König, 431; Zitat aus Hippolyt, Haer. 119,1 [19,4f/76,l]). MANSFELD geht es dagegen - im Rahmen seines doxographischen Zuganges - vor allem um die Unterschiede zwischen mittelplatonischem Platon-Referat in Haer. 119 und dem pythagoreisierenden Platon-Bild der Bücher IV-IX (Heresiography in Context, 50f). Vor allem deswegen hält er den von mir vermuteten Rückbezug auf . TURNER, NHS 28, Leiden 1990, 263 - 264. 124 BG 22,2 - 6. In NH n,i hat auch die Überschrift des Textes die Mitteilung, daß dieses Buch Lehre und Offenbarung ist. 125 Ape 1,19. 126 Var. 20,50 latt. 127 Von dieser Schrift (BG 1) gibt es ein griechisches Fragment aus Oxyrhynchos (Ryl. ΠΙ 22) für 17,5 - 21 und 18,5 -19,5, das allerdings textliche Abweichungen bietet. Vgl. jetzt die Ausgabe von A. PASQUEE, Québec 1983, Bibliothèque Copte de Nag Hammadi, Textes 10. Vgl. auch W.C. TILL - H.-M. SCHENKE, Die gnostischen Schriften des koptischen Papyrus Berolinensis 8502.

Medinet Modi und Nag Hammadi

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als auch zusätzliche Logien bringt. Schon der Anfang zeigt m.E., daß es sich nicht um ein Evangelium im Sinne der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft handelt. "Das sind die geheimen Worte, die der lebendige Jesus sagte und die Didymos Thomas aufschrieb"128. Gerade die Betonung des Geheimen führt über den Rahmen des neutestamentlichen Evangeliums hinaus. Das Evangelium des Philippus (11,3) folgt ihm. Es ist gleichfalls eine Aufreihung von theologischen Aussagen, die nur zum Teil auf Jesus zurückgeführt werden. Nicht als Evangelium bezeichnet, aber seinem Gebrauch bei den Gnostikera ganz entsprechend wirkt der "Dialog des Heilands" (ΠΙ,5). In diesem Gespräch mit den Jüngern wird ihnen ein Umriß gnostischer Theologie mitgeteilt. Sekundär ist der Schrift "Das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes" (ΙΠ, 2; IV,2) in einem nur im Codex ΙΠ vorhandenen Kolophon die Bezeichnung "Evangelium" beigelegt worden. Das kann damit gerechtfertigt werden, daß dieses Buch eine Darstellung von dem Heilsgeschehen durch den in Jesus verwandelten Seth gibt. Die Benennung "das Evangelium der Ägypter" mag auf eine Verbreitung in den Sethianerkreisen im Lande zurückgehen129. Evangelium ist für diese Leute die Begründung des Heilsgeschehens und die für den Gnostiker notwendige Kenntnis der Vorgeschichte. So, wie für die Gemeinde des Neuen Testaments die Kenntnis des Alten Testaments nötig ist, hat der christliche Sethianer die Urgeschichte dieser für die Sethianer so wichtigen Herkunft des Seth, des Sohnes Adam(a)s, zu kennen. Problematisch ist die Bezeichnung von NH 1,3 als "Evangelium der Wahrheit". Diese titellose Schrift, die mit den Worten "das Evangelium der Wahrheit" beginnt, wurde zunächst fälschlich als die gleichnamige bei Irenaeus erwähnte valentinianische Schrift angesehen130. Sie wird als ein Sermon über das Heilswerk Jesu betrachtet. Sehr wichtig ist die Aussage, daß dieser als Erleuchter gekommen ist und sich den Zorn der 'Plané' zuzog, die ihn kreuzigen Heß. Vielleicht ist entsprechend dem gnostischen Denken der Name Evangelium vom Incipit "Evangelium der

128

NH π 32,10 ff. Vgl A. BÖHLIG, Das Ägypterevangelium als ein Dokument des mythologischen Gnostizismus, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 341 - 365. 130 Irenaeus, Haer. m 11,9. Vgl die Editio princeps, ed. M. MALININE - H.CH. PUECH - G. QUISPEL, Zürich 1956, ΧΠ. H.-M. SCHENKE lehnt die Deutung ab in: Die Herkunft des sog. Evangelium veritatis, Berlin 1958 und Göttingen 1959; er will in ihm eine Homilie über Jesus als Lehrer sehen, die Verbindung zu den Oden Salomes hat. Ablehnung der Autorschaft Valentins auch bei CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, WUNT 65, Tübingen 1992,339 356. 129

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Wahrheit"131 her doch beizubehalten. Auch die Gattung des Briefes ist in der Sammlung von Nag Hammadi vorhanden, doch findet sich hier nicht der Brief im eigentlichen Sinn, sondern die Epistel. Beim Apokryphon des Jakobus (1,2) und beim Brief des Petrus an Philippus (Vm,2) ist außer dem Absender auch der Adressat genannt. Doch der Briefcharakter ist nur Rahmen, der Darlegungen traktathafter und homiletischer Eigenart einschließt. Der Logos über die Auferstehung (1,4) ist ebenfalls an einen Adressaten (Rheginus) gerichtet. Demgegenüber ist der Eugnostosbrief (ΙΠ,3; V,2) mit richtigem Briefgruß, aber neutraler Adressatenangabe versehen. Der Inhalt ist ein reiner Traktat, so daß es nicht verwunderlich ist, wenn diese Mitteilung als Offenbarung Jesu Christi angesehen und in ein Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern umgestaltet worden ist, allerdings dabei eine wesentlich andere Tendenz erhalten hat132. Sowohl in den Apokalypsen als auch in den Gesprächen Jesu mit seinen Jüngern nach der Auferstehung wird eine eigenartige Dialogform entwickelt, sind doch beide Arten von Texten Offenbarungsschriften, in denen heilige Gnosis an einen oder mehrere Schüler weitergegeben wird. Es bildet sich ein Typ heraus, in dem der oder die Schüler in einer bestimmten Situation Fragen an den Meister stellen. So verbindet sich diese Methode mit der der Erotapokriseis. Dahin gehört z.B. das Thomasbuch (Π,7) oder der Dialog des Heilands (111*5)· Reiner Traktat ist die titellose Schrift in Codex II (11,5), die in die Forschung fälschlich mit der Bezeichnung "Über die Entstehung der Welt" eingegangen ist, weil die zunächst veröffentlichten Seiten davon handelten. Sie führt aber von den Anfängen bis zum Ende der Welt. Sie beginnt mit einer Polemik gegen die von Hesiod behauptete Urexistenz des Chaos. Eng verwandt mit dieser Schrift ist die "Hypostasis der Archonten" (Π,4). Ein gleichfalls von den Anfängen bis zur Endzeit führender Text ist der umfangreiche Tractatus tripartitus (1,5). Um das Gleiche bemüht sich der "Gedanke unserer großen Kraft" (VI,·4). Der Authentikos Logos (VI,3) handelt vom Schicksal der Seele, der besonders die "Exegesis der Seele" (Π,ό) gewidmet ist. Das 'Testament der Wahrheit" (IX.3) hat polemischen Charakter und wendet sich nicht nur gegen die Großkirche, sondern auch gegen konkurrierende gnostische Richtungen. Ein anderer Traktat (XI,2) befaßt sich gerade mit der Darstellung der valenti-

131 132

NH116,31. S. u. S. 188 -190.

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manischen Mythologie. Als Traktat ist auch die "Interpretation der Gnosis" (XI,7) einzuordnen. Ebenso scheinen in dieses Genre Hypsiphrone (XI,4) und das "Denken der Norea" (IX,2) zu gehören. Zu den Traktaten ist auch der merkwürdige Text VI,5 zu rechnen, der wohl aus einer doxographischen Sammlung stammt und ein verunstaltetes Platonstück ist. Dieser Abschnitt aus de re publica 588 b - 589 b war weit verbreitet133. Für H.-M. Schenke, der den Text identifiziert134, und/. Brashler, der ihn in der Claremonter Ausgabe bearbeitet hat 135 , steht die Unfähigkeit des Übersetzers im Vordergrund. In der Ausgabe von Québec geht L. Painchaud136 über diese Auffassung hinaus und will in dem Abschnitt eine von mangelnder Kenntnis der Sprache Piatons und seines Zusammenhangs veranlaßte Deutung von seiner gnostischen Geisteswelt aus sehen. Er bezieht sich dabei auch auf die Vorschläge von T. OrlandO21 und E.G. Matsagouras*®. Eine bedeutende Rolle spielen im Fund von Nag Hammadi die Weisheitslehren. Das ist für einen Fund im Land der Weisheitslehren, Ägypten, eigentlich nicht verwunderlich. Die Sextussprüche (ΧΠ.7), dieses Produkt popularphilosophischer hellenistischer Ethik, das auch in die patristische Literatur eingegangen ist, ist unter den Schriften von Nag Hammadi ebenfalls anzutreffen. Ein besonders typisches Beispiel synkretistischer Ethik bilden die "Lehren des Silvanus" (VE,4), die in hohem Maße christianisiert sind. Auch das Genos der Apostelgeschichten hat Aufnahme in die Bibliothek von Nag Hammadi gefunden. Schon bei der Bearbeitung des Papyrus Berolinensis gnosticus war aufgefallen, daß in ihn außer den eigentlichen gnostischen Schriften auch eine Praxis der alten Petrusakten eingegangen war139. Deshalb ist es keineswegs verwunderlich, wenn wir unter den Texten von Nag Hammadi ebenfalls ein Werk mit dem Titel "die Taten (πράξεις) des Petrus und der

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Vgl. Euseb, ΡΕ ΧΠ 46, 2 - 6; Stob., Anthol. m 9; Plotin, Enn. 11, 7; Proci., In Plat. Rem Pubi., ed. J. KROLL, 225,16 - 18; 226,8 - 11; 227,24 - 27; 229,23 - 26; 292,28 - 293,2; Clem. AL, Str. VII 163 - weitere Stellen künftig bei CH. MARKSCHIES, Art. Innerer Mensch (RAC XVI). 134 In OLZ 69,1974,236 - 241. 135 NHS 11, Leiden 1979,325 - 339. 136 L. PAINCHAUD, Fragmente de la République de Platon, NH V^5, Québec 1983, Bibliothèque copte de Nag Hammadi, Textes 11,109 -154. 137 T. ORLANDI, La traduzione copta di Platone, Resp. IX 588 b - 589 b. Problemi critici ed esegetici, in: AANL.R 8/23, Roma 1977,45 - 62. 138 E.G. MATSAGOURAS, Plato copticus, Rep. 588 b - 589 b. Translation and commentary, Magister These Halifax 1976. 139 W.C. TILL - H.-M. SCHENKE, Die gnostischen Schriften des koptischen Papyrus Berolinensis 8502,297 - 319.

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zwölf Apostel" (VIJ) vorfinden. Diese Erzählung mit typischen Zügen des hellenistischen Romans ist andererseits eine Allegorie auf die Nachfolge Jesu. 4.2. Die Traditionen Obwohl die Einzelinterpretation, ja teilweise selbst die Textherstellung für die Schriften von Nag Hammadi noch längst nicht abgeschlossen ist, so läßt sich doch außer einem Überblick über die Literaturtypen auch bereits ein Einblick in die Entstehung der Schriften gewinnen. Hauptproblem ist, wieweit die einzelnen Texte wirklich Werke aus einem Guß sind. Dort, wo man das Gesamtwerk glaubt einer bestimmten Richtung zuschreiben zu können, etwa beim Rheginusbrief, dem 'Evangelium der Wahrheit' oder dem apokryphen Jakobusbrief, steht hinter den Worten eine Persönlichkeit, die ihre Theologie darbietet. Im Gegensatz dazu tritt der Charakter der "Sammlung", den wir an der Gesamtbibliothek von Nag Hammadi beobachten konnten, auch in einzelnen Texten, insbesondere den mythologischen, hervor. Hier läßt sich an manchen Schriften zeigen, wie einzelne Traditionsstücke zusammengefügt worden sind. Für die Schrift ohne Titel aus Codex II konnte ich z.B. direkt eine Quellenscheidung durchführen zwischen einer Gruppe von Traditionen, die zur Bezeichnung der kosmischen Herrscher άρχοντες gebraucht, und einer, die dafür έξουσίαι verwendet140. Im Agypterevangelium kann man noch deutlich die 140

A. BÖHLIG - P. LAB IB, Die koptisch-gnostische Schrift ohne Titel aus Codex Π von Nag Hammadi, Berlin 1962, 27ff. Wenn M. TARDIEU, Trois mythes gnostiques, Paris 1974, 32f, diese These bekämpft, so hat er mich wohl nicht recht verstanden. Ich nehme an, daß verschieden'* Traditionen vorhanden waren, von denen die einen von den άρχοντες, die anderen von den έξουσίαι sprachen. Hierbei handelt es sich nicht um bipolare, sondern eher nuancierte Größen. Der Anstoß daran, daß Sabaoth nach seiner Bekehrung Macht = εξουσία besitze, geht am Problem vorbei. Denn hier ist "Macht" eine Qualifikation, nicht eine mythische Größe. Mein Kommentar, der meine Ausführungen über die Kompilationen der Schrift in der Einleitung voraussetzt, wiederholt deshalb die Einzelheiten hierfür nicht mehr. Es sei noch einmal betont, daß ich in der Schrift 11,5 verschiedene Traditionsgruppen sehe, nicht aber zwei redaktionelle Einheiten, wie mir unterstellt wird. Schließlich sind audi bei der Einheit des Hexateuch verschiedene Traditionen annehmbar. Für die Späteren sind Jahve und Elohim gleichbedeutend. So ist die Tatsache, daß für den Kompilator von 11,5 άρχοντες und έξουσίαι schließlich Synonyme geworden sind, kein Grund, eine Quellenscheidung zu negieren. Es sind ja hier nicht verschiedene schriftlichfixierteWerke ausgeschrieben worden, sondern es ist anzunehmen, daß in der gnostischen Gemeinde Stücke mündlicher Tradition kursierten, in denen die bösen Engelmächte teils άρχοι/τες, teils έξουσίαι genannt wurden, wobei letzteres eine stärkere Neigung zum Sexuellen aufweist. Man darf sich aber nicht daran stoßen, daß das aus barbelognostischer Tradition stammende Johannesapokryphon anders verfährt. Die Schwierigkeit besteht eben ganz allgemein darin, daß die in Nag Hammadi gefundenen mythologischen Schriften in einem Pluralismus die Positionen verschiedener Schulen ganz verschieden verarbeiten. Das sollte auch RA. BULLARD, The Hypostasis of the Archons, PTS 10, Berlin 1970, 43ff, bedenken. Wenn man allerdings wie L. ABRAMOWSH, Notizen zur Hypostase der Archonten, ed. Bullard, ZNW 67, 1976, 280ff, den Umstand, daß eine gnostische Schrift unübersichtlich erscheint, gleich als kon-

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Kombination der Traditionen über den Logos und den Lichtadamas erkennen 141 , sowie die Koppelung von barbelognostischen und sethianischen Elementen. Die Einfügung der Befragung der Seele bei ihrem Aufstieg in der ersten Jakobusapokalypse weist darauf hin, daß es sich hierbei um ein bereits vor Irenaeus umlaufendes Traditionsstück handelt142. Auch der Abschnitt über den paradiesischen Charakter Ägyptens ist kaum erst eine Erfindung des Verfassers der titellosen Schrift des Codex II, da er in sich wieder fest geschlossen ist und die Schilderung typischer in griechischer Zeit verehrter ägyptischer Tiergottheiten verarbeitet hat, wobei er sich der griechischen Topoi bedient: Phönix, Stiere, Schlange = Krokodil143. Auch der Allogenes (XI,?) kann aus zwei Teilen zusammengesetzt sein, von dem der erste durch Offenbarungen der Juel, der zweite durch solche der vier Leuchter geprägt ist und mit dem ersten künstlich verbunden zu sein scheint. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren, insbesondere wenn das mythologische Schrifttum voll analysiert wird. Sie zeigen aber bereits jetzt eindeutig, daß die Schriften zum großen Teil das Werk von Kompilatoren sind, die mit mehr oder weniger glücklicher Hand gearbeitet haben, sicherlich dabei aber ein gedankliches Ziel hatten, auf das sie mit den verschiedenartigen Denkformen der damaligen Zeit hinstrebten, zu denen z.B. auch die Arithmologie gehörte144.

stitutiven Wesenszug annehmen zu sollen glaubt, versperrt man sich von vornherein den Zugang zum Verständnis. 141 A. BÖHLIG - F. WISSE, The Gospel of the Egyptians, NHS 4, Leiden 1975, m 49,16 - 22 = IV 61,18 - 23. Die Koppelung zeigt sich auch in der gemeinsamen Bitte der beiden (QI 50,17 51,14 = IV 62,16 - 63,8), obwohl jeder von ihnen anderes erbittet. 142 S.o. S. 148. 143 NH Π 121, 35ff; Vgl. auch A. BÖHLIG - P. LABIB, Die koptisch-gnostische Schrift ohne Titel aus Codex Π von Nag Hammadi, 34. Als ich im Jahr 1962 meine Meinung S. MORENZ vortrug und gerade Phönix und Stiere genannt hatte, fiel mir dieser ins Wort und meinte, jetzt könne nur noch das Krokodil kommen. Mich überzeugt deshalb auch die von H.-Ch. PUECH angeregte und von M. TARDIEU, Trois mythes gnostiques 264ff ausgeführte These nicht, es handle sich hier um die Fischotter. Auch die Betrachtung des Krokodils als diabolisches Tier macht gerade die Protestexegese mit ihrer Umdeutung nicht unmöglich. Die Tatsache, warum hier ein Tabuname gebraucht wurde, ist dann leicht zu verstehen, wenn man an die spielerische Verwandlung von ΧηΠ in SI TI, "Schlange" in "Tier", in der gleichen Schrift denkt; die Veränderung der Textgestalt, die Puech vorschlägt: NgYApii. = ει/ύδριες (122,18), benötigt übrigens genauso viel Konjekturen; Ν für èv- in einem Lehnwort ist überdies ungewöhnlich; außerdem fehlt noch ein drittes N. Viel einfacher ist da schon, die Lesung ύδρία als fehlerhafte Erleichterung für ϋδρα anzusehen. Der Abschreiber hätte darin ein Schatuf gesehen, mit dem man Wasser heraufholt; dies entspricht dem Vorgang der Taufe, bei dem man erst ins Wasser hinein-, dann wieder heraussteigt. 144 Vgl ζ,β. die Aufstellung in: A. BÖHLIG, Das Agypterevangelium von Nag Hammadi als ein Dokument der mythologischen Gnosis, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 368f.

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Wann im einzelnen die griechischen Vorlagen der gnostischen Texte von Nag Hammadi entstanden sind, läßt sich schwer sagen und wird für jede Schrift je nach ihrer Eigenart neu untersucht werden müssen. Da aber zumindest ein Teil der Traditionen schon vor Irenaeus liegt, kann die Grundlage für diese Schriften auf jeden Fall ins zweite Jahrhundert gelegt werden. Es sind einerseits Traditionen vorhanden, andererseits traten gnostische Theologen auf. Auch von ihrem Werk ist der Einfluß zu spüren. Soweit Texte erst Ende des dritten Jahrhunderts kompiliert worden sind, kann man natürlich auch die Frage stellen, inwieweit hier Züge manichäischer Mythologie in die Texte miteingedrungen sind. Man muß ja berücksichtigen, daß der Manichäismus am Ende des dritten Jahrhunderts in Unter- und Oberägypten vorhanden war. Für Abhängigkeit von ihm spricht die Zahl 1468 als Zeit der Verbrennung in der Endzeit in dem "Gedanken unserer großen Kraft" (NH VI,-/)145. Auch in der titellosen Schrift des Codex Π kann die Vorstellung von der Wirkung der Erscheinung des Lichts auf den Archigenetor und die Pronoia vielleicht auf die Séduction des Archontes durch den Dritten Gesandten zurückgeführt werden, ist aber modifiziert146. Exkurs Das Problem aramäischer Elemente in den Schriften von Nag Hammadi und ihre Bedeutung für den "Sitz im Leben"147 Die Bedeutung, die "Syrien" für das religiöse Leben zugeschrieben wird und die es in der Tat besitzt, läßt ganz natürlich den Erforscher unserer Texte nach dem Vorhandensein von Elementen aus dieser Region fragen, zumal in der Gestalt des Manichäismus ja eine in Vorderasien entwickelte Form des Gnostizismus den Mittelmeerraum aufs stärkste beeinflußt hat. In Verfolgung der beschriebenen Frage muß man sich zunächst einmal klar darüber werden, was unter "Syrisch" bzw. "Aramäisch" genau zu verstehen ist. Man befindet sich nämlich in der Gefahr, diese Termini vom Gebrauch unseres Universitätsunterrichts her zu verengen und vor allem Syrien mit dem Bereich zu identifizieren, in dem die edessenische Kanzleisprache, die dann

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N H VI 46,25 - 28. NH Π108,Iff. 147 Das Problem ist in seiner Breite ausführlicher behandelt in: A. BÖHLIG, Das Problem aramäischer Elemente in den Texten von Nag Hammadi, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 414 -453. 146

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zur Sprache der christlichen Kirche in Syrien und Mesopotamien wurde, herrschte. Infolgedessen konnte auch die These aufgestellt werden, gewisse Schriften von Nag Hammadi kämen aus Edessa148. Um die zur Diskussion stehenden Definitionen besser und differenzierter hervorheben zu können, sollen die als "aramäisch", "syrisch" oder ganz allgemein als "semitisch" bezeichneten Erscheinungen getrennt besprochen werden. Material bereits für die Bezeichnung der in Frage kommenden semitischen Sprachen findet sich im Philippusevangelium; es ist von£. Segelberg ausführlich behandelt worden149.58,7ff wird dort gesagt, daß der Name "Christus auf syrisch Messias" lautet. Der koptische adverbiale Ausdruck MMNTCYPOC dürfte hierbei die Übersetzung von griechischem συριστί sein150. Eine Untersuchung des Gebrauchs des Wortes "Syrer" und eine Klarstellung seiner Bedeutung verdanken wir Th. Nöldeke151. Er hat nachgewiesen, daß die Bezeichnung "Aramäer" den Griechen unbekannt ist. So schreibt Poseidonios, daß das Volk, das sich selbst "Aramäer" nennt, von den Griechen als "Syrer" apostrophiert wird (vgl. Frgm. 280/281a Edelstein/Kidd). "Syrer nannten die Griechen nämlich zuerst die Untertanen des assyrischen Reiches schlechtweg, ohne Rücksicht auf Nationalität, fixierten aber diesen Namen ... auf die nordwestlichen Semitenländer und bezeichneten damit endlich die in diesen vorherrschende Nationalität, so daß nun allerdings Σύροι = 'Αραμαίοι war".

Aber auch die Aramäer selbst nahmen den Namen "Syrer" an, zumal vom biblischen Sprachgebrauch aus Aramäer "Heiden", Syrer aber "syrische Christen" waren. So wurde die Bezeichnung "Syrer" nach der erfolgreichen Missionierung Syriens, Mesopotamiens und gewisser Gebiete jenseits des Tigris für die Bewohner dieser Gegenden verwendet. In dieser späteren Zeit handelt es sich also um die Idiome der syrischen christlichen Literatur, wie sie die semitische Sprachwissenschaft definiert; in der früheren Zeit besitzt συριστί, wie wir es nach Lukian, Plutarch u.a. kennen, dagegen einen viel weiteren Umkreis. Segelberg möchte deshalb in den aramäischen Elementen des Philippusevangeliums einen antiochenischen Hintergrund sehen. Ob man dabei allerdings noch an das Reichsaramäische denken darf, wie Segelberg meint, erscheint mir frei-

148 Vgl. P. NAGEL, Die Herkunft des Evangelium veritatis in sprachlicher Sicht, OLZ 61,1966, 5 -14. VgL zur Ursprache auch die Ausführungen o. S. 145f sowie Anm. 147. 149 E. SEGELBERG, The Antiochene Background of the Gospel of Philip, BSAC 18,1966, 207ff. 150 E. SEGELBERG, The Antiochene Background, a.a.O., 205f. 151 TH. NÖLDEKE, Die Namen der aramäischen Nation und Sprache, ZDMG 25,1871,113 131; DERS., Άσσύριος, Σύριος, Σύρος, Hermes 5,1871,443 - 468.

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lieh fraglich. Die Schrift "die Hypostasis der Archonten" (Π,4) und die Schrift 11,5 können hier weiterführen. Im Rahmen eines Wortspiels, das XJ TJJ (Schlange), XJ^D (Tier), (Belehrer) und Χ1Π (Eva) identifizieren 152 will , bildet "Belehrer" eine ausgesprochen westaramäische Form153. X?"}(J kann als maskulines Partizip des Pe'al oder auch als feminines Partizip interpretiert werden. Beide Deutungen finden sich in der "Hypostasis der Archonten". Im christlichen Syrisch müßte die Form vom Pa"el gebildet sein. Dieses Beispiel würde also die These von Segelberg stützen. Freilich könnte man auch - einfacher - damit rechnen, daß für diese Elemente im griechischen Text etwa westaramäisch sprechende Juden in Alexandria verantwortlich sind. Ein entsprechendes Wortspiel findet sich ja in Breschlt Rabba154. Für die aramäische Sprache Palästinas wird der Ausdruck εβραΐστί im Neuen Testament gebraucht155, der als MMNT^eBpàJOC im Logion 47 des Philippusevangeliums begegnet. Die "Hebräer", für die im Neuen Testament gewöhnlich "Juden" verwendet wird (so auch dreimal im Philippusevangelium), sind die Bekenner des alten Bundes, die noch nicht bekehrt sind, έβραΐστί ist also aller Wahrscheinlichkeit nach die von den mit "Hebräer" bezeichneten Menschen gesprochene Sprache; das ist zur Zeit unserer Texte bzw. ihrer Traditionen das Westaramäische. Daß dabei auch noch fossile hebräische Reste, wohl aus gelehrter Tradition, begegnen, spricht nicht dagegen; so kommt z.B. die Deutung von "Israel" als "der Mann, der Gott sieht" vor156. Die aramäischen Elemente sind in folgende Gruppen aufzugliedern: 1. Fälle, in denen mythologische Termini als feste, erstarrte Ausdrücke in die gnostischen Systeme eingegangen sind. Dabei wird vom Verfasser der jeweiligen Schrift oft entsprechend dem Zusammenhang die etymologische Deutung gegeben; nicht selten sind volksetymologische Deutungen darunter. In der Volksetymologie darf man dabei freilich grammatische Genauigkeit nicht erwarten. 2. Neben solche erstarrten Formen und ihre alten Bedeutungen tritt der Versuch einer Interpretation, durch die mythologische Vorstellungen und theologische Gedanken zum Ausdruck gebracht werden sollen. Die Gnostiker

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NH Π 113,12ff; vgl. den Kommentar von A. BÖHLIG zur Stelle bei Α. B./P. LAB IB, Die koptisch-gnostische Schrift ohne Titel aus Codex Π von Nag Hammadi, a.a.O., 72ff. 153 Vgl. M. JASTROW, A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yenishalmi, and the Midrashic Literature, New York 1950, s.v. 154 Brëschît Rabba 20,11. 155 Joh 5,2; 19,13.17.20; 20,16; Ape 9,11 und 16,16; vgl. NH Π 62,13. 156 Schon bei Philon (Abr. 57 [Opera Vol. IV 14,3] bzw. Leg. Gai. 4 [VI 156,4 COHN]). Für Nag Hammadi vgl. NH Π 105,235.

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benötigen ja zur Bezeichnung ihrer mythologischen Größen, insbesondere ihrer Kosmosherrscher, neue Namen. Daß sie dabei mit ihren Namen auch gleichzeitig ihre Funktionen auszudrücken versuchen, ist ein verständliches Anliegen. Besonders schöne Beispiele liefert hier der Manichäismus, der in der Mission ganz nach Bedarf und auch im Wechsel mythologische Götternamen aus den Landesreligionen neben Namen, die die Funktion darstellen, verwendet157. Ein sehr häufiger von den Gnostikern nicht mehr etymologisch verstandener Name ist Barbelo. Seine Bedeutung ist strittig. Man kann ihn von der τετρακτύς aus erklären: "in der Vier ist Gott" (b'rbac 3elöh). M. Tardieu möchte es als Wortspiel ansehen: bar-bai (baia) "le coeur a resplendi"158. Durch alle gnostischen Systeme hindurch ist als Name des bösen Oberarchonten Saklas (griech. Σακλας, aram. sakla) verbreitet. Die aramäische Form wird im Griechischen mit einer Endung versehen159 und hat die Bedeutung "der Tor". Der gleiche Archon wird auch oft als Sammael "der blinde Gott" oder, volksetymologisch umgedeutet, als "Gott der Blinden" bezeichnet. In anderen Texten begegnet für ihn der Name "Jaldabaoth". Um die Deutung dieses Namens ist die Diskussion immer noch nicht abgeschlossen160. G. Scholem scheint mir in seinem Beitrag die Möglichkeit nicht genügend zu würdigen, daß die ursprüngliche Grundbedeutung des Namens sekundären Wortspielen zusätzlich Raum läßt. Er rechnet damit, daß die Leser der Schriften von Nag Hammadi die ursprüngliche etymologische Deutung des Namens nicht mehr kannten. Recht bedeutsam scheint mir die von Scholem gegebene Etymologie zu sein; er will in Jaldabaoth nämlich die Wiedergabe von άρχιγενέτωρ sehen; die Deutung von jald als yäled, also aramäischem Participium Pe'al, ermöglicht die Übersetzung "Erzeuger, Erschaffer". Das paßt für die Schöpferrolle des Protarchon, der ja die übrigen Archonten hervorbringt, ausgezeichnet. Wenn diese noch dazu in "Abaoth" zu sehen sind, in dem Scholem eine Abkürzung von "Sabaoth" vermutet und dabei auf die zahlreichen auf -αωθ ausgehenden Namen in den Zaubertexten hinweist, so hat die Deutung dieses

157 Vgl A. BÖHLIG, Der Name Gottes in Gnostizismus und Manichäismus, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 71 -102: 158 M. TARDIEU, Codex de Berlin. Écrits guosdques I, Paris 1984,259. 159 E. SCHWYZER, Griechische Grammatik I, HAW Π/1, München 31959 = s1977,461. 160 Ein kritischer zusammenfassender Beitrag stammt von G. SCHOLEM, Jaldabaoth reconsidered, Mélanges H.-Ch. Puech, Paris 1974, 405 - 421. Seine Etymologie ist inzwischen von M. BLACK angegriffen worden: Aramaic etymology for Jaldabaoth?, in: The New Testament and Gnosis, Essays in honour of R.McL. Wilson, ed. A.HJB. LOGAN - AJ.M. WEDDERBURN, Edinburgh 1983,69 - 72.

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Bestandteils als Wiedergabe von δυνάμεις viel für sich. Etwas unverständlich ist mir dagegen der erbitterte Kampf, den Scholem gegen die volksetymologische Deutung des Namens führt, auf die H.-M. Schenke zuerst m.E. mit Recht aufmerksam gemacht hat: jalda b'Üt "Jüngling setze über"161. Denn es geht ja um die Entstehung des Jaldabaoth aus dem Wasser. Die Pistis Sophia, durch deren Willen er aus der Tiefe der Wasser hervorgeht, fordert ihn auf, an Land zu kommen, und belegt dieses mythologische Ereignis mit dem Namen dieses Wesens "Jaldabaoth". So heißt es wörtlich in der titellosen Schrift des Codex Π162, wobei auch gleich die Übersetzung νεανίσκε διαπέρα in koptischer Einkleidung beigefügt ist. Daß hier BUM. "Auflösung, Deutung" έρμηνεία entspricht, bedarf keiner Diskussion163. Wenn Sammael, der ja mit Jaldabaoth identisch ist, dann aufgefordert wird, zu seiner Mutter, dem Abgrund, zurückzukehren164, so reizt dies allerdings dazu, die alte von A. Hilgenfeld und H. Leisegang angenommene Deutung "Kind des Chaos"165 wiederaufzugreifen. Hier hat freilich Scholem mit lexikalischen Gründen endgültig nachgewiesen, daß eine solche Ableitung nicht möglich ist. Aber schließt ein solches "grammatisch nicht möglich" eine volksetymologische Konstruktion wirklich aus? M. Black führt den Namen auf Jalda behut "Sohn der Schande" zurück166. Im Philippusevangelium finden sich ebenfalls nicht nur fossile aramäische Reste wie eXMCUe und εΧΛΜίϋθ als Abkömmlinge des hebräischen ΠΙΖΟΠ, sondern auch Interpretationen. So wird XTPltfÖ nicht nur als "der Gesalbte"167, sondern auch als "der Gemessene" aufgefaßt. Es erhebt sich dann allerdings die Frage, ob "der Gemessene" ( ΤΤβΤφΗγ) auch die richtige Interpretation von XTPItfÖ ist. Segelberg tritt für die ebenfalls mögliche Bedeutung des Wortes "ausdehnen" ein und möchte damit die Ausbreitung der Arme

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H.-M. SCHENKE, Vom Ursprung der Welt, ThLZ 84,1959,249, Anm. 22. NH Π 100,10ff. 163 Wenn G. SCHOLEM, a.a.O., 413, auf seine mangelnde Urteilskraft bezüglich des koptischen Wortes hinweisen zu müssen glaubt, so hätte er ja nur mich brieflich oder noch einfacher seinen Kollegen HJ. POLOTSKY mündlich befragen brauchen. Warum er an dem von mir gebrauchten Ausdruck "Auflösung" Anstoß nimmt, ist mir völlig unverständlich, besonders wenn man noch dazu bedenkt, daß ich in der Editio princeps möglichst wörtlich sein wollte. 164 NH Π 103,24. 165 Η. LEISEGANG, Die Gnosis, KTA 32, Stuttgart 1925 = s1985,391; A. HILGENFELD, Die Ketzergeschichte des Urchristentums, urkundlich dargestellt, Dannstadt 1963 (= Leipzig 1884), 243. 166 An Aramaic Etymology for Jaldabaoth, in: The New Testament and Gnosis. FS R.McL. Wilson, Edinburgh 1983,69 - 72. 167 Daß Messias die aramäische, Christus die griechische Spielform des Namens ist, wird bereits NH Π 56,7ff im Philippusevangelium ausgesprochen. 162

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Jesu am Kreuz wiedergegeben finden168. Das ist nicht unmöglich. Es könnte darüber hinaus eine kosmologische Vorstellung angesprochen sein, die sich bei Irenaeus findet und wo vom Christus, der sich 'ausdehnt', die Rede ist169. Ebenfalls eine Interpretation liegt vor, wenn die Identifizierung der Hostie mit Jesus durch ein aramäisches Wort erklärt wird, das aus altchristlicher Liturgie stammen dürfte: "Die Eucharistie ist Jesus, denn er wird aramäisch Parisätä (ΦΑΡΙ CABA) 170 genannt, d.h. das Ausgedehnte. Denn Jesus kam, indem er in der Welt gekreuzigt wurde"171.

Hier wird also das Brechen des Brotes in das Ausdehnen bei der Kreuzigung umgedeutet, weil der Stamm beide Bedeutungen zuläßt172. Für die fragliche Stelle beinhaltet das zugleich, daß man von der Kreuzigung Jesu "der Welt" zu reden haben wird, nicht von der Kreuzigung der Welt durch Jesus. Daß man sich daran erinnert, daß "Geist" auf hebr.-aram. rflh zurückgeht, wird im Philippusevangelium deutlich173. Es wird hier ausgeführt, Maria könne nicht vom Geist befruchtet worden sein, weil niemals eine Frau von einer Frau befruchtet werden kann. Diese Auffassimg weist noch auf die Vorstellung von der Trinität als Vater-Mutter-Sohn hin174. 5. Die religionsgeschichtliche Verankerung des Gnostizismus Die Suche nach dem "Sitz im Leben" hat mit Hilfe traditions- und literargeschichtlicher sowie handschriftenkundlicher und sprachlicher Untersuchungen eine starke Inkonsistenz innerhalb der Schriften von Nag Hammadi zutage gefördert. Neben Texten, die aus einem Guß sind, stehen hier solche, die aus einzelnen Traditionsstücken komponiert sind. Jüngere Kompilationen finden sich neben alten Traditionen, die von den Kirchenvätern des zweiten Jahrhunderts bekämpft werden. In den griechischen Vorlagen wird ein semitisches, wohl westaramäisches Element sichtbar, das zwar kaum ausreicht, um die aramäische Vorlage gewisser Schriften zu erweisen, das aber auf eine Entstehung in jüdischen Kreisen Alexandrias hinzeigt oder auch für eine Entstehung in Syrien, z.B. Antiochia, sprechen könnte.

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E. SEGELBERG, The Antiochene Background, a.a.O., 213f, zu NH Π 56,3ff; 62,6ff. Irenaeus, Haer. 14,1. 170 Das kurze a, das in paiîsâtâ vor dem Ton noch erhalten ist, weist auf einen Entwicklungszustand hin, der erst im 3. Jh. n. Chr. abgeschlossen ist. 171 XT10 in NH Π 63,22 ist eine aramäische Deutung für Jesus als "das Geteilte". 172 VgL J.-É. MÉNARD, L'Évangile selon Philippe, a.a.O., 168f im Kommentar zu Spruch 53. 173 NH Π 55,23ff. 174 S.u. S. 184.187f. 195 und 220. 169

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Dieser Befund kann, ja muß in Rechnung gestellt werden, wenn NagHammadi-Texte als Zeugen für die Entstehung des Gnostizismus herangezogen werden sollen. Antiochia war bereits für die Urchristenheit eine Stätte schwerwiegender Auseinandersetzungen gewesen. Wegen der hier entstandenen Probleme hatten auf dem Apostelkonzil Paulus und die Führer der Jerusalemer Urgemeinde sich über die Pflichten der zum Christentum übertretenden Heiden in schwierigen Verhandlungen geeinigt. Da war es kein Wunder, wenn in einer solchen durchaus noch in ihren Traditionen nicht restlos einheitlichen Gemeinde eine geistige Bewegung an Boden gewann, die sich parasitär den religiösen Gemeinschaften aufdrängte, der Gnostizismus. Die Härte, mit der Ignatius um seinen Führungsanspruch kämpfte, spricht dafür. Daß außerdem die ägyptische Gnosis mit der syrischen eng verbunden war, ist durch die von ältester Zeit bis in die Gegenwart reichenden Beziehungen zwischen Ägypten und Syrien (und das bedeutet das heutige Syrien plus Libanon) gegeben. Wir wissen aber auch von Gnostikern, die aus Syrien, speziell Antiochia, nach Ägypten gekommen sind. So wird von Basilides als erstem berichtet, daß er gnostische Ideen nach Alexandria vermittelt habe175. Über Orígenes wird erzählt, er sei in seiner Jugend nach dem Martyrium seines Vaters von einer reichen Christin aufgenommen worden, die auch einen gewissen Paulus aus Antiochia, der ein Häretiker war und als Lehrer Christen aller Kreise anzog, als Pflegesohn bei sich wohnen hatte176. Wieweit die syrischen Vorläufer, die Irenaeus nennt, als historisch zu betrachten sind, spielt hierfür keine wesentliche Rolle. Das Vorkommen von Gnostizismus in Antiochia belegt ihn damit auch im ganzen Gebiet des Vorderen Orients von Ägypten über Syrien-Palästina bis ins Zweistromland und Iran. Nimmt man Syrien-Palästina als das geographische Zentrum für die Entstehimg des Gnostizismus an, so kann man seine Ausbreitung als eine Bewegung nach zwei Seiten verstehen. Bei allen Abweichungen, die insbesondere der Manichäismus durch seine Nomenklatur aufweist, könnte man doch auch ihn dann genetisch in den Rahmen der gnostizistischen Bewegung stellen. Ganz besonders störend wirkt ja für alle, die Gnostizismus immer mit dem Christentum verbinden zu müssen glauben, daß der Mandäismus eine so feindliche Haltung gegen Jesus Christus einnimmt:

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Epiphanius, Haer. 23,1; vgl. Irenaeus, Haer. 124,1. 176 Euscb, H.E. VI 2,13f.

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"Ein^eder, der wahrhaftig und glaubensfest ist, horche nicht auf die Lehre des Christus

Mit Recht sagt Κ Rudolph, daß er "nie zentrale christliche Lehren aufgenommen habe"178. Der Manichäismus, der strukturell eine sehr starke Verwandtschaft zum Mandäismus aufweist, obwohl er mit ihm konkurriert hat, greift durchaus bewußt auf das Christentum zurück, auch wenn er sich ebenso bewußt verselbständigt. Wenn nun solche Linien im Mandäismus nicht vorhanden sind, so fragt es sich, wie dieser als eine gnostizistische Religionsform eingereiht werden kann; liegt er in seiner Entstehung außerhalb des Christentums, so erhebt sich die Frage, wo er angesiedelt werden kann. Dieses Problem ist infolge der diffusen Quellenlage des Mandäismus sehr schwer und wohl nie ganz eindeutig zu lösen, hat doch die Religionsgemeinschaft eine lange, bis in die Gegenwart währende Geschichte hinter sich und hat dabei mancherlei Gut Sekundär aufgenommen. Sie hat sich auch vom westlichen Teil Vorderasiens immer mehr auf die jetzigen Wohngebiete im Schatt-el Arab und in Chuzistan zurückgezogen. Die Betonimg des im Norden hegenden Gebirges, besonders aber des Jordans, spricht jedoch für eine Heimat der Urmandäer im Westen. Dafür sind westaramäische Elemente ein Zeugnis, z.B. nordsemitische und phönizische Götternamen oder die auf -el gebildeten Götternamen und die Jö-Wesen. Syrisch-phönizische Wesenheiten liegen Jö-äamln, Jö-kabar, Jo-kaSar und Jö-zataq zugrunde. Man kann also doch einen Ursprung im Westen für den Mandäismus annehmen179. Fragt man nun, ob auch der parasitäre Charakter des Gnostizismus in ihm zu erkennen ist, so kann man dies nur bejahen. Syrisch-phönizische Mythologie und jüdische Vorstellungen sind hier gnostiziert worden. Und was den Kult angeht, so ist hier eine Täufersekte gnostisch umgeformt worden; bezeichnend, daß dabei das westaramäische §b ' und nicht das ostaramäische ' md für "taufen" gebraucht wurde! Bezeichnenderweise werden gewisse zentrale Größen im Mythos in ihrer Funktion begrifflich dargestellt: Leben, großes Leben, Herr der Größe, gewaltiger Mana, Gnosis des Lebens180. Ob hier bei aller mythologi-

177 Ginza 51,30f. K. RUDOLPH, Die Mandäer I: Das Mandäerproblem, FRLANT 74, Göttingen 1960,118, Anm. 1. Was an christlichen Elementen in den Mandäismus hineingekommen sein könnte, wird von Rudolph, a.a.O., 101 -118, behandelt. Wer behauptet, die Christenfeindschaft sei eine Folge von Verfolgungen durch die Kirche, der sei gefragt, warum diese Eigenart speziell bei den Mandäern zu finden ist. 179 K. RUDOLPH, Die Mandäer I, a.a.O., 60ff; 101. 180 Wieweit schon in der Frühzeit iranische Vorstellungen eingedrungen waren, läßt sich schwer entscheiden, sollte aber nicht so ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. 178

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sehen Übermalung, die im Laufe der Zeit immer stärker wurde, nicht doch ein Element des in Syrien-Palästina aktiven hellenistischen Einflusses zu erkennen ist? Die Grundzüge gnostischen Denkens, der Fall des Lichts und die Heimholung der Seele durch die Übermittlung der Gnosis mit Hilfe eines Boten aus der Lichtwelt ist sowohl im Mandäismus und Manichäismus wie auch in den Texten von Nag Hammadi zu finden. Gerade Syrien-Palästina war ein Grenzgebiet, das verschiedenartige Kräfte von sich ausstrahlen konnte. Das letzte Jahrhundert hat uns erst richtig die Vielfalt der jüdischen Gruppen gezeigt und uns auch die hellenistischen Einflüsse auf das palästinische Judentum erkennen lassen181. Nimmt man eine Entstehung des Gnostizismus in Syrien-Palästina an, so erhebt sich natürlich sofort die Frage, wann es dazu gekommen ist. Die Antwort darauf kann am besten versucht werden, wenn zunächst die Frage nach dem Grund der Entstehung des Gnostizismus beantwortet ist. Beim Kolloquium von Messina hatte A. Adam in einem Referat "Ist die Gnosis in aramäischen Weisheitsschulen entstanden?"182 ausgehend vom Namen des Oberarchonten den Ursprung des Gnostizismus zu erklären versucht. Wenn man auch seiner Ableitung des Archontennamens nicht beistimmen kann, so verdient doch der Hinweis auf das aramäische Sprachgebiet Beachtung. Dafür sprechen ja auch bereits angeführte Beispiele183. Sehr wichtig erscheint mir auch die Bemerkung, daß die verarbeiteten auswärtigen Ideen in der Gnosis eingeschmolzen worden seien und insofern der Synkretismus überwunden wurde 184 . Das trifft m.E. zu auf die Einwirkung einer in der damaligen Zeit aktuellen Fragestellung: Kommt Gut und Böse aus einem Urgrund? Schon Piaton hatte Timaios 185 die Verantwortung bei der Schaffung der Einzelgeschöpfe aus der Hand des Demiurgen genommen und sie einer Mehrzahl

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R. MEYER, Hellenistisches in der rabbinischen Anthropologie, Stuttgart 1973. Vom Standpunkt des Rechtshistorikers aus hatte hellenistische Einflüsse D. DAUBE nachgewiesen: Rabbinic Methods of Interpretation and Hellenistic Rhetoric, HUCA 22, 239 - 264; Alexandrian Methods of Interpretation and the Rabbis, Festschrift H. Lewald, Basel 1953, 27 - 44; M. HENGEL, The 'Hellenization' of Judaea in the First Century after Christ, in collaboration with CH. MARKSCHIES, transi, by J. BOWDEN, London/Philadelphia 1989; DERS., Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v.Chr., WUNT 10,3., durchg. Aufl., Tübingen 1988. 182 In: U. BIANCHI, Le Origini dello Gnosticismo, Colloquio di Messina, Leiden 1967, 291 301. 183 S.O.S. 158-163. 184 A. ADAM, a.a.O., 229. 185 vgl. p. BOYANCÉ, Dieu cosmique et dualisme: Les archontes et Platon, in: Le Origini dello Gnosticismo, a.a.O., 340 - 356.

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unterer Demiurgen übergeben. In Weiterführung dieses Gedankens konnte der Gnostizismus mit einer stärker qualifizierenden Betrachtungsweise von der Einheit Gottes zur Teilung Gottes übergehen, wobei dann die einzelnen Systeme darin voneinander abweichen, daß der abgetrennte Gott entweder noch einen gewissen Substanzzusammenhang mit der Lichtwelt hat oder, ganz feindlich, den Charakter des Teufels besitzt. War das Referat Adams noch durch die Fragwürdigkeit der Namensdeutung in seiner Wirkungsfähigkeit beschränkt, so mußte ein Artikel von K. Rudolph die Aufmerksamkeit auf sich ziehen: "Randerscheinungen des Judentums und das Problem der Entstehung des Gnostizismus"186. Es sei zunächst auf die von ihm gegebene Definition der Lehrinhalte des Gnostizismus hingewiesen187: "ein antikosmischer Dualismus, die Überzeugung von der Konsubstantialität des Salvator und Salvandus (also eine Art göttlicher Monismus)188, eine typische Offenbarungsund Erlösungslehre sowie eine kühn gehandhabte Schriftexegese oder -allegorese".

Rudolph hat richtig gesehen, daß die vom Gnostizismus verarbeitete religiöse und philosophische Überlieferung in ihren Einzelelementen zwar weitgehend aus vorangehenden Kulturen abgeleitet werden kann, daß aber eine unbedingte Originalität im Gnostizismus vorhanden ist, zumal seine "Daseinshaltung" bzw. "das zugrundeliegende Existenz- und Weltverständnis" weder "im Juden-, Griechen-, Christentum und im Zoroastrismus in gleicher Weise nachweisbar" ist. Man könnte oder sollte m.E. damit rechnen, daß die Daseinshaltung des Gnostizismus im Klima der Zeit lag, das den Vorderen Orient ergriffen hatte. Es ist m.E. nicht sachgemäß, griechische, jüdische, iranische und christliche Elemente zusammenzumischen, aus denen dann der Gnostizismus entstanden sein soll. Man kann eher sagen, daß aus dem Erlösungsbedürfnis und einem Pessimismus gegenüber der wahrnehmbaren Welt der Gedanke vom Fall der Seele und ihrer Heimholung ausgesponnen wurde und ihr Schicksal zum Schicksal des Menschen (Menschenseele) und des Kosmos (Weltseele) gemacht wurde. Der Einbruch griechischer Kultur in den Vorderen Orient ließ als geeignete Ausdrucksform für solche Gedanken den Mythos erscheinen. Die Welt des Ostmittelmeerraums, die so reich an Mythologie war, war sehr geeignet, den gnostischen Kunstmythos aufzunehmen, der im platonischen Mythos ja seinen strukturellen Vorläufer hatte. Die verschiedenartige Gestal-

186

Kairos 9,1967,105 -122. A.a.O., 108. M.E. kann in diesem Sinne diese Vorstellung beibehalten werden gegen K.-W. TRÖGER, Ja und Nein zur Welt, in: Theologische Versuche ΥΠ, Berlin 1976,67. 187 188

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tung des Mythos in den verschiedenen Berichten der Kirchenväter, aber auch in den Originalschriften von Nag Hammadi zeigt, daß sich die Theologie der Gnostiker des Mythos bedient, um Nuancen herauszuarbeiten, aber auch um schulmäßige Eigenheiten darzustellen. Die gnostische Daseinsgestaltung und ihr mythologisches Denken haben sich parasitär an Religionen angehängt, so daß religiöse Strömungen in Syrien-Palästina, aber auch im heidnischen und christlichen Ägypten von der Gnosis befallen wurden. Wieweit dann der Gnostizismus in die betreffende religiöse Strömung auch institutionell eindrang, hing von der Geschlossenheit solcher Gemeinschaften ab. Im frühen Christentum konnte der Gnostizismus in hohem Maß innerhalb der Kirche auftreten, weil in ihr noch längst nicht die Fixpunkte für Kanon und Lehre gefunden waren. Infolgedessen konnten christliche Gnostiker oder gnostische Christen durchaus den Anspruch erheben, die wirklichen Christen zu sein. Das hat in besonderem Maß Κ Koschorke gezeigt; er hat an Nag- Hammadi-Schriften zu erweisen versucht, wie die Gnostiker sich als der Kern der christlichen Gemeinde betrachten, der die Großkirche polemisch angreift und von innen her zu überwinden bemüht ist189. Stärker ist die Distanz zum Judentum. Man kann wohl kaum von jüdischem Gnostizismus sprechen, weil ja der strenge Monotheismus dieser Religion die Teilung Gottes in einen fremden erhabenen und einen gerechten, ja auch oft bösartigen, zumindest dummen Gott niemals zuläßt. Gewiß begegnet in Qumran190 die Lehre von den zwei im Menschen wirkenden Geistern; aber sie ist doch bestimmt von der Herrschaft, die Gott über sie hat. Wer an der Einheit Gottes zweifelt, macht sich zum Ketzer. Und doch hat auch das Judentum schwache Punkte, an denen ein Gnostizismus entstanden sein könnte. Mit Recht hat Rudolph auf die Weisheitstradition und die "in ihrem Schatten angesiedelte Skepsis" hingewiesen191, die er als "Nahtstelle zwischen Gnostizismus und Judentum vor allem in ihrem tieferen Grunde" ansieht. Er gibt auch zu bedenken, daß gerade im Prediger Salomos Skepsis und Weltverachtung so stark sind192. Der Weise fühlt sich Gott so ungeheuer fremd; er glaubt nicht mehr an sein Wirken in der Geschichte. Er sieht die Welt als Chaos, so daß er entweder zu Hedonismus oder zu Enkratis-

189 K. KOSCHORKE, Die Polemik der Gnostiker gegen das kirchliche Christentum, NHS 12, Leiden 1978. 190 Gemeinderegel 1QS m,17ff. 191 K. RUDOLPH, Randerscheinungen des Judentums, a.a.O., 118 (vgl. Anm. 186). 192 K. RUDOLPH, Randerscheinungen des Judentums, a.a.O., 119, mit Verweis auf G. VON RAD. Vgl. auch M. HENGEL, Judentum und Hellenismus, Tübingen 31988,217ff.

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mus neigt. Stellt dieser Weise nun sein individuelles Erleben in den Rahmen des Weltgeschehens im weitesten Sinn, so muß auf ihn die Ausweitung des Weltbildes, die gerade in der hellenistischen Zeit stattgefunden hatte, besonderen Eindruck machen. Die Transzendierung Gottes in die ungeheure Ferne und die Anfiillung des leeren Raums mit Zwischenwesen legte es nahe, die Problematik von Gut und Böse, klug und dumm, intelligibel und nicht-intelligibel durch eine Differenzierung solcher Mittelwesen zu erklären. Schließlich kannte man ja aus den polytheistischen Religionen Unterschiede im Wesen, ja auch Kämpfe unter den Göttern. So konnte man in den Kreisen, die Qohelet lasen und sich zu eigen machten, beim Reflektieren über die Ungerechtigkeit Gottes auf die Idee kommen, daß es sich bei diesem Gott nur um den Gott dieser Welt handle und daß dahinter in weiter Ferne längst vor dem Schöpfungswerk ein anderer, ferner Gott existiert habe, der für diese Unvollkommenheiten oder auch Ungerechtigkeiten dieses Kosmos nicht verantwortlich gemacht werden könne. Darum soll sich der Rabbine nur zurückhaltend mit dem ma^e breSlt "dem Schöpfungswerk" befassen. Denn dies ist eine Geheimnislehre, wie bereits R. Johanan b. Zakkai in vorchristlicher Zeit sagt. Das Gleiche gilt für die Lehre vom ma°se merkaba "dem Himmelswagen", d.i. die Beschreibung Gottes193. Die Möglichkeit der Teilung Gottes wird von manchen Gelehrten auf den Zusammenbruch des jüdischen Staates zurückgeführt. Die Eroberung Jerusalems habe gewissen Juden das Vertrauen zu dem einen Gott der Väter, dem Gott, der um sein Volk besorgt ist, genommen und sei dadurch an der Entstehung des Gnostizismus schuld. M.E. ist dieser Termin aber zu spät gegriffen, wenn man bedenkt, daß die geistesgeschichtlichen Möglichkeiten, die pessimistische Krise in Judentum und Griechentum, bis ins 3. Jahrhundert vor Christus zurückgehen. Dennoch möchte auch ich nicht eine Entstehung des Gnostizismus annehmen, die wesentlich vor Christi Geburt liegt, weil es ja keine Bezeugung solcher gnostischen Gruppen gibt194. Infolge des Mangels einer Bezeugung vorchristlicher gnostischer Gruppen ist es für das Phänomen Gnostizismus ante Christum natwn im allgemeinen zu einem Problem geworden, ob Gnostizismus ein Ableger des Christentums ist oder das Christentum eine unter gnostischem Einfluß entstandene

193 Vgl. A. BÖHLIG, Der jüdische Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi, in: DERS., Mysterion und Wahrheit, 80ff, besonders 81f. 194 Der Mangel dieser Bezeugungen kann aber auch daran liegen, daß die Gnosis in christlichen Gemeinden lebendig ist und dort keine gesonderte Organisation hat.

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Religion. Die alte Dogmengeschichte195, die sich auf den ersteren Standpunkt stellte, hat deshalb den Gnostizismus in die Ketzergeschichte eingereiht, bis W. Bauer196 mit der Auffassung brach, daß das großkirchliche Christentum am Anfang gestanden habe. Er vertrat vielmehr die m.E. richtige Meinung, daß sich die Großkirche in einer Menge divergierender Gruppen erst mit der Zeit durchgesetzt habe. So betrachtet, gehört die Erforschung des Gnostizismus in den Aufgabenbereich der alten Kirchen- und Dogmengeschichte. Die zweite angeführte Meinung wird vor allem von Anhängern der Bultmannschen Schule vertreten197. Sie wurde dadurch so aktuell, daß sie nicht die Fortentwicklung des Christentums, sondern die Entstehimg des christlichen Glaubens und seiner ältesten Zeugnisse, also der neutestamentlichen, ins Auge faßte. Die Beschäftigung mit dem Gnostizismus wurde von dieser Frage aus eine für die neutestamentliche Wissenschaft relevante Aufgabe. Wenn auch die Freudigkeit dazu, die Quellen des 2. und 3. Jahrhunderts für die Erklärung der neutestamentlichen Schriften heranzuziehen, stark abgenommen hat, so darf doch nicht übersehen werden, daß die ersten gesicherten Materialien des Gnostizismus für die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Christus vorliegen, der zeitliche Abstand zur Entstehung der neutestamentlichen Schriften also nicht groß ist. Daß man im Neuen Testament von Gnostizismus nicht sehr viel weiß, hängt allerdings von dem Bild ab, das man sich damals bereits von der Gnosis macht. Außerdem muß natürlich gefragt werden, wieweit hier der Gnostizismus bekämpft wird und wieweit dabei seine Ausdrucks- und Vorstellungsformen übernommen und polemisch umgebildet worden sind oder ob gar gnostisches Schrifttum in das Neue Testament eingedrungen ist198. Daß Probleme, die sich im christlichen Gnostizismus finden, im Ansatz bereits im Neuen Testament auftauchen, ist immer wieder behauptet199 und

195 So schon Orígenes, Comm. Π in Cant. XIV, 10: "Alle Ketzer kommen zuerst zur Gläubigkeit; später weichen sie dann von der Glaubensregel ab". 196 vgl. sein grundlegendes Werk "Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum", BHTh 10,2. Aufl. hg. v. G. STRECKER, Tübingen 1964. 197 R. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen s1965, 166ff; A. CONZELMANN, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München 1968, 26ff; W. SCHMITHALS, Die Gnosis in Korinth, FRLANT 66, Göttingen 31969; L. SCHOTTROFF, Der Glaubende und die feindliche Welt, WMANT 37, Neukirchen 1970. 198 Auf Einzelheiten kann hier nicht ausführlicher eingegangen werden. Außer den oben angeführten Werken sei verwiesen auf die Ausführungen von R.McL. WILSON, Gnosis und Neues Testament, Stuttgart 1971; dagegen W. SCHMITHALS, Neues Testament und Gnosis, EdF 208, Darmstadt 1984. 199 W. SCHMITHALS, Die Gnosis in Korinth, Göttingen 31969,passim.

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bestritten 200 worden. Besonders einseitig erscheint mir dabei die Annahme, alles Jüdische im Gnostizismus müsse über das Christentum in diesen gekommen sein. Dagegen sprechen ja die jüdischen Infiltrate im Corpus Hermeticum, auch wenn man dieses Corpus nicht zum Gnostizismus selbst zählen will. In ihm wird aber doch eine dem Gnostizismus sehr nahe stehende pagane Religionsphilosophie geboten. Auch die wohl mit Recht durch Κ Beyschlag201 vorgenommene Trennung des Simonianismus vom Neuen Testament besagt nur, daß der den Kirchenvätern aus der Apostelgeschichte bekannte Simon Magus202 von der ältesten Kirche zum Begründer des Gnostizismus gemacht wurde, so wie etwa Markus zum Begründer der ägyptischen Kirche. Aber ebensowenig, wie man den Beginn des Christentums in Ägypten für das 1. Jahrhundert nach Christus in Abrede stellen wird, braucht man gnostische Strömungen für das 1. Jahrhundert abzuleugnen. Der parasitäre Charakter des Gnostizismus legt es durchaus nahe, daß es Kreise gab, die bereits in dieser Zeit die Gemeinde zu erobern versuchten, was aber nicht gelungen ist. Da es noch keine Gruppen gegeben haben wird, die sich um bestimmte gnostische Lehrer scharten, sind die Auseinandersetzungen zwangsläufig allgemein gegen "die Gnosis" gerichtet203. Mit dem Anwachsen der Christenheit und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, Normen zu setzen, wenn sich eine Einheit der Christenheit erhalten lassen sollte, mußte es dann zu Auseinandersetzungen mit und zwischen Schulen kommen. Die Lehrer, die wie Irenaeus und Tertullian das Dogma der Kirche formten, nahmen darum den systematischen Kampf gegen alle die Richtungen auf, die sie als häretisch verstanden. Gewisse Gruppen haben sich da bereits fest institutionalisiert und sogar Kirchen gebildet, so Markion und, seinem Beispiel folgend, Mani.

200

M. HENGEL, Der Sohn Gottes, Tübingen 21977,53ff. K. BEYSCHLAG, Simon Magus und die christliche Gnosis, WUNT 16, Tübingen 1974. 202 Act. 8,9ff. 203 In der Tat wäre Gnippenbildung speziell in Korinth zu finden, doch braucht die Berufung auf Autoritäten noch nicht dafür zu sprechen. Meinungen sind noch nicht unbedingt Parteien. Zum Begriff Gnosis im Neuen Testament vgl R.McL. WILSON, Gnosis und Neues Testament, Stuttgart 1971,34ff. 201

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6. Die Schriften von Nag Hammadi als Zeugen für die geistigen Grundlagen der Gnosis Vor einer Auswertung der koptisch-gnostischen Schriften sind zunächst einmal die grundsätzlichen Typen des religiösen Denkens zusammenzufassen, die im Gnostizismus eine Rolle spielen. Ist der Gnostizismus monotheistisch oder polytheistisch zu beurteilen? Von der Macht des höchsten Gottes aus gesehen muß man ihn als monotheistisch betrachten. Berücksichtigt man aber die Fülle der im Mythos eingebauten Gestalten, kann man auch von einem organisierten Polytheismus sprechen. Schwierig ist die Frage zu beantworten, wieweit ein Ditheismus vorliegt, z.B. beim Manichäismus, der ja von Anfang an das Gegenüber von Gott und Finsternisherrscher kennt, aber am Ende mit dessen Entmachtung und Einsperrung im βωλος ("Klumpen") doch den Sieg des Lichtherrschers und damit sein Übergewicht deutlich macht. Solange es im Christentum den Teufel gibt, ist das eine Parallele. Trotz allem Dualismus kommt hier die letztlich monotheistische Einstellung zum Durchbruch. Denn der Dualismus liegt ja in der menschlichen Fragestellung begründet, wie das Gute neben sich das Böse zulassen kann. Zugleich ist damit aber auch die Frage gestellt, wer von den Geschöpfen dieser Welt dem Licht oder der Finsternis zuzuordnen ist. Gibt es Wesenheiten, die unbedingt dem Licht zugehören und damit prädestinatianisch wieder dem Licht zugeführt werden müssen, auch wenn sie in die Umgebung der Finsternis geraten und deshalb angefochten sind? Oder handelt es sich dabei allein um eine ethische Selbstbefreiung dieser Wesen, bei der nicht alle wieder an ihr eigentliches Ziel kommen? Wahrscheinlich bietet der Charakter der Seele die Erklärung dieses Problems. Auch in der griechischen Vorstellung ist sie ambivalent. Von hier aus sollte man die Frage von Determinismus und Indeterminismus betrachten. Selbst im Manichäismus ist die Rede von unerlösten Seelen204. Die Frage, welche Seelen gerettet werden, wird in der Bibliothek von Nag Hammadi ausführlich im Johannesapokryphon behandelt205. Es ist somit nicht verwunderlich, wenn z.B. in der "Exegese der Seele"206 oder im "Authentikos Logos"207

204 Augustinus, Haer. 46; Euodius, Fid. 5. Vgl. F.C. BAUR, Das manichäische Religionssystem, Tübingen 1831 (= Göttingen 1928), 328. 205 BG 64,14ff = NH III 32¿4ff = NH Π 25,17ff. 206 NH Π,6.

207

NH v y .

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eindringliche Paränese zu finden ist. Gewiß gibt es auch Stellen, nach denen die Lichtelemente als φύσει σωζόμενοι gerettet werden208. Doch das mag auf rein theoretischen Materialismus zurückgehen oder aus einem Erwählungsbewußtsein des Gnostikers stammen. In echter Religiosität steht das Bewußtsein der Erlösung in einem Spannungsverhältnis zum Bewußtsein der menschlichen Unvollkommenheit; das ist ja bei Paulus so deutlich zu sehen209. In gleicher Weise liegt eine Spannung zwischen Dualismus und Monismus vor. Zwar ist im Gnostizismus ein Dualismus zwischen Licht und Finsternis vorhanden, aber die Lichtteile, die heimgeholt werden, sind ja Teile des Vaters. Dieser monistische Zug entspricht dem stoischen Denken, so daß man in der gnostischen Sicht eine Kombination von Immanenzdenken und dualistischem Denken vor sich hat. Der Gnostizismus, ganz gleich ob er mehr monistisch oder mehr dualistisch geartet ist, hat immer als Ziel den Sieg des Lichts, so daß das Böse am Ende überhaupt vernichtet oder zumindest unwirksam und inischädlich gemacht wird. In dieser Grundtendenz sind sich die koptischgnostischen und die koptisch-manichäischen Schriften gleich. Aber es ist unsere Aufgabe, in den verschiedenen Werken noch nach Nuancen zu suchen, die etwa auf einzelne Häresien hinweisen. Die vorliegenden gnostischen Schriften - und das unterscheidet sie gerade von den manichäischen - können allerdings nicht ohne weiteres als Schriften bestimmter Sekten angesehen werden. Auf keinen Fall geben sie sich selber als solche. Wieweit sie vom Geist gewisser Gruppen geprägt sind, ist eine von Fall zu Fall mehr oder weniger umstrittene Frage. Ihre Inhalte haben, wie in den einleitenden Kapiteln gezeigt, eine längere Entwicklung hinter sich. Man kann daher auch die Existenz von Sekten, wie sie die Kirchenväter bezeugen, nicht ohne weiteres ablehnen, wenn diese in der Sammlung von Nag Hammadi nicht genannt sind. Außerdem unterscheidet sich diese "Bibliothek" von den Berichten der Kirchenväter schon dadurch, daß in ihr auch nichtchristliche Schriften vorhanden sind. Da sind zunächst die im Codex VI erhaltenen hermetischen Stücke210. Sind diese nur mehr oder weniger zufällig unter die Schriften von Nag Ham-

208

NH Π 124,3211. 1 Kor 13,10; Phil 3,12 gegenüber dem Bewußtsein von Gnade und Erlöstheit; vgl. Gal 3. In Gal 4 spricht Paulus von der Gefahr des Rückfalls. 210 Es sind dies die Schriften: NH VI ,6, eine titellose Schrift, die allgemein mit "Ober die Achtheit und die Neunheit" betitelt wird; NH VI,7, das Gebet aus dem hermetischen Asclepius-, NH VIA ein weiteres Stück aus dem Asclepius. Auch NH VI,5, das ein von H.-M. SCHENKE identifiziertes Stück aus Piatons Staat (588 Β - 589 Β) enthält, wird man zu den Hermetica rechnen können, weil Piaton ja als Schüler des Hermes angesehen wurde. 209

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madi gekommen? Wohl kaum. Interessierte Gnostiker sahen, wie nahe ihnen zumindest gewisse Teile des hermetischen Schrifttums standen, und suchten sich geeignete Werke aus, um sie in ihre Bücher aufzunehmen. Als solche Zusammenstellungen stattfanden, hatte der Gnostizismus bereits parasitär die Hermetik beeinflußt, so daß man von einer hermetischen Gnosis sprechen kann, zu der auch die im Codex VI erhaltenen Hermetica gehörten. Der Unterschied zu gnostischen Schriften anderer Art scheint darin zu liegen, daß hier "Mysterienelemente als Baumaterial der hermetischen Gnosis" zu finden sind. Damit hat K.-W. Tröger diese Texte charakterisiert211 Das ist wesentlich einleuchtender, als wenn man wie F. Wisse212 diese Texte von den anderen in Nag Hammadi gefundenen gnostischen Texten inhaltlich trennt und sie nur durch Zufall mit ihnen zusammen gefunden glaubt. Wie einseitig die Einreihung dieser Texte unter das pagane Schrifttum ist, zeigt Wisses Beurteilung von NH VI,2: "Der Donner, der vollkommene Nus"213. Die Aufnahme in einen Band, der Texte christlicher und hermetischer Gnosis umfaßte, setzt voraus, daß sämtliche Schriften für einen Gnostiker gleich interessant waren. Daß der Typ einer solchen Schrift auch in der titellosen Schrift NH 11,5 aufgenommen wurde214, dürfte ein Beweis dafür sein, daß auch die Schrift VI,2 ein von Gnostikern verfaßtes oder zumindest aufgenommenes Werk war. Bereits die Überschrift entspricht ganz gnostischem Denken. Die göttliche Stimme, welche die Offenbarung Gottes darstellt, ist der Donner. Zugleich ist die Offenbarungsgröße der Nus, der aus der Gottheit hervortritt. Diese Identifikation stellt sich in einer Gottheit dar, die sich im Stil des έγώ είμι charakterisiert. Der hellenistische Leser konnte sich dabei an Aretalogien z.B. der Isis erinnert fühlen215. In der Schrift NH Π,5 wird diese Ausdrucksform von der Eva als Belehrerin gebraucht 216 . Auch "die dreifache Protennoia" (NH ΧΠΙ,2) gibt sich als Offenbarerin, die an die Stelle des höchsten Gottes tritt. Beide weiblichen Grö-

211

K.-W. TRÖGER, Die hermetische Gnosis, in: Neues Testament und Gnosis, Berlin 1973,97 -119, hier besonders lllff. Zusätzlich ist noch auf ägyptische Elemente aufmerksam zu machen; vgl. M. KRAUSE, Ägyptisches Gedankengut in der Apokalypse des Asclepius, ZDMG 119, Suppl. I, Wiesbaden 1969,49ff. 212 F. WISSE, Die Ethik in den Schriften von Nag Hammadi und der Hellenismus (s.o. Anm. 85). 2 " F. WISSE, Ethik. 214 Vgl. A. BÖHLIG - P. LABIB, Die koptisch-gnostische Schrift ohne Titel aus Codex Π von Nag Hammadi, 74f. 215 Vgl. M.P. NILSSON, Geschichte der griechischen Religion Π, HAW V 2/2, München 21961, 600 - 603; D. MÜLLER, Ägypten und die griechische Isisaretalogie, ASAW S3, Leipzig 1961. 216 NH Π114,7ff.

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ßen entsprechen auch der im Gnostízismus so bekannten Barbelo. Das Entscheidende für die Beurteilung dürfte sein, daß die gnostischen Texte nicht Gesamtsysteme wiedergeben, sondern jeweils einen bestimmten Gedanken ausführen wollen. Gnostische Gedankenführung ist aber jeweils aufs engste mit den mythologischen Vorstellungen verbunden. Im genannten VI,2 nimmt man sich der weiblichen Gottheit an, die bei Gott thront, aber zugleich als Offenbarungsgöttin auftritt. Sie wird in ihrer Überweltlichkeit durch die complexio oppositorum geschildert. Der Text kann also durchaus als gnostisch bezeichnet werden. J.P. Mahé217 glaubt, in gewissen Stellen hier wie in 11,5 Ausdrucksformen gefunden zu haben, wie sie in armenischen Rätselsprüchen vorliegen. Wenn solche Modelle aus Syrien stammen, so sagt das aber m.E. noch nichts über die syrische Herkunft der Schriften, weil ja der Weg für solche Modelle von Syrien nach Ägypten nahe ist. Ebensowenig wie mit rein paganen sollte man im gleichen Codex mit rein christlichen Schriften rechnen, wie dies F. Wisse für den "Authentikos Logos" (NH VI,3) will218. Im Gegensatz zu ihm sieht W.-P. Funk in diesem Text möglicherweise eine Frühform der Gnosis, die noch nicht antijüdisch ist219. Ob in solchen gnostischen Schriften aber wirklich immer ausführlich auf den Schöpfergott eingegangen werden muß, der hier nicht vorzukommen scheint, ist doch zu bezweifeln. Denn gerade im "Authentikos Logos" geht es, wie in der "Exegese über die Seele", um Gott und die Seele, d.h. das Schicksal des Menschen ist unter dem Blickpunkt der in ihm wirkenden Seele dargestellt. Darum ist von ihrer Aktivität als ethisch wirkende Kraft die Rede; dadurch wird auch der starke paränetische Charakter der Schrift verständlich. Die Aussagen "nichts ist ohne seinen (d.i. des Vaters) Willen entstanden"220 und "er setzte diesen großen Kampf in der Welt ein"221 machen deutlich, daß Gott der eigentliche Schöpfer ist222. Das ist er, abgesehen von der Lichtwelt, auch für die übrige Welt. Der ständige Kampf zwischen Licht und Finsternis zeigt für die Schriften der mythischen Gnosis, wie notwendig der Vatergott oder die Muttergöttin sind, um überhaupt das ungeordnete Chaos zum "Leben" zu bringen 223 . Außerdem gehört aber die Seele ja zu den Schöpfungen

217

J P. MAHÉ, Six énigmes sur le mythe de l'homme primordial, REAnn 15,1981,45 - 57. F. WISSE, Ethik. 219 W.-P. FUNK, Authentikos Logos, ThLZ 98,1973,251 - 259. 220 NH VI 26,6f. 221 NH VI 26,10ff. 222 Das spricht m.E. gegen Funk, a.a.O., 254. 223 Vgl. NH 11,5 und ΧΠΙ,7. 218

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der Lichtwelt. Die Entsendung der Seele in den Kampf hat ihre Parallele in deren Schicksal im Manichäismus. Gerade die koptischen Manichaica zeigen, wie die Lebendige Seele, die im Manichäismus mit dem Ersten Menschen gekoppelt ist, im ökonomischen System des höchsten Gottes ihren Platz hat. Der Kampf wird im Authentikos Logos gegen Widersacher (άι/τικείμενοι) geführt. Es ist wohl nicht nötig, daß dazu die Archonten und ihre Mythologie in aller Breite behandelt werden. Genügt hier nicht die Konzentration auf das Schicksal der Seele? Ahnlich wie beim Authentikos Logos liegen die Verhältnisse auch bei der "Exegese über die Seele"224. Auch sie möchte F. Wisse als eine rein christliche Schrift betrachten225, während H. Bethge in ihr eine christlich-gnostische Schrift sieht226. Daß dieser Text paränetische Partien enthält, ist sicher dafür kein Hindernis; man muß sich nur die Tatsache klarmachen, daß ja nicht alle Seelen gerettet werden und somit eine ethische Leistung erbracht werden muß. Nicht bei allen Gnostikern sind die Seelen φύσει σωζόμει/αι bzw. sie sind es nur potentiell. Schwieriger ist es bei dieser Schrift, den Gebrauch des Alten Testaments zu erklären; aber auch hier ist zu sagen, daß man wohl nicht für alle Gnostiker eine radikale Abwendung von ihm anzunehmen hat. Man vergleiche nur das Philippusevangelium, wo dies doch auch nicht der Fall zu sein scheint227. Außerdem treten in der Bibliothek von Nag Hammadi die Propheten des Alten Testaments als Verkünder des Messias im Auftrag des valentinischen Demiurgen auf, wie der Tractatus tripartitos zeigt228. Bei aller Exegese der heiligen Schriften steht neben ihr in der "Exegese über die Seele" noch die Exegese des ποιητής, d.h. des klassischen Dichters Homer, während sich der Tractatus tripartitus von den Griechen, insbesondere den Philosophen, distanziert, was wir überdies auch aus dem Eugnostosbrief bzw. der "Sophia Jesu Christi" kennen. Die Problematik der Schrift behandelt wiederum das Schicksal der Seele. Der mythische Kern des geschilderten Geschehens findet sich auch bei Plotin229, so daß man auch hier von einer christlich-gnostischen Schrift sprechen kann, die sich der Darstellungsform des griechischen Kunst-

224

NH Π,ό. F. WISSE, Ethik. HEDDA BETHGE, Die Exegese über die Seele, ThLZ 101,1976,93 -104. 227 Vgl. die Liste bei J.-É. MÉNARD, L'Évangile selon Philippe, Strasbourg 1967,30ff. 228 NH 1108,13 -114,30. 229 Enn. VI 9,9. 225

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mythos bedient 230 . Dabei braucht man die Interpretation der Bibelstellen nicht, wie W.C. Robinson Jr., als späteren Einschub zu betrachten231. In den Rahmen der griechischen philosophischen Terminologie führen auch "die Lehren des Silvanus"232. Zugleich handelt es sich hier um Weisheitslehren, wie sie z.B. in Ägypten auch das Christentum sehr liebte. Man denke nur daran, wie zahlreich die koptischen Handschriften der Sprüche Salomos und die Zitate aus ihnen sind! Fraglich ist jedoch, ob es sich bei diesen "Lehren des Silvanus" um eine genuine Gnosis oder um einen christlich aufgeputzten Weisheitstext handelt. Weil Gott als Schöpfer betrachtet wird, scheint hier die für den Gnostizismus so typische Teilung Gottes in den unsichtbaren guten Gott und den gerechten Menschen- und Weltschöpfer zu fehlen. Aber andererseits sind doch genügend gnostische Anspielungen vorhanden: so in der Anthropologie, wo der Mensch aus drei Wurzeln besteht: der Körper aus der Erde, die Seele aus dem "Bilden", das sie zum Ziel hat, der Geist (νους), der sein Wesen aus dem Göttlichen bezieht. Die Seele schwankt zwischen Gott und Fleisch hin und her. Der aus dem griechischen Denken bekannte ambivalente Charakter der Seele ist auch sonst vom Gnostizismus aufgenommen worden. Wenn Gott als Schöpfer genannt wird und Christus dabei "seine Hand" ist, entspricht das gewiß christlicher Theologie, doch widerspricht es nicht christlicher Gnosis. Wenn es möglich war, daß "die Lehren des Silvanus" in christlichen Kreisen kursierten, was ein unter dem Namen des Antonius erhaltenes Bruchstück zeigt233, so kann dieser sicher kompilierte Text seine gnostischen Nuancen durch Interpretation, die in eine ursprünglich christliche Vorlage eingegangen ist, erlangt haben. Die Stellung des höchsten Gottes als Weltschöpfers ließ sich von solchen Gnostikern sicher ertragen, die den Demiurgen trotz seiner Mangelhaftigkeit als Mittel zum Zweck betrachteten, wie etwa die Valentinianer. Auch in der Schrift "Melchisedek" (NH IXJ) wird der höchste Gott als Schöpfer angesehen:

230

Andere sehen darin eine Allegorie (F. WISSE, P. NAGEL), doch scheint mir das geschilderte Geschehen der Kern zu sein, der das Schicksal dieser mythischen und doch so nahen Größe "Seele" darstellt. Ich meine, daß hier der Weg von der mythischen Darstellung zur Allegorie ermöglichenden Ausmalung und allegorischen Ausdeutung führt und nicht umgekehrt. Die Einheit von biblischer und profaner Bildung (LXX, NT, Homer) und mythischer Schau soll in dieser Exegese dargestellt werden. 231 W.C. ROBINSON Jr., The Exegesis on the Soul, NT 12,1970,102 -107. 232 NH VII,4. W.-P. FUNK, Ein doppelt überliefertes Stück spätägyptischer Weisheit, ZÄS 103, 1976,8 - 21. 233 Vgl. W.-P. FUNK, a.a.O.

178

Alexander Böhlig "Der Same ist aus dem Vater des Alls herausgeflossen ,.."234; "er hat die Götter und die Engel und die Menschen geschaffen235;... alles, was im Himmel und auf Erden und unter der Erde ist"236.

Berücksichtigt man also, daß in den "Lehren des Silvanus" ein christlicher, durch Interpolation und verfremdende Deutung zur christlich-gnostischen Schrift gewordener Text vorliegt, so haben wir in den "Sextussprüchen"237 noch ein aus der altchristlichen Literatur bekanntes Werk vor uns, dessen Inhalt neutral genug war, um auch von Gnostikern verwendet werden zu können. F. Wisse möchte noch zwei weitere Texte zum genuin christlichen Bestand der Bibliothek von Nag Hammadi rechnen. Es ist dies zunächst die "Interpretation der Gnosis"238. Der Erhaltungszustand dieses Textes ist so schlecht, daß es mir zu gewagt erscheint, in dieser Hinsicht so weittragende Behauptungen aufzustellen. Daß sehr starke christliche Elemente vorhanden sind, ist eindeutig. Aber sie können ebenso gut auch auf christliche Gnosis hinweisen. Κ Koschorke hat mit seiner Deutung als gnostische Gemeindeordnung eine sehr ansprechende Meinung geäußert. Er weist auf das Gemeinschaftsbewußtsein der Gnostiker hin. Auf paulinischer Grundlage wird hier gnostisches Gemeindeleben skizziert, wobei eine höhere Form durch die Gnostiker geboten wird, die sich aber selber noch als Mitglieder der christlichen Gemeinde fühlen239. Schwieriger ist das Problem beim Rheginusbrief "Über die Auferstehung"240. Diese Schrift wurde von den Herausgebern wie andere Texte des gleichen Codex als valentinianisch angesehen241. Das ist durchaus möglich, bedenkt man, daß die Valentinianer ja an die Auferstehung glauben, ihre Begründung jedoch in der Gnosis erblicken und außerdem einen geistlichen Auferstehungsleib annehmen. So können sie in der Diskussion mit der Kirche eine Konfrontation vermeiden, was zunächst aus dem Grunde geschehen mag, die Christen nicht gleich zu verstören. Daher kann Tertullian berichten:242

234

NHIX 9,2f. NHIX 9,5ff. 236 NH IX 9,8ff. 237 Vgl. F. WISSE, Die Sextus-Sprüche und das Problem der gnostischen Ethik, in: A. BÖHLIG - F. WISSE, Zum Hellenismus in den Schriften von Nag Hammadi, GOF VI/2, Wiesbaden 1975,55 - 86. 238 NH ΧΙ,Λ Vgl. F. WISSE, Ethik. 239 K. KOSCHORKE, Eine neugefundene gnostische Gemeindeordnung, ZThK 76,1979, 30 60. 235

240 241

NH 1,4.

De resurrectione ed. M. MALININE, H.-Ch. PUECH, G. QUISPEL, W. TILL, R.McL. WILSON, J. ZANDEE, p. Xff. Tert., Res. 19,6.

242

Medinet Modi und Nag Hammadi

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Vae, inquiunt, qui non in hac came resurrexerit, ne statim illos percutiant, si resurrectionem statim abnuerint.

Und in einer pseudo-tertullianischen Schrift heißt es:243 Resurrecüonem huius camis negai (Le. Valentinus), sed aUerius.

Orígenes, der später deshalb angegriffen wird, vertritt ja ebenfalls diese Auffassung von einem neuen Leib bei der Auferstehung244, während Tertullian245 und Irenaeus246 die Auferstehung des Fleisches betonen, eine Lehre, die bei dem Syrer Afrahat eine besonders starre Form annimmt247. Der Unterschied zwischen orthodoxer und häretischer Lehre über die Auferstehung ist aber speziell der, daß bei den Gnostikern die Gnosis Voraussetzung für die Auferstehung ist und deshalb auch nicht immer an das Ende der Welt gebunden ist. Bei manchen erfolgt sie, wenn sie Gnosis empfangen haben, so daß eine Auferstehung des Leibes gar nicht erst nötig wird. In der Auffassung des Rheginusbriefes kann man eine Kombination der paulinischen sowie der gräzisierenden altchristlichen Theologie einerseits und der orthodoxen altchristlichen Theologie andererseits sehen: ein erneuerter und verfeinerter Leib auf der einen Seite, ein restituierter Fleischesleib auf der anderen Seite. Wenn Texte der Sammlung, die mit echt gnostischen Werken in einem Band aufbewahrt wurden, den Eindruck des Nicht-Gnostischen vermitteln konnten, ist es auch nicht verwunderlich, daß eine beträchtliche Anzahl von Texten nicht ausgesprochen gnostisch, aber auch nicht orthodox-christlich wirkt. F. Wisse möchte diese Schriften als "heterodox" bezeichnen248. Eine solche Benennimg soll ihren Randcharakter zum Ausdruck bringen. Wahrscheinlich läßt sich auch ihre Eigenart vom parasitären Charakter des Gnostizismus aus erklären. Diese Schriften konnten ebenfalls sehr nahe an das echt christliche Schrifttum angesiedelt werden, so daß Wissenschaftler z.B. das Thomasevangelium einerseits als apokryph, andererseits als nicht gnostisch bezeich-

243

Ps.-Tert., Haer. 4,5. Orig., Princ. II 10,1; vgl. F. ALTERMATH, Du corps psychique au corps spirituel, BGBE 18, Tübingen 1977. ^Tert-.Res. 246 Iren., Haer. IV 5. 247 Dem. Vni De Res. (ed. PARISOT, PS I, 361 - 406); deutsche Übersetzung jetzt bei P. BRUNS, Aphrahat, Unterweisungen I, FChr 5/1, Freiburg u.a. 1991,235 - 254. 248 F. WISSE, Ethik. 244

180

Alexander Bôhtig

nen konnten 249 . Bei dieser Gruppe von Werken war es möglich, sie mit einer gnostischen Brille zu lesen. Bedenkt man, wie die Apokryphen durch die Gnostiker benutzt wurden, so spricht viel dafür, daß auch die uns hier vorliegenden Schriften im Rahmen der Bibliothek von Nag Hammadi so verwendet wurden. Nach Wisse gehören zu dieser Gruppe: das Gebet des Paulus (NH 1,2), der apokryphe Jakobusbrief (NH 1,2), das Thomasevangelium (NH Π,2), das Thomasbuch (NH 11,7), der Dialog des Heilands (NH ΠΙ.5), die Paulusapokalypse (NH V,2), die Akten des Petrus und der zwölf Apostel (NH VIJ). Sieht man von den genannten Schriften ab, deren Beziehung oder Zugehörigkeit zum Gnostizismus mit gewissen Problemen belastet ist, bleibt die Hauptmasse der Texte, die zweifelsfrei gnostisch sind, übrig; sie lassen sich in drei Gruppen gliedern: 1. nicht-christliche gnostische Schriften, 2. christianisierte gnostische Schriften, 3. Zeugnisse christlich-gnostischer Theologie. Bei der Scheidung der Gruppen darf man das Vorkommen von jüdischen Elementen nicht als Zeichen für christliche Gnosis ansehen; muß man doch damit rechnen, daß nichtchristliche gnostische Kreise sich jüdisches Gedankengut auch unabhängig von der Bekanntschaft mit dem Christentum zu eigen machen konnten. Als nichtchristliche Schriften können folgende Texte betrachtet werden: der Eugnostosbrief (NH ΠΙ,3 und V,2), die Paraphrase des Seem (NH Vü,i), die drei Stelen des Seth (NH Vü,5), Zostrianos (NH V W ) , das Denken der Norea (NH IX^), Marsanes (NH X), Allogenes (NH XI,3), Hypsiphrone (NH XI,4), die Apokalypse des Adam (NH V,5).

249

H.-Ch. PUECH, in: E. Hennecke - W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen I, Tübingen 1939,199ff., tritt für eine Mittelstellung ein; nach ihm kann das Thomasevangelium durchaus von orthodoxen Christen wie von Gnostikern benutzt worden sein. Ausgesprochen gnostisch interpretiert es E. HAENCHEN, Neutestamentliche und gnostische Evangelien, in: Christentum und Gnosis, hrsg. v. W. Eltester, ZNW, Beiheft 37, Berlin 1969,19 - 45, besonders

34ff.

Medinet Madi und Nag Hammadi

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Die Zugehörigkeit der letztgenannten Schrift zu dieser Gruppe ist umstritten250. Sie dürfte eine sethianische Schrift sein. Nimmt man an, daß der im 3. Teil erscheinende Erleuchter (Φωστήρ) Seth ist, so kann man vermuten, daß hier Seth im Menschen Jesus inkarniert ist wie im Ägypterevangelium. Sehr verwunderlich ist allerdings, daß der Name des Seth genannt wird, aber nicht der Jesu. Haben wir hier vielleicht ein Stadium vor uns, in dem diese Inkarnation im Sethianismus noch nicht vorhanden war? Allerdings kommt die Bezeichnung Jesu als "der Mensch" auch im "Gedanken der großen Kraft" vor251. Bei der erstgenannten Schrift, dem Eugnostosbrief, hat man ebenfalls christliche Gedanken nachweisen wollen. Aber "Menschensohn", "Heiland", "Kirche" und die Wendimg "seit dem Anfang der Welt" sind nach M. Krause252 nicht nur im Neuen Testament zu finden und können deshalb nicht als Erweis christlicher Herkunft dienen. Die mythologischen nicht-christlichen Schriften haben ihre besondere Eigenart. Sie bemühen sich, dem Gnostiker "Erkenntnis" von dem zu übermitteln, was ihm durch die natürliche Erkenntnis verschlossen ist. Weil der Gnostizismus ja Welterkenntnis bieten wollte - Augustin sagt polemisch, wir wollten ja Religion, aber nicht Mathematik253 -, mußte er dem Gläubigen auch die ganze Vorgeschichte und die himmlische Welt erschließen. Dafür boten sich ihm Vorbilder in der jüdischen, insbesondere apokalyptischen Literatur. Da wird von der Entrückung der Norea berichtet oder von dem Aufstieg des Zostrianos bis in die höchsten himmlischen Höhen. In den 'Stelen des Seth' nimmt ein solcher Aufstieg des Gläubigen sogar liturgischen Charakter an. Im

250

Insbesondere geht es darum, ob die Schrift wirklich zu den Dichtchristlichen Texten gehört. Ich selber war zunächst dieser Meinung und nahm an, daß hinter dem "Menschen" Jesus nicht zu sehen sei. Doch gibt es jetzt eine Parallele in NH VI,4. Man ist also vor die Frage gestellt, ob es sich beim Φωστήρ um Jesus oder eine mythologische GröBe handelt. Weil nachher der Exkurs folgt, in dem von Erleuchtern verschiedener Art die Rede ist, führt dies auf den Gedanken, daß hier nicht nur jüdisches, sondern auch iranisches Gedankengut verarbeitet wurde. Vgl. dazu A. BÖHLIG, Jüdisches und Iranisches in der Adamapokalypse des Codex V von Nag Hammadi, in: DERS., Mysterion und Wahrheit, 149 -161. Besonders auf jüdischen Einfluß verweist W. BELTZ in seiner Berliner Habilitationsschrift von 1970 (masch.): "Die Adam - Apokalypse aus Codex V von Nag Hammadi. Jüdische Bausteine in gnostischen Systemen". Sieht man im Φωστήρ Seth, so ist in seiner Erscheinung als "Mensch" möglicherweise Jesus zu erkennen, der bei den Sethianern ja der inkarnierte Seth ist. Beachtet man, daß im Hellenismus Seth und Zarathustra identifiziert werden, so kann man von hier aus die Beziehung zu gewissen iranischen Vorstellungen herstellen. 251 NH VI 40,24fF. Vgl. auch den Ruf der unreinen Seelen. Die Gnostiker stammen aus "dem unwandelbaren Äon". 252 Die Gnosis Π, Zürich 1971,35. 253 Augustin., Fei. 110.

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'Allogenes' berichtet dieser dem Messos von den Offenbarungen, die ihm die weibliche himmlische Größe Juel über den höchsten Gott und sein weibliches Komplement Barbelo gegeben hat. Mit dem "Allogenes" kann Seth gemeint sein, da ja Epiphanius berichtet, daß die Archontiker diese Identität annehmen254. Im 'Marsanes' bedient sich der Verfasser der griechischen Laute und Buchstaben, um die Welt zu erklären. Auf einen solchen Hintergrund schulischer Bildimg hatte bereits Aristoteles hingewiesen255. Ein gewaltiges Bild der Kosmologie entwirft die 'Paraphrase des Seem', in der Derdekeas (d.i. eine gräzisierende Form des aramäischen derdeqya "Knabe") dem Seem Offenbarungen über die Urzeit des Alls und seinen Weg zur Erlösung vermittelt. Diese Texte zeigen, daß es zunächst nicht einen gnostischen Erlöser gibt, der leidet, sondern daß der gnostische Erlöser die Aufgabe hat, den Menschen aufeuklären. Dieses γνώθι σαυτόν beweist, daß hier die griechische Meinung, richtige Erkenntnis befähige auch zum richtigen Handeln, einen tiefen Einfluß ausgeübt hat. Bezeichnenderweise wird auch im Manichäismus Jesus zur Erweckung des Menschen gesandt256. Es kommt in erster Linie darauf an, Bescheid darüber zu wissen, wie es um einen steht. Immerhin gibt es einen Erlösungsmechanismus, über dessen Wesen der Mensch aufgeklärt werden muß. Sowohl 'Derdekeas' in der 'Paraphrase des Seem' als auch der Dritte Gesandte im Manichäismus sind als Erlöser tätig. Hierbei geht es um die Entleerung der Hyle bzw. der Physis von lichten Elementen, und dabei ist die besondere Erscheinung des Erlösers von Bedeutung, in der 'Paraphrase des Seem' seine Verwandlung257. Diese letztere Schrift zeigt Kenntnisse jüdischer und christlicher Heilslehre, deutet sie aber in antichristlicher Form um, gestaltet die Erlösungslehre mythologisch und baut sie in eine pseudo-naturwissenschaftliche Kosmologie und Anthropologie ein. Daher ist sie als nichtchristliches Werk anzusehen. Auch der "Zostrianos"258 ist als nichtchristlich zu betrachten, obwohl jü-

254

Epiph., Haer. 11,7,1. Arist., Pol. Vm, 1338 a 15-17,36-40. 256 Vgl. den Mythos bei F. CUMONT, Recherches sur le Manichéisme I. La cosmogonie manichéenne d'après Theodore bar Khôni, Bruxelles 1908, 46ff; vgl. auch: Die Gnosis ΙΠ, Zürich 1980,107. 257 Vgl. z.B. NH Vn 16,34ff; 32ß0ff. 258 Vgl. Porphyrius, Vita Plotini 16 (PhB 215c, 34 HARDER). Der 'Zostrianos' ist unter einer Reihe von Apokalypsen aufgeführt (Zoroaster, Zostrianos, Nikotheos, Allogenes, Messos), gegen die Plotin in seinen Vorlesungen polemisiert hat. In diesem Zusammenhang wird auch auf eine Schrift des Amelios speziell gegen den Zostrianos hingewiesen. Da die übrigen Namen auch in gnostischer Tradition erscheinen, kann man die vorliegende Schrift wahrscheinlich als die von Porphyrius erwähnte ansehen. 255

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dische und christliche Elemente in ihm vorhanden zu sein scheinen. Das hat L. Abramowski259 veranlaßt, wegen des Vorkommens von παροίκησις, άι/τίτυπος und μετάνοια in ihm die philosophische Überarbeitung einer christlichen Schrift zu sehen. Der philosophische Schwerpunkt wird von LH. Sieber betont 260 gegenüber B. Layton, der im Verfasser einen Christen vermutet, der pseudo-zoroastrisch schreiben möchte261. J. Turner glaubt, die jüdischen Elemente als Residuum der Frühzeit der Sethianer zuweisen zu sollen, die er aus einer jüdischen Taufsekte entstanden sein läßt262. Ähnlich wie bei der "Paraphrase des Seem" hat der Verfasser zwar jüdische oder auch christliche Elemente gekannt und hat sie in einer nichtchristlichen Schrift verwendet. Dabei hat er eine Figur aus dem Zoroasterkreis gebraucht, um in ihr den durch Entrückung und himmlische Taufe mit Offenbarung beschenkten Lehrer darzustellen. Aber nicht erst Mani, der von Elkesai wie von Markion her christlichgnostisch beeinflußt war, sondern bereits die Gnostiker des 2. Jahrhunderts haben Jesus in ihre Mythologie eingebaut. Jesus Christus als den Erlöser zu betrachten, ist wohl Zentrum und Charakteristikum des christlichen Glaubens 263 . Infolgedessen muß eine christliche Gnosis Jesus bzw. Christus oder Jesus Christus in ihr System aufnehmen. Dabei können Jesus und Christus so unterschieden werden, daß Jesus eine Rolle spielt, die aus seinem Leben ableitbar ist; das ist der Fall, wenn er als Inkarnation des Seth auftritt. Auch ein metaphysischer Platz kann ihm eingeräumt werden, wenn er seine Heimstatt im selben Erleuchter wie Seth besitzt. Er kann aber selbst die metaphysische Rolle übernehmen, die im allgemeinen dem Christus zugewiesen wird. Dort, wo Jesus Christus gesagt wird, haben wir eine umfassende Annahme seiner Person vor uns. Weil die christlichen und die christianisierten Schriften der Bibliothek von Nag Hammadi zu einem großen Teil Kompilationen aus Traditionsstükken sind264, kann nicht jeder Text, der christliche Elemente enthält, ohne wei-

259

Nag Hammadi 8, 1 "Zostrianos", das Anonymum Brudanum, Plotin Enn. 2, 9 (33), JbAC. Ergbd. 10, Münster 1983,1 - 10 (= DIES., Formula and Context, Studies in Early Christian Thought. CS 365, London 1992, Nr. ΧΠ). 260 NH Vm, NHS 31, Leiden 1991,19 - 25. 261 Gnostic Scriptures, New York 1987,121f. 262 Sethian Gnosticism: A Literary History, in: C. HEDRICK/R.HODGSON, Nag Hammadi, Gnosticism and Early Christianity, Peabody/Mass. 1986,59 - 85. 263 Vgl. auch S. ARAI, Die Christologje des Evangelium Veritatis, Leiden 1964,1. 264 S.o. S. 157.

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teres als ein in corpore christlicher Text betrachtet werden. Denn oft ist er nur christlich redigiert. Eines muß dabei aber immer festgehalten werden: Alle christlich - gnostischen Texte beruhen auf einer mythologischen Grundlage. Im folgenden soll nun zunächst ein Überblick über die Christlichkeit der christlichen bzw. christianisierten Texte gegeben werden; die Zuweisimg zu einer bestimmten Theologie bzw. einer bestimmten häretischen Gruppe kann erst danach erfolgen. Zuerst sind hier die Schriften zu nennen, in denen Jesus Christus selbst spricht und sich den Jüngern bzw. einem von ihnen offenbart. Ein Teil dieser Schriften wurde bereits unter den sog. heterodoxen Werken angeführt 265 . Fraglich ist die Einreihung z.B. beim Thomasevangelium, das vielleicht doch bei gnostischer Deutung einen besseren Sinn erhält266. Besonders deutlich tritt der Charakter des Gnostischen in Verbindimg mit dem Christusglauben in den beiden Jakobusapokalypsen sowie in der Petrusapokalypse hervor. In ihnen ist der Erlöser Offenbarer und Heilbringer. In der ersten Jakobusapokalypse267 wird der gnostische Charakter auch schon durch die Schilderung vom Aufstieg der Seele, der auch bei Irenaeus vorhanden ist, deutlich sowie durch die Betonung der Präexistenz, speziell der Herkunft aus der Einheit, nicht aus der Weiblichkeit, die ja eine Zweiheit ist. Die zweite Jakobusapokalypse268 bietet als gnostisches Element eine Darstellung des Kampfes mit dem niederen, eifersüchtigen Gott. Die Petrusapokalypse269 stellt einen ausgeprägten Dualismus heraus. Die Seelen sind, je nachdem sie vom Licht oder von der Materie stammen, unsterblich oder sterblich. Die Mächte des Kosmos bemühen sich darum, die unsterblichen Seelen von ihrem richtigen Selbstverständnis abzuziehen. Dabei setzt sich die Schrift mit der Kirche auseinander und sieht in ihrer Theologie Häresie, während die Gnostiker das wahre Christentum besitzen. Die Auffassung vom Leiden am Kreuz ist doketisch. Der Christus wird sogar als asomatisch angesehen270. Der "Brief des Petrus an Philippus", der ja die Einleitung zu einem Gespräch Jesu mit seinen Jüngern nach der Auferstehung bildet271, weist als speziell gnostische Bestandteile zunächst einmal die Frage ähnlich den Excerpta

s.o. s. 179f. S.o. S. 180. 267 265

266

268

NH

NH V,4. NH VÜ.3. 270 K. KOSCHORKE, Die Polemik der Gnostiker gegen das kirchliche Christentum, 11 - 90. 271 NH vm,2. 269

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185

ex Theodoto auf272: "Warum wohnen wir hier? Wie kamen wir an diesen Ort? Wie werden wir weggehen?" Charakteristisch ist die Anspielung auf den Ungehorsam der Mutter273. Das Philippusevangelium enthält schon durch die Erwähnung, aber auch durch die ganze Dialektik die Eigenarten einer gnostischen Schrift. Man denke nur daran, daß der Geist hier weiblich ist, so daß die Trias nicht nur VaterSohn-Geist, sondern auch Vater-Mutter-Sohn ist274. Das 'Evangelium der Wahrheit', das eine nicht-doketische Christologie 275 hat , ist ebenfalls auf mythologischer Grundlage aufgebaut, die man aus allen Teilen des Werkes zusammentragen muß. Wieder wird berichtet, wie Gott und die Lichtwelt von den Äonen nicht erkannt werden und aus ihrer Aufregung die πλάνη, "der Irrtum", entsteht, der zur Materie, Welt und Mensch führt276. Die Schrift αΐσθησις διαι/οίας, "die Erkenntnis durch den Verstand", mit dem Untertitel "der Gedanke unserer großen Kraft"277 läßt diese himmlische Größe ein gnostisches Bild der Welt- und Heilsgeschichte entwerfen, in dem "der Mensch" als Erlöser auftritt. Die Schilderung seines Wirkens und Leidens läßt uns in diesem Menschen Jesus erkennen278, der Welt und Menschen befreit. Besonders charakteristisch für gnostisches Denken ist die Beschäftigung mit dem Schicksal der Seelen. "Der zweite Logos des großen Seth"279 stellt dar, wie Jesus Christus im Himmel die Einrichtung der Kirche als Heilsinstitution vorschlägt und zu ihrer Schaffung in die Welt geht. Die Christologie bietet in der Leidensgeschichte doketische Züge280, wie sie bei Basilides zu finden sind. Die Schilderung der Archontenwelt281 macht ebenfalls das gnostische Wesen des Werkes deutlich. Im Buche "Melchisedek" wird Jesus Christus (IX 18,5) als Archistratege des Alls angeredet. Auch sein Leiden (IX 25,2ff) und seine Auferstehung von den Toten (IX 3,7ff) werden berichtet. Mehrfach wird er ausdrücklich als Sohn Gottes bezeichnet. Antidoketische Haltung zeigt IX 5,1-11. Irrlehrer leugnen

272 273

NH v m 134,23ff. Exc. Thdot. 78,2 wird hier sehr verkürzt wiedergegeben. NH VED 135,10ff.

274 NH IU: vgl. 55,23ff; 275 NH 118,21ff. 276

59,llff.

NH 117,9ff.

277

N H WL,4:36,1 T E C O H C I C N J J ¿ . N O I ¿ . ; 36,2 ΠΝΟΗΜΛ. ΝΤΝΛ.6 Ν6Λ.Μ .

278

VgL auch die Adamapokalypse (s.o. Anm. 250).

279 280 281

NH Vn,2. NH Vn 55,9ff. NH ΥΠ 51,210.

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seine körperliche Geburt, sein Essen und Trinken, seine Beschnittenheit, seine Fleischlichkeit, seine Leidensfähigkeit sowie seine Auferstehung vom Tode 282 . Wahrscheinlich liegt in "Melchisedek" ein Text vor, der, ausgehend von jüdischen Traditionen, den Melchisedek zu einer Person machte, die höher als Christus stand, so daß er das Zentrum seiner eigenen gnostischen Richtung werden konnte 283 . Vom Hebräerbrief her wurde der Text christianisiert und so Melchisedek zu einem Doppel von Christus284. Der umfangreiche Tractatus tripartitus285 führt die gnostische Mythologie sehr breit aus. Jesus Christus wird zwar als Erlöser nur wenig genannt. Doch muß man schon aus dem Aufbau der Metaphysik den Eindruck gewinnen, daß es sich um ein als christlich-gnostische Schrift entworfenes Werk handelt. An der Spitze stehen Gott und Gottes Sohn 286 , nicht Gott und sein weibliches Komplement. Als dritter Bestandteil der Trinität erscheint die Kirche 287 . Es findet sich aber auch die Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist 288 . Die Schöpfung geschieht durch den Logos, aber nach Gottes Willen, obwohl er die Organisation der Welt außerhalb des Pieromas schafft. Im 2. Teil des Traktats wird Schöpfung und Fall des Menschen geschildert, im 3. Teil wird die Verschiedenheit der unter den Menschen verbreiteten Theologien dargestellt und anschließend die gnostische Form christlicher Heilsgeschichte gegeben. Im Codex XI begegnet ein Text, der sehr zerstört, aber von is. Pageis verhältnismäßig gut rekonstruiert worden ist 289 . Er bietet Mythologie und Christologie. Im Codex IX ist eine Schrift vorhanden, die allgemein "Testament der Wahrheit" genannt wird 290 . Auch in ihr kommen Mythologie und Christologie vor. Damit wurde eine Anzahl von Werken aufgeführt, die wir glauben mit Sicherheit als christlich-gnostische bezeichnen zu können. Sie alle kannten in ihrem System Jesus bzw. Christus als Erlöser. Zugleich boten sie aber auch Hinweise auf den Mythos oder sogar Darstellungen von ihm, so daß zur Bestätigung dessen einige herausgegriffene Beispiele vorerst genügen können.

282

Vgl. K. KOSCHORKE, Die Polemik der Gnostiker gegen das kirchliche Christentum, 164f. Vgl. Epiph., Haer. 55,1,1; Hippol., Haer. VII 36,1. Vgl. BA. PEARSON in der Einleitung zu seiner Ausgabe, NHS 15, Leiden 1981,19 - 40. 285 NH 1,5. 286 Gott NH 151,1 - 56,22; Sohn NH 156,23ff. 287 NH 157,33 - 35; 58,22£f. 288 NH 1127,32; 128,8 (bei der Taufe). 289 NH XI,2. Der Text steht dem Bericht des Irenaeus über die Valentinianer sehr nahe. 290 NH D y . Die Schrift scheint auf Kreise um Hierakas zurückzugehen; so m.E. mit Recht F. WISSE, Ethik. 283 284

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Neben den einwandfrei echt christlich-gnostischen Texten stehen solche, die entweder Umarbeitungen paganer Texte sind oder bei deren Kompilation aus paganen und christlichen Traditionsstücken durch eine solche Kombination oder auch durch Interpolation innerhalb der Traditionsstücke eine Christianisierung stattfand. Das konnte eigenartige Folgen haben, wenn z.B. neben Jesus, der dem Wesen der Schrift nach ursprünglich war, in anderen wahrscheinlich von dieser Tradition verschiedenen Abschnitten Christus eingefügt ist, ohne nötig zu sein. Bezeichnend geht hier das Ägypterevangelium vor. Es hat eigentlich den Titel "das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes"291. Einer der beiden Versionen, die wir von ihm besitzen, ist ein Kolophon angefügt, in dem es "das Evangelium der Ägypter" genannt wird292. Dieser Kolophon ist ausgesprochen christlich. Er stellt das Werk in die Reihe der Evangelien293, weil Jesus in dieser Schrift als die Inkarnation ihrer Hauptperson, des biblischen Seth, des Urvaters der Sethianer, erscheint. So ist ein Seth-Evangelium zugleich ein Evangelium von Jesus. Die Erwähnung des Christus als einer Größe, die bei der Entstehung der himmlischen Welt Anteil hatte, ist in dieser Schrift dagegen sekundär294. Die Stellen, an denen Christus vorkommt, lassen sich auch bei Streichung seines Namens sinnvoll übersetzen; er soll das dreifach-männliche Kind komplettieren. Echt ist aber die Plazierung Jesu auf dem Leuchter Orojael gemeinsam mit Seth295. Ein anderes Beispiel aus einer nicht-sethianischen Schrift erweist, daß ein ursprünglich auf jüdischem Material fußendes Traditionsstück verchristlicht wurde. In der Schrift ohne Titel aus dem Codex II begegnen neben griechischen, jüdischen und ägyptischen Elementen durchaus auch christliche. Doch kann die Schrift aus diesem Grund noch nicht als christlich bezeichnet werden oder höchstens soweit sie eine christliche Schlußredaktion erfahren hat. In dieser Schrift hat die Engelkirche, die den Sabaoth umgibt296, einen "Erstgeborenen, der Israel genannt wird, d.i. der Mensch, der Gott sieht297, und einen anderen, Jesus Christus, der dem Heiland gleicht, der sich oben in der Achtheit befindet, wobei er zur Rechten von ihm auf einem herrlichen

291

N H m 69,18-20; in IV nicht vorhanden. ΝΗΙΠ 69,6. 293 Vgl A. BÖHLIG, Das Ägypterevangelium als ein Dokument des mythologischen Gnostizismus, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 341 - 365. 294 A. BÖHLIG, a.a.O. 347 sowie 363 - 365. 295 NH m 65,16f. = IV 77,12ff. 296 NH Π 105,2Qff. 297 Vgl. Philo Alexandrinus, ed. COHN - WENDLAND, Index, s. 'Ισραήλ. 292

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Thron sitzt. Zur Linken von ihm aber sitzt die Jungfrau des heiligen Geistes". Sabaoth bildet hier also mit seinem Erstgeborenen zur Rechten und einer Lichtjungfrau zur Linken eine Dreiheit. In der vorliegenden Textform ist dabei der rechte Platz doppelt besetzt. Israel, nach Ex 4,22 erstgeborener Sohn des Gottes Jahwe Sabaoth, ist ergänzt oder eigentlich ersetzt durch Jesus Christus, das Abbild des Sohnes. Wenn die Figur zur Linken "die Jungfrau des heiligen Geistes" genannt wird, so kann diese Dreiheit als Übergang von der Trias Vater (Sabaoth) - Mutter (Jungfrau) - Sohn (Israel) zur christlichen Trias Vater (Sabaoth) - Sohn (Jesus Christus) - Geist (jungfräulich) angesehen werden. Andererseits gibt es z.B. im Ägypterevangelium Stellen, an denen man sehen kann, wie im Gegensatz zum Johannesapokryphon nicht christianisiert wurde. In Gott ist und aus ihm heraus tritt die Pronoia, "die Vorsehimg"298, ähnlich in anderen Schriften die Ennoia, das göttliche Denken überhaupt. Sie wirkt bei der Schöpfung der himmlischen Welt mit. Als darauf folgende und an der Erschaffung des zweiten Teils der himmlischen Welt ganz besonders beteiligte Größe erscheint "der von selbst entstandene Gott", der auch als Logos bezeichnet wird299. Er wird zwar "Sohn Gottes des großen Christus" genannt; doch wenn es parallel dazu heißt "der Sohn des unaussprechlichen Schweigens"300, dann erkeimt man, daß hier ebenso wie an den anderen Stellen Christus später interpoliert wurde301. Man möchte eher eine Trias Unsichtbarer Geist - Pronoia - Logos vermuten; daß für diese Trias das Schema Vater - Mutter - Sohn nicht ausdrücklich angeführt wird, liegt sicher daran, daß dieses Mythologumenon im Mythos des Ägypterevangeliums bereits anderweitig in Anspruch genommen war302. Das hindert aber nicht das Verständnis des Logos als des Sohnes Gottes. Im Johannesapokiyphon wird der Sohn Gottes, der ebenfalls als αυτογενής, "von selbst entstanden", bezeichnet wird, mit Christus identifiziert303. Hier wird ausführlich geschildert, wie der unsichtbare Geist sich aus der Pronoia als Partnerin einen Sohn erschafft, der ein μοι/ογει/ης, ein "Einziggeborener", aber auch ganz besonders αύτογει/ης, "von selbst entstanden", ist304. An diesen beiden Texten, Ägypterevangelium

298 299 300

NHIV 58,23 - 59,29 (in m verloren). NHIV 59,29 - 60,22 (in m verloren). NH IV 60,12.

301 NH IV 60,7ff. 302 NHffl41,23 - 43,8 = IV 51,15 - 533. 303 BG 32,9 = NH m ll,6f = NH Π 7,19f. 304

μοι/ογενής BG 30,4f. = NH ΠΙ 9,16 = NH Π 6,15 cypoYorr "einziger Sohn". Statt aikoyeνής wird auch αύτογένητος gebraucht: BG 30,6 οώτογέι/ητος = NH HI 9,17 αύτογει/ής = NH Π 6,17 χ π ο ογλΛ-Tq "von selbst entstanden".

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und Johannesapokryphon, kann man so sehen, wie ursprünglich pagan-mythisches Denken christlich übermalt wurde, je nachdem, wo die Schwerpunkte liegen sollten. Ein m.E. eindeutiges Beispiel für die Christianisierung einer ganzen Schrift hat M. Krause dargestellt305. Der Eugnostosbrief, ein pagan-gnostischer Text, liegt umgearbeitet in der "Sophia Jesu Christi" vor. Sowohl vom Eugnostosbrief306 wie von der "Sophia Jesu Christi"307 besitzen wir zwei Versionen, von denen jede auf eine eigene griechische Grundform zurückgeht. In der "Sophia" ist die systematische Fassung, die die Grundlage des Eugnostosbriefs bildete, in eine, wie wir schon sahen, in unserem Schrifttum sehr häufige Literaturform 308 umgestaltet, eine Methode, durch die der ursprüngliche Sinn durchaus nicht besser dargestellt wird, die aber den sekundären Charakter erkennen läßt. Bereits/. Doresse309 hatte auf die Entwicklung vom paganen zum christlichen Text, wenn auch noch mit unzureichenden Argumenten hingewiesen. Während H.-Cfu Puech für seine Annahme plädierte310, haben sich W.C. Tilß11 und H.-M. Schenke312 gegen seine Ansicht gewandt. Schenke hielt die Zusammenziehung des Inhalts der "Sophia" zu einer systematischen Abhandlung, wie sie der Eugnostosbrief bietet, für leichter möglich als die Aufspaltung des Inhalts in ein Gespräch. Krause hat an Hand einer synoptischen Vergleichung der Versionen herausgearbeitet, welches das Eigengut einerseits des Eugnostosbriefs, andererseits der "Sophia Jesu Christi" gegenüber einer Schrift ist, die beiden zugrunde gelegen haben dürfte. Da ist zunächst festzustellen, daß das Eigengut des Eugnostosbriefs wesentlich geringeren Umfang besitzt als das der "Sophia". Im Eugnostosbrief ist abgesehen von den durch die Briefform bedingten Formalia und einigen nicht wesentlichen Abweichungen zu-

305

M. KRAUSE, Das literarische Verhältnis des Eugnostosbriefs zur Sophia Jesu Christi, in: Mullus, FS TH. KLAUSER, JbAC. Ergbd. 1, Münster 1964,215 - 223. 306 NH ΠΙ 70,1 - 90,13 und V 1,1 -17,18. 307 .NH ΠΙ 90,14 -119,18 sowie BG 8502: 77,8 - 127,12. Ein Fragment des griechischen Textes, das den Abschnitt von BG 88,18 - 91,15 par. enthält, liegt in P. Oxy. 1081 vor (ed. A.S. HUNT, in: The Oxyrhynchus Papyri, p. Vm, London 1911,16ff; C. WESSELY, Les plus anciens monuments du christianisme écrits sur papyrus Π, PO 18/3, Paris 1924,493S). 308 Vgl. o. S. 144. 309 J. DORESSE, Trois üvres gnostiques inédits, VigChr 2,1948,143ff, speziell 150ff; DERS., The Secret Books of the Egyptian Gnostics, London 1960,195. 310 H.-CH. PUECH, Gnostische Evangelien und verwandte Elemente, in: HENNECKE/ SCHNEEMELCHER, Neutestamentliche Apokryphen I, Tübingen 1959,172f. 311 W.C. TILL - H.-M. SCHENKE, Die gnostischen Schriften des koptischen Papyrus Berolinensis 8502,54. 312 H.-M. SCHENKE, Nag - Hammadi - Studien Π: Das System der Sophia Jesu Christi, ZRGG 14,1962,263 - 278. Er hat sich aber inzwischen der Meinung KRAUSES (s.u.) angeschlossen.

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sätzlich besonders ein längeres Textstück enthalten, in dem eine Spekulation zur metaphysischen Begründung der 360 Tage des Jahres gegeben wird313. Was im Eugnostosbrief also über eine vorauszusetzende Urschrift hinausgeht, steht vollkommen im Einklang mit deren pagan-gnostischem Charakter. Besonders ausführlich hat sich D.M. Parrott mit der Quellenfrage beschäftigt und sieht bereits im Eugnostosbrief zwei Grundbestandteile314. Anders steht es dagegen mit der "Sophia Jesu Christi". Sehr umfänglich erzählt die Rahmenhandlung von der Erscheinung Jesu als Soter, von zwölf Bitten und Fragen der Jünger und der Maria sowie von der Freude der Jünger und der durch sie veranlaßten Aktivität zur Verkündigung des Evangeliums. Die Antworten auf die Fragen der Jünger passen meist nicht, woraus ihr sekundärer Charakter sichtbar wird. Schenke hielt deshalb die Lektüre der "Sophia" für verwirrend. Krause zeigt demgegenüber, daß die Schwierigkeiten durch Herauslösimg des Eigenguts beseitigt werden können. Der Grund für die Zusätze dürfte sein, daß hier eine kosmogonische Schrift, die von ihrer Aufgabenstellung her keine soteriologischen Fragen zu beantworten hat, als christlich-gnostische Schrift zweckentfremdet und dabei um vielerlei besser oder schlechter passende Zusätze vermehrt wurde. Zudem erhielt der Text noch eine paränetische Nuance. Der Soter spricht ja in Christus, mit dem er metaphysisch identifiziert wird, zu seinen Jüngern und vermittelt ihnen die Wahrheit. Zu dieser Wahrheit gehört auch die Fesselung von Licht in der Welt, ein Thema, das im Eugnostosbrief gar nicht angesprochen wird. Eine ausführliche Darstellung und Lösung der Frage liegt jetzt in der Übersetzung und Kommentierung des Codex Berolinensis gnosticus durch M. Tardieu vor, der den direkten Gegensatz beider Schriften herausgearbeitet hat 315 . Er nimmt eine direkte Weiterentwicklung zur "Sophia Jesu Christi" an. Nach ihm besitzt der Eugnostosbrief einen rein metaphysischen Charakter, der weder in der Darstellung der Gottheiten noch der Engelgrößen einen gnostischen Dualismus aufweist. Überzeugend sieht Tardieu in "und auf diesem Wege wurde der Mangel der Weiblichkeit offenbar" eine Interpolation im Eugnostosbrief316. Der dualistische Zug der Gnosis ist ja für die Tendenz der "Sophia Jesu Christi" typisch. Von da aus kann die Interpolation in den Brief sekundär gelangt sein.

313

.NH i n 82,7 - 84,11 = V 10,13 -12¿1. NH 111,3-* and V,7: Eugnostos and the Sophia of Jesus Christ, NHS 27, Leiden 1991,9 -16. 315 M. TARDIEU, Écrits gnostiques. Codex de Berlin, 48ff. 316 NH ΙΠ 85,7-9 = V 13,6-7. 314

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Ebenso wie die "Sophia Jesu Christi" dürfte auch das "Buch des Thomas des Athleten" sekundär aus einer Grundschrift entwickelt worden sein, wie H.M. Schenke gezeigt hat317. Er sieht in dieser eine hellenistisch-jüdische Quelle mit platonisierendem Charakter, die wahrscheinlich "ein Brief Jakobs des Athleten" gewesen ist. Allerdings ist keine solche Vorlage erhalten. Schenke hat sie am Ende seiner Textausgabe rekonstruiert318. Der am Schluß gegebene Titel "Das Buch des Thomas. Der Athlet schreibt an die Vollkommenen" läßt den sekundären Charakter erkennen. Der richtige Titel wäre dann "das Thomasbuch". Im folgenden soll noch versucht werden, gewisse Schriften des Fundes von Nag Hammadi oder Teile von ihnen bestimmten häretischen Sekten zuzuweisen. Zunächst sei festgestellt, daß keines dieser Werke sich selbst einer Sekte zuschreibt. Im 'Testament der Wahrheit" wird allerdings auf die Zersplitterung der Glaubensrichtungen eingegangen319. Da wird z.B. von einem gesagt, daß er von der Ogdoas spreche und seine Schüler denen des Valentin glichen320. Man kann trotz der großen Zerstörung des Textes annehmen, daß im folgenden von Basilides die Rede war. Denn es folgt dann sein Schüler Isidoros, "der ihm glich"321. Auch Simonianer werden erwähnt322. Es findet sich auch der Begriff αίρετικός, "Häretiker"323. F. Wisse hat in seiner Arbeit über die Ethik in den Schriften von Nag Hammadi versucht, diesen Text einer bestimmten Richtung zuzuweisen324. Er denkt dabei an die Persönlichkeit des Hierakas und seinen Einfluß325. Dieser hatte den asketischen Lebensstil als die einzige Möglichkeit erkannt, um zum Heil zu gelangen. Es ist einleuchtend anzunehmen, daß solches Schrifttum im Kloster Eingang gefunden hatte. Gegen Wisses These wendet sich A. GuiUaumont376. Im allgemeinen ist man für die Schriften von Nag Hammadi darauf angewiesen, von inneren Kriterien aus ihre Zugehörigkeit zu gewissen häretischen

317

The Book of Thomas (NHC 11,7). A revision of a pseudepigraphical Epistle of Jacob the Contender, in: The New Testament and Gnosis, FS R.McL. Wilson, Edinburgh 1983,213 - 228. 318 H.-M. SCHENKE, Das Thomasbuch (NH Π,7), TU 138, Berlin 1989,198 - 202. 319 NHIX 58,1. 320 NH IX 56,Iff. 321 NH IX 57,6ff. 322 NH DC 58,2ff. 323 NH IX 59,4. 324 F. WISSE, Ethik. 325 Vgl. Epiph., Haer. 67. 326 Hiéracas de Léontopolis et les textes de Nag Hammadi, Annuaire du Collège de France 81, 1980/81,411ff; vgl. auch J.-P. MAHÉ, Hermès en Haute-Égypte Π, Québec 1982,115 -118.

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Gruppen zu erschließen. Das gilt insbesondere für die christlich-gnostischen Texte. Für die kompilierten Schriften muß dabei allerdings nicht nur untersucht werden, welcher Gruppe etwa die Gesamtschrift zuzurechnen ist, sondern auch von welchen Gruppen die einzelnen Traditionsstücke stammen könnten und wie sie verarbeitet worden sind. Man kann dabei auf Valentins Schüler ebenso zurückgreifen, wie auf Basilides, die Barbelognostiker, die Sethianer u.a. J. Doresse hatte das gesamte Corpus den Sethianern zuschreiben wollen327, eine wohl viel zu weit gehende Annahme. Allerdings sind in Nag Hammadi genügend Zeugnisse für eine zentrale Stellung des Seth vorhanden. Freilich braucht nicht jede Erwähnung des Seth schon eine Zuweisung der Schrift an die Sethianer zu erfordern, sie spricht aber auch nicht dagegen. Zu den Sethianerschriften kann man folgende zählen:328 Johannesapokiyphon, Hypostasis der Archonten, Ägypterevangelium, Apokalypse des Adam, die drei Stelen des Seth. Zostrianos, Melchisedek, das Denken der Norea, Marsanes, Allogenes, die dreigestaltige Protennoia. Ein weiterer Text weist nur in seiner Unterschrift den Namen des Seth auf: "Der zweite Logos des großen Seth"329. Weil hier Christus selbst spricht, insbesondere auch von seiner Offenbarung auf Erden, könnte er als der inkarnierte Seth aufgefaßt sein, der ja bei den Sethianern mit Seth identifiziert wird330. Ob "die Hypostasis der Archonten" sethianisch ist, kann aus dem Vorkommen des Namens Seth nur erschlossen werden, wenn man entsprechende Ergänzungen vornimmt; wenn man z.B. Π 91,31 liest: "Sie empfing und gebar [Seth] dem Adam".

327

J. DORESSE, Secret Books, 251. H.-M. SCHENKE, The Phenomenon and Significance of Gnostic Sethianism, in: The Rediscovery of Gnosticism Π: Sethian Gnosticism, ed. Β. LAYTON, Leiden 1981,588 - 616. 329 N H V n 70,11-12. 330 Vgl. EpipL, Haer. 39,1,3. 328

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P. Nageß31 möchte von einer solchen Ergänzung absehen, weil Seth in der Schrift sonst nicht erscheint und die Erlöserfunktion von der "Jungfrau" bzw. dem "vollkommenen" oder "wahren Menschen" wahrgenommen wird. Doch könnte man vielleicht gerade von der Auffassung her, die hinter dieser Bezeichnung "der Mensch" für Jesus steht, wieder zum sethianischen Charakter der Schrift kommen, da ja eben Jesus der inkarnierte Seth ist. Von der Mythologie her kann man das Werk mit H.-M. Schenke als sethianisch ansehen332. Auch die "Schrift von der dreifachen Protennoia"333 kann in gewissen mythologischen Partien als sethianisch betrachtet werden. Ob der kurze Text über die Norea334 auch hierher gehört, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. C. Colpe335 möchte im Gegensatz zu H.-M. Schenke336 auch die "Paraphrase des Seem" der Häresie der Sethianer zurechnen. Die "Hypostasis der Archonten" sowie die "titellose Schrift des Codex Π" könnte man auch der Häresie der Ophiten zurechnen, weil in beiden Texten die Schlange als die Vermittlerin der Gnosis auftritt337. Es spricht aber auch der Gedanke vom Überlaufen der Pistis338, der Bericht von der Erschaffung der Archonten 339 und der Anmaßung des Jaldabaoth und Zurechtweisung durch die Pistis340 dafür. Demgegenüber scheint die "Melchisedek-Schrift" nicht einer Melchisedek-Gruppe, wie sie Epiphanius schildert341, zuzugehören, sondern dürfte mit Sicherheit eine sethianische Schrift sein342. Zugleich bietet sie eine Christologie, die sich gegen doketische Vorstellungen wendet343.

331

P. NAGEL, Das Wesen der Archonten aus Codex Π der gnostischen Bibliothek von Nag Hammadi, Halle 1970. 332 H.-M. SCHENKE, Das sethianische System nach Nag-Hammadi-Handschrifien, in: Studia Coptica, Berlin 1974,165 -172. 333 NH xra,;. 334 NHK^. 335 C. COLPE, Heidnische, jüdische und christliche Überlieferung in den Schriften aus Nag Hammadi Π, JbAC 16,1973, lOOff. 336 H.-M. SCHENKE, Das sethianische System, 165. 337 Die Schlange als Unterweiser in der "Hypostasis der Archonten": NH Π 89,32. Die titellose Schrift des Codex Π hat NH Π114,Iff "Tier" = Unterweiser; vgL o. S. 157. 338 NH Π 98,13ff; Iren., Haer. 130,2/3. 339 NH Π 101,Iff; Iren., Haer. 130,5. 340 NH Π 103,8ff. 341 Epiph., Haer. 55; vgl. H. STORCK, Historische Studien zum Hebräerbrief, TL 2 Die sogenannten Melchisedekianer: mit Untersuchung ihrer Quellen auf Gedankengehalt und dogmengeschichtliche Entwicklung, FGNK 8/2, Leipzig 1928. 342 Vgl. die Rede von der "Kirche der Söhne des Seth" NH DC 5,19f. 343 NH DC 5,1-11.

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Doketismus ist dagegen im "Zweiten Logos des großen Seth"344 zu finden und ebenso in der "Petrusapokalypse"345. Wieder ein Beweis für die Uneinheitlichkeit innerhalb der Sammlung! Die Vorstellung, daß Simon von Kyrene statt Jesus am Kreuz hängt, ist schon aus der Lehre des Basilides bekannt 346 . Ob die verschiedentliche Erwähnung von Sodom und Gomorrha aus der von Irenaeus zitierten Sekte der Sodomiten347 stammt oder direkt aus jüdischer Tradition übernommen wurde, bleibt fraglich. Die Orte sind in Nag Hammadi jedenfalls ins Gute umgedeutet348. Die Schule Kerinths kann vielleicht einen Ausdruck in der "Epistula Jacobi apocrypha" (NH 1,2) gefunden haben, wenn die Ergänzung in der Briefanrede, die H.-M. Schenke vorgeschlagen hat349, richtig ist. Die vielen Schulen, in die Irenaeus, Hippolyt und Epiphanius die Gnostiker einteilen, werden von manchen Wissenschafdern der Gegenwart als fiktiv betrachtet. Manche wollen sie nur auf Sethianer und Valentinianer beschränken. Gewiß gibt es für die Häresiologen den Grund, bei einer Schilderung des Gnostizismus an den Anfang einen Urketzer zu stellen, wofür man Simon Magus wählte350. Im allgemeinen hat sich Irenaeus an Persönlichkeiten und ihre Lehren gehalten. Aber auch von den wichtigen Inhalten aus hat man Schulen gebildet, so Sethianer 351 , Ophiten 352 , Barbelioten 353 , Kainiten 354 , Sodomiten 355 . Man hebt im Mythos charakteristische Figuren hervor. Besonders markante mythische Größen kommen aber nicht nur im Mythos einer einzigen Gruppe vor. Die Gnostiker können sich wahrscheinlich um eine solche Größe geschart haben, so daß für die einen Barbelo, für die anderen Seth die Hauptperson ist. Es wäre aber nicht unmöglich, daß bei einem etwaigen Zusammen-

344

NH VII 56,2ff. In 56,4 braucht nicht mit H.-G. BETHGE ein "nicht" konjiziert zu werden; es wird hier die subjektive Meinung der Archonten wiedergegeben und durch das Folgende abgelehnt. 345 NH VII 81,6ff. An dieser Stelle wird als leidend der "fleischliche" im Gegensatz zum "lebendigen Jesus" bezeichnet, der neben dem Kreuz steht. ^ V g l . Iren., Haer. 124,4. 347 Iren., Haer. 131,1. 348 Vgl. das Ägypterevangelium NH m 56,4-13 (in IV zerstört); HI 60,9-18 = IV 71,18-30. 349 H.-M. SCHENKE, Der Jakobusbrief aus dem Codex Jung, OLZ 66,1971,117 -130. 350 Iren., Haer. 123. 351 Iren., Haer. 130. 352 Iren., Haer. 130. 353 Iren., Haer. 129. 354 Iren., Haer. 131. 355 Iren., Haer. 131,1.

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schluß dann z.B. die Sethianer barbeliotische Schriften in sich aufgenommen hätten. Außerdem muß für solche Prozesse auch auf die Entstehung vieler Schriften aus einzelnen Traditionen immer wieder verwiesen werden. Innerhalb der Sethschriften, aber auch über sie hinaus begegnet Barbelo. Mit ihr haben es besonders folgende Schriften zu tun: das Apokiyphon des Johannes, das Agypterevangelium, die drei Stelen des Seth, Zostrianos, Marsanes, Allogenes, die dreifache Protennoia. Man kann das "Johannesapokryphon" nicht, wie das meist geschieht, als Schrift der Barbelognosis bezeichnen356, nachdem M. Tardieu nachgewiesen hat, daß die beiden ersten Teile des Werkes auf Seth hin ausgerichtet sind357. Das spricht für eine Einordnung in den Sethianismus. Allerdings wird gleichzeitig im metaphysischen ersten Teil ausführlich von der Barbelo und ihrem Verhältnis zum Vater gesprochen358. Damit kann dieser Abschnitt ursprünglich zu Traditionen aus barbeliotischen Kreisen gehört haben. Die Identifizierung der Barbelo mit Pronoia359 hat dann beim Kompilator der Fassung des Codex Π zur Anfügung des Schlußhymnus360 geführt, der dem Werk allerdings den Charakter einer Barbeloschrift geben konnte. Auch im sog. Agypterevangelium von Nag Hammadi begegnen die Besonderheiten der beiden Gruppen. Zentral steht in ihm die Person des Seth im Vordergrund, doch hat in der auf die negative Gottesvorstellung folgenden Gottesbeschreibung mit der Dreiheit Vater-Mutter-Sohn die Barbelo den Platz der Mutter inne361 und im daran anschließenden transzendenten Teil nimmt dann die Pronoia die Stelle der aus dem Schweigen hervorgehenden, das Konkrete schaffenden göttlichen Größe ein362. Zu solchen Barbelotexten muß man auch "die dreigestaltige Protennoia" rechnen, wenn diese selbst auch nur einmal als Barbelo bezeichnet

356 357 358 359 360 361 362

So z.B. W. FOERSTER in Gnosis 1,133ff. DERS., Écrits gnostìques. Codex de Berlin, 33. BG 26,6- 30,4 = NHΙΠ 6,19 - 9,15 = NH Π 4,10 - 6,15. BG 27,10 = NH m 7,16 = NH Π 4,32. NH Π 30,11 - 31,27. NH ΠΙ 42,11-21 = IV 52,2-14. NH IV 58,23 - 59,29; NH m 42,2 = IV 51,20.

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wird363. Aber auch die Protennoia ist die Mutter in der Dreiheit. In diesem Text findet sich allerdings niemals Seth. Die Dreiheit von Vater - Mutter (Barbelo) - Sohn (Adamas) begegnet in den "drei Stelen des Seth". Hier wird der in den drei Stelen aufgezeichnete Lobpreis von Seth, dem Sohn des Adamas, dargebracht364. Daß im "Zostrianos" sowohl Barbelo als auch Seth vorkommen, ist gerade beim Umfang dieser Schrift kein Wunder. Hier scheinen unter der Form der Himmelsreise überhaupt möglichst viele Mythologumena zusammengefaßt zu sein. Es begegnen auch die Denkmodelle, die sich besonders im "Allogenes" finden, der den Namen des Seth nicht nennt. Doch könnte man in dem Allogenes den Seth sehen, wenn man die Aussage der Archontiker, Seth und Allogenes seien der gleiche365, auf die Schrift NH XI,3 anwendet. Er stammt ja aus der himmlischen Welt, wodurch die Bezeichnung "Allogenes" gerechtfertigt ist. In den beiden Texten, den "drei Stelen des Seth" und dem "Allogenes", tritt demnach ein Glied der himmlischen Welt noch mit den über ihm Stehenden in Verbindung, um über einen Mittelsmann dem breiteren Kreis der Gläubigen davon zu verkünden, im "Allogenes" durch Messos366, in den Stelen durch Dositheos367. Die Nähe der Schriften zueinander in ihrer Vorstellung von der Barbelo zeigt, wie in Sethschriften barbeliotisches Gut verarbeitet sein kann. In einfacher Auffassung ist Barbelo die Erscheinung, der erste Äon, während der unsichtbare Geist eine Größe ist, deren Existenz für den Gnostiker nicht erkennbar ist. Andererseits ist das Verhältnis von Barbelo und unsichtbarem Geist in gewissen Texten auf seine Problematik hin theoretisch aufgearbeitet worden. Hatte man den Abstand im Agypterevangelium dadurch überbrückt, daß man den Vater der Trinität eingeschoben hatte368, so hat "Marsanes" zwischen Barbelo und unsichtbaren Geist noch einen Unsichtbaren mit drei Dynameis sowie den Geist, der keine Existenz besitzt, eingeführt369. Eine solche Zwischenlösung wird im "Allogenes" ebenfalls versucht; sie scheint manchmal mit dem Obersten Gott identisch zu sein370 und sich in drei Modalitäten darzustellen: ΰπαρξις, Lebendigkeit und Denken

363

NH x m 38,9. NH v n 118,12.24f; 121,18f. Epiph., Pan. 40,7,2. 366 NH XI 50,19 u.ö. 367 NH VE 118,10f. 368 NH m 41,23ff = IV 51,15ff. 369 N H X 4,11-18. 370 NH XI 45,13; vgl. Anm. zum Text in der Ausgabe von J.D. TURNER, NHS 28, Leiden 1990, 244. 364 365

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(oder Seligkeit)371. Diese Zwischengröße scheint nicht ein "das", sondern ein "wie" zu sein. Es handelt sich um eine theologische Konstruktion, mit der man den Weg von einer negativen Gottesauffassung zur konkreten Weltschöpfung übergehen lassen will. Auch die Barbelo wird mit drei Hypostasen versehen: καλυπτός, πρωτοφανής und αυτογενής 372 sind die Abbilder der oben angeführten Dreiheit. Im "Apokiyphon des Johannes" ist die Dreiheit mit der Barbelo verbunden und im einzelnen vielleicht in der Triade πρόγι/ωσις, αφθαρσία und αΐωι/ία ζωή ausgeführt373. Aber die Aussage "mit drei Kräften" kann auch zunächst einfach eine pluralische Verstärkung sein, die später in anderen Schriften theologisch-spekulativ weitergeführt wird. Daß das Johannesapokiyphon eine Grundlage für den Verfasser des Allogenes bzw. seines entsprechenden Teils war, zeigt die wörtliche Übernahme gewisser Stellen der negativen Gottesvorstellung374. Nicht zuletzt ist in der Sammlung von Nag Hammadi der Einfluß Valentins und seiner Schule spürbar. Der Valentinianismus hat in seinen verschiedenen Ausprägungen ja sehr starke Wirkungen erzielt und deshalb war auch die Widerlegung der Häretiker durch Irenaeus insbesondere gegen ihn gerichtet. Innerhalb der Schriften von Nag Hammadi taucht das Problem des Valentinianismus bereits im Zusammenhang mit der ersten Edition aus dem Codex I auf, besaßen doch die Valentinianer nach Irenaeus ein "Evangelium der Wahrheit"375. Darum war es verlockend, in einer Schrift ohne Titel aus dem Codex I, die mit den Worten "das Evangelium der Wahrheit" beginnt, die so betitelte Schrift des Valentin zu sehen. "Le langage et la doctrine mis en oeuvre par l'Évangile de Vérité resortissent, de toute évidence, au gnosticisme valentinien";

371

N H XI 49,26-38; 59,9-26; 60,14-37; vgL dazu die Anm. S. 252 (s.o. Anm. 370). NH XI 45,31-47,7; vgL dazu Anm. zum Text (s.o. Anm. 370), 245ff. NH ffl 8,5 - 9,3 = BG 28,4 - 29,8 = NH Π 5,11-32. Der Abschnitt über die Wahrheit, der nur in NH Π 5,32 - 6,2 steht, ist m £ . ein sekundärer Zusatz, der zur Zusammenfassung in einer Fünfheit dienen solL Dazu soll auch die gesonderte Heraushebung der Ennoia beitragen: NH ΙΠ 9,3-10 = BG 29,8-18 = NH II 6,2-10. Zur Ursprünglichkeit der Dreiheit vgl. Iren., Haer. I 29.1; zur Fünfheit neben der Dreiheit in der ersten Stele des Seth NH VII 120,17-22. 374 NH XI 62¿7 - 63,25 = BG 24,9 - 25,7 = NH Π 3,20-32. 375 Iren., Haer. III 11,9 - CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, WUNT 65, Tübingen 1992, 344. M. weist auf den Plural bei Irenaeus hin, der sich auf die Valentinianer bezieht, nicht auf Valentin: ab his non olim conscriptum est. 372

373

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so die Editoren der Erstausgabe376. W.C van Unnik ging über die Vermutung der Editoren noch wesentlich hinaus377. Aus der Erwähnung der bei den Römern üblichen Methode des Zählens (bis 99 an der linken Hand, ab 100 an der rechten), die im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom guten Hirten zu finden ist, glaubt er, auf eine Entstehung der Schrift in Rom schließen zu dürfen. Die Thesen der Herausgeber, aber auch die van Unniks haben einen Teil der Forscher sehr stark beeindruckt378. Auf der anderen Seite stehen dagegen die, welche nur zögernd oder gar nicht die Schrift den Valentinianern zuerkennen wollen. Dabei ist wiederum zu unterscheiden zwischen denen, die sie vielleicht für valentinianisch halten (/. Doresse, A.D. Nock, W.C. Till)379, denen, die einen Titel "Evangelium der Wahrheit" nicht aus dem Anfang der Schrift glauben ableiten zu können (E. Haenchen, J. Leipoldt)380 und denen, die sie weder Valentin noch den Valentinianern zuschreiben wollen, wie z.B. H.-M. Schenke381, der sie vielmehr mit den Oden Salomos zusammenstellen will. Im Zusammenhang mit einer eingehenden Interpretation der von Valentin überlieferten Fragmente hat sich zuletzt Chr. Markschies gegen die Autorschaft Valentins gewandt, zumal er überhaupt die Frage stellt, ob Valentin im herkömmlichen Sinne Gnostiker war382. Die Herausgeber des Codex', in dem das 'Evangelium der Wahrheit' überliefert ist, mußten sich die Frage stellen, ob dieser Codex I etwa in allen seinen Schriften valentinianisches Gut enthält. Da paßt die martyriumsfreundliche Tendenz der Epistola Jacobi apocrypha nun keineswegs383. Anders steht es mit der umfangreichen Schrift, die als 'Tractatus Tripartitili bezeichnet wird.

376

M. MALININE, H.-CH. PUECH, G. QUISPEL, Zürich 1956, ΧΠ. W.C. VAN UNNIK, The recently discovered Gospel of Truth and the New Testament, zuerst in: The Jung Codex. A newly recovered Gnostic Papyrus. Three Studies by H.-Ch. PUECH, G. QUISPEL and W.C. V. U., transi, and ed. by F l . CROSS, London 1955, 81 - 129; jetzt in: DERS., Sparsa Collecta. Part ΠΙ, Leiden 1983,163 -191. 378 Z.B. Η. JONAS, Ergänzungsheft zum 1. Tl. von "Gnosis und spätantiker Geist" (zuerst Göttingen 1964), 408 - 418. 379 J. DORESSE, The Secret Books, 240; A.D. NOCK, A Coptic library of Gnostic Writings, JThS 9,1958,323; W.C. TILL, Das Evangelium der Wahrheit, ZNW 50,1959,166. 380 E. HAENCHEN, ZKG 67,1955/56,154f; J. LEIPOLDT, ThLZ 82,1957,832. 381 H.-M. SCHENKE, Die Herkunft des sogenannten Evangelium Veritatis, Göttingen 1959. 382 CH. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, WUNT l.R. 65, Tübingen 1992; zum Evangelium der Wahrheit vgl. 339 - 356. M. schließt sich COLPE an und versteht den Text als späte 'relecture' des Systems durch einen schöpferischen Valentinianer (340 Anm. 18). 383 NH I 4,32ff. An dieser Stelle verweisen die Kommentatoren der Editio princeps auf Tertullian, Bapt. 20,2 und die Apophthegmata Patrum ουδείς άπείραστος δυι/ήσεται είσελθε&ζ εις τήν βασιλεία!/ τώι/ ούροα/ώι/ (PG 65,77). 377

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In einem großen Entwurf wird hier das von Irenaeus und den Excerpta ex Theodoto verwandte Material dargeboten, vom transzendenten Gott bis zur Enderlösung. J. Zandee nimmt an 384 , daß die hier vorliegende Schrift dieselbe Struktur wie die Quelle des Irenaeus und der Excerpta aufweist. Ein eigenartiger Zug ist es, daß in ihr die Sophia als Logos auftritt. Dabei wird die Sophia nicht, wie bei Ptolemäus, in eine obere und in eine untere geteilt. Die Zuordnung zu einem bestimmten Valentinianer ist problematisch. Man kann nicht wie J. Zandee eine so enge Verknüpfung mit dem Sophia-Mythos herstellen. Vielmehr liegt eine Interpretation im Sinne des christlichen Logos-Glaubens vor. Zwar wird das Handeln des Logos kritisch beleuchtet, so daß er Buße tun muß, doch ist sein Handeln nicht ohne den Willen Gottes geschehen. Darum erhält er Hilfe durch den Erlöser. Der Logos errichtet ein Pleroma des Geistes, das dem transzendenten entspricht. Im zweiten Teil wird von der materiellen Schöpfung der Welt und des Menschen gesprochen, die durch den Demiurg und die Engelmächte erfolgt. Der dritte Teil handelt, ausgehend von der Religionsgeschichte, von der Heilsgeschichte. Direkt als eine valentinianische Schrift betrachtet E. Pageis den im Codex XI als zweite Schrift erhaltenen Text385. Sie glaubt, seinen Platz innerhalb des Valentinianismus im westlichen Zweig weniger bei Ptolemäus als bei Herakleon zu finden. Der die Heilsgeschichte darstellende Teil entspricht den Schilderungen, wie sie Irenaeus, Hippolyt, Epiphanius und z.T. die Excerpta ex Theodoto bieten. An die Darlegung der Lehre schließen sich liturgische Abschnitte an, die wohl von Sakramenten handeln. Dabei wird von der ersten Taufe gesprochen; das ist die Taufe Jesu im Jordan, die zur Sündenvergebung dient. An sie schließt die Vervollkommnung beim Aufstieg ins Pleroma an. Davon scheint nach Pageis im zweiten Abschnitt die Rede zu sein. Der dritte enthält ein Dankgebet. Ob das auf eine eucharistische Handlung schließen läßt, ist angesichts des schlechten Erhaltungszustands des Textes schwer zu sagen. Eines ist allerdings sicher, daß die drei Abschnitte mit ihrem liturgischen Schluß auf gesonderte liturgische Gebete hinweisen. Ob auch der vorangehende Traktat (NH XI,2), "die Interpretation der Gnosis", valentinianisch ist, erscheint mir im Gegensatz zu Pageis386 doch

384

Von J. ZANDEE (in Zusammenarbeit mit H.-Ch. PUECH) stammt die editio princeps (Introduction théologique en forme de bref commentaire); H.-CH. PUECH und G. QUISPEL haben in einem Artikel (Le quatrième écrit du Codex Jung, VigChr 9,1955, 65 - 102) das Werk dem Herakleon zugeschrieben. 385 NHS 28, Leiden 1990,105. 386 A.a.O. 25.

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recht fraglich, wenn er wohl auch von Valentinianern gebraucht worden sein mag. Daß die Valentinianer rituelle Gebräuche, wohl direkt Sakramente, besaßen, zeigt das "Philippusevangelium". Ihnen hatte H.-M. Schenke bereits in seiner Erstübersetzung die Schrift zugewiesen387. So wird z.B. im Spruch 39 die Echomoth von der Echmoth unterschieden: "Echamoth ist die Sophia schlechthin, Echmoth aber ist die Sophia des Todes, nämlich die, die den Tod kennt, die die kleine Sophia genannt wird"388.

Diese Teilung der Sophia ist ein Charakteristikum der Valentinianer. Für die Soteriologie ist der Gebrauch von Sakramenten wichtig, wie schon erwähnt wurde. In Spruch 68 des Philippusevangeliums werden sie aufgezählt: "Der Herr hat alles gewirkt durch ein Mysterium: Taufe, Salbung, Eucharistie, Erlösung und Brautgemach"389.

Ziel ist die Rückführung aus der Vielheit in die Einheit. Hierher paßt auch der Hinweis auf die "erste Jakobusapokalypse"390. Ist es da verwunderlich, wenn in dieser Schrift auch ein Formular für den Aufstieg der Seele vorhanden ist, das von Irenaeus den Markosianern zugeteilt wird?391 Auch in den anderen Schriften finden sich Abschnitte valentinianischen Denkens, wenn auch die Texte ihrem ganzen Wesen nach nicht valentinianisch sind. Es seien einige Beispiele genannt. Die Darstellung des Vaters in seinem Verhältnis zum Vorvater im "Eugnostosbrief'392 entspricht der Schilderung vom Verhältnis des Sohnes zum Vater im Tractatus Tripartitus. Auch ein Element wie die Syzygie Kirche - Leben weist auf valentinianischen Einfluß hin393. Im "Agypterevangelium" fällt die Darstellung der einzelnen Bestandteile der Trinität als Achtheit (Ogdoas) auf394. In der "Schrift ohne Titel aus Codex Π" gehört hierher die Anthropologie mit der Erschaffung des mannweibli-

387

H.-M. SCHENKE, Das Evangelium nach Philippus: Ein Evangelium der Valentinianer aus dem Funde von Nag Hammadi, ThLZ 84,1959,1 - 26. 388 NH Π 60,10-12. 389 NH Π 67,27-30; vgl. zu den Sakramenten: H.-G. GAFFRON, Studien zum koptischen Philippusevangelium unter besonderer Berücksichtigung der Sakramente, Diss. Theol. (masch.), Bonn 1969. 390 NH V 41,15-19; vgl. Ägypterevangelium bei Clem. AL, Str. m 9,63; 13,92; 2 d e m 12,2. Zum Problem der Weiblichkeit auch NH V 24,26-28. 391 NH V 33,21ff; Iren., Haer. 121¿ (Epiph., Haer. 36,3,2-6). 392 NH m 74,20ff. 393 NH m 87,4; Iren., Haer. 18,5 (Epiph., Haer. 31,6,3). 394 NH ΙΠ 41,23 - 43,8 = IV 51,15 - 53,3.

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chen Menschen, der der psychische ist, am sechsten Tag395 und des choischen Menschen am achten Tag. Ebenso steht es mit der Aufzählung von vier Genera der Erwählten396. Wenn man in ihnen mannweibliche Größen sehen darf, würde man die himmlische Achtheit der Valentinianer darin erkennen können. In dieser Schrift könnte auch an den Stellen, wo von der "Achtheit" gesprochen wird, nicht der Fixsternhimmel, sondern das Pleroma der Valentinianer gemeint sein397. Im ganzen möchte ich aber betonen, daß die Aufgliederung der echt gnostischen Schriften von Nag Hammadi nach Häresien eigentlich wenig ergiebig ist. Wenn man nämlich bedenkt, was hier schon mehrfach betont werden mußte, daß diese Schriften zum allergeringsten Teil als Originalwerke anzusehen sind, sondern erst kompiliert worden sein dürften, nachdem die gnostischen Schulen sich gebildet hatten, wird man kaum eine Schrift als speziellen Ausdruck einer bestimmten Häresie in Anspruch nehmen dürfen. An mehrfach erhaltenen Schriften wie dem Johannesapokryphon oder dem Eugnostosbrief und der Sophia Jesu Christi kann man sehen, wie Schriften erweitert wurden und dabei neues Material aufnahmen. Material, das sowohl bei Häresiologen als auch in Nag Hammadi begegnet, ist noch längst kein Beweis dafür, daß der betreffende Text von Nag Hammadi dem betreffenden Kirchenvater auch in der uns bekannten Form vorlag. So findet sich eben z.B. das dem Irenaeus bekannte Gespräch beim Aufstieg in die himmlische Welt, das er dem Valentinianer Markos zuschreibt, in etwas anderer Form in der ersten Jakobusapokalypse. Die Schilderungen des Irenaeus, die dem Johannesapokryphon entnommen zu sein scheinen, dürften nicht aus diesem selbst, sondern aus Quellen stammen, auf die auch das Johannesapokryphon zurückgeht.

395

NH Π 117,32. Es ist Mà.2[CO]OY "sechster" zu lesen; vgl. Iren., Haer. 118 und A. BÖHLIG, Mysterien und Wahrheit, 91. Es liegen hier zwei Traditionen vor, die sich überschneiden. Wird in der Schrift ohne Titel des Codex Π (113,3If) der zweite Mensch als Hermaphrodites bezeichnet, so richtet sich, wie der Zusammenhang zeigt, die Zahlung nach Hermes; es handelt sich also um den vierten Tag. In der Aufzählung der Menschenarten, bei der dagegen Aphrodite steht (117,28S), geht es dementsprechend um den sechsten Tag. M. TARDIEU (Trois mythes gnostiques, Paris 1974, 323) und H.-G. BETHGE (NHS 21, Leiden 1989, 70) möchten überhaupt bei der Lesung "der vierte" Mà£[qTO]OY bleiben, BETHGE auch Hermaphrodites statt Aphrodite ergänzen. Es wäre aber denkbar, daß das die ursprüngliche Lesart war, die aber von einem späteren Redaktor valentinianisch verbessert wurde, obwohl nach der Aussage des Irenaeus der sechste Tag nicht für den psychischen Menschen geeignet war. 396 NH Π 125,3ff. 397 Der Begriff Ogdoas' bedarf überhaupt noch genauerer Bearbeitung; zunächst vgl. A. BÖHLIG, Mysterion und Wahrheit, 131ff.

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So scheint es mir, daß die von Irenaeus im ersten Buch aufgezählten Gruppen ihre Vorstellungen in den Nag-Hammadi-Texten ineinander verarbeitet hinterlassen haben, wobei die Materialien noch mehr oder weniger - oder auch gar nicht - vom Christentum beeinflußt worden sind. Die Kombinationen von Vorstellungen verschiedener Sekten in der Sammlung von Nag Hammadi regte andererseits auch zu der Meinung an, die Einteilung in Häresien, die sich bei den Kirchenvätern findet, sei überhaupt nur künstlich398. Solche Meinung schießt aber m.E. weit über das Ziel hinaus. Gewiß haben die Häresiologen, wenn sie ein System gnostischer Vorstellungen bieten wollten, zugleich einen Stammbaum der Gnosis herauszuarbeiten versucht und kamen dabei z.B. auf die These, in Simon Magus den Urvater des Gnostizismus zu sehen399. Das lag schon umso näher, als sich ja im Gnostizismus die Simonianer auf ihn beriefen400. Zugleich bemühten sich die Häresiologen darum, charakteristische Lehrmeinungen des Gnostizismus herauszuheben. Dabei war es natürlich durchaus möglich, daß sie mitunter einer Lehrmeinung auch eine eigene Konstituierung als geistigen Zentralinhalt einer Gruppe zusprachen. Andererseits konnte natürlich auch ein Mythologumenon oder Theologumenon in verschiedenen Sekten verwandt worden sein, ohne im Zentrum zu stehen. Texte wie 'Zostrianos' und 'Allogenes' führen auch zu der Frage nach dem Verhältnis von Gnostizismus und Neuplatonismus. In der Vita des Plotin von Porphyrius werden mehrere gnostische Schriften genannt, die im Besitz der Sektierer Adelphios und Aquilinus waren401: "Apokalypsen des Zoroaster, Zostrianos, Nikotheos, Allogenes, Messos und ähnliche Leute".

Plotin hat sich gegen solche Leute in seinen Vorlesungen gewandt und die Schrift "Gegen die Gnostiker" verfaßt402. In der Sammlung von Nag Hammadi befinden sich zwei der oben angeführten Schriften. Die 'Apokalypse des Mes-

398 Zum Problem vgl. F. WISSE, The Nag Hammadi Library and the Heresiologists, VigChr 25, 1971, 205 - 223, besonders 218; DERS., Stalking those elusive Sethians, in: The Rediscovery of Gnosticism, ed. Β. LAYTON, Vol. Π, Leiden 1982,563 - 576. 399 Diese Auffassung lehnt K. BEYSCHLAG (Simon Magus und die christliche Gnosis, WUNT 16, Tübingen 1974) radikal ab. 400 Vgl. Iren., Haer. 123. 401 Plotins Schriften, hg. und übers, v. R. HARDER, Bd. V c (Anhang), Porphyrius, Über Plotins Leben und über die Ordnung seiner Schriften, PhB 215 c, Hamburg 1958, 34 (Kapitel Enn. Π 9 (dazu jetzt: K. ALT, Philosophie gegen Gnosis. Plotins Polemik in seiner Schrift Π 9, AAWLM.G 7/1990, Stuttgart 1990).

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sos' ist wohl die gleiche wie 'Allogenes'. Nikotheos ist im titellosen Werk des Codex Brucianus genannt403. Bei der antignostischen Einstellung Plotins und des Porphyrius erscheint es zunächst unwahrscheinlich, wenn man einen Einfluß gnostischen Denkens auf den Neuplatonismus annehmen wollte. Doch begegnet die Trias des 'Allogenes' und der 'Stelen des Seth'404 υπαρξις, ζωή, voότης bei Proklos405. Da der 'Allogenes' (Mitte des 3. Jh.s) zeitlich vor Proklos (410 - 485) liegt, kann das Modell bei den Gnostikern nicht vom Neuplatonismus abhängig sein, weil es bei Plotin und Porphyrius nicht als Haupt einer göttlichen Trias vorkommt. Man muß ja bedenken, daß die Begriffe der Trias auch bei Plotin vorhanden sind. Zwar handelt es sich nicht um konkretisierte Abstrakta, die eine Göttergruppe bilden, sie werden aber doch bei Plotin (Enn. I 6,7) beim Aufstieg der Seele zum Guten, d.i. Gott, genannt. Man geht wohl vorbei an allem, was Gott fremd ist, und erblickt seine Reinheit. Seine charakteristischen Eigenschaften sind: Sein, Leben und Denken: καΐ εστι καΐ ζη καί voeV ζωίίς γαρ αίτιος καί ι/ου καΐ χοΟ eli/at Diese Stelle genügt m.E. als Ausgangspunkt für die Formulierung sowohl von Allogenes als auch Proklos406. 7. Die koptisch - manichäischen Texte in ihrer Bedeutung für die Kenntnis und die religionsgeschichtliche Einordnung des Manichäismus Zwei Fragen sind bezüglich der manichäischen Texte von Medinet Madi zu stellen: 1. Wurde durch diesen Fund das Bild des Manichäismus verändert oder ergänzt? 2. Mußte infolgedessen dem Manichäismus ein neuer Platz in def Religionsgeschichte der Spätantike zugewiesen und zugleich auch das Bild vom Gnostizismus überhaupt geändert werden? Wie ausgeführt, handelt es sich bei den genannten Schriften kaum um Texte von Mani selber, jedenfalls soweit es die heute noch vorhandenen Texte

403

Kap. 7. - Gegen eine Identifikation der beiden Schriften 'Zostrianus' L. ABRAMOWSKI, Nag Hammadi 8,1 "Zostrianus", das Anonymum Brucianum, Plotin Enn. 2,9 (33), in: H.-D. BLUME, F. MANN (Hg.), Platonismus und Christentum, FS H. DÖRRIE, JbAC Ergbd. 10, Münster 1983,1 -10 (auch in DIES., Formula and Context. Studies in Early Christian Thought, CS 365, London 1992, Nr. XII), bes. 7 -10;/Br eine Identifikation zuletzt JJL SIEBER (NHS 31. Leiden 1991,20f in seiner Einleitung zur Edition). 404 NH VE 125,28-32; XI 49,26-38; 59,9 - 60,12; 60,13 - 61,22. 405 Proklos, Institutio Theologica 103. Zur Diskussion vgl NHS 28, Leiden 1990,187 -191; 252f.

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betrifft, während gerade die Texte aus der Bibliothek, die aus Manis Schriftenkanon stammten, entweder noch nicht vollständig erschlossen oder nach dem Krieg eventuell verlorengegangen sind407. Immerhin haben aber die drei Textgruppen, von denen größere Mengen schon veröffentlicht worden sind, beachtliche Erkenntnisse zum Verständnis des Manichäismus beisteuern können408. Mit ihrer Hilfe konnte das in Exzerpten erhaltene westliche mit dem bruchstückhaften Material aus Turfan sowie den zwar umfangreichen, aber recht fremdartig wirkenden chinesischen Texten in das rechte Verhältnis gesetzt werden409. Wenn auch erst die 1970 erfolgte Erschließung des Kölner griechischen Mani-Codex in ganz besonderem Ausmaß neues Licht auf die Biographie des Religionsstifters warf410, so hat doch der Fund von Medinet Madi bereits seine Leidensgeschichte klären können, obwohl der betreffende Text leider gerade einen sehr schlechten Erhaltungszustand aufweist411. In Verbindung mit iranischen Texten konnten zunächst W.B. Henning412 und später O. Klima413 eine ausführliche Darstellung von Manis Tod geben. Gewiß muß man auch die manichäischen Originaltexte kritisch betrachten, da sie ja Gemeindetexte sind, welche das Schicksal des Meisters in gewissen Zügen dem Leiden Jesu angleichen wollten. Schon die Bezeichnung der Leidensgeschichte als σταύρωσις, die Angleichung seines Kommens nach Belapat an den Prozeß Jesu in Jerusa-

407

Vgl. zuletzt A. BÖHLIG, Neue Initiativen zur Erschließung der koptisch-manichäischen Bibliothek von Medinet-Madi, ZNW 80,1989,240 - 262, bes. 240 - 245. Das sind Kephalaia, Psalmen und Logoi; vgl A. BÖHLIG, Neue Initiativen, 245 - 262. Immer noch klassisch für das Verständnis des Manichäismus ist HJ. POLOTSKYS Abriß des manichäischen Systems in dessen Art. Manichäismus (PRE SuppL VI, Stuttgart 1934,241 - 272 = DERS., Collected Papers, Jerusalem 1971, 699 - 714); letzte Zusammenfassung A. BÖHLIG, Art. Manichäismus, TRE ΧΧΠ, Berlin u.a. 1991,25 - 45. 409 Zu den Quellen im einzelnen vgj. die Bibliographie und C. SCHMIDT - HJ. POLOTSKY, Ein Mani-Fund in Ägypten, SPAW.PH 1/1933, Berlin 1933, 4 - 90, bes. 63 - 82 (diese Seiten auch bei POLOTSKY, Collected Papers, 673 - 698). 410 A. HENRICHS/L. KOENEN, Ein griechischer Mani - Codex (P. Colon. Inv. Nr. 4780), ZPE 5,1970,97 - 216; für Ausgabe und Konkordanz vgl die Bibliographie. - Auf die mit diesem Text zusammenhängenden Probleme ist hier nicht näher eingegangen; vgl. A. BÖHLIG, Der Synkretismus des Mani, in: DERS., Gnosis und Synkretismus II, 482 - 519; sowie DERS., Die Bedeutung des CMC für den Manichäismus, in: Codex Manichaicus Coloniensis, Atti dei secondo simposio internazionale Cosenza 27 - 28 maggio 1988, Studi e Richerche 4, Cosenza 1990,35 - 56. 411 H J . POLOTSKY, Manichäische Homilien p. 42 - 85: "Der Abschnitt des Berichtes über die Passion des Erleuchters, des wahren Apostels". 412 W.B. HENNING, Mani's last journey, BSQAS 10,1942,941 - 953 = DERS., Selected Papers Π, Acta Iranica 15,81 - 93. 413 O. KLIMA, Archiv Orientálni 23,1960, 464ff; DERS., Manis Zeit und Leben, Prag 1962, 369ff. 408

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lem414, die Betreuung seiner Leiche durch drei Frauen415 oder die Vorahnung seines Todes416 sind Züge, in denen Parallelen zur Darstellung vom Leiden Jesu in den Evangelien gesehen werden können. Man muß ja berücksichtigen, daß Mani sich als Apostel Jesu Christi417 und als der verheißene Paraklet418 betrachtet. Darum hat für seine Schüler σταύρωσις den Bedeutungsinhalt von "Passion" angenommen. Denn Mani ist, wie die neuen Texte zeigen, nicht gekreuzigt worden, sondern im Gefängnis gestorben419. Sonst wäre sein Leichnam nicht gefesselt gewesen420. Man sieht daraus, wie bei aller Einpassung in ein legendäres Schema die Fülle der Einzelüberlieferungen doch groß genug ist, um an den wirklichen Verlauf der geschichtlichen Tatsachen heranzukommen. Eindeutig fest steht jetzt, daß Mani, der nach dem Tode Schapurs I. auch unter Hormizd I. seine Mission ungestört fortsetzen konnte, unter Bahrain I. in Ungnade fiel. Der Bericht zeigt direkt, daß er eine persona non grata geworden war. Wahrscheinlich ist diese Umstimmung des Herrschers auf den Einfluß des Karter zurückzuführen, des Obersten der Magier. Mit Bahrain setzte die absolute Vorherrschaft des Zoroastrismus ein, so daß die Manichäer verfolgt wurden 421 . Auch davon ist in dem koptischen Text die Rede. Manis Nachfolger Sisinmos wird unter der Regierung des nachfolgenden Herrschers Bahram Π. ebenfalls zum Märtyrer422. An seine Stelle trat Innaios, unter dessen Leitung der manichäischen Kirche eine Erholungspause zuteil wurde, nachdem Innaios den König geheilt hatte423. Dieser schob auch die Schuld an den vorausgegangenen Verfolgungen auf schlechte Berater ab und stellte nach seiner Heilung dem Innaios Schutzbriefe aus. Die Heilung des die Gemeinde verfolgenden Königs ist als Topos aus der Bekehrungsgeschichte Armeniens und Georgiens bekannt424. Vielleicht ist eine Milde gegenüber den Manichä-

414

Homilien, p. 45ff. Homilien, p. 59ßff. 416 Homilien, p. 44,18ff. 417 In Resten des Briefcorpus' Manis findet sich die Selbstbezeichnung "Manichaios, der Apostel Jesu Christi", die schon früher aus sekundären Quellen bekannt war (vgl. C. SCHMIDT/H.J. POLOTSKY, Ein Mani-Fund, 24ff; ebenso A. BÖHLIG, Die Bedeutung des CMC, 43 - 46). 418 HJ.POLOTSKY/A.BÖHLIG, Kephalaia I (p. 14,4-10; 14,32 - 15,24; 16,25-31); C.R.C. ALLBERRY, A Manichaean Psalm-Book Π, Index s.v.; vgl. auch A. BÖHLIG, Die Bedeutung des CMC, 43 - 46. 419 Horn., p. 60,13. 420 Horn., p. 60,11; 62,15f. 421 G. WIDENGREN, Die Religionen Irans, RM 14, Stuttgart 1965,261f. 422 Horn., p. 82ßff. Er stirbt durch das Schwert; auch das wird als σταύρωσις bezeichnet. 423 Horn., p. 83,28(1. 424 J. MECÉRIAN, Histoire et institutions de l'église arménienne, Beyrouth 1965, 35; D.M. LANG, The Georgians, New York, Washington 1966,91. 415

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em zu dieser Zeit daraus zu erklären, daß Bahram Π. sowohl mit den Römern als auch mit revolutionären Bewegungen in Ostiran zu tun hatte. Auch aus den Kephalaia sind kurze Bemerkungen zur Biographie Manis zu entnehmen, da in der Einleitung und im ersten Kapitel, das "über das Kommen des Apostels" handelt425, entsprechende Notizen eingeflochten sind. Mani gibt an, daß er unter Ardavan, dem letzten Partherkönig, geboren wurde und unter dem ersten Sassanidenkönig Ardaschir aufwuchs. Er spricht von seiner Berufung als Paraklet und seiner Tätigkeit in Indien, Irak und Iran. Er erwähnt auch, daß er jahrelang zum Gefolge des Herrschers gehört hat. Auch das Kapitel 76 "Über den Herrn Mani, wie er gewandelt ist" bestätigt das Bild, das wir auf diese Weise von seiner Missionstätigkeit gewinnen konnten; Indien, Persien, Mesene, Babylon, Assyrien sowie das Land der Meder und Parther sind seine Wirkungsstätten426. Der Dubliner Band von Kephalaia bringt ausführliche Berichte gerade über das Wirken Manis im persischen Reich427. In den Kephalaia, die ja von Manis Schülern zusammengestellt worden sind, finden sich ferner Züge, die auf eine Emanzipation von der christlichen Kirche hinweisen428. Hatte sich Mani in Briefen gern als 'Apostel Jesu Christi' bezeichnet, so erhebt er nun den Anspruch, die wirkliche Erfüllung der vor ihm vorhandenen Stifterreligionen Zoroastrismus, Buddhismus und Christentum darzustellen. Das Judentum ist für ihn eine Sekte; hier steht er ganz in der Gefolgschaft Marlrions429. Für die Lehre Manis und das, was man allgemein als manichäische Theologie betrachten kann, bieten gerade die beiden umfangreichen und immerhin etwa zur guten Hälfte edierten Texte der Gemeindeliteratur, die Kephalaia und der manichäische Psalter, Material, durch das die gattungsmäßig so ähnlichen Texte aus Turfan und China besser und kritischer interpretiert werden können. Von der literarischen Eigenart der Texte aus kann man unterscheiden zwischen dem, was die Texte katechetisch und liturgisch aus dem zentralen

425

Keph. I (p. 9,11-21). Auch in der dem Gesamtwerte vorangestellten Einleitung sind entsprechende Hinweise vorhanden (p. 5,21ff). 426 Keph. LXXVI (p. 183,10 -188,29). 427 Vgl. A. BÖHLIG, Neue Initiativen, 249 - 252. Auch die Reste des historischen Buches werden hier noch mehr bringen. 428 Die Kephalaia scheinen hier über Mani hinauszuweisen, falls er nicht schon selber diesen Schritt getan hat. In Kapitel 105 (p. 258,26 - 259,23) differenziert sich Mani von den Christen; er sieht sich als Nachfolger der vor ihm gekommenen Apostel an. S. auch die Vergleiche mit den Gesandten von Adam ab und mit Zarathustra, Jesus und Buddha (Keph. I [p. 12,9ft]). 429 Ablehnung des Alten Testaments! Vgl. A. BÖHLIG, Die Bibel bei den Manichäern, Diss. Theol. (masch.), Münster 1947.

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theologischen Gehalt machen, und dem, was der wirkliche Kern von Manis Glauben ist. HJ. Polotskys Interpretation zu gewissen Kephalaia, seine kritische Stellungnahme zu dem chinesischen Traktat und methodisch ähnlichen Texten, schließlich sein zusammenfassender Artikel in 'Pauly-Wissowas Realencyclopädie' waren epochemachend und zeigten, wie hier umfangreiche Textmengen, die im vorderasiatischen Raum zirkulierten, das bis dahin geltende Bild vom Manichäismus, das als Originale größeren Umfangs nur die chinesischen Texte zur Verfügung hatte, korrigieren und vereinheitlichen konnten430. Es handelt sich, was das eigentliche Wesen des Manichäismus angeht, nicht um verschiedene Formen im westlichen und östlichen Manichäismus, sondern nur um missionarisch bedingte verschiedene Ausdrucksweisen. Dabei zeigt sich, daß die syrische Form, wie sie in den Fragmenten der Kosmologie, die bei Theodor bar Könl erhalten ist, vorliegt, auch für die parthischen, türkischen und chinesischen Texte die Grundlage bildete. Allerdings werden bei der Übersetzung einige Götternamen eingefügt, seien es iranische oder buddhistische. Dazu steht nicht im Gegensatz, wenn in dem mittelpersischen §abuhragan und in Texten, die ihm nahestanden oder vielleicht zu ihm gehören wie die große mittelpersische Kosmogonie, für die Götter begriffliche Umschreibungen ihrer Funktionen gebraucht werden. Aber auch diese Texte bieten in beschränktem Maße iranische Götternamen, jedoch in anderer Verwendung als die parthischen Texte. Diesem Gebrauch der Götternamen schließen sich auch die mittelpersischen Hymnentexte an, die aber auch gewisse Termini der parthischen Texte bieten. Besonders wichtig ist die Identifikation von Wahman (pers.), Manuhmed (parth.) und ι/ους durch HJ. Polotsky, sowie die Gleichsetzung von grlw röän bzw. grlw ilwandag (parth.) und grlw zlndag (pers.) mit ψυχή ζωσα Die Identifikation von Urmensch und Lebendiger Seele konnte auf 1 Kor 15,45 zurückgeführt werden: èyévexo ό πρώτος άνθρωπος 'Αδάμ elç ψυχήι/ ζωσαν. Bei aller Mythologie der Kephalaia erwies sich aber der von dem neuplatonischen Bestreiter des Manichäismus Alexander

430

Vgl. H J . POLOTSKY in: C. SCHMIDT, H J . POLOTSKY, Ein Mani-Fund, 63 - 82; DERS., Manichäische Studien, Mus. 46,1933, 247 - 271 = DERS., Collected Papers 699 - 714 bzw. 648 - 672. In letzterem Aufsatz setzt POLOTSKY sich insbesondere mit der Arbeit von E. WALDSCHMIDT/W. LENTZ (Manichäische Dogmatik aus chinesischen und iranischen Texten, SPAW.PH 1933, 480 - 606) auseinander und kritisiert an Hand der Kephalaia den chinesischen Traktat (ed. E. CHAVANNES/P. PELLIOT, JA 1911; vgl. auch POLOTSKY, PRE. SuppL VI). - Inzwischen hat HJ. POLOTSKY seine negative Haltung gegenüber dem chinesischen Traktat revidiert (mündliche Mitteilung). W. SUNDERMANN zeigt mit seiner Ausgabe der parthischen Vorlage des Traktats deren beträchtliches Alter (Der Sermon vom Licht-Nous, Berliner Turfan-Texte XVII, Berlin 1992).

208

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von Lykopolis431 herausgearbeitete begriffliche Kern als sinnentsprechend. Die Aufgabe dieser Religion ist es, die in die Hand der ΰλη gefallene ψυχή durch das Wirken des νους zu befreien, eine Grundlage des Gnostizismus, die auch in Schriften von Nag Hammadi zu finden ist432. Besonders klar tritt in den koptischen Texten das Selbstverständnis des Manichäismus zutage. Er bildete eine Kirche, die den Schlußstein nicht nur von allem Gnostizismus, sondern von aller Religion überhaupt darstellen wollte. Im Gegensatz zum Christentum, das damals noch schwer um Feststellung und Authentizität seiner Lehre zu ringen hatte, schuf Mani seiner Kirche einen Kanon von Schriften, die auf ihn selbst zurückgingen433. In ihnen stand im Zentrum seine Metaphysik, Kosmologie, Anthropologie, Soteriologie, Ethik und Eschatologie. Alles, was in diese Bereiche gehörte, konnte aus dem wirklichen "Kunstmythos" abgeleitet werden, der somit eine regula fidei bildete. Der Aufwand von mythologischen Figuren und Ereignissen wurde in den Kephalaia nicht nur für katechetische Zwecke zusammengefaßt; der Mythos diente auch zur Erklärung von Geschehnissen aller Art im physischen wie im geistlichen Leben. Die Spekulationen der Kephalaia sind eine logizistische Verarbeitung des Mythos und können deshalb auch nicht ohne weiteres als ursprüngliche Lehren angesehen werden434. Die mythologische Kombination der Kephalaia gelten bei Theologen und Religionshistorikern gern als abstrus, obwohl sie durchaus einen Sinn haben, was in den späteren Kapiteln immer deutlicher hervortritt. Das dürfte auch der Grund für das geringe Interesse der Wissenschaftler gerade an der Bearbeitung und Erforschung der Kephalaia

431

Ed. A. BRINKMANN, Leipzig 1895 = Stuttgart 1989; französische Übersetzung von A. VILLEY, Alexandre de Lycopolis, Contre la doctrine de Mani, Sources Gnostiques et Manichéens 2, Paris 1985. 432 H J. POLOTSKY bestätigt (in: Ein Mani-Fund, 80 = Collected Papers, 690) die von H.H. SCHAEDER (Urform und Fortbildungen des manichäischen Systems, Leipzig 1927) gegebene Annahme eines begrifflichen Kerns, der nach SCHAEDER (a.a.O. 118) direkt aus der griechischen Wissenschaft, nach POLOTSKY aus dem "Begriffsschatz der christlichen Gnosis" eher als aus der griechischen Philosophie stammt. Für Nag Hammadi vgl. NH Π,ό "Die Exegese über die Seele". 433 Keph., Einleitung (p. 5,23-26); vgl. auch Kapitel 148 in C. SCHMIDT, HJ. POLOTSKY, Ein Mani-Fund, 35f (noch nicht ediert; die Ergänzung "Die Kephalaia" a.a.O. 86,18 ist nicht richtig). Der Kanon ist auch erwähnt Horn. p. 25,2-6; 94,18£f; Ps.-B. p. 46,21-32; 139,54 - 140,16; chines. Kompendium (vgl. Bibliographie) b. 14 - 223. 434 A. BÖHLIG, Probleme des manichäischen Lehrvortrages, in: DERS., Mysterion und Wahrheit, 228 - 251; DERS., Neue Kephalaia des Mani, a.a.O. 252 - 266. Deshalb habe ich in 'Die Gnosis ΠΙ' (Der Manichäismus, BAWAC, Zürich/München 1980) eine Trennung der Darstellungen des manichäischen Systems (Kap. 2) von der Verarbeitung des Mythos im Lehrvortrag vorgenommen.

Medinet Madi und Nag Hammadi

209

sein435. Das Hymnenbuch fand dagegen weitaus stärkeres Interesse. Zwar enthalten auch die Psalmen - wie selbstverständlich - mythologisches Material; im Gegensatz zu den Kephalaia, die eine wenn auch eigenartige Theologie entwickelten, tritt in den Psalmen das religiöse Gefühl, insbesondere die Erlösungssehnsucht, in den Vordergrund, obwohl auch in ihnen Reihen von mythologischen Figuren gebildet werden. Die in den letzten Jahren erfolgte Veröffentlichimg von Hymnen aus Turfan und China bietet dazu interessante Vergleichsmöglichkeiten436. Hatten die neuen Texte zur besseren Kenntnis des Selbstverständnisses des Manichäismus beigetragen und gezeigt, wie er sich selbst in die Religionen der Welt eingegliedert sieht, so konnten aus ihnen auch die Religionshistoriker neue Schlüsse ziehen. So ist in den Kephalaia besonders auch die Differenzierung von der christlichen Kirche zu erkennen437. Außerdem werden dort allgemein δόγματα "Sekten" als Gegner erwähnt438. Es ist schwer, diese im einzelnen zu identifizieren. In Kapitel 89 wird von einem Nazoräer gesprochen 439 ; im allgemeinen sah man in ihm einen Mandäer, weil na§öraye als "Observanten" gedeutet wurde. Aus dem Inhalt des Kapitels, das von Gott als dem, der nur Gutes tun darf, handelt, ist für diese Frage wenig zu entnehmen, es sei denn, man sieht darin den Zweifel an dem erforderlichen dualistischen Denken. Das spricht für die Deutung von Ναζωράίος als "Christ". Epiphanius schreibt ja, daß die Christen in ältester Zeit nicht Χριστιανοί, sondern Ναζωpatoi genannt wurden440. Das ist auch Apg 24,5 der Fall441. Auch die Bezeichnung καθάριοι442 und daneben βαπτισταί443 begegnet in den anderen Kapi-

435

Zu verweisen ist allerdings auf A. BÖHLIG mit seinen Aufsätzen in den Sammelbänden "Mysterion und Wahrheit" sowie "Gnosis und Synkretismus". In neuerer Zeit hat E. FELDMANN (Der Einfluß des Hortensius und des Manichäismus auf das Denken des jungen Augustinus, Diss. TheoL [masch.], Münster 1973) die orientalischen, insbesondere die koptischen Manichaica, für seine Studien stark herangezogen und dabei auch die Kephalaia berücksichtigt. Vgl jetzt auch K.M. WOSCHITZ, Der Mythos des Lichtes und der Finsternis. Zum Drama der Kosmogonie und der Geschichte in den koptischen Kephalaia, in: K.M. WOSCHITZ, M. Η UTTER, Κ. PRENNER, Das manichäische Urdrama des Lichtes, Wien 1989,13 - 150; P. VAN LINDT, The Names of Manichaean Mythological Figures, Wiesbaden 1992; M. MANFRED, Der manichäische Mythos nach den koptischen Quellen, Diss. phiL (masch.), Bonn 1992. 436 Vgl. H J . KUMKEIT, Hymnen und Gebete der Region des Lichts, Opladen 1989. 437 Besonders markant ist die Gegenüberstellung in Keph. CV (p. 258f). 438 Z.B. schon in der Einleitung der Kephalaia (p. 7,3); vgL auch XCI (231,20) u.ö. 439 Keph. p. 221,18 - 223,16. 440 Epiph., Haer. 29,13· 441 ΝαζοραΤος = Ναζορηι/ός. Zur sprachlichen Erklärung vgl. A. BÖHLIG, Das Problem aramäischer Elemente in den Texten von Nag Hammadi, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 432 und Anm. 95. 442 Keph. ΧΠ (p. 44,27). 443 Keph. ΧΠ (p. 44,26); Horn., p. 87,13ff.

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teln, Namen, die auch für die Maadäer verwendet werden, sich gleichwohl nicht auf sie beschränken brauchen, da wir ja aus dieser Zeit von einer Mehrzahl von Täufersekten wissen. Der Kölner Codex berichtet z.B. ausführlich von Manis Leben bei der Täufersekte der Elkesaiten444. Solche genauen Angaben fehlen in den koptischen Texten, so daß die communis opinio bis vor kurzem davon ausging, Mani sei bei den Mandäern groß geworden445. Diese Ansicht schien dadurch besonders gestärkt zu werden, daß T. Säve-Söderbergh in einer umfangreichen Studie über das koptische Psalmenbuch eine Verwandtschaft zwischen dessen letztem Teil, den Thomaspsalmen, und mandäischer Hymnendichtung feststellen konnte446. Man könnte denken, daß in diesen Psalmen Manichäer sich mandäischem Gut assimiliert haben und auch umgekehrte Wirkungen sichtbar werden. In diese Problematik wurde von A. Adam auch das bekannte 'Lied von der Perle' einbezogen447. Daß es bei der Interpretation des Manichäismus nicht übergangen werden sollte, hatte bereits G. Bomkamm gezeigt448; L. Koenen und A. Henrichs haben sich nun bei der Behandlung des Kölner Codex ausführlich damit auseinandergesetzt449. Mani scheint, wie aus dem Kölner Codex zu entnehmen ist, bei der Täufersekte der Elkesaiten aufgewachsen zu sein und sich dann den "Griechen" zugewandt zu haben 450 . Er ist von einer judenchristlichen Gnosis zu einer griechisch bestimmten christlichen Kirche übergegangen, deren Gut ihn im folgenden beeinflußte, ihn aber letztlich nicht daran hindern konnte, ein eigenes System und eine eigene Kirche zu schaffen. M.E. handelte es sich bei diesem Christentum speziell um markionitische Kreise. Man denke an gewisse Stellen in den Kephalaia, wo solcher Einfluß zutage tritt451. Mani hält sich bei seiner Christologie an Phil 2,7. Es wird auf die Reichgottespredigt angespielt. Markion ist auch in dem "wirklich Gerechten"452 zu sehen, da er eine bessere

444

Vgl. A. HENRICHS/L. KOENEN, Ein griechischer Mani-Codex, 141ff. Vgl. a.a.O. 133ff. T. SÄVE-SÖDERBERGH, Studies in the Coptic Manichaean Psalm-Book, Uppsala 1949, 85-166. 447 A. ADAM, Die Psalmen des Thomas und das Perlenlied als Zeugnisse vorchristlicher Gnosis, BZNW 24, Berlin 1959. 448 G. BORNKAMM, Mythos und Legende in den apokryphen Thomasakten. Beiträge zur Geschichte der Gnosis und zur Vorgeschichte des Manichäismus, PRIANT 31, Göttingen 1933. 449 Vgl. A. HENRICHS/L. KOENEN, Ein griechischer Mani-Codex, 171ff. Es geht ihnen besonders um seine Interpretado manichaica. 450 A.a.O. 145. 451 Vgl. A. BÖHLIG, Christliche Wurzeln im Manichäismus, in: DERS., Mysterien und Wahrheit, 202 - 221. 452 Keph. I (13,30f). 445

446

Medinet Madi und Nag Hammadi

211

Gerechtigkeit als der Weltschöpfer vertritt. Das Alte Testament ist als "ein alter Flicken" abzulehnen. So sind die Erwähnungen des Gleichnisses vom alten Flicken bei dem Manichäer Faustus von Mileve453 bzw. von den alten Schläuchen in den koptischen Texten454 zu deuten. Für die Problematik, ob Mani von Bardesanes abhängig ist, ergeben die koptischen Texte wenig. An der Stelle der Kephalaia, an der auf Markion angespielt wird, ist noch von einem Zweiten die Rede455. Hier ist m.E. nicht, wie K. Rudolph, vom Kölner Codex ausgehend, an Elkesai zu denken456. Gerade der vorher erfolgte Rückgriff auf Paulus spricht nicht für Elkesai. Es kann deshalb hier durchaus an Bardesanes gedacht werden. Die Fülle mythologischen Materials, die in den koptischen Manichaica enthalten ist, erweist zusammen mit dem Kölner Codex, daß Mani in der Ausgestaltung seines Mythos synkretistisch am Werke war. Popularphilosophische, astrologische, jüdische, gnostische, christliche und iranische Gedankenbildungen sind von ihm verwendet worden457. Konstitutiv ist aber m.E. eine christlich-gnostische Intuition, die Selbsterlösung Gottes durch seinen Sohn im Kampf mit der Finsternis458. Die manichäischen Psalmen haben in besonderem Maße auch auf die neutestamentlichen Apokryphen ein Licht werfen und die Benutzung des Corpus der Apostelakten durch die Manichäer bestätigen können459. Erneut hat das Auftauchen der Funde von Medinet Madi und Nag Hammadi die Frage aufgeworfen, inwieweit Mythologumena aus dem Gnostizismus des zweiten Jahrhunderts im Manichäismus fortgebildet sind, so z.B. die Vor-

453

Augustin, Faust. 8,1. Manichaean Psalm-Book Vol. Π, p. 153,26. Keph. I (p. 13,3Iff). 456 Κ. RUDOLPH, Die Bedeutung des Kölner Mani-Codex für die Manichäismusforschung, in: Mélanges H.-Ch. Puech, Paris 1974,471 - 486, bes. 484. 457 A. BÖHLIG, Der Synkretismus des Mani, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 482 - 519; DERS., Denkformen hellenistischer Philosophie im Manichäismus, a.a.O. 551 - 585. 458 A. BÖHLIG, Das Neue Testament und die Idee des manichäischen Mythos, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 586 - 611; DERS., Zur religionsgeschichtlichen Einordnung des Manichäismus, a.a.O., 457 - 481. 459 Vgl p. NAGEL, Die apokryphen Apostelakten des 2. und 3. Jahrhunderts in der manichäischen Literatur, in: Gnosis und Neues Testament, Berlin 1973,149 - 182; K. SCHÄFERDIEK, Die Leukios Charinos zugeschriebene manichäische Sammlung apokrypher Apostelgeschichten, in: W. SCHNEEMELCHER (Hg.), ΝΤΑρο Π, Tübingen s1989,81 - 93. 454 455

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Alexander BdhUg

Stellung von Jakob als Engelstrategen460, die 'Séduction des Archontes'461 oder der Gedanke vom lichtkreuz462. Die Kephalaia zeigen auch, daß ein Modell des iranischen Denkens, das sich im Osten ganz für die Interpretation der manichäischen Lehre durchgesetzt hat, im Westen und wohl auch bei Mani selbst eine andere Bedeutung besitzt. P. Nagel und später Henrichs463 haben an Hand von Kephalaion 17 "das Kapitel von den drei Zeiten"464 festgestellt, daß Anfang, Mitte und Ende nicht wie allgemein angenommen (1) der Zeit vor dem Kampf, (2) der Zeit von Kampf, Mischimg und Läuterung, (3) der Zeit des Siegeszustandes nach der zweiten Periode entspräche, so wie im Iran die unbegrenzte Zeit, die begrenzte Zeit und wieder die unbegrenzte Zeit aufeinander folgen. Wahrscheinlich ist aber der Westen und von daher auch Mani selber von der Vorstellung Piatons beeinflußt, daß die Zeit als eine historische Größe vergänglich ist465. Darum beginnt auch für Mani die Zeit erst mit dem Anfang der Geschichte, d.h. dem Kampf des 'Ersten Menschen'; ihm folgt das Wirken des 'Lebendigen Geistes' und die Erschaffung der Welt, als das Ende die Zeit des Wirkens des 'Dritten Gesandten* bis zur Endzeit. Diese Zeiteinteilung haben Nagel und Henrichs durch Vergleich von Stellen bei Augustin aus dem Kephalaion herausgearbeitet. Außer den Kephalaia kann auch eine entsprechende Stelle in den Homilien466 so gedeutet werden, weil die dritte Epoche als Trennung bezeichnet wird. M.E. entspricht solcher Dreiteilung auch die Disposition des zweiten Hauptteils der Civitas Dei von Augustin nach seinen Äußerungen in den Retractationes461: "Die vier ersten Bücher also von den zwölf folgenden handeln von dem Ursprung der beiden Staaten, des Gottesstaates und des Staates dieser Welt; die folgenden vier von

460

A. BÖHLIG, Jakob als Engel in Gnostizismus und Manichäismus, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 164 -180. ™ Α. BÖHLIG, Der Manichäismus im lichte der neueren Gnosisforschung, in: DERS., Mysterien und Wahrheit, 188 - 201. Wenn man allerdings berücksichtigt, daß Manichäismus und Gnostizismus um 300 n.Chr. nebeneinander in Unter- und Oberägypten wirksam waren, könnte hier auch eine umgekehrte Kausalität vorliegen. Dafür spräche das Vorkommen der Zahl 1468 als Zeit der Verbrennung im "Gedanken unserer großen Kraft" (NH VI 46,25-28). 462 A. BÖHLIG, Zur Vorstellung vom Lichtkreuz in Gnostizismus und Manichäismus, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 135 -163. 463 P. NAGEL, Bemerkungen zum manichäischen Zeit- und Geschichtsverständnis, in: Studia Coptica, Berlin 1974, 201 - 214; A. HENRICHS, The Timing of Supernatural Events in the Cologne Mani Codex, in: L. CIRILLO (Hg.), Codex Manichaicus Coloniensis, Atti del simposio internazionale Rende-Amantea 3-7 settembre 1984, Cosenza 1986,183 - 204, bes. lOff. 464 Keph. p. 55,16 - 57,32. 465 Plat., Ti. 37 C - 38 C. 466 Hom. p. 7,11-13. 467 Augustin, Retract. II 43,2.

Medinet Madi und NagHammadi

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deren Verlauf oder Fortgang, die weiteren vier, zugleich die letzten, von deren gebührendem Ausgang".

8. Das religionsgeschichtliche Ergebnis 1. Infolge ihrer Zusammensetzung sind die beiden besprochenen Sammlungen von ganz unterschiedlicher Bedeutung. Die Bibliothek von Medinet Madi konnte für die Erkenntnis des Wesens und die religionsgeschichtliche Einordnung des Manichäismus einen wesentlichen Beitrag leisten. Ihr besonderer Wert liegt darin, daß es sich bei ihr um authentische Manichaica handelt, wenn auch nur zum geringsten Teil von Mani selber. Gerade letztere sind unglücklicherweise noch dazu infolge ihres schlechten Erhaltungszustandes oder der Kriegsumstände wegen kaum bearbeitet und weitgehend zerstört; die neue Bearbeitung ist aber im Gange468. Der Schriftenfund von Nag Hammadi, der anfangs als eine gnostische Gesamtbibliothek angesehen wurde, mußte bei fortschreitender Bearbeitung in seinem Charakter immer problematischer erscheinen. Erwies sich sein 'Sitz im Leben' als nicht eindeutig und seine Zusammensetzung als uneinheitlich, so sank sein Quellenwert. Nur eine sorgfältige Analyse der Einzelschriften, die heute noch nicht in allen Fällen vorliegt, kann die Texte für die Erstellung eines umfassenden Bildes vom Gnostizismus fruchtbar machen. Dennoch werden wir in absehbarer Zeit vor die Aufgabe gestellt sein und die Möglichkeit haben, eine 'Geschichte der gnostizistischen Tradition' zu schreiben. Dafür müssen aber auch die früher schon bekannten patristischen und koptisch-gnostischen Quellen herangezogen werden. Ferner wird eine solche Arbeit nicht ohne die ständige Vergleichung auch manichäischer und mandäischer Quellen zu bewältigen sein. Die Texte von Nag Hammadi bieten also im Gegensatz zu den koptisch-manichäischen von Medinet Madi kein so authentisches Mate rial. Zwar sind in ihnen nachweislich Mythologumena aus dem zweiten Jahrhundert vorhanden, doch dürften die Gesamtschriften, besonders die mythologischen Inhalts, erst im dritten Jahrhundert verfaßt bzw. kompiliert worden sein. Der Abstand zu den schon früher bekannten Schriften des Codex Askewianus und Brucianus ist nicht so groß, wie man ursprünglich angenommen hatte. 2. Inwieweit die Texte von Nag Hammadi Elemente aus dem Denken bestimmter Sekten enthalten, konnte nur aus inneren Kriterien erschlossen wer-

468

S.o. S. 121 Anm. 32 und 34.

214

Alexander Böhiig

den. Es ist kaum anzunehmen, daß die Kompilatoren oder die Schriftensammler einer einzigen bestimmten Gruppe, die im zweiten Jahrhundert vorhanden war, angehörten. Man könnte hier von einem gnostischen Synkretismus sprechen. 3. Daß die Mehrzahl der Texte von Nag Hammadi einen christlichen Charakter hat oder christlich übermalt ist, dürfte in dieser Zeit und bei dieser Umgebung kein Wunder sein. Um so bedeutsamer ist das Vorhandensein auch von nichtchristlichen Texten und Hermetica, die beide jüdische Einflüsse aufweisen. Das zeigt uns, daß jüdische Elemente nicht nur über das Christentum in den Gnostizismus gekommen sind. Außerdem sind diese Texte ein Zeugnis für das Vorhandensein eines außerchristlichen Gnostizismus, dessen Erlöserbild noch nicht so stark vom Bilde Jesu Christi aus dem Christentum beeinflußt war. 4. Ein Ausscheiden gewisser Texte als nicht-gnostisch nur darum, weil sie die Welt vom höchsten Gott und nicht vom Demiurgen geschaffen sein lassen, wird dem wirklichen Sinn gnostischen Denkens nicht gerecht. Zwar wird der Makro- und erst recht der Mikrokosmos meist von Größen geschaffen, die nicht die Qualität des höchsten Gottes besitzen, doch oft genug wird dabei der letzte Wille Gott anheimgestellt. Zumindest ist das letzte Ziel der Sieg Gottes. Deshalb ist der höchste Gott stets Herr über alles. 5. Falls gnostische Texte vorhanden sind, die ohne eine Veranlassung im Christentum zu haben entstanden, kann der Gnostizismus als eigene religionsbildende Daseinshaltung angesehen werden. Die vorliegenden Texte bestätigen die These von seinem parasitären Charakter**®. 6. Ohne Zweifel sind am gnostizistischen Schrifttum von Nag Hammadi wie von Medinet Madi die typischen Eigenarten erkennbar, die der Synkretismus des Vorderen Orients in hellenistischer Zeit aufweist. Sowohl pagane Elemente der orientalischen Hochreligionen und der griechischen Kultur und Geisteswelt als auch jüdische und christliche Bestandteile sind im Gnostizismus zu finden. Doch wäre es falsch, in ihm das Ergebnis einer Mischung zu sehen, die jeweils eine Summierung seiner Antezedentien darstellt. Das Prinzip der Kausalität reicht für die Erklärung des Gnostizismus nicht aus. Das hatte schon H. Jonas im Anschluß an O. Spengler gesehen470. Er hatte auch

469

Vgl. U. BIANCHI, Probleme der Religjonsgeschichte, KVR 203/204, Göttingen o J., 38f. H. JONAS, Gnosis und spätantiker Geist, 1.T1. Die mythologische Gnosis, mit einer Einleitung zur Geschichte und Methodologie der Forschung, FRLANT 51, Göttingen 31964,73£f.

470

Medinet Modi und Nag Hammadi

215

recht, wenn er den Synkretismus als eine Verbindung objektiver Inhalte erkannte, aber das Wesen des Gnostizismus nicht mit ihnen gleichsetzen wollte. Aber auch aus einem anderen Grund dürfte der lange währende Kampf darum, welche Größen den Gnostizismus zum Leben erweckt haben, unnütz und unnötig sein, nämlich, wenn der Gnostizismus eine Daseinshaltung ist, die sich als etwas Eigenes, sich mit den Mitteln des Synkretismus Objektivierendes darstellt. 7. Das Prinzip der Kausalität ist aus der alten Mechanik, die die Grundlage der früheren Physik bildete, entnommen. Mit der rasanten Weiterentwicklung der Physik und der Naturwissenschaften überhaupt ist ein neues Weltbild entstanden, das auch ein Überdenken unserer Geschichtsbetrachtung erfordert 471 . Wir können sicher die Objektivationen gnostischer Geistigkeit in ihrer Eigenschaft als Modelle auf Abhängigkeiten und Beeinflussungen untersuchen. Wir werden in der Terminologie, in den Mythologumena und Theologumena die Fragestellungen und Ausdrucksformen der im Synkretismus vorhandenen Religionen und Geistigkeiten feststellen können. In den Schriften von Nag Hammadi werden wir auch schöne Beispiele dafür beobachten können, wie Denkmodelle innerhalb des Gnostizismus wandern. Hier kann das Kausalitätsdenken durchaus angewandt werden. Wenn aber eine so große neue Bewegung, wie es der Gnostizismus war, auf den Plan tritt, liegt es nahe, über das Kausalitätsprinzip hinauszugehen und zu fragen, ob diese gesamte Bewegung nur die Abwandlung eines bereits vorhandenen Modells, des Judentums, des Christentums, des Griechentums oder irgendwelchen orientalischen Denkens ist oder ob nicht vielmehr wirklich neue Gesichtspunkte für die Weltbetrachtung außerhalb einer bis dahin geltenden Weltschau aus einer Freiheit des Geistes heraus entstanden sein können. Dabei macht sich der Geist, unter Umständen auch der Ungeist, vorhandene oder ihm noch begegnende Modelle Untertan, wobei bis zu einem gewissen Grad selbst die eigene Tendenz zumindest äußerlich verändert werden kann. Das betrifft aber nur die Modelle des Gnostizismus, seine Objektivationen, nicht seinen geistigen Inhalt. 8. Wenn man das gnostizistische geistige Zentrum als eigenständig anerkennt, ist es um so leichter, seine Einkleidung in die Begriffs- und Mythenwelt anderer Religionen und Theologien zu sehen und zu analysieren. Die Erwei-

471

H. W. BECK, Die Welt als Modell. Gegen den Mythos vom geschlossenen Weltbild, Wuppertal 1973, 49 - 57; C.F. VON WEIZSÄCKER, Die Einheit der Natur, DTV.WR 4155, München 1974,289; 342ff.

216

Alexander Böhlig

terung des einerseits aus dem Mittelmeerraum, andererseits aus dem zentralund ostasiatischen Raum stammenden manichäischen Materials um die koptisch-manichäischen Texte ermöglichte eine solche Analyse. So konnte die Umkleidung des gnostischen Kerns mit verschiedenen Ausdrucksformen beim Vergleich des gängigen Mythos mit den großen persischen Lehrschriften beobachtet werden. Außerdem tritt hier zu der wohl von Anfang an vorhandenen missionarischen Tendenz die ständige Weiterentwicklung der Ausdrucksformen im Dienste der Weltmission bis nach Spanien auf der einen und bis nach China auf der anderen Seite. Die Ergebnisse können als paradigmatisch auch für die Texte von Nag Hammadi angesehen werden. Die Bestimmung ihres 'Sitzes im Leben' ermöglicht uns eine Überprüfung der Texte auf den gnostischen Kern und seine weitere Ausgestaltung hin. Man beachte dabei die in Ägypten wahrscheinlichen Einflüsse und solche, die von Syrien her auf die Texte gewirkt haben könnten. 9. Die Bedeutung der griechischen Kultur für das Ägypten der hellenistisch-römischen Zeit spiegelt sich in den Texten von Nag Hammadi wider. Wenn auch Alexandria das geistige Zentrum war, so ist doch mit weiteren griechischen Schulen im Land zu rechnen, in denen nicht nur Griechen, sondern auch Ägypter ihre Bildung empfingen (sogenannte 'Gräkoägypter'). In den Schriften von Nag Hammadi läßt sich die griechische Schule mit all' ihren Stufen erkennen. Beispiele aus dem Unterrichtsbetrieb der Elementarschule und der höheren Allgemeinbildung stehen neben solchen aus der Rhetoren-, ganz besonders aber aus der Philosophenschule. Die Texte können nicht wirklich verstanden werden, wenn man sich nicht dessen bewußt ist472. 10. Der jüdische Einfluß tritt in der Sammlung von Nag Hammadi neben vielen Einzelheiten in der besonderen Bedeutung hervor, die Seth, der nachgeborene Sohn Adams, in diesen Texten erhält473. Ferner ist die große Rolle der Apokalyptik vor allem des Henochbuches474 sowohl in den Schriften von

472

A. BÖHLIG, Die griechische Schule und die Bibliothek von Nag Hammadi, in: DERS., Gnosis und Synkretismus, 251 - 288. 473 S.o. S. 137f. 153 sowie besonders S. 192 -196. 474 vgl. A. BÖHLIG, Der jüdische Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi, in: DERS., Mysterion und Wahrheit, 92; J.T. MILK, Turfan et Qumran. Livre des géants juif et manichéen, in: Tradition und Glaube, Festgabe für K.G. Kuhn, Göttingen 1975,117 -127; W. HENNING, Ein manichäisches Henochbuch, SPAW.PH 1934, 27 - 32 = DERS., Selected Papers I, Acta Iranica 14, 341 - 346; J. TUBACH, Spuren des astronomischen Henochbuches bei den Manichäern Mittelasiens, in: Nubia et Oriens Christianus, FS für C.D.G. Müller, Köln 1988, 73-95 sowie J.C. REEVES, Jewish Lore in Manichaean Cosmogony. Studies in the Book of Giants Tradition, Cincinnati 1992.

Medinet Madi und Nag Hammadi

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Nag Hammadi wie im Manichäismus zu beachten. Die Bedeutung biblischer Darstellungen, auf die bereits H. Jonas hingewiesen hatte 475 , wurde von den Nag-Hammadi-Texten bestätigt; so sind z.B. Sodom und Gomorrha in ihnen als gute Orte gedeutet476, und die Schlange im Paradies ist eine Belehrerin im guten Sinn477. Ja, die Umdeutung steigert sich im Johannesapokryphon zur Protestexegese, wenn die Aussage des Moses von Gen 1,2 angegriffen wird478. 11. Auch ägyptische Vorstellungen begegnen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wieweit hier die Mythologumena über hellenistisch gebräuchliche Formen oder direkt aus der ägyptischen Tradition übernommen worden sind479. Das erstere erscheint mir wahrscheinlicher. 12. Die iranischen Einflüsse, die in früheren Jahren einmal sehr hoch eingeschätzt worden waren, sind inzwischen mehr in den Hintergrund getreten. Für den Manichäismus dürfen sie allerdings nicht zu gering angesetzt werden, da Mani ja in der persischen Hofgesellschaft verkehrte und dort das Wirken der Magier erlebte. In die hellenistische Welt waren diese iranischen Strömungen auch eingedrungen, wie J. Bidez und F. Cumont in ihrem Werk "Les Mages hellénisés" dargelegt haben480. Auch in Nag Hammadi sind Spuren solcher iranischen Einflüsse zu spüren, so z.B. im Namen und Kolophon des Zostrianus (NH VIII,/), an Stellen der Adamapokalypse481, im Weltbild der 'Paraphrase des Seem'482 oder auch im Codex Brucianus mit dem Namen Aphredon, der ja aus iran. Fredön